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German Pages 408 [410] Year 2022
Francesca Paolin Wissenschaft des Judentums zwischen Norditalien und Deutschland
Religiöse Positionierungen in Judentum, Christentum und Islam
Herausgegeben von Christian Wiese und Nina Fischer
Band 2
Francesca Paolin
Wissenschaft des Judentums zwischen Norditalien und Deutschland Transfers, Debatten, Netzwerke im 19. Jahrhundert
D30 Dissertation an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, FB Theologie, 2018. Ursprünglicher Titel: „Die Wissenschaft des Judentums in ltalien im 19. Jahrhundert. Selbstverständnis, Debatten, transnationale Perspektiven“
ISBN 978-3-11-076840-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-076855-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-076858-9 Library of Congress Control Number: 2022940035 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Reihenvorwort Religiös-weltanschauliche Vielfalt mitsamt ihren zwiespältigen – destruktiven wie konstruktiv-bereichernden – Elementen gehört im Gefolge von Globalisierung, Migration und der durch politische Krisen erzwungenen Flucht von Millionen Menschen mehr denn je zur Signatur der Lebenswelt der meisten gegenwärtigen Gesellschaften. Interreligiöse Begegnung, Kommunikation und Positionierung stellen daher nicht eine bloße Option dar, sondern sind Ausdruck eines „dialogischen Imperativs“ (Christoph Schwöbel), von dem die friedliche Koexistenz religiöser Gemeinschaften in den jeweiligen Gesellschaften oder ganzer benachbarter Kulturen abhängt. Die kaum zu überschätzende soziale, politische und kulturelle Dynamik und Brisanz dieser Problematik, die vielfach mit Ängsten, Vorurteilen und Konflikten einhergeht, erklärt, weshalb sich die gegenwärtige Forschung intensiv mit den Herausforderungen multireligiöser Konstellationen beschäftigt. Wie lässt sich umgehen mit dem unausweichlichen Faktum der Pluralität einander widerstreitender Sinn- und Wahrheitsansprüche, die in Verbindung mit gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen vielfach ein explosives Gemisch darstellen können? Was sind die Ursachen religiöser Konflikte, Fundamentalismen und Gewalt? Wie tragfähig sind demgegenüber Konzepte wie Multikulturalismus, Interreligiösität oder Interkulturalität, die sich mit unterschiedlichen Akzenten kritisch zu Formen religiöser Exklusivität, Aggression oder zur Uniformität religiöser bzw. religiös-nationaler „Leitkulturen“ verhalten? Die vorliegende Schriftenreihe versammelt Forschungsergebnisse eines in den vergangenen Jahren vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten interdisziplinären und interreligiösen Kooperationsprojekts der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Justus-Liebig-Universität Gießen. Unter dem Titel „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“ setzten sich Forscher*innen auf dem Gebiet der Religionswissenschaft, der christlichen Theologie, der Judaistik, der Islamischen Studien, der Ethnologie, der Soziologie und der Erziehungswissenschaft in historisch-systematischer und empirisch-systematischer Hinsicht mit dem Phänomen religiöser Diversität und Differenz als Grundkategorien interreligiöser und interkultureller Begegnung auseinander – mit einem Schwerpunkt auf den drei monotheistischen Religionen. Im Zentrum stand dabei die theoretisch wie gesellschaftspolitisch relevante Kernfrage nach den Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen eines qualifizierten religiösen Pluralismus, d. h. eines konstruktiven, respektvollen Umgangs mit religiöser Pluralität und Differenz.
https://doi.org/10.1515/9783110768558-001
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Reihenvorwort
Im Unterschied zu konsensorientierten interreligiösen Dialogkonzepten, die auf eine konsensorientierte, relativierende Überwindung von Gegensätzen zielen, beruhen die Arbeiten des Forschungsschwerpunkts auf der Prämisse, dass die Existenz des Anderen oder des Fremden in religiös pluralen Konstellationen zu Positionierungen im Sinne einer Repräsentation und Affirmation des Eigenen nötigen. Diese für jeden interreligiösen Kontakt konstitutive Begegnung und Konfrontation mit differenten Glaubensüberzeugungen und Geltungsansprüchen lässt sich zunächst mit der Kategorie der Diversität erfassen. Diversität als Wahrnehmung von Verschiedenheit und Andersheit kann dabei als bereichernde Vielfalt, aber auch als irritierende, mit dem Eigenen unvereinbare Differenz, ja sogar als fundamentale Bedrohung des eigenen Selbstverständnisses gedeutet werden. Aus der jeweiligen Erfahrung und Deutung von Diversität und Differenz können sich ganz unterschiedliche Handlungsoptionen ergeben: die nivellierende Relativierung des eigenen wie fremden Wahrheitsanspruchs, das argumentative Werben für die eigene Position, das pragmatische Ertragen der Existenz des Anderen, religiöse Apologetik, Polemik und Diskriminierung bis hin zur missionarischen Überwältigung des Differenten oder dessen gewaltsame Unterdrückung. Möglich sind aber ebenso Formen dialogischer Annäherung, sofern die Wahrnehmung von Positionen, die der eigenen widerstreiten, zum Ausgangspunkt wechselseitiger Anerkennung wird. Angesichts dieser möglichen alternativen Folgen erfahrener Diversität stellt sich die Frage, welches Potenzial, aber auch welche Widerstände Judentum, Christentum und Islam (sowie andere religiöse Traditionen) hinsichtlich eines konstruktiv-dialogischen Umgangs mit religiöser und/oder weltanschaulicher Differenz in sich bergen, und zwar sowohl mit Blick auf die jeweils eigene plural verfasste Tradition als auch gegenüber konkurrierenden religiösen und nichtreligiösen Weltbildern. Ob religiöse Positionierungen einen eher destruktiven, integrativen oder dialogischen Charakter haben, hängt dabei offenbar nicht in erster Linie von den Inhalten der jeweils vertretenen Position ab, sondern von den historischen, politischen und kulturellen Konstellationen, in denen sie sich vollziehen, sowie von den Modalitäten, unter denen sie in gesellschaftliche Diskurse eingebracht werden. So können auch differenzbewusste Glaubensüberzeugungen pluralismusfähig sein, wenn sie sich Prinzipien epistemischer Demut verpflichtet wissen und in der Positionierung gegenüber anderen Traditionen deren Legitimität, Würde und Gültigkeit anzuerkennen vermögen. Der Begriff der Pluralismusfähigkeit religiöser Positionierungen beschreibt dabei nicht so sehr die Befähigung zu einem Standpunkt jenseits eigener Glaubens- und Wertvorstellungen, sondern eine bewusste Bejahung des Rechts des Anderen auf Anerkennung und ein Verständnis der eigenen Position im Sinne einer kritisch zu reflektierenden Standortgebundenheit im öffentlichen Diskurs. Eine der denkbaren konstruktiven Modalitäten,
Reihenvorwort
VII
die in dem Forschungsverbund in den Blick genommen wurden, lässt sich im Anschluss an sprach- und literaturwissenschaftliche Theorien – insbesondere Michail M. Bachtins – mit dem Begriff der Dialogizität erfassen. Er scheint in besonderer Weise geeignet, zu beschreiben, wie argumentative Positionen, die durch Diversität und Differenz gekennzeichnet sind, auch als solche zur Sprache gebracht werden können, ohne die Absicht, sie miteinander in Einklang zu bringen. Als theoretischer Begriff, der in deskriptiver wie normativer Perspektive nach den philosophischen, kommunikationstheoretischen und historisch-gesellschaftlichen wie politischen Bedingungen und Implikationen dialogischer Praxis fragt, verweist er auf die Möglichkeit eines dialogischen statt konfrontativen Verständnisses von Positionierung, der programmatisch von der Berechtigung einer Polyphonie womöglich auch im Dialog unaufhebbarer Pluralität und Differenz ausgeht. Auf dieser Grundlage ließe sich eine kommunikative Praxis begründen, die dazu befähigt, den eigenen Standpunkt zu affirmieren, ohne ihn monologisch geltend zu machen oder absolut zu setzen, d. h. die eigene Position klar zur Sprache zu bringen, und ohne die Gesprächspartner*innen zu überwältigen oder ihrer Position die Anerkennung zu verweigern. Die aus der Zusammenarbeit innerhalb des Forschungsschwerpunkts hervorgegangenen Monografien und Sammelbände wollen jedoch kein einheitliches normatives Modell des Umgangs mit religiöser Vielfalt vertreten. Sie repräsentieren vielmehr die Vielstimmigkeit der interdisziplinären Diskussionen, der theoretischen und methodischen Zugänge sowie der Interpretationen religiöser Positionierungen in Geschichte und Gegenwart. Die vorliegende Monografie von Francesca Paolin vergleicht die Entwicklung der Wissenschaft des Judentums, ihrer Institutionen, Publikationsorgane und zentralen Figuren im katholischen Italien in der politischen Konstellation zwischen 1820 und 1870 mit jener im – protestantisch dominierten – deutschen Sprachraum und rekonstruiert das komplexe, durch Netzwerke und kritische Abgrenzung geprägte Beziehungsgeflecht zwischen den beiden nationalen jüdischen Wissenschaftskulturen. In diesem Kontext erhellt sie zugleich die unterschiedlichen Formen der Positionierung der pluralen europäischen jüdischen Gemeinschaften gegenüber den sie umgebenden Kulturen, einschließlich der damit einhergehenden vielschichtigen Prozesse der Adaptation und Transformation nichtjüdischer Denktraditionen und Wissensordnungen sowie der Rolle, die jüdische Gelehrsamkeit mit Blick auf die Bestreitung herrschender religiöser Vorurteile und politisch-sozialer Exklusion sowie in den kulturellen und politischen Debatten zwischen jüdischen Minderheiten und den jeweiligen Mehrheitsgesellschaften über die Gleichberechtigung und Integration des Judentums in Europa spielte. Frankfurt, 15. Mai 2022
Christian Wiese und Nina Fischer
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die gekürzte und überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im November 2018 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Fach Religionsphilosophie verteidigt habe. Als ich mich für ein Promotionsstudium in Deutschland entschied, war mir klar, dass der Schritt, von einer italienischen an eine deutsche Universität zu wechseln, kein einfacher sein würde. Es wäre für mich sicherlich unkomplizierter gewesen, in Italien wissenschaftlich zu arbeiten – aber bei Weitem nicht so interessant und herausfordernd wie in Deutschland. Ich möchte mich darum bei all den klugen Menschen und Institutionen bedanken, von deren wertvollen Anregungen, großzügiger Hilfe und Inspiration meine Arbeit profitiert hat. Mein besonderer Dank gilt Christian Wiese, dem ersten Betreuer dieser Arbeit. Ich kann mich immer noch an unser erstes Gespräch in der Rotunde der GoetheUniversität Frankfurt erinnern, an die Begeisterung, mit der er von dem spannungsgeladenen Briefwechsel zwischen den Rabbinern Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto sprach, in dem sich die komplexe Interaktion der beiden Wissenschaftskulturen des 19. Jahrhunderts spiegele. Ich danke Cristiana Facchini, die mir in dieser Zeit als Zweitgutachterin viele Anregungen und wertvolle Hinweise gegeben hat. Ihr Fachwissen im Hinblick auf die italienisch-jüdischen Verhältnisse sowie die christlich-jüdischen Beziehungen war besonders aufschlussreich. Besonders herzlich danken möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen von der Martin-Buber-Professur sowie Freundinnen und Freunden und deren Familien, bei denen ich in Frankfurt zu Hause war. All diesen Menschen danke ich herzlichst für ihre wertvollen Ratschläge, Unterstützung, aufmunternden Worte, Zuversicht, aber auch Kritik, die mich in diesen Jahren motiviert hat, meine Arbeit abzuschließen. Die Anregungen und das Feedback, die ich von der Martin-BuberProfessur erhielt, haben meine Arbeit Tag für Tag bereichert und stellten einen spannenden und unverzichtbaren Teil meiner Forschungsarbeit dar. Besonders danken möchte ich auch dem LOEWE-Forschungsprojekt „Religiöse Positionierung“ für die produktive Zusammenarbeit und die finanzielle Unterstützung. Wichtigen Zuspruch, hilfreiche Kommentare und tiefgründige Gespräche verdanke ich vor allem Mirjam Thulin. Ihre Leidenschaft und unermüdliche Beharrlichkeit sowie ihr Engagement in der Auseinandersetzung mit dem Judentum und der Judaistik manifestierte sie schon 2007 bei unserer ersten Begegnung am Simon-Dubnow-Institut in Leipzig. Ebenfalls danken möchte ich den Professoren, Kolleginnen und Kollegen, die ich im Rahmen von internationalen Konferenzen, Workshops und Summer https://doi.org/10.1515/9783110768558-002
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Vorwort
Schools kennengelernt habe. Ihre Neugier auf meine Forschung sowie ihre Kritik, Anregungen und Kommentare waren für mich Inspirationsquellen für neue Ideen sowie Ansporn für meine Arbeit. Die Ermittlung oft schwer zugänglicher Briefe und Tagebücher wie anderer Archivalien wäre ohne die Hilfe vieler Personen nicht möglich gewesen. Mein erster Dank gilt Gisele Levy und David Jacobini für die Hilfe, Professionalität und Geduld beim Archivio storico dell’Unione delle Comunità Ebraiche Italiane in Rom. Dank schulde ich auch dem Personal des Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea in Mailand, insbesondere seinem Direktor, Professor Gadi Luzzatto Voghera, ferner den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archivs der jüdischen Gemeinde Venedigs („Archivio Renato Maestro“) sowie der Belegschaft der Bibliothek des Istituto Teologico Sant’Antonio Dottore in Padua. Ebenfalls danken möchte ich Maike Strobel vom Judaica-Lesesaal in Frankfurt, deren Hilfsbereitschaft, wegweisende Hinweise und gute Laune meine täglichen Besuche in Bockenheim begleitet haben. Zudem danke ich den Institutionen und Stiftungen, deren Unterstützung ich während der Arbeit an diesem Buch genossen habe. Gefördert wurde die Arbeit durch Stipendien des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks, des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz sowie durch das Abschlussstipendium der GRADE Academy der Goethe-Universität Frankfurt. Lektorat, Satz und Drucklegung der Arbeit konnten dank der finanziellen Förderung des Centers RuTh der Goethe-Universität Frankfurt erfolgen. In diesem Zusammenhang möchte ich Thomas Stichler und Susanne Mall für die Professionalität und die besonders guten Ratschläge im Rahmen von Lektorat und Satzkorrektur danken. Mein größter Dank gilt schließlich meiner Familie und in erster Linie meinen Eltern, Elide und Adone, denen dieses Buch gewidmet ist. Sie haben meine Sturheit und Ausdauer während der Tiefen und Höhen des Schreibprozesses in diesen Jahren miterlebt und großes Verständnis gezeigt, wenn ich mich bei jedem noch so kurzen Besuch in Padua stundenlang in Bibliotheken aufhielt, anstatt die Zeit mit ihnen zu verbringen. Auch wenn sie das Buch auf Deutsch nicht lesen können, haben sie mich mit unbezahlbaren, konkreten Gesten der Zuversicht und der Großzügigkeit unterstützt und vor allem respektvoll meinen Weg gehen lassen. Padua, im Mai 2022
Francesca Paolin
Inhalt Reihenvorwort Vorwort
V
IX
Einleitung 1 Vorbilder der Haskala 2 Wissenschaftliche Ziele der Arbeit Historischer Kontext 12 17 Quellenlage Forschungsstand 18 Gelehrtenkorrespondenzen 27 29 Aufbau der Arbeit
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Teil I: Kulturelle Verhältnisse und Verortungen der wissenschaftlichen Debatten Kapitel . . .
1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext 37 Soziokulturelle und Gemeindeverhältnisse 37 47 Sprach- und Bildungsverhältnisse Italien – Land der Apathie, der Gleichgültigkeit und der Phantasie 50
Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen als neue Plattform der Kommunikation und des Austauschs 60 . Die jüdische Presse in hebräischer und deutscher Sprache 61 . Italienisch-jüdische Gelehrte und die Kooperation mit den deutschjüdischen Periodika 68 . Die italienisch-jüdische Antwort auf die deutsch-jüdischen Wissenschaftsjournale 82 Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer 103 . Luzzatto und die deutschen Kommunikationspartner. Gründe, Umstände, Leistungen der Vernetzungen 103 . Samuel David Luzzatto und Julius Fürst: Divergenz und Konvergenz eines Briefaustauschs 112
XII
.
Inhalt
Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto – eine spannungsreiche 136 Partnerschaft
Teil II: Debatten und Kontroversen Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen 177 . Das Collegio Rabbinico von Padua (1829 – 1871) – zwischen religiöser Tradition und Moderne 179 . Deutsch-jüdische Wahrnehmungen des Collegio Rabbinico: 193 Impressionen und Kritiken . Die italienisch-jüdische Presse: Rezeption des Collegio Rabbinico und 203 Blick nach Breslau Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen – Ausgangspunkte und Berührungspunkte 213 . Luzzattos Kontroversen um ein jüdisches 215 Wissenschaftsverständnis . Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in 220 Breslau – der Weg zum Theologiekonzept . Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen – Grundzüge einer Wissensordnung 233 Kapitel 6: Kultusreformen in Italien? Impulse aus und Differenzierungen gemäß dem deutsch-jüdischen Vorbild 259 . Publizistik und Reform: Wechselwirkungen, gemeinsame Antworten und Differenzierungen 261 . Marco Mortara als wahrer Reformer? Die Rezeption aus deutscher und italienischer Perspektive 278 . Konzil, Synode oder Rabbinerkonferenz? Eine italienisch-jüdische Auseinandersetzung 289 Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen – transnationale Bezüge und Vorbilder 299 . Interreligiöse Berührungspunkte und Konflikte. Luzzatto und die Kontakte mit christlichen Theologen 301 . Italienisch-jüdische Gelehrte und die Auseinandersetzung mit der Christentumsforschung 315
Inhalt
Fazit Epilog
321 333
Verzeichnis der Quellen und der Forschungsliteratur Verzeichnis der Abbildungen 389
Personenregister Sachregister
393
388
350
XIII
Einleitung Die transnationale Dimension der Verdienste und Leistungen italienisch-jüdischer Gelehrter in den judaistischen Disziplinen und deren Wirkung in der Wissenschaftslandschaft des 19. Jahrhunderts haben – anders als im deutschsprachigen Wissenschaftsbereich – bis jetzt eine immer noch kleine Anzahl von Forschern und Historikern beschäftigt. Als Forscherin im Bereich des italienischen Judentums richte ich in der vorliegenden Untersuchung die Aufmerksamkeit besonders auf die Positionierung der beiden Seiten – der italienischen und der deutschen – anhand einiger Protagonisten, sowohl Personen als auch Orte und Institutionen, die wichtige Impulse zur Erneuerung und Neukonzeption von jüdischem Wissen und jüdischen Studien geliefert haben. Im Zentrum stehen der Wissens- und Kulturtransfer sowie die Motive der wechselseitigen Vernetzung und Verflechtung zwischen Vertretern der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums und einer vielstimmigen italienisch-jüdischen Gelehrtengruppe (darunter Rabbiner, Bibelexegeten, Literaturforscher und Bibliografen) unterschiedlicher Ausrichtungen im Zeitraum zwischen 1820 und 1870. Es werden die historisch-kulturellen Kontexte dieser Diskurse analysiert und kommunikationsund medienorientierte Aspekte wie das jüdische Pressewesen sowie die wissenschaftlichen Korrespondenzen, die sich für den transnationalen Wissensaustausch als zentral erweisen, beleuchtet. Im Vordergrund stehen die Beziehungen und wechselseitigen Wahrnehmungen zwischen der deutschen und der italienischen Wissenschaft des Judentums. Die Studie betont die spezifischen Charakteristika der kleinen italienischsprachigen Gelehrtengruppe im Spannungsverhältnis zur Wissenschaft des Judentums im deutschen Kontext und geht im Zusammenhang der untersuchten Kontakte und Netzwerke der Frage nach, inwiefern die italienischsprachigen Gelehrten von den deutsch-jüdischen Vorbildern geprägt wurden. Es wird zugleich auf die Einflüsse verwiesen, welche die italienisch-jüdischen Gelehrten auf ihre deutschen Kollegen und deren Forschung ausübten. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Gelehrtenkreis der nördlichen Gebiete der italienischen Halbinsel, vor allem des lombardo-venetischen Königreiches im Umfeld des Gelehrten Samuel David Luzzatto (1800 – 1865), dem in den behandelten wissenschaftlichen Diskursen eine herausragende Rolle zukommt. Eine bio-bibliografische Studie zum Werk Luzzattos ist dabei nicht beabsichtigt, da bereits mehrere Studien zu dessen wissenschaftlichem Denkweg sowie seiner religionsphilosophischen, exegetischen und literarischen Bedeutung vorliegen.¹ Vgl. N. H. Rosenbloom, Luzzatto’s Ethico-Psychological Interpretation of Judaism. A Study in the https://doi.org/10.1515/9783110768558-003
2
Einleitung
Diese – vor allem englisch- und hebräischsprachigen – Forschungen ordnen den italienischen Gelehrten in die orthodoxe Bewegung ein oder rücken ihn in die Nähe der Haskala-Bewegung.² Im Gegensatz dazu sollen in dieser Arbeit die Persönlichkeit und Wirksamkeit Luzzattos aus einer neuen Perspektive erkundet werden, die vor allem den dialogischen Charakter seiner wissenschaftlichen Partnerschaften und die Entwicklung seiner wissenschaftlichen Anliegen in den Blick nimmt. Im Hinblick auf seine Gelehrtentätigkeit als Bibelexeget, Experte im Bereich der semitischen Sprachen, Historiker und Literaturforscher kann Luzzatto als paradigmatische Verkörperung einer permanenten Spannung zwischen tiefer Bindung an die jüdische Tradition und wissenschaftlichem Ethos gelten.³
1 Vorbilder der Haskala Zu einem der neuralgischen Punkte der Habsburgermonarchie in den norditalienisichen Territorien im 19. Jahrhundert gehörte die Stadt Triest. Triest hatte neben dem Status als Freihafen auch eine lebhafte, offene und dynamische jüdische Gemeinde kosmopolitischen Charakters. Bereits Anfang der 1770er-Jahre erfolgte ein Zusammentreffen zwischen dieser kosmopolitischen Lebenswelt der Stadt und den Modernisierungsdiskursen deutsch-jüdischer Intellektueller (Maskilim) und deren Bildungsprogrammen, Idealen und Bestrebungen. Im Jahre 1772 hatte der Sekretär der Triester Gemeinde Giuseppe Vita Gallico Kontakt selbst zu Moses Mendelssohn (1729 – 1786) gesucht, um von dem berühmten Haskala-Gelehrten neue pädagogische Ansätze zu bekommen und mit ihm über sein Bildungsanliegen zu diskutieren.⁴ Zehn Jahre später fanden die Anregungen und Vorstellungen zum Thema jüdischer Bildung und Erziehung des Maskils Naphtali Hart-
Religious Philosophy of Samuel David Luzzatto, New York 1965; M. B. Margolies, S. D. Luzzatto. Traditionalist Scholar, New York 1979; R. Bonfil, I. Gottlieb und H. Kasher (Hg.), Samuel David Luzzatto. The Bi-Centennial of his Birth. ITALIA. Studi e ricerche sulla storia, la cultura e la letteratura degli ebrei d’Italia, Conference Supplement Series 2, Jerusalem 2004; D. H. Klein, „Unconventional but not Unorthodox. Schadal’s Approach to the Oral Torah“ La Rassegna Mensile di Israel 84, 1– 2 (Januar–August 2018 / Tevet–Av 5778): 47– 68. Vgl. M. A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum,Wien/ Köln/Weimar 2000, 239; M. Grusovin, „La risposta italiana all’Haskalah berlinese. Alcune considerazioni su Isacco S. Reggio e Samuel D. Luzzatto.“ In Biblioteca governativa di Gorizia (Hg.), Studi Goriziani 78 (luglio–dicembre), Görz 1993. Vgl. u. a. Margolies, S. D. Luzzatto. Traditionalist Scholar; Bonfil, Gottlieb und Kasher (Hg.), Samuel David Luzzatto. M. Grusovin, Studi sull’Illuminismo ebraico, Milano 1996, 105.
1 Vorbilder der Haskala
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wig Wessely (1725 – 1805)⁵, der damals als einer der bedeutenden Repräsentanten der deutschen Haskala galt, nicht nur unter jüdischen Gelehrtenkreisen in Berlin, sondern auch in vielen jüdischen Gemeinden Norditaliens etliche Unterstützter.⁶ In der regen Debatte um Wesselys pädagogische Vorstellungen und sein Erziehungsmodell fand der Maskil gerade in Triest die Unterstützung und den Schutz von Gemeindevorstehern und jüdischen Gelehrten, welche die pädagogischen Grundlinien seines Konzepts positiv wahrnahmen und diskutierten. 1800 in Triest geboren, lernte Luzzatto in der öffentlichen Schule der Stadt neben dem Hebräischen auch Latein, Italienisch, Französisch und in Ansätzen auch die deutsche Sprache.⁷ In den Jugendjahren widmete er sich intensiv der hebräischen Poesie und verfasste schon 1815 eine Gedichtsammlung auf Hebräisch.⁸ Die Lektüre jüdischer Bücher und älterer Bibelkommentatoren sowie philosophischer Traktate in französischer und italienischer Sprache wurde, abgesehen von kritischen und exegetischen Studien, zur alltäglichen Beschäftigung des jungen Gelehrten. Bereits 1816 hatte Samuel David Luzzatto die Philosophischen Schriften Moses Mendelssohns erworben, ins Italienische übersetzt und sich tiefer damit beschäftigt.⁹ Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte er auch die hebräischsprachige Biografie des berühmten deutschen Haskala-Gelehrten aus der Feder Isaac Abraham Euchels gelesen.¹⁰ In den 1820er-Jahren schloss er
Wessely hatte mit seiner Bildungsschrift Kritik am traditionellen jüdischen Erziehungswesen geübt und viele Reaktionen und Empörung in orthodoxen jüdischen Kreisen ausgelöst. Vgl. S. Feiner, Haskala. Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Netiva. Wege deutsch-jüdischer Geschichte und Kultur 8, hg. v. Michael Brocke. Hildesheim/Zürich/New York 2007, 117– 136. Feiner, Haskala, 185 – 186. Von besonderer Bedeutung erwies sich die Tatsache, dass der jüdische Aufklärer den Kontakt zur jüdischen Gemeinde von Triest und ihre Unterstützung gesucht hatte. Luzzatto verfügte über keine höhere universitäre Ausbildung. Nach dem Verlassen der TalmudThora-Schule als 13-Jähriger hatte der hochbegabte Luzzatto autodidaktisch und mit Privatlehrern studiert. Luzzatto bekam Privatunterricht vom Vater und unterschiedlichen Lehrern, darunter Meyer Randegger (1780 – 1853) und Samuel Vita Lolli (1788 – 1843) aus Triest; vgl. [S. D. Luzzatto], Autobiografia di S. D. Luzzatto preceduta da alcune notizie storico-letterarie sulla famiglia Luzzatto a datare dal secolo decimosesto e susseguita da varie appendici fra cui la tavola genealogica dei Luzzatto di S. Daniele, hg. v. Isaia Luzzatto, Padova 1878, 47; 63; 65 – 66 und 68. Vgl. ebd., 55. Vgl. ebd., 65. Der Gelehrte Isaac Abraham Euchel hatte 1788 in Berlin eine Biografie Mendelssohns auf Hebräisch veröffentlicht. Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 65 und 66.
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Einleitung
Freundschaft mit dem aus Görz stammenden jüdischen Gelehrten Isaak Samuel Reggio (1784– 1855), der für seinen Werdegang zur Schlüsselfigur wurde.¹¹ Reggio hatte sich in Triest Anfang des 19. Jahrhunderts den rabbinischen Studien gewidmet und sich gründlich mit den Texten der Mischna und des Talmuds beschäftigt.¹² Parallel dazu hatte er sich auch intensiv mit einigen Schriften über die Ethik und mit Bibelkommentaren von Mendelssohn und Wessely auseinandergesetzt. Bei Isaak Samuel Reggio war in vielerlei Hinsicht die ideologische Nähe zum deutschen Umfeld der Haskala deutlich stärker zu erkennen als bei Samuel David Luzzatto.¹³ Erst im September 1818 trafen sich die beiden das erste Mal in Triest.¹⁴ Damals betrachtete der junge Luzzatto Reggio als Mentor und als wichtigen Bezugspunkt für seine bibelexegetischen und philologischen Studien, die er parallel zu seiner intensiven Beschäftigung mit der hebräischen Poesie betrieb. In seinen Memoiren schilderte Luzzatto diese erste bedeutungsvolle Begegnung und betonte schon damals divergierende Positionen, Interessenschwerpunkte und deutliche Meinungsunterschiede zwischen ihm und seinem älteren Kollegen. Im Gespräch mit Reggio hatte Luzzatto angeregt, jüdische Gelehrte sollten sich ganz in eine einzige Disziplin vertiefen, und in diesem Zusammenhang die Figur des Dichterphilosophen vorgeschlagen, der sich am besten exklusiv der „Theologie“ in Kombination mit der Philosophie widmen sollte.¹⁵ Reggio sprach sich dagegen für das Modell des Gelehrten aus, der grundsätzlich eine humanistische und naturwissenschaftliche Kompetenz bräuchte, d. h. ein „bisschen von allem“¹⁶ wissen und sich nicht auf eine einzelne Disziplin spezialisieren sollte. In dieser kurzen Erinnerung Luzzattos wurde schon eine Urfassung von Reggios Konzept des Rabbinerphilosophen dargelegt. Dabei handelte es sich um eine Idee, die er einige Jahre später, 1822, in seiner Schrift mit dem Projekt für die Errichtung von Rabbinerseminaren der Gemeinden LombardoVenetiens weiter ausformulieren sollte.¹⁷ In jenen Jahren entschied Luzzatto (s.
Schon einige Jahre vorher hatte der junge Luzzatto dank der Vermittlung seines vertrauten Cousins und Freunden David Lolli eine Schrift mit einigen Überlegungen in Bezug auf massoretische Texte und auf die Widerlegung kabbalistischer Bücher dem berühmten Gelehrten Isaak Samuel Reggio zukommen lassen. Ebd., 69. Vgl. Grusovin, La risposta del giudaismo italiano all’Haskalah berlinese, 15. Ebd., 15 – 16. Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 69. Vgl. S. D. Luzzatto, „Taccuino antropologico“, Miszellen 2, XVII, 4461, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom. Vgl. ebd. I. S. Reggio, Riflessioni di un Israelita del Regno Illirico sopra un articolo del decreto di S.M.I.R.A. in data 4 febbraio 1820 riguardante la nomina de’ futuri rabbini degli stati ereditari della
1 Vorbilder der Haskala
5
Abb. 1) sich gegen die rabbinische Karriere¹⁸ und blieb bis zu seiner Berufung ans Collegio Rabbinico von Padua im Jahre 1829 als Lehrer und Pädagoge in seiner Heimatstadt tätig.
Abb. 1: Samuel David Luzzatto (1800 – 1865) in jungen Jahren.
Am Collegio Rabbinico lehrte Luzzatto dann sein Leben lang bis zu seinem Tod 1865. Padua wurde zu dem Ort, an dem er seine vielfältigen wissenschaftlichen Aktivitäten entfaltete und von dem aus er seine Korrespondenzen mit Gelehrten weit über die Grenzen der Habsburgischen Monarchie hinausführte. Dabei handelte es sich um Gelehrte, die stark von der Autorität Luzzattos abhängig waren. Padua war in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nicht nur die Heimat einer wichtigen Forschungs- und Wissenschaftsinstitution, des Rabbinerseminars, sondern auch der Ort der Produktion, des Austausches und der Vermittlung von jüdischen Büchern, Handschriften und einem reichen Quellenmaterial. Von Padua aus erfolgte der Wissenstransfer in die deutschsprachigen Zentren der Wissenschaft des Judentums vorwiegend durch exegetische Forschungen, Studien und Errungenschaften zusammen mit noch unveröffentlichten Textausgaben
monarchia austriaca, Venezia 1822; Grusovin, La risposta del giudaismo italiano all’Haskalah berlinese, 17. Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 66 – 67.
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Einleitung
und Originalschriften über die Mittlerstation des lombardo-venetischen Königreiches und seine Gelehrten.¹⁹ Isaak Samuel Reggio (s. Abb. 2) und Samuel David Luzzatto waren nicht die Einzigen, die die Schriften, vor allem jene Mendelssohns und Wesselys, rezipierten. Die italienischen Gelehrten, die diese Texte wahrnahmen, waren aber eine kleine Minderheit in einer jüdischen Minderheit, die meist in den nordöstlichen Gebieten tätig war. Bei diesen Gelehrten lösten die Schriften der Berliner Maskilim jedoch weder Streitigkeiten noch starke Polemiken aus.²⁰
Abb. 2: Der Gelehrte Isaak Samuel Reggio (1784 – 1855).
Das aufmerksame Interesse vieler jüdischer Zeitgenossen Reggios an Bildungsangelegenheiten und an einem modernen jüdischen Schulunterricht bestätigen eine Affinität zwischen dieser Gruppe von Gelehrten des frühen 19. Jahrhunderts, meist aus den nordöstlichen Gebieten Italiens, und den deutsch-jüdischen Aufklärern und deren Bildungsplänen. Allerdings herrschten bei den italienisch-jüdischen Gelehrten moderatere Töne, und ihr Interesse beruhte auf anderen Motiven. Die Verbesserung und Erweiterung der Lehrpläne um neue Fächer in
Zum Transfer und zu den Beziehungsnetzen zwischen jüdischen Gelehrten in der Diaspora vgl. S. Menache, Communication in the Jewish Diaspora. The Pre-Modern World, Leiden/New York/ Köln 1996; vgl. M. Thulin, „Jüdische Netzwerke.“ In Europäische Geschichte Online (EGO), hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 03.12.2010. URL: http://www.ieg-ego.eu/ thulinm-2010-de URN: urn:nbn:de:0159 – 20100921343 [06.06. 2013]. Grusovin, Studi sull’Illuminismo ebraico, 101.
2 Wissenschaftliche Ziele der Arbeit
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Richtung Allgemeinbildung zeugen einerseits von einer von äußeren Einflüssen bestimmten Motivation, die von den Dekreten und Verordnungen der jeweiligen Herrscher und Zentralregierungen beschleunigt wurde.²¹ Andererseits belegen die Bildungsmaßnahmen eine Suche nach neuen innerjüdischen Legitimationsmustern, d. h. den Willen dieser Gelehrten, sich nicht von der eigenen Tradition zu entfernen und die eigenen jüdischen Werte als sekundär zu betrachten, sondern das Bestreben, die jüdische Tradition näher zu erfahren und tiefer zu erfassen.²² Diese Arbeit wird also aufzeigen, welchen Weg einige Hauptfiguren des italienischsprachigen Judentums wie Samuel David Luzzatto im Laufe des 19. Jahrhunderts einschlugen und wie dieser Weg schließlich in ein eigenes jüdischkulturelles, wissenschaftliches Projekt mündete.
2 Wissenschaftliche Ziele der Arbeit Das Interesse an den intellektuellen und kulturellen Entwicklungen aufseiten deutsch-jüdischer, aber vorwiegend italienisch-jüdischer Gelehrtengruppen in der Epoche der Emanzipation und den Jahren unmittelbar danach lenkt das Augenmerk auf Untersuchungsfelder, die bis jetzt im Fall des italienischen Judentums nicht genug erforscht worden sind. Eine Gegenüberstellung der Gelehrsamkeit und der Ergebnisse der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums auf der einen und ihres italienischsprachigen Pendants auf der anderen Seite ist immer noch ein Forschungsdesiderat – vor allem im Bereich der Presseforschung sowie aus der Perspektive eines Kultur- und Wissenstransfers zwischen jüdischen Gelehrten. Um diese Forschungslücke zu schließen, werden im Folgenden die Kulturbestrebungen beider Seiten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bzw. den ersten Jahrzehnten nach 1850 mittels eines transnationalen und themenübergreifenden Zugangs miteinander ins Gespräch gebracht. Ziel dieser Studie ist die differenzierte Analyse der zeitgenössischen Diskussionen über die Darstellung des jüdischen Wissens und die Wissensordnung, die höhere jüdische Bildung und jüdische Wissenschaftsinstitutionen, den Umfang und die Organisation der judaistischen Disziplinen, das Konzept einer jüdischen Theologie sowie die Kultusreform – mit einem besonderem Fokus auf dem italienischen Kontext. Dabei handelt es sich um einen Wissenschaftsdiskurs, der in Vgl. D. Sadowski, Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen Schulen in Galizien (1782 – 1806), Göttingen 2011, 15 – 16. Vgl. L. Dubin, „Trieste and Berlin. The Italian Role in the Cultural Politics of the Haskalah.“ In J. Katz (Hg.), Toward Modernity. The European Jewish Model, New Brunswick/Oxford 1987, 189 – 224: 209.
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Einleitung
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für das italienische Judentum zunehmend bedeutsam wurde. Die Arbeit analysiert das Profil der italienisch-jüdischen Gelehrtengruppe im Spiegel der wechselseitigen kulturellen und intellektuellen Beziehungen und Wahrnehmungen der Wissenschaft des Judentums in Italien und Deutschland sowie die zentralen jüdischen Forschungsdebatten der Zeit. Als Studie, die einen kleinen Kreis jüdischer Gelehrter auf der italienischen Halbinsel in ihrer Beziehung zu einer weit stärker entwickelten Bewegung zeigt, bestimmt diese Arbeit die Rolle der italienischsprachigen Wissenschaftler nicht aufgrund der zeitgenössischen Kräfteverhältnisse (etwa der weit kleineren Anzahl italienisch-jüdischer Gemeinden), da ihnen sonst kaum mehr als eine marginale und bestenfalls sekundäre Rolle bliebe.²³ Insbesondere im Hinblick auf das italienischsprachige Judentum des 19. Jahrhunderts ist die Forschung lange Zeit davon ausgegangen, die jüdischen kulturellen und wissenschaftlichen Bestrebungen der Epoche seien weit von den blühenden Zeiten der Renaissance entfernt gewesen. Ein Teil der deutschsprachigen jüdischen Presse im 19. Jahrhundert zeichnete zudem das Bild eines passiven, intellektuell unbeweglichen italienischen Judentums, das bis auf wenige Ausnahmen kein intellektuelles oder kulturelles Streben gekannt habe. Solche Wertungen sollen hier kritisch hinterfragt werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Untersuchung der kulturellen und intellektuellen Beziehungen auf der italienisch-jüdischen Seite, die bisher weder von deutschen noch von italienischen Forschern gründlich erforscht worden sind. Wesentlich ist vor allen Dingen die Frage, ob es in dieser Zeit zu einer produktiven Kooperation bzw. einer konstruktiven Diskussion innerhalb der betreffenden Gruppe von Gelehrten kam. Außerdem gilt es zu zeigen, was beide Seiten motivierte und ob sich die Kontakte auf Augenhöhe oder in Gestalt einseitiger Einflüsse vollzogen. Ferner soll ausgeführt werden, weshalb sich der deutsch-italienische Austausch im 19. Jahrhundert als so erfolgreich erwies. Von den bisherigen Forschungen grenzt sich diese Arbeit dadurch ab, dass sie es vermeidet, die italienischsprachige Gelehrtengruppe entweder in vollkommener Abhängigkeit von der deutschen Bewegung oder als ganz und gar selbst-
Vgl. S. Della Pergola, Anatomia dellʼEbraismo italiano. Caratteristiche demografiche, economiche, sociali religiose e politiche di una minoranza, Assisi/Roma 1976; ders., „La popolazione ebraica in Italia nel contesto ebraico globale.“ In C.Vivanti (Hg.), Storia d’Italia. Gli ebrei in Italia, Torino 1997, 895 – 936; G. Luzzatto Voghera, „Italian Jews.“ In R. Liedtke und S.Wendehorst (Hg.), The Emancipation of Catholics, Jews and Protestants. Minorities and the Nation State in Nineteenth Century Europe, Manchester/New York 1999, 169 – 187; T. Catalan, „Juden und Judentum in Italien von 1848 bis 1918.“ In G. Jäger und L. Novelli-Glaab (Hg.), „… denn in Italien haben sich die Dinge anders abgespielt.“ Judentum und Antisemitismus im modernen Italien, Berlin 2007, 71– 86.
2 Wissenschaftliche Ziele der Arbeit
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ständig zu interpretieren.²⁴ Die Charakteristika der italienischen Wissenschaft des Judentums werden vor allem in ihrem Spannungsverhältnis zu der deutschsprachigen betont. Insbesondere wird kritisch zu beleuchten sein, inwiefern die italienischsprachige Chokhmat Jisrael²⁵, die lediglich eine Ausformung der vielseitigen italienisch-jüdischen kulturellen Realität im 19. Jahrhundert darstellt, von deutsch-jüdischen Vorbildern geprägt war. Samuel David Luzzatto, sein älterer Mentor und Gelehrte Isaak Samuel Reggio und der Rabbiner Lelio Della Torre (1805 – 1871) aus Turin (s. Abb. 3), der auch als Professor am Rabbinerseminar tätig war, wurden ebenso wie viele Rabbinerstudenten beider Professoren in den norditalienischen Gebieten oft als den Prinzipien der traditionellen Gelehrsamkeit näher stehende Vertreter der Chohkmat Jisrael charakterisiert.
Abb. 3: Der Rabbiner Lelio Della Torre (1805 – 1871).
Kritisch sei hier angemerkt, dass der Begriff Chokhmat Jisrael im italienisch-jüdischen Kontext nur begrenzt anwendbar ist, da sich in Italien weder eine einheitliche jüdische Kultur noch eine einheitliche Wissenschaft herauskristalli-
Meyer, Antwort auf die Moderne, 238 – 239. Wortwörtlich bedeutet der Ausdruck „Weisheit Israels“ und bezieht sich auf jüdische Gelehrte, die traditionsgebunden ihre Texte auf Hebräisch verfassten. Vgl. auch M. A. Meyer, „Reflections on Jewish Modernization.“ In E. Carlebach, J. M. Efron und D. N. Myers (Hg.), Jewish History and Jewish Memory. Essays in Honor of Yosef Hayim Yerushalmi, London/Hannover 1998, 369 – 377; ders., „Two Persistent Tensions within Wissenschaft des Judentums“ Modern Judaism 24, 2, Mai 2004, 105 – 119.
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sierte. Es handelte sich vielmehr um multiple wissenschaftliche Traditionen und Annäherungen an das Judentum. Dies hatte aber keine Auswirkung auf die Kommunikation mit deutsch-jüdischen Wissenschaftlern wie Leopold Zunz (1794– 1886), dem Begründer des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden (1819 – 1824)²⁶, dessen Mitbegründer und Historiker Isaak Markus Jost (1793 – 1860) oder dem Reformrabbiner Abraham Geiger (1810 – 1874). Die italienischjüdischen Gelehrten hatten sich im Gegensatz zu den deutschen Glaubensgenossen weder in einem Verein zusammengeschlossen noch eine programmatische Zeitschrift wie die Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums (1822/1823) gegründet.²⁷ Dennoch zählte in erster Linie die Lehranstalt von Padua, das Collegio Rabbinico (1829 – 1871), das dreiundzwanzig Jahre vor dem Jüdisch-Theologischen Seminar zu Breslau (1852) gegründet worden war und unter der Ägide von Samuel David Luzzatto und Lelio Della Torre zukünftige Rabbiner ausbildete, als erste Einrichtung der höheren jüdischen Bildung der Moderne. In diesem Zusammenhang wird definiert, auf welchen Forschungsgebieten italienisch-jüdische Gelehrte die eigenen Akzente im Unterschied zur deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums setzen wollten. Die Arbeit geht zudem der Frage nach, ob eine tatsächliche Annäherung zwischen beiden Bewegungen oder aber ein weitgehendes ideologisches Auseinanderdriften festzustellen ist. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, anhand der italienischen und der deutsch-jüdischen Publizistik die jeweilige jüdische Identitätssuche im Spiegel der eigenen wissenschaftlichen Resultate und des jeweiligen Wissenschaftsverständnisses herauszuarbeiten. Dabei geht es vor allem darum, zu analysieren, wie die Gelehrten beider Wissenschaftstraditionen sich wechselseitig wahrnahmen und miteinander in einen Dialog traten. Eines der zentralen Anliegen besteht darin, die Gelehrten der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums und der italienischen Gelehrtengruppe im Umfeld Luzzattos als kooperative Protagonisten jüdischer Wissenschaftsgeschichte in Europa zu verstehen. Ihre wissenschaftliche Tätigkeit, ihre Haltungen zum Korpus der jüdischen literarischen Tradition und zum jüdischen Wissen sowie ihre methodischen und pädagogischen Ansätze zu reli-
Vgl. E. Gans, Rede bei der Wiedereröffnung der Sitzungen des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden, Hamburg 1822; vgl. E. Lutz, „Der Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ und sein Mitglied H. Heine, Stuttgart 1997. Vgl. den Aufsatz Wolfs: I. Wolf [Wohlwill], „Über den Begriff einer Wissenschaft des Judentums“ Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums 1, 1822, 1, 1– 24.
2 Wissenschaftliche Ziele der Arbeit
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gionswissenschaftlichen und literaturhistorischen Themen lassen sich nicht isoliert voneinander betrachten.²⁸ Zu diesem Zweck bedient sich die Untersuchung des Begriffs des Netzwerks²⁹ als Modus der Kommunikation, der Interaktion und des Transfers von Wissen, Ideen, Informationen und Quellenmaterial zwischen jüdischen Gelehrten, jüdischen Bildungsanstalten und bestimmten deutschen und italienischen Städten im 19. Jahrhundert. Dabei geht es nicht nur um einen simplen Vergleich; vielmehr sollen im Gegensatz zu den bisherigen Forschungen u. a. die persönlichen und intellektuellen Interaktionen zwischen den Gelehrten (sowohl in ihrer Entstehung als auch in ihrem Verlauf), die angeregte wissenschaftliche Arbeit an gemeinsamen Projekten, die Diskussion um die Aufteilung und Organisation der Arbeit sowie Hintergrunddiskussionen bei publizistischen Projekten oder Neuveröffentlichungen in den Blick genommen werden – und zwar ausschließlich aus innerjüdischer Perspektive. Die Arbeit beabsichtigt ferner, mittels wichtiger Korrespondenzen und der zeitgenössischen Publizistik einige für die jüdische Wissenschaftsgeschichte bedeutende Gelehrtenbeziehungen vertiefend zu erkunden. Dabei werden deutschjüdische und italienisch-jüdische Gelehrte abwechselnd oder gleichzeitig als konkurrierende und kooperierende Akteure betrachtet, die die eigenen Wissensvorstellungen, Interessen und Forschungsschwerpunkte im Zuge der Gelehrtenbeziehungen und Kooperationen festlegten, modifizierten und aushandelten. Zugleich gilt es, dabei die Nutzen- und Erfolgsfaktoren des hier erforschten deutsch-italienischen Gelehrtenaustauschs zu berücksichtigen. Als Mittler in den Kultur- und Wissenstransferprozessen sind hier sowohl Personen, d. h. die jüdischen Gelehrten, aber auch deren wissenschaftliche Produktion sowie jüdische Institutionen wie Literaturvereine, Verlage und höhere jüdische Bildungsanstalten und nicht zuletzt die jüdischen Periodika zu verstehen,³⁰ die sich als Knotenpunkte und Funktionsträger erwiesen. Die Werke und wissenschaftlichen Abhandlungen als „mediale Mittlerinstanzen“³¹ ermöglichten z. B. durch ihre M. Castells, The Rise of the Network Society, Oxford 1996; R. Häußling, „Zur Verankerung der Netzwerkforschung in einem methodologischen Relationalismus.“ In C. Stegbauer (Hg.), Netzwerkanalyse und Netzwerk-Theorie. Ein neues Paradigma in den Sozialwissenschaften. Netzwerkforschung 1, Wiesbaden 2008, 65 – 79. Zu jüdischen Netzwerken und den Netzwerktheorien vgl. Thulin, Jüdische Netzwerke; dies., Kaufmanns Nachrichtendienst. Ein jüdisches Gelehrtennetzwerk im 19. Jahrhundert, Göttingen 2012, 24– 28. H. J. Lüsebrink, „Kulturtransfer. Methodisches Modell und Anwendungsperspektiven.“ In I. Tömmel (Hg.), Europäische Integration als Prozess von Ausgleichung und Differenzierung, Opladen 2001, 213 – 226: 216. Ebd., 216.
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Veröffentlichung die Erweiterung und Verbreitung des Gefüges der transferierten Diskurse, Texte, Theorien sowie der Kontakte und Vermittlungsprozesse. Neue Publikationen und wissenschaftliche Abhandlungen generierten immer neue Diskurse und Inhalte, die neue Beteiligte und Interessenten in die wissenschaftlichen Debatten einbezogen. Diese Debatten konnten sich dann in Form von privaten Diskussionen, Gesprächen und Auseinandersetzungen in den Briefen oder öffentlich in Form von anderen Artikeln und Erwiderungen in der jüdischen Wissenschaftspresse weiterentwickeln. In diesem Kontext wurden immer neue Auswertungen und Auslegungen angeboten. Parallel dazu wurden Kontakte unter den jüdischen Gelehrten beschleunigt, die die Integration neuer Akteure sowie die Produktion neuer Konzepte, Theorien und Forschungsergebnisse ermöglichten. Die wissenschaftliche Produktion der am Wissenstransfer beteiligten jüdischen Gelehrten erfüllte eine besonders wichtige Funktion in diesen Gelehrtennetzwerken. Ausmaß und Kapazitäten des Gelehrtenaustauschs zwischen deutsch-jüdischen und italienisch-jüdischen Akteuren wurden je nach den konkreten Bedingungen und strategischen Absichten begrenzt oder erweitert.
3 Historischer Kontext Im Zeitraum von 1820 bis 1861/1871, in dem auf keiner der beiden Seiten des Beziehungsgeflechts zwischen den italienisch- und deutsch-jüdischen Gelehrten einheitliche staatliche Entitäten existierten, fanden rasante politische, rechtliche und soziale Veränderungen statt. In dieser Zeit erfolgten Prozesse der Nationalstaatsgründung, bei denen die nationalen Identitäten nichtjüdischer Italiener und Deutscher zusammen mit denjenigen der jüdischen Bevölkerung dieser Gebiete entstanden. Nach den Napoleonischen Kriegen und dem Wiener Kongress (1815) setzte die Epoche der Restauration (1815 – 1847) ein, in der zunächst die alte Ordnung wiederhergestellt wurde.³² Mit Blick auf die italienischen Gebiete restaurierte das alte Legitimitätsprinzip die Herrschaft der Bourbonen im Süden und der Habsburger im Norden.³³ In den norditalienischen Gebieten erstreckte sich der Einfluss des Habsburgerreichs jedoch weit über die Grenzen der kontrollierten italienischen Staaten hinaus, so
Vgl. H. Konrad, „Welche Nationen? Welche Staaten? Zur politischen Umsetzung der sogenannten „nationalen Einigungen“ im 19. Jahrhundert.“ In F. Griessner und A. Vignazia (Hg.), 150 Jahre Italien. Themen, Wege, offene Fragen, Wien 2014, 43 – 51: 47. G. Boaglio, „Die Entstehung des Begriffs Italianità.“ In Griessner und Vignazia (Hg.), 150 Jahre Italien, 66 – 81: 71– 72.
3 Historischer Kontext
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etwa auch bis nach Parma und die Toskana.³⁴ Auf der anderen Seite versuchte das Haus Savoyen im Königreich Sardinien-Piemont, sich der Macht der Habsburger entgegenzusetzen und ein neues Nationalethos herauszubilden. In diesem Zusammenhang entstanden damals Gruppen wie die Giovine Italia (1831) von Giuseppe Mazzini (1805 – 1872) und Geheimgesellschaften wie die Carbonari, die gegen die Fremdherrschaft der österreichischen Monarchie kämpften.³⁵ Diese Zeit, die als Risorgimento bezeichnet wird und die entscheidende Phase der Geschichte des Einigungsprozesses Italiens einschließt,³⁶ fiel auch mit dem Einigungsprozess anderer europäischer Staatsgebilde wie z. B. der deutschen Territorien zusammen.³⁷ Die Ereignisse in Italien vollzogen sich hauptsächlich im Königreich Sardinien-Piemont und in der Habsburgermonarchie. Hier fanden innerhalb kurzer Zeit drei Unabhängigkeitskriege statt (1848, 1859 und 1866). 1870/1871 fand die politische Vereinigung des Königreichs Italiens unter dem neuen König Viktor Emanuel II. von Savoyen mit der Wahl Roms als designierter Hauptstadt statt. Dies geschah zeitgleich mit den Ereignissen des Deutsch-Französischen Krieges (1870/ 71) und der Gründung des Deutschen Reiches.³⁸ Viele Juden wurden in den Jahren 1848/49 während der Zeit des Risorgimento politisch aktiv,³⁹ und viele unter ihnen nahmen an den Unabhängigkeitskriegen Ebd., 72; vgl. R. Calimani, Storia degli ebrei italiani. Nel XIX e nel XX secolo, Bd. 3, Milano 2015, 72. Vgl. J. Fürst, „Die bürgerliche Stellung, Gesetzgebung und Statistik der Juden Italiens“ Der Orient 7 (20.8.1846), 34, 267– 268: 267. Zur jüdischen Beteiligung an diesen Bewegungen und Geheimgesellschaften vgl. B. Di Porto, „Gli ebrei d’Italia dai vecchi stati all’Unità.“ In F. Bonilauri und V. Maugeri (Hg.), Gli ebrei italiani dai vecchi stati all’Unità, Firenze 2014, 9 – 56: 20 – 21; T. Catalan, „Italienische Juden: von der Integration zur Nation. Individuelle und kollektive Schicksale beim Aufbau des italienischen Staates.“ In Griessner und Vignazia (Hg.), 150 Jahre Italien, 227– 246: 228; auch E. Camurani, La tradizione liberale degli Ebrei nel Risorgimento, tra Cavour e Mazzini con Garibaldi nell’età di Vittorio Emanuele II, Fidenza 2014, 35 – 40. Vgl. A. Scirocco, L’Italia del Risorgimento, 1800 – 1871, Bologna, 1990; A. Arisi Rota, Risorgimento. Un viaggio politico e sentimentale, Bologna, 2019. Die Bezeichnung Risorgmento (das „Wiedererstehen“, von lateinisch resurrectio) wurde noch während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts symbolisch mit einer politischen „Wiederauferstehung“ der italienischen Heimat assoziiert, die unter Fremdherrschaft lag und intern gespalten war. Vgl. hierzu A. M. Banti, „Risorgimento.“ In ders. et al. (Hg.), Atlante culturale del Risorgimento. Lessico del linguaggio politico dal Settecento all’Unità, Bologna 2011, 33 – 39: 33. In den Jahren 1820 – 1821, 1830 – 1831 und 1848 – 1849 rechnet man mit Blick auf Italien wie Deutschland mit Unabhängigkeitskriegen, mit revolutionären Akten und Umwälzungen, die zur Einheit führten. Vgl. U. R. Kaufmann, „The Jewish Fight for Emancipation in France and Germany.“ In M. Brenner,V. Caron und ders. (Hg.), Jewish Emancipation Reconsidered. The French and the German Models, Tübingen 2003, 79 – 92; Di Porto, Gli ebrei d’Italia dai vecchi stati all’Unità. Zu den Unabhängigkeitskriegen in Italien vgl. Konrad, Welche Nationen?, 47– 49. Catalan, Italienische Juden, 228.
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sowie z. B. an der Freimaurerbewegung teil oder wurden Mitglieder von Vereinigungen wie der Giovine Italia.⁴⁰ Viele jüdische Denker arbeiteten in den 1840erJahren an den wichtigsten italienischen Journalen mit, waren in Kontakt oder eng befreundet mit den Protagonisten des italienischen Risorgimento wie dem Historiker Cesare Balbo (1789 – 1853), dem Politiker und Schriftsteller Massimo D’Azeglio (1798 – 1866)⁴¹, dem Publizisten Aurelio Bianchi-Giovini (1799 – 1862), dem Abt Vincenzo Gioberti (1801– 1852) oder dem Staatsmann Camillo Benso Graf von Cavour (1810 – 1861).⁴² Es handelte sich um italienisch-jüdische Politiker, Gelehrte, Publizisten und Patrioten wie Samuel Romanin (1808 – 1861), Cesare Rovighi (1820 – 1890), Donato Ottolenghi (1820 – 1883) und Isacco Artom (1829 – 1900)⁴³, die die Ideale des Risorgimento verkörperten. Auch nördlich der Alpen setzte sich die jüdische Bevölkerung in den jeweiligen Staaten und Ländern, u. a. in Bayern, Baden und Württemberg, aktiv für ihre Emanzipation ein.⁴⁴ Nach dem Emanzipationsedikt der preußischen Regierung von 1812 und weiterhin nach 1815 wurden der jüdischen Bevölkerung auch in den deutschsprachigen Territorien, Herzogtümern und Staaten unterschiedliche Rechte zugebilligt.⁴⁵ Insbesondere bedeutete das Jahr 1848 für die italienischen Territorien ebenso wie für die deutschsprachigen Gebiete einen Wendepunkt.⁴⁶ In den deutschen Territorien kämpfte die jüdische Bevölkerung in den revolutionären Umwälzungen um 1848 ebenso entschlossen wie diejenige in den italienischen Gebieten. Auch hierzulande war, wie in den italienischen Territorien, unter der jüdischen Bevölkerung der Wille verbreitet, sich die Ideale und Werte der Befreiungskriege Vgl. T. Catalan, „Massoneria ebraismo irredentismo, dal 18 brumaio alla Grande Guerra.“ In A. Riosa (Hg.), Napoleone e il Bonapartismo nella cultura politica italiana 1802 – 2005, 2007, 197– 214: 198; Di Porto, Gli ebrei d’Italia dai vecchi stati all’Unità, 20; G. M. Cazzaniga, „Presenze ebraiche nelle società segrete risorgimentali.“ In Bonilauri und Maugeri (Hg.), Gli ebrei italiani dai vecchi stati all’Unità, 89 – 102. Vgl. auch Camurani, La tradizione liberale degli Ebrei nel Risorgimento, 35 – 36. Massimo D’Azeglio war auch Autor eines Pamphlets mit dem Titel Dell’Emancipazione civile degli Israeliti (1848), das die Notwendigkeit der Emanzipation für die jüdische Bevölkerung Italiens begründete. E. Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915. Between Tradition and Transformation, London/ Portland 2011, 15. Isacco Artom gilt als Paradebeispiel einer hochkarätigen politischen Karriere als vertrauter Gewährsmann und privater Sekretär des Grafen Camillo Benso von Cavour und nicht zuletzt als Sekretär des Außenministeriums während der Zeit des Risorgimento. Vgl. ebd., 15. Kaufmann, The Jewish Fight for Emancipation in France and Germany, 83. I. Diekmann (Hg.), Das Emanzipationsedikt von 1812 in Preußen. Der lange Weg der Juden zu „Einländern“ und „preußischen Staatsbürgern“, Berlin/Boston 2013. Catalan, Italienische Juden, 227.
3 Historischer Kontext
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vollständig anzueignen. Das Jahr 1848 bedeutete parallel eine Zäsur zur Vergangenheit:⁴⁷ Der König des Herrscherhauses Savoyen, Carlo Alberto von Sardinien-Piemont, erkannte nach langen Verhandlungen in dem „Statuto fondamentale del Regno di Sardegna“ der nichtkatholischen Bevölkerung seiner Territorien erweiterte Zivilrechte und danach auch politische Rechte zu.⁴⁸ Parallel hierzu setzte die neue österreichische Verfassung vom April 1848 auch für die norditalienischen Gebiete der Monarchie den Grundsatz der Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften zumindest auf dem Papier voraus.⁴⁹ Kurz davor waren im Juni 1846 partielle Verbesserungen und Erleichterungen der schweren, ja dramatischen Lebensumstände der jüdischen Untertanen des Kirchenstaats in Rom von dem neu erwählten Pontifex Pius IX. eingeführt worden.⁵⁰ Die Wahl des neuen Papstes und dessen unmittelbare liberale Reformen hatten nicht nur unter den liberalen katholischen Faktionen und Gruppierungen, sondern auch in Teilen der jüdischen Bevölkerung große Hoffnung geweckt.⁵¹ Der erste Schritt in Richtung einer einförmigen und einheitlichen administrativen Regelung für die jüdischen Einwohner einiger italienischer Territorien wurde mit dem Rattazzi-Gesetz vom Juli 1857 vollzogen. Dieses Gesetz wurde nach der Vereinigung Italiens mit der Expansion des Königreichs von Sardinien-Piemont auf die Gemeinden von Ligurien, Emilia, Marche, Parma und Modena erweitert.⁵² Es schloss die Anerkennung der jüdischen Gemeinden als kirchliche Einrichtungen sowie die Pflicht für jeden Juden ein, sich im eigenen Wohnort anzumelden und nicht zuletzt die Steuerpflicht einzuhalten. Dieses Gesetz wie auch die darauf folgenden Bestimmungen stellten nur den ersten Schritt in Richtung von Bürgerrechten dar. Das Rattazzi-Gesetz enthielt, zumindest auf dem Papier, eine Reform der rechtlich-administrativen und wirtschaftlichen Vor-
T. Catalan, „Ebrei triestini fra ribellione e lealismo all’Austria nel 1848 – 1849.“ In L. Ferrari (Hg.), Studi in onore di Giovanni Miccoli, Trieste 2004, 229 – 247: 230. Dieses Statut gilt als zweites Emanzipationsedikt. Unter dem ersten Emanzipationsedikt versteht man die Rechte, die der jüdischen Bevölkerung während der Zeit Napoleons zugebilligt wurden. Vgl. Di Porto, Gli ebrei d’Italia dai vecchi stati all’Unità, 15. Catalan, Ebrei triestini fra ribellione e lealismo all’Austria nel 1848 – 1849, 240. A. Mattioli, „Die verweigerte Emanzipation. Jüdisches Randdasein im Kirchenstaat 1823 – 1870.“ In Jäger und Novelli-Glaab (Hg.), „… denn in Italien haben sich die Dinge anders abgespielt.“, 31– 50: 43. J. Fürst, „Oberitalien, 6. Aug.“ Der Orient 7 (27.08.1846), 35, 272; ders., „Italien. Ferrara“ Der Orient 7 (10.09.1846), 37, 292; ders., „Italien. Aus Rom“ Der Orient 8 (30.04.1847), 18, 144; ders., „Italien, ‚italienische Grenze‘, 21. April. Die Christen und die Israeliten in Livorno im September 1847“ Der Orient 9 (24.06.1848), 26, 204– 206. S. Dazzetti, L’autonomia delle comunità ebraiche italiane nel Novecento. Leggi, Intese, Statuti, Regolamenti, Torino 2008, 3 – 13.
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schriften für die italienisch-jüdischen Gemeinden jener Territorien. Beispielsweise galten in den Gemeinden Lombardo-Venetiens eigene Regelungen und Normen in Bezug auf die Organisation der Gemeinden und die Anmeldung der ansässigen jüdischen Bevölkerung.⁵³ In Bezug auf die rechtliche Situation waren im 19. Jahrhundert auf deutscher und italienischer Seite erhebliche Unterschiede und eine große Vielfalt an Gesetzen in Kraft, welche die jüdischen Minderheiten betrafen. Es wurden u. a. der soziale Status der Juden als Untertanen in den jeweiligen Staaten, ihre Lebensumstände in den Wohngebieten, die Einschränkung von privatem und von Grundbesitz sowie die Einschränkung ihrer Beschäftigungen und Berufe geregelt. Diese Gesetze bestanden in Italien auch nach der italienischen Einheit – bis zum Edikt N. 1731 von 1930 – weiter.⁵⁴ Als katholische Nation schlechthin sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung war in der italienischen Gesellschaft das Religiöse ein Element, das in der Öffentlichkeit sehr präsent und von zentraler Bedeutung war.⁵⁵ Jedoch kannte der italienische Katholizismus im 19. Jahrhundert viele Spaltungen, Tendenzen, Widersprüche und Ambivalenzen. Das römische Zentrum konnte nicht immer auf eine loyale Peripherie zählen. Die italienische Gesellschaft war ab den 1840er-Jahren von einem verbreiteten Antikatholizismus in unterschiedlichen Ausformungen gekennzeichnet, der vor allem in den nördlichen Gebieten, wie z. B. in Piemont, in der Zeit des Risorgimento und in den Jahren danach ein nicht nur marginales Phänomen war.⁵⁶ Dieser Antikatholizismus war als Katalysator mehrerer Konflikte stark mit dem politischen Diskurs, mit den Befreiungskriegen des Risorgimento und dem Kampf um Rom verwoben.⁵⁷ Allerdings war das 19. Jahrhundert nicht nur durch die Unvereinbarkeit oppositioneller Kräfte wie Staat und Kirche, Religion und Politik, Staat und Katholizismus geprägt. Auf innerjüdischer Seite ergaben sich auch Spannungsverhältnisse, etwa zwischen der Reflexion über eine spezifisch jüdische Existenz einerseits und andererseits der Bemühung um eine partizipative und zeitgemäße Rolle der jüdischen Bevölkerung in der italienischen Gesellschaft und dem parallelen Wunsch, die eigenen Gemeindegrenzen neu abzstecken.
C. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani. Autorappresentazioni di una minoranza (1861 – 1918), Bologna 2011, 146. Dazzetti, L’autonomia delle comunità ebraiche italiane nel Novecento, 3 – 6. M. Borutta, „Anti-Catholicism and the Culture War in Risorgimento Italy.“ In S. Patriarca und L. Riall (Hg.), The Risorgimento Revisited. Nationalism and Culture in Nineteenth Century Italy, London 2012, 191– 213: 191, 193 – 194. Vgl. ebd., 193 – 194. Ebd., 191.
4 Quellenlage
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Auf beiden Seiten entwickelten sich in dieser Zeit differierende nationale Kulturen, die jeweils auf die Kultur und Soziabilität der jüdischen Bevölkerung in vielfacher Weise enormen Einfluss ausübten. Diese nationalen Kulturen trugen dazu bei, individuelle wie auch kollektive Bedürfnisse (nicht nur) der jüdischen Bevölkerung jener Zeit neu zu formulieren, und prägten parallel auch die Festigung, Erneuerung oder auch Infragestellung (jüdisch‐)religiöser sowie politischer Überzeugungen im 19. Jahrhundert. Es handelte sich um einen langen und komplexen Prozess, in dem die „italienischen Israeliten“ zu jüdischen Italienern⁵⁸ und deutsche Juden zu „Deutschen jüdischen Glaubens“ wurden. Der Einfluss seitens der Mehrheitsbevölkerungen forderte sie heraus, ihr bisheriges Selbstverständnis infrage zu stellen und ihre Traditionen neu zu deuten.⁵⁹ Dass die Epoche, die zur Nationalstaatsbildung führte, eine für die jüdische Bevölkerung beider Territorien identitätserschließende und -bildende Dimension hatte und der jüdischen Selbstverständigung diente, wird die Arbeit mittels einer transnationalen Perspektive nachvollziehen.
4 Quellenlage Die Quellenbasis dieser Arbeit bilden Publikationen, die im 19. Jahrhundert meist jüdische Rezipienten adressierten und sich mit innerjüdischen Fragestellungen befassten. Es werden veröffentlichte und unveröffentlichte Quellen analysiert. Der Schwerpunkt liegt auf Artikeln, Berichten und Beiträgen der deutsch-jüdischen und der italienisch-jüdischen Presse, aber auch auf handschriftlich verfassten Korrespondenzen sowie Festreden und Predigten. Als Grundlage dienen ferner Quellen, die Äußerungen deutsch-jüdischer und italienisch-jüdischer Autoren enthalten, wie etwa Antworten auf Briefe, Repliken und Gegenrepliken, die jeweils in der Presse erschienen oder privat zirkulierten. Die genannten Quellen ermöglichen einen wichtigen Beitrag zur Erhellung der kreativen Auseinandersetzung und zum diskursiven Aufeinandertreffen zwischen den italienisch-jüdischen und deutsch-jüdischen Gelehrten. Insbesondere die Korrespondenzen gestatten Einblicke in die Positionierung sowie die Ent-
Vgl. den Artikel von Rabbiner Lelio Della Torre, der diesen Prozess als eine relativ schnelle Umwandlung kennzeichnete. Ders., „Die jüdische Bildung in Italien im 18=ten Jahrhunderte“ Ben Chananja. Wochenblatt für jüdische Theologie 5, 1862, 32, (11.07.1862), 269 – 271: 271. Meyer, Reflections on Jewish Modernization; ders., Judaism within Modernity. Essays on Jewish History and Religion, Detroit 2001; Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915; F. Sofia, „La nazione degli ebrei risorgimentali.“ In Bonilauri und Maugeri (Hg.), Gli ebrei italiani dai vecchi stati all’Unità, 63 – 75.
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wicklung der jeweiligen Interessen und Intentionen der hier ausgewählten jüdischen Gelehrten im 19. Jahrhundert. Darüber hinaus werden, wie Asher Salah betont, die vielfältigen wissenschaftlichen Projekte dieser Gelehrten in ein neues Licht gerückt.⁶⁰ Darauf aufbauend wird der Beitrag definiert, den die Korrespondenzen zusammen mit der jüdischen Presse im 19. Jahrhundert zu den Debatten und Kontroversen leisteten, die sich mit der Zeit erweiterten, vertieften und Popularisierungen erfuhren. Es handelt sich um Kommentare, Reflexionen, Formulierungen und Widerlegungen von Thesen sowie um die Aneignung neuer wissenschaftlicher Ansätze. Außerdem tritt in den Beiträgen, Briefen und Berichten eine pulsierende Wissenschaft zutage, die sich ständig neues Material und neue Quellen suchte, die sich fortentwickelte und sich gleichzeitig in den journalistischen Duktus der Aktualität einzufügen versuchte. All diese Quellen werden schließlich als Teil eines integrativen und produktiven Diskurses wahrgenommen. Sie sollten also nicht als voneinander isolierte Entwürfe verstanden, sondern in ihrem Bezug zueinander sowie als Instrument des Gelehrtenaustausches und der transnationalen Konfrontation zwischen der deutschsprachigen und italienischen Tradition der Wissenschaft des Judentums betrachtet werden.
5 Forschungsstand Eine wichtige Erkenntnis der Forschung ist, dass die deutschsprachige Wissenschaft des Judentums und ihre Gelehrten mit Blick auf die Modernisierung des Judentums auch in anderen Teilen Europas eine starke, wenn auch zum Teil zwiespältige Ausstrahlung entfalteten. Wie sich diese Wirkung in anderen Ländern gestaltete, weiterentwickelte und umformte, ist in eigenständigen Einzelstudien dargestellt, jedoch bisher längst noch nicht erschöpfend analysiert worden.⁶¹ Zudem behandeln diese Studien die unterschiedlichen jüdisch-europäischen Realitäten mehr oder weniger als direkte Folgen des Einflusses der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums. Zu den Beziehungen deutsch-jüdischer Gelehrten im 19. Jahrhundert untereinander, ihren gemeinsamen und trennenden kulturellen Ansätzen sowie ihren Bemühungen, das Judentum der Moderne neu zu gestalten, existiert Forschungsliteratur in mehreren Sprachen und aus verschiedenen Per-
A. Salah, L’epistolario di Marco Mortara (1815 – 1894). Un rabbino italiano tra riforma e ortodossia, Firenze 2012, 9. Zu den Entwicklungen in Frankreich vgl. etwa J. R. Berkovitz, The Shaping of Jewish Identity in Nineteenth-Century France, Detroit 1989; ders., „Jewish Scholarship and Identity in NineteenthCentury France“ Modern Judaism 18, 1998, 1– 33.
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spektiven.⁶² Eine reiche deutsch- und englischsprachige Sekundärliteratur⁶³ hat vor allem die intellektuellen und wissenschaftlichen Bestrebungen des Judentums in der Moderne im deutsch-jüdischen, französisch-jüdischen und amerikanisch-jüdischen Kontext gründlich erforscht und systematisiert.⁶⁴ Dennoch können die Veröffentlichungen, die sich auf die italienisch-jüdischen Interpretationen der deutschsprachigen Wissenschaft vom Judentum konzentrieren, nicht außer Acht gelassen werden. In den meisten Fällen handelt es sich um Beiträge, in denen das italienischsprachige Judentum und dessen Entwicklungen sowie Bedingungskontexte im 19. Jahrhundert überaus kurz gefasst sind. Teilweise betrachten diese Studien das italienischsprachige Judentum nur unter einem einzigen Aspekt, etwa aus der Perspektive einer einzelnen Persönlichkeit, um die Gesamtheit der Phänomene einzubeziehen. Auf diese Weise fallen die Ausnahmeerscheinungen und Randfiguren sowie die komplexe und facettenreiche italienischsprachige Realität in der Epoche nicht ins Auge, weshalb diese von der weiteren Forschung häufig vernachlässigt werden.
Forschungen zur deutsch- und italienisch-jüdischen Geschichte Mit Ausnahme des italienischen Historikers Attilio Milano (1907– 1969) und seiner Storia degli ebrei in Italia ⁶⁵ von 1963 existieren nur Einzelstudien, die sich meistens mit einzelnen jüdischen Gemeinden und deren Geschichte beschäftigen. Als
M. R. Hayoun, La Science du Judaïsme, die Wissenschaft des Judentums, Paris 1995; M. Brenner und S. Rohrbacher (Hg.), Wissenschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust, Göttingen 2000; H. Soussan, „Wissenschaft des Judentums, in welcher Sprache?“ In M. Brenner (Hg.), Jüdische Sprachen in deutscher Umwelt. Hebräisch und Jiddisch von der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert, Göttingen 2002, 56 – 67; A. Guetta, „,Une contrée abandonnée et hors du temps‘. Les études juives en Italie au XIXe siècle“ in Pardès 19/20, Paris 1994, 186 – 203. Meyer, Antwort auf die Moderne; Brenner und Rohrbacher (Hg.),Wissenschaft vom Judentum; Brenner, Caron und Kaufmann (Hg.), Jewish Emancipation Reconsidered; M. Brenner, Propheten des Vergangenen. Jüdische Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert, München 2003. Vgl. K. Wilhelm, Wissenschaft des Judentums im deutschen Sprachbereich. Ein Querschnitt, 2 Bde., Tübingen 1967; ders., „Zur Einführung in die Wissenschaft des Judentums.“ In ebd., Bd. 1, Tübingen 1967, 3 – 58; Berkovitz, The Shaping of Jewish Identity; I. Schorsch, From Text to Context. The Turn to History in Modern Judaism, Hanover, NH., 1994; D. N. Myers, „Glaube und Geschichte. A Vexed Relationship in German-Jewish Culture.“ In A. Gotzmann und C. Wiese (Hg.), Modern Judaism and Historical Consciousness. Identities, Encounters, Perspektives, Leiden/Boston 2007, 54– 72. A. Milano, Storia degli ebrei in Italia, Torino 1963.
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Beispiele sollen hier die Bücher von Tullia Catalan⁶⁶ über die jüdische Bevölkerung der nordöstlichen Provinzen, vor allem Triests, im 19. Jahrhundert und die Studie von Francesca Cavarocchi über die jüdische Gemeinde von Mantua genannt sein.⁶⁷ Hinzu kommt Carlotta Ferrara degli Ubertis 2007 veröffentlichtes Werk „La Nazione ebrea“ di Livorno dai privilegi all’emancipazione: (1814 – 1860),⁶⁸ in dem die Juden in Livorno im 19. und im frühen 20. Jahrhundert sowie deren Emanzipationsbestrebungen betrachtet werden. Von derselben Autorin erweist sich vor allem das Werk Fare gli ebrei italiani. Autorappresentazioni di una minoranza (1861 – 1918) ⁶⁹ als wichtig für Fragen der Identitätssuche und der Identitätsbildung innerhalb der jüdischen Bevölkerung auf der italienischen Halbinsel während der Emanzipationszeit sowie kurz nach der italienischen Vereinigung. Ferner existiert eine reiche Sekundärliteratur, die fast ausschließlich das Thema der jüdischen Emanzipation in den italienischen und in den deutschen Territorien behandelt.⁷⁰ Die komplexe Situation der jüdischen Gemeinden der italienischen Halbinsel mit ihren organisatorischen Strukturen und internen Regelungen ist allerdings erst seit Ende der 1990er-Jahre von der italienischsprachigen und englischsprachigen Forschung in den Fokus gerückt worden.⁷¹ Diese Arbeiten beschäftigten sich hauptsächlich mit den sozialen sowie den Gemeinde- und Bildungsverhältnissen.⁷²
T. Catalan, La comunità ebraica di Trieste (1781 – 1914). Politica, società e cultura, Trieste 2000; dies., „,La primavera degli ebrei‘. Ebrei italiani del Litorale e del Lombardo-Veneto nel 1848 – 49“ Zachor 6 (2003), 35 – 66. F. Cavarocchi, La comunità ebraica di Mantova fra prima emancipazione e unità dʼItalia, Firenze 2002. C. Ferrara degli Uberti, La „Nazione ebrea“ di Livorno dai privilegi all’emancipazione (1814 – 1860), Firenze 2007. Dies., Fare gli ebrei italiani. Zur Emanzipation der Juden allgemein vgl. J. Katz, Out of the Ghetto. The Social Background of the Jewish Emancipation, 1770 – 1870, Harvard 1973; ders., Jewish Emancipation and Self-Emancipation, Philadelphia 1986; G. Mosse, Ebrei in Germania tra assimilazione e antisemitismo, Firenze 1991; vgl. G. Luzzatto Voghera, Il prezzo dell’eguaglianza. Il dibattito sull’emancipazione degli ebrei in Italia. (1781 – 1848), Milano 1998; M. Toscano (Hg.), Integrazione e identità. L’esperienza ebraica in Germania e in Italia dall’Illuminismo al fascismo, Milano 1998; G. Carocci, Storia degli ebrei in Italia. Dall’Emancipazione a oggi, Roma 2005; P. Bernardini und D. Lucci, The Jews, Instructions for Use. Four Eighteenth Century Projects for the Emancipation of European Jews, Boston 2012; Bonilauri und Maugeri (Hg.), Gli ebrei italiani dai vecchi stati all’Unità. Vgl. Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915. Vgl. u. a. Toscano (Hg.), Integrazione e identità; U.Wyrwa, Juden in der Toskana und in Preußen im Vergleich. Aufklärung und Emanzipation in Florenz, Livorno, Berlin und Königsberg, Tübingen 2003; D. Bidussa, „I nodi dell’Emancipazione. Inclusione sociale e omologazione culturale.“ In
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Parallel dazu existiert eine größere Auswahl an Werken in italienischer Sprache, die über den rechtlichen und sozialen Zustand der jüdischen Bevölkerung dieser Epoche Auskunft geben,⁷³ sowie Studien zu den demografischen Entwicklungen und den wirtschaftlichen Zuständen der jüdischen Bevölkerung in den italienischen Staaten.⁷⁴ Des Weiteren stehen der Forschung etliche Werke in italienischer und deutscher Sprache zur Verfügung, die sich mit der politischen und sozialen Teilnahme der italienischsprachigen Juden während des Risorgimento beschäftigen.⁷⁵ Zur enthusiastischen Beteiligung der italienisch-jüdischen Bevölkerung an den patriotischen Erhebungen und zur Entwicklung ihres Zugehörigkeitsgefühls zur italienischen Nation liegen Studien wie die von Ferrara degli Uberti und Catalan sowie jene von Florika Griessner, Adriana Vignazia, Mario Toscano, Vincenza Maugeri, Marina Beer und Anna Foa vor,⁷⁶ die anlässlich des 150. Jubiläums der italienischen Einheit veröffentlicht wurden.
Klassische komparatistische Forschung Im Rahmen der Konferenz Integrazione e identità. L’esperienza ebraica in Germania e in Italia dallʼIlluminismo al fascismo ⁷⁷, die in Rom 1993 stattfand, betonten die Herausgeber des daraus hervorgegangenen Sammelbandes Werner E. Mosse, Reinhard Rürup,Vittorio Dan Segre und Mario Toscano das geringe Interesse nicht nur der internationalen, sondern auch der italienischsprachigen Forschung an der Geschichte des italienischen Judentums. Mehr als zwanzig Jahre später werden die Bestrebungen des italienischen Judentums in der Moderne von der Wissenschaft nicht mehr so vernachlässigt wie früher. In den letzten Jahren sind einige Bände veröffentlicht worden, die einen umfassenden Blick auf den sehr
ders., E. Collotti Pischel und R. Scardi (Hg.), Identità e storia degli ebrei, Milano 2000, 75 – 79; Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915. Mosse, Ebrei in Germania tra assimilazione e antisemitismo; vgl. Toscano (Hg.), Integrazione e identità; Bidussa, I nodi dell’Emancipazione, 75 – 79; Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915. F. Sofia (Hg.), Stato nazionale ed emancipazione ebraica. Atti del Convegno „Stato nazionale, società civile e minoranze religiose. L’emancipazione degli ebrei in Francia, Germania, Italia tra rigenerazione morale e intolleranza“, Roma 1992; C. M. Bettin, Italian Jews from Emancipation to the Racial Laws, New York 2010. M. Toscano (Hg.), Un’ identità in bilico. L’Ebraismo italiano tra liberalismo, fascismo e democrazia (1861 – 2011). La Rassegna Mensile di Israel 76, 1– 2 (Januar–August 2010, Tevet–Av 5770). Ebd.; M. Beer und A. Foa (Hg.), Ebrei, minoranze e Risorgimento. Storia, cultura, letteratura, Roma 2013; Bonilauri und Maugeri (Hg.), Gli ebrei italiani dai vecchi stati all’Unità; Griessner und Vignazia (Hg.), 150 Jahre Italien. Toscano (Hg.), Integrazione e identità.
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spezifischen und widersprüchlichen kulturellen und sozialen Mikrokosmos der italienisch-jüdischen Gemeinden werfen.⁷⁸ Die unterschiedlichen jüdischen Realitäten im rechtlichen, sozialen und ökonomischen Bereich finden sich dort widergespiegelt.⁷⁹ Mit Blick auf die vergleichenden Studien muss festgehalten werden, dass das oben genannte Werk Integrazione e identità zusammen mit dem Band Stato nazionale ed emancipazione ebraica,⁸⁰ der einen Vergleich zwischen Frankreich, Deutschland und Italien anstellt, ohne Zweifel als bahnbrechende Werke des komparativen Genres zu Beginn der 1990er-Jahre anzusehen sind. Diese Werke bilden in Bezug zu vorherigen Studien eine Zäsur. Allerdings hat Ulrich Wyrwa mit Recht bereits darauf hingewiesen, dass diese Analysen eher auf die Untersuchung von Parallelen als auf einen tatsächlichen Vergleich angelegt sind.⁸¹ Besonders interessant sind Gegenüberstellungen, die in den letzten Jahren im Rahmen von internationalen Konferenzen entstanden sind. In erster Linie ist hier die vergleichende Arbeit mit dem Titel Two Nations. British and German Jews in Comparative Perspective zu nennen.⁸² Aufschlussreich ist zudem die komparative Analyse hinsichtlich Frankreich und Deutschland, die 2003 unter dem Titel Jewish Emancipation Reconsidered erschienen ist.⁸³ Beide Veröffentlichungen versammeln Beiträge und Aufsätze prominenter deutsch-, englisch- und französischsprachiger Wissenschaftler und Historiker, die sich der jüdischen Emanzipation und den Akkulturationsprozessen in diesen Ländern widmen. Sie decken einen sehr viel breiteren Zeitraum ab als die vorliegende Studie; dies gilt auch für die Beiträge des deutsch-englischen Vergleichs, der sich zeitlich von den Entwicklungen der Haskala-Bewegung bis hin zum Zionismus erstreckt. Mit besonderer Aufmerksamkeit werden in den genannten Titeln die Entwicklungen des Emanzipationsprozesses und der Identitätsbildung in den jeweiligen Ländern betrachtet. Im Hinblick auf deutsch-italienische Studien ist Wyrwas komparative Gegenüberstellung wichtig: Juden in der Toskana und in Preußen im Vergleich. Auf-
Vivanti (Hg.), Storia d’Italia. A. Foa, Ebrei in Europa. Dalla Peste Nera all’Emancipazione XIV–XIX secolo, Roma 2001; und dies., Diaspora. Storia degli ebrei nel Novecento, Roma 2009; G. Filoramo (Hg.), Ebraismo, Bd. 2, Le religioni e il mondo moderno, Torino 2008. Sofia (Hg.), Stato nazionale ed emancipazione ebraica. Wyrwa (Hg.), Juden in der Toskana und in Preußen im Vergleich, 2. Zum Vergleich zwischen Deutschland und England vgl. M. Brenner et al. (Hg.), Two Nations. British and German Jews in Comparative Perspective, Tübingen 1999. Zum Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich vgl. Brenner, Caron und Kaufmann (Hg.), Jewish Emancipation Reconsidered.
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klärung und Emanzipation in Florenz, Livorno, Berlin und Königsberg i. Pr. ⁸⁴ Dass – wie Wyrwa in seiner Studie erwähnt – spezifische komparative Fragestellungen in der jüdischen Geschichtswissenschaft relativ jung sind⁸⁵ und dass solche Studien sich gegenwärtig einer gewissen Popularität erfreuen, ist unbestreitbar. In seinem eigenen Werk thematisiert Wyrwa die Umstände der jüdischen Emanzipation im deutsch- und im italienischsprachigen Bereich. In erster Linie werden die Erfolge und Misserfolge der Emanzipationsprozesse während derselben Zeitspanne in zwei eingegrenzten Regionen miteinander konfrontiert: in Preußen und in der Toskana. Bei Wyrwa werden aus einer beziehungsgeschichtlichen Perspektive Aspekte beleuchtet, die unmittelbar mit dem Scheitern der Emanzipation im deutschsprachigen Raum verbunden sind, insbesondere das Verhältnis von Juden und Christen. Im Unterschied dazu untersucht die vorliegende Arbeit vorwiegend das innerjüdische Beziehungsgeflecht. In Bezug auf Gelehrtenbeziehungen erschien im Jahre 1987 im Buch Toward Modernity des Historikers Jakob Katz ein Beitrag von Lois Dubin über die Leistungen, das Verhältnis sowie die gegenseitigen Einflüsse italienischsprachiger und deutschsprachiger Maskilim im 18. Jahrhundert.⁸⁶ Ausgehend von den Konzepten, auf die sich bereits Lois Dubin in ihrem Aufsatz über die Verhältnisse zwischen Triest und Berlin berief, beabsichtigt diese Untersuchung, einen Schritt weiter zu gehen: Zum einen wird hier das Verhältnis zwischen einigen italienischjüdischen Gelehrten und der deutschen Haskala-Bewegung erläutert, zum anderen aber auch die Frage, inwiefern die italienisch-jüdischen Gelehrten der nachfolgenden Generation als Anhänger der Haskala und bloße Rationalisten zu verstehen sind.⁸⁷
Forschung zur Wissenschaft des Judentums und zur Reform In seinem 1967 posthum erschienen Buch verfasste Rabbiner Kurt Wilhelm (1900 – 1965) eine der ersten systematischen Studien über die Organisation des jüdischen Wissens in der Wissenschaft des Judentums.⁸⁸ Die verdienstvollen Bemühungen, eine Geschichte der Wissenschaft des Judentums zu erschließen, fanden jedoch ihre systematische Realisierung in den Werken From Text to Con-
Wyrwa, Juden in der Toskana und in Preußen im Vergleich. Ebd., 2. Dubin, Trieste and Berlin. A. Shear, „,The Italian and Berlin Haskalah‘ Isaac Barzilay Revisited“ Jahrbuch des SimonDubnow-Instituts, Bd. 6, Göttingen 2007, 49 – 66. Wilhelm, Wissenschaft des Judentums im deutschen Sprachbereich.
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text. The Turn to History in Modern Judaism von Ismar Schorsch und Antwort auf die Moderne (engl. Fassung 1988) von Michael A. Meyer.⁸⁹ Das Buch von Julius Carlebach Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa stellte dann Anfang der 1990er-Jahre die unterschiedlichen Ausformungen der Wissenschaft des Judentums in den verschiedenen europäischen Ländern dar. Für die italienisch-jüdische Variante ist vor allem der darin enthaltene Beitrag von Amos Luzzatto bedeutend.⁹⁰ 2003 erschien in dem Buch von Ulrich Wyrwa Judentum und Historismus ein aufschlussreicher Aufsatz des italienischen Historikers Gadi Luzzatto Voghera über die Entstehung der italienisch-jüdischen Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert.⁹¹ In Michael Brenners gleichnamigem Buch von 2003 – im Abschnitt „Traditionelle Nachklänge“ – erscheint die Tätigkeit Samuel David Luzzattos als die eines der Propheten des Vergangenen. ⁹² Insgesamt aber fehlt es an Beiträgen in deutscher Sprache über die kulturellen und intellektuellen Entwicklungen in den italienisch-jüdischen Gemeinden im 19. Jahrhundert. So geht etwa Michael A. Meyers oben erwähntes Buch Antwort auf die Moderne nur sehr knapp auf das italienische Judentum und seine Reformbestrebungen im 19. Jahrhundert ein. Zu der Tatsache, dass die jüdisch-religiöse Reform auf der italienischen Halbinsel nicht größer wurde, schreibt er: Der vielleicht wichtigste Grund für dieses Fehlen lag darin, dass eine derartige Bewegung in moderater Form überflüssig und in radikaler Form fremd gewesen wäre. […] So waren die italienischen Rabbiner, auch wenn sie offener für ihre Umgebung waren, dennoch hartnäckige Gegner jedes Vorschlags, das Wesen des Judentums oder dessen Praktiken grundsätzlich oder auch nur moderat zu verändern. Das gesamte Jahrhundert hindurch blieben sie mit wenigen Ausnahmen aufgeklärte Vertreter des Status quo.⁹³
Dieses Zitat erweist sich als besonders aussagekräftig, denn nach Meyer lassen sich jene Charakterzüge nicht nur auf das reformwillige Judentum Italiens, sondern auf das italienischsprachige Judentum in Gänze beziehen. In der italienischund englischsprachigen Sekundärliteratur der vergangenen 30 – 40 Jahre zum Thema jüdische Reform in Europa des 19. Jahrhunderts bleiben die Positionen und Entwicklungen auf der italienischen Halbinsel von der herkömmlichen Definition
Schorsch, From Text to Context; Meyer, Antwort auf die Moderne. A. Luzzatto, „Wissenschaft des Judentums und jüdische Identität in Italien.“ In J. Carlebach (Hg.), Chochmat Jisrael. Anfänge der Judaistik in Europa, Darmstadt 1992, 212– 218. G. Luzzatto Voghera, „Die jüdische Geschichtsschreibung in Italien im 19. Jahrhundert.“ In Wyrwa (Hg.), Judentum und Historismus. Zur Entstehung der jüdischen Geschichtswissenschaft in Europa, Frankfurt 2003, 117– 130. Brenner, Propheten des Vergangenen. Meyer, Antwort auf die Moderne, 238 – 239.
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von „Reform“ weithin ausgeschlossen, d. h., die Reformdebatte in Italien wird im Wesentlichen als Randphänomen betrachtet.⁹⁴ Es war der italienische Historiker Attilio Milano, der diesen Trend 1963 auslöste, indem er in seinem Werk Storia degli ebrei dʼItalia die These vertrat, die Reform des jüdischen Gottesdienstes, wie sie im deutschsprachigen Raum entstanden war und sich weiter über das Habsburgerreich bis nach Frankreich ausgebreitet hatte, habe die italienische Halbinsel unberührt gelassen.⁹⁵ Diese Position Milanos scheint also in Wahrheit den damaligen Zuständen nicht zu entsprechen sowie viel zu kurz gegriffen zu sein, um eine komplexe und sicher nicht „schlafende Realität“ zu beschreiben.⁹⁶ Auch Menachem Emanuel Artom hat in seinen Beiträgen das Fehlen einer „offiziellen Reform“ auf italienischer Seite festgestellt.⁹⁷ Dieser italienische Rabbiner und Intellektuelle hat zwar auf die unterschiedlichen Änderungen und Modifizierungen der jüdischen religiösen Praktiken von italienischen Rabbinern hingewiesen, wie sie fortlaufend in den Gemeinden im 19. Jahrhundert durchgeführt wurden. Doch abschließend argumentiert Artom weiter, dass die progressive Aneignung derselben Praktiken von der Orthodoxie oder deren Verschwinden nur innerhalb des italienischen Judentums erfolgt sei. Parallel stellt er aber so die herkömmliche Annahme infrage, dass die Mehrheit der Rabbiner der italienischen Gemeinden „ihre Weigerung und ihre Opposition wie eine Mauer gegen die Reform errichtete[n]“⁹⁸. Als besonders auffällig erscheint jedoch ein Defizit an Sekundärliteratur in italienischer Sprache. Luzzatto Voghera macht in Il prezzo dellʼeguaglianza. Il dibattito dellʼemancipazione degli ebrei in Italia (1781 – 1848) ⁹⁹ bezüglich des italienischsprachigen Judentums darauf aufmerksam, dass es insbesondere an umfassenden Beiträgen italienischer Forscher zu den jüdisch-italienischen Gemeinden der ersten drei Viertel des 19. Jahrhunderts und deren kulturellen und intellektuellen Anliegen mangelt.
Ebd.; G. Luzzatto Voghera, Il prezzo dellʼeguaglianza. il dibattito sullʼemancipazione degli ebrei in Italia (1781 – 1848). Milano 1997; ders., „Cenni storici per una ricostruzione del dibattito sulla riforma religiosa nell’Italia ebraica“ La Rassegna Mensile d’Israel 60, 1– 2 (Januar–August 1993 / Tevet–Elul 5753), 47– 70. Milano, Storia degli Ebrei in Italia, 374. Mit diesem Ausdruck adressierten jüdische Publizisten in Kolumnen deutsch-jüdischer Periodika häufig die religiösen Zustände in Italien. Vgl. Kapitel 1.3. Vgl. z. B. M. E. Artom, „Tentativi di riforma in Italia nel secolo scorso e analisi del fenomeno nel presente“ Rassegna Mensile d’Israel 42, 7– 8 (Juli–August 1976): 355 – 366. Luzzatto Voghera, Il prezzo dell’eguaglianza, 168. Ebd., 13.
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Forschungen zur jüdischen Presse Die Forschung über das jüdische Pressewesen im Deutschland sowie im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts findet in den letzten Jahrzehnten große Beachtung. Als nunmehr eigenständiges Forschungsgebiet wird die jüdische Presse in wertvollen mehrsprachigen Sammelbänden, Monografien sowie im Rahmen von Konferenzen seitens unterschiedlicher Experten – u. a. der Judaistik, der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaften und der Politikwissenschaft – erörtert. Was die jüdische Presselandschaft im deutschsprachigen Raum anbelangt, braucht dieser Forschungsgegenstand keine detaillierten Einführungen mehr. Inhaltsreiche Bände¹⁰⁰ erweisen sich als aufschlussreiche und detaillierte Analysen der Publikationsgeschichte, der Schwerpunkte, der Resonanz und der Verbreitung jüdischer Themen – sowohl in verschiedenen Kontexten als auch im Spiegel der unterschiedlichsten Hintergründe, von der Haskala bis zum Nationalsozialismus. Außerdem hat in den vergangenen Jahren die Digitalisierung eines großen Teils der historischen publizistischen Produkte diese als neue Quellen zugänglich gemacht.¹⁰¹ Für die aktuelle Forschung zur italienisch-jüdischen Publizistik sind die Artikel des italienischen Historikers Bruno di Porto in der Zeitschrift Materia Giu-
Vgl. die digitalisierte Sammlung unter www.compactmemory.de. Zur Entstehung und Entwicklung der jüdischen Presse im deutschsprachigen Raum: K. von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit. Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschriften, Berlin/Boston 2012; E. Lappin und M. Nagel (Hg.), Deutsch-jüdische Presse und jüdische Geschichte. Dokumente, Darstellungen, Wechselbeziehungen. Identität, Nation, Sprache – Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis – Der Westen im Osten, der Osten im Westen – Konzepte jüdischer Kultur, Bd. 1, Bremen 2008. Zu den publizistischen Entwicklungen im europäischen Raum vgl. S. Marten-Finnis und M. Winkler (Hg.), Die jüdische Presse im europäischen Kontext 1686 – 1990, Bremen 2006 sowie S. Marten-Finnis und M. Bauer (Hg.), unter Mitarbeit von M. Winkler, Die jüdische Presse. Forschungsmethoden – Erfahrungen – Ergebnisse, Bremen 2007; S. Marten-Finnis und M. Winkler (Hg.), Presse und Stadt. Zusammenhänge, Diskurse und Thesen, Bremen 2009; zur Geschichte der jüdischen Presse in der Habsburgischen Monarchie vgl. J. Toury, Die Jüdische Presse im Österreichischen Kaiserreich. Ein Beitrag zur Problematik der Akkulturation 1802 – 1918, Tübingen 1983; als Überblick zur hebräischsprachigen Presse vgl. J. Lin, Die hebräische Presse. Werdegang und Entwicklungstendenzen, Berlin 1928. www.compactmemory.de entstand im Jahre 2006 als Digitalisierungsprojekt in Zusammenarbeit des Lehr- und Forschungsgebiets Deutsch-jüdische Literaturgeschichte der RWTH Aachen, der Germania Judaica der (Fachbibliothek zur deutsch-jüdischen Geschichte in Köln) und der Judaica Abteilung der Johann Christian Senckenberg Universitätsbibliothek in Frankfurt am Main.
6 Gelehrtenkorrespondenzen
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daica von großem Interesse.¹⁰² Di Portos Aufsätze bestätigen die strebsame Tätigkeit mancher jüdischer Kreise oder einzelner Publizisten, die meist im Umfeld Samuel David Luzzattos ihre Arbeit in Form von Artikeln, wissenschaftlichen Aufsätzen und Rezensionen leisteten. Di Porto analysiert jedoch nicht die realen Verpflichtungen, Hintergründe und Erwartungen der Kontaktaufnahme zwischen deutsch-jüdischen und italienisch-jüdischen Gelehrten. Des Weiteren widmen sich die bis heute veröffentlichten Abhandlungen nur zum Teil dem bilateralen Dialog sowie den Kooperationen, Verflechtungen und gemeinsamen wissenschaftlich-publizistischen Projekten der italienisch-jüdischen und der deutschjüdischen Gelehrten im 19. Jahrhundert. Im Unterschied zur bisherigen Sekundärliteratur sollen daher in dieser Studie die italienisch-jüdischen publizistischen Organe in einer dialogischen Perspektive gezeigt werden.
6 Gelehrtenkorrespondenzen Im Hinblick auf die Kommunikationsprozesse zwischen den Gelehrten hatten Briefe im 19. Jahrhundert immer noch eine entscheidende Funktion. Korrespondenzen und persönliche Begegnungen stellten die wesentlichen Kommunikationsmittel der jüdischen Gelehrtengemeinschaft dar.¹⁰³ Anhand der Korrespondenzen zwischen Julius Fürst, Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto werden deren Ideen, Erwartungen, literarische Projekte und Veröffentlichungen näher beleuchtet. Die Gelehrtenkorrespondenzen werden als Kernprozess des Wissensaustausches in den deutsch-italienischen Kommunikationsnetzen betrachtet.¹⁰⁴ Briefe stellen damit ein wertvolles Kommunikationsmedium dar, das Dynamiken der publizistischen Tätigkeit schärfer ausleuchten und die private Dimension im Handeln der Gelehrten hervorheben kann. In manchen Fällen erweist sich die interpersonelle Kommunikation der Briefe durch die geografische Verstreuung ihrer Beteiligten als das einzige geeignete Instrument, neue Aspekte der intellektuellen und wissenschaftlichen Tätigkeit verschiedener Gelehrter zu enthüllen. Es geht hier um Kommunikationsdynamiken, die aufgrund der sozialen und kulturellen Unterschiede und der differierenden Wertvorstellungen der jeweiligen
Vgl. B. Di Portos Reihe von Artikeln in Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo, Firenze, IV/1998, V/1999, VI/2000, IX/2004. Thulin, Kaufmanns Nachrichtendienst, 28. Zu den Netzwerkstheorien und zum Informationsaustausch vgl. L. Jordan und B. Kortländer (Hg.), Nationale Grenzen und internationaler Austausch. Studien zum Kultur- und Wissenschaftstransfer in Europa, Tübingen 1995; Castells, The Rise of the Network Society.
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Gelehrtengruppen eine spezifische intellektuelle Wahrnehmungsgeschichte erkennbar werden lassen. In diesen Kommunikationsprozessen konnte die Sprache jeweils ein funktional hilfreiches Element, ein behindernder Faktor oder ein Autoritätsinstrument in den Interaktionen zwischen den Beteiligten darstellen. Aufgrund der Sprachunterschiede und der daraus folgenden Kommunikationsprobleme zwischen den Gelehrten offenbarten sich zuweilen auch erhebliche Missverständnisse. Fehler bei der Übersetzung von Briefen, Zusammenfassungen, die sich von dem ursprünglichen Inhalt der Briefe mehr oder weniger stark unterschieden, sowie Fehler bei der Übersetzung von einzelnen umstrittenen Textpassagen und Ungenauigkeiten bei der Transkription von Druckwerken und Handschriften trugen zu zahlreichen Kontroversen und Debatten zwischen den jüdischen Gelehrten bei. In der Regel wurden Informationen, Thesen und Konzepte aus dem deutschsprachigen in den italienischsprachigen Raum und umgekehrt nur mehr oder weniger texttreu übermittelt; vielmehr fanden ständig bewusste subtile kulturelle Adaptationen und Transformationen von Diskursen und Praktiken statt.¹⁰⁵ Im Folgenden wird betont, wie zum Teil aufgrund von Missverständnissen, versehentlichen Änderungen oder aber Fehlern – auch zum Teil gesteuert – im Prozess der Übersetzung beispielsweise von Artikeln oder Briefen ins Deutsche oder Italienische eine neue Variante eines Konzeptes oder einer Idee entstand. Bei vielen Korrespondenzen wurde die Kommunikationssprache zwischen den Gelehrten für verschiedene Zwecke jeweils neu verhandelt. Es lässt sich nachweisen, dass Briefpartner je nach Anlass der Kommunikation in unterschiedlichen Sprachen korrespondierten – auf Lateinisch, Italienisch, Französisch, Deutsch und Hebräisch. Bei vielen deutsch-jüdischen Gelehrten lässt sich zumindest teilweise die Bereitschaft erkennen, auf die deutsche Sprache zu verzichten und sich auf das Französische oder auf das Hebräische einzustellen. In manchen Briefen wechselten sich das Deutsche und das Hebräische ab. Italienisch-jüdische Gelehrte waren dagegen bereit, eine größere Anstrengung zu unternehmen und die deutsche Sprache zumindest für die grobe Verständigung in den Briefen zu erlernen. In den meisten Fällen – wie in der Korrespondenz Luzzattos – wurden aber Übersetzer, meistens Bekannte aus den Netzwerken der Beteiligten, mit der Übersetzung der Briefe beauftragt.¹⁰⁶ In den Briefwechseln war der Informationsaustausch unabhängig von der Brieflänge durch eine stark subjektive Sicht gekennzeichnet und nicht auf eine Vgl. B. Kortländer, „Begrenzung – Entgrenzung. Kultur- und Wissenstransfer in Europa.“ In Jordan und ders. (Hg.), Nationale Grenzen und internationaler Austausch, 1– 19. Luzzatto z. B. beauftragte einige Rabbinerstudenten am Collegio Rabbinico mit der Übersetzung der Briefe ins Deutsche.
7 Aufbau der Arbeit
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exklusiv sachliche Berichterstattung begrenzt. Die Beteiligten kommunizierten in einer spezifischen Briefsprache, die weder in der konkreten Situation eines persönlichen Gesprächs noch in der Kommunikationssprache eines publizistischen Mediums benutzt wurde. Es handelte sich um eine eigenartige Kommunikationspraxis, die häufig die Briefbeziehungen zwischen den jüdischen Gelehrten ins Schwanken bringen konnte. Missverständnisse und daraus resultierende persönliche Attacken und Streitigkeiten sind in den Brieftexten oft zu finden. Die Briefverhältnisse bestanden jeweils zugleich aus Konvergenz und Differenz. Nicht unbedingt entstanden die Kontakte zwischen den Gelehrten aus einer gemeinsamen Basis, aus geteilten Interessen oder aus übereinstimmenden wissenschaftlichen Methoden. Wirksamkeit und Bestand eines Briefverhältnisses stützten sich vielmehr auf die scharfe Diskussion und Kontrastierung der vorgebrachten Argumente: Für die lebhafte Diskussion ihrer Standpunkte, Ideen und Theorien wurde von den Briefpartnern stets gesorgt.
7 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Diskussion betrachtet im ersten Kapitel die Vielfalt der sozialen, religiösen und kulturellen Aspekte des italienisch-jüdischen Gemeinwesens des 19. Jahrhunderts und bezieht diese vergleichend auf die für das deutsche Judentum wesentlichen Umstände. Des Weiteren konzentriert das Kapitel sich auf die Wahrnehmung des italienischen Judentums in der deutsch-jüdischen Publizistik und auf die Entwicklungen und Transformationen dieses Rezeptionsvorgangs. Das analysierte Material bietet eine Schlüsselquelle für die Erforschung der wechselseitigen kulturellen Wahrnehmungen deutsch-jüdischer und italienischjüdischer Gelehrter. Im Fokus steht die Resonanz des italienischsprachigen Judentums des 19. Jahrhunderts insbesondere in der deutsch-jüdischen Presse. Mittels einer Analyse von Artikeln in den deutsch-jüdischen Periodika wird dargestellt, auf welch unterschiedliche Weise italienisch-jüdische Lebensumstände sowie Religions- und Weltbildentwürfe seitens des deutsch-jüdischen Pendants mitbestimmt wurden, wobei speziell die asymmetrischen Machtverhältnisse bedacht werden. Es wird auf bestimmte Kritiken, Vorwürfe und Argumente in der deutsch-jüdischen Presse hingewiesen, die als repräsentative Zeichen für die Autorität und Machtausübung deutsch-jüdischer Autoren interpretiert werden können. Im zweiten Kapitel betrachtet die Arbeit die jüdische Presse nicht nur hinsichtlich ihrer Rolle als Ort der kritischen Kommentierung des jüdischen Wissenschaftsdiskurses und der wissenschaftlichen Produktion im 19. Jahrhundert, sondern interpretiert sie – im Unterschied zur bisherigen Forschung – als wich-
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tigen Knotenpunkt des Wissensaustausches. Zu Beginn werden die vielfältigen publizistischen Organe des deutschsprachigen Raums kurz vorgestellt, mit einem Schwerpunkt auf den deutsch-jüdischen Presseorganen, die eng mit der Tätigkeit italienisch-jüdischer Gelehrter, ihren Forschungen, ihren Studien und ihrer Karriere verknüpft waren. Ziel ist es, herauszuarbeiten, wie die deutsch-jüdische Presse die Debatten und Kontroversen zwischen den italienisch- und deutschjüdischen Gelehrten beschrieb und verortete. Hier werden im Detail die Zusammenhänge und die Kooperationen zwischen den verschiedenen Herausgebern diesseits und jenseits der Alpen und deren redaktionelle Strategien und Verhaltensmuster in den Vordergrund gestellt. Das Kapitel widmet sich auch den italienisch-jüdischen publizistischen Organen, die ab den 1840er-Jahren von einer kleinen Zahl von Laien sowie Rabbinern herausgegeben wurden: der in Parma veröffentlichten Rivista Israelitica (1845 – 1848), dem in Piemont herausgegebenen Educatore Israelita (Bestand 1853 – 1874) und dem Corriere Israelitico von Triest (Bestand 1864 – 1875).¹⁰⁷ Es werden hier stilistische Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten in der Struktur sowie wechselseitige Einflüsse im redaktionellen Aufbau solcher Publikationen im deutschsprachigen Raum und auf der italienischen Halbinsel herausgearbeitet. Festzuhalten kann in jedem Fall werden, dass die deutsch-jüdische Publizistik in vielerlei Hinsicht als Vorbild für die ersten italienischen Publizisten und Herausgeber galt. Es geht hier jedoch darum, redaktionelle und strukturelle Merkmale der italienisch-jüdischen Zeitschriften zu definieren, die für die vorliegende Fragestellung relevant sind. Diese Analyse schließt an das Werk von Kerstin von der Krone für den deutschsprachigen Raum an¹⁰⁸ und beabsichtigt zu definieren, welchen Beitrag die italienisch-jüdische Presse im 19. Jahrhundert zu den Idealen, den Bildungsvorstellungen und dem Programm der jüdischen Wissenschaft und des jüdischen Wissenschaftsdiskurses geleistet hat. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Luzzattos Briefnetz und zeigt die Ausdehnung seiner internationalen Kontakte und wie dieselben verfestigt und Vgl. B. Di Porto, „La stampa periodica ebraica a Livorno“ Nuovi studi livornesi 1 (1993): 173 – 198; ders., „Origini e primi sviluppi del giornalismo ebraico“ Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 4 (1998): 40 – 48; ders., „La ,Rivista Israelitica‘ di Parma. Primo periodico ebraico italiano“ Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 5 (1999): 33 – 45; ders., Il giornalismo ebraico in Italia, ,L’Educatore Israelita‘ (1853 – 1874) Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 6 (2000): 60 – 90; ders., „Il giornalismo ebraico in Italia. Un primo sguardo d’insieme al ,Vessillo Israelitico‘“ Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 6, 1 (2001): 104– 109; ders., „Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme“ Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 9, 1– 2 (2004): 249 – 263. Vgl. von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit.
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ausgebaut wurden. Das große Kontaktnetz und seine hohe Reputation ermöglichten es Luzzatto, über einen beständigen Informationsfluss und Quellenaustausch hinaus bei Bedarf jeweils spezifische Informationen zu besonderen Themen einzuholen oder sich in bestimmte wissenschaftliche Diskussionen zu vertiefen. Das Kapitel geht den Kontakten und Wechselbeziehungen zwischen Samuel David Luzzatto, dem deutschen Publizisten und Gelehrten Julius Fürst sowie dem Reformrabbiner Abraham Geiger nach. Die vorliegende Arbeit wählt Luzzatto als Ausgangspunkt der Interpretation der Briefwechsel und Netzwerke und folgt in erster Linie den wissenschaftlichen Ansätzen des italienischen Gelehrten, setzt sie jedoch mit den Entwicklungen der jüdischen Studien im 19. Jahrhundert im Allgemeinen und der Wissenschaft des Judentums im Besonderen in Beziehung. Die Briefe werden als Bestandteil einer erweiterten Kommunikationspraxis unter den jüdischen Gelehrtengruppen und Intellektuellen des 19. Jahrhunderts verstanden. Darauf aufbauend wird in diesem Kapitel gezeigt, wie ein Teil der deutsch- und italienisch-jüdischen wissenschaftlichen Gemeinschaft im 19. Jahrhundert funktionierte. Im Mittelpunkt stehen die Beziehungen sowie die bisher kaum beachteten wechselseitigen Bezugnahmen und Einflüsse zwischen den genannten jüdischen Gelehrten. Das vierte Kapitel widmet sich den Institutionen der höheren jüdischen Bildung in Italien, und zwar insbesondere mit Blick auf die innerjüdische Diskussion. Ausgangspunkt ist das Collegio Rabbinico von Padua,¹⁰⁹ dessen Methoden, Studienprogramme und Forschungsansätze seit seiner Gründung 1829 in den deutsch-jüdischen Periodika große Aufmerksamkeit fanden. Das Augenmerk wird dabei auf die Studienprogramme am Collegio gelegt, vor allem auf das Gewicht des säkularen Studiums einerseits und des religiösen andererseits sowie auf die Schaffung einer Grundlage für die jüdische Theologie in ihrem Spannungsverhältnis zur Wissenschaft. Das Kapitel beschäftigt sich u. a. mit dem pädagogischen und wissenschaftlichen Ansatz am Collegio, um herauszufinden, ob und bei welchen Aspekten eine Abgrenzung von der jüdischen Tradition erfolgte. Es wird besonders auch die Frage erörtert, in welchem Sinne das Collegio in der Rabbinerausbildung in dieser Epoche eine einzigartige Stellung einnahm und inwiefern es als moderne jüdische Bildungseinrichtung schlechthin gelten kann. Dabei leistet das Kapitel eine Analyse der Wahrnehmung des Collegio aus
Hier wird keine detaillierte Darstellung der Gründungsgeschichte des Rabbinerseminars von Padua angestrebt, da diese bereits in monografischen Studien hinreichend dargestellt wurde, vgl. M. del Bianco Cotrozzi, Il Collegio rabbinico di Padova, un’istituzione religiosa dell’Ebraismo sulla via dell’emancipazione, Firenze 1995; N. Vielmetti, „Die Gründungsgeschichte des Collegio Rabbinico in Padua“ Kairos 12 (1970): 1– 30 und 13 (1971), 38 – 66; ders., „Das Collegio Rabbinico von Padua.“ In Carlebach (Hg.), Wissenschaft des Judentums, 23 – 35.
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Einleitung
deutsch-jüdischer Sicht sowie der damit verbundenen unterschiedlichen Erwartungen und Positionierungen. Es wird gezeigt, welche Ziele die deutsch-jüdischen Gelehrten bei der Vermittlung eines besonderen Bildes des Rabbinerseminars von Padua verfolgten. Herausgearbeitet wird in diesem Zusammenhang, in welchem Maße das Programm und die Methoden des Collegio auf die Debatte um die Einrichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät auf deutscher Seite Einfluss nahmen. Insbesondere wird untersucht, wie die Tätigkeit von Luzzatto und von Della Torre am Collegio als Antrieb für die Bemühungen Abraham Geigers und des Rabbiners und Publizisten Ludwig Philippson (1811– 1889) gelten kann, eine entsprechende Fakultät an einer deutschen Universität zu errichten. Als zentral erscheint für das vierte Kapitel die Frage, wie die Rabbiner im deutsch- und italienischsprachigen Raum auf die neuen Herausforderungen des 19. Jahrhunderts reagierten und in welchem Maße sie jeweils als Begleiter, engagierte Förderer und aktive Agenten in den Wandel der Wissensordnungen, der Wertesysteme und Ordnungsmuster involviert waren bzw. sich ihnen gegenüber positionierten. Dabei soll vor allem der Neudefinition der Figur des Rabbiners und der Umgestaltung des Rabbinats als Institution Beachtung geschenkt werden, und zwar unter Bezug etwa auf Abraham Geigers Konzept des jüdischen Theologen. Parallel hierzu wird diese Figur mit dem Rabbinerakademiker und Religionslehrer auf italienisch-jüdischer Seite konfrontiert. Dabei soll aber nicht die Frage außer Acht gelassen werden, ob auf beiden Seiten von der Suche nach einer Synthese bzw. einer Kompromisslösung die Rede sein kann, die darauf abzielte, den alten Habitus des Rabbiners mit dem jüdischen traditionellen Gedankengut und den Anforderungen der modernen Zeit zu vereinbaren. Im Zentrum des fünften Kapitels steht das Wissenschaftsverständnis, dem in den zeitgenössischen Diskussionen im 19. Jahrhundert innerhalb der jüdischen Gelehrtengemeinschaft nördlich und südlich der Alpen zentrale Bedeutung eingeräumt wurde. Angesichts der unterschiedlichen Antworten und Motive der Vertreter der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums und derjenigen der italienischsprachigen Gelehrtengruppe im Hinblick auf ihr Verständnis davon, auf Kernaspekte der jüdischen Tradition (wie die Bedeutung der mosaischen Religion und des Pentateuch sowie die Stellung des rabbinischen Judentums) soll hier erläutert werden, welche jüdischen Forschungsbereiche von den Gelehrten beiderseits besonders vertieft wurden. Der Akzent liegt auf der Ausdifferenzierung des Begriffs „jüdische Theologie“ in dieser Zeit. Dabei wird betont, dass es sich um einen hochproblematischen und komplexen zeitgenössischen Sprachgebrauch handelt, der damals eine ihm eigene Bedeutung unter den jüdischen
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Gelehrten erlangt hatte.¹¹⁰ Das Kapitel beschäftigt sich eingehender mit Luzzattos religionsphilosophischen Überzeugungen und seinem dogmatischen und moraltheologischen Ansatz.¹¹¹ Zudem stellt es dessen philosophische und religiöse Argumentationen den Wissenschafts- und Theologiekonzeptionen bestimmter deutsch-jüdischer Repräsentanten der Wissenschaft des Judentums – etwa jener Abraham Geigers – gegenüber. Im Zuge der neuen systematischen und historischkritischen Interpretation religiöser Traditionen, der entscheidenden Rolle des Historismus sowie der Einführung eines historischen Verständnisses biblischer und talmudischer Texte wird dargelegt, welchen Gebieten und wissenschaftlichen Inhalten beide Gelehrtengruppen jeweils den Vorzug gaben.¹¹² Das Anliegen des sechsten Kapitels ist es, die Positionen zu einer religiösen Reform des italienischsprachigen Judentums verschiedener Strömungen zu untersuchen und die Debatten in der jüdischen Presse der Epoche zu diesem Thema darzulegen. Hierbei möchte die Untersuchung klären, inwiefern das italienischsprachige Judentum, dessen Rabbiner und dessen Intellektuelle von den reformatorischen Ideen und der Agenda der deutsch-jüdischen Reformer geprägt wurden. Auf der anderen Seite werden auch die Motive analysiert, die eine Distanz zum deutsch-jüdischen Vorbild begründeten. Entscheidend sind dabei die Wechselwirkungen, die gemeinsamen Antworten sowie die Anregungen von italienischer wie auch von deutscher Seite. Gefragt wird, in welchen Bereichen das italienischsprachige Judentum seine Reformakzente setzen wollte. Das italienische Judentum wird dabei nicht als passiver Empfänger von Reformideen verstanden, sondern in der komplexen Dynamik der Wechselwirkungen und in seinem aktiven Ansatz gegenüber den anderen Akteuren der Reform – insbesondere den deutsch-jüdischen Reformern – ernst genommen. Das siebte Kapitel betrachtet abschließend den Gelehrtenaustausch und die verschiedenartigen Interaktionen zwischen der jüdischen Minderheit und der christlichen Mehrheitsgesellschaft, und zwar aus einer dezidiert jüdischen Perspektive. Ausgehend von den Interaktionen und Debatten zwischen deutsch-jü Luzzatto verwendete den Begriff „Theologie“ und vor allem „dogmatische Theologie“ in seinen Vorlesungen für die Rabbinerkandidaten am Collegio Rabbinico bereits Anfang der 1830erJahre. Der Reformrabbiner Abraham Geiger in Breslau verfasste die Schrift „Einleitung in das Studium der Jüdischen Theologie“, 1849. Vgl. Rosenbloom, Luzzatto’s Ethico-Psychological Interpretation of Judaism; Margolies, S. D. Luzzatto. Traditionalist Scholar; W. Bacher, Samuel David Luzzatto. Ein Gedenkbuch zum hundertsten Geburtstage, Berlin 1900. Vgl. P. Schäfer und K. Herrmann, „Judaistik an der Freien Universität Berlin.“ In K. Kubicki und L. Siegward (Hg.), Religionswissenschaft, Judaistik, Islamwissenschaft und Neuere Philologien an der Freien Universität Berlin. Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin, Göttingen 2012, 53 – 74.
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Einleitung
dischen Gelehrten der Wissenschaft des Judentums und protestantischen Theologen im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts wird die Frage behandelt, ob sich ähnliche Polemiken auch auf italienischer Seite herauskristallisierten und ob hier – entsprechend den anders gearteten konfessionellen Verhältnissen – Studien von italienisch-jüdischen Forschern Aufmerksamkeit bei katholischen Gelehrten fanden.¹¹³ Das Kapitel erläutert, für welche wissenschaftlichen Bereiche und Bildungsvorstellungen der katholischen Mehrheitsgesellschaft sich einige jüdische Gelehrte interessierten. Es wird ferner aufgezeigt, dass es diesbezüglich – innerhalb bestimmter Grenzen – zu produktiven Beziehungen kam.
Vgl. C. Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Ein „Schrei ins Leere“?, Tübingen 1999; E. Bianchi und P. Stefani, Ebrei e cristiani, duemila anni di storia. La sfida del dialogo, Milano 2009.
Teil I: Kulturelle Verhältnisse und Verortungen der wissenschaftlichen Debatten
Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext Zu Beginn dieses Kapitels richtet sich der Blick zunächst auf die facettenreiche Situation der jüdischen Gemeinden und deren rechtliche und soziale Strukturen. Es werden hierbei Bildungs- und soziokulturelle Verhältnisse in den Gemeinden nördlich und südlich der Alpen betrachtet. Was die italienische Halbinsel betrifft, so wird den nördlichen Gebieten sowie einigen Städten Mittelitaliens besondere Aufmerksamkeit gewidmet.¹ Dies geschieht in der Absicht, jene geografischen Räume und gesellschaftlichen Milieus in den Fokus zu rücken, in denen einige für die Arbeit zentrale Protagonisten geboren wurden, ihre Ausbildung genossen und über lange Zeiträume hinweg ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten oder rabbinischen Karrieren verfolgten. Nicht zuletzt wurde gerade in diesem Kontext eine besonders intensive und produktive Verbindung mit der deutsch-jüdischen Welt hergestellt.Wichtig ist auch die Tatsache, dass zu dieser Zeit auf beiden Seiten der Alpen unterschiedliche kulturelle Wertesysteme und soziale Gruppenidentitäten neu ausgehandelt wurden.
1.1 Soziokulturelle und Gemeindeverhältnisse Kurz nach Erlangen der italienischen Einheit im Jahre 1864 betrug die Zahl italienischer Juden laut einem Bericht des Publizisten und Rabbiners Flaminio Servi in der jüdischen Monatsschrift Educatore Israelita aus Vercelli ungefähr 43.000. Servi berücksichtigte in seiner Rechnung auch die Gemeinden von Triest, die sich noch unter der Habsburgischen Monarchie befanden, und Nizza. Der Verfasser des Beitrags kam insgesamt auf 66 jüdische Gemeinden, u. a. 20 in Piemont, 5 in der Lombardei, 10 in Venetien, 5 in der Toskana und 20 in Emilien.² Von den 66 Gemeinten pflegten 40 den italienischen, 22 den deutschen und 4 den spanischen Ritus.³ In den italienischen Territorien nannten sich die Bekenner des Judentums
Vgl. Catalan, La comunità ebraica di Trieste; Cavarocchi, La Comunità ebraica di Mantova fra prima Emancipazione e unità d’Italia; Ferrara degli Uberti, La „Nazione ebrea“ di Livorno dai privilegi all’emancipazione (1814– 1860). F. Servi, „Elenco delle comunioni israelitiche d’Italia. Rabbini e Popolazione“ Educatore Israelita 12 (1864): 358 – 361. Diese demografischen Zahlen und Statistiken über die italienischen Gemeinden interessierten in der Mitte der 1860er auch die Redaktionen deutsch-jüdischer Periodika unterschiedlicher Ausrichtung und die Redaktion der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums https://doi.org/10.1515/9783110768558-004
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
eher „Israeliten“ als Juden.⁴ Diese Selbstbezeichnung markierte aber weder eine modernisierende noch eine reformierende Tendenz,⁵ wie dieses im deutsch-jüdischen Kontext der Fall war, sondern sie ist als im Einklang mit einer traditionsgebundenen Orientierung am israelitischen Volk der biblischen Schriften stehend zu verstehen. Die Juden der italienischen Territorien waren im Vergleich zur jüdischen Bevölkerung in den deutschsprachigen Gebieten, die zur Zeit der Staatsgründung 1871 mehr als 500.000 Menschen zählte,⁶ eine verschwindend kleine Gruppe. Sie bewohnten vor allem die nördlichen und mittelitalienischen Regionen. Ihre Mehrheit war sephardischen Ursprungs, wobei die meisten Juden in den nordöstlichen Gebieten der Habsburgermonarchie aschkenasisch waren. Zu den wichtigsten und größten Università oder comunioni israelitiche – so wurden die Gemeinden damals bezeichnet – zählten auf der italienischen Halbinsel in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Gemeinden von Triest, Venedig, Verona, Mantua, Turin, in Mittelitalien Ferrara, Modena, Florenz, Livorno und schließlich Rom und Ancona. Die Abwesenheit der Juden in Süditalien – bis auf die kleine jüdische Präsenz in Neapel – war auf die Vertreibungen in den Territorien unter der spanischen Monarchie Ende des 15. und im 16. Jahrhundert zurückzuführen.⁷ Deren geringe Zahl blieb bis in die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts beinahe unverändert.⁸ Die italienischsprachigen Juden, die eine der mobilsten Bevölkerungsgruppen waren, lebten vorwiegend in (mittel)großen Ballungsgebieten: in den Städten, in denen sich die Lebens- und Arbeitsumstände wie auch die Ausbildungsmöglichkeiten als günstig erwiesen.⁹ Diese internen Migrationen, die Ein- und und des Jeschurun. Der Artikel des Educatore wurde ins Deutsche zusammengefasst, als Beweis einer wachsenden Aufmerksamkeit und eines historiografischen Interesses von deutsch-jüdischer Seite an den Entwicklungen in den italienischen Gebieten unmittelbar nach der Einheit. Vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne, 57. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Bezeichnung „Israelit“ im deutsch-jüdischen Kontext von Vertretern des Reformtempels in Hamburg wie z. B. dem Rabbiner und berühmten Prediger Gotthold Salomon (1784– 1862) verwendet. Vgl. G. Salomon, „Jude, oder Israelit? Jüdische, oder Mosaische Religion?“ Sulamith 8 (1843): 367– 371; vgl. Thulin, Kaufmanns Nachrichtendienst, 16. Catalan, Juden und Judentum in Italien von 1848 bis 1918, 74. A. Guetta, „L’Italia e la via ebraica alla modernità.“ In Filoramo (Hg.), Ebraismo, Bd. 2, Le religioni e il mondo moderno, 5 – 24: 7. Vgl. Catalan, Juden und Judentum in Italien von 1848 bis 1918, 74. Tätig als Ärzte, Anwälte, Notare, Freiberufler oder Kleinunternehmer gehörten sie dem wohlhabenden Bildungsbürgertum an. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung lebte jedoch in Armut. Zur demografischen Entwicklung in den italienisch-jüdischen Gemeinden; vgl. Della Pergola, Anatomia dell’Ebraismo italiano; ders., La popolazione ebraica in Italia nel contesto ebraico globale; ders., „La via italiana all’Ebraismo. Una prospettiva globale.“ In M. Toscano (Hg.), Un’
1.1 Soziokulturelle und Gemeindeverhältnisse
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Auswanderungen aus Mittel nach Oberitalien voraussetzten,¹⁰ erfolgten, nachdem die Segregation der Ghetti aufgehoben worden war. In den deutschsprachigen Territorien, zu denen nach dem Wiener Kongress von 1815 fast vierzig Kleinstaaten, Königreiche und Herzogtümer zählten, lebte eine jüdische Bevölkerung aschkenasischen Ursprungs. Diese Bevölkerung, vor allem diejenige der südlichen Länder, hatte bereits seit dem 17. Jahrhundert ein andauerndes demografisches Wachstum erlebt.¹¹ Zu diesem Wachstum trugen diverse Zuwanderungswellen polnischer und galizischer Juden sowie der jüdischen Bevölkerung anderer östlicher Gebiete bei.¹² Darüber hinaus waren Juden zum Teil in ländlichen, meistens jedoch in industriellen Zentren der Mittel- bzw. Großstädte konzentriert. Die jüdische Bevölkerung der Rheingebiete in den westlichen und östlichen Territorien teilte Bräuche, Traditionen und Riten. Diese unterschieden sich aber deutlich von denjenigen der jüdischen Bevölkerungen des Rheins unter der Habsburgischen Monarchie.¹³ Im Norden – z. B. in Preußen – war die jüdische Bevölkerung meist in Großstädten konzentriert¹⁴, während sie in Territorien wie Württemberg, Franken, Baden, Hessen, im Rheinland und im Königreich Westfalen meistens ländliche Gebiete bewohnte. Das änderte sich allerdings nach dem Emanzipationsgesetz:¹⁵ Nach 1871 wurde die jüdische Bevölkerung mobiler und wählte auch hier vorwiegend Ballungszentren als Orte, die neue Arbeits- und Bildungschancen sichern konnten. In Bezug auf die rechtliche Situation war bereits Ende des 18. Jahrhunderts das Thema des rechtlichen und sozialen Status der jüdischen Bevölkerung (etwa Fragen nach dem Verhältnis zur jüdischen Religion und zur Erziehung der Kinder in den deutschsprachigen Gebieten) Gegenstand lebhafter Diskussionen. Diese setzten 1781 nach der Veröffentlichung der Schrift des preußischen Beamten Christian Wilhelm von Dohm (1751– 1820) mit dem Titel Über die bürgerliche
Identità in bilico. L’ebraismo italiano tra liberalismo, fascismo e democrazia (1861 – 2011). La Rassegna Mensile di Israel 76, 2 Bde., (Januar–August 2010 / Tevet–Av 5770): 19 – 54; Bettin, Italian Jews from Emancipation to the Racial Laws. Della Torre, Die jüdische Bildung in Italien im 18=ten Jahrhunderte, 270. Vgl. Bettin, Italian Jews from Emancipation to the Racial Laws, 19. S. Schwarzfuchs, „Alsace and Southern Germany: The Creation of a Border.“ In Brenner, Caron und Kaufmann (Hg.), Jewish Emancipation Reconsidered, 5 – 25: 10 – 13. Ebd., 12. Ebd., 13. Kaufmann, The Jewish Fight for Emancipation in France and Germany, 81. Vgl. M. Richarz, „Un profilo sociale degli ebrei tedeschi 1850 – 1933.“ In Toscano (Hg.), Integrazione e identità, 73 – 83: 76.
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
Verbesserung der Juden ein.¹⁶ Hierin hatte Dohm unter dem Einfluss von jüdischen Denkern wie Moses Mendelssohn (1729 – 1786) nicht nur jahrhundertealte Vorurteile und tief verwurzelte Judenbilder thematisiert, sondern auch konkrete rechtliche Maßnahmen für ein mögliches produktives Zusammenleben zwischen der jüdischen Bevölkerung und der deutschen Mehrheitsgesellschaft formuliert.¹⁷ Im darauffolgenden Jahrhundert herrschten in der zersplitterten Realität der deutschen Groß- und Kleinstaaten und Herzogtümer, ähnlich wie in den italienischsprachigen Territorien, weiterhin erhebliche Unterschiede in Bezug auf den sozialrechtlichen Status der jüdischen Bevölkerung. Einzelne Maßnahmen, die gleiche Rechte wie Bildungs- und Sozialverhältnisse betrafen (wie den Zugang zu den öffentlichen Sphären und der politischen Karriere für die Juden), wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts in Preußen, Hessen, Bayern, Baden und Württemberg ergriffen.¹⁸ Diese Maßnahmen waren – ebenfalls wie in den italienischen Territorien zwischen 1815 und den 1850 – einem langen und nur schrittweise gewährten Emanzipationsprozess untergeordnet, der von unterschiedlichen, nicht linearen Entwicklungen wie rechtlichen Konzessionen sowie immer wieder auch von plötzlichen Rückschritten und diskriminierenden Maßnahmen geprägt war.¹⁹ Bereits 1812 erließ z. B. die Regierung Preußens das erste Emanzipationsedikt,²⁰ während die jüdische Bevölkerung in Baden bis 1862 auf eine rechtliche Verbesserung ihrer Situation warten musste. Noch früher als in Preußen war in der Habsburgischen Monarchie das Thema der „bürgerlichen Verbesserung“ der jüdischen Untertanen zentral gewesen. Infolge der Maßnahmen während der Epoche des Josephinismus²¹ Ende des 18. Jahrhunderts wurden den Juden der nordöstlichen Gebiete unter habsburgi C. W. Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Berlin 1781; vgl. Katz, Out of the Ghetto; P. Bernardini, La questione ebraica nel tardo Illuminismo tedesco. Studi intorno allo „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ di C. W. Dohm (1781), Firenze 1992, 59 – 69; Catalan, Juden und Judentum in Italien von 1848 bis 1918, 78; Bernardini und Lucci, The Jews, Instructions for Use, 89 – 138. R. Rürup, „Verso la modernità. L’esperienza ebraica in Europa dagli inizi dell’Emancipazione.“ In Toscano (Hg.), Integrazione e identità, 32– 48: 34. Kaufmann, The Jewish Fight for Emancipation in France and Germany, 83. In den hessischen Gebieten z. B., die als Teil des napoleonischen Reiches mit dem Großherzogtum Frankfurt und Königreich Westfalen anzuordnen waren, wurde der jüdischen Bevölkerung die rechtliche Gleichstellung gewährt; diese wurde allerdings nach 1815 wieder aufgehoben; vgl. J. F. Battenberg, „Der lange Weg zur Emanzipation der Juden in den hessischen Ländern.“ In Diekmann (Hg.), Das Emanzipationsedikt von 1812 in Preußen, 143 – 166. Ebd. Die von Kaiser Joseph II. geprägte Herrschaft, welche die Unterordnung sozialer, gesellschaftlicher Maßnahmen unter die Verwaltung Österreichs laut den Prinzipien des aufgeklärten Absolutismus bezeichnet.
1.1 Soziokulturelle und Gemeindeverhältnisse
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scher Herrschaft verbesserte soziale, gesetzliche und administrative Umstände zuteil. Sie gingen auf die Toleranzedikte²² 1781– 1782/1789 des Kaisers Joseph II. zurück.²³ Die jüdische Bevölkerung dieser Gebiete erlebte dann unter der französischen Herrschaft (1797– 1814), und zwar schon 1797 unter Napoleon, eine erste Emanzipation.²⁴ Eine stark zentralisierende Politik wurde weiter in den Territorien des lombardo-venetischen Königreiches mit strengen polizeilichen Kontrollen und unterdrückenden Zensurmaßnahmen von der habsburgischen Zentralregierung in Wien während der Zeit der Restauration dirigiert. In vielen Gemeinden bedeutete die habsburgische Restauration nach 1814 eine neue, aber doch restriktive Phase sowie wieder neue Rechtsmaßnahmen mit dem Codice Civile Austriaco (dem „österreichischen Zivilgesetz“), mit Bildungs- und Kultusnormen wie auch mit einer neuen Gestaltung des Gemeindelebens.²⁵ In Triest hatte sich die dort angesiedelte jüdische Bevölkerung unter den Habsburgern erheblichen Schutzes erfreut. Triest erwies sich in der Habsburgischen Monarchie als der einzige strategische Zugang zum Adriatischen Küstenland der Monarchie und wurde schon im 18. Jahrhundert zum Freihafen erklärt. Infolge der dort besonders intensiven wirtschaftlichen Verflechtungen und Handelsbeziehungen zwischen einigen jüdischen Familien Triests und Teilen des Mittelmeerraums war die Gemeinde aufgrund ihres bedeutenden kommerziellen Einflusses bei den Habsburgern sehr geachtet.²⁶ Während der Zeit der Restauration wurden aber für die Gemeinden unter der habsburgischen Herrschaft zusätzliche Einschränkungen eingeführt, die teilweise einige Freiheiten und Konzessionen der vorigen Toleranzedikte für nichtig erklärten.²⁷ So äußerte sich Rabbiner Lelio Della Torre 1862 in dem in Szegedin veröffentlichten Periodikum Ben Chananja über eine viel zu „precaire Gleichheit“ während der französichen Herrschaft sowie über die Auswirkungen der im Jahre 1815 eingeführten Maßnahmen:
Toleranz bedeutete nun nicht mehr nur die fiskalische Duldung einer religiösen Minderheit, sondern den Tausch umfassender bürgerlicher Rechte gegen eine spezifische Anpassungsleistung der jüdischen Bevölkerung jener Territorien. Vgl. hierzu Sadowski, Haskala und Lebenswelt, 13 – 14. 1785 wurden schon die Ghettomauern in Gemeinden wie Triest abgeschafft; vgl. Catalan, La comunità ebraica di Trieste, 22. Vgl. Di Porto, Gli ebrei d’Italia dai vecchi stati all’Unità, 11– 12. Catalan, La comunità ebraica di Trieste, 40. Ebd., 37. Ebd., 44; vgl. Camurani, La tradizione liberale degli Ebrei nel Risorgimento, 34– 35 und 42.
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
Die politischen Umwälzungen und die vorübergehende französische Herrschaft änderten sehr wenig an diesen Zuständen. Die Juden haben keine Zeit gehabt, von der precairen Gleichheit Nutzen zu ziehen. Vielleicht haben sie es verabsäumt; die Ereignisse hatten sie übereilt, denn auf eine so große und unerwartete Umformung waren sie nicht vorbereitet. Die bald eingetretene Restauration ,die nichts vergaß u. nichts lernte‘, u. nichts Angelegentlicheres kannte, als d. Staatsmaschine in d. alten Geleise wieder einzulegen, bannte fast überall die Juden nach ihren Ghetti zurück, jagte sie aus allen Amtsstuben, aus allen Schulen, aus den erworbenen Gütern; nur der Handel, der für den Haufen im Trödeln und Hausiren bestand, blieb ihnen offen.²⁸
1814, als König Viktor Emmanuel I. des Hauses Savoyen an die Macht zurückkehrte, wurden mit der Restauration die Regie Costituzioni („Königlichen Konstitutionen“) aus dem Jahre 1770 in Piemont wiedereingesetzt. Im selben Jahr kehrte auch die jüdische Bevölkerung von Piemont und Ligurien wieder hinter die Tore der Ghettos zurück, die bis 1848 geschlossen blieben. Hier wurde der jüdischen Bevölkerung der Zugang zu den Universitäten, der öffentlichen Karriere und dem Militärdienst verboten. Wiederum war der Militärdienst für die jüdische Bevölkerung Lombardo-Venetiens und im Herzogtum von Parma erlaubt.²⁹ Bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts gab es unter den Juden der italienischen Halbinsel solche, die infolge der neuen rechtlichen und politischen Maßnahmen nach dem Fall der Ghettomauern in vielen italienischen Kleinstaaten und Städten desorientiert reagierten. Immerhin hatte die Kehillá (jüdische Gemeinde) aufgehört, der Mittelpunkt des jüdischen Soziallebens zu sein. Einige aber nahmen die Veränderungen als positiv an und forderten, die italienischsprachigen Juden sollten entsprechend auch ihre soziale Attitüde und ihr öffentliches Verhalten neu ausrichten.³⁰ Dies erfolgte verstärkt, je mehr sie an bürgerlich-mittelständischem Profil gewannen. Andere hingegen nahmen die Veränderungen als einen Irrweg für das zeitgenössische Judentum wahr, der unmittelbar zu seiner Auflösung führen würde. Die Historikerin Francesca Sofia hat von einer „Neufassung“³¹ der eigenen Gemeindegrenzen für die italienisch-jüdische Bevölkerung in der Mitte des 19. Jahrhunderts gesprochen. 1847 veranschaulichte der jüdische Historiker, Arzt und Offizier Cesare Rovighi aus Modena im Periodikum Rivista Israelitica die raschen Veränderungen
Della Torre, Die jüdische Bildung in Italien im 18=ten Jahrhunderte, 270. Vgl. Fürst, Die bürgerliche Stellung. Am Beispiel wurde hier das Verwenden von hebräischen Ausdrücken an einem öffentlichen Ort als Schandtat und deshalb als sozial unpassend betrachtet. Vgl. A. Pesaro, „Discorso pronunciato da Abramo Pesaro alla società israelitica di lettura esistente in Ferrara“ Rivista Israelitica 1 (1845), 8: 559 – 570. Sofia, La nazione degli ebrei risorgimentali, 70.
1.1 Soziokulturelle und Gemeindeverhältnisse
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von Normen, Praktiken, Verhaltensweisen und Gesellschaftsrollen von Juden und ihres Status gegenüber der italienischen Mehrheitsgesellschaft, die innerhalb von zwei Jahren stattgefunden hatten.³² Rovighis Betonung der Veränderungen und zu erwartenden Verbesserungen des Status der Juden in manchen italienischen Gebieten erwies sich als im Einklang mit dem optimistischen Klima jener Jahre voll von Erwartung und Hoffnung des Risorgimento. Während der Ereignisse des Risorgimento zeichnete sich für die italienischen Juden wie für die jüdische Bevölkerung in den deutschsprachigen Territorien die Möglichkeit ab, eine eigene Rolle in der zeitgenössischen Gesellschaft zu ergreifen. Manche unter ihnen waren von der Hoffnung getragen, als neue zuverlässige Bürger und kühne Patrioten behandelt zu werden. Mit den revolutionären Ereignissen des Risorgimento erwies sich die Teilnahme an den jeweiligen Befreiungskriegen als große Chance, der italienischen Mehrheitsgesellschaft etwas Besonderes – und Offensichtliches – zu beweisen:³³ Auch Juden konnten Staatsbürger und Patrioten sein.³⁴ Sie konnten durch ihre aktive politische Beteiligung, ihre romantische Gesinnung gegenüber den Werten der Revolution und ihre Leistungsbereitschaft in einen Gemeinschaftsspielraum mit der italienischen Mehrheitsgesellschaft eintreten, in dem für einen neuen italienischen Bürger plädiert wurde, der gleichzeitig Agent und Resultat der nationalen Wiedergeburt zu verstehen war.³⁵ Die partizipative Reaktion auf die Umwälzungen stellte einen nachdrücklichen Beweis für die Solidarität mit dem Haus Savoyen von SardinienPiemont im Kampf gegen die Invasoren dar,³⁶ an dem Juden und Christen gemeinsam teilnahmen. Dieses Streben setzte ein weltliches Prinzip voraus, ein Prinzip, in dem sich sowohl die Juden als auch die Christen der italienischen Halbinsel wiederfinden konnten. Dies bedeutete, dass die Juden mit ihrem Blutzoll als cittadini in armi („Bürger mit Waffengewalt“),³⁷ als Helden mit ihren Zugehörigkeits- und patriotischen Gefühlen die Forderung wagen konnten, von der Mehrheitsgesellschaft gerechtfertigt und akzeptiert zu werden.³⁸
C. Rovighi, „Stato attuale degli Israeliti italiani“ Rivista Israelitica 1 (1847), 10: 652– 661. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 185 – 186; vgl. auch Catalan, Juden und Judentum in Italien von 1848 bis 1918, 78. Diese Haltung, unbedingt der Mehrheitsgesellschaft etwas beweisen zu wollen, wurde häufig in den Artikeln von Cesare Rovighi selbst thematisiert; vgl. die ersten Ausgaben der Rivista Israelitica. Vgl. Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915, 15. Vgl. R. Romani, Sensibilities of the Risorgimento. Reason and Passions in Political Thought, Leiden 2018, 2. Vgl. Catalan, Italienische Juden, 228. Vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 185 – 186. In dieser Zeit registrierte man eine besondere Aktualität des Themas Emanzipation sowohl auf jüdischer als auch auf christlicher Seite. Das starke Interesse christlicher Publizisten und Denker
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
Die Leistungsbereitschaft, die Anhänglichkeit und die Teilhabe der jüdischen Bevölkerung an der „italienischen Wiedergeburt“³⁹ kamen der italienischen Gesellschaft in jenen Jahren sehr entgegen. Die politische Sensibilisierung und die patriotischen Gefühle führten zu einer wachsenden ideologischen Gemeinschaft der christlichen und jüdischen Bevölkerung. In der Tat erkannte die christliche Bevölkerung in vielen Städten und Gebieten, dass die jüdische Bevölkerung während der Unruhen und der revolutionären Aufstände in den Jahren 1843 – 1845 und 1847/48 einen großen Beitrag geleistet hatte.⁴⁰ In Mailand hatte die provisorische Regierung 1848 mit einem Dekret der jüdischen Bevölkerung „die volle Ausübung aller bürgerlichen und politischen Rechte eingeräumt“.⁴¹ In Livorno hatte die Bevölkerung der Stadt bereits 1847 bei der Regierung eine Bittschrift eingereicht, um die bürgerliche und politische Emanzipation der Juden in der Toskana zu ersuchen.⁴² Was die Rechtslage der ansässigen jüdischen Bevölkerung anbelangt, scheint es aber angesichts der sich andauernd verändernden Verhältnisse nicht angemessen, von Kontinuität zu sprechen. Die Epoche der Restauration bis 1848 bedeutete für die jüdische Bevölkerung vieler italienischer Territorien partielle
an diesen emanzipatorischen Themen brachte viele Forscher/-innen italienisch-jüdischer Geschichte in den letzten Jahren zu der Schlussfolgerung, dass das italienische Judentum weder als Protagonist noch als Mitgestalter seiner eigenen Emanzipation angesehen werden könne, sondern vielmehr die Rolle eines Zuschauers gespielt habe. Viele in neuester Zeit verfasste Beiträge schätzen hingegen die Emanzipationszeit anders ein und bringen Beweise für die aktive Teilnahme und des aktiven Engagements der Juden an diesem Prozess und dessen Vollendung. Vgl. Luzzatto Voghera, Il prezzo dell’eguaglianza; Kaufmann, The Jewish Fight for Emancipation in France and Germany, 90; Sofia, La nazione degli ebrei risorgimentali, 63 – 75. Fürst, Italien, „italienische Grenze“, 21. April (24.06.1848), 204. Di Porto, Gli ebrei d’Italia dai vecchi stati all’Unità, 23. Die jüdische Bevölkerung nahm auch an den Umwälzungen und Verteidigungsmaßnahmen aktiv teil, die zur Repubblica Romana führten und die Flucht des Papstes aus Rom 1848 verursachten. Die jüdischen Untertanen des Kirchenstaats lebten in Städten wie Rom, Ferrara und Ancona in einem absolutistischen Diskriminierungs- und Segregationsregime. Im Kirchenstaat wurden der jüdischen Bevölkerung keinerlei Freiheiten und Rechte zugesichert. Sie lebte auf Dauer abhängig von der jeweiligen Gesinnung eines absolutistischen Herrschers. Diese mussten z. B. keiner Zwangspredigt mehr beiwohnen, und sich ab dem Jahre 1847 keiner Huldigungszeremonie mehr unterziehen. Mattioli, Die verweigerte Emanzipation, 231. J. Fürst, „Mailand 30. März“ Der Orient 9 (13.05.1848), 20: 160. „[…] so erklären wir hiermit als unsere aufrichtige Meinung, dass die Einführung einer solchen Maßregel ein Akt der Menschlichkeit und Gerechtigkeit wäre und nur zum Nutzen des Staats gereichen könnte […].“ J. Fürst, „Italien“ Der Orient 8 (01.10.1847), 40: 319.
1.1 Soziokulturelle und Gemeindeverhältnisse
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Fortschritte und leichte Verbesserungen, aber auch Rückschritte und Einschränkungen ihres rechtlichen, sozialen und beruflichen Status.⁴³ In den jüdischen Gemeinden Illyriens, ebenfalls Teil der Habsburgermonarchie, beteiligten sich viele junge jüdische Studenten und Intellektuelle freiwillig an den in Venedig und Görz stattfindenden Revolutionen von 1848, und viele unter ihnen meldeten sich als Freiwillige in den Kämpfen um die Republik Roms im selben Jahr.⁴⁴ Es handelte sich dabei insgesamt betrachtet um eine Minderheit, die im besonderen Fall Triests und seiner jüdischen Gemeinde einen Generationenbruch gegenüber den eigenen Eltern verkörperte. Diese junge jüdische Generation, die den romantischen progressiven politischen Idealen treu war, setzte sich einer älteren kosmopolitischen, intellektuellen wie auch kommerziellen jüdischen Elite Triests entgegen, die der Politik der Habsburger gegenüber loyal und dankbar eingestellt war und blieb.⁴⁵ So zeigten sich während des Risorgimento insbesondere in Triest sehr komplexe und nuancierte politische sowie soziale Verhältnisse der jüdischen Bevölkerung gegenüber der Habsburgermonarchie, was direkte Folgen auf das Gleichgewicht innerhalb der Gemeinde in dem langen Prozess der italienischen Identitätsbildung hatte.⁴⁶ Die Auseinandersetzungen der verschiedenen Strömungen im Judentum betrafen jedoch nicht nur die jüdische Gemeinde Triests. Unterschiedliche und parallel laufende Konflikte hatten unmittelbar vor und nach den politischen Umwälzungen von 1848/49 nicht nur sämtliche jüdischen Gemeinden Norditaliens, sondern auch solche in Mittelitalien gespalten. So hatte etwa laut einem deutsch-jüdischen Bericht von 1847 die von Papst Pius IX. ernannte Kommission, die zur bürgerlichen Verbesserung der Juden in Rom und deren Toleranzmaßnahmen zu beraten hatte, „eine Spaltung im Judenviertel hervorgerufen“.⁴⁷
Es wurden im lombardo-venetischen Königreich Einschränkungen in Bezug auf die Zulassung der Juden zu den öffentlichen Diensten und Einrichtungen. Es wurde auch eine Hochzeitserlaubnis für jüdische Untertanen wiedereingeführt. Allgemein aber zielten all diese Maßnahmen darauf ab, die Macht an die Verwaltung der Zentralregierung in Wien zu delegieren. Normen und Einschränkungen in Bezug auf den Immobilienbesitz, Gebühren, welche die jüdische Bevölkerung in den verschiedenen Staaten und Herzogtümern bezahlen musste, sowie ihre Zulassung zu unterschiedlichen Berufen und der öffentlichen Karriere waren während der Restauration sehr unterschiedlich. Vgl. Catalan, La comunità ebraica di Trieste, 81– 83; Camurani, La tradizione liberale degli Ebrei nel Risorgimento, 33 – 34. Catalan, Ebrei triestini fra ribellione e lealismo all’Austria nel 1848 – 1849, 234. Ebd., 237. Vgl. Catalan, Massoneria ebraismo irredentismo, 205. „Italien“ Der Orient 8 (18.06.1847), 25: 200. Die Redaktion des deutsch-jüdischen Periodikums Der Orient veröffentlichte in jenen Jahren ein Sonett in Form eines Dialogs zwischen zwei römi-
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
In Bezug auf die italienischen Gebiete lässt sich im Laufe des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen eine räumliche und zugleich kulturelle Nähe zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung feststellen. Die jüdische Bevölkerung war in vielen norditalienischen Städten wie Vercelli, Mantua, Verona, Venedig und Triest kulturell, sozialwirtschaftlich und bürokratisch in die Mehrheitsgesellschaft besonders gut integriert. Genauer betrachtet war die Nähe italienischer Juden zur Mehrheitsbevölkerung von einer stark ausgeprägten kulturellen und ideologischen Durchdringung gekennzeichnet. Diese Durchdringung, die sich – durch Einflüsse seitens der christlichen Kultur sowie durch ästhetische und weltanschauliche Elemente, die als charakteristisch für ein striktes italienisches Wahrnehmungsvermögen angesehen wurden – in eminent jüdischen Lebensbereichen offenbarte, war in vielen italienisch-jüdischen Gemeinden keine Ausnahme.⁴⁸ Die Annäherung an die christliche Mehrheitskultur fand im Alltag statt: durch das Teilen von Sitten, Gebräuchen und Arbeitsräumen. Momente des Zusammenlebens zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung waren eine eigene, praktische Realität, auch ganz unabhängig von der Verfassung des jeweiligen Staates, Herzogtums oder der betreffenden Stadt. Im deutschsprachigen Raum war diese Durchdringung nicht so stark wie in manchen italienischen Territorien. Während sich aber in den deutschen Staaten der Einfluss der protestantischen Kultur trotz der territorialen Zersplitterung als ziemlich gleichförmig herauskristallisierte, gab es auf der italienischen Halbinsel in Nord- und Mittelitalien – im Zentrum und in den Peripherien ein und derselben katholischen Kirche – jeweils unterschiedliche ideologische, politische, soziale und kulturelle Auswirkungen auf viele jüdische Lebensbereiche. Dieser besondere christlich-jüdische gesellschaftliche Zusammenhang war eine Realität, bezogen nicht auf die Gesamtheit des italienischen Judentums, sondern auf die Gemeinden in Piemont, im lombardo-venetischen Königreich und im Großherzogtums der Toskana, im Herzogtums von Parma – vor allem Triest⁴⁹, Görz oder Livorno, die noch vor den Emanzipationsgesetzen anerkannt waren. Auf der anderen Seite lebten Juden des Kirchenstaats,⁵⁰ Sardiniens und des
schen Juden, das sich etwa kritisch gegenüber dem neuen Papst zeigte: J. Fürst, „Italien. Leipzig, 15. Aug.“ Der Orient 8 (03.09.1847), 36: 288. Vgl. Catalan, La comunità ebraica di Trieste, 112– 114 zur Praxis der Beerdigungen in der Triester Gemeinde; vgl. Calimani, Storia degli ebrei italiani, Bd. 3, 39 und 58 – 59. Vgl. J. Fürst, „Triest“ Der Orient 11 (28.09.1850), 39: 155. Vgl. J. Fürst, „Ancona“ Der Orient 11 (28.09.1850), 39: 156.
1.2 Sprach- und Bildungsverhältnisse
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Hauses DʼEste noch unter erheblicher Diskriminierung, die in manchen Fällen u. a. im Ghetto von Rom bis 1870 fortbestand.⁵¹
1.2 Sprach- und Bildungsverhältnisse Mit Blick auf Italien allgemein ging es um eine italienischsprachige jüdische Bevölkerung, die schon lange Italienisch als Kommunikationssprache und Schriftsprache beherrschte. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts wurde Italienisch in manchen nördlichen Regionen mit dem Ausdruck Goiatico (abgeleitet von Goi, d. h. nichtjüdisch) bezeichnet.⁵² Diese Bezeichnung hatte aber keine negative Konnotation. Juden der italienischen Halbinsel beherrschten eine zum Teil vom Hebräischen und Italienischen hergeleitete Mischsprache: das giudeo italiano, eine Sprache, die auch über regionale Varianten verfügte und Elemente aus den Dialekten des jeweiligen Territoriums enthielt. Die Nutzung des Italienischen als Alltagssprache und in der schriftlichen Kommunikation (z. B. im Briefwechsel) hatte ihre Ursprünge bereits im 17. Jahrhundert. Dies betraf gelehrte Rabbiner und jüdische Intellektuelle, auch wenn sie untereinander weiter auf Hebräisch kommunizierten.⁵³ Dagegen war die Aneignung der Sprache der Mehrheitsbevölkerung im Fall des deutschen Judentums in den vorigen Jahrhunderten ein etwas längerer Prozess gewesen.⁵⁴ Für die deutsch-jüdische Bevölkerung bedeutete dies den Übergang vom Jiddischen als Schrift- und Alltagssprache zum Deutschen,⁵⁵ der in
Vgl. über die Erniedrigungspraktiken während des Karnevals in Rom: J. Fürst, „Italien. Rom, Ende Februar“ Der Orient 5, (19.03.1844), 12: 89 – 90; vgl. auch: J. Fürst, „Italien. Rom, 21. April“ Der Orient 9 (20.05.1848), 21: 167. Hierin macht der Autor auf das Benehmen katholischer Priester im Kirchenstaat aufmerksam, die die Bevölkerung Roms gegen Juden aufhetzten, indem sie von „unwahrscheinlichen Angriffen auf Geistliche“ erzählten. Vgl. Della Torre, Die jüdische Bildung in Italien im 18=ten Jahrhunderte, 269. Vgl. R. Bonfil, „Changing Mentalities of Italian Jews between the Periods of the Renaissance and the Baroque.“ In ders. (Hg.), Cultural Change among the Jews of Early Modern Italy, Burlington u. a. 2010, 61– 79: 64– 65. Der piemontesische Gelehrte und Rabbiner Lelio Della Torre bestätigte dieses Phänomen in einem Artikel in dem deutschsprachigen Wochenblatt Ben Chananja 1862 noch deutlicher: „Die italienischen Juden haben von jeher Italienisch gesprochen, geschrieben, gepredigt und gelehrt.“ Della Torre, Die jüdische Bildung in Italien im 18=ten Jahrhunderte, 269. D. Sorkin, „Riforme religiose e tendenze secolari nella vita degli ebrei tedeschi. Un programma di ricerca.“ In Toscano (Hg.), Integrazione e identità, 133 – 151: 146 – 147. Ebd., 146. Vgl. auch J. Ehrenfreund, „Citizenship and Acculturation. Some Reflections on German Jews during the Second Empire and French Jews during the Third Republic.“ In Brenner, Caron und Kaufmann (Hg.), Jewish Emancipation Reconsidered, 155 – 167.
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
mehreren Phasen über mehrere Generationen erfolgte.⁵⁶ Die Beherrschung der deutschen Sprache erwies sich damals als notwendig für den Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und professioneller Weiterentwicklung in der deutschen bürgerlichen Gesellschaft. Es handelte sich um eine heterogene jüdische Minderheit, die sich damals durch ihre Erziehung und ihr Studium an deutschen Universitäten darum bemühte, den Nachweis für ihre Bildungsmobilisierung, ihr neues Bildungsbewusstsein und vor allem ihr Deutschtum zu führen. Hier war – wie in den italienischen Territorien nach der deutschen Nationalstaatsbildung – von einer jüdischen Minderheit die Rede, die ihre kollektive Anpassung an die neue deutsche Bildungsrhetorik beweisen wollte.⁵⁷ Für das deutschsprachige Judentum erwiesen sich Kultur und Bildung als zentrale Voraussetzungen der Zugehörigkeit zur deutschen Nation, zumal das Deutschtum breit akzeptierte und uniformierte kulturelle Maßstäbe setzte, auf die es sich berief.⁵⁸ In Bezug auf Bildungsverhältnisse verzeichnete man sowohl auf deutsch-jüdischer als auch auf italienisch-jüdischer Seite ein besonders hohes Niveau sowohl bei Männern als auch bei Frauen, und dies vor allem im Vergleich zur nichtjüdischen Bevölkerung.⁵⁹ Dass auch Programmen außerhalb des traditionellen jüdischen Erziehungswesens in den sogenannten Chadarim große Bedeutung eingeräumt wurde, bewiesen die bereits Ende des 18. Jahrhunderts zahlreichen pädagogischen Projekte der deutschen Maskilim und zuallererst die 1778 in Berlin gegründete Jüdische Freischule.⁶⁰ Weiterhin maß man Anfang des 19. Jahrhunderts der Erziehung sowie dem religiösen und profanen Unterricht der Kinder (für Knaben wie Mädchen) in beiden Ländern große Bedeutung bei.⁶¹ Neue Vorstellungen von der Erziehung der jüdischen Kinder und Jugendlichen traten neben Elemente des allgemeinen pädagogischen Diskurses, und teilweise wurden
Sorkin, Riforme religiose e tendenze secolari nella vita degli ebrei tedeschi, 146. S. Cresti, „Kultur and Civilisation after the Franco-Prussian War. A Debate between German and French Jews.“ In Brenner, Caron und Kaufmann (Hg.), Jewish Emancipation Reconsidered, 93 – 109: 96. Ebd., 96 – 98. Vgl. Bettin, Italian Jews from Emancipation to the Racial Laws, 17– 18. R.Wenzel, „Judentum und ‚bürgerliche Religion‘. Religion, Geschichte, Politik und Pädagogik in Herz Hombergs Lehrbüchern.“ In B. Behm, U. Lohmann und I. Lohmann (Hg.), Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. Jahrhundert und frühen 19. Jahrhundert. Bd. 5, Münster/New York/München/Berlin 2002, 335 – 357: 335; vgl. Sadowski, Haskala und Lebenswelt, 15. Vgl. Bettin, Italian Jews from Emancipation to the Racial Laws, 17– 18. vgl. Catalan, Juden und Judentum in Italien von 1848 bis 1918, 78; L. Novelli-Glaab, „Zwischen Tradition und Moderne. Jüdinnen in Italien um 1900.“ In ders. und Jäger (Hg.), „… denn in Italien haben sich die Dinge anders abgespielt“, 107– 128; Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 89.
1.2 Sprach- und Bildungsverhältnisse
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die von Maskilim entworfenen Programme mit Reformen des traditionellen Erziehungswesens vermischt. Religionsschulen, Jugendanstalten und Berufsschulen wurden schon seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in norditalienischen Territorien errichtet.⁶² Parallel dazu besuchten die jüdischen Jugendlichen neben jüdischen Religionsschulen auch die allgemeinen Elementarschulen, Gymnasien und Realinstitute.⁶³ Bemittelte jüdische Familien schickten ihre Kinder in christliche Schulen oder ließen vom Hauspersonal (u. a. von Hauslehrern) den Unterricht gestalten. Erst später durften die Knaben die TalmudThora-Schule besuchen, während Mädchen in eigenen Schulen unterschiedliche „Frauenarbeiten“ beigebracht wurden.⁶⁴ Mit Blick auf die Erziehungsprogramme in den Talmud-Thora-Schulen erhielten Knaben neben den traditionellen Stunden zu den jüdischen Schriften und den biblischen Kommentaren auch Mathematik- und Italienischunterricht.⁶⁵ Auch der Beteiligung und dem Bildungsauftrag der Familie sowie der Rolle der Frau kam dank zahlreicher Artikel in der jüdischen Presse besondere Bedeutung zu. Schon etwas früher hatte es ein besonderes Bedürfnis gegeben, einen systematischen Unterricht der jüdischen Religion zu entwickeln. Zu diesem Zweck waren Handbücher und jüdische Katechismen in italienischer Sprache veröffentlicht worden. Der Rabbiner von Venedig, Simon Ben Abraham Calimani (?–1784)⁶⁶ hatte bereits Ende des 18. Jahrhunderts eine Art Katechismus unter dem Titel Esame ad un giovane ebreo istruito nella sua religione in Venedig drucken lassen.⁶⁷ Auch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden neben italienischen Übersetzungen des 1837 veröffentlichten Werks Bne-Zion des deutschen Maskils und Schülers Mendelssohns Naphtali Herz Homberg⁶⁸ auch Katechismen vor al Calimani, Storia degli ebrei italiani, Bd. 3, 47– 48. Israelitische Gymnasien wurden in vielen Gemeinden Piemonts gegründet, wie das renommierte Collegio Foa (1829) in Vercelli; vgl. auch Megas, „Licht und Schattenbilder aus der jüdischen Geschichte der Gegenwart. Jüdische Zustände in Italien. (Fortsetzung)“ Der Orient 2 (31.07.1841), 31: 215 – 216. M. Errera, „Statistische Notizen über die Israeliten des lombardisch-venezianischen Königreichs. Von Dr. Moses Errera zu Venedig“ Kalender und Jahrbuch für Israeliten (1855 – 1856), 226 – 236: 227– 228. Vgl. Bettin, Italian Jews from Emancipation to the Racial Laws, 18. Ebd., 18. Vgl. M. Mortara, Indice alfabetico dei rabbini e scrittori israeliti di cose giudaiche in Italia, Padova 1886, 9. S. Calimani, Esame ad un giovane ebreo istruito nella sua religione, composto da Simone Calimani Rabbino veneto, Venezia 1786. Der Maskil, Pädagoge und Aufklärer Herz Homberg (1749 – 1841) veröffentlichte den Bne-Zion. Ein religiös-moralisches Lehrbuch für die Jugend israelitischer Nation in Wien im Jahre 1812. Er wurde zum Protagonisten innerjüdischer Modernisierung in Sachen Bildung im Dienste des Habsburgerreiches. Vgl. Sadowski, Haskala und Lebenswelt, 16.
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
lem in nordöstlichen Gebieten veröffentlicht.⁶⁹ Über diesen publizistischen Trend berichtete in den 1840er-Jahren auch die deutsch-jüdische Presse.⁷⁰ So warben einige Jahre später die ersten jüdischen Periodika in italienischer Sprache – z. B. die ersten Nummern der Monatsschrift aus Vercelli, des Educatore Israelita der piemontesischen Herausgeber und Rabbiner Giuseppe Levi und Esdra Pontremoli – für religiöse, moralische und historische Kompendien auf Italienisch und Grammatikbücher der hebräischen Sprache.⁷¹ Dies bestätigt, dass in jenen Jahren mithilfe der italienisch-jüdischen Periodika die Werte der jüdischen Erziehung und Bildung wie bereits einige Jahre zuvor in den deutschen Territorien eine Schlüsselfunktion übernahmen und sich als wichtiger Maßstab für die Ausformung einer neuen jüdischen Identität in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwiesen.
1.3 Italien – Land der Apathie, der Gleichgültigkeit und der Phantasie Das Interesse an den Kulturzuständen in den jüdischen Gemeinden in den Nachbarländern oder sogar in Amerika, Afrika und Asien sowie an Einblicken in die jüdisch-literarische Produktion unterschiedlicher Länder erlebte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts einen erheblichen Aufschwung.⁷² Dies verband sich einerseits mit dem Bedürfnis, die Geschichte der Juden in der Diaspora präziser darzustellen, andererseits mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Forschung und dem Verständnis der eigenen Vergangenheit aus deutscher Perspektive. Berichte und Darstellungen, die der deutsch-jüdischen Leserschaft mit Blick auf das italienische Judentum und seine kulturelle Wirklichkeit das Bild
Vgl. G. Luzzatto Voghera, „I catechismi ebraici tra Sette e Ottocento.“ In G. Filoramo (Hg.), Ebraismo, Bd. 2, Le religioni e il mondo moderno, Torino 2008, 437– 455: 442. Dieser Katechismus wurde auch auf deutsch-jüdischer Seite im Periodikum von Jost wahrgenommen. Anonymus, „Zustände in Italien, insbesondere die Jugenderziehung. (Schluß)“ Israelitische Annalen 2 (25.09.1840), 39: 326 – 327. G. Levi, E. Pontremoli, „Corso di letture, parte religiosa, istruzione catechistica pei fanciulli, Nobiltà dell’Uomo“ Educatore Israelita 1 (1853): 65 – 68, 97– 100; S. D. Luzzatto, „Breve prospetto della Legislazione Mosaica“ Ebd. 1 (1853): 68 – 74, 104– 106, 229 – 232, 291– 295, 321– 324; M. Mortara, „La Religione Israelitica compendiosamente esposta, giusta i suoi dogmi, le sue basi storiche, ed i suoi precetti, ad uso dell’istruzione domestica e delle Scuole di Marco Mortara, Rabbino Maggiore degli Israeliti di Mantova“ Ebd., 88 – 89. Vgl. die Nummern des Periodikums Der Orient des Herausgebers Fürst, das 1840 bis 1851 herausgegeben wurde, und regelmäßige Berichte, kurze Mitteilungen aus den jüdischen Gemeinden weltweit enthielt.
1.3 Italien – Land der Apathie, der Gleichgültigkeit und der Phantasie
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einer zurückgebliebenen, von Apathie geprägten Gemeinschaft vor Augen führten, waren schon in der ersten deutschsprachigen jüdischen Zeitschrift Sulamith zu finden. In diesem Periodikum des Herausgebers David Fränkel berichtete ein italienischer Gelehrter und Schriftsteller, dessen Name unbekannt blieb, über die wissenschaftliche, literarische und künstlerische Produktion auf der italienischen Halbinsel.⁷³ In den nachfolgenden Jahren vermehrten sich die Beiträge zu den italienischen Zuständen und dem Stand der jüdischen Wissensproduktion. Die Vorstellung, die man gewöhnlich in Deutschland von den Israeliten Italiens hat, besteht in einem mitleidigen Blicke auf die israelitischen Bewohner dieses Citronenlandes, die man in Bezug auf sociale Bildung um Jahrhunderte zurück glaubt. Bei näherer Betrachtung, die aus persönlichem Verkehr erwächst, erweist sich indessen diese Vorstellung als durchaus falsch. Das Verhältnis ist vielmehr folgendes: Wissenschaftlich und in Bezug auf kirchliche Institutionen geschieht freilich nichts im Sinne des Fortschrittes, und ich staunte nicht wenig, als ich bei meiner Ankunft dahier auf meine Frage nach der italienisch-israelitischen Literatur von unterrichteten Männern auf die Bibel und den Talmud verwiesen wurde […].⁷⁴ 25. Febr. Wenn wir an die Juden Italiens denken, so beschleicht uns gewöhnlich eine tiefe Wehmuth; es stehen in der Regel alle trostlosen Zustände vor unsrer Seele, die nur existieren können. Wir vergegenwärtigen uns zuförderst den heruntergekommenen Italiener im Allgemeinen, schließen von seiner gänzlichen Apathie und Teilnahmslosigkeit an der fortschreitenden Kultur des Welttheils auf die italienischen Juden und erwägen daneben, wie unleidlich und fanatisch und bigott Italien sich gegen jedes dissentierende Glaubenserkenntnis beträgt, so daß wir denn allerdings auch für Juden, Judenthum und seine Ausbildung nicht viel hoffen. Mit einem Worte, wir denken uns Italien um ein Jahrhundert zurück, und folglich die Juden dieses Landes noch weit hinter der christlichen Bevölkerung desselben. Und man hat dabei nicht Unrecht. Das Anathema, was vor und seit Jahrhunderten auf alle jüdische Verhältnisse geschleudert worden ist, lastet noch heute wie ein Herz und Leben verengender Alp auf diesem Stamme; da ist von keiner Literatur, von keinem wissenschaftlichen Fortschritte im Allgemeinen die Rede, kein Organ belebt die Interessen, gibt dem Gefühle Namen, dem Streben Raum, der Wißbegier Befriedigung⁷⁵
Die erste dieser Beschreibungen wurde von Isaak Markus Jost (1793 – 1860) im März 1839 in seiner Zeitschrift Israelitische Annalen und die zweite von dem Publizisten Julius Fürst (1805 – 1873) in der Zeitschrift Der Orient im Jahre 1841 ver-
Anonymus, „Schreiben aus Triest, an den Herausgeber dieser Zeitschrift, den Kulturzustand der Israeliten in Italien betreffend“ Sulamith 7 (1825 – 1833), 1: 338 – 343. I. M. Jost, „Italien, Triest, am 14. Febr.“ Israelitische Annalen 1 (08.03.1839), 10, 79 – 80: 79. Die kurzlebige Zeitschrift Israelitische Annalen des Herausgebers und Historikers Jost, die von 1839 bis 1841 veröffentlicht wurde, informierte regelmäßig ihre Leserschaft über die Lage der italienischen Juden. Besondere Aufmerksamkeit wurde den Gemeinden unter der Habsburgischen Monarchie gewidmet. Es handelte sich um Nachrichten und Korrespondenzen, für deren Glaubwürdigkeit und Wahrheitsgehalt von einheimischen Verfassern, u. a. Rabbinern, gebürgt wurde. J. Fürst, „Italien, ‚Italienische Grenze‘, 25. Febr.“ Der Orient 2 (13.03.1841), 11: 82– 83.
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
öffentlicht. Hierbei handelt es sich nur um zwei von vielen Beispielen für Berichte jüdischer Gelehrter über die italienisch-jüdischen Verhältnisse in der deutschjüdischen Presse. Diese Beschreibungen bestätigen – zusammen mit anderen Memoiren, Pressemitteilungen sowie historischen Artikeln und Kurzgeschichten – das Vorherrschen bestimmter Vorstellungen auf der deutsch-jüdischen Seite gegenüber der italienisch-jüdischen Gemeinschaft. Ähnliche oft vorkommende Motive in diesen Zeitschriften waren die Apathie der italienischen Juden und ihre ausgeprägte Indifferenz, die zu keinerlei Bildungs- und Reformbestrebungen führte, das Motiv der Rückständigkeit, jenes des positiven Einflusses der deutschen Kultur und Wissenschaft sowie die Behauptung der Abhängigkeit vom Katholizismus. Mitte der 1830er- und 40er-Jahre berichteten zahlreiche Artikel der deutschjüdischen Presse, die italienischen Gemeinden litten unter Apathie und Unlust sowie unter einer sehr bedenklichen Gleichgültigkeit gegenüber der jüdischen Literatur, der jüdischen Geschichte und Geschichtsforschung sowie unter einem verbreiteten Desinteresse gegenüber jeglichem jüdischen Fortschritt in der Wissenschaft.⁷⁶ Die Worte des Rabbiners und Publizisten Ludwig Philippson über die italienisch-jüdischen Zustände im Jahr 1841 sind ebenfalls besonders aussagekräftig: „Ruhig, fast öde ist es in Italien in Betreff unsrer Glaubensgenossen; die Verhältnisse werden, wie sie einmal durch Zeit und Laune geordnet sind, festgehalten; eine Aenderung, eine Erhebung wird nirgends verspürt.“⁷⁷ Die Anzahl solcher Beispiele ist erstaunlich, vor allem in den sogenannten emanzipatorisch-wissenschaftlichen Zeitschriften.⁷⁸ In diesem Zusammenhang stellten Periodika wie die Israelitischen Annalen und Der Orient. Berichte, Studien und Kritiken für jüdische Geschichte und Literatur besonders beliebte Plattformen dar. Diese Zeitschriften, die wissenschaftliche Inhalte mit Reformdebatten sowie mit der politisch-sozialen Berichterstattung verbanden,⁷⁹ boten ihrer Leserschaft Nachrichten und pointierte gesellschaftspolitische Artikel über die italienischjüdische Bevölkerung an. Die Kolumnen der Periodika jener Zeit trugen Titel wie „Italienische Grenze“⁸⁰ oder „Licht und Schattenbilder aus der jüdischen Ge-
Vgl. ebd., 82– 83; und ders., „Italienische Grenze“, Jugenderziehung daselbst, 25. Febr. (Forts.).“ Ebd. 2 (24.04.1841) 17: 132– 133: 133. L. Philippson, „Rückblick auf das Jahr 1841 von Dr. Ludwig Philippson in Magdeburg“ Kalender und Jahrbuch für Israeliten (1842– 1843), 5 – 54: 45. Vgl. von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 53. Ebd., 61. Fürst, Italien, „Italienische Grenze“, 25. Febr., 82– 83; und ders., „,Italienische Grenze‘, 25. Febr. (Forts.)“ Der Orient (20.03.1841), 12: 92– 93; ders., Italien, „Italienische Grenze“ (24.04. 1841), 17: 132– 133; ders., „,Italienische Grenze‘, Juden daselbst“ Ebd. 2, (01.05.1841), 18: 140 – 141.
1.3 Italien – Land der Apathie, der Gleichgültigkeit und der Phantasie
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schichte der Gegenwart“⁸¹ und wiesen auf die Abwesenheit jeglicher wissenschaftlicher Initiativen im italienischen Judentum hin. Innerhalb kurzer Zeit vermehrten sich in der jüdischen Presse in den 1840er-Jahren Aussagen über die jüdischen Lebensumstände in den italienischen Territorien und deren „Leerheit, Schlaffheit und Oede“⁸² sowie „deren bedingte Schlaffheit und Sorglosigkeit in religiösen Dingen.“⁸³ Ganz allgemein wurden Vorbehalte sowie Zweifel über die Regenerationsmöglichkeiten der Juden der italienischen Gebiete laut. In dem oben erwähnten Artikel berichtet Jost, dass er sich durch eine Italienreise persönlich über die Lebensumstände der italienischen Juden habe vergewissern wollen.⁸⁴ Sein Bericht zeichnet ein sehr anschauliches Bild von der Lethargie, Teilnahmslosigkeit und Apathie der italienischen Gemeinden. Die Juden Italiens, so Jost, zeichneten sich durch einen ungeheuren Kontrast zwischen Lethargie einerseits und der Lebhaftigkeit des italienischen Charakters und einem empfänglichen Gemüt andererseits aus, und es sei nur zu hoffen, dass letztere Eigenschaften sie aus dem Zustand der Apathie erwachen lassen könnten.⁸⁵ Im Hinblick auf das italienischsprachige Judentum wurden die fehlenden Reformund Bildungsbestrebungen kritisch mit den dort herrschenden archaischen pädagogischen Erziehungsmethoden⁸⁶ sowie der Gleichförmigkeit und Unempfindlichkeit im jüdischen Gottesdienst⁸⁷ in Zusammenhang gebracht. Immer wieder wurden trostlose Zustände im Bereich der Jugenderziehung und ein verbreitetes Desinteresse gegenüber der Verbesserung des Schul- und Unterrichtswesens⁸⁸ konstatiert. Insbesondere wurde die Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit beim Verfassen von Lehrtexten, wie z. B. Katechismen, Religionsbüchern und Grammatikbüchern, sowie das Fehlen einer systematischen
Megas, Licht und Schattenbilder aus der jüdischen Geschichte der Gegenwart (31.07.1841), 215 – 216. Fürst, „Italienische Grenze“, 25. Febr. (20.03.1841), 93. Jost, Italien. Triest, 80. Ebd., 79 – 80. Ebd., 79. Die italienisch-jüdischen Anstalten, der Schulunterricht, die Lehrpläne sowie die Zustände des Bildungswesens und der Erziehung allgemein wurden seitens der deutsch-jüdischen Presse seit den 1830er-Jahren vielfach thematisiert und meist kritisch bewertet. Grenzlinien zwischen einer deutschen aufblühenden Kultur und einer italienischen angeblich dekadenten Kultur mit veralteten Bildungskonzeptionen wurden in der deutsch-jüdischen Publizistik deutlich gezogen.; vgl. Fürst, „Italienische Grenze“ (13.03.1841), 11, 82– 83; und 2 (24.04.1841), 17, 132– 133: 133. Ebd., 132– 133. Anonymus, „Zustände in Italien, insbesondere die Jugenderziehung“ Israelitische Annalen 2 (18.09.1840), 38: 317– 318; Fürst, „Italienische Grenze“ (20.03.1841), 93; und 2 (24.04.1841).
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
Herangehensweise im Religionsunterricht beklagt.⁸⁹ Diese Aussagen ließen einen unbarmherzigen Vergleich mit den vergangenen Zeiten, z. B. der Epoche der Renaissance, und mit dem geistigen jüdischen Leben von früher erkennen.⁹⁰ „Die Typen sind verloren, der religiöse Sinn ebenfalls, und mit diesem die Gewissenhaftigkeit und Ausdauer in den Arbeiten.“⁹¹ Jost verweist in seinem Artikel auf das vermeintlich fehlende Engagement und die angeblich mangelnde Tatkraft der italienischen Juden sowie den fehlenden literarischen Schwung bei der literarischen Produktion.⁹² Die Berichte erwähnen zudem den negativen Einfluss von Konflikten innerhalb der Gemeinden sowie einen verbreiteten Individualismus: „Ohnehin ist der Gemeingeist, welcher früherhin so viel großartige Anstalten schuf und der durch seine innere moralische Kraft heilsam wirkte, fast gänzlich erstorben, und die meisten Gemeinden sind in sich selbst zerrüttet und in Partheien gespalten.“⁹³ Der Publizist Julius Fürst aus Leipzig verwies vor allem auf die Rolle der italienischen Rabbiner, die er mit fehlendem Unternehmungsgeist und mangelnder Eigeninitiative charakterisierte: „Leider sind die Rabbiner zur Zeit nicht die Männer, von denen die Reorganisation der Gemeinden befördert werden könnte, wenn wir auch unter den obwaltenden Umständen und bei der wirklichen Zerstreuung und Hirtenlosigkeit der gesamten israel. Bevölkerung Italiens an die Möglichkeit einer Umgestaltung und Erneuerung glauben wollten.“⁹⁴ Auseinandersetzungen und Polemiken wurden in den jüdischen Presseorganen systematisch hervorgehoben. Anfang der 1840er-Jahre erschien im Zusammenhang mit dem Konkurrenzkampf zwischen dem Publizisten Fürst und dem Herausgeber Jost eine Reihe von Artikeln, die sich hinsichtlich der Themen, der Argumentationen sowie der Kritiken jedoch nur leicht voneinander unterschieden und wiederkehrende Charakteristika der italienischsprachigen Juden vorstellten. Je mehr in den reformorientierten jüdischen Blättern die Rückständigkeit der italienischen Juden in den Vordergrund gestellt wurde, desto entscheidender und beachtlicher erschien der Fortschritt auf deutscher Seite.⁹⁵ In den Artikeln des Orient machte Fürst im Hinblick auf das italienische Judentum wiederholt auf die Entbehrung aller Philosophie, jeglichen Fortschrittes und aller Wissenschaftlichkeit nach deutschem Sinne aufmerksam. Dagegen wurde ein
Fürst, „Italienische Grenze“ (20.03.1841), 93. Anonymus, Zustände in Italien, insbesondere die Jugenderziehung (18.09.1840), 317– 318. Ebd., 318. Jost, Italien, Triest, am 14. Febr. (08.03.1839), 79. Anonymus, Zustände in Italien, insbesondere die Jugenderziehung (18.09.1840), 317– 318. Fürst, „Italienische Grenze“ (01.05.1841), 140. Ebd. Jost, Italien. Triest, am 14. Febr. (08.03.1839).
1.3 Italien – Land der Apathie, der Gleichgültigkeit und der Phantasie
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„freisinniger“ praktischer Sinn des Lebens festgestellt.⁹⁶ Was in den Vordergrund trat, war ein besonderes deutsch-jüdisches Gefühl des Stolzes auf die „germanische Kultur“, die in vielen Beiträgen der deutsch-jüdischen Presse Anfang der 1840er-Jahre als Unterscheidungsmerkmal benannt wurde. Je mehr die „germanische Bildung“ hervorgehoben wurde,⁹⁷ desto eher wurden die Rückstände und das Fehlen des wissenschaftlichen Strebens in anderen Kulturen kritisch wahrgenommen. Neben den Beiträgen in den Israelitischen Annalen waren auch diejenigen der Zeitschrift Der Orient paradigmatisch für eine solche Haltung: „Es ist von keiner Literatur, von keinem wissenschaftlichen Fortschritte im Allgemeinen die Rede.“⁹⁸ Fürst beschäftigte sich in verschiedenen Artikeln über die Städte und staatlichen Gebiete der italienischen Halbinsel intensiv mit ähnlichen Themen und Argumenten, wie sie in den Israelitischen Annalen in derselben Zeitspanne 1839 – 1841 zu finden waren. Er begründete dies u. a. mit der folgenden Aussage: „[…] um die Kraft des modernen Geistes der deutschen Juden in seinem Einflusse auf Nachbarländer nachzuweisen.“⁹⁹ Der Publizist des Orient wünschte sich, dass die italienisch-jüdischen Gemeinden „in den geborgten Strahlen der germanischen Bildung“¹⁰⁰ und „den Strudel der germanischen Geistesbewegung“ hineingezogen würden.¹⁰¹ Hier wurde an erster Stelle die Kultur der Germanen derjenigen der Römer gegenübergestellt. Außerdem wurde auf eine Zeit hingewiesen, in der das italienischsprachige Judentum glorreiche Resultate in der Wissenschaft und Literatur erreicht hatte.Von dieser vergangenen Fortschrittlichkeit sei allerdings, so Fürst, nicht viel übrig geblieben. Die italienisch-jüdische Kultur sei überholt, schlaff und lahm geworden. Die „germanische Zivilisation und Geistesbewegung“¹⁰² hätten sich als die Einzigen erwiesen, die einen bedeutenden Einfluss auf die Nachbarländer ausüben könnten. Das deutschsprachige Judentum präsentierte sich somit als Vorbild von Fortschritt und Zivilisation für die ganze jüdische Welt. Die Juden der italienischen Halbinsel hingegen seien darauf angewiesen, von der Kultur der „Germanen“ und der deutsch-jüdischen Geistes-
Fürst, „Italienische Grenze“ (01.05.1841), 140. J. Fürst, „Italien, Triest“ Der Orient 1 (11.01.1840), 2: 11– 13: 11. Ders., Italien, „Italienische Grenze“, 25. Febr. (13.03.1841), 83. Fürst beabsichtigte, seinen Lesern einige Erläuterungen und Kommentare anzubieten, die oft die Artikel der Israelitischen Annalen ergänzen oder sich von diesen bewusst unterscheiden und distanzieren sollten. Das zeigt sich z. B. in dem Artikel mit dem Titel „Triest“, in dem die Prämissen über die trostlosen italienisch-jüdischen Verhältnisse wieder erkennbar waren. Ebd., 11. Ebd., 11. Ebd. Ebd.
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
bewegung zu profitieren. In dieser Hinsicht beanspruchte das deutschsprachige Judentum eine klare kulturelle und intellektuelle Machtposition. In dem Beitrag im Orient aus dem Jahr 1840 über die Gemeinde von Triest etwa lag der Akzent ganz auf den wohlwollenden Dekreten und der Bildungspolitik der kaiserlichen Regierung für die jüdischen Einwohner Triests. Diese schienen die Ersten gewesen zu sein, die die pädagogischen Methoden von Naphtali Hartwig Wessely mit großem Anklang annahmen.¹⁰³ Einzig Luzzatto als gebürtiger Triester wurde in vielen Beiträgen von der Redaktion des Orient für seine wissenschaftliche Tätigkeit, für seine vortrefflichen Werke, philosophischen Untersuchungen und seinen ausgezeichneten Unterricht am Rabbinerseminar von Padua gepriesen.¹⁰⁴ Es war aber kein Wunder, dass Triest eine besondere Auszeichnung verdiente. In der Stadt – wie in vielen Gemeinden im Habsburgerreich – war oft in vielerlei Hinsicht von deutschen Verhältnissen die Rede.¹⁰⁵ Bei anderen Gemeinden konstatierte man hingegen eine weit trostlosere Lage der jüdischen Bevölkerung und des Judentums: „Mit einem Worte, wir denken uns Italien auf ein Jahrhundert zurück, und folglich die Juden dieses Landes noch weit hinter der christlichen Bevölkerung desselben.“¹⁰⁶ Ein Beitrag aus der Allgemeinen Zeitung des Judentums des Herausgebers und Rabbiners Ludwig Philippson in der Mitte der 1850er-Jahre zog Parallelen zwischen dem Philologen Wessely, dem Philosophen Mendelssohn und dem Bibelexegeten Luzzatto und charakterisierte alle drei Gelehrten als „Träger des modernen Judenthums“.¹⁰⁷ Luzzatto vereinigte dem Artikel zufolge die Eigenschaften beider deutscher Gelehrten. Dennoch genügten dem Autor des Artikels die wissenschaftlichen Verdienste Luzzattos nicht. Für den weiteren Fortschritt der jüdischen Disziplinen wünschte er sich für das italienischsprachige Judentum „ein aufrichtiges Anschließen an Deutschland.“¹⁰⁸ Zu jener Zeit bezeichnete ein deutsch-jüdischer Korrespondent das italienischsprachige Judentum als ausschließlich fanatisch, unleidlich und bigott sowie unzugänglich für jede „diffe-
Ebd., 12. Ebd. Dazu Kapitel 4.2 dieser Arbeit. Aus deutsch-jüdischer Seite stellte die jüdische Presse Anfang der 1840er-Jahre bei den Juden von Mantua und in einigen Gemeinden unter habsburgischer Herrschaft wie Padua, Venedig und Verona „eine Regsamkeit, einen Aufschwung, ein Streben und Ringen, daß [sic] uns an unsre deutsche [sic] Zustände selbst zu erinnern vermag“ fest. Betont wurde aber zugleich, dass dort hauptsächlich die deutsche Wissenschaft und der deutsche Geist am Werk gewesen seien; Megas, Licht und Schattenbilder aus der jüdischen Geschichte der Gegenwart (03.07.1841), 200. Fürst, Italien, „Italienische Grenze“ (13.03.1841), 82– 83. L. Philippson, „Italien,Venedig“ Allgemeine Zeitung des Judentums 19 (07.05.1855), 247– 248: 248. Ebd.
1.3 Italien – Land der Apathie, der Gleichgültigkeit und der Phantasie
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rierende Glaubenserkenntnis.“¹⁰⁹ Es wunderte den deutsch-jüdischen Verfasser nicht, dass italienischsprachige Juden von den jeweiligen Regierungen weder beim Erwerb der Bildung noch auf dem Gebiet der Wissenschaften unterstützt wurden. Diesbezüglich wurde eine Verbesserung italienisch-jüdischer Zustände von manchen deutschsprachigen Autoren für sehr schwierig gehalten. Der Grund dafür war die Tatsache, dass italienische Juden als tolerierte Minderheit unter sehr schwierigen Umständen innerhalb einer starken katholischen Mehrheit lebten.¹¹⁰ Deutsch-jüdische Berichte nahmen die italienischen Juden als „Geduldete“, als „Stiefkinder“, als „niedergehaltenes Volke“ sowohl vonseiten einer paralysierten Staatsmaschine als auch von der katholischen Kirche wahr.¹¹¹ Manche Artikel polemisierten auch gegen bestimmte religionsphilosophische Haltungen italienisch-jüdischer Gelehrter und ihre exegetischen Ansätze. In einigen Fällen handelte es sich um Aufsätze, die durch einen feindseligen Ton gekennzeichnet waren und oft kaum Möglichkeiten für eine Konfliktlösung sahen. Häufig betont wurde die vermeintliche Ähnlichkeit eines italienisch-jüdischen Charakters mit dem der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Diese Ähnlichkeit komme im Temperament und Wahrnehmungsvermögen sowie in der Tatsache zum Ausdruck, dass sowohl bei den italienischsprachigen Katholiken als auch bei der jüdischen Bevölkerung der „poetische Teil“ des Lebens vorherrsche.¹¹² Deutschsprachige Korrespondenten verwiesen auch auf eine Ähnlichkeit zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung hinsichtlich der religiös-liturgischen Praktiken. Zu betonen sei bei vielen Aspekten des jüdischen Alltags und bei vielen Praktiken und Bräuchen vor allem der vorherrschende Synkretismus.¹¹³ Selbst die italienisch-jüdische Presse berichtete über Zeremonien wie Eheschließungen und Beerdigungen, in denen synkretistische Elemente aufzufinden waren.¹¹⁴ Nach Ansicht des Orient waren die Juden von der katholischen Mehrheit so stark beeinflusst, dass sie sogar einige religiösen Praktiken und Riten assimiliert hatten. Heftige Kritik wurde an der Hinnahme der Unterdrückung durch die jü-
Fürst, Italien, „Italienische Grenze“ (13.03.1841), 83. Ebd.; vgl. auch Fürst, „Italienische Grenze“ (24.04.1841), 132. Ebd. I. M. Jost, „Nachrichten und Correspondenzen, Triest“ Israelitische Annalen 1 (17.05.1839), 20: 157; „Es ist die angeborne Poesie des Italieners, die Gluth seines Herzens, der einzige bleibende Segen dieses schönen Landes.“ Fürst, „Italienische Grenze“ (24.04.1841), 133. „Den Operngesang und die Kerzenträgerei haben die Juden unstreitig von den sie umgebenden Christen aufgenommen, denn beides findet man in katholischen Kirchen Italiens sehr häufig; vgl. Fürst, „Italienische Grenze“ (20.03.1841), 93. Vgl. auch Kapitel 6.1 dieser Arbeit. A. V. Morpurgo, „Progressi religiosi a Trieste“ Educatore Israelita 8 (1860), 84– 88: 85 – 86. A. Mainster, „Riflessi su alcuni bisogni dell’Israelitismo d’Italia“ Ebd. 14 (1866): 321– 325. Vgl. Catalan, La comunità ebraica di Trieste, 112– 113.
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Kapitel 1: Italienisch- und deutsch-jüdischer Kontext
dische Bevölkerung geäußert. In diesem Zusammenhang wurde der Eindruck vermittelt, die katholischen Unterdrücker und die unterdrückten Juden seien einander erstaunlich nahe, fast so, als wiesen die Juden Italiens mehr Ähnlichkeit mit der katholischen Bevölkerung als mit ihren deutschen Glaubensgenossen auf. Die kulturelle Distanz zwischen der jüdischen Bevölkerung des deutschsprachigen Raums und den italienischen Juden nahm weiter zu. Neben den emanzipatorisch-wissenschaftlichen Zeitschriften lieferten auch die konservativen Periodika der neoorthodoxen Bewegung, etwa die Zeitschrift Jeschurun (1854– 1869) des Herausgebers und Rabbiners Samson Raphael Hirsch (1808 – 1888), Beiträge zum italienischen Judentum, meist kulturhistorische Skizzen. Sie griffen die politisch-gesetzliche und wirtschaftliche Lage, die emanzipatorischen Angelegenheiten und die Frage der bürgerlichen Gleichstellung der Juden in den jeweiligen Kleinstaaten wie z. B. im Königreich Sardinien und in den italienischen Städten wie Mantua, Mailand oder Livorno vor und nach der italienischen Einheit von 1861 auf.¹¹⁵ Hirsch brachte seinen deutschen Patriotismus in mehreren Beiträgen in seiner Zeitschrift klar zum Ausdruck. Er teilte zutiefst die patriotischen und liberalen Gefühle vieler Mitstreiter während der Befreiungskriege und wurde auf die politisch-rechtlichen Entwicklungen in Italien aufmerksam.¹¹⁶ Die Teilnahme der italienischen Juden an den Befreiungskriegen und deren Patriotismus lobte der Rabbiner besonders wortgewandt in zahlreichen Kolumnen Jeschuruns.¹¹⁷ Die seitens der deutsch-jüdischen Periodika akzentuierten Inhalte hingen jeweils von ihren unterschiedlichen Zielrichtungen ab. Charakteristisch vor allem für die Israelitischen Annalen und den Orient war es, dass das Italienbild ihrer Herausgeber von der jeweiligen Redaktionsstrategie sowie von den Konkurrenzverhältnissen und Konflikten der beiden Organe abhängig war. Der vielfach gnadenlose Blick der Berichte in der jüdischen Presse zielte auf eine Kritik der
Vgl. z. B. S. R. Hirsch, „Sardinien. Die Juden in Sardinien“ Jeschurun, Alte Folge, 2 (Dezember 1855), 3: 183 – 184; ders., „Livorno“ Jeschurun, Alte Folge, 5 (September 1859), 12: 663. Diese Berichte wurden schon seit dem ersten Jahrgang von Jeschurun 1855 aus dem italienisch-jüdischen Periodikum Educatore Israelita von Vercelli übernommen und ins Deutsche übersetzt. Vgl. z. B. S. R. Hirsch, „Italien. Mailand“ Jeschurun, Alte Folge, 1 (Mai 1855), 8: 457– 459. Die Ideale, für die damals viele italienische Juden kämpften, beschrieb der deutsche Rabbiner mit großer Bewunderung. Er wies vor allem auf das Engagement der jüdischen Bevölkerung hin, die sich bei den patriotischen Erhebungen der italienischen Nation lebhaft beteiligt habe. „Daß die jüdische Bevölkerung Mittelitaliens sich bei der nationalen Erhebung lebhaft beteiligt hat, war wohl zu erwarten und mit besonderer Auszeichnung kämpften die jüdischen Soldaten für die Freiheit Italiens. War es doch auch besonders ihre Befreiung, für welche sie stritten, galt es doch ihnen noch die ersten Menschenrechte zu erwerben!“ S. R. Hirsch, „Italien“ Jeschurun, Alte Folge, 6 (Januar 1860), 4: 223 – 224. Vgl. auch ders., „Italien“ Ebd. 6 (Juni 1860), 9: 510.
1.3 Italien – Land der Apathie, der Gleichgültigkeit und der Phantasie
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angeblich erstarrten italienisch-jüdischen Tradition, und zwar mit der Absicht, alte und traditionelle jüdische Inhalte sowie Orientierungsmuster des italienischen Judentums durch neue Inhalte aus dem Selbstverständnis des deutschsprachigen Judentums zu ersetzen. Deutlich war, dass einigen Protagonisten der Wissenschaft des Judentums in Deutschland daran gelegen war, den von ihren diagnostizierten kulturellen Schwächen der italienischen Wissenschaft ihre eigenen Stärken entgegenstellen und so Einfluss auf das Judentum Italiens zu nehmen. Insgesamt offenbaren die Quellen zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Blick auf die Wahrnehmung der Kultur, der religiösen Praxis und des politischen Verhaltens des italienischsprachigen Judentums eine interessante Mischung aus Faszination, Vorbehalten, Erwartungen, Werturteilen und Kritik.
Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen als neue Plattform der Kommunikation und des Austauschs In diesem Kapitel werden Zeitschriftenprojekte der deutschsprachigen jüdischen Publizistik zwischen den 1820er- und 1870er-Jahren kurz vorgestellt.¹ Die Absicht ist, zuerst jene Publikationen in den Fokus zu rücken, die auch über die jüdische Bevölkerung der italienischen Halbinsel berichteten, Beiträge über Kultur- und Bildungsthemen enthielten und über die intellektuellen, politischen und sozialen Entwicklungen des italienischsprachigen Judentums informierten. Danach wird die deutsch-jüdische Wissenschaftspresse porträtiert, die mit italienisch-jüdischen Gelehrten in einem produktiven Dialog stand. Das gilt insbesondere für die bedeutenden Periodika der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums. Wichtig ist hierbei, die Kontroversen und Debatten zwischen italienisch-jüdischen und deutsch-jüdischen Gelehrten genauer zu verorten. Das Kapitel widmet sich zudem den italienisch-jüdischen publizistischen Projekten sowie besonderen Dynamiken derselben, die erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Gang gesetzt wurden. In Bezug auf die deutsch-jüdische Publizistik wird der Rezeption der Inhalte aus italienisch-jüdischer Perspektive besondere Beachtung geschenkt. Deutsch-jüdische Periodika beteiligten sich maßgeblich an historischen, kulturellen und politischen Auseinandersetzungen, die über den deutschsprachigen Raum hinausgingen, und bieten damit ein gutes Beispiel für die breite Rezeption, Verarbeitung und Adaptation gerade auch von italienischjüdischen Debatten, die so von einem deutsch-jüdischen Leserkreis wahrgenommen werden konnten. Zum besseren Verständnis dieser speziellen publizistischen Verortung italienisch-jüdischer Debatten, aber auch von Kontroversen zwischen deutsch-jüdischen und italienisch-jüdischen Gelehrten müssen die Anfänge der jüdischen Presse im deutschsprachigen Raum kurz vorgestellt werden.
Zur Geschichte der jüdischen Presse in der Habsburgischen Monarchie vgl. Toury, Die Jüdische Presse im Österreichischen Kaiserreich. Zur Entstehung und Entwicklung der jüdischen Presse im europäischen Raum vgl. M. Nagel (Hg.), Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung. Deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, Hildesheim/ Zürich/New York 2002; Marten-Finnis und Winkler (Hg.), Die jüdische Presse im europäischen Kontext 1686 – 1990; ders., M. Bauer (Hg.), unter Mitarbeit von M. Winkler, Die jüdische Presse. Forschungsmethoden – Erfahrungen – Ergebnisse, Bremen 2007; Lappin und Nagel (Hg.), Deutsch-jüdische Presse und jüdische Geschichte; Marten-Finnis und Winkler (Hg.), Presse und Stadt; von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit. https://doi.org/10.1515/9783110768558-005
2.1 Die jüdische Presse in hebräischer und deutscher Sprache
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2.1 Die jüdische Presse in hebräischer und deutscher Sprache Die Periodika in hebräischer Sprache Bikkurei ha Ittim („Erstlinge der Zeit“; 1820 – 1831) und Kerem Chemed („Lieblicher Weinberg“; 1833 – 1856)² waren für eine kleine italienisch-jüdische Gelehrtengruppe der habsburgischen Gebiete eine wichtige Publikationsmöglichkeit.³ Hier konnten sie u. a. ihre neu entdeckten hebräischen Manuskripte, ihre exegetischen Forschungen und Kommentare sowie ihre Argumente mit Blick auf die Datierung und Zuordnung der biblischen und talmudischen Schriften publizieren. Außerdem ermöglichten die Beiträge vor allem in dem wissenschaftlichen Organ Kerem Chemed, die in der unkonventionellen Form von Briefen publiziert wurden, aufschlussreiche Diskussionen über jüdische Geschichte und Literatur, jüdische Philosophie und Kabbala und deren umstrittene Rezeption.⁴ Als Beispiel einer sehr intensiven und langen Kooperation Samuel David Luzzattos lässt sich jene mit dem aus Tarnopol stammenden Herausgeber des Kerem Chemed, Samuel Löb Goldenberg (1807– 1846), in der Zeitspanne zwischen 1830 und 1839 anführen. Während dieser Zeit schickte Luzzatto an Goldenberg nicht nur Beiträge für die Zeitschrift und Materialien für die Herausgabe einiger Manuskripte in hebräischer Sprache aus seinem Besitz, sondern berichtete auch über seine Forschungen und sein privates Leben oder aber über seine Ansichten und Kommentare über andere Gelehrte, mit denen er damals korrespondierte, etwa über den Historiker Isaak Markus Jost. Die Korrespondenz fand im Jahr 1839 ein jähes Ende, als Luzzatto abrupt jegliche weitere Kooperation beendete. Dieser Bruch zwischen Luzzatto und Goldenberg lässt sich aus den Kolumnen des Periodikums selbst nachzeichnen. Hier kam es zwischen beiden Gelehrten zu einer hitzigen Kontroverse, die aus der Veröffentlichung von Angriffen gegen Luzzatto resultierte. Diese Attacken thematisierten die kontroversen Positionen Luzzattos
Vgl. M. Pelli, In Search of Genre. Hebrew Enlightenment and Modernity, Lanham 2005; ders., „,Biqqure ha Ittim‘ are the First Fruits … which include some nice things and matters of knowledge and benefit“ The Hebrew Periodical of Haskalah in Galicia. Zutot 4, Dordrecht/Boston 2004 (2007): 122 – 131; ders., „The Reception of Early German Haskalah in Nineteenth-Century Haskalah.“ In S. L. Jacobs (Hg.), Maven in Blue Jeans. A Festschrift in Honor of Zev Garber,West Lafayette, Indiana 2009. Vgl. Lin, Die hebräische Presse. Vgl. Lin, Die hebräische Presse, 12; M. Pelli, Kerem Chemed: „Hochmat Israel as the New Yavneh“. An Annotated Index to Kerem Chemed. The Hebrew Journal of the Haskala in Galicia and Italy (1833 – 1856), Jerusalem 2009.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
über Maimonides, die unmittelbare Nachwirkungen in deutsch-jüdischen Gelehrtenkreisen hatten.⁵ Italienisch-jüdische Gelehrte traten aber nicht nur in den in Wien veröffentlichten Heften Bikkurei ha Ittim und Kerem Chemed in Erscheinung, sondern auch in den deutsch-jüdischen – orthodoxen, reformorientierten und emanzipatorischwissenschaftlichen – Zeitschriften. Parallel zu ihrer Mitarbeit in der hebräischsprachigen Presse wie auch in der Zeit danach traten sie mit einer Reihe von tatkräftigen Herausgebern in Kontakt, etwa mit Isaak Markus Jost in Frankfurt, Julius Fürst in Leipzig oder Ludwig Philippson in Magdeburg, die sich aktiv um die Kooperation mit Gelehrten wie Isaak Samuel Reggio, Samuel David Luzzatto, Lelio Della Torre und dem Hauptrabbiner von Mantua Marco Mortara (1815 – 1894) bemühten. Die Anfänge der jüdischen Presse in deutscher Sprache sind eng mit den pädagogischen, kulturellen und intellektuellen Bestrebungen deutsch-jüdischer Maskilim und deren neuen Forderungen an das Judentum ihrer Zeit verbunden.⁶ Anfang des 19. Jahrhunderts verfolgte der Gelehrtenkreis von Nachfolgern des berühmtesten deutschen Aufklärers, Moses Mendelssohn, mittels der jüdischen Presse die sittliche Verbesserung sowie die Reformierung der jüdischen Bildung als oberste Priorität. Die erste jüdische Zeitschrift in deutscher Sprache, die sich an ein jüdisches Publikum richtete und die sich – nach den Idealen Moses Mendelssohns – diesen Zielen verschrieben hatte, war Sulamith. Eine Zeitschrift zur Beförderung der Cultur und Humanität unter den Israeliten (1806 – 1845).⁷ Die Herausgeber David Fränkel (1779 – 1856) und Joseph Wolf (1762– 1826) gründeten diese Zeitschrift mit dem Ziel, nicht nur über die Angelegenheiten jüdischer Gemeinden im deutschen Raum zu informieren, sondern auch ausländischen und anderssprachigen Gemeinden einen Platz einzuräumen. Daher fanden auch Nachrichten, Berichte und historische Skizzen über die Juden der italienischen
Luzzatto wurde von Goldenberg selbst darüber informiert, dass die Polemik um Maimonides in der zeitgenössischen Presse immer neue Nahrung fand und sich zahlreiche Gelehrte enthusiastisch daran beteiligten. Vgl. Pelli, In Search of Genre, 36 und 48; ders., Haskalah and beyond. The Reception of Hebrew Enlightenment and the Emergence of Haskalah Judaism, Lanham/Boulder/New York/Toronto/ Plymouth, UK 2010. Vgl. J. V. Schwarz, „,Ew. Exzellenz wage ich […] unterthänig vorzulegen.‘ Zur Konzessionierung und Zensur deutsch-jüdischer Periodika in den Königreiches Preußen und Sachsen bis 1850.“ In Nagel (Hg.), Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung, 101– 138: 110; C. Schapkow, „Die deutschjüdische Presse der Haskalah und das iberisch-sephardische Vorbild der Maskilim.“ In Lappin und Nagel (Hg.), Deutsch-jüdische Presse und jüdische Geschichte, 11– 128: 116 – 117; von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 15.
2.1 Die jüdische Presse in hebräischer und deutscher Sprache
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Halbinsel (etwa aus Rom, Triest und Livorno) schon ab dem ersten Erscheinungsjahr Eingang in die Zeitschrift. Die Mitglieder des Berliner Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden (1819 – 1824), junge jüdische Denker und Studenten an den deutschen Universitäten, gründeten unter der Führung von Leopold Zunz eine weitere wichtige Publikation, die Programmzeitschrift Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums (1823).⁸ Diese jungen Männer arbeiteten zusammen an dem Projekt, Wissenschaft in Praxis umzuwandeln und ihre Resultate in der jüdischen Publizistik zu verbreiten. Zu der Zeitschrift, welche die Ziele des herausgebenden Vereins propagieren durfte und jüdisch-wissenschaftliche Inhalte zugänglich machen sollte, zählten Mitarbeiter wie Isaak Markus Jost (1793 – 1860), Moses Moser (1796 – 1838), Eduard Gans (1798 – 1839) und Lazarus Bendavid (1762– 1832), die das wissenschaftliche Niveau der Zeitschrift gewährleisteten. Auch wenn die Zeitschrift bereits nach drei Ausgaben eingestellt wurde, machte sie doch die Bedeutung einer Wissenschaft des Judentums und ihren Weg zur Konzeptualisierung erstmals öffentlich und erreichte so, trotz der kurzen Erscheinungszeit, die Ziele der Autoren und ihres Herausgebers Leopold Zunz.⁹ Die 1830er- und 40er-Jahre sahen eine rasche Blüte, eine Vermehrung sowie eine schnelle Ausdifferenzierung der jüdischen wissenschaftlichen Publikationen im deutschsprachigen Raum.¹⁰ Dies erfolgte mit der Absicht, ihre eigenen Ideale und ihre wissenschaftlichen sowie religiösen Vorstellungen einem möglichst breiten Lesepublikum zu offerieren und somit der jüdischen Wissenschaft zugänglich und verständlich zu machen. In dieser Zeit kamen neben den akademischen Zeitschriften, die ein exklusives Expertenpublikum ansprachen, auch Periodika auf, die breitere Leserschichten erreichen wollten. Die jüdischen Presseorgane boten neben wissenschaftlichen Inhalten über jüdische Geschichte, Literatur, Philosophie, Poesie und Philologie auch Nachrichten zu politisch-gesellschaftlichen Angelegenheiten und emanzipatorischen Entwicklungen. In den 1830er-Jahren wurde eine der erfolgreichsten und langlebigsten Zeitschriften von dem Herausgeber und Prediger Ludwig Philippson ins Leben gerufen.¹¹ Die Allgemeine Zeitung des Judentums, die seit 1837 unter den populärwissenschaftlichen Publikationen einzuordnen war, verstand sich – wie der Titel
Die Zeitschrift wurde nach einem Jahr eingestellt. Vgl. von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 55 – 56. Ebd. Vgl. Schwarz, „Ew. Exzellenz wage ich […] unterthänig vorzulegen.“, 101– 138: 108; ebd., 58 und 65. Ebd., 113 – 114.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
selbst betonte – als „unpartheiisches Organ für alles jüdische Interesse“.¹² Knapp zwei Jahre vorher hatte der Reformrabbiner Abraham Geiger die Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie ins Leben gerufen. Die Publikation Geigers, die von 1835 bis 1847 mit kurzen Unterbrechungen (1838, 1840 – 1843, 1845 – 1846) erschien, widmete sich nicht nur den reformerischen Entwicklungen sowie religiösen und theologischen Themen, sondern bot ihren Lesern auch Artikel zu literarischen, historischen und philologischen Inhalten.¹³ Der Reformrabbiner bestimmte als einziger Redakteur die redaktionelle Linie des Periodikums und dessen ideologische Zielrichtung.¹⁴ Geiger suchte gezielt die Kooperation mit berühmten jüdischen Gelehrten, bestimmte aber bei jedem Beitrag, in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt dieser erscheinen sollte. Zahlreiche Artikel und Rezensionen kommentierte er in langen editorischen Bemerkungen, um so die Ansichten des Autors zu hinterfragen.¹⁵ Mittels eines ausgedehnten Fußnotenapparats mit ausführlichen philologischen, sprachwissenschaftlichen und etymologischen Begründungen bot Geiger seinem Lesepublikum teilweise einen eigenen Paralleltext zur veröffentlichten Abhandlung, der seine exklusive Autorität und Machtposition in der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie verdeutlichte. Vorwiegend auf politisch-soziale Angelegenheiten und auf die aktuellsten emanzipatorischen Ereignisse im Hinblick auf jüdische Gemeinden weltweit richteten sich zwei weitere Publikationen: die Israelitischen Annalen (1839 – 1841) des Herausgebers Isaak Markus Jost und Der Orient. Berichte, Studien und Kritiken für jüdische Geschichte und Literatur (1840 – 1851) des Publizisten, Bibliografen und Orientalisten Julius Fürst in Leipzig.¹⁶ Im Mittelpunkt beider Periodika standen Beiträge über jüdische Geschichte und Literatur, hebräische Sprachwissenschaft und Philologie sowie Abhandlungen über jüdische religionsphilosophische Themen. Der Orient war darüber hinaus eine Zeitschrift spezifisch wissenschaftlich-literarischen Inhaltes und beinhaltete das Literaturblatt des Orients, das im Anhang und mit einer eigenen Seitennummerierung ein Publikum von Gelehrten und Fachexperten ansprach.¹⁷ Jost und Fürst widmeten sich fast
Der vollständige Titel lautete: Allgemeine Zeitung des Judenthums, ein unparteiisches Organ für alles jüdisches Interesse in Betreff von Politik, Religion, Literatur, Geschichte, Sprachkunde und Belletristik. Vgl. https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/3224737 [29.12. 2016]. Von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 58 – 60. Vgl. Kapitel 6.1 dieser Arbeit. Von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit. Ebd., 64. Ebd., 64– 65.
2.1 Die jüdische Presse in hebräischer und deutscher Sprache
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gleichzeitig in aufschlussreichen Beiträgen und historischen Skizzen den Zuständen der italienisch-jüdischen Bevölkerung und konkurrierten oft miteinander, wenn es darum ging, italienisch-jüdische Gelehrte, Rabbiner und Forscher aus der Einflusssphäre von Samuel David Luzzatto als Korrespondenten zu gewinnen. Sowohl Geigers Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie als auch Josts Israelitische Annalen und Fürsts Orient verfügten über gute finanzielle Mittel, waren gut vernetzt und in der Gelehrtenwelt etabliert. Sie spiegelten aber auch in zahlreichen Artikeln, Kommentaren und Bemerkungen die herausgehobene autoritäre Stellung des jeweiligen Herausgebers wider. Diese Periodika erwiesen sich darüber hinaus als besonders erfolgreich, da es ihnen gelang, nicht nur ein akademisches, sondern ein breiteres Publikum von Interessierten anzusprechen. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser drei Periodika bestand darin, dass die Herausgeber die Korrespondenz und die Kooperation mit italienisch-jüdischen Autoren nachdrücklich suchten. Ebenfalls in den 1840er-Jahren erschien in Wien ein Jahrbuch, das unter der Leitung verschiedener Herausgeber große Verbreitung und Popularität auch außerhalb der österreichischen Monarchie fand.¹⁸ Die Zeitschrift Kalender und Jahrbuch für Israeliten erschien erstmals im Jahre 1842 unter der Leitung des Publizisten Isidor Busch (1842/43 – 1850/51).¹⁹ Nach ihm folgten in der Redaktion Joseph Wertheimer (1854/55 – 1864/65), Leopold Kompert (1861/62– 1864/65) und Simon Szántó (1865/66 – 1867/68). Seit dem ersten Erscheinungsjahr wurden im Kalender Rückblicke verfasst, welche die Leser über die allgemeine sowie die demografische und rechtliche Lage der Juden in verschiedenen Ländern informierten. In solchen Berichten, die für die erste Folge von Ludwig Philippson verfasst wurden,²⁰ wurde auch regelmäßig über die Juden der italienischen
Vgl. G. von Glasenapp, „Jüdische Kalender, Almanache und Jahrbücher. Zur Geschichte und Bedeutung eines ‚vergessenen‘ Mediums.“ In Marten-Finnis und Winkler (Hg.), Die jüdische Presse im europäischen Kontext 1686 – 1990, 73 – 88. Isidor Busch schickte zwischen 1846 und 1847 als Absender mehr als zwanzig Briefe an Luzzatto. Vgl. Archivio Tullia Zevi, Rom. Busch pflegte damals einen regelmäßigen Briefkontakt mit Samuel David Luzzatto in Padua. Der Briefwechsel zwischen beiden Gelehrten wurde auf Italienisch geführt und erwies sich in den Jahren 1846 – 1848 als besonders intensiv. Als erfolgreicher und eifriger Netzwerker, aber auch als Redakteur, der unter Zeit- und Konkurrenzdruck stand, konnte Busch Luzzatto überreden, auch seine Autobiografie sowie andere Abhandlungen im „Kalender“ erscheinen zu lassen, wie Luzzatto auch gegenüber Stern in einem Brief bestätigte. Auch die folgenden Herausgeber, Wertheimer und Kompert, widmeten der italienisch-jüdischen, literarischen Produktion sowie der politisch-rechtlichen und sozialen Lage der Juden der italienischen Halbinsel viel Aufmerksamkeit. L. Philippson, Rückblick auf das Jahr 1841; ders., „Rückblick auf das Jahr 1843 von Dr. Ludwig Philippson in Magdeburg“ Kalender und Jahrbuch für Israeliten 3 (1844), 1: 4– 70.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
Halbinsel berichtet, wobei dem lombardo-venetischen Königreich und dessen Gelehrtengruppe besondere Aufmerksamkeit zukam.²¹ Sowohl bei kurzen Nachrichten und Berichterstattungen als auch bei mehrseitigen Beiträgen über literarische Neuveröffentlichungen und literaturhistorische Studien wurde den bibelexegetischen Forschungen und jüngsten Publikationen Reggios, Luzzattos²², Della Torres und anderer italienisch-jüdischer Forscher, Literaten und Rabbiner wie z. B. des Historikers Samuel Romanin oder des Hauptrabbiners Marco Mortara aus Mantua viel Raum zuteil.²³ Waren die Anfänge der 1840er-Jahre von einer Aufbruchsstimmung in der jüdischen Publizistik geprägt, so bedeutete das Revolutionsjahr 1848 eine Zäsur.²⁴ Nur Ludwig Philippsons Allgemeine Zeitung des Judentums schaffte es, die Revolutionsphase zu überleben, während etwa Oberrabbiner Zacharias Frankels (1801– 1875) erstes publizistisches Organ, die Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judentums, bereits Ende 1846 nicht mehr existierte. Es war jedoch auch Frankel, auf dessen Initiative 1851 die Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums gegründet wurde, die eines der wichtigsten Organe der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums werden sollte. Ab 1862 wurden die sozialen, kulturellen und politischen Umstände in den jüdischen Gemeinden weltweit in den „Monatschroniken“, d. h. in kurzen, fast telegrafischen Berichterstattungen, mitgeteilt. Das Rabbinat wurde hier zum zentralen Thema vieler Beiträge. So wurde die Leserschaft etwa über die Gründungsgeschichte, die Programme und Methoden des 1854 gegründeten JüdischTheologischen Seminars zu Breslau informiert. In diesem Zusammenhang blickte die Monatsschrift zugleich – und mit besonderem Interesse – auf die Forschungsschwerpunkte, die Pädagogik und Methodik des Rabbinerseminars von Padua und deren Vertreter. Manche Stellen der Predigten Della Torres über die
M. Errera, „Statistische Notizen über die Israeliten des lombardisch-venezianischen Königreichs. Von Dr. Moses Errera zu Venedig“ Ebd. 9 (1855 – 1856), 1: 226 – 236; J. Wertheimer, „Die Triester Cultusgemeinde“ Ebd. 9 (1855 – 1856), 1: 221– 225. In solchen Berichten wurde Luzzatto u. a. als „Veteran“ der bibelexegetischen Studien neben Leopold Zunz gestellt, und seine bemerkenswerte Rolle in der jüdischen Bibelforschung wurde besonders betont und gewürdigt.Vgl. B. Beer, „Rückblick auf die jüdische Literatur, insbesondere in den letzten zwei Jahren“ Kalender und Jahrbuch für Israeliten 9 (1855 – 1856), 1, 145 – 160: 150 – 151. Errera, Statistische Notizen über die Israeliten des lombardisch-venezianischen Königreichs, 235 – 236. Schwarz, „Ew. Exzellenz wage ich […] unterthänig vorzulegen.“, 101– 138: 131– 132.
2.1 Die jüdische Presse in hebräischer und deutscher Sprache
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Rolle des Rabbiners wurden auch in Form von Notizen ins Deutsche übersetzt und publiziert.²⁵ Ab Mitte der 1850er-Jahre kam es erneut zu Gründungen von spezialisierten Zeitschriften, an denen sich italienisch-jüdische Gelehrte wieder genauso beteiligten wie an den vorherigen wissenschaftlichen Publikationen deutsch-jüdischer Herausgeber. Eines dieser neuen Periodika war das auf Initiative des Rabbiners Samson Raphael Hirsch (1808 – 1888) veröffentlichte Monatsblatt Jeschurun (1855 – 1888). In dem Blatt erschienen Schilderungen des jüdischen Lebens mit Artikeln und Korrespondenzen aus den verschiedenen jüdischen Gemeinden weltweit, und auch Nachrichten über jüdische sozialpolitische, demografische und ökonomische Zustände auf der italienischen Halbinsel wurden hier regelmäßig veröffentlicht. Die Beschreibungen von jüdischen religiösen Sitten sowie Synagogenbräuchen in den italienischen Gemeinden, die Neuerungen in den Kultus eingeführt hatten, wurden oft kritisch kommentiert. In der ungarischen Stadt Szeged gründete 1858 Rabbiner Leopold Löw (1811– 1875) die Monatsschrift Ben Chananja (1858 – 1867), die bald schon wöchentlich erscheinen konnte. An diesem emanzipatorisch-wissenschaftlichen Zeitschriftenprojekt beteiligten sich schon ab dem ersten Jahrgang beide Professoren des Collegio Rabbinico von Padua, Luzzatto und Della Torre, mit einer Reihe wissenschaftlicher Beiträge. Diese Partnerschaft zwischen Löw und den italienischjüdischen Gelehrten erwies sich als sehr fruchtbar und nachhaltig – regelmäßig wurden u. a. die theologischen, bibelexegetischen und philologischen Studien Luzzattos sowie die veröffentlichten Predigten Della Torres rezipiert.²⁶ Das zweite Zeitschriftenprojekt Abraham Geigers, die Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben, wurde 1862 ins Leben gerufen, ein Jahr vor dem Amtsantritt des Herausgebers als Rabbiner in der jüdischen Gemeinde Frankfurts. Trotz einiger Unterbrechungen erschien das Blatt vierteljährlich bis zum Tode Geigers 1875. Unverkennbar ist Geigers Prägung dieser wissenschaftlichen Publikation: Sein Fachwissen und seine jüngsten Forschungen zum Christentum und zur Figur Jesu sowie seine religiös-philosophischen und reformatorischen Ideen standen hier deutlich im Vordergrund.²⁷ Aber Geiger rezensierte auch Studien und Werke
L. Della Torre, „Notizen. Il Rabbinato e i rabbini“ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 5 (1856), 2: 79 – 80. Zu den Predigten Della Torres vgl. L. Löw, „Literarische Anzeigen“ Ben Chananja 1 (1858), 12: 571– 573; zur Rezeption Luzzattos vgl. S. D. Luzzatto, „Die Bedeutung des biblischen אלוףund Erklärung des 36. Kapitels der Genesis, von Professor Samuel David Luzzatto Professor am Rabbinischen Institute zu Padua, korresp. Mitgl. des f. f. Venet. Instituts und außerordentl. Mitgl. der f. f. Akademie zu Padua, und Nachbemerkung der Redaktion“ Ben Chananja 2 (1859), 3: 123 – 128. Vgl. von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 80 – 81.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
verschiedener jüdischer Denker und besprach ausführlich etwa die bibelexegetischen Werke Luzzattos, wie etwa dessen Kommentar zum Buch Jesaja ²⁸ aus dem Jahre 1855 und seine Elementi del Caldeo biblico,²⁹ die 1865 posthum erschienen waren. Diese Form der Wissenschaftspresse, wie sie Leopold Löw und Abraham Geiger betrieben, ermöglichte vielen jüdischen Denkern wie Luzzatto, anderen Autoren und auch einer kleinen italienischen Gelehrtengruppe ein relativ schnelles Überschreiten von geografischen und ideologischen Grenzen. Die jüdische Presse im deutschsprachigen Raum wurde für viele nichtdeutsche Gelehrte zu einer attraktiven Möglichkeit, sich zu profilieren, dort neue Leser und Unterstützer zu gewinnen und eine Art Auslandserfahrung zu machen.
2.2 Italienisch-jüdische Gelehrte und die Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika Die deutsch-jüdische Presse und ihre Herausgeber, Mitgestalter und Korrespondenten übten eine besondere Anziehungskraft auf italienisch-jüdische Gelehrte aus, da das jüdische Pressewesen im Italien dieser Zeit kaum existent war. Die deutschsprachige Publizistik ermöglichte schnelle Anerkennung und eine bislang ungekannte Sichtbarkeit. Sie trug zur Beschleunigung der Mobilisierung von Ideen sowie neuen religiösen, emanzipatorischen und kulturellen Impulsen bei, konnte aber zugleich auch die Isolation bestimmter jüdischer Wissensbereiche verstärken und Ursache der ideologischen Erstarrung mancher jüdischer Gelehrter werden. Dessen ungeachtet kreuzten sich hier die Wege unterschiedlicher jüdischer Denker, Fachexperten und Rabbiner, und es entstanden interessante Dynamiken durch Koalitionen, Partnerschaften, Freundschaften sowie durch Abneigungen und Feindschaften. Die Beteiligung italienisch-jüdischer Autoren an den deutsch-jüdischen Publikationen bot auch deshalb Konfliktpotenzial, weil diese Autoren bereit waren, auch für Periodika zu schreiben, deren ideologische und programmatische Richtlinien bisweilen mit den eigenen Wertesystemen und Denkweisen kollidierten. Die dadurch entstehenden Spannungen und intellektuellen Auseinan-
A. Geiger, „Recensionen. Il Profeta Isaia volgarizzato e commentato ad uso degl’Israeliti dal Prof. S. D. Luzzatto. Fascicolo VI Postumo, Padua 1866, 433 – 528“ Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 4 (1866), 3: 262– 263. Ders., „Recensionen. Schriften über den jüdischen Aramaismus. Elementi del Caldeo Biblico el del dialetto Talmudico Babilonese de Samuel David Luzzatto, Padua 1865, 106 S. 8“ Ebd., 233 – 237.
2.2 Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika
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dersetzungen, die oft auch ein Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen widerspiegeln, werden im Folgenden nachgezeichnet.
Ludwig Philippson und die „Allgemeine Zeitung des Judentums“ Schon zu Anfang des Jahres 1838 hatte Luzzatto die Zusammenarbeit mit Ludwig Philippson, dem Herausgeber der Allgemeinen Zeitung des Judentums, aufgenommen.³⁰ Philippson hatte den italienischen Gelehrten um regelmäßige Nachrichten zu den unterschiedlichen italienisch-jüdischen Gemeinden und um literarische, aber auch sozialpolitische und kulturwissenschaftliche Beiträge gebeten.³¹ Diesen Auftrag nahm Luzzatto gerne an, auch wenn er seine anfänglichen Probleme mit der deutschen Sprache noch mithilfe eines Übersetzers lösen musste.³² Luzzatto selbst sah in der Kooperation mit der AZJ den Vorteil, wissenschaftliche Abhandlungen auch außerhalb der Habsburgermonarchie zu veröffentlichen, da er davon überzeugt war, dass literarische und theologische Beiträge seiner Reputation zuträglicher seien als Berichte über die italienischjüdischen Verhältnisse.³³ In einem Brief an seinen Freund Abramo Lattes äußerte Luzzatto sich zu seiner neuen journalistischen Tätigkeit und hob die erhöhte Sichtbarkeit, Anerkennung und Geltung hervor sowie die Möglichkeit, neue Leser und potenzielle Unterstützer zu gewinnen: Im Grunde genommen glaube ich, dass die Nachrichten bzw. Neuigkeiten über die Zustände der jüdischen Bevölkerung in Italien das Publikum nicht besonders interessieren würden. Ich betrachte Artikel zu literarischen und theologischen Themen als weitaus nützlicher. Die Zeitung gäbe mir die Möglichkeit, für meine Ideen zu werben, und das schmeichelt meiner Eitelkeit. Die Zeitung gäbe mir die Chance, vielen nützlich zu sein, und das schmeichelt meiner Philanthropie.³⁴
„Luzzatto an L. Philippson, Magdeburg, 19.03.1838.“ In Epistolario italiano, francese, latino di Samuel David Luzzatto da Trieste, pubblicato dai suoi figli, Index N. 150, 162: 246 – 247. „Luzzatto an Philippson, Magdeburg, 03.07.1838“ Ebd., 170: 256 – 257. „Luzzatto an A. Lattes, Venedig, 01.03.1838“ Ebd., 160, 244– 246: 245. Ebd. [Übers. d. Verf.] („In sostanza credo che le notizie o novità intorno agli Ebrei dell’Italia darebbero poco a dire, e che quindi il più sarebbe di dare articoli letterari e teologici. Il giornale mi offrirebbe il mezzo di dare ai miei pensieri la maggiore pubblicità, e questo mi solletica l’amor proprio. Il giornale mi offrirebbe il mezzo di essere utile a molti (supposto che il mio modo di pensare sia utile), e questo lusinga la mia filantropia“). Ebd.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
In der offiziellen Antwort an Philippson hatte Luzzatto dagegen diese Kooperation als die beste Gelegenheit begrüßt und sich selbst als beflissenen Korrespondenten und gewissenhaften Sammler italienisch-jüdischer Belange beschrieben. In diesem Zusammenhang bestätigte Luzzatto an Philippson Folgendes: „Outre ce qui concerne l’état actuel des Juifs italiens, je serais dʼavis de vous transcrire peu à peu tout ce qui me présenterait dans les livres et les journaux italiens des années passées et même des siècles passés, qui serait digne d’avoir place dans lʼhistoire des Israëlites, et dont MMrs. Jost³⁵ et Depping³⁶ n’auraient point parlé.“³⁷ Hieran kann man die Interessen Luzzattos sowie seine Persönlichkeit samt den unterschiedlichen Facetten ablesen, die in den jeweiligen Kontaktaufnahmen und in der spezifischen Kommunikation mit unterschiedlichen Briefpartnern konsequent umgestaltet wurden. Der Herausgeber Ludwig Philippson seinerseits war auf einen Mitarbeiter wie Luzzatto angewiesen, der in Italien über gute Kontakte und große Achtung verfügte und der in der Allgemeinen Zeitung des Judentums zuverlässig aus den italienischen Gebieten berichten konnte. An dieser Konstellation wird deutlich, dass von Konkurrenzsituationen nicht die Rede sein kann; vielmehr wird aus den Anforderungen Luzzattos an den Herausgeber eine subtile Machtausübung ersichtlich. Was die Beziehung zwischen beiden Gelehrten anbelangt, so war sie nicht durch einen ebenbürtigen Austausch, sondern eher durch eine gewisse Disparität geprägt. Mitte der 1850erJahre, als die Mitwirkung Luzzattos an der Allgemeinen Zeitung des Judentums schon längst abgeschlossen war, lancierte Philippson in den Kolumnen seiner Zeitung einen deutlichen Angriff gegen den italienischen Gelehrten. Der deutschjüdische Prediger adressierte Luzzatto als Vertreter einer isolierenden und exklusiven Parteilinie im Judentum. Aus seiner Machtposition heraus beschrieb Philippson ihn im Jahre 1855 als Vertreter einer „engherzigen Gilde“³⁸ und als Literaten, der nur an seinem eigenen Ruhm interessiert sei. Philippson sah es außerdem als problematisch an, dass in den italienischen Territorien kaum noch jüdische Literatur erschien und die wenigen literarischen Werke fast immer von denselben Personen veröffentlicht wurden.³⁹ Vermutlich hatte die Entscheidung Luzzattos, für andere Periodika als Mitarbeiter tätig zu werden, Philippson verärgert. Auch wenn die Kritik an den damaligen italienisch-jüdischen Umständen
I. M. Jost, Geschichte der Israeliten seit der Zeit der Maccabäer bis auf unsre Tage, nach den Quellen bearbeitet von Isaak Markus Jost, Lehrer und Erzieher in Berlin, Berlin 1832. G. B. Depping, Les Juifs dans le moyen âge, Paris 1834. „Luzzatto an Philippson, Magdeburg, 19.03.1838.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index N. 150, 162, 246– 247. Philippson, Italien (07.05.1855), 248. Ebd.
2.2 Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika
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nicht völlig von der Hand zu weisen ist, kann man den oben erwähhnten Artikel in der AZJ dennoch als persönliche Animosität gegenüber Luzzatto und seinem Kreis interpretieren.
Isaak Markus Jost und die „Israelitischen Annalen“ Ebenfalls Ende der 1830er-Jahre ging Luzzatto eine weitere Korrespondenz und Kooperation ein. Die Zusammenarbeit mit dem Historiker und Herausgeber Isaak Markus Jost war viel entscheidender und strategisch bedeutsamer für die Entwicklung weiterer Kontakte und Informationskanäle als die mit Philippson. Das Zustandekommen der Kooperation mit Josts neu gegründeten Israelitischen Annalen folgte gleichwohl nicht den üblichen Bedingungen, denn schon Anfang 1839 fand sich Luzzatto inmitten einer religiös-philosophischen Diskussion wieder, die über mehrere Hefte hinweg publiziert wurde. Dieser Zeitschrift gegenüber hegte Luzzatto keine besondere Zuneigung, und anfänglich sah er auch keine Vorteile in einer Zusammenarbeit. In den Annalen – verkörpert in der Person von Jost – erkannte Luzzatto vielmehr eine Bedrohung durch rationalistische Einflüsse im Judentum und betrachtete die Zeitschrift gar als einen publizistischen Raum zeitgenössischer philosophischer Spekulationen wie einer germanisch-jüdischen Adaptation des Judentums, die dasselbe gefährdete.⁴⁰ Erst durch die Initiative Reggios kam es überhaupt zu der Mitarbeit an den Annalen, die als Resultat die Veröffentlichung eines Briefwechsels über religiöse Zustände hervorbrachte.⁴¹ Reggio hatte damals den wichtigen Auftrag, die Briefe Luzzattos zu
Vgl. u. a. „Luzzatto an Lolli, Triest, 9.10.1840.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 298, 228, 385 – 388. Luzzatto selbst war an einer Mitarbeit gar nicht interessiert; entscheidend war der Einfluss seines älteren Mentors und Freundes Isaak Samuel Reggio, der die Rolle eines Gewährsmannes und Vermittlers zwischen ihm und Jost übernahm. Ursprünglich handelte es sich um einen intensiven Austausch von zehn Briefen, von denen nur acht publiziert wurden. Anfänglich wurden die Briefe von Reggio übersetzt, während die letzten vom Juli 1839 von Luzzatto selbst im Original auf Italienisch an den Herausgeber in Frankfurt geschickt wurden. Der „Briefwechsel über religiöse Zustände“ zwischen Luzzatto und Reggio wurde in den Kolumnen der Israelitischen Annalen von Jost im Jahre 1839 veröffentlicht. S. D. Luzzatto, „Briefwechsel über religiöse Zustände, S. D. Luzzatto in Padua an I. S. Reggio in Görz“ Israelitische Annalen 1 (29.03.1839), 13: 99 – 100; 1 (05.04.1839), 14: 107– 108; 1 (17.05.1839), 20: 156 – 157; 1 (19.07.1839), 29: 227– 228; 1 (26.07.1839), 30: 235 – 237; I. S. Reggio, „Briefwechsel über religiöse Zustände, I. S. Reggio an S. D. Luzzatto“ Ebd. 1 (10.05.1839), 19: 147– 148; (17.05. 1839), 20: 156 – 157; (05.07.1839), 27: 212– 213; (12.07.1839), 28: 220 – 221; (23.08.1839), 34: 267– 268; (30.08.1839), 35: 275 – 276; (13.09.1839), 37: 293 – 294. Der Inhalt der Auseinandersetzungen wird in Kapitel 5.1 dieser Arbeit behandelt.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
übersetzen und sie nach Frankfurt zu schicken. Dabei versuchte er bereits einige Monate zuvor, Luzzatto zu einem gemeinsamen „theologischen Briefwechsel“ (carteggio teologico)⁴² in den Annalen zu gewinnen, auch wenn Luzzatto selbst diesen Briefwechsel lieber in Philippsons Allgemeiner Zeitung des Judentums geführt hätte.⁴³ Luzzatto fand sich inmitten einer religionsphilosophischen Polemik wieder, die weitaus anspruchsvoller war als die Beiträge über die italienisch-jüdischen Gemeinden in der Allgemeinen Zeitung des Judentums, und konnte in dieser philosophischen Kontroverse, die in Bezug auf die Aktualität und die beteiligten Experten höchstes Niveau erreichte,⁴⁴ Position beziehen. Der Ende 1839 begonnene carteggio wurde vom Herausgeber selbst Anfang des Jahres 1840 unterbrochen. Jost begründete dies mit der Beschwerde einiger Leser, dass ein solcher Briefwechsel thematisch zu beschränkt sei.⁴⁵ In den Kolumnen des Periodikums erklärte Jost in seiner Funktion als Herausgeber, dass sich die Redaktion von den Positionen Luzzattos distanziere. Er machte seine Machtposition mithilfe von kurzen Fußnoten mit Kommentaren und Kritik an den Äußerungen Luzzattos deutlich⁴⁶ und bezog so mit redaktionellen Mitteln in seiner Zeitschrift klar ideologisch Stellung. Nach dem abrupten Ende des Briefwechsels mit Reggio in den Israelitischen Annalen erklärte sich Luzzatto bereit, auch andere Aufträge für die Zeitschrift anzunehmen, und versprach Jost einige Analekta zu unterschiedlichen Themen. Zum einen wollte Luzzatto sein Urteil gegen Jost in der Polemik gegen den Mystizismus und den „deutschen“ Maimonides in dem Briefwechsel stärker gewichten, zum anderen brauchte er selbst unbedingt eine Art Verteidigungspult für seine religionsphilosophische Positionierung. Die Tatsache, dass die Israelitischen Annalen, so Luzzatto, „über mich und zugleich gegen mich reden“ („a veder che gli ,Annalen‘ parlano di me e contro di me“⁴⁷), war eine viel relevantere Begründung und ein größerer Ansporn für die weitere Zusammenarbeit als die Abneigung gegen die redaktionelle Linie der Zeitschrift und gegen Josts Darstellung der jüdischen Geschichte sowie seinen Umgang mit den biblischen Texten.⁴⁸ „Luzzatto an Lattes, Venedig, 17.02.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 183, 275. Das Niveau der Zeitschrift von Jost war anspruchsvoller als das Niveau der Beiträge über italienisch-jüdische Zustände der Allgemeinen Zeitung des Judentums; vgl. ebd., 275. Meyer, Antwort auf die Moderne, 69 – 70; 114. Zwar hat Jost beide Gelehrte gebeten, das Thema des Carteggio teologico zu variieren, jedoch lehnten sowohl Reggio als auch Luzzatto ab. S. D. Luzzatto, „Literarische und historische Controversen, Schreiben von S. D. L. in P. vom 8. Juli“ Israelitische Annalen 2 (21.08.1840), 34: 288 – 289. „Luzzatto an Lattes, Venedig, 17.02.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 183, 275. Vgl. u. a. Kapitel 3 von R. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible. German-Jewish Reception of Biblical Criticism, Berlin/New York 2010, 49 – 71.
2.2 Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika
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Näher betrachtet, war die Kommunikation zwischen Jost und Luzzatto durch eine latente Spannung und Disparität gekennzeichnet und stützte sich nicht nur auf ein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, sondern vielmehr, wie Luzzatto selbst anmerkte, auf eine „amicizia di carteggio“ („Brieffreundschaft“).⁴⁹ Für Luzzatto bedeutete die Mitarbeit an den Israelitischen Annalen nicht nur eine Verbesserung seiner finanziellen Situation, sondern er konnte hier auch sein Profil als repräsentativer Hauptautor von Artikeln über viel diskutierte zeitgenössische philosophische Themen schärfen. Angesichts der beträchtlichen ideologischen Unterschiede und Unversöhnlichkeiten mit Jost ging es ihm nicht allein um einen produktiven Austausch von Ideen und Meinungen, sondern auch um Ruhm und Anerkennung.⁵⁰ Luzzatto sicherte sich in den Annalen einen Publikationsort, durch den er internationale Sichtbarkeit und potenzielle neue Leser unter den deutschen Glaubensgenossen erreichen konnte. Zugleich bot ihm diese Kooperation die Möglichkeit, seine schriftstellerische Tätigkeit als Journalist und seine Netzwerke auszudehnen. Die mit der Kooperation verbundenen Ambivalenzen lassen sich durch die Tatsache erklären, dass Luzzatto einerseits dank der Annalen seine Stellung im deutsch-jüdischen Gelehrtenkreis festigen konnte, andererseits aber nicht als Nachfolger Mendelssohns und als konservativer Professor am Collegio Rabbinico wahrgenommen werden wollte. Vielmehr versuchte er, eine facettenreichere Rolle anzunehmen. In dieser publizistischen Konstellation wollte Luzzatto offensichtlich als Katalysator für ein neu konzipiertes ethischphilosophisches Modell des Judentums fungieren. Jost hatte seinerseits bewusst keinen einfachen Austauschpartner gesucht, der sich für eine friedliche synkretistische Vermengung religiöser Theorien und Inhalte eignete. In jedem Fall fand er in Luzzatto einen selbstbewussten Korrespondenten, der in seinen Beiträgen die Konflikte über die innerjüdischen Schlüsselthemen jener Zeit produktiv zur Geltung bringen wollte: Ich suche keinen Streit. Ich schreibe und veröffentliche meine Ansichten, um den jungen Generationen und der Nachkommenschaft nützlich zu sein. Mir ist wohl bewusst, dass alles, was ich schreibe, nicht jedem gefällt und dass ich davon nicht reicher werden kann. Ich sehe jedoch nicht, dass meine Tätigkeit vollkommen nutzlos für das Judentum ist. Darum schreibe ich und werde ich weiter schreiben. Um keinen Streit zu verursachen, müsste man nichts tun, an nichts denken und nur Geld scheffeln.⁵¹
„Luzzatto an Abramo di Laudadio Grego,Verona, 05.03.1837.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 148, 220 – 222: 221. In dem Brief wies Luzzatto auf die Brieffreundschaft mit dem jüdischen Dichter Meir Letteris (1800 – 1871) hin. „Luzzatto an Lattes, Venedig, 01.03.1838.“ In ebd., 160, 244– 246. [Übers. d.Verf.] („Io non mi metto in brighe, io scrivo e pubblico i miei sentimenti, per giovare ai nati e ai nascituri. So bene che ciò, ch’io scrivo, non può a tutti piacere, e ben capisco che non vi
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
Luzzattos Ambivalenz lässt sich z. B. auch an einem Brief an Jost Ende des Jahres 1839 gut ablesen. Darin bedankte er sich herzlich für die Zusendung der einundvierzig Hefte der Annalen und bezeichnete das Periodikum als Ort der Versöhnung hinsichtlich der Streitigkeiten innerhalb des zeitgenössischen Judentums: Aufgrund der Mäßigung, die in dem Periodikum zu finden ist, ist zu hoffen, dass dasselbe zum Versöhnungsort der gegnerischen Parteien, zum Friedens- und Wahrheitsorgan wird. Aus der literarischen Perspektive empfinde ich die Annalen als einen Schatz seltener Erkenntnisse, die als Ergebnis unermüdlicher und herausragender Forscher zu interpretieren ist.⁵²
Im Grunde genommen sah Luzzatto in der Mitwirkung an den Annalen eine Möglichkeit, seine Forschungsresultate und -erkenntnisse mit einer weniger wohlwollenden und kritischen deutsch-jüdischen Leserschaft zu teilen. Der italienische Gelehrte war hier einer der aktivsten Teilnehmer in der Kontroverse über den Mystizismus sowie über die jüngste Renaissance Moses Maimonides’ und seines Judentumsverständnisses. Er beschrieb sich in vielen Briefen an seinen engeren Freundeskreis selbst als „Kämpfer des Attizismus“⁵³ und als Verteidiger einer bescheidenen, ursprünglichen Idee des Judentums.⁵⁴ Luzzatto suchte eine Plattform in einem publizistischen Organ mit einer ihm entgegengesetzten programmatischen Richtung, wie Josts Israelitische Annalen, um sein philosophischethisches Modell den modernen deutsch-jüdischen Adaptationen des Rationalismus entgegenzustellen. Dabei suchte er keineswegs nach einer versöhnlichen Lösung, sondern glaubte, durch das Anheizen der Kontroversen in seinen vielen Kolumnen andere deutsch-jüdische Gelehrte von seinem Standpunkt überzeugen zu können. Die von Isaak Markus Jost herausgegebene Zeitschrift bot auch anderen italienisch-jüdischen Gelehrten – stets aus Luzzattos Netzwerk – die Möglichkeit, sich als Korrespondenten zu profilieren und eine beneidenswerte publizistische è nulla a guadagnare per me. Non vedo che il mio scrivere debba essere assolutamente infruttuoso pel Giudaismo, ed è perciò ch’io scrivo e scriverò. Per non mettersi in brighe bisognerebbe non far nulla, non pensare a nulla, senonsè ad ammassar denari.“). „Luzzatto an Lattes, Venezia, 24.07. 1839.“ In ebd., 194, 316. [Übers. d. Verf.] („La moderazione, il juste-milieu, che vi regnano, mi fanno sperare che la medesima possa divenire l’organo della riconciliazione degli opposti partiti, il germe della verità e della pace. Dal lato poi letterario, io trovo negli Annali un tesoro di rarissime nozioni, frutto delle instancabili fatiche di tanti eccellenti ingegni“). „Luzzatto an Jost, Frankfurt, 16.12.1839.“ In ebd., Index N. 254, 212, 344– 348. „Luzzatto an Reggio, Görz, 03.07.1839.“ In ebd., 191, Index 221, 303 – 312. Vgl. ebd.
2.2 Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika
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Auslandserfahrung zu machen. Isaak Samuel Reggio lieferte regelmäßig aufschlussreiche Beiträge zu bibelexegetischen und talmudischen Themen. 1840 verfasste er in den Kolumnen der Annalen eine Rubrik mit dem Titel Blick auf den Thalmud. ⁵⁵ Dank der rücksichtsvollen, freundlichen Beziehung zu Jost durfte Reggio seine Thesen und Positionen zur Datierung und Verschriftlichung des Talmuds und zur Abfassung der Mischna freimütig äußern. Von besonderem Vorteil war für ihn, dass er aufgrund seiner guten Deutschkenntnisse keinen Übersetzer benötigte, weil so die Wahrscheinlichkeit von Unstimmigkeiten, Modifizierungen oder Missverständnissen deutlich geringer war. Es wird deutlich, dass diese Gelehrten und Rabbiner die Chance wahrnahmen, in einem neuen Gelehrtenmilieu wahrgenommen zu werden, und dank der Ausstrahlung und wissenschaftlichen Geltung des Collegio Rabbinico von Padua an den deutschjüdischen Debatten teilhaben konnten.
Julius Fürst, „Der Orient“ und die Rezeption Luzzattos Eine weitere wichtige Kooperation ging Luzzatto erst ab Mitte der 1840er-Jahre mit dem Orientalisten und Bibliografen Julius Fürst ein, dem Herausgeber des Periodikums Der Orient. Berichte, Studien und Kritiken für jüdische Geschichte und Literatur. ⁵⁶ Während die publizistische Kooperation zwischen Luzzatto und Jost sich aufgrund der Kontroversen und Diskussionen mit Fürst im Orient langsam zum Positiven wendete, war das briefliche und publizistische Verhältnis zwischen Luzzatto und Fürst am Anfang ganz anderer Natur, nämlich von Rivalität und Konkurrenz geprägt.⁵⁷ Zwar war eine Mitarbeit an der 1840 gegründeten Zeitschrift erst einmal ausgeschlossen, aber Der Orient berichtete ausführlich über die sozialen und kulturellen Umstände der jüdischen Gemeinden der italienischen Halbinsel. Außerdem wurde das Publikum der Wochenschrift durch Rezensionen über die neuesten italienisch-jüdischen literaturwissenschaftlichen, linguistischen und philologischen Studien informiert, die in der Regel aus dem Gelehrtenkreis von Luzzatto und Della Torre am Collegio von Padua stammten. Insbe-
Reggio veröffentlichte 1840 und 1841 die Rubrik „Blick auf den Thalmud“ in den Israelitischen Annalen in den Heften 12, 13, 14, 16 im Jahre 1840 und 16, 17 im Jahre 1841. Vgl. Schwarz, „Ew. Exzellenz wage ich […] unterthänig vorzulegen.“, 101– 138: 119; K. Vogel, „Der Orientalist Julius Fürst (1805 – 1873).Wissenschaftler, Publizist und engagierter Bürger.“ In S. Wendehorst (Hg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 2006, 41– 60: 51– 52. Vgl. Kapitel 3.2.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
sondere wurden Luzzattos philologische Studien sowie seine aktuellen Forschungen zu den semitischen Sprachen und deren Herleitung regelmäßig rezensiert und vorgestellt.⁵⁸ Luzzattos Tätigkeit als Sprachwissenschaftler und Forscher der semitischen Sprachen schien insofern ein fester Bestandteil und Bezugspunkt für viele Autoren des Literaturblatts des Orients zu sein. Vor dem Hintergrund des Erfolgs und der außerordentlichen Aktualität, derer sich bibelexegetische und philosophische Themen in der jüdischen Presse in den 1830er- und 40er-Jahren erfreuten, nutzte Fürst die Gelegenheit, jeden Beitrag in dem Literaturblatt des Orients zu veröffentlichen, der u. a. den religionsphilosophischen Positionen Luzzattos deutlich entgegentrat. Er publizierte Stimmen unterschiedlicher bekannter und weniger bekannter Rabbiner und Gelehrter, die sich alle einmütig gegen Luzzattos religionsphilosophische Vorstellungen wandten. Ein Beispiel dafür ist die Replik Salomon Rosenthals (1764– 1845) aus Pest⁵⁹ auf den „Angriff“ Luzzattos in den Kolumnen der Israelitischen Annalen aus dem Jahre 1839.⁶⁰ Auch im Fall der Polemik zwischen Luzzatto und Rosenthal wurde die Figur Moses Maimonides zum Anlass einer bissigen philosophischen Auseinandersetzung, d. h. einer Kontroverse, die – ausgetragen in den Kolumnen der Israelitische Annalen und des Orient – von beiden Herausgebern in den Jahren 1839/40 angefeuert wurde. In jenen Jahren führte Luzzatto eine äußerst intensive und akribische monatliche Korrespondenz mit Jost, an den er immer neue Abhandlungen schickte. Diese Kooperation mit dem Frankfurter Gelehrten erwies sich als ein entscheidender Faktor für die verspätete Zusammenarbeit zwischen den beiden Gelehrten wie auch für die Weiterentwicklung dieser brieflichen Partnerschaft selbst. Anfänglich betonte Julius Fürst Samuel David Luzzattos Verdienste; gleichzeitig stellte er aber in Kommentaren und Andeutungen Luzzattos Persönlichkeit in den Vordergrund – vor allem seine Manieren, d. h. seine Schroffheit und seine „intellektuelle Unduldsamkeit“ gegenüber Anmerkungen und Meinungen ande-
Vgl. J. Fürst, „S. D. Luzzatto’s Schriften. Prolegomeni ad una grammatica ragionata della lingua ebraica di Samuel David Luzzatto, Padova 1836, 8, 224 Seiten“ Literaturblatt des Orients 1 (22.08.1840), 34: 531– 533. Salomon Rosenthal war ein ungarischer Gelehrter, dessen Vater eng mit Moses Mendelssohn befreundet war. Als Publizist veröffentlichte er diverse literarische Beiträge in den Kolumnen des Ha Meassef, Der Orient und Zion. Er war der Autor eines kurzen polemischen Aufsatzes „Beit Oven“ (1839), in dem er Reggio, Luzzatto und Michael Creizenach attackierte. S. D. Luzzatto, „Brief über einen literarischen Angriff von S. D. L. an I. S. R.“ Israelitische Annalen 1 (13.–20.12.1839), 50 – 51: 396 – 397, 404– 405. Die Antwort Rosenthals wurde in Der Orient veröffentlicht. S. Rosenthal, „Replik gegen den Aufsatz ‚Brief über einen literarischen Angriff von S. D. Luzzatto‘“ Literaturblatt des Orients 1 (22.02.1840), 8: 126 – 128. Vgl. auch Kapitel 5.1 dieser Arbeit.
2.2 Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika
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rer Gelehrter.⁶¹ 1840 hatte sich Luzzatto gegenüber einigen Äußerungen, die im Orient erschienen, nochmals in den Kolumnen der Annalen verteidigt. Fürst hatte damals – aus der Perspektive Luzzattos – zum einen irrtümliche Informationen über einen ehemaligen Rabbinerkandidaten und seine Druckerei in Livorno veröffentlicht, zum anderen den Ruhm, das Ansehen und die Methoden des Collegio Rabbinico infrage gestellt.⁶² Dies sei vor allem in der Absicht geschehen, Luzzattos pädagogische Fähigkeiten und seine persönlichen Erfolge am Collegio indirekt zu desavouieren.⁶³ Fürsts Gegenreplik stützte sich auf eine Reihe von Fakten, die sich als Teil der redaktionellen Strategie des Publizisten interpretieren ließen. Es handelte sich um eine Konstruktion, die mit Absicht zwei Zielscheiben hatte: Jost und Luzzatto. Einerseits wollte Fürst den italienisch-jüdischen Gelehrten als Fanatiker und als kompromisslos in seinen Positionen und Ideen darstellen. Der deutsche Publizist beabsichtigte damit, Luzzatto als einen Parteiführer inmitten eines italienisch-jüdischen Wirkungsbereiches erscheinen zu lassen, der weder Toleranz und Offenheit für andere Orientierungen im Judentum zeigte noch Meinungsverschiedenheiten tolerierte.⁶⁴ Fürst zeichnete das Bild eines Gelehrten, der in seinem wissenschaftlichen Vorgehen jede Unparteilichkeit und Objektivität verloren habe.⁶⁵ Andererseits bezog Fürst auch Isaak Markus Jost, den „Allerweltshelfer“⁶⁶, in die Kritik mit ein, indem er dessen Glaubwürdigkeit und wissenschaftliche sowie professionelle Gewissenhaftigkeit als Historiker und Herausgeber infrage stellte: „Ich möchte Herrn Jost wünschen, dass er in seiner Geschichte und in seinen Annalen keine größeren Irrthümer begehen, Herrn Luzzatto aber, dass er zum Besten der Wissenschaft seine frühere Parteilosigkeit und Objectivität wiedergewinnen möge, um sich nicht ins Schlepptau des eigennützigen Krämergeistes nehmen zu lassen.“⁶⁷ Luzzatto wusste, dass er in Josts Israelitischen Annalen diesmal von einer möglichen Flankierung seiner wissenschaftlichen Aktivität und seiner For-
Fürst, S. D. Luzzattoʼs Schriften (22.08.1840). S. D. Luzzatto, „Nachrichten und Correspondenzen. Padua 16. Nov. 1840“ Israelitische Annalen 2 (11.12.1840), 50: 416 – 417. Vgl. Kapitel 3.2. „Luzzatto an Jost, Frankfurt, 16.11.1840.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 306, 229, 389 – 390. J. Fürst, „Personalchronik und Miscellen“ Der Orient 1 (12.09.1840), 37: 288. Fürst hatte mittels einer kurzen Anekdote über Samson Gentilomo und seine Druckerei vermutlich beabsichtigt, nicht nur Luzzattos Kompetenzen infrage zu stellen, sondern auch eine Schwäche des Collegio Rabbinico von Padua als rabbinische Institution hervorzuheben. Ders., S. D. Luzzattoʼs Schriften. J. Fürst, „Berichtigung des Herrn Luzzatto“ Literaturblatt des Orients 1 (19.12.1840), 51: 797– 799. Ebd., 799. Ebd.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
schungen profitieren konnte. Deshalb nutzte er tatkräftig diese äußerst ungewöhnliche Koalition mit Jost. Jost wiederum beabsichtigte, indem er eine Verteidigung Luzzattos veröffentlichte, den italienischen Denker als Ressource im Konkurrenzkampf ⁶⁸ mit Fürst und dem Orient auszunutzen. Um die Spannungen mit dem Konkurrenten Julius Fürst aufrechtzuerhalten, heizte Jost die Polemik über Luzzattos angeblich mangelnde Fähigkeiten als Lehrer und Mentor junger Rabbiner weiter an, indem er bei der Veröffentlichung von Luzzattos Replik⁶⁹ Änderungen und Streichungen von Informationen aus dem privaten Brief Luzzattos vornahm, den er zu diesem Anlass bekommen hatte.⁷⁰ „Wenn ich sehe, wie meine Zeitgenossen so dreist ohne alle Sachkenntnis schreiben, muß ich da nicht immer mehr die Ueberlegenheit der Schule der Aufrichtigkeit über die der Eitelkeit empfinden? Wer auch immer der kecke Verfasser der angeführten Zeilen, […] so muss ich mich doch sehr wundern, wie die achtbare Redaktion einer so argen Verläumdung hat einen Platz einräumen können!“⁷¹ Nach der Phase, die von Spannungen, öffentlichen Attacken und Versuchen, die andere Partei in einem schlechten Licht dastehen zu lassen, geprägt war, gelang es Luzzatto 1843, Korrespondent für Fürsts Organ Der Orient zu werden. Den ersten offiziellen Beitrag lieferte er zur Debatte über den Frankfurter ReformVerein,⁷² zu einer Zeit, als die Israelitischen Annalen schon seit zwei Jahren nicht mehr publiziert worden waren. Mitte der 1840er-Jahre wurde die Korrespondenz
Die Konkurrenz ließ sich deutlich in vielen Artikeln und kurzen Berichten feststellen. Vgl. J. Fürst, „Literarische Skizzen und Berichte“ Ebd. 1 (31.10.1840), 44, 693 – 696: 694; [I. M. Jost], „Nachrichten und Correspondenzen, Triest, 1. Febr.“ Israelitische Annalen 3 (26.01.1841), 9: 68 – 69. Luzzatto, Nachrichten und Correspondenzen. Padua 16. Nov. 1840 (11.12.1840). Jost publizierte z. B. nur die Äußerungen Luzzattos über Fürst und ließ aus dem langen Brief einige Äußerungen Luzzattos aus, vor allem jene, in denen Luzzatto Gentilomo doch als Kabbalist beschrieb, der er vor der Zeit des Studiums am Collegio gewesen sei. Dieser aber hatte sich Luzzatto zufolge rationalistischen Theorien zugewandt, die Luzzatto selbst nicht annehmen konnte; vgl. „Luzzatto an Jost, Frankfurt am Main, 16.11.1840.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 229, 306, 388 – 394. Luzzatto, Nachrichten und Correspondenzen. Padua 16. Nov. 1840 (11.12.1840); vgl. auch im Original des Briefes die Tatsache, dass Luzzatto den Namen Fürsts erwähnte, während dieser im Artikel nicht vorkommt. „Luzzatto an Jost, Frankfurt am Main, 16.11.1840.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 229, 306, 388 – 394: 390 S. D. Luzzatto, „Stimmen und Urtheile über den Frankfurt Reform-Verein. Gutachtliches Wort von Samuel David Luzzatto (Über den in der Augsburger Allgemeinen Zeitung 3. August 1843 besprochenen jüd. Reformverein), (Aus dem Italienischen, von einem Schüler des Unterzeichneten übersetzt.) (Schluß)“ Literaturblatt des Orients 4 (26.12.1843), 52: 822– 824. Über die Positionen Luzzattos hierüber vgl. Kapitel 6.1.
2.2 Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika
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zwischen Fürst und Luzzatto deutlich intensiver.⁷³ Besonders reichhaltig wurde sie in den Jahren 1845 – 1847 und 1850. In dieser Zeitspanne lieferte Luzzatto dem Orient verschiedene literaturhistorische, sprachwissenschaftliche und philologische Beiträge, stellte darüber hinaus Julius Fürst in Leipzig darüber hinaus sowohl seine persönliche Quellensammlung aus Manuskripten sowie alten Briefen für die Leser des Orient wie auch seine eigenen Studien zur Verfügung.⁷⁴ Im Laufe der Kooperation an Fürsts Wochenschrift legte Luzzatto eine offene und tolerante Haltung gegenüber Kritiken an den Tag und versuchte so, das Bild eines aufgeklärten Gelehrten zu vermitteln, der sich weder kurzsichtig verhielt noch sich mit seinen eigenen Verdiensten in seinem Elfenbeinturm einschloss. Ein Beispiel dafür bietet sein 1846 veröffentlichter Artikel über das Trauerlied des Ibn G’ebirol, in dem Luzzatto um Ergänzungen sowie um Bestätigung seiner Thesen bat.⁷⁵ Diese Bitte richtete sich insbesondere an eminente Gelehrte wie Leopold Zunz.⁷⁶ In den Schlussworten seines Artikels forderte Luzzatto Zunz auf, seine eigene These über die genaue Datierung und über die wissenschaftliche Tätigkeit bestimmter Autoren in seinem kurz zuvor erschienenen Werk Zur Geschichte und Literatur (1845) zu revidieren oder ihm andernfalls diesbezüglich genauere Informationen und Begründungen zukommen zu lassen. Luzzatto hoffte, der Hauptvertreter der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums werde seiner Aufforderung nachkommen. Zunz als Gegner, aber auch als einzigen geeigneten und erfahrenen Ansprechpartner in die Diskussion hineinzuziehen, lag ihm besonders am Herzen, weshalb er absichtlich die Auseinandersetzung mit ihm suchte. Trotz der Meinungsunterschiede zwischen beiden Gelehrten und der Absicht Luzzattos, Zunz zu widerlegen, waren die Briefe, die beide austauschten, wie die Artikel doch Ausdruck respektvoller Bewunderung und Ehrerbietung.⁷⁷
Vgl. Kapitel 3.2. dieser Arbeit zum Briefwechsel zwischen Luzzatto und Fürst. S. D. Luzzatto, „Trauerlied des Rabbi Salomo Ibn G’ebirol, über den im Monat Nisan 4799 (d. h. April 1039) getödteten R. Jekutiël. Abgeschrieben aus einer bei meinem Freunde R. M. Girondi sich befindenden Handschrift, wo sich auch der Brief des Menachem Ben Saruk an Chasdai B. Isaak befindet. Von Sam. Dav. Luzzatto, Prof. am Coll. Rabb. zu Padua“ Literaturblatt des Orients 7 (10.09.1846), 37: 580 – 589; ders., „Ueber die Sprache der Mischna von Sam. Dav. Luzzatto“ Ebd. 8 (01., 15., 22.01.1847), 1: 3 – 4, 1– 5: 46 – 48; 55 – 57; ders., „Verzeichnis der Poëtanim von Prof. Sam. Dav. Luzzatto“ Ebd. 9 (29.07.1848), 31: 481– 485; 35 (26.08.1848): 547– 553; 36 (02.09.1848): 573 – 576; 39 (23.09.1848): 614– 618. Vgl. Kapitel 3.2. Luzzatto, Trauerlied des Rabbi Salomo Ibn G’ebirol, 589. Ebd. Vgl. S. D. Luzzatto, „Der Tod Raschi’s von Herrn Carmoly unrichtig vom Jahre 1105 auf 1108 verlegt“ Literaturblatt des Orients 7 (02.07.1846), 27: 418 – 423. In dem Artikel verteidigte Luzzatto Leopold Zunz’ Studien zu Raschi gegen die Attacken Eljakim Carmolys (1802– 1875). Luzzatto
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
Luzzatto wünschte sich, all die Texte, in denen seine Werke und Beiträge zitiert und kommentiert wurden, zu sammeln und mit deren Autoren in eine intensive sprachwissenschaftliche Debatte einzutreten.⁷⁸ Zugleich beklagte sich der italienische Gelehrte, er habe immer noch keine Anmerkungen und Kritiken u. a. zu seinen Prolegomeni erhalten, und das zehn Jahre nach der Veröffentlichung und obwohl er zahlreiche Exemplare seiner Grammatik an unterschiedliche Gelehrte geschickt habe.⁷⁹ Bei näherer Betrachtung lässt sich aus dieser Kooperation sowie aus den Polemiken zwischen Fürst und Luzzatto ersehen, dass der deutsche Publizist beabsichtigte, eine bestimmte Wahrnehmung des italienischen Gelehrten zu popularisieren. Dies lässt sich anhand der Kolumnen seiner Zeitschrift nachweisen.⁸⁰ Einerseits wurde Luzzatto in den Rezensionen von Fürst als brillanter exegetischer Forscher und Experte der semitischen Sprachen gepriesen.⁸¹ Andererseits wurde jedoch das Bild von Luzzatto als Theologe und philosophischem Denker geschwächt. Während in Josts Annalen vorwiegend ein statischers Bild Luzzattos als eines kämpferischen und begeisterten Mitstreiters für die zeitgenössischen Einflüsse der aristotelischen und allgemein griechischen philosophischen Theorien gezeichnet wurde, vermittelten die Kolumnen des Orient in den darauffolgenden Jahren einen facettenreicheren, sich wandelnden Eindruck von dem Gelehrten, das Luzzattos Entwicklung von einem steifen Fanatiker zu einem kühnen Denker und Humanisten vor Augen führte. Letztlich wurde Luzzatto im Laufe seiner publizistischen Mitwirkung am Orient aber eher als beflissener exegetischer Forscher und Experte der semitischen Sprachen dargestellt, der umfangreiche Studien über die hebräische Philologie und Poesie sowie die jüdische Literatur und nicht zuletzt auch tiefer gehende philosophische Grundlagen zur jüdischen Reform in die zeitgenössischen Diskussionen einbringen konnte. Fürst veröffentlichte in seinem Periodikum auch Beiträge anderer italienischer Forscher, u. a. eine „Rechtfertigung einiger von Herrn I. S. Reggio in seinem Werke Tora und Philosophie (S. 63 – 64, 98 – 100) angeführter irriger Stellen aus
zeigte großen Respekt und Bewunderung für Zunz’ Gelehrsamkeit. Vgl. auch S. D. Luzzatto, „Literarische Analekten. Moses Chefez“ Literaturblatt des Orients 8 (30.04.1847), 18: 280 – 281. Ders., Verzeichnis der Poëtanim von Prof. Sam. Dav. Luzzatto (29.07.1848), 485. Ders., Ueber die Sprache der Mischna (08.01.1847), 57. Fürst, Literarische Skizzen und Berichte (31.10.1840), 694. Hier rezensierte Fürst das Werk „Choker u Mekubal“ von Luzzatto positiv und pries dessen literarischen Wert.Vgl. auch M. Zipster, „Kurze Ueberschriften. Calendario Ebraico per venti secoli esteso con nuovo metodo, da S. D. Luzzatto da Trieste, professore nell’Istituto Rabbinico di Padua, socio corrispondente dell’ I. R. Veneto“ Literaturblatt des Orients 11 (27.07.1850), 30: 471– 474. Fürst, S. D. Luzzattoʼs Schriften.
2.2 Kooperation mit den deutsch-jüdischen Periodika
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berühmten Autoren, als Beweis, wie selbst die gründlichsten Gelehrten dem Irrthum unterliegen“.⁸² Es handelte sich um kritische Bemerkungen des Gelehrten aus Görz, die von dem mährischen Rabbiner Joseph Weisse (1812– 1897) aus der Korrespondenz mit Reggio selbst gesammelt und an die Redaktion des Orient weitergeleitet wurden. In seinem Artikel nahm Fürst, wie er selbst formulierte, Reggios Ansichten „in Schutz“.⁸³ Luzzatto war also nicht der einzige italienischsprachige Gelehrte, dessen Forschungen und Studien in den Kolumnen des Orient rezipiert und ausführlich kommentiert wurden.
Fazit zu den publizistischen Kooperationen Gewiss beweist die deutsch-jüdische Presse als Ort vielfältiger Manifestationen der jüdischen Kultur im 19. Jahrhundert, aber vor allem der deutsch-italienischen Begegnung und Konfrontation, dass beide Seiten dieser Plattform eine zentrale strategische Bedeutung zuschrieben. Dies erklärt sich dadurch, dass die Presse unter den besonderen Rezeptionsbedingungen von der italienisch-jüdischen Forschung und deren Protagonisten gleichzeitig als Ort gemeinsamer Interessen, aber auch der Verschärfung oder Entschärfung von Auseinandersetzungen, Konkurrenzen, Konflikten und wechselseitigen Missverständnissen oder intellektuellen Verhärtungen genutzt wurde. Im 19. Jahrhundert wurden italienisch-jüdische Gelehrte – aus der deutschjüdischen Perspektive – als Exporteure meist konservativer oder ausgetrockneter Modelle der wissenschaftlichen und der religionsphilosophischen Forschung wahrgenommen. Deshalb bedeutete der Zugang zu dem damals unbestreitbar lebendigen und blühenden Zentrum des jüdischen Wissenschaftsdiskurses, der deutsch-jüdischen Wissenschaftspresse, für eine Minderheit wie die italienischjüdische Gelehrtengruppe um Luzzatto einen bedeutsamen Wendepunkt. Statt als passive Rezipienten versuchte sich diese kleine Gruppe von Gelehrten als aktive und kritische Kommunikationspartner auf einer diskursiven Ebene zu etablieren. Die Autorität der deutsch-jüdischen Gelehrten spiegelte sich z. B. in der Entscheidung vonseiten deutscher Redakteure wider, die zu veröffentlichenden wissenschaftlichen Beiträge italienisch-jüdischer Autoren so zu manipulieren, dass sie als zwiespältig und kontrovers erschienen. Vor allem aber lässt sich J. Weisse, „Literarische Analekten. Rechtfertigung einiger von Herrn I. S. Reggio in seinem Werke Tora und Philosophie (S. 63 – 64, 98 – 100) angeführter irriger Stellen aus berühmten Autoren, als Beweis, wie selbst die gründlichsten Gelehrten dem Irrthum unterliegen, (aus brieflicher Mittheilung)“ Literaturblatt des Orients 1 (12.09.1840), 37: 584– 587. Ebd., 584.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
feststellen, dass italienisch-jüdische Gelehrte, die von außen meist als Repräsentanten streng konservativer Tendenzen des Judentums des 19. Jahrhunderts betrachtet wurden, diesmal die Möglichkeit nutzten, jene einseitige Perspektive zu widerlegen und sich in ihren Artikeln dagegen zu wehren. Aus deutsch-jüdischer Sicht zeigten die Herausgeber der genannten Zeitschriften durch die Auswahl bestimmter Beiträge, bestimmter Themen und Abhandlungen, durch das Kommentieren oder Einfügen von Erläuterungen und Erweiterungen oder aber gerade durch das Verschweigen und Streichen bestimmter Passagen implizit oder explizit, dass es ihnen nie um eine rein sachliche Vermittlung von Texten, Studien, Erkenntnissen und Forschungen der italienischjüdischen Gelehrten ging. Vielmehr waren häufig Bewertungen mit im Spiel, die mit Annäherungen an oder Distanzierungen von einem jüdisch-kulturellen Modell zusammenhingen, das teilweise desavouiert oder verdrängt werden sollte.
2.3 Die italienisch-jüdische Antwort auf die deutsch-jüdischen Wissenschaftsjournale Im Jahre 1849 fragte der Reformrabbiner Abraham Geiger in einem Brief an Samuel David Luzzatto, weshalb er von ihm noch immer keine Kopie der Zeitschrift Rivista Israelitica bekommen habe. Gleichzeitig versprach der deutsche Reformrabbiner, ein Exemplar seiner Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie zu schicken.⁸⁴ Zu dieser Zeit war das erste Experiment einer italienisch-jüdischen Zeitschrift, die sich direkt an ein jüdisches Publikum wandte, die Rivista Israelitica. Giornale di morale, culto, letteratura e varietà, bereits seit einigen Monaten gescheitert. Nachdem der Arzt und Historiker Cesare Rovighi 1848 die kurze Existenz der Rivista Israelitica von Parma beendet hatte, wurden auf der italienischen Halbinsel bis 1853 keine jüdischen Zeitschriften mehr ins Leben gerufen.⁸⁵ Gleichwohl hatte diese kurzlebige Zeitschrift die Aufmerksamkeit vieler Gelehrter des deutschsprachigen Raums auf sich gezogen. Der oben erwähnte Zeitschriftenaustausch zwischen Luzzatto und Geiger bestätigt, dass die Hefte der
„Geiger an Luzzatto, Padua, 21.08.1849“, Archiv der italienisch-jüdischen Gemeinden, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, Fondo Samuel David Luzzatto, bb.:17, Briefsammlung VII, 2976, 1846/1849. Der Gelehrte Isaak Samuel Reggio hatte inzwischen 1852 in Görz für drei Jahre – 5613 (1852/53) bis 5616 (1855/56) – eine Art jüdischen Kalender, die Strenna Israelitica, herausgegeben, die sich am Modell der Luchot orientierte, bei dem der Gelehrte als einziger Autor, Publizist und Herausgeber auftrat.
2.3 Die italienisch-jüdische Antwort
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Rivista noch in privaten Sammlungen einzelner Gelehrter oder in öffentlichen Bibliotheken aufbewahrt wurden. Anders als im deutschsprachigen Raum, in dem Städte wie Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main, Dessau und Breslau im Laufe des 19. Jahrhunderts gleichzeitig oder abwechselnd durch jüdische Reformschulen, Literaturvereine und wichtige Zeitschriften zu Zentren der deutsch-jüdischen Bewegung der Haskala und danach der Wissenschaft des Judentums wurden, bestand in Italien oft kein direkter Zusammenhang zwischen den Pressestädten und den produktivsten Zentren jüdischer Gelehrsamkeit. In den italienischen Städten, Herzogtümern und Staaten war das ortsansässige Druckereiwesen von der lokalen oder der kirchlichen Kontrolle abhängig. Insbesondere im Fall Lombardo-Venetiens war es die Habsburgische Monarchie, die eine strenge Zensur diktierte und durchsetzte. Obwohl das Zensuredikt von Joseph II. (1741– 1790) 1780 immerhin zu einem Fortschritt in Gestalt des Garantiegesetzes geführt hatte,⁸⁶ hatte de facto Leopold II. (1747– 1792) 1791 mit einem Pressereskript ausdrücklich wieder die restriktiveren Bestimmungen der Reichsabschiede des 16. Jahrhunderts eingeführt. Noch in der Epoche der Restauration, Anfang des 19. Jahrhunderts, mussten die jüdischen Gelehrten unter der österreichischen Monarchie mit der Wiederaufnahme einer strengen Zensurregelung leben. Erst die vollzogene italienische Einheit von 1861 führte zu einem radikalen Umbruch. Mit der Einigung wurde das Staatsgrundgesetz des Königreichs Sardinien-Piemont übernommen. Das Statuto Albertino von 1848 verfügte neben der Anerkennung von Zivil- und politischen Rechten für die Juden explizit auch die Pressefreiheit.⁸⁷ Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich unter den neuen sozialen Rahmenbedingungen⁸⁸ und den veränderten politisch-rechtlichen Umständen für die jüdische Bevölkerung⁸⁹ die ersten jüdischen Zeitschriftenprojekte.⁹⁰ Doch auch die erste Emanzipation, die Begeisterung über das Risorgimento, die bürgerliche Gleichstellung der Juden und die Abmilderung der Zensur im Jahre 1847⁹¹ erwiesen sich nicht sofort als Motivationsfaktor für jüdische Publizisten. Die An J. Wilke, „Zensur und Pressefreiheit.“ In Europäische Geschichte Online (EGO), hg. v. LeibnizInstitut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 18.04. 2013. URL: http://www.ieg-ego.eu/wilkej2013a-de [21.10. 2013], 25. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 145. Vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit. Vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli Ebrei italiani, 145. Ebd., 25 – 27. Ebd., 27. Selbst der neue Papst Pius IX. (1792– 1878) hatte die neuen gesetzlichen Maßnahmen in Bezug auf die jüdische Bevölkerung gewollt, beglaubigt und unterstützt. Vgl. B. Di Porto, „,Per l’emancipazione degli Israeliti‘ (1847). L’autografo di Stanislao Grottanelli de’ Santi allʼAccademia Labronica“ Nuovi studi Livornesi 6 (1998), 161– 182: 162.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
fänge der jüdischen Publizistik auf der italienischen Halbinsel lagen noch in der Zeit der Restauration. In Venedig, einer Stadt, die immer noch als Sitz wichtiger Verlage galt, veröffentlichte der jüdische Lehrer Leone Romanini aus Triest 1821 ein Blatt mit dem Titel L’Educazione della femmina israelita („Die Erziehung des jüdischen Weibes“).⁹² Das Blatt, das eindeutig eine pädagogische Zielrichtung hatte, sollte die jüdischen Frauen der Gemeinde von Venedig in der Erziehung ihrer Kinder unterweisen. Diese Hefte sollten unterschiedliche Themen behandeln, darunter jüdische Moral, Geschichte der biblischen Zeiten, jüdische Literatur und hebräische Poesie. Sie sollten zudem einführende Kenntnisse der Naturwissenschaften vermitteln.⁹³ Mit dem einzigen 1821 erschienenen Heft endete aber dieses pädagogische Zeitschriftenprojekt.⁹⁴ Wie der Fall Romanini zeigt, waren die ersten Herausgeber jüdischer Periodika in den italienischen Gebieten keine professionellen Zeitschriftenmacher. Anders als im deutschsprachigen Raum gab es in den italienischen Gebieten zumindest bis Ende des 19. Jahrhunderts keine herausragende Persönlichkeit in der Rolle eines Herausgebers eines wissenschaftlichen Periodikums.⁹⁵ Für den Erfolg einer Zeitschrift war es ein entscheidender Faktor, wer Artikel und Beiträge verfasste. Die italienisch-jüdischen Korrespondenten waren oft starke Persönlichkeiten, die großen Einfluss auf die jeweiligen Herausgeber ausübten. Auf der italienischen Halbinsel verfügten diese Mitarbeiter über eine besondere Macht, während im deutsch-jüdischen Fall meist die Herausgeber selbst in ihrem eigenen publizistischen Unternehmen das größte Gewicht hatten.⁹⁶ Sie hatten bei der Gründung ihrer Zeitschriften zumeist schon seit einiger Zeit als Historiker, Literaturforscher und prominente Rabbiner oder als Bibelexegeten und Orientalisten eine wichtige Rolle gespielt. Auf deutsch-jüdischer Seite waren dies auch die bedeutsamen Begründer der Wissenschaft des Judentums, wie im Fall von Leopold Zunz, Isaak Markus Jost oder Abraham Geiger.⁹⁷
A. Milano, Un secolo di stampa periodica ebraica, Città di Castello 1938, 5; Di Porto, Origini e primi sviluppi del giornalismo ebraico, 45. Zur Erziehung der jüdischen Frauen vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli Ebrei italiani, 89. Vgl. Milano, Un secolo di stampa periodica ebraica, 5; Di Porto, Origini e primi sviluppi del giornalismo ebraico, 45. Von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 54. J. V. Schwarz, „Redaktion ohne Telefon. Ein kurzer Blick hinter die Kulissen eines jüdischen Periodikums in Deutschland vor 1850.“ In Marten-Finnis und Winkler (Hg.), Die jüdische Presse im europäischen Kontext 1686 – 1990, 43 – 71: 47. Ebd., 49; von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 54.
2.3 Die italienisch-jüdische Antwort
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Die „Rivista Israelitica. Giornale di morale, culto, letteratura e varietà“ (1845 – 1848) Das erste Projekt einer jüdischen Zeitschrift wurde 1845 im mittelitalienischen Großherzogtum Parma ins Leben gerufen. Die Rivista Israelitica ging auf die Initiative einer einzelnen Persönlichkeit, des Historikers Cesare Rovighi, zurück.⁹⁸ Rovighi, der zugleich als Arzt und später als Offizier und Politiker tätig war, kämpfte auch auf der Seite der Nationalbewegung in den Kriegen des italienischen Risorgimento. Im Großherzogtum Parma verfügte die jüdische Bevölkerung damals über fast die gleichen Rechte wie die christliche.⁹⁹ Die kurzlebige Zeitschrift, die nur zwischen 1845 und 1848 gedruckt wurde, sollte ursprünglich als Monatsschrift erscheinen. Es wurden mit einer Unterbrechung insgesamt nur elf Hefte publiziert.¹⁰⁰ Anfang 1848 endete dieses Zeitschriftenprojekt, auch infolge ökonomischer und politischer Gründe.¹⁰¹ Die Rivista Israelitica ähnelte in ihrem Format – mit Fußnoten und mit einer fortlaufenden Nummerierung der Seiten – einem Buch.¹⁰² Trotz der großen Vielfältigkeit und des unterschiedlichen Niveaus der Themen, die keinesfalls auf eine kleinstädtische oder stark eingeschränkte regionale Realität begrenzt waren, konnte sie sich anscheinend weder auf ein breites Lesepublikum noch auf viele Subskribenten stützen. Die Rivista Israelitica erwies sich als eine durchaus wichtige publizistische Plattform und als ein höchst ausdifferenzierter Veröffentlichungsort sowohl für unbekannte als auch für namhafte jüdische Autoren.¹⁰³ Die Publikation zählte bedeutende jüdische Persönlichkeiten wie Luzzatto und Della Torre, den Gelehrten Meyer Randegger sowie zahlreiche Rabbiner wie Giuseppe Levi, David Vita Tedesco und den jungen Marco Mortara aus Mantua zu ihren Korrespondenten. Dies bestätigt noch einmal, dass das Renommee des Herausgebers bei
Vgl. Milano, Un secolo di stampa periodica ebraica, 6 – 8; Di Porto, „La ,Rivista Israelitica‘ di Parma. Primo periodico ebraico italiano“ Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 5 (1999): 33 – 45; Ferrara degli Uberti, Fare gli Ebrei italiani, 25. Vgl. Schächter, The Jews of Italy, 1848 – 1915, 38 – 39; Di Porto, Gli ebrei dʼItalia dai vecchi stati allʼUnità, 22. Vgl. Di Porto, La „Rivista Israelitica“ di Parma, 34. Das letzte Heft trug rückwirkend das Datum von Oktober 1847. Die Rivista endete wegen der geringen Zahl der Abonnenten und wegen der Umwälzungen der Befreiungskriege in jenen Jahren. Rovighi wurde zudem Sekretär für die provisorische Regierung in seiner Heimatstadt Modena; vgl. ebd., 45; ders., Gli ebrei dʼItalia dai vecchi stati allʼUnità, 22. Vgl. Di Porto, La „Rivista Israelitica“ di Parma, 34. Vgl. Schächter, The Jews of Italy, 1848 – 1915, 39.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
den ersten italienisch-jüdischen Periodika eher sekundär war und diese stattdessen von den Korrespondenten getragen wurden. Zudem beabsichtigten bedeutende Gelehrte und Forscher, ihre Werke und Aufsätze durch die Zeitschrift in möglichst breiten Leserkreisen und sich selbst zugleich unter möglichst vielen Spezialisten u. a. der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums bekannt zu machen.¹⁰⁴ Was die Themen und Inhalte betrifft, so bot Rovighi ein breites, differenziertes Spektrum an. Er hob vor allem den Erziehungsanspruch der Zeitschrift hervor¹⁰⁵ und betonte, die Rivista beabsichtige, innerjüdische Inhalte, neue Erziehungsmethoden und Bildungsthemen sowie religiöse Anregungen einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen.¹⁰⁶ Laut Rovighi sollte die Rivista „istruire dilettando“¹⁰⁷ („unterhaltend belehren“). Sie behandelte die Entwicklungen und Fortschritte der Emanzipation, religiöse Reformvorstellungen und pädagogische Verbesserungsvorschläge für jüdische Bildungsanstalten.¹⁰⁸ Es wurden auch Reden, Predigten und Vorträge von Rabbinern bei öffentlichen Zeremonien¹⁰⁹ sowie Nachrichten über die politischen und sozialen Verhältnisse in verschiedenen italienischen Gemeinden veröffentlicht..¹¹⁰ Zugleich verzichtete die Zeitschrift auch nicht auf hochkarätige literaturhistorische Beiträge, darunter auch bibelexegetische Studien. In der Rivista waren Artikel und Beiträge zu finden, die einen bewussten Pluralismus der Meinungen und Ansichten sowie der Textarten und Stile pflegten, was sich etwa an den Beiträgen über die Änderungen der religiösen Praktiken zeigt.¹¹¹ Die Reformvorstellungen, die Marco Mortara unter dem Pseudonym Doreš Ṭov veröffentlichte, begegnen direkt neben den radikaleren Ideen von David Vita Tedesco
Luzzatto informierte den deutschen Reformrabbiner Abraham Geiger ausführlich über seine Artikel und Beiträge u. a. zum Thema jüdische Moral in Rovighis Periodikum. Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.08.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 395, 650 – 652. C. Rovighi, „Discorso preliminare“ Rivista Israelitica 1 (01.05.1845) 1– 28: 1. Er bestätigte das bereits in den allerersten Sätzen seiner Rede. Vgl. C. Rovighi, „Educazione e istruzione. Sulla necessità di un nuovo metodo d’istruzione religiosa“ Ebd. 1 (01.06.1845), 2: 89 – 97. Rovighi, Discorso preliminare (01.05.1845), 1. Rovighi, Educazione e istruzione. Pesaro, Discorso pronunciato da Abramo Pesaro alla Società israelitica di lettura esistente in Ferrara; M. Mortara, „Sermone del Rabbino Marco Mortara“ Rivista Israelitica 1 (März–April 1846), 3 – 4: 281. Vgl. C. Rovighi, „Gli Israeliti del Lombardo-Veneto“ Ebd. 1 (15.10.1847), 11: 712– 719. D. V. Tedesco, „Culto: Delle riforme di culto“ Ebd. 1 (15.10.1847), 11: 673 – 683.
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und den traditionsgebundenen Positionen seiner ehemaligen Professoren am Collegio Rabbinico, Luzzatto und Della Torre.¹¹² In Luzzatto hatte der Herausgeber einen überzeugten Unterstützer der Zeitschrift gefunden, den er ständig um Ratschläge und um neue hochwertige Arbeiten bat.¹¹³ Luzzatto bemühte sich seinerseits, viele Beiträge nach Parma zu schicken. In der Phase der Planung der Publikation war die Zusammenarbeit mit Luzzatto für Rovighi Ansporn und Motivation, und Rovighi beschrieb ihn als wichtigen „Passierschein“¹¹⁴. Er beabsichtigte eine möglichst rasche Verbreitung der Rivista in den anderen Staaten (wie z. B. in Piemont) und Gebieten der Habsburgischen Monarchie zu erreichen.¹¹⁵ Im Hinblick auf die Entwicklungen der jüdischen Emanzipation nahm die Rivista eine vertrauensvolle und zugleich hoffnungsvolle Position ein.¹¹⁶ Die Inhalte des Periodikums spiegelten die optimistische, partizipative Stimmung dieser Zeit aus der Perspektive der italienischen Juden wider.¹¹⁷ Rovighi selbst äußerte sich allerdings vorsichtig zu diesem Thema, da sich die Rivista stets Gedanken über die Zensur machen musste.¹¹⁸ In den Artikeln der Korrespondenten Rovighis waren Aufrufe zur Bescheidenheit und zur moralischen Anständigkeit zu finden. Rovighi sprach in seinen Beiträgen immer positiv über die jeweiligen Regierungen und die italienische Mehrheitsgesellschaft. Die vorsichtige Haltung Rovighis zeigt, dass der Redakteur auf Polemiken und Auseinandersetzungen mit der dominierenden christlichen Umgebungsgesellschaft verzichten wollte.¹¹⁹ Viele Artikel priesen die solidarische und friedliche Haltung der Juden der italienischen Halbinsel.¹²⁰
B. Di Porto, „Marco Mordechai Mortara Doreš Ṭov“ Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 15 – 16 (2010 – 2011); vgl. M. Mortara [„Doreš Ṭov“], „Sulle riforme di culto per gl’Israeliti italiani“ Rivista Israelitica 1 (Juni–Juli 1846), 6 – 7: 373 – 380. In der selben Nummer: S. D. Luzzatto, „Lezioni di Teologia morale del Prof. Luzzatto“, 329 – 349; 8: 473 – 490. Vgl. die Korrespondenz zwischen Samuel David Luzzatto und Cesare Rovighi, die 1845 – 1847– parallel zu den gedruckten Ausgaben der Rivista – besonders intensiv ausfiel. „Rovighi an Luzzatto, Padua, 19.01.1848“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 3979. „Rovighi an Luzzatto, Padua, 18.06.1845“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 3991. Di Porto, La „Rivista Israelitica“ di Parma, 39. Pesaro, Discorso pronunciato da Abramo Pesaro alla Società israelitica di lettura esistente in Ferrara; C. Rovighi, „Dell’Emancipazione israelitica. Dalla Gazzetta Privilegiata di Venezia“ Rivista Israelitica 1 (25.09.1847), 10: 650 – 652; ders., Stato attuale degli Israeliti italiani. Vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli Ebrei italiani, 25; Schächter, The Jews of Italy, 1848 – 1915, 38 – 39. Vgl. „Rovighi an Luzzatto, Padua, 05.06.1845, 3985“ sowie „18.06.1845, 3991“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom. Ebd., 35. Vgl. Rovighi, Stato attuale degli Israeliti italiani.
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Hierin spiegelte sich eine universelle Tendenz innerhalb des Judentums wider, die auch bei deutsch-jüdischen Denkern und Rabbinern wie Eduard Gans und Abraham Geiger festzustellen war. Die Positionen vieler Korrespondenten der Rivista unterschieden sich hier nicht sehr von denjenigen von Eduard Gans, der – ähnlich wie Rovighi – dafür plädierte, dass die jüdische Bevölkerung jedes partikulare Interesse¹²¹ und jedes Selbstverständnis als eigene Nation beiseiteschieben sollte.¹²² Unumstritten war für Cesare Rovighi, dass die Juden in den jeweiligen Staaten als gleichberechtigte Bürger gelten und sich selbst zu einer innerlichen moralischen Verbesserung, aber auch zur Förderung des Gemeinwohls der gesamten italienischen Nation bereit erklären sollten. Das hatte zur Folge, dass die Juden seiner Ansicht nach jede geistige Unbeweglichkeit vermeiden und zu einer produktiven Interaktion mit der zeitgenössischen bürgerlichen Gesellschaft bereit sein sollten. In den Artikeln wurde eine besonders ausgeprägte Neigung zur Moralisierung¹²³ und Ästhetisierung der eigenen jüdischen Tradition und des jüdischen Selbstbewusstseins betont. 1845 hatte Abramo Pesaro¹²⁴ (1818 – 1882) in einem langen Beitrag seine Leser auf Konzepte wie Brüderlichkeit verwiesen und dazu aufgerufen, jeglichen religiösen Hass zu vermeiden: [Man will vermeiden], dass die jungen Generationen mit ihrem Verhalten Anlass zu Ressentiment gegenüber denjenigen geben, die auf der Seele ihrer Väter lasteten. Man soll deshalb nicht zu Hass aus Gründen der Religion aufstacheln. Man soll dagegen die Vorzüge von Männern anderer Völker und Glauben erkennen und hervorheben, die die Israeliten Schutz boten und bieten.¹²⁵
Vgl. C. Rovighi, Discorso preliminare (01.05.1845), 3. Rovighi wies in einer Fußnote seiner Rede darauf hin, dass die italienischen Juden eine Gesellschaft waren, wobei „Gesellschaft“ für ihn einzig eine religiöse Bedeutung hatte. Vgl. D. N. Myers, „,The Blessing of Assimilation‘ Reconsidered. An Inquiry into Jewish Cultural Studies.“ In ders. und W. V. Rowe (Hg.), From Ghetto to Emancipation, Historical & Contemporary Reconsiderations of the Jewish Community, Langley/Chicago 1997, 17– 35. Hier weist der Autor auf eine ganz alte Metapher im Judentum hin, und zwar auf das Hinfließen des Flusses in das Meer, d. h. hier entsprechend das Hineinfließen der jüdischen Kultur in das Meer der europäischen Kultur. Vgl. Rovighi, Discorso preliminare (01.05.1845), 5. Abramo Pesaro war ein Vertreter der jüdischen Gemeinde von Ferrara. Pesaro engagierte sich aktiv für die Erziehung und Bildung der jüdischen Jugend und für die Errichtung einer „Gesellschaft für die Förderung der jüdischen Literatur und der Wissenschaften“. Nach der italienischen Einheit bekleidete er auch öffentliche Ämter im Bereich der Finanzen und der Bildung. Vgl. L. Ravenna, „Cav. Abramo Pesaro“ Il Corriere Israelitico 21 (1882): 149 – 150. „[…] che i cuori dei lettori non si esacerbino giammai per odii di religione, per livori contro chi oppresse gli esuli padri, attribuendo le sofferenze di questi, benchè orrende, alla ragione de’ tempi e ad un predominio di barbare costumanze in altrui ed in essi padri fors’anco; avendo di giunta una gran cura di dare grato risalto ai magnanimi di altri popoli e culti che profusero e
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Auch wenn sich die Zeitschrift gegenüber der Mehrheitsgesellschaft rücksichtsvoll und entgegenkommend äußerte, griff sie gleichwohl aktiv in innerjüdische Debatten ein und ließ ihr nachdrückliches Engagement für eine moderne jüdische Wissenschaft deutlich erkennen. Dies zeigte sich in dem Bemühen der Rivista, neue Anregungen für die jüdischen Studien und Fortschritte auf diesem Gebiet in anderen europäischen Ländern in den Blick zu nehmen.¹²⁶ Zugleich sparte Rovighi aber nicht mit Kritik an seinen Glaubensgenossen, wenn es um die weit verbreitete Apathie und um das fehlende Interesse für die Erforschung der hebräischen Sprache, der jüdischen Geschichte und der jüdischen Literatur ging. Die positive Stimmung des Eröffnungsartikels Rovighis mit seinen Plänen einer Neukonzipierung der jüdischen religiösen Erziehung¹²⁷ wich in den nachfolgenden Jahren einer tiefen Verbitterung über das Desinteresse vieler Glaubensgenossen. Betrübt und enttäuscht schrieb er seinem vertrauten Briefpartner Luzzatto im Januar 1848: „Und wie wurde ich von dem Interesse getäuscht, das ich unter einem breiten Publikum erwecken wollte.“¹²⁸ Versucht man, die Zeitschrift Rovighis einer bestimmten Typologie zuzuordnen, so ähnelt sie zum Teil den emanzipatorisch-wissenschaftlichen Zeitschriften auf deutscher Seite.¹²⁹ Die Rivista hatte mit ihren Inhalten und Themen dazu beigetragen, die italienisch-jüdische Bevölkerung auf dem Weg zur Emanzipation mit einer ausgewählten Kombination von Nachrichten und Berichten aus den jüdischen Gemeinden, moralisch-ethischen Beiträgen und wissenschaftlichen Artikeln zu begleiten. Dieser Versuch Rovighis, in seiner Zeitschrift eine Verbindung von aktuellen Themen mit innerjüdischen Debatten und der Popularisierung jüdischen Wissens zu bieten, hatte jedoch zu keinem dauerhaften publizistischen Modell geführt.
profondono protezione e favori agl’israeliti.“ Pesaro, Discorso pronunciato da Abramo Pesaro alla Società israelitica di lettura, 563. Vgl. Rovighi, Dell’Emancipazione israelitica. Die Zeitschrift zeigte sich auch gegenüber dem Thema der jüdischen Erziehung immer sehr aufgeschlossen. „Ma fui ingannato dallʼinteresse che credeva destare nella generalità.“ „Rovighi an Luzzatto, Padua, 02.01.1848“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 3973; der Herausgeber Rovighi bedauerte z. B. 1848 die Tatsache, dass viele Leser das Abonnement schon längst nicht mehr bezahlten. Von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 53.
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Die „Rivista“ und die Vorbilder der deutschsprachigen jüdischen Presse Rovighi wollte seiner Zeitschrift auch einen internationalen Charakter verleihen. Die Redaktion erklärte es zur „cosa opportunissima“¹³⁰ („überaus angemessenen Sache“), auf Beiträge der internationalen jüdischen Presse aufmerksam zu machen und beispielsweise Beiträge aus dem Wiener Kalender und Jahrbuch für Israeliten von Isidor Busch zu veröffentlichen. Rovighi hatte eine Rubrik eingeführt, in der ausgewählte Artikel aus dem Periodikum teils übersetzt, teils in einer zusammengefassten Version veröffentlicht wurden. Seiner Auffassung nach fühlten sich Gelehrte und interessierte Laien in den italienischen Territorien durch die Lektüre der Beiträge des Wiener Periodikums motiviert, das jüdische Wissensverständnis und die jüdische Wissenschaft im gleichen Maß wie im deutschsprachigen Raum zu propagieren.¹³¹ Der deutschsprachige Raum und seine tatkräftigen jüdischen Gelehrten wurden mit ihren wissenschaftlichen Bestrebungen als Vorbild wahrgenommen.¹³² Nach Ansicht Rovighis ging es nicht nur darum, die raschen Fortschritte der deutsch-jüdischen Gelehrten vorzustellen. Er beabsichtigte auch, seine Glaubensgenossen vor ihrem eigenen wissenschaftlichen und kulturellen Desinteresse zu warnen, indem er ein drastisches Bild der verbreiteten negativen Ansichten über das italienische Judentum zeichnete, die nördlich der Alpen herrschten. Als Beispiel dafür sollte der Jahresbericht Ludwig Philippsons aus dem Jahre 1845 dienen, in dem die Existenz der italienischen Gemeinden der Habsburgischen Monarchie nicht einmal andeutungsweise auftauchte. Der Korrespondent Tedesco äußerte sich dazu wie folgt: „Wir leben in Zeiten, die durch Trägheit und Teilnahmslosigkeit gekennzeichnet sind, aber wir haben doch diese Achtlosigkeit nicht verdient!!“¹³³ Indem die Zeitschrift ihre Leser einerseits über das Schweigen über italienisch-jüdische Zustände in nichtitalienischen jüdischen Periodika informierte und andererseits selbst ein tendenziöses Bild des italieni-
C. Rovighi, „Sezione Letteratura. Kalender und Jahrbuch für Israeliten 1846“ Rivista Israelitica 1 (1847), 687– 693: 689. So motivierte Rovighi die Beiträge der deutschsprachigen Presse: „[…] pure noi riteniamo cosa opportunissima il farlo noto all’Italia, e per le cose utili che vi si contengono, e perchè si vegga come in Germania, fra i nostri fratelli più rapida cammina l’intelligenza, più ferva da molto tempo un amore una venerazione per gli utili studj, più si agiti una paziente lodevole indagine per ogni cosa nostra perchè accarezzati e blanditi gli ingegni; e ciò valga, almeno lo speriamo, ad accendere una qualche fiamma d’emulazione tra noi ed a fare che anche in Italia si esalti e si protegga lo ingegno ch’ è organo e ministro dello incivilimento.“ Ebd., 687– 688. Ebd. „Noi viviamo è vero in tempi d’accidia, di biasimevole apatia, ma pure!! … meritarci così una ingiuriosa noncuranza.“ Ebd., 688.
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schen Judentums zeichnete, zielte Rovighi auf eine Reaktion des italienischen Judentums in Gestalt einer baldigen wissenschaftlichen und kulturellen Mobilisierung.
„L’Educatore Israelita. Giornale di letture per le famiglie israelitiche“ Vom Großherzogtum Parma verlagerten sich die jüdisch-journalistischen Aktivitäten nach Norden, nach Piemont und insbesondere in die kleine Provinzstadt Vercelli. Hier hatten 1853, nach fünf Jahren, in denen keine publizistische Initiative zustande kam, die Rabbiner und jüdischen Erzieher Giuseppe Levi (1814– 1874) und Esdra Pontremoli (1818 – 1888) den Entschluss gefasst, eine jüdische Zeitschrift mit dem Titel L’Educatore Israelita ins Leben zu rufen.¹³⁴ Sowohl Levi als auch Pontremoli waren als Lehrer am Collegio Foa von Vercelli tätig. Während Pontremoli 1870 von der Leitung der Zeitschrift zurücktrat, blieb Giuseppe Levi bis zu seinem Tod 1874 als Redakteur für das Periodikum tätig. 1874 verlegte der Educatore seinen Sitz unter seinem neuen Herausgeber, dem Rabbiner Flaminio Servi (1841– 1904) von Vercelli nach Casale Monferrato im Piemont und änderte seinen Namen in Vessillo Israelitico (1874– 1904).¹³⁵ In dieser Zeitschrift wurde – wie bei der Mehrheit der italienisch-jüdischen Periodika –zunächst eindeutig der Erziehungsaspekt in den Vordergrund gestellt. In den ersten Phasen ihres Erscheinens erfüllte sie eine pädagogische Mission für die jüdische Jugend.¹³⁶ Das Periodikum von Vercelli veröffentlichte selbst in der ersten Hälfte der 1850er-Jahre meistens Beiträge zu Themen der jüdischen Religion und Erziehung. In dieser Hinsicht funktionierten die ersten Ausgaben des Periodikums selbst wie ein Katechismus. Die Hefte thematisierten die Bedeutung jüdischer Vorschriften und Lehren sowie die bedeutenden Phasen der jüdischen Geschichte und lieferten pädagogische Beiträge über die Jugenderziehung, die sowohl für die jüdischen Familien als auch für den Schulunterricht geeignet waren.¹³⁷
Milano, Un secolo di stampa periodica ebraica, 12– 14; Di Porto, Il giornalismo ebraico in Italia, „L’Educatore Israelita“ (1853 – 1874); Ferrara degli Uberti, Fare gli Ebrei italiani, 27– 31. Ebd., 28. In den ersten Nummern wurden vorwiegend lange Artikel und Gebete von Rabbinern und Gelehrten wie z. B. Luzzatto zu religiösen Themen veröffentlicht.Vgl. S. D. Luzzatto, „Le tre Unità“ Educatore Israelita 1 (1853): 39 – 47; L. Cantoni, „La preghiera del fanciullo israelita“ Ebd. 1 (1853): 91. Vgl. den ersten und zweiten Jahrgang des Periodikums aus Vercelli Educatore Israelita, das sich in den Jahren 1853 – 1854 auf religionsgeschichtliche und rituelle Themen spezialisierte.
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Erst im Laufe der Jahre änderte sich dieses Profil. Auffallend war die Tatsache, dass z. B. politische und emanzipatorische Ideen anfangs eher spärlich und vorsichtig behandelt wurden. Es wurden vorwiegend Artikel über innerjüdische Angelegenheiten, über die Rolle und Aufgabe des Rabbinats und über religiöse und historische Themen sowie Predigten und Festreden von Rabbinern und Gemeindenachrichten veröffentlicht. Je marginaler die pädagogische Funktion wurde, desto mehr Platz nahmen wissenschaftliche Artikel, literarische Beiträge sowie aktuelle Kultusangelegenheiten ein. Diese wurden mit kritischen Kommentaren der Herausgeber angereichert. Levi betonte, die jüdische Presse sei das einzige verbliebene Bindungselement¹³⁸ und müsse als Instrument des innerjüdischen Austausches gesehen werden. Damit übernahm die jüdische Presse die Funktion, die, so Levi, einst die hebräische Sprache innegehabt hatte.¹³⁹ Die jüdische Presse wurde als Inspiration, als zentraler ideeller Bezugspunkt und als „gemeinsame Turnübung“¹⁴⁰ für die jüdische Bevölkerung in der neuen Ära angepriesen. Sie wurde als bedeutsamer Faktor wahrgenommen, mit dem die jüdische Identität verstärkt werden konnte. Gleichzeitig beabsichtigte Giuseppe Levi durch die journalistische Tätigkeit zu beweisen, dass eine signifikante und produktive Annäherung der italienischen Juden an die Mehrheitsgesellschaft möglich war. Zudem wünschte er sich – wie bereits Rovighi – eine aktivere Beteiligung der Juden an den kulturellen und sozialen Angelegenheiten auf der italienischen Halbinsel. Innerhalb der europäischen jüdischen Presse galt auch für den Educatore Israelita die deutsch-jüdische Publizistik als ein Vorbild, das einen starken Einfluss ausübte. Wie im Fall der Rivista Israelitica von Rovighi konnten auch die Herausgeber Levi und Pontremoli von verschiedenen Kontakten mit deutsch-jüdischen Publizisten und Herausgebern profitieren. So gab es einen regelmäßigen Informations- und Zeitschriftenaustausch. Dabei wurden nicht nur Zeitschriftenhefte, sondern auch kurze Pressemeldungen sowie Nachrichten über neue Veröffentlichungen mittels der engen publizistischen Beziehungsnetze auf beiden Seiten der Alpen ausgetauscht. Die Herausgeber des Educatore Israelita hatten sich schon seit Mitte der 50er-Jahre Kopien der Zeitschrift Jeschurun des orthodoxen Rabbiners Samson Raphael Hirsch, der Allgemeinen Zeitung des Judentums
G. Levi und E. Pontremoli, „Il Giornalismo Israelitico. Dolcezze e Conforti“ Educatore Israelita 2 (1854), 321– 330: 328. Ebd. Ebd.
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von Philippson sowie des Ben Chananja von Löw gesichert.¹⁴¹ Beide Redakteure bemühten sich um eine Zusammenstellung der Studien, Ideen und Forschungen der jüdischen Gelehrten weltweit. Neben Berichten über deutsch-jüdische wissenschaftliche und kulturelle Initiativen und Projekte wurden vorwiegend Nachrichten über das italienischsprachige Judentum kommentiert. Der Educatore Israelita reagierte auch auf die Attacken, die von der deutsch-jüdischen Presse gegen das italienische Judentum geführt wurden. Allerdings konnten sich die italienisch-jüdischen Herausgeber aufgrund der erheblichen Schwierigkeiten und Verspätungen beim Erwerb der deutsch-jüdischen Periodika oft nicht rechtzeitig gegen Polemiken und Kontroversen wehren. Dies passierte 1855 in der Polemik mit Ludwig Philippson: Philippson führte in einem Artikel über italienisch-jüdische Zustände aus,¹⁴² die Literatur des italienischen Judentums sei von einer geistigen Unbeweglichkeit gekennzeichnet. Er wies darauf hin, dass die italienischen Juden entweder eine besondere Abneigung gegen die zeitgenössische deutsch-jüdische Literatur entwickelt hätten oder dass sie die deutsch-jüdischen literarischen Leistungen absichtlich ignorierten.¹⁴³ Einige Monate später durften beide Redakteure des Educatore die Verteidigung der italienischen Kulturverhältnisse veröffentlichen, die vom Rabbiner Marco Mortara im Mai 1855 ursprünglich für das deutsch-jüdische Lesepublikum der Allgemeinen Zeitung des Judentums als Replik verfasst worden, aber nie in den Spalten der Zeitung erschienen war. Darin wurde Philippson vorgeworfen, er habe den Brief von Mortara ohne Grund nicht erscheinen lassen.¹⁴⁴ Bei dieser Gelegenheit widersprach Mortara dem Bild einer italienischen kulturellen Rückständigkeit und Apathie gegenüber dem Fortschritt des Judentums: „[…] Les Israélites italiens quoi qu’en général vexés, quoique vivant au milieu d’une nation divisée et opprimée par le prejugés […] ne sont point au dessous du Judaïsme universel […].“¹⁴⁵ Gleichzeitig fanden Rezensionen über Werke deutsch-jüdischer Autoren in den Kolumnen des Educatore Israelita eine große Resonanz und galten als ein wichtiges Instrument, um sich von der Autorität der deutsch-jüdischen Wissenschaft des Judentums und Vgl. G. Levi und E. Pontremoli „Ieschurun, Nuovo Giornale in Francoforte sul Meno“ Ebd. 2 (1854): 344– 345; dies., „Iessurun“ Ebd. 3 (1855): 26; dies., „Nuovo giornale Israelita“ Ebd. 6 (1858): 87– 88. Vgl. L. Philippson, Italien, Venedig (07.05.1855). Ebd., 248. G. Levi und E. Pontremoli, „Polemica. Sine ira et studio“ Educatore Israelita 3 (1855): 309 – 310. Ebd. In der nachfolgenden Nummer des Educatore fanden sich diesmal von beiden Redakteuren lobende Worte für die positiven Rezensionen des Herausgebers Philippson über neue literarische Veröffentlichungen.Vgl. G. Levi und E. Pontremoli, „L’Allgemeine Zeitung D. J.“ Ebd. 3 (1855): 339.
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ihrer Deutungsmuster zu emanzipieren. In der Beurteilung von deutsch-jüdischen Werken, historischen Neuveröffentlichungen und neuen Periodika in Form von Kurzvorstellungen wurde teilweise heftigste Kritik geübt. Im Laufe der 1860er- und 70er-Jahre vermehrten sich Aufrufe an die Leser, in denen die begeisterten Töne der ersten Jahre nicht mehr zu finden waren. Hier kamen stattdessen Sorgen über die publizistischen Schwierigkeiten des Periodikums zur Sprache.¹⁴⁶ In den letzten Jahren wurde in den programmatischen Artikeln ein apologetischer Ton erkennbar. In dieser Zeit wurde die Zielrichtung der Zeitschrift teilweise revidiert. Dabei trat bei Giuseppe Levi die bittere Feststellung der Vergänglichkeit jeder publizistischen Tätigkeit an die Stelle der Idee des jüdischen journalistischen Unternehmens als Instrument der Verewigung des Judentums.¹⁴⁷
Die Rubrik: „Rivista bibliografica israelitica“ von Lelio Della Torre Giuseppe Levi und Esdra Pontremoli beauftragten Lelio Della Torre, Rabbiner und Professor am Collegio Rabbinico von Padua, in der Rubrik Rivista bibliografica („Bibliografische Revue“) regelmäßig Rezensionen jüdischer Presseorgane und neuer Veröffentlichungen vor allem aus dem deutschsprachigen Raum zu schreiben. Dabei wurden Publikationen ausgewählt und kommentiert, die für die Diskussionen und Debatten in den jüdischen Gemeinden weltweit wichtig und aktuell waren.¹⁴⁸ Della Torre nutzte seine Artikel häufig dafür, seine Bewunderung
In der Tat kennzeichneten Ernüchterung und ein Gefühl der Enttäuschung die Jahre ab 1871, in denen Giuseppe Levi nach dem Austritt von Pontremoli als alleiniger Herausgeber, fungierte. „Die Herausgabe einer Zeitschrift in Italien ist durch so viele Schwierigkeiten gekennzeichnet, dass ich meinen ehemaligen Kollegen beneide, einen guten Grund gehabt zu haben, um diese Tätigkeit aufzuhören.“ [Übers. d. Verf.] („La pubblicazione di un giornale israelitico in Italia è irta di tante difficoltà e di tante spine, che io invidio quasi il preclaro collega, a cui si è presentata giusta ragione di smetterla.“) G. Levi, „Ai benevoli Lettori“ Ebd. (1871), 1: 3. Ebd., 4. In diesem Eröffnungsartikel vom Jahre 1871 ging Levi davon aus, dass jedes Programm gegenüber der steigenden zeitgenössischen Apathie und Gleichgültigkeit völlig machtlos war. Das publizistische Unternehmen wurde von Levi nun als Belastung wahrgenommen, und zwar nicht infolge der verschiedenen Verpflichtungen des Herausgebers, sondern infolge des wachsenden Desinteresses der jüdischen Öffentlichkeit an der jüdischen Presse und an deren Inhalten. Diese Nachrichten aus den jüdischen Gemeinden welweit wurden als letzte Rubrik in jeder Nummer des Educatore veröffentlicht.
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für die deutsch-jüdische Presse allgemein wie auch für die professionelle Arbeit vieler Herausgeber zum Ausdruck zu bringen.¹⁴⁹ In seiner Kolumne wies Della Torre auf Publikationen hin, die unterschiedliche Tendenzen im Judentum dieser Zeit widerspiegelten. In diesem Zusammenhang machte er auf Frankels Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, Philippsons Allgemeine Zeitung des Judentums, Geigers Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie und auf die Werke des Historikers Isaak Markus Jost aufmerksam. Er bewunderte aber auch die Publikation Jeschurun des neoorthodoxen Rabbiners Samson Raphael Hirsch, und besonders häufig besprach er Artikel der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums. ¹⁵⁰ Della Torres Kolumne bot jedoch nicht nur Rezensionen, sondern fungierte auch als wichtige Informationsquelle über aktuelle Debatten und wissenschaftliche Projekte im deutschsprachigen Raum. Der Aufbau der Beiträge und die Tiefe der Argumentation zeigen, dass er nicht nur Fachwissen, sondern auch gründliche Kenntnisse der deutschen Sprache besaß. Im Unterschied zur Monatsschrift wurde die Allgemeine Zeitung des Judentums von Della Torre aufgrund ihres populärwissenschaftlichen Charakters als eine herausragende und gelehrte Erscheinung der Epoche angesehen.¹⁵¹ Es handelte sich um eine Publikation, deren Einfluss auf die Juden aus Della Torres Sicht unschätzbar war.¹⁵² Er be-
„Deutschland ist nicht nur die Heimat der jüdischen Zeitschriften, sondern auch des ,Jahrbuchs‘. Hier strömt die Wissenschaft in Flüsse und Bäche, in Werke tiefgründiger Kritik, in Werke hochkarätiger Forschung für Fachspezialisten, aber auch für das Volk, für die Familien und die Schulen.“ [Übers. d. Verf.] („Come del Giornalismo così dell’Annuario Israelitico è patria la Germania, dalla quale la scienza giudaica scorre non solo a fiumi e a torrenti in opere di profonda critica e di dotte ricerche per gli eruditi, ma anche a piccoli rivi pel popolo, per le famiglie e le scuole.“). Hier wies Della Torre insbesondere auf das Wienerische Organ der Kalender und Jahrbuch für Israeliten. Ders., „Rivista bibliografica. Jahrbuch für Israeliten, 5618 (1857– 1858) hg. v. Joseph Wertheimer. Neue Folge, vierter Jahrgang, Wien Leopold Sommer, kl. 8°“ Educatore Israelita 6 (1858), 149 – 152: 149 – 150. Dies bestätigte, dass Della Torre die Monatsschrift bereits seit ihrer ersten Ausgabe las. Ders., „Rivista bibliografica israelitica per gli anni 1851– 52– 53“ Ebd. 2 (1854), 1: 19 – 22. Della Torre informierte seine Leser u. a. über die Polemik zwischen dem Herausgeber Zacharias Frankel und dem Orientalisten Heinrich Ewald (1803 – 1875) in den Kolumnen der MfGWJ aus dem Jahre 1852. Z. Frankel, „Replik an Herrn Professor Heinrich Ewald in Göttingen“ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 1 (Dezember 1852), 15: 597– 598. In der Polemik ging es um die Rezension Ewalds über Frankels Schrift „Über den Einfluss der palästinischen Exegese auf die alexandrinische Hermeneutik“. Levi und Pontremoli, L’Allgemeine Zeitung D. J. L. Della Torre, „Parte letteraria. Ritratti d’illustri Israeliti contemporanei. Lodovico Philippson“ Educatore Israelita 2 (1854): 73 – 77; 135– 141.
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wunderte Philippsons Zeitschrift vor allem aufgrund ihres breiten Themenspektrums und der abwechslungsreichen Kulturberichterstattung.¹⁵³ Mithilfe der Presse wollte Della Torre eine Popularisierung der Wissenschaft und eine Verbreitung jüdischer Forschung erreichen. Deshalb schenkte er jenen publizistischen Organen besondere Aufmerksamkeit, die jüdische Wissenschaft nicht ausschließlich für eine begrenzte Gelehrtengruppe betreiben wollten. Mit seinen Artikeln beabsichtigte er, die Arbeit von Männern wie Philippson hervorzuheben, d. h. von Forschern und Rabbinern, die ihre wissenschaftliche Arbeit zugleich als Prediger und Erzieher in den Dienst ihrer Glaubensgenossen stellten.¹⁵⁴ Deshalb fanden in seiner Rubrik und auch außerhalb von dieser zusätzliche Beiträge der Allgemeinen Zeitung des Judentums einen prominenten Platz. Auch Berichte über literarische Projekte, die von Philippsons und Josts Institut zur Förderung der israelitischen Literatur unterstützt wurden, wurden immer öfter rezipiert und kommentiert.¹⁵⁵ Darüber hinaus richtete sich das Interesse Della Torres vorwiegend auf die publizistischen Aktivitäten der jüdischen Gelehrten der Habsburgermonarchie, u. a. auf Artikel aus dem Kalender und Jahrbuch des Herausgebers Joseph Wertheimer¹⁵⁶ und aus dem Periodikum Ben Chananja von Leopold Löw in Szegedin.¹⁵⁷ Nach Meinung Della Torres stellten vor allem die Artikel aus Ben Chananja eine hilfreiche Quelle dar, um sich mit praktischen Angelegenheiten und wichtigen Fragen des Alltags der Rabbiner in den Gemeinden auseinanderzusetzen. Ein weiterer Grund für seine positive Einschätzung war sicherlich der Umstand, dass sowohl Luzzatto als auch Della Torre selbst Hauptautoren und Korrespondenten der Zeitschrift waren.
Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. G. Levi und E. Pontremoli, „Società Promotrice della letteratura Israelitica in Germania e una nostra scusa al D. Philippson“ Ebd. 3 (1855): 371– 372; dies., „Un importante progetto letterario“ Ebd. 5 (1857): 247– 248. Vgl. L. Della Torre, „Rivista Letteraria“ Ebd. 6 (1858): 149 – 152. Die Rubrik von Della Torre verlieh dem Educatore sowohl wissenschaftliches Niveau als auch einen internationalen Charakter. Im Hinblick auf das deutschsprachige Judentum stellte Della Torre fest, dass nach all den subversiven Tendenzen der letzten zehn Jahre wieder eine gewisse religiöse Begeisterung zu erkennen war. Durch die Errichtung neuer jüdischer Institutionen, durch die Pflege der alten jüdischen Einrichtungen und durch die Aufmerksamkeit für religiöse und theologische Themen werde ein bedeutender Schritt in Richtung auf eine Konsolidierung der jüdischen Religion getan. Ders., Ieschurun, nuovo giornale in Francoforte sul Meno. Della Torre bestätigte, dass Hirsch ihm bereits eine Kopie der ersten Nummer der Zeitschrift geschickt hatte.
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„Il Corriere Israelitico. Periodico mensile per la storia e la letteratura israelitica e per gli interessi generali del Giudaismo“ In Triest wurde 1862 auf Initiative Abraham Vita Morpurgos (1813 – 1867) die Monatsschrift Il Corriere Israelitico. Periodico mensile per la storia e per la letteratura israelitica (1862– 1915) ins Leben gerufen.¹⁵⁸ Die Zeitschrift wurde ein Jahr nach der Proklamation des italienischen Königreichs gegründet, als Triest und Illyrien noch immer Teil der Habsburgischen Monarchie waren. Die Struktur der Zeitschrift ähnelte derjenigen eines Buches. Im Unterschied zum Educatore Israelita, in dem jede neue Ausgabe durch einen Leitartikel des Herausgebers Giuseppe Levi eingeleitet wurde und der durch dessen starke Persönlichkeit geprägt war, war der Corriere durch seine Loyalität gegenüber der Triester jüdischen Gemeinde gekennzeichnet.¹⁵⁹ Die anfängliche gemäßigte Haltung des Corriere zeigte sich in seinen Richtlinien. In den programmatischen Artikeln, die regelmäßig veröffentlicht wurden, war weder eine offenkundig politische Zielrichtung noch ein besonderes Zielpublikum zu erkennen. Im Vordergrund standen eine zuversichtliche Haltung sowie die allgemeine Idee des jüdischen Fortschritts und des Erwachens der Juden aus der religiösen Trägheit.¹⁶⁰ Der Schwerpunkt der Zeitschrift lag auf historischen und literarischen Angelegenheiten.¹⁶¹ Der Herausgeber selbst definierte sein Periodikum als „Lehranstalt“ und betonte damit dessen pädagogische Zielsetzung.¹⁶² Der Corriere verstand sich als Gegenmittel gegen „Ketzergrundsätze“, die vor allem in die jüdische Erziehung Eingang gefunden hätten,¹⁶³ und erklärte seine Unabhängigkeit von jeder Richtung, Tendenz und Partei innerhalb des Judentums. Es wurde deutlich darauf hingewiesen, dass die Zeitschrift auf jede Form der Polemik verzichten wollte¹⁶⁴ und nicht als Kampfplatz für Streitigkeiten und Debatten dienen sollte.¹⁶⁵
Milano, Un secolo di stampa periodica ebraica, 16 – 20; Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme. Ebd., 3 – 4. Vgl. auch A. V. Morpurgo, „Programma e Storia“ Il Corriere Israelitico 1 (01.05. 1862), 1, 3 – 8: 8. Ebd. Ebd., 7. Ebd. Zum Programm des neuen Herausgebers vgl. A. Curiel, „Programma“ Ebd. 6 (August 1867): 129 – 132. Ebd., 130. Die Zielsetzung des Corriere richtete sich auf „das Belehren und nicht das Streiten“. Ebd.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
Der Corriere, der sich offiziell zum Unterstützer der gemäßigten Positionen erklärt hatte, befand sich aber im Konkurrenzkampf mit einem anderen jüdischen Periodikum, dem Educatore aus Vercelli.¹⁶⁶ Der Corriere führte jedoch Polemiken, die sich meist gegen die etwas progressiveren Positionen der Herausgeber des Educatore Levi und Pontremoli richteten.¹⁶⁷ Je heftiger die Diskussion um die religiöse Reform von den unterschiedlichen Parteien geführt wurde, desto häufiger wurden die Artikel des Educatore als Zielscheibe verwendet. Diese gemäßigte Haltung erklärte sich auch aus der strengen Zensur, welche die publizistische Tätigkeit in den österreichischen Gebieten stark beeinträchtigte.¹⁶⁸ Mit der Zeit wurde der Corriere aber infolge der Lockerung der Zensurbestimmungen durch die habsburgische Regierung zum Sprachrohr verschiedener Tendenzen innerhalb des italienischen Judentums.¹⁶⁹ Neben einer pädagogischen Zielsetzung, die mithilfe literarischer und historischer Beiträge verfolgt wurde, betonte man die Förderung des Interesses für die jüdischen Studien und warb für eine entsprechende Hingabe an diese Inhalte.¹⁷⁰ Der Herausgeber beabsichtigte, aktuellen Angelegenheiten wie dem Fortschritt der Emanzipation und dem Zustand der jüdischen Presse in anderen Ländern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Als Vorbild dienten Morpurgo die Periodika, die in der österreichischen Hauptstadt Wien veröffentlicht wurden; sie waren zum größten Teil den populärwissenschaftlichen Zeitschriften zuzuordnen.¹⁷¹ Darüber hinaus wurde vorsichtig die Idee der Verbrüderung und der Hingabe für ein undefiniertes Vaterland betont.¹⁷² Der Corriere beabsichtigte dabei, keine deutliche Positionierung zwischen dem neu gegründeten italienischen Staat und der österreichischen Monarchie vorzunehmen.¹⁷³ Offensichtlich pflegte der Corriere aus politischen Gründen eine vorsichtige Haltung. Die österreichische Obrigkeit wurde darin als wohlgesinnte und duldsame Ansprechpartnerin der Tri-
Vgl. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 252. Vgl. Ebd., 253. Vgl. A. V. Morpurgo, „Due parole dʼintroduzione“ Il Corriere Israelitico 2 (01.05.1863): 3 – 4. Vor allem nach dem Tod Abram Vita Morpurgos wurden von dem neuen Herausgeber Curiel unterschiedliche Ansichten und Positionen vor allem in Bezug auf Kultusreform nebeneinander vertreten; vgl. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 254– 256. Morpurgo, Programma e storia, 7. Vgl. Jahrbuch und Kalender für Israeliten und das Periodikum Deborah. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für Israeliten des Herausgebers Isach Bloch. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 249. Oft wurde die Stadt Triest als einzige Patria (Heimat) definiert; vgl. Morpurgo, Programma e Storia. Vgl. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 250.
2.3 Die italienisch-jüdische Antwort
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ester jüdischen Gemeinde bezeichnet.¹⁷⁴ In den Spalten des Corriere zeigte sich auch eine versöhnliche Haltung gegenüber der katholischen Gesellschaft. Dahinter stand der Versuch, jeden Verdacht separatistischer oder antichristlicher Bestrebungen der Juden zu entkräften¹⁷⁵ sowie Vorurteile und Misstrauen zwischen der katholischen Gesellschaft und den Juden zu beseitigen. Dieser jüdischchristlichen Annäherung kam in der Zeitschrift große Bedeutung zu, sie wurde zu einem der Leitmotive in vielen einleitenden Artikeln. Viele programmatische Beiträge verwendeten Begriffe wie „Barmherzigkeit“, „Nächstenliebe“ oder „Erbarmen“,¹⁷⁶ die auf die katholischen Vorstellungen und auf den Wortschatz der katholisch-liberalen Presse der Zeit verwiesen. Der Herausgeber griff darüber hinaus gezielt viele Themen auf, die mit den italienischen Ausprägungen der religiösen Reform zu tun hatten. Die Debatte um religiöse Reformen im Judentum wurde im Corriere mithilfe eines heftigen Schlagabtausches zwischen konservativen und progressiven Autoren angefeuert.¹⁷⁷ Im Laufe der Jahre häuften sich in der Zeitschrift Artikel bedeutender Gelehrter und Intellektueller über die Autorität und die Aufgabenfelder sowie über den Einfluss des italienischen Rabbinats.¹⁷⁸ In diesem Zusammenhang erschienen seit Mitte der 1860er-Jahre auch Artikel über die Notwendigkeit von Rabbinerkongressen und Konferenzen, die auf die jüdischen Gemeinden außerhalb der italienischen Grenzen hinwiesen. Die Beiträge schenkten den Rabbinerkongressen im deutschsprachigen Raum besondere Beachtung.¹⁷⁹ Der Corriere wurde besonders von den jüdischen Gelehrten des lombardovenetischen Königreiches und in erster Linie von Luzzatto und Della Torre mit Beiträgen unterstützt.¹⁸⁰ Die Triester Zeitschrift diente der kleinen Gruppe von Gelehrten um die beiden eben genannten und Mortara als Plattform für ihre literaturhistorischen, theologischen, exegetischen Auseinandersetzungen mit anderen jüdischen Denkern und Rabbinern, die ihre Artikel meist in den Spalten des
A. V. Morpurgo, „Gl’Israeliti a Trieste“ Il Corriere Israelitico 1 (01.05.1862), 1, 8 – 11: 11; und 30 – 32. Ders., „Al benevolo lettore“ Ebd. 1 (01.05.1862): 25 – 26. Vgl. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 249. Morpurgo, Al benevolo lettore, 25. Vgl. M. Mortara, „Della Convenienza e della Competenza di un Congresso Rabbinico“ Il Corriere Israelitico 4 (1865 – 1866): 371– 375; ders., „Sul dispotismo dei Sinodi“ Ebd. 6 (1867): 302– 303. S. Formiggini, „Mali e Rimedi“ Ebd. 6 (1867): 375 – 377; vgl. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 255 – 257. Vgl. D. J. Maroni, „Congresso rabbinico italiano“ Il Corriere Israelitico 4 (1865): 297– 301. Vgl. L. Della Torre, „Sulla proposta di conferenze rabbiniche“ Ebd. 3 (1864), 217– 219: 218. Ferrara degli Uberti, Fare gli Ebrei italiani, 28.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
Educatore Israelita veröffentlichten.¹⁸¹ Ab 1863 begann Lelio Della Torre regelmäßig mit Abraham Vita Morpurgo und seiner Zeitschrift zu kooperieren. Dies geschah in einer Zeit, in der Missverständnisse und Polemiken zwischen Della Torre und dem Herausgeber des Educatore Israelita Giuseppe Levi zur Rolle und zu den Aufgaben der Rabbiner in der modernen Zeit immer häufiger wurden und ihren Höhepunkt erreichten.¹⁸² Diese Diskussionen, die im Zentrum der Polemik standen, hatten die Unterbrechung jeglicher Kooperation zwischen den beiden Gelehrten zur Folge gehabt. Della Torre fand nunmehr im Corriere eine wohlwollende Plattform für seine literarischen Beiträge, die dadurch ebenso Beachtung fanden. In der Rubrik Rivista Letteraria der Triester Zeitschrift setzte er die Vermittlung seiner Forschungen und seines Verständnisses der talmudischen Literatur fort, die er bereits in seiner ehemaligen Rubrik in der Zeitschrift aus Vercelli betrieben hatte. Mit dieser Rubrik Della Torres hatte der Corriere ein breites und hochkarätiges Spektrum an wissenschaftlichen Themen gewonnen.¹⁸³ Dies war seitens des Corriere ein Zeichen des Interesses für die deutsch-jüdische literarische und wissenschaftliche Produktion sowie ein Versuch der Sensibilisierung der italienisch-jüdischen Leserschaft für die deutsch-jüdischen literarischen Entwicklungen.¹⁸⁴ In der Rubrik mit dem Titel Società israelitica letteraria in Germania wurde deutlich, dass Della Torre deutsch-jüdische wissenschaftliche Periodika wie die Monatsschrift von Zacharias Frankel sowie andere populärwissenschaftliche Periodika als Quellen verwendete. Auch neue Publikationen bedeutender jüdischer Autoren des deutschsprachigen Raums wurden rezipiert und analysiert. In seiner Rubrik legte Della Torre sein eigenes Urteil offen und verteilte freimütig Kritik und Ratschläge an seine Kollegen. Den Lesern stellte er Werke hochkarätiger deutsch-jüdischer Autoren wie Heinrich
Della Torre etwa betrachtete Morpurgos Monatsschrift als einen sicheren Publikationsort, in dem er seine Positionen gegen die Attacken der Publizisten des Educatore und sowie anderer Rabbiner verteidigen konnte. Die Mitwirkung Della Torres fand aber Anfang der 1860er-Jahre ein Ende, in einer Zeit, in der die Meinungsunterschiede zwischen Della Torre und dem Herausgeber des Educatore Israelita, Giuseppe Levi häufig in langen Beiträgen in der Presse publiziert wurden. In diesen Jahren erreichte z. B. die Polemik um die Autorität und Rolle des Rabbinats zwischen beiden Gelehrten den Höhepunkt. Vgl. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 252– 253. Von Della Torre wurde auch die Rubrik Società israelitica letteraria in Germania aus der jüdischen Zeitschrift Cronaca Israelitica, deren Veröffentlichung in Korfu unterbrochen worden war, in die Triester Zeitschrift übernommen. Wie schon im Fall des Educatore Israelita kam in jenen Jahren eine Kooperation zwischen den Herausgebern des Wiener Kalenders Joseph Wertheimer, Leopold Kompert und Abraham Vita Morpurgo zustande, die sich allerdings auf einen Austausch von Heften, Artikeln und Informationen sowie kurzen Nachrichten aus den Gemeinden beschränkte.
2.3 Die italienisch-jüdische Antwort
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Graetz’ (1817– 1891) Geschichte der Juden oder Werke von Ludwig Philippson, Bernhard Beer oder Rabbiner Leopold Stein vor. Mit dem Wirken Della Torres stieg das wissenschaftliche Niveau des Corriere Israelitico erheblich. Ende der 1840er-Jahre, als sich die deutsch-jüdische Publizistik bereits in unterschiedliche Formate ausdifferenzierte und spezialisierte, machte die italienisch-jüdische Presse ihre ersten Schritte. Dies geschah in einer Zeit, in der die deutsch-jüdische Presselandschaft vielfältiger und konkurrenzfähiger wurde. Im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum, in dem die Anfänge der jüdischen Publizistik in den Großstädten stattfanden – die eine Schlüsselrolle auch für die Anfänge und die Entwicklungen der Wissenschaft des Judentums spielten –, sah das Szenario in den italienischen Territorien anders aus. Hier lagen die publizistischen Zentren meistens in Provinzstädten und in kleinen jüdischen Gemeinden, wie etwa Parma oder die Stadt Vercelli in Savoyen-Piemont. An ihrem Wohnsitz widmeten sich die Herausgeber und Redakteure der Zeitschriften der publizistischen Aktivität und führten parallel dazu ihre Tätigkeiten als Ärzte, Erzieher, Rabbiner oder Religionslehrer fort. Im Gegensatz zu ihren deutsch-jüdischen Kollegen waren die italienischen Redakteure keine bedeutenden Begründer von jüdischen Kultur- und Literaturvereinen oder Akademien. Bei den Erzeugnissen der italienisch-jüdischen Presse handelte es sich in dieser Phase um individuelle Projekte, die trotz Unterbrechungen, Finanzierungsproblemen und eines nicht selten kühlen Empfangs seitens des italienisch-jüdischen Lesepublikums allmählich zur Plattform der jüdischen Wissens- und Wissenschaftsvermittlung in italienischer Sprache wurden und ein hohes publizistisches Niveau erreichten. Für die Entwicklung der jüdischen Presse auf der italienischen Halbinsel waren der ideengeschichtliche Wandel sowie die politischen, sozialen und kulturellen Prozesse und Ereignisse, die sich um das Jahr 1848 bündelten, Auslöser eines Wandels der Medienlandschaft und der Etablierung einer neuen jüdischen öffentlichen Sphäre gewesen.¹⁸⁵ Eine ähnliche Entwicklung hatte in der deutsch-jüdischen Presselandschaft schon seit einiger Zeit stattgefunden.¹⁸⁶ Hier formten schon seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts jüdische Forscher und Wissenschaftler als Herausgeber, Redakteure, Publizisten, Autoren und Leser eine jüdische Teilöffentlichkeit und bemühten sich zugleich darum, das Interesse einer breiteren bürgerlichen deutschen Öffentlichkeit zu wecken. Nach dem Tod Luzzattos 1865 und des Herausgebers Morpurgo 1867 wurde die Triester Monats Auf deutsch-jüdischer Seite bedeutete das Revolutionsjahr 1848/49 aufgrund der strengen Zensur vielmehr eine der schwersten existenziellen Krisen für die jüdische Presse. Nur einige Zeitschriften überlebten und wurden weiter publiziert. Vgl. Schwarz, „Ew. Exzellenz wage ich […] unterthänig vorzulegen.“, 131– 132. Von der Krone, Wissenschaft in Öffentlichkeit, 17.
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Kapitel 2: Jüdisches Pressewesen
schrift zur Plattform unterschiedlicher religiöser Tendenzen und Ansichten, die offen debattiert und diskutiert wurden. Als Morpurgo gestorben war, übernahm sein Schwiegersohn Aronne Curiel die Leitung der Monatsschrift.¹⁸⁷
Curiel, Programma. Vgl. Di Porto, Il Corriere Israelitico. Uno sguardo d’insieme, 254.
Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht ein kleiner, aber für die Erforschung der Geschichte der Wissenschaft des Judentums und der jüdischen Studien bedeutsamer, produktiver Teil des Beziehungsgeflechts zwischen Samuel David Luzzatto und einigen Protagonisten der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein besonderer Stellenwert kommt in diesem Zusammenhang den Korrespondenzen mit dem Publizisten Julius Fürst in Leipzig und mit dem Reformrabbiner Abraham Geiger in Breslau zu. Der Akzent liegt insbesondere auf der Frage nach den wechselseitigen Bezugnahmen und Einflüssen in diesem Gelehrtenaustausch, nach dessen Entwicklung und der Transformation wissenschaftlicher Positionierungen mit Blick auf philologische und religionsphilosophische Themen sowie auf ganz pragmatische Bedürfnisse der Beteiligten im Verlauf der Korrespondenzen. Hinsichtlich des Phänomens des Kulturtransfers, das bei der Analyse der Briefe zwischen Luzzatto und seinen beiden deutschen Kollegen Fürst und Geiger im Zentrum stehen wird, gilt es, deren Kontakt und weitverzweigtes Beziehungsgeflecht zu interpretieren, indem die produktiven Phasen ihrer Kooperation, aber auch die Spannungen und Auseinandersetzungen rekonstruiert werden, die daraus entstanden. Die offensichtlichen oder kaschierten Gegnerschaften, die dabei eine Rolle spielen, werden als Folge der Dynamiken dieses Kulturtransfers näher beleuchtet. Zugleich werden auch die Grenzen solcher transnationalen jüdischen Vernetzungen analysiert. Mittels einer Analyse der Beziehung der beteiligten deutsch-jüdischen und italienisch-jüdischen Gelehrten, ihrer fachlichen Auseinandersetzung mit jüdischen Themen und ihres Diskurses über die Produktion jüdischen Wissens werden sowohl die Annäherungsprozesse zwischen ihnen als auch ihre bleibenden Meinungsunterschiede sichtbar.
3.1 Luzzatto und die deutschen Kommunikationspartner. Gründe, Umstände, Leistungen der Vernetzungen Samuel David Luzzatto gestaltete seinen wissenschaftlichen Alltag schon seit Anfang der 1820er-Jahre mit einer Vielzahl paralleler wissenschaftlicher Tätigkeiten. Er beteiligte sich an literarischen und erzieherischen Projekten, suchte akribisch Buchsammler und Antiquare für den Erwerb und Kauf alter Handschriften und ging neben seiner Lehrtätigkeit als Professor am Collegio Rabbinico in Padua seinen exegetischen Studien sowie seinen sprachwissenschaftlichen https://doi.org/10.1515/9783110768558-006
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
und philologischen Forschungen nach. Nicht zuletzt pflegte er regelmäßige Kontakte mit seinen Korrespondenten, die sich weit über die italienischen Landesgrenzen hinaus erstreckten. Luzzatto war von Anfang an ein pflichtbewusster, fleißiger Korrespondent, der oft täglich mehrere Briefe und Forschungsmaterial an unterschiedliche Korrespondenten und Verleger verschickte. Die Pflege bestehender Kontakte und die unermüdliche Suche nach neuen Briefkorrespondenten, Buchsammlern sowie nach Möglichkeiten der Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Abhandlungen machten bis zu seinem Lebensende einen großen Teil des wissenschaftlichen Alltags Luzzattos aus. Die lange Korrespondentenliste Luzzattos, die zweihundertfünfunddreißig¹ überprüfte Namen zählt, beeindruckt sofort durch ihre Internationalität sowie die geografische Breite seines Netzwerks. Die Tatsache, dass Luzzatto über ein Copialettere („Kopierbuch“)² vefügte, d. h. über ein Heft mit Rohfassungen vieler Briefe, lässt die Feststellung zu, dass er mit Fleiß und Hingabe mehrere Stunden am Tag an der Abfassung der Briefe saß. Insgesamt verfasste er während seines Lebens um die fünftausend Briefe in mehreren Sprachen. Der größte Teil der Briefe Luzzattos war auf Hebräisch geschrieben, ein erheblicher Teil aber auch auf Italienisch, Französisch, Lateinisch, Deutsch und sogar auf Chaldäisch.³ Manche Briefe enthielten Passagen sowohl auf Italienisch als auch auf Hebräisch oder wechselten zwischen Deutsch und Hebräisch oder zwischen Französisch und Hebräisch. Luzzattos Briefe und vor allem diejenigen, die in einer anderen Sprache, u. a. Französisch oder Hebräisch, redigiert wurden, sind besonders sorgfältig formuliert und bestätigen die große Aufmerksamkeit und Genauigkeit, die Luzzatto auf ihre Abfassung verwandte. In manchen Fällen beauftragte Luzzatto die Rabbinerstudenten des Collegio Rabbinico von Padua damit, die Briefe an deutsch-jüdische Empfänger ins Deutsche zu übersetzen. Zweifellos handelte es sich um eine intensive tägliche Beschäftigung, die auch Luzzattos Effizienz bei der Organisation und der Verwaltung seiner Arbeitsabläufe sichtbar macht. Eine Betrachtung der Korrespondentennamen zeigt, dass Luzzattos Kontakte und Netzwerke anfänglich in besonderem Maße von befreundeten italienischsprachigen Gelehrten, Rabbinern und Forschern des nördlichen Teils der italie-
Vgl. [S. D. Luzzatto], Index raisonné des livres de correspondance de feux. Samuel David Luzzatto de Trieste précédé d’un avant-propos et suivi d’un essai des pensées et jugements tirés de ses lettres inédites, Padua 1878. Der Copialettere von Luzzatto befindet sich in Rom im Centro Bibliografico Tullia Zevi, Archivio Storico dell’Unione delle comunità ebraiche italiane, UCEI, Archivio di Samuel David Luzzatto, Miszellen 1, XVI, 4253 – 4334; Miszellen 2, XVII, 4720 – 4818. Index raisonné, X.
3.1 Luzzatto und die deutschen Kommunikationspartner
105
nischen Gebiete gekennzeichnet waren. Erst mit der Zeit ist eine zunehmende Internationalisierung der Kontakte festzustellen: Ab Mitte der 1820er- und weiter in den 1830er-Jahren korrespondierte Luzzatto intensiv und regelmäßig vorwiegend mit den böhmischen und galizischen Gelehrten der Haskala-Bewegung und vor allem mit Nachman Krochmal (1785 – 1840), Salomo Juda Rapoport (1790 – 1867), mit Osias Hirsch Schorr (1814– 1895) aus Brody, mit dem Hebraisten Berisch Blumenfeld (1779 – 1853), dem Publizisten Ignatz Blumenfeld (1812 – 1890) und dem galizischen Herausgeber und Hebraisten Samuel Löb Goldenberg (1807– 1846).⁴ Diese Kontakte intensivierten sich, als Luzzatto und andere italienischjüdische Gelehrte, u. a. Isaak Samuel Reggio, Anfang der 1830er-Jahre als Hauptautoren, regsame Kommentatoren und Herausgeber der hebräischsprachigen Publikationsorgane des habsburgischen Reiches tätig wurden.⁵ Die in den Artikeln der hebräischen Periodika geführten Debatten und Kontroversen fanden in jenen Jahren ihre Fortsetzung in den Briefwechseln und führten bei den beteiligten Gelehrten entweder zu Annäherungen und Aneignung von Wissen oder aber zur Bestreitung von Theorien und Forschungsresultaten. In jenen Jahren nahm aber auch das publizistische Gewicht Luzzattos vor allem im deutschsprachigen Kontext zu. Der entscheidende Wendepunkt der wissenschaftlichen Karriere Luzzattos, seine 1829 erfolgte Berufung zum Professor am Rabbinerseminar von Padua, brachte zudem eine rasche Internationalisierung seiner Briefbeziehungen und Kontakte mit sich. Seit dem Ende der 1830er-Jahre und bis zu seinem Tod 1865 stehen hauptsächlich deutsch-jüdische Gelehrte der Wissenschaft des Judentums im Mittelpunkt seiner Korrespondenzen. Was die Herstellung der Kontakte Luzzattos betrifft, so erwiesen sich manche seiner vertrauten Verwandten, Bekannten und Freunde in seiner unmittelbaren Nähe als entscheidend, wie im Fall des Cousins Eude Lolli bei der Entstehung der langjährigen Freundschaft mit Isaak Samuel Reggio.⁶ Wichtig für die Ausdehnung seines Netzwerks war einerseits, dass er Anfang der 1830er-Jahre mit seinen bibelexegetischen Studien und seinen neuen Erkenntnissen zur hebräischen Poesie und zu den Bibelkommentaren der Epoche der Antike in deutschsprachigen Intellektuellenkreisen große Aufmerksamkeit erregte. Andererseits wurde Luzzatto aber durch diese verstärkte regelmäßige Wirksamkeit als Autor und allgemein durch seine publizistische Präsenz zur Zielscheibe hartnäckiger Kritik in Gestalt privater Briefe sowie von Artikeln in der jüdischen Wissenschaftspresse in deutscher und hebräischer Sprache. Bei der Erweiterung seiner Kontakte und Brief-
Ebd., 4– 14. Siehe Kapitel 2. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 69.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
beziehungen spielten neben der Rezeption seiner eigenen kontroversen Werke in der jüdischen Presse auch die weitere Vermittlung und Fürsprache durch ältere italienisch-jüdische Gelehrte aus dem Freundeskreis Luzzattos eine zentrale Rolle. Insbesondere gilt dies für Meyer Randegger (1780 – 1853), der als Lehrer und vertrauter Freund Luzzattos später auch zum wichtigen Vermittler von Kontakten mit Herausgebern und Publizisten der habsburgischen Monarchie wurde.⁷ Auch der Einfluss seines Freundes Isaak Samuel Reggio erwies sich für Luzzatto in den 1830er-Jahren als entscheidend.⁸ Der galizische Gelehrte Osias Hirsch Schorr erwies sich als Unterstützer und Vermittler nicht nur der Werke und Neuerscheinungen Luzzattos auf dem Buchmarkt; er war auch an der Entstehung des langjährigen Dialogs zwischen Luzzatto und Abraham Geiger in Breslau Anfang der 1840er-Jahre beteiligt.⁹ Luzzatto hoffte, durch seine Kontakte die Kunde über seine Werke zu verbreiten und möglicherweise auch Zugang zu neuen finanziellen Mitteln zu erhalten. Er brauchte jedoch auch fachliche Rücksprache für seine Arbeit und schickte deshalb unterschiedliche Kopien seiner Studien und Neuveröffentlichungen an die wichtigsten Vertreter der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums nach Frankfurt am Main, Berlin, Leipzig und Hamburg mit der Bitte, diese mit Kommentaren, Kritiken und Anregungen zurückzuschicken. Oft nutzte er in den 1840er-Jahren auf der Suche nach vertiefter Auseinandersetzung und fachlichem Austausch mit deutsch-jüdischen Sprachforschern und Bibelexperten, Orientalisten und Philologen des deutschsprachigen Raums deutsch-jüdische publizistische Organe als Foren und Plattformen. In den Schlussbemerkungen zu seinem Aufsatz Über die Sprache der Mischna etwa, den Luzzatto im Literaturblatt des Orients des Publizisten Julius Fürst veröffentlichte,¹⁰ machte er das deutschsprachige Lesepublikum darauf aufmerksam, dass er die Grammatik Prolegomeni konzipiert und verfasst habe, damit „die Sprachforscher seine Ansichten der Kritik unterwerfen werden“ und ihn, wo er sich geirrt habe, belehrten.¹¹ Luzzatto hatte eine Kopie seiner Prolegomeni nicht nur an Julius Fürst,¹²
„Luzzatto an Isaak Samuel Reggio, Görz, 14.01.1825.“ In Epistolario italiano, francese, latino 23, 38 – 39. Reggio fungierte als vertrauter Vermittler zwischen Luzzatto und dem deutsch-jüdischen Historiker Isaak Markus Jost (siehe Kapitel 2.2). „Luzzatto an Abraham Mainster, Verona, 19.02.1841.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 233, 400. Luzzatto, Ueber die Sprache der Mischna (08.01.1847), 57. Ebd. „Luzzatto an Julius Fürst und Franz Delitzsch, Leipzig, 14.07.1837.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 152, 224– 225.
3.1 Luzzatto und die deutschen Kommunikationspartner
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sondern auch an andere namhafte deutsch-jüdische Gelehrte der Wissenschaft des Judentums wie Isaak Markus Jost, Abraham Geiger¹³ und nicht zuletzt an Leopold Zunz verschickt. Auf diese Art und Weise entstanden bei Luzzatto langlebige, mittelfristige oder kurze Korrespondenzen und Partnerschaften mit der deutsch-jüdischen Gelehrtenwelt, die Kultur- und Wissenstransferprozesse ermöglichten. Dabei handelte es sich häufig nur auf den ersten Blick um bilaterale Prozesse. In den meisten Fällen traten jene Gelehrten, die mit Luzzatto korrespondierten, wiederum auch miteinander in Kontakt, um Werke, Informationen und Forschungsergebnisse auszutauschen. So geschah es, dass sich in den 1840er- und 50er-Jahren der Reformrabbiner Abraham Geiger¹⁴ zur gleichen Zeit wie Luzzatto mit unterschiedlichen Gelehrten, Rabbinern, Bibelforschern und Bibliophilen und nicht zuletzt Herausgebern austauschte, etwa mit Leopold Zunz, Leopold Dukes (1810 – 1891), Salomo Juda Rapoport, Osias Hirsch Schorr, Michael Sachs (1808 – 1864), Max Stern (1811– 1873), Samuel Löb Goldenberg, Adolf Jellinek (1821– 1893), Max (Meir) Letteris (1800 – 1871), Salomon Munk (1803 – 1867), Moritz Steinschneider (1816 – 1907). Luzzatto erwies sich im Kontext jener Dynamik des Transfers von Informationen, Wissensbeständen, Texten, Manuskripten, Fragmenten zu deutsch-jüdischen Korrespondenten als zentraler Vermittler. Erstaunlich ist zudem in vielen Korrespondenzen die Bereitschaft, von mehreren Seiten gleichzeitig eine Fülle an originalem Quellenmaterial auszutauschen.¹⁵ Die Korrespondenzen Luzzattos waren, wie hier gezeigt wird, durch einen besonders ausgeprägten Schriften- und Medienaustausch gekennzeichnet. Luzzatto war in Besitz von unzähligen alten Handschriften, Fragmenten, Machzorim,¹⁶ Gedichten, Epigrafen. Erstaunlich ist aber, dass er diesen Bestand im Laufe der Jahre immer stärker erweiterte und gleichzeitig an andere jüdische Forscher und Interessenten einer breiten und gut vernetzten Gelehrtengemeinschaft weiterleitete. Sowohl seine Vertrautheit mit dem Mittelmeerraum als auch
Vgl. z. B. „Luzzatto an Reggio, Görz, 23.07.1839.“ In ebd., 194, 314– 315. Vgl. Kapitel 3.3 dieser Arbeit. Darunter befanden sich alte Codices, Manuskripte und Erstfassungen von Werken oder einzelnen Kapiteln, die noch nicht veröffentlicht waren. Vgl. die Korrespondenz u. a. zwischen Luzzatto und Isidor Busch, dem Herausgeber des Kalender und Jahrbuch für Israeliten in den Jahren 1847– 1848. Vgl. auch die Korrespondenz zwischen Luzzatto und Fürst und zwischen Luzzatto und Geiger, die parallel mehrere Gelehrte und Bibliophile wie Joseph Almanzi, Mordechay Šemuʼel Ghirondi und unterschiedliche Verleger involvierte. Es handelte sich um Gebetbücher, die laut jüdischem Ritus an bestimmten jüdischen Feiertagen u. a. Rosch Ha Schana oder am Yom Kippur verwendet wurden und bestimmte vorgeschriebene Riten enthielten.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
die entsprechenden Sprachkenntnisse verliehen ihm hier große Vorteile gegenüber seinen deutsch-jüdischen Korrespondenten. In Bezug auf die Netzwerkbeziehungen sind wiederum erhebliche Unterschiede in den Interaktionsmechanismen zwischen den einzelnen Beteiligten festzustellen. Unterschiedliche Dynamiken ergaben sich zwischen Luzzatto und seinen deutsch-jüdischen Ansprechpartnern einerseits sowie zwischen Luzzatto und seinen italienisch-jüdischen Korrespondenten andererseits. Luzzatto verhielt sich in der Kommunikation etwa mit dem Gelehrten Leopold Zunz,¹⁷ dem Historiker und Herausgeber Isaak Markus Jost,¹⁸ dem Publizisten Julius Fürst und dem Reformrabbiner Abraham Geiger jeweils unterschiedlich. Ganz anders aber agierte er in seiner Korrespondenz mit Forschern, Rabbinern und Publizisten der italienisch-jüdischen Gebiete. Hier lassen sich Verhaltensmuster feststellen, die vielfach mit seiner dominanten, fast hegemonialen Position in vielen Bereichen der jüdischen Studien zusammenhingen. Häufig nutzte Luzzatto im Umgang mit italienisch-jüdischen Korrespondenten, z. B. mit Herausgebern wie Cesare Rovighi und Giuseppe Levi, seine Machtposition aus, um bestimmte Gefälligkeiten etwa für seine Veröffentlichungen in den Periodika der beiden Gelehrten zu bekommen.¹⁹ In der Dynamik der Kommunikation und des Austausches sowohl mit deutschsprachigen Gelehrten als auch mit italienischsprachigen Korrespondenten spielten aber jeweils auch emotionale Dispositive und subjektive wie persönliche Faktoren eine besondere Rolle. Faszination, Bewunderung, Misstrauen oder Ressentiment waren häufig in den Gelehrtenkorrespondenzen festzustellen und bedingten das Interesse und die Motivation der Parteien, Kontakte zu knüpfen und weiter zu pflegen. Interessant ist außerdem, dass Luzzatto den Kontakt mit schwierigen, wenig wohlwollenden deutsch-jüdischen Ansprechpartnern trotz der offenkundigen Meinungsunterschiede selbst gewählt hatte. Offenbar suchte er gezielt die Auseinandersetzung mit jüdischen Gelehrten, die seine Positionierung mit Blick auf jüdisch-religiöse Ideen und religionsphilosophische Ansichten nicht teilten.²⁰ Ferner sind in den langen Listen der Korre-
S. D. Luzzatto, Hebräische Briefe, אגרות שד"לIgrot ShaDal, gesammelt von seinem Sohne Isaias Luzzatto, []דפוס זופניק עט קנאללער, 5 Bde. Przemyśl [ ]פרזעמישל1882. Ebd. Vgl. die Korrespondenz zwischen Luzzatto und Cesare Rovighi, die in den Jahren der Veröffentlichung des Periodikums Rivista Israelitica von Cesare Rovighi 1845 – 1848 ziemlich dicht wurde. Alle Briefe befinden sich im Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom; vgl. außerdem die Korrespondenz zwischen Luzzatto und Giuseppe Levi in den Jahren 1855 – 1862. Vgl. Kapitel 5.1.
3.1 Luzzatto und die deutschen Kommunikationspartner
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spondenten in seinem Epistolario und im Index deutsch-jüdische Gelehrte und Rabbiner aus den orthodoxen Kreisen eher die Ausnahme. Es scheint daher, als hätte er sich bewusst eher mit intellektuell herausfordernden deutschsprachigen Briefkorrespondenten austauschen wollen. Zu diesen zählten eben Gelehrte wie Steinschneider, Zunz, Jost und Fürst, die als Publizisten für unterschiedliche jüdische Periodika zahlreiche Artikel über Luzzattos Forschungen und Veröffentlichungen herausgaben und verfassten.²¹ Luzzatto, so wird deutlich, wollte das Bild des elitären jüdischen Gelehrten, der allein im Elfenbeinturm nur mit seinen philologischen und sprachwissenschaftlichen Studien beschäftigt war, widerlegen, und zwar nicht nur in seinen Artikeln, sondern auch mittels einer intensiven privaten Korrespondenz. In vielen Briefen an seine Familienangehörigen und befreundete italienische Gelehrte verlieh er seinem Ärger über die Wahrnehmung seiner Forschungsmethode, seines „schwierigen“ Temperaments oder seines „orthodoxen Fanatismus“²² (vor allem in Bezug auf Maimonides und dessen Judentumsverständnis²³) in den deutsch-jüdischen Gelehrtenkreisen Ausdruck. Zu vielen Korrespondenzen, die nur über einen kurzen Zeitraum geführt wurden, kam es damals vor allem infolge seiner überaus kritischen Äußerungen zu Maimonides’ Rationalismus und zu seiner philosophischen Auslegung des Bibeltextes, so etwa dem Briefwechsel mit dem jüdischen Erzieher Fürchtegott Lebrecht (1800 – 1876) in Berlin und dem ungarischen Gelehrten Salomon Rosenthal (1764– 1845) in Pest.²⁴ Luzzattos Polemik gegen Moses Maimonides (1135 – 1204), die sich in der deutsch-jüdischen Presse schnell verbreitete und Aufmerksamkeit fand, löste seinerzeit unzählige Reaktionen von Gelehrten und Intellektuellen in privaten Briefen und in jüdischen Periodika aus. Wegen solcher Ansichten wurden Luzzatto immer wieder – vor allem von deutsch-jüdischen Gelehrten – ein ausgeprägter Obskurantismus und eine Abneigung gegen den Fortschritt vorgeworfen. Luzzatto bemühte sich in mehreren Artikeln und Repliken, solche Anschuldigungen zu widerlegen. Dabei ging es ihm darum, das Bild des beharrlichen, diensteifrigen, aber gleichzeitig kritikfähigen Gelehrten zu vermitteln, der sich
Vgl. Fürsts Reihe von Artikeln, J. Fürst, „Literarischer Salon, eröffnet von Dr. J. Fürst“ Allgemeine Zeitung des Judentums 1 (24.08.1837), 57: 228; 78 (30.09.1837): 312; 84 (14.10.1837): 335 – 336; 112 (19.12.1837): 448. „Luzzatto an Fürchtegott Lebrecht, Berlin, 20.08.1845.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 281, 463 – 466. „Luzzatto an Reggio, Görz, 03.02.1840.“ In ebd., 217, 356 – 358. Vgl. „Luzzatto an Salomon Rosenthal, Pest, 13.08.1839.“ In ebd., 319 – 323; „Luzzatto an Lebrecht, Berlin, 20.08.1845.“ In ebd., 281, 463 – 466. Vgl. Kapitel 5.1 dieser Arbeit.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
nicht nur um die eigenen wissenschaftlichen Verdienste kümmerte, sondern auch Meinungen und Positionen anderer Forscher positiv aufgriff und diskutierte. Luzzatto hatte über die Rezeption seiner Forschung und seiner Werke aus der Lektüre unterschiedlicher Artikel in der deutschsprachigen Wissenschaftspresse der Zeit erfahren.²⁵ Er hoffte, über seine deutsch-jüdischen Ansprechpartner tiefer gehende Fachdiskussionen in Expertenkreisen über unterschiedliche religionsphilosophische, sprachwissenschaftliche und philologische Themen anzustoßen und möglichst viele deutsch-jüdische Gelehrte zur Revision ihrer Auffassungen zu bewegen. Thematisch setzten sich Luzzatto und seine deutsch-jüdischen Korrespondenten intensiv mit fachspezifischen literarisch-historischen, philologischen und sprachwissenschaftlichen Fragestellungen sowie mit dem abgemessenen Verständnis althebräischer Texte und Quellen der Antike und des Mittelalters auseinander. Im Zentrum vieler Briefe Luzzattos und der wissenschaftlichen Diskussionen standen Bibelkommentatoren und deren Bibelauslegungen, Grammatiker, Philologen und Dichter wie u. a. Menachem Ben Saruk (920 – 970), Dunasch Ben Labrat (920 – 990), Raschi (1040 – 1105), David Kimchi (1160 – 1235), Jehuda Chajug (um 1020), Saadia Gaon, Jehuda Halevi, Salomon Ibn Gabirol (1021– 1058) sowie deren Werke und Ideen. Die Korrespondenten diskutierten auch über ihre Forschungsinteressen, über ihre Lehrtätigkeit (so in der Korrespondenz Geiger/Luzzatto), über Fakultätsfragen an den deutschen Universitäten, über die Planung neuer literarischer Projekte und Werke sowie über die Probleme des wissenschaftlichen Arbeitens und Forschens. Mit dem damaligen Gegner Geigers, dem Rabbiner Zacharias Frankel, Direktor des Jüdisch-Theologischen Seminars in Breslau, tauschte Luzzatto neben Fragmenten und älteren Manuskripten auch die Jahresberichte und Studienprogramme der Rabbinerseminare aus.²⁶ Manche Briefwechsel waren nicht nur durch einen intensiven und produktiven Wissens- und Medienaustausch, sondern auch durch private Themen und persönliche Einschätzungen von beiden Seiten bestimmt. Dies bestätigen z. B. die privaten Äußerungen der Korrespondenten auch über andere zeitgenössische jüdische Gelehrte sowie Aussagen über Familie, intellektuelle Begegnungen, Reisen, Krankheit und Tod. Nicht nur die Sprache der Interaktionen zwischen den Beteiligten, sondern auch die Themen und Gegenstände der einzelnen Briefe wurden je nach Korre Luzzatto ließ sich mithilfe seiner verbreiteten Netzwerkkontakte von seinen zahlreichen Korrespondenten als Gegenleistung nach der Erfüllung ihrer unzähligen Anfragen auch Kopien der Wissenschaftspresse aus den jeweiligen Ländern nach Padua zuschicken. „Zacharias Frankel an Luzzatto, Padua, März 1862“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 3482.
3.1 Luzzatto und die deutschen Kommunikationspartner
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spondenzpartner bestimmt. In diesem Zusammenhang scheint Luzzatto eine gewisse Autorität über die Bestimmung der Themenbereiche des Briefwechsels ausgeübt und deswegen einen maßgeblichen Einfluss auf die Inhalte und selbst die Weiterentwicklung der Interaktion und der Kooperation gehabt zu haben. Der Charakter der jeweiligen Konferenz wurde durch die Intensität und Vielfalt der behandelten Themen bestimmt. Darüber hinaus fällt in den Briefen Luzzattos die intellektuelle, distanzierte Rolle des professionellen Gelehrten und des gefragten Fachgelehrten auf. In manchen Briefen findet sich dann im Laufe der Korrespondenz mit deutsch-jüdischen Gelehrten auch ein inoffizieller, entspannter und vertraulicher Ton hervor, der etwa Einschätzungen über andere Gelehrte und deren Tätigkeit sowie Anekdoten des Forscherlebens und Alltagslebens erlaubte, die eine zunehmende Vertrautheit zwischen Empfänger und Absender voraussetzten. Diese privaten Elemente sind vor allem im Fall der Korrespondenz mit deutsch-jüdischen Ansprechpartnern sehr leicht vom wissenschaftlichen Inhalt des Briefes zu unterscheiden.²⁷ In den Briefen Luzzattos an italienisch-jüdische Korrespondenten ist dagegen das „intellektuelle Ich“ des italienischen Gelehrten und Forschers²⁸ vom „privaten Ich“ nicht so leicht zu unterscheiden. Private Geständnisse und fachspezifisches Wissen vor allem in Form von aufschlussreichen sprachwissenschaftlichen, philologischen oder exegetischen Kommentaren wechseln sich in den Briefen ständig ab. Informelle Elemente und fachspezifische Inhalte sind in den Briefen an italienische Korrespondenten enger miteinander verwoben und deshalb dort gleichrangig neben Forschungsergebnissen und Reflexionen des italienischen Gelehrten zu finden. In diesem Sinne fiel auch die Vermischung des Privaten und der Forschung in den Korrespondenzen Luzzattos je nach Briefbeziehung anders aus. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich auf die Korrespondenzen Luzzattos mit den Gelehrten Julius Fürst und Abraham Geiger. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei den unterschiedlichen Interaktions- und Transferprozessen, den Dynamiken und Motiven der Kontakte zwischen diesen Gelehrten geschenkt. Vor allem geht es um die Ziele und Rollenerwartungen der beteiligten Gelehrten und um die Frage, wie sich diese Erwartungen im Laufe der Zeit weiterentwickelten und wie es sich in diesem Zusammenhang mit Prozessen der Rezeption, Annäherung oder erneuter Abneigung und Distanz verhielt.
Häufig befinden sich private Nachrichten und familiäre Angelegenheiten am Ende jedes Briefes vor den Verabschiedungsworten. Vgl. C. Facchini, David Castelli. Ebraismo e scienze delle religioni tra Otto e Novecento, Brescia 2005, 221.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst: Divergenz und Konvergenz eines Briefaustauschs Julius Fürst und Samuel David Luzzatto. Ein schwieriger Beginn und ein gemeinsames Interesse: Gesenius Samuel David Luzzatto widmete sich seit seiner Jugendzeit in Triest den philosophischen, philologischen und literaturwissenschaftlichen Studien. Sehr früh entwickelte er ein großes Interesse für die semitischen Sprachen und insbesondere für die hebräische Grammatik. Wie Luzzatto selbst in seiner Biografie berichtet, hatte er bereits im Alter von elf Jahren die Abfassung einer ersten hebräischen Grammatik in italienischer Sprache unternommen und währenddessen auch exegetische Bemerkungen über den Pentateuch formuliert.²⁹ Weiterhin ist seiner Autobiografie zu entnehmen, dass er ständig danach strebte, sich Bücher in Originalsprache anzuschaffen. Er wagte die Lektüre vieler für die Zeit bedeutsamer jüdischer Autoren in deutscher Sprache.³⁰ Als von zentraler Bedeutung erwies sich die gesamte Lektüre in deutscher Sprache des Lehrgebäude(s) des protestantischen Orientalisten und Bibelkritikers Friedrich Wilhelm Gesenius (1786 – 1842), das Luzzatto schon 1829 erwarb.³¹ Parallel dazu hatte sich Luzzatto der Lektüre von Gesenius’ Kommentar zum Propheten Jesaja (1820) sowie der Kritischen Grammatik des Alttestamentlers Heinrich Ewald (1803 – 1875) gewidmet.³² Gesenius war auch für Julius Fürst prägend, der sich als Student an der Universität in Berlin für philosophische, orientalische und sprachwissenschaftliche Studien interessiert hatte. An der Universität Halle hatte er zu Beginn der 1830er-Jahre zudem Gesenius’ Vorlesungen besucht.³³ Luzzatto war, wie schon betont, ein begeisterter Leser und Anhänger seiner Werke, u. a. des Thesaurus philologico critico linguae Hebraeae et Chaldaeae Veteris Testamenti sowie des Lehrgebäudes der hebräischen Sprache,³⁴ und verwendete diese Werke auch in seiner Lehre am Collegio Rabbinico in Padua für
Autobiografia di S. D. Luzzatto, 52. Ebd., 60, 63, 65. Hier erzählte Luzzatto über seine Annäherung zu den Werken in deutscher Sprache. „Luzzatto an Saul Formiggini, Triest, 07.08.1829“ In Epistolario italiano, francese, latino, 53, 87– 89. Luzzatto erzählte seinem Freund, dass er eine Kopie von Gesenius’ „Lehrgebäude“ aus Leipzig bekommen hatte. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 52. Vgl. M. Kayserling, „Julius Fürst. Zu seinem hundertjährigen Geburtstage, von Dr. M. Kayserling, Budapest“ Ost und West 5 (April 1905), 4, 217– 224: 218. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 65.
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
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seine Rabbinerstudenten.³⁵ Für das Collegio hatte Luzzatto schon 1832 eine Grammatik für die Rabbinerkandidaten sowie eine Version des Pentateuch mit exegetischen Kommentaren verfasst. Fürst hatte 1831 die Schrift Plan und Proben zu einem neuhebräischen Lexicon veröffentlicht. Nach dem Erwerb des Doktortitels der Philosophie erschien dann 1835 sein Lehrgebäude der aramäischen Idiome. ³⁶ Sowohl Luzzatto als auch Fürst beschäftigten sich also zur selben Zeit intensiv mit grammatikalischen Studien über die aramäische und hebräische Sprache. 1836 erschien Luzzattos Grammatik: die Prolegomeni. Als Gelehrte der semitischen Sprachen hatten sowohl Fürst als auch Luzzatto ohne Zweifel von den lexikografischen Studien Gesenius unglaublich viel profitiert.³⁷ Letztere waren daher ein starker Bezugspunkt zwischen beiden jüdischen Gelehrten. Ihr beider Denken weist daher gemeinsame Züge auf, gewann aber im Kontext der entscheidenden Etappen ihrer wissenschaftlichen Ausbildung jeweils auch ein starkes individuelles Gepräge. Aufgrund der jeweiligen sozialen, politischen und rechtlichen Situation ihres Umfelds hatten sich beide Gelehrte dem Studium der semitischen Sprachen unterschiedlich genähert und widmen können. Hatte Fürst seine Kenntnisse an deutschen Universitäten erworben, so hatte sich Luzzatto sein Wissen autodidaktisch angeeignet.³⁸ 1839 wurde Fürst als Lektor an der Universität in Leipzig zugelassen,³⁹ während Luzzatto schon seit zehn Jahren als Professor am Collegio Rabbinico tätig war. Nicht zuletzt seit seiner Berufung zum Professor in Padua hatte Luzzatto das Privileg gehabt, einen regen Briefaustausch mit jenen jüdischen und nichtjüdischen Autoren zu führen, die für ihn als Grammatikgelehrte, Literaturwissenschaftler, Sprachwissenschaftler sowie Historiker besonders wichtig waren. Diese Autoren hinterließen in der philologischen, historischen, linguistischen und exegetischen Bildung Luzzattos eine Wirkung, hinter die dieser inhaltlich nicht mehr zurück konnte, auch wenn er die Argumente und Thesen dieser Werke fast nie teilte.⁴⁰ Luzzattos und Fürsts Bio-
Vor allem Geseniusʼ Lehrgebäude wurde zum regulären Textbuch für den Unterricht in Padua verwendet. Vgl. S. D. Luzzatto, Prolegomeni ad una grammatica ragionata della lingua ebraica, di Samuel David Luzzatto da Trieste, Professore di lingua ebraica e caldaica, sacra esegesi teologia dogmatica e morale, e storia israelitica nel Collegio rabbinico di Padova, Padova 1836, 5. Vgl. Kayserling, Julius Fürst, 218; vgl. auch Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805 – 1873), 44. „Luzzatto an Reggio, Görz, 02.09.1836.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 140, 207– 209. Vgl. einen Artikel über Luzzatto in Fürsts Der Orient, der eine verärgerte Reaktion des Professors in Padua ausgelöst hatte. Hier machte Fürst seine Leser auf die Tatsache aufmerksam, dass Luzzatto ein Autodidakt war; Fürst, S. D. Luzzatto’s Schriften (22.08.1840). Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805 – 1873). Vgl. die Aussagen Luzzattos u. a. über Leopold Zunz, Isaak Markus Jost in seiner Autobiografie. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 65.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
grafien weisen einige Gemeinsamkeiten auf, vor allem aufgrund ihrer wissenschaftlichen Forschungsarbeit, ihrer sprachwissenschaftlichen und exegetischen Interessen sowie ihrer gemeinsamen Bekanntschaften und Vorbilder. Wie dieser briefliche Kontakt aussah und wer daran teilnahm, soll im Folgenden skizziert werden. Im April 1837 hatte Luzzatto Heinrich Friedrich Wilhelm Gesenius eine Kopie seiner Prolegomeni zugesandt,⁴¹ in der Hoffnung, Anregungen und Kritiken von einem so bedeutsamen Professor und Gelehrten zu bekommen. Im Sommer 1837 schickten diesmal der Orientalist Julius Fürst und der evangelische Theologe Franz Julius Delitzsch (1813 – 1890) gemeinsam einen ersten Brief an Samuel David Luzzatto in Padua. Der Brief enthielt nach Ansicht des Empfängers eine singularem doctrinam („ausgezeichnete These“), die das Wohlwollen und das Interesse Luzzattos gefunden habe.⁴² Einige Monate nach dem oben erwähnten Brief an Gesenius vom April 1837 hatte Luzzatto in einem Brief mit zwei Empfängern, und zwar an Julius Fürst unter dem Pseudonym Joseph Alschari und an den evangelischen Theologen Franz Delitzsch, bereits eine Kopie seines Grammatikbuches Prolegomeni ad una grammatica ragionata della lingua ebraica ⁴³ zusammen mit anderem Quellenmaterial nach Leipzig geschickt⁴⁴ und zugleich um Kritik und Anregungen gebeten.⁴⁵ Die ersten Kontakte zwischen den Gelehrten waren in lateinischer Sprache erfolgt. Die Antwort mit dem erwünschten Kommentar des deutsch-jüdischen Orientalisten Fürst über die Prolegomeni verzögerte sich.⁴⁶ Samuel David Luzzatto trat mit Blick auf diese neue Briefbeziehung mit Ungeduld auf und mobilisierte in diesem Zusammenhang auch seine persönlichen
„Luzzatto an Wilhelm Gesenius, Leipzig, 16.04.1837.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 150, 223 – 224. „Luzzatto an Fürst und Delitzsch, Leipzig, 14.07.1837.“ In ebd., 152, 224– 225. S. D. Luzzatto, Prolegomeni. „Luzzatto an Fürst und Delitzsch, Leipzig, 14.07.1837.“ In ebd., 152, 224– 225. Dasselbe hatte Luzzatto mit anderen deutsch-jüdischen Autoren gemacht, insbesondere hatte er seine Grammatik auch an den Hauptvertretern der Wissenschaft des Judentums wie Leopold Zunz, Isaak Marcus Jost und Abraham Geiger geschickt. Vgl. „Luzzatto an Reggio, Görz, 23.07. 1839.“ In ebd., 194, 314– 315; S. D. Luzzatto, Ueber die Sprache der Mischna (08.01.1847), 57. Der fünf Jahre ältere Gelehrte am Collegio Rabbinico in Padua erhielt eine Antwort von Fürst erst im April 1839. Fürst entschuldigte sich bei dem italienischen Gelehrten einige Jahre später und gab als Grund der Verzögerung u. a. seine Sprachschwierigkeiten bei der Abfassung des Briefes in lateinischer Sprache an. Am Anfang war die Kommunikation zwischen beiden Gelehrten eher durch sporadische Meldungen oder sogar durch lange Unterbrechungen gekennzeichnet. „Fürst an Luzzatto, Padua, 13.06.1846“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 440.
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
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Kontakte mit anderen deutschsprachigen Briefkorrespondenten. So nutzte er u. a. die Bekanntschaft mit dem Herausgeber der Zeitschrift Serapeum, Robert Naumann (1809 – 1880)⁴⁷ und mit Franz Delitzsch,⁴⁸ um eine baldige Rückmeldung des kurz zuvor an die Universität Leipzig berufenen Privatdozenten Julius Fürst zu erreichen.⁴⁹ Luzzatto wartete auf die baldige Reaktion und auf den Kommentar eines Spezialisten wie Julius Fürst, der mit seinem Lehrgebäude der aramäischen Idiome oder Formlehre der chaldäischen Grammatik (1835) großes Interesse in jüdischen und christlichen Gelehrtenkreisen für seine Theorie über die indogermanischen und semitischen Stämme geweckt hatte. Die Knappheit seiner ersten Antwortschreiben lässt vermuten, dass Julius Fürst am Anfang Abstand zu Luzzatto halten wollte und ihm gegenüber vermutlich ein gewisses Misstrauen hegte.⁵⁰ Die Prolegomeni Luzzattos waren knapp ein Jahr nach dem Lehrgebäude erschienen und konnten den Verdacht Fürsts nicht ausräumen, der italienische Gelehrte habe in seinem Werk viele Stellen sowie viele ähnliche Formulierungen aus dem Lehrgebäude verwendet. In einer Rezension über Luzzattos Werk in den Kolumnen seiner Wochenschrift Literaturblatt des Orients ließ der deutsch-jüdische Publizist einen subtilen Plagiatsverdacht anklingen.⁵¹ Luzzatto hatte seinerseits zu seiner Verteidigung damals von reinem Zufall gesprochen.⁵² Wenn man den Worten Samuel David Luzzattos Glauben schenken möchte, sollte man diese Reaktion als Anerkennung einer außerordentlichen Konkordanz zwischen beiden Forschern deuten. Es liegen allerdings keine Be-
Auch in seinem befreundeten italienischen Gelehrtenkreis zeigte Luzzatto ein besonderes Interesse an dieser neuen Möglichkeit der Vernetzung. An Robert Naumann schickte Luzzatto u. a. das Inhaltsverzeichnis seiner Privatbibliothek, die im Serapeum (1840), 1, unter dem Titel „Privatbibliothek von Samuel David Luzzatto Professor am Collegium Rabbinicum in Padua“ von dem Besitzer derselben veröffentlicht wurde. Franz Delitzsch erweckte damals mit seinem Werk Zur Geschichte der jüdischen Poesie vom Abschluß der Heiligen Schriften Alten Bundes bis auf die neueste Zeit (1836) sowie mit einer Einleitung zum Drama Moses Chaim Luzzattos Migdal Oz das Interesse Luzzattos sowie anderer jüdischer Gelehrter und Herausgeber wie Max Letteris und Adolf Jellinek. Vgl. S. Wagner, Franz Delitzsch. Leben und Werk, München 1978, 45 – 46. Luzzatto hatte dem evangelischen Theologen seine Kommentare und Anmerkungen hierüber zugeschickt. Deshalb wollte sich Luzzatto im Laufe der Korrespondenz mit Fürst über Delitzsch informieren. „Luzzatto an Robert Naumann, Leipzig, 27.12.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 213, 349 – 350. „Fürst an Luzzatto, Padua, 06.09.1840“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 612. Der erste Brief bestand insgesamt aus neun Zeilen. Vgl. Fürst, S. D. Luzzatto’s Schriften. S. D. Luzzatto, „Padua“ Israelitische Annalen 2 (18.12.1840), 51: 426. Vgl. auch „Luzzatto an Isaak Markus Jost, Frankfurt am Main, 16.11.1840.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 229, Index 306, 388 – 394: 393.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
weise dafür vor, dass Luzzatto, wie er selbst behauptete, erst später, nach der Abfassung seiner Grammatik, auf Fürsts Lehrgebäude gestoßen war. Umgekehrt warf auch Luzzatto Fürst ein Plagiat vor. Denn Fürst hatte vermutlich die Prolegomeni Luzzattos bereits 1837 in seinen Händen gehabt, als er als Korrespondent für die von Ludwig Philippson (1811– 1889) herausgegebene Allgemeine Zeitung des Judentums eine Rubrik mit dem Titel Literarischer Salon verfasste. In dieser Rubrik hatte Fürst 1837 über die „Grammatik welche das größte Aufsehen erregt“⁵³ in unterschiedlichen Beiträgen berichtet. In einem anderen Artikel derselben literarischen Rubrik in der Allgemeine(n) Zeitung des Judentums hatte Fürst Namen italienischer Rabbiner aufgelistet, die genauso auch im Anhang der Grammatik von Luzzatto zu finden waren, wie ihm dieser in einem Brief vorgeworfen hatte.⁵⁴ In dem Artikel hatte Fürst die Bezugsquelle jedoch nicht zitiert.⁵⁵ Diese Reihe von Artikeln, so Luzzatto, sei ein Beweis dafür, dass umgekehrt der deutsche Orientalist damals eine Kopie der Prolegomeni für seine Artikel verwendet hatte.⁵⁶ Solche Plagiatsvorwürfe verursachten auf beiden Seiten eine erhebliche Reserve und Distanz, sodass in den ersten Briefen zwischen beiden Gelehrten starkes Misstrauen zu spüren ist.⁵⁷ Immerhin war aber eine Übereinstimmung in ihren Thesen, Positionen und Schlussfolgerungen, in den grammatikalischen Werken beider Autoren, d. h. in dem Lehrgebäude Fürsts und in den Prolegomeni, zu erkennen, worauf selbst ein Artikel des Literaturblatt des Orients 1842 aufmerksam machte.⁵⁸ Die Tatsache, dass sich beide Gelehrte in den gleichen wissenschaftlichen Forschungsgebieten gut auskannten und fast gleichzeitig ein sehr ähnliches Angebot an Forschungen und Studien vorlegten, führte aber dazu, dass gerade die daraus resultierenden Affinitäten ihres Denkens eine Rivalität zwischen den beiden jüdischen Gelehrten begründete. Der knappe Altersunterschied hatte zudem zur Folge, dass zwischen ihnen kein Lehrer-Schüler-Verhältnis entstehen konnte. Als Experten der semitischen Sprachen und der vergleichenden Sprachwissenschaft wurden sie darum anfänglich eher zu Konkurrenten. Fürst und Luzzatto arbeiteten mühsam und rastlos gleichzeitig an ähnlichen vielfältigen Fürst, Literarischer Salon, eröffnet von Dr. J. Fürst (30.09.1837), 312. „Luzzatto an Fürst, Leipzig, 29.10.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 207, Index 242, 330 – 331. Vgl. Fürst, Literarischer Salon, eröffnet von Dr. J. Fürst (19.12.1837), 448. Für Fürsts Replik vgl. ders., S. D. Luzzatto’s Schriften, 533. Laut Aussage Fürsts hatte er vor einigen Jahren nur für zwei Stunden die Prolegomeni zur Ansicht bekommen und dennoch bis vor Kurzem noch kein Exemplar erhalten. Aufgrund der wechselseitigen Anschuldigungen waren ihre Beziehungen, wie sie sich in den Briefen widerspiegelt, wenig kooperativ und ehrlich, eher rein geschäftlich. M. Sider, „Jüdisch-philosophische Literatur, die neueste Ausgabe des Kusari, beurtheilt von M. Sider, Fortsetzung“ Literaturblatt des Orients 3 (02.04.1842), 14: 209 – 214.
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
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exegetischen und philologischen Projekten, daneben aber auch an weiteren, unterschiedlichen wissenschaftlichen Themen.
Das Publizieren und die Finanzierung von Wissenschaft Weder Samuel David Luzzatto noch Julius Fürst konnten von der Tätigkeit als Professoren den Unterhalt für sich und ihre Familien vollkommen sichern. Das hatte zur Folge, dass Luzzatto die sprachwissenschaftlichen Forschungen seiner privaten Lehrtätigkeit unterordnen musste, während Fürst gezwungen war, seine schriftstellerische Arbeit der Tätigkeit als Dolmetscher zu opfern.⁵⁹ Was die Motivationen und den Anreiz der Netzwerkbildung angeht, war Luzzatto sich der Tatsache bewusst, dass der Kontakt mit dem Publizisten Julius Fürst neue Gestaltungsmöglichkeiten, internationale Anerkennung und wissenschaftliches Prestige für ihn bedeuten konnten.⁶⁰ In der Buchstadt Leipzig, die einen wichtigen Anziehungspunkt darstellte, versuchte Luzzatto, viele Kontakte zu knüpfen, um sein Netzwerk zu erweitern. Vorrang besaß für ihn vor allem die Aussicht, von einem deutschsprachigen Publikum rezipiert zu werden und möglichst viele Werke und Aufsätze im deutsch-jüdischen Buchhandel unterzubringen.⁶¹ Das Publizieren außerhalb der Habsburgischen Monarchie bedeutete für Luzzatto zugleich die Chance, den strengen habsburgischen Zensurmaßnahmen zu entfliehen. Julius Fürst war vor allem mit unterschiedlichen Verlegern der Buchstadt Leipzig vernetzt, die für die Veröffentlichung von Werken Luzzattos infrage kamen. Vor allem suchte dieser einen Publikationsort, um einem Publikum aus Experten und Interessierten nördlich der Alpen handschriftliche Werke bekannt zu machen und seine aktuellen Forschungsergebnisse und Abhandlungen über hebräische Quellen vorzustellen. Von deutsch-jüdischer Seite erhoffte Luzzatto wissenschaftliche Anerkennung, aber auch finanzielle Mittel und Subventionen.⁶² Da sich Luzzatto ständig mit Finanzproblemen herumplagen musste, war die Frage nach der Finanzierung von Wissenschaft ein entscheidender Faktor in der Dynamik seiner Partnerschaft mit dem Publizisten Fürst (s. Abb. 4), auch wenn das Thema nie explizit angesprochen wurde. Fürst sollte hier eine zentrale
Vgl. Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805 – 1873), 45 – 46. „Luzzatto an Fürst, Leipzig, 29.10.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 207, Index 242, 330 – 331. Vgl. „Fürst an Luzzatto, Padua, 09.04.1854“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 474. „Fürst an Luzzatto, Padua, 16.07.1847“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 28.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Rolle als Vermittler, Unterstützer und Fürsprecher spielen.⁶³ Seine Pläne für die Erweiterung seiner Kontakte mit Verlegern und Publizisten im deutsch-jüdischen Kontext erwiesen sich als erfolgreich, als ihm bereits Ende der 1830er-Jahre eine Kooperation mit der von Robert Naumann aus Leipzig herausgegebenen Fachzeitschrift für Bibliothekswissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Literatur, Serapeum, angeboten wurde, parallel zur Kooperation mit Josts Israelitische(n) Annalen.⁶⁴ Auch danach blieb der italienisch-jüdische Gelehrte, was den Aufbau und Erweiterung seiner Kontakte betraf, allerdings auf Julius Fürst angewiesen.
Abb. 4: Der Publizist Julius Fürst (1805 – 1873) an der Universität Leipzig. Ölgemälde von Robert Krausse, 1871.
Luzzatto war entschlossen, sowohl gegenüber dem Redakteur des Serapeums als auch gegenüber Julius Fürst die Bedingungen seiner Kooperation und seine Vergütung auszuhandeln. Abgesehen von Fragen hinsichtlich der Bewahrung und Verbreitung sowie der Nutzung des Wissens spielte der finanzielle Aspekt stets eine Rolle. Luzzatto brauchte immer neue Subventionen, um alte Handschriften zu erwerben, die er ansonsten aus eigener Tasche hätte finanzieren müssen. Luzzattos Motive in der Partnerschaft mit Fürst waren also durchaus geschäftlich bestimmt. Die Prioritäten Luzzattos lassen sich bereits seit den allerersten Kontakten mit dem deutschjüdischen Publizisten feststellen, ebenso in seinen Geständnissen und Äußerungen gegenüber befreundeten italienischen Korrespondenten. „Luzzatto an Naumann, Leipzig, 27.12.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 213, 349 – 350.
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
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Fürst ermöglichte Luzzatto den Zugang zu einem damals blühenden deutschen Publizistiksystem. Der deutsche Orientalist wurde zu einem wichtigen Vermittler zwischen Luzzatto und den Verlegern der Stadt Leipzig, u. a. dem Verleger, Buchhändler, Antiquar und Auktionator Theodor Oswald Weigel (1812 – 1881),⁶⁵ der 1844 das Geschäft von seinem Vater August Weigel (1773 – 1846) übernommen hatte. So konnte Luzzatto etwa bei Weigel Exemplare seines Dizionario ragionato ⁶⁶ veröffentlichen und verkaufen. Luzzatto vermittelte auch Werke und Forschungsprojekte seines Sohnes Filosseno sowie anderer italienischer Gelehrter und Forscher. In seiner Korrespondenz mit Fürst erwähnte er u. a. das historische Werk Storia degli Ebrei e delle loro sette e dottrine religiose durante il Secondo Tempio (1844) des Mailänder christlich-liberalen Politikers, Publizisten und Historikers Aurelio Bianchi-Giovini (1799 – 1862).⁶⁷ Die Intentionen Luzzattos waren durchschaubar, da er seinen deutsch-jüdischen Korrespondenten über die von ihm redigierten dreißig Seiten von kritischen Anmerkungen und Kommentaren, die der Historiker Giovini als Anhang seines Werkes veröffentlicht hatte, informieren wollte.⁶⁸ Im Zuge der Korrespondenz mit Giovini riet Luzzatto dem Historiker, sein Werk nach Wien zu schicken und – wegen der milderen Zensurmaßnahmen – dort drucken zu lassen.⁶⁹ Dies lässt zugleich vermuten, dass Luzzatto einige Kopien der Geschichte von Giovini mit Fürsts Unterstützung auf dem deutsch-jüdischen Buchmarkt zirkulieren lassen wollte. Luzzatto trat hier offenbar ganz stark als Unterstützer und Vermittler italienischer Werke auf. In diesem besonderen Fall lag ihm offensichtlich die Veröffentlichung Giovinis besonders am Herzen, zumal er an dessen Werk selbst mitgewirkt hatte und wohl hoffte, von einer deutschsprachigen Leserschaft auch als Experte der italienisch-jüdischen Geschichte wahrgenommen zu werden. Dank der Unterstützung Fürsts erhielt Luzzatto auch die Möglichkeit, viele seiner Werke mit Subventionen anderer Gelehrter drucken zu lassen. Die Über-
„Fürst an Luzzatto, Padua, 27.07.1846“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 272. Ebd. Luzzatto war es gelungen, Exemplare seiner Prolegomeni ad una grammatica ragionata della lingua ebraica auf dem deutschen Buchmarkt zirkulieren zu lassen. Siehe Kapitel 5.3. S. D. Luzzatto, „Luzzatto an Fürst, Leipzig, 09.06.1846.“ In Index raisonné. In dem Brief informierte Luzzatto Fürst über Filosseno Luzzattos archäologische Studien und über das Geschichtswerk des italienischen Historikers Aurelio Bianchi-Giovini (1799 – 1862). „Luzzatto an Aurelio Bianchi-Giovini, Mailand, 14.03.1845.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 271, Index N. 515, 451. In der Korrespondenz mit Giovini zeigt sich, wie Luzzatto sich bemüht hatte, dessen Buch unter seinen befreundeten Gelehrten der nordöstlichen italienischen Gebiete zirkulieren zu lassen und die Einkünfte aus dem Bücherverkauf nach Mailand zu schicken.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
nahme der Druckkosten vonseiten anderer Gelehrter spielte für Luzzatto eine entscheidende Rolle und bedeutete vor allem eine finanzielle Erleichterung. Luzzatto konnte dank der Werbung, die seine Werke und Projekte in Fürsts Wochenschrift erhielten, auf die Unterstützung vieler alter und neuer Bekannter zählen, wie u. a. auf den galizischen Gelehrten und Publizisten Osias Hirsch Schorr aus Brody, der bereits seit 1836 mit Luzzatto korrespondierte,⁷⁰ und 1847 die Druckkosten für Luzzattos Sammelband Beit ha Ozar übernahm. Es handelte sich um ein Projekt von verschiedenen Heften, das zerstreute bibelexegetische sowie sprachwissenschaftliche Abhandlungen Luzzattos zusammenstellte, darunter auch Arbeiten und philologische Studien, die in den vorherigen Jahren u. a. in Sammelwerken wie Zeitschriften oder Jahrbüchern (etwa im Kerem Chemed, in Bikkurei ha Ittim und im Literaturblatt des Orients) erschienen waren. Fürst hatte diesbezüglich bereits einige Jahre zuvor in der Korrespondenz vom Juni 1846 dem italienischen Gelehrten den Ratschlag gegeben, all seine Abhandlungen in einem „Collage“, und zwar in einen Sammelband, veröffentlichen zu lassen.⁷¹ Das weist einerseits auf die Bereitschaft anderer Gelehrter hin, Luzzatto bei seinen literarischen Werken zu unterstützen, andererseits aber auch darauf, dass dank Fürst eine Erweiterung der Kontakte und des Beziehungsgeflechts Luzzattos im deutsch-jüdischen Raum erfolgreich stattgefunden hatte. Luzzatto war gleichzeitig sehr an ausführlichen wissenschaftlichen Diskussionen mit Julius Fürst gelegen. Der Leipziger Orientalist galt als ausgezeichneter Bibelexeget und Experte im Bereich der chaldäischen, syrischen und hebräischen Sprache und Literatur.⁷² Zugleich war er als furchtloser Publizist bekannt, der mit der geistreichen Ironie seiner Kommentare und Anmerkungen in unzähligen Artikeln und Fußnoten die Zeitschrift Der Orient stark prägte.⁷³ Luzzatto war sich also auch der Tendenz Fürsts zu leichtfertigen Bemerkungen und kühnen Kritiken bewusst. Nach den turbulenten Anfängen der wechselseitigen Bezugnahmen
Luzzatto und der wohlhabende galizische Gelehrte Osias Hirsch Schorr begannen 1836 trotz ihrer entgegengesetzten Auffassungen über jüdisch-religiöse und wissenschaftliche Themen einen langen, lebhaften Briefwechsel sowie eine lange Freundschaft. Luzzatto wurde übrigens auch als Autor in Schorrs Periodikum Ha-Chaluz (1852– 1889) tätig, obwohl beide Gelehrte bereits an der Zeitschrift Zijon von Jost und Michael Creizenach kooperiert hatten. „Fürst an Luzzatto, Padua, 13.06.1846“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 440. Vgl. Kayserling, Julius Fürst, 217– 224; Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805 – 1873), 48. Fürst fügte in Der Orient in langen Fußnoten oft Erklärungen und verschiedene Forschungsergebnisse anderer jüdischer Bibelforscher wie Salomon J. Rapoport, Leopold Dukes oder Adolf Jellinek hinzu, die sich zum selben Thema des veröffentlichten Beitrags geäußert hatten. Der Kommentar Fürsts hatte die Funktion, all diese Positionen zu vergleichen und dabei einige zu schwächen, andere hervorzuheben.
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beider Gelehrter in der deutsch-jüdischen Presse,⁷⁴ erhoffte sich Luzzatto von Fürst nicht nur fachliche Anerkennung, sondern auch öffentliche Rückendeckung für seine sprachwissenschaftlichen Thesen und Studien. Seine Erwartungen an diese Partnerschaft waren also sehr hoch, weshalb er diese Korrespondenz auch unbedingt aufrechterhalten wollte.
Geteiltes Wissen Doch auch Fürst profitierte von dieser Verbindung. Bereits in seinen ersten Briefen hatte sich Luzzatto dazu bereit erklärt, literaturhistorische und philologische Aufsätze, sprachwissenschaftliche Studien sowie Handschriften und zahlreiche Fragmente nach Leipzig zu schicken und auf diese Weise seine Privatbibliothek sowie die Bibliotheken vieler italienischer Bibliophiler und Sammler, die er auch überzeugte, für jüdische intellektuelle Kreise öffentlich zu machen.⁷⁵ Bereits die ersten Briefe zwischen Luzzatto und Fürst waren durch ein starkes Interesse an einem Austausch von Schriften und Quellen bestimmt. Luzzatto war als Sammler von alten Manuskripten ein wichtiger Knotenpunkt und für Fürst deshalb eine zentrale Quellenressource, weil er intensive Kontakte und Handelsbeziehungen zu Buchsammlern, Buchhändlern und Antiquaren außerhalb der italienischen Grenzen bis nach Nordafrika unterhielt. Luzzatto erklärte sich bereit, unterschiedliche Handschriften zu kopieren und zu übersetzen und diese mit Kommentaren, d. h. mit linguistischen und philologischen Erläuterungen und Anmerkungen an Fürst weiterzuleiten. Luzzatto erwies sich als gründlicher und unverzichtbarer Übersetzer sowie Kommentator vieler für Fürst noch unbekannter oder unklarer hebräischer oder aramäischer Quellen. Um als Literaturforscher und Literaturhistoriker in Fürsts Wochenschrift publizieren zu dürfen, nutzte Luzzatto die reichhaltige Sammlung der Bibliothek des Bibliophilen und Dichters Joseph Almanzi⁷⁶ (1801– 1860) in Padua. Sein Plan
Vgl. die Polemik über die Druckerei in Livorno eines ehemaligen Studenten von Luzzatto, die laut der Informationen von Fürst nur kabbalistische und talmudische Werke druckte: Fürst, Personalchronik und Miscellen, 288; Luzzatto, Nachrichten und Correspondenzen. Padua, 16 Nov., 1840 (11.12.1840); Fürst, Berichtigung des Herrn Luzzatto. Vgl. den Artikel über Luzzattos Mitteilung im Serapeum: J. Fürst, „Leipzig“ Der Orient 1 (29.02. 1840), 9: 72. Joseph Almanzi war ein Dichter und Bibliophile aus Padua, dessen Privatbibliothek mit unzähligen Handschriften und seltenen Ausgaben ausgestattet war; nicht zuletzt war Almanzi in Besitz des Fundes von Hayym Joseph David Azulai (1724– 1806), den sein Vater erworben hatte.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
richtete sich darauf, zuerst als zuverlässige Bezugsquelle und als beflissener Korrespondent das Vertrauen des Publizisten Fürst zu gewinnen. Gleichzeitig hoffte er, das Interesse des Sprachforschers und Bibliophilen Julius Fürst für Almanzis Bibliothek und deren zahlreiche Manuskripte zu erwecken. Als guter Freund Almanzis konnte Luzzatto über das wertvolle Quellenmaterial des italienischen Bibliophilen und Dichters verfügen, und als Kurator für das Abschreiben der Handschriften sowie unzähliger Fragmente seiner Bibliothek fungieren. Seine Strategie in den Briefen an Fürst bestand also darin, seine Bereitschaft zu zeigen, dieses reichhaltige Material und dazu weitere zahlreiche Informationen über die neusten literarischen Entwicklungen auf dem italienischen Buchmarkt an Fürst weiter zu leiten. Luzzatto erblickte darin zudem die Möglichkeit, die Fortschritte in der italienisch-jüdischen Forschung einer breiten deutsch-jüdischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auf diese Weise versuchte er, die dort herrschende Skepsis gegenüber der italienisch-jüdischen Wissenschaft und das damit verbundene trostlose Bild der Zustände des Judentums in Italien zu widerlegen. Fürst zeigte sich seinerseits interessiert, von Luzzatto alles zu erfahren, was in den letzten Jahrhunderten von italienischsprachigen Juden gedruckt und geschrieben worden sei.⁷⁷ In seinen Briefen nahm er Luzzatto als Experten und Kenner der italienisch-jüdischen literarischen Produktion der letzten Jahrhunderte ernst. Zugleich war er selbst sehr daran interessiert, seine aktuellsten Forschungsergebnisse, neuen Projekte, bibliografischen Entdeckungen sowie sein Quellenmaterial, darunter unzählige Handschriften und Zeugnisse für die Datierung von älteren Autoren, mit Luzzatto auszutauschen. Fürst informierte sich außerdem regelmäßig bei Luzzatto, ob er schon in Besitz von kürzlich gedruckten Aufsätzen und Werken verschiedener Autoren sei oder diese zumindest gelesen habe, wie im Fall der Werke des französischen Orientalisten Salomon Munk sowie der Werke eines jungen Gelehrten namens Heinrich Graetz (1817– 1891) (s. Abb. 5 a/b).⁷⁸ „Fürst an Luzzatto, Padua, 27.07.1846“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 272. Fürst informierte Luzzatto über Munks Publikationen Notice sur Saadia Gaon et sur une version Persane d’Isaie (1845) und Palestine, Description Géographique Historique et Archéologique aus demselben Jahr. Fürst zeigte sich zudem dazu bereit, all diese Aufsätze und Werke zusammen mit den Nummern des Orient zu schicken. Fürst machte Luzzatto außerdem auf das Werk des französischen Schriftstellers und Philosophen Adolphe Franck (1810 – 1893) aufmerksam, der 1843 sein Hauptwerk La Cabbale ou la philosophie religieuse des hébreux herausgegeben hatte. Fürst berichtete auch über Neuveröffentlichungen, die gerade auf dem deutschen Buchmarkt erschienen waren. Insbesondere wies Fürst Luzzatto auf das Werk Gnostizismus und Judentum des jungen Rabbinerkandidaten Heinrich Graetz hin und fügte seinen positiven Kommentar darüber hinzu. Laut Fürst handelte es sich um ein sehr schönes Werk, das, so Fürst, eine ganz neue Seite
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Abb. 5 a/b: Brief vom 27. Juli 1846 (Fürst an Luzzatto).
Während dieser intensiveren Phasen informierten sich beide Gelehrte gegenseitig über ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten, ihre nächsten Arbeitsschritte und lite-
der Wissenschaft „anmachen würde“. Vgl. „Fürst an Luzzatto, Padua, 27.07.1846“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 272.
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rarischen Pläne, und tauschten Empfehlungen und fachspezifische Ratschläge aus. Luzzatto schickte dem deutsch-jüdischen Publizisten regelmäßig Beiträge sowie seine neuesten Studien und Funde, und das sowohl auf Italienisch als auch
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auf Hebräisch.⁷⁹ Beide Korrespondenten schickten sich auch gegenseitig Rohfassungen ihrer Werke oder einzelner Kapitel zu. Dies zeugte insbesondere von dem problemlosen und großzügigen Umgang beider Gelehrter mit ihren unveröffentlichten Werken, mit zukünftigen Projekten sowie mit noch unerforschtem Quellenmaterial, d. h. mit einem geteilten geistigen Eigentum, das für die Weiterentwicklung ihrer Partnerschaft hohe Bedeutung besaß. So hatte Fürst Luzzatto z. B. Probebögen seiner Concordanz ⁸⁰ (1840) sowie die Hefte seines 1842 in Leipzig erschienenen hebräischen und chaldäischen Schulwörterbuches versprochen. Fürst schickte dem italienischen Gelehrten Beilagen seiner großen Concordanz, zusammen mit anderen Handschriften und Beiträgen, weil er sich von ihm offenkundig Anregungen und positive Kommentare erhoffte, insbesondere mit Blick auf die Strukturierung seines großen lexikografischen Werkes. Luzzatto äußerte sich in der Korrespondenz auch zuweilen positiv und begeistert und sparte weder mit Lobreden noch mit Glückwünschen, wenn es um die wissenschaftliche Tätigkeit und um die Neuveröffentlichungen Fürsts – wie z. B. das bibliografische Handbuch der Bibliotheca Judaica – ging.⁸¹ Wie Fürst in dem Vorwort selbst betonte, hatte ihm die große Zahl der Erscheinungen jüdischer
So sandte er seinem Kollegen während des Briefwechsels u. a. seine Studien und Forschungen über den hebräischen Kalender nach Leipzig. Auch bat er Fürst häufig um die Beurteilung seiner Werke und Abhandlungen. „Luzzatto an Fürst, Leipzig, 10.05.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 337, 551. Luzzatto schickte u. a. einige Monate vor der Veröffentlichung das Manuskript seines Calendario ebraico per venti secoli esteso con nuovo metodo in französischer Sprache nach Leipzig. Im Hinblick auf Luzzattos Studien über den hebräischen Kalender, hatte Fürst bereits einen Artikel des italienischen Gelehrten über die Verschiebungen des Neujahrstages im Literaturblatt des Orients im Juni 1849 veröffentlicht. S. D. Luzzatto, „Von den Verschiebungen des Neujahrstages, oder den דהיותvom Prof. S. D. Luzzatto, aus dem italienischen ins Deutsche übersetzt von B. F. Igel Dr. der Theologie aus der Rabbinenschule zu Padua“ Literaturblatt des Orients 10 (02.06.1849), 22– 23: 337– 343; (09.06.1849): 353 – 359. J. Fürst, Librorum sacrorum Veteris Testamenti concordantiae Hebraicae atque Chaldaicae quibus ad omnia canonis sacri vocabula tum Hebraica tum Chaldaica loci in quibus reperiuntur ad unum omnes certo ordine rec. add. lexico linguae sacrae Hebraicae et Chaldaicae duplici uno Neohebraice altero Latine scripto, Tauchnitz, Leipzig 1840. Dabei lässt sich ein wachsendes Maß an Rücksicht auf und fachlicher Anerkennung gegenüber Luzzatto feststellen. Fürst schickte außerdem die Bibliotheca Judaica bereits 1849 oder spätestens 1850 nach Padua, wofür sich Luzzatto im März 1850 bedankte und dem Publizisten zu seiner geleisteten Arbeit gratulierte. Auch in diesem Fall hatten Luzzatto und sein gelehrter Freundeskreis von italienischen Bibliophilen, u. a. Ghirondi und Almanzi, einen entscheidenden Beitrag zur Abfassung des Werkes geleistet. J. Fürst, Bibliotheca Judaica, bibliographisches Handbuch umfassend die Druckwerke der jüdischen Literatur einschließlich der über Juden und Judentum nach alphabetischer Ordnung der Verfasser bearbeitet mit einer Geschichte der jüdischen Bibliographie sowie mit Indices versehen, und herausgegeben von Dr. Julius Fürst, Lehrer an der Universität zu Leipzig, neue Ausgabe, erster Teil (A–H), Leipzig 1863.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Literatur, u. a. die Sammlung Almanzis, bei der Fertigstellung des Handbuchs vielfach geholfen.⁸² Dabei handelte es sich um das Material, das der deutsche Publizist von Luzzatto in all den Jahren bekommen und gesammelt hatte. Fürst stellte außerdem fest, dass das von ihm dargebotene Material immer noch als unvollständig gelten müsse und dass immer noch viele hebräische Druckwerke auf der italienischen Halbinsel der deutsch-jüdischen Gelehrtenwelt kaum bekannt seien.⁸³
Die Briefe zwischen Fürst und Luzzatto und „Das Literaturblatt des Orients“ Als Julius Fürst 1840 mit der Herausgabe des Orients begann, veröffentlichte er in den ersten drei Ausgaben eine Studie Luzzattos über die biblische Verskunst.⁸⁴ Diese Abhandlung, eine Analyse der metrorhythmischen Formen der hebräischen Poesie, hatte Luzzatto dem deutsch-jüdischen Orientalisten bereits im Jahre 1837⁸⁵ mit der Bitte zugesandt, diese in italienischer Sprache oder in deutscher Übersetzung zu veröffentlichen.⁸⁶ In seiner Analyse erläuterte Luzzatto seine Forschungsergebnisse über die biblische Metrik und den Rhythmus biblischer Verse mit mehreren Beispielen. Luzzatto illustrierte und kritisierte gleichzeitig verschiedene Thesen anderer jüdischer Forscher und Gelehrter. 1840 wurde Luzzatto als Autor der Liedersammlung ( בתולת בת יהודהBetulat bat Jehuda) ⁸⁷ aus dem Diwan des sephardischen Dichters Jehuda Halevi (1075 – 1141) in den Kolumnen des Literaturblatts des Orients⁸⁸ besonders häufig zitiert. Viele
Ebd., VIII. Ebd. Luzzatto hatte bereits Ende der 1830er-Jahre diesen wissenschaftlichen Beitrag über die biblische Verskunst an Fürst nach Leipzig verschickt; vgl. S. D. Luzzatto, „Über die hebräische Verskunst, S. D. Luzzatto, übersetzt aus dem Italienischen von seinem Freunde“ Literaturblatt des Orients 1 (04., 11., 18.01.1840), 1– 3, 6 – 7; 20 – 22; 42– 44. „Luzzatto an Fürst, Leipzig, 14.07.1837.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 152, 224– 225. Das Manuskript hatte Luzzatto in dem Paket zusammen mit anderen Werken, u. a. einem Gedicht von Ibn Ezra und seinen Prolegomeni geschickt; vgl. „Luzzatto an Fürst, Leipzig, 29.10. 1839.“ In ebd., 207, Index 242, 330 – 331. Das Werk Luzzattos בתולת בת יהודהerschien 1840 in Prag aus Anlass der Hochzeit Osias Hirsch Schorrs, eines engen Freundes des italienischen Professors, dem das Buch gewidmet wurde. Deshalb enthielt die Sammlung vorwiegend von Luzzatto ausgewählte Gedichte und Hochzeitskarmina. Ein weiterer Bogen umfasste das Literaturblatt des Orients, das auch ab 1841 veröffentlicht wurde und eine eigene Seitennummerierung hatte. Vgl. J. V. Schwarz, „Ew. Exzellenz wage ich […] unterthänig vorzulegen“, 119.
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deutsch-jüdische Autoren veröffentlichten ihre Kommentare zu dem Werk des italienischen Gelehrten. Dies bedeutete für den Publizisten Fürst eine Zunahme der Korrespondenten, die sich über die Sammlung des italienischen Gelehrten und über die Dichtung Halevis äußern wollten und ihre Beiträge und Kritiken dazu schickten. Dies zeugt von der intensiven Rezeption von Luzzattos wissenschaftlicher Arbeit in hebräischer Sprache über Halevis Dichtung und deren Renaissance. Mit dieser Arbeit hatte Luzzatto – als einer der meist gefragten jüdischen Literaturforscher – durch seine zahlreichen sprachwissenschaftlichen Studien sowie seine mühsame Forschungsarbeit als Buchsammler den deutschjüdischen Gelehrten einen bis dahin noch unbekannten philologischen, philosophischen und literaturhistorischen Zugang zur Dichtung Halevis ermöglicht und bei ihnen ein neues Interesse an Jehuda Halevi und seiner hebräischen Dichtung geweckt. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, dass die Einzelinteressen und Forschungstätigkeiten eines Gelehrten wie Luzzatto das Interesse einer ganzen jüdischen Gelehrtengruppe an dessen Themen inspirierten. Viele deutsch-jüdische Gelehrte wie Rapoport, Zunz, Sachs, Letteris und Geiger⁸⁹ beschäftigten sich mit seinem Werk, das neben einer ausgewählten Anzahl von Gedichten auch sprachwissenschaftliche Kommentare sowie aufschlussreiche philologische und linguistische Anmerkungen enthielt.⁹⁰ Von der Aktualität und Wiederbelebung der Dichtung Halevis zeugen zudem verschiedene publizistische Plattformen, in denen sie unter deutschsprachigen und hebräischsprachigen Fachexperten diskutiert wurde.⁹¹ Beiträge wie Übersetzungen der Gedichte, inhaltliche, philologische, linguistische sowie literaturhistorische Kommentare erschienen auch in den Kolumnen des Kerem Chemed (1838 – 1843) des Herausgebers Samuel Löb Goldenberg⁹² und prägten in jenen Jahren insbesondere Weise die Fachdiskussion zum Thema althebräischer Literatur. Dies setzte eine lange publizistische Kooperation voraus, die vor allem in den Jahren
Geiger profitierte von der großen Fachexpertise Luzzattos für seine Veröffentlichung über Jehuda Halevi Gedichtsammlung einige Jahre später. Vgl. dazu Kapitel 3.3. M. M. H. Letteris, „ בתולת בת יהודהoder Liedersammlung aus dem Diwân des Jehuda Haléwy, mit Einleitung und Anmerkungen von Samuel David Luzzatto Prof. am C. R. zu Padua. Prag, 1840“ Literaturblatt des Orients 1 (04.04.1840), 14: 220 – 221. M. J. Sachs, „Literarische Analekten. Übersetzungsprobe aus dem Diwân Jehuda Halewy’s, von Dr. M. Sachs. (Aus einem Briefe)“ Ebd. 1 (30.05.1840), 22: 344– 347. Zu dem Beitrag Jellineks vgl. A. Jellinek [„A. Ink“] „Religiöse Poesie. Jehuda ha-Lewi’s Sehnsucht nach Jerusalem“ Ebd. 4 (16.12.1843), 52: 817– 821. Vgl. die Reihe von Artikeln, die im Kerem Chemed des Herausgebers Samuel Löb Goldenberg zu der Zeit erschienen. Vgl. M. Pelli, Kerem Chemed. „Hochmat Israel as the New Yavneh“. An Annotated Index to Kerem Chemed. The Hebrew Journal of the Haskala in Galicia and Italy (1833 – 1856), Jerusalem 2009, 330 – 333.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
1846 – 1847 ihren Höhepunkt erreichte. Im Orient redete Fürst von „Ausbeute, die zu erwarten sei“,⁹³ als er hervorhob, die Redaktion des Periodikums habe auch weiterhin von den Bemühungen und der beflissenen Arbeit Luzzattos profitiert.
Die Intensivierung der Kontakte Nach einer Pause von einigen Jahren korrespondierten Luzzatto und Fürst in der zweiten Hälfte des Jahres 1846 erneut im monatlichen Rhythmus miteinander. Erst in den Jahren 1846 – 1847 gewann die Korrespondenz zwischen Padua und Leipzig eine deutliche Regelmäßigkeit, Kontinuität und Intensität, was erheblich zur Vertrauensbildung zwischen den beiden Beteiligten beitrug. Dies spiegelt sich in dem aufschlussreichen Austausch zwischen beiden Briefpartnern sowie in der engen Kooperation am Orient wider. Fürst hatte sich bereit erklärt, alle hebräischen Beiträge Luzzattos selbst zu übersetzen und in Der Orient zu veröffentlichen. Luzzatto gewann viel Zeit für andere Tätigkeiten, insofern er sich die Mühe der Übersetzungen sparen konnte. Gleichzeitig bedeuteten die große Konzentration von Handschriften, Kommentaren und alten Fragmenten in den Jahren 1846 – 1848 aus Almanzis und Luzzattos Fund in den Händen Fürsts und die regelmäßige Präsenz des Gelehrten des Collegio Rabbinico von Padua unter den Rubriken Literaturberichte und Literarische Analekte im Literaturblatt des Orients eine Steigerung der Sichtbarkeit Luzzattos im deutsch-jüdischen wissenschaftlichen Diskurs. Auch für Fürst hatte sich der Nutzen, den er aus der Korrespondenz mit Luzzatto bezog, deutlich erhöht. Aus der ursprünglichen Rivalität war Kooperation geworden. Bedeutsam war auch die Tatsache, dass Luzzatto seine wissenschaftliche Arbeit sowie andere wissenschaftliche Projekte weiterhin dank Fürst finanzieren konnte. Neben der erhöhten öffentlichen Sichtbarkeit von Luzzattos Abhandlungen wurde auch die Vermarktung einiger Werke des italienischen Gelehrten in den kleinen Anzeigen des Orients möglich.⁹⁴ Fürst wurde also verstärkt zum Förderer, Mäzen und Fürsprecher Luzzattos. Seine Unterstützung für Luzzatto bestätigte der deutsch-jüdische Publizist u. a. auch mit der Veröffentlichung der
S. D. Luzzatto, „Literarische Analekten. Amram Gaon bar Scheschna und sein Siddur, von Sam. Dav. Luzzatto“ Literaturblatt des Orients 8 (21.05.1847), 21, 326 – 327: 327. In den kleinen Anzeigen des Literaturblatts des Orients wurde der Leser auf einige Werke Luzzattos und deren Preis aufmerksam gemacht.
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
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Arbeiten von Luzzattos Sohn Filosseno in den Kolumnen des Literaturblatts.⁹⁵ Teilweise ließ Luzzatto die italienischen Beiträge von Rabbinerkandidaten am Collegio Rabbinico von Padua übersetzen⁹⁶ oder schickte diese Studien auf Italienisch an herausragende deutsch-jüdische Gelehrte in seinem Netzwerk weiter, wie im Fall des deutschsprachigen Erziehers Meyer Randegger. Insbesondere im Fall des Artikels über den Brief des Menachem Ben Saruk an Chasdai Ben Isaak,⁹⁷ profitierte Luzzatto von seinen damaligen deutsch-jüdischen Kontakten, indem er den Brief mit Bitte um Übersetzung an den Historiker Isaak Markus Jost schickte. In dem Artikel hatte Luzzatto auch eine These Josts verteidigt und hoffte nun, wie er seinem Freund Moses Ehrenreich aus Görz in einem Brief gestand, weiter mit dessen Hilfe und Unterstützung rechnen zu können.⁹⁸ In demselben Brief betonte Luzzatto außerdem, welche große Bedeutung der Erwerb des Briefes Ben Saruks für ihn gehabt habe und dass er sofort an dessen Verbreitung und gemeinsame Nutzung gedacht habe. Fürst bedankte sich seinerseits nicht nur in den privaten Antwortbriefen, sondern auch öffentlich in den Kolumnen des Orients für jedes wertvolle „Resultat der Freundschaft“,⁹⁹ insbesondere mittels der dichten Fußnoten mit Danksagungen an Luzzatto für die von diesem geleistete Arbeit. Fürst bestätigte außerdem seine Dankbarkeit Luzzatto gegenüber, indem er gleichzeitig die wissenschaftlichen Beiträge und Studien Luzzattos an andere Herausgeber und Publizisten seines Netzwerkes im Original und mit den vollständigen Anmerkungen sowie sprachwissenschaftlichen Kommentaren weiterleitete.¹⁰⁰ Aus den zahlreichen persönlichen Aussagen in den Briefen an andere Briefkorrespondenten sowie aus den Äußerungen, die beide Gelehrte untereinander oder in den Kolumnen des Orients tätigten, lässt sich auf den Willen der beiden Briefkorrespondenten schließen, jede neue sprachwissenschaftliche Entdeckung, jeden Fortschritt, jede linguistische Besonderheit miteinander auszutauschen
F. Luzzatto, „Ueber einen neuen Brief von Anton von Abbadie in Bezug auf die Juden von Abyssinien von Filosseno Luzzatto“ Der Orient 9 (05.08.1848), 32: 255 – 256; 33 (12.08.1848): 261– 263. Oft wurde der ehemalige Rabbinerkandidat Moses Ehrenreich beauftragt, die Beiträge Luzzattos für den Orient zu übersetzen: S. D. Luzzatto, „Ueber Kalir. Ins Deutsche aus dem Hebräischen übersetzt von Dr. Moses Ehrenreich, Rabbiner“ Literaturblatt des Orients 6 (22.10.1845), 43: 676 – 688. S. D. Luzzatto, „Ein Brief des Menachem B. Saruk an Chasdai B. Isaak. Italienisch eingesandt von S. D. L., übersetzt von Dr. I. M. Jost“ Ebd. 7 (19.02.1846), 8: 113 – 117. „Luzzatto an Ehrenreich, Görz, 07.04.1846.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 287, 475. Luzzatto, Trauerlied des Rabbi Salomo Ibn G’ebirol, 580. Dies passierte im Fall des Beitrags über das Trauerlied des Ibn G’ebirol, in dem Julius Fürst das Material an Isaak Benjakob in Wilna weitergeleitet hatte. Vgl. J. Fürst, „Kurze Anzeigen“ Literaturblatt des Orients 7 (01.10.1846), 40: 625 – 627.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
und möglichst an weitere potenzielle Interessenten, Nutzer und Fachspezialisten weiter zu leiten.
Die Entwicklung von gemeinsamen Interessen Besonders auffällig ist im Falle des Briefwechsels zwischen Fürst und Luzzatto die starke Offenheit im Umgang mit den Quellen und Handschriften, die zentrale Bedeutung für beide Akteure hatten. Dabei wird sichtbar, dass weder Fürst noch Luzzatto die in ihrem Netzwerk ausgetauschten Forschungsergebnisse und Quellen, Fragmente sowie Manuskripte als ihr Eigentum betrachteten, sondern dass sie erkennbar jeglichen exklusiven Anspruch auf ihre Funde und Forschungsergebnisse zurückstellten. Sowohl in Fürsts Artikeln als auch in Luzzattos zahlreichen Beiträgen kam häufig die Bitte an die wissenschaftliche Gemeinschaft deutsch-jüdischer Forscher und Intellektueller zur Sprache, auch ihre Funde und neuen Ergebnisse in Artikeln als Ergänzung, Bereicherung, Erweiterung der bisher vorgelegten Studien zu veröffentlichen.¹⁰¹ Fürst und Luzzatto waren sich außerdem darin einig, dass Fachdiskussionen in dem Periodikum Der Orient gefördert werden sollten, und wollten mittels der Kolumnen der Zeitschrift einen wissenschaftlichen Interaktionsraum schaffen. Sie hofften, die jüdische Wissenschaft voranzubringen, indem sie weitverzweigte wissenschaftliche Initiativen förderten.¹⁰² Was Fürsts öffentliche Haltung gegenüber Luzzatto betrifft, so bekräftigte der deutsch-jüdische Publizist in den Artikeln und in den Einleitungen zu Luzzattos Studien immer wieder, dass er die fachliche Expertise und vor allem die literaturhistorischen Kenntnisse des italienischen Gelehrten sehr zu schätzen wusste. In den Literaturberichten des Literaturblatts des Orients, die der Veröffentlichung des bereits erwähnten Projekts des Sammelbandes Luzzattos gewidmet waren, betonte er, der italienische Autor habe „das Geeignetsein des Hebräischen für theologische Gegenstände wie sonst keine andere Sprache“ festgestellt.¹⁰³ Nach
Vgl. Luzzatto, Trauerlied des Rabbi Salomo Ibn G’ebirol, 580. Vgl. ders., Ueber die Sprache der Mischna, 57. In dem Artikel wünschte sich Luzzatto Kritik und Anmerkungen seitens anderer Sprachforscher über seine Prolegomeni, die zehn Jahre zuvor erschienen waren. Luzzatto hoffte wahrscheinlich immer noch, die Meinung Fürsts hierüber zu bekommen. Für ein Beispiel von Teamarbeit, die geleistet wurde, vgl. S. D. Luzzatto, Literarische Analekten. Amram Gaon bar Scheschna und sein Siddur (21.05.1847). J. Fürst, „Literatur-Berichte“ Literaturblatt des Orients 8 (05.11.1847), 45, 705 – 706: 705.
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
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Ansicht Fürsts stellte das Werk Luzzattos eine „für die geschichtliche Erforschung unserer Literatur höchst nützliche Erscheinung […]“ dar.¹⁰⁴ In welchem Maße Fürst auf Luzzattos bibelexegetische und philologische Kenntnisse angewiesen war, zeigt sich, wenn er Luzzatto in seinen Briefen um die Transkription von Texten, um Kommentare und Erläuterungen, oder sogar um die Vokalisation von besonders problematischen Stellen bat.¹⁰⁵ Nie lehnte Luzzatto solche Aufträge aus Mangel an Zeit oder fachlichem Können ab, was für das ausgeprägte wissenschaftliche Ethos seiner Wirksamkeit spricht. Fürst profitierte somit nicht nur von Luzzattos fachspezifischen Kenntnissen und seinem reichlichen Quellenfundus, sondern auch von der besonderen Hingabe und der Freude Luzzattos an der wissenschaftlichen Arbeit. Als Publizist des Orients hatte Luzzatto mit seinen sprachwissenschaftlichen, grammatikalischen und lexikalischen Artikeln erheblich dazu beigetragen, die Zeitschrift Fürsts auf fachspezifische Thematiken zu spezialisieren, und diese vor allem für ein Fachpublikum zugänglich zu machen. Diese Artikel sprachen für das Niveau der Forschungen des italienischen Gelehrten, aber gleichzeitig auch für den wissenschaftlichen Ruf des Literaturblatts des Orients und von dessen Publizisten. Die Komplexität der Beiträge bedeutete parallel dazu eine Spezialisierung des Literaturblatts des Orients auf sprachwissenschaftliche, grammatikalische, exegetische und philologische Themen und Anliegen, die hohe fachliche Kompetenzen von dem jüdischen Leser erforderten. Diese Steigerung des „streng Wissenschaftlichen“¹⁰⁶ verursachte nach Meinung des Korrespondenten Treuenfels gleichzeitig eine Zurücksetzung der Behandlung des „praktischen Lebens“.¹⁰⁷ Dennoch erkannte der Autor der Rubrik Ueber den gegenwärtigen Zustand der jüdischen Literatur in Deutschland die wissenschaftlichen Verdienste Luzzattos als Literaturforscher an und entschuldigte sich dafür, dass die Rubrik ausschließlich „auf Deutschland beschränkt sei.“¹⁰⁸ Fürst hatte mit dem Literaturblatt des Orients vor allem in den letzten Jahren dieser Publikation tatsächlich eine Plattform für Fachexperten der vergleichenden Sprachwissenschaft, der literaturwissen Ebd., 706. Vgl. „Fürst an Luzzatto, Padua, 1847“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 483.Vgl. J. Fürst, „Fragmente aus der Religionsphilosophie des David b. Merwân, el Mukammes ha-Babli mitgetheilt von Julius Fürst“ Literaturblatt des Orients 8 (24.09.1847), 39: 617– 622; 8 (01.10.1847); 40: 631– 633; und 8 (08.10.1847), 41: 642– 648. S. D. Luzzatto, „Salomo Ibn G’ebirol’s Lob- und Preisgedicht auf Rabbi Jekutiël in Babylonien, Einleitung“ Ebd. 8 (20.08.1847), 34: 535 – 541. A. Treuenfels, „Ueber den gegenwärtigen Zustand der jüdischen Literatur in Deutschland“ Der Orient 12 (25.04.1851), 17, 266 – 269: 268. Ebd., 268. Ders., „Ueber den gegenwärtigen Zustand der jüdischen Literatur in Deutschland“ Ebd. 12 (25.05.1851), 21, 329 – 334: 330.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
schaftlichen Studien und der Altertumsforschung geschafft. In dieser Plattform waren Luzzattos Beiträge besonders gut vertreten und der Name des italienischen Gelehrten wurde sehr viel zitiert. Als Fürst 1851 die Publikation des Orients einstellte, blieb der Briefaustausch mit seinem italienischen Korrespondenten in Padua bestehen, doch von nun an pflegten die beiden Gelehrten ihre Kontakte nicht mehr so regelmäßig wie zur Zeit des Bestehens der Wochenschrift (s. Abb. 6 a/b). Die nun erfolgende Annäherung Luzzattos an und intensive Kommunikation mit dem Reformrabbiner Abraham Geiger scheint Fürst nicht gerne gesehen zu haben.¹⁰⁹ Aus der Korrespondenz Luzzattos mit Geiger als dem herausragenden Vertreter der Wissenschaft des Judentums lässt sich ablesen, dass Luzzatto im Jahr 1851 immer noch Beiträge und Abhandlungen an Julius Fürst geschickt hatte, obwohl er umgekehrt schon seit einiger Zeit keine Nummer des Orients mehr erhalten hatte.¹¹⁰ Fürst hatte schon einige Jahre vorher seine Zweifel am neuen Kontakt mit Geiger geäußert und den Reformrabbiner in Breslau als ein „Vorsteheramt“ bezeichnet, „welches den Indifferentismus zum höchsten Prinzip zu machen scheint“.¹¹¹ Fürsts Affront gegen Geiger erklärt sich dadurch, dass sich der Publizist des Orients damals als wichtigsten Förderer Luzzattos verstand und in dem betreffenden Artikel diese Rolle indirekt geltend machen wollte.¹¹² Fürst warnte den italienischen Gelehrten vor dem – seiner Ansicht nach – schädlichen Einfluss Geigers, möglicherweise auch deshalb weil er Bedenken gegenüber dem Briefaustausch zwischen Geiger und Luzzatto hegte und den Reformrabbiner und Herausgeber der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie als Gegenspieler und Konkurrenten für die eigene Briefbeziehung und die Partnerschaft mit dem italienischen Gelehrten betrachtete.
Einfluss auf die deutsch-jüdischen Studien Der langlebige Briefaustausch beider Korrespondenten wurde – mit intensiveren Phasen, kurzen Pausen und abrupten Unterbrechungen – bis Anfang der 1860erJahre, also bis zwei Jahre vor Luzzattos Tod, fortgeführt. Es handelt sich um einen umfangreichen Briefwechsel, der – trotz der ideologischen Differenzen und Meinungsunterschiede zwischen beiden Beteiligten – neben pragmatischen Fürst, Literatur-Berichte (05.11.1847). „Luzzatto an Geiger, Breslau, 07.05.1851.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 369, 616 – 622: 617. Fürst, Literatur-Berichte (05.11.1847): 706. Vgl. „Fürst an Luzzatto, Padua, 09.04.1854“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 474.
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
Abb. 6 a/b: Brief vom 9. April 1854 (Fürst an Luzzatto).
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
3.2 Samuel David Luzzatto und Julius Fürst
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kurzen Geschäftsbriefen auch lange wissenschaftliche Beiträge, kurze persönliche Aussagen und private Meldungen enthielt. Die Kooperation zwischen Luzzatto und Fürst beschränkte sich, wie schon betont, nicht allein auf einen Wissens- und Medientransfer. Die sprachwissenschaftliche, bibelexegetische und literaturhistorische Expertise erwies sich nicht als der einzige verbindende Faktor zwischen beiden jüdischen Gelehrten. Im Laufe der Jahre wurden neben dem produktiven Wissensaustausch von beiden Seiten auch private Themen und persönliche Einschätzungen eingestreut. Das Verhältnis zwischen den beiden Briefpartnern entwickelte sich im Laufe der Jahre weiter, wobei es zunächst vorwiegend auf marktabhängige publizistische Interessen beruhte und erst dann auch auf Gegenseitigkeit, Vertrauen und Solidarität. Das gegenseitige Vertrauen wuchs insbesondere auch dadurch, dass in den Briefen private Einschätzungen beider Korrespondenten über andere jüdische und nichtjüdische Gelehrte auftauchten,¹¹³ und es zum Austausch nützlicher Informationen und Gefälligkeiten kam. Der Briefwechsel zwischen Luzzatto und Fürst wurde durch eine starke Grenzziehung der Rollen beider Akteure sowie eine Beschränkung der Themen und Argumente gekennzeichnet, die in den Briefen behandelt wurden.¹¹⁴ Im Fall des Briefwechsels mit Julius Fürst gelang es Luzzatto, parteiübergreifende wissenschaftliche Erkenntnis und fachliche Anerkennung als Sprachforscher, Philologe und Literaturwissenschaftler in den Vordergrund zu stellen. Fürst ermöglichte Luzzatto eine völlig neue Sichtbarkeit und wissenschaftliche Reichweite sowie die Erhöhung seines wissenschaftlichen Prestiges. Dies erfolgte einerseits in Form von Auszeichnungen, hohen Zitationsraten sowie fachlich wissenschaftlicher Anerkennung seitens vieler Autoren des Periodikums Der Orient. Das intellektuelle und wissenschaftliche Gewicht Luzzattos und seine literaturhistorische und sprachwissenschaftliche Fachexpertise wurden von vielen deutsch-jüdischen Gelehrten sehr geschätzt. Andererseits wurde der italienische Gelehrte durch die erhöhte Sichtbarkeit als Korrespondent und allgemein Hinweis auf den protestantischen Theologen Franz Delitzsch: „Fürst an Luzzatto, Padua, 13.06.1846“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 440. Fragen der Politik oder der religiösen jüdischen Reform versuchte Luzzatto weder mit Julius Fürst noch mit einem anderen Korrespondenten wie dem Reformrabbiner Abraham Geiger zu diskutieren. Vielmehr war er bestrebt, jede Art von Polemik hierüber zu vermeiden. Dies heißt jedoch nicht, dass Luzzatto keine klare Stellung zu solchen Themen in seinen Briefkorrespondenzen mit anderen jüdischen und nichtjüdischen Ansprechpartnern bezogen hätte, auch nicht, dass er kein Interesse an Reformangelegenheiten bekundet hätte. Vgl. Luzzatto, Verzeichnis der Poëtanim von Prof. Sam. Dav. Luzzatto (29.07.1848), 31, 481– 485; 35, (26.08.1848), 547– 553, 36 (02.09.1848), 573 – 576, 39, (23.09.1848), 614– 618. Hier wandte sich Luzzatto z. B. gegen die Abschaffung der Pijjutim im jüdischen Gottesdienst. Vgl. Kapitel 6.1.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
durch eine regelmäßige publizistische Präsenz auch zur Zielscheibe hartnäckiger Kritik. Mit beidem, Anerkennung wie Kritik, hatte Luzzatto sein wichtigstes Ziel erreicht: die Diskussion seiner Thesen. Diese Korrespondenz der beiden Gelehrten ermöglichte zweifelsohne die Erlangung, Verbreitung und Nutzbarmachung von jüdischem Wissen und insbesondere von philologischen, sprachwissenschaftlichen, bibelexegetischen Erkenntnissen, die ansonsten den deutsch-jüdischen Gelehrten und der deutschjüdischen Wissenschaft nicht zugänglich gewesen wären. Im Hinblick auf den Brief- und Medienaustausch zwischen Fürst und Luzzatto handelte es sich um eine intensive und anspruchsvolle Zusammenarbeit. All dies schuf die besten Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Kooperation, die in den letzten Phasen besonders inspirierend wirkte und eine hochwertige Wissensproduktion sowie einen transnationalen Wissenstransfer als Ergebnis hatten. Beide Gelehrte fanden Ende der 1840er-Jahre zu einem ausgesprochen intensiven Kontakt miteinander und zu einer fachlichen Diskussion, die die Konkurrenz, die Streitigkeiten sowie die gegenseitigen Angriffe, die manche Artikel des Orients Anfang der 1840er-Jahre gekennzeichnet hatten, in den Hintergrund rückten. Beide wurden zu anerkannten Fachspezialisten in demselben jüdischen wissenschaftlichen Gebiet und verwandelten die damit verbundene Konkurrenz in eine produktive Kooperation zugunsten der jüdischen Studien.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto – eine spannungsreiche Partnerschaft Im Jahre 1866 widmete Abraham Geiger als Herausgeber der Quartalszeitschrift Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben im ersten Heft dem seit einigen Monaten verstorbenen Samuel David Luzzatto den Eröffnungsartikel.¹¹⁵ Geigers Andenken an den italienischen Gelehrten zeichnete ein facettenreiches Bild von Luzzattos wissenschaftlicher Tätigkeit sowie der Vielschichtigkeit seiner Gesinnung und seines Temperaments. Geigers Darstellung enthüllte Aspekte der Persönlichkeit Luzzattos, die nur aus einem sehr engen und intensiven schriftlichen Austausch resultieren konnten. Geiger schwankte zwischen lobenden Worten für Luzzattos literarische Verdienste, verzichtete aber auch nicht auf pointierte Kritik. So wies er auf Defizite der Arbeit des italienischen Professors und auf dessen viel zu eingeschränkte Perspektive hin. Das von Geiger entworfene Bild Luzzattos
A. Geiger, „Abhandlungen. Samuel David Luzzatto“ Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 4 (1866), 1: 1– 22.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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enthielt gleichzeitig unbefangene Aspekte und Elemente der Voreingenommenheit gegenüber dem italienischen Gelehrten, die in der deutsch-jüdischen Presse und auch im Geigers Periodikum häufiger begegneten.¹¹⁶ In der Jüdischen Zeitschrift für Wissenschaft und Leben stellte Geiger das Werk Luzzattos als Teil und Bereicherung einer wissenschaftlichen Gemeinschaft vor. In seinem Beitrag zum Gedenken an Luzzatto nahm er dessen Forschung nicht als in sich abgeschlossenen Beitrag wahr, sondern als offenes Werk, das es zu erweitern und zu ergänzen galt und dessen Anwendung vor allem als kollektiver Nutzen für die wissenschaftliche Gemeinschaft zu verstehen war.¹¹⁷ Aus Geigers Sicht sollte die jüdische Forschung in diesem Sinne in bibelexegetischer Richtung weiter voranschreiten. Der Nachruf Geigers veranschaulichte eine Geschichte des wissenschaftlichen Fortschritts, die von „Männern der Wissenschaft“¹¹⁸ wie Juda Romano (1293 – 1330), Joseph Delmedigo (1591– 1655), Leone da Modena (1571– 1648), Moses Mendelssohn (1729 – 1786) und Naphtali Hartwig Wessely (1725 – 1805) geschrieben wurde. Von diesen Einflüssen sei Luzzatto geprägt worden.¹¹⁹ Geiger würdigte auch die bedeutenden wissenschaftlichen Verdienste Luzzattos vor allem im Bereich der Bibelexegese und Sprachwissenschaft. Es handelte sich um damals aktuelle, umstrittene wissenschaftliche Forschungsgebiete, wie z. B. die Forschung zu den biblischen Texten und Übersetzungen der Antike sowie zur Geschichte des antiken Judentums, die eine spezialisierte jüdische Gemeinschaft von Gelehrten und von Forschern erforderte, die aber vor allem von Geiger und Luzzatto über einen relativ langen Zeitraum hinweg gleichzeitig bearbeitet wurden. Die Beziehung dieser beiden herausragenden Forscherpersönlichkeiten der jüdischen Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts soll im Folgenden näher beleuchtet werden, wobei die Aufmerksamkeit zunächst ihren ersten Kontakten, ihrem Misstrauen und ihren Differenzen, dann aber auch ihrem wachsenden Vertrauensverhältnis gilt. Der fortschreitenden Entdeckung gemeinsamer Interessen und Affinitäten sowie der Entwicklung der Forschungsvorhaben im Laufe der Korrespondenz kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es geht dabei auch darum, die Wechselwirkungen zwischen beiden jüdischen Gelehrten zu untersuchen und vor allem Luzzattos Einfluss auf den Breslauer Gelehrten neu zu bewerten. Die wissenschaftliche Tätigkeit beider Gelehrter fand auf mehreren Ebenen statt: in ihrer Korrespondenz, in ihren jeweiligen Werken sowie in ihren
Ders., „Jüdische Zeitschriften“ Ebd. 5 (1844), 3, 446 – 477: 473 – 474. Ders., Abhandlungen, Samuel David Luzzatto, 1. Ebd., 3. „Unter solchen Einflüssen ward Luzzatto geboren und wuchs er heran“, ebd., 4.
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jeweiligen Theorien. Für die folgende Interpretation sind diese unterschiedlichen Ebenen des Kontakts zwischen Luzzatto und Geiger entscheidend.¹²⁰ In dieser Hinsicht lassen sich besondere Phasen der Korrespondenz zwischen Luzzatto und Geiger benennen, die für die Forschungstätigkeit beider Briefpartner entscheidend waren und zu wechselseitigen Ergänzungen führten. Mittels ihres Briefwechsels werden die bisher unentdeckten Aspekte und Besonderheiten der wissenschaftlichen Partnerschaft Geigers und Luzzattos sichtbar gemacht. Ziel ist es, das Verhältnis der beiden Gelehrten zu beschreiben und dabei vor allem die Eigentümlichkeiten dieser Kooperation, einschließlich ihrer wechselseitigen Rollenerwartungen und Abhängigkeitsverhältnisse herauszuarbeiten. Dabei treten Merkmale einer zwiespältigen Gelehrtenbeziehung zutage, der für die Geschichte der jüdischen Studien im 19. Jahrhundert große wissenschaftliche Relevanz zukommt.
Geigers und Luzzattos Erwartungen an ihre wissenschaftliche Partnerschaft 1840 wurde der gebürtige Frankfurter Abraham Geiger offiziell zum Rabbiner von Breslau ernannt. Dort blieb er bis 1863. In den allerersten Jahren seines Amtes als Hauptrabbiner der liberalen Fraktion der Gemeinde von Breslau erlebte er eine turbulente Zeit und wurde von der konservativen Fraktion stark gehemmt.¹²¹ Man versuchte sogar, seine Berufung zum Rabbiner von Breslau für nichtig zu erklären.¹²² Geiger beschäftigte sich damals intensiv mit der Infragestellung der religiösen Autorität des Talmuds sowie mit Modifizierungen der jüdischen rituellen Praxis und Observanz (s. Abb. 7).¹²³ Er geriet unter Dauerkritik und wurde von der orthodoxen Partei seiner Gemeinde wegen seiner Äußerungen über den Talmud
Zu den Netzwerktheorien vgl. Häußling, Zur Verankerung der Netzwerkforschung in einem methodologischen Relationalismus. Über den Tiktin-Geiger-Streit vgl. L. Geiger (Hg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, Berlin 1910, 74– 89; K. Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism. Personal Meaning and Religious Authority, Bloomington/Indianapolis 2006, 86; A. Gotzmann, „Vom problematischen Dasein eines Reformers. Abraham Geigers Leben an vorderster Front.“ In C. Wiese, W. Homolka und T. Brechenmacher (Hg.), Jüdische Existenz in der Moderne. Abraham Geiger und die Wissenschaft des Judentums, Berlin/Boston 2013, 59 – 111: 88 – 89. Vgl. L. Geiger (Hg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, 74– 89. Gotzmann, Vom problematischen Dasein eines Reformers, 89 – 91. Vgl. Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism; ders., „Abraham Geiger. Kulturwissenschaftliche Reflexionen.“ In Wiese, Homolka und Brechenmacher (Hg.), Jüdische Existenz in der Moderne, 37– 57: 48 – 52.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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und die talmudischen Rabbiner bei den preußischen Behörden angezeigt.¹²⁴ Trotz der äußerst schwierigen Anfänge in Breslau versuchte Geiger jedoch, seiner wissenschaftlichen Tätigkeit treu zu bleiben, und widmete sich intensiv der bibelexegetischen Forschungsarbeit und unterschiedlichen Transkriptionen und Übersetzungen alter Codices und Manuskripte.
Abb. 7: Der Reformrabbiner Abraham Geiger (1810 – 1874).
Geigers und Luzzattos große Leidenschaft für Bibelstudien, ihre Faszination und tiefe Kenntnis der Werke der klassischen midraschischen und talmudischen Kommentatoren wie Raschi, Chajug, Dunasch Ben Labrat, Menachem Ben Saruk, Abuvalid, Saadia Gaon sowie ihr kritischer Zugang zu biblischen Texten erwies sich am Anfang ihrer Korrespondenz als zugleich verbindendes und trennendes Element. Insbesondere Raschi und die nordfranzösische Exegetenschule spielten bei der Etablierung der ersten Kontakte und für die Weiterentwicklung der Korrespondenz eine wichtige Rolle. Gerade Anfang der 1840er-Jahre interessierte sich
Geiger musste sich Anfang der 1840er-Jahre vor den Hauptstehern der Kongregation, die ihn als Anhänger der Sadduzäer und Karäer angeklagt hatten, verteidigen; vgl. L. Geiger (Hg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, 74– 89; M.Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism. The Challenge of the Nineteenth Century, Cincinnati 1962; Gotzmann,Vom problematischen Dasein eines Reformers, 92– 95.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Geiger hauptsächlich für nordfranzösische Exegeten und kaum bekannte Anhänger Raschis. Zu dieser Zeit richteten sich Geigers Forschungen vor allem auf kaum rezipierte mittelalterliche Kommentatoren, für die – im Gegensatz zu Raschi – kaum Quellenmaterial zur Verfügung stand.¹²⁵ Intensiv beschäftigte er sich mit den Versuchen der mittelalterlichen Exegeten und Bibelkommentatoren, sich von der rabbinischen Midrasch-Interpretation zu lösen.¹²⁶ Geiger war fasziniert von jenen Kommentatoren, die sich an der originellen, ursprünglichen Bedeutung der Bibel (peschat) orientierten.¹²⁷ Luzzatto war damals einer der größten Anhänger und Experten der peschat-Methode auf der italienischen Halbinsel, und aller Wahrscheinlichkeit nach wusste der Breslauer Gelehrte Geiger von Luzzattos gut ausgestatteter Privatbibliothek sowie von seinen weitverzweigten Beziehungen zu vielen Antiquaren und Sammlern von Handschriften. Ähnlich wie Luzzatto führte auch Geiger einen regen Wissens- und Medienaustausch mit französischen, galizischen, böhmischen und italienischen Gelehrten, Literaturforschern und Exegeten, die zugleich auch mit Luzzatto korrespondierten. Dank dieser gemeinsamen Netzwerke, insbesondere durch Isaak Samuel Reggio¹²⁸ und durch galizische Gelehrte, wurden die ersten – wenn auch zunächst indirekten – Kontakte zwischen den beiden jüdischen Gelehrten möglich.¹²⁹ Geiger hatte 1841 gegenüber einem gemeinsamen Freund Luzzattos, dem galizischen Gelehrten Osias Hirsch Schorr aus Brody, die Bitte geäußert, er möge mit Luzzatto in Kontakt treten und versuchen, von dem italienischen Gelehrten einige Antiquitäten für Geigers neues literarisches Werk zu bekommen.¹³⁰ Schorr spielte daher bei der Etablierung der Beziehung zwischen Geiger und dem Professor aus Padua eine entscheidende Rolle.¹³¹
M. Saperstein, „Abraham Geiger as Historian of Medieval Judaism.“ In Wiese, Homolka und Brechenmacher (Hg.), Jüdische Existenz in der Moderne, 275 – 296: 287, 289 – 290. Vgl. J. M. Harris, How Do We Know This? Midrash and the Fragmentation of Modern Judaism, Albany, NY, 1995, 160 – 161. Vgl. Saperstein, Abraham Geiger as Historian of Medieval Judaism, 289 – 290. Einige Jahre vorher hatte Geiger einen guten Freund Luzzattos, Isaak Samuel Reggio, kontaktiert, um von ihm mehrere Handschriften zu bekommen. Das Material brauchte Geiger für seine Studien zum mittelalterlichen Gelehrten Leone da Modena (1571– 1648).Vgl. ebd., 287; vgl. auch G. Tamani, „I. S. Reggio e A. Geiger editori di due opere di Leon Modena in difesa della legge orale“ Materia Giudaica. Rivista dell’Associazione italiana per lo studio del Giudaismo 15 – 16 (2010 – 2011): 251– 258. Vgl. „Luzzatto an Reggio, Görz, 23.07.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 194, 314– 315: 315; „Luzzatto an Abraham Mainster, Verona, 19.02.1841.“ In ebd., 233, 400. Vgl. „Luzzatto an Mainster, Verona, 19.02.1841.“ In ebd., 233, 400. Osias Hirsch Schorr fungierte als ein wichtiger Knotenpunkt und effizienter Vermittler zwischen Breslau und Padua. Schorr erwies sich in jenen Jahren auch als finanzieller Unterstützer
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Aus dem Briefeverzeichnis Luzzattos, dem Index, ist zu ersehen, dass der italienische Gelehrte im Februar 1841 den Brief an Osias Hirsch Schorr mit dem angeforderten Material für Abraham Geigers literarisches Projekt nach Brody schickte.¹³² Am selben Tag schickte er auch einen Brief an den italienischen Freund und Rabbiner Abramo Haim Mainster (1816 – 1882) aus Verona und berichtete darin enthusiastisch von Geiger.¹³³ Aus den Äußerungen Luzzattos lassen sich hohe Erwartungen an Geiger herauslesen, den er als jungen und modernen Rabbiner voller Energie und Tatkraft wahrnahm.¹³⁴ In dem Brief an Mainster erzählte Luzzatto auch von der Anfrage, die er von Schorr bekommen hatte. Er hatte sich entschieden, Geiger über Schorr einen Brief Raschis zukommen zu lassen. Es handelte sich, so Luzzattos Einschätzung, um „einen sehr schönen Brief Raschis“,¹³⁵ den er selbst mühsam eine Woche lang transkribiert hatte. Luzzatto reagierte demnach auf die Anfrage Geigers, wie im Falle der zahlreichen Anfragen anderer Gelehrter und Forscher, mit großer Kooperationsbereitschaft. Unzweifelhaft war die gemeinsame Begeisterung und Leidenschaft für Raschi und dessen französische Exegetenschule eine wichtige Triebfeder der entstehenden Partnerschaft zwischen den beiden Gelehrten. Luzzatto gestand seinem Freund Mainster, er habe eine ganz besondere Vorstellung von der Freundschaft mit Abraham Geiger: „Mit Geiger eine Freundschaft zu etablieren, erweist sich nicht allein für mich als günstig, sondern diese wird dem Judentum allgemein zugutekommen.“¹³⁶ Eine mögliche langfristige Partnerschaft erschien bereits in diesen Worten Luzzattos als besondere wissenschaftliche Chance. Persönliche Vorteile und individueller wissenschaftlicher Gewinn scheinen demnach für Luzzatto nur zweitrangig gewesen zu sein. Anscheinend fühlte er sich von einer ethisch-religiösen und gleichzeitig philanthropischen Berufung animiert.¹³⁷ Dass Raschi und die französischen Exegeten sich als konstitutive und verbindende Elemente dieser
für die Druckanlage Luzzattos Werke und Fürsprecher für die Verbreitung von Luzzattos Neuveröffentlichungen auf dem deutsch-jüdischen Markt. Vgl. die Briefbeziehung zwischen Julius Fürst und Samuel David Luzzatto in Kapitel 3.2. „Luzzatto an Osias Hirsch Schorr, Brody, 19.02.1841.“ In Index raisonné, 319, 18. „Luzzatto an Mainster, Verona, 19.02.1841.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 233, 400. Ebd. Ebd., vgl. auch Index raisonné, 18; dort steht, dass die Zusendung an Schorr am selben Tag verschickt wurde und dies galt als Bestätigung, dass Luzzatto sein Versprechen hielt. [Übers. d. Verf.] („È bene farselo amico. Non dico per me, ma pel Giudaismo“). „Luzzatto an Mainster, Verona, 19.02.1841.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 233, 400. „I manoscritti mi furono mandati dalla Provvidenza, siccome catene, con cui legare a me ed a ( רש''יRasci) gli scrittori tutti del secolo.“ Er war davon überzeugt, dass ihm all die Handschriften, die ihm die „göttliche Vorsehung“ zugesandt habe, einen besonderen zielgerichteten Auftrag erteilten. „Luzzatto an Mainster, Verona, 19.02.1841.“ In ebd., 233, 400.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Partnerschaft wirkten, lässt sich aus den Worten Geigers in den folgenden Jahren herauslesen: Die angenehme Erwartung, dass meine Beurtheilung der nordfranzösischen Exegetenschule sich Ihres Beifalls erfreuen werde, hat sich zu meiner selben Befriedigung bestätigt. Es werden sich sicherlich der Punkte noch mehr finden, in welchen sich noch ein volles Einverständnis zwischen uns gestaltet, und so werden die Differenzen entweder nach und nach ganz schwinden oder doch von ihrer Schärfe verlieren.¹³⁸
Die Betonung dieses gemeinsamen mittelalterlichen Forschungsschwerpunktes sowie das Motiv der Beachtung und Würdigung Raschis und der französischen Exegetenschule durch beide Gelehrte besaß aus der Perspektive Geigers allerdings keine so starke religiöse Komponente wie bei Luzzatto. Geigers deutlich pragmatischere wissenschaftliche Beschäftigung mit und Spezialisierung auf den exegetischen Bereich lässt sich hauptsächlich mit seinem Willen erklären, einen neuen philologischen Zugang an die jüdische Literaturgeschichte und insbesondere die unterschiedlichen Bibeltexte und Übersetzungen zu fördern. Er nutzte dieses gemeinsame Interesse jedoch auch als Mittel, um sich Luzzatto anzunähern. Seine Erwartungen an diese Partnerschaft wurden vermutlich zugleich von der Hoffnung motiviert, nicht nur einen philologischen Konsens mit Luzzatto zu finden, sondern die bestehenden religionsphilosophischen Differenzen sowie die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich einer Reform des Judentums beizulegen und Luzzatto als Unterstützer in eigener Sache zu gewinnen.¹³⁹ Das gemeinsame Forschungsinteresse beider Gelehrter an der jüdischen Bibelexegese und ihr wissenschaftliches Engagement für den Fortschritt der jüdisch-literarischen Studien waren offensichtlich bedeutsame Motive für die wechselseitige Vernetzung. Für Luzzattos Motivation, Kontakte zu Geiger zu knüpfen, dürfte aber auch Geigers Tätigkeit als Herausgeber der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie eine wichtige Rolle gespielt haben.¹⁴⁰
„Geiger an Luzzatto, Padua, 11.09.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2994. Vgl. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“ und „11.09.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975; 2994. Im September 1849 erzählte Geiger Luzzatto über seine Schwierigkeiten innerhalb der Breslauer Gemeinde. „Luzzatto an F. Luzzatto, Venedig, 15.02.1841.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 232, 398 – 399. „Luzzatto an Mainster, Verona, 19.02.1841.“ In ebd., 233, 400.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Die Anfänge der Korrespondenz – Misstrauen und enttäuschte Erwartungen Luzzattos Als Herausgeber und Redakteur der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie war Abraham Geiger seit der ersten Ausgabe 1835 auf der Suche nach Beiträgen und Aufsätzen namhafter Publizisten und Gelehrter für sein Periodikum.¹⁴¹ Luzzatto hatte Anfang der 1840er-Jahre bereits eine Abhandlung für die Zeitschrift Geigers verfasst. Im April 1842 bedankte sich Geiger in einem Brief bei dem italienischen Gelehrten begeistert dafür, dass die Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie sich „der werthvollen Arbeiten von Luzzatto rühmen könnte“.¹⁴² Luzzatto hatte neben seiner eigenen Arbeit (einem Aufsatz über die Autorschaft der Targume) unterschiedliches Quellenmaterial sowie einige Codices zugesandt.¹⁴³ In seinem Antwortschreiben betonte Geiger, wie in vielen anderen Briefen, seine Bewunderung für die Studien des italienischen Gelehrten und pries dessen „reinen Eifer für die Wissenschaft“.¹⁴⁴ Nach dieser captatio benevolentiae hielt er jedoch vorsichtig fest, dass die Positionen beider Briefkorrespondenten durchaus nicht unbedingt und immer übereinstimmten.¹⁴⁵ Anlass für den Brief war der Aufsatz, den Luzzatto bereits 1841 auf Deutsch an Geiger geschickt hatte, den dieser dann im Jahre 1842 in seiner Zeitschrift veröffentlichte. Der Beitrag über die Targumim¹⁴⁶ erschien aber im ersten Heft der von Geiger herausgegebenen Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie (WZJT) aus dem Jahrgang 1844 und wurde von diesem überarbeitet und redigiert. Geiger hatte Luzzattos Artikel gekürzt und in verschiedene argumentative Punkte gegliedert, die er dann mit ausführlichen kommentierenden und kritisierenden Fußnoten versehen, die parallel zum Textkorpus liefen. Die Abhandlung Luzzattos enthielt deshalb an manchen Stellen eine stark kommentierte und parallel
Luzzatto war an einer publizistischen Zusammenarbeit mit Abraham Geiger interessiert. Seine Werke wurden zugleich in dem Periodikum Geigers regelmäßig rezensiert. A. Geiger, „Chaldäische Sprache und Litteratur, אוהב גרPhiloxenus, (Abhandlung über das Thargum des Onkelos, nebst Anhang über die Anwendung der syrischen Sprache zur Erklärung der Thargume und Correcturen zum Thalmud der Psalmen) von Prof. Samuel David Luzzatto, Prof. am Collegium Rabbinicum in Padua, Wien, bei Anton Schmidt 1830“ Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 3 (1837), 1: 103 – 117. Vgl. auch Kapitel 2. „Geiger an Luzzatto, Padua, 13.04.1842“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2972. Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 03.05.1842.“ In Index raisonné, 375, 22. „Geiger an Luzzatto, Padua, 13.04.1842“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2972. Geiger wollte Luzzatto ein Geständnis machen nämlich, dass er in eine „etwas anderer Form“ Luzzattos Aufsatz über die Targumim verwendet habe. Vgl. ebd. S. D. Luzzatto, „Nachträgliches über die Thargumim, von S. D. Luzzatto“ Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 5 (1844), 1: 124– 137.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
laufende Version Geigers. Geiger stellte gleich zu Beginn fest, dass er, obgleich er sowohl Salomo Juda Rapoports¹⁴⁷ als auch Luzzattos Argumentation mit Blick auf eine spätere Abfassung der Targume beipflichte, dennoch das Vorgehen beider Gelehrter zur Feststellung der Autorschaft der Targume nicht annehmen könne.¹⁴⁸ Geiger stimmte in einigen Punkten mit Luzzatto überein, wie z. B. in der These einer „sogenannten getrennten Autorschaft“¹⁴⁹ und auch in der These einer früheren als der von der Forschung angenommenen Vollendung der pentateuchlichen und prophetischen Targume.¹⁵⁰ Dennoch fand der Redakteur Geiger die Motivationen und die Argumentation Luzzattos etwa zur Widerlegung der Identität der Autoren Aquila und Onkelos schwach und bedenklich.¹⁵¹ Geiger profitierte von seiner Auseinandersetzung mit Luzzatto insofern, als er so dem Lesepublikum seine Thesen und seine eigenen Vermutungen und Erkenntnisse über Onkelos und Aquila vorstellen konnte. Er warf einen kritischen Blick auf Luzzattos und Rapoports exegetische Studien zu den Targumim und stellte sich dann bewusst gegen beider Thesen. Damit hatte Geiger mit seinem redaktionellen Eingriff in und Kommentar zu Luzzattos Werk nicht nur seine eigenen Positionen über die Autorschaft der Targume und über die Ableitung des Namen Onkelos bekannt gemacht und begründet, sondern auch die Positionen Rapoports und Luzzattos infrage gestellt.¹⁵² Mit der bearbeiteten, oder, schärfer formuliert, mit der manipulierten Variante des Artikels Luzzattos hatte Geiger gezeigt, dass er als Herausgeber und Redakteur über eine besondere Deutungsmacht verfügte, und zugleich seine Absicht erkennen lassen, sich als Fachexperte bibelexegetischer Themen und Forschungen zu profilieren.¹⁵³
Salomo Juda Rapoport sprach sich mit anderen Rabbinern wie Zacharias Frankel in den 1840er-Jahren als Gegner Geigers über den Tiktin-Streit aus. Vgl. Geiger (Hg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, 66 und 80. S. D. Luzzatto, Nachträgliches über die Thargumim, von S. D. Luzzatto, 126. Ebd., 125 – 127. Ebd., 127. Ebd. Geiger stellte die Positionen zweier namhafter und erfahrener Bibelkritiker und Exegeten infrage und publizierte zudem seine Positionen sowie seine neue eigene Interpretation zu den Targume. Dem folgenden Briefaustausch zwischen Geiger und Luzzatto ist anzumerken, dass der Reformrabbiner Geiger, auch wenn einige Jahre vergangen waren, die Diskussion über Onkelos weiterführte und seine Theorie über den Propheten Nikolaus von Lyras als Verfasser der Targume beharrlich weiterverfolgte. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Der italienische Gelehrte reagierte unzufrieden und enttäuscht auf die Publikation seiner Analyse der Targume.¹⁵⁴ Nach der Herausgabe des ersten Heftes der WZJT zeigte Luzzatto in der Korrespondenz mit seinen italienischen und deutschsprachigen Briefpartnern deutlich seine Irritation und sein Misstrauen angesichts der von Geiger vorgenommenen Veränderungen seines ursprünglichen Textes. Gegenüber dem italienischen Historiker Aurelio Bianchi-Giovini äußerte er sich dazu wie folgt: „[der Aufsatz] wurde 1841 geschrieben und dem deutschen Gelehrten Abraham Geiger geschickt und von ihm verstümmelt und so wie er mochte im Jahre 1842 veröffentlicht, im fünften Band seiner Zeitschrift […]“.¹⁵⁵ Jahrelang beschwerte sich Luzzatto bei seinen Briefkorrespondenten über die so offensichtliche persönliche Attacke, die er hinter dem von Geiger modifizierten Artikel witterte.¹⁵⁶ Der Affront Geigers in der WZJT hatte unmittelbare Folgen für den Briefwechsel zwischen den beiden Gelehrten: Luzzatto wurde vorsichtiger und Geiger gegenüber skeptischer. Dies hatte zur Folge, dass die anfänglichen begeisterten Eindrücke, die der deutsche Reformrabbiner angesichts des gemeinsamen Interesses für mittelalterliche Bibelkommentatoren bei Luzzatto hinterlassen hatte,¹⁵⁷ verblassten. Im Zeitraum von 1842 bis 1849 waren die Kontakte zwischen beiden Gelehrten fast ganz unterbrochen. Denn Geiger kritisierte über diesen ersten Affront hinaus in weiteren Artikeln Luzzattos Positionen und Forschungstätigkeit. Dies passierte schon 1847¹⁵⁸ als beide Gelehrte keinen Kontakt mehr miteinander pflegten:
Der Beitrag Luzzattos wurde von einem Schüler Luzzattos ins Deutsche übersetzt und dann nach Breslau geschickt, vgl. „Luzzatto an Giovini, Mailand, 04.1845.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 273, 452. Ebd. Luzzatto bat um Erklärung wegen der Äußerung des Berliner Gelehrten Fürchtegott Lebrecht über Luzzattos orthodoxen Fanatismus insbesondere gegen Maimonides. Luzzatto wiederholte seine Positionen gegen Maimonides und seine dreizehn Glaubensartikel und nannte hier nochmal die Episode des Artikels über die Targume, den Abraham Geiger in seiner Zeitschrift modifiziert und reduziert hatte. „[…] ma dissertation sur le Targums qui Geiger a mutilée et publiée dans son Journal (V. 124– 137) comme il lui plut.“, „Luzzatto an Lebrecht, Berlin, 20.08.1845.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 281, Index 535, 463 – 466: 465. „Luzzatto an Filippo Luzzatto, Venedig, 15.02.1841.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 232, 398 – 399. 1847 erschien im dritten Heft der Zeitschrift Geigers ein Artikel mit dem Titel „Literarischkritische Übersicht“, in dem Abraham Geiger auf Luzzattos „Rancüne“ aufmerksam machte: „wie seine Rancüne gegen die deutschen Juden, dass sie das Emanzipationsstreben doch halten: dennoch verstehn diese seine Leistungen besser zu würdigen als die Juden anderer Länder, welches ein solches Streben nicht theilen“, Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 6 (1847), 3, 91– 115: 105 – 106.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
[…] er [Luzzatto] hat einen gesunden kritischen Sinn, wenn seine Kritik mehr eine philologische ist, er ist der Kabbalah und dem Aberglauben von Herzen gram; aber dennoch ist ihm die Kritik sehr bald verdächtig als ein Rütteln an der Grundlage, die jedoch gar verborgene Schachte unter sich haben und vielleicht eine bloße verfestigte Ausströmung der unterirdischen bewegenden Kräfte sein mag, er hat eine wahre Scheu vor der Philosophie, selbst in dem Alten einem E., E., einem Maimonides, ist ihm widerwärtig, und seine Heißblütigkeit reißt ihn rasch zu Ausbrüchen hin, denen seine natürliche Gutmütigkeit und Gefälligkeit, seine Liebe zur Verbreitung der Wissenschaft und seine Achtung der Gelehrten nicht genügend Widerstand leisten können.¹⁵⁹
Geiger hatte im vierten Artikel der Rubrik Jüdische Zeitschriften seiner Zeitschrift eine besonders plakative Beschreibung des italienisch-jüdischen Gelehrten vorgenommen. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen fand sich Luzzatto in dem Artikel zusammen mit Rapoport als Säule der hebräischen Zeitschrift Kerem Chemed dargestellt sowie als biblischer Held mit Boas verglichen.¹⁶⁰ Einige Paragrafen weiter zeichnete der Verfasser für das deutsch-jüdische Lesepublikum jedoch ein äußerst trostloses Bild der zeitgenössischen italienisch-jüdischen Gelehrsamkeit. Provozierend reduzierte er die Kritik an Luzzatto in diesem Artikel (wie auch in anderen) auf dessen problematisches, höchst kritisches Verhältnis zu Maimonides’ philosophischem Denken und zeichnete ein besonders polemisches Bild von Luzzattos wissenschaftlichen Interessen, vor allem aber von seinem angeblich schwierigen Charakter und hitzköpfigen Temperament.¹⁶¹ Diese öffentlichen Ausführungen hatten sofort eine große Wirkung auf das briefliche Verhältnis der beiden zueinander, und die Unterbrechung der kontinuierlichen und intensiven Kontakte zwischen beiden Gelehrten bis zum Jahre 1849 ist wohl dadurch zu erklären, dass Luzzatto von Geigers Worten in seiner Zeitschrift irritiert und beleidigt war und seine bibelkritischen Studien ungern in der deutschjüdischen Wissenschaftspresse auf eine solche Art attackiert sehen wollte. Luzzatto hatte sich diese schriftliche „Freundschaft“ mit Abraham Geiger anders vorgestellt.¹⁶² Die Zeit des intensiven und produktiven gelehrten Dialogs war erst einmal bis 1849 vorbei.
Geiger, Jüdische Zeitschriften, 474. Ebd., 472. Luzzattos ursprüngliche Feststellung, in Geiger noch einen Verteidiger und Anhänger des Rationalismus von Maimonides und dessen philosophische Auslegung der Bibel zu haben, wurde so zunächst anscheinend nicht enttäuscht. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 03.07.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index N. 679, 339, 552– 560.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Die Intensivierung der Korrespondenz zwischen Luzzatto und Geiger in den Jahren 1849 – 1860 Die brieflichen Kontakte zwischen Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto intensivierten sich erst 1849 wieder, nachdem diese in den vorhergehenden Jahren ziemlich sporadisch und auch angespannt geblieben waren.¹⁶³ Im Juli 1849 nahm Luzzatto erneut Bezug auf einen kontroversen Artikel Geigers im fünften Band der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie sowie auf seine Analyse der Autorschaft der Targume.¹⁶⁴ Die resoluten Worte Luzzattos an Geiger zeugen deutlich von seiner Irritation und seinem Misstrauen angesichts des persönlichen Angriffs, dem sich der italienisch-jüdische Gelehrte in den Kolumnen der Zeitschrift Geigers ausgesetzt gesehen hatte: Voulez-vous ma coopération? Elle ne peut pas manquer quand il s’agit d’être utile à la littérature judaïque. Mais voulez vous être mon ami? Vous le deviendrez peut-être un jour, quand vous aurez appris qu’il y a encore une philosophie, sans celle du siècle, de laquelle vous dites (V. 474), que j’ai eine wahre Scheu et quand vous vous serez persuadé que mes articles ne méritent pas être mutilés et réduits à l’état de squelettes (V. 124– 137). Quand des événements politiques vous auront appris la vanité de la sagesse du siècle, vous ne penserez plus à l’émancipation de la cuisine.¹⁶⁵
Diese Replik Luzzattos weist einerseits auf zugespitzte Konflikte, namentlich religionsphilosophischer Natur, markierte andererseits aber auch in erster Linie einen Dissens zwischen beiden jüdischen Akteuren über die Reformbewegung.¹⁶⁶ Dieser Streit um die richtige Reform steigerte die Spannung zwischen beiden Briefpartnern zusätzlich. Damit zusammenhängende Themen wie die Rechtfertigung der rituellen Praxis insbesondere der Speisegebote oder die Änderungen im Gebetbuch wurden so im Laufe der Korrespondenz zu einem erkennbar sensiblen und tabuisierten Thema.¹⁶⁷ In den darauffolgenden Briefen lässt sich be-
Die Rekonstruktion der Briefkontakte zwischen Geiger und Luzzatto in der Zeitspanne 1843 bis 1849 bedürfte weiterer Quellen. Der Brief, den Luzzatto an Geiger vermutlich im Juni 1845 schickte, ist weder in dem Epistolario noch in dem Index erhalten geblieben, vgl. Geiger (Hg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, 96. Vgl. Geiger, Jüdische Zeitschriften, 474. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 03.07.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index N. 679, 339, 552– 560. Luzzatto machte sich durch die Artikel Geigers in der Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie sowie über gemeinsame Briefkorrespondenten wie Schorr und Reggio über Geigers reformatorischen Anliegen bewusst; vgl. u. a. „Luzzatto an Reggio, Görz, 23.07.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 194, 314– 315. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.08.1849.“ In ebd., 340, Index 680, 560 – 562.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
sonders deutlich feststellen, dass sich Luzzatto, trotz aller Spannung, keine direkte Konfrontation mit Geiger zum Thema Reform wünschte.¹⁶⁸ In dem oben erwähnten Brief bezog sich Luzzatto gezielt auf den Artikel des Reformanhängers Samuel Holdheim (1806 – 1860) und auf die Nachschrift Geigers über die Speisegesetze, die in der WZJT erschienen waren.¹⁶⁹ In seinem Artikel reagierte Geiger auf die radikalen Positionen Holdheims, der die Speisegebote für obsolet erklärt hatte.¹⁷⁰ In den Worten Luzzattos lässt sich neben der Bestreitung des Rechts zu jeglicher Änderung und Vereinfachung des jüdischen Ritus eine subtile Herabwürdigung der Reformbestrebungen Geigers anerkennen, die – mit ihren fruchtlosen Modifizierungen der jüdischen liturgischen Lebenswelt, so der italienische Gelehrte, keinerlei Nutzen brachte.¹⁷¹ Es handelte sich um ein schwieriges, sensibles Thema, das Luzzattos Unbehagen gegenüber Geigers reformatorischen Bestrebungen noch stärker erkennen ließ.¹⁷² Dessen ungeachtet schickte Geiger Luzzatto schon zu Beginn der Korrespondenz seine Gebetbücher, Predigten und Aufsätze mit dem Titel Proben jüdischer Verteidigung im Mittelalter. 1849 schickte der Breslauer Rabbiner u. a. eine Kopie seines Gebetbuchs mit dem Titel Grundzüge und Plan zu einem neuen Gebetbuche ¹⁷³ und erklärte sich dazu bereit, Luzzatto den im Jahre 1842 verfassten Aufsatz Der Hamburger Tempelstreit, eine Zeitfrage ¹⁷⁴ sowie die Protokolle der Rabbinerversammlung zugänglich zu machen.¹⁷⁵
Ebd., 560 – 562. Vgl. S. Holdheim, „Materialien zu einem Commissionsbericht über die Speisegesetze“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 6 (1847), 2: 41– 63; und Abraham Geigers Nachschrift in demselben Heft seiner Zeitschrift, 63 – 75. Geiger war der Meinung, Juden sollten nach anderen praktischen Reformen streben. In der Auseinandersetzung um die Speisegebote ging es Geiger weniger um die jüdische Observanz als vielmehr um den Rechtfertigungsgrund solcher Praktiken im Judentum; vgl. K. Koltun-Fromm, Abraham Geiger. Kulturwissenschaftliche Reflexionen, 50 – 51. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 03.07.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index N. 679, 339, 552– 560. Wie den Briefen an Reggio zu entnehmen ist, hielt Luzzatto jedes kleinste jüdische rituelle Detail für notwendig und jede Modifizierung des Ritus für absolut unangemessen. Vgl. Kapitel 6.1 dieser Arbeit sowie „Luzzatto an Reggio, Görz, 21.02.1839.“ In ebd., 201, 276 – 280: 277– 278; vgl. auch S. D. Luzzatto, „Briefwechsel über religiöse Zustände, S. D. Luzzatto in Padua an I. S. Reggio“ Israelitische Annalen 1 (29.03.1839), 13: 99 – 100. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.08.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 340, Index 680, 560 – 562. A. Geiger, Grundzüge und Plan zu einem neuen Gebetbuche, Breslau 1849. Vgl. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975. A. Geiger, Der Hamburger Tempelstreit, eine Zeitfrage, Breslau 1842. Vgl. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Geiger war überzeugt, dass diese Zusendung Luzzatto „nicht so besonders interessieren dürfte und auf Luzzattos Widerspruch gefasst sein müsste, die aber seinen guten Willen wenigstens bekunden sollte“.¹⁷⁶ Geiger erscheint hier nicht nur als sachlicher Kenner und Berichterstatter über die deutsche Reformbewegung und deren Entwicklungen, sondern trat besonders prominent als Hauptvertreter der deutsch-jüdischen Reformbewegung hervor.¹⁷⁷ Luzzattos Haltung gegenüber den deutsch-jüdischen Reformern fiel von Anfang an klar und unmissverständlich aus: Seiner Auffassung zufolge waren die erwünschten Modifikationen des Gottesdienstes undenkbar. Luzzatto äußerte sich zu reformatorischen Entwicklungen nicht nur sehr kritisch, sondern stellte grundsätzlich die Rolle und Wirksamkeit der deutschen Reformer infrage¹⁷⁸ und begegnete den Forderungen und Vorstellungen der deutsch-jüdischen Reformbewegung mit äußerster Skepsis. Seiner Meinung waren deren Bestrebungen grundsätzlich zum Scheitern verurteilt.¹⁷⁹ Gleichwohl zeigte Luzzatto Interesse an den Zuständen und Entwicklungen in den deutsch-jüdischen Gemeinden und wollte bezüglich der Reformangelegenheiten auf dem Laufenden gehalten werden.¹⁸⁰ Er beabsichtigte jedoch weder,
Die Rabbinerversammlungen fanden in Braunschweig 1844, in Frankfurt 1845 und in Breslau 1846 statt. Vor allem bei den Versammlungen in Frankfurt und in Breslau nahm Geiger aktiver Anteil. Während der hitzigen Diskussionen im Laufe der täglichen Sitzungen agierte er mehrfach als Redner und sogar als Leiter. Es ist deshalb zu vermuten, dass Geiger die Protokolle und Berichte von den Sitzungen mit seinen Reden an Luzzatto geschickt hatte; vgl. A. Geiger, Die dritte Versammlung deutscher Rabbiner. Ein vorläufiges Wort zur Verständigung, Breslau 1846 und Vorläufiger Bericht über die Tätigkeit der dritten Versammlung deutscher Rabbiner, Breslau 1846. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2978. In den an Luzzatto zugeschickten Schriften von 1842 und von 1849 hatte Geiger insbesondere seine Positionen zu den Pijjutim geäußert sowie seine Forderungen und Vorstellungen über den jüdischen Gottesdienst in den deutschen Synagogen und die Verkürzung der Gebete formuliert. Im Hinblick auf Geiger waren nach dem Artikel in Julius Fürsts Orient über die Pijjutim von Luzzatto die entgegensetzten Positionen des italienischen Gelehrten hierüber bekannt. Luzzatto hatte in dem Briefwechsel mit Geiger seine Artikel erwähnt, konnte aber nicht glauben, dass Geiger die Artikel noch nicht gelesen hatte: Luzzatto an Geiger, Breslau, 19.05.1851, Index 751, 623. Vgl. Luzzatto, Verzeichnis der Poëtanim von Prof. Sam. Dav. Luzzatto (29.07.1848); (26.08.1848); (02.09.1848); (23.09.1848). Luzzatto drückte gegenüber seinen Freunden und Korrespondenzpartnern in langen Briefen seine ganze Skepsis gegenüber den Reforminstanzen auf deutsch-jüdischer Seite aus, vgl. „Luzzatto an Giuseppe Almeda, Triest, 1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 185, 280 – 285. „Luzzatto an Moses Ehrenreich, Brody, 14.09.1845.“ In ebd., 282, 466 – 467. Aus der Korrespondenz lässt sich erschließen, dass Luzzatto mit großem Interesse die Gebetbücher von Geiger aus Breslau erwartete und immer wieder anforderte. Geiger seinerseits schickte regelmäßig im Laufe der Korrespondenz seine Predigten nach Padua und fragte Luzzatto nach einer Empfangsbestätigung.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
hierüber mit Geiger zu diskutieren, noch, eine heftige Polemik auszulösen. Allerdings war ihm Geiger als eine der repräsentativen Persönlichkeiten der deutsch-jüdischen Reformbewegung mit seinen Ideen ein Dorn im Auge. Tatsächlich gelang es ihm, Geigers reformerischen Elan im privaten Briefaustausch zu bremsen.¹⁸¹ Ganz deutlich hatte sich Luzzatto eine Eingrenzung der „Fronten“ mit seinem Briefpartner gewünscht und in dieser Hinsicht die Breite der thematischen Schwerpunkte sowie des Forschungsdiskurses der Briefkorrespondenz eingeschränkt. Sans doute votre opuscule offre des propositions, que je n’approuve point, mais cela m’amènerait trop loin; et d’ailleurs j’aime que notre correspondance reste dans notre sphère d’attraction (l’histoire littéraire) sans entrer dans celle de notre répulsion réciproque (les idées religieuses).¹⁸²
Luzzatto reagierte empfindlich, wenn in den Briefen von Reformangelegenheiten die Rede war. Nach der ersten Zusendung der Broschüre des Gebetbuchs Geigers und des Materials zu den deutsch-jüdischen Reformansätzen¹⁸³ verlangte Luzzatto in seinem Antwortschreiben eine Erklärung und vor allem eine Rechtfertigung für die Worte in dem Brief Geigers: „[…] bei der ich auf deren Widerspruch gefasst sein muss“,¹⁸⁴ die Luzzatto in der Replik zitierte.¹⁸⁵ Vermutlich war dies ein subtiles Mittel Geigers gewesen, um noch einmal mit Luzzatto in eine Auseinandersetzung über das Thema Reform einzutreten. In seinem Brief setzte Luzzatto seine Argumentation gegen das Thema Reform fort und betonte, die entgegengesetzten religiösen Positionen zwischen den beiden Gelehrten hätten weder zu einer konstruktiven Auseinandersetzung noch zu einer besonderen Übereinstimmung geführt.¹⁸⁶ Dass Luzzatto dies so einschätzte, verweist auf die klare inhaltliche Positionierung des italienisch-jüdischen Gelehrten sowie seine Auffassung, dass nur ein Verzicht auf die Diskussion über die Reformbewegung eine produktive Fortführung der brieflichen Kontakte mit Geiger ermöglichen würde.¹⁸⁷ Absicht Luzzattos war es vor allem auch, jede religionsphilosophische Auseinandersetzung insbesondere auch über das Judentumsver-
„Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.08.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 680, 340, 560 – 562. Ebd. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975. Ebd. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.08.1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 680, 340, 560 – 562 und ebd. Ebd. Ebd.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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ständnis des Maimonides zu vermeiden oder diese Themen möglichst zu begrenzen,¹⁸⁸ und sich stattdessen vor allem auf literaturhistorische Themen zu konzentrieren. Die Ausblendung der Thematik der jüdischen religiösen Reform deklarierte er als unwiderruflich. Die Replik Geigers erfolgte einige Monate später, nämlich in einem Brief vom September 1849: Es würde mir zu einer besonderer Freude gereichen, wenn Männer, die ich achte, welche jedoch sich sehr falsche Vorstellungen machen über mein Wirken, einmal einem solchen Gottesdienste beiwohnen würden, sie würden sicherlich eines Besseren belehrt werden. In dem letzten Heftchen der Zeitschrift wird Ihnen mein Verfahren gegen Rapoport hart erscheinen; aber diese polnische Eisernfresserei mit ihrem literarischen Eigensinne und heuchlerische Frömmelei wird doch nachgerade unerträglich und man muss einmal zeigen, dass man nicht durch den ,Mundhauch‘ solcher sich selbst unaufhörlich als fromm Preisende ,verbrannt‘ noch durch ihren ,Blick‘ in einem ,Beinhaufen‘ verwandelt wird, und kurz und gut auf einem groben Klotz gehört ein grober Keil. Dass dabei meine sonstige Achtung für R.’s literarische Verdienste nicht geschmälert wird, habe ich Ihnen schon früher gesagt.¹⁸⁹
Geigers Zeilen haben einen bitteren Klang: Die Desillusionierung und Empörung gegenüber seinen orthodoxen Gegnern in der Breslauer Gemeinde und deren Verdächtigungen wegen seiner Äußerungen zum Talmud und seines Reformvorhabens überhaupt sind unüberhörbar.¹⁹⁰ Geiger hoffte nun, ausgerechnet in Luzzatto einen Verbündeten und somit Rückendeckung gegenüber seinen Gegnern und in erster Linie gegenüber Rapoport und seinen Attacken zu finden (s. Abb. 8 a/b).¹⁹¹ In seinen Briefen vermittelte Luzzatto das Gefühl, dass er ihn als Vertrauensperson betrachtete und ihn deshalb in bestimmte Problematiken innerhalb der Breslauer Gemeinde einzuweihen, etwa seine eigene Isolierung in der Gemeinde, seine Probleme mit der orthodoxen Fraktion und nicht zuletzt seine
Ebd. „Geiger an Luzzatto, Padua, 11.09.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2994. Ebd. Ebd. Luzzatto äußerte sich in seinen Repliken über Rapoport jedoch nicht zu diesem Thema. Salomo Juda Rapoport hatte bereits in der ersten Nummer der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie Geigers einen Artikel beigesteuert. Der Gelehrte distanzierte sich aber aufgrund der religiösen Äußerungen des Herausgebers immer deutlicher; 1839 meldete sich Rapoport dann in dem berühmten Tiktin-Streit zu Wort und wandte sich gegen Geiger. Ein Brief von ihm wurde dem Schreiben Tiktins beigefügt. In seinem Anfang der 1840er-Jahre verfassten Gutachten erklärte er sich im Vorstand der Breslauer Gemeinde zusammen mit Zacharias Frankel offen als Gegner des jungen Reformrabbiners. Vgl. A. Brämer, „Abraham Geiger und Zacharias Frankel. Vergegnungen und Konfrontationen.“ In Wiese, Homolka und Brechenmacher (Hg.), Jüdische Existenz in der Moderne, 120 – 121.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Schwierigkeiten, die Modifizierungen des jüdischen Ritus durchzusetzen.¹⁹² Luzzattos Antwort ließ seinen antireformatorischen Impetus deutlich durchblicken, denn sein angekündigtes Schweigen zu diesen Vorgängen¹⁹³ sowie sein ostentativer Verzicht auf jegliche Reaktion waren ein unübersehbares Zeichen seiner Verweigerung gegenüber jeglicher Diskussion darüber.¹⁹⁴ Geiger profitierte tatsächlich von der damaligen Briefkorrespondenz mit Luzzatto und schickte diesem umgekehrt neu verfasste Predigten, Reden und aktualisierte Kopien seines Gebetbuchs. Luzzatto bestätigte immer deren Erhalt, äußerte sich allerdings nicht dazu.¹⁹⁵ Im August 1854 etwa schickte Geiger Luzzatto einige Exemplare seines Gebetbuchs,¹⁹⁶ in deutscher Übersetzung. „Ich sende auch nun wieder eine Predigt [Herv. i. Orig.] gleichfalls mit der Bitte an den anderen Herren die für sie bezeichneten Exemplare zukommen lassen zu wollen. Diese Dinge haben nur natürlich den Zweck, Sie au courant zu erhalten, es sind amtliche Produkte und machen keinen Anspruch auf wissenschaftlichen Wert.“¹⁹⁷
Geiger äußerte Luzzatto gegenüber oft sein Misstrauen und seine Enttäuschung über die Zersplitterung innerhalb der Gemeinde, die er als „Partei-Zänkerei“ charakterisierte; „Geiger an Luzzatto, Padua, 01.11.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 0450. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 29.10.1854.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 553, Index 975. In seinem Antwortschreiben bestätigte Luzzatto jedoch, er habe Geigers Predigt und seine Tefila erhalten: „Il est long-temps, que j’ai reçu votre Sermon et votre תפלה, et au lieu de vous en remercier, j’ai gardé le silence, je suis habitué à ne rien dire lorsque j’aurais trop à dire.“ Ebd. Luzzatto bestätigte regelmäßig, die Werke Geigers zum Thema Reform wie die Einweihungsrede und die Schrift Grundzüge und Plan zu einem neuen Gebetbuche erhalten zu haben.Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 30.05.1852.“ In ebd., Index 825, 409, 685 – 686. Das Gebetbuch hatte Geiger für den Gebrauch in der Breslauer Synagoge konzipiert. Geiger hatte weitere Kopien des Gebetbuchs nach Padua geschickt, mit der Bitte, diese auch anderen Gelehrten seines Freundeskreises zukommen zu lassen. A. Geiger, Seder tefila devar iom be iomo, israelitisches Gebetbuch für den öffentlichen Gottesdienst im ganzen Jahre mit Einschluß der Sabbate und sämtlicher Feier- und Festtage. Geordnet und mit einer neuen deutschen Bearbeitung versehen, Breslau 1854. „Geiger an Luzzatto, Padua, 11.06.1856“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2988.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
Abb. 8 a/b: Brief vom 11. September 1849 (Geiger an Luzzatto).
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Geiger versuchte mit seinen regelmäßigen Zusendungen nicht nur den italienischen Briefpartner au courant, sondern auch das Thema der Reform des Judentums im Gespräch zu halten. Offenbar tat er dies in der Hoffnung, von Luzzatto, wenn schon keine ideologische Unterstützung oder religionsphilosophische Zustimmung, so doch zumindest geistige und emotionale Anregung zu bekommen. Die religiöse Differenz zwischen den beiden Gelehrten blieb im Laufe der ganzen
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Korrespondenz als latenter Konflikt bestehen. Es lässt sich zudem feststellen, dass Luzzattos Orientierung an anderen wissenschaftlichen Themen, jenen der Literaturgeschichte und der Philologie, dazu führte, dass er nicht bloß den Wissenschaftsstoff zu bestimmen, sondern auch die verhärteten unausgesprochenen Konflikte zu beherrschen und so das Gleichgewicht zwischen beiden Gelehrten zu bewahren.¹⁹⁸ Diese Beobachtung trifft auf die Briefbeziehung zwischen Geiger und Luzzatto in noch weit stärkerem Maße zu als im Falle der Korrespondenz mit dem Publizisten Julius Fürst.
Geiger und Luzzatto gemeinsames Engagement für den Zugang zu jüdischen Handschriften Sowohl Geiger als auch Luzzatto setzten sich intensiv mit spanischen, französischen und arabischen Autoren und Bibelkommentatoren auseinander. Beide hielten als Altertumsforscher und Handschriftensammler in ihren Briefen regelmäßig lange Vorträge über mittelalterliche Bibelkommentatoren, wie u. a. Saadia Gaon, Raschi, Joseph Karo, Nachmanides, Dunasch Ben Labrat, Maimonides und deren Punktationsvarianten und Übersetzungen in ihren Texten. Auseinandersetzungen über linguistische und philologische Fragen waren in der Korrespondenz ebenso die Regel wie die Verwendung einer äußerst dichten, fachspezifischen Sprache. Beide engagierten sich und tauschten ihre Vermutungen über die Bibelkommentare der obenerwähnten Autoren aus.¹⁹⁹ Vor allem Geiger versuchte, Luzzatto von der Notwendigkeit der Katalogisierung von Fragmenten und Manuskripten zu überzeugen, wenn es um die Verbreitung, den Zugang zu und die Nutzung jüdischer Quellen für die jüdische Gelehrtengemeinschaft ging. In diesem Punkt waren sich Luzzatto und Geiger einig und profitierten voneinander. Geiger und Luzzatto schickten sich gegenseitig schon seit den ersten Briefen und im Laufe ihrer gesamten Korrespondenz immer wieder unzählige
Vgl. den Brief über die divergierenden Positionen am Beispiel der Deutung Leone da Modenas, für die Luzzatto eine „Trägheit“ entwickelt habe, sodass er Geiger nicht antworten wollte. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 10.02.1856.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 1019, 540, 843. Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 03.07.1849.“ In ebd., Index N. 679, 339, 552– 560. Vgl. die Antwort Geigers „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975; und 21.08.1849, 2976 und die Replik Luzzattos: „Luzzatto an Geiger, Breslau, 07.09. 1849.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 683, 341, 563 – 566. Es ging um die Gegenüberstellung von Worten und Ausdrücken, die Luzzatto in mehreren Codices spanischer, französischer und „orientalischer“ Kommentatoren gefunden hatte.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Manuskripte, Fragmente und alte Codices, sowohl in Kopie als auch im Original.²⁰⁰ Geiger versicherte Luzzatto von Anfang an, es sei seine Absicht, viel Energie, Kraft und Zeit in den Austausch von Quellenbeständen investieren zu wollen: „[…] an Materialien fehlt es wie Sie sehen, nicht, aber auch an dem Willen, und Ich habe Energie und Ausdauer genug, um meinen Willen zu Tat zu machen.“²⁰¹ Geigers Anliegen, jüdische literarische Quellenbestände zugänglich zu machen, fand bei Luzzatto gewiss ein offenes Ohr. Verbindendes Motiv und Ziel beider Gelehrter war die Verbreitung, Weiterleitung und Bekanntmachung jüdischer Quellen, u. a. ganzer Codices und Manuskripte²⁰² wie z. B. von dem italienischen Humanisten Azaria de Rossi, oder Stellen aus den Bibelkommentaren Ibn Ezras, Maimonides, Raschis²⁰³ sowie kleinteiliger Informationen und hebräischer Fragmente. Ein weiteres Anliegen bestand in der Erstellung von genaueren Auslegungen sowie Übersetzungen jüdischer Altertumstexte und von mittelalterlichen Texten. Ein Beispiel für einen solchen Text ist die Abschrift des mittelalterlichen Kommentators Dunasch Ben Labrat. Geiger hatte 1849 eben diese Abschrift von Luzzatto zugeschickt bekommen und schrieb anschließend: „Diese Abschrift bewahre ich als einen Schatz und habe ich sie erst ganz, dann muß sie in die Welt wandern.“²⁰⁴ Beide Forscher hielten sich gegenseitig über neu erworbene Bestände auf dem Laufenden, vor allem hinsichtlich der Kommentare Raschis zur Thora und jenen seiner Schüler. Vor allem während der intensivsten Phase ihrer Korrespondenz, zwischen 1849 und 1852, führten beide Gelehrte fachspezifische linguistische und philologische Diskussionen, u. a. über besonders umstrittene Bibelstellen von Raschi sowie über Bibelübersetzungen und deren Autorschaft und Datierung.²⁰⁵ Häufig kritisierten und kommentierten beide Briefpartner die von den mittelalterlichen Punktatoren ausgewählten Varianten und führten lebhafte
Luzzatto erwies sich während der Korrespondenz mit Geiger auch als wichtiger Vermittler von Werken des Breslauer Gelehrten an andere Gelehrte und Forscher in seinem Freundeskreis wie die Bibliophilen Almanzi und Ghirondi und den Sohn von Meyer Randegger, Giuseppe Aron. „Geiger an Luzzatto, Padua, 21.08.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2976. „Geiger an Luzzatto, Padua, 11.09.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2994. Geiger bat Luzzatto, ihm De Rossis Katalog mit dem Inhalt und – mithilfe von Luzzattos Briefkorrespondenten wie Randegger – am besten auch die Abschrift der Manuskripte und Fragmente zu verschaffen und ihm zu schicken. „Geiger an Luzzatto, Padua“, 12.02.1850, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2969; sowie 11.06.1850, 2970. „Geiger an Luzzatto, Padua, 11.09.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2994. Vgl. „Geiger an Luzzatto, Padua, 09.10.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2977. Hier tauschte Geiger sich über einige Stellen bei Raschi aus und bat Luzzatto um seine Meinung über einen Text, der aus seiner Sicht möglicherweise von Abraham Ibn Ezra stammte.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Debatten hierüber.²⁰⁶ Beide forschten damals im Bereich der jüdischen Bibelexegese und legten einander ihre wechselseitigen Resultate und Fortschritte, ihre neuen Entdeckungen sowie Interpretationen und Kritiken dar, die in jedem Brief mit Schärfe und kühnen Bemerkungen beiderseits unterstützt oder demontiert wurden. Beide Briefpartner diskutierten während ihres Wissensaustauschs so fachbezogen, dass sie philologische und sprachwissenschaftliche Traktate als Teil des Briefwechsels anfertigten.²⁰⁷ Die Fachexpertise, die beide Briefpartner bei der Deutung der Texte sowie bei der Erklärung besonderer Varianten von Wortlauten und Vokalisierungen zeigten, war sehr kenntnisreich.²⁰⁸ In diesem Zusammenhang lässt sich immer wieder Geigers Wettbewerbsehrgeiz erkennen: Er versuchte, sich vor Luzzatto als Fachexperte, Übersetzer und Exeget zu profilieren, und trat in den zahlreichen linguistischen und philologischen Auseinandersetzungen mit dem älteren italienischen Gelehrten mit großem Selbstbewusstsein auf. Beide berichteten und informierten einander über ihre Entdeckungen in Bibliotheken²⁰⁹ sowie über die Erwerbungen anderer Forscher und anderer Mitglieder des wissenschaftlichen Netzwerks. Insbesondere betonte Abraham Geiger seinem Briefpartner gegenüber immer wieder sein Interesse für „viele noch treffliche unbenutzte ganz ungeklärte Sachen […]“.²¹⁰ In seinen Briefen brachte Geiger seine ausgeprägte Neugier bei der Entdeckung sowie bei der Ansicht jeder einzelnen Quelle zur Sprache und wünschte sich als unermüdlicher Entdecker und leidenschaftlicher Altertumsforscher, viele noch „vergrabene jüdische Denkmäler“²¹¹ zu sichten. Er hatte vor, die Gesamtheit dieses Quellenkorpus, wie am Beispiel aller Handschriften und Codices von De Rossi, nicht nur als wis-
Vgl. z. B. „Geiger an Luzzatto, Padua, 12.02.1850“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2969. In dem Brief ging es um einige Blätter des Mischna-Kommentars von Maimonides, die Luzzatto an Geiger zugeschickt hatte, sowie um deren Lesarten. Insbesondere die Datierung von Codices u. a. des biblischen Kommentatoren Saadia Gaon und seines Schülers Dunasch wurde zu einem umstrittenen Thema zwischen beiden Briefkorrespondenten. Dunasch Ben Labrat war ein Philologe und Dichter des 10. Jahrhunderts und Schüler Saadia Gaons (9.–10. Jahrhundert). Sehr jung adaptierte Dunasch das arabische Metrum der hebräischen Poesie. Deshalb wurde Dunasch als der Begründer einer neuen hebräischen Metrik rezipiert. Vgl. z. B. „Geiger an Luzzatto, Padua, 12.02.1850“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2969. Geiger informierte Luzzatto über seinen Entschluss, nach München zu fahren und die dortige Bibliothek zu besuchen. Vgl. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975. „Geiger an Luzzatto, Padua, 20.05.1852“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 608. „Geiger an Luzzatto, Padua, 11.06.1850“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2970.
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senschaftliche Erkenntnisse für Spezialisten, sondern als Gemeingut zu veröffentlichen (s. Abb. 9 a–c).²¹² Geiger mobilisierte und ermunterte ähnlich wie Luzzatto viele Netzwerkkorrespondenten, sich seiner Leidenschaft, seinem Enthusiasmus und seinem Engagement für die Auswertung des Quellenmaterials anzuschließen.²¹³ Seine Absicht war es, seine Quellenbestände mit Luzzattos Fähigkeit zur Interpretation von Handschriften zu bündeln und idealerweise zu ergänzen.²¹⁴ Der Aufenthalt in München während des Sommers 1849²¹⁵, der für Geiger eine intensive Auseinandersetzung mit Manuskripten mit sich brachte und deren zum Teil komplette Transkription erforderte, führte unmittelbar danach, in den 1850er-Jahren, zu einer Intensivierung der Kontakte zwischen beiden Gelehrten. Dies führte zu einem intensiven Transfer von Fragmenten und Codices während der ganzen Briefbeziehung bis ins Jahr 1860.
Jehuda Halevi (1075 – 1141), die spanischen und italienischen jüdischen Dichter des Mittelalters Geigers und Luzzattos flexibles Verständnis von geistigem Eigentum und die gegenseitige Bereitschaft, auch ihre noch unveröffentlichten Arbeiten miteinander zu teilen, d. h., sich über die eigenen Neuveröffentlichungen sowie über laufende
„Geiger an Luzzatto, Padua, 12.02.1850“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2969. Der Breslauer Rabbiner freute sich über jede Entdeckung, über jeden Beitrag, Nachtrag und über jede kleinteilige Nachricht seiner Korrespondenten und zeigte sich immer bereit, in den Bibliotheken neue Schätze zu entdecken und neue Kenntnisse zu erschließen, auch wenn ihn seine Verpflichtungen als Rabbiner in Breslau stark in Anspruch nahmen. Vgl. z. B. ebd. In dem Brief unterrichtete Geiger, nachdem er von Luzzatto wegen der verspäteten Reaktion gemahnt worden war, über die Gründe dieser Verspätung. Geiger arbeitete damals intensiv an einem „kleinen Schriftchen“ und gleichzeitig an den Geschichtsvorlesungen, die ihn sehr in Anspruch nahmen. Im Juli 1849 hatte Geiger Luzzatto über seine Reise nach München informiert und äußerte seine Vorfreude auf den kommenden Brief des italienischen Professors, den er bei der Rückkehr erhoffte: „Ich führe meinen Entschluß, München und die dortige Bibliothek, wirklich aus, wenn mir sonst keine andere Hindernisse in den Weg stellen und bin ich Willens bereits kommenden Montag den 16. abzureisen, und 3 bis 4 Wochen abwesend zu bleiben. Ich hoffe meine Zeit dort nicht unnütz zuzubringen, freue mich schon aber mit den Gedanken, bei meiner Rückkehr einen Brief von Ihnen vorzufinden.“ „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2975. Abraham Geiger informierte Luzzatto vor allem nach seiner Forschungsreise nach München über seine Neubestände und Forschungen und hielt ihn regelmäßig über seine Studien und Neuentdeckungen auf dem Laufenden.
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Abb. 9 a–c: Brief vom 11. Juni 1850 (Geiger an Luzzatto).
und zukünftige Projekte zu informieren, wurde zu einem prägenden Merkmal ihrer Korrespondenz. Auffälligstes Zeichen dieses produktiven Briefaustauschs und seiner intensiven Wechselwirkungen war neben der Beschäftigung beider
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Gelehrter mit älteren biblischen Kommentatoren auch die Erforschung der hebräischen Poesie und der Philosophie Jehuda Halevis, eines sephardischen Dichters und Philosophen des Mittelalters. Vor allem Luzzatto, der im Besitz von reichhaltigem Quellenmaterial wie alten Codices und Handschriften von Saadia Gaon (939 – 1038) und Jehuda Halevi war, teilte auch inhaltlich deren Ansichten zur rabbinischen Autorität. Er beschäftigte sich wie Geiger in jenen Jahren intensiv mit dem Judentumsverständnis Halevis und Saadias sowie mit deren Kritik an der Bibelauslegung der Karäer.²¹⁶ Im Februar 1851 informierte der Breslauer Rabbiner Geiger seinen Briefpartner Luzzatto in Padua über seinen Entschluss, diesmal ein „Bändchen“ über Jehuda Halevis Dichtkunst zu veröffentlichen,²¹⁷ und teilte ihm mit, wie er sich sein Werk vorstellte. Er beabsichtigte nämlich, ein genaues Bild des Lebens und der dichterischen Tätigkeit Jehuda Halevis inmitten seiner Epoche und seines Alltags zu zeichnen sowie dessen religionsphilosophische Überzeugungen und dichterische Fähigkeiten zu beschreiben.²¹⁸ Nach Geigers Vorstellung sollte das Werk über den berühmten mittelalterlichen Dichter des 12. Jahrhunderts einen noch fehlenden philologischen und philosophischen Beitrag zur gesamten jüdischen Literaturgeschichte beisteuern. Er plante, Halevis Wirken und Schaffen als Dichter, Philosoph und Arzt gemeinsam in den Blick zu nehmen, und erachtete es als wichtig, die Verhältnisse Halevis zu anderen zeitgenössischen Dichtern und Autoren mittels der Analyse von ausgetauschten Briefen sowie unter Berücksichtigung der Gedichte, Fragmente sowie unzähligen Beiträge seiner Epoche zu rekonstruieren²¹⁹ und so dem deutsch-jüdischen Publikum ein ehrliches „Gemälde“ seiner Dichtkunst und seines Lebens darzubieten. Um diese noch unentdeckte Seite des Dichters und dessen briefliches Netzwerk aus einer Innenperspektive erforschen und darstellen zu können, brauchte Geiger fachliche Unterstützung. Er war in erster Linie auf handschriftliches Quellenmaterial und die fachliche Expertise Luzzattos ange-
Die Karäer als Anhänger der Bibel waren eine jüdische Volksgruppe, die ihre eigenen Riten und Bräuchen folgten und die zum Teil die rabbinische Tradition und das rabbinische Gesetz ablehnten. „Geiger an Luzzatto, Padua, 25.02.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2979. Der Titel des Bandes wurde später geändert zu: Divan des Castiliers Abu’l Hassan Juda Halevi nebst Biographie und Anmerkung, Breslau 1851. „Geiger an Luzzatto, Padua, 25.02.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2979; und 07.03.1851, 2981. „Geiger an Luzzatto, Padua, 07.03.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2981.
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wiesen,²²⁰ der damals als führender Spezialist für Halevis Dichtung und dessen religionsphilosophisches Denken galt.²²¹ Auch diesmal erklärte sich Luzzatto bereit, Geiger bei der Durchführung seines Projektes zu helfen, das er, wie sein Brief vom Anfang März 1851 zeigt, sehr befürwortete.²²² Er kündigte Geiger aber vor allem seinen Willen an, sich mit der Gedichtsammlung des Divan ²²³ von Halevi erneut und intensiv zu beschäftigen,²²⁴ wie er es für seine Sammlung der Gedichte Halevis knapp zehn Jahre vorher unternommen hatte. Zugleich betonte er seine Bereitschaft, Geiger viele nützliche Informationen sowie ergänzende Beiträge und Nachträge in Bezug auf unbekannte Stellen und Verse Halevis zukommen zu lassen.²²⁵ Er sagte Geiger seine volle Unterstützung bei der Realisierung des Werkes zu und bemühte sich, insbesondere mit der Transkription,Vokalisierung und Übersetzung zahlreicher noch unverständlicher Stellen und Gedichte oder einzelner Verse in arabischer und hebräischer Sprache zu helfen.²²⁶ Geiger bat Luzzatto zudem, einige Briefe von anderen zeitgenössischen Dichtern der Epoche Halevis für ihn zu kopieren. Luzzatto wünschte Geiger vollen Erfolg: „je souhaite à votre ouvrage toute la perfection et le meilleur succès possible à gloire de notre Jehuda.“ Luzzatto gestand, er sei etwa „seulement fâché d’avoir su trop tard de votre projet“. Er beabsichtigte „dans l’intérêt de la science“,²²⁷ und als Forscher der mittelalterlichen Poesie und Dichter selbst dieses Material als gemeinschaftliches Gut zu behandeln. So kopierte, übersetzte und ergänzte Luzzatto unzählige Stellen und Verse und leitete diese fleißig an Geiger in Breslau weiter. Sein offener und entgegen-
Zur Korrespondenz zwischen Fürst und Luzzatto hierüber vgl. Kapitel 3.2. Luzzatto war der Herausgeber der Sammlung von Gedichten von Juda Halevi „Betulat bat Jehuda“, die 1840 in Prag veröffentlicht wurde. Ludwig Geiger machte in der Biografie seines Vaters darauf aufmerksam, wie viele Stellen des Werkes Luzzattos elf Jahre später in das Werk Geigers übertragen wurden. Dies lässt sich als Bestätigung des intensiven Austausches zwischen beiden Gelehrten verstehen und spricht für den großen materiellen und geistigen Beitrag Luzzattos und seine bedingungslose Hilfsbereitschaft. Zugleich weist Luzzattos Haltung noch deutlicher auf seinen offenen Umgang mit der eigenen literarischen Produktion und dem eigenen schöpferischen Eigentum. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 02.03.1851.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 738, 357, 592– 593. Jehuda Halevi hatte nach dem Tod seines Lehrers Isaak Alfasi Klagelieder verfasst, die er den „Diwan des Abul-Ḥasan Jehuda ha-Levi“ nannte. Ebd., und den Brief „Luzzatto an Geiger, Breslau, 14.03.1851.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 359, 595 – 596: 595. Hier verspricht Luzzatto Geiger, einige Verse der Gedichte Halevis zu transkribieren, die ihn interessieren könnten. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 14.03.1851.“ In ebd., 359, 595 – 596: 595. Ebd. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.04.1851.“ In ebd., 743, 362, 601– 604: 602.
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kommender Umgang mit all seinen eigenen handschriftlichen Beständen spricht für seine Freigiebigkeit, die er auch ausdrücklich versprach: „En étant le seul possesseur je me suis cru en devoir de les répandre dans le monde littéraire, afin que l’un ou l’autre puisse les méditer et y faire quelques découvertes.“²²⁸ In den folgenden Monaten schickte Luzzatto die ersten Zusendungen mit unzähligen Stellen, Übersetzungsvarianten sowie minuziösen und genauen Transkriptionen in arabischer und hebräischer Sprache nach Breslau.²²⁹ Geiger bedankte sich für die positive Rückmeldung und fachliche Unterstützung bei Luzzatto: So hat sich meine Hoffnung gerechtfertigt, und mein Vertrauen auf Sie belohnt! Ist es mir nicht überraschend, eben weil ich von Ihrer reinen Liebe zur Forderung der Wissenschaft auf jede Weise und von Ihrem humanen Charakter überzeugt war […].²³⁰
Geiger bestätigte in den Repliken jener Jahre, wie er bei seinem Projekt Luzzatto als begabtem Dichter und Übersetzer vorbehaltlos vertraute.²³¹ 1851 war die Mehrheit der Briefe zwischen beiden Gelehrten durch eine intensive fachliche, inhaltliche und linguistische Auseinandersetzung mit den Versen Halevis gekennzeichnet. In einigen Fällen kritisierte Luzzatto Geigers Vermutungen und Übersetzungsvorschläge heftig und wies sie als unannehmbar zurück.²³² Teilweise begrüßte er jedoch die Varianten Geigers mit Beifall. Er sparte aber auch nicht mit Ratschlägen für eine „ideale Konzeption“ der Arbeit.²³³ Nach seiner Ansicht sollte das Augenmerk des Werkes über Jehuda Halevi darin liegen, bestimmte u. a. stilistische und inhaltliche Merkmale zu erfüllen sowie dem Leser der Zeit ein besonderes Verständnis für Halevi und dessen Interpretation des Judentums zu vermitteln: Rendre Juda Halevi content du dix-neuvième siècle et le dix-neuvième siècle content de Juda Halevi. […] Vos pensées, vos observations, votre style, le format même du livre doivent le faire
Ebd. Ebd. und auch „15.04.1851.“ In ebd., Index 747, 367, 612– 615. Über einige Verse der Gedichte Halevis, die Luzzatto für Geiger transkribiert hatte, sowie über Übersetzungsvorschläge mit Blick auf einige Verse. „Geiger an Luzzatto, Padua, 07.03.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2981. Geiger berichtete seinem Briefpartner gleichzeitig auch über seine Sorgen über bestehende publizistische Schwierigkeiten bei der Herausgabe solcher Werke, wie z. B. seine Probleme mit dem Verleger, der ihn unter Zeitdruck gesetzt hatte. Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 07.05.1851.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index 749, 368, 616 – 622: 616 – 617. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 04.06.1851.“ In ebd., Index 754, 372, 627– 628.
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goûter et porter un peu de sentiment dans notre siècle prosaïque et dans nos confrères calculateurs.²³⁴
Luzzattos Beitrag war für das endgültige Ergebnis des Werks Abraham Geigers tatsächlich entscheidend. Dieser bedankte sich als Herausgeber der Gedichtsammlung bei Luzzatto und zeigte immer wieder seine Erkenntlichkeit. Ohne Luzzattos Fachexpertise und ohne das reiche Material an vollständigen Gedichten, einzelnen Versen oder Nachträgen, Ergänzungen und Brieftexten zwischen Halevi und anderen zeitgenössischen Autoren hätte Geiger nur einen Teil seines Vorhabens realisieren können. Ohne diese Unterstützung hätte Geiger keine so präzise sozialgeschichtliche und philosophische Kontextualisierung vornehmen und ebenso wenig einen so tiefen Einblick in das schöpferische, geistige und private Wirken sowie in die vielfältigen Beziehungen Halevis gewinnen können. Die intensive Beschäftigung mit Halevis Dichtung sowie die Weiterbearbeitung einzelner Gedichte wurden auch nach der Veröffentlichung des Bandes mit dem Titel Divan des Castiliers Abu’l Hassan Juda Halevi nebst Biographie und Anmerkung im Jahr 1851 von Geiger und Luzzatto in Zusammenarbeit fortgeführt. Geiger schrieb Luzzatto in seinen Briefen Ende 1851, er solle sich nicht wundern, wenn er ihn immer noch um eine lange Liste von Gedichten und Versen bitte, die für ihn mangelhaft und rätselhaft geblieben seien. Dies geschehe in der Hoffnung, dass „das Schriftchen eine zweite Auflage erleben werde“.²³⁵ Geiger war motiviert, sich weiter mit der Dichtung Halevis auseinanderzusetzen, vor allem nachdem er sehr positive Reaktionen und Kritiken von intellektuellen Kreisen u. a. von Leopold Zunz und Michael Sachs erhalten hatte.²³⁶ Geiger wollte für seine „bedeutend erweiterte zweite Auflage“ des Divans viel weiteres Quellenmaterial sichten. Nach der Veröffentlichung seines ersten Bandes hoffte er deshalb, den intensiven Informations- und Gedankenaustausch mit Luzzatto fortzuführen und vor allem weiter von den konstruktiven Kommentaren und Kritiken von Luzzatto für seine Übersetzungsvarianten und Anmerkungen profitieren zu können:
Ebd., 628. „Geiger an Luzzatto, Padua, 09.10.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 0531. Eine zweite Auflage des Bandes wurde nicht veröffentlicht, wenn nicht posthum 1875 unter dem Titel Juda Halevi, von Abraham Geiger, Berlin 1875. 1853 hatte aber Geiger einige Lieder Halevis in Letteris’ Periodikum Wiener Vierteljahrs-Schrift, Organ für Wissenschaft und Kunst, Cultur- und Literatur- Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der israelitischen Zustände veröffentlicht. „Geiger an Luzzatto, Padua, 09.10.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 531; und 03.11.1851, 2993. Hier berichtet Geiger über die enthusiastischen Reaktionen von Zunz, Sachs und Rapoport auf sein Werk.
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Sie sehen demnach wie sehr Sie mich auch im Jahr 1852 durch unsern Halevi zu Dank; thun Sie daher noch mehr für unsern Liebling, umsomehr da er auch nun Lieblings des großen Publikums geworden. Ich betrachte diese Arbeit als Kadosh Ha Cham; das Publikum bekommt einen wahren Respekt vor der jüdischen Literatur, die ihm bisher so unzugänglich und unbekannt geblieben.²³⁷
Seinerseits erhoffte sich Luzzatto von dieser Kooperation nicht nur die briefliche Anerkennung Geigers, sondern auch einige konkrete Zugeständnisse und Vorteile, die er als selbstverständlich betrachtete. Geiger erkannte Luzzatto tatsächlich als Mitverfasser seines Werkes an,²³⁸ denn die intensive Zusammenarbeit und der dichte Transfer von geistigen und materiellen Beständen, Ideen und gewonnenen Erkenntnissen, wie sie zwischen den beiden Gelehrten bei den Studien zum Werk Jehuda Halevis stattgefunden hatten, konnte nur als gemeinsames Projekt herausgegeben werden. Es sollten noch weitere Veröffentlichungen Geigers über spanische und italienische jüdische Dichter des Mittelalters folgen,²³⁹ die mithilfe Luzzattos entstanden.²⁴⁰ Diese Werke bestätigen die gemeinsame Leidenschaft beider Gelehrter für die liturgische und weltliche hebräische Poesie und deren Wiederbelebung, aber auch ihre inhaltliche Annäherung und ihre Übereinstimmung in der Kritik an manchen Ideen von Maimonides. Beide entwickelten eine äußerst intensive intellektuelle Kooperation und gedankliche Nähe mit Blick auf Jehuda Halevis Verskunst, Ansichten und phi-
„Geiger an Luzzatto, Padua, 29.12.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2992. Diese Bezeichnung lässt sich aber auch aus technisch-praktischen Gründen des Verlegers erklären, als Luzzatto kostenlose Kopien des Divans nach Padua erbeten hatte. Luzzatto hatte Geiger um sechs Exemplare seines „Divans“ gebeten, die ihm Geiger durch seinen Verleger zukommen lassen sollte. Geiger überredete darauf seinen Verleger, diese Kopien unfrankiert und ohne Porto, d. h. kostenlos, nach Padua zu schicken. Nur als Mitverfasser durfte Luzzatto zahlreiche Kopien des Werkes für ihn und seinen Freundeskreis bekommen, vgl. ebd. Vgl. den Austausch beider Korrespondenten über die Dichtung Salomon Ibn Gabirols. Geiger veröffentlichte u. a. 1856 den Band Jüdische Dichtungen der spanischen und italienischen Schule, Leipzig 1856. Für dieses Werk verwendete Geiger das Material, das ihm Luzzatto im Laufe der Jahre verschickt hatte. Für die Deutung des Werks der italienischen Dichter Kalonymos ben Kalonymos (1286–?) und Immanuel Schlomo Ha Romi (Immanuel Romano) (1268 – 1328), der mit Dante befreundet gewesen war, hatte Geiger sicherlich die Hilfe Luzzattos gebraucht, um die freundschaftlichen Verbindungen mit diesen Autoren besser rekonstruieren zu können; vgl. Saperstein, Abraham Geiger as Historian of Medieval Judaism, 282; 292. „Geiger an Luzzatto, Padua, 29.12.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2992. Hier gab Geiger seinen Willen kund, an einer erweiterten Edition der Gedichte Halevis zu arbeiten, und bat Luzzatto deshalb um weitere Informationen bezüglich einiger Gedichte.
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losophisches Denken²⁴¹ sowie auf die Weltanschauungen anderer mittelalterlicher Autoren wie Salomon Ibn Gabirol (1021– 1058). Diese Nähe stärkte in jenen Jahren ihre wissenschaftliche Kooperation und gemeinsame Vision. Das inhaltliche Anliegen Luzzattos bestand nämlich darin, die Philosophie Halevis und dessen Idee des „nationalen Judentums“ für die zeitgenössische jüdische Lebenswelt wieder aktuell und anwendbar zu machen und auf diese Weise indirekt Maimonides’ Deutung des Judentums und dessen Universalismus zu schwächen.²⁴² Auch Geiger beabsichtigte, die Philosophie und die Überzeugungen Ibn Gabirols und Halevis für seine Konzeption des modernen Judentums anzuwenden. Bei der Beschäftigung mit den Werken jüdischer mittelalterlicher Autoren glaubte Geiger seinen Beitrag zum Fortschritt und zur Wiederbelebung des religiösen und wissenschaftlichen Elementes im Judentum zu leisten. Dieser setzte Geiger immer deutlicher Maimonides’ philosophischen Theorien und dessen Universalismus entgegen. Bei ihrer Entdeckung von und Beschäftigung mit unzähligen Schätzen der jüdischen Literatur des Mittelalters teilten beide Gelehrte die Absicht, ein neues Prestige, eine neue Ehre und dazu eine Neubelebung und neue Achtung gegenüber diesem jüdischen literarischen Kapital und vor allem der jüdischen Poesie zu bewirken.²⁴³ Geiger war zu jener Zeit ein produktiver Autor wissenschaftlicher Beiträge in hebräischer Sprache in Publikationen wie Kerem Chemed, Ha Chaluz und Ozar Nechmad. Während er jedoch ausgezeichnete hebräische Sprachkompetenzen und Kenntnisse nur bei der Schriftauslegung einforderte, verlangte Luzzatto umfassendere Sprachkenntnisse. Insofern er die hebräische Literatur an erste Stelle stellte, setzte er ein tiefgründiges Verständnis der hebräischen Sprache als unabdingbar voraus und vertrat in dieser Hinsicht eine exklusive Vorstellung von jüdischer Wissenschaft. Dennoch kann man auch mit Blick auf Geiger behaupten, dass die hebräische Sprache zentraler Bestandteil seiner Vorstellung von jüdischer Wissenschaft und Theologie war – neben dem religionsgeschichtlichen, geistesgeschichtlichen und historischen Wissen.²⁴⁴ Bei beiden Gelehrten ging es Zu Geigers geistiger Nähe zu den Ansichten Halevis vgl. G. Y. Kohler, „Eine verpasste Gelegenheit. Abraham Geigers lebenslang spannungsvolles Verhältnis zur Religionsphilosophie des Maimonides.“ In Wiese, Homolka und Brechenmacher (Hg.), Jüdische Existenz in der Moderne, 249 – 274. Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 15.04.1851.“ In Epistolario, italiano, francese, latino, Index 747, 367, 612– 615. „Luzzatto an F. Luzzatto, Venedig, 15.02.1841.“ In ebd., N. Index 314, 232, 398 – 399. In dem Brief berichtete Luzzatto seinem Cousin Filippo über die Formulierungen, die Geiger und Jost in den Artikeln in ihren Zeitschriften über ihn verwendet hatten. Vgl. A. Geiger, „Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie (1845).“ In L. Geiger (Hg.), Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, Berlin 1875, 1– 32: 12.
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letztlich um den Fortschritt der jüdischen Wissenschaft und der jüdischen Literatur.²⁴⁵ Für Luzzatto bedeutete dieser Fortschritt jedoch vor allem die Wiederbelebung hebräischer Literatur und tiefgründige Kenntnis der hebräischen Philologie. Geiger dagegen waren die Anerkennung und Popularisierung jüdischer Literatur in einer breiten Öffentlichkeit und Forschergemeinschaft sowie die Vermarktung dieser jüdischen wissenschaftlichen Produktion wichtiger. Beide bemühten sich weiter, einander gegenseitig sowohl über ihre eigenen zukünftigen Projekte zu informieren und einander mit einzubeziehen,²⁴⁶ als auch sich regelmäßig all ihre veröffentlichten Studien, Publikationen und Artikel gegenseitig zu schicken. Geiger schickte Mitte der 1850er-Jahre u. a. seine Abhandlungen, die auf Hebräisch in den Periodika Ha Chaluz und Ozar Nechmad erschienen waren, sowie eine Kopie der Parschandatha vom Jahre 1855, in der er einen Beitrag zur nordfranzösischen Exegetenschule geliefert hatte.²⁴⁷ Auch diese Werke und Publikationen Geigers entstanden dank des fachlichen Austauschs, der Wirkung und des Beitrags an Quellen und Fragmenten von Texten Luzzattos. Doch es kam auch zu Differenzen zwischen beiden Gelehrten, insbesondere hinsichtlich der Konzeption und Zielsetzung ihrer literarischen sowie literaturhistorischen Werke. Geigers Publikationen, die sich z. B. mit der mittelalterlichen jüdischen Poesie befassten, waren durch einen eher volkstümlichen Charakter geprägt.²⁴⁸ Mit seinem Werk hoffte Geiger, dem jüdischen Leser die bisher unzugängliche und unbekannte jüdische Literatur zugänglicher zu machen,²⁴⁹ und gleichzeitig, den „wahren Respect“²⁵⁰ des breiten Publikums für diese Literatur zu gewinnen. Luzzatto hingegen war die Popularisierung der jüdischen Literatur nicht so wichtig. Für den italienisch-jüdischen Gelehrten war das Konzept der gemeinsamen Nutzung und des Austausches jüdischer Quellen und Werke ein
„Geiger an Luzzatto, Padua, 11.06.1850“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2970. Geiger wusste um den Willen Luzzattos, die jüdische Literatur mit allen Mitteln zu fördern, und informierte ihn über sein ambitioniertes Projekt. Bereits 1851 teilte er Luzzatto sein Vorhaben mit, einen literarischen Verein zu gründen. Geiger wusste auch, wie sensibel, engagiert und interessiert an solchen Aktivitäten und Projekten Luzzatto war. Vor allem zu seinem Werk Parschandatha. Die nordfranzösische Exegetenschule. Ein Beitrag zur Geschichte der Bibel-Exegese und der jüdischen Literatur aus dem Jahre 1855 hatte Geiger positive Rückmeldung von Luzzatto bekommen: „Geiger an Luzzatto, Padua, 15.02.1856“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2987; „Luzzatto an Geiger, Breslau, 10.02.1856.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 1049, 540; vgl. auch Saperstein, Abraham Geiger as Historian of Medieval Judaism, 290. Geiger (Hg.), Abraham Geiger. Leben und Lebenswerk, 139. „Geiger an Luzzatto, Padua, 29.12.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2992. Ebd.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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exklusives Instrument einer Gemeinschaft jüdischer Experten, die in einem vorrangig innerjüdischen Forschungskontext kooperierten und, die, so Luzzatto, „devraient enfin apprendre à travailler viribus unitis“.²⁵¹ Geigers Engagement für und Hingabe an die Verständlichkeit und Zugänglichkeit jüdischer Quellen für eine breite Leserschaft war dagegen unmittelbar mit seinem pragmatischen Wissenschaftsbegriff und seinem Verständnis der Wissenschaft des Judentums verbunden. Einerseits wollte er die jüdische Wissenschaft als Wissenschaft profilieren, sie andererseits aber in den Dienst des praktischen Lebens – und zwar der realen Lebenswelt der jüdischen Gemeinden – zu stellen. Luzzatto wiederum war beides nicht so wichtig. Dabei folgte Luzzatto, indem er der Wiederbelebung und Würdigung der jüdischen Literaturgeschichte Vorrang gab, einem ethischen Ansatz und einer nationalen Orientierung, die beide für Geiger nicht von Bedeutung waren. In erster Linie plante Luzzatto, all diese literarischen Bestände in den Dienst der jüdischen Wissenschaft und der Neubelebung der hebräischen Sprache zu stellen. Diese Vorstellung betonte der italienische Gelehrte von Anfang an: „Jedes neu veröffentlichte Buch auf Hebräisch ist eine Errungenschaft für die hebräische Sprache, während jedes Buch auf Deutsch, das nur einzelne Zeilen auf Hebräisch enthält, nicht dasselbe ist. Hebräisch ist meine Leidenschaft und die Wiederbelebung seiner Literatur ist der Traum meines Lebens.“²⁵²
Geiger – Luzzatto und die „Urschrift“ Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden mehrere Werke, die neue Auslegungen und philologische sowie historische bahnbrechende Ergebnisse und Forschungen zu den biblischen Texten, genauer dem masoretischen Text, zu den Targumim, zu dem Samaritanischen Pentateuch und anderen Bibelübersetzungen, hervorbrachten. Die wissenschaftliche Diskussion über die Bibelübersetzungen sowie über das Judentum der Antike war damals unter jüdischen Gelehrten hochaktuell, und sowohl Luzzatto als auch Geiger beteiligten sich publizistisch daran. Seit den 1840er-Jahren arbeitete Geiger in Breslau intensiv an der Abfas-
„Luzzatto an Geiger, Breslau, 04.06.1851.“ In Epistolario, italiano, francese, latino, Index 754, 372, 627– 628: 627. „Ogni libro ebraico che vede la luce è una conquista per la lingua ebraica, ogni libro in tedesco con righe sparse qua e là in ebraico, quello non è la stessa cosa. L’ebraico è la mia passione et la résurrection de sa littérature c’est le songe de toute ma vie.“ „Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.08.1849.“ In ebd., 340, 560 – 562.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
sung und Bearbeitung des Lehrbuchs zur Sprache der Mischna (1845)²⁵³ sowie des Werkes Urschrift und Übersetzung der Bibel aus dem Jahre 1857, in dem der Gelehrte seine neuen religionsgeschichtlichen Ansichten zur Erforschung und Erfassung des Bibelwortes niederlegte.²⁵⁴ Geiger untersuchte darin eine umstrittene und sowohl für das Judentum als auch für das Christentum zentrale Epoche, nämlich jene zwischen dem zweiten vorchristlichen und dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Bereits in März 1857 hatte der deutsche Rabbiner sechs Bogen seines Werkes nach Padua geschickt und sich besonders auf Bemerkungen sowie auf Kritiken von Luzzatto gefreut.²⁵⁵ Er hatte seinen Briefkorrespondenten über den Stand der Arbeit informiert und um Diskretion gebeten. „Niemand“, so Geiger, solle „bis zur Veröffentlichung des Buches weiter über dessen Inhalt etwas erfahren.“²⁵⁶ Der Briefwechsel jener Jahre zeigt, dass sich Geiger nochmals in Bezug auf die Auseinandersetzung mit seinen neueren Untersuchungen zu den Targume auf eine umfassende Fachdiskussion mit Luzzatto freute. Im März 1857 hatte er bereits einige Anregungen und Reaktionen von Luzzatto bekommen.²⁵⁷ Dabei ging es um einen der Grundgedanken Geigers, um die Samaritanische „Recension“, d. h. die Revision des Pentateuch durch die Samaritaner, mit der er sich besonders ausführlich in der Einleitung zum Werk beschäftigte. Geiger versuchte nachzuweisen, dass die Septuaginta und die übernommene Version der Samaritaner in einer Zeit entstanden sei, in der von einem kanonischen Text noch nicht die Rede sein könne. Den Samaritanischen Pentateuch betrachtete er als Beweis dafür, dass sich der biblische Text im Laufe der Zeiten infolge politischer und sozialer Ereignisse modifiziert und verändert hatte.²⁵⁸ In der Auseinandersetzung mit Luzzatto ging es hauptsächlich um den Teil der Urschrift im ersten Buch, im dritten Abschnitt, d. h. um die Sektion, die den Titel Überarbeitung trug. Geiger ahnte schon, dass diese These der Überarbeitung des Bibeltextes nicht Luzzattos Billigung finden würde.²⁵⁹ Dennoch ver-
Luzzatto hatte von Geiger mehrere Kopien des Lehrbuchs erhalten. Geiger wollte sich mit Luzzatto in den Briefen näher darüber austauschen.Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 10.10.1851.“ In ebd., 384, Index 774, 642– 646. Zu Geigers Vorwort zur „Urschrift“ vgl. A. Geiger, Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der innern Entwicklung des Judenthums, Breslau 1857, I. „Geiger an Luzzatto, Padua, 23.03.1857“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2964. Ebd. Ebd. Vgl. S. Heschel, „Abraham Geiger und die Anfänge der Islamwissenschaft.“ In Wiese, Homolka und Brechenmacher (Hg.), Jüdische Existenz in der Moderne, 321– 340: 326. „Geiger an Luzzatto, Padua, 23.03.1857“, 2964 und „06.09.1857“, 2966, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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teidigte er seine Position und begründete diese dem italienischen Gelehrten gegenüber in seinem Brief. Ende der 1850er-Jahre führten Geigers Deutungen erneut zu einem Bruch in den freundschaftlichen und kooperativen Beziehungen beider Gelehrter. Gegen Ende 1857 warf Geiger Luzzatto inhaltliche Sturheit gegenüber der Urschrift und ein unproduktives Festhalten an seinen Überzeugungen vor, die er in einem der letzten Briefen aus dem Jahre 1857 über das Thema der Urschrift und deren Argumente als „Windmühlenkampf“²⁶⁰ bezeichnet hatte. Aufgrund der intensiven, spannungsreichen Debatte zwischen den beiden über die innovative kritische Herangehensweise und die neuen philologischen Erkenntnisse Geigers in der Urschrift traten die ursprünglichen latenten religionsphilosophischen Streitigkeiten und Differenzen in all ihrer Schärfe wieder hervor. In den letzten Briefen lässt sich eine zunehmende Distanz vor allem von Geigers Seite aus feststellen, insbesondere nachdem Luzzatto parallel zur Korrespondenz mit ihm die ersten Kontakte zu Rabbiner Zacharias Frankel und dem deutsch-jüdischen Historiker Heinrich Graetz aufgenommen hatte.²⁶¹ Der Korrespondenz vom März 1856 ist zu entnehmen, dass Geiger am Anfang sogar als Vermittler zwischen Luzzatto und Frankel fungierte. Das wachsende Interesse des italienischen Gelehrten an den Werken und der Tätigkeit von Frankel und Graetz, die damals als scharfe Gegner Geigers galten, reizte den Breslauer Rabbiner offensichtlich und machte ihn betroffen.²⁶² Geiger äußerte sich skeptisch gegenüber diesen neuen Briefbeziehungen und betonte, dass er weder mit Frankel noch mit Graetz „in irgendeiner Verbindung“ stehe.²⁶³ Er vermutete hinter diesem wachsenden Interesse Luzzattos möglicherweise eine ideologische Hinwendung des italienischen Gelehrten zu seinen eigenen unmittelbaren Gegnern. Dies geschah ausgerechnet in einer Zeit, in der die Spannungen aufgrund der bibelexegetischen Meinungsunterschiede und der philologischen und geschichtlichen Divergenzen in den Briefgesprächen zwischen ihm und Luzzatto infolge der Urschrift zunahmen. Die konservative Positionierung Luzzattos, der in jenen Jahren Zacharias Frankel, dem Hauptvertreter des positiv-historischen Ju-
„Geiger an Luzzatto, Padua, 06.09.1857“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2966. Es ging um die Auseinandersetzung um das Werk Geigers Urschrift und Übersetzungen der Bibel und um Luzzattos Reaktionen darauf. Luzzatto hatte an Rabbiner Zacharias Frankel bereits 1854 geschrieben und an Heinrich Graetz zwei Jahre später im März 1856 einen ersten Brief geschickt. Ebd., Geiger nahm deshalb mit Bitterkeit, Missmut und wahrscheinlich mit etwas Besorgnis den Willen Luzzattos zur Kenntnis, sich über Rabbiner Zacharias Frankel und Heinrich Graetz zu informieren und mit ihnen einen Briefwechsel zu beginnen. Ebd.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
dentums, und dem konservativen jüdischen Historiker Graetz nahestand, steht stellvertretend für die Orientierung eines repräsentativen Teils der italienischsprachigen jüdischen Gelehrsamkeit an eher konservativen Interpretationen des Judentums.
Schlussbetrachtungen In der Briefbeziehung zwischen Luzzatto und Geiger sind einige prägnante Auffälligkeiten bei der gegenseitigen Wahrnehmung beider Gelehrter sowie bei deren Interaktion festzustellen und zu unterscheiden. Im Laufe dieses Briefwechsels lassen sich beispielsweise besondere Abhängigkeitsrelationen zwischen beiden Akteuren sowie Machtasymmetrien in bestimmten Kontexten und Verhaltensweisen erkennen. Bei Geiger zeigte sich der Wille, aus dieser Gelehrtenkorrespondenz den größten Gewinn zu erzielen.²⁶⁴ Er wünschte sich von dieser Partnerschaft mit Luzzatto sowohl ein vorteilhaftes produktives und ehrliches Zusammenkommen zwischen seinen eigenen und Luzzattos unzähligen wissenschaftlichen Mitteln, Kapazitäten und Erkenntnissen, zugleich aber auch fortdauernde Unterstützung und Rückendeckung seitens des italienischen Gelehrten. Dies bezog sich nicht bloß auf seine bibelexegetischen und sprachwissenschaftlichen Forschungen sowie auf seine literaturhistorischen Bestrebungen. Dabei erkannten beide die Vorteile der gemeinsamen, produktiven transnationalen Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen jüdischen Forschern und Gelehrten der „République litteraire“, wie Luzzatto sie nannte.²⁶⁵ Geiger sollte jedoch am meisten von dieser gemeinsamen Produktivität profitieren. Dabei ging es nicht um persönlichen Gewinn, sondern um Fortschritte in der von Geiger so sehr erhofften Förderung der jüdischen Wissenschaft und jüdischen Literatur.²⁶⁶ Für Geiger waren viele der Briefe von Luzzatto bereichernd und ein willkommener und ergänzender Beitrag seiner Forschungen und seiner
Solche Prägung ist in den Worten vieler Briefe Geigers zu entnehmen. Auch als Luzzatto Geiger gegenüber mehrmals über seine Augenkrankheit klagte, verzichtete Geiger nicht darauf, ihn um Quellenmaterial, präzise Bemerkungen und detaillierte Informationen zu Manuskripten, Dichtern oder Bibelexegeten zu bitten. Vgl. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 01.04.1851.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 743, 601– 604: 602. „Luzzatto an Geiger, Breslau, 04.06.1851.“ In ebd., Index N. 754, 627– 628. „Geiger an Luzzatto, Padua, 11.06.1850“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2970.
3.3 Abraham Geiger und Samuel David Luzzatto
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Arbeit²⁶⁷ u. a. zu den Bibelkommentatoren und der hebräischen Dichtung, sodass er diese Briefe oft als ein „liebliches ( פוריםPurim‐)Geschenk“ bezeichnete.²⁶⁸ Er hoffte, kontinuierliche „Bereicherungen für seine Arbeit“²⁶⁹ von Luzzatto zu erhalten, und suchte in dem italienischen Gelehrten einen hilfsbereiten Ratgeber, Lehrer und ungenierten Kritiker. Er freute sich auf Luzzattos bissige Anmerkungen und Korrekturen, die für seine Arbeit im Laufe der Korrespondenz unverzichtbar wurden. Nach Ansicht Geigers war „jede Correctur auch ingeniös, wenn sie Anfangs kühn erscheint“.²⁷⁰ Deshalb schätzte Geiger den italienischen Gelehrten für seine Kommentare und die Verbissenheit seiner Korrekturen.²⁷¹ Geiger ging es jedoch in der Partnerschaft mit Luzzatto nicht nur um die literarisch-wissenschaftliche Sphäre, sondern er hegte zugleich mannigfache Erwartungen: Er nutzte die Partnerschaft mit Luzzatto nicht nur für das exklusive Teilen von Thesen, Ideen, Erkenntnissen und Auslegungen sowie für einen reinen Austausch von wissenschaftlichem und bibliografischem Material. In dem Brief zu Luzzattos 50. Geburtstag wurde dieser von Geiger als „der ächte Israelite des 19. Jahrhunderts“ und „ein Israelite ohne Falsch“ bezeichnet.²⁷² Geiger wusste die Kühnheit Luzzattos sowie seine wissenschaftliche Kohärenz und Freimütigkeit sehr zu schätzen und erkannte in ihm viele Merkmale, die er bei den jüdischen zeitgenössischen Wissenschaftlern besonders achtete. Dabei handelte es sich um Eigenschaften, die von jedem Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts zu verlangen waren.²⁷³ So kam es, dass Abraham Geiger trotz seines differierenden Wissenschaftsverständnisses immer wieder Annäherungspunkte zwischen ihm und seinem Briefpartner suchte. Dabei scheute er nicht vor der bestehenden Verschiedenheit ihrer Ansichten zurück.²⁷⁴ Trotz der – vor allem auch religiösen –
Vgl. „Geiger an Luzzatto, Padua, 24.09.1850“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2978. Hier nannte Geiger die Zusendungen Luzzattos „gütige Bemühungen“ und „belehrende Mitteilungen“. „Geiger an Luzzatto, Padua, 20.03.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 455. „Geiger an Luzzatto, Padua, 07.03.1851“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2981. „Geiger an Luzzatto, Padua, 21.08.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2976. Ebd. Geiger war fest überzeugt, dass Luzzatto bei ungelösten wissenschaftlichen Fragen und Problemen sowie bei jeder sprachwissenschaftlichen Ungewissheit, „Aufklärung über vieles gegeben hätte“. Ebd. I. Stallmann, Beiträge zur rationalen Theologie. Abraham Geigers Wissenschaftsverständnis. Eine Studie zur jüdischen Rezeption Friedrich Schleiermachers Theologiebegriff, Frankfurt am Main 2013, 59. „Geiger an Luzzatto, Padua, 23.03.1857“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2964.
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Kapitel 3: Die Briefwechsel – Wissens- und Kulturtransfer
Differenzen zwischen den beiden Gelehrten betonte er immer wieder die mögliche Konvergenz. Missverständnisse ergaben sich dennoch oft.²⁷⁵ Trotz aller Konflikte bestand zwischen beiden Gelehrten grundsätzlich eine Nähe und Bindung, die trotz der „großen Verschiedenheit der Geister“²⁷⁶ im Laufe der Jahre entstanden war. In den Briefen sah sich Geiger ständig mit der Schärfe des Geistes Luzzattos konfrontiert. Beiden war die Suche nach der Wahrheit das Wichtigste. Geiger hielt es für seine Pflicht, sein Wort immer auf die „Wagschale“²⁷⁷ [sic] zu legen, auch wenn dies für ihn häufig zur Folge hatte, dass er aus einigen jüdischen Gelehrtenzirkeln ausgeschlossen wurde. Auch wenn Luzzatto bis zu den letzten Briefen schärfere Entgegnungen und Kritiken hinsichtlich der Argumentationen Geigers in der Urschrift schickte, bedeutete dies erstens, dass Luzzatto bis zum Ende der Korrespondenz den Konflikt nicht scheute. Zweitens wird darin sichtbar, dass beide Gelehrte ihre Argumente und ihre Kritik in den Briefen grundsätzlich immer offen äußerten, auch wenn Geiger etwa mehr Angst hatte, Luzzatto könne beleidigt sein. Nie wurden die Kritiken respektlos formuliert, sondern bezogen sich stets auf ihr jeweiliges Verständnis vom Judentum und ihre Vorstellung vom jüdischen Glauben und waren eng mit ihrem unermüdlichen Engagement, „für die Sache“ verknüpft.²⁷⁸ Geiger verfasste für den italienischjüdischen Briefpartner eine Art Bilanz ihrer reichen Korrespondenz, vor allem aber ihres kontroversen und zwiespältigen Austausches: Dass gegenseitige Achtung und Freundschaft zwischen uns bestehe trotz mancher abweichenden religiösen und wissenschaftlichen Überzeugungen ist mein sehr lebhafter Wunsch. Von mir weiß ich es, dass die warme Gesinnung gegen Sie nicht erkältet, wenn mir auch hie und da die Verschiedenheit der Ansicht noch schroffer hervortreten sollte als ich bereits kenne. Ob dies auch bei Ihnen der Fall ist? Ich gestehe es, es war mir manchmal darum bange, dass ich darum immer am Grundsatze festhielt: lieb ist mir Luzzatto doch lieber über Alles gehend die Wahrheit, wie ich sie nach ehrlicher unbefangener Forschung zu finden glaube, versteht sich von selbst, aber betrüben würde es mich ihre Freundschaft einbüßen zu müssen.²⁷⁹
Vgl. „Geiger an Luzzatto, Padua, 16.11.1852“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2995. Hier entschuldigte sich Geiger bei Luzzatto dafür, dass ein Missverständnis zwischen beiden entstanden war. Es ging um die Freimütigkeit, mit der Luzzatto seine Überzeugungen aussprach. Luzzatto hatte seinerseits zwischen den Zeilen Geigers eine Anspielung auf ihn gelesen. „Geiger an Luzzatto, Padua, 23.03.1857“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 2964. Ebd. Ebd. Ebd.
Teil II: Debatten und Kontroversen
Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen Ende der 1820er-Jahre entwickelte sich Padua, eine kleine Provinzstadt Lombardo-Venetiens, zu einem bedeutenden Zentrum des Modernisierungsprozesses der rabbinischen sowie jüdisch-theologischen Studien. Die Stadt hatte eine traditionsreiche akademische Einrichtung, das Bo, wie man die 1222 gegründete Universität nannte. Padua als Universitätsstadt war durch eine besondere Öffnung gegenüber den sogenannten nationes gekennzeichnet.¹ Padua war damals eine der wenigen Universitätsstädte, die seit Jahrhunderten jüdische Studenten akzeptierte. Darüber hinaus war die jüdische Gemeinde der Stadt wirtschaftlich und sozial gut in die christliche Bevölkerung integriert.² Die Stadt und ihre ruhmvolle akademische Tradition wurden von zahlreichen jüdischen Studenten seit dem 15. Jahrhundert aufgesucht.³ Diese kamen nicht nur aus den Gemeinden der italienischen Halbinsel, sondern auch aus den deutschsprachigen, spanischen, griechischen und östlichen Gebieten.⁴ Jüdische Studenten hatten die Möglichkeit, auf ein System finanzieller Unterstützung zuzugreifen, namentlich in Form von Stipendien, finanziert durch wohlhabende jüdische Familien, deren Mitglieder häufig ebenfalls in Padua studiert hatten.⁵ Längst pflegten in Padua sowohl jüdische als auch nichtjüdische Gelehrte das Studium des Talmuds und der semitischen Sprachen. Zwischen Mitte des 14. und des 16. Jahrhunderts beherbergte die Stadt ein bedeutsames Zentrum für rabbinische Studien, eine Yeshivah, die von prominenten Gelehrten, insbesondere
Vgl. L. Rossetti, L’Università di Padova. Profilo storico, Milano 1972, 24. Vgl. G. Castelbolognesi, „Gli Ebrei di Padova e l’Industria della seta fra il 1779 e il 1803“ La Rassegna Mensile di Israel 5, 8 (Juli 1930 / Tamuz 5690): 149 – 156. In Berichten der österreichischen Presse Mitte der 1850er-Jahre über die Juden des lombardo-venetischen Königreichs ist die Rede von ihrer hervorragenden Stellung, insbesondere im Bereich des Handels. Nicht zuletzt wurden viele Führungspositionen der Handelskammern zu Venedig, Rovigo, Verona und auch Padua von Juden übernommen. Vgl. auch Errera, Statistische Notizen über die Israeliten des lombardisch-venezianischen Königreichs. Hier durften jüdische Studenten den Doktortitel als Privatstudenten erwerben. E. Veronese Ceseracciu, „Ebrei laureati a Padova nel Cinquecento“ Quaderni per la storia dell’università di Padova 13 (1980), 151– 156: 151– 152. Ebd., 155. Vgl. auch D. B. Ruderman, Jewish Thought and Scientific Discovery in Early Modern Europe, New Haven 1995, 100 – 117. Vgl. Errera, Statistische Notizen über die jüdische Bevölkerung des lombardisch-venezianischen Königreichs, 231. Vgl. auch Ruderman, Jewish Thought and Scientific Discovery, 114. https://doi.org/10.1515/9783110768558-007
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
Yehuda Minz (1408 – 1509) und Meir Katzenelbogen (1482– 1565), geleitet wurde.⁶ Das Interesse christlicher Theologen am Studium der semitischen Sprachen, das in vielen europäischen Ländern seit dem Mittelalter erwacht war, hatte in Padua seit dem Jahr 1744 einen bedeutsamen Aufschwung genommen. Damals hatte die venezianische Republik dort den Lehrstuhl „Schola linguae Graecae, Hebraicae caeteranrumque orientalium“ gestiftet, der dann seit den 1760er-Jahren ausschließlich der griechischen und hebräischen Sprache gewidmet war – „ad linguam Graecam et Hebraicam“.⁷ Namhafte Semitisten und christliche Theologen hatten ihn inne.⁸ Unter der Habsburgischen Monarchie stellte Kaiser Franz I. 1816 die zwischenzeitlich geschlossene theologische Fakultät in Padua wieder her.⁹ Diese kaiserliche Maßnahme verfolgte die Absicht, einen Klerus mit universitärer Ausbildung zu fördern, der sich absolut loyal gegenüber der Zentralregierung in Wien verhalten sollte.¹⁰ Die österreichische Regierung übte auf die katholisch-theologischen Studien in Padua durch die Wahl der Lehrinhalte, der Lehrbücher und der Dozenten der Fakultät einen bedeutenden Einfluss aus.¹¹ Die neue theologische Fakultät war das Ergebnis der Verbesserungsmaßnahmen des Josephinismus und wurde als Institut für die theologische Weiterbildung der Kleriker des lombardovenetischen Königreichs konzipiert. In einem Gebäude der Altstadt wurden sowohl die theologische Fakultät der Universität als auch das katholische Seminar der Diözese für die Ausbildung der Priester untergebracht; zugleich wurde ein
Vgl. G. Tamani, „Gli studi ebraici a Padova nei secoli XVII–XX“ Quaderni per la storia dell’Università di Padova 9 – 10 (1976 – 1977), 215 – 228: 226. Ebd., 219 – 221. Ebd., 219 – 221, 225. Damals hatten die semitischen Sprachen einen hohen Grad der Spezialisierung in Padua erreicht. Des Weiteren richtete Kardinal Gregorio Barbarigo (1625 – 1697) noch im 18. Jahrhundert am bischöflichen Seminar der Stadt einen Lehrstuhl für semitische Sprachen ein. Dort unterrichtete man Hebräisch, Aramäisch, Syrisch und Arabisch. Diese Sprachen wurden für die Ausbildung der katholischen Priester als notwendig erachtet. Ebd., 219 – 221. An der theologischen Fakultät Paduas seit ihrer Wiederherstellung wurde auch das Fach Hermeneutik unterrichtet. 1873 wurden aber unterschiedliche Fächer, u. a. die semitischen Sprachen wie auch das Fach Hermeneutik, infolge der Schließung der Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten in Italien abgeschafft. Siehe L. Pazzaglia, „La soppressione delle facoltà teologiche nelle università di stato.“ In Il Parlamento italiano, 1861 – 1988, Bd. 3, 1870 – 1874: Il periodo della destra da Lanza a Minghetti, Milano 1989, 193 – 194. Vgl. A. Pontarin, Il Seminario di Padova nell’Epoca dell’intransigenza (1866 – 1894). Opposizione Chiesa mondo e sue conseguenze nell’educazione e nell’organizzazione di un seminario alla fine dell’800, Padova 1981, 25, 38. Ebd., 38.
4.1 Das Collegio Rabbinico von Padua (1829 – 1871)
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hilfreiches Prinzip der Trennung der theologischen Disziplinen von den anderen säkularen Disziplinen eingeführt.¹² In einem Palazzo Cumano genannten ansehnlichen Gebäude in einer in der Nähe des katholischen Doms und des ehemaligen Ghettos gelegenen Gasse der Altstadt besuchten seit dem Jahre 1829 Rabbinatskandidaten die Vorlesungen von Rabbiner Lelio Della Torre und Samuel David Luzzatto. Ort ihrer Ausbildung war das Istituto Convitto Rabbinico, das im Januar 1820 nach kaiserlichem Entschluss Sovrana Risoluzione für die Ausbildung von Rabbinern der österreichischen Provinzen – Lombardei und Venetien – gegründet worden war.¹³ Dieser Entschluss, der klare Richtlinien für die Ausbildung zukünftiger Rabbiner formulierte, hatte vor allem Initiativen und Erziehungsprojekte zur Folge, aus denen neue Energien und Ideen für den Modernisierungsprozess der rabbinischen Studien erwuchsen.¹⁴ In den neuen Richtlinien forderte die Zentralregierung eine völlige Transparenz der Ausbildung und eine vereinheitlichte angemessene Überprüfung der Kenntnisse der zukünftigen Rabbiner. Auf dieser Grundlage bot die Stadt ideale Voraussetzungen, um sich im 19. Jahrhundert als Zentrum der Umgestaltung der jüdischen Studien für die Gemeinden Norditaliens zu profilieren, das sich ganz in der Nähe und in steter Verbindung zur ruhmvollen Universität befand und Parallelen zum katholisch-theologischen Konvikt der Stadt aufwies.
4.1 Das Collegio Rabbinico von Padua (1829 – 1871) – zwischen religiöser Tradition und Moderne Die Aufbauphase des Collegio Eine unmittelbare Reaktion auf die Maßnahmen, die für die Rabbinerausbildung der Monarchie gefordert wurden, ist der Entwurf einer neuen jüdisch-theologischen Anstalt, der kurz nach dem kaiserlichen Entschluss von 1820 verfasst
Nur am Anfang, zwischen 1819 und 1823, besuchten die jungen Kleriker gemeinsam mit den anderen Studenten die Vorlesungen in den Räumen der Universität in Padua; ebd., 40 – 41. Dieses Kapitel stützt sich auf die Arbeit von Maddalena Del Bianco Cotrozzi über das Collegio Rabbinico von Padua, Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, und auf die Dokumentation, die sich im Archiv der jüdischen Gemeinde von Venedig, dem „Archivio Renato Maestro“, befindet. Für die jüdischen Gemeinden Mittelitaliens z. B. war das „Talmud Torà“ mit Sitz in Livorno schon seit einigen Jahrhunderten mit der Ausbildung von Schülern und erst später von Rabbinern tätig.Vgl. A. Toaff, „Il Collegio Rabbinico di Livorno“ La Rassegna Mensile di Israel 12, 7– 9 (April– Juni 1938 / Nissan–Sivan 5698): 184– 195.
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
wurde. Diese Denkschrift redigierte der Gelehrte und Rabbiner Isaak Samuel Reggio. Er hatte 1822 in dem Aufsatz Riflessioni di un Israelita del Regno Illirico für ein vereinheitlichtes Rabbinatsstudium plädiert und zugleich einen Plan für die Erweiterung der Kenntnisse der Rabbiner entworfen.¹⁵ Nicht nur externe politische Faktoren gaben dem Projekt Reggios entscheidende Impulse. Auch innerjüdische Faktoren führten im frühen 19. Jahrhundert zu einer Akzentuierung der Notwendigkeit einer Umgestaltung der Rabbinerausbildung und der jüdischen Erziehung. Einer dieser Faktoren war der starke Einfluss der Bildungskonzepte deutscher Maskilim und ihrer Modernisierungsbestrebungen. Reggios Umgestaltung der höheren jüdischen Bildung zeigt insbesondere die Rezeption der Schriften von Naphtali Hartwig Wessely. Aus diesen Einflüssen machte Reggio in seinen Schriften keinen Hehl, sodass Samuel David Luzzatto einen seiner Briefe an Reggio mit folgenden Worten eröffnete: „Nachahmer des großen Wessely, der Sie sind, können Sie gar nicht anders als einen zweckmäßigen Plan für das jüdische Erziehungswesen vorzuschlagen.“¹⁶ Als Vorbild nahm Reggio die Lyzeen, Seminare, Gymnasien und Universitäten der österreichischen Provinzen.¹⁷ Der neue Rabbiner sollte Reggio zufolge sowohl ein geistlicher Führer in der Gemeinde als auch ein Gelehrter mit breiten und vielfältigen kulturellen Interessen sein. Er sollte nicht nur Rituale und Talmud kennen, sondern auch Kenntnisse der hebräischen Grammatik, der jüdischen Literatur und Geschichte, der Poesie sowie der Mathematik, Geografie, Astronomie und Archäologie besitzen.¹⁸ Nicht zuletzt sollte er über eine besonders ausgeprägte pädagogische Berufung verfügen. Reggios Entwurf der Seminarordnung knüpfte an jene der entsprechenden Institute für die Ausbildung katholischer Priester an.¹⁹ Reggios Aufsatz weist unterschiedliche ideologische und pädagogische Einflüsse der christlichen Welt auf, vor allem hinsichtlich der Bezeichnung und Organisation der Fächer. Dies spiegelte sich vor allem in der Definition und Beschreibung der Dogmatik²⁰ (mit dem More Nebuchim von Moses Maimonides, mit dem Text des Kuzari von Jehuda Halevi und Maimonides’ Vorrede zu dem Reggio, Riflessioni di un Israelita del Regno Illirico. „Imitatore come siete del grande Herzwesly non potete non imitarlo anche nel proporre alla nazione un utile piano di pubblica istruzione.“ „Luzzatto an Reggio, Görz, 26.07.1820.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 5, Index 22, 7– 9. Reggio, Riflessioni di un Israelita del Regno Illirico, 14– 15. Reggio hatte in diesem Zusammenhang nicht nur ein detailliertes Programm der Lehrgegenstände und Lehrbücher skizziert, sondern auch Aspekte der Finanzierung des Instituts und dessen Unterhaltung dargelegt. Ebd., 29 und auch 41– 42. Vielmetti, Die Gründungsgeschichte des Collegio Rabbinico in Padua, 24. Ebd., 23. Reggio, Riflessioni di un Israelita del Regno Illirico, 39.
4.1 Das Collegio Rabbinico von Padua (1829 – 1871)
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Mischna-Text Avot), der Homiletik,²¹ aber vor allem der „Pastoral“,²² in der direkte Anknüpfungen an die Disziplinen der katholischen Theologie aufzufinden waren. Die Gründungsphase des Collegio Rabbinico von Padua dauerte fast zehn Jahre und war durch diverse Vorschläge, Projektideen,²³ Umbaupläne²⁴ und kontroverse Debatten über die zugrunde zu legenden Normen gekennzeichnet. Die Protagonisten dieser Aufbauphase waren einerseits die Gemeindevorstände der größten Gemeinden des lombardo-venetischen Königreiches, d. h. der Gemeinden von Mantua, Venedig, Verona, Rovigo und Padua, und andererseits die Repräsentanten der österreichischen Regierung.²⁵ Die Planung der Studienfächer spielte in der Debatte um die akademische Ausbildung der Rabbiner eine entscheidende Rolle.²⁶ Das akademische Studium galt nicht als Aufnahmebedingung für die Kandidaten des Collegio in Padua, war aber laut dessen Programm vor oder nach der rabbinischen Ausbildung erforderlich.²⁷ Die Rabbiner, die am Collegio den Corso Studiorum erfolgreich besuchten, mussten dem Statut nach auch ein Studium der Jurisprudenz oder der Medizin absolvieren.²⁸ Daher wurden sie gleichzeitig auch Mediziner oder Juristen und sicherten sich alternative Berufsaussichten für den Fall, dass sie unmittelbar nach dem Studium keine Stelle als Religionslehrer oder Oberrabbiner finden würden.²⁹ Außerdem hatten sie an der Universität Paduas parallel die Möglichkeit, sich weiter in die philosophischen und philologischen Disziplinen zu vertiefen.
Ebd., 40. Ebd., 41. Unter diesem Wort verstand Reggio „die Kunst, Pastor der Gemeinde zu sein“. Eine wichtige Rolle spielte dabei das tugendhafte, moralische Benehmen des Rabbiners. Acev, Bibliothek-Archiv „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 164. Dieser Umschlag enthält u. a. die diskutierten Projekte über ein allgemeingültiges Bildungssystem für die Gemeinden des Königreiches seit der Grundschule. Acev, Bibliothek-Archiv „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 167, Umschlag B: Dieser Ordner enthält die Dokumentation über das Gebäude des Collegio, unterschiedliche Pläne, Zeichnungen der Räume des Instituts. Acev, Bibliothek Archiv „Renato Maestro“,Venedig, Ordner 164, Carteggio der Kommissionen, der Gemeinden und Vorstands.Vgl. Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 109 – 142. Vgl. das Material im Archiv „Renato Maestro“, Venedig über die organisatorische Phase, Ordner 167. Umschlag „piano di regolamento“; Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 124. Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, Venezia 1827, 12. Ebd., 11– 12. Gleichzeitig entsprachen diese neuen Rabbiner dem Bild eines vielseitigen, kulturell und wissenschaftlich gebildeten Rabbiners, der sich um die seelische und körperliche Gesundheit seiner Gemeindemitglieder kümmern konnte.
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
Vorgesehen war, dass die Bewerber jeweils im Oktober eine Aufnahmeprüfung abzulegen hatten,³⁰ mit der sie gute Kenntnisse der religiösen traditionellen Quellen nachweisen sollten. Außerdem wurden gute Philosophiekenntnisse verlangt.³¹ Als weitere Aufnahmebedingung galt für die jungen Studenten, dass sie auch über gute Manieren verfügten und sich in einem guten gesundheitlichen Zustand befinden sollten.³² Während die Zahl der Professoren von den Kommissionen auf zwei begrenzt wurde,³³ gab es keine Begrenzung der Studentenzahl. Studenten aus anderen Erbländern der Donaumonarchie wurden am Collegio ebenfalls aufgenommen.³⁴ Auch wenn der Anteil dieser Studenten während der Existenz des Collegio unbedeutend blieb, zeugte die Anwesenheit von Studenten aus den östlichen – besonders konservativen – Gemeinden des Reiches von einer Neuorientierung der rabbinischen Studien in Europa.³⁵ Der offizielle Studienplan des Collegio Rabbinico, der von den pädagogischen Vorstellungen Reggios beeinflusst war, schloss u. a. folgende Fächer ein: Zur sogenannten Materia orale gehörten das Studium der Heiligen Schrift, der Bibelexegese mit Texten von David Kimchi, Jehuda Abravanel, Scherira Gaon und Ibn Ezra, hebräische und chaldäische Sprache, Grammatik und Philologie mit Texten von Moshe Chaim Luzzatto, Solomon Loewisohn und Jedaiah Bedersi; Jüdische Geschichte, Studium der dogmatischen und der Moraltheologie. Zur
Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 12. Acev, Bibliothek Archiv „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 164, Umschlag 26, hier sind Informationen über die Aufnahmebedingungen für die Kandidaten aus der Gemeinde von Mantua enthalten. Laut Programm mussten sie bereits das Philosophikum in einer Universität oder in einem Gymnasium abgeschlossen haben; vgl. Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 10; Grusovin, La risposta del giudaismo italiano all’Haskalah berlinese. Vgl. Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 10. Luzzatto selbst äußerte sich in einem Brief an Goldenberg über die hervorragende Vorbereitung der Studenten, von denen einige sogar eine akademische Ausbildung abgeschlossen hatten: „Ich habe nämlich keine Knaben vor mir zum Unterricht am Collegium, denen es noch an den ersten Kenntnissen gebricht; die Zöglinge sind vielmehr mindestens zwanzig Jahre alt, manche zählen sogar schon das 36te Jahr, und alle haben bereits philosophische, naturhistorische und mathematische Studien gemacht, sogar ist einer unter ihnen ein tüchtiger praktischer Arzt“ in A. Geiger, „Nachrichten. Oesterreichische Staaten“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 2 (1836), 3, 599 – 608: 604– 605. Acev, Bibliothek Archiv „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 164, Heft N. 30: Grundlinien über die Wahl der Professoren. Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 8. Am Collegio studierte eine kleine Anzahl von Studenten aus Galizien und aus der Bukovina. Ebd., 7. Die östlichen Gebiete der Monarchie, die sich auf eine strenge orthodoxe religiöse Tradition beriefen, zählten zu den konservativsten Gemeinden der Monarchie.
4.1 Das Collegio Rabbinico von Padua (1829 – 1871)
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Materia tradizionale gehörten das Studium der Mischna, des Talmuds und der talmudischen Logik, der Ritualtheologie, die Analyse der 613 Mizwot³⁶ aus dem Minian ha Mizwot und Sefer ha Hinhukh von Moses Maimonides; das Studium der Homiletik mit den Predigten von Azaria Figo und Yoseph Ben Chaim Zarfati; dogmatische Theologie mit den Notizen des Dozenten und mit Werken von Jehuda Halevi (Kuzari) und Jehuda ben Joseph Moscato. Ethik, Philosophie und Pastoral wurden ebenfalls unterrichtet.³⁷ Dabei handelte es sich um ein offizielles Programm, das den Dozenten gewissen Freiheiten ließ.³⁸ Der Unterricht teilte sich in vier Stunden morgens und zwei Stunden nachmittags, mit Ausnahme des Freitagnachmittag.³⁹ Bei der Wahl des Dozenten für die Materia orale hatte die Kommission sich rasch für den jungen Gelehrten Samuel David Luzzatto aus Triest als passenden Kandidaten entschieden, und zwar aufgrund seines vorbildlichen moralischen Verhaltens und seiner Expertise in den Fächern Bibelexegese und hebräische Sprache und Literatur.⁴⁰ Anfang der 1820er-Jahre hatte sich Luzzatto allerdings im Briefwechsel mit Reggio noch kritisch über die Realisierungsmöglichkeiten des Projekts seines älteren Freundes geäußert.⁴¹ „Ihr Projekt“, schrieb Luzzatto, „klingt nun ausgezeichnet, aber die Zeit für dessen Realisierung ist noch nicht gekommen“.⁴² Von solchen Zweifeln ist in dem Antwortbrief Luzzattos an die Mitglieder der Berufungskommission vom Juli 1828 nichts mehr zu spüren.⁴³ Luzzatto fühlte sich durch die Berufung ans Collegio sehr geehrt und sprach der österreichischen Zentralregierung und der Auswahlkommission seinen Dank aus.⁴⁴ Wiederholt betonte er in der Korrespondenz seine Bereitschaft zur Mitwirkung an dem pädagogischen und programmatischen Ansatz des Collegio. Jüdische Vorschriften der Thora. Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 15. Wie die Angaben über das Unterrichtssystem am Collegio bestätigen, wurde beiden Dozenten die Möglichkeit gegeben, den Unterricht nach ihrer eigenen Methode und Denkweise zu gestalten; vgl. Sektion VII in ebd., 15. Ebd., 14. Acev, Bibliothek Archiv „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 164, Umschlag 30 über die Wahl der Professoren. „Luzzatto an Reggio, Görz, 26.07.1820.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 5, Index 22, 7– 9. Häufig äußerte Luzzatto seine vorsichtige Haltung und seine Zweifel über das Projekt Reggios. Luzzatto sah viele Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Realisierung des Projekts. „Insomma è ottimo il vostro progetto, ma giunta non è peranche l’epoca felice che ne pemetta l’esecuzione.“ In ebd., 7– 9. „Luzzatto an die Konferenz, Triest, 17.07.1828.“ In ebd., 37, 64– 66. Dies ergibt sich vor allem aus den privaten Korrespondenzen Luzzattos mit seinem engeren Freundeskreis und mit seinen Verwandten, wie auch der Epistolario Luzzattos beweist.
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
Nach Jahren der absoluten Hingabe an das Studium der hebräischen Literatur und der Bibelexegese beabsichtigte Luzzatto als Professor am Collegio einen Beitrag zur Renaissance der „Nationalliteratur“ im Sinne einer jüdischen Literatur zu leisten, „al risorgimento delle Lettere nazionali“.⁴⁵ Anfang und Mitte der 1820er-Jahre hatte Luzzatto in permanenten Austausch mit Pädagogen, Lehrern und Rabbinern seiner Zeit gestanden und mit ihnen über die Bedeutsamkeit und Dringlichkeit eines Plans für die einheitliche Ausbildung der jüdischen Jugendlichen sowie über die Verfassung spezifischer Lehrbücher diskutiert. Nicht zuletzt war er in Kontakt mit den Hauptakteuren, Rabbinern und mit anderen Beteiligten aus den Planungskommissionen für das Projekt des Collegio gewesen.⁴⁶ Anders als bei der Berufung Luzzattos wurde der Professor für die Materia tradizionale nach einem längeren und umfassenden Prozess gewählt.⁴⁷ Bei der Materia tradizionale handelte es sich um das talmudische Fach, auf das die Blicke der italienischen Orthodoxie ganz besonders gerichtet waren. Nach der offiziellen Absage Reggios⁴⁸ fiel die Wahl auf Hillel Lelio Della Torre aus Turin. Er war ähnlich wie Luzzatto ein Experte für Bibelexegese und Hermeneutik sowie für hebräische Poesie und Philologie. Zugleich war er ein gewandter Übersetzer und Talmudexperte und zeichnete sich außerdem als charismatischer Prediger aus. Nach einer intensiven bürokratischen und organisatorischen Phase wurde das akademische Jahr 1828/29 des Collegio Rabbinico mit einer glanzvollen offiziellen Zeremonie in Padua eröffnet („fu inaugurato colla più gran pompa“⁴⁹). Die Einweihungsreden hielten Rabbiner Elia Aron Lattes und Rabbiner Lelio Della Torre. Um die Erhabenheit der Zeremonie zu erhöhen, fand in der Synagoge ein Gottesdienst nach deutschem Ritus statt. An dem Gottesdienst nahmen auch
„Luzzatto an die Konferenz, Triest, 17.07.1828.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 37, 64– 66. „Luzzatto an A. L. Padovani, Mantua, 10.11.1822, 18.12.1822.“ In ebd., 10, 16 – 19; 11, 19; und den Brief „Luzzatto an E. A. Lattes Oberrabbiner,Venedig, 07.12.1826.“ In ebd., 34, 57– 9; „Luzzatto an G. Trieste, Padua, 23.08.1829.“ In ebd., Index 61, 60; 90 – 91; „Luzzatto an D. G. Viterbi, Padua, 14.06.1836.“ In ebd., Index 108, 139, 205 – 206. Del Bianco, Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 206. Die Auswahlkommission bat mehrmals Isaak Samuel Reggio um die Zusage der Professur am Collegio Rabbinico. Reggio lehnte diese aber offiziell aus familieren Gründen ab. Die Dokumentation, die den Briefaustausch zwischen der Auswahlkommission und Reggio rekonstruiert, ist quellenbedürftig; vgl. Del Bianco, Il Collegio Rabbinico di Padova, 207– 208. Vgl. auch Grusovin, La risposta del giudaismo italiano all’Haskala berlinese, 18. Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 106.
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nichtjüdische Gäste teil, insbesondere Professoren der katholischen Hochschulen und andere angesehene Bürger der Stadt Padua.⁵⁰
Unterricht und Leben der Studenten am Collegio Auch Isaak Samuel Reggio hatte in seinem Entwurf für eine rabbinische Anstalt die Form eines Konviktes empfohlen und auf die Bedeutung eines stark reglementierten Wochenplans für die Studenten und ihrer gemeinschaftlichen Beschäftigungen hingewiesen.⁵¹ Entsprechend wurde das Collegio eingerichtet. Die Form des Konviktes schuf eine klösterliche Atmosphäre und verringerte die Einflüsse von außen.⁵² Für das Konvikt wurde nicht nur ein strukturierter, dichter Lehrplan entworfen, sondern auch eine stark reglementierte Verordnung. Der Regolamento wurde 1827 verfasst⁵³ und im Laufe der Jahre mehrmals modifiziert und erweitert wie z. B. im Jahre 1854 und 1858.⁵⁴ Der Regolamento ⁵⁵ enthielt ein breites Spektrum von Normen u. a. zur Auswahl der Kandidaten sowie hinsichtlich der von ihnen geforderten Vorkenntnisse, aber auch der Administration und Aufteilung der Räume bis hin zu den Studiengebühren, welche die Rabbinerkandidaten zu leisten hatten. Die Verordnung sah eine strenge Disziplin vor, die durch klare Regeln für die Rabbinerkandidaten gewährleistet werden sollte, von denen ein angemessenes moralisches Verhalten erwartet wurde.⁵⁶ Vor allem wurden die Kontakte zu den Studenten der Universität Paduas und zu Frauen stark begrenzt. In dieser Hinsicht war das Leben der Rabbiner am Collegio genauso geregelt wie das Leben junger Seminaristen am katholischen Seminar der Stadt.⁵⁷
„Per accrescere la solennità di questo avvenimento un servizio divino straordinario fu celebrato nella sinagoga di rito Tedesco al quale furono presenti i professori delle scuole cristiane e i più distinti abitanti della città.“ Ebd., 106. Vgl. Reggio, Riflessioni di un Israelita del Regno Illirico, 16 – 17. Diesen Charakterzug der Klause teilten die jungen Rabbinerkandidaten mit den Klerikern der theologischen Fakultät der Stadt. Die Kleriker wie die Rabbiner am Collegio durften während des Tages die Räume des Seminars nur für einige Stunden verlassen. Vgl. Regolamento per l’Istituto Convitto Rabbinico in Padova, 1827. Der offizielle Regolamento wurde 1827 in Venedig gedruckt. Ab dem Jahre 1854 wurde dieser erweitert. In Padua wurde ein sogenannter Regolamento disciplinare interno festgelegt. Vgl. Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 167. Der Regolamento wurde im Oktober des Jahres 1854 nochmal mit Regeln und Normen erweitert. Vgl. Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 11 und 13. Pontarin, Il Seminario di Padova nell’Epoca dell’intransigenza (1866 – 1894).
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
Am Collegio Rabbinico in Padua wurde für die ersten Jahre die Dauer des Corso Studiorum, der theoretischen sowie der praktischen Ausbildung, auf jeweils zwei Jahre festgelegt.⁵⁸ Nach einigen Jahren beantragten Luzzatto und Della Torre mit der Unterstützung der Rabbinatsstudenten eine Verlängerung des theoretischen Studiums auf drei Jahre und gleichzeitig die Reduzierung der Praxis auf ein Jahr.⁵⁹ Von 1859 an wurden die Dauer der theoretischen Ausbildung am Collegio auf vier Jahre erweitert.⁶⁰ Dies zeugte vom akademischen Niveau, das am Collegio angestrebt wurde. Der Tagesrhythmus der Studenten war ausschließlich durch das Leben und die gemeinschaftlichen Beschäftigungen am Collegio Rabbinico bestimmt. In dessen Räumen wurde morgens und nachmittags gemeinsam der Unterricht besucht und in den Bibliotheksräumen vertiefendes Textstudium betrieben. Gemeinschaftlich wurden auch die Mahlzeiten eingenommen, die Gebete gesprochen und die religiösen Feiertage begangen. Die Studenten waren zudem gemeinschaftlich untergebracht.⁶¹ Im Gegensatz dazu wurde den Professoren, Luzzatto und Della Torre, viel Freiheit in der Amtsführung am Collegio gelassen. Die Autoren des Programms, d. h. die Oberrabbiner der Gemeinden von Mantua, Venedig und Rovigo, hatten in ihrer redigierten Fassung alle Lehrbücher und die zu behandelnden Autoren im Detail aufgelistet, aufgeteilt entsprechend der unterschiedlichen Fächer. Laut dem Programm durften die Professoren Modifizierungen und Variationen der Studienpläne und Programme selbstständig vornehmen.⁶² Der Inhalt des Unterrichts wurde mit den pädagogischen Vorgaben zu Beginn des Programms tabellarisch zusammengefasst. Für das Studium der Grammatik der hebräischen und chaldäischen Sprache wurden die Texte von älteren und modernen Grammatikern sowie zeitgenössischer Orientalisten verwendet.⁶³ Für den Unterricht in nachbiblischer Geschichte wurde der Text von
Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 163 – 164; Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 12. Ebd., 163. Entsprechend wurde es nach einem kaiserlichen Dekret seit 1833 durchgeführt, da zwei Jahre theoretischen Studiums für einen so umfangreichen und komplexen Lehrstoff ungenügend erschienen. Ebd. Ebd., 14. Der Regolamento unterwarf die Studenten strenger Disziplin und starker Kontrolle, auch vonseiten der Professoren, die die Verantwortung für die Studenten trugen; sogar die Bücher im Privatbesitz der Studenten sollten von den Professoren kontrolliert und auf schädliche Inhalte hin überprüft werden. Über die Normen der Bibliothek vgl. Regolamento, Sektion I, 8; Sektion VII, 16; vgl. auch Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 153. Vgl. ebd., 154. U. a. wurden die Texte von Grammatikern wie David Kimchis und vom deutschen Orientalisten Wilhelm Gesenius verwendet.
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Josephus vorgeschrieben, neben den Notizen und Texten des Dozenten. Im Hinblick auf die dogmatische Theologie wurde im Regolamento für den Unterricht eine historisch-kritische Annäherungsweise an die Werke vorgeschlagen, die sich mit den Dogmen der jüdischen Religion beschäftigten. Zugleich war man auch bestrebt, diese Dogmen der jüdischen Tradition zu systematisieren. Das Fach Moraltheologie war als Unterricht konzipiert, in dem die Darlegung der religiösen Moral ausschließlich aus den biblischen Texten vorgenommen wurde. Im Fach Ritualtheologie wurden die Texte von Moses Maimonides und von anderen bedeutenden Ritualisten sowie die Texte des Dozenten erörtert. Für die Homiletik wurden Texte und Textauszügen von den berühmtesten Predigern auch anderen Glaubens⁶⁴ im Unterricht gelesen und kritisch behandelt. Zum Unterricht gehörten zudem regelmäßige praktische Predigtübungen der Studenten. Besondere Bedeutung hatten am Collegio die Fächer Homiletik, das Studium der jüdischen Geschichte und die hebräische Philologie. Den Studenten wurden auch ein gewisses Maß an medizinischen Kenntnissen vermittelt, insbesondere die Beschneidung betreffend.⁶⁵ Die Unterrichtssprache war hauptsächlich Italienisch.⁶⁶ Die zukünftigen Rabbiner sollten die italienische Sprache unbedingt gut beherrschen und sich eines Tages als gewandte Prediger profilieren und selbstständig die Exegese und die verständliche Übersetzung ins Italienische für ein breites Publikum in der Gemeinde durchführen können. Für die Auseinandersetzung mit den talmudischen Schriften im Unterricht und für die Ritualtheologie bevorzugte Della Torre neben Italienisch das rabbinische Hebräisch. Seit Mitte der 1830er-Jahre wurde nach kaiserlichem Entschluss der Unterricht auch in deutscher Sprache durchgeführt.⁶⁷ Das besondere Augenmerk auf die Sprachen zeugte vom modernen
Vgl. Tabelle der Fächer, im Acev, Archivio „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 167. Unter Homiletik fand man: „Lektüre aus besten ausgewählten Predigern anderer Nationen und Religionen“. Vgl. Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 159. Der Unterricht wurde von dem Arzt und Chirurgen Samuel Medoro gehalten, einem Gelehrten, der auch Autor von Büchern der pathologischen Anatomie war; vgl. Atto e discorsi d’istallazione della nuova Direzione dell’Istituto Convitto Rabbinico Lombardo-Veneto in Padova, seguita nell’Aula dello stesso il 12 novembre 1853 a cui si aggiungono alcuni cenni storico-statistici intorno al medesimo, Venezia 1853, 51. Diese Typologie vom Unterricht bedeutete für das Collegio das Bekenntnis zur Treue zu einer alten jüdischen Tradition. Insofern Rolle und Aufgaben des Mohel nunmehr mit zum Profil der neuen Figur des Rabbiners zählte, wurden so auch neue Experten und Kenner der Anatomie gefördert, und zwar Wissenschaftler, die gut zur weltlichen akademischen Tradition Paduas passten. Acev, Archivio „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 167, über den Inhalt und Vorgaben des Unterrichts. Vgl. Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 156 und 158.
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
Charakter des Collegio Rabbinico, das sich unter den rabbinischen Anstalten dadurch auszeichnete, dass es sich den völlig neuen Anforderungen der Zeit stellte. Was die Art des Unterrichts angeht, sollte man sich nicht eine vollkommen moderne Unterrichtsstunde vorstellen, in der sich die Rabbinatskandidaten aktiv mit Fragen, Anmerkungen und Kritiken beteiligten. Die Studenten wurden allerdings von den Dozenten regelmäßig gründlich über den Lehrstoff geprüft.⁶⁸ Texte wurden im Unterricht nicht nur rezipiert, sondern von den Professoren interpretiert und kommentiert. Die Dozenten mussten den Unterricht im Detail vorbereiten und ausarbeiten, da sie ihre eigenen Auslegungen und Zusammenfassungen im Unterricht vorlasen und diktierten. Dies zeugte von einer besonderen grundlegenden Beschäftigung mit den Texten mittels einer intensiven und genauen wissenschaftlichen Analyse. Es muss auch betont werden, dass im Unterricht ein kritischer Zugang zu den Texten vorgesehen war, und zwar insbesondere beim Studium des Talmuds, dessen innere Konstruktion, strukturelle Regeln und dessen argumentative und interrogative Logik untersucht wurden. Der Unterricht in scienza talmudica („Talmudwissenschaft“) sollte einen historisch-kritischen Überblick über die Entstehungsgeschichte der Traktate der Mischna und des Talmuds, die Hermeneutik der rabbinischen Literatur sowie über deren Merkmale, Struktur und Intention bieten.⁶⁹ Nach Ansicht Della Torres sollte sich der Unterricht von der traditionellen Annäherungsweise und den Methoden der yeshivot unterscheiden. Er brillierte aber in erster Linie als Redner und als gewandter Prediger. Die Predigten, die er für das Collegio entwickelte und in verschiedenen Sammlungen veröffentlichte, erwiesen sich für lange Zeit als Vorbild für viele Generationen von italienischen Rabbinern.⁷⁰ Auch Luzzattos Unterricht war innovativ. Er verlangte von seinen Studenten, sich mit dem Lernstoff selbstständig und kritisch auseinanderzusetzen und forderte sie auf, spezifische Themen und Aspekte selbstständig zu recherchieren und sich mit einem kritischen, analytischen Blick in die Themen zu vertiefen. Gleichzeitig wusste Luzzatto auch die Kommentare und Anmerkungen der Stu-
Vgl. Atto e discorsi dʼistallazione, 41. Nach jedem Semester wurden Prüfungen durchgeführt, und am Ende der Jahre der Theorie mussten die Kandidaten ein Rigorosum bestehen. Dass die Rabbiner um den Lehrstoff gefragt wurden, passierte aber auch vor jedem Unterricht und am Ende jeder Woche. Vgl. Regolamento per l’istituto convitto rabbinico in Padova, 16 – 17. Ferner wurden jene Traktate des Talmuds von Della Torre ausgesucht und behandelt, die vornehmlich eine konkrete, praktische Verwendung für den Alltag der Rabbiner in den Gemeinden haben konnten. Vgl. Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 233.
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denten zu schätzen und fügte viele ihrer Anmerkungen seinen Veröffentlichungen als Fußnoten bei.⁷¹ Große Bedeutung maß er dem Studium der hebräischen Sprache und Philologie bei und widmete ihm viel Aufmerksamkeit. Er gab den Studenten die nötigen kritischen Instrumente an die Hand, um sich mit der inneren, tiefsten Struktur der Sprache auseinanderzusetzen. Es galt: […] die innere Gesetzlichkeit der hebr. Sprache zu enthüllen, die syntaktische Regelmäßigkeit der Sprachtheile und die feste Bedeutung einzelner Wörter wie Bindungsglieder näher zu bestimmen. Es fehlt bis jetzt in den Schriften der Grammatiker gar Vieles in dieser Beziehung, da das Hauptabsehen derselben immer auf die äußere Gestalt der Sprache gerichtet war, die sie blos dem Gedächtnisse anvertrauten, nicht aber durch die Zergliederung des innern Organismus der Sprache dem Verstande kenntlich machten.⁷²
Im Hinblick auf die jüdische Geschichte plante Luzzatto noch Anfang der 1830erJahre, den Unterricht thematisch wie folgt zu gestalten: Die Geschichte der Juden von dem Schlusse der biblischen Schriften an vorzutragen, und welche schwierige Untersuchungen bietet nicht dieses Geschäft, da so vieles Zweifelhafte festgestellt werden muss. Ich habe mir nun zu diesem Zweck Jost’s (größeres) Geschichtswerk verschafft, das mir vielleicht für die Zukunft nützen kann; doch beginnt dieses erst mit der Zeit der Makkabäer, und die Lücke von der Zeit des Exiles an bis auf diese Zeit mußte ich ausfüllen.⁷³
Dass Luzzatto die neu erschienenen Bände von Isaak Markus Josts Geschichte der Israeliten (1820 – 1829)⁷⁴ im Unterricht verwendete und als eine seiner Hauptquellen und Bezugstexte für die Studenten exzerpierte und zusammenfasste, zeugt einerseits von dem Willen, ein neues Verständnis von jüdischer Geschichte in den Unterricht zu integrieren. Andererseits lässt sich dies mit der Absicht Luzzattos erklären, sich kritisch mit der Geschichtskonzeption eines zeitgenössischen Hauptvertreters der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums auseinanderzusetzen. Die Rezeption von Texten u. a. der deutschsprachigen Vertreter der Wissenschaft des Judentums am Collegio und das Vorhandensein dieser Texte in der institutseigenen Bibliothek lässt sich als Zeichen der Offenheit und als Beweis des angestrebten akademischen Niveaus und der Modernisierung der höheren jüdischen theologischen Studien interpretieren. In Bezug auf die
„Era suo orgoglio di tener nota di ognuna delle opinioni ch’essi gli avevano suggerito, e con amore paterno egli perpetuava nei proprii Commentarii le idee che essi avanzavano sopra differenti temi.“ Autobiografia di S. D. Luzzatto, 106. Geiger, Nachrichten. Oesterreichische Staaten, 605 Ebd. Jost, Geschichte der Israeliten seit der Zeit der Makkabäer bis auf unsre Zeit.
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Materia orale galt dies als Beweis der Bereitschaft Luzzattos, einen kritischen Umgang mit den jüdischen Texten zu pflegen und vor allem die historisch-kritische Methode als legitim anzuerkennen und z. B. für die Quellenkritik an der rabbinischen Literatur zu verwenden. Ausdrücklich schloss Luzzatto die fünf Bücher Moses aus der textkritischen Behandlung aus, da er sie als religionsgesetzlich bindend ansah. Die Lehrtätigkeit am Collegio bei der „Cattedra Letteraria“⁷⁵ – so nannte Luzzatto seine Professur – erwies sich für den italienischen Gelehrten und Literaturforscher als eine zentrale Herausforderung für die ständige Verbesserung der didaktischen Praxis, dank einem steten konstruktiven Austausch mit den Studenten.⁷⁶ Pädagogische Ideen und exegetische Annäherungsweisen, die Luzzatto während seiner Wirkungszeit in den Diskussionen mit seinen Studenten entwickelte, wurden in einer Reihe von Werken, Aufsätzen und Artikeln der jüdischen Presse veröffentlicht. Deutliches Zeichen der Prägung des religiösen und wissenschaftlichen Verständnisses der Professoren waren die Publikationen für die Studenten des Collegio – Lehrbücher über Moraltheologie, dogmatische Theologie und jüdische Geschichte in Anlehnung an die Vorlesungen am Collegio – wurden ab den 1850er-Jahren gedruckt und ab Anfang der 1870er-Jahre auch ins Deutsche übersetzt. Es handelt sich um die Lezioni di Storia giudaica, Lezioni di Teologia morale israelitica, Lezioni di Teologia dogmatica israelitica. Dieser Lehrstoff wurde immer weiterentwickelt und sowohl mithilfe der Studenten als auch in vielen Briefwechseln Luzzattos näher ausgeführt und verbessert.⁷⁷ Dies erklärte sich aus der Absicht heraus, den absoluten Mangel an theologisch-wissenschaftlichen Texten auf akademischem Niveau für künftige Rabbiner und Religionslehrer zu beheben. Schon im Laufe der 1820er-Jahre führte Luzzatto in seinem Briefwechsel mit dem Direktor des Collegio Gabriel Trieste⁷⁸ sowie mit zeitgenössischen Rabbinern und Gelehrten ausführliche Diskussionen über die Gestalt und Ausformung der jüdischen Theologie, der Moraltheologie und der jüdischen
Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 95. „Luzzatto an Cantoni, Turin, 26.07.1833.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index N. 77, 110, 174– 175. In dem Brief gesteht Luzzatto Cantoni: „solo l’esperienza giornaliera mi insegnò come bisognava lavorare.“ Luzzattos theologische Werke für die Studenten am Collegio unterlagen im Laufe der Jahre unterschiedlichen Korrekturen und Verbesserungen. Es handelt sich somit um ein Werk, das sich der dialogischen und lebhaften Atmosphäre der Sitzungen am Collegio anpasste. Die Lezioni (Vorlesungen), die bei jedem neuem Studienzyklus vorgetragen wurden, galten als ausgereiftes Werk und traten in den Mittelpunkt fachspezifischer Diskussionen zwischen Luzzatto und seinen Studenten. „Luzzatto an Trieste, Padova, 23.08.1829.“ In Epistolario, italiano, francese, latino, 55, Index 61, 90 – 91.
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Glaubenslehre.⁷⁹ Der Anspruch Luzzattos, der z. B. aus den theologischen Vorlesungen zu entnehmen war, zeugt von einem pädagogisch-ethischen Konzept und zugleich einem modernisierenden wissenschaftlichen Vorhaben des italienischen Gelehrten. Die veröffentlichten Vorlesungen beweisen zugleich sein grundlegendes Interesse an der jüdischen Literatur, der jüdischen Geschichte und der Wiederbelebung der hebräischen Sprache. Insbesondere die Wiederbelebung der hebräischen Sprache, Literatur und Philologie sah Luzzatto als Möglichkeit, das gesamte Judentum und die jüdischen Studien in der jüdischen intellektuellen Gemeinschaft neu zu positionieren und zu definieren. Die nähere Betrachtung der Rolle des Rabbiners in der modernen italienischen Gesellschaft seiner Zeit erweist insbesondere Della Torres Vision des neuen Rabbiners als wichtigen Beitrag in dieser Entwicklung. In den Predigten Della Torres begegnet das Collegio Rabbinico pointiert als besonders nützliche und vorbildliche Anstalt und tritt als Bezugspunkt der gesamten jüdischen Bevölkerung Italiens hervor. Das Collegio sollte helfen, die immer noch bestehenden Hindernisse und „Schranken“ für die italienischsprachigen Juden im sogenannten Prozess des „Zivilisierter-Werdens“ zu überwinden.⁸⁰ Das Collegio Rabbinico erschien Della Torre als ideale Einrichtung, um moderne Rabbiner auszubilden, die sich sowohl als moderne Wissenschaftler als auch als gewandte Pädagogen und Prediger profilierten und auf diese Weise die Akkulturation in der italienischsprachigen jüdischen Gesellschaft beschleunigen konnten. Beide Professoren übernahmen auch eine Aufsichtsrolle über die Studenten und deren moralisches und soziales Verhalten sowie über die Disziplin am Collegio und trugen deshalb große Verantwortung. Sie wurden für die Studenten durch den täglichen intensiven Austausch und Kontakt zu Vorbildern im Alltag und in der wissenschaftlichen Arbeit. Beide Dozenten wurden auch zu Bezugspersonen und moralischen Betreuern für die jüdischen Studenten der Universität Paduas. Della Torre und Luzzatto wurden von dem Direktorium des Collegio beauftragt, regelmäßig Predigten moralischen Inhalts vor den Studenten der Universität zu halten.⁸¹ Dies zeigt zugleich den Willen der Direktion des Collegio, sich
Vgl. „Luzzatto an Reggio, Görz, 18.01.1829.“ In ebd., 36, 66 – 67; „Luzzatto an Lolli, Trieste, 13.04.1832.“ In ebd., 94, 149 – 150; (03.–04.05.1832), 96 – 97, in ebd., 152– 159. Vgl. L. Della Torre, „Allocuzione agli alunni che per primi furono dichiarati idonei all’offizio di rabbini, letta il dì 10 Marzo 1833 nell’aula dell’Istituto.“ In ders. (Hg.), Cinque Discorsi detti in Padova da Lelio Della Torre da Cuneo. Professore di teologia rituale e pastorale, scienza talmudica e sacra oratoria nello istituto convitto rabbinico degl’Israeliti del Regno Lombardo-Veneto, Padua 1834, 89 – 95: 92. Am Anfang hatten sich beide Professoren äußerst skeptisch gegenüber dem Auftrag gezeigt. Die Verpflichtung, welche die jüdischen Studenten an der Universität Paduas hatten, nämlich den
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
als gleichberechtigte akademisch-rabbinische Institution gegenüber den Autoritäten der Stadt zu profilieren. Dies zeugt einerseits auch von der wohlwollenden, offenen und aufgeklärten Haltung der Universität von Padua, andererseits von einer offiziellen Gleichstellung der jüdischen Studenten in Padua mit den christlichen Studenten. Nach den Jahren der theoretischen Ausbildung erwartete den Kandidaten ein Examen Rigorosum vor den Professoren und Gabriel Trieste, dem Direktor des Collegio. Es handelte sich um verschiedene schriftliche und mündliche Prüfungen, die mehrere Tage dauerten.⁸² Seit den frühen 1850er-Jahren wurden die Rabbinertitel am Collegio in drei Stufen vergeben.⁸³ So wurde in Padua der Rabbinerkandidat, nachdem er die Praxisprüfung bestanden hatte, während einer offiziellen Zeremonie zum Rabbiner geweiht. Diese öffentliche Zeremonie, die auch eine Ordinationsrede von Della Torre einschloss,⁸⁴ erklärte den Kandidaten zum Doktor der israelitischen Theologie und „Pastor in Israel“ (Pastore in Israello). Im Laufe der Zeremonie legte der Oberrabbiner dem Kandidaten die Hände auf, segnete ihn und überreichte ihm das Diplom.⁸⁵ Die Rabbinerordination des Collegio in Padua war einzigartig im ganzen italienischen Raum, da hier der
Predigten Luzzattos und Della Torres beizuwohnen, wurde auch in der deutschsprachigen Presse kommentiert, um die engen und vor allem kooperativen Verhältnisse zwischen dem Institut und der Universität zu betonen. Vgl. Del Bianco, Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 214– 215. Vgl. L. Della Torre, „Introduzione ai Sermoni per gli studenti israeliti dell’Università di Padova, nell’anno scolastico 1852– 1853, detta il dì 11 dicembre 1852, dal Professore Lelio Della Torre“ Corriere Israelitico 5 (1866 – 1867): 193 – 196. Acev, Ordner 170, Umschlag 112,Venedig 26. Februar 1834. Über die Prüfungen am Institut und nach den Jahren der Praxis. Der Ordner enthält Berichte der ersten Kandidaten, die am Collegio die Prüfungen absolviert hatten. Die Studenten waren Lelio Cantoni, Abram Reggio, Abramo Lattes und Israel Cases. Vgl. die Reihe von Artikeln Flaminio Servis im Educatore Israelita. F. Servi, „Sui titoli rabbinici“ Educatore Israelita 16 (1868), 53 – 55; 109 – 112; 201– 205. Vgl. auch Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 170 – 171. Der Titel Maskil wurde an Kandidaten vergeben, die erfolgreich das Examen Rigorosum nach den Jahren des theoretischen Studiums am Collegio absolviert hatten; der Titel Khakam hamore wurde an die Kandidaten nach dem Jahr der Praxis und deren abgeschlossener Prüfung vergeben. Schließlich wurde der Titel Morenu arav all denjenigen verliehen, die zu Oberrabbinern auserwählt wurden. Diese Ordinationsreden wurden gesammelt und von Professor Della Torre in dem Sammelband Prose Israelitiche im Jahre 1852 veröffentlicht. Vgl. F. Manheimer, „Das rabbinische Collegium und Convict zu Padua. Von Friedrich Manheimer, Rabbiner in Veßprim“ Kalender und Jahrbuch für Israeliten, Neue Folge, 5 (1858 – 1859), 80 – 94: 90. Die prunkvolle offizielle Zeremonie fand in der Synagoge nach deutschem Ritus statt und wurde mit Chorgesang begleitet. Dies bestätigte auch ein kürzerer Artikel im Mai 1868 im Corriere Israelitico von Triest. „Y.“, „Corrispondenza particolare, Padova 19 Maggio“ Ebd. 7 (1868 – 1869): 53.
4.2 Deutsch-jüdische Wahrnehmungen des Collegio Rabbinico
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Versuch gemacht wurde, sich den akademischen, säkularen Zeremonien anzupassen. Es handelte sich um eine Zeremonie, die bewusst auch umstrittene, der christlichen Umwelt entnommene Elemente mit einbezog, die am Collegio vorhanden waren und die diese Institution prägten. Einerseits entsprach die Übergabe des Diploms der glanzvollen offiziellen Zeremonie an der Universität Paduas, andererseits ähnelte sie der Zeremonie, mit der neue katholische Priester geweiht wurden.⁸⁶ Ganz offensichtlich wurden formelle Elemente des katholischen Rituals bei der Ordination übernommen, die wahrscheinlich in dem Kontext der rabbinischen Zeremonie die Erwartungen eines breiten Publikums zufrieden stellen wollten. Die festliche und glanzvolle Rabbinerordination, zu der angesehene Persönlichkeiten der Stadt Padua eingeladen wurden, enthielt eine Botschaft an die christliche Gesellschaft der Stadt. Padua wurde Anfang des 19. Jahrhunderts als Zentrum des Fortschritts der höheren jüdischen Studien wahrgenommen. Zum ersten Mal wurden einheitliche Maßnahmen für eine höhere Ausbildung der Rabbiner der nordöstlichen Provinzen beschlossen. Bedenkt man, dass – nicht nur in den Habsburgischen Ländern – vor der Gründung des Collegio Rabbinico überhaupt kein einheitliches Reglement für die Ausbildung von Rabbinern existierte, öffnete sich in Padua ein vollkommen neues Szenario. In Padua hatte sich ein rabbinisches Institut ohne Fakultätsstatus als außeruniversitäre Einrichtung profilieren wollen. Hier verknüpften sich höhere jüdisch-theologische Studien mit der universitären Welt in Padua und kooperierten eng mit dem akademischen Leben der Stadt.
4.2 Deutsch-jüdische Wahrnehmungen des Collegio Rabbinico: Impressionen und Kritiken Die deutschsprachige jüdische Presse bestätigte schon seit Ende der 1820er-Jahre ein wachsendes Interesse am Collegio Rabbinico von Padua.⁸⁷ Seit der Gründungsphase der modernen theologischen Anstalt erschienen diesbezüglich regelmäßig Berichte und Artikel. Die wissenschaftliche und literarische Produktion der dort tätigen Professoren wurde rezipiert, gelobt oder kritisiert.⁸⁸ Geografisch betrachtet, stießen die Programme, Aktivitäten und methodologischen Ansätze des Collegio auf das Interesse einer breiten jüdischen Öffentlichkeit im deutsch Ebd. Ankündigung unter der Rubrik „Miscellen“ in Sulamith 7 (1825 – 1833), 1: 422– 423. Zum Teil wurden Passagen aus den Briefen Luzzattos über seine didaktische Konzeption ins Deutsche übersetzt und in mehreren Periodika veröffentlicht sowie mit immer neuen Kommentaren bereichert.
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
sprachigen Raum. Schon von den Kolumnen der ersten deutschsprachigen Zeitschrift Sulamith bis zu den Heften der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums wurde die Wirkung des Collegio Rabbinico wahrgenommen und kommentiert. Manche deutsch-jüdische Autoren und Publizisten nahmen das Collegio als große Chance für die italienischen Juden wahr, die sich dank der fördernden Beschlüsse der österreichischen Regierung eines bedeutenden Fortschritts in den rabbinischen Studien rühmen konnten. Diesen Stimmen zufolge hätten die Juden der nordöstlichen Gebiete Italiens ohne die Anforderungen der österreichischen Monarchie und deren Toleranzmaßnahmen keine solchen Fortschritte in der höheren jüdischen Bildung und Wissenschaft gemacht. Das Collegio Rabbinico sowie dessen Wirkung und Verdienste wurden von deutsch-jüdischer Seite so unmittelbar mit dem Ruf und der Tätigkeit seiner Professoren in Verbindung gebracht, insbesondere mit Samuel David Luzzattos Fachexpertise im Bereich der höheren theologischen Studien, dass teilweise das Collegio weniger als Institution für die rabbinische Gelehrsamkeit wahrgenommen wurde.⁸⁹ Spezielle Aufmerksamkeit galt einem bestimmten Teil von Luzzattos Publikationen im Vergleich zu Della Torre, wobei Luzzatto namentlich als Bibelforscher, Verfasser von Grammatiklehrbüchern und als Übersetzer von Predigten ins Italienische rezipiert wurde. Was die publizistische Wahrnehmung des Collegio im deutschsprachigen Bereich betrifft, ist jedoch eine Unterscheidung wichtig: Während es insbesondere in der Presse auf dem Gebiet der österreichischen Monarchie wohlwollende Stimmen gab, etwa im Kalender und Jahrbuch für Israeliten, fielen die Berichte in den Zeitschriften der deutschen Länder deutlich vorsichtiger, skeptischer und kritischer aus. 1832 – einige Jahre nach der Einweihung des Collegio Rabbinico in Padua und nach den ersten Rabbinerordinationen – setzte sich Leopold Zunz in seinem Werk Gottesdienstliche Vorträge der Juden historisch entwickelt mit der Gestaltung des Gottesdienstes „in den frühesten Wohnsitzen der Juden“, in Italien und im „mohammedanischen Orient“, auseinander.⁹⁰ Bei der Behandlung der italienischjüdischen Gemeinden und ihrer religiösen Zustände nahm Leopold Zunz direkt
Zur Rezeption seiner Lehrtätigkeit vgl. J. Fürst, Italien, Triest (11.01.1840); Megas, Licht und Schattenbilder aus der jüdischen Geschichte der Gegenwart (31.07.1841), 216; 2 (14.08.1841), 33, 227– 228: 228; Anonymus, „Italienische Gemeinden, geschildert von einheimischen Verfassern, Triest“ Israelitische Annalen 1 (27.12.1839), 52, 409 – 411: 410; Hinweis auf die Predigten Luzzattos vgl. Anonymus, Zustände in Italien insbesondere die Jugenderziehung (18.09.1840), 317– 318. L. Zunz, Die Gottesdienstlichen Vorträge der Juden, historisch entwickelt. Ein Beitrag zur Alterthumskunde und biblischen Kritik, zur Literatur- und Religionsgeschichte von Dr. Zunz, Berlin 1832, 487– 488.
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auf das Werk des Gelehrten Benedetto Frizzi (1756 – 1844) aus Mantua Bezug,⁹¹ um über den vernachlässigten Zustand der Predigten in Italien zu berichten. Zunz, der ein großer Gegner der sogenannten Gettoisierung der jüdischen Theologie in Rabbinerseminaren war, hatte sich Statut und Lehrplan des Collegio Rabbinico nach Berlin schicken lassen und spekulierte nun darüber, was von der italienischen Bildungsanstalt zu erwarten war. Deutliche Kritik äußerte er vor allem an der Ausrichtung der Studien am Collegio.⁹² Zunz’ Ansicht nach waren die Predigten im Lehrprogramm des Collegio für eine moderne rabbinische Anstalt nicht mehr zeitgemäß. Dabei handelte es sich laut dem offiziellen Programm um die Predigten von dem Bina L’Ittim (1648) von Azaria Figo (1579 – 1647) und von Yad Yoseph (1616) von Yoseph ben Chaim Zarphati aus dem 17. Jahrhundert, die durch einen traditionellen Charakter gekennzeichnet waren. Zunz hatte sich in seiner Kritik allerdings nur an den offiziellen Programmen orientiert, da er nicht wusste, dass der Unterrichtsalltag am Collegio, wie bereits dargestellt, freier gestaltet wurde und auch aktive Übungen für die Studenten vorsah. Im Laufe der Jahre wurde den Fähigkeiten von Lelio Della Torre zur Gestaltung des Predigtunterrichts viel Raum gelassen. Letzterer entwickelte neue Musterpredigten, welche die künftigen Rabbiner immer wieder verwenden konnten, was der Rabbinerausbildung in Padua einen besonders modernen Charakter verlieh. Die Kritik von deutsch-jüdischer Seite veranlasste Della Torre, beim Direktorium um die Erlaubnis für die Veröffentlichung der ersten Predigten zu bitten. 1834 erschienen die Cinque Discorsi, die als konkrete Nachweise der Arbeit des Instituts die Vorbehalte der deutsch-jüdischen Kritiker widerlegen sollten.⁹³ Im Gegensatz zu Zunz zeichnete Abraham Geiger vier Jahre später ein anderes, weit positiveres Bild der religiösen und kulturellen Zustände in den italienischen Territorien und betonte, es habe dort immer Interesse an der Wissenschaft geherrscht.⁹⁴ Weder die talmudischen Studien noch die philosophischen Disziplinen seien vernachlässigt worden und die Kenntnisse der hebräischen Sprache und Philologie seien stets profund gewesen. Des Weiteren konzentrierte sich die Abhandlung Abraham Geigers auf die Figur und Tätigkeit Isaak Samuel Reggios und Samuel David Luzzattos und beschrieb vor allem Letzteren in seiner Eigen-
B. Frizzi war u. a. Verfasser von zahlreichen apologetischen Schriften über die Sitten und Gebräuche im italienischen Judentum und er war Vertreter der Haskala in Italien, vgl. Cavarocchi, La Comunità ebraica di Mantova fra prima emancipazione e Unità d’Italia, 116 – 117. Insbesondere bezog er sich auf die Verordnung des Collegio, Sektion VII, und betonte, dass „für die eigentliche Homiletik in dem Studienplan nicht so viel gesorgt zu sein scheint“. Zunz, Die Gottesdienstlichen Vorträge, 488. Vgl. den Brief Della Torres, 29.07.1834, Archivio Renato Maestro, Ordner 170, Umschlag 128. Geiger, Nachrichten. Oesterreichische Staaten, 603.
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schaft als Professor des Collegio Rabbinico als ausgezeichneten Gelehrten und liebenswürdig bescheidenen Mann, der sich komplett den „schönen Berufspflichten und Wissenschaften hingegeben“ habe.⁹⁵ Geiger schätzte Luzzatto zudem als hebräischen Dichter und gewandten Sprachforscher. Besondere Aufmerksamkeit schenkte die deutsch-jüdische Presse und vor allem Geigers Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie Luzzattos Tätigkeit und methodologischem Ansatz als Professor der Materia orale sowie seinen Fähigkeiten bei der Gestaltung seiner Vorlesungen. So ließ Geiger die Perspektive Luzzattos einfließen, indem er einige Passagen der Briefe des italienischen Gelehrten über dessen Tätigkeit am Collegio an den Herausgeber des Kerem Chemed, Samuel Löb Goldenberg, ins Deutsche übersetzte und in seiner Zeitschrift veröffentlichte: Mein Beruf ist nun, diesen die heiligen Schriften vorzutragen, wobei ich ihnen nicht die Erklärungen früherer Exegeten mitzutheilen habe, da sie diese selbst schon inne haben und für sich lesen können, sondern sie in die Tiefe des Sinnes einführen muss.⁹⁶
Kritik übte Geiger also nicht so sehr an der Methodik oder der Ausrichtung der Studien des Collegio, sondern vielmehr an der Einrichtung des Collegio als Konvikt. Diese Form der Klause für die Rabbinerstudenten bewertete Geiger in seinem Artikel über die von ihm geforderte Errichtung einer jüdisch-theologischen Fakultät an einer Universität besonders kritisch. „Die klösterliche Dumpfheit“⁹⁷ der Rabbinerseminare und insbesondere des Collegio Rabbinico benannte Geiger in seiner Argumentation zugunsten einer jüdisch-theologischen Fakultät als negatives Gegenbeispiel. Allein eine Fakultät als Zweig einer Universität könne die Bedürfnisse einer zeitgemäßen jüdischen Wissenschaft erfüllen, da deren Zusammenwirken mit dem säkularen Geist der deutschen Universitäten unerlässlich sei.⁹⁸ Aus Sicht der deutsch-jüdischen Beobachter waren bei einer jüdisch-theologischen Bildungseinrichtung soziale und wissenschaftliche Elemente von entscheidender Bedeutung, diese aber seien nur durch den steten direkten Kontakt mit der akademischen Welt möglich. Auch andere Rabbiner berichteten häufig in den Kolumnen der deutsch-jüdischen Presse über die klösterliche Atmosphäre
Ebd., 604. Ebd., 605. Ders., „Die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät. Ein dringendes Bedürfnis unserer Zeit“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 2 (1836), 1, 1– 21: 18. Ebd. In seinem Essay zur Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät zeigte sich Geiger mit Blick auf die „inneren Mängel“ des Collegio Rabbinico von Padua und der École rabbinique von Metz wenig überrascht, da sie eben keinen deutschen Ursprung hatten.
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und die strikten Regeln am Collegio.⁹⁹ In anderen Beiträgen, u. a. den Israelitischen Annalen von Isaak Markus Jost, wurden hauptsächlich die Ausrichtung der Studien des Collegio und die Programme ausführlich kommentiert. Dabei wurde insbesondere der Mangel an Praxisstunden für das Einüben des Predigens problematisiert.¹⁰⁰ Hier wurde das diagnostizierte Defizit jedoch mit der Unterrichtsgestaltung und -planung der beiden tätigen Professoren assoziiert. Indirekt stützte sich die Kritik darauf, dass am Collegio die Theorie stark überwog.¹⁰¹ Zudem ließen sowohl die am Collegio Rabbinico tätigen Professoren als auch die Programme hier besondere Vorsicht walten.¹⁰² Ein Grund dafür könnte die Tatsache gewesen sein, dass die Dozenten in ihrer Tätigkeit von österreichischen Gesandten in ihren Programmen, Lehrbüchern und ihrem Lehrstoff überprüft wurden, wie zahlreiche Berichte von Anfang an bestätigen.¹⁰³ Der Stundenplan war so strukturiert, dass die Veranstaltungen hauptsächlich als Vorlesungen gestaltet wurden. Dieser Frontalunterricht wurde von deutsch-jüdischer Seite als Zeichen mangelnder Modernität und übertriebener Vorsicht bewertet.¹⁰⁴ Die Professoren, denen – laut einem Artikel der Annalen von Jost – das künftige „Heil“ der Gemeinden und der gesamten jüdischen Jugend anvertraut war,¹⁰⁵ wurden als Leiter und Träger einer religiösen Erneuerung betrachtet, die mit einem Vereinheitlichungsprozess der jüdischen theologischen Studien sowie der Kenntnisse
L. Löw, „Aus Oberitalien“ Ben Chananja 5 (19.09.1862): 38, 323; vgl. auch J. Fürst, „Oesterreich, Brody“ Der Orient 6 (02.07.1845), 27: 212– 213; im Orient wurde über eine Polemik zwischen dem Rabbiner der Gemeinde von Brody Christianpoller und Moses Ehrenreich berichtet, der 1845 mit dem Rabbinerdiplom des Collegio von Padua in seine Heimatstadt zurückkehrte. Christianpoller legte damals sein Veto gegen eine Predigt auf Deutsch von Ehrenreich ein. Laut dem Rabbiner von Brody durfte ein „Unbeweibter“ keine Kanzel betreten. Luzzatto hätte nach Meinung Christianpollers die jungen Leute nicht nur mit Diplom, sondern auch mit Ehefrauen versehen sollen. Möglicherweise wurde diese Kritik aus Leopold Zunz’ Gottesdienstlichen Vorträgen übernommen. Diesen Beiträgen zufolge war am Collegio ein Mangel an praktischem Sinn festzustellen. [I. M. Jost], „Nachrichten und Correspondenzen, Verona, Febr. 1840“ Israelitische Annalen 2 (24.04.1840), 17: 150. Ebd. Ebd. Briefe und Berichte des Direktors an die Kommission bestätigen strikte, regelmäßige Kontrollen der Texte, die im Unterricht benutzt und von den Professoren behandelt wurden; vgl. Briefe des Archivio „Renato Maestro“, Venedig, Ordner 167, Jahr 1833. Inoffiziell – wie bereits im Kapitel erwähnt – wurde der Unterricht allerdings durchaus unmittelbar von Della Torre und Luzzatto geprägt, die auf der Grundlage ihres eigenen wissenschaftlichen Selbstverständnisses und ihren Methoden von ihrer Freiheit Gebrauch machten, Änderungen im Programm und in der Auswahl der Lehrbücher und der zu behandelnden Autoren vorzunehmen. [I. M. Jost], Nachrichten und Correspondenzen, Verona, Febr. 1840 (24.04.1840).
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der zukünftigen Rabbiner begann.¹⁰⁶ In vielen Beiträgen der deutsch-jüdischen Presse, die die Ausrichtung der Studien und Wirkung des Collegio thematisierten, etwa in Der Orient und in den Israelitischen Annalen, wurde Padua mitsamt dem dort befindlichen Collegio – d. h. mit „dem Glanzpunkt des israelitischen Lebens“¹⁰⁷ – als einzige Stätte der gesamten italienischen Halbinsel wahrgenommen, in der ein Erwachen der bibelexegetischen Studien sowie der philosophischen, philologischen, literarischen Disziplinen stattfand: „Das rabbinische Institut ist nicht allein der Glanzpunkt Paduas, es ist der Glanzpunkt des ganzen Königreichs, ja Italiens.“¹⁰⁸ D. h., die Führungsposition Paduas in den theologischen Studien wurde von deutsch-jüdischer Seite durchaus anerkannt, allerdings nicht ohne dass die betreffenden Artikel auf den Mangel an wissenschaftlichem Aufschwung in den anderen italienischen Territorien hinwiesen. In Josts Annalen und Fürsts Der Orient wurden neben den Publikationen des Collegio und den wissenschaftsfördernden Aktivitäten¹⁰⁹ auch die neu ordinierten Rabbiner des Collegio und deren Tätigkeit wahrgenommen. Tatsächlich wurden auch Reden und wissenschaftliche Abhandlungen des rabbinischen Nachwuchses des Collegio rezipiert, insbesondere die Predigten und religionskritischen Studien einiger Rabbiner, Forscher und Pädagogen wie des Rabbiners David Graziadio Viterbi, des Oberrabbiners Marco Mortara und des galizischen Rabbiners Moses Ehrenreich.¹¹⁰ Damit wurden auf der einen Seite, vor allem durch die Reden Viterbis, der ausgeprägte erzieherische Charakter des Collegio sowie auf der anderen Seite, durch die kritischen Studien Mortaras, sein wissenschaftlichtheoretisches Profil sichtbar.
Ebd., 150. Megas, Licht und Schattenbilder aus der jüdischen Geschichte der Gegenwart (31.07.1841), 216. Ebd. In der deutsch-jüdischen Presse wurde wiederum das Institut „Talmud Torà“ von Livorno kaum wahrgenommen. Dort wurde ab den 1860er-Jahren auch jüdische Theologie als eigenständige Disziplin unterrichtet. Toaff, Il Collegio Rabbinico di Livorno, 184– 195. Vgl. J. Fürst, „Preisausschreibung über eine Ausgabe aus der jüdischen Religionsgeschichte“ Der Orient 12 (08.02.1851), 6: 95 – 96. Es wurde eine Summe Geldes zur Verfügung gestellt, und zwar für den Autor einer jüdischen Geschichte der politischen und religiösen Ereignisse seit den Anfängen bis zu den letzten Autoren des Talmuds. Von Rabbiner D. G. Viterbi, „Stimmen der Rabbiner unserer Zeit. Über Erziehung der Armen zur Arbeit“ Israelitische Annalen 2 (02.10.1840): 40, 335 – 336; Von Oberrabbiner M. Mortara: „Kritische Studien vom Rabbiner Marco Mortara, die täglichen Gebete“ Ebd. 2 (05., 12., 19.06. 1840): 23 – 25 und (03.07.1840), 27: 202– 203; 209; 216 – 217; 233 – 234; A. Jellinek [„A. Ink“], „Kurze Anzeigen. Jüdisch-italienische Literatur. Besprochen von A. Ink“ Literaturblatt des Orients 6 (17.09.1845), 38: 600 – 602; in den Anzeigen werden eine Predigt und ein Aufsatz über die „Echtheit des Pentateuchs“ von Oberrabbiner Mortara kommentiert und vorgestellt.
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Seit den 1850er-Jahren wurden auch Sorgen hinsichtlich des rabbinischen Seminars in Padua zur Sprache gebracht. Zu dieser Zeit berichtete Zacharias Frankels Monatsschrift über eine schwierige Phase für das Collegio, das damals nur fünf Schüler beherbergte,¹¹¹ womit sein gesamtes pädagogisches Modell infrage gestellt schien.¹¹² 1862 jedoch dankte Frankel, der Direktor des JüdischTheologischen Seminars zu Breslau, Samuel David Luzzatto in einem Brief ausdrücklich für seine Verdienste um die Verbesserung der rabbinischen Studien und der jüdischen Wissenschaft durch seine Tätigkeit am Collegio Rabbinico.¹¹³ Frankel bestätigte in den Zeilen an Luzzatto ein besonderes Interesse an den Lehrprogrammen und -methoden für die einzelnen Unterrichtsfächer am Collegio. Als konkreten Beweis seiner Dankbarkeit versprach Zacharias Frankel, dem italienischen Gelehrten den Jahresbericht des Jüdisch-Theologischen Seminars zu Breslau und dessen Programm per Post zukommen zu lassen. In der deutsch-jüdischen Presse waren Mitte des 19. Jahrhunderts unterschiedliche Reaktionen auf die Wirkung des Collegio Rabbinico festzustellen. Einerseits gab es Interesse an den Forschungsergebnissen und der Lehrtätigkeit der Professoren und eine generelle Wertschätzung für die Institution, andererseits wurden jedoch auch Artikel publiziert, die sich von den dort angewandten Bildungsmethoden, kulturellen Werten und pädagogischen Praktiken distanzierten.¹¹⁴ Diese Distanzierung könnte mit dem Bedürfnis im Zusammenhang stehen, den Gegensatz zwischen den deutsch-jüdischen Gelehrten und dem im italienischen Judentum herrschenden Verständnis der jüdischen Studien sowie der Gestaltung der höheren jüdischen Bildung zu betonen. Das Collegio wurde aus deutsch-jüdischer Perspektive als außeruniversitäre theologische Einrichtung gesehen, die mit dem Ideal einer jüdisch-theologischen Fakultät nichts gemeinsam hatte. Trotzdem wurde es als höhere jüdische Bildungsanstalt anerkannt, die danach trachtete, das theologische Studium mit dem Studium der säkularen
Anonymus, „Briefe aus Oesterreichisch-Italien“ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 6 (1857), 10: 392– 398. Indirekt wurde auch Luzzattos pädagogischer Ansatz kritisiert. Luzzatto wurde parallel zu seiner Tätigkeit am Collegio mit der Verfassung von Grammatikbüchern für Gymnasien beauftragt. Vgl. Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio rabbinico di Padova, 215. „Frankel an Luzzatto, Breslau, März 1862“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, 3482. [I. M. Jost], Nachrichten und Correspondenzen, Verona, Febr. 1840 (24.04.1840). Diese Distanzierung wurde in den Beiträgen auch visuell realisiert und mit einer aussagekräftigen, plakativen Darstellung Italiens wiedergegeben. Die jüdische Bevölkerung Italiens wurde immer wieder als die eines Landes identifiziert, das als Pforte des Orients, der „Levante“, und ferner als andersartiges Land als Deutschland charakterisiert wurde.
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Wissenschaften zu verbinden;¹¹⁵ allerdings ohne – wie die Wissenschaft des Judentums in Deutschland – eine universitäre Einbindung anzustreben. Die Analyse von Artikeln der jüdischen Presse in den österreichischen Gebieten zeigt, dass der Ton und die Akzente bei der Wahrnehmung des Collegio Rabbinico sowie des Fortschritts der jüdischen Bildung und Erziehung durch die Korrespondenten und Publizisten jener Organe geprägt sind. Auffällig sind vor allem der apologetische Charakter der Artikel, Berichte und Kurzmitteilungen aus dem lombardo-venetischen Königreich. Häufig erschienen in den Kolumnen des Kalender und Jahrbuch für Israeliten in Wien Berichte und Abhandlungen über die jüdische Bevölkerung Italiens, in denen die rabbinische Anstalt von Padua als blühendes rabbinisches Seminar bezeichnet wurde. In der österreichischen Presse wurde das Collegio von den jeweiligen Korrespondenten als großer Gewinn für die habsburgische Monarchie betrachtet und – ganz anders als in der deutschjüdischen Presse – als Vorbildinstitution dargestellt.¹¹⁶ Im Gegensatz zur Kritik deutsch-jüdischer Autoren wurde hier auch kein Unterschied zwischen dem Collegio und einer jüdischen theologischen Fakultät gemacht. Laut dem Rabbiner Friedrich Manheimer, der zahlreiche Berichte für den Kalender veröffentlichte, war das Projekt der jüdisch-theologischen Fakultät mit dem Collegio Rabbinico sowie dem Rabbinerseminar von Metz bereits verwirklicht. In einem Artikel über Ludwig Philippsons dringendes Projekt zur Gründung einer Fakultät für jüdische Theologie aus dem Jahre 1838 urteilte Manheimer: „Es war aber auch nicht Neues, was Dr. Philippsohn vorschlug; die Collegien zu Metz, Padua und Livorno datierten aus früherer Zeit, und – nur blinder Eifer konnte deren relativ sehr ersprießliches Wirken hinwegläugnen.“¹¹⁷ Besonders apologetisch wurde die Gründungsgeschichte des Collegio Rabbinico von Padua in vielen Beiträgen der österreichischen Presse dargestellt, die die habsburgische Monarchie als Motor des gesamten Fortschritts des lombardovenetischen Königreichs bezeichneten und als wahren Motor der Errichtung des Collegio priesen.¹¹⁸ Als bemerkenswert und vorbildlich wurde die tatkräftige Initiative sowie die finanzielle und konzeptionelle Unterstützung der Gemeinden des Königreichs bewertet. Im Gegensatz dazu diagnostizierte Manheimer in den deutschen Gebieten unter den jüdischen Gelehrten und Rabbinern eine ängstliche
Vgl. Z. Frankel, „Notizen“ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 5 (1856), 2: 79 – 80. Vgl. Errera, Statistische Notizen über die Israeliten des lombardisch-venezianischen Königreichs, 227; sowie Manheimer, Das rabbinische Collegium und Convict zu Padua, 85. Ebd., 81. Errera, Statistische Notizen über die Israeliten des lombardisch-venezianischen Königreichs, 227.
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Haltung, die jede Initiative zur Errichtung einer jüdisch-theologischen Anstalt blockierte: „Seien wir jedoch gerecht! Eine israelitische Bevölkerung von kaum 8.000 Seelen (die statistischen Tabellen vom J. 1827 weisen etwas mehr als 7.000 nach) unternimmt auf Antrieb der hocherleuchteten Regierung […] ein Werk, vor dessen Kosten die zehnfache Zahl unserer Glaubensgenossen bisher zurückschrecken.“¹¹⁹ Diese positiven Pressestimmen standen in völligem Widerspruch zu den Berichten der deutsch-jüdischen Presse, die in derselben Zeit u. a. die Schwierigkeiten des Collegio von Padua thematisierte. So wurde etwa auch die begrenzte Zahl der Rabbinerkandidaten im Laufe der Jahre nie – wie in der deutsch-jüdischen Presse – als Zeichen einer Krise des Collegio wahrgenommen, sondern schlicht mit der begrenzten Anzahl der jüdischen Gemeinden und der Bevölkerung des Königreichs erklärt.¹²⁰ Ähnlich wie in der deutsch-jüdischen Presse identifizierten auch die Artikel des Kalenders und Jahrbuchs und in Leopold Löws Zeitschrift Ben Chananjas den Erfolg des Collegio mit der Tätigkeit Della Torres und Luzzattos, die aus ihrer Sicht damals das Fach der Theologie für die gesamte italienische Halbinsel verkörperten und ruhmvoll vertraten. Das Collegio und seine Professoren hatten in der Monatsschrift Leopold Löws ein unterstützendes und wohlgesinntes Periodikum gefunden, zu dessen produktivsten Korrespondenten von Anfang an sowohl Della Torre als auch Luzzatto zählten.¹²¹ Damals hatte sich Ben Chananja über die didaktischen Fähigkeiten und den methodischen Ansatz beider Professoren immer wohlwollend geäußert, und im Fall von Polemiken war die Redaktion beiden italienischen Gelehrten häufig zur Seite gestanden.¹²² Die Artikel der Zeitschrift Ben Chananja zeichneten sich durch einen im Vergleich zum Wiener Kalender und Jahrbuch höheren Grad an Wissenschaftlichkeit und Fachexpertise aus. Sie boten tiefere Einblicke in die Werke und in die
Manheimer, Das rabbinische Collegium und Convict zu Padua, 85. Zur Darstellung der jüdisch-italienischen Verhältnisse in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums vgl. u. a. Anonymus, Briefe aus Oesterreichisch-Italien. Vgl. L. Löw, „Correspondenz, Padua“ Ben Chananja 1 (1858), 9: 425 – 426. In den Kolumnen Ben Chananjas wurde auch Werbung sowohl für die Werke beider Professoren als auch für die Einschreibung von neuen Bewerbern am Collegio gemacht. Ben Chananja beschäftigte sich mit der Polemik zwischen den orthodoxen Rabbinern, die in der Zeitschrift Neuzeit gegen das Rabbinerseminar von Padua ein „Pro memoria“ an die Regierung eingereicht und veröffentlicht hatten; vgl. Löw, Aus Oberitalien. Anfang der 1860er-Jahre, im Kontext der Polemik zwischen den orthodoxen ungarischen Rabbinern und den Professoren des Collegio, hatte die Redaktion Ben Chananjas in der Person des Herausgebers Leopold Löw die Positionen beider italienischer Gelehrten verteidigt.
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Studien beider am Collegio tätiger Professoren. Die Werke beider Gelehrter, u. a. Predigten und Neuveröffentlichungen sowie Artikel für die Zeitschrift, wurden exegetisch, philologisch und philosophisch erörtert. Auch wenn insbesondere Leopold Löw selbst Kritik an Luzzattos mangelnder Unparteilichkeit bei der Behandlung der Quellen übte, wurden diese Anmerkungen ausführlich begründet, und das bibelexegetische und literarische Fachwissen beider Gelehrter wurden zu keiner Zeit infrage gestellt.¹²³ Die Zeitschrift berichtete regelmäßig über Rabbinatsangelegenheiten, Rabbinerversammlungen und nicht zuletzt auch über den Zustand des Rabbinats in Italien. Dies bestätigt das hohe Interesse am Collegio und die besonders aufmerksame inhaltliche Rezeption der dort verfassten Werke und Predigten sowie die große Aufmerksamkeit für die dort unterrichteten Disziplinen. Das gilt insbesondere für die Thematik der höheren jüdischen Bildung und jüdisch-theologische Fragen. Im Zusammenhang mit den regelmäßigen Berichten über Zacharias Frankels Breslauer Seminar und der Veröffentlichung seiner Jahresberichte betonte Ben Chananja in mehreren Artikeln den Vorrang des Collegio Rabbinico, da dieses im Vergleich eine größere Mannigfaltigkeit jüdisch-theologischer Disziplinen aufwies.¹²⁴ Als bemerkenswert wurde die Tatsache konstatiert, dass am Breslauer Seminar, trotz der größeren finanziellen und materiellen Mittel, Fächer wie Moraltheologie, Dogmatik und Homiletik nicht vertreten waren. Diese Feststellung hatte zum Ziel, die wissenschaftlichen Leistungen der Professoren und pädagogischen Verdienste des Collegio in Padua hervorzuheben und zugleich auf die relativ mangelhafte rabbinische Ausbildung am Breslauer Seminar hinzuweisen, das sich immer noch auf die pilpulistische Methode stütze.¹²⁵ Kurz, Ben Chananja brachte eine deutliche Präferenz für das Collegio Rabbinico und seine Studienrichtung zum Ausdruck.
Löw bestätigte, dass er sich ausführlich sowohl mit Della Torres Reden und Predigten als auch mit der „Moraltheologie“ Luzzattos und deren Inhalten und Argumentation befasst hatte. Zugleich hob er hervor, dass er gute Kenntnisse der italienischen Sprache besaß. Vgl. L. Löw, „Lezioni di Theologia Morale Israelitica di Samuel Davide Luzzatto Triestino, professore dell’Istituto rabbinico di Padova, socio corrispondente dell’I. R. Istituto veneto et membro straordinario dell’I. R. Academia di Padova, Padova, Bianchi, 1862, 8, VII, 135, Preis: 2 Franc (mit dem Bildnisse des Verfassers)“ Ben Chananja 6 (01.01.1863), 1: 15 – 16. Ebd., 16.
4.3 Rezeption und Blick nach Breslau
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4.3 Die italienisch-jüdische Presse: Rezeption des Collegio Rabbinico und Blick nach Breslau Im Jahre 1840 stellte ein deutscher Korrespondent in den Israelitischen Annalen am Collegio Rabbinico in Padua das Fehlen einer wissenschaftlichen Publikation fest, in der die neu ernannten Rabbiner als Publizisten wirken und wechselseitig die Resultate ihrer Forschungen und Studien mitteilen und austauschen könnten: „Eine populäre religiöse Zeitschrift für Italien, mit praktischem Takte redigiert, die zugleich die bereits entlassenen Zöglinge der Anstalt mit derselben und untereinander in Verbindung erhalten würde […]“.¹²⁶ Tatsächlich wurde ein solches publizistisches Organ in Padua vom Rabbinerseminar nie realisiert, doch hatte sich der Educatore Israelita der Herausgeber Giuseppe Levi und Esdra Pontremoli seit den ersten Jahren seiner Gründung 1853 als eine inoffizielle publizistische Plattform des Rabbinerseminars von Padua herauskristallisiert, die es den beiden Dozenten ermöglichte, ihre religiösen, historischen, literarisch-wissenschaftlichen und religionsphilosophischen Abhandlungen sowie Reden und Predigten zu veröffentlichen. Seit den ersten Heften behandelten die Redakteure, die beiden Professoren und auch die ehemaligen Rabbinerkandidaten ein breites Spektrum von Themen, u. a. jüdische Moral, jüdische Geschichte, jüdisch-religiöse Tradition, Erziehung und nicht zuletzt die Reformangelegenheiten. Am Anfang kommentierte und verfolgte das Periodikum von Vercelli die Publikationen und Neuveröffentlichungen, die im Zusammenhang mit der Aktivität am Collegio standen, und kommentierte jedes mit ihm verbundene signifikante Ereignis.¹²⁷ Die Artikel priesen die wissenschaftlichen und didaktischen Leistungen der Dozenten und die Bedeutsamkeit dieser rabbinischen Anstalt für das gesamte italienische Judentum jener Zeit. Regelmäßig wurden auch die Publikationen beider Professoren rezensiert und beworben. Ab dem Jahrgang 1855 erschienen in mehreren Heften Luzzattos Discorsi storico-religiosi und Discorsi storico-morali, außerdem wurden Artikel über Predigten und Ordinationsreden
[I. M. Jost], Nachrichten und Correspondenzen, Verona, Febr. 1840 (24.04.1840): 150. Die Redaktion des Educatore kommentierte regelmäßig Nachrichten vom Collegio. Das Periodikum rezipierte die Ordinations- und Eröffnungsreden von Della Torre, die Veröffentlichung und Aktualisierung des Lehrstoffes und der Programme sowie die Abfassung neuer Gebete von Della Torre. Vgl. G. Levi und E. Pontremoli, „Programma e preghiere“ Educatore Israelita 2 (1854): 387– 388.
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Della Torres für das Collegio, darunter auch eine Moses Mendelssohn gewidmete Predigt, rezensiert.¹²⁸ Eine erste Entfremdung zwischen der Redaktion des Educatore Israelita und dem Collegio Rabbinico ergab sich gegen Ende der 1850er-Jahre, als beide Redakteure ihre Stellungnahme für die Errichtung einer neuen rabbinischen Anstalt in Piemont veröffentlichten.¹²⁹ Der Educatore warb im Jahre 1858 für die dringende Lösung einer neuen rabbinischen Institution, die wissenschaftliche und theologische Studien kombinieren sollte. Die Artikel, die damals die Vorteile einer rabbinischen Anstalt thematisierten, lobten neben dem Collegio von Padua auch die Tätigkeit anderer europäischer Rabbinerseminare wie des Rabbinerseminars von Metz, vornehmlich auch jene des kurz zuvor errichteten Jüdisch-Theologischen Seminars Zacharias Frankels in Breslau (1854), das nun als Vorbildseminar dargestellt wurde. In Anbetracht der Zustände des italienischen Rabbinats musste der Educatore feststellen, dass das Collegio von Padua immer noch als ungenügend gelten müsse, vor allem hinsichtlich des großen Teils der jungen jüdischen Kandidaten, die sich der rabbinischen Karriere widmen wollten.¹³⁰ Dabei sollte man nicht vergessen, dass dieser Aufruf des Educatore vor der italienischen Einheit von 1861 publiziert wurde. Das Projekt einer zweiten rabbinischen Anstalt für die Rabbinerausbildung der Kandidaten der nordwestlichen Gebiete Italiens erschien als ein legitimes Vorhaben, insofern das Collegio Rabbinico die Kandidaten aus den anderen italienischen Staaten nur Jahre später und nur als Gasthörer annehmen durfte.¹³¹ Die neu konzipierte Anstalt, die man idealerweise in der Gemeinde von Vercelli errichten wollte, sollte im Gegensatz zum Collegio keinen Kandidaten aus anderen italienischen Staaten an der Möglichkeit einer rabbinischen Karriere hindern.¹³² Dieser Aufruf erfolgte parallel zu einer der kritischsten Phasen der Existenz des Rabbinerseminars von Padua. Externe politi-
G. Levi und E. Pontremoli, „Bibliografia. Mosè Mendelsson. Orazione inaugurale del Professor L. Della Torre“ Ebd. 3 (1855): 25 – 26. Vgl. G. Levi und E. Pontremoli, „Collegio Rabbinico in Vercelli“ Ebd. 6 (1858): 212– 214. Ab Mitte der 1850er-Jahre wurden aber auch Kandidaten aus anderen Staaten als Gasthörer angenommen. Diese mussten eine Pension in Höhe von 900 österreichischen Lire bezahlen – im Unterschied zu den anderen Kandidaten, die 750 bezahlen sollten. Wegen der höheren Pension und der Entfernung sowie anderer bürokratischer Schwierigkeiten blieb die Anzahl der Kandidaten aus anderen italienischen Territorien wie aus den anderen Erbländern der Monarchie vor der italienischen Einheit sehr überschaubar. Vgl. F. Servi, „Sopra un Collegio Rabbinico in Italia“ Educatore Israelita 14 (1866), 358 – 362: 358. Levi und Pontremoli, Collegio Rabbinico in Vercelli, 214.
4.3 Rezeption und Blick nach Breslau
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sche Umwälzungen sowie Missverständnisse, finanzielle Probleme und interne Spannungen kennzeichneten die Jahre kurz vor der Einheit am Collegio.¹³³ Mit dem zweiten italienischen Unabhängigkeitskrieg im Jahre 1859 blieben die Gemeinden Venetiens weiterhin unter österreichischer Herrschaft, während die Gemeinden der Lombardei unter dem Königreich Piemont vereint wurden. Unter diesen neuen politischen und territorialen Umständen, als die jüdischen Gemeinden von Mantua unter die Herrschaft des Piemonts gelangten, wurden viele der bestehenden Bedingungen der Existenz des Collegio von Padua infrage gestellt. Diese neuen politischen Zustände destabilisierten auch die immer labilen Gleichgewichte innerhalb der norditalienischen jüdischen Gemeinden und hatten unmittelbare Konsequenzen für die Zustände und die Führung des Collegio.¹³⁴ Schon seit einigen Jahren herrschten Verstimmtheit, erhebliche Meinungsunterschiede und Streitigkeiten in Anbetracht der Amtsführung und der Finanzierungsmöglichkeiten des Collegio unter den jüdischen Gemeinden. Darüber hinaus waren einige der Gemeinden, die unter den Begründern und vor allem finanziellen Unterstützern gewesen waren, plötzlich als fremde territoriale Einheiten – wie die Gemeinde von Mantua – wahrzunehmen.¹³⁵ Diverse Nachrichten berichteten damals über interne finanzielle Schwierigkeiten des Collegio, Meinungsunterschiede und diverse Spannungen zwischen den Professoren und der Direktion sowie zwischen den Professoren untereinander in Bezug auf die Didaktik und den Ablauf von Prüfungen.¹³⁶ Als am bedenklichsten galt aber das Problem der niedrigen Zahl von Studenten. Der Aufruf des Educatore zur Gründung eines neuen Rabbinerseminars kam deshalb nicht zufällig zu einer der kritischsten Zeiten des Collegio. Die Herausgeber und deren Unterstützer versuchten damit auch, einen neuen Bezugspunkt für die jüdischen Studien in Italien zu etablieren. Zugleich zeugte dies vom Bewusstsein eines Misserfolges, den das Collegio zu der Zeit verkörperte und der sich in der immer geringer werdenden Zahl von Studenten widerspiegelte.¹³⁷ Auch das Bedürfnis einer zunehmenden ideologischen und methodologischen Distanzierung der Redakteure von der Führungsrolle des Collegio als der einzigen theologischen Institution Italiens spielte in diesem Zusammenhang eine Rolle.
Del Bianco, Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 305 – 307. Ebd., 303. Im Jahre 1859 wurde ein Versuch der Gemeinde Mantuas registriert, das Collegio zu schließen und dessen endgültiges Scheitern anzuordnen; vgl. ebd., 303 – 304. Ebd., 302. In der Polemik zwischen der Redaktion des Educatore und dem Collegio wurde die geringe Zahl der Studenten am Collegio in vielen Artikeln problematisiert; vgl. G. Levi und E. Pontremoli, „Appello d’Ancona“ Educatore Israelita 10 (1862): 339 – 342.
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
Der Aufruf des Educatore verursachte unmittelbare Reaktionen vieler Repräsentanten der jüdischen Gemeinden Venetiens und vor allem vieler Unterstützer des Collegio von Padua. Im Jahre 1862, kurz nach der Einheit, verschärften sich die Spannungen zwischen den beiden Kontrahenten, und es kam zu zwei einander widerstreitenden Positionen, die Anfang der 1860er-Jahre kämpferisch in vielen Artikeln, Repliken und Gegenrepliken ihre Meinungen verteidigten und die Polemik fortsetzten. Mit der Gründung des Triester Corriere Israelitico des Herausgebers Abram Vita Morpurgo im Jahre 1862 wurden der Riss und die Distanz zwischen der nordwestlichen jüdischen Gelehrtenwelt des Educatore und dessen ideologischer Positionierung einerseits und derjenigen der nordöstlichen Gebiete andererseits noch größer. Das Jahr 1862 sollte sich als besonders entscheidend in der Geschichte des Collegio erweisen. Dabei gewann kurz nach der italienischen Einheit die Bewahrung und vor allem die Stärkung des Collegio von Padua für dessen Befürworter besondere Priorität. Die Unterstützer des Collegio nutzten diese Debatten in der Presse als Chance, um die Rolle und Führungsposition des Collegio mit Blick auf die Ausbildung der neuen italienischen Rabbiner auf das gesamte italienische Königreich zu stärken. Zugleich drangen sie auch auf die Unterstützung der Teilnehmer der rabbinischen Versammlungen¹³⁸ und allgemein anderer italienischer Gemeinden. Insbesondere die Stellungnahmen Lelio Della Torres in den Kolumnen des Triester Corriere Israelitico erscheinen als publizistisch-politisches Plädoyer für den Fortbestand des Collegio. Della Torre wie der andere involvierte Unterstützer des Collegio, Marco Aurelio Salom, der Ratsherr der Gemeinde Paduas, wollten die Institution als die einzige Anstalt für das gesamte italienische Judentum erhalten. Salom hatte diese Position 1862 in einer apologetischen Schrift zugunsten des Fortbestands des Collegio Rabbinico von Padua zum Ausdruck gebracht.¹³⁹ Die theologischen und wissenschaftlichen Resultate machten das Collegio zu einer etablierten und namhaften höheren theologischen Institution in Europa, die den Fortschritt der jüdischen Studien bewies. Die Konkurrenz einer zweiten Anstalt wurde als kontraproduktiv und als Hindernis für das Collegio und dessen
Die erste Rabbinerkonferenz der italienisch-jüdischen Gemeinden fand im Mai 1863 in Ferrara statt. Im Programm fand man unter den Anliegen, die man diskutieren sollte, unter Punkt 6: „Collegio Rabbinico Italiano – se sia necessaria la erezione di un nuovo Collegio Rabbinico oltre a quello di Padova, dove e con quali mezzi“. (Collegio Rabbinico Italiano, ob man ein neues Rabbinerseminar errichten soll neben dem von Padua, wo und mit welchen Mitteln?). Für das gesamte Programm siehe G. Levi und E. Pontremoli, „Programma pel Congresso Israelitico italiano convocato in Ferrara pel 12 maggio 1863“ Ebd. 11 (1863): 148 – 149. M. A. Salom, Sulla proposta di un istituto rabbinico italiano, Osservazioni del Dr. M. A. Salom, Padova 1862.
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Fortbestand betrachtet. Stattdessen solle man, so etwa Della Torre, neue Energien und Projekte, vor allem neue Gebäude, bereitstellen, um den bisherigen akademischen Ruf der Bildungsanstalt zu unterstützen und zu stärken. Das Collegio solle die Chance nutzen, als Bezugspunkt für die theologischen Studien auf der gesamten italienischen Halbinsel zu dienen. Das italienische Judentum, so die Unterstützer des Collegio von Padua, sollte die führende Rolle des Seminars als Collegio Rabbinico Italiano unbedingt fördern, anstatt für ein neues Rabbinerseminar zu werben. Meinungsunterschiede zwischen dem Educatore auf der einen Seite und Della Torre und Salom in den Kolumnen des Corriere auf der anderen Seite verursachten eine Verschärfung der Polemik, die immer stärker politische Züge annahm und zu zwei immer weiter auseinanderdriftenden Positionen führte.¹⁴⁰ Im Jahre 1863 endete nun offiziell die Polemik auf dem Papier. Der Tod Samuel David Luzzattos im Jahre 1865 hatte die durchaus positive Situation des Collegio schwer getroffen. Er bedeutete einen herben Rückschlag, der in den Jahren 1866 – 1871 weiterhin Konsequenzen für das Fortbestehen der Einrichtung hatte. 1865 erfolgte zudem der dritte Unabhängigkeitskrieg, der Venetien wie auch die Lombardei an das italienische Königreich zurückbrachte, mit der Konsequenz, dass die Gesamtheit der Regierungsstrukturen Lombardo-Venetiens sowie die Strukturen des österreichischen Staatsapparats, die das Collegio verwaltet hatten, nicht mehr existierten. 1865 wurde Eude Lolli (1826 – 1904) am Collegio Rabbinico zuerst zum Vertretungslehrer¹⁴¹ und 1867 offiziell zum Professor ernannt. Lolli hatte auch als Rabbinerkandidat am Collegio studiert und 1854 den Rabbinertitel erworben.¹⁴² In jenen Jahren litt die Institution unter schweren finanziellen Problemen, unter mangelnden Studentenzahlen, aber vor allem unter der Teilnahmslosigkeit und der Gleichgültigkeit vieler Gemeinden, die ihre Unterstützung verweigerten. Der Educatore wie der Corriere zeichneten sich weiterhin als Sprecher und als Organisatoren einer Spendenaktion zugunsten des Fortbestands des Collegio von Padua aus.¹⁴³
Vgl. L. Della Torre, „Un opuscolo apologetico sull’Istituto Rabbinico di Padova“ Il Corriere Israelitico 1 (01.11.1862): 196 – 197; M. A. Salom, „Comunicato. All’onorevole Redazione del Corriere Israelitico di Trieste“ Ebd. 1 (01.11.1862): 208; G. Levi und E. Pontremoli, „Il dibattimento col D. Salom“ Educatore Israelita 10 (1862): 371– 372; dies., „La Direzione, Chiusa d’un dibattimento“ Ebd. 11 (1863), 1: 19 – 21. Vgl. Del Bianco, Il Collegio Rabbinico di Padova, 237. Zu Eude Lolli als Privatdozent für biblisches und rabbinisches Hebräisch und Aramäisch ab den Jahren 1876 – 1877 an der Universität Paduas an der Fakultät der Italianistik und Philosophie vgl. G. Tamani, Gli studi ebraici a Padova nei secoli XVII–XX, 223. Vgl. u. a. G. Levi und E. Pontremoli, „Il Collegio rabbinico di Padova. Esortazione“ Educatore Israelita 16, 1868, 271– 272; A. Curiel, „L’Istituto Rabbinico di Padova“ Il Corriere Israelitico 7 (1868): 266 – 268.
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Kapitel 4: Höhere jüdische Bildung und wissenschaftliche Institutionen
Weitere Artikel und Aufrufe zum Projekt der Errichtung neuer rabbinischer Seminare wurden in den nachfolgenden Jahren in den Kolumnen des Periodikums von Vercelli immer wieder unterstützt.¹⁴⁴ Die Redakteure des Educatore zeigten zur gleichen Zeit auch ein stetes Interesse an und eine wachsende Identifizierung mit dem theologischen Ansatz des Breslauer Seminars und dessen Initiativen. Dies bedeutete auch das Anerkennen eines erfolgreichen Modells für die rabbinischen Studien und für die Mission des Rabbinats, die wiederum auf italienisch-jüdischer Seite noch einmal infrage gestellt werden musste. Dies beweisen die Artikel, die die Umstände der italienischen Oberrabbiner und deren unsichere Karriere nach dem Studium problematisierten. Diese Hinwendung zum Modell des deutschen Rabbinerseminars von Breslau bedeutete eine ideologische Wendung hin zu einem Konzept, das die Rabbiner nach dem Erwerb des Titels unterstützte und weiter förderte und das sich als erfolgreiches Modell für die rabbinischen Studien auch in Italien anbot. Das Problem lag weder in einer immer noch fehlenden repräsentativen rabbinischen Anstalt für das gesamte italienische Judentum noch in dem ungesicherten Fortbestehen des Collegio Rabbinico von Padua. Als weiteres Problem neben dem Indifferentismus der Gemeinden erwies sich das Fehlen motivierter Kandidaten für das Rabbinat in Italien. Der prekäre und unsichere Bildungsweg, der die Karriere des Oberrabbiners in Italien kennzeichnete, wurde in den Artikeln als abschreckend dargestellt.¹⁴⁵ So wandte sich Giuseppe Levi in einem Artikel dem deutschen Judentum und dessen Rabbinat zu. Die Beiträge hoben besonders lobend hervor, wie Zacharias Frankel die Rabbiner auch nach den Jahren am Seminar mit Stipendien unterstützte. So wünschten sich viele Publizisten solche unterstützenden Initiativen für die italienischen Rabbiner.¹⁴⁶ Das Modell des Rabbinerakademikers des Collegio wurde nun zugunsten eines alterativen Modells hinterfragt. Zugleich registrierte man aber auch eine aktive Mobilisierung der nichtjüdischen intellektuellen Gesellschaft für die Institution. Der Corriere veröffentlichte einen Aufruf des königlichen Funktionärs am Collegio Rabbinico und Historiker Giuseppe De Leva (1821– 1895)¹⁴⁷ vom Dezember 1868 an die Leitung des Collegio.
In der Tat plante man, das schon bestehende Institut Foa in Vercelli in eine jüdisch-theologische Anstalt für die Ausbildung der Rabbiner umzuwandeln, für die man auch dieselben Professoren behalten hätte. Diese Institution hätte sich aber eine neue Regelung gegeben. Vgl. Levi und Pontremoli, Collegio Rabbinico in Vercelli. G. Levi, „Rivista di attualità. Rabbini senza impiego“ Educatore Israelita 20 (1872), 1, 9 – 17: 13. Vgl. ebd., 12– 13. Giuseppe De Leva war ein Historiker christlichen Glaubens, der aus einer adligen Familie Paduas stammte. Er studierte in Padua und in Wien und widmete sich den philosophischen
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De Leva hatte in seinem Brief die Direktion des Collegio angespornt, auch weiterhin Energien und Kräfte auf das Fortbestehen des Collegio zu verwenden. Das Schreiben enthielt keinerlei polemische Töne gegenüber den italienischen jüdischen Gemeinden und deren Indifferentismus sowie den internen pädagogischen Meinungsverschiedenheiten. De Leva äußerte gegenüber den Direktoren in einem apologetischen Ton seine tiefsten Sorgen hinsichtlich der Zukunft dieser bedeutsamen Anstalt. Dabei pries er das Collegio nicht nur als Rabbinerseminar, sondern auch als bedeutsames und attraktives Zentrum jüdischer Kultur: Das Seminar ist darüber hinaus ein Zentrum der Kultur, das – gegen alle Vorurteile kämpfend – zur moralischen Erhebung italienischer Juden gegenüber ihren Mitbürgern beigetragen hat. Es ist eine wissenschaftliche Institution, in der Jugendliche mit Vorkenntnissen über den wichtigsten Teil der Geschichte, der Philosophie und der Literatur unterrichtet wurden. Es dünnte die Finsternis der mittelalterlichen Zeiten aus und erwies sich als hilfreiche Stütze für das Studium der orientalischen Sprachen. Das Institut leistete und leistet immer noch seinen Beitrag zur modernen Zivilisation.¹⁴⁸
De Leva war davon überzeugt, dass mit einer möglichen Schließung des Collegio Rabbinico zugleich auch das Fortbestehen der jüdischen Wissenschaft und Kultur sowie die Förderung der Zivilgesellschaft auf der italienischen Halbinsel bedroht seien,¹⁴⁹ da die Institution auch für die gesamte italienische Nation eine entscheidende Rolle spiele.¹⁵⁰ Daraus wird erkennbar, dass dem Collegio eine Schlüsselrolle bei der Etablierung und Stärkung nicht nur der jüdischen Identität, sondern der italienischen Identität überhaupt zuerkannt wurde. Mit seinem Beitrag zum Fortschritt der historischen, philologischen, bibelexegetischen und literarischen Disziplinen auf akademischem Niveau sei das Collegio der italienischen Nation allgemein nützlich gewesen. Deswegen galten sein guter Zustand und sein Fortbestehen als entscheidend sowohl für das Wohlbefinden des ita-
Studien und dem Studium der Geschichte. Er war Autor einer mehrbändigen Geschichte zum Thema „Karl V. und die Wechselbeziehung mit Italien“. [Übers. d.Verf.] („Esso è altresì un centro di coltura che combattendo virilmente ogni avanzo di vecchi pregiudizii, concorse a rialzare gli Israeliti nella considerazione dei loro concittadini; è un Istituto scientifico nel quale a giovani già preparati agli Studj superiori, si insegna quella parte importantissima di Storia, di Filosofia, di Letteratura che contribuì grandemente a diradare le tenebre del Medio Evo, servì d’introduzione allo Studio delle lingue Orientali, ha esercitato ed esercita tuttora somma efficacia a civiltà moderna“). Curiel, L’Istituto Rabbinico di Padova, 268. Ebd. „È si forte in me il convincimento, che la cessazione di questo Istituto non solo tornerebbe in danno degl’Israeliti italiani e della scienza, ma si dovrebbe anche avere in conto di deplorabile regresso e di disdoro per l’intera nazione, che non oserei tampoco dubitare del concorso di chiunque sente per la civiltà a conservare e rinvigorire l’Istituto medesimo.“ Ebd.
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lienischen Judentums als auch das der gesamten italienischen Nation, zu der auch die Italiener israelitischen Glaubens gehörten. So erklärte sich das Interesse vonseiten De Levas, das Collegio Rabbinico aufrechtzuerhalten. Dennoch wurde es nicht zum Zentrum der jüdischen Studien und der Wissenschaft in Italien für alle italienischen Gemeinden. Es war utopisch, zu denken, dass es nach der Gründung des italienischen Königreichs zu einheitlichen, allgemeingültigen wissenschaftlichen Methoden sowie zu einer gemeinsamen Herangehensweise an das Studium und die Forschung der jüdischen Geschichte sowie der biblischen und rabbinischen Literatur kommen könne. So unterschiedlich und vielfältig die Traditionen, Methoden und Ansätze innerhalb des italienischen Judentums waren, so zahlreich waren auch die Möglichkeiten jüdischer Forscher und Gelehrter in Italien, die wissenschaftlichen Forschungen, Wissenschaftsinstitutionen, Wertvorstellungen zu bestimmen. Utopisch war es nicht zuletzt, zu denken, dass diese unterschiedlichen jüdischen Traditionen, von den piemontesischen Gelehrtenkreisen bis zu den Gelehrtenkreisen der Toskana und vor allem Livorno,¹⁵¹ sich dazu bereit erklären könnten, eine Institution wie das Collegio Rabbinico von Padua weiter zu schützen und zu unterstützen. Für jene Gemeinden kam es nicht infrage, eine Institution, in der sich viele Seelen des italienischen Judentums nicht wiedererkennen konnten, um jeden Preis zu retten. Diese unterschiedlichen Seelen des italienischen Judentums nahmen schließlich politisch und ideologisch völlig unterschiedliche Formen an, die in ihrer Suche, den zeitgenössischen Denkweisen und modernen kritischen Standards sowie einer neuen jüdischen Religiosität und der jüdischen Tradition reibungslose Kontinuität und Einheitlichkeit zu gewährleisten, nicht miteinander kompatibel waren.
Fazit Das Collegio Rabbinico wies zwei parallele Elemente auf: einerseits das wissenschaftlich-theologische, andererseits das seelsorgerische und kollegiale. Es zeichnete sich durch einen ausgeprägten wissenschaftlichen und akademischen Charakter aus, insofern es als Ort der Kritik, als Ort der Vertiefung, aber auch als Ort der Autorität, der Ordnung und Disziplin fungierte. Seine kollegiale Atmosphäre verbunden mit den theologischen Disziplinen machten das Collegio Rabbinico lange Zeit zu einem Experiment im Bereich jüdischer Bildung, zu einem einzigartigen jüdisch-theologischen Lehrstuhl, der auf eine Synthese von Forschung, Erziehung, Modernisierung und Sozialisierung zielte.
Vgl. Facchini, David Castelli, 152– 153.
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Auch wenn die Rabbinatstudenten meistens einen Frontalunterricht geboten bekamen, wurden sie zugleich mit neuen kritischen Fassungen und Editionen von Texten vertraut gemacht und zur selbstständigen Analyse angehalten. Der Unterricht am Collegio war jedoch von der Persönlichkeit, vom religiösen Verständnis und den theologischen Vorstellungen der Dozenten Luzzatto und Della Torre und deren Theorien geprägt. In Bezug auf die Unterrichtsstunden mit den Rabbinatsstudenten handelte es sich um ein frühes Entwicklungsstadium einer wissenschaftlichen Nachwuchsgemeinschaft im modernen Sinne, diejenige, die sich in Padua ausformte und als akademisch anspruchsvoller Adressat die geschichtlichen Theorien und die theologischen Überlegungen Luzzattos und dessen pädagogische Ziele wahrnahm und diskutierte. Zwar handelte es sich um eine außeruniversitäre Einrichtung, doch sie war bestrebt, universitäre Forschung zu betreiben, auch wenn ihre Leiter und Direktoren sich – im Gegensatz zu den deutsch-jüdischen Kollegen und Repräsentanten der Wissenschaft des Judentums wie Abraham Geiger, Leopold Zunz, Ludwig Philippson – nicht um die Anerkennung innerhalb der Universität bemühten. Dabei hatte man mit dem Collegio Rabbinico keine Alternative, keinen Ersatz für die verweigerte Integration in die staatlichen Universitäten gesucht, wie im Fall des Jüdisch-Theologischen Seminars in Breslau (1854) und der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums (1872) in Berlin. Vor Mitte der 1850er-Jahre gab es weder Genehmigung noch Förderung oder Unterstützung von deutschen Behörden oder Institutionen für die Gründung einer rabbinischen Anstalt. In den deutschen Territorien ging der Gründung der Seminare und Hochschulen zur Ausbildung der Rabbiner eine Theoretisierung, d. h. eine vorangehende theoretische Auseinandersetzung über die Figur des jüdischen Geistlichen im 19. Jahrhundert, voraus. Die Diskussion, die sich Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts im Bereich des deutschen Judentums entwickelte, setzte die Konzeption einer neuen ausgebildeten Figur voraus, die sowohl im innerjüdischen als auch im außerjüdischen Diskurs neue Selbstbestimmung suchte. Schon Anfang und Mitte der 1830er-Jahre erfuhr die Debatte um die Tätigkeit der Rabbiner und deren Ausbildung eine große Aufmerksamkeit in der deutsch-jüdischen Presse – jedoch ohne eine existierende rabbinische Ausbildungsstätte. In Italien, gerade in den nordöstlichen Gebieten, wurde eine Institutionalisierung, Standardisierung und Uniformierung der Ausbildung der Rabbiner sowie ihrer Aufgaben und Pflichten in erster Linie durch die Befürwortung einer Regierung, d. h. durch eine christliche Behörde, offiziell sanktioniert. Diese Institutionalisierung und Anpassung der rabbinischen Studien an bestimmte moderne säkulare Kategorien, die bereits in den 1820er-Jahren angefangen hatte, setzte erst ab Mitte der 1850er- und in den 1860er-Jahren eine hitzige Debatte über die Aufgaben des Rabbiners in Gang. Die Debatte auf italienisch-jüdischer Seite ver-
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schärfte sich erst einige Jahre nach der Gründung der ersten jüdisch-publizistischen Organe. In Italien verlief die Debatte also anders, insofern eine moderne theologische Institution zur höheren Ausbildung der Rabbiner bereits seit Jahrzehnten eine führende Klasse von Oberrabbinern und gewandten Religionslehrern ausbildete. Auf italienisch-jüdischer Seite erfolgte deshalb die Debatte über die Rolle, die Aufgabe und das Gewicht der neuen Rabbiner und über die Probleme der rabbinischen Führung innerhalb der italienischen Gemeinden eher in Gestalt einer kritischen Bilanz. Dies erfolgte ab der Mitte der 1850er- und in den 1860er-/70erJahren, als die ehemaligen Rabbinatskandidaten am Collegio bereits seit Jahrzehnten in den italienischen Gemeinden tätig waren. Dies fiel in eine Zeit interner Konflikte und finanzieller Schwierigkeiten am Collegio. Die Krise des Collegio Rabbinico in den 1850er- und 60er-Jahren führte zeitgleich zu einer neuen, offenen Haltung, die jene ursprüngliche ideologische Vorsicht und Abneigung gegenüber deutsch-jüdischen Forschungsresultaten und gegenüber deutsch-jüdischen Modellen nicht mehr akzeptierte. Erst ab den 1860er-Jahren war diese Haltung bei vielen italienisch-jüdischen Forschern nicht mehr festzustellen.
Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen – Ausgangspunkte und Berührungspunkte Seit Moses Mendelssohn und seiner Definition von jüdischer Religion im 18. Jahrhundert stellten sich jüdische Denker Fragen über das Wesen und das Verhältnis zwischen Vernunft und Religion, zwischen jüdischer Religion und Volk, Gesetz und Glaube – und nicht zuletzt zwischen Wissenschaft und Glauben. Diese Fragen, die unterschiedliche Perspektiven der jüdischen Selbstreflexion im Zeitalter der Emanzipation im 19. Jahrhundert eröffneten, wurden von Gelehrten unterschiedlicher Ausrichtungen der Wissenschaft des Judentums erörtert.¹ Die Konturen eines neuen jüdischen Wissenschaftskonzeptes, einer „jüdischen“ Theologie und Literatur, wurden im 19. Jahrhundert von Gelehrten unterschiedlicher Tendenzen im Judentum auf deutsch-jüdischer Seite festgelegt und diskutiert. Man strebte nach Definition und Systematisierung der jüdischen Studien und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Untersuchungsbereiche der jüdischen Theologie sowie der jüdischen Geschichte und Literatur in ihrem ganzen Umfang festzulegen. Die Gestaltung und Ordnung von jüdischem Wissen und die Modi der wissenschaftlichen Annäherung jüdischer Intellektueller und deren Umgang mit der eigenen Tradition und religiösen Identität sowie die Antworten, die damals auf deutsch- und italienisch-jüdischer Seite entstanden, werden in diesem Kapitel in Beziehung zueinander gesetzt, um die Eigentümlichkeiten der wissenschaftlichen Reflexion und des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses zu erkunden, die im Judentum vor allem im Italien des 19. Jahrhunderts zu neuen Selbstdefinitionen führten. Es geht der Frage nach, wie vor allem italienisch-jüdische Gelehrte in unterschiedlichen Kontexten die jüdischen Disziplinen konzipierten, definierten und umsetzten und was den jüdischen Wissenschaftsdiskurs in Italien prägte. Die programmatischen Schriften von Leopold Zunz und die Systematisierung in Vorlesungen mit den Werken Samuel David Luzzattos am Collegio Rabbinico und mit Abraham Geigers Vorlesungen vor jüdischen Studenten in Breslau weisen darauf hin, dass diese Gelehrten eine Definition und erkennbare Untersu-
A. Gotzmann, Eigenheit und Einheit. Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums in der Emanzipationszeit, Leiden 2002; K. E. Grözinger, Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik. Bd. 3, Von der Religionskritik der Renaissance zu Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2009, 476. https://doi.org/10.1515/9783110768558-008
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chungsfelder der jüdischen Wissenschaft, der jüdischen Theologie sowie der jüdischen Literatur und Geschichte anstrebten. Bibel und Wissenschaft, Wissen im Kampf gegen den Glauben, jüdische Religion und Fortschritt, profane Wissenschaft im Spannungsverhältnis mit einer „heiligen Wissenschaft“ sowie das Bestehen und Fortbestehen der Wissenschaft „im Judentum“² wurden Themen, die Forscher in Artikeln, Abhandlungen und in Vorlesungen im Laufe des 19. Jahrhunderts auf beiden Seiten gründlich erörterten.³ Besondere Aufmerksamkeit schenkt dieses Kapitel zunächst der Klarstellung der Existenz einer „jüdischen Theologie“ sowie einer spezialisierten jüdischen Wissenschaft und deren Umfang. Hier werden die wichtigsten Deutungen ausgewählter deutsch-jüdischer und italienisch-jüdischer Akteure dieser Zeit sowie deren Herangehensweise und Positionierung im wissenschaftlichen Diskurs der Epoche dargestellt. Nach der Feststellung in den vorigen Kapiteln, dass eine dogmatische und eine Moraltheologie am Collegio Rabbinico in Padua ausschließlich der Ausbildung von jüdischen Geistlichen und jüdischen Religionslehrern diente, gilt es nun zu fragen, ob und inwiefern sich dies von der deutschjüdischen Situation unterschied. Welche Stellung und Bedeutung nahm die theologische Ausrichtung für jene rabbinische Gelehrsamkeit ein, die sich im besonderen Fall am Collegio Rabbinico ausgebildet hatte? Diese Fragen versucht das Kapitel anhand unterschiedlicher Primärquellen (u. a. anhand von Briefen, Artikeln und Aufsätzen der hier ausgewählten Akteure) zu beantworten. Der Schwerpunkt liegt jedoch zuerst auf dem Judentumsverständnis Samuel David Luzzattos, das in Briefwechseln und Beiträgen der jüdisch-wissenschaftlichen Presse ausführlich erörtert und verteidigt wurde. Hier wird die Untersuchung auf ein erstes Theologiekonzept Luzzattos aufmerksam machen und sodann dessen Fortentwicklung nachgehen. Die Triebkräfte der Konzeption einer jüdischen Theologie für Reformrabbiner Abraham Geiger und einer israelitischen Theologie für Samuel David Luzzatto werden in diesem Kapitel in Beziehung gesetzt.
L. Della Torre, „Della necessità di congiungere i filosofici studii ai teologici. Discorso letto nell’oratorio di rito tedesco il dì 10 novembre 1829 per l’inaugurazione dell’istituto convitto rabbinico.“ In ders. (Hg.), Cinque Discorsi, 23 – 39: 29 – 30. Vgl. Meyer, Two Persistent Tensions within Wissenschaft des Judentums.
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5.1 Luzzattos Kontroversen um ein jüdisches Wissenschaftsverständnis Wenn Maimonides das Mosaische Gesetz nicht ruiniert hätte, indem er den jüdischen Vorschriften temporäre Bedeutung gab […]. Heute kann man aber nicht auf die Zeit vor dem Moré zurückkehren. Man kann nicht die Prinzipien Jehuda Halevis triumphieren lassen. Ich denke, dass ich etwas Gutes tue, indem ich die Weisheit der Mosaischen Lehre wie die Notwendigkeit der Zeremonien zeige, und einen nationalen Stolz gegen jegliche Form von Attizismus⁴ hervorhebe.⁵
In diesen Zeilen an den Gelehrten Isaak Samuel Reggio fasste Luzzatto 1839 sein Verständnis vom Judentum zusammen. Hier sind zentrale Themen aufzufinden, die sich als Katalysatoren der Diskussionen und Debatten um das Religionsverständnis der Moderne für viele jüdische Gelehrte im 19. Jahrhundert erwiesen. Die Definition, der Umfang und die Autorität des jüdischen Gesetzessystems sowie das Verständnis von jüdischer Tradition und Erbe wurden von jüdischen Gelehrten stetig in den Mittelpunkt von Auseinandersetzungen und Polemiken gestellt. Der Begriff der Thora selbst und dessen Übersetzungen als „Gesetz“, „jüdischer Kanon“ oder „Einheit der Gebote“ rückte nicht nur ins Zentrum akribischer innerjüdischer Debatten, sondern auch christlich-jüdischer Polemiken.⁶ Der Umgang mit dem jüdischen Gesetz und der Tradition unterlag im innerjüdischen Diskurs in den verschiedenen Epochen des Judentums im Wechsel weicheren oder härteren Definitionen. Im 19. Jahrhundert wurden Namen alter Bibelkommentatoren wie Saadia Gaon, Ibn Ezra, Raschi, Nachmanides und vor allem Moses Maimonides mit ihren exegetischen Systemen und ihrem Verständnis der biblischen und rabbinischen Autorität von jüdischen Autoren und Forschern wieder aufgegriffen und in Artikeln und Beiträgen jeweils als Stütze oder Zielscheiben für ihre Theorien des Judentums der Moderne verwendet. Für die Durchsetzung eines reinen Konzeptes
Luzzatto verwendete den Ausdruck in seinen Briefen und Werken, um die Einflüsse nichtisraelitischen Ursprungs im Judentum, vor allem der aristotelischen Philosophie, sowie das Vorziehen des Scheinbaren, Oberflächlichen zu betonen. Vgl. auch „Luzzatto an Abraham Lattes, Venedig, 12.02.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 182, 274. [Übers. d.Verf.] („Se il Maimonide non avesse rovinato l’edifizio mosaico col dare a tanti e tanti precetti motivi temporarii, […]. Ma in oggi fare non si può che il Moré non sia stampato, fare non si può più trionfare la cieca credenza del buon Giuda Levita, che le credeva scopo. Io credo fare abbastanza di bene, mostrando la saggezza della mosaica legislazione, la necessità delle cerimonie, il dovere di sempre osservarle; e alimentando lʼorgoglio nazionale, impugnando lʼAtticismo, e mostrando lʼimperfezione (morale almeno) d’ogni Filosofia alla greca.“) „Luzzatto an I. S. Reggio, Görz, (23.07.1839).“ Ebd., 194, 314– 315: 314– 315. Vgl. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 8.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
von der mosaischen Religion⁷ und gegen das aus seiner Sicht „Exotische“⁸ im Judentum kämpfte Luzzatto entschlossen sowohl in seinen Korrespondenzen als auch mittels seiner Publikationen. Mit „exotischen“ Elementen meinte er die arabischen Tendenzen und Einflüsse sowie die Philosophie „griechischer Art“, die aristotelische Philosophie, der sich Moses Maimonides in seinem Werk bedient hatte, um die biblischen Texte auszulegen und um die Dogmen und Grundsätze des Judentums festzulegen. Nicht zuletzt war Maimonides auch bestrebt, Prinzipien der rabbinischen Autorität zu verharmlosen. Luzzatto versuchte, den Fokus der Annäherung zum jüdischen exegetischen Korpus auf die Zeiten und auf die Gelehrten vor der Zeit von Maimonides zu legen. Die Zäsur, die Maimonides mit seiner Eingrenzung des gesetzgebenden Charakters der Thora verursacht hatte, bedeutete für viele Gelehrte wie Luzzatto einen nicht wiedergutzumachenden Riss desselben Systems. Luzzattos Kritik an Maimonides artikulierte sich in vielen veröffentlichten Briefen und Beiträgen. Diese stützte sich prinzipiell auf die Tatsache, dass Maimonides: […] durch blinde Anhänglichkeit an Aristoteles, – besonders in Betreff auf die Ewigkeit der Welt, – durch gewaltsame Interpretation der Schrift und des Thalmuds, durch Erhebung der philosophischen Spekulation zur religiösen Wichtigkeit, […] kurz durch Eintragung des fremden Geistes sich selbst getäuscht und irre geführt hat; sogar da, wo er das Judentum erläutern und reinigen und den wahren Geist darstellen will […], hat er häufig ihn entstellt und unkennbar gemacht. Das hat auf der einen Seite Unglauben, und auf der andern – als notwendige Reaktion – Fanatismus erzeugt; und heute ist die Aegide aller Freunde des Exotischen.⁹
Luzzatto wehrte sich – wie in dieser Replik an den Rabbiner Salomon Rosenthal aus Pest – gegen den von ihm definierten „Idol und Schutzgott der Rationalisten“¹⁰ und gegen all die Positionen jüdischer zeitgenössischer Gelehrter, die diesen Geist der Zeit – ähnlich wie Maimonides – ins Judentum hineintragen wollten. Dieses unwiderrufliche Urteil über den so radikalen Ansatz von Maimonides machte Luzzatto aus deutsch-jüdischer Perspektive zu einem besonders anfechtbaren Gelehrten, einem „Obskurantisten“ sowie einem „orthodoxen Fa-
In den Briefen verwendete Luzzatto den Begriff „Mosaismus“, um auf das Judentum der Zeiten Moses hinzuweisen; vgl. „Luzzatto an Almeda, Triest, 06.03.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 185, 280 – 294: 290 – 291. „Luzzatto an S. Rosenthal, Pest, (13.08.1839).“ Ebd., 199, Index 225, 319 – 323. Der Brief wurde in den Israelitischen Annalen von Jost in den Nummern 50, 396 – 397 und 51, 404– 405 im selben Jahre veröffentlicht. Vgl. dazu Luzzatto, Brief über einen literarischen Angriff, von S. D. L. an I. S. R. (20.12.1839), 405. Ebd. Ebd.
5.1 Luzzattos Kontroversen um ein jüdisches Wissenschaftsverständnis
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natiker“.¹¹ Die Kritik Luzzattos an Maimonides verursachte unmittelbare publizistische Reaktionen von jüdischen Gelehrten. In der jüdischen Presse wurden im Jahre 1840 die unterschiedlichen Positionen von Salomon Rosenthal und Samuel David Luzzatto gegenübergestellt.¹² In seiner Argumentation versuchte Rosenthal anhand von Passagen aus dem More, Maimonides nicht als blinden Nachahmer Aristoteles zu präsentieren. Die Überzeugung Luzzattos, Maimonides habe die Darstellung von der Ewigkeit der Welt von dem griechischen Philosophen als Wahrheit übernommen, wurde mithilfe von Stellen im More stark bestritten. Das Argument Luzzattos, Maimonides habe eine starke Reduzierung der Autorität des jüdischen Gesetzkorpus, d. h. der Thora, angestrebt und zudem gewaltsame Interpretationen der Schrift und des Talmuds unternommen, wurden von Rosenthal heftig bestritten. Schließlich machte Rosenthal seine eigene Position zu Maimonides deutlich. Laut dieser damals weit verbreiteten Meinung war Maimonides bestrebt, „nur das alte gründlich zu renovieren und zu läutern sowohl in theologischen als talmudischen Gegenständen.“¹³ Dies lässt sich nur als ein Beispiel unter den vielen Kontroversen und Polemiken verstehen, die Luzzatto und mehrere deutschsprachige Gelehrte führten. Luzzatto hatte sich seit Ende der 1830erJahre und in den 1840er-Jahren besonders bemüht, dem deutsch-jüdischen Lesepublikum sein Judentumsverständnis sowie seine Vorstellungen der jüdischen Disziplinen, vor allem der jüdischen Literatur und der Bibelexegese, bekannt zu machen. Das Judentum, so Luzzatto, konnte sich „nicht als Wissenschaft, sondern als praktische Disziplin durch seine moralischen Wirkungen, in Anregung der Naturgefühle […]“¹⁴ definieren. Luzzattos Thesen und Vorstellungen mit Blick auf Maimonides sowie auf den Spinozismus hatten, wie er selbst gestand, rasche Reaktionen und teilweise empörte Kritik hervorgerufen, vor allem von deutsch-jüdischer Seite.¹⁵ Nach Ansicht Luzzattos hatten vor Maimonides während der Zeit von Gelehrten wie Saadia
„Luzzatto an F. Lebrecht, Berlin, (20.08.1845).“ In Epistolario italiano, francese, latino, 281, Index 535, 463 – 466: 463. Ende des Jahres 1839 fand Rosenthal in den Nummern 50 und 51 der Israelitischen Annalen von Jost die Korrespondenz zwischen ihm und Luzzatto publiziert. Rosenthals Verteidigung gegen den Aufsatz Luzzattos wurde von dem Herausgeber Fürst in dem achten Heft des Orients im Jahre 1840 veröffentlicht. Rosenthal, Replik gegen den Aufsatz „Brief über einen literarischen Angriff von S. D. Luzzatto“ (22.02.1840). Ebd., 128. Luzzatto, Brief über einen literarischen Angriff, von S. D. L. an I. S. R. (20.12.1839), 404. Luzzattos Äußerungen lösten eine Reaktion des Herausgebers Isaak Markus Jost aus, der in den Israelitischen Annalen die Positionen Luzzattos in einer Reihe von pointierten religionsphilosophischen Beiträgen in den 1840er-Jahren aus seinen Briefwechseln vor allem mit Isaak Samuel Reggio veröffentlicht hatte.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
Gaon, Jehuda Halevi „Theologie und Philosophie einander weder den Abschied gegeben, noch eifersüchtig angesehen“.¹⁶ So wurden laut Luzzatto die philosophischen Studien von jenen Gelehrten nie verurteilt, wenn ihretwegen die rabbinischen Studien vernachlässigt wurden. Nach Maimonides wurde im Gegenteil, laut Luzzatto, die Philosophie verabscheut und die Freiheit des Denkens verpönt, und die Rabbiner wurden zu blinden Nachfolgern ihrer Vorgänger. „Vernunft galt nicht mehr, sondern nur die Autorität.“¹⁷ Philosophie und Religion hatten sich, so Luzzatto, gegenseitig den Krieg erklärt, und er zweifelte an einer Versöhnung der beiden.¹⁸ Der italienisch-jüdische Gelehrte plädierte für eine deutliche Trennlinie sowie eine klare Unterscheidung zwischen Religion und Philosophie.¹⁹ Er sehnte sich nach einer Zeit, in der „die Kenntnis anderweitiger Wissenschaften und Schriften den Rabbinern damals in der öffentlichen Meinung keinen Abbruch tat“.²⁰ Er bezog sich auf die Einstellung jener jüdischer Gelehrten und Philosophen zu den „humanistischen Wissenschaften“, die vor Maimonides gewirkt hatten, so z. B. Saadia Gaon, Jehuda Halevi oder Avraham Ibn Daud Halevi (1110 – 1180).²¹ Anfänglich blieb Luzzatto einer eher mittelalterlichen Einstellung jüdischer Gelehrter zu den profanen Wissenschaften treu, insofern er bei seiner früheren Annäherung an die Philosophie eher die praktischen Philosophen hervorhob, während er die theoretischen Philosophen ablehnte.²² In den 1820erJahren war bei Luzzatto in vielen seiner Korrespondenzen vor allem die aristotelische Philosophie Zielscheibe seiner hartnäckigen Kritik, sie sei ein Spiegel aller Vorurteile, irreführender theoretischer Wissensannäherungen und exegetischer Theorien. Stattdessen hob Luzzatto neben der gründlichen Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants das Studium der Naturwissenschaften und Astronomie von Philosophen wie Claude Guillermet de Bérigard, Pierre Gassendi, Galileo Galilei im 16. Jahrhundert hervor.²³ Diese Gelehrten hätten, so Luzzatto, die
S. D. Luzzatto, „Literarische und historische Controversen, Schreiben von S. D. L. in P. vom 8. Juli“ Israelitische Annalen 2 (28.08.1840), 35, 296 – 297: 296. Ebd. „Luzzatto an Reggio, Görz, 27.07.1820.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 5, Index N. 22, 7– 9: 8. Ebd. Luzzatto, Literarische und historische Controversen, Schreiben von S. D. L. in P. vom 8. Juli (28.08.1840), 296. Ebd. Vgl. G. Veltri, „Jüdische Einstellung zu den Wissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert. Das Prinzip der praktisch-empirischen Anwendbarkeit.“ In G. Biegel und M. Graetz (Hg.), Judentum zwischen Tradition und Moderne, Heidelberg 2002, 149 – 159: 150 – 152. „Luzzatto an Reggio, Görz, 26.07.1820.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 5, Index 22, 7– 9: 8.
5.1 Luzzattos Kontroversen um ein jüdisches Wissenschaftsverständnis
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Grundlagen und die Infrastruktur eines ursprünglichen, glaubwürdigen philosophischen Systems geschaffen.²⁴ Diese Wissenschaftler wurden von Luzzatto als wahre Philosophen verstanden und immer wieder in die Diskussionen und Argumentationen mit seinen Gegnern miteinbezogen.²⁵ Diese Vorstellung modifizierte sich aber im Laufe der Jahrzehnte. Luzzatto lehnte die Beschäftigung mit der Philosophie und anderen Wissenschaften nie ab, wie die grundlegende Beschäftigung mit Konzepten der Ethik und der Metaphysik der Philosophen des 17. Jahrhunderts und der Aufklärung belegen. Er strebte allerdings – so wie die obenerwähnten jüdischen Philosophen – nach einer Annäherung an die Philosophie, die den Menschen nicht von der jüdischen Religion wegführte, sondern im Gegenteil nach einer Philosophie, die den Glauben und die Religion festigte. Er sehnte sich nach einer Beschäftigung jüdischer Gelehrter mit der israelitischen Literatur, die sich von arabischen Einflüssen sowie von Einflüssen der griechischen Philosophie befreit und alle Fehler und irrtümlichen Stellen nichtisraelitischen Ursprungs erkannt hätte.²⁶ Mit dieser Aussage meinte Luzzatto indirekt das philosophische Denken Ibn Ezras’ und Maimonides’. Deshalb plädierte er dafür, „Fehler nicht israelitischen Ursprungs“ aufzuheben und zum „Einheimischen“ im Judentum zurückzukehren, das es über das „Exotische“ zu stellen galt.²⁷ Das Judentum brauchte für Luzzatto dagegen eine innerliche autonome Erläuterung, ohne externe Einflüsse. Luzzatto wollte mit seinen Artikeln und Beiträgen vor allem für die deutsch-jüdische Presse die Überlegenheit der französischen Schule Raschis über die arabische Schule Ibn Ezras,²⁸ vor allem aber den Vorzug der rabbinischen Gelehrsamkeit vor Moses Maimonides zeigen. Einerseits war Luzzatto bewusst, dass er unter dem deutsch-jüdischen Publikum keine große Zustimmung finden konnte. Andererseits war ihm klar, dass er einen solch intensiven philosophischen Gedankenaustausch sowie eine besondere intellektuelle Geistesschärfe in der Rezeption seiner Schriften und seines Verständnisses des Judentums nur durch das deutsch-jüdische Publikum erhalten konnte. Dies hängt damit zusammen, dass seine Artikel und Äußerungen für die Öffentlichkeit immer in Form von Repliken, Erläuterungen, Streitschriften und
Ebd. Vgl. die Polemik mit Rosenthal und die Worte am Ende des letzten Beitrags Luzzattos, in dem Namen wie Bacon, Kopernikus, Pascal, Locke, Newton genannt werden; vgl. Luzzatto, Brief über einen literarischen Angriff, von S. D. L. an I. S. R. (20.12.1839), 404. Luzzatto, Literarische und historische Controversen, Schreiben von S. D. L. in P. vom 8. Juli (28.08.1840), 296. Ebd. Vgl. „Luzzatto an Reggio, Görz, 06.12.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 211, Index 252, 335 – 344.
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auch als Apologetiken seiner exegetischen Forschungen und religionsphilosophischen Thesen zu Maimonides erschienen. In seinen privaten Briefwechseln mit seinem engen Freundeskreis brachte Luzzatto neben seinem Judentumsverständnis auch seine ersten Überlegungen über ein Theologiekonzept zur Sprache, die jedoch noch provisorischen Charakter hatten. Seine transzendentale natürliche Theologie,²⁹ die kantianischen Ursprungs war, wurde als Konzept jenseits aller Kategorien konzipiert, in dem keine Idee vom Fortschritt vorhanden war. Als Fortschritt wünschte sich Luzzatto vielmehr eine vorwärts gerichtete Bewegung von innen heraus.³⁰
5.2 Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in Breslau – der Weg zum Theologiekonzept Den externen Impuls zur Etablierung eines höheren rabbinisch-theologischen Studiums in der Habsburgischen Monarchie hatte Isaak Samuel Reggio 1822 in einen innerjüdischen Aufruf für die Verbesserung der Bildung der gesamten jüdischen Bevölkerung Lombardo-Venetiens umgewandelt. Reggio hatte die Fächer für einen corso di studi teologici entworfen, d. h. einen theologischen Lehrgang für die Ausbildung der Rabbiner. Seine Auffassung von den Disziplinen und Kenntnisse, die bei Rabbinern nicht fehlen durften, hatte Gemeinsamkeiten mit der programmatischen Aufzählung der Fächer bei Leopold Zunz in der Schrift Etwas über die rabbinische Literatur aus dem Jahre 1818. Zunz’ Konzeption der Wissenschaft des Judentums als strukturiertes System mit verschiedenen Fächern, die miteinander verknüpft und aufeinander bezogen waren,³¹ war Reggio offenbar bekannt. Zunz erwähnte in seinem Aufsatz die Theologie neben einer Reihe von anderen Fächern wie Jurisprudenz, Ethik, Naturwissenschaften, Geografie, Mathematik, Astronomie, Physik und Medizin. Er maß aber der Philosophie eine vorrangige Stellung zu, die so Zunz, „über all diese Räume der Wissenschaft, über den ganzen Tummelplatz menschlicher Tätigkeit herrschte.“³² Ganz im Gegenteil
Vgl. „Luzzatto an Reggio, Görz, 11.11.1832.“ In ebd., 166 – 167: 167. In dem Brief teilte Luzzatto Reggio mit, er denke über ein neues Konzept von Theologie nach, das sich durch neue Einblicke und eine neue Methode auszeichnen sollte, die vollkommen unabhängig von metaphysischen Konzepten war. Meyer, Two Persistent Tensions within Wissenschaft des Judentums, 114. L. Zunz, Etwas über die rabbinische Literatur. Nebst Nachrichten über ein altes bis jetzt ungedrucktes hebräisches Werk, Berlin 1818, 1– 31: 7; vgl. auch Schäfer und Herrmann, Judaistik an der Freien Universität Berlin, 55. Zunz, Etwas über die rabbinische Literatur, 27.
5.2 Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in Breslau
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dazu hatten die Juden, laut Zunz, „ihr ganzes System der Theologie nie vollkommen und klar aufgebaut“.³³ Die Theologie sei ein von christlichen Theologen dominiertes Feld, in dem man die Sitten von der Liturgie und von den religiösen Grundsätzen nicht mehr unterscheiden konnte.³⁴ Reggio hatte, wie schon betont, neben dem Studium der Theologie, der Literatur und der Geschichte auch die Bedeutung des Studiums der Philosophie sowie der Naturwissenschaften hervorgehoben. Im Unterschied zu Zunz konzipierte er aber seine Richtlinien für eine höhere Lehranstalt für Rabbiner. Zunz’ Vorstellung einer Wissenschaft des Judentums bedurfte hingegen eines akademischen Rahmens, so wie er ihn in den Jahren 1815 – 1818 als Student an der Universität Berlin gefunden hatte. In Padua hatte Anfang des 19. Jahrhunderts wiederum die Theologie eine zentrale Stellung übernommen. Hier wurde der Begriff Theologie weder als problematisch noch als christlich geprägt wahrgenommen: Ganz im Gegenteil wurde den rabbinischen und theologischen Studien am Collegio Rabbinico eine besondere Bedeutung zugeschrieben. 1829 erklärte Della Torre in der Eröffnungsrede am Collegio Rabbinico nicht nur den Umfang und Aufgabenbestimmung seines Fachs, d. h. der sogenannten Materia tradizionale oder des Talmuds, sondern auch den Umfang und die Zielsetzung der Fächer, die sein Kollege Samuel David Luzzatto am Collegio übernommen hätte. Della Torre fasste die Zielsetzung der dogmatischen, der Ritual- und der Moraltheologie am Seminar zusammen.³⁵ Das Tätigkeitsfeld der Theologie, das sich im Wesentlichen mit den Dogmen der jüdischen Religion befasste,³⁶ lehnte sich unmittelbar an die katholische Theologie an, die sich mit Dogmen des katholischen Glaubens in ihrem theoretischen Charakter auseinandersetzte. Della Ebd., 7– 8. Ebd., 8. In Bezug auf die dogmatische Theologie formulierte Della Torre das Ziel wie folgt: „Die dogmatische Theologie soll Ungläubigkeit und Aberglauben abwehren, sie zeigt uns deutlich und gibt uns konkrete Beweise, dass wir als Menschen und als ganz besondere Nation glauben müssen, sie gibt uns unabwendbare Beweise der Heiligkeit der Schriften […]“ [Übers. d.Verf.] („La dommatica teologia coll’eterna e inestinguibil sua face sgombrando le tenebre della incredulità e della superstizione, chiaramente ci mostra e con mano ci fa toccare ciò che dobbiamo credere siccome uomini e siccome nazion peculiare, e con prove ineluttabili la divinità della Scrittura predicando […]“); L. Della Torre, „Prolusione agli studii di teologia rituale e pastorale scienza talmudica e sacra oratoria dell’Istituto Convitto Rabbinico letta il dì 23 Novembre 1829.“ In ders. (Hg.), Cinque Discorsi, 45 – 64: 48. Zumal sind „Dogmen“ im Judentum ohnehin eine moderne Konstruktion. Luzzatto erklärte in verschiedenen Briefen, wo diese im Judentum aufzufinden waren und wie man sie im Judentum verstand; vgl. den Brief „Luzzattos an Gabriel Trieste, den Direktor des Rabbinerseminars, 23.08. 1829.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 55, Index 61, 90 – 91; vgl. auch „Luzzatto an David Morpurgo Triest, 08.11.1837.“ In ebd., 154, Index 130, 226 – 232: 228 – 229.
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Torre erklärte auch das Profil der verwandten Themenfelder, d. h. der Moral- und Ritualtheologie. Die Moraltheologie ordnete die Pflichten der Juden an, läuterte sie und vollendete sie.³⁷ Die Ritualtheologie ihrerseits befasste sich mit dem mosaischen und Mündlichen Gesetz, das neben der schriftlichen Lehre der Bibel überliefert wurde.³⁸ Anfang der 1820er-Jahre, vor seiner Berufung ans Collegio Rabbinico von Padua, musste Luzzatto jedoch erkennen, dass weder die jüdische Theologie klare Konturen hatte noch die jüdischen Gelehrten über eine klare einheitliche Definition der Disziplin verfügten. 1820 schrieb er in einem Brief an Isaak Samuel Reggio,³⁹ dass noch immer ein einheitliches Konzept von jüdischer Theologie fehle. Nach Meinung Luzzattos hätte man idealerweise mit der Gründung der rabbinischen Ausbildungsstätte warten müssen, bis die Juden über eine einheitliche jüdische Theologie verfügten.⁴⁰ Er erklärte sich bereit, diesen Prozess der Vereinheitlichung der jüdischen Theologie voranzutreiben und zu unterstützen. Es gab zu dieser Zeit laut Luzzatto sehr viele Erscheinungsformen und divergierende Theorien über die jüdische Theologie.⁴¹ Seine eigene Position legte er folgendermaßen dar: „Unsere Theologie ist nicht für die Lehre geeignet. Es herrschen viel zu viele Meinungsunterschiede über entscheidende Punkte unter unseren Theologen, sodass der theologische Lehrstoff, den man am Collegio Rabbinico unterrichtet, abweichend erscheinen wird.“⁴² Am Collegio hatte Luzzatto 1832 nach den ersten drei Jahren seiner Tätigkeit als Professor u. a. seine Lezioni di storia giudaica, seine Geschichtsvorlesungen, seine Exegese des Pentateuch und des Propheten Jesaja sowie seine Lezioni di Teologia morale und Lezioni di Teologia dogmatica israelitica für die zukünftigen Rabbiner und Lehrer der italienisch-jüdischen Gemeinden entworfen.⁴³ Im Hinblick auf seine Vorle-
Della Torre, Prolusione agli studii di teologia rituale e pastorale scienza, 48. Ebd. „Luzzatto an Reggio, Görz, 26.07.1820.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 5, index 22, 7– 9. Vgl. den originellen Brief: „Forza è attendere che la nostra Teologia venga depurata, e che un uniforme modo di pensare venga quasi generalmente adottato, rapporto ai dogmi e ai riti: fa d’uopo aspettare finché abbia Israele una Teologia uniforme e al buon senso conforme; e nostra cura dev’essere frattanto di accelerare questo giorno di luce.“ Ebd., 7– 8. Ebd., 7. „La nostra teologia non è atta ancora a essere pubblicamente insegnata: Tante e tali sono le dissensioni che vigono fra i nostri Teologi sopra punti di non lieve momento, che a molti sembrerà eterodosso ciò che nel progettato Collegio s’insegnerà.“ Ebd. Die ersten 47 Paragrafen von Luzzattos Arbeit „Israelitische Moraltheologie“ wurden in der Rivista von Cesare Rovighi bereits 1846 veröffentlicht, vgl. Luzzatto, „Lezioni di Teologia morale israelitica del Prof. Luzzatto“ Rivista Israelitica 1 (Juni–Juli 1846), 6 – 7: 329 – 349; 8: 473 – 490.
5.2 Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in Breslau
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sungen der israelitischen Theologie hatte sich Luzzatto zunächst bei dem ersten Entwurf die Meinung einiger italienischer Freunde erfragt. Er schickte eine erste Konzeption sowie eine kommentierte Vorschau in Briefen u. a. an Isaak Samuel Reggio und an seinen Cousin Samuel Vita Lolli in Görz.⁴⁴ Dem Freund und Mentor Reggio teilte Luzzatto schon 1829 die ersten Vorstellungen seines Theologiekonzeptes und parallel die Zielsetzung des gesamten theologischen Werkes mit. Über die Grundlagen seiner Theologiekonzeption und die Struktur seines Werkes äußerte er sich wie folgt: Ich möchte, dass das Werk gut begründet und angeordnet, aber nicht schulisch, dass es philosophisch wird, aber ohne einen philosophischen Eindruck zu geben, religiös, heilig sogar, aber nicht zu finsterblickend, detailliert aber nicht minutiös, und schließlich, dass es wirklich national und jüdisch wirkt, ohne aber unduldsam noch nutzlos für einen nichtjüdischen Leser zu sein.⁴⁵
Bei Luzzatto, der sein theologisches Werk auch an ein jüdisches Fachpublikum adressierte, zeichnete sich, vor allem was die Moraltheologie anbelangte, ein Bestreben ab, den Studenten am Collegio eine besondere Idee der jüdischen Moral zu vermitteln und zudem die primäre Idee der jüdischen Religion aufzuzeigen. Dies bedeutete, so Luzzatto, die jüdische Religion in ihrem ursprünglichen Charakter, ihren Quellen, d. h. in den heiligen Schriften, vor allem der Bibel und den talmudischen Schriften, aufzusuchen. Darin stehe, dass sich das Judentum durch ein dezidiert soziales, barmherziges und höchst zivilisiertes Wesen auszeichne und daher als Vorbild gelten könne.⁴⁶ Für die Moraltheologie Luzzattos gewannen philosophische Überlegungen eine nicht unbedeutende Rolle. Er hatte sich eingehend mit Konzepten der Metaphysik, der Ethik und des natürlichen Rechts auseinandergesetzt⁴⁷ und zugleich Vorzüge und Nachteile der unterschiedlichen philosophischen Schulen und deren
Zu den Briefen Samuel David Luzzattos im Epistolario italiano, francese, latino, die 1832 Samuel Vita Lolli zugesandt wurden, vgl. 03.05.1832, 96; 04.05.1832, 97; 25.05.1832, 98: 152– 159. In den Briefen an Lolli fasste Luzzatto die Aufgaben u. a. der dogmatischen Theologie zusammen. Für den originalen Brief vgl. „Luzzatto an Reggio, Görz, 18.01.1829.“ In ebd., 388, 66 – 67: 66. „Vorrei che l’opera riuscisse ragionata e rettamente sistemata, e non però scolastica; che fosse filosofica, e però non ne avesse l’aria; fosse religiosa, anzi santa e però non ne avesse l’accigliato aspetto; fosse dettagliata e non però minuziosa; e finalmente fosse veramente nazionale e israelitica, e non però intollerante, né inutile, né spregevole per un lettore non israelita.“ S. D. Luzzatto, Lezioni di Teologia morale israelitica, Padova 1862, IV. Dies bestätigen auch die zahlreichen philosophischen Notizen und Überlegungen, die Luzzatto u. a. im Heft „Taccuino antropologico“ niedergeschrieben hatte. Diese Primärquelle befindet sich im Centro Bibliografico Tullia Zevi in Rom, Fondo Samuel David Luzzatto, bb:17, Miszellen 2, XVII, 4461.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
wichtigster Vertreter des 16. bis 18. Jahrhunderts wie z. B. Gottfried Wilhelm Leibniz, David Hume, John Locke, Francis Bacon, Richard Cumberland und Hugo Grotius analysiert. In seinen Überlegungen bediente sich Luzzatto auch des Wissens der Encyclopédistes und insbesondere Louis de Jaucourts (1704– 1779) und dessen Auffassung von pitié, wie er selbst in dem Vorwort seiner Moraltheologie erklärte.⁴⁸ Einen bedeutsamen philosophischen Bezugspunkt hatte er schon in dem christlichen Denker und Erzieher Francesco Soave (1743 – 1806) gefunden, der mit seinen Trattato elementare dei doveri dell’uomo (1809) und mit seinen Novelle Morali (1812) während der Jugendjahre großen Einfluss auf den damals jungen Autodidakten in Triest ausgeübt hatte. Darüber hinaus ermöglichten es die Werke des christlichen Theologen Soave, die unter dem Titel Istituzioni di Logica, Metafisica e Etica 1791 herausgegeben wurden,⁴⁹ dem jungen Luzzatto, noch weitere philosophische Denker zu entdecken.⁵⁰ Soaves moralisches Verständnis und seine philosophische Theologie, die für ein dezidiert christliches Publikum konzipiert wurden, gewannen für Luzzatto eine große Bedeutung. Er setzte sich in jenen Jahren intensiv mit den Grundgedanken der katholischen Moral und katholischen Glaubenserkenntnissen auseinander. Allein die Wahl der Bezeichnungen einer dogmatischen Theologie und einer Moraltheologie lässt einen klaren Einfluss der katholischen Theologie auf seine Schriften erkennen. Den Kern von Luzzattos Argumentation sowohl in der Moraltheologie als auch in der dogmatischen Theologie bildeten aber die Bibel und der Talmud. Es waren die Stimmen der Propheten, der Talmudisten und der Texte der Mischna, die in den Vorlesungen diskutiert, analysiert und als Beispiel genommen wurden. In seiner dogmatischen Theologie setzte sich der italienischjüdische Gelehrte mit der Schriftauslegung der Bibel und prinzipiell mit der Auslegung auseinander, die im Moré von Moses Maimonides vertreten wurde. Luzzatto bezog sich für seine Argumentation oft auf die religionsphilosophischen Vorstellungen von Maimonides, die er einer strengen Kritik unterzog. Er setzte sich mit den Kernfragen der Existenz Gottes, der Allmacht Gottes, den Wundergeschichten und der Offenbarung auseinander. Im Gegensatz zu Geiger, der eine Relativierung der Figur Moses vorgenommen hatte, spielte bei Luzzatto Moses’ Prophezeiung und deren Rolle für die Offenbarungslehre eine zentrale Rolle.
Luzzatto, Lezioni di Teologia morale israelitica, VII. F. Soave, Istituzioni di Logica, Metafisica ed Etica, Venezia 1791. Soave hatte sich auch einer Geschichte des jüdischen Volkes gewidmet, diese erschien nach dem Tod des Autors in Venedig, 1829 unter dem Titel „Storia del popolo ebreo“. Abgesehen von seiner Vorrede zur Moraltheologie teilte Luzzatto auch in seiner Autobiografie mit, sich mit den Werken von Philosophen wie Condillac und Locke vertieft zu haben. Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 60.
5.2 Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in Breslau
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Unter dem Konzept einer israelitischen Theologie verstand Luzzatto in erster Linie die Aufgabe, die Stoffmasse der Texte der jüdischen religiösen Tradition zu ordnen.⁵¹ Die Wahl des Begriffs einer israelitischen Theologie markierte noch stärker die epistemologische Differenz zwischen dem italienischen Gelehrten und dem deutschen Reformrabbiner Geiger in Breslau, der sich ganz bewusst weder für eine israelitische noch für eine mosaische Religion oder Theologie entschlossen hatte.⁵² In seiner Theologie versuchte Luzzatto seinerseits, eine enge Verbindung zwischen Verstand und jüdischer Religion zu schaffen und eine Kontinuität zwischen Verstand und „Mosaismus“⁵³ nachzuweisen. Dieses Vorhaben setzte zugleich ein besonders volkstümliches, nationales Gepräge seiner Theologiekonzeption voraus. Luzzattos Theologiekonzept stützte sich aber auch auf einen ethischen und stark sozialen Charakter des Judentums und zeichnete sich weniger durch einen wissenschaftlich-systematischen Anspruch denn durch einen Akzent auf der philanthropischen Dimension aus, die Luzzatto in seinen Lezioni mithilfe der biblischen Schriften und der talmudischen Tradition rekonstruieren wollte.⁵⁴ Luzzatto unterstützte die Idee einer wohltätigen Religion, die ihren ursprünglichen humanitären Charakter in den heiligen Schriften offenbarte. Er war überzeugt, das Judentum habe keinen wissenschaftlichen Charakter, es sei vielmehr als konkrete Glaubenslehre zu verstehen, d. h. als eine nachvollziehbare und religiös-moralische Glaubenslehre, bei der der praktische Charakter als fundamental gelten müsse.⁵⁵ Das Religionsverständnis Abraham Geigers stützte sich hingegen nicht auf ein exklusiv jüdisches Phänomen. An die Stelle von Religion setzte er ein Konzept von religiöser Identität, und das war aus seiner Sicht als ein allgemeinmenschliches Phänomen und als Darstellung des Menschen, ferner als Gefühl des Menschen zu verstehen.⁵⁶ Religion sei nicht ausschließlich mit dem Judentum und dessen spezifischer Offenbarung verknüpft.⁵⁷ So erklärt sich auch der Anspruch
Vgl. u. a. Luzzatto an Reggio, Görz, 18.01.1829. Geiger plädierte weder für eine israelitische noch für eine mosaische Religion. Für ihn bezog sich das Attribut „israelitisch“ nur auf die Nachkommen Jakobs und keinesfalls auf die Genossen eines bestimmten Reiches. Geiger assoziierte ferner den Begriff „mosaisch“ exklusiv mit dem Gesetz und verstand ihn nicht als besonders zentralen Identifikationspunkt des Judentums. Vgl. Grözinger, Jüdisches Denken, 602. Vgl. Fußnote Nr. 7. Luzzatto teilte Reggio bereits im Jahre 1829 mit, er habe vor, ein methodisches Kompendium über die Ethik zu verfassen, und zwar einer Ethik, die man aus Talmud und Midraschim ableiten könne. Vgl. Luzzatto an Reggio, Görz, 18.01.1829, 66. S. D. Luzzatto, Lezioni di Teologia dogmatica israelitica, Trieste 1863, 13. Vgl. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 82. Geiger, Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie (1845), 6.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
des Breslauer Gelehrten, die jüdische Theologie als wissenschaftliche Disziplin im Rahmen einer eigenen Fakultät zu konzipieren.⁵⁸ Seine Theologie erschien als eine von menschlichen Kategorien ausgeformte Materie. Hier knüpfte Geiger nicht nur an Moses Mendelssohns Konzept der Religion der Vernunft an, sondern griff auch direkt auf den Fundus der protestantischen Theologie zurück, insbesondere auf Schleiermacher.⁵⁹ Sein wissenschaftliches Vorhaben hatte Geiger bereits 1836 in der ersten Nummer seiner Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie in der Abhandlung zum Titel: Die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät. Ein dringendes Bedürfnis unserer Zeit zum Ausdruck gebracht. Pointiert plädierte er für einen Bund zwischen der jüdischen Theologie und den anderen Wissenschaften, die als deren Schwester zu betrachten seien.⁶⁰ Laut Geiger sollten die jüdische Theologie und die anderen Wissenschaften eine kooperative unterstützende „Freundschaft“ etablieren.⁶¹ Geigers wissenschaftliches Theologiekonzept setzte idealerweise eine autonome, freie Wissenschaft voraus, die unbekümmert „die Wahrheit suche, eruiere, ausspreche“.⁶² Zudem beabsichtigte Geiger in jenen Jahren diese Theologie von einem unsystematischen und einseitigen, unmethodischen Talmudstudium, von einem „ungeordneten Chaos“ und von der Talmudgelehrsamkeit zu befreien.⁶³ Es ging ihm um eine theologische Wissenschaft, die sich mittels der historisch-kritischen Methode Fragen nicht nur des Inhalts, sondern auch der Gültigkeit, der literarischen Entstehung und der Gestalt des biblischen Textes und des Talmuds stellte. Mit einem solchen wissenschaftlichen Ziel sollte sich die theologische Wissenschaft als jüdische Disziplin profilieren und ihre Einzigartigkeit und Glaubwürdigkeit gegenüber den anderen Fächern betonen. Abraham Geiger hatte im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen in Padua seine Bereitschaft erklärt, alle Texte der jüdischen Traditionsauslegung mittels der historisch-kritischen Methode zu analysieren, und hatte kein Element der jüdischreligiösen Tradition davon ausgeschlossen. Bei Luzzatto sah dies anders aus,
Ders., Die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät, 16. Die Einflüsse der protestantischen Theologie Schleiermachers auf Geigers Theologiekonzept wurden ausführlich behandelt, vgl. S. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausforderung an die christliche Theologie, Berlin 2001, 215; Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism, 21, 24– 25. Geiger, Die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät, 6. Ebd. Ebd., 9. Die jüdische Theologie sei nämlich, laut Geiger „etwas ganz Andres,Weiteres, Höheres“; ebd., 15.
5.2 Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in Breslau
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insofern er sowohl die göttliche Offenbarung auf dem Sinai als auch die fünf Bücher Mose, die Thora, als articoli di fede („unantastbare Glaubensgründe“) betrachtete⁶⁴ und klare, unabdingbare Grenzen setzte, was die religiöse Autorität und das Spektrum seines Forschungsbereichs anbelangte. Für ihn galten die Bücher Moses als Gotteswort und wurden als Untersuchungsgegenstand ausgeschlossen. Als schriftliche Thora, so Luzzatto, besaßen diese Schriften eine höhere aprioristische historische, rationale Gewissheit als alle anderen Bücher und zeichneten sich durch ein starkes nationales Gepräge aus.⁶⁵ Die Thora sei direkt von Gott an Moses diktiert und von diesem auch als Autor verfasst worden. Seit der Zeit ihrer Abfassung sei sie unverändert überliefert worden.Während Luzzatto die wundertätige Geschichte Mose als historische, rationale Gewissheit begriff,⁶⁶ wollte Geiger eine tiefer gehende kritische Kenntnis aller biblischen Inhalte fördern, von denen keine bestimmten seitens der jüdischen Theologie als Ausnahme behandelt werden dürften. In diesem Sinne galt für Luzzatto das historisch Gewordene als heilig, während Geiger das Heilige als historisch geworden verstand.⁶⁷ Dennoch vertrat auch Luzzatto die Meinung, dass rabbinische und talmudische Grundsätze nicht immer als Gotteswort zu betrachten seien, etwa wenn diese einen erkennbar antisozialen Charakter aufwiesen.⁶⁸ In den Worten Luzzattos lässt sich im Gegensatz zu seinen Äußerungen über die schriftliche Thora eine konziliante, flexible und aufgeklärte Haltung hinsichtlich der mündlichen Thora feststellen. In dieser Hinsicht akzeptierte Luzzatto die talmudischen Schriften und deren Auslegung nicht blind, sondern betrachtete sie ebenfalls kritisch als Ergebnis spezifischer zeitlicher und sozialer Umstände oder sogar praktischer Erfordernisse ihrer Zeit.⁶⁹ Als verbindendes Element soll aber festgehalten werden, dass sowohl Geiger als auch Luzzatto in ihrer jeweiligen theologischen Konzeption eine besondere Affinität in Bezug auf den Einsatz philologischer und sprachwissenschaftlicher Methoden zeigten. Kennzeichnend dafür ist die Tatsache, dass beide Gelehrte der
Ebd., 10, 15. Luzzatto, Lezioni di Teologia dogmatica israelitica, 24. I. Kajon, „Dalla metafisica alla scienza all’etica. Samuel David Luzzatto, Umberto Cassuto, Dante Lattes, come interpreti del Pentateuco“ La Rassegna Mensile di Israel 65, 1 (Januar–April 1999 / Tevet–Jyar 5759), 1– 26: 11. Vgl. C. L. Wilke, „Abraham Geigers Bildungsutopie einer jüdisch-theologischen Fakultät.“ In Wiese, Homolka und Brechenmacher (Hg.), Jüdische Existenz in der Moderne, 370 – 371. „Ed è tanto vero, le proposizioni antisociali talmudiche non essere dettami della Religione, ma si delle condizioni dei tempi […]“. Luzzatto, Lezioni di Teologia morale israelitica, 36. M. Margolies, Samuel David Luzzatto. Tradionalist Scholar, 65 – 66. Hier lag ein Verständnis vom Midrash-Text vor, das dem von älteren jüdischen Autoren wie Jehuda Halevi sehr nah stand; vgl. Harris, How Do We Know This?, 82.
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sprachwissenschaftlichen Untersuchung religiöser Texte große Bedeutsamkeit zuschrieben. Im Fall Geigers wurden diese Untersuchungen als das besondere „Eingehen in Sprachweise und Zeit“ bei religiösen Texten genannt.⁷⁰ Sowohl Geiger als Luzzatto förderten, wenn auch in unterschiedlichem Maße, tiefer gehende sprachwissenschaftliche und exegetische Kenntnisse im Umgang mit biblischen und talmudischen Texten. Für beide Gelehrte galt das gründliche Verständnis der Sprache, das man aus einer sorgfältigen linguistischen und lexikalischen Erforschung des Textes herleitete, als besonders zentrales, konstitutives Merkmal. Aus diesen Kenntnissen heraus sollte nach Ansicht Geigers die Erfassung des in der Bibel zerstreuten Glaubensstoffes als ein Ganzes, d. h. nach seiner Gliederung und seinem Zusammenhang, gewonnen werden. In Bezug auf die Gottesoffenbarung sollte eine philosophische Begründung hierüber gewagt werden, und erst danach sollte der geschichtliche Beweis der Offenbarung folgen.⁷¹ Das Bestreben Luzzattos und sein Verständnis von Gottesoffenbarung in seiner Theologie schufen eine weitere unmittelbare hermeneutische Distanz zwischen ihm und Geiger. Dies rückte Luzzatto nahe an seinen konservativen deutschen Zeitgenossen, Rabbiner Zacharias Frankel, einen der schärfsten Gegner Geigers, der einige Jahre später im Zusammenhang seiner Idee von jüdischer Theologie eine ähnliche Zielsetzung formulierte.⁷² Hinsichtlich der Werke und Kommentare jüdischer Autoren der nachbiblischen Theologie bedauerte Geiger während der Korrespondenz mit Luzzatto einen besonderen „Verlust welchen die Wissenschaft durch die gegenwärtige Arbeitsunfähigkeit“ der sprachlichen Analyse des Mischna-Textes erleiden musste.⁷³ Missverständnisse und mangelnde Kenntnisse des Textes hätten, so Geiger, unzählige Fehler und zugleich einen Prozess der Korruption des Textes beschleunigt.⁷⁴ So habe sein Werk Lehr- und Lesebuch zur Sprache der Mischna ein sorgfältiges Studium der Sprache dieses Teils des Talmuds dargelegt.⁷⁵ Immer im
Geiger, Die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät, 4. Ebd., 3. Vgl. Harris, How Do We Know This?, 167– 168; 190 – 202. „Geiger an Luzzatto, Padua, 10.07.1849“, Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Rom, bb:17, VII, N. 2975. Ebd. A. Geiger, Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie (1845), 19. Als Grundlage für die Kenntnis der nachbiblischen Theologie setzte der Breslauer Gelehrte auch kulturhistorische und geistesgeschichtliche Kenntnisse voraus. Auch Geschichte und Literaturgeschichte waren Geiger zufolge als notwendige Hilfswissenschaften für die Theologie zu betrachten, deshalb durften ihre Hauptmomente sowie wechselseitige Einflüsse unterschiedlicher Kulturen – z. B. von der arabischen Wissenschaft – in den jeweiligen Ländern und deren unmittelbaren Wirkungen auf das Judentum nicht unbekannt bleiben; vgl. ebd., 25.
5.2 Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in Breslau
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Hinblick auf die nachbiblische Theologie erkannten beide Gelehrte das Gewicht des Kommentars der Mischna und des babylonischen Talmuds aus der französischen Schule, deren Hauptvertreter Raschi war. Was aber Luzzatto im Gegensatz zu Geiger immer stark kritisierte und sein ganzes Leben infrage stellte, war bekanntlich das große Werk des anderen Kommentars zur Mischna von Maimonides (Mischne Torah), dem wiederum Geiger in seinen Theologievorlesungen – als Verkörperung des Denkens der spanisch-orientalischen Schule – eine große Bedeutung beimaß.⁷⁶ Für Geiger, der in den 1840er-Jahren mehrere bibelexegetische und sprachwissenschaftliche Studien herausgab, bedeutete die Rückkehr zu den heiligen Schriften, wie bei Luzzatto, die Rückkehr zu einer natürlichen Geistigkeit sowie zu einem natürlichen, ursprünglichen Sinn des Textes.⁷⁷ Als begeisterte und große Experten der Peschat-Auslegung unterstützten beide Gelehrte das Konzept einer ursprünglichen Idee der jüdischen Religion sowie eines natürlichen Charakters der Bibel. Im Gegensatz zu Luzzatto stand aus Geigers Sicht dieser natürliche ursprüngliche Charakter des Judentums jedoch energisch jeglicher Wortklauberei und Äußerlichkeit – mit Bezug auf die talmudische Gelehrsamkeit kennzeichnenden Merkmale – entgegen.⁷⁸ Luzzatto seinerseits zeigte eine eher konziliante Haltung gegenüber den talmudischen Grundsätzen und deren linguistischen Konstruktionen, was allerdings nicht immer eine positive Annäherung an die rabbinischen Auslegungen, vor allem an die Mirdraschim, bedeutete.⁷⁹ Im Gegensatz zu Geiger präsentierte Luzzatto vor den Studenten des Collegio Rabbinico weder eine Entwicklungsgeschichte des Judentums noch einen programmatischen Entwurf einer definierten jüdischen Theologie. Die einzige definitorische Abgrenzung setzte Luzzatto bei der Ausdifferenzierung zwischen den Untersuchungsgegenständen der Moraltheologie und denjenigen der Ritualtheologie voraus. Die Moraltheologie sollte sich ausschließlich mit jenen göttlichen Geboten beschäftigen, die gezielt soziale Pflichten betrafen.⁸⁰ Die dogmatische Theologie befasste sich Luzzatto zufolge hingegen mit der jüdischen Religion und ihren Unterscheidungsmerkmalen und hatte die Aufgabe, die Dogmen der jüdischen Religion ans Licht zu bringen. Mithilfe philosophischer Spekulation und systematischer Kritik sollten die Wahrheit der Existenz Gottes und Moses’ Mission bewiesen werden.⁸¹ In seinen Lezioni wurde weder, wie bei Geiger, ein Theologiebegriff klar definiert, noch beleuchteten sie ausführlich die Auftei-
Vgl. Kohler, Eine verpasste Gelegenheit. Vgl. Harris, How Do We Know This?, 160 – 161. Vgl. Koltun-Fromm, Abraham Geiger’s Liberal Judaism, 43. Vgl. Klein, Unconventional but not Unorthodox, 54– 56. Luzzatto, Lezioni di Teologia morale israelitica, 23. Ebd., 13.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
lung der Forschungsbereiche der jüdischen Theologie. Was sie boten, war einerseits ein Kompendium der jüdischen religiösen Moral in argumentativen Abschnitten, andererseits ein Kompendium des ritualgesetzlichen Lernstoffes. Luzzatto formulierte ein Konzept von Theologie, das in seinem dezidiert praktischen Anwendungsbezug einerseits nationale, volkstümliche Züge trug, andererseits aber keinen exklusiven Charakter besaß. Seine theologische Auffassung wies eine zweifache Implikation auf. Zum einen war seine Theologie stark durch Vorstellungen der christlichen Theologie und Moral bestimmt, insbesondere durch eine christliche Barmherzigkeitsvorstellung. Luzzatto entwickelte zum Teil auch ein allgemeingültiges philanthropisch-theologisches Konzept, das Gültigkeit für die gesamte Menschheit beanspruchen konnte. Zum anderen lag das Unterscheidungsmerkmal seiner israelitischen Theologie im Akzent auf der Gerechtigkeit und damit auf dem toleranten, philanthropischen Charakter des Judentums. Das wichtigste Merkmal des Judentums (und somit einer jüdischen Theologie) lag, Luzzattos Definition zufolge, in seinen ursprünglichen Werten, seiner Soziabilität, seiner Toleranz und seinem barmherzigen Charakter.⁸² In diesem Sinne waren für Luzzattos Entwurf einer humanitären Theologie externe philosophische Einflüsse die einzigen Elemente, die seine positive Theologiekonstruktion bedrohten und negative Wirkungen ausüben konnten.⁸³ Es waren die sittlichen Werte des Judentums, die Gerechtigkeit, die Barmherzigkeit und das gesellschaftliche Zusammenleben, die Luzzatto in seiner Konzeption einer jüdischen Theologie als universale Werte pries.⁸⁴ Bei Abraham Geiger war das charakteristische Merkmal der jüdischen Theologie hingegen nicht in den im Judentum selbst immanenten Elementen und Bedingungen aufzufinden; vielmehr ließ sich dieses Merkmal allein aus dem menschlichen Bewusstsein sowie aus den Methoden der Wissenschaft ableiten.⁸⁵ Mithilfe der säkularen Disziplinen und der Methoden anderer Wissenssphären, d. h. mittels eines wissenschaftlichen Ansatzes, könnten die jüdische Theologie und jüdische Theologen die Probleme und Anliegen der einzelnen jüdischen Ebd., 3. Maimonides’ religionsphilosophische Konzeption zielte darauf, sich der Mittel der aristotelischen Philosophie zu bedienen, um die heiligen Schriften zu interpretieren.Vgl. u. a. Harris, How Do We Know This?, 88 – 89. Luzzatto, Lezioni di Teologia morale israelitica, 3, 9, 11– 12. Stallmann, Beiträge zur rationalen Theologie, 140. Viele dieser externen, schädlichen Einflüsse lagen in den Versuchen, den religiösen Texten des Judentums philosophische Auslegungen aufzuzwingen, so nach Ansicht Luzzattos beispielsweise im Denken des jüdischen Philosophen zu finden. Luzzatto sprach sich hingegen für eine humanitäre Religion aus, deren ursprünglicher sozialer Charakter sowohl aus den biblischen als auch aus den talmudischen Schriften eruiert werden könne.
5.2 Eine israelitische Theologie in Padua, eine jüdische Theologie in Breslau
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Gemeinden besser verstehen.⁸⁶ Auf diese Weise könne die jüdische Theologie auf Instrumente zurückgreifen, mit denen sie das praktische jüdische Leben zu begreifen vermöge. Zentral ist in Geigers Konzept ein praktischer Anwendungsbezug der jüdischen Theologie für eine Neugestaltung der deutsch-jüdischen Gemeinden. Sein Theologiebegriff hatte zwei Dimensionen, eine höhere akademische und eine praktische, die in einer stetigen produktiven Wechselwirkung miteinander standen. Seinen Versuch einer Systematisierung der jüdischen Theologie verband Geiger mit dem Plädoyer für eine Institutionalisierung der Wissenschaft des Judentums und für das Fortschreiten der jüdischen religiösen Reform. Geigers programmatisches Ziel, die jüdische Theologie in eine anerkannte Wissenschaft umzuwandeln, wirkte sich unmittelbar auf sein Wissenschafts- und Reformverständnis aus. Wollte Geiger mit seiner Theologie das Judentum als kulturproduktive, weiter fortschreitende, emanzipatorische und einflussreiche Größe erweisen, so zielte Luzzatto auf die Festigung und Anerkennung des Judentums und seiner Theologie als einer moralischen, toleranten und sozial gerechten Größe im Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft und mit anderen Religionen. Beide Theologiekonstruktionen wiesen demnach mehrere christliche theologische Elemente auf. Sowohl Geiger als auch Luzzatto beschäftigten sich intensiv mit Texten, Vorstellungen und einzelnen Konzepten christlicher Theologen und eigneten sie sich bei der Konzeption ihrer jüdischen Theologie eigenständig an. Dabei griff Geiger auf das Modernisierungsprogramm der protestantischen Theologie zurück, von Schleiermacher bis zur historisch-kritischen Exegese, während Luzzatto an den Grundgedanken der christlichen Moral vieler katholischen Theologen anknüpfte. Solche äußeren Einflüsse machten sich also nicht nur in den progressiveren, reformorientierten deutsch-jüdischen Milieus eines Rabbiners wie Abraham Geiger geltend, in denen das Interesse jüdischer Gelehrter für das Bibelverständnis protestantischer Theologen de facto vorhanden war.⁸⁷ Auch in Italien lassen sich solche Einflüsse – in diesem Falle katholischer Theologen – ausmachen, zunächst Anfang des 19. Jahrhunderts in Milieus wie im habsburgischen Triest und später auch in Padua, während der gesamten literarischen Tätigkeit Luzzattos.⁸⁸ Die Einflüsse und Anregungen christlicher Traditionen, Verhaltensmuster und Begriffe wurden von beiden eigenständig benutzt, weiter interpretiert und in den Dienst der jüdischen Selbstreflexion gestellt. Abraham Geigers Konzept jüdischer Theologie war noch im Werden begriffen, und zwar in mehrfacher Hin Vgl. Koltun-Fromm, Abraham Geigerʼ s Liberal Judaism, 117. Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland; HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible. Vgl. dazu Kapitel 7.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
sicht. Zu nennen ist einmal das beständige Streben Geigers nach Akzeptanz der jüdischen Theologie und gleichzeitig das Streben nach einer Systematisierung und Institutionalisierung der Disziplin. Sein Ideal einer jüdischen Theologie richtete sich auf die Entstehung einer von Zwängen freien Disziplin, die ihren Forschungsgegenstand selbstständig betrachtete, zugleich aber auch Antworten auf die jüdischen Lebensfragen zu geben vermochte.⁸⁹ Mit seiner Suche nach einer Verankerung der jüdischen Theologie an einer deutschen akademischen Institution, an der „der Kern des Wissens unserer Zeit drängte“,⁹⁰ entwarf Geiger aus der Ferne ein Idealbild des deutschen akademischen Milieus.⁹¹ Nur innerhalb eines universitären Kontextes könne die jüdische Theologie frei sein. Geigers Theologiekonzept, „nach deutschem Sinne strebend und wirkend“⁹², stützte sich demnach auf eine idealisierte Vorstellung der deutschen akademischen Welt, in der sich die neu definierte jüdische Theologie profilieren und sich von den anderen Fächern zugleich als dezidiert jüdisch unterscheiden sollte. Nach diesem Modell war die jüdische Theologie jedoch nicht mehr frei und autonom, sondern von einem universitären System abhängig, das sie bis kurz zuvor nur von einer Außenperspektive her betrachtet hatte. Geiger, so ließe sich formulieren, hatte seine jüdische Theologie mit einem Blick von außen nach innen konzipiert. In dieser Bewegung von außen nach innen lag eine beständige Spannung begründet – eine Spannung zwischen dem Außen, dem jüdischen kulturellen Erbe und der jüdischen religiösen Lehre, und dem Innen, der deutschen akademischen Welt, die dem Judentum mit großem Vorbehalt begegnete. Auch mit Blick auf Luzzattos Theologiekonzept lässt sich eine Spannung erkennen, und zwar jene einer Bewegung von innen nach außen, in der das Innen der innerste soziale, moralische Kern des Judentums war und das Außen die breite Öffentlichkeit, die den humanitären, universellen Charakter des Judentums und seiner Glaubenslehre annehmen sollte. Geiger hatte für seinen theologisch-wissenschaftlichen und akademisch-institutionellen Auftrag die Vorlesungen so strukturiert, dass sie sowohl inhaltlich als auch methodisch eine wichtige Vorschau der theoretischen Konzeption und des konkreten inhaltlichen Charakters des Unterrichts darstellten. Diese Texte sind zugleich von der Hoffnung Geigers getragen, diese Vorlesungen eines Tages an einem jüdisch-theologischen Lehrstuhl vor Theologiestudenten einer deutschen Universität vorzutragen. Luzzatto zielte hingegen auf eine innerjüdische Akzeptanz seines Theologiekonzepts. Seine Theologie wurde nicht im Dienste
Wilke, Abraham Geigers Bildungsutopie einer jüdisch-theologischen Fakultät, 389. Geiger, Die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät, 16. Wilke, Abraham Geigers Bildungsutopie einer jüdisch-theologischen Fakultät, 389. Geiger, Die Gründung einer jüdisch-theologischen Fakultät, 18.
5.3 Grundzüge einer Wissensordnung
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eines noch zu schaffenden akademischen Instituts für jüdische Studien in Italien entworfen, sondern im Hinblick auf ein neues Konzept von Rabbinergelehrten. Ihr Augenmerk richtete sich auf eine hochspezialisierte, engagierte rabbinische Nachwuchsgemeinschaft, die eine universitäre Ausbildung abgeschlossen oder zu absolvieren hatte. Diese rabbinische Gelehrsamkeit bevorzugte weder ein unsystematisches, ungeordnetes Talmudstudium, noch schloss sie jegliches kritisches Vorgehen im Umgang mit den religiösen Texten aus. Schließlich wohnte Luzzattos Moraltheologie so wie Geigers jüdischer Theologie ein zweifaches Bestreben inne: ein höheres, wissenschaftliches, und ein praktisches. Dahinter stand die Erwartung, diese neu konzipierte Theologie werde eines Tages sowohl dem Rabbinerakademiker als auch dem jüdischen Theologen von großem Nutzen sein, in der Lehre ebenso wie in der praktischen Wirksamkeit und in den aktuellen religiösen, sozialen und ethischen Fragen.
5.3 Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen – Grundzüge einer Wissensordnung Nach der Beschäftigung mit Abraham Geigers und Samuel David Luzzattos Definition von Charakter, Gegenstand und institutioneller Verankerung einer jüdischen Theologie richtet sich der Blick nunmehr auf die Funktion von Wissenschaft und die Ordnung jüdischen Wissens in den unterschiedlichen Disziplinen wie der Bibelwissenschaft, der Talmudwissenschaft und der jüdischen Geschichte, und zwar vornehmlich aus italienisch-jüdischer Perspektive. Im Mittelpunkt stehen die Konzeptualisierung dieser Fächer sowie deren Semantik und Gegenstände, wobei den Wissensvorstellungen und dem Wissenschaftsverständnis einiger italienisch-jüdischer Gelehrter besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, um Analogien zu und Differenzen mit den Konzepten von Vertretern der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums herauszustellen. Die Aufgaben einer Wissenschaft des Judentums wurden bereits 1818 von ihrem Begründer Leopold Zunz programmatisch in dem Aufsatz Etwas über die rabbinische Literatur erfasst,⁹³ in dem er deren vielfältige Gebiete und Forschungsschwerpunkte des Judentums beschrieb und deren inneren Zusammenhang darlegte. Die Vollendung der Wissenschaft des Judentums setzte Zunz zufolge allerdings ihre Anerkennung als gleichberechtigtes Fach im universitären Kanon der Wissenschaften, in der universitas litterarum, voraus.⁹⁴ Dazu bedurfte
Zunz, Etwas über die rabbinische Literatur, passim. Ebd.; vgl. auch Schäfer und Herrmann, Judaistik an der Freien Universität Berlin, 57.
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es aber der Trennung der Wissenschaft vom Judentum vom traditionellen rabbinischen Lehrbetrieb: […] die blosse Ausbeuterei zu grammatischen, exegetischen und polemischen Zwecken ist unserer Zeit nicht mehr würdig […]. Unsere Wissenschaft soll sich daher zunächst von den Theologen emanzipieren und zur geschichtlichen Anschauung erheben.⁹⁵
Die vom Diktat der Rabbiner und vor allem der christlichen Theologen⁹⁶ emanzipierte, eigenständige Disziplin der Wissenschaft vom Judentum sollte zugleich den Weg zur bürgerlichen Emanzipation der deutsch-jüdischen Bevölkerung öffnen.⁹⁷ Da Zunz’ Wissenschaftsideal einen stark „politisierten“ Zweck verfolgte, kann man bei ihm kaum von einer rein objektiven, zweckfreien Wissenschaft reden.⁹⁸ Vielmehr verstand er die neue Disziplin als Motor sowohl für einen innerjüdischen Emanzipationsprozess als auch für die politische, soziale und kulturelle Emanzipation in der deutschen Gesellschaft. Seit dem Mittelalter hatten jüdische Gelehrte das Ziel verfolgt, wissenschaftliche Kenntnisse und religiöse Wahrheiten zu ihrer beider Nutzen zu vertiefen und miteinander ins Gespräch zu bringen. Von dieser Tradition ging auch Isaak Samuel Reggio aus, wenn er in seinem bereits erwähnten programmatischen Aufsatz von 1827 betonte, Religion und Philosophie sollten sich wechselseitig unterstützen.⁹⁹ Das Konzept der Wissenschaft im Judentum¹⁰⁰ wurde auf italienisch-jüdischer Seite bereits 1829 in den ersten Reden und Predigten am Rabbinerseminar von Padua als Leitbegriff bestimmt. Von zentraler Bedeutung für das Selbstverständnis des Collegio Rabbinico war die Verhältnisbestimmung von Religion und Wissenschaft, also von der Wissenschaft von Gott (Torat ha Shem) und der Wissenschaft vom Menschen (Torat ha Adam). Sowohl Samuel David Luzzatto als auch Lelio Della Torre verstanden beide Sphären als wechselseitig aufeinander angewiesen und betonten den inneren Zusammenhang von Wissenschaft und Religion, Glaube und Verstand. In Italien, so Della Torre, waren die allgemeinen Wissenschaften in den verschiedenen Epochen immer wieder von jüdischen Gelehrten, Rabbinern und Literaten vorangetrieben worden, die sich auf bemer-
Zunz, Etwas über die rabbinische Literatur, 57. Ebd., 58. Vgl. Meyer, Two Persistent Tensions within Wissenschaft des Judentums, 107. Ebd., 112. Vgl. die Positionen von Isaak Samuel Reggio in der Publikation Ha Torah ve Ha Philosophia, die auch von deutsch-jüdischen Gelehrten rezipiert und kommentiert wurde. Vgl. Weisse, Literarische Analekten; vgl. auch Grusovin, Studi sull’Illuminismo ebraico, 109 – 110. Della Torre, Della necessità di congiungere i filosofici studii ai teologici, 29 – 30.
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kenswerte Weise den philosophischen, literarischen und bibelexegetischen Studien widmeten. Gerade Padua habe, wie er in der Eröffnungsrede für das Collegio 1829 betonte, entscheidend zu dem großen Aufschwung der jüdischen Disziplinen beigetragen,¹⁰¹ sodass die jüdischen Forscher die Wissenschaft vor allem in den vergangenen zwei Jahrhunderten zu keiner Zeit vernachlässigt hatten. Della Torre war davon überzeugt, die jüdische Religion könne durch die Verbindung der religiösen mit den säkularen Disziplinen nur gewinnen.¹⁰² Um dies der zukünftigen Generation von Rabbinern plausibel zu machen, hob Della Torre in mehreren Reden am Collegio Rabbinico hervor, wie sehr die Wissenschaft auf die Mittel der Religion, Letztere aber auch auf die Hilfe der wissenschaftlichen Disziplinen angewiesen sei.¹⁰³ Beide, die Wissenschaft von Gott, mit ihrer herausgehobenen Stellung, und die Wissenschaft vom Menschen, wurden als wichtige Instrumente bei der Suche nach der Wahrheit gewürdigt. Doch anders als bei Leopold Zunz, für den die Wissenschaft vom Judentum ein Weg zur Emanzipation der jüdischen Philologie und Literatur von den rabbinischen Deutungstraditionen war, sollten sich in Padua die Wissenschaft vom Judentum und die Religion, moderne wissenschaftliche Disziplinen und jüdische Theologie, wechselseitig bereichern.¹⁰⁴ Von dieser „colleganza“¹⁰⁵, der produktiven Vereinigung und Zusammenarbeit, erwartete man einen großen Gewinn für beide Seiten. Die Wissenschaft erfüllte am Collegio, wie die Reden Della Torres zeigen, eine „Läuterungsfunktion“,¹⁰⁶ wobei allerdings der Vorrang der Wissenschaft von Gott nie infrage gestellt wurde. Die Wissenschaft sollte kritisch verfahren, aber nicht in Konflikt mit dem jüdischen Kanon geraten. Es gab kein Bedürfnis, einen Ausgleich zwischen den religiösen Bereichen und Schwerpunkten der Theologie, d. h. der Wissenschaft von Gott, und den profanen Disziplinen herbeizuführen; sie sollten einander aber auch nicht antagonistisch gegenüberstehen. Religion und Wissenschaft bedurften einander, ohne sich gegenseitig als Konkurrentinnen anzusehen. Die Wissenschaft vom Judentum sollte mit philologischen, historischen und philosophischen Mitteln helfen, die Glaubenslehre des Judentums zu verstehen. Alle Disziplinen der Wissenschaft vom Menschen – von der Physik und Metaphysik über die
Ebd., 35. Ebd., 29 – 30. Ebd., 32. Ebd. Vgl. auch L. Della Torre, „Introduzione ai Sermoni per gli studenti israeliti dell’Università di Padova nell’anno scolastico 1852– 1853.“ In ders., Scritti sparsi preceduti da uno Studio biografico intorno all’autore, Bd. 1, 497– 502, Padova 1908. Vgl. dazu Della Torres Eröffnungsrede: Ders., Introduzione ai Sermoni per gli studenti israeliti dell’Università di Padova, 497– 498. Ebd., 497.
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Geografie, Geschichte, bis hin zur Philosophie und Philologie – sollten ihre Stärken mit in die Deutung der Texte der jüdischen Tradition einbringen¹⁰⁷ und mit ihren Mitteln die Religion in der Suche nach der Wahrheit unterstützen.¹⁰⁸ Der Wert der Wissenschaft lag aus der Sicht zahlreicher italienisch-jüdischer Gelehrter nicht allein in ihrer Fähigkeit, zur Wahrnehmung der Realität beizutragen, vielmehr verstanden sie sie als Instrument zur Wahrnehmung der göttlichen Wahrheit.¹⁰⁹ Wahrheit und Wissenschaft waren nicht dasselbe, auch wurde ihnen nicht dieselbe Bedeutung beigemessen.¹¹⁰ Der Suche nach der Wahrheit wurde, wie die programmatischen Eröffnungsreden Lelio Della Torres zeigen, von Beginn an der Vorrang eingeräumt,¹¹¹ sie wurde zum eigentlichen Zweck der Forschung und Lehre der Professoren am Collegio erhoben.
Bibelexegese Nach Jahrhunderten der Vernachlässigung trat die Bibel im 19. Jahrhundert wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit der jüdischen Gelehrten. Dieses erneute exegetische Interesse hatte seinen Ursprung in der deutschen Haskala-Bewegung, insbesondere in Moses Mendelssohns Übersetzung der hebräischen Bibel ins Deutsche.¹¹² Zugleich wurde es aber auch von externen Faktoren verstärkt, etwa dem hohen wissenschaftlichen Niveau der Höheren Bibelkritik, das an deutschen Universitäten von protestantischen Theologen gewährleistet wurde.¹¹³ Der stark historisch-kritisch geprägte Ansatz zur Erforschung der biblischen Texte sowie der Geschichte und Religion des Alten Israel hatte unmittelbare Wirkung auf deutsch-jüdische Intellektuelle und Bibelforscher. Auch wenn der Beitrag der Wissenschaftler des Judentums der ersten Generation zur Bibelforschung im Vergleich zur Talmudischen Literatur äußerst minimal blieb, war ihre Einstellung hierzu positiv.¹¹⁴ Während für Gelehrte wie Abraham Geiger die Rückführung
Ders., Della necessità di congiungere i filosofici studii ai teologici, 36. Ders., Introduzione ai Sermoni per gli studenti israeliti dell’Università di Padova, 497. Vgl. auch I. S. Reggio, Ha Torah ve Ha Philosophia, Wien 1827, 164– 169. G. Canguilhem, „Der Niedergang der Idee des Fortschritts.“ In ders., Wissenschaft, Technik, Leben. Beiträge zur historischen Epistemologie, Berlin 2006, 123 – 156. Della Torre, Introduzione ai Sermoni per gli studenti israeliti dell’Università di Padova, 497; 499. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 22. Ebd., 31; vgl. auch Y. Shavit und M. Eran, The Hebrew Bible Reborn. From Holy Scripture to the Books of Books. A History of Biblical Culture and the Battles over the Bible in Modern Judaism, Berlin 2007, 22– 23. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 42.
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kanonischer Texte wie der Thora auf einen menschlichen Ursprung bereits feststand, d. h. die Bibel eine Quelle wie jede andere war, die es mit den Werkzeugen des Historikers kritisch zu interpretieren galt, wurde sie von institutionellen italienisch-jüdischen Gelehrtenkreisen mehrheitlich als heiliger Text noch in traditionelle Schemata eingeordnet. Auch für Männer wie Luzzatto galt die Bibel als Wort Gottes, als heilige Geschichte Israels, die jedoch zugleich als literarische Quelle auch mit strengen philologischen und sprachwissenschaftlichen Werkzeugen untersucht werden konnte. Die Bibelexegese als wissenschaftliche Disziplin hatte mit den Studien Samuel David Luzzattos in Italien eine besondere Reife erreicht und gehörte seit 1829 – gemeinsam mit der Philologie der heiligen hebräischen Sprache – zu jenen Fächern, die er am Collegio von Padua unterrichtete. Was allerdings noch fehlte, war ein der gesamten Bibel gewidmetes exegetisches Projekt in italienischer Sprache. 1829 verfasste Luzzatto eine kritische und hermeneutische Einführung zum Pentateuch; diese Introduzione critica ed ermeneutica wurde jedoch exklusiv für die Lehre am Collegio konzipiert und nicht zu Lehrbüchern ausgearbeitet. Dieser biblische Stoff wurde aber innerhalb der Seminarräume des Collegio reichlich diskutiert. Die Einführung wurde erst postum 1870 in Padua veröffentlicht.¹¹⁵ Luzzatto begründete darin seine methodologische Annäherung an die heiligen Texte des Pentateuch, die er ihr zufolge als das jüdische Gesetz, als Wort Gottes verstand, weshalb diese Einführung auch nicht als isoliertes Werk, sondern als inhaltlich organischer und ergänzender Teil seiner dogmatischen Theologie gelesen werden sollte. In erster Linie begründete Luzzatto darin seine Ansicht über die unbestreitbare Urheberschaft des Mose an den ersten fünf Büchern der Bibel. In diesem Zusammenhang wandte er sich nicht nur gegen die Bibelkritik berühmter jüdischer Denker wie Spinoza,¹¹⁶ sondern auch gegen die Auffassung vieler protestantischen Orientalisten, Linguisten und Theologen, die im Pentateuch keine stilistische Einheit der hebräischen Sprache feststellen konnten und daher Mose Autorschaft stark in Zweifel zogen.¹¹⁷ Anhand von Beispielen widerlegte er auch manche Behauptungen und hermeneutische Theorien katholischer Theologen.¹¹⁸ Luzzattos Argumentation wies eine ausgeprägte Tendenz zum genauen lexikalischen und grammatikalischen Vergleich auf. Diese philologische und sprachwissenschaftliche Annäherung bestand in der Erläuterung und Ge-
Vgl. S. D. Luzzatto, Introduzione critica ed ermeneutica scritta nellʼanno 1829 ad uso degli alunni dell’istituto convitto rabbinico di Padova, Padova 1870. Meyer, Antwort auf die Moderne, 102– 103; Ha Cohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 23. Luzzatto, Introduzione critica ed ermeneutica scritta nell’anno 1829, VI. Ebd.
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genüberstellung einzelner Wortkonstruktionen und Varianten in den unterschiedlichen Bibelversionen, u. a. in der samaritanischen und in der alexandrinischen Überlieferung.¹¹⁹ Die Präzision der sprachwissenschaftlichen Argumentation Luzzattos verweist auf die systematische Einhaltung philologischer und grammatikalischer Grundsätze, die auf der Methode mittelalterlicher Autoren wie Saadia Gaon und Raschi beruhten. Kennzeichnend für die Zeit und die Entwicklung der exegetischen Studien in Italien ist die Tatsache, dass das Collegio Rabbinico als institutionelle rabbinische Einrichtung bis in die 1860er- und 70er-Jahre keine Fachliteratur und keine Bibelkommentare für die Öffentlichkeit konzipierte. Die biblische Forschung blieb wissenschaftlich und institutionell innerhalb einer rabbinischen Forschungsstätte verankert, ohne akademische Ansprüche zu erheben. Luzzattos Übersetzung des Pentateuch mit den Haftarot wurde erst 1860 veröffentlicht¹²⁰ und von der jüdischen Bibelforschung mit großen Beifall begrüßt, da sie, so die Meinung vieler deutsch-jüdischer und italienisch-jüdischer Publizisten, eine wichtige Lücke in den bibelexegetischen Disziplinen füllte.¹²¹ Dank dieses Werkes Luzzattos verfügten italienisch-jüdische Forscher erstmals über eine jüdische Pentateuchübersetzung und konnten auf christliche Ausgaben wie die Vulgata oder die Übersetzung des calvinistischen Bibelexegeten Giovanni Diodati (1576 – 1649) aus dem Jahre 1607 verzichten. Der Pentateuchübersetzung Luzzattos wurde von der Presse aufgrund ihres wissenschaftlichen Wertes, vor allem wegen aber ihrer Unabhängigkeit von vorgehenden bibelexegetischen Traditionen großes Lob zuteil.¹²² Luzzattos Absicht richtete sich, anders als im Falle der deutsch-jüdischen Repräsentanten der Wissenschaft des Judentums wie Leopold Zunz,¹²³ von Anfang an nicht auf eine Übersetzung der gesamten Bibel in italienische Sprache.
In seiner Auseinandersetzung mit dem samaritanischen Text verwies Luzzatto auf die acht sprachlichen Varianten, die von Wilhelm Gesenius unterschieden wurden. S. D. Luzzatto, Il Pentateuco colle Haftarot, con introduzione critica ed ermeneutica ad uso degli Israeliti, Trieste 1860. G. Levi und E. Pontremoli, „Bibliografia. Il Pentateuco colle Aftarot volgarizzato ad uso degli Israeliti dal professore. S. D. Luzzatto“ Educatore Israelita 6 (1858): 305 – 306; F. Servi, „La Bibbia Luzzatto e continuatori“ Ebd. 17 (1869), 47– 51: 48. Die Übersetzung Luzzattos – so die Meinung vieler italienischer Gelehrten – werde zumindest auf der italienischen Halbinsel das Forschungsfeld der biblischen Studien revolutionieren. Vgl. S. Formiggini, „Bibliografia. Il Pentateuco colle Haftarot volgarizzato ad uso degl’Israeliti da Samuel David Luzzatto, Triestino, Trieste 1860, Colombo Coen Tipografo editore“ Il Corriere Israelitico 1 (1862– 1863), 46 – 50: 46. L. Zunz, Die vierundzwanzig Bücher der Heiligen Schrift. Nach dem masoretischen Texte. Unter der Redaktion von Dr. Zunz, übersetzt von Arnheim H. u. a., Berlin 1838.
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Mit großer Aufmerksamkeit und besonderem fachlichen Interesse wurde in den 1850er-Jahren von der deutsch-jüdischen Presse auch die Übersetzung der ersten Kapitel des Propheten Jesaja durch Luzzatto aufgenommen,¹²⁴ der mit seiner 1855 abgeschlossenen Übersetzung ein „selbstständiges, kritisches, originelles und gewissenhaft rationelles Bestreben“ verfolgte.¹²⁵ Sein exegetisches Projekt trat sowohl zeitgenössischen protestantischen Forschern als auch jenen jüdischen Bibelexegeten entgegen, die sich derselben kritischen Herangehensweise bedienten. So beschrieb Luzzatto 1855 den Lesern des Educatore Israelita gegenüber seiner Herangehensweise wie folgt: „Meine Exegese berücksichtigt das Übernatürliche der Offenbarung, ohne unbekümmert den Auslegungen alter Bibelkommentatoren zu folgen. Meine Exegese kämpft andauernd gegen die modernen Protestanten, und somit gegen all jene jüdischen Autoren nördlich der Alpen, die dieselben Prinzipien verfolgen.“¹²⁶ Auch Lelio Della Torre versuchte, die primäre religiöse Bedeutung der Heiligen Schrift zu bewahren, wie er in der Vorrede seiner Psalmenübersetzung von 1845 deutlich machte.¹²⁷ Andere Gelehrte wie Isaak Samuel Reggio, der 1831 in der Vorrede zu seinem Werk über Jesaja ein in erster Linie linguistisches und philologisches Bestreben betont hatte,¹²⁸ legten besonderen Wert auf die systematische Einhaltung wissenschaftlicher Standards. Reggio bediente sich bei der interpretativen Erschließung des Textes auch einer vergleichenden Methode, so etwa in seiner Annäherung an die diversen und mehrsprachigen Versionen des Buchs Jesaja. Auch setzte er sich intensiv mit den deutsch-jüdischen exegetischen Vorbildern und orientierte sich an ihnen in theoretischer Hinsicht.¹²⁹ Als vorrangiges Deutsch-jüdische Publizisten hatten Luzzatto das Angebot gemacht, seine Übersetzung des Jesaja auch in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Es handelte sich um ein anspruchsvolles literarisches Projekt, das der italienische Gelehrte jedoch nicht annahm. S. D. Luzzatto, „Annunzio tipografico. Il profeta Isaia, volgarizzato e commentato ad uso degli Israeliti da S. D. Luzzatto. Padova, 1855“ Educatore Israelita 3 (1855), 242– 244: 242. Ebd., 244. „Quindi anche la mia Esegesi ritiene la realtà delle sovrannaturali Rivelazioni, e senza seguire alla cieca le interpretazioni degli antichi, è in lotta continua coi moderni protestanti, e quindi con tutti quegli scrittori israeliti oltramontani, che apertamente o copertamente sono animati dai medesimi principii“. Ebd. A. Jellinek, „I Salmi volgarizzati sul testo masoretico ed illustrati con argomenti e note dal Rabbino Lelio Della Torre, Professore nell’Istituto Convitto Rabbinico etc. Parte I. Testo traduzione ed argomenti. Wien 1845, 8. v. Schmidt und Busch, (S. 262)“ Literaturblatt des Orients 7 (26.02. 1846), 9: 135 – 136. I. S. Reggio, Il libro d’Isaia versione poetica fatta sull’original testo ebraico, da Isacco Reggio, già professore d’umanità nell’imp. reg. ginnasio di Gorizia, Udine 1831, 7. Reggio bestätigte in erster Linie, das Werk von Gesenius nicht nur rezipiert zu haben, sondern auch dessen Prinzipien zu teilen. Vgl. ebd., 5 – 6.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
methodologisches Prinzip hob er die Zentralität der hebräischen Sprache für die Erfassung und Wiederentdeckung des ursprünglichen wörtlichen Sinnes des Bibeltextes hervor: „Um den heiligen Text in seinem wortwörtlichen Sinne auszulegen, soll man Wendungen und Sätze verwenden, die dem Originaltext treu bleiben.“¹³⁰ Bereits seit den 1840er-Jahren nahm auch die deutsch-jüdische Presse das vorrangige Interesse italienisch-jüdischer Forscher an bibelexegetischen Studien zur Kenntnis. Bibelübersetzungen, Psalmenübersetzungen sowie Übersetzungen der einzelnen Prophetenbücher in italienischer Sprache wurden gelesen und in zahlreichen deutsch-jüdischen Periodika kommentiert und gelobt, wobei die Rezensenten die besondere linguistische sowie stilistische Kompetenz der italienischen Übersetzungen würdigten. Der hohe ästhetisch-literarische Wert der italienischen Bibelausgaben wurde als eigentlich prägende Charakteristik vieler exegetischer Publikationen in italienischer Sprache begrüßt. Die Fortschritte der Bibelexegese von Autoren wie Reggio, Luzzatto, Mortara und Della Torre wurden mit großen Erwartungen beobachtet.¹³¹ Die wissenschaftlichen Aufsätze und Artikel in der jüdischen Presse von Gelehrten wie Lelio Della Torre zeigen ein deutliches Bestreben, mit den Bibelstudien ein hochspezialisiertes, spezifisch jüdisches Forschungsfeld zu etablieren. Auf diese Weise sollte die Emanzipation dieser Studien von der Vorherrschaft der katholischen Gelehrsamkeit vorangetrieben werden, die nach wie vor die Bibel und vor allem das Alte Testament nicht mittels eines innovativen historischkritischen Ansatzes studierten. Ein Teil der katholischen Bibelforscher Norditaliens rückte gerade in jener Zeit die Bibel und die hebräische Sprache wieder ins Zentrum ihres fachlichen Interesses, stellte diese freilich in den Dienst theologischer Wahrheiten und der katholischen Glaubenslehre und verfolgte die Absicht, die Verbindung zwischen Altem und Neuem Testament herunterzuspielen.¹³² Durch die Expertise jüdischer Forscher sollte dagegen eine eigenständige jüdische Disziplin geschaffen werden, die vor allem nicht länger auf die Bibelüberset-
„Esporre fedelmente il senso letterale del sacro testo, usar dizioni e frasi che rispondano a quelle dell’originale.“ Ebd., 7. Vgl. A. Jellinek, I Salmi volgarizzati sul testo masoretico ed illustrati con argomenti (26.02. 1846). In Briefen und Zeitschriftenartikeln thematisierten italienisch-jüdische Gelehrte vielfach einzelne sprachliche Phänomene der Bibel, die Frage nach der Form einzelner hebräischer Begriffe und Vokallaute sowie nach dem Umgang mit den Problemen der Vokalisierung einzelner Bibelpassagen. Diese Themen verbanden sich mit der mittelalterlichen bibelexegetischen Tradition und insbesondere mit Bibelkommentatoren wie Raschi, Joseph Bechor Schor und Nachmanides. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 20. Vgl. Kapitel 7 dieser Arbeit.
5.3 Grundzüge einer Wissensordnung
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zungen katholischer Autoren angewiesen war.¹³³ Auch auf der anderen Seite der Alpen rieten – laut Berichten der italienisch-jüdischen Presse – deutsch-jüdische Rabbiner ihren Glaubensgenossen von protestantischen Bibelübersetzungen ab und forderten dringlich zu deutsch-jüdischen Bibelübersetzungen auf.¹³⁴ Die Aufsätze und philologischen Abhandlungen Della Torres, die im Laufe der 1860er-Jahre auch für die italienisch-jüdische Presse verfasst wurden, zeigen die enorme philologische und sprachwissenschaftliche Expertise des piemontesischen Gelehrten, belegen aber auch, dass zwischen ihm und Luzzatto tiefe Differenzen über philologische und exegetische Fragen herrschten.¹³⁵ Doch viele italienisch-jüdische Publizisten wie Flaminio Servi und Giuseppe Levi und ehemalige Studenten am Collegio wie der Oberrabbiner Abramo Haim Mainster aus Rovigo vertraten in der italienischen Presse in den 1860er-Jahren die Auffassung, das Projekt einer kompletten italienischen Bibelausgabe könne nur von Luzzatto unternommen werden.¹³⁶ Darin zeigt sich auch das zunehmende publizistische Fachinteresse vieler institutioneller Kreise am Fortschritt der biblischen Studien. Parallel hierzu war es für viele italienische Rabbiner dringlich geworden, an einer Lösung für das Problem des religiösen Indifferentismus und der Unwissenheit der hebräischen Sprache vonseiten der jungen jüdischen Generationen zu arbeiten. Rabbiner Abramo Mainster nahm das deutsch-jüdische Beispiel von dem Fortschritt der philologischen und historischen Disziplinen wahr. Dabei galt es für ihn, gerade der Initiative von Ludwig Philippson und seiner Bibel besondere Aufmerksamkeit zu schenken.¹³⁷
Die Vulgata sowie die Bibelübersetzung des italienischen Predigers Giovanni Diodati enthielten, so etwa Della Torre, viele Unstimmigkeiten und Veränderungen im Vergleich zu den ursprünglichen Bibeltexten in aramäischer und in hebräischer Sprache, weshalb diese Übersetzungen unzählige falsche Vorstellungen und fehlerhafte Stellen enthielten. L. Della Torre, „Un’inezia esegetica (1868).“ In ders., Scritti sparsi, 292. G. Levi und E. Pontremoli, „Sottoscrizione Philippson“ Educatore Israelita 6 (1858): 312; G. Levi und E. Pontremoli, „Un bel progetto del D. Philippson“ Ebd. 7 (1859): 172. Vgl. L. Della Torre, „Della numerazione dei versetti della Bibbia.“ In ders., Scritti sparsi, 293 – 308; vgl. ders. „Note esegetiche e grammaticali“ Educatore Israelita 17 (Juni 1869): 174– 176; (Juli 1869): 205 – 207. A. Mainster, „La Bibbia, i predicatori, il congresso di Rabbini.“ Ebd. 12 (1864), 207– 208: 207; G. Levi und E. Pontremoli, „Progetti“ Ebd. 12 (1864): 344– 345; vgl. auch Servi, La Bibbia Luzzatto e continuatori, 48 – 49. Im Laufe seiner Tätigkeit als Professor am Collegio hatte sich Luzzatto intensiv der Übersetzung der Bücher Jesaja, Jeremia, Hiob und Ezechiel gewidmet. Noch kurz vor seinem Tod im September 1864 hatte Luzzatto die Realisierung einer Bibel in italienischer Sprache zugesagt. G. Levi, „La Bibbia e la proposta del rabbino Mainster“ Educatore Israelita 12 (1864): 240 – 244. Auf Ludwig Philippsons Bibelprojekt wurde reichlich in den Kolumnen der italienisch-jüdischen Presse hingewiesen. Die beiden Herausgeber des Educatore Israelita, Levi und Pontre-
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
Die unterschiedlichen Forschungsbestrebungen und heterogenen philologischen Auffassungen der italienisch-jüdischen Gelehrten deuten auf eine lebhafte und produktive bibelexegetische Diskussion hin, erwiesen sich jedoch bis in die 1860er-Jahre als Hindernis für ein einheitliches Bibelprojekt in italienischer Sprache.¹³⁸ Die exegetische Herausforderung einer vollständigen Bibelübersetzung in italienischer Sprache, die von Anfang an u. a. von Lelio Della Torre und von Oberrabbiner Abramo Mainster unterstützt wurde,¹³⁹ wurde unmittelbar nach dem Tod Luzzattos von ehemaligen Studenten, namhaften Rabbinern und Forschern – u. a. Ehrenreich, Lolli, Mortara und Viterbi – angenommen.¹⁴⁰ Diese Gelehrten hatten im Laufe ihrer bisherigen Karriere unterschiedliche, zum Teil divergierende religiöse Deutungen des Judentums vertreten. Für die Realisierung eines kollektiven exegetischen Projekts bedeuteten diese Divergenzen anfänglich eine Herausforderung. Ziel des Projekts war es, eine einheitliche und weitreichende wissenschaftliche Arbeit zu leisten, ohne auf den populären Charakter der Übersetzung zu verzichten, was vor allem als Zeichen der Treue zu Luzzatto und seinem wissenschaftlichen Erbe im Bereich der Exegese zu verstehen ist. Wissenschaftliche Neuveröffentlichungen sowie Aufsätze über die biblische Poesie, über einzelne Kapitel der Prophetenbücher, über einzelne problematische Stellen in den Übersetzungen der Bibel Luzzattos wurden auch in der zweiten Hälfte der 1860er-Jahre in der italienisch-jüdischen Presse reichlich diskutiert, kommentiert und widerlegt.¹⁴¹ Noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein waren die bibelwissenschaftlichen Studien in Italien also durch eine starke Vielfalt konkurrierender Tendenzen bestimmt. Bis zu Luzzattos Tod und darüber hinaus wurden sie in vielerlei Hinsicht von der Persönlichkeit und den Ideen Luzzattos beeinflusst, der von Anfang an bewiesen hatte, dass er mit seiner exegetischen Zugangsweise zu den Texten der Bibel einen eigenständigen Weg gehen wollte, den er bewusst und entschieden gegen die Auffassungen protestantischer Theologen sowie deutsch-jüdischer Exegeten verteidigte.
moli, informierten Ende der 1850er-Jahre ihre Leser über die Spendenaktion Philippsons für die Realisierung seines Bibelprojektes, das ein breites Publikum ansprach; vgl. Levi und Pontremoli, Sottoscrizione Philippson; Levi und Pontremoli, Un bel progetto del D. Philippson. Vgl. Kapitel 7 dieser Arbeit. Levi und Pontremoli, Progetti. Servi, La Bibbia Luzzatto e continuatori, 78. Vgl. dazu Giuseppe Barzilai, der einen Artikel zum Thema bibelexegetischen Forschungen in dem Corriere von Triest veröffentlichte und einige problematische Stellen in der Übersetzung des Pentateuch von Luzzatto infrage stellte. G. Barzilai, „Studj biblici“ Il Corriere Israelitico 7 (1868 – 1869): 73 – 75.
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Erst nach Luzzattos Tod vertraten viele italienische Gelehrte eine andere Auffassung, zeigten eine besondere Bereitschaft, den Fortschritten der bibelexegetischen Studien jüdischer Forscher Rechnung zu tragen, und betonten die Notwendigkeit, den Austausch der Forschungsergebnisse südlich und nördlich der Alpen zu fördern.¹⁴² Die Erforschung der Bibel blieb so in Italien weiterhin ein kontroverses Thema. Die italienischen Gelehrten spezialisierten sich, wie deutsch-jüdische Gelehrte schon in den 1840er-Jahren festgestellt hatten, vor allem auf die Analyse der poetischen Bibeltexte. Dabei war ihnen die Einhaltung stilistischer und ästhetischer Kriterien besonders wichtig. Insgesamt zeugen die dargelegten Entwicklungen von der intensiven Beschäftigung der italienischen Wissenschaft des Judentums mit der biblischen Exegese und der Tatsache, dass diese dort in besonderer Weise umstritten blieb.
Talmudwissenschaft Allein die Talmudstudien sind ein Fachgebiet, das bislang noch nicht ausgeschöpft wurde, und das für diejenigen, die sich gut auskennen, ein reiches und noch verstecktes Potenzial bietet.¹⁴³
Die italienischen Gebiete galten im Gegensatz zu den deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert weder als Kernland¹⁴⁴ der talmudischen Studien noch als bekannte Orte besonderer pilpulistischer Methoden der Annäherung an den Talmud. Generell zählte die Erforschung der rabbinischen Literatur ebenso wie die der jüdischen Geschichte zu jenen Disziplinen, die im Gegensatz zur Bibelexegese von italienisch-jüdischen Forschern weder kontinuierlich noch historisch-kritisch untersucht wurden. Eine explizite Feindlichkeit gegenüber dem rabbinischen Judentum und der Unzulänglichkeit der rabbinischen Exegese verbreitete sich jedoch erst in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, und zwar weitgehend unter den Gelehrten der deutschen Haskala-Bewegung und der Wissenschaft des Judentums.¹⁴⁵ Die rabbinischen Interpretationen wurden damals von einigen Gelehrten als Abweichungen von den ursprünglichen mosaischen Werten wahrgenommen.
A. Curiel, „Cronaca israelitica del mese“ Ebd. 6 (1867– 1868), 97– 102: 98 – 99. [Übers. d. Verf.] („Ma il campo talmudico è quasi un mare ancora inesplorato, che serba, per chi sa navigarlo, un ricco tesoro di nascoste ricchezze.“ G. Levi und E. Pontremoli, „Bibliografia. Rabbinische Blumenlese“ Educatore Israelita 9 (1861), 344– 346: 345). Harris, How Do We Know This?, 137. Ebd., 153 – 154.
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Kapitel 5: Italienisch-jüdische Wissenschaftsvorstellungen
In Bezug auf die talmudischen Studien zeigten die italienisch-jüdischen Gelehrten eine besondere Rückständigkeit, auch hatte hier noch kein Gelehrter – wie Leopold Zunz 1818 – das Studium der gesamten rabbinischen Literatur zum programmatischen Ziel der Wissenschaft des Judentums erkoren. Auf italienischer Seite existierte vor Lelio Della Torres „Vorlesungen über Talmudwissenschaft“ (scienza talmudica) am Collegio Rabbinico kein eigenständiges Fach Talmud, sondern es waren vielmehr einzelne Gelehrte, die sich mit einzelnen talmudischen Texten in den chaldäischen Sprachen und mit deren Grammatik befassten, wie etwa Isaak Samuel Reggio mit seinen Studien, die er 1840 für das deutsch-jüdische Publikum der Israelitischen Annalen von Jost entwarf.¹⁴⁶ Auch in Padua verfassten Della Torre und der Rabbinerkreis am Collegio keine Lehrbücher, und es gab keine offizielle Literatur, die sich kritisch und sprachwissenschaftlich mit talmudischen Konstrukten und der talmudischen Logik oder etwa der genauen Datierung der Mischna befasste. Lelio Della Torre, der seit 1829 den Lehrstuhl für talmudische Wissenschaften in Padua innehatte, vertrat einen methodologischen Zugang zum Talmud und eine Auslegung der talmudischen Literatur, die in erster Linie jene eines Gelehrten tiefreligiösen Glaubens war.¹⁴⁷ Unter deutsch-jüdischen Gelehrten hatte sich zur selben Zeit ein wachsendes Interesse an der talmudischen Literatur ergeben. Sie widmeten sich bereits intensiv den chaldäischen Sprachen und ihrer Grammatik, der sprachlichen Analyse der Mischna und Gemara sowie den besonderen Varianten aus dem Babylonischen und dem Jerusalemer Talmud. Hier erwartete man schon bald eine Zunahme der Fachliteratur, etwa sprachliche und methodologische Einleitungen zur Mischna und komplette Übersetzungen der Traktate in deutscher Sprache. In Italien fand dieses Forschungsgebiet erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Aufmerksamkeit. Dennoch wurden auch dort in der Folge keine kritischen Editionen und Übersetzungen der talmudischen Literatur in italienischer Sprache vorgelegt. Vielmehr unternahmen italienisch-jüdische Forscher den
I. S. Reggio, „Blick auf den Thalmud“ Israelitische Annalen 2 (20., 27.03., 03., 10.04.1840), 12– 15: 106 – 108; 114– 115; 121– 122; 130 – 131. Darin ordnete Reggio den Talmud unter den großen Denkmälern des Judentums ein. Darüber hinaus erklärte er, die bisher existierende Fachliteratur zum Talmud befinde sich immer noch auf dem Stand vorbereitender und unvollendeter Studien. Diese Studien seien noch nicht in die Tiefe der Disziplin gegangen und könnten noch keine entscheidenden Resultate darbieten. Reggio betonte die Notwendigkeit entschieden wissenschaftlicher Talmudstudien, musste jedoch feststellen: „[…] eben so sehr ist es zu bedauern, dass eine gründliche, streng kritische Untersuchung über sein Wesen und Charakter, über seine Entstehungsart und Haupttendenz, über seine gesetzgebende Kraft und Autorität, über sein hermeneutisches und traditionelles Moment noch zu den Wünschen gehöre, die bis auf den heutigen Tag unerfüllt geblieben sind.“ In ebd., 107. Vgl. Kapitel 4 dieser Arbeit.
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Versuch, den Talmud für ein breites Publikum verständlich zu machen und allgemeine Kenntnisse über den Charakter, die Entstehung und Zusammensetzung der talmudischen Bücher sowie deren innere und inhaltliche Struktur zu vermitteln. Die Annäherung an den Talmud erfolgte zuerst auf dem Wege über Definitionsfragen und einer Popularisierung von Erzählungen und Traditionen. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die Haggada, d. h. die Erzählungen, Legenden, Anekdoten und Aussprüche im Talmud, die vielen italienischen Lesern noch unzugänglich geblieben waren. Dabei wurden besonders jene Episoden und Inhalte im Talmud in den Blick genommen, die durch eine erbauliche und moralische Dimension gekennzeichnet sind. Anfänglich wandten sich zahlreiche italienisch-jüdische Forscher und Publizisten in der jüdischen Presse gegen eine neue kritische Herangehensweise an den Talmud und strebten stattdessen danach, die talmudische Literatur einem interessierten jüdischen Lesepublikum zugänglich zu machen. Giuseppe Levi veröffentlichte zu diesem Zweck 1861 ein großes Kompendium von über vierhundert Seiten zu den Sprüchen, Parabeln und Anekdoten im Talmud. Levis Parabole, leggende e pensieri raccolti dai libri talmudici wurde von der deutschsprachigen Presse, etwa Leopold Löws Monatsschrift Ben Chananja und der von Ludwig Philippson herausgegebenen Allgemeinen Zeitung des Judentums ausführlich rezipiert und gepriesen¹⁴⁸ und 1863 sogar vom deutschen Institut zur Förderung der israelitischen Literatur ins Deutsche übersetzt.¹⁴⁹ Dies bestätigte einmal mehr die gemeinsame Tendenz zur Wiederentdeckung von talmudischen Sprüchen, Traditionen und jüdischen Legenden, die in Deutschland schon 1844 durch Leopold Dukes’ Rabbinische Blumenlese realisiert wurde.¹⁵⁰ In beiden Fällen handelte es sich jedoch um Werke, die weder einen wissenschaftlichen Anspruch hatten noch eine systematische Erforschung des rabbinischen Stoffes im Sinne hatten. Das Werk Giuseppe Levis zielte durch seinen ausgeprägten apologetischen Charakter vor allem darauf ab, das Besondere, Einzigartige des Judentums mithilfe der talmudischen Literatur zu
Levi und Pontremoli, Bibliografia. Rabbinische Blumenlese, 344. G. Levi, „Bibliografia. Parabeln, Legenden und Gedanken aus Talmud und Midrasch“ Educatore Israelita 11 (1863): 141– 142. Die Übersetzung des Werks Levis wurde von Rabbiner Seligmann-Bär Bamberger (1807– 1878) aus Bayern unternommen, wie Levi im Artikel selbst erzählte. Die deutsche Übersetzung von Levis Werk wurde – so Levi selbst – für die Schulen und die jüdische Jugend adaptiert. L. Dukes, Rabbinische Blumenlese, enthaltend eine Sammlung, Übersetzung und Erläuterung der hebräischen und chaldäischen Sprüche des Sirach, talmudischer Sprichwörter, Sentenzen und Maximen nebst einem Anhange Leichenreden und einem Glossar, Leipzig 1844. Die Publikation Dukesʼ wurde selbst in den Kolumnen des Educatore Israelita rezipiert.
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erschließen. Die Legenden und Parabeln des haggadischen Teils des Talmuds wurden in der italienisch-jüdischen Presse mit entsprechenden Episoden aus der katholischen Tradition verglichen.¹⁵¹ Dabei ging es nicht darum, die Wissenschaftlichkeit des Talmuds zu behaupten, sondern vielmehr darum, falsche Vorstellungen über den Talmud zu widerlegen, etwa antijüdische Vorurteile aus dem Mittelalter, die damals von christlichen Missionaren als Beweise der Unsinnigkeit und des wunderlichen Charakters der rabbinischen Texte angeführt wurden.¹⁵² Darüber hinaus erkannten einige Gelehrte die Notwendigkeit, jene jüdischen Traditionen, Sitten und Gebräuche im weiteren Sinne vor dem Vergessen zu bewahren. Man bemühte sich in diesen Publikationen darum, der talmudischen Literatur neuen Respekt zu verschaffen, und strebte nach einem neuen Bild der rabbinischen Literatur, das Fehldeutungen des talmudischen Judentums entgegenwirken sollte. Dieses neue Bild des Talmuds sollte in der Folge ein wachsendes Interesse an dessen Erforschung erzeugen.¹⁵³ In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Levi im Educatore weitere Beiträge zum Thema Talmud, die sich jedoch meist auf einen historischen Überblick beschränkten.¹⁵⁴ Der Inhalt der Beiträge Levis und seine plakative, sentimentale Darstellung des Talmuds erwiesen sich ohnehin als nicht vergleichbar mit den wissenschaftlichen Beiträgen zum rabbinischen Judentum, die zur selben Zeit von deutschen Rabbinern wie Zacharias Frankel in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums,¹⁵⁵ und in selbstständigen Publikationen veröffentlicht wurden.¹⁵⁶ Der Corriere Israelitico, der in Triest erschien, richtete, was den Fortschritt der talmudischen Studien betraf, den Blick seit seinen ersten Heften auf die deutschsprachige Wissenschaft des Judentums und dokumentierte so das Interesse der Redaktion für Studien und Neuerscheinungen in deutscher Sprache. Die Zeitschrift rezipierte dezidiert wissenschaftliche Studien zum Talmud, die als
Vgl. L. Della Torre, „Leggende Talmudiche comuni ad altre confessioni religiose, I pericoli della scienza“ Educatore Israelita 18 (1870): 52– 56. Harris, How Do We Know This?, 155 – 156. F. Servi, „Lo studio del Talmud“ Il Corriere Israelitico 3 (1864– 1865): 316 – 319; 346 – 350; vgl. auch L. Racah, „Il Talmud“ Educatore Israelita 18 (1870): 81– 89; ders., „Il Talmud e i suoi critici“ Ebd., 105 – 108. G. Levi, „Sulla formazione dei libri talmudici. Brevissimi cenni storici“ Ebd. 16 (1868), 265 – 268; 289 – 292. Vgl. z. B. Frankels historischen Zugang zur Mischna und zum Talmud Jeruschalmi. Z. Frankel, Einiges zur Erklärung der im jerusalemischen Talmud vorkommenden griechischen Wörter, in Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 15, 1866, 10, 394– 397. Z. Frankel, Darkeh ha Mischna, Hodegetica in Mischnam librosque cum ea coniunctos, Leipzig 1859.
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ausschlaggebend für die historisch-kritische sowie archäologische Erforschung des Talmuds wahrgenommen wurden.¹⁵⁷ Doch erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchten Gelehrte wie Flaminio Servi, eine neue Zugangsweise zur talmudischen Literatur zu fördern. Servi plädierte im Jahre 1864 im Corriere Israelitico für ein grundlegendes Studium des Talmuds, das mit analytischer Methode geführt werden sollte,¹⁵⁸ um den Talmud sowohl in seinem rituell-normativen, halakischen Teil als auch in seinem narrativen, haggadischen Teil zu erforschen, da er – wie alle anderen wissenschaftlichen Dokumente und Quellen – einer präziseren Untersuchung bedurfte. Pilpulistische, irrationale und unsystematische Methoden mit ihrer „ergebnislosen Praxis“,¹⁵⁹ die das Studium und die Annäherung an den Talmud bis dahin gekennzeichnet hatten, unterzog Servi einer besonders scharfen Kritik. Diese Methoden seien unangemessen und überholt und müssten daher von den jüdischen Forschern überwunden werden. Notwendig sei vielmehr ein tiefgründiges Verständnis der talmudischen Logik, der Phraseologie des Talmuds, seiner Argumentation und syntaktischen Strukturen, das bis jetzt vor allem bei italienisch-jüdischen Forschern nicht ausreichend vorhanden war. Noch fehlten Nachschlagewerke über die logische und argumentative Struktur sowie über grammatische Regeln des Talmuds, weshalb Servi in seinem Beitrag eine neue – wissenschaftliche und zugleich didaktische – Annäherung an den Talmud vorschlug. Auch die modernen Wissenschaften, etwa die Naturwissenschaften aufgrund ihrer zunehmenden Bedeutung, seien von großem Nutzen für dessen kritische Erforschung.¹⁶⁰ Auf der anderen Seite der italienischen Halbinsel, im Piemont, lag das Augenmerk der Artikel des Educatore Israelita weiterhin stärker auf dem Aspekt der Popularisierung und allgemeinen Wissensverbreitung durch apologetische Artikel, Kompendien und Aufsätze.¹⁶¹ Dies erwies sich als das Hauptanliegen des
So fassten Korrespondenten wie Della Torre z. B. Artikel aus der Feder Frankels aus der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums zusammen und kommentieren sie; vgl. L. Della Torre, „Rivista letteraria. Sopra le monete ed i pesi del Talmud“ Il Corriere Israelitico 1 (1862– 1863): 79 – 81. Servi, Lo studio del Talmud, 346 – 350. Ebd., 350. G. Levi hatte 1861 ein großes Kompendium zu den Sprüchen, Parabeln und Legenden im Talmud veröffentlicht. Vgl. G. Levi, Parabole, Leggende e pensieri raccolti dai libri talmudici dai primi cinque secoli dell’e. v. e tradotti dal Prof. G. Levi di Vercelli, Firenze 1861. F. Servi, Lo studio del Talmud, 349 – 350. Servi formulierte neben den objektiven Bedingungen für eine eingehende Herangehensweise an dem Talmud, auch eine subjektive Annäherung, indem er bestimmte Dispositionen u. a. auch eine bestimmte Geistesauffassung der Forscher einordnete. Levi, Sulla formazione dei libri talmudici, 265 – 268 und 289 – 292. Racah, Il Talmud; ders., Il Talmud e i suoi critici.
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Educatore, vor allem seines Herausgebers Giuseppe Levi, mit der Folge, dass in der italienisch-jüdischen Presse Beiträge zur talmudischen Literatur, die eine kritische Herangehensweise aus säkularer Perspektive befürworteten, fast ganz fehlten. Erst das Buch von David Castelli (1836 – 1901) aus der Gemeinde von Livorno, das 1869 unter dem Titel Leggende Talmudiche in Florenz veröffentlicht wurde, zeichnete sich durch ein systematisches Studium zum Talmud in italienischer Sprache aus, das auf eine historisch-kritische Erforschung der talmudischen Schriften und vor allem ihrer haggadischen Bestandteile zielte. Castelli machte sich die Grundlagen der positivistischen Wissenschaft zu eigen, teilte aber vor allem die historisch-kritische Herangehensweise vieler bedeutender Vertreter der Wissenschaft des Judentums.¹⁶² Castellis säkularer Ansatz bediente sich der Mittel einer objektiven, neutralen Wissenschaft und löste so die Dichotomie zwischen Glauben und Vernunft, Theologie und wissenschaftlicher Forschung auf. In der Vorrede zu seinem Werk machte er geltend, weder in der Bibel noch im Talmud sei ein „koordiniertes theologisches System“ vorhanden,¹⁶³ sodass man das Theologische als rein menschliche Konstruktion betrachten müsse.¹⁶⁴ Castelli verstand den Talmud als enzyklopädisches Werk des Judentums: Was ist dieser Talmud? Eine Theologie, ein Gesetzkorpus, ein Ritualbuch, ein moralisches Buch, eine Sammlung von Legenden, ein Kommentar zur Heiligen Schrift? Der Talmud ist all diese Sachen zusammen. […] Der Talmud ist eine Enzyklopädie des jüdischen Gesetzkorpus.¹⁶⁵
In seinem Urteil wurde Castelli, wie er selbst in der Prefazione critica (dem „kritische[n] Vorwort“) seiner Leggende Talmudiche darlegt, zweifellos von den wissenschaftlichen Leistungen und Publikationen der Hauptvertreter der Wissen-
Vgl. Facchini, David Castelli. D. Castelli, Leggende Talmudiche. Saggio di traduzione dal testo originale con prefazione critica, Pisa 1869, 31– 32. Castellis Auffassung der menschlichen Verfasserschaft des Talmuds wurde von der konservativen Fraktion italienischer Rabbiner u. a. in den Kolumnen des Educatore Israelita heftig kritisiert. Die Tatsache, dass Castelli den haggadischen Teil als Ausdruck menschlicher Interpretation verstand, wurde z. B. von Rabbiner Leone Racah aus Livorno, einem ehemaligen Studenten am Collegio Rabbinico, heftig bestritten; vgl. Racah, Il Talmud, 84– 85. „Che cosa è finalmente questo Talmud? È una teologia? Una legislazione? Una rituaria? Una morale? Una storia? Una raccolta di leggende? Un commento alla sacra scrittura? È tutte queste cose nel medesimo tempo; […] Il Talmud è l’enciclopedia di questa che gli Ebrei chiamarono la loro Legge.“ Castelli, Leggende Talmudiche, 6; 10.
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schaft des Judentums – namentlich Zunz, Geiger, Graetz, Steinschneider und Jost – beeinflusst.¹⁶⁶ Das kollektive Projekt einer vollständigen kritischen Auslegung des Talmuds war von den italienisch-jüdischen Forschern weder intendiert noch wäre es machbar gewesen. Während die bibelexegetische Forschung auf der italienischen Halbinsel von jenem Rabbinerkreis, der das intellektuelle Erbe Luzzattos fortführte und seinen bibelexegetischen Nachlass bearbeitete, kontinuierlich vorangetrieben wurde, fehlte es mit Blick auf die talmudischen Studien sowohl an der erforderlichen kohärenten Entwicklung als auch an Willen und Planungskraft – von einem konkreten wissenschaftlichen Projektentwurf ganz abgesehen. Die vereinzelten Arbeiten bestätigen zum einen das mangelnde Fachinteresse einer Mehrheit der italienisch-jüdischen Gelehrten an diesem Forschungsbereich. Zum anderen zeigen sie, wie sehr diese Disziplin im Vergleich zur rasanten Entwicklung und Spezialisierung in der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums, die bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkennbar war, immer noch in ihren Anfängen stand.
Definition und Umfang einer jüdischen Geschichte in Italien Die Erforschung der jüdischen Geschichte hatte seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf deutsch-jüdischer Seite eine intensive konzeptionelle und methodische Entwicklung erlebt und als unmittelbare Folge eine reichhaltige Produktion historischer Werke, etwa aus der Feder von Leopold Zunz, Isaak Markus Jost, Heinrich Graetz und Moritz Steinschneider, hervorgebracht. Diese Entwicklung hatte ihre Wurzeln in der Zeit der Aufklärung, als sowohl jüdische als auch christliche Denker eine grundlegende Revision ihres Geschichtsbilds anstrebten¹⁶⁷ und religiöse Weltbilder infrage stellten. Ein erster entscheidender Wandel bestand darin, dass die Aufklärer die Vergangenheit nicht mehr als religiöses Heilsgeschehen, sondern als säkulare Weltgeschichte verstanden.¹⁶⁸ Auch viele jüdische Gelehrte beteiligten sich im Kontext der Haskala, der jüdischen Aufklärung, aktiv an diesem Wandel historischen Denkens. Damals entstanden neue Geschichtsdeutungen, die vor allem von Hegels philosophischem Denken und von seinem Verständnis vom Judentum als einer Phase der menschlichen Sein Fußnotenapparat enthielt vor allem sprachwissenschaftliche und historische Studien zur talmudischen Literatur. Ebd., 2. U. Wyrwa, „Die europäischen Seiten der jüdischen Geschichtsschreibung.“ In ders. (Hg.), Judentum und Historismus, 9 – 36: 36. Ebd., 9.
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Weltgeschichte beeinflusst waren.¹⁶⁹ In einer Zeit, in der die Geschichtswissenschaft zur Leitwissenschaft erkoren wurde, stand auch die entstehende jüdische Historiografie vor der Herausforderung, neben den zeitgenössischen philosophischen Konzepten auch die Methoden präziser historischer Forschung auf die jüdische Geschichte, Literatur und Kultur anzuwenden. Auch in Italien begegnete die jüdische Geschichte dank der Arbeit der jüdischen Gelehrten, Rabbiner und Publizisten bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als Forschungsgegenstand einem neuen Interesse. Eine mit der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums vergleichbare Resonanz historischer Themen oder eine vergleichbare Fachliteratur existierte hier allerdings noch nicht, und zwar hauptsächlich aus Mangel an Spezialisten auf diesem Gebiet. Die jüdische Geschichtsforschung in Italien hatte weder kontinuierliche Aufmerksamkeit genossen noch systematische Untersuchungen hervorgebracht. Dass es hier nicht zu einer vergleichbaren Modernisierung und Verwissenschaftlichung der jüdischen Geschichtsschreibung kam, hing allerdings auch mit einer verbreiteten Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen jüdisch-historischen Erbe zusammen. In den italienischsprachigen Territorien existierte seinerzeit noch keine umfassende jüdische Geschichte in italienischer Sprache aus der Feder eines jüdischen Historikers – ein Desiderat, das noch für lange Zeit bestehen sollte. Die einzige historische Publikation war der Band des christlichen italienischen Historikers Aurelio Bianchi-Giovini¹⁷⁰ (1799 – 1862) mit dem Titel Storia degli Ebrei e delle loro sette e dottrine religiose durante il Secondo Tempio, der 1845 in Mailand veröffentlicht wurde. Die Darstellung begann nach einer kurzen Einführung in die Geschichte des Alten Israel mit Ausführungen über die Zeit nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil. Bianchi-Giovini, der ursprünglich eine Gesamtdarstellung der jüdischen Geschichte bis zur Gegenwart in drei Bänden konzipiert hatte und eine Geschichte der jüdischen Fraktionen und Sekten sowie der Entwicklung des talmudischen und rabbinischen Judentums darstellen wollte, beendete den ersten und einzigen Band seiner Geschichte mit der Eroberung Jerusalems durch
Meyer, Antwort auf die Moderne, 107– 108. Aurelio Bianchi-Giovini (eigentlich Angelo Bianchi) war ein italienischer Publizist und Historiker. 1848 wurde er in Turin zum Chefredakteur des liberalen Publikationsorgans L’Opinione ernannt. Als Abgeordneter in Piemont fiel er in den Jahren 1849/50 durch seine polemischen Attacken gegen den Papst und die Habsburgermonarchie auf. Seinen ausgeprägten Antiklerikalismus äußerte er in verschiedenen Schriften, in scharfen Repliken und Pamphleten. Er beschäftigte sich intensiv mit Themen der Religionskritik und Kirchengeschichte. Er veröffentlichte etliche Werke hierüber, u. a. die „Kritik der Evangelien“ (Critica degli Evangeli, 1853) und die zwölfbändige „Geschichte der Päpste“ (Storia dei Papi, 1850 – 1864).
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Titus. Das Werk lief auf eine Geschichte des Judentums als Nationalgeschichte hinaus, insofern darin die Geschichte des jüdischen Volkes selbst als historischer Gegenstand betrachtet wurde. Das Hauptaugenmerk des Autors lag dabei auf jenen religiösen, politischen und sozialen sowie philosophischen Elementen der jüdischen Geschichte, die sich als entscheidende Aspekte einer Vorgeschichte des Christentums verstehen ließen.¹⁷¹ Bianchi-Giovini zeichnete ein durchaus wohlwollendes Bild des zeitgenössischen Judentums, wie es schon der calvinistische Theologe Jacques Basnage (1653 – 1723) in seiner Histoire des Juifs im 18. Jahrhundert entworfen hatte.¹⁷² Als Quellenmaterial nutzte der italienische Verfasser die Geschichte der Israeliten des deutsch-jüdischen Historikers Isaak Markus Jost und das zweibändige Werk des böhmischen Erziehers Peter Beers (1758 – 1838), das 1822 unter dem Titel Geschichte, Lehren, und Meinungen Aller Bestandenen und noch Bestehenden Religiösen Sekten der Juden und der Geheimlehre oder Kabbala erschienen war. Dass Bianchi-Giovinis Buch auch unter zeitgenössischen jüdischen Denkern auf Interesse stieß, lässt sich an der intensiven Korrespondenz zwischen Luzzatto und Bianchi-Giovini ablesen. Luzzatto interessierte sich nicht nur für die Perspektive des christlichen Historikers und dessen Konzeption des Judentums, sondern wirkte auch an der Redaktion des Werkes mit und verfasste ein langes Nachwort.¹⁷³ Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere seit der italienischen Einheit im Jahr 1861 beschränkte sich die Erforschung der jüdischen Geschichte in Italien hauptsächlich auf die Geschichte der biblischen Zeiten und des Alten Israel. Den Hintergrund dazu bildete u. a. eine Rhetorik des Nationalen, in der die jüdische Geschichte eine exemplarische Epoche einer ruhmvollen Vergangenheit verkörperte. Die jüdische Geschichte wurde vor allem als nationale Heldengeschichte beschrieben, vergleichbar der Geschichte der Griechen oder der Römer. Dieser Ansatz verschaffte der jüdischen Historiografie, abgesehen davon, dass er ihr der jüdischen Geschichte eine neue Relevanz im Kontext der anderen (National‐)Geschichten verlieh, eine wichtige Stellung im Rahmen der Alter-
A. Bianchi-Giovini, Storia degli Ebrei e delle loro sette e dottrine religiose durante il Secondo Tempio, Milano 1844, 4– 5. Ebd., 3. Vgl. die umfangreiche Briefkorrespondenz zwischen Luzzatto und Bianchi-Giovini im Laufe der 1840er-Jahre im Epistolario italiano, francese, latino. Giovini schickte Luzzatto Fragen und erbat Anregungen zu seiner Geschichte sowie Hilfe bei der Klärung von Ungewissheiten in Bezug auf Episoden der jüdischen Geschichte. „Luzzatto an Bianchi-Giovini, Mailand, 18.10.1844.“ Ebd. 260, 436 – 438; 10.11.1844, 262, 439 – 441; 18.12.1844, 263, 441– 442; 03.02.1845, 266, 444– 445; 23.02.1845, 448 – 449; 14.03.1845, 271, 451; –.04.1845 [sic], 273, 452.
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tumswissenschaft.¹⁷⁴ In vielen Artikeln war auch von der Geschichte einer kleinen Nation die Rede, die trotz aller Schwierigkeiten und Entbehrungen zerstreut unter anderen Nationen lebte und dennoch ihr kulturelles und intellektuelles Erbe von ihrem Ursprung bis in die Gegenwart hinein bewahrt hatte.¹⁷⁵ Hier trat eine besondere Affinität zur Konzeption der Geschichte Israels zutage, die deutsch-jüdische konservative Historiker wie Heinrich Graetz bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Schrift Konstruktion der jüdischen Geschichte (1846) entwickelt hatten.¹⁷⁶ Auch Autoren wie Flaminio Servi nahmen für ihre Geschichtsvorstellungen wiederholt starken Bezug auf Konzepte wie Nation und Nationalität.¹⁷⁷ Die jüdische Nationalgeschichte, so Servi im Educatore Israelita, sei als gleichrangig mit den Geschichten aller anderen Nationen zu betrachten; sie sei zudem eine glorreiche Geschichte, die, wie die italienische, französische und englische Geschichte, unbedingt studiert werden müsse und eine gleichberechtigte Stellung und wissenschaftliche Anerkennung verdiente.¹⁷⁸ Diese Vorstellung von jüdischer Geschichte intendierte weder deren Integration in die europäische noch die in eine universelle Geschichte und stand somit im Gegensatz zu der Konzeption jüdischer Geschichte als eines integralen Teils der allgemeinen Geschichte, die viele Vertreter der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums wie Leopold Zunz oder Isaak Markus Jost, vertraten. Servis Auffassung von Nationalgeschichte lief auf eine eigenständige jüdisch-religiöse Altertumsgeschichte hinaus, die neben der Geschichte der Römer und der Griechen eine Storia mit großem S präsentierte. Die Geschichte der alten Israeliten, die bis dahin als tränenreiche Leidensgeschichte, als Storia delle antichità giudaiche ¹⁷⁹, wahrgenommen worden war, wurde nun in erster Linie als Geschichte der biblischen Zeiten und Helden verstanden, die sich durch einen ausgeprägten religiösen Charakter auszeichnete. Servis Geschichtsvorstellung beruhte erkennbar auf Luzzattos religiös orientier-
F. Servi, „Lettera ad un amico. Sul bisogno degl’Israeliti di studiare la Storia Giudaica“ Educatore Israelita 8 (1860), 289 – 293: 289. Ebd., 290. Laut dem Historiker Heinrich Graetz hatte der jüdische Volksstamm trotz seiner staatslosen Existenz und Zerstreuung von Anfang an eine besondere Einheit behauptet. Vgl. H. Graetz, Geschichte der Juden von den Ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Aus den Quellen neu bearbeitet, Leipzig 1853 – 1874. Servi, Lettera ad un amico, 289. „Studino dunque gl’Italiani la storia delle loro bellissime contrade, i Francesi quella di Francia, gl’Inglesi quella d’Inghilterra e così tutti. Ma a noi che Israeliti a ben ragione ci vantiamo di essere, noi dispersi per mille contrade, disseminati in mille angoli della terra, ma pur sempre serbatori di mille glorie avite, quale storia dovremo studiare se non la Giudaica […]“ Ebd., 290. Ebd., 291.
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tem, jüdisch-nationalem Geschichtskonzept, wie er es im Giudaismo Illustrato für die Rabbinerkandidaten in Padua dargelegt hatte.¹⁸⁰ Aus Servis wie aus Luzzattos Sicht hatten die Geschehnisse der jüdischen Vergangenheit und die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes unmittelbaren Einfluss auf die Gegenwart und auf die Erhaltung der Juden auf der Welt – eine Vorstellung von jüdischer Geschichte, die keiner säkularen Interpretation bedurfte und deren Schwerpunkt vor allem auf dem biblischen Judentum lag. Deshalb sollte eine Gesamtdarstellung der jüdischen Geschichte Servi zufolge auch idealerweise von einem Rabbiner oder einem erfahrenen italienisch-jüdischen Gelehrten verfasst werden.¹⁸¹ Während ein Großteil der italienisch-jüdischen Publizisten für erkennbar jüdische Geschichtswerke sowie für vornehmlich altertumswissenschaftliche Studien plädierte, unterstützten seit den 1860er-Jahren einige wenige Stimmen in der italienisch-jüdischen Presse einen anderen Ansatz, der sich stark am Vorbild der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums orientierte. Wie die deutschjüdischen Historiker schrieben sie der jüdischen Geschichtsschreibung eine maßgebliche Stellung als „Herrin aller Wissenschaften“ (Signora di ogni scienza) zu,¹⁸² welcher der Rang einer eigenständigen Wissenschaft zukam. Manche Gelehrte bevorzugten bei der Rekonstruktion der jüdischen Vergangenheit, zum Teil unter dem Einfluss von Heinrich Graetz, einen starken Akzent auf der Sozial- und Politikgeschichte und nicht zuletzt eine detaillierte Abhandlung der jüdischen Beziehungen zu anderen Völkern und Nationen.¹⁸³ Gelehrte wie Moisé Colombo verstanden die jüdische Geschichte als Teil der Universalgeschichte sowie als Teil der menschlichen Weltgeschichte.¹⁸⁴ Das Studium der jüdischen Geschichte sollte daher neben der Zeit des Alten Israel und der Epoche des Mittelalters auch eine Geschichte der prägenden Ideen des Judentums bieten. Colombo erblickte im Denken von Maimonides, Mendelssohn und Spinoza die unbedingte Voraussetzung für eine jüdische „Reaktion“,¹⁸⁵ das zur Akkulturation beitragen und neue Impulse für die jüdischen Studien geben sollte.
S. D. Luzzatto, Il Giudaismo illustrato nella sua teorica, nella sua storia e nella sua letteratura, per Samuel David Luzzatto da Trieste, Professore nell’Istituto Rabbinico di Padova, Padova 1848. Servi, Lettera ad un amico, 292. Mit diesem erfahrenen Gelehrten wies Servi vielleicht indirekt auf Luzzatto hin. A. Curiel, „Movimento intellettuale del Giudaismo contemporaneo“, in Il Corriere Israelitico 7, 1868, 123 – 128: 123. Vgl. u. a. M. Colombo, „Sullo studio della Storia Israelitica“ Educatore Israelita 16 (1868), 173 – 176: 174. Ebd. Ebd., 175.
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Andere, etwa Esdra Pontremoli, beklagten – ähnlich wie Colombo – nicht nur ein verbreitetes Desinteresse unter den italienischen Juden, sondern auch eine verhängnisvolle Unwissenheit der Glaubensgenossen mit Blick auf ihre eigene Geschichte. Das Judentum habe eine glorreiche und ruhmvolle Vergangenheit, die wiederentdeckt werden sollte,¹⁸⁶ wobei allerdings auch auf die Beziehungen und Verflechtungen mit anderen Nationen geachtet werden sollte, um einer exklusiven, hermetischen Auffassung jüdischer Geschichte entgegenzuwirken. Als Vorbild nannte Pontremoli die Geschichte des deutsch-jüdischen Historikers Isaak Markus Jost, die ihm zufolge damals stark rezipiert wurde.¹⁸⁷ Die jüdische Altertumsgeschichte sollte neu konzipiert werden, um eine neue Basis für die Erforschung und die Lehre dieser Disziplin zu ermöglichen, die eine komplett neue Auffassung von geschichtlichen Studien voraussetzte. Gelehrte wie Pontremoli wiesen der Erforschung der jüdischen Geschichte und der historischen Bildung der Bevölkerung eine zentrale Rolle zu, hofften sie doch, durch die Verbreitung geschichtlicher Kenntnisse einer fortschrittlichen Vision jüdischer Geschichte Geltung zu verschaffen. Jüdische Autoren sollten daher nicht nur die Geschichte der biblischen Zeiten, sondern auch die neueste Geschichte berücksichtigen, um eine fortschrittliche, moderne Geschichtsschreibung in Anlehnung an die Entwürfe zeitgenössischer deutsch-jüdischer Historiker der Zeit voranzutreiben. Pontremoli erachtete zudem eine gründliche Auseinandersetzung mit der italienischen Geschichte, welche die jüdische Geschichte auch im Zusammenhang der zeitgenössischen italienischen kulturellen, politischen und intellektuellen Entwicklungen beleuchtete, als wichtiges Desiderat. Bei der dringend erforderlichen Auseinandersetzung der italienischen Juden mit einer Heimatsgeschichte,¹⁸⁸ d. h. mit der Storia Patria, kam es weniger auf die Betonung einer jüdischen Nationalgeschichte (wie bei Servi) oder auf die Darstellung exklusiv jüdischer nationaler Errungenschaften durch eine ausschließlich innerjüdische Forschungsperspektive an, sondern vielmehr auf einen universalgeschichtlichen Ansatz, der bisherige Abgrenzungen zwischen jüdischer und allgemeiner Geschichte überwinden helfe. Für diesen Ansatz, der insgesamt an Josts Geschichtskonzeption erinnert, spielten jedoch anstatt des für Letzteren charakteristischen europäischen Zeitgeistes¹⁸⁹ Vorstellungen der Romantik und vor allem die italienische Bildung eine maßgebliche Rolle. Pontremoli setzte in seinem Konzept von Storia Patria eine unbedingte Loyalität und Zugehörigkeit zu Italien
E. Pontremoli, „Al Sig. Moise Colombo“ Ebd. 16 (1868), 197– 201: 198. Ebd., 200. Ebd. Wyrwa, Die europäischen Seiten der jüdischen Geschichtsschreibung, 21.
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und seiner Geschichte, also gegenüber der neuen Heimat, voraus¹⁹⁰ und betonte die Notwendigkeit der Erkenntnis von Beziehungen und Verknüpfungen zwischen italienischen Ereignissen sowie Persönlichkeiten und jüdischen Literaten und Denkern der vergangenen Zeiten. Pontremoli stellte sich zudem eine jüdische Wissenschaftsgeschichte vor, die das Wirken jüdischer Mathematiker, Physiker und Mediziner betonte und eine Geschichte der Entdeckungen und der Erfolge jüdischer Wissenschaftler vorlegen sollte, die in vielen Disziplinen herausragende Resultate gezeigt hatten.¹⁹¹ Sorgfalt und Genauigkeit wurden seit den 1860er-Jahren in der italienischjüdischen Presse in vielen Artikeln als neue Werte und unabdingbare Prinzipien der jüdischen Geschichtsschreibung in Bezug auf den Umgang mit historischen Fakten und Quellen betont.¹⁹² Dies passierte mit dem großen Aufschwung, den die naturwissenschaftlichen Disziplinen im Zeitalter des Positivismus erlebten.¹⁹³ Die offensichtlichen, objektiven Fortschritte der naturwissenschaftlichen Erkenntnis manifestierten sich nun auch auf anderen Gebieten, wie dem der Geschichtsforschung. Auch in diesem Zusammenhang bezogen sich italienisch-jüdische Publizisten auf deutsch-jüdische Vorbilder. Diese Artikel, die zu einer genaueren und ausführlichen kritischen Auseinandersetzung mit konkreten historischen Fakten Pontremoli wies auf die Namen von italienischen Historikern und Politikern und deren Werke hin. Als besonders wichtig galten ihm Historiker wie u. a. Macchiavelli und Guicciardini, die als die italienischen Historiker schlechthin wahrgenommen wurden. Pontremoli, Al Sig. Moise Colombo, 200. Pontremoli wies in seiner Replik an Colombo auf bedeutende Geschichtsschreiber und Politiker seiner Zeit hin, die von Geschichtstheorien und Ideen der Romantik stark geprägt waren. Diese waren u. a. der Schweizer Historiker Jean-Charles-Léonard Sismonde (1773 – 1842), der stark von den Theorien Jean Jacques Rousseaus inspiriert wurde und Verfasser einer mehrbändigen Histoire des républiques italiennes du Moyen-âge (1807– 1808; 1809 – 1818) war. Pontremoli zitierte auch den französischen Geschichtsschreiber Pierre Daru (1767– 1829) und zeitgenössische italienische Historiker wie Pietro Colletta (1775 – 1831) und Cesare Cantù (1804– 1895), der vor allem Mitte der 1850er-Jahre ein monumentales enzyklopädisches Geschichtswerk Storia Universale sowie unzählige Geschichtsromane verfasst hatte. Ebd., 200. Es wurden Zusammenfassungen von deutschsprachigen Artikeln veröffentlicht, die z. B. der deutsche Rabbiner und Historiker Meyer Kayserling (1829 – 1905) in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums publizierte; „Meyer Kayserling“, in M. Brocke und J. Carlebach (Hg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil 1, Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781 – 1871, München 2004, 521– 523. Meyer Kayserling wurde als Historiker und Spezialist der Geschichte sephardischer Juden bekannt. Als Publizist verfasste er zahlreiche Artikel in der Allgemeinen Zeitung des Judentums von Philippson, in Frankels Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums u. a. auch eine Reihe von Beiträgen und Aufsätzen zu Moses Mendelssohn. Vgl. K. Bayertz, M. Gerhard und W. Jaeschke (Hg.), Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Der Materialismus-Streit, Bd. 1, Hamburg 2007, 8 – 9.
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wie mit sekundären Episoden der Geschichte aufforderten, wurden von italienisch-jüdischen Publizisten besonders gepriesen.¹⁹⁴ Viele historische Ereignisse bedurften ihnen zufolge einer neuen, objektiveren und kritischeren Darstellung. Außerdem forderten sie eine Fokussierung auf einzelne Episoden der Geschichte, in denen Juden direkt involviert waren. Diese Artikel legten besonderen Wert auf Objektivität, Wissenschaftlichkeit und Glaubwürdigkeit in Bezug auf einzelne historische, vielfach vergessene oder noch unbekannte Ereignisse. Die Geschichte des Alten Israel, die lange Zeit vernachlässigt worden war, und die neuere und neueste jüdische Geschichte sollten von jungen Historikern und Forschern mit Stolz wiederentdeckt, gleichrangig neben anderen europäischen Geschichten gestellt werden und den Rang einer Leitdisziplin bekommen.¹⁹⁵ Gelehrte wie Pontremoli hielten dafür auch ausreichende Kenntnisse der italienischen Geschichte für unentbehrlich, um einerseits die jüdische Historie in die allgemeine italienische Geschichte einzuschreiben und andererseits auch das jüdisch-historische Denken in das etablierte bürgerliche Verständnis von Geschichte einfließen zu lassen und alle italienischen Bürger vom Wert der jüdischen Geschichte zu überzeugen. Nicht zuletzt forderten viele italienische Gelehrte dringend eine Neuentdeckung der jüdischen Geschichte, um sowohl Erkenntnisse zum jüdischen Selbstverständnis in der Moderne zu gewinnen als auch das jüdische Selbstbewusstsein innerhalb der zeitgenössischen italienischen Kultur zu betonen und zu bestärken.
Jüdische Geschichte als Leitdisziplin in Italien? Das Studium der jüdischen Geschichte gewann institutionell gemeinsam mit anderen Disziplinen in Padua dank der Vorlesungen von Samuel David Luzzatto am Collegio einen akademischen Rang. Jüdische Geschichte, Bibelexegese, Talmud, hebräische Philologie und Grammatik wurden zum Gegenstand von Forschung und Lehre. Das Fach jüdische Geschichte wurde als Religionsgeschichte,
Vgl. die Rubrik aus dem Jahre 1868 des Corriere Israelitico von Triest: Curiel, Movimento intellettuale del Giudaismo contemporaneo, 123. Diese Rubrik machte auf einen Artikel Meyer Kayserlings über einen unbekannten französischen Rabbiner aufmerksam. Es handelte sich um einen Rabbiner, der zur Zeit Robespierres gelebt hatte; vgl. M. Kayserling, „Analekten. Ein vergessener Rabbiner aus der Zeit der französischen Revolution“, in Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 17 (1868), 4: 150 – 151. Colombo, Sullo studio della Storia Israelitica, 174; Pontremoli, Al Sig. Moise Colombo, 198 – 199.
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als Geschichte mit einem starken Schwerpunkt im Bereich des biblischen Judentums verstanden, blieb aber so zumindest im Rahmen einer jüdisch-konfessionellen Institution in die Ausbildung zukünftiger Rabbiner eingebunden. Luzzattos historisch-religiöse Vorlesungen, die Discorsi storico-religiosi, wurden ab den 1850er-Jahren mittels der jüdischen Presse einer breiten Öffentlichkeit von Lesern zugänglich gemacht.¹⁹⁶ Sie folgten nicht nur einen disziplinenspezifischen Bildungsauftrag, sondern auch einer Art bürgerlicher Bildungsmission, die auf gesellschaftliche Relevanz zielte und daher in der italienisch-jüdischen Presse eine ideale Plattform fand. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs das Bedürfnis, die historischen Studien in Italien neu zu organisieren. In Artikeln von Autoren wie Flaminio Servi wurden seit den 1860er-Jahren Aufrufe zur Konzipierung spezifischer Programme für das Studium der Geschichte als Hauptfach für jüdische Studenten schon für das Gymnasialstudium vorgeschlagen. Im selben Artikel plädierte Servi auch für einen speziellen Lehrstuhl für jüdische Geschichte an einem Rabbinerseminar,¹⁹⁷ ohne allerdings die Forderung nach einem säkularen universitären Kontext ins Spiel zu bringen. Über diesen Versuch hinaus, innerhalb eines jüdisch-konfessionellen Milieus einen festgelegten Wissenschaftsbereich zu definieren, gab es in Italien keine Bestrebungen hinsichtlich einer Akzeptanz und Institutionalisierung der Disziplin in einem christlich-akademischen Umfeld.¹⁹⁸ Auch Moisé Colombo betonte in seinen Beiträgen in der Presse in den 1860erJahren die zentrale Stellung der Bibel und der jüdischen Geschichte für die jüdischen Studien, unterstrich aber auch, dass diese zur jüdischen Altertumsgeschichte nur von säkularen Intellektuellen und Forschern unternommen werden sollten, da man die jüdische Geschichte nicht den Rabbinern überlassen dürfe.¹⁹⁹ Colombo forderte, wie schon erwähnt, auf die Defizite der jüdischen Studien durch deren Systematisierung und Organisation zu reagieren: „Die Vernachlässigung unserer theologischen Studien, die Nachlässigkeit unserer jüdischen Gegenstände ist so weit gekommen, dass eine Reaktion (nun, keine politischer Art) nicht schaden würde.“²⁰⁰
Ab dem Jahrgang 1855 veröffentlichte der Educatore Israelita Luzzattos Discorsi storicomorali sowie die Discorsi storico-religiosi.Vgl. u. a. S. D. Luzzatto, „Discorsi storico-religiosi“ Ebd. 4 (1856), 7– 11; 109 – 112; 161– 164; 225 – 227; 289 – 292; 337– 340; 358 – 360. Servi, Lettera ad un amico, 291. Ebd. Colombo, Sullo studio della Storia Israelitica, 174. [Übers. d. Verf.] („la negligenza degli studii sacri, la trascuranza delle cose nostre è spinta troppo oltre e che un po’ di reazione (non politica, intendiamoci) non sarebbe fuor di luogo.“) Ebd., 175.
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Pontremoli hatte in einer nachfolgenden Nummer des Educatore dem Aufruf von Colombo in Form eines Briefes geantwortet, in dem er eine Art Entwurf zu einem neuen Ansatz der jüdischen Geschichtsschreibung vorlegte. Im Gegensatz zu Colombo wollte er nicht einfach eine Reaktion auf einzelne Defizite, sondern eine umfassende Erneuerung der Konzeption und des Gegenstands jüdischer Geschichtsschreibung.²⁰¹ Parallel hierzu berichtete die italienisch-jüdische Presse in jenen Jahren auch von öffentlichen Vorlesungen der jüdischen Geschichte, die jeden Samstag im Tempel italienischen Ritus in Turin stattfanden und vom Reformrabbiner Samuele Salomone Olper (1811– 1877) gehalten wurden.²⁰² Rabbiner Olpers Vorstellung von jüdischer Geschichte sah keine Notwendigkeit, sich auf einen italienisch-akademischen Kontext, noch auf die Geschlossenheit von Rabbinerinstituten einzulassen. Die Mehrheit der italienisch-jüdischen Forscher gab jedoch ihre konfessionellen Interessen in der historischen Forschung nie ganz auf und verspürte auch kein Bedürfnis, den für die Rabbinerseminare charakteristischen religiösen Zugang zur jüdischen Vergangenheit zurückzuweisen. Gerade dieses Ziel, das der prominenteste Gelehrte der Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz, Anfang des 19. Jahrhunderts in seinen programmatischen Schriften formuliert hatte, galt aus Sicht der Mehrheit der italienisch-jüdischen Gelehrten noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als unannehmbar. Die Vorstellung von jüdischer Geschichte, die viele der hier besprochenen italienischen Rabbiner, Historiker und Publizisten hegten, sah – anders als viele der deutsch-jüdischen Historiker – keine Notwendigkeit, sich auf einen breiteren externen Kontext einzulassen. Nur vereinzelte Stimmen wie jene Colombos bezogen sich auf die deutsch-jüdischen Modelle der Geschichtsschreibung. Eher als eine religionsorientierte jüdische Wissenschaft oder Theologie hätte vielleicht ein solches Modell der Erforschung jüdischer Geschichte und Literatur der Wissenschaft des Judentums in Italien Eingang in die Universitäten des Landes verschaffen können.
„Tu brameresti una reazione non politica (s’intende) io all’opposto bramo un rinnovamento.“; „Du strebst nach irgendeiner Reaktion, nur nicht politisch, ich dagegen nach einer Erneuerung.“ Pontremoli, Al Sig. Moise Colombo, 200. I. M. Josts Israelitische Annalen nahmen bereits 1840 Olpers Geschichtsvorträge wahr. I. M. Jost, „Venedig“ Ebd. 2 (20.09.1840), 38: 304. F. Servi, „Corrispondenza dell’Educatore. Torino“ Educatore Israelita 16 (1868), 241– 242: 241.
Kapitel 6: Kultusreformen in Italien? Impulse aus und Differenzierungen gemäß dem deutsch-jüdischen Vorbild Wie bereits Michael Meyer feststellte, fällt es jedem Forscher schwer, die genauen Ursprünge sowie eine genaue Definition des Reformjudentums im 19. Jahrhundert festzulegen.¹ Weder die räumliche Ausdehnung als auch die zeitliche Einordnung und Abgrenzungen der religiösen Reform des Judentums können als endgültige Kategorien gelten. Unter dem Begriff „religiöse Reform des Judentums“ sollten gleichzeitig unterschiedliche Phänomene gefasst werden können, und zwar solche, die eine neue religiöse Sensibilität gegenüber der eigenen jüdischen Tradition und den jüdischen Glaubensgrundsätzen aufweisen als auch solche, die sich durch eine neue Haltung gegenüber der modernen zeitgenössischen Welt auszeichnen. Der facettenreiche Begriff einer jüdischen Reformbewegung im 19. Jahrhundert umfasst die unterschiedlichen Bemühungen insbesondere des deutschsprachigen Judentums, die jüdische Religion mit den modernen Bedürfnissen und Gegebenheiten in Einklang zu bringen, aber auch die verschiedenen – moderaten bis radikalen – Vorschläge und konkreten Reformprogramme mit Blick auf eine Modernisierung der jüdischen Lehren und praktische Änderungen der jüdischen religiösen Praktiken. Im Gegensatz zur Erforschung der deutsch-jüdischen Reformbewegung liegt eine systematische Darstellung der religiösen Reform des Judentums im 19. Jahrhundert in Italien bisher noch nicht vor.² In diesem Kapitel soll daher eine Analyse des Charakters und der Auswirkungen der Reformbestrebungen innerhalb des italienischen Judentums in dieser Zeit geleistet werden. Zuvor gilt es jedoch zu erläutern, welche Bedeutungen die an ihr mitwirkenden italienischen Juden dem vielschichtigen Konzept von Reform im Laufe des 19. Jahrhunderts zuschrieben. Ein Bild über die Reformvorstellungen sowie den Umfang und die Verbreitung der Debatten über eine Reform des Judentums auf der italienischen Halbinsel lässt sich am besten im Spiegel der Untersuchung der Haltung einiger repräsentativer jüdischer Intellektueller und Rabbiner des italienischsprachigen Judentums gewinnen. Die italienisch-jüdischen Intellektuellen und Rabbiner können
Meyer, Antwort auf die Moderne, 14– 17. Vgl. aber den Beitrag des Historikers Di Porto zum Verständnis der Reformkonzeptionen in Italien: B. Di Porto, „Il movimento di riforma nel contesto dell’Ebraismo contemporaneo“, in Il tempo e l’idea. Una finestra ebraica sul mondo. Quindicinale di attualità e cultura 16, 15 – 20, August–Oktober 2008. https://doi.org/10.1515/9783110768558-009
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
aber im Unterschied zu ihren deutsch-jüdischen Glaubensgenossen und trotz der Hauptrolle, welche sie mit theoretisch-philosophischen Äußerungen, ihrer Einzelinitiativen und Änderungsanträgen im Rahmen der Reformdebatte spielten, zwar nicht als zentrale Protagonisten aber doch als aktive und wichtige Mitgestalter einer italienischen Reformbewegung gelten. Im Jahre 1810 weihte Landrabbiner Israel Jacobson (1768 – 1828) den ersten reformierten Tempel des deutschsprachigen Raums in Seesen im Königreich Westfalen ein. In diesem Zusammenhang wurde erstmals eine Orgel im Betsaal einer deutschen Synagoge eingebaut, und die auf dem Rokokodach aufgehängte Glocke sollte – wie im Christentum – die Juden auf die Gebete des Tages hinweisen.³ Das Revolutionäre des sogenannten Jakobtempels lag aber hauptsächlich in den Innenräumlichkeiten, wo Bima und Thoraschrein zusammen an die Stirnseite des Gotteshauses verlagert wurden. 1817 und 1818 wurden in Hamburg und Berlin weitere Reformtempel gegründet. Im Kontext der Initiative des israelitischen Tempels zu Hamburg hatten sich in dieser Zeit einige Mitglieder der Hamburger jüdischen Gemeinde in einem Verein mit dem Namen „Neuer Israelitischer Tempel-Verein“ zusammengeschlossen, der über eine eigene Administration, eigene Strukturen und eigene Repräsentanten verfügte.⁴ Seit 1818 veranstaltete der Verein regelmäßig Gottesdienste, die durch neuartige Elemente wie deutschsprachige Kanzelreden, Orgelspiel und Gesang gekennzeichnet waren.⁵ Auch wurden in jenen Jahren im Tempel von Hamburg eigene Gebetsbücher, Predigtbücher, Hymnensammlungen sowie Gesangbücher verfasst und liturgisch verwendet.⁶ Vergleichbare Entwicklungen waren zu jener Zeit in Italien noch völlig undenkbar. Zwei Rabbiner der jüdischen Gemeinden von Verona und Livorno, Jakob Hayym Recanati (1758 – 1824) und Schem Tov Samun (genaue Lebensdaten unbekannt), hatten in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts einem Bruch mit der Orthodoxie zugestimmt und sich offiziell den Reformbestrebungen der
Meyer, Antwort auf die Moderne, 72– 73; A. Cohen-Mushlin und H. H. Thies (Hg.), Synagoge und Tempel. 200 Jahre jüdische Reformbewegung und ihre Architektur / Synagogue and Temple. 200 Years of Jewish Reform Movement and Its Architecture , 4 Bde., Petersberg 2012. M. A. Meyer, „,How Awesome is this Place!‘ The Reconceptualisation of the Synagogue in Nineteenth-Century Germany“ Leo Baeck Institute Year-Book 41, Oxford 1996, 51– 63; ders., Antwort auf die Moderne, 90; vgl. auch A. Brämer, Judentum und religiöse Reform. Der Hamburger Israelitische Tempel 1817 – 1938, Hamburg 2000. A. Brämer, Tempel, Neuer Israelitischer (NIT), online: https://www.dasjuedischehamburg.de/ inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit, [21.07. 2021]. Vgl. Kleys Predigten in dem neuen israelitischen Tempel zu Hamburg, 2 Bde., 1819 – 1820; E. Kley, Allgemeines israelitisches Gesangbuch, eingeführt in dem Neuen Israelitischen Tempel zu Hamburg, Hamburg 1833. Vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne, 83; 90.
6.1 Publizistik und Reform
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deutsch-jüdischen Reformern angeschlossen. Sie korrespondierten mit dem ungarischen Rabbiner Eliezer Liebermann in Hamburg über Reformbestrebungen und Reformpläne und durften zwei positive Responsa zum Thema „Reform“ für die hebräische Responsensammlung Nogah ha Tsedek („Glanz der Gerechtigkeit“) schicken.⁷ Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass bereits in den 1810er-Jahren Kontakte und Netzwerke zwischen italienischen Gemeinden und deutschen Reformrabbinern etabliert wurden.
6.1 Publizistik und Reform: Wechselwirkungen, gemeinsame Antworten und Differenzierungen Die deutsch-jüdischen Intellektuellen nach der Generation der Maskilim, die schon im 18. Jahrhundert als Bildungsreformer galten, sowie nach der ersten Generation von Reformern wie Rabbiner Jacobson und den Mitgliedern des Hamburger Tempel-Vereins sahen sich mit philosophisch-theoretischen Reformkonzepten konfrontiert, die zunehmend auch religiöse, sittliche und ästhetische Werte des mehrheitlich christlichen Umfelds aufnahmen. Die Überlebensfähigkeit des Judentums in der Moderne⁸ verdankte sich dem umfassenden Versuch, eine zeitgemäße Form der Religionsausübung zu finden, die es der nichtjüdischen Gesellschaft nicht mehr als überlebt und sozial trennend erscheinen ließ.⁹ Im Zentrum der Reformdebatten stand vor allem die Frage danach, ob das jüdische Gesetz und die rabbinische Halacha als seine Basis noch als Wesensmerkmal des Judentums in der Moderne gelten könne. Einige Reformer kamen zu dem Schluss, das Judentum müsse in ein flexibles, fortschrittliches und mit den sozialen und kulturellen Anforderungen der Gegenwart vereinbares Glaubenssystem umgewandelt werden. Es schien ihnen an der Zeit, eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Urbegriff des Judentums zu wagen, für die es einer tiefen Kenntnis des Judentums und der jüdischen Vergangenheit bedurfte. Die Basis für eine legitime Reform legten sie, indem sie auf theoretische und philosophische Ansätze sowohl jüdischer als auch nichtjüdischer Denker wie Spinoza, Kant, Hegel und Schelling zurückgriffen. Für Reformer wie Abraham Geiger boten sich etwa die theologischen Ansichten eines christlichen Theologen wie Schleiermacher als entscheidend für die Entwicklung eines Reformkonzeptes an, das auf ein
Ebd., 85. Schem Tov Samun äußerte sich in dem hebräischen Meinungsblatt besonders positiv zum Thema der Einführung von Orgelmusik in den Synagogen. Vgl. ebd., 101. Vgl. Meyer, Judaism within Modernity, 212.
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„Seele und Herz durchströmende(s) Gefühl“ und eine „innerliche religiöse Würdigung“ ausgerichtet war,¹⁰ aber zugleich auf einer historisch-kritischen Interpretation der Tradition beruhte. Mit Blick auf Reformprozesse im italienischen Judentum jener Zeit entwickelten sich auch hie und da in den norditalienisch-jüdischen Gemeinden ganz besondere Reforminstanzen, die sowohl im Sinne einer Reform der Seele, d. h. eines neuen, individuellen, religiösen jüdischen Selbstverständnisses, als auch im Sinne einer Vereinfachung und Erleichterung besonderer jüdisch-religiöser Praktiken gefasst werden können. Was jedoch die deutschen wie die italienischen Reformer gleichermaßen beschäftigte, war die in verschiedenen Periodika diskutierte Problematik der religiösen Gleichgültigkeit und des Desinteresses gegenüber der jüdischen Tradition innerhalb der jüdischen Bevölkerung. In der deutsch-jüdischen Presse wurde das Thema des religiösen Indifferentismus als wiederkehrendes Problem unter Juden auch in den Berichten über die italienischen Territorien registriert.¹¹ Der Historiker und Publizist der Israelitischen Annalen Isaak Markus Jost, berichtete in einem Reisebericht über die Stadt Triest von einer Minderheit der dortigen Juden, „welche sich privatim und faktisch über jüdische Zeremonien hinaussetzten.“¹² Hier sei die Einhaltung der öffentlichen Observanz nie strikt eingefordert worden, und es bestehe weder mit Blick auf den öffentlichen Kultus noch hinsichtlich wissenschaftlicher Bestrebungen Hoffnung auf Fortschritt.¹³ Das italienische Judentum sei durch eine offenkundige Sorglosigkeit in religiösen Dingen geprägt und müsse, was mögliche religiöse Reformen betraf, als „Mumie“¹⁴ gekennzeichnet werden.¹⁵ Auch italienische Rabbiner und Pädagogen konstatierten die Entfremdung der italienisch-jüdischen Bevölkerung von ihrer eigenen Gemeinschaft und deren Ritus, betrachteten dieses Desinteresse für die jüdische Religion jedoch mit einer gewissen Resignation schlicht als mal de siècle des italienischsprachigen Judentums. Ähnlich wie im deutschen Judentum wurde die Problematik der religiösen Indifferenz der jüdischen Bevölkerung Italiens zum Anlass, sich mit der Notwendigkeit einer tiefer gehenden Neubewertung des Judentums und der jüdisch-
A. Geiger, „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume. Erster Artikel.“ Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 6 (1847), 1, 1– 16: 10 – 12. Vgl. Jost, Italien. Triest, am 14. Febr. (08.03.1839), 10, 79. Ebd., 79. Ebd., 80. Ebd. Insbesondere in dem Bericht aus der Stadt Triest, den Jost selbst 1839 redigierte, schürte dieser die Dinge weiter, indem er von der „Schamröte“ der italienischen Juden gegenüber den deutschen Religionsgenossen und ihren wissenschaftlichen Fortschritten berichtete; vgl. ebd.
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religiösen Erziehung zu beschäftigen. In den 1830er- und 40er-Jahren griffen nun auch einige unter den italienisch-jüdischen Gelehrten die Idee eines stolzen, zeitgemäßen und anspruchsvollen Judentums auf, das in eine Beziehung zur zeitgenössischen italienischen Gesellschaft treten und sich ihr anpassen müsse. Diese Transformation und Renaissance des italienischen Judentums sollte auf kulturellem Wege, insbesondere aber durch eine Umstrukturierung der jüdischen religiösen Erziehung erfolgen.¹⁶ Anders als die deutsch-jüdische Reformbewegung legten die italienischen Reformer den Akzent nicht auf ein „ideologisches Ferment“,¹⁷ sondern auf ein pädagogisches Ferment, das mit neuen jüdischen Bildungskonzepten sowie mit dem Programm einer Vereinheitlichung, Harmonisierung und Ästhetisierung der jüdischen Liturgie verbunden war. Anders als in der deutsch-jüdischen Reformbewegung, die sich vor allem darauf konzentrierte, dem Judentum durch eine Auseinandersetzung mit modernen philosophischen Denkmustern ein neues historisches Gewand zu verleihen, wurde in Italien die jüdische religiöse Erziehung zur wichtigsten Stütze der jüdischen Religion und der neuen Konzeption eines transformierten Judentums erklärt und zu diesem Zweck eingesetzt. Somit wurde die Erneuerung der jüdischen Erziehung zum eigentlichen Ausgangspunkt der religiösen Reformdebatten Mitte der 1840er- bis in die 1850er-Jahre. Auch Samuel David Luzzatto schrieb der Erneuerung der jüdischen Bildung eine zentrale Bedeutung zu. Ganz im Sinne Moses Mendelssohns blieb Luzzatto fest in der Observanz des jüdischen Glaubens verankert und war der Überzeugung, weder zu seiner Zeit noch überhaupt bedürfe es einer Reform der jüdischen Religion.¹⁸ Wie Mendelssohn hielt Luzzatto an der ewigen Gültigkeit der Gesetzgebung des Judentums fest und blieb daher zeitlebens ein Gegner der Reformbewegung bzw. jeglicher Kultusreform. Doch so gewiss Luzzatto ein Traditionalist war, so wenig war er ein überzeugter Anhänger der jüdischen Orthodoxie. Sein Traditionalismus hinderte ihn nicht daran, sich zu den deutsch-jüdischen Reformdebatten zu äußern. In dem philosophisch geprägten Briefwechsel mit Isaak Samuel Reggio im Jahre 1839, d. h. in den Kolumnen des Periodikums Israelitische Annalen, brachte Luzzatto sein ganzes Unbehagen gegenüber den Anpassungsund Imitationsbestrebungen der deutsch-jüdischen Gelehrten.¹⁹ Der von den Reformern idealisierten Fortentwicklung des Judentums setzte Luzzatto eine re-
Vgl. auch Catalan, Italienische Juden, 235; Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915, 76 – 79. Meyer, Antwort auf die Moderne, 101. Vgl. ebd., 35. Luzzatto, Briefwechsel über religiöse Zustände (05.04.1839), 14: 107– 108: 107. Vgl. „Reggio an Luzzatto, Padua, 26.11.1838.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 176, Index 187, 263 – 267.
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gelrechte Lobeshymne auf die „Langsamkeit“ des Judentums entgegen²⁰ und mischte sich auf diese Weise in jenem philosophischen Briefwechsel in die damals zentrale Diskussion über die Infragestellung der Autorität des jüdischen Gesetzes ein. Seine Argumentation nimmt starken Bezug auf Mendelssohns Interpretation des Judentums als offenbartes Gesetz seine Verteidigung der mosaischen Urheberschaft der Thora, welche die Reformanhänger gerade infrage stellten. Aus seiner Sicht lag der wahre Kern der Debatte woanders, nämlich in dem „Streite“²¹ zwischen dem jüdischen Rationalismus und dem Supernaturalismus. Diejenigen, die das jüdische Zeremonialgesetz abschaffen wollten und weder an die ewige Gültigkeit des mosaischen Gesetzes noch an die göttliche Erwählung des Volkes Israel glaubten, kritisierte Luzzatto als Deisten und Rationalisten,²² da sie nicht bereit seien, eine übernatürliche Offenbarungskonzeption zu akzeptieren. Auch seien diese Rationalisten der deutsch-jüdischen Reformbewegung gar keine wirklichen „Reformer“, wie etwa Martin Luther als protestantischer Reformator oder die Karäer, Sadduzäer und Samaritaner im Judentum.²³ All diese Reformer hätten zwar Änderungen vorgenommen und ihre Religion geläutert oder sogar weiterentwickelt, aber niemals die Absicht verfolgt, die innerste Substanz der Religion zu zerstören. Neben dem stark theoretisch-philosophisch orientierten Ansatz vieler Beiträge wie dem Austausch zwischen Reggio und Luzzatto bot die jüdische Presse im 19. Jahrhundert eine ideale Plattform sowohl für die Klärung der Reformbestrebungen als auch für deren Verbreitung sowie für die lebhaften Debatten in den unterschiedlichen Richtungen des europäischen und vor allem des deutschsprachigen Judentums. Wie die deutsch-jüdischen Zeitschriften Mitte des 19. Jahrhunderts enthielten auch jene in Italien Beiträge über die jüdische Lehre sowie über die Reform jüdischer Praktiken und Riten. In den jüdischen Periodika wurden ganze Korrespondenzen oder aber einzelne hitzige Briefe veröffentlicht, die die Meinungsverschiedenheiten zur Sprache brachten und bissige Äußerungen von Rabbinern und Laien zu diversen Themen enthielten. Auch Predigten, öffentliche Reden und Beiträge über die jüdischen Feiertage, Trauer- und Trauungsriten, Speisegesetze, über die Rolle und die Aufträge des Rabbinats und der
Luzzatto, Briefwechsel über religiöse Zustände (05.04.1839), 107. „Luzzatto an Reggio, Görz, 21.02.1839.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 201, 276 – 280: 277– 278. Vgl. auch S. D. Luzzatto, Briefwechsel über religiöse Zustände (29.03.1839), 99 – 100. Luzzatto an Reggio, Görz, 21.02.1839, 279. Vgl. S. D. Luzzatto, Briefwechsel über religiöse Zustände (17.05.1839), 156 – 157. Vgl. ders., „Briefwechsel über religiöse Zustände, S. D. Luzzatto in Padua an I. S. Reggio“, in Israelitische Annalen 1 (24.05.1839), 21: 163 – 164.
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Gemeindevorsteher sowie kurze Mitteilungen u. a. über die Einführung von Orgel, Chorgesang und Musik in der Synagoge wurden dort veröffentlicht.²⁴ Was die religiösen Bräuche und Praktiken betrifft, die in der Reformdebatte Mitte des 19. Jahrhunderts problematisiert wurden, stand insbesondere die Beschneidung im Zentrum der Debatte.²⁵ Sowohl Ärzte als auch Rabbiner äußerten sich in der deutsch-jüdischen Presse zu diesem Thema und setzten sich in ihren Abhandlungen nicht nur mit religiösen, sondern auch spezifisch medizinischen Aspekten der Beschneidung auseinander.²⁶ 1843 schickte Samuel David Luzzatto seinen Beitrag zur Debatte über den Frankfurter Reform-Verein an Julius Fürst in Leipzig. Das Gutachtliche Wort von Luzzatto ²⁷ – so der Titel des Beitrags – erschien in der Rubrik Stimmen und Urtheile über den Frankfurt-Reform-Verein, die in den Kolumnen des Orients die Meinungen angesehener zeitgenössischer jüdischer Gelehrter, Rabbiner und Laien sammelte. Nach einigen Beiträgen und Erläuterungen überzeugter Mitglieder des ReformVereins²⁸ veröffentlichte Fürst auch die Ansichten anderer Gelehrter, die sich – wie Luzzatto – skeptisch oder äußerst kritisch über den Verein äußerten.²⁹
Vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne, 47, 54. Ebd., 183 – 185; G. Riesser, „Die neue jüdische Reform-Sekte“ Der Orient 4 (15.08.1843), 33: 260 – 264; [Ο·Π – π – ς], „Die Beschneidung und ihre Gegner“ Literaturblatt des Orients 4 (15.08. 1843) 33: 513 – 517; (22.08.1843), 34: 529 – 535; J. Bergson, „Berlin, 21. Aug. Stimme über die Beschneidung“ Der Orient 4 (05.09.1843), 36: 283 – 284. Vgl. G. Riesser, „Die neue jüdische Reform-Sekte“ Ebd. 4 (15.08.1843), 33: 260 – 264; A. M. Goldschmidt, „Programm zu einer Erklärung deutscher Israeliten. Freunden religiöser Reform in Judenthume zur Beherzigung vorgelegt“ Ebd. (26.09.1843), 39: 307– 310; J. Bergson, Die Beschneidung vom historischen, kritischen und medizinischen Standpunkt. Mit Bezug auf die neuesten Debatten und Reformvorschläge von Dr. Joseph Bergson Arzt in Berlin, Berlin 1844; E. Wolff, „Medizinische Kompetenz und talmudische Autorität. Jüdische Ärzte und Rabbiner als ungleiche Partner in der Debatte um die Beschneidungsreform zwischen 1830 und 1850“, in A. Herzig, H. O. Horch und R. Jütte (Hg.), Judentum und Aufklärung. Jüdisches Selbstverständnis in der bürgerlichen Öffentlichkeit, Göttingen 2002, 119 – 149: 121. S. D. Luzzatto, „Gutachtliches Wort von Samuel David Luzzatto. Stimmen und Urteile über den Frankfurt Reform Verein (Ueber den in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, 3. August 1843 besprochenen jüd. Reformverein)“ Literaturblatt des Orients 4 (19.12.1843), 51: 811– 816; „Schluß“ Ebd. (26.12.1843), 52: 822– 824. Aufgrund der Diskussionen in der jüdischen wie auch in der allgemeinen Presse sowie angesichts der Interventionen des Frankfurter Vereins der Reform-Freunde wurde die Beschneidungsdebatte rasch zu einer öffentlichen Angelegenheit. Der 1842 gegründete Verein radikaler Reformer, der die Bedeutung und Zukunft der Beschneidung als grundlegendes Element jüdischer Identität radikal infrage stellte, blieb jedoch, auch wegen der kleinen Anzahl seiner Mitglieder, letztlich eine Randerscheinung. Trotzdem lösten die von den Reform-Freunden vertretenen Reformgrundsätze unter vielen deutschen Rabbinern heftige Reaktionen aus. Die Reform-VereinMitglieder und ihr Programm zeigten sich einig, dass die jüdische Identität nicht ausschließlich
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Luzzatto, der mit Sicherheit die vorangehenden Beiträge über den Frankfurter Reform-Verein kannte und auch das Programm der Anhänger des Reform-Vereins dank seiner Kontakte mit dem Publizisten Fürst gelesen hatte,³⁰ nutzte die Gelegenheit seines Artikels in Der Orient, um neben seiner Kritik am Reform-Verein zugleich auch die Grundelemente seines eigenen religionsphilosophischen Denkens zur Sprache zu bringen. Der Professor am Collegio Rabbinico, der sich in der italienisch-jüdischen Presse kaum jemals zu Reformangelegenheiten äußerte, hob in seinem Gutachten die Wichtigkeit gerade der jüdischen Gebräuche hervor, die das Judentum zu einer exklusiven Religion, ja zu einem Priestertum machten.³¹ Auch andere Punkte des Reformprogramms des Vereins lehnte er ab und kritisierte in erster Linie dessen Haltung zum mosaischen Gesetz, das dessen Anhänger gänzlich abzuschaffen planten. Erneut stützt sich Luzzatto hierbei in seiner Argumentation auf Luther und die Reformation sowie auf das Beispiel der Karäer: Luther reformierte die Kirche, denn er reinigte sie von manchen Glaubenpunkten und Uebungen, welche sich im Laufe der Jahrhunderte in dieselbe eingedrängt hatten, und stellte das Christentum wieder so her, wie es bei dessen Ursprung wirklich, oder nach seiner Ansicht gewesen war. Ebenso glaubten die Karaïten, durch strenge Beobachtung dessen, was sie für den Sinn der Worte unseres Gesetzgebers anerkannten, das Judenthum zu reformieren.³²
Diese exklusiven Gebräuche sollten den Juden nicht zur Last werden, sondern sie auf ihre Berufung stolz machen, da gerade sie das Volk Israel erst zum Priestervolk machten. Am Ende des ersten Beitrags zitierte Luzzatto erneut Mendelssohn und wies auf dessen Vorstellung einer Vereinbarkeit des inneren jüdischen Lebens und der partikularen jüdischen Observanz hin. „Solange der Mensch in der Gesammtheit lebt, soll er auch äußerlich und praktisch, dasjenige was er innerlich ist, darzustellen suchen.“³³ Dies verstand auch Luzzatto als zentrales Prinzip des Judentums. Die Aufhebung vieler exklusiver religiöser Praktiken des Judentums durch die Beschneidung zu verleihen sei, und stellten so die Bedeutung und die Zukunft für die in ihren Augen umstrittene Praxis der Beschneidung radikal infrage. M. Creizenach, „Der Frankfurter Reform-Verein. Offenes Schreiben an Hrn. Dr. G. Riesser“ Der Orient 4 (17.10.1843), 42: 334– 336; L. Stein, „Der Frankfurter Reform-Verein, vom Standpunkte des fortschreitenden Rabbinismus beleuchtet von Leopold Stein“ Literaturblatt des Orients 46 (14.11. 1843): 721– 727; 47 (21.11.1843): 741– 744; 48 (28.11.1843): 762– 766. Luzzatto bekam die Zusendungen der Kopien des Periodikums Der Orient regelmäßig. Vgl. Kapitel 3.2. dieser Arbeit. S. D. Luzzatto, Gutachtliches Wort von Samuel David Luzzatto. Schluß (26.12.1843), 824. Ebd., 812. Ebd., 816.
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wie der Beschneidung war aus Luzzattos Sicht unvorstellbar, da er sie als unabdingbaren Teil des Judentums verstand. Eher noch konnte er die Konversion zu einer anderen Religion nachvollziehen als die Haltung derjenigen Juden, die sich von den Geboten und Praktiken ihrer Religion abwandten und sich dennoch weiterhin als Israeliten verstehen wollten. Was für das Judentum zählte, waren gerade die mannigfachen, exklusiven, einzelnen Gebräuche.³⁴ Deshalb betonte er, wie entscheidend wichtig die Wiederentdeckung und Vermittlung jeder noch so kleinen Übung und rituellen Praktik war. Die Positionen der deutschen „Schismatiker“,³⁵ wie er die Reformer nannte, hielt er letztlich für unannehmbar, da diese eine Art „Scheinjudentum“ leben wollten. In den Briefen an seine italienisch-jüdischen Korrespondenten kommentierte Luzzatto auf besonders kritische Art und Weise jede einzelne Modifizierung, Umgestaltung und Umformung des jüdischen Kultus und bestritt jegliche Erfolge der deutschen Reformer. Seine tiefste Hoffnung richte sich darauf, dass die Orthodoxie am Ende den Sieg über die Reformer würden feiern können. Gerade in seinen Briefen bekräftigte Luzzatto seine Distanz gegenüber den deutsch-jüdischen religiösen Modellen und Entwicklungen, die ihm als von außen beeinflusste Elemente ohne jede Zukunft erschienen. Dennoch waren seine eigenen Positionen nicht einfach mit denjenigen der strengen Orthodoxie gleichzusetzen. Im Jahr 1845 teilte Luzzatto seinem ehemaligen Studenten Moses Ehrenreich (1818 – 1899) aus Brody Folgendes über die Reformbewegung im deutsch-jüdischen Kulturraum mit: Ich würde an Ihrer Stelle kein großes Gewicht auf die zeitgenössischen Kongresse legen. Wir beide sind außerhalb Deutschlands, deshalb sollten wir uns nicht darum kümmern. Ich bin mir sicher, dass trotz einiger Schismatiker, die Orthodoxen in Deutschland in der Mehrheit sind, und, dass man gerade hier noch unbekümmert und sehr tief am jüdischen Glauben hängt. Es gibt deshalb für die Zukunft des Judentums nichts zu fürchten.³⁶
Neben der jüdischen religiösen Erziehung, erwies sich die Beherrschung der jeweiligen Landessprache vonseiten der jüdischen Bevölkerung als Kernaspekt, der unmittelbar mit Reformkonzepten und mit dem neuen Ideal von jüdischer Bildung verbunden war. In Bezug auf die Entwicklungen im deutsch-jüdischen
Ebd., 823 – 824. Ebd., 813. [Übers. d.Verf.] („Non vorrei che da voi si desse ai congressi del giorno d’oggi più peso di quel che meritano. Io e voi siam fuori della Germania, non son cose che c’interessino. Per quanto romore alzino gli scismatici, io credo che anche in Germania gli ortodossi siano la pluralità, e che tranquilla e quieta viva ancora molta fede e molto Giudaismo in quegli stessi paesi, dove più si fa sentire l’empietà. Io insomma non temo nulla pel Giudaismo.“) „Luzzatto an Moses Ehrenreich, Brody, 14.09.1845.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 282, 466 – 467.
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Kontext wurde in der deutsch-jüdischen Presse großen Wert auf die Debatte über die Sprache der Liturgie gelegt. Für die deutsch-jüdische Bevölkerung bestand schließlich die Notwendigkeit, die deutsche Sprache als erste Sprache zu beherrschen. Im Laufe der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts kam es daher zu einer regen Diskussion darüber, ob das Hebräische als Sprache der jüdischen Liturgie weiter beizubehalten sei. Diese Frage stellten sich viele deutsche Rabbiner, so u. a. Abraham Geiger, der in zahlreichen Beiträgen, in seiner Korrespondenz und vor allem in seinem publizistischen Organ, der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie, das Für und Wider des Hebräischen als liturgischer Sprache diskutierte. Er war einer der dezidierten Befürworter der Einführung des Deutschen als Sprache des jüdischen Gottesdienstes anstelle des Hebräischen: Die Sprache des Gottesdienstes sollte die Sprache sein, in der die Betenden dachten und fühlten, d. h. die Sprache des Herzens, die Muttersprache.³⁷ Andere deutsche Reformer lehnten das Hebräische als Sprache des Gottesdienstes ab, weil dies als Zeichen der Isolierung und des Segregationswillens verstanden werden könnte. In den italienischen Gemeinden wurden jüdische Gebete schon seit dem 18. Jahrhundert vom Hebräischen ins Italienische übersetzt, und Italienisch wurde in vielen Gemeinden im sogenannten Erbauungsteil der Predigt in italienischen und sephardischen Gemeinden als Sprache eingeführt.³⁸ Trotzdem wurde das Hebräische als Gebetssprache mehrheitlich nicht infrage gestellt. Geigers Zeitschrift wurde zum wichtigsten Instrument der Vermittlung der Reformvorstellungen seines Begründers und Chefredakteurs. Gemeinsam mit seinen Korrespondenten veröffentlichte er religiöse Traktate und Abhandlungen über Themen, die den Leser vom Hier und Jetzt zurück in die biblischen und talmudischen Zeiten führen sollten. Es erschienen Artikel über die Abschaffung von jüdischen Gebräuchen, über jüdische Trauungs- und Trauerriten, über die jüdischen Fastentage und zur Frage nach der Begleitung des Gottesdienstes durch Musik an jüdischen Feiertagen. Der Gottesdienst war nach Ansicht Geigers durch zu viele Wiederholungen, zu viele Gebete und durch einen Mangel an Einfachheit „ermüdend“ geworden.³⁹ Daher verzichtete er in seiner Zeitschrift nie darauf, die Punkte seiner Neukonzipierung des jüdischen Gottesdienstes für möglichst alle potenziellen Leser verständlich auszuführen.⁴⁰
Geiger, Die religiösen Thaten der Gegenwart, 85. Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915, 71. Geiger, Die religiösen Thaten der Gegenwart, 84. Ebd.
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Auch als Protagonist der deutschen Rabbinerkongresse⁴¹ hatte Abraham Geiger seine Argumente zur Vereinfachung des Gottesdienstes besonders stark befürwortet. Dort wurden auch sämtliche Beschlüsse über Veränderungen in unterschiedlichen Bereichen des religiösen Lebens und der jüdischen Erziehung gefasst.⁴² In Bezug auf den jüdischen Gottesdienst stimmte die Mehrheit der Anwesenden auf jenen Versammlungen für die Entfernung der Pijjutim, d. h. der synagogalen mittelalterlichen Poesie, während über die Verkürzung mancher Gebete und Beseitigung anderer Teile der Liturgie keine Einigkeit herrschte. Eingeführt wurde ein dreijähriger Lesezyklus der Thora, und jene Gebete, die sich auf die Rückkehr nach Israel und auf die Wiederherstellung des Tempels beziehen, wurden aus dem Gebetbuch beseitigt. Im Jahre 1848 lieferte Luzzatto in den Kolumnen des Literaturblatts des Orients einen Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Forschung. Er verfasste eine ausführliche Liste der Poëtanim, der jüdischen Dichter, und schickte diese nach drei Jahren Be- und Überarbeitung nach Leipzig.⁴³ Seine besondere Leidenschaft und Begeisterung als Literaturforscher für die Pijjutim ließen ihn zu einem resoluten Gegner ihrer Entfernung aus dem jüdischen Gottesdienst werden. Er hoffte daher, ein gelehrtes deutsch-jüdisches Publikum von Forschern und Interessierten zu erreichen und für die Beschäftigung mit den Pijjutim und deren Wiederbelebung zu begeistern. In dem Artikel zeigt sich Luzzattos zweifaches – literaturwissenschaftliches und reformkritisches – Ziel: Indem er eine literaturhistorische Begründung für die Erhaltung der Pijjutim lieferte, vertrat er zugleich eine eindeutige Position zu einem damals unter den jüdischen Reformern stark umstrittenen Thema. Über die aktuellsten Entwicklungen der Reformdebatte auf deutsch-jüdischer Seite war Luzzatto durch seine Korrespondenzen ständig informiert.⁴⁴ Wie bereits dargelegt, bezog er in deutsch-jüdischen Periodika mehrfach Position zu unterschiedlichen aktuellen Reformthemen. In den entsprechenden Diskussionen in der italienisch-jüdischen Presse hingegen fehlt von ihm eine klare, profilierte Positionierung, obwohl er in seinem Wirkungskreis als Professor des Rabbinerseminars von Padua sonst nie darauf verzichtete, seinen Einfluss geltend zu machen.⁴⁵
Siehe hierzu Kapitel 6.3. Cohen-Mushlin und Thies (Hg.), Synagoge und Tempel, 98. Luzzatto, Verzeichnis der Poëtanim von Prof. Sam. Dav, Luzzatto (29.07.1848); (26.08.1848); (02.09.1848); (23.09.1848). Vgl. Luzzattos Brief an Abramo Mainster, in dem er seinem Korrespondenten über die Beschlüsse der Rabbinerkonferenz von Frankfurt 1845 berichtet. „Luzzatto an Mainster, Verona, 08.08.1845.“ In Epistolario italiano, francese, latino, Index: 531, 461– 462. Luzzatto, der in privaten Korrespondenzen keine größeren Sorgen hinsichtlich des möglichen Erfolgs der Reformbewegung äußerte, überließ in den italienisch-jüdischen Zeitschriften das Feld
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Die italienisch-jüdische Presse registrierte ihrerseits mit besonderem Interesse die unterschiedlichen Phänomene, die mit religiösen Reforminstanzen in Europa verbunden waren. Die Redakteure der italienisch-jüdischen Periodika pflegten mittels Briefwechsel einen permanenten Kontakt zu französisch-, deutsch- und englisch-jüdischen Redakteuren und Gelehrten. Besonders intensiv waren die Kommunikation und der Austausch zwischen den Redaktionen des Educatore Israelita in Vercelli sowie der Redaktion des Corriere Israelitico in Triest sowie den Redaktionen der Allgemeinen Zeitung des Judentums von Ludwig Philippson, des Ben Chananja von Leopold Löw und des Monatsblatts Jeschurun des neoorthodoxen Rabbiners Samson Raphael Hirsch. Dank dieser Netzwerke und des dadurch ermöglichten Stroms von Nachrichten und Ideen waren die Redakteure der ersten jüdischen Periodika direkt oder indirekt in die Debatten involviert und von ihnen beeinflusst, auch wenn sich nicht alle italienischen Rabbiner von den deutsch-jüdischen Reforminstanzen begeistert zeigten. Die 1845 gegründete Rivista Israelitica des Herausgebers Cesare Rovighi in Parma informierte ihre Leser direkt über die Entwicklungen der religiösen Reform im deutschsprachigen Raum und in anderen europäischen Ländern.⁴⁶ Die Diskussionen zwischen den verschiedenen Strömungen des Judentums nördlich der Alpen wurden Ausgangspunkt einer eigenartig anmutenden italienisch-jüdischen Debatte: Die Reformbestrebungen im deutsch-jüdischen Kontext wurden in der italienisch-jüdischen Presse mal als positives Vorbild, mal als Gegenbild, teilweise auch explizit als schädlich und bedrohlich dargestellt und offenbar bewusst eingesetzt, um Diskussionen hinsichtlich der Reform und unerwünschter Spaltungen des italienischen Judentums in dieser Zeit anzufachen. Während Reflexionen über und das öffentliche Bekenntnis zu bestimmten Einstellungen in der Presse in den 1840er-Jahren von Rabbinern noch eher mit Vorsicht behandelt wurden, konstatierte die jüdische Presse in den italienischen Gebieten im Laufe der zweiten Hälfte, insbesondere der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts eine wachsende Flut an Vorstellungen, Meinungen und Forderungen hinsichtlich der Reform fest.
offenbar seinem Kollegen am Collegio Rabbinico, Lelio Della Torre, wenn es um Polemiken gegen die Reform ging. Lelio Della Torre hatte, zusammen mit Luzzatto und anderen italienischen Rabbinern wie Raffael Viterbi, Marco Mortara, Abramo Lattes, Isach Ascoli und David Treves, bereits 1849 die Abschaffung der Praktik der meziza durchgesetzt, was wiederum von einigen Rabbinern schon seit der Mitte der 1830er-Jahre Anwendung gefunden hatte, wie es dieselben italienisch-jüdischen Kolumnen berichten. Vgl. G. Lattes, „Sulle modificazioni rituali“ Educatore Israelita (1867), 15: 101– 105, 143 – 146, 197– 199; ders. „Di una modificazione rituale“ Ebd., 1868, 16: 169 – 171. Tedesco, Culto: Delle riforme di culto.
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Noch in den 1850er- und 60er-Jahren galt die Neukonzeption der jüdischen Erziehung unter den italienisch-jüdischen Gelehrten als vorrangiges und unverzichtbares Instrument, um sich in der jüdischen Presse gründlich und souverän mit jüdischen religiösen Praktiken auseinanderzusetzen. Man war sich dessen bewusst, dass es den italienischsprachigen Juden an fundierten Kenntnissen der eigenen jüdischen Riten sowie der jüdischen Geschichte und Literatur fehlte, die einen angemessenen Zugang zur eigenen Religion überhaupt erst ermöglichten. Zumal in der jungen jüdischen Generation erwachten starke Hoffnungen auf ein gemeinsames Bildungsanliegen sowie auf ein produktives und konstruktives Zusammenkommen mit der christlichen Mehrheitsgesellschaft Italiens.⁴⁷ Dies führte dazu, dass die enge Verbindung zwischen Bildungsreform und religiöser Reform auf der italienischen Halbinsel länger als in den deutschen Gebieten bestehen blieb.⁴⁸ Nach Ansicht David Vita Tedescos,⁴⁹ war die Ursache der religiösen Dekadenz, der Desorientierung und der Verwirrung der italienischen Juden vor allem in der defizitären jüdischen Erziehung zu verorten. Die vernachlässigte jüdische Erziehung hatte – so Tedesco – die jüdische Brüderlichkeit und Zusammengehörigkeit aufgelöst und außerdem die religiöse Harmonie zerstört. Auch Tedesco betonte, dass zuerst eine Reform der jüdischen Erziehung nötig sei und deren Umstrukturierung daher als Teil der Reform selbst betrachtet werden müsse, verstand also den jüdischen Bildungsauftrag als einen der Reform des jüdischen Kultus vorangehenden Entwicklungsschritt. Die jüdische Erziehung wurde und blieb somit Kern des sittlichen und religiösen Wandels, der – einem ausgeprägten Erbauungstrend folgend – die Zugehörigkeit zum italienischen Judentum legitimieren und stärken sollte.⁵⁰ Die größte Gefahr für die jüdische Religion, so Tedesco, bestand demnach nicht etwa in der rechtlichen und geografischen Zersplitterung der italienischsprachigen Juden und ihrer Gemeinden, sondern vielmehr in der strikten Scheidung zwischen denjenigen, die treu jedes einzelne Gebot befolgten und denjenigen, die sich zunehmend von ihrem Glauben entfremdeten oder sich bereits völlig distanziert hatten.⁵¹ Mit Blick auf die Gesamtheit der einander ausschließenden Positionen verwies er auf das dreifache Risiko, dass die Einen mit dem Glauben, die Anderen mit der Philosophie die jüdische Religion umzustürzen, weiter in die Isolation treiben oder ganz dem Verschwinden preiszugeben drohten.
Vgl. Pesaro, Discorso pronunciato da Abramo Pesaro alla Società israelitica di lettura esistente in Ferrara. Vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 31– 32. Tedesco, Culto: Delle riforme di culto. Vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 33. Tedesco, Culto: Delle riforme di culto, 675.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
Ein weiteres Schwerpunktthema in der italienisch-jüdischen Presse war das Konzept der Erneuerung⁵² des italienischen Judentums und der Ehrbarkeit und Sittlichkeit der italienischen Juden,⁵³ besonders häufig in Kombination mit der für notwendig erachteten Anpassung der überholt erscheinenden jüdischen Liturgie. Prinzipien wie Würde, Harmonisierung und zugleich Erneuerung der jüdischen Religion und des jüdischen Kultus erschienen als weitere wichtige Ziele der unter den Juden begonnenen Reformbestrebungen.⁵⁴ Entsprechend zielte die Redaktionspolitik der Herausgeber der italienisch-jüdischen Periodika, darauf, ein jüdisches Selbstbewusstsein zu fördern,⁵⁵ das weder durch Abkapselung von der italienischen Mehrheitsgesellschaft bestimmt sein noch durch Überanpassung zum Verlust von Eigenständigkeit und Einheit führen sollte. Schon ab Mitte der 1840er-Jahre belegen mehrere Artikel in der Rivista Israelitica (1845 – 1847) des Herausgebers Cesare Rovighi das ausgeprägte „Regenerationsbedürfnis“ der Juden und jüdischen Gemeinden Italiens. Rovighi betonte die dringende Notwendigkeit, Lösungen für das Übel des Indifferentismus der jüdischen Bevölkerung zu finden.⁵⁶ Obwohl er selbst in Bezug auf jüdischreligiöse Praktiken, Vereinfachung und Verschönerung für notwendig hielt,⁵⁷ bemerkte er 1845 in einem programmatischen Artikel seiner Rivista, dass sich die italienischsprachigen Juden ihrer religiösen Praktiken nicht schämen bräuchten („e dei nostri sistemi non abbiamo da arrossire“).⁵⁸ Dennoch hielt er gewisse Verbesserungen und Veränderungen des jüdischen Kultus für notwendig. Dieses religiöse, ästhetische und sittliche Bewusstsein vieler Autoren der italienischjüdischen Publizistik⁵⁹ ist aber auch auf eine generelle Annäherung der italienischen Juden an die italienisch-katholische Mehrheitsgesellschaft des 19. Jahrhunderts zurückzuführen, die mit einer wechselseitigen intellektuellen und
Vgl. Catalan, Italienische Juden, 231. Pesaro, Discorso pronunciato da Abramo Pesaro alla Società israelitica di lettura esistente in Ferrara, 566. Vgl. M. Mortara, „Parte religiosa. Sulla possibilità di operare una semplificazione del culto esterno pubblico e privato degli Israeliti conservandosi nei limiti della più rigorosa ortodossia“ Educatore Israelita 2 (1854): 129 – 135; und 161– 170; G. Levi und E. Pontremoli, „Un congresso Rabbinico Italiano (opinione di un rigoroso ortodosso). Un ottimo sistema: una proposta importante“ Ebd. 4 (1856), 218 – 220: 219. Vgl. Catalan, Italienische Juden, 231. Rovighi, Educazione e istruzione, 89. Ders., Discorso preliminare (01.05.1845). Ebd., 17. Vgl. E. Bachi, „Riforma del culto“ Educatore Israelita 8 (1860), 97– 102: 101. Hier hatte Rabbiner Emilio Bachi dafür plädiert, dass seine Glaubensgenossen stolz ihre Praktiken und ihren Glauben zeigen sollten.
6.1 Publizistik und Reform
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ideologischen Annäherung sowie der Modernisierung der Lebensstile einherging und die mit den neuen sozialpolitischen und kulturellen Bedingungen der Epoche sowie der neuen italienischen Identität zusammenhing.⁶⁰ Diese dialogbereite, selbstbewusste Haltung war von einem Streben nach größtmöglicher öffentlicher Sittlichkeit der jüdischen Religion begleitet. Die jüdischen Werte sollten nach Ansicht vieler Gelehrter und Rabbiner nicht nur den Zielen der italienischen Juden, sondern auch der zeitgenössischen italienischen Gesellschaft insgesamt förderlich sein. Unmittelbare Auswirkungen dieser Prozesse und Diskurse werden u. a. in der Architektur des Synagogenbaus des 19. Jahrhunderts sichtbar, dessen Baustil dem jüdischen Kultus neue Würde und Glanz verleihen sollte. Ähnlich wie im deutschjüdischen Kontext wurden in vielen italienischen Städten an einem für ein Gotteshaus würdigen Ort neue Synagogen gebaut, deren Vordertüren nun nicht mehr versteckt waren. Die sogenannten Reformsynagogen in den deutschsprachigen Ländern trugen die Symbole der Reform jedoch hauptsächlich in ihren Innenräumen, und zwar zum einen in der Zusammenstellung von Kanzel, Bima und Thoraschrein in einer Estrade sowie zum anderen im Einbau einer Orgel und einer offenen Empore.⁶¹ Die Errichtung neuer Synagogen wurde aber auch unabhängig von reformwilligen Gruppen realisiert. So ist für das frühe 19. Jahrhundert zwischen den Entwicklungen der a) Reform des jüdischen Gottesdienstes und b) der Reform im Synagogenbau, im Sinne einer Neugestaltung und Modernisierung der Architektur zu unterscheiden.⁶² Auf der italienischen Halbinsel wurden erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Synagogen – unabhängig vom Ritus und dessen Modifizierung – meist im neoklassizistischen Stil erbaut oder alte Synagogen renoviert und verändert. Umgekehrt waren Chorgesang und Musikbegleitung bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu festen Bestandteilen des jüdischen Gottesdienstes in den italienischen Gemeinden geworden.⁶³ In großen wie in kleinen Gemeinden des Piemonts, Venetiens und Emiliens war die musikalische Begleitung von Gebet und Gottesdienst mit Orgel oder Harmonium in vielen Synagogen ab Mitte der 1850er- und 60er-Jahre zur Regel geworden.⁶⁴ Anders als im
Vgl. Sofia, La nazione degli ebrei risorgimentali, 63 – 75. Cohen-Mushlin und Thies (Hg.), Synagoge und Tempel, 105. Ebd., 119. F. Servi, „Uno sguardo alle Comunioni israelitiche d’Italia, Verona“ Il Corriere Israelitico 6 (1867– 1868), 377– 379: 377. A. V. Morpurgo, „Ci scrivono da Padova“, in Ebd. 3 (1864– 1865), 2: 58; E. Pontremoli, „Il Tempio e l’Ufficiatura Sacra in Reggio di Modena“ Educatore Israelita 11 (1863): 145 – 147. Flaminio Servi war als Korrespondent für eine Rubrik über die italienisch-jüdischen Gemeinden zuständig;
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
deutschsprachigen Raum wurde in den italienisch-jüdischen Periodika kaum Debatten über die Frage nach der Legitimation der Einführung und des Gebrauchs der Orgel geführt, auch wenn hier konservative Stimmen nie ganz fehlten. Die Orgel und deren erbauliche Musik wurden als ein probates Mittel angesehen, um das moralische Bewusstsein und die geistige Andacht der Juden zu befördern.⁶⁵ Offensichtlich wurde die Musik in vielen Gemeinden Italiens nicht als Gegensatz zur eigenen jüdischen Tradition wahrgenommen. Ganz anders verhielt es sich im deutschsprachigen Raum, wo die Einführung der Orgel stark umstritten war und in den deutsch-jüdischen Zeitschriften eine hitzige Polemik entfachte, die im sogenannten „Orgelstreit“ gipfelte und in zahlreichen Streitschriften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts diskutiert wurde.⁶⁶ Unterschiedliche Argumentationen über die (Un‐)Zulässigkeit der Orgelmusik in der Synagoge wurden veröffentlicht. Aus konservativer Sicht galt die Orgel vielfach als Symbol der christlichen Religion, als dessen heidnisches Element, ja als „das klingende Christentum“⁶⁷ schlechthin. Auch herrschte Besorgnis, der protestantische und der jüdische Gottesdienst könnten durch die Orgelmusik ununterscheidbar werden. Die Gegner der Orgelmusik sahen also in der Nachahmung eines Elements des protestantischen Gottesdienstes eine Bedrohung der jüdischen Religion als solcher.⁶⁸ Bei orthodoxen Gelehrten und Redakteuren galt die Orgel während des jüdischen Gottesdienstes schlicht als Unruhestifter. In Italien assoziierte man mit der Orgel und ihrem Zusammenklang mit den kraftvollen Gesängen in der Synagoge dagegen eine besondere Feierlichkeit und ehrwürdige Andacht. In vielen Gemeinden wurde die Orgel weder als unannehmbares, weil fremdes, noch als beunruhigendes, weil die Liturgie störendes, Element wahrgenommen. Ähnlich wie viele deutsche Maskilim, die bereits Ende des 18. Jahrhunderts die christlichen Kirchen und Gottesdienste besuchten und die Synagoge – wie die Kirche für die Christen – ins Zentrum des Lebens der Juden stellten,⁶⁹ empfanden auch viele italienische Juden den christlichen Gottesdienst, einschließlich der musikalischen Gestaltung sowie seiner erbaulichen Predigt, als angenehmer und geeigneter etwa für Thematisierung der Fragen und Nöte der damaligen Zeit. In Italien erwies sich die Durchlässigkeit zwischen den Elementen
vgl. F. Servi, „Corrispondenze del Corriere Israelitico, Monticelli D’Ongina nel giugno 1865“ Il Corriere Israelitico 4 (1865 – 1866), 1: 91. Vgl. über deutsch-jüdische Verhältnisse Meyer, Judaism within Modernity, 212. Meyer, Antwort auf die Moderne, 73, 79, 91, 172 und 193. L. A. Frankl, „Die Orgel in der Synagoge“ Ben Chananja 4 (21.06.1861), 25: 215 – 216: 215. Vgl. auch Cohen-Mushlin und Thies (Hg.), Synagoge und Tempel, 105. Frankl, Die Orgel in der Synagoge, 216. Meyer, Antwort auf die Moderne, 49.
6.1 Publizistik und Reform
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des christlichen und jüdischen Kultus bzw. Ritus als weniger problematisch. Diverse jüdische religiöse Praktiken standen in vielen italienisch-jüdischen Gemeinden dieser Zeit schon länger unter dem Einfluss christlicher Bräuche und ästhetischer Empfindungen.⁷⁰ Bereits 1841 berichtete ein Korrespondent in Julius Fürsts Periodikum Der Orient über die italienisch-jüdischen religiösen Gebräuche, insbesondere über einen Gottesdienst, der – so der Verfasser des Artikels – „meistentheils in allegorischen Ceremonien und in Gebeten“⁷¹ bestand. Dies setzte offenkundig eine Annäherung an eindeutig christliche Elemente voraus: So war etwa die Anwendung ausgeprägter choreografischer Elementen festzustellen, wie das Tragen von Kerzen am Laubhüttenfest in der Synagoge, wie sie sonst eher im christlichen Zusammenhang von religiösen Prozessionen typisch sind.⁷² Noch in der Mitte der 1840er-Jahre führte der Rabbiner Jacob Levi in der Gemeinde von Reggio im Herzogtum Modena nach deutsch- sowie französisch-jüdischem Vorbild die Praktik der Konfirmationsfeier ein.⁷³ Mitte der 1850er-Jahre wurden seitens der Rabbiner in der Gemeinde von Reggio Emilia, ebenfalls Herzogtum Modena, sowie in Venedig in der scuola tedesca ⁷⁴ einige Veränderungen im jüdischen Kultus durchgeführt. In jener Gemeinde Reggios, die 1858 mit einer heiligen Zeremonie ihren neuen Tempel eingeweiht und den neu ernannten Oberrabbiner Abraham Lattes (1809 – 1875) begrüßt hatte, wurde bereits ein verkürzter jüdischer Gottesdienst praktiziert, der als von „größter Genauigkeit und erhabenster Würde“⁷⁵ bestimmt beschrieben wurde. Der Gottesdienst wurde in dieser Zeit den Erfordernissen des Zeitgeistes (sichtbar etwa in der Einführung von Kinder- oder Jugendchören) angepasst, allerdings unter „Beibehaltung der herkömmlichen religiösen Gebräuche, in aller Reinheit des ursprünglichen Glaubens“⁷⁶. In diesem Zusammenhang musste die Redaktion des Educatore Israelita jedoch feststellen,
Selbst die italienisch-jüdische Presse berichtete regelmäßig über zusätzliche choreografische Elemente, wie z. B. über die Praktik des Kniefalls bei Eintritt der Thora sowie über den Synagogengesang, der mit dem „Operngesang“ assoziiert wurde, und über den Brauch der „Kerzenträgerei“ von Kindern in der Synagoge im Rahmen des Laubhüttenfests; vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit, 57. Fürst, Italien, „Italienische Grenze“ (20.03.1841), 92. Ebd. Die Praktik der Konfirmation wurde offiziell Anfang des 19. Jahrhunderts in Westfalen als eine der Pflichten eines Rabbiners erwähnt; vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne, 70, 78, 84. S. Romanin, „Corrispondenza, Venezia, 1 Settembre 1861“ Educatore Israelita 9 (1861): 357– 358. A. Rabbeno, „Eine Synagogeneinweihung und eine Rabbinerinstallation in Italien, Reggio, 16. Jänner“ Ben Chananja 1 (1858), 4, 179 – 181: 179. Ebd.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
dass viele Rabbiner der Gemeinden Italiens bereits willkürlich Änderungen des Ritus, der Liturgie und des Gottesdienstes durchgeführt hatten: „Laut den unterschiedlichen Meinungen der Rabbiner oder der Gemeinden werden Modifizierungen, Änderungen, Reduzierungen ohne Vereinbarung und Einheitlichkeit durchgeführt.“⁷⁷ In den Artikeln während der 1850er- und der ersten Hälfte der 1860er-Jahre beschäftigten sich die Autoren der italienisch-jüdischen Presse vornehmlich mit Themen wie der Verbesserung und Abkürzung der jüdischen Liturgie⁷⁸ und mit der Rolle und Aufgabe des Rabbinats.⁷⁹ Erst seit der zweiten Hälfte der 1860erJahre erörterte die Mehrzahl der Artikel Themen wie die Abschaffung von jüdischen Gebräuchen (Beschneidung, Speisegebräuche), die Neugestaltung der Hochzeiten oder die jüdischen Trauungs- und Trauerriten.⁸⁰ Dauer, Inhalt und Form des jüdischen Gottesdienstes wurden ebenfalls diskutiert, denn einige italienische Rabbiner waren – wie ihre deutschen Kollegen – der Meinung, dass dort zu viele Wiederholungen vorkämen.⁸¹ Diese Uneinheitlichkeit in Sachen Reform veranlasste 1861 den Gelehrten, Hebraisten und Direktor der jüdischen Schule von Florenz, Angelo Paggi (1789 – 1867), zu einer Klage über die sehr konservativen religiösen Praktiken des jüdischen Gottesdienstes, wodurch dieser immer noch sehr ungeordnet, lang und unattraktiv geblieben sei.⁸² Paggi wandte sich speziell gegen jene Praktiken während des Gottesdienstes in der Synagoge, bei denen weder Schwung und Beteiligung noch Begeisterung unter den anwesenden Gemeindemitgliedern festzustellen waren.⁸³ Deshalb gewannen Ideen und Gestaltungsvorschläge an Aktualität, welche sich für eine Verkürzung und Vereinfachung des Gottesdienstes einsetzten. Entsprechende Argumente und Reformvorschläge wurden aber sehr behutsam und in
„Quindi succede che secondo i vari pareri o dei Rabbini o delle Comunioni, si modifica, si toglie, si aggiunge, senza unità, senza accordo.“ Levi und Pontremoli, Un congresso rabbinico, 219. Über die Abkürzung der Liturgie vgl. Romanin, Corrispondenza, Venezia, 1 Settembre 1861. Vgl. Mortara, Parte religiosa, 129 – 135, 161– 170; E. Bachi, „Considerazioni teorico-pratiche sulla proposta del Sinodo rabbinico italiano“ Educatore Israelita 11 (1863): 312– 315; Mainster, La Bibbia, i predicatori, il congresso di rabbini. Zu den jüdischen Hochzeiten mit Musikbegleitung und Chor sowie zu den Trauerriten in Triest vgl. Morpurgo, Progressi religiosi a Trieste, 84– 88. Über Trauerriten vgl. G. Levi und E. Pontremoli, „Il consulto del Rab. Mag. L. Ehrenreich. Sui riti del lutto“ Educatore Israelita 16 (1868): 205 – 207. Mortara, Parte religiosa, 169 – 170. A. Paggi, „Pubblico culto israelitico“ Ebd. 9 (1861), 347– 351: 350. Es ist zu bemerken, dass zu dieser Zeit die Synagoge von Florenz indirekt immer noch mit einem Kaffeehaus (Bottega del Caffè) oder sogar mit einer Börse verglichen wurde, in der eher Geschäften als religiöser Andacht nachgegangen werde; ebd.
6.1 Publizistik und Reform
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äußerst allgemeiner Form vorgetragen. Dabei erklärten die Rabbiner dem italienisch-jüdischen Lesepublikum weder spezifische Maßnahmen für eine Erneuerung des Gottesdienstes, noch ließen sie die nötige Tatkraft, Entschlossenheit und Dringlichkeit in Bezug auf die religiösen wie liturgischen Veränderungen erkennen, wie es bei den deutschen Reformern der Fall war. Die Artikel deuten demnach zum Einen auf eine besondere Vorsicht der Gelehrten und der Rabbiner Italiens hin, zum Anderen zeigen sie schlicht mangelnde Klarheit hinsichtlich konkreter Reformschritte.⁸⁴ Die praktische Realität sah allerdings ziemlich anders aus, denn schon im 18. Jahrhundert waren hebräische Gebete ins Italienische übersetzt, Predigten auf Italienisch eingeführt und seit den 1820er- und 30erJahren Umgestaltungen und Veränderungen der jüdischen Liturgie von einzelnen Rabbinern willkürlich vorgenommen worden, wenn auch nicht auf der gesamten italienischen Halbinsel. Als besonders facettenreich erweist sich die Reflexion über die religiöse Reform ab Mitte der 1860er- und in den 1870er-Jahren, als die zwei damals bedeutsamsten jüdischen Periodika die Positionen der Mitstreiter sowie der Gegner der Reform nicht mehr nur registrierten, sondern aktiv kommentierten, verteidigten oder heftig kritisierten. Die Haltung gegenüber dem jüdischen Gesetz und den jüdischen Lehren als Korpus gewann – neben den anhaltenden Diskussionen über einzelne Riten und Praktiken des jüdischen Gottesdienstes – in beiden erwähnten jüdischen Periodika, dem Educatore Israelita von Vercelli und dem Corriere Israelitico in Triest immer mehr an Bedeutung.⁸⁵ Hier kam es bis in die 1860er- und 1870er-Jahre hinein zu breiten Debatten, die die Notwendigkeit der Einberufung von Konferenzen, Kongressen und Rabbinersynoden erörterte und schließlich vorbereiten sollte. Ab Mitte der 1850er-Jahre beschäftigten sich die Herausgeber des Educatore von Vercelli, Levi und Pontremoli endlich mit der Notwendigkeit, einen italienischen Rabbinerkongress einzuberufen. Daher sammelte die Redaktion 1856 in einem einleitenden Artikel hierzu Zustimmungen einiger italienischer Rabbiner zu einem solchen Kongress und vermittelte vor allem die Positionen französischer Rabbiner während der Konferenz in Paris vom Jahre 1855, die als Vorbild für eine
Vgl. Mortara, Parte religiosa, 161– 170. Zu Mortaras Reihe von Artikeln und Repliken Della Torres vgl. M. Mortara, „Giudaismo e Progresso“ Il Corriere Israelitico 5 (1866 – 1867): 108 – 109, 143 – 145, 231– 234, 301– 305; 6, 1867– 1868, 242– 245; L. Della Torre, „Congresso Rabbinico italiano. Sulla questione del congresso rabbinico italiano“ Ebd. 6 (1867– 1868) 234– 242; M. Mortara, „Congresso Rabbinico italiano. Sulla convenienza e competenza di un Congresso Rabbinico“ Ebd. 6 (1867– 1868): 266 – 273.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
solche Konferenz des italienischsprachigen Judentums dienen sollte.⁸⁶ In dem Artikel, den beide Redakteure unterzeichneten, wurde allerdings wieder nicht direkt auf konkrete Reformen hingewiesen. Beide Verfasser begrüßten lediglich die Idee eines Kongresses, eines Vorhabens, das schon viele Unterstützer unter den Rabbinern Italiens gewonnen habe; zugleich wandten sich die Redakteure somit an weitere italienische Rabbiner und Gelehrte, um diese zur notwendigen tatkräftigen Initiative in Bezug auf die Einberufung eines Kongresses zu motivieren.⁸⁷ Der von den Autoren erhoffte Rabbinerkongress sollte sich a) die Erhaltung, b) die Sittlichkeit und c) das Wachstum des Glaubens im italienischen Judentum zum Ziel setzen. Doch die Versuche, Organisation und Ausgestaltung sowie das Programm des Kongresses zu konkretisieren, sollten in der italienischjüdischen Öffentlichkeit über Jahre hinweg hohe Wellen schlagen. Einer der Hauptakteure der erregten Debatte über die möglichen Rabbinerkongresse wie über deren Ausrichtung war Marco Mortara, der Hauptrabbiner der Gemeinde von Mantua in Norditalien.
6.2 Marco Mortara als wahrer Reformer? Die Rezeption aus deutscher und italienischer Perspektive Marco Mortara, geboren in Viadana, nahe Modena, hatte seine rabbinische Ausbildung 1836 am Collegio Rabbinico in Padua erfolgreich absolviert und war seit 1842 Hauptrabbiner der Gemeinde von Mantua.⁸⁸ Während seiner Rabbiner-
Levi und Pontremoli, „Congresso rabbinico italiano“ Educatore Israelita 4 (1856), 275 – 282: 275. Diesbezüglich machte die Redaktion des Educatore auf die Position eines orthodoxen französischen Rabbiners aufmerksam, Rabbiner Dreyfus aus Mülhausen, der den Fortbestand eines Status quo für ebenso gefährlich für die jüdische Religion hielt, wie es willkürliche Veränderungen seien. Die Redakteure waren sich der Tatsache bewusst, dass „L’idea è nell’animo di tutti già molti rabbini d’Italia ci hanno assicurati del loro consenso, vi anelano impazienti.“ So fügten sie die Position Mortaras hinzu: „Maestri d’Israello e voi tutti diletti correligionarii è tempo di scuotersi. E invece di perdervi in vane querele, o in reciproche recriminazioni, o in colpevole inerzia, movetevi e operate.“ (Lehrer Israels und liebe Glaubensgenossen, es ist Zeit, sich zu bewegen. Anstatt euch gegenseitig anzuklagen, oder gegeneinander Anschuldigungen zu erheben, oder euch in schuldbewusste Trägheit zu flüchten, solltet ihr gemeinsam wirken.) [Übers. d. Verf.]. Ebd., 275 – 276. Vgl. Di Porto, Marco Mordechai Mortara Doreš Ṭov; M. Perani und E. Finzi (Hg.), Nuovi studi in onore di Marco Mortara nel secondo centenario della nascita. Quaderni di materia giudaica 5. Firenze: Giuntina, 2016.
6.2 Marco Mortara als wahrer Reformer?
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ausbildung hatte er einen dauerhaften intellektuellen Austausch mit Samuel David Luzzatto gepflegt und eine zunehmende ideologische Gegenposition zu Lelio Della Torre in Bezug auf die Verfassung und Datierung der talmudischen Schriften entwickelt. Mortara fühlte sich in seiner rabbinischen Tätigkeit nicht so zu Hause, wie er es in der Auseinandersetzung über exegetische und theologische Fragen im Gespräch mit Luzzatto und anderen Gelehrten am Collegio getan hatte. Luzzatto war mit seinen auch über die italienischen Landesgrenzen hinaus reichenden Netzwerkkontakten und deren Potenzial, neue Einsichten und Wissensbestände sowie Gesprächspartner zu gewinnen, für Mortara die richtige Bezugsperson, die ihm weitere Beziehungen, vor allem mit deutsch-jüdischen Gelehrten, vermitteln konnte.⁸⁹ In vielen Briefen bat Mortara um die Unterstützung und den Rat Luzzattos, um durch ihn in Kontakt mit deutschsprachigen Gelehrten wie Moritz Steinschneider in Berlin, Isaak Markus Jost in Frankfurt, Joseph Perles in München, Ludwig Philippson in Magdeburg oder Adolf Jellinek in Leipzig zu kommen. Insbesondere von Isaak Markus Jost erhoffte sich Mortara bereits Mitte der 1840er-Jahre detaillierte Informationen über die Frankfurter Rabbinerkonferenz im Jahre 1845. Im Hinblick auf die Auseinandersetzung über die jüdische Reform in Europa konsultierte Mortara nicht nur regelmäßig die jüdische Presse der verschiedenen europäischen Ländern, sondern wollte direkt von den deutsch-jüdischen Rabbinern über die aktuellsten Reformentwicklungen informiert werden. Zwar war Mortara ein entschiedener Kritiker der deutschen Reformbewegung, sah darin aber keinen Grund, sich nicht mit deutsch-jüdischen Rabbinern und Intellektuellen auszutauschen, auch mit den Unterstützern der Reform. So äußerte er gegenüber Luzzatto wiederholt brieflich seinen Willen, aktiv mit deutsch-jüdischen Gelehrten in Kontakt treten zu wollen: „Ich möchte im Detail alles, was man über den Kongress von Frankfurt erfahren kann sowie über den aktuellen Stand der Reformideen wissen, um mich mit ihm (Jost) in voller Kenntnis der Lage und der Details auszutauschen.“⁹⁰ Dabei plante Mortara, seine eigenen Vorstellungen von Reform und neuen Gestaltungsmöglichkeiten des italienischen Judentums mittels der jüdischen Presse einem möglichst breiten und internationalen Lesepublikum vorzustellen. Er strebte also nicht nur danach, als Schüler Luzzattos Sichtbarkeit und Beach-
Asher Salah hat die Korrespondenz Mortaras in seiner Studie von 2012 umfassend analysiert und die Basis für das Verständnis Mortaras als Gelehrter, Rabbiner und Mann seiner Epoche geschaffen. Vgl. dies., L’epistolario di Marco Mortara (1815 – 1894). „[…] ma desidero sapere prima con tutta precisione tutto ciò che è possibile sapere sul Congresso di Francfort, e sullo stato attuale delle idee colà per potergli parlare con cognizione […]“ „Mortara an Luzzatto, Padua, (20.10.1845).“ In ebd., 105 – 106: 105.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
tung in der deutsch-jüdischen Presse zu gewinnen, sondern wollte hier einerseits offen für sein Reformverständnis und seine Reformpläne werben sowie andererseits seine Predigten zu diesem Thema unter den deutschen Reformern zirkulieren lassen. Dank der Fürsprache Luzzattos kooperierte Mortara ab 1840 mit dem Historiker und Publizisten Isaak Markus Jost in den Israelitischen Annalen, und wurde dort dem deutsch-jüdischen Publikum 1840 mit einer Rubrik unter dem Titel Kritische Studien bekannt. In seinen Artikeln begründete der Rabbiner detailliert seine Thesen und Studien zum Talmud und zu den Gebetsformeln und hatte parallel dazu eine Zusammenfassung seiner Idee von der Definition von mündlicher Thora und über die Kompilatoren des Talmuds geliefert.⁹¹ Sein Beitrag sollte dem deutsch-jüdischen Publikum eine Kostprobe seiner talmudischen Studien bieten, und zwar seiner methodologischen Art und Weise, sich dem Studium und Analyse des Talmuds zu nähern. Er nutzte den aktuellen Streit über die Hunderte von Gebetsformeln (meha Berakot), um für seine exegetischen und wissenschaftlichen Forschungen, nämlich einer neuen Perspektive auf jene Gebetsformeln, auch auf deutsch-jüdischer Seite kräftig zu werben. Mortara teilte in seinen Darlegungen die Auffassung des Begründers der Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz, über die achtzehn Gebetsformeln⁹² und hob diese Übereinstimmung im zweiten Artikel stark hervor.⁹³ Für beide, Mortara und Zunz, seien die ,achtzehn Segensformeln des Gebets‘, wie sie nun hießen, als inhaltlich anders gestaltet erkennbar als die Gebetsformeln zur Zeit des Tempels und der bestehenden Nationaleinheit Israels. Mortara unternahm es also in seinen Artikeln, die Geschichte der Gebetsformeln nach dem Prinzip der Verfasser zu rekonstruieren. Unter Rückgriff auf genaue historische und geografische Bezüge schrieb er den unterschiedlichen Protagonisten bestimmte Vorschläge, Neuerungen und Modifikationen der Formeln zu, die sich durch die Jahrhunderte hindurch durchgesetzt und die alten Formeln ersetzt hatten. Er wollte also beweisen, dass die Gebetsformeln und deren Inhalt sukzessive – den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit gehorchend – modifiziert worden waren.⁹⁴ Zudem seien diese immer nur mündlich überliefert worden, mit der Folge, dass aufgrund der Mündlichkeit parallel mehrere Überlieferungen entstanden. Den deutsch-jüdischen Lesern legte er in seinen Erörterungen unterschiedliche Belege dafür vor,
Der Beitrag Mortaras wurde in fünf Artikel eingeteilt und zwischen Juni und Juli 1840 veröffentlicht. M. Mortara, „Kritische Studien. Vom Rabbiner Marco Mortara“ Israelitische Annalen 2 (05.06., 12.06., 19.06. 26.06. und 03.07.1840), 23 – 27: 202– 203; 209; 216 – 217; 224– 225; 233 – 234. Zunz, Die Gottesdienstlichen Vorträge, 3. Mortara, Kritische Studien. Vom Rabbiner Marco Mortara, 209. Ebd., 209; 216 – 217.
6.2 Marco Mortara als wahrer Reformer?
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dass die Gebete weder endgültig aufgeschrieben noch sich stets gleich gewesen seien:⁹⁵ Alle Gebetsformeln und insbesondere die achtzehn Segensprüche seien, so Mortara, genuin mündlich gegeben, also veränderlich und rechtlich wie auch faktisch innerhalb gewisser Grenzen frei „gestaltbar“ geblieben,⁹⁶ insbesondere solange der Talmud überhaupt mündlich tradiert und fortgeschrieben worden sei.⁹⁷ Laut vieler Textstellen, die Mortara aus den Fragmenten in Talmud, Baraithot und Midraschim zitiert, müssten die jüdischen Gebetsformeln als rechtlich und faktisch frei betrachtet werden, obwohl die üblichen Formeln und Formulierungen weiterhin offiziell beibehalten worden seien.⁹⁸ Ein weiteres Thema der Artikel Mortaras war der Kampf gegen den religiösen Indifferentismus seiner Zeit, der vielen Rabbinern Sorgen bereitete. Er rief dazu auf, die junge jüdische Generation wieder für den jüdischen Kultus zu begeistern und dringend Erleichterungen und Modifizierungen des jüdischen Kultus einzuführen, um diese und andere Herausforderungen der Gegenwart zu schultern. So wie die alten Lehrer die Notwendigkeit erkannt hatten, sich nach den Umständen zu richten und die religiösen Anordnungen entsprechend zu modifizieren, so sollten sich auch die zeitgenössischen Rabbiner seiner Ansicht nach verhalten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den Artikeln im Orient zwei Hauptideen Mortaras vermittelt werden: Zum einen der nicht unveränderliche Charakter der Berakot, zum anderen die Rückkehr zu den Quellen als qualitativem wie qualifiziertem Ausgangspunkt für jedweden Fortschritt des Judentums. Nur ein tüchtiges Studium des innersten Geistes des Talmuds könne, so Mortara, den reformerischen Einsturz, der die wichtigsten jüdischen Riten und Verhaltensregeln bedrohte, verhindern.⁹⁹ Zugleich bestätigen diese Artikel Mortaras Absicht, sich von Della Torres Einfluss und Ansichten in der Debatte über die Geltung der mündlichen Thora zu distanzieren. Insbesondere im fünften Artikel wird deutlich, dass Mortara eine klare Unterscheidung zwischen den Verfassern des Talmuds und den nachtalmudischen Ritualisten vornimmt.¹⁰⁰ Paradox mutet an, dass in seinen Publikationen immer wieder das Bild eines autonomen progressiven jüdischen Denkers auftaucht, obwohl sich Mortara nie außerhalb des Spektrums
Ebd., 216 – 217; 224. Ebd., 216 – 217. Ebd., 224– 225. Ebd., 234. Es waren gerade die alten Lehrer, die Mortara in seiner Abhandlung zum Vorbild erklärte, denn sie seien es gewesen, die hatten verhindern wollen, dass das Gebet zu einer bloßen mechanischen Formel verkam. Ebd. Ebd.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
traditionellen Judentums positionierte, geschweige denn bewegen wollte. Vor allem mit der These der mündlichen Thora (Tora she be al pé) versuchte er, eine scharfe Trennlinie zwischen sich und seinem ehemaligen Lehrer Della Torre zu ziehen. Noch wichtiger erscheinen bei ihm aber die Bemühungen, seine Ideen über die Berakot und deren Ermessensspielraum als wichtigen Aspekt seiner eigenen Reformvorstellungen auf deutsch-jüdischer Seite bekannt zu machen. Auch intervenierte er in der damals aktuellen Kontroverse über den Fortbestand und die Gültigkeit des jüdischen Gesetzes zu allen geschichtlichen Zeiten, die er in den Jahren 1865 – 1867 mit Lelio Della Torre in den Kolumnen des Corriere Israelitico von Triest noch weiter fortsetzte.¹⁰¹ Darüber hinaus fanden andere Werke Mortaras im September 1845 in Fürsts Orient Beachtung, namentlich eine Predigt und ein Aufsatz über den Pentateuch.¹⁰² Es ist nicht sicher, ob Mortara die scharfe Kritik Adolf Jellineks unter dem Pseudonym A. Ink¹⁰³ zu dieser Ausgabe des Orients selbst kannte.¹⁰⁴ Im genannten Artikel hatte Jellinek Mortaras Predigt zur Einweihung des neuen Tempels in Mantua kritisch kommentiert und einige Ausschnitte in deutscher Übersetzung veröffentlicht. In den gewählten Abschnitten fand das deutsch-jüdische Lesepublikum zwar die Kernideen Mortaras zu seinem Konzept des „Reformierens“, doch zugleich kritisierte Jellinek scharf den stark philosophisch-rationalen Charakter von Mortaras Aufsatz Über die Echtheit des Pentateuchs, der die exegetische Argumentation in den Hintergrund dränge.¹⁰⁵ Aus der Perspektive der deutsch-jüdischen Publizistik, die sich den Reformen auch radikalerer Denker wie Steinschneider eng verbunden sah, erschien Mortara als konservativer Rabbiner und Denker, der als begabter Redner die Rolle eines Beschützers der Tradition sowie eines Gegners der zeitgenössischen philosophischen Kritik von mosaischer Religion und Kultus einnahm. In der Person des Herausgebers Rovighi hatte der dreißigjährige Mortara einen wichtigen Unterstützer seiner religiösen Positionen gefunden, die sich zunehmend von denen seiner ehemaligen Professoren Luzzatto und Della Torre unterschieden. 1845 konnte Mortara seinen Artikel „Studi Ghemaraici“ über die
Vgl. u. a. Mortara, Della Convenienza e Competenza di un Congresso Rabbinico; Della Torre, Congresso Rabbinico Italiano. Sulla questione del congresso rabbinico italiano; Mortara, Congresso rabbinico italiano. Sulla convenienza e competenza di un Congresso Rabbinico italiano. Vgl. Jellinek [„A. Ink“], Kurze Anzeigen. Jüdisch-italienische Literatur. Adolf Jellinek verfasste zwischen 1843 und 1856 unter der Chiffre A. Ink verschiedene Artikel in Julius Fürsts Der Orient. Vgl. Brocke und Carlebach (Hg.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, Teil 1, 482. Mit großer Wahrscheinlichkeit allerdings hatte Mortara den Artikel nicht wahrgenommen, da er bekanntlich über keinerlei Deutschkenntnisse verfügte. Jellinek [„A. Ink“], Kurze Anzeigen. Jüdisch-italienische Literatur, 602.
6.2 Marco Mortara als wahrer Reformer?
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Berakot in Rovighis Rivista Israelitica als Studien zur Ghemara veröffentlichen.¹⁰⁶ Mortara (s. Abb. 10) hoffte dabei, mit seinem Versuch talmudischer Kritik nun auch unter den italienisch-jüdischen Gelehrten ins Zentrum der Reformdiskussion vorzudringen und neue Fragestellungen und Debatten anzuregen: „Die Funktion des Artikels ist endlich das Eis zu brechen, um das Thema Reform ganz prioritär zu machen.“¹⁰⁷
Abb. 10: Der Hauptrabbiner von Mantua Marco Mortara (1815 – 1894).
1845 verfasste Mortara unter dem Pseudonym Doreš Ṭov außerdem einen der ersten Beiträge in der italienisch-jüdischen Presse zur Auseinandersetzung über
M. Mortara, „Studi Ghemaraici“ Rivista Israelitica 1 (März–April 1846), 3 – 4: 137– 147. „Quell’articolo è tale da rompere il ghiaccio in un argomento avanti in altri.“ „Mortara an D. G. Viterbi, Mantua, 10. Juni.“ In Salah, L’epistolario di Marco Mortara (1815 – 1894), 159.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
die religiöse Reform überhaupt.¹⁰⁸ Er erklärte, wie er das italienische Judentum von seiner angeblichen Trägheit und Reglosigkeit retten wollte,¹⁰⁹ ohne jedoch detailliert über konkrete Pläne zur Modifizierung der jüdischen religiösen Praktiken Auskunft zu geben, die es seiner Meinung nach zu vereinfachen oder zu entfernen galt. Offenbar befürwortete er einen vereinfachten jüdischen Gottesdienst in den Synagogen,¹¹⁰ der für jeden italienischsprachigen Juden zugänglich sein und unter den Gemeindemitgliedern keine Peinlichkeiten und Missverständnisse mehr verursachen sollte.¹¹¹ Mortara betonte in seiner reichen publizistischen Arbeit immer wieder die Notwendigkeit, endlich Klarheit und Einheitlichkeit hinsichtlich der Ausübung jüdischer Riten und Praktiken zu schaffen.¹¹² Dabei ging er davon aus, dass in Italien schlicht ein Chaos von Riten und Praktiken herrschte, das wiederum deutlich zur Vernachlässigung der jüdischen Religion beigetragen hatte.¹¹³ Er stellte fest, dass seine Glaubensgenossen zwischen bedingungslosem, „blindem“ Gehorsam gegenüber allen Geboten und völliger Nachlässigkeit schwankten.¹¹⁴ Im Gegensatz zur Haltung vieler Orthodoxer betrachtete Mortara die äußeren Formen des Kultus nicht als unveränderlich, sondern argumentierte offen, der jüdische Kultus sei nicht nur modifizierbar, sondern könne und müsse sich den zeitgenössischen Bedürfnissen anpassen.¹¹⁵ Sein Reformkonzept zielt auf eine Vereinfachung, insofern er die Wiederherstellung „nicht des Alten, sondern der wahren ursprünglichen Antike“ vorschlägt.¹¹⁶ In diesem Sinne strebte er weder nach einer radikalen Erneuerung noch nach einer Zerstörung des religiösen „Gebäudes“ des italienischen Judentums, sondern forderte und förderte stattdessen daher eine Haltung, die dazu befähigen sollte, wieder ein ursprüngliches Verhältnis zum Judentum und seinen heiligen Texten sowie seinen Praktiken zurück zu gewinnen, ohne Radikalisierungen, oberflächliche Varianten oder gar kabbalistische Modifizierungen einzuführen. Reformieren heutzutage bedeutet, das System des jüdischen Kultus über das jüdische Gesetz neu aufzubauen, nach dem strikten Vorbild der Tannaiten, der Amoraim, und den Um-
Mortara [„Doreš Ṭov“], Sulle riforme di culto per gl’Israeliti italiani, 379. Die Trägheit und Machtlosigkeit des Rabbinats hielt Mortara für sehr gefährlich; vgl. Mortara, Parte religiosa, 163; ders., „Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna. Mantova, 29. August 1865“ Educatore Israelita 13 (1865), 291– 297: 296. Ders., Parte religiosa, 129 – 135, 161– 170. Ebd., 169 – 170. Ebd., 130, 132– 133. Ebd., 169. Ebd., 133. Levi und Pontremoli, Congresso rabbinico italiano. Mortara, Parte religiosa, 161.
6.2 Marco Mortara als wahrer Reformer?
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ständen entsprechend. Wie jene unsterblichen Doktoren des Gesetzes soll unser Auftrag zugleich eine erbauliche Zielsetzung haben und nicht eine zerstörende Zielsetzung haben.¹¹⁷
Folgende Elemente benennt Mortara also als reformbedürftig: Erstens die jüdische Liturgie, die er – ganz wie die deutsch-jüdischen Maskilim Ende des 18. Jahrhunderts und die zeitgenössischen Reformer – durch die Abschaffung einiger Gebete, etwa der achtzehn Gebetsformeln, einiger Psalmen und der mittelalterlichen Pijjutim – zu kürzen beabsichtigte.¹¹⁸ Er setzt sich aber insofern von den reformerischen Ansätzen des deutschsprachigen Raums ab, als er keine radikalen Textänderungen und Modifizierungen im Sinne einer Paraphrase von Passagen und Texten des Ritus anstrebte. Eine Erleichterung des jüdischen Gottesdienstes hieß Mortara für notwendig, weil aus seiner Sicht darin diverse religiöse Praktiken vorkamen, die für die Mehrheit der Juden unverständlich geworden und zudem ermüdend waren. Der jüdische Kultus, das bedeutsamste Bindeglied unter den Juden, sei zunehmend lästig und „verkrampft“¹¹⁹ geworden, weshalb sich viele italienische Juden berechtigt fühlten, den Besuch der Synagoge zu vernachlässigen. Die Liturgie sollte daher neu überdacht werden, ohne gleich auf radikale Veränderungen zu verfallen. Wichtig war ihm, dass die Gemeindemitglieder auf den Wissensstand gebracht werden sollten, der es ihnen ermöglichte, zwischen den rituellen Pflichtpraktiken und individuellen Zusatzpraktiken zu unterscheiden. Ein weiterer Punkt in Mortaras Reformagenda bestand in dem Ziel, einen würdigen Weg der Integration der italienischen Juden in die Mehrheitsgesellschaft zu schaffen, der ihnen auf der einen Seite ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Umgebungsgesellschaft zu geben vermochte, sie aber auf der anderen Seite davor bewahrte, der Faszination für die zeitgenössische bürgerliche Gesellschaft zu verfallen oder sogar ihre neuen weltanschaulichen Bezugspunkte in der katholischen Religion zu finden. Die Gleichgültigkeit und Unwissenheit der italienischen Juden hinsichtlich religiöser Themen und der jüdischen Riten, die
[Übers. d. Verf.] („Riformare, vale a dire, ricostituire il sistema del culto esterno sopra le basi della Legge scritta nel loro vero spirito conservatoci dalla Legge tradizionale, secondo l’esempio ed a stretta imitazione dei Tannaiti e degli Emoraim, in quanto alla libera applicazione delle forme secondo l’opportunità, ecco l’opera richiesta dai tempi. Ciò che fecero quegli immortali Dottori, dobbiamo farlo noi pure, e l’opera nostra salutare sarà feconda di edificazione e non distruttrice.“) M. Mortara, „Sulla possibilità di operare una semplificazione del culto esterno pubblico e privato degli Israeliti conservandosi nei limiti della più rigorosa ortodossia.“ Ebd., 134– 135. Vgl. „Mortara an D. G. Viterbi, Padua, 08.12.1845“, 104. In Salah, L’epistolario di Marco Mortara (1815 – 1894), 163 – 164; „Mortara an D. G. Viterbi, Padova, 06.12.1846.“ In ebd., 165 – 166. Mortara, Parte religiosa, 134.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
Mortara wie viele Rabbiner und jüdischen Gelehrte dieser Zeit als Bedrohung wahrnahm, erregte in den Kolumnen der jüdischen Presse besondere Aufmerksamkeit. Dabei verstand Mortara sein Reformprojekt als einen dritten Weg, als originär italienisch-jüdische Alternative, und wünschte sich als Hauptrabbiner von Mantua, dass das italienische Modell in der Auseinandersetzung über die religiöse Reform des europäischen Judentums ebenso eine entscheidende Rolle spielen möge. So schreibt er an den Rabbiner Leone Ravenna aus der Gemeinde von Ferrara:¹²⁰ Drei Systeme stehen jetzt gegenüber. Meiner Meinung nach ist weder das eine noch das andere System wirklich überzeugend. Wieso muss der italienische Verstand vor der Wahl zwischen der Nachahmung eines deutschen oder eines französischen Systems stehen und kann sich nicht stattdessen selbst für die Franzosen und die Deutschen und für alle anderen nachahmungswürdig machen?¹²¹
Was jedoch im Vergleich mit den deutschen Reformen auffällt, ist, dass Mortara im Gegensatz zu ihnen ein Konzept von Kontinuität und nicht eines Bruchs mit der Tradition vertrat.¹²² Die Idee der „Wiederherstellung“ als Weg der Reform und zugleich der Alternative zu ihr stellt in seinen Beiträgen, wie auch Asher Salah betont, ein ständig wiederkehrendes, zentrales Motiv dar.¹²³ Diese Beobachtung stärkt die These, dass Mortara kein Reformer im deutsch-jüdischen Sinne war, und steht im Einklang mit seiner in vielen Korrespondenzen geäußerten Besorgnis über die Reformentwicklungen in Frankreich, England, Holland und vor allem in den deutschen Staaten sowie seiner wiederkehrenden Frage, was in diesen Län-
Leone Ravenna (1837– 1920) war einer der aktivsten Beteiligten der Rabbinerkonferenz in Florenz am 30. April 1867 gewesen.Vgl. dazu Del Bianco Cotrozzi, Il Collegio Rabbinico di Padova, 318. [Übers. d. Verf.] („Tre sistemi si stanno a fronte – i primi due non fanno a mio parere, la migliore mostra di sè. Perchè non far prova del terzo? Perchè il sistema italiano dovrà essere costretto a fare la scelta fra l’imitazione francese, e l’imitazione tedesca, e non tenterà piuttosto la prova di rendersi egli stesso degno dei tedeschi, dei francesi, e di tutti gli altri?“) Mortara, Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna, 296 – 297. Mortara antwortete auf den Brief Leone Ravennas, den der Rabbiner der Gemeinde von Ferrara den Herausgebern des Educatore zur Veröffentlichung geschickt hatte und in dem er sich skeptisch über Mortaras Reformagenda äußerte. Ravenna hatte darin für deutlich radikalere Reformen, u. a. die Abschaffung des Schabbats als Feiertag und die Abschaffung der jüdischen Speisegesetze, plädiert. Ravenna hatte die Idee einer natürlichen Religion zusammengefasst, in der all die Praktiken des äußeren Kultus keinen Existenzgrund mehr hätten; vgl., L. Ravenna, „Conferenze rabbiniche. Polemica. Ferrara, 6. September 1865“ Educatore Israelita 13 (1865): 289 – 291. Mortara, Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna, 294. Ebd., 294; vgl. Salah, L’epistolario di Marco Mortara (1815 – 1894), 42– 43.
6.2 Marco Mortara als wahrer Reformer?
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dern von der jüdischen Religion übrig geblieben sei.¹²⁴ Bitter sagte Mortara voraus: „Die Reformen können nicht fortbestehen, sie haben keine Zukunftsaussichten, da sie auf keinerlei starke Argumente gestützt sind.“¹²⁵ Mortara wollte außerdem nicht als alleiniger Protagonist der Reformbewegung in Italien in Erscheinung treten. Vielmehr suchte er das Rabbinat Italiens zu vereinheitlichen und plädierte deshalb für Rabbinerversammlungen und -kongresse. Dabei erwartete er, dass er beim Rabbinat sowohl einen breiten Konsens als auch Unterstützung für sein Einigungskonzept erreichen würde. So versuchte er ständig, mittels der jüdischen Presse einen solchen Konsens unter den italienisch-jüdischen Gelehrten sowie unter deren und seiner Leserschaft zu erreichen, ohne sich mit seinem Projekt „Reform durch Wiederherstellung“ (riforma o ripristinamento)¹²⁶ als deren einziger Vertreter zu profilieren. Mortara beabsichtigte mit seinen Artikeln also nicht nur über die Reformagenda der deutsch-jüdischen Reformer zu berichten, sondern wollte zugleich eine breite Diskussion um eine einheitliche italienische „Gegenlösung“ in Gang bringen.¹²⁷ Man sollte dabei nicht verschweigen, dass auf der italienischen Halbinsel die Machtverhältnisse unter den Beteiligten an der Reformdiskussion ziemlich ausgeglichen war und niemand auch nur in der Lage schien, eine Deutungshoheit wie die eines Abraham Geiger zu erlangen. Ein sehr sensibles Thema unter den italienischen Juden war das der Konversion zum Katholizismus. Es wurde daher auf den Konferenzen von Ferrara im Jahr 1863 und Florenz im Jahr 1867¹²⁸ ausführlich debattiert. Seine ausführlichen Diskussionen und seine umfassenden Kenntnisse theologischer Themen, die sowohl an die jüdische als auch an die christliche Tradition anknüpften, bestätigen Mortaras Interesse an eher allgemein ethischen Themen wie dem moralischen Charakter der jüdischen Religion und dem entsprechenden tugendhaften Verhalten in den zwischenmenschlichen Beziehungen, in Gesellschaft und Familie, wie es damals in der jüdischen Presse sowohl im deutschsprachigen Raum als auch in Italien aktuell diskutiert wurde. Er legte deshalb viel Wert auf seine Predigten und auf die Veröffentlichung einer Reihe von Aufsätzen zum Thema
Mortara, Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna; Salah, L’epistolario di Marco Mortara (1815 – 1894), 43. „Le riforme, le innovazioni non possono durare, non hanno avvenire perché si fanno ovunque sul vuoto.“ „Mortara an Luzzatto, Padua, 02.12.1849.“ In ebd., 112– 114: 113. M. Mortara, „Risposta alla protesta dei sig. Rabbini Milul, Leone e Benamoseg, contro il proclama del Rabbino Olper del Rabb. Marco Mortara da Mantova“ Il Corriere Israelitico 4 (1865 – 1866): 74– 76. Ders., Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna, 297. Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915, 64– 69.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
Familie, Zivilehe,¹²⁹ Mischehen¹³⁰ und Scheidung. Mit der Gründung des neuen italienischen Königreiches, jedoch auch in Frankreich und Deutschland waren diese Themen nämlich brandaktuell geworden. Mortara, der sich dezidiert gegen Mischehen aussprach, versuchte aber, in seiner Tätigkeit als Rabbiner und als Publizist eine versöhnlichere Haltung einzunehmen, die seinen beiden Verpflichtungen gerecht wurde: seiner Loyalität gegenüber dem neugegründeten italienischen Königreich auf der einen und seiner Sorge um den Fortbestand des italienischen Judentums auf der anderen Seite, d. h. gegenüber der italienischrechtlichen und der jüdisch-religiösen Sphäre. Mortara war zwar nicht der einzige Rabbiner, der längere Beiträge für die jüdische Presse verfasste, aber doch der Erste, der die Idee eines italienischen Rabbinerkongresses bereits in den 1840erJahren in der Rivista Israelitica von Rovighi vorgestellt hatte. Der Plan eines Kongresses hat sich dann im Laufe der Jahre von einer eher theoretischen Vorstellung fast zu einer idée fixe entwickelt. In der Hoffnung, Klarheit zu schaffen, bot Mortara zwischen 1865 und 1866 den Lesern des Corriere Israelitico von Triest und des Educatore Israelita neben einer Darlegung seiner Vorstellungen auch einen detaillierten Plan „für einen erfolgreichen Kongress von Rabbinern“¹³¹ an. In der illusorischen Erwartung, die Mehrheit der italienischen Rabbiner als Unterstützer gewinnen zu können, versuchte Mortara, sein Unterfangen in der jüdischen Presse zu legitimieren: zuerst in den Kolumnen des Educatore von Vercelli und anschließend im Corriere von Triest. Sofern die Debatte um einen Rabbinerkongress bis dahin in einer permanenten Vorschlags- und Verhandlungsphase verharrt hatte, gewann sie nun, dank Mortara und seiner Gegner, in den 1860er-Jahren erstmals an Kraft, Lebendigkeit und Kampfgeist. Dies steht im Gegensatz zur bisher akzeptierten These vieler italienischer Historiker, in Italien sei die Debatte über eine religiöse Reform im 19. Jahrhundert nie ernsthaft geführt worden.¹³²
M. Mortara, Il matrimonio civile considerato giusta le norme del diritto e dell’operosità. Studi di Marco Mortara, Rabbino maggiore degli Israeliti di Mantova, Mantova 1863. Die gemischten Eheschließungen wurden zu einer zentralen und kontroversen Debatte unter deutsch-jüdischen Denkern und Rabbinern im Rahmen der ersten Rabbinerversammlung in Braunschweig 1844. Viele Rabbiner wie Abraham Geiger, Ludwig Philippson, Michael Hess und Samuel Holdheim äußerten sich damals hierüber; vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne, 201 Mortara, Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna; ders., Della Convenienza e Competenza di un Congresso Rabbinico. Artom, Tentativi di riforma in Italia nel secolo scorso e analisi del fenomeno nel presente.
6.3 Konzil, Synode oder Rabbinerkonferenz?
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6.3 Konzil, Synode oder Rabbinerkonferenz? Eine italienisch-jüdische Auseinandersetzung In Braunschweig, Frankfurt und Breslau fanden zwischen 1844 und 1846 die ersten deutsch-jüdischen Rabbinerkonferenzen statt. Abgesehen von der regen Diskussion in der deutsch-jüdischen Presse fanden die Themen u. a. der Abschaffung von jüdischen Gebräuchen, der jüdischen Trauungs- und Trauerriten sowie der Frage nach der Begleitung des Gottesdienstes durch Musik an jüdischen Feiertagen während derselben Rabbinerversammlungen große Beachtung. Diese Versammlungen stellten für viele Unterstützer der Reform den idealen Ort für einen regen Dialog und einen konstruktiven Austausch unter deutsch-jüdischen Rabbinern dar.¹³³ Die anwesenden Rabbiner tauschten Erfahrungen aus und koordinierten gemeinsame Pläne, um eine Reform des deutschsprachigen Judentums von der Theorie in die Praxis umzusetzen.¹³⁴ In der italienisch-jüdischen Presse wurden sowohl die Braunschweiger, Frankfurter und Breslauer Rabbinerkonferenzen als auch die Rabbinersynoden und -kongresse in Kassel, Leipzig und Augsburg Ende der 1860er- bzw. zu Beginn der 1870er-Jahre rezipiert sowie gründlich diskutiert und kommentiert.¹³⁵ Dagegen ließen einerseits die teils grundlegenden, teils subtilen Meinungsunterschiede unter den vielen streitlustigen „südländischen Temperamenten“¹³⁶ – wie Mortara seine Gegner beschrieb – und andererseits die sehr unterschiedlichen Praktiken u. a. des Gottesdienstes in den israelitischen Kultusgemeinden Italiens eine Beschleunigung bestimmter innerjüdischer Entwicklungsprozesse durch die Einberufung von Kongressen oder Synoden beinahe utopisch erscheinen.¹³⁷ Die Diskussionen unter den verschiedenen Strömungen des Judentums nördlich der Alpen wurden damit zum Ausgangspunkt für eine eigene italienisch-jüdische Debatte. Solche Diskussionen über Reform anzuregen, bedeutete für viele Rabbiner und jüdische Denker gleichzeitig vor der Gefahr unerwünschter Spaltungen des zeitgenössischen ita-
A. Geiger, „Die Rabbinerzusammenkunft. Sendschreiben an einen befreundeten rabbinischen Geistlichen“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 3 (1837), 3: 313 – 332. M. R. Hayoun, La liturgia ebraica, Firenze 1997, 118 – 119; Meyer, Antwort auf die Moderne, 200 – 211. Vgl. die detaillierten Berichte sowie kurzen Nachrichten über die Kongresse und Synoden, die im Corriere von Triest erschienen: A. Curiel, „Cronaca israelitica del mese“ Il Corriere Israelitico 7, 1868 – 1869, 149 – 152: 149; „O.“, „Corrispondenza particolare del Corriere israelitico, Il Sinodo, Leipzig“ Ebd. 8 (20.07.1869): 112– 115; (10.08.1869): 142– 144; (10.09.1869): 165 – 168; 198 – 200. Mortara, Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna, 292. Vgl. Maroni, Congresso rabbinico italiano. G. Levi, „Il dispotismo dei Sinodi“ Educatore Israelita 15 (1867): 359 – 362; 16 (1868): 6 – 9; 26 – 39; 161– 164; G. Levi und E. Pontremoli, „Un progetto del rabbino di Cuneo“ Ebd. 16 (1868): 48 – 49.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
lienischen Judentums zu warnen. Die deutschen Rabbinerkongresse wurden aber auch zum Auslöser einer tiefer gehenden Debatte der religiös-rechtlichen Legitimation der Rabbiner in den italienisch-jüdischen Gemeinden. Diese Frage gewann eine zentrale Bedeutung vor allem hinsichtlich der möglichen Einberufung von Kongressen und Synoden in Italien. Mitte der 1850er-Jahre hielten viele Rabbiner – trotz der aktiven Auseinandersetzung mit Konzepten wie dem Zuwachs des Interesses für den Glauben in der jüdischen Gesellschaft, der Harmonisierung der jüdischen Liturgie, der Bewahrung der Tradition und zugleich der Erneuerung des Judentums,¹³⁸ sowie anderen religiösen Anliegen der italienisch-jüdischen Gemeinden – die Einberufung eines Rabbinerkongresses für erforderlich. In der italienisch-jüdischen Presse des 19. Jahrhunderts wurde daher die Rolle, Wirksamkeit und Autorität des Rabbiners heftig diskutiert. Einige Rabbiner wie Marco Mortara, Emilio Bachi (1815 – 1885) aus der Gemeinde Monticelli im Piemont und Abramo Haim Mainster (1816 – 1882), Rabbiner von Rovigo, zeigten in ihren Kolumnen im Educatore Israelita, wie sehr ihnen bewusst war, dass die italienischen Rabbiner unter mangelnder Initiative, Machtlosigkeit, Trägheit und mangelnder Autorität litten und dringend in ihrer Legitimation gestärkt werden mussten.¹³⁹ Auch in dieser Angelegenheit kam dem Collegio Rabbinico von Padua eine Vorreiterrolle zu, da hier die meisten der Mitstreiter der Reformbewegung ihre Ausbildung genossen hatten. Ihre Beiträge sind es, die jene Diskussion um die Legitimierung oder Delegitimierung von Rabbinern nachhaltig prägten, und vielen von ihnen, so auch Marco Mortara, war bewusst, dass die Rabbiner Italiens neben Legitimation vor allem Zusammenhalt demonstrieren mussten, um wieder als Führungsfiguren und Ratgeber des italienischsprachigen Judentums anerkannt zu werden.¹⁴⁰ Idealerweise hätten die italienischen Rabbiner dadurch die Legitimation für die Einberufung und Veranstaltung des Kongresses von ihren Kultusgemeinden und Gemeindemitgliedern selbst bekommen sollen.¹⁴¹ Doch waren die italienischen Kultusgemeinden noch Mitte der 1850er- und 60er-Jahre sehr unterschiedliche Mikrokosmen und vor allem weder einig noch
Levi und Pontremoli, Un congresso rabbinico italiano, 220. Hier wurde nach einem einführenden Artikel der beiden Redakteure die Positionen prominenter Rabbiner gesammelt, die sich mit einem Rabbinerkongress für einverstanden erklärten. Es wurde u. a. über die Vorschläge Mortaras berichtet; Levi und Pontremoli, Un congresso rabbinico italiano, 219; dies., Congresso rabbinico italiano (opinione di un rigoroso ortodosso). Un ottimo sistema: una proposta importante, 275 – 277. Vgl. ebd., und M. Mortara, „A chi spetta promuovere un congresso rabbinico“ Educatore Israelita 4 (1856), 278 – 282: 279 – 280; und Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915, 72. Vgl. M. Mortara, A chi spetta promuovere un congresso rabbinico, 281.
6.3 Konzil, Synode oder Rabbinerkonferenz?
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fähig, sich zu organisieren und einer zentralen Autorität die organisatorische und administrative Leitung eines Kongresses anzuvertrauen. Emilio Bachi formulierte seine Ideen zu der Berufung von Rabbinerkonferenzen und -synoden 1860 in der Rubrik Riforma del culto („Kultusreform“) im Educatore.¹⁴² Neben der Notwendigkeit einer Erleichterung der jüdischen religiösen Praktiken betonte er, es sei erforderlich, ein zentrales, permanentes religiöses Gremium von Rabbinern nach dem englischen Modell des Board of Deputies of British Jews (1760) oder dem des französischen Consistoire Central Israélite (1808) einzusetzen.¹⁴³ Nicht zuletzt äußerte Bachi Überlegungen zu einer italienisch-jüdischen Synodalversammlung, die sowohl aus einer säkularen als auch aus einer religiösen Sektion zusammengestellt sein sollte.¹⁴⁴ Bei Bachi nahmen die Rabbiner im Reformprozess eine prominentere Rolle ein als bei Mortara,¹⁴⁵ da sie nach seinen Vorstellungen als religiöse Gemeinschaft und als Kollektiv legitimiert waren, Beschlüsse im Hinblick auf die religiöse(n) Reform(en) zu fassen.¹⁴⁶ Andere Mitstreiter wiederum hätten auf dieses weitere Aufgabenfeld für die Rabbiner gerne verzichtet, aus Angst, dass jenen auf diese Weise zu viel Autorität und Macht zur Kontrolle zufallen würde.¹⁴⁷ Einige Rabbiner legten zudem großen Wert auf die semantischen Konnotationen der verschiedenen Bezeichnungen, und unterschieden detailliert zwischen dem Programm und der Tätigkeit eines Kongresses, den Aufgaben einer Synode oder einfacher, gar inoffizieller Konferenzen. Viele äußerten sich überaus skeptisch gegenüber den weiteren Tätigkeitsfeldern, wie sie die deutschen Rabbinerversammlungen erschlossen hatten, den neuen Aufgaben und der wachsenden Autorität der Rabbiner, doch vor allem war es der gesetzgebende Charakter dieser Kongresse, dem sie mit Misstrauen begegneten.¹⁴⁸ Im Jahr 1863 wurde im Educatore Israelita ein Aufruf zur Teilnahme an dem für den 12. bis 17. Mai geplanten Rabbinerkongress in Ferrara durch die jüdische Gemeinde von Ancona abgedruckt. Die Redakteure der Zeitschrift veröffentlichten ein detailliertes Programm in zwölf Punkten, dessen Leitlinien im Rahmen des
E. Bachi, „Riforma del culto“ Educatore Israelita 8 (1860): 97– 102; 193 – 200; 225 – 232. Ebd., 196. Ebd., 198. Ebd., 196 – 197. Ebd., 196. Mainster war wiederum der Meinung, dass die jeweiligen Kultusgemeinden die endgültige Autorität bezüglich der Berufung einer Rabbinerkonferenz sein sollten. Mainster, La Bibbia, i predicatori, il congresso di rabbini, 209. G. Levi, „Alle Comunioni Israelitiche del Regno. In proposito del primo Congresso Israelitico Italiano“ Ebd. 11 (1863): 193 – 196.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
Kongresses vorgelegt werden sollten.¹⁴⁹ Der Kongress von Ferrara war ursprünglich mit der Absicht einberufen worden, finanzielle Subventionen für die jüdischen religiösen Einrichtungen von der italienischen Regierung einzuwerben.¹⁵⁰ Doch die Organisatoren der Konferenz hatten sich noch weitere Ziele gesetzt: u. a. die dringende Diskussion um die Einführung eines Gesetzes gegen Kindesentführung¹⁵¹ und eines, das die italienischen Juden vor Bekehrungsversuchen in der italienischen Öffentlichkeit schützen sollte.¹⁵² Unter den Punkten sechs und zehn wurde die Notwendigkeit geäußert, zum einen ein neues Rabbinerseminar in Italien zu errichten sowie zum anderen die Einberufung eines Rabbinerkongresses voranzutreiben. Als weitere Priorität wurde die Gründung einer Gesellschaft zur Förderung und Veröffentlichung von „guten jüdischen Büchern“ genannt.¹⁵³ Auch Giuseppe Levi, der zum Präsidenten der Konferenz gewählt worden war, veröffentlichte aus diesem Anlass einen Beitrag in seiner Zeitschrift.¹⁵⁴ Der Redakteur pries im Artikel von 1863 die außergewöhnliche patriotische Entscheidung der italienischen Gemeindevorsteher, die sie mit der Teilnahme an dem Kongress von Ferrara bewiesen. „In Ferrara werdet ihr mit euren Mitbrüdern und Söhnen einer selben Heimat wieder zusammenfinden.“¹⁵⁵ Er wies besonders auf die patriotische wie einheitliche und politische Verbundenheit aller jüdischen Gemeinden mit dem neuen italienischen Staat hin,¹⁵⁶ was sich aber als utopisch herausstellen sollte. Denn umgekehrt musste der Autor wie der Herausgeber vom Corriere Israelitico von Triest eine deutliche Unentschlossenheit hinsichtlich der Abhaltung einer solchen Versammlung wie dem geplanten Rabbinerkongress feststellen, und von einer erfolgreichen und tatkräftigen Zusammenarbeit unter den Delegierten war bei der Versammlung kaum die Rede gewesen.¹⁵⁷ Einige jü G. Levi und E. Pontremoli, „L’appello d’Ancona“ Ebd. 11 (1863): 147– 148; dies., Programma pel Congresso Israelitico italiano. Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915, 64; vgl. auch A. V. Morpurgo, „Congresso Israelitico Italiano“ Il Corriere Israelitico 2 (1863 – 1864), 2: 62– 63. Nach dem berühmten Mortara-Fall vom Juni 1858 wurden in den 1850er- und 1860er-Jahren verdächtige Fälle über Entführungen von italienisch-jüdischen Kindern in der Presse gemeldet. Dass es auf der italienischen Halbinsel Fälle gab, die weiter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über erzwungene Taufen berichteten, war damals kein neues Phänomen. Das bedeutete, dass Vorurteile in der katholischen Mehrheitsgesellschaft weiterhin tief verankert waren; vgl. S. R. Hirsch, „Verona“ Jeschurun 9 (Februar 1863), 5: 239. Levi und Pontremoli, Programma pel Congresso Israelitico italiano. Ebd., 148 – 149. Levi, Alle Comunioni Israelitiche del Regno. [Übers. d. Verf.] („A Ferrara voi vi troverete con altri confratelli figli di una stessa patria“); ebd., 194. Ebd., 193 – 194. Ebd., 195; vgl., auch Morpurgo, Congresso Israelitico Italiano.
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dische Gemeinden hatten keine Delegierten schicken dürfen, wie z. B. die Gemeinden Venetiens, aber auch die Gemeinde Roms oder Triests, da diese dem italienischen Königreich noch nicht angehörten. Andere jüdische Gemeinden der italienischen Halbinsel wiederum hatten von dem sehr spezifischen Programm des Kongresses offensichtlich Abstand genommen, sodass sie ihre Vertreter gar erst nicht hinschickten.¹⁵⁸ Im Grunde genommen hatte sich während der Konferenz indirekt bestätigt, wie weit die italienisch-jüdischen Gemeinden noch von einem Zusammenspiel, geschweige denn von Kooperation, Koordination und Konsens entfernt waren. Abramo Mainster hatte sich zu dieser Problematik 1864, zur Zeit des einberufenen Ferrara-Kongresses, im Educatore in einem Artikel mit dem Titel La Bibbia, i predicatori, il Congresso di rabbini ¹⁵⁹ („Die Bibel, die Prediger und der Rabbinerkongress“) kritisch geäußert und festgestellt, dass sich der Kongress erstens mit starren Festlegungen selbst blockiert und zweitens wegen der vielen Meinungsverschiedenheiten als handlungsunfähig erwiesen hatte. Mainster, der selbst nicht teilgenommen hatte, konstatierte aus seiner Sicht ein besonderes Spannungsverhältnis zwischen einem geringen Einigungspotenzial und einem verbreiteten Mangel an Initiative und Pragmatismus unter den Kongressteilnehmern. Im Gegensatz dazu wünschte er sich eine deutliche, konstruktive wie kohärente Stellungnahme, sowohl von den Rabbinern als auch vonseiten der israelitischen Gemeinden der italienischen Halbinsel.¹⁶⁰ Er selbst stand nicht nur für die Idee einer Rabbinerversammlung ein, sondern warb in seinen Beiträgen¹⁶¹ ausdrücklich für die Einführung von professionellen Predigern und schlug ein Rotationsmodell für die Rabbiner in den Gemeinden vor. Auch wies er darauf hin, dass die von ihm favorisierte Rabbinerversammlung ohne ein schon vorher vereinbartes bzw. festgelegtes Programm stattfinden solle, sodass die Repräsentanten der Gemeinden ihre spezifischen Fragen jederzeit einschicken und sich für ihre Anliegen Gehör verschaffen könnten. Dabei wollte er es aber den jeweiligen jüdischen Gemeinden überlassen, das letzte Wort über die Einführung oder Ablehnung eventueller Rabbinerbestimmungen zu sprechen. Auf diese Weise beabsichtigte Mainster, was die Einheit des italienischen Judentums anging, weder den bisherigen Status der jüdischen Gemeinden und die Unterschiede zwischen ihnen zu überwinden, noch die Macht der einzelnen Rabbiner über religiöse Praktiken und Riten auf lokaler Ebene zu delegitimieren, wollte aber dennoch die Levi, Alle Comunioni israelitiche del Regno, 195. A. Mainster, La Bibbia, i predicatori, il Congresso di rabbini. Ders., Riflessi su alcuni bisogni dell’Israelitismo d’Italia. Ders., La Bibbia, i predicatori, il congresso di rabbini; ders., Riflessi su alcuni bisogni dell’Israelitismo d’Italia, 321.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
Zusammengehörigkeit der italienischen Juden bestärken. Hinsichtlich der Einführung eines einheitlichen und allgemeingültigen Gesetzes für die italienischen Gemeinden war sich Mainster jedoch mit seinen Kollegen einig, obwohl er die noch existierenden unterschiedlichen Regelungen und Ordnungen jeder Gemeinde als Hindernis dafür hätte erkennen müssen. Denn im Wirrwarr der Normen, Regeln und Gesetze auf lokaler und kleinstaatlicher Ebene waren die unterschiedlichen Bedürfnisse und Gewohnheiten der Juden Italiens lange Zeit zufrieden gestellt worden, während ein gemeinsames Gesetz die italienischen Gemeinden in ihrer Diversität wohl eher weiter voneinander entfernt und womöglich Zwietracht gesät hätte. Einige Jahre später versammelte sich zwischen dem 30. April und dem 5. Mai 1867 ein zweiter Kongress der italienischen Juden, diesmal in Florenz,¹⁶² fand jedoch in der italienisch-jüdischen Presse kaum Beachtung. In Florenz waren schon deutlich weniger Gemeinden als auf dem Kongress von Ferrara vertreten: Nur zwanzig von vierundsechzig eingeladenen Gemeinden entsendeten Repräsentanten zur Versammlung. Dafür waren dieses Mal die Gemeinden der neu annektierten Region Venetien, so Padua, Verona und Venedig auf dem Kongress vertreten.¹⁶³ Interessanterweise schenkte dagegen die deutsch-jüdische Presse genau dieser kleineren Zusammenkunft deutlich mehr Beachtung: Leopold Löws Zeitschrift Ben Chananja berichtete ausführlich darüber, und im August 1867 wurde dem Kongress von Florenz gar ein Leitartikel gewidmet, der einen detaillierten Bericht über die Gegenstände des Programms und die darauffolgenden Beschlüsse enthielt.¹⁶⁴ Diskussionsschwerpunkte waren u. a. die Notwendigkeit eines Gesetzes zur Einordnung der israelitischen Gemeinden in den italienischen Gesetzeskorpus; dabei ging es darum, welche Position die jüdischen Gemeinden im Vergleich mit den christlichen in einem säkularen Staat erhalten sollten. Außerdem wurde heftig über die Anerkennung des Collegio Rabbinico von Padua als eines allgemeinen italienischen Instituts für Rabbinerkandidaten sowie über die Berufung einer rabbinischen Synode diskutiert. Trotzdem herrschte unter den Vertretern der Gemeinden über viele kritische und gleichzeitig entscheidende Punkte keine Übereinstimmung. Viele Korrespondenten stellten daher die Unentschlossenheit der Rabbinerversammlungen in Italien fest. Eine künftige Zu-
Vgl. http://www.archivioterracini.it/index.php/it/percorso-tra-le-fonti/percorso-congressofirenze/congresso-firenze-1867 [29.06. 2020]. Schächter, The Jews of Italy 1848 – 1915, 68. H. Brill, „Die Verhandlung des Kongresses der italienischen Israeliten, zu Florenz Ende April 1867“ Ben Chananja 10 (01.08.1867): 15, 465 – 471.
6.3 Konzil, Synode oder Rabbinerkonferenz?
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sammenarbeit unter den Delegierten schien in weiter Ferne zu liegen.¹⁶⁵ D. h. zusammengenommen mit den Bemühungen in Ferrara vier Jahre zuvor war auch in diesem Fall die Agenda der italienischen Rabbiner durch Scheinbeschlüsse und Verzögerungen in Bezug auf eine verbindliche Rabbinersynode gekennzeichnet. Die genannten Standpunkte und Äußerungen waren aber nur einige der Positionen, die sich in den religiösen Rubriken der jüdischen Presse Italiens – zuvorderst im Educatore Israelita von Vercelli und ab 1863 auch im Corriere Israelitico von Triest – versammelten. Die 1860er-Jahre sind ein klarer Höhepunkt solcher Artikel, Repliken und Gegenrepliken von Rabbinern in Italien und seiner jüdischen Presselandschaft. Doch so viele Zusendungen sie auch erreichten, die Redakteure des Educatore wie des Corriere scheuten sich nicht, die Meinung ihrer Leserschaft zu lenken, indem sie sehr wohl gezielt Einsendungen publizierten, ob verändert oder auch nicht. Beide Periodika weisen eine bewusste Redaktionspolitik auf, die ihre jüdische Leserschaft mit Fußnoten, Kommentaren und Erläuterungen zu beeinflussen versuchte. Besonders Levi, der sich gegenüber seinem Kollegen in der Zeitschrift geschickt zu profilieren verstand, unterstützte die Idee eines Rabbinerkongresses und äußerte sich regelmäßig zu diesem Thema. So kam es, dass Anfang der 1860er-Jahre die Redaktion des Educatore vorwiegend Zustimmungen von Rabbinern für den Kongress sammelte und publizierte.¹⁶⁶ Rabbiner Marco Mortara als Befürworter der Versammlungen wurde mit seinen Vorschlägen und Entwürfen von der Redaktion deutlich bevorzugt, ja die Redaktion zeigte sich mit seinen Ideen und denen seiner Unterstützer gleich zu Anfang deutlich solidarisch,¹⁶⁷ indem sie den Briefwechsel des Hauptrabbiners Allein die israelitische Gemeinde zu Asti, namentlich ihr Oberrabbiner (Marco) Davide Terracini (1811– 1892), hatte offen die Einberufung eines Konzils beantragt, „um über die von der Zeit geforderten und gebotenen Reformen zu beraten“. Ebd., 469. D. Terracini, „Lettera al Redattore, Asti, (26.09.1867)“ Corriere Israelitico 6 (1867– 1868): 211– 213.Vgl. http://www.archivioter racini.it/index.php/it/percorso-tra-le-fonti/percorso-congresso-firenze/davide-terracini [29.06. 2020]. In den Artikeln wurden große Erwartungen an einen solchen Kongress geweckt, während die Gegner solcher Kongresse, in diesem Fall vornehmlich toskanische Rabbiner aus Livorno und Florenz, ganz anders behandelt wurden. Kurz, weder Auszüge noch Zusammenfassungen ihrer Positionen fanden einen Platz im Educatore. Diese Positionen fanden jedoch in den Kolumnen des Corriere Israelitico in Form von Briefen neben Mortaras Einsendungen Platz. Vgl. Mortara, Congresso rabbinico italiano. Sulla convenienza e competenza di un congresso rabbinico. Am Anfang wurde die Position Mortaras von der Redaktion voll unterstützt, während es im Laufe der 1860er-Jahre zu einer ebenso heftigen wie kontroversen Debatte zwischen dem Redakteur Levi und Mortara in den Kolumnen des Educatore Israelita und des Corriere Israelitico kam, sodass sich das Verhältnis der beiden merklich abkühlte. Giuseppe Levi veröffentlichte in seiner Zeitschrift unter der Rubrik „Il dispotismo dei sinodi“ eine Reihe von Artikeln, die kritisch gegenüber der Berufung von Kongressen sowie skeptisch gegenüber den Reformplänen von
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
von Mantua sowie seine langen Repliken an noch nicht überzeugte Rabbiner veröffentlichte.¹⁶⁸ Die Repliken und Reaktionen der italienischen Rabbiner mehrten sich Mitte der 1860er-Jahre drastisch, und die Diskussion wurde 1865 noch einmal beschleunigt, nachdem im April 1865 die „Proklamation Olper“ (Proclama Olper) des Rabbiners Samuele Salomone Olper aus Rovigo¹⁶⁹ an allen Betsälen und Synagogen Turins öffentlich angeschlagen wurde. Mit den Reformmaßnahmen seiner Proklamation beabsichtigte Olper nicht nur leichte Modifizierungen der religiösen Praktiken in der Synagoge einzuführen, sondern auch einige jüdische Gebote und Vorschriften abzuschaffen, andere zu revidieren oder abzumildern. Vor allem Riten, die die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden in der Öffentlichkeit betonten, waren Gegenstand von Olpers Reformvorschlägen. Dazu gehörte z. B. die Avelut (Trauerzeit) und insbesondere deren erste Phase, die Shiva für die Männer, die Olper von sieben auf drei Tage reduzierte.¹⁷⁰ Olper und seine zum Teil als provokant aufgefasste Proklamation regten die italienischen Rabbiner dazu an, sich nicht mehr nur noch mit oberflächlichen Änderungen in Praxis und Ritus zu beschäftigen. Dabei fungierte er auch durch seine tatkräftige Wesensart und sein öffentliches Auftreten für seine Ideen als Inspiration für andere. Er selbst sah sich auch weniger als Erzieher und Prediger seiner Gemeinde, sondern eher als patriotischen und kämpferischen Revolutionär, d. h. als Politiker. Die große Zahl von Reaktionen und Gegenreaktionen der Rabbiner auf Olpers Vorstoß wurde in den Periodika Italiens geradezu fieberhaft gesammelt.¹⁷¹ Auch die deutsch-jüdische Presse informierte ihre Leserschaft über die Proklamation Olper und die darin
Mortara waren; ders., Il dispotismo dei Sinodi (1867): 359 – 362; (1868): 6 – 9; (1868): 26 – 39; (1868). 161– 164. Mortara, Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna. Samuele Salomone Olper (1811– 1877), der am Collegio Rabbinico von Padua den Rabbinertitel erhalten und außerdem italienische Literaturwissenschaft an der Universität der Stadt studiert hatte, war nach einer aktiven politischen Karriere während der Umwälzungen innerhalb der venezianischen Republik sowie nach einer Zeit als Rabbiner in Livorno und Florenz nach Turin gekommen. Die Tätigkeit als Rabbiner einer großen Gemeinde wie Turin und als Nachfolger von Lelio Cantoni (1802– 1857) machte Olper quasi automatisch zu einem exponierten Rabbiner seiner Zeit. In der Regel durften jüdische Männer während der Trauerzeit für einen Monat nicht ihren Bart rasieren; vgl. Meyer, Antwort auf die Moderne, 207. Das Thema wurde auch im Rahmen der Rabbinerkonferenz von Braunschweig diskutiert, vgl. G. Levi und E. Pontremoli, „Dichiarazione del Rabb. Olper“ Educatore Israelita 13 (1865), 211– 212: 212. L. Della Torre, „Alcune considerazioni sul proclama del sig. Rabbino Olper“ Il Corriere Israelitico 4 (1865 – 1866): 69 – 74; Mortara, Risposta alla protesta dei sig. Rabbini Milul, Leone e Benamoseg.
6.3 Konzil, Synode oder Rabbinerkonferenz?
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vorgeschlagenen Reformen der Trauergebräuche.¹⁷² Die italienisch-jüdische Presse ihrerseits berichtete von zwei anlässlich der Proklamation entstandenen Gruppierungen im italienischen Judentum:¹⁷³ Tatsächlich waren jedoch innerhalb dieser sich angeblich gegenüberstehenden zwei Gruppierungen nicht nur unterschiedliche Nuancen, sondern klar divergierende Meinungen und damit Uneinigkeit unter den Beteiligten zu erkennen, die die vielfältigen Aspekte und Probleme des italienischen Judentums der Epoche widerspiegelten. Nur eine sehr grobe Einteilung ergab zwei übergeordnete Einheiten, nämlich die Rabbiner, die sich als starr und unflexibel sowohl gegenüber jeglicher Reform und Modifizierung, als auch gegenüber jeglicher Konferenz und Synode erwiesen: so die Rabbiner der toskanischen Gemeinden Livorno und Florenz sowie die Rabbiner Anconas und Ferraras.¹⁷⁴ Demgegenüber erklärte sich Rabbiner Moise Marco Levi aus Biella (1839 – 1918?) bezogen auf die Reformen der Trauergebräuche offen mit Salomone Olper solidarisch und kritisierte die Proteste der toskanischen Rabbiner scharf.¹⁷⁵ Nichtsdestominder äußerte die Mehrheit der italienischen Rabbiner in der jüdischen Presse ihre Sorge um eine mögliche unkontrollierte Ausweitung von Modifizierungen der religiösen Praktiken sowie um partielle, d. h. regionale, persönliche bzw. zeitgebundene Lösungen durch einzelne Rabbiner. Die Mehrheit der befragten Rabbiner wandte sich gegen die Beschlüsse Olpers und sprach sich für die baldige Berufung von Kongressen und Konferenzen aus, in denen sich die Rabbiner als Gremium legitimiert fühlen und über rechtmäßige und gemeinsam vereinbarte Modifizierungen abstimmen könnten. In Bezug auf diese Debatte und Kongresspläne zeichneten die Redakteure des Educatore Israelita ein ausgewogeneres Bild als zuvor und sammelten nicht allein Zustimmungen für den Kongress. Zusätzlich stellten sie klar, dass sie die Reformen Olpers nur auf inhaltlicher Ebene unterstützen würden, aber die individualistische Form, in der die Proklamation formuliert und veröffentlicht worden war äußerst kritisch sähen. Die Entschlossenheit, den Mut und die Weitsicht des Rabbiners von Turin jedoch hoben Levi wie Pontremoli mit folgenden Worten deutlich hervor: „Auch wenn wir über die Form des Reformplans nicht übereinstimmen, sind wir dennoch mit dem Programm von Olper im Allgemeinen einverstanden, da dieser Änderungen ein-
L. Löw, „Turin“ Ben Chananja 8 (24.05.1865), 21: 354. G. Levi und E. Pontremoli, „Le riforme religiose in Torino e il rabbinato italiano“ Educatore Israelita 13 (1865): 179 – 183. Ebd., 181. G. Levi und E. Pontremoli, „Il rabbinato italiano e le riforme torinesi“ Ebd. 13 (1865), 209 – 211: 209.
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Kapitel 6: Kultusreformen in Italien?
geführt hat, die längst erwartet wurden.“¹⁷⁶ Mortara vertrat diesbezüglich eine ähnliche Position, denn er war sich mit Levi und Pontremoli einig, sich nur formell den Ansichten Olpers entgegensetzen zu wollen. Schließlich wollte er den Anlass der Proklamation Olper auf jeden Fall zugunsten seiner eigenen (Reform‐) Pläne benutzen. Je zahlreicher und skeptischer jedoch die Reaktionen und Äußerungen auf Olper in der italienisch-jüdischen Presse wurden, desto eher zeigte sich Mortara bereit, Kompromisse einzugehen und die Idee eines nur regionalen rabbinischen Kongresses zumindest vorerst zu unterstützen, was eigentlich wesentlich weniger war, als er selbst an Zusammenkünften, an Meinungsaustausch und an Veränderungen angestrebt hatte. Er erklärte sich mit einer vorbereitenden „konfidenziellen“ Konferenz von Rabbinern einverstanden, so wie es auch Rabbiner Mainster aus Verona vorgeschlagen hatte.¹⁷⁷ Der Hauptrabbiner von Mantua zeigte sich bald bereit, zwischen den divergierenden Positionen und Ansichten der Rabbiner zu vermitteln und die gemäßigten Kräfte, die sich alle für einen Rabbinerkongress stark machten, zusammenzubringen. Dabei sah er sich in der Presse mit der ganzen Bandbreite von Stimmen konfrontiert: mal mit milderen, mal mit kämpferischen, mal mit vorsichtig optimistischen oder auch mit radikalen orthodoxen Meinungen. Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen auf italienischer Seite schrieb Mortara dem „streitsüchtigen südländischen Temperament“ zu, das er als Gegensatz zum „metaphysischen“ Charakter der deutsch-jüdischen Gelehrten und Rabbiner im Norden Europas ausmachte.¹⁷⁸ Doch trotz der Polemik und trotz der unterschiedlichen Positionen wird erkennbar, dass die meisten Protagonisten dieses Streites um Reformen sich weiterhin innerhalb eines recht konservativen, wie auch überschaubaren, religiösen Feldes bewegten.
„[…] rammaricando la forma sulla quale non ci accordiamo punto col Rabb. Olper, ne abbiamo tuttavia, che è più, propugnato il principio; e dichiariamo solennemente che, a parte i particolari certo più perfettibili, egli è benemerito del progresso, perché ha portato modificazioni che erano nel desiderio di moltissimi, ma che niuno finora ebbe il coraggio di iniziare“. Levi und Pontremoli, Dichiarazione del Rabb. Olper, 212. „Selbst an dieser inoffiziellen Konferenz fühle ich mich moralisch verpflichtet teilzunehmen. Im Laufe der Konferenz könnte man sich näher kennenlernen, unsere Einflussbereiche bestimmen und zusammen festsetzen und man könnte die Kompetenzen der Rabbiner festlegen.“ („Anche a questa confidenziale conferenza io trovo obbligo morale di aderire. Per questa intanto ci potremo conoscere, potremo misurare e definire le nostre forze, stabilire in via generale la cerchia possibile delle nostre competenze.“); Mortara, Lettera del Rabbino Maggiore Marco Mortara al Dr. Leone Ravenna, 295. Ebd., 292.
Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen – transnationale Bezüge und Vorbilder Untersuchungen über die Spannungen und Debatten zwischen Gelehrten der Wissenschaft des Judentums und protestantischen Theologen im Laufe des 19. Jahrhunderts haben dank der Arbeiten von Susannah Heschel und Christian Wiese ergiebige Befunde ergeben.¹ Berührungspunkte und Konfliktfelder zwischen der Wissenschaft des Judentums und der protestantischen Theologie wurden hier aus der jüdischen Perspektive erörtert. Die Kontroversen begannen, als jüdische Historiker und Theologen im 19. Jahrhundert die Rolle des Urchristentums und Judentums neu definierten und explizit jüdische Quellen als aussagekräftige historische Zeugnisse für ihre Forschung über das Judentum des ersten Jahrhunderts n. Chr. ins Zentrum stellten.² Die Gelehrten wagten erstmals, die jüdische Geschichte, die bis dahin Teil der Christentumsgeschichte gewesen war und von christlichen Forschern behandelt wurde, als ein eigenständiges Forschungsfeld zu definieren. Eine grundlegende Bestreitung der Resultate der jüdischen Forschung einerseits und eine kritische Haltung christlicher Theologen gegenüber der Hebräischen Bibel und der rabbinischen Literatur andererseits prägten zu jener Zeit die Debatten im deutschsprachigen Raum und kennzeichneten das höchst problematische Verhältnis zwischen den Vertretern der Wissenschaft des Judentums wie Abraham Geiger und protestantischen Theologen. Die Ansichten über die Entstehung und Entwicklung des Christentums und die jüdische Deutung Jesu wurden einige Jahrzehnte später von einem der bedeutendsten Gelehrten der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums, Abraham Geiger, in seiner Schrift Urschrift und Übersetzung der Bibel von 1857 und in der Reihe seiner Vorlesungen mit dem Titel Das Judentum und seine Geschichte in den 1860er-Jahren dargelegt.³ Sie erregten aufseiten protestantischer Theologen unmittelbare Reaktionen und initiierten fachliche Diskussionen.⁴ Auf der
S. Heschel, Abraham Geiger and the Jewish Jesus, Chicago 1998; siehe dt. Ausgabe: dies., Der jüdische Jesus und das Christentum; Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Vgl. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum, 140. Vgl. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 82– 83; M. Vahrenhorst, „,Nicht Neues zu lehren, ist mein Beruf …‘ Jesus im Licht der Wissenschaft des Judentums.“ In G. K. Hasselhoff (Hg.), Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, Berlin/New York 2010, 101– 136: 114– 119. Vgl. Kapitel 5; Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. https://doi.org/10.1515/9783110768558-010
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
Grundlage der genannten Studien sollen im Folgenden Parallelen und Differenzen zwischen dem deutschen und dem italienischen Diskurs erschlossen werden. Es interessiert die Frage, ob – ähnlich wie innerhalb des deutschen Diskurses – auch von italienisch-christlichen Forschern die Leistungen und Forschungsergebnisse jüdischer Wissenschaftler rezipiert und in welcher Weise von ihnen jüdische Texte als aussagekräftige historische Quellen herangezogen wurden. Das besondere Augenmerk dieses Kapitels liegt auf dem Verhalten katholischer und protestantischer Theologen gegenüber jüdischen Quellentexten. Dabei interessiert in erster Linie ihre Wahrnehmung der Hebräischen Bibel und des Talmuds. Es werden die christlichen Betrachtungen über das christologisch wahrgenommene Alte Testament in den Blick genommen. Des Weiteren wird die Annäherung christlicher Gelehrter der norditalienischen Territorien an Epochen der jüdischen Geschichte – darunter das Frühjudentum bzw. die biblischen Zeiten und die Geschichte des alten Israels – untersucht. Ausgehend von der deutschjüdischen Reflexion zu der Höheren Bibelkritik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden in diesem Kapitel die Positionen italienisch-katholischer Gelehrten zu Themen der Bibelforschung und ihre ideologische sowie methodologische Herangehensweise erörtert. Der Fokus dieses Kapitels richtet sich dabei auf die Situation in den italienischen Gebieten sowie auf die wechselseitigen Wahrnehmungen christlicher Theologen und italienisch-jüdischer Gelehrter; berücksichtigt wird zudem deren Austausch über bestimmte Themen, die vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Artikeln der christlichen und jüdischen Presse sowie in Predigten und Aufsätzen erörtert und debattiert wurden. Der Akzent liegt her auf den Positionen eines sehr kleinen Spektrums von Gelehrten wie Samuel David Luzzatto, Marco Mortara und dem Rabbiner Giuseppe Levi. Diese entwickelten zu unterschiedlichen Anlässen mittels von Briefen und Artikeln ganz individuelle Auffassungen über christliche Themen und die christliche Forschung ihrer Zeit. Parallel dazu ist zu fragen, wie die italienisch-jüdischen Intellektuellen die jüdischen Publikationen für ein nichtjüdisches Publikum adaptierten, und ob ihnen daran lag, die jüdische Presse als Plattform für ein gemeinsam nutzbares Bildungsangebot und eine für beiden Seiten inspirierende theologische Diskussion von literarischen, historischen und religiösen Inhalten sowie ethischen Sichtweisen zu verwenden. In den Beiträgen der Presse wird auf die besondere Rhetorik der christlichen Kritik und des christlichen Wertesystems gegenüber dem italienischen Judentum aufmerksam gemacht. Diese Rhetorik wird auch mit dem italienischen Zeitgeist der Epoche in Verbindung gebracht. Das alles geschieht in einem spannenden und sich rasch ändernden Zeitraum zwischen den 1840er- und 70er-Jahren.
7.1 Interreligiöse Berührungspunkte und Konflikte
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7.1 Interreligiöse Berührungspunkte und Konflikte. Luzzatto und die Kontakte mit christlichen Theologen Im 19. Jahrhundert vollzog sich die Konfrontation zwischen jüdischen Gelehrten und christlichen Theologen in Italien ähnlich wie in Deutschland auf der Ebene des direkten Austauschs von Briefen und veröffentlichten Reaktionen und Gegenreaktionen, Repliken und Gegenrepliken. Aus dieser Konfrontation resultierte aus jüdischer Perspektive eine neue Vertiefung und eine neue Legitimierung der Geschichte des jüdischen Volkes, teilweise auch eine Neuinterpretation der jüdischen religiösen Tradition und ihrer biblischen Schriften.⁵ Darüber hinaus wurden damals auch die Erforschung des Christentums und des Islams sowie die Analyse der religiös-kulturellen Abhängigkeiten beider Religionen vom Judentum vorangetrieben. Dies erfolgte aber ohne einen direkten Austausch mit der Gegenseite. Im deutschen akademischen Kontext erschienen Anfang des 19. Jahrhunderts zahlreiche mehrbändige Werke zur christlichen Dogmatik, zur biblischen Archäologie sowie hebräisch-lateinische Lexika, Lehrbücher und Einführungen in das Alte Testament.⁶ Dies spricht für eine intensive Produktion von Ideen und theologischen Interpretationen sowie für eine fruchtbare literarische und publizistische Aktivität. Auf jüdischer Seite fand bereits seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine ausgiebige Beschäftigung mit Konzepten und Theorien christlicher Autoren durch Rabbiner und jüdische Gelehrte der Wissenschaft des Judentums statt. Die Etablierung von Kontakten und die direkten Begegnungen zwischen den Hauptvertretern der Wissenschaft des Judentums wie Isaak Markus Jost und Leopold Zunz sowie deutschen Orientalisten, Theologen und Bibelkritikern wie Johann Gottfried Eichhorn (1752– 1827), Verfasser einer Einleitung in das Alte Testament, und Wilhelm Martin Leberecht De Wette (1780 – 1849)⁷ lassen ein wachsendes Interesse an den christlichen bibelwissenschaftlichen Forschungen in Deutschland sichtbar werden. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts galten die Bibelforschung und Bibelkritik in theologischen Fakultäten protestantischer Ausrichtung als eigenständige wissenschaftliche Disziplinen. Anstelle einer konfes-
R. HaCohen, „,Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?‘ (Josua 5,13). Die jüdische Auseinandersetzung mit der ‚Höheren Bibelkritik‘.“ G. K. Hasselhoff (Hg.), In Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, 63 – 100. Vgl. R. Smend, Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten. Mit 18 Abbildungen, Göttingen 1989, 46. Vgl. HaCohen, „Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?“ (Josua 5,13), 64; ders., Reclaiming the Hebrew Bible, 45. Als junger Stundent in Berlin wurde Leopold Zunz von der liberal-protestantischen Vision seines Mentors und Professors De Wette besonders geprägt.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
sionellen Herangehensweise wurde dabei der wissenschaftliche Ansatz mit besonderem Augenmerk auf die literarisch-kritische sowie historisch-kritische Erforschung der Bibel hervorgehoben.⁸ Jüdische Gelehrte nahmen diesen Ansatz und dessen Resultate positiv wahr und verfolgten die Fortschritte auf diesem Gebiet aufmerksam.⁹ Als der Begründer der Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz, 1818 seine programmatische Schrift Etwas über die rabbinische Literatur veröffentlichte, beabsichtigte er, dem Studium der rabbinischen Literatur neue Würde zu verleihen¹⁰ und die Herangehensweise an die gesamte jüdische Literatur neu zu bestimmen. Zunz hatte als Student an der Universität Berlin die Möglichkeit gehabt, die Vorlesungen bedeutsamer christlicher Orientalisten und Bibelforscher zu besuchen.¹¹ Vor dem Hintergrund dieses geistigen Milieus verfasste er sein Manifest der Wissenschaft des Judentums. Der Beitrag nichtjüdischer Orientalisten und Altertumsforscher zur hebräischen Literatur war dabei für ihn unverzichtbar. Auch sein Mitstreiter, der Historiker Isaak Markus Jost, verfolgte die Ergebnisse und Entwicklungen der nichtjüdischen Bibelforschung. Seine Neukonzeption der antiken Geschichte Israels hatte in jüdischen Kreisen ein großes Echo gefunden. Seine Erforschung der biblischen Geschichte und seine Ausführungen zur Abfassung und Datierung der Hebräischen Bibel stellten sich dem traditionellen Wissen über die biblischen Schriften entgegen.¹² Seine bahnbrechenden Thesen hatte Jost in seiner mehrbändigen Geschichte der Israeliten von 1822 deutlich formuliert. Seine kritische Herangehensweise an die Bücher der Hebräischen Bibel und deren Anordnung stellte die biblische Literatur, nicht das gesamte Korpus der talmudischen Literatur, in den Mittelpunkt jüdischer Identität.¹³ Auch auf italienischer Seite wurden Mitte des 19. Jahrhunderts diverse Kontakte sowie ein Wissenstransfer und Informationsaustausch zwischen einzelnen jüdischen Gelehrten der norditalienischen Gemeinden und katholischen Publizisten, Bibelforschern und Theologen gepflegt. Die Protagonisten dieses Austauschs bildeten auf jüdischer Seite eine kleine Elite, der in ihrer publizistischen Tätigkeit, ihrer wissenschaftlichen Forschung, ihren Bildungsbestrebungen, ihrer
Vgl. Shavit und Eran, The Hebrew Bible Reborn, 86. HaCohen, „Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?“ (Josua 5,13), 64. Zunz, Etwas über die rabbinische Literatur, 31. HaCohen, „Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?“ (Josua 5,13), 64; ders., Reclaiming the Hebrew Bible, 45. Ders., „Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?“ (Josua 5,13), 67– 69. Ders., Reclaiming the Hebrew Bible, 49 – 71. Ders., „Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?“ (Josua 5,13), 67.
7.1 Interreligiöse Berührungspunkte und Konflikte
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literaturhistorischen, bibelexegetischen und philologischen Fachexpertise und nicht zuletzt durch ihre nationale wie internationale Öffentlichkeitswirkung eine führende intellektuelle Rolle innerhalb der italienisch-jüdischen Gelehrtengemeinschaft zukam. Christlich-jüdische Kontakte, die sich in manchen Fällen durch einen intensiven Briefaustausch entwickelten, zeigten das Interesse christlicher Forscher, sich mit jüdischen Themen zu beschäftigen. Die Beziehungen zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten eröffneten gemeinsame Studien, ab den 1840er-Jahren vor allem auf dem Gebiet der hebräischen Sprache und Grammatik sowie anderer semitischer Sprachen und Texte der hebräischen Literatur. Die Interaktionen regten jüdisch-christliche Kooperationen und literarische sowie bibelexegetische Projekte an. Aus jüdischer Sicht boten solche Interaktionen die Möglichkeit, die aktuellen Forschungspositionen christlicher Gelehrter näher kennenzulernen, u. a. zur christlichen Darstellung des Judentums und zur Interpretation des Alten Testaments als autoritative Grundlage neutestamentlicher Texte. Samuel David Luzzatto, der als wichtigster Bibelforscher und Philologe seiner Zeit galt, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Experte der jüdischen Bibelexegese und aufgrund seiner sprachwissenschaftlichen Fachkenntnisse von christlichen Theologen und Bibelforschern häufig befragt.¹⁴ Es kam zu persönlichen Begegnungen zwischen Luzzatto und italienischen Theologen, wie aus einigen seiner Briefe an norditalienische Kanoniker in dem Epistolario deutlich wird.¹⁵ Luzzatto beschäftigte sich während seiner wissenschaftlichen Karriere im Gegensatz zu den deutschsprachigen zeitgenössischen Gelehrten wie Ludwig Philippson und Abraham Geiger, nicht kontinuierlich mit christlichen Themen.¹⁶ Er wurde aber schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von seinen christlichen Korrespondenten in theologische Diskussionen involviert, in denen er seine Reflexionen über das innerste Wesen des Judentums, jüdische Glaubenssätze und Dogmen sowie die alltäglichen religiösen Vorschriften und Praktiken des Judentums erklären und oft verteidigen musste.¹⁷ Auf der Grundlage der Briefe und aufschlussreichen Repliken Luzzattos kann man nicht nur seinen eigenen jüdisch-
Mitte der 1840er-Jahre wurde er zum Mitglied des I. R. Instituts der Wissenschaften Venetiens berufen. In dem Briefwechsel berichtete Luzzatto über den Aufenthalt in Brescia sowie über ein Treffen zwischen ihm und Tiboni. Vgl. „Luzzatto an Tiboni, Brescia, 12.10.1854.“ Epistolario italiano, francese, latino, 511, 796 – 797. HaCohen, „Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?“ (Josua 5,13), 91– 94. „Luzzatto an Morpurgo, Trieste, 08.11.1837“ In Epistolario italiano, francese, latino, 154, Index 130, 226 – 232. In dem Brief schickte Luzzatto eine Replik an den Anwalt Giuseppe Costantini, der sich bei Luzzatto über die Praktiken und Dogmen im Judentum erkundigt hatte.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
theologischen und philosophischen Standpunkt, sondern auch die Haltung der norditalienischen katholischen Gesellschaft gegenüber dem italienischen Judentum der Zeit rekonstruieren. Parallel dazu erhält man eine klare Vorstellung der christlich-jüdischen Verhältnisse sowie einen Einblick in die jüdische Position gegenüber der italienisch-katholischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Die Kontakte Luzzattos und die breitgefächerte Art der Auseinandersetzung mit verschiedenen christlichen Persönlichkeiten, u. a. mit Bibelkritikern, Kanonikern und Theologen, spiegeln die differenzierten Einstellungen und internen Spaltungen innerhalb des italienischen Katholizismus wider.¹⁸ Kontext ist die Epoche unmittelbar vor und nach der italienischen Einheit, d. h. eine Zeit rascher sozialer, rechtlicher und politischer Veränderungen. Auch wenn Luzzatto rein theologische und religionsphilosophische Antworten gab und bewusst jede politische Aussage über emanzipatorische Angelegenheiten vermied, war er in den Revolutionsjahren, d. h. Ende der 1840er-Jahre, mit antijüdischen Schriften und polemischen Pamphleten konfrontiert, in denen italienische Kanoniker und römische Priester massive Kritik am Judentum übten. Als Beispiel kann man hier die Schrift des katholischen Abt Luigi Vincenzi mit dem Titel Alcuni pensieri sopra gli atti di beneficenza del sommo pontefice Papa Pio IX, felicemente regnante verso gli ebrei di Roma, e sopra vari commenti manifestati al pubblico su questo proposito ¹⁹ erwähnen, die 1848 veröffentlicht wurde. Dieser Text zeugt von der Haltung des reaktionären Establishments der römischen Kurie gegen die Emanzipation sowie gegen die partiellen Konzessionen gegenüber Juden, die im Juni 1848 von Papst Pius IX. erlassen worden waren.²⁰ Die antiemanzipatorische Schrift wurde, wie viele andere antijüdische Texte auch, als Reaktion auf die Schrift Sull’Emancipazione civile degli Israeliti („Über die soziale Emanzipation der Israeliten“) des italienisch-liberalen Denkers Massimo D’Azeglio verfasst.²¹ Er hatte die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung auf der italienischen Halbinsel befürwortet. Luzzattos Brief an seinen Freund Samuel Alatri in Rom aus dem Jahre 1848²² lässt nochmal eine exklusiv theologische Erklärung der Reaktionen Luzzattos auf Attacken gegen das italienische Judentum darlegen. Er teilte die traditionelle Meinung vieler Rabbiner und anderer jüdischer Gelehrter, dass das Christentum aus
Vgl. die Kapitel 1 und 2 von G. Formigoni, L’Italia dei cattolici. Dal Risorgimento a oggi, Bologna 2010. Vgl. Borutta, Anti-Catholicism, 207. Abate Luigi Vincenzi, Alcuni pensieri sopra gli atti di beneficienza del sommo Pontefice Papa Pio IX felicemente regnante verso gli ebrei di Roma, e sopra vari commenti manifestati al pubblico su questo proposito ovvero l’ebraismo in Roma innanzi e dopo l’era volgare, Roma 1848. Mattioli, Die verweigerte Emanzipation, 43. M. D’Azeglio, Dell’Emancipazione civile degli Israeliti, Firenze 1848. „Luzzatto an Alatri, Roma, 08.03.1848.“ Epistolario italiano, francese, latino, 328, 529 – 535.
7.1 Interreligiöse Berührungspunkte und Konflikte
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dem Judentum hervorgegangen sei. Judentum und Christentum vertraten in seinen Augen beide die monotheistische Idee. Luzzatto machte keinen Unterschied zwischen jüdischem und nichtjüdischem Monotheismus. Der Monotheismus werde sich, so seine Ansicht, eines Tages auf der ganzen Welt verbreiten und als universale Religion gelten. Dies hinderte den Gelehrten jedoch nicht daran, die scharfen Differenzen zwischen beiden Religionen hervorzuheben und insbesondere zu betonen, dass es dem Judentum im Gegensatz zum Christentum an jeglichen proselytischen Bestrebungen fehle.²³ In seinen Repliken und Antworten an christliche Korrespondenten musste Luzzatto darüber hinaus häufig den Unterschied zwischen dem Wesen der christlichen Dogmen einerseits, und dem Wesen der jüdischen Religionspraktiken, traditionellen Bräuche und Glaubenslehren andererseits erläutern.²⁴ Er verteidigte in diesem Zusammenhang seinen traditionellen Standpunkt, während die Stimmen jüdischer Reformer immer lauter wurden und deren Ansicht nach eine Reform des jüdischen Zeremonialgesetzes eingeführt werden sollte. Diese Auseinandersetzungen über das Wesen des Judentums²⁵ als Gesetzesreligion und die jüdische Orthopraxie riefen auch das Interesse des katholischen Establishments hervor. Luzzatto selbst wies eindringlich darauf hin, dass weder ein Synhedrium noch eine Rabbinerversammlung Autorität hätten, eine Reform der religiösen Praxis und des Zeremonialgesetzes durchzuführen.²⁶ Luzzatto stand schon im Laufe der 1830er-Jahre mit protestantischen Theologen nördlich der Alpen, wie Wilhelm Gesenius und Franz Julius Delitzsch, in produktivem Kontakt. Er setzte sich intensiv mit den bibelexegetischen Studien des Alten Testaments von Gesenius²⁷ auseinander und profitierte von dem
Ebd. Vgl. „Luzzatto an Morpurgo, Trieste, 08.11.1837.“ In ebd., 154, 226 – 232: 228; „Luzzatto an Dr. P. Cavalli, Verona, 16.11.1852.“ In ebd., 428, 705; „Luzzatto an Besso, Milano, 14.08.1857.“ In ebd., 592, 922– 923. S. D. Luzzatto, „Essenza del Giudaismo.“ In ders., Il Giudaismo illustrato nella sua teorica, 1– 13. Vgl. C. Facchini, „Orientalistica e ebraismo. Note culturali su David Castelli e Giorgio Levi della Vida.“ In Mario Mazza und Natale Spineto (Hg.), La storiografia storico-religiosa italiana tra la fine dell’800 e la seconda guerra mondiale, 111–140: 132; dies., „Dall’eresia del liberalismo a quella del nazismo“ Annali di storia dell’esegesi 32/1, (2015), 183 – 197. „Luzzatto an Morpurgo, Verona, 08.11.1837.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 154, 226 – 232: 228. Luzzatto hatte schon in seiner Biografie erwähnt, dass die Lehrgebäude von Wilhelm Gesenius seine erste zu Ende gebrachte Lektüre auf Deutsch gewesen waren. Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 65. Luzzatto kommunizierte mit Gesenius in lateinischer Sprache, wie auch der Autobiografie und dem Epistolario zu entnehmen ist, 64. Vgl. auch Kapitel 3.2 dieser Arbeit.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
sprachwissenschaftlichen Dialog mit Delitzsch über die Grammatik der hebräischen Sprache und die Poesie der Bibel.²⁸ Während auf deutscher Seite die kritische Erforschung des Alten Testaments durch christliche Theologen nach den radikalen Erneuerungen am Anfang des Jahrhunderts später von eher konservativen Kräften ersetzt wurde, war in Italien der christliche Umgang mit der Bibel noch nicht historisch-kritisch, sondern nahm für sich in Anspruch, die Bibel wahrheitsgemäß auszulegen und Glaubenssätze sowie theologische Wahrheiten zu erhellen. Italienisch-christliche Theologen nahmen außerdem die mystischen und „mythischen“ Schulen, die einen deutschen Ursprung hatten, sowie naturalistische und rationalistische Kritiker und Bibelforscher wahr.²⁹ Dies geschah aber nur, um sich von diesen zu distanzieren. Die hegemoniale Stellung von lateinischen Bibelversionen in Italien wird in der Korrespondenz zwischen Luzzatto und dem venezianischen Bibliophilen Francesco Berlan offenbar. 1844 gründete Berlan die venezianische Gesellschaft der Bibliophilen, in der auch Samuel David Luzzatto Mitglied war.³⁰ Der italienisch-jüdische Gelehrte war somit an einem Projekt beteiligt, das sich die Redaktion einer alten Bibel in italienischer Sprache zur Aufgabe gemacht hatte. Die Korrespondenz der beiden Gelehrten im Laufe des Jahres 1845³¹ zeigt auch Luzzattos Beschäftigung mit der neutestamentlichen Literatur.³² Es werden hier vor allem seine fundierten Kenntnisse über die Vulgata von Hieronymus und die Septuaginta deutlich.³³ Hinsichtlich der Vulgata von Hieronymus wies Luzzatto auf Bezüge des mittelalterlichen Verfassers zum hebräischen Text hin, die sich im Gegensatz zu anderen Versionen der Bibel in italienischer Sprache finden ließen, die sich auf die Septuaginta stützten. Die Briefe Luzzattos an Francesco Berlan enthalten seine linguistischen Kommentare sowie die stilistischen Anmerkungen und Verbesserungen einiger Passagen in italienischer Sprache. Grundlage seiner Arbeit war eine Rohfassung der Bibelausgabe, die er von Berlan zur linguistischen
Vgl. Kapitel 3 dieser Arbeit und die Korrespondenz mit dem Publizisten Julius Fürst. Der italienisch-christliche Theologe Pietro Emilio Tiboni z. B., der im Kapitel behandelt wird, meinte mit mystischen Schulen christlichen Ursprungs die alexandrinische Schule von Philosophen und Denkern wie Klemens von Alexandria und Origenes; er nahm aber auch die mittelalterliche deutsch-christliche Bewegung mit Repräsentanten wie Meister Eckhart wahr; P. E. Tiboni, Il Misticismo biblico, Milano 1853, 7. „Luzzatto an Berlan, Venezia, 01.04.1845.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 274, 453. „Luzzatto an Berlan, Venezia, 09.04.1845.“ In ebd., 275, 454– 457. Die Briefe Luzzattos zeugen von ausgiebigen Fachkenntnissen der Schriften der Apostel sowie der Schriften von Paulus. Luzzatto zitierte u. a. einzelne Kapitel und Passagen aus den Briefen des Paulus an den Korinther. Vgl. ebd., 454– 457. Ebd., 275, 454– 457.
7.1 Interreligiöse Berührungspunkte und Konflikte
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Überarbeitung bekommen hatte.³⁴ Ihre Korrespondenz machte deutlich, dass der venezianische Bibliophile die Fachexpertise Luzzattos auf dem Gebiet der hebräischen Sprache und Bibelexegese unbedingt brauchte und suchte. Dies bestätigt, dass Luzzatto seinerseits auch von christlicher Seite als Experte der philologischen und sprachwissenschaftlichen Studien und als Bibelexeget wahrgenommen wurde. Berlans Wunsch, Luzzatto möge zum Projekt einer Bibel in italienischer Sprache mit exegetischen Kommentaren sowie einer kritischen Überarbeitung beitragen, musste dieser ablehnen, weil sich die geplante Übersetzung der Bibel auf vorhergehende lateinische Versionen und nicht auf den hebräischen Originaltext berufen sollte.³⁵ Dennoch zeugt die Korrespondenz von einer fruchtbaren Kooperation zwischen christlichen und jüdischen Wissenschaftlern im kleinen Kreis von Bibelforschern des lombardo-venetischen Königreichs. Die christlichen Wissenschaftler brachten Luzzatto und seinen bibelexegetischen Studien Anerkennung, fachliche Neugierde und Wertschätzung entgegen. Allerdings hatten auch die nichtjüdische Bibelforschung und die Positionen einiger katholischer Forscher und Professoren vom theologischen Seminar in Padua in jenen Jahren das Interesse Samuel David Luzzattos geweckt. Daraus kann geschlossen werden, dass auch die katholische Theologie Paduas für ihn ein unerwartetes Potenzial an biblischem Fachwissen und Forschungsbereichen eröffnete. Dieses Potenzial war von gegenseitigem Interesse und Nutzen. Einige Texte, die in Padua in den 1840er- und 50er-Jahren veröffentlicht wurden und die die Bibel als zentrales Element der christlichen Theologie wahrnahmen, zeugen von einer für diese Zeit wenig üblichen christlichen Tendenz, sich mit dem Alten Testament sowie Themen der biblischen und frühen jüdischen Geschichte und der Struktur der Hebräischen Bibel zu beschäftigen. Die intensiven bibelwissenschaftlichen Diskussionen sowie der umfangreiche theologische Austausch, der unter den Experten auf beiden Seiten stattfand, bewiesen noch in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts eine Offenheit der Disziplinen und gegenseitige Achtung unter den Gelehrten. Dies bedeutet zugleich, dass die Leistung und Wirkung vor allem von Luzzattos Forschungen auch unter katholischen Theologen in der norditalienischen akademischen Landschaft nicht unterschätzt wurde. Luzzatto hegte zudem Interesse daran, das theologische Bildungsangebot an katholischen Seminaren näher zu betrachten. Von besonderer Bedeutung waren für ihn pädagogische Kompendien, Lehrbücher und hebräisch-lateinische Lexika, die für das Studium der hebräischen Sprache für Studenten der katholischen
„Luzzatto an Berlan, Venezia, 06.11.1845.“ In ebd., 285, Index 543, 469 – 470: 469. Ebd., 470.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
Theologie verfasst wurden. In Luzzattos Hände gelangten mit Sicherheit auch Texte zur Annäherung an das Studium der katholischen Religion und der katholischen Dogmatik, die von Kanonikern und Theologen redigiert wurden. Er hatte sich für die Redaktion der Textbücher am Collegio Rabbinico intensiv damit beschäftigt.³⁶ Dies führt deutlich vor Augen, dass katholische Einflüsse eine nicht unbedeutende Rolle für Luzzattos Theologiekonzept und religionspädagogische Vorstellungen spielten. Es handelte sich dabei um Texte, die von religiös gesinnten und aufgeklärten katholischen Theologen verfasst wurden. Sie zeugten von einer Pluralität von Stimmen und Positionen innerhalb des italienischen Katholizismus. Auf der einen Seite spiegeln sie einen patriotischen, reaktionären Katholizismus wider, auf der anderen Seite einen habsburgischen aufgeklärten Katholizismus, der sich weit von dem Obskurantismus des Establishments der katholischen Kirche in Rom entfernt hatte. Die christologische Deutung des Alten Testaments sowie die Interpretation des Verhältnisses des Alten Testaments zum Neuen Testament durch zeitgenössische christliche Theologen hatte Luzzatto aber ebenfalls vor Augen. Christliche Theologen verwendeten die Texte des Alten Testaments, um hier messianische Weissagungen zu finden und die absolute Autorität des Neuen Testaments zu beweisen.³⁷ Sie verwiesen auf spezifische Passagen mit direkten Bezügen zwischen Neuem und Altem Testament, so z. B. auf Anspielungen und Hinweise auf alttestamentliche Sprüche und Zitate, die das Neue Testament augfenommen hatte. Dies spiegelte sich auch in der religiösen Literatur wider, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts für die theologischen Fakultäten und katholischen Seminare in den italienischen Territorien konzipiert wurden. Mitte der 1850er-Jahre führte Luzzatto eine Korrespondenz mit einem italienischen Experten der Bibelforschung und Verfasser dieser Literatur, mit dem katholischen Theologen und Kanoniker Pietro Emilio Tiboni (1799 – 1876) aus Brescia.³⁸ Aus dieser Korrespondenz sind insbesondere die sprachwissenschaftlichen Erläuterungen und philologischen Diskussionen hervorzuheben. Tiboni, der 1827 in Padua an der theologischen Fakultät seine Ausbildung absolviert hatte, war als Professor für Hebräische Sprache und Biblische Studien in der Lombardei tätig. Er engagierte sich in den Revolutionsjahren 1848 – 1849 als politischer Kanoniker gegen die Habsburgische Herrschaft in den norditalienischen Territorien und schickte an Luzzatto Anfang der 1850er-Jahre diverse Werke,³⁹ u. a. 10.
Vgl. Kapitel 5.2 dieser Arbeit. G. Lüdemann, Altes Testament und christliche Kirche. Versuch der Aufklärung, Hamburg 2006, Die Korrespondenz zwischen Luzzatto und Tiboni erfolgte zwischen 1853 und 1856. Vgl. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 52.
7.1 Interreligiöse Berührungspunkte und Konflikte
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seine Anthologia hebraica aus dem Jahre 1833,⁴⁰ die auch ein lateinisches Lexikon hebräischer Worte und Ausdrücke der Bibel enthielt. In der Anthologia, die als Lehrbuch für die Studenten der Theologie am katholischen Seminar in Brescia diente, beschäftigte sich Tiboni intensiv mit Passagen u. a. des Pentateuch, der Prophetenbücher und der Psalmen in hebräischer Sprache. Das Alte Testament wurde hier in den Mittelpunkt gestellt und in seinen philologischen und linguistischen Besonderheiten analysiert. Tiboni schickte an Luzzatto auch einen Text, der noch unveröffentlicht war. Es handelte sich um eine Handschrift mit dem Titel Il Misticismo biblico („Der biblische Mystizismus“), das 1853 in Mailand erschien. Tiboni setzte sich in dem Werk mit unterschiedlichen biblischen Auffassungen christlicher Mystiker auseinander.⁴¹ Er plädierte für eine intensive, tiefgründige Beschäftigung mit der Bibel.⁴² Anstelle von Jesus stellte sein Ansatz die Bibel in ihrer Originalsprache ins Zentrum der christlichen Theologieauffassung. Er zielte auf eine Rehabilitierung sowie eine Neubewertung der biblischen Studien, die aus seiner Perspektive auf der italienischen Halbinsel lange vernachlässigt worden und von Vorurteilen gekennzeichnet waren.⁴³ Tiboni schlug eine Annäherung an das Bibelstudium vor, die auf die rational-kritische Hermeneutik nicht verzichten sollte. Parallel dazu zeugte seine Position jedoch von einem zwiespältigen Verhältnis gegenüber dem Rationalismus.⁴⁴ Im Gegensatz zu vielen konservativen christlichen Theologen der 1850er-Jahre auch nördlich der Alpen, bekämpfte Tiboni keinesfalls jedwede Form von Rationalismus.⁴⁵ Er kritisierte vielmehr einerseits die Ergebnisse der zeitgenössischen Rationalisten und Naturalisten auf dem Feld der Bibelkritik, und andererseits jene Bibelauslegungen, die durch eine mystische Inspiration gekennzeichnet waren.⁴⁶
P. E. Tiboni, Anthologia hebraica cum lexico ipsi accomodato quam ad usum seminarii Brixiani edidit Petrus Aemilis Tiboni, Padua, 1833.Vgl. die Korrespondenz von „Luzzatto an Tiboni, Brescia, 16.05.1852.“ In Epistolario italiano francese, latino, 495, Index 937, 782. Tiboni setzte sich in seinem Werk mit den mystischen Tendenzen auseinander, die seiner Ansicht nach schon in der Philosophie Platons und in der alexanidrinischen Schule Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. ihren Ursprung hatten; vgl. Tiboni, Il Misticismo biblico, 78 – 88; 145 – 153. „Perciò alla Bibbia dobbiamo rivolgere le principali nostre cure, ed indirizzare i nostri più forti e profondi studii“, ebd., 5. Ebd., 6. Ebd., 7. Vgl. zu den deutsch-jüdischen Verhältnissen HaCohen, „Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?“ (Josua 5,13), 73 – 74. Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts lässt sich eine eher konservativere Tendenz der Mitglieder der Wissenschaft des Judentums in Bezug auf die Bibelkritik feststellen. Tiboni, Il Misticismo biblico, 7– 8.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
In Tibonis Werk war zugleich auch eine revisionistisch ausgerichtete Darstellung des jüdischen Kanons und dessen Integrität,⁴⁷ sowie der allgemeinen Bedeutsamkeit der jüdischen Kultur und Tradition erkennbar. Er verfügte über besondere Fachkenntnisse der hebräischen und chaldäischen Sprache. Darüber hinaus hatte sich der italienische Theologe ausgiebig mit alten Manuskripten und jüdischen Originalquellen beschäftigt. In den Zeilen Tibonis war ein selbstkritischer Vorwurf zu spüren, der die Vernachlässigung der Originalsprachen der Bibel von katholischen Forschern anprangerte.⁴⁸ Seiner Ansicht nach wurde die biblische Hermeneutik lange Zeit von der heidnischen Philosophie beeinflusst. Parallel dazu sprach er von einer verbreiteten Unwissenheit katholischer Forscher in Bezug auf die hebräische Sprache und die jüdische Kultur. Tiboni plädierte für ein grundlegendes Studium relevanter linguistischer Phänome sowie für eine gründliche Überprüfung von Sprachveränderungen durch vergleichende Sprachanalysen.⁴⁹ Tiboni, der sich auch mit der masoretischen Punktation und mit der Metrik der biblischen Poesie auseinandersetzte, äußerte sich außerdem kritisch gegenüber der Unkenntnis über die hebräische Poesie der Bibel.⁵⁰ Im Rahmen seiner Studien zum Mystizismus beschäftigte sich der Theologe auch mit der jüdischen Kabbalah. In diesem Zusammenhang zog er Parallelen zwischen der jüdischen Kabbalah und den sogenannten arbiträren mystischen Fassungen christlicher Denker.⁵¹ Er befasste sich in einem Abschnitt seines Werkes Il Misticismo biblico mit der Definition und dem Ursprung des Begriffs der Kabbalah.⁵² Tiboni konzentrierte sich auf diverse Theorien, insbesondere solche, welche der Ansicht waren, dass aus dem Zusammentreffen von griechischer Philosophie (vor allem der Philosophie des Pythagoras sowie der platonischen und der aristotelischen Philosophie) die Kabbalah hervorgegangen sei. Zudem äußerte er sich über die Tatsache, dass die jüdische Gelehrsamkeit in der Epoche der Antike die eigene Theologie sowie die Bibelauslegung an die griechische Philosophie angepasst hatte.⁵³ Diese Position hatte auch Luzzatto mehrmals in
Ebd., 227– 232.Vgl. die Sektion: „Si difendono i giudei dall’accusa posta loro da alcuni padri e scolastici“. Ebd., vgl. die Sektion „Ignoranza delle lingue originali della Bibbia“ („Unwissenheit über die ursprünglichen Sprachen der Bibel“), 107– 112. Ebd., 235 – 337. Ebd., 112– 117. Ebd., 172. Tiboni, der sich mit mystischen Fassungen christlichen Denker auseinandersetzte, verglich in seinem Werk die jüdische Kabbalah mit dem von ihm behandelten „arbiträren“ Mystizismus christlichen Ursprungs. Er argumentierte die Verbindungen zwischen dem Mystizismus, der Gnosis und der orientalischen Philosophie. Ebd. Ebd.
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hitzigen Diskussionen mit zeitgenössischen jüdischen Forschern über die Rolle des Maimonides und dessen philosophisches Denken vertreten. Mit dieser Haltung und der Behandlung solcher biblischen und jüdischen Themenbereiche wie der Kabbalah sowie der Annäherung an die mystischen Theorien hatte Tiboni die Aufmerksamkeit Luzzattos geweckt. In Tibonis Werk, das damals in offiziellen katholischen Kreisen Empörung hervorgerufen hatte,⁵⁴ kommen die für die bestehenden christlichen Bibelinterpretationen charakteristischen antijüdischen Urteile nicht zur Sprache. Das Werk verwies stattdessen mit seiner systematischen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Bibelversionen (d. h. mit der alexandrinischen, mit der Version von Aquila, mit den chaldäischen und den lateinischen Versionen) auf eine Pluralität der Stimmen. Der Gelehrte trat für eine neue Lesart der Hebräischen Bibel und für ein sorgfältiges Studium der Sprachen und Dialekte der heiligen Texte ein.⁵⁵ Seine progressiven Positionen am Anfang der 1850er-Jahre, die Tiboni in dem oben erwähnten Werk äußerte, wichen in den folgenden Jahren konservativen, reaktionären und national geprägten theologischen Tendenzen, wie seine literarischen Erzeugnisse der 1870er-Jahre am deutlichsten zeigen. Tief verwurzelte nationalistische und patriotische Gefühle wirkten nun stark auf seine theologische Konzeption und – eng verbunden damit – auf seine Studien zur Bibelauslegung. Dies äußerte sich zunächst in der begrifflichen Polarisierung von westlicher und orientalischer Kultur. Die sogenannten westlichen Elemente wurden den orientalischen Elementen gegenübergestellt.⁵⁶ Letztere standen nämlich, laut Tiboni, nicht im Einklang mit den modernen Werten und italienischen Idealen (von Italianità), die in seinen späten konservativeren Schriften vorzufinden waren. Außerdem spiegelte dies die reaktionäre Stimmung in der Politik sowie im intellektuellen und kulturellen Leben der italienischen Halbinsel wider, die anders als diejenige der 1840er- und 50er-Jahre, reaktionärer geworden war. ⁵⁷
Ders., Risposta alle osservazioni della Civiltà Cattolica sopra il Misticismo biblico, Milano 1856. Ders., Il Misticismo Biblico, Milano 1853, 6. Zur Verschärfung der Dichotomie westliche Zivilisation / orientalische Welt hatte der katholische Orientalist und Theologe Ernest Renan einen entscheidenden Beitrag mit seinem Werk Vie de Jesus (1863) geleistet. Vgl. Facchini, Orientalistica e ebraismo, 118 – 119. Siehe die Tätigkeit Giacomo Dinas (1824– 1879), der sich als jüdischer Intellektueller und Publizist lange Zeit für die italienische Zeitschrift LʼOpinione verdient machte und deren Herausgeber er – als Nachfolger von Aurelio Bianchi-Giovini – für ungefähr dreißig Jahre blieb. Er kämpfte für die Emanzipation der italienischen Juden und hatte sich während der Umwälzungen Ende der 1840er-Jahre in den Kolumnen der Zeitschrift gegenüber der Politik von Camillo Benso Graf von Cavour sehr solidarisch gezeigt. Dina blieb auch in den 1860er- und 70er-Jahren den rechts-reaktionären politischen Tendenzen treu.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
1870 veröffentlichte Tiboni einen kurzen Aufsatz mit dem Titel Le relazioni dell’Italia colla Bibbia („Die Beziehungen Italiens zu der Bibel“).⁵⁸ Tiboni sah Italien als ursprüngliche Heimat der Bibel an. Er machte insbesondere auf einige Passagen der Antiquitates Iudaicae von Josephus aufmerksam, in denen der jüdische Geschichtsschreiber seiner Meinung nach von Jesus als dem Messias sprach. Diese Stelle wurde von dem Publizisten Giuseppe Levi in einem Artikel über die Publikation Tibonis von 1871 im Educatore infrage gestellt.⁵⁹ Tiboni zeigte zudem Bezüge zu Italien im Alten Testament, aber vor allem auch im Neuen Testament auf. Er hob biblische Werte hervor, die sich gut mit dem italienischen Zeitgeist der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vereinbaren ließen.⁶⁰ Das Alte Testament wurde im späten Werk Tibonis aufgrund seiner – aus seiner Sicht, orientalischen – Elemente besonders negativ konnotiert und als von den westlichen Gebräuchen weit entfernt verstanden. Die Werte der westlichen Zivilisation wurden nun unmittelbar mit dem Neuen Testament und dessen Anwendbarkeit auf die moderne italienische Gesellschaft verbunden. In jenen Jahren lag der Akzent bei Tiboni nicht nur auf der christologischen und christozentrischen Darstellung der Bibel. Bei Tiboni kam es verstärkt zu einer Rückkehr zur Bibel – diesmal nur das Neue Testament – als Zentrum italienischer Zugehörigkeit und Kultur. Er unternahm auch den Versuch, die Bibel mit dem kurz zuvor gegründeten italienischen Königreich, d. h. mit der neuen Heimat und deren Kultur, eng zu verflechten.⁶¹ Die biblischen Studien wurden ab den 1870er-Jahren von ihm
Dieser Text wurde, wie andere Werke des lombardischen Theologen auch, von vielen zeitgenössischen italienisch-jüdischen Gelehrten und Publizisten rezipiert. Siehe in erster Linie die Korrespondenz zwischen Luzzatto und Tiboni. Luzzatto betonte sein Interesse an den Werken Tibonis und seine Wertschätzung der Kompetenzen Tibonis als Orientalist und Bibelforscher. Pietro Emilio Tiboni verfasste schon im Jahre 1861 eine Schrift mit dem Titel La secolarizzazione della Bibbia („Die Säkularisierung der Bibel“), in der er die Idee eines populären Charakters der Bibel unterstützte. Die Schrift wurde auch ins Englische übersetzt und fand so sowohl in Amerika als auch in England eine weite Verbreitung. Sie wurde damals auch von Giuseppe Levi gelesen, wie der Rabbiner in einem Beitrag 1871 zu einem anderen Aufsatz Tibonis bemerkte; G. Levi, „Le relazioni dell’Italia colla Bibbia“ Educatore Israelita 19 (1871): 92. Ebd. Levi stellte diese Assoziation Jesu als Christus der Propheten infrage. Es handelte sich um eine Position, die auch von anderen christlichen Theologen der Zeit widerlegt wurde. Laut dieser Aussage erkannte der römisch-jüdische Geschichtsschreiber Josephus Jesus als den Messias, der von den Propheten angekündigt wurde. Vgl. hierzu Formigoni, L’Italia dei cattolici, 43 – 44. Tibonis Auffassung wurde immer konservativer und stützte sich auf die Idee, dass nur die Katholiken die wahren Werte der italienischen Nation verköpern konnten und, dass die katholische Religion die einzige wahre Religion im Vereinten Italien sei. Vgl. hierzu Formigoni, der einen „alternativen Patriotismus“ in Bezug auf die konservativen katholischen Theorien zur italienischen Heimat festgestellt hat. Ders., L’Italia dei cattolici, 44.
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instrumentalisiert und einem katholisch-nationalen Wertesystem dienstbar gemacht. Noch während der 1850er-Jahre korrespondierte Luzzatto mit dem italienischen Kanoniker Francesco Nardi (1808 – 1877), der als katholischer Theologe und Professor am theologischen Seminar von Padua tätig war. Nardi galt als Experte des katholischen Kanons und hatte in jener Zeit als Publizist diverse Beiträge über das katholische Eherecht und nicht zuletzt über italienische und europäische Statistiken verfasst.⁶² 1840 erschien sein Kompendium der katholischen Religion unter dem Titel Verità della religione naturale e cristiana cattolica. In diesem Werk betonte der Autor die Bedeutsamkeit einer philosophischen Annäherungsweise an das Studium der Religion. Neben den Schriften De civitate Dei von Augustinus und der Summa Theologiae des Thomas von Aquin wurden u. a. auch Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft, Blaise Pascals⁶³ Pensées sur la religion, Samuel Clarkes Discourses concerning the being and attributes of God, Friedrich Brenners⁶⁴ Versuch einer historisch-philosophischen Darstellung der Offenbarung als Einleitung in die Theologie und viele andere dogmatische Werke im Inhaltsverzeichnis genannt.⁶⁵ Es zeigte sich hier ein breites Spektrum von Autoren deutschen Ursprungs, mit denen sich Nardi befasst hatte. Er führte vor Augen, dass der Einfluss deutscher Philosophen wie Kant, Fichte, Hegel, Schelling und Krug sowie jener protestantischer Theologen der Aufklärung am beginnenden 19. Jahrhundert einen radikal ideologischen Umbruch in der Annäherung an die Religion und die biblischen Studien bewirkt hatten.⁶⁶ Während Nardi die kritischen, subversiven Positionen protestantischer Theologen wie u. a. Wilhelm Martin Leberecht De Wette und Christoph Ammon⁶⁷ nicht annehmen konnte, war er von Autoren wie Francesco Nardi war Professor der Theologie an der katholischen Fakultät der Universität in Padua und galt damals als Experte des katholischen Kanons. Unter seinen Veröffentlichungen siehe auch „Elementi di diritto ecclesiastico“ (1846 – 1849) und „Diritto matrimoniale cattolico“ (1857). Augustinus (354– 430) war einer der vier lateinischen Kirchenlehrer der Spätantike; Thomas von Aquin (1225 – 1274) war Philosoph und Theologe der römisch-katholischen Kirche. Blaise Pascal (1623 – 1662) war ein französischer Philosoph. Samuel Clarke (1675 – 1729) war ein englischer Philosoph und Theologe der frühen Aufklärungszeit. Friedrich Brenner (1784– 1848) war ein deutscher katholischer Theologe und Dogmatiker. F. Nardi, Verità della religione naturale e cristiana cattolica dimostrata sistematicamente dallʼab. Francesco Nardi, Dott. in Fil. e Teol. E Prof. P. O. Dell’Università di Padova, Padova 1840, 3 – 4. Nardi wies in seinem Werk auf protestantische Autoren wie Wilhelm Martin Leberecht De Wette (1780 – 1849), Christoph Ammon (1766 – 1850) oder Julius August Ludwig Wegscheider (1771– 1849) hin. Zu De Wette vgl. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 32. Nardi, Verità della religione naturale e cristiana cattolica, 7.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
Friedrich Heinrich Jacobi beeinflusst,⁶⁸ der über das Gefühl und den Glauben philosophisch nachdachte.⁶⁹ Nardi war sich bewusst, dass den kritischen Wissenschaften, so z. B. der Geschichtsschreibung, in jener Zeit ohne Zweifel eine zentrale Bedeutung zugewiesen wurde. So die Position Nardis: „Der Wissenschaftsgeist ist heutzutage vorwiegend historisch.“⁷⁰ Die Wissenschaften hatten ihm zufolge eine aufklärende Funktion, und die Philosophie war unter den wissenschaftlichen Disziplinen diejenige, die am deutlichsten diese Charakterzüge trug. Der historisch denkende Theologe Nardi betonte die Zentralität der positivistischen Wissenschaft, deren Implikationen für die theologischen Studien aus seiner Sicht nicht übersehen werden durften. Er machte in seinen Abhandlungen zum methodologischen Vorgehen klar, dass sein Ziel bei der Verschriftlichung des Werkes ein primär historisches sei.⁷¹ Die Philosophie wurde als Fundament und treibende Kraft der Wissenschaft angesehen. „Auf sie sollen sich die Fundamente der Wissenschaft stützen und ihre Verschmelzung mit der Geschichte verleiht dieser Stärke und Bedeutung.“⁷² Nardis Werk ging in keiner Weise von einer Unvereinbarkeit zwischen Religion und Philosophie aus. Seine Schriften wiesen starke Einflüsse der Philosophie der frühen englischen, deutschen und französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts auf. Bei ihm wie auch bei Luzzatto hatten Philosophen wie Bacon, Newton, Locke, Leibniz, Grotius und La Bruyère eine zentrale Bedeutung für den ideologischen Aufbau ihrer Theologie.⁷³ Nardi verkörperte eine katholische Theologie, die vor allem in den Frühwerken der Autoren aufklärerische Tendenzen sichtbar werden ließ. Sie war unweigerlich von progressiveren und positivistischen Elementen bestimmt und zumindest am Anfang gerade nicht gemäß den Grundsätzen der katholischen Prälaten und des Papsttums in Rom konzipiert. Die zentrale Rolle der Philosophie für die Annäherung an die Religion und das Interesse für die bibelexegetischen Studien sind gleichermaßen Kennzeichen von Luzzattos und Nardis Arbeiten. Kurz nach der Veröffentlichung seines Kompendiums wurden jedoch die Betrachtungen des italie-
Friedrich Heinrich Jacobi (1743 – 1819) war ein deutscher Philosoph der Aufklärung und war strenger Kritiker von jedem Rationalismus. Nardi, Verità della religione naturale e cristiana cattolica, 7. „Lo spirito della scienza a’ nostri giorni è principalmente storico“. Ebd., 2. Ebd. „su di essa forza è che posino i fondamenti della scienza, e la di lei fusione con la storia accresce a questa forza e significato“. Ebd., 3. Vgl. u. a. Autobiografia di S. D. Luzzatto, 60.
7.2 Die Auseinandersetzung mit der Christentumsforschung
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nischen Theologen zu den christlichen Dogmen und insbesondere zur Natur Gottes von Luzzatto in einigen Briefen an Nardi grundlegend infrage gestellt.⁷⁴ Christliche Gelehrte wie Nardi zeugten mit ihren aufgeklärten theologischen Ideen schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einem progressiven Katholizismus, der sich stark von den radikalen, unversöhnlichen Positionen der römischen Kurie distanzierte, eine Kurie, die sich mit ihrem Obskurantismus entschieden gegen die Fortschritte der modernen bürgerlichen Gesellschaft stellte. Demgegenüber war aber auch bei Theologen wie Tiboni Ende der 1860erund 70er-Jahre die Tendenz spürbar, sich konservativeren, italienisch-nationalen Positionen zuzuwenden. Das Alte Testament wurde bei ihnen abermals zum bevorzugten Objekt christozentrischer und messianischer Vorstellungen, ähnlich wie bei den christlichen Exegeten auf der anderen Seite der Alpen. Solch eine Christianisierung des Alten Testaments zeugte offensichtlich von der Machtposition der christlichen Bibelforscher und Theologen gegenüber den jüdischen Forschern ihrer Zeit, die, wie das Beispiel Luzzattos zeigt, die christlichen Deutungen jedoch nicht unbestritten ließen.
7.2 Italienisch-jüdische Gelehrte und die Auseinandersetzung mit der Christentumsforschung Die 1860er- und 70er-Jahre sahen eine Vorherrschaft des Positivismus auf kultureller, gesellschaftlicher und politischer Ebene, der in ganz Europa an Boden gewann.⁷⁵ Neue ideologische Verhaltensmuster sowie der Einfluss neuer geistiger Strömungen und wissenschaftlicher Theorien, u. a. des Materialismus und des Darwinismus, trugen dazu bei, dass ein besonderes Vertrauen in den Fortschritt der Wissenschaft für einen neuen weltanschaulichen Prozess der Regenerierung der gesamten italienischen Gesellschaft gelegt wurde. Im Zuge des Aufstrebens naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zeitigten das schnelle Anwachsen neuer
Vgl. die Positionen Nardis zum zeitgenössischen Judentum, Nardi, Verità della religione naturale e cristiana cattolica, 172. Beide Gelehrte diskutierten akribisch über den Begriff selbst „Rätsel“ in Bezug auf die Dreiheit der Natur Gottes. Neben streng theologischen Argumentationen wurde Luzzatto von Nardi auch für bibelexegetische Fragen und sprachwissenschaftliche Erläuterungen im Laufe der 1850er-Jahre kontaktiert. „Luzzatto an Nardi, Padova, 25.06.1850.“ In Epistolario italiano, francese, latino, 351, Index 716, 585. Bayertz, Gerhard und Jaeschke (Hg.),Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert, 8 – 9; vgl. auch S. Patriarca, Italianità. La costruzione del carattere nazionale, Bari 2010, 42.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
Theorien in Gebieten wie z. B. der Anthropologie sowie die starke Verbreitung wie auch ihre unmittelbaren Effekte in anderen wissenschaftlichen Gebieten.⁷⁶ Insbesondere konfrontierten sich das philosophische und religiöse Denken mit diesen neuen Herausforderungen. Zudem diente jene positivistisch-wissenschaftliche Methode für eine neue Generation von jüdischen Gelehrten und Forschern in Italien als Bindeglied zwischen ihrer Annäherung an die Texte der jüdisch-religiösen Tradition und ihrem Interesse für die zeitgenössischen Studien zu den drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam.⁷⁷ Für manche Intellektuelle christlichen und jüdischen Glaubens resultierte dies in einem neuen Vertrauen in einen neuen, uneingeschränkten Glauben, in der Konzeption einer „universellen Religion“. Diese Fortschrittsreligion kombinierte Elemente aus dem Neukantianismus, dem Rationalismus und dem Fortschrittsglauben und stellte sich, nach Meinung vieler Gelehrter, als Ausgangsbasis sowie als einziger Weg zur moralischen Regeneration Italiens dar.⁷⁸ Der jüdische Gelehrte David Castelli in Livorno zeigte sich für diese Konzepte besonders empfänglich. Er war bestrebt, ein neues Konzept vom Judentum und darüber hinaus auch einer universellen Religion zu entwickeln, das sowohl zeitgenössische jüdische Gelehrte als auch progressive katholische Gelehrte, die für eine Erneuerung des Katholizismus eintraten, beeinflusste.⁷⁹ Ganz im Gegensatz dazu versuchten Rabbiner wie Marco Mortara, den ursprünglichen Kern des Judentums als Fortschrittsreligion anstelle des Rationalismus und jedweder Wissenschaftsreligion in den Vordergrund zu stellen. Dieses Konzept zog Mortara als Basis für eine Regeneration nicht nur im Kampf gegen den religiösen Indifferentismus, sondern auch zugunsten einer Verbesserung der gesamten Menschheit heran.⁸⁰ In den 1870er- und 80er-Jahren ergab sich so eine neue unvermeidliche Konfrontation zwischen christlichen und jüdischen Forschern über Themen, die seit der frühen Moderne im Zentrum vieler Gelehrtendiskussionen gestanden hatten. Streitpunkte waren etwa die spirituelle Natur der Religionen, die Natur
Bayertz, Gerhard und Jaeschke (Hg.),Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert, 8 – 9. Facchini, Orientalistica e ebraismo, 114. Die Vorstellung einer universellen Religion, d. h. einer Religion der Menschheit, unterstützten auch progressive italienische Katholiken, wie der Artikel in den Kolumnen des Corriere unter Beweis stellt: E. Bolmida, „La religione universale“ Il Corriere Israelitico 10 (1871– 1872): 276 – 278; A. Curiel, „Considerazioni scientifiche sullo Spiritismo per Eugenio Bolmida Trieste 1875“ Ebd. 13 (1874– 1875): 278 – 279. Vgl. Facchini, Orientalistica e ebraismo, 113 – 114. M. Mortara, „Il nesso fra Mosaismo e Cristianesimo secondo alcuni recenti studii critici“ Il Corriere Israelitico 6 (1867– 1868): 106 – 113: 107; ders., „Sull’Avvenire del Giudaismo“ Ebd. 7 (1868 – 1869), 212– 216: 215; ders., „Dei miracoli“ Ebd. 9 (1870 – 1871), 217– 224: 223 – 224.
7.2 Die Auseinandersetzung mit der Christentumsforschung
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Gottes und nicht zuletzt die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele.⁸¹ Im Gegensatz zum deutschen und französischen Kontext kam es im Fall der italienischen Rabbiner trotz der Relevanz der Thematik bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu keiner direkten, passionierten Auseinandersetzung mit christlichen Theologen. Die Beschäftigung mit jenen Themen führte aber zur Veröffentlichung tiefgründiger Abhandlungen und Artikel in der jüdischen Presse; diese legten großen Wert auf die ursprünglich wahre monotheistische Religion und ihre distinktiven Merkmale sowie auf die Thematik der nationalen und universalen Religionen.⁸² Parallel dazu kristallisierten sich Beiträge heraus, in denen sich das Christentum als einziger rechtmäßiger Erbe des mosaischen Gesetzes erklärte.⁸³ Dazu wiesen die Schriften vieler katholischen Theologen das Judentum als reine Religion des Talmuds aus und stellten sie der christlichen Religion entgegen. Doch entsprachen diese Texte von christlicher Seite wohl einer antijüdischen Haltung katholischer Theologen, die das zeitgenössische Judentum nicht mehr mit den mosaischen Prinzipien verbanden und – begleitet von antijüdischen Attacken und Schmähungen – argumentierten, dass diese nur dem Christentum innewohnten.⁸⁴ Aufgrund solcher Betonungen der angeblichen Überlegenheit und Exklusivität des Christentums, die jegliche Interdependenz mit dem Judentum ausschloss, reagierten viele Rabbiner wie Mortara in den Kolumnen der italienisch-jüdischen Presse sehr entschlossen. Oberrabbiner Marco Mortaras Annähehrung an das Christentum und seine Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Studien zur Religions- und Christentumsforschung brachte der Hauptrabbiner von Mantua dem italienisch-jüdischen Leser im Corriere Israelitico Ende der 1860er- und Anfang der 1870er-Jahre in einer Reihe von Artikeln zur Kenntnis. Mortara verfolgte den Religionsforschungsdiskurs entlang der Lektüre vorwiegend französischer Publikationen und Artikel, die auch über die Debatte in anderen Ländern wie Deutschland und England berichteten. Mortara setzte sich intensiv mit Werken zeitgenössischer französischer Gelehrter und Historiker auseinander, die u. a. den historischen Jesus in den Fokus rückten und sich parallel dazu mit den neuen Theorien zur
Vgl. ders., „Errori e Pregiudizj“ Ebd. 8, (1869 – 1870): 309 – 314; ders., „Pazienza e Fidanza!“ Ebd. 9, (1870 – 1871): 321– 325, 374– 377. Facchini, Orientalistica e ebraismo, 122. Vgl. Mortara, Dei miracoli, 223. Vgl. R. Taradel, und B. Raggi, La segregazione amichevole. „La Civiltà Cattolica“ e la questione ebraica 1850 – 1945. Rom, 2000, 20. Vgl. M. Mortaras Artikel im Corriere Israelitico: „Critica religiosa. Le rôle de Jésus et des Apôtres par le Dr. J. M. Rabbinowicz“ Ebd. 6, (1867– 1868), 174– 181: 177. Taradel und Raggi, La segregazione amichevole, 20 – 21.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
Entstehung der Religionen wie des Zoroastrismus, Hinduismus bis hin zu den sogenannten Ketzerreligionen wie dem Arianismus und der christlichen Lehre des Unitarismus beschäftigten. Die Ansichten über die Entstehung und Entwicklung des Christentums sowie über die jüdische Deutung Jesu waren einige Jahrzehnte zuvor bereits von Abraham Geiger in seiner Schrift Urschrift und Übersetzung der Bibel von 1857 und in der Reihe seiner Vorlesungen mit dem Titel Das Judentum und seine Geschichte in den 1860er-Jahren dargelegt worden.⁸⁵ Sie hatten aufseiten protestantischer Theologen unmittelbare Reaktionen erregt und fachliche Diskussionen angestoßen. Aus italienischer Perspektive war es die Absicht Marco Mortaras gewesen, das Publikum der italienisch-jüdischen Presse für die neuesten Entwicklungen und Studien über den Ursprung der Religionen und insbesondere über die Entstehung des Christentums vonseiten französisch-katholischer Theologen und Historiker zu sensibilisieren. Der Grundgedanke hinter solcher Literatur, die insbesondere auf Mortaras Interesse gestoßen war, war es, anhand neuer wissenschaftlich-historischer Theorien und archäologischer Entdeckungen danach zu streben, jegliche Beziehung und Kontinuität zwischen Judentum und Christentum infrage zu stellen, zu dementieren oder sogar auszutilgen.⁸⁶ Auf der Basis solcher Annäherungen an die Zeit und die Religionen des Alten Israel, den Ursprung des wahren Monotheismus und die Studien zu den Entfaltungen von Polytheismus ließ eine harte philosophische wie religiös-theoretische Debatte nicht lange auf sich warten. In diesem Kontext spitzten sich auch deutliche antijüdische Tendenzen zu. Das Judentum als gewalttätige, grausame, brutale Religion wurde als ausdrucksstarkes Gegenbild zum Christentum als Religion der Nächstenliebe und Barmherzigkeit gezeichnet.⁸⁷ Mortaras besondere Empfänglichkeit für solche Themen bewies der Hauptrabbiner mit seiner quellenreichen Argumentation. Er widerlegte jene katholischen Theologen und Historiker, deren vorrangiges Ziel darin bestand, die ursprünglichen Grundsätze der christlichen Lehre als dem Judentum fremd zu erklären.⁸⁸ So argumentierte Mortara, dass das Christentum den historischen Auftrag bekommen habe, die monotheistische Idee unter den Völkern zu verbreiten und somit die Vorgaben der jüdischen Religion zu vollenden. Dazu habe das Christentum die Aufgabe, derselben monotheistischen Idee die nötige Tragweite und Bedeutung zu verleihen.⁸⁹
Vgl. HaCohen, Reclaiming the Hebrew Bible, 82– 83; Vahrenhorst, „Nicht Neues zu lehren, ist mein Beruf …“, 114– 119. Vgl. Mortara, Il nesso fra Mosaismo e Cristianesimo. Ders., Errori e Pregiudizj. Ders., Il nesso fra Mosaismo e Cristianesimo, 110; ders., Errori e Pregiudizj, 311. Ebd., 309.
7.2 Die Auseinandersetzung mit der Christentumsforschung
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Die monotheistische Lehre sei – so Mortara – als wertvolles Erbe nicht nur dem jüdischen Volk, sondern der ganzen Menschheit überlassen worden.⁹⁰ Im Laufe der jahrhundertlangen Geschichte hätte aber die Institution der Kirche dezidiert darauf hingewirkt, jegliche Beziehung und allen Kontakt zwischen Christen und Juden weit auseinander zu halten. Durch dieses ausgrenzende Verhalten schaffe die Kirche doch einen erheblichen Nährboden für Vorurteile, Hass und Feindseligkeiten gegenüber dem Judentum, und es verwundere nicht – so Mortara – dass sich so zwischen katholischen Theologen und jüdischen Gelehrten die Spannungen erhöhten und die Konfliktlinie verhärte. Diese Konfliktlinie kristallisierte sich in der Tat nicht nur auf theoretisch-religiöser, sondern auch auf politischer Ebene heraus. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde die Vorstellung eines ungetrübten Verhältnisses zwischen der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung nicht nur generell desillusioniert, sondern in der christlichen Presse von konkreten Vorschlägen begleitet, die Emanzipationsgesetzgebung rückgängig zu machen.⁹¹ Mortara argumentierte seinerseits in Richtung eines klaren Bruches mit den antijüdischen Haltungen und Diskursen und plädierte statt für eine Kritik der Religion für die Etablierung einer wissenschaftlich fundierten allgemeinen Religionskritik, die mit einer kritischen, vorurteilsfreien und wissenschaftlichen Herangehensweise all die Religionen ausführlich behandeln sollte.⁹² Zum anderen knüpfte Mortaras Lesart an die Betonung des einzigartigen Charakters des Judentums als ursprünglich wahre monotheistische Religion an. Oberrabbiner Marco Mortaras Annähehrung an das Christentum und die Christentumsforschung und seine im Corriere Israelitico Ende der 1860er-Jahre veröffentlichten Artikel zur Wahrnehmung des historischen Jesu wie seine tiefgründige Auseinandersetzung mit höchst aktuellen christlichen Themen ließen zum Einen seine persönliche Lektüre des Christentums hervorheben, die zuallererst für sein Verständnis vom Judentum im postunitarischen Italien äußerst bedeutsam war, wurden sie zum anderen im Dienste seiner Betonung der Einzigartigkeit des Judentums angelegt.⁹³ Das Judentum litt – Mortara zufolge – unter einer lange nicht so schweren Krise wie die anderen monotheistischen Religionen, die sich in ihrer dogmatischen Struktur erschüttert gesehen hätten.⁹⁴ Dabei muss nochmals betont werden, dass die Intensität des christlich-jüdischen Austauschs auf der italienischen Halbinsel – ähnlich wie die Zahl der jüdischen Intellektuellen, die eine
Ders., Il nesso fra Mosaismo e Cristianesimo, 108. Taradel und Raggi, La segregazione amichevole, 19. Mortara, Il nesso fra Mosaismo e Cristianesimo, 113. Vgl. Epilog. Mortara, Sull’Avvenire del Giudaismo, 216.
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Kapitel 7: Italienisch-jüdische Gelehrte, christliche Theologen
bedeutende Rolle in der italienischsprachigen Publizistik der Zeit spielten – im Vergleich zur Situation in Deutschland sehr begrenzt waren.⁹⁵
Vgl. Facchini, Orientalistica e ebraismo.
Fazit Der Kulturtransfer und der Weg italienisch-jüdischer Gelehrter zur Wissenschaft des Judentums Die vorgelegte Studie hat eine im Laufe des 19. Jahrhunderts bestehende erhebliche kulturelle Distanz zwischen deutschem und italienischem Judentum betont. Die hier im Mittelpunkt stehenden italienisch- und deutsch-jüdischen Forscher und Gelehrten agierten als Juden, Bürger, Wissenschaftler, Rabbiner oder Publizisten in ihrer jeweiligen Stadt oder Gemeinde – in einem Zeitalter, in dem weder auf italienischer noch auf deutscher Seite einheitliche staatliche Entitäten existierten. Trotz der parallelen Bedingungen und ideologischen Bemühungen war die politische Uneinigkeit in der Tat kein ausreichender Annäherungspunkt, da in der Betrachtung der historischen Begebenheiten und der sozialen und kulturellen Transformationsprozesse im Judentum der Zeit zwischen 1820 und 1870 beide Ausprägungen, die italienische wie die deutsche, jeweils spezifische und doch auch je ganz eigene Wege entwickelten. Der Fokus auf besondere kulturelle Inhalte und Bildungsthemen das italienische Judentum betreffend prägte – wie hier gezeigt werden konnte – besonders plakative Bilder über Kultur- und Bildungszustände sowie über Fortschritte und Rückstand in jüdischen Wissens- und Lebensbereichen jener Zeit und ging von einer italienisch-jüdischen Kollektivität aus, die sich als sehr komplex darstellte und äußerst heterogene Komponenten beinhaltete. Als kleine und doch bedeutungsvolle Repräsentanz dieser italienisch-jüdischen Kollektivität hat die Studie die Gruppe von italienisch-jüdischen Intellektuellen und Gelehrten der norditalienischen Gebiete um Samuel David Luzzatto besonders in den Blick genommen. Es wurde von einem diskursgeschichtlichen Befund des weitreichenden Wissens- und Korrespondentennetzes ausgegangen wie auch die herausragende Rolle der italienischsprachigen jüdischen Gelehrtengruppe im Wissens- und Kulturtransfer mit deutsch-jüdischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts in Betracht gezogen. Erkundet wurden der ergiebige Austausch, die Verflechtungen, die Verhaltensweisen, aber auch die Berührungs- und Konfliktpunkte zwischen Personen, Einrichtungen und Medien der Wissenschaft vom Judentum auf deutsch- und italienisch-jüdischer Seite. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass die italienisch-jüdische Gelehrtengruppe, die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts als Leser Zugang zur jüdischen Wissenschaftspresse in deutscher Sprache hatte, sich dort aber auch als Korrespondenten zu Wort meldete, mit der deutsch-jüdischen Presse neue Bedingungen, Popularität und neue Formen der Soziabilität vorfand. Die wissenschaftlichen Errungenschaften und literarischen Veröffentlichungen italienisch-jüdischer Gehttps://doi.org/10.1515/9783110768558-011
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lehrter wurden von deutsch-jüdischen Lesern regelmäßig rezipiert und kommentiert. Auf diese Weise erhielten Erstere nun Zugang zum deutsch-jüdischen Wissenschaftsdiskurs und dessen vielschichtigen Gestaltungsmöglichkeiten. Die deutschsprachige Wissenschaftspresse im 19. Jahrhundert wurde, wie die analysierten Korrespondenzen zeigen, zum Schauplatz zusammenlaufender Netzwerkkonstellationen und eines ergiebigen Gelehrtenaustausches. Die internationalen Kontakte und Partnerschaften – wie das Gelehrtennetzwerk Luzzattos und seiner Korrespondenten – zeugen im Hinblick auf die wissenschaftliche und intellektuelle Produktion von wechselseitigen Ergänzungen und Abgrenzungen, zum Teil auch von unerwarteter ideologischer Übereinstimmung. Dass in diesem Zusammenhang besondere Strategien, Handlungsmuster und Rollen vorherrschten, ist vor allem in Bezug auf deutsch-jüdische Publizisten wie Jost, Philippson und Fürst sowie auf ihre Darstellung der italienisch-jüdischen Gelehrsamkeit und deren literarischer Produktion und Forschungen, nicht zuletzt aber auch ihrer Abhängigkeit von veralteten Mustern, sichtbar geworden. Die vorliegende Untersuchung hat deshalb besondere Kommunikationsprozesse, die Wirkungszusammenhänge sowie die Art und Weise hervorgehoben, in der die jeweiligen Kontakte geknüpft und zunächst im Laufe der Jahre gepflegt und genutzt wurden. Außerdem sind die verschiedenen Phasen der Selektion, Transformation, Einarbeitung und eventuellen Integration der fremden kreativen Produktion in die eigene sowie die Interessen und Erwartungen der – vielfach hegemonialen – deutsch-jüdischen Empfängerkultur in dieser Arbeit deutlich erkennbar geworden. Die Rekonstruktion der Struktur dieses intellektuellen und kulturellen Austauschs ermöglichte es, die Entwicklungsgeschichte besonderer wissenschaftlicher Projekte von deren Ideenfindung und theoretischen Diskussion bis zu ihrer Planung und Realisierung zu verfolgen. Als hilfreich hat sich in diesem Zusammenhang vor allem die Zusammenstellung von transnationalen Korrespondenzen und den darauffolgenden veröffentlichten Artikeln und Aufsätzen in der jüdischen Presse erwiesen. Der Blick auf das Zusammenspiel von Publikationen und privaten Briefen hat zudem geholfen, den ursprünglichen Gedankengang, die Konzipierung, die Verarbeitung und Adaption der Informationen sowie die unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation und des Beziehungsgeflechts zwischen den jüdischen Gelehrten zu erkunden. Bei der Betrachtung der Interaktionen zwischen den Beteiligten hat sich herausgestellt, dass sich Aufwand und Nutzen bei bestimmten Kontakten und Kooperationen als ausgeglichen erwiesen, während in manchen Fällen vor allem deutsch-jüdische Gelehrte von der Kooperation mit italienisch-jüdischen Kollegen profitierten, wie die zahlreichen Beiträge Luzzattos für die Israelitischen Annalen und den Orient zeigen.
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Mit einem innerjüdischen Fokus hat die Untersuchung in dem Briefaustausch einiger ihrer wichtigsten Akteure und Protagonisten (Abraham Geiger, Julius Fürst, Samuel David Luzzatto) deren Auseinandersetzungen vertiefend analysiert. Einerseits wurde damit beabsichtigt, auf die außerordentliche Produktion von Kontakten, Verknüpfungen, Impulsen, aber parallel auch von Ideen, Interessen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zwischen den Gelehrten aufmerksam zu machen; zugleich sollte damit eine neue Lektüre der intellektuellen Beiträge Fürsts, Geigers und Luzzattos mittels ihrer Korrespondenzen ermöglicht und ein neues Verständnis der Bedeutsamkeit jener intensiven Gelehrtenbeziehungen für die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts geschaffen werden. Andererseits konnte auf diese Weise gezeigt werden, wie vielfältig und vieldeutig sich die Argumente, Motive und Intentionen der jüdischen Akteure auf beiden Seiten der Alpen im 19. Jahrhundert gestalteten. Samuel David Luzzatto, einer der Protagonisten dieser Studie, war als Sammler von Handschriften und alten Drucken ein wichtiger Knotenpunkt und eine zentrale Quellenressource für seine deutsch-jüdischen Kollegen. Seinen Ruf als Vermittler von Quellen und Wissen erkannte die jüdische Gelehrtenwelt seiner Zeit weithin an.¹ Angesichts seines breiten Netzwerks und seiner engen Kontakte zu deutschsprachigen Gelehrten erwies sich Luzzatto auch als wichtiger Vermittler und Bote zwischen diesen und anderen, weniger stark vernetzten italienisch-jüdischen Forschern, Rabbinern und Bibliophilen, wenn es sich um den Austausch und die Weiterleitung von Quellen in andere Städte der italienischen Gebiete handelte. In dieser Hinsicht wurde Luzzatto zu einer zentralen Figur; von ihm war die aus diesem Austausch entstehende Dynamik der Interdependenzen, des Wissens- und Kulturtransfers sowie der Rezeptionsprozesse von Kulturgütern vielfach unmittelbar abhängig.² In der Korrespondenz mit dem Publizisten Julius Fürst und dem Reformrabbiner Abraham Geiger wurde die Bereitwilligkeit Luzzattos sichtbar, als beflissener Korrespondent in der Presse, aber auch als Übersetzer, Kommentator vieler den deutsch-jüdischen Forschern noch unbekannter Quellen und Handschriften sowie als Korrekturleser oder als Ratgeber zu fungieren. Bei den deutsch-jüdischen Korrespondenten ist festzustellen, dass die sprachwissenschaftliche Fachexpertise und vor allem die literaturhistorischen Kenntnisse Luzzattos sehr geschätzt und genutzt wurden, vor allem wenn er in den Korrespondenzen – neben der Transkription von Texten – auch um Kommentare, Erläuterungen und Vgl. dazu I. Luzzatto (Hg.), Materiali per la vita di S. D. Luzzatto. Teil III, Padua 1877, 1– 20: 3. Luzzatto erwies sich während der Korrespondenz mit Geiger auch als wichtiger Vermittler von Werken des Breslauer Gelehrten an andere Gelehrte und Forscher in seinem Freundeskreis wie die Bibliophilen Almanzi und Ghirondi und den Sohn von Meyer Randegger, Giuseppe Aron.
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sogar um die Vokalisation von besonders problematischen Stellen gebeten wurde.³ Die Korrespondenten beider Seiten hofften, in der jüdischen Wissenschaft weitere Resultate hervorzubringen und einen Erkenntnisgewinn zu erlangen, indem sie eine weitverzweigte wissenschaftliche Initiative unter jüdischen Gelehrten förderten. Gelehrte wie Fürst, Geiger und Luzzatto erstrebten eine sich immer weiterentwickelnde wissenschaftliche Diskussion in der Wissenschaftspresse und in ihren Briefen, namentlich durch die Zusammenstellung von Quellen, Handschriften und von eigenen Werken und Studien. In manchen Fällen waren sich daher beide Briefpartner in dem Ziel einig, alle zusammengestellten Quellen und Forschungsergebnisse als Resultat der Wissens- und Wissenschaftsarbeit sichtbar und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Fall der Korrespondenz zwischen den beiden Briefpartnern Geiger und Luzzatto zeichnete sich die Dimension des geteilten literarischen, historischen, philologischen und bibliografischen Wissens als zentraler, aber kontroverser Träger dieser Kooperation und ihrer Fortdauer ab. Margolies’ Lektüre dieses Gelehrtenaustausches von Ende der 1970er-Jahre⁴ scheint den dichten Wissenstransfer und Medienaustausch, die gegenseitige Wahrnehmung und fachliche Rücksichtnahme beider Briefpartner, den Dissens und Konsens sowie die vertrauliche Austauschebene zwischen beiden Gelehrten im Laufe ihrer Kooperation nicht in der Tiefe berücksichtigt zu haben. Denn bisher ist geurteilt worden, die Lehren und Ansichten dieser beiden entscheidenden Persönlichkeiten der jüdischen Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts seien inhaltlich unvereinbar. Im Hinblick auf die publizistische Zusammenarbeit zwischen Geiger und Luzzatto Mitte des 19. Jahrhunderts kann zwar zweifelsohne festgehalten werden, dass Geiger auch immer wieder den Dissens und die spannungsreichen Motive zwischen ihm und Luzzatto öffentlich hervorhob und die Auseinandersetzung auf diese Weise auch verschärfte. Deutlich wird das vor allem, wie in dieser Arbeit dargestellt, in Geigers Artikeln über Luzzatto sowie in den Beiträgen Luzzattos, die er in seinem publizistischen Organ, der Wissenschaftlichen Zeitschrift für Jüdische Theologie, zum Ärger Luzzattos modifiziert veröffentlichte. In den Briefen lässt sich jedoch auch eine andere – sprachliche und menschliche – Beziehungsdimension zwischen den beiden Gelehrten beobachten, was von Geigers Anstrengung zeugt, trotz dieser öffentlichen Konflikte immer wieder einen Zugang zu Luzzatto zu finden. Doch wie diese Studie zeigen konnte, waren die geteilten Interessen und Ansichten über die Vorstellung jüdischer Literatur und das In Luzzatto, Salomo Ibn G’ebirol’s Lob und Preisgedicht auf Rabbi Jekutiël in Babylonien (20.08. 1847). Vgl. Wiener, Abraham Geiger and Liberal Judaism, 35; Margolies, S. D. Luzzatto. Traditionalist Scholar, 163.
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teresse für die bibelexegetischen Studien größer als bisher gedacht. Besonders die Arbeit am Werk Jehuda Halevis und die geteilte Kritik an Maimonides macht dies deutlich. Auch wenn Differenzen und divergierende Ansätze (etwa eine breite Zugänglichkeit und Popularisierung der jüdischen Literatur bei Geiger und ein national-ethisches Projekt bei Luzzatto) zwischen ihnen weiter bestanden oder sich sogar verschärften, sah Geiger in Luzzatto die Verkörperung des Geistes der jüdischen Wissenschaft, die Inkarnation der Forschergier und des wissenschaftlichen Engagements, die er bei jedem Forscher zu schätzen wusste. Geiger bewertete die energische Standhaftigkeit und Sturheit von Luzzatto als starkes, verbindendes Element. Das Potenzial dieser kontroversen und wechselhaften Partnerschaft von zwei Hauptfiguren der Wissenschaft vom Judentum im 19. Jahrhundert lässt sich gerade auch im Zwiespältigen, Unversöhnlichen, in der bleibenden Distanz und Dissonanz finden und nicht unbedingt ausschließlich in der Suche, diese Differenzen aufzulösen. Die spannungsgeladene Nähe und zugleich Distanz führten zu einer fruchtbaren Anziehungskraft zwischen und Produktivität bei beiden jüdischen Denkern. Auch wenn noch viele strittige Punkte und Uneinigkeiten zwischen den Parteien bestehen blieben, kristallisierten sich Kooperationen heraus, in denen die Briefpartner sich einig waren – etwa das Bestreben, alle zusammengestellten Quellen und Forschungsergebnisse als Resultat der Wissens- und Wissenschaftsarbeit, gleichsam als Ergebnisse einer Forschungsgemeinschaft, sichtbar und für die Nutzung einer breiten Gemeinschaft von Interessenten und Spezialisten zugänglich zu machen. In den Korrespondenzen zeigt sich ein gänzlich anderes Bild der Zustände und des Fortschritts der jüdischen Wissenschaft auf der italienischen Halbinsel als der Eindruck von Passivität, Marginalität und Trägheit, der in der deutsch-jüdischen Presse in jener Zeit oftmals vermittelt wurde. Das Verhältnis zwischen deutschen und italienischen Gelehrten war zwar sicher in vielerlei Hinsicht asymmetrisch, wenn es um etablierte Strukturen wie diejenige der Wissenschaft des Judentums und bessere Veröffentlichungsmöglichkeiten auf deutsch-jüdischer Seite ging. Der Wissensaustausch beruhte jedoch auch auf Gegenseitigkeit und auf der Bereitwilligkeit zur Förderung aller jüdisch-literarischen Bestrebungen, und die Gruppe italienisch-jüdischer Gelehrter – wie hier am Beispiel Luzzattos gezeigt – war in bestimmten Nischen dank ihrer Erkenntnisse den deutsch-jüdischen Gelehrten voraus. Die im 19. Jahrhundert entstandenen Diskussionen um ein neues jüdisches Religionsverständnis, um eine neue Auffassung von jüdischen Studien sowie um die Konstruktion eines Theologiekonzepts wurden in unterschiedlichen Orten und Kontexten geführt, etwa in studentischen und literarischen Kreisen und Vereinen in deutschsprachigen Gebieten, in Seminarräumen wie in Padua oder in der jüdischen Publizistik. Diese Diskussionen waren in Italien wie in Deutschland
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mit dem Versuch verbunden, Definitionen durchzuführen und Systematisierungen vorzunehmen. In Deutschland führten sie damals zu der Herausbildung von autonomen Systemen von Wissen und Wissenschaftsinstitutionen, in denen Heiliges und Profanes stark getrennt wurde; in Italien dominierte hingegen die Vorstellung, dass die Beziehung von Wissenschaft und Glauben hilfreich oder sogar notwendig ist. Dabei herrschten Meinungsunterschiede und Spannungen zwischen jenen jüdischen Gelehrten, die die Wissenschaft zu ihrem neuen „Glauben“ erklärten, und denen, die wiederum auf den Grenzen dieses neuen, modernen wissenschaftlichen Glaubens bestanden. Dies war Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer wachsenden Akkulturation, einer Teilhabe an der nichtjüdischen Gesellschaft und einem neuen Konzept von Bürgerlichkeit verbunden, die sich unter den italienischen Juden durchsetzten und mit einem neuen Verständnis von jüdischen Studien und vom modernen Rabbinat einhergingen. Im Hinblick auf die jüdische Theologie war dieses Konzept nicht nur ein besonders bahnbrechender Entwurf jüdischer Gelehrsamkeit, es schuf durch die an christliche Modelle anknüpfende Terminologie zudem eine ganz neue Erscheinung in der modernen jüdischen Wissenschaftswelt des 19. Jahrhunderts. Insbesondere bewegte sich das Theologiekonzept Luzzattos – ähnlich wie bei deutsch-jüdischen Gelehrten – bereits in Richtung eines neu zu prägenden Verständnisses vom Judentum in der modernen Zivilisation. Allerdings war die Formulierung von Theologieauffassungen italienisch-jüdischer Gelehrter, wie hier am Beispiel Luzzattos gezeigt, anders motiviert als im deutsch-jüdischen Fall. Die Reflexionen über eine „israelitische Theologie“ waren in Italien dadurch gekennzeichnet, dass das Theologiekonzept selbst zuerst provisorische und flexible Konturen hatte.⁵ Von Anfang an klar war aber, dass Forscher wie Luzzatto der Theologie keinen externen, „fremdartigen“, akademischen Status verleihen wollten. Vielmehr suchte Luzzatto eine Legitimation von innen her, die sich darauf berief, dass der ethische, philanthropische Kern dieser Theologie selbst fähig war, auch in der modernen westlichen Zivilisation seinen Beitrag zu leisten und als produktives Element zu fungieren. Dieser mosaische Kern im Judentum war immer fähig, sich aus sich selbst heraus zu erneuern, sodass er keiner Legitimation aus dem akademisch-christlichen Bereich bedurfte. Dieser Kern, der sich durch herausragende Qualitäten wie Pitié („Mitleid“) und Gesinnung, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit auszeichnete, erschien als Garant einer möglichen produktiven Zusammenkunft Über dieses Konzept von Theologie dachte Luzzatto im Laufe der Jahre mehrfach nach, im Gespräch mit seinen Briefpartnern und mit seinen Studenten. Dieses wurde geändert und umgeformt sowie, wie hier betont wurde, auch von nichtjüdischen philosophischen sowie christlichen Modellen beeinflusst.
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von Judentum und moderner Zivilisation. Nach Meinung Luzzattos besaß das Judentum die Fähigkeit, als ethisches Modell zu fungieren und neue Verantwortung in der modernen Welt zu tragen. Unter diesen Bedingungen war es für das Judentum nicht nötig, nach dem assimilatorischen oder dem akademischchristlichen Narrativ zu streben. Diese Konzepte unterschieden Luzzatto deutlich von den Überlegungen unter anderem von Leopold Zunz, dem Hauptvertreter der deutschsprachigen Bewegung der Wissenschaft des Judentums und Kämpfer für die Institutionalisierung des Studiums der jüdischen Literatur, und zugleich von der von Abraham Geiger geforderten Etablierung einer jüdisch-theologischen Fakultät an einer deutschen Universität. Während etwa Zunz die Wissenschaft des Judentums als Zweig der europäischen Wissenschaften an den Universitäten zu integrieren beabsichtigte, betrachtete Luzzatto einen gewissen Partikularismus bei der Bewahrung und Auseinandersetzung mit jüdischen Disziplinen als einzigen Schutz gegen Assimilation. Mit dieser theoretischen Ausrichtung seines jüdischen Wissenschaftsideals im Geist der Ethik hatte sich Luzzatto von dem Theologiekonzept, wie es von dem deutschen Reformrabbiner Abraham Geiger in seinen Schriften vertreten worden war, scheinbar weit entfernt. Doch wie die vorliegende Studie zeigte, setzten sich sowohl Geiger als auch Luzzatto in ihrem theologischen Konstrukt in erster Linie mit den Grundfragen der jüdischen Religion auseinander. Beide zielten darauf ab, eine neue Theologiekonstruktion zu vermitteln. Diese ging zum Großteil – sowohl von Geiger als auch von Luzzatto – aus den Vorlesungen für jüdische Studenten und Rabbinerkandidaten hervor. Beide Gelehrte entwarfen ein Religionskonzept, das stark auf ihre jeweils persönliche ideologische Orientierung im Judentum zugeschnitten war. Beide beabsichtigten trotz ihres divergierenden Verständnisses vom Judentum sowie ihrer unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen und programmatischen Leitlinien eine Reform der jüdisch-theologischen Studien. Im Untersuchungszeitraum spielten neben theologischen und religionsphilosophischen auch literaturhistorische, historische und philologische Debatten eine zentrale Rolle. Der neue Ansatz in Bezug auf die gesamte talmudische Literatur und jüdische Geschichte hatte sich auf deutsch-jüdischer Seite im 19. Jahrhundert – wie noch nie zuvor – auch ohne offizielle akademische und solide institutionelle politische Strukturen entwickelt, vor allem dank der Ideen von Leopold Zunz, Isaak Markus Jost, Eduard Gans, Moritz Steinschneider und Abraham Geiger. Dennoch beschäftigten sich nur wenige unter den deutsch-jüdischen Altertumsforschern im 19. Jahrhundert intensiv mit den Quellen der biblischen Texte, mit der Schriftauslegung der Thora und der jüdischen Hermeneutik und setzten sich auch mit philologischen Forschungen, mit
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sprachwissenschaftlichen Disziplinen (u. a. Hebräisch, Arabisch und anderen semitischen Sprachen) sowie den Disziplinen der Orientalistik auseinander. Hier richtete sich die Aufmerksamkeit der Mehrheit der deutsch-jüdischen Gelehrtengruppe bekanntlich auf die nachbiblische Zeit und ihre Literatur. Bei den italienisch-jüdischen Gelehrten trat zu keiner Zeit die rabbinische Literatur in den Vordergrund, wie es etwa bei Gelehrten wie Leopold Zunz der Fall war. Mangelnde Kenntnisse über den Talmud sowie über den Ursprung der rabbinischen Schriften waren in den italienischen Gebieten weit verbreitet. Deshalb veröffentlichten italienisch-jüdische Autoren meist Beiträge, die einem breiten Publikum allgemeine einführende Kenntnisse über den Talmud, über das Entstehen der talmudischen Bücher sowie die Bildung der unterschiedlichen rabbinischen Akademien lieferten. Diese Annäherungen an den Talmud erhoben, wie in dieser Arbeit erläutert, bis auf einzelne Ausnahmen keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Deutlich ist aber auch geworden, dass sich die zentrale Stellung der jüdischen Geschichte für die deutschen Anhänger der Wissenschaft des Judentums und darüber hinaus für die judaistischen Studien auch auf benachbarte Länder wie Italien auswirkte. Das hohe Niveau historischer Werke in deutscher Sprache wie derjenigen von Isaak Markus Jost sowie der Zuwachs von historischen Spezialstudien wurden von italienisch-jüdischen Gelehrten und Publizisten später rezipiert, teils mit erheblichen Vorbehalten, teils mit großer Faszination und Lob für den bahnbrechenden wissenschaftlichen Wert der historischen Arbeiten. Ein Ergebnis der vorliegenden Untersuchung besteht in der Erkenntnis, dass die Motive dieser kleinen Gruppe von italienisch-jüdischen Gelehrten mit Blick auf die jüdische Geschichtsschreibung in methodischer, vor allem aber auch in ideologischer Hinsicht ganz anders aussahen als bei der deutsch-jüdischen Gelehrtengruppe. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Mehrheit der – in ihrer Zahl insgesamt geringen – italienisch-jüdischen Gelehrten auf die bibelexegetischen Studien und das Studium der semitischen Sprachen, der Literatur und der hebräischen Philologie spezialisierte. Forscher wie Luzzatto konzentrierten ihre Studien, wie viele Haskala-Anhänger vor ihnen, auf die Bibel, auf die philologischen Studien sowie auf die hebräische Sprache und ihre Grammatik. Einen ähnlichen Weg schlugen auch viele zeitgenössische französisch-jüdische Gelehrte ein, jedoch mit kritischer methodischer Herangehensweise.⁶ Vergleichende Annäherungen an andere semitische Sprachen sowie ausführliche Analysen der grammatikalischen Phänomene und der philologischen Besonderheiten in den biblischen Texten waren
Berkovitz, The Shaping of Jewish Identity, 132.
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bei Gelehrten wie Luzzatto im Austausch mit Geiger sowie auch mit französischjüdischen Kollegen die Regel. Besonders wichtig zu betonen ist, dass in Deutschland im Feld der bibelexegetischen Studien Abraham Geiger eher eine Ausnahme darstellte. Die Bücher der Bibel wurden von italienisch-jüdischen Gelehrten wie Luzzatto allerdings nur in Auswahl wissenschaftlich erforscht, um den jüdischen Glauben nicht zu schwächen. Die intensive und exklusive Beschäftigung Luzzattos ausschließlich mit bestimmten Prophetenbüchern erweist sich als paradigmatisch. Bei näherer Betrachtung herrschten mit Blick auf die Exegese starke Meinungsunterschiede, sodass weder zu einheitlichen Positionen gefunden werden noch von einem offiziellen, homogenen bibelexegetischen Forschungsfeld die Rede sein konnte. Die ausgesprochen diversen Positionen in diesem Bereich erwiesen sich vor allem nach dem Tod Luzzattos als ausgesprochen wirksam, bestätigten aber zugleich den Willen der italienisch-jüdischen Gelehrten, einen eigenständigen Weg einzuschlagen und sich für die Weiterentwicklung der biblischen Studien zu engagieren. Im Fall der italienisch-jüdischen Forscher findet sich das Bestreben, ein gemeinsames jüdisches bibelwissenschaftliches Forschungsfeld zu entwickeln, erst in den späten 1860er-Jahren. Dies bestätigen das große Engagement und das zentrale Gewicht, das biblischen Studien hier eingeräumt wurde, ganz im Gegensatz zu den deutsch-jüdischen Gelehrten, die sich den biblischen Studien nur ausnahmsweise widmeten. D. h., die Forschung u. a. zur jüdischen Literatur, die Bibel- und Talmudkritik sowie die jüdische Geschichtswissenschaft hatten südlich und nördlich der Alpen je eine recht unterschiedliche Gestalt. In Italien spezialisierten sich viele jüdische Forscher auf eine hier besonders selektive Bibelkritik mit einer Kombination von kritischen und vergleichenden Methoden der Philologien, die sich als der „sicherste Weg“ in die Bibelforschung erwiesen. Wie ebenfalls gezeigt werden konnte, begegneten die italienisch-jüdischen Gelehrten im Laufe des 19. Jahrhunderts der zentralen Stellung der judaistischen Disziplinen in Deutschland mit einer Vielfalt von Reaktionen und Gegenreaktionen und in unterschiedlichen Phasen. Die Wahrnehmung der unumstrittenen deutsch-jüdischen Vormachtstellung aufgrund der Relevanz der wissenschaftlichen Resultate sowie der Neubestimmung der eigenen jüdischen Tradition mittels einer historisch-kritischen Annäherung war noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch ein eher spannungsvolles, problematisches Verhältnis gekennzeichnet. Festzustellen ist ein lebhaftes, dialogisches und intellektuell anspruchsvolles Aufeinandertreffen, aber auch eine meist kritische Positionierung bzw. eine undifferenzierte Abneigung gegenüber den deutsch-jüdischen Gelehrten und deren wissenschaftlichen Einsichten. Diese Haltung wandelte sich jedoch im Laufe der Zeit, insbesondere seit die bevorzugte Stellung Luzzattos auf vielen Forschungs-
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gebieten sichtbar wurde und seine literaturwissenschaftlichen Leistungen auch über Italien hinaus Wirkung entfalteten – auch noch weit über seinen Tod hinaus, bis in die 1870er-Jahre. Man sollte deshalb seine Rolle als inspirierende Kraft für viele deutsch-jüdische Gelehrte und deren Forschungen, aber zugleich für viele jüdisch-wissenschaftliche Fachgebiete unbedingt nicht unbeachtet lassen. Ferner verkörperte die schiere publizistische Anwesenheit Luzzattos jene italienisch-jüdischen literarischen Leistungen, welche die internationalen jüdischen Gelehrtenkreise – und in erster Linie deutschsprachige Forscher – rezipierten. So wurden seine sprachwissenschaftlichen, literaturhistorischen und exegetischen Werke auch von deutsch-jüdischen Forschern als Kanon akzeptiert. Luzzatto, der – ähnlich wie viele Mitforscher – von den Schriften Moses Mendelssohns beeinflusst worden war, sah diese jedoch zugleich auch kritisch. Seine vergleichende „wörtliche“ („letterale“) und streng philologische Annäherung an die jüdischen Texte machten ihn keineswegs zu einem Anhänger oder gar Imitator des bibelexegetischen Erbes Mendelssohns. Seine philologischen Forschungen, seine Werke für die Studenten am Collegio und die zahlreichen Beiträge u. a. zum Korpus der Mischna und zur hebräischen Dichtung für die deutsch-jüdischen Periodika bestätigten dies. Die deutsch-jüdische Presse nahm die beachtliche Rolle der philologischen und linguistischen Studien in Italien mit den Nachfolgern Luzzattos wahr. Insbesondere hatten hier die bibelexegetischen Studien, die am Anfang vernachlässigt worden waren, mit Luzzatto und seinen Studenten am Collegio großen Schwung und erhebliche wissenschaftliche Bedeutung auch jenseits der Grenzen Italiens gewonnen. Luzzattos Werke galten immer noch als zentrale Nachschlagewerke für deutsch-jüdische Forscher. Die italienisch-jüdische Presse bemerkte mit patriotischem Stolz nach Luzzattos Tod, wie der italienische Gelehrte, Bibelforscher und Philologe „infolge des Mangels an wahren Spezialisten und des Desinteresses für die biblischen Studien“⁷ in seinem eigenen Land wenig geschätzt sei, besonders im Vergleich zu seiner Wahrnehmung im Ausland und gerade in den deutschsprachigen Ländern. Publizisten wie Flaminio Servi zeigten 1872 eine ausgeprägte Gleichgültigkeit in Bezug auf die biblischen Studien in Italien und hoben hervor, wie das Bibelprojekt Luzzattos im Gegensatz zum anfänglichen Schaffensdrang nun sehr langsam vorangehe.⁸ Zeitgleich setzte nur eine kleine Minderheit aus dem ohnehin kleinen Kreis italienisch-jüdischer Forscher eine objektivere, wertfreie Orientierung an deutschjüdischen Mustern durch und befasste sich mit einer reflektierten laizistischen Grundhaltung und Neuorganisation der jüdisch-historischen Studien in Italien –
A. Curiel, „Monumento Luzzatto“, Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871), 234– 239: 236. Vgl. F. Servi, „Cronaca Mensile Italiana“ Educatore Israelita 20 (1872), 217– 220: 219.
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so etwa Moisé Colombo oder David Castelli mit seiner Annäherung an den Talmud. Viele italienisch-jüdische Rabbiner und Forscher unterschiedlicher Prägung wagten doch eigene Projekte für die jüdischen Studien, wie die Beispiele aus der jüdischen Presse beweisen. Dies zeugt aber nicht von einer Anpassung und einer neuen Ausrichtung jüdischen Wissens für den italienischen universitären Kontext, wie es die Absicht vieler deutsch-jüdischer Gelehrter wie Zunz, Steinschneider und Geiger gewesen war. Auf deutsch-jüdischer Seite nahm die theoretische und programmatische Neuorientierung in der Annäherung an die eigene jüdische Tradition bereits bei den Vertretern der ersten Generation der Wissenschaft des Judentums eine herausragende Bedeutung an. Dies setzte zugleich eine tiefe Identifikation mit deutschen historisch-kritischen und philosophischen Mustern voraus – in einer Epoche, in der Philosophen wie Fichte und Hegel Professoren an den Universitäten und Mentoren vieler deutsch-jüdischer Protagonisten der ersten Generation von Gelehrten der Wissenschaft des Judentums, wie Eduard Gans und Leopold Zunz, gewesen waren. Es war diese erste Generation, die unbedingt eine institutionelle Verankerung der jüdischen Disziplinen an den deutschen Universitäten anstrebte und mittels dieser Institutionalisierung im akademischen Habitus ihre Akzeptanz als gleichberechtigte deutsche Bürger erhoffte.⁹ Universale säkulare Werte, historisch-kritische Methoden und überkonfessionelle Herangehensweisen wurden damals bei vielen deutsch-jüdischen Intellektuellen wie Leopold Zunz, Eduard Gans und Isaak Marcus Jost zu leitenden Prinzipien. Auf beiden Seiten war das Bedürfnis vorhanden, definierbare Kenntnisse in Bezug auf das jüdische Wissen zu liefern. So hatten es sich Leopold Zunz mit seiner Systematisierung der Disziplinen einer Wissenschaft des Judentums, Isaak Samuel Reggio mit seinem Entwurf für die höhere Ausbildung der Rabbiner und auch Samuel David Luzzatto mit seinen Theologievorlesungen und Geschichtslehrbüchern am Collegio Rabbinico zum Ziel gesetzt. Wissenschaft bedeutete aber nur für die deutsch-jüdischen Gelehrten etwa disziplinäre Konformität. Aus italienisch-jüdischer Perspektive hingegen ging es nicht um ein Bedürfnis nach einer Einheitlichkeit der jüdischen Studien. Die Absicht von Gelehrten wie Luzzatto, Mortara, Pontremoli und Colombo bestand vielmehr darin, die wissenschaftliche Erforschung des jüdischen Wissenskorpus zu etablieren, ohne den universitären Habitus als notwendig zu erachten. Dennoch waren ihnen Glaubwürdigkeit und eine gewisse Institutionalsierung ein Anliegen. Außerdem musste der Korpus der jüdischen Disziplinen selbstkritisch in den Blick genommen, transformiert und für einen vornehmlich innerjüdischen Gebrauch neu
Vgl. Meyer, Two Persistent Tensions within Wissenschaft des Judentums, 107.
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formuliert werden. Der vorgegebene Rahmen vieler jüdischer Disziplinen, der während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Untersuchungen und von den Auffassungen Luzzattos und Della Torres sowie des Rabbinerkreises am Collegio Rabbinico in Padua gesetzt wurde, brauchte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht im Vergleich zum deutsch-jüdischen Diskurs eine neue, stabilere wissenschaftliche, aber auch breit akzeptierte Gegenstandskonstitution. Die theologischen und wissenschaftlichen Resultate hatten das Collegio von Padua zu einer etablierten und namhaften höheren theologischen Institution in Europa gemacht, die den Fortschritt der jüdischen Studien bewies. Das rabbinische Studium in akademischer Form und die Wissensvermittlung, die in den Jahren dank der Tätigkeit der Professoren des Collegio Rabbinico ermöglicht wurde, erlebten aber bis Mitte der 1880er-Jahre einen harten Schlag.¹⁰ Das Verständnis von jüdischen Studien auf deutsch-jüdischer Seite war von Universitätsprofessuren dominiert, die nur auf dem Papier an Modelle außerhalb jeglicher religiöser Zugehörigkeit anknüpften. So erklärt sich das Streben nach der Etablierung jüdisch-theologischer Fakultäten und von Lehrstühlen für die Wissenschaft des Judentums aus deutsch-jüdischer Perspektive – und schließlich die Enttäuschung nach dessen Scheitern. Aus italienisch-jüdischer Perspektive ging es dagegen viel stärker um die Verbreitung, die Nutzung und das Teilen jüdischen Wissens für eine jüdische intellektuelle Gemeinschaft, verbunden mit Idealen der Bürgerkultur, Bürgerlichkeit und Modernisierung und einer neuen soziopolitischen Identität. Gewiss war die italienisch-jüdische Gelehrtengruppe in vielerlei Hinsicht mit der ideologischen Herrschaft und wissenschaftlichen Dominanz der deutsch-jüdischen Gelehrtengruppe konfrontiert. Dabei standen die deutsch- und die italienisch-jüdischen Gelehrten mitsamt ihren sehr unterschiedlichen Auffassungen vom Judentum einander in einem aufwendigen und teilweise hitzigen Austausch gegenüber. Dennoch wollte die kleine italienisch-jüdische Gelehrtengruppe nicht einfach als Anhängsel der jüdischen Forschung wahrgenommen werden und versuchte stattdessen, ihre eigenen Akzente zu setzen. Der Einsatz von italienischen Gelehrten für die jüdische Wissenschaft und deren Festlegung im Judentum sowie für eine Definition von Wissenschaft im Sinne einer Stärkung der jüdischen Religion und Tradition bewirkte aber auch, dass es dieser kleinen Gruppe gelang, die Distanz zu den deutschen Glaubensgenossen mit den beschriebenen Forschungsresultaten und der literarischen Produktion zu überbrücken.
Bis zur Errichtung 1887 des Collegio Rabbinico Italiano in Rom existierte keine einheitliche rabbinische Anstalt im italienischen Einheitsstaat.
Epilog Zwischen einer neuen identitären Selbstreflexion und einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnissuche Die nachemanzipatorische Phase des italienischen Judentums im neuen Einheitsstaat nahmen die jüdischen Gelehrten wie auch die anderen Akteure und Akteurinnen der nachfolgenden Generationen im Vergleich zur Zeit der Revolutionen des Risorgimento besonders bewusst als gewandelte, neue Ära wahr.¹ Die Erfahrung des Risorgimento, die Fort- und Rückschritte der sozialen und politischen Verhältnisse sowie die Spannungen des Emanzipationsprozesses behielten auch weiterhin wesentliche Relevanz. Im Vergleich zur vorhergehenden Generation entfaltete sich die Dichotomie zwischen privatem und öffentlichem Bereich, zwischen ethnischer und religiöser Zugehörigkeit nun noch einmal anders. Nach der italienischen Staatsgründung spielte die Kontinuität eines religiösen Gruppenbewusstseins in den verschiedenen Gemeinden eine unterschiedlich bedeutende Rolle, während die Bedeutung der Gemeinden als Referenzpunkt jüdischen Lebens immer mehr abnahm.² Parallel dazu eignete sich die Zeit, um spezifisch jüdisch-ethische Werte und Traditionen wiederzuentdecken – etwa über neue Identitätsentwicklungen und um eine neue jüdische Selbstverortung in der italienischen Gesellschaft nachzudenken, was untrennbar mit dem Zugehörigkeitsgefühl zur italienischen Nation verbunden war. Darüber hinaus brachte die Zeit eine neue Einstellung gegenüber der katholischen Umgebungsgesellschaft sowie gegenseitigen Austausch. Dies geschah infolge der intensiveren Vernetzung und regeren Kontakte zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Einflussbereichen – und nicht zuletzt infolge der katholischen Dominanz über entscheidende Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in Italien. Doch brachte die italienische Einheit den Juden noch mehr Freiraum sowie nachhaltige Anreize bezüglich ihres Engagements für die italienisch-liberale Gesellschaft. Sie bot ihnen neue Legitimationsmuster und ein breites Spektrum von
Vgl. über die Rolle italienisch-jüdischer Frauen in der postunitarischen italienischen Gesellschaft: M. Miniati, Le „Emancipate“. Le donne ebree in Italia nel XIX e XX secolo, Roma 2008. Vgl. ebd., 151. Mit der Emanzipation registrierten sich Fälle in denen italienische Juden ihr Recht herausverlangten, aus Assimilationsgründen und religiösem Indifferentismus von der eigenen jüdischen Gemeinde auszutreten. https://doi.org/10.1515/9783110768558-012
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Möglichkeiten auch im Bereich der staatlichen Verwaltung sowie des öffentlichen Dienstes.³ In Italien wurden nach der Einigung Theorien um einen moralischen Regenerationsprozess der Italiener vonseiten italienischer Gelehrter, Politiker und Schriftsteller in Romanen, Artikeln und Pamphleten reichlich thematisiert und debattiert. Insbesondere wurden Giuseppe Mazzinis und Massimo D’Azeglios kritische Haltung zum Charakter der Italiener wiederbelebt. Viele Passagen aus D’Azeglios Schriften, vor allem aus seinen Memoiren,⁴ ließen sich in der italienischen Presse jener Zeit als Mahnung zu einem dringenden moralischen Regenerationsprozess lesen.⁵ Diese Diskussionen gewannen rasch an öffentlicher Aufmerksamkeit. Auf italienisch-jüdischer Seite waren auch italienische Rabbiner in den jüdischen Periodika an diesen Themen beteiligt, denen eine hohe gesellschaftliche Relevanz zukam.⁶ In jener Zeit stellte sich die katholische Kirche als allererste Opponentin gegen die liberale italienische Regierung. Konservative katholische Kreise waren dezidierte Gegner des damals offiziellen laizistischen Staatsverständnisses Italiens; jeder Idee von Fortschritt, Liberalismus und Modernität stellte die katholische Seite einen ausgeprägten Konservativismus und Antilaizismus entgegen.⁷ Zielscheibe einer herabwürdigenden, schändlichen Kampagne war der bürgerliche, liberale Jude geworden, der von der Kirche als Inbegriff der Modernität wie
F. Servi, „Cronaca Mensile Italiana, Casale 1. Mai 1872“ Educatore Israelita 20 (1872), 153 – 155: 155. Catalan, Juden und Judentum in Italien von 1848 bis 1918, 77. Vgl. auch Bettin, Italian Jews from Emancipation to the Racial laws, 30 – 31. R. Hamaui, Ebrei a Milano. Due secoli di storia fra integrazione e discriminazione, Bologna 2016, 60. M. D’Azeglio, I miei ricordi, Firenze 1867. Patriarca, Italianità, 40, 55 – 56. Es wurde damals auf ein Bedürfnis nach einer moralischen Regeneration der Italiener verwiesen. Nur eine Reform der Moral hätte die mit den Italienern assoziierten Vorurteile wie die Apathie, die Untätigkeit, die Unentschlossenheit und Faulheit weggeschoben und die italienische Bevölkerung zu guten, treuen, arbeitsamen Bürgern im neuen Staat gemacht. Im Zuge der zentralen Diskussionen und Debatten um Fare gli Italiani, ihren moralischen Charakter und wie dieser zu reformieren sei, leisteten auch Rabbiner wie Marco Mortara und Salomone Jona der Gemeinde von Modena mit ihren jeweiligen ideologischen Vorstellungen in den Kolumnen jüdischer Periodika ihren Beitrag. Vgl. M. Borutta, „Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe.“ In Hettling und Nolte (Hg.), Bürgertum, Göttingen 2010, 15. Die katholischen Ultramontanen wollten den Primat von Kirche und Religion über den Staat und die weltliche Herrschaft des Papstes aufrechterhalten.
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auch parallel als aktives Mitglied der Freimaurerbewegung bezeichnet wurde.⁸ Alte antijüdische Anfeindungen, Stereotypen und Anschuldigungen wie u. a. der Ritualmordverdacht wurden in ganz Europa wiederbelebt, von einer antiliberalen, abgehärteten katholischen Publizistik aktualisiert und systematisch in Artikeln und Repliken verwendet.⁹ Im italienischen Kontext erklärte die konservative katholische Presse in der Person ihrer Redakteure den Redakteuren der italienisch-jüdischen Presse offen den Krieg – so im Fall der Polemik zwischen Giuseppe Levi des Educatore Israelita und dem katholischen Theologen Giacomo Margotti (1823 – 1887), des offiziellen konservativen Periodikums der Jesuiten L’Unità Cattolica.¹⁰ In dieser Auseinandersetzung sensibilisierte die italienisch-jüdische Presse ihr Publikum über rasant steigende katholische Angriffe in der lokalen Presse.¹¹ Parallel dazu berichtete sie dank ihrer weit reichenden europäischen Vernetzung etwa besorgt über Episoden der Intoleranz, der Gewalt und des Fanatismus gegen die jüdische Bevölkerung im Ausland, vor allem in den Habsburgischen Ländern und osteuropäischen Gebieten.¹² Festzustellen ist, dass diese antijüdischen Aggressionen und Anfeindungen durch die schnelle Propagierung in der Presse zu transnationalen Medienereig S. Formiggini, „L’Unità Cattolica“ Il Corriere Israelitico 10 (1871– 1872), 185 – 188: 187. Vgl. hierzu Taradel und Raggi, La segregazione amichevole, 20 – 21, 26; M. Caffiero, Storia degli ebrei nell’Italia moderna. Dal Rinascimento alla Restaurazione, Roma 2014, 215. P. Modena, „La calunnia del sangue. Traduzione dall’ebraico di Pacifico Modena Rabbino Maggiore di Spalato“ Il Corriere Israelitico 11 (1872– 1873): 31– 32. Vgl. C. Facchini, Infamanti dicerie. La prima autodifesa ebraica dall’accusa del sangue, Bologna 2014, 8 – 9, 12. Taradel und Raggi, La segregazione amichevole, 40. G. Levi, „Il sacrifizio pasquale. Onorevole Direttore dell’Unità Cattolica“ Educatore Israelita 20 (1872): 156 – 157; ders., „Un’autorevole e coscienziosa dichiarazione. I Papi e gli ebrei“ Ebd. 20 (1872): 161– 164. S. Formiggini, „L’Unità Cattolica e gli Archives Israelites“ Il Corriere Israelitico 10 (1871– 1872): 273 – 276. Hier antwortete Saul Formiggini mit einer Replik an Don Margotti dem Redakteur der Unità Cattolica, der plötzlich – so Formiggini – von ebreofobia, Judenangst, überkommen worden war. A. Curiel, „Accusa e ritrattazione“ Il Corriere Israelitico 11 (1872– 1873): 46 – 50; ders., „L’Unità Cattolica e gli Ebrei“ Ebd. 11 (1872– 1873), 50 – 52; ders., „L’Unità Cattolica“ Ebd. 12 (1873 – 1874): 16 – 19. Es handelte sich um sehr konservative katholische Kreise, die auf lokaler Ebene an Einfluss gewonnen hatten. „G.“, „Corrispondenza privata, Galatz, 30. April 1870; 3. Juni 1870“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871), 28, 64; A. Curiel, „Persecuzione“ Ebd., 68; ders. „La processione di sangue a Brusselles“ Ebd., 85 – 87; „F.“, „Corrispondenze private, Vienna, 10. September“ Ebd., 173 – 174; A. Curiel, „Rivista“ Ebd., 197– 200: 199; G. Levi, „La Romenia“ Educatore Israelita 20 (1872): 199 – 205; G. Levi, „Una persecuzione religiosa fatta da atei“ Ebd. 20 (1872): 205 – 209; F. Servi, „Breve risposta ad un’osservazione“ Ebd., 210 – 212; A. Curiel, „Persecuzioni“ Il Corriere Israelitico 11 (1872– 1873): 33 – 38.
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nissen wurden. Jedoch war nicht nur die Entwicklung in Rumänien, Österreich und im Zarenreich besorgniserregend, sondern auch im vereinten Italien war das Idealbild des egalitären italienischen Bürgers jüdischen Glaubens von wachsenden antisemitischen Anfeindungen wie Verschwörungstheorien und Vorwürfen doppelter Zugehörigkeit betrübt.¹³ Im Einklang mit alten antijüdischen Unterstellungen und Stereotypen religiösen Charakters vertrat diese antijüdische Propaganda neue, an die zeitgenössischen soziokulturellen und politischen Rahmenbedingungen und Probleme der nachemanzipatorischen Ära angepasste Anschuldigungen gegen die jüdische Bevölkerung.¹⁴ Vor diesem Hintergrund wuchsen die Anfeindungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung spürbar an, die man nun für jedwede gefährdete sozialwirtschaftliche Situation und die zunehmenden Fehlentwicklungen der Gesellschaft in der Zeit des Fin de Siècle verantwortlich machte.¹⁵ Als Reaktion hierauf sind Artikel des Educatore Israelita und des Corriere Israelitico hervorzuheben, die an das Engagement der Juden in den Befreiungskriegen in der Zeit des Risorgimento erinnerten. Anhand ihres herausragenden sozialpolitischen Einsatzes im Risorgimento und während der italienischen Staatsgründung ließen sich unterschiedliche Argumente vonseiten der Rabbiner und Publizisten aufzeigen. So erschienen Beiträge, die bisher unveröffentlichte Korrespondenzen aus der Zeit des Risorgimento ans Licht brachten. Insbesondere handelte es sich dabei um Korrespondenzen, die von italienisch-christlichen Denkern und religiösen Persönlichkeiten wie Carlo Cattaneo, Niccolò Tommaseo, Vincenzo Gioberti und Massimo D’Azeglio verfasst und mit italienischen Rabbinern ausgetauscht wurden.¹⁶ Dies passierte mit der Absicht, ihre wohlwollende, Vgl. C. Facchini, „Antisemitismo delle Passioni. ,La Palestra del Clero‘ e il tema del deicidio“ Storicamente 7 (2011), 1– 30: 14– 15; A. Curiel, „Siamo conseguenti!“ Il Corriere Israelitico 9, 1870 – 1871, 174– 175. Hier machte der Hauptredakteur Curiel auf einen Artikel der Gazzetta di Trieste aufmerksam, der über Anfeindungen gegen die jüdische Bevölkerung der Stadt Mantuas berichtete. Ders., „Le feste per la pace e gli Ebrei“ Il Corriere Israelitico 10 (1871– 1872): 90 – 91. Hier setzte ein christlich-englischer Autor die uneingeschränkte Zuliebe und Hinwendung der sozial aufgestiegenen jüdischen Bürger als treue, engagierte Mitglieder ihrer jeweiligen Nationalstaaten infrage. Zwar war die Sprache der antijüdischen Propaganda durch Hass, Spott, Verachtung wie Vorurteil geprägt. In jener Zeit kristallisierten sich neue Formen antisemitischer Haltung heraus, die sich als politischer Antisemitismus abzeichneten und sich mit bereits existierenden katholischen antisemitischen Feindbildern eng verbündeten. Facchini, Antisemitismo delle Passioni, 4– 5. Dies., „Le metamorfosi di un’ostilità antica. Antisemitismo e cultura cattolica nella seconda metà dell’Ottocento“ Annali di storia dell’esegesi 27 (2010), 1, 189 – 232: 205 – 207. Vgl. dies., Antisemitismo delle Passioni, 8; A. Capone, „Antisemitismo cattolico e letteratura popolare tra Otto e Novecento. Intorno all’opera di Ugo Mioni“ Studi Storici 2 (2016), 389 – 421: 392. Zu Carlo Cattaneos Filosemitismus siehe Hamaui, Ebrei a Milano, 47– 49.
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progressive Stellung gegenüber dem Judentum sowie der italienisch-jüdischen Bevölkerung erneut sichtbar zu machen¹⁷ und gleichzeitig den wiederholten Anfeindungen und Anschuldigungen diffamierender Artikel der etablierten lokalen italienischen Presse etwas entgegenzusetzen.¹⁸ Das Bedürfnis, das politisch-soziale Engagement der italienischen Juden in der Zeit des Risorgimento, ihr Nationalbewusstsein sowie ihre starke Identifikation mit dem laizistischen Charakter des liberalen Einheitsstaates mit besonderer Emphase hervorzuheben, setzte den Willen voraus, eine Art heroisch-jüdischen Elan, eine jüdische „Erinnerungskultur des Risorgimento“ (memoriale risorgimentale), aufleben zu lassen. Dahinter stand auch die Absicht, die Unruhe in Bezug auf die wachsende Krise nach dem abgeschlossenen Emanzipationsprozess zu verdrängen.¹⁹ Dies erfolgte insbesondere im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und war auf die Kombination neuer politischer und sozialer Umstände wie auch auf die wiederholte Präsenz antisemitischer Topoi von der jüdischen Weltverschwörung, Anschuldigungen in Bezug auf Ritualmord und doppelter Zugehörigkeit in der italienisch-katholischen Presse auf lokaler Ebene zurückzuführen.²⁰ Der Corriere registrierte die Fakten aus den osteuropäischen Gebieten nicht nur akribisch und besorgt, sondern ergriff mit der Feder seiner Redakteure auch Partei. Die jüdische Gemeinde Triests schwebte damals immer wieder zwischen ambivalenten Gefühlen von Dankbarkeit gegenüber und Zugehörigkeit zur Habsburgermonarchie einerseits und tiefen antiösterreichischen Ressentiments andererseits – wie auch von einem großen patriotischen Stolz, wieder Teil der italienischen Nation zu sein, aber auch von einem Unbehagen, da diese Zuge Es wurden auch dezidiert Zitaten aus Cattaneos und D’Azeglios Schriften und Stellungnahmen über den Zustand der Juden in offene Briefe und Repliken wiedergegeben. A. Curiel, „Una lettera del Tommaseo al Dr. Barzilai“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 77– 78; ders., „Una lettera di Vincenzo Gioberti al Rabb. S. Jona“ Ebd., 90 – 93; ders., „Ricordi storici. Una lettera di Massimo D’Azeglio, Rom, 3. Dezember 1847“ Ebd. 13 (1874– 1875): 269. A. Carpi, „La Religione e l’onestà“ Ebd. 11 (1872– 1873): 8 – 10. „I tempi volgono gravi per tutti: pei Francesi, per gli Italiani, per gli Austriaci e pegli stessi Alemanni vincitori. Tutti hanno bisogno più che mai di moderazione, di saviezza, di concordia.“ In dem vorher zitierten Artikel der Gazzetta di Trieste wird die Eroberung Roms als die Vervollkommnung des Regenerationsprozesses der Italiener begrüßt. Curiel, Siamo conseguenti!, 175. Vgl. Facchini, Le metamorfosi di un’ostilità antica, 211. Vgl. T. Catalan, „Le reazioni dell’ebraismo italiano all’antisemitismo europeo (1880 – 1914).“ In C. Brice und G. Miccoli (Hg.), Les racines chrétiennes de l’antisémitisme politique (fin XIXe– XXe siècle), Rom 2003, 137– 162: 139; Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei Italiani, 186; vgl. u. a. M. Mortara, „Risposta ad un articolo della Vedetta Cristiana“ Il Corriere Israelitico 10 (1871– 1872), 69 – 73: 70; G. Levi, „Corrispondenza dell’Educatore. I piccoli casi di Ancona“ Educatore Israelita 20 (1872): 143 – 144; ders., „I fatti di Smirne“ Ebd., 171– 172; ders., „Rumenia“ Ebd., 199 – 205; ders., Una persecuzione religiosa fatta da atei.
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hörigkeit gerade bedroht wurde. In diesem Klima nahm sie die zunehmende Distanzierung vom ursprünglich laizistischen und liberalen Charakter des italienischen Einheitsstaats und die gefährliche antisemitische Haltung katholischer wie auch breiterer gesellschaftlicher Kreise frühzeitig besorgt wahr. Ende des 19. Jahrhunderts war Triest auch die erste jüdische Gemeinde, die in den Kolumnen ihres Periodikums die Grundideen der zionistischen Bewegung in Italien befürwortete und parallel dazu große Sorgen gegenüber den immer häufigeren antisemitischen Attacken jener Zeit äußerte.²¹ Unter Bezugnahme auf den deutschen Kontext, der für die Rezeption antisemitischen Gedankenguts in Italien generell große Relevanz hatte, stellten Redakteure wie Aronne Curiel fest, wie die sich vermehrenden antisemitischen Vorfälle und Anschuldigungen gegen Juden auch in Deutschland ähnlichen Mustern folgten wie im liberalen Italien.²² Inzwischen erhoben italienische liberale Politiker und progressive katholische Kreise Einspruch gegen diese Zunahme des Antisemitismus; trotzdem war es eine Minderheit, die ihre Missbilligung offen zeigte.²³ Gleichzeitig zeichneten sich aber neue interkonfessionelle Verhältnisse ab, die sich – infolge der Radikalisierung eines katholischen Antisemitismus – nicht mehr entschärfen ließen. Vor diesem Hintergrund wuchsen die Spannungen in der italienischen Publizistik spürbar an, zumal als die offiziellen katholischen Kreise ein exklusiv katholisches Nationalbewusstsein in Italien voranzutreiben versuchten. Darüber hinaus strebte die katholische Kirche nun wieder danach, einen weit reichenden Einfluss auf möglichst viele entscheidende gesellschaftliche – kulturelle wie politische – Bereiche und Institutionen auszuüben.²⁴ Als
Catalan, Le reazioni dell’ebraismo italiano all’antisemitismo europeo (1880 – 1914), 144. Die Artikel der deutsch-jüdischen Presse wiesen die politische Weltverschwörung, die wirtschaftliche Ausbeutung und die Unfähigkeit, sich dem politischen Normensystem der jeweiligen Staaten treu zu halten auf. A. Curiel, „Rivista. La Kreuzzeitung e gli Ebrei“ Il Corriere Israelitico 11 (1872– 1873), 253 – 255: 253; E. Olper, „Unità Cattolica“ Ebd. 12 (1873 – 1874): 16 – 19; A. Curiel, „Sommario, Una giusta condanna“ Ebd. 13 (1874– 1875), 197– 199: 197. Vgl. Catalan, Le reazioni dell’ebraismo italiano all’antisemitismo europeo (1880 – 1914), 137– 162. A. Curiel, „Rivista“ Il Corriere Israelitico. 10 (1871– 1872), 261– 263: 262; Levi, Rumenia, 172; ders. „Simpatia del mondo civile per gli israeliti rumeni“ Educatore Israelita 20 (1872): 172– 175; A. Curiel, „La Pastorale di monsignor vescovo“ Il Corriere Israelitico 12 (1873 – 1874): 259 – 260; A. Lattes, „Documenti interessanti“ Ebd. 13 (1874– 1875): 8 – 9. Hier bedankte sich der Hauptrabbiner von Venedig Abramo Lattes in einem Brief folgendermaßen bei dem Senatsvorsitzenden Giuseppe Musio für seine unterstützenden Äußerungen in Anbetracht der Judenemanzipation: „mentre ancora in questi tempi che si vorrebbero appellare tempi di civiltà, ben molto abbondano i pregiudizi e tanto scarseggiano gli imitatori di Dohm, di Mirabeu e dei fratelli D’Azeglio, ai quali ora è da aggiungere l’illustre senatore Musio.“ Facchini, Le metamorfosi di un’ostilità antica, 207.
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zentral erwies sich die Geltung der spezifisch katholischen Moral für die Domäne der Erziehung und des Schulwesens. Die großen Hoffnungen, welche die Artikel der jüdischen Publizistik mit einem beeindruckenden Optimismus und einem Vertrauensgefühl an den italienischen Einigungsprozess geknüpft hatten, drohten nun in den 1870er- und 80erJahren zerschlagen zu werden. An deren Stelle trat eine reine Desillusionierung, wie die bitteren Worte des Redakteurs des Triester Periodikums Aronne Curiel belegen: „Zeiten von Fortschritt und Reaktionismus, von Toleranz und Missbrauch, von Ängsten, Zweifeln.“²⁵ Die Gefahr einer Krise, die nicht ausschließlich das Judentum und seine religiösen Prinzipien, sondern auch andere Religionen bedrohte, kam bei vielen Rabbinern und Publizisten jener Zeit zum Ausdruck: Zahlreiche Artikel und Appelle gegen den religiösen Indifferentismus thematisierten auch einen unaufhaltsamen Auflösungsprozess der monotheistischen Religionen.²⁶ Aufgrund der steigenden antijüdischen Polemiken reaktionärer katholischer Kreise vertieften sich die Distanzierung und auch die Konfliktlinien zwischen katholischen und jüdischen Fronten in vielerlei Hinsicht. Rabbiner wie Salomone Jona (1822– 1904) aus der Gemeinde von Modena betonten die Erhaltung einer jüdischen Integrität und den Vorrang bzw. die Überlegenheit des Judentums gegenüber allen anderen Religionen. Nach Ansicht Jonas sollte sich das Judentum als religiöse Gemeinschaft zusammenschließen und zu diesem Zweck gemeinsam an einem Strang ziehen.²⁷ Andere Rabbiner wie Flaminio Servi betonten einerseits die Werte der Solidarität und der Brüderlichkeit mit der Mehrheitsgesellschaft, andererseits aber warnten die Leser des Corriere Israelitico vor einer „unkontrollierten Assimilation“ und plädierten für eine notwendige Bewahrung der Grenzen in Sachen Moral und Religion: „Die Grenzen sollten nun respektiert werden, wie auch die Grenzen der Moral, die des Denkens und die sogenannten geografischen Spaltungen des Glaubens.“²⁸ Dieser Appell an eine notwendige Abgrenzung stand auch im Zusammenhang mit steigenden Übertritten zum Katholizismus und Protestantismus
[Übers. d.Verf.] („Tempi di progresso e di reazione, di tolleranza ed abusi, di timori, di dubbi.“) Es seien besonders trübe Zeiten für das Judentum gewesen, die damals viele Widersprüche in sich trugen. A. Curiel, „Al benigno lettore“ Il Corriere Israelitico 10 (1871– 1872): 3 – 4. S. Jona, „La situazione. Lettera ad un amico“ Ebd. 11 (1872– 1873), 280 – 283: 282– 283. Ebd., 281. [Übers. d. Verf.] („I confini vanno rispettati, e si rispettino eziandio i confini morali, i confini del pensiero, le divisioni geografiche direm così della fede.“) F. Servi, „Solidarietà Israelitica“ Il Corriere Israelitico 13 (1874– 1875), 66 – 68: 67.
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sowie der steigenden Zahl der Mischehen, die in der jüdischen Presse große Relevanz erhielten.²⁹ Für die Redakteure der italienisch-jüdischen Presse erhielt der Rekurs auf das Risorgimento durch die gemeinsame Erfahrung der Befreiungskriege zusätzliche religiöse Bedeutung. In vielen Artikeln ist die Tendenz hervorzuheben, das sozialpolitische Engagement und die patriotische Gesinnung der italienisch-jüdischen Bevölkerung für das italienische Vaterland als religiös-ethische Pflicht wahrzunehmen. Der starke Bezug auf eine uneingeschränkte Identifikation mit dem italienischen Vaterland wie das besonders ausgeprägte patriotische Verhalten jüdischer Bürger war – nach Meinung vieler Publizisten – mit dem ethischen und sozialen Kern des Judentums und seinem universalistischen Charakter eng verknüpft. Neben dem zivilgesellschaftlichen Ethos argumentierten viele Beiträge der jüdischen Presse, dass es sich um ein Gebot Gottes handelte, das die Juden anwies, sich dem eigenen italienischen Vaterland (der Patria) zuzuwenden und diesem aufrichtig zu dienen.³⁰ Das Anknüpfen an ethische, aus dem Judentum abgeleitete Prinzipien wie die moralische Verpflichtung jedes Einzelnen, sich für das eigene Vaterland einzusetzen, der Sinn für Gerechtigkeit sowie die Übernahme sozialer Verantwortung wurden von mehreren Stimmen in der italienischjüdischen Presse argumentiert: „Unverletzbar wie unantastbar sind jedem Juden die vom eigenen Vaterland aufgelegten Pflichten.“³¹ Dem mosaischen Kern innewohnende Prinzipien von Brüderlichkeit, Humanität und sozialer Gerechtigkeit sahen u. a. Hauptrabbiner Marco Mortara und Rabbiner Flaminio Servi als eminent ethische Prinzipien des Judentums.³² Vor diesem Hintergrund verfüge das Judentum ihnen zufolge nicht nur über ein ausgeprägtes Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein, sondern habe all die Eigenschaften und Grundsätze, um als Priestertum für die zukünftige goldene Zeit der Menschheit zu dienen.³³ Das Judentum war z. B. nach Ansicht Mortaras ein Priestertum des Friedens, der
Über die Gesetzgebung die Zivilehen betreffend und über Mischehen im deutschen Kaiserreich und Österreich. A. Curiel, „Rivista“ Il Corriere Israelitico 11 (1872–1873): 161– 165, 161; ders., „Sommario. Conversioni“ Ebd. 13 (1874– 1875), 197– 199: 197– 198. Vgl. auch Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 63 – 65. Auch Artikel aus der deutsch-jüdischen Presse wie u. a. diejenigen aus dem progressiven Periodikum Der Israelit, die im Corriere rezipiert wurden, bewiesen die hohe politische Teilnahme und liberale Gesinnung der deutsch-jüdischen Bevölkerung. Dazu priesen die Artikel ihre besonders aktive Teilnahme an den Wahlen. Vgl. M. Mortara, „Il Giudaismo e il socialismo“ Il Corriere Israelitico 12 (1873 – 1874): 223 – 224. „Ad ogni ebreo sono sacri inviolabili i doveri impostigli dalla Patria.“ Ebd., 223. Ebd., 224. F. Servi, „Breve risposta ad un’osservazione“ In Educatore Israelita 20 (1872): 210 – 212. Mortara, Risposta ad un articolo della Vedetta Cristiana, 70.
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Humanität und der Zivilisation, und seine monotheistische Idee würde in Zukunft der ganzen Menschheit dienen können.³⁴ Nach der italienischen Einheit zeigte sich ein anderes Bild jenes jüdisch-religiösen Zugehörigkeitsgefühls als in der voremanzipatorischen Zeit. Nun sprach aus den Artikeln und Abhandlungen vieler Rabbiner ein umfassend ethisches Empfinden intensiver Zusammengehörigkeit mit der Umgebungsgesellschaft. Gleichzeitig wurden aber auch jene moralischen, ethischen Werte und Traditionen des Judentums aufgerufen und einer neuen Idee vom italienisch-jüdischen Bürger dienlich gemacht. Diese Werte, die Mortara besonders stark in seinen Artikeln Ende der 1860er- und Anfang der 1870er-Jahre hervorhob, sollten nun der jüdischen Bevölkerung Italiens den Weg nicht mehr in die italienisch-bürgerliche Gesellschaft, sondern in eine neue Dimension des jüdischen Selbstbewusstseins ebnen. Ihm zufolge sollten nicht nur defensiv die ethischen Werte des Judentums in den Vordergrund gestellt, sondern als ursprünglich jüdisch zurückgewonnen werden.³⁵ Das Judentum galt nunmehr als ideelles Reservoir ethischer und ästhetischer Werte, die bei vielen jüdischen Protagonisten jener Zeit unter den veränderten interkonfessionellen Gegebenheiten und parallel im innerjüdischen Diskurs neue Brisanz gewannen. Ab den 1870er-/80er-Jahren verschärften sich die Fronten in Italien zwischen den Rabbinern, die Reformen für nötig hielten, und denjenigen, die in Anbetracht der Kultusveränderungen ihre Opposition immer noch äußerten. Italienische Rabbiner blieben in den 1870er-, 80er- und 90er-Jahren weiterhin Einzelgänger, die kein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl bewiesen. Sie fanden es schwierig, sich mit einer einheitlichen, kollektiven rabbinischen Institution zu identifizieren. Manche von ihnen blieben isoliert, manche versuchten – ohne Erfolg –, Allianzen zu bilden, wie im Fall von Rabbiner Marco Mortara, der ab dem Jahrgang 1871/72 eine hitzige Reformpolemik mit anderen italienischen Rabbinern in den Kolumnen der jüdischen Publizistik entfesselte. Sein ganz konkreter Vorschlag beabsichtigte, den dreizehnten Segensspruch vom täglichen Gebet abzuschaffen.³⁶ Dezidiert gegen Mortaras Reformkonzepte ergriffen Rabbiner wie Salomone Jona aus der Gemeinde von Modena in vielen Artikeln Partei. Jona vertrat eine etwas andere Konzeption von „Reform“: Er wehrte sich explizit gegen jegliche
Ders., Sull’Avvenire del Giudaismo, 215. Mortara, Risposta ad un articolo della Vedetta Cristiana, 72. Ders., Errori e Pregiudizj; Mortara, Risposta ad un articolo della Vedetta Cristiana, 70. Ab dem Jahrgang 1871/72 war Mortara in den Kolumnen des Corriere von Triest in einer abgehärteten und aufwendigen Auseinandersetzung nicht nur mit Rabbiner Jona, sondern mit zeitgenössischen italienischen Rabbinern über das Reformieren im Judentum und in erster Linie über seinen Reformentwurf beschäftigt.
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Synode und Reform, da die Verwendung solcher Begriffe dezidiert an christliche Konzepte erinnere.³⁷ Jonas Reformvorstellung beruhte vielmehr auf Initiativen im jüdisch-kulturellen und wissenschaftlichen Bereich. Er beabsichtigte indes mit seiner „Reform“ eine breite, tiefgründige Erneuerung der jüdisch-wissenschaftlichen Studien. Reform bedeutete für ihn, das Judentum mit neuen wissenschaftlichen, philosophischen und philologisch-literarischen Werken zu bereichern.³⁸ Noch im Jahr 1873 versuchte Mortara mit einem Aufruf auf Unterstützung im Corriere Israelitico, möglichst viele Leser, in erster Linie Rabbiner, zu erreichen. Mortara war bestrebt, neben einem einheitlichen Gemeindeverband auch finanzielle Mittel für den jüdischen Kult vonseiten der italienischen Regierung anzufordern.³⁹ Dass dies ein Versuch war, wieder Unterstützung und Rückenwind vom italienischen Rabbinat für ein strukturiertes Finanzierungsmodell zu gewinnen, ist ebenso offensichtlich wie der politisch-emanzipative Gehalt seines Vorschlags. Die italienisch-jüdischen Gemeinden sollten sich nach seiner Vorstellung idealerweise in staatlich anerkannte und – nach französischem Modell – auch in staatlich finanzierte Strukturen umwandeln.⁴⁰ Im Mittelpunkt der Debatten stand ein Bedürfnis nach Uniformierung, nach Einheitlichkeit und nach einer Reglementierung der Verhältnisse mit dem italienischen Einheitsstaat.⁴¹ Wie die vielen Artikel der jüdischen Presse berichten, existierten Animositäten und Konflikte innerhalb und zwischen den Gemeinden sowie auch zwischen den jeweiligen Rabbinern, Vorstehern und Mitgliedern, die bis weit ins frühe 20. Jahrhundert bestehen bleiben sollten.⁴² Die verschiedenen Anregungen und Vorschläge, Leitlinien für eine institutionelle und einheitliche Repräsentanz der italienischen jüdischen Gemeinden als Kollektiv vor der italienischen Regierung zu schaffen, blieben lange Zeit um-
S. Jona, „La situazione. All’Ecc.mo Sig. M. Mortara Rabbino Maggiore di Mantova“ Il Corriere Israelitico 12 (1873 – 1874), 5 – 11: 9. Ebd., 5 – 11. Bei Jona und seiner Reformvorstellung zeichnet sich die positivistische Wissenschaft als zentraler Bezugspunkt ab. Dennoch wies sein Reformkonzept auch deutliche kabbalistische Einflüsse auf, die sich als entscheidend für das Aufwachen religiöser Gefühle erweisen sollten. M. Mortara, „Un nuovo progetto d’associazione tra le comunioni israelitiche italiane“ Il Corriere Israelitico 12 (1873 – 1874): 190 – 192: 191. Ebd., 190 – 192. Andere Rabbiner wie Flaminio Servi schlugen noch Mitte der 1870er-Jahre weitere rabbinische Vereinigungsmodelle vor. F. Servi, „Programma per l’associazione rabbinica in Italia“ Ebd. 13 (1874– 1875): 68. Vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 151– 161. Es herrschten in vielen jüdischen Gemeinden Animositäten und Meinungsunterschiede u. a. in Anbetracht der Gemeindebeiträge und Steuer, die jede Gemeinde von ihren Mitgliedern abzuheben hatte.
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stritten.⁴³ Mit einem pluralistischen Judentum der vielstimmigen Überzeugungen ohne interne Kohäsion erwies es sich als ungemein schwierig, an gesellschaftspolitischem Ansehen und Glaubwürdigkeit nach außen zu gewinnen und konsequent als adäquater Ansprechpartner der italienischen Regierung wahrgenommen zu werden.⁴⁴ Eine erfolgreiche Fortführung der von Rabbiner Mortara bereits Mitte der 1850er-Jahre gestarteten Publizistikkampagne um die Rabbinerversammlungen und ihre Bedeutsamkeit sollte erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert gelingen. Erst 1914, nach einem offiziellen Kongress der italienisch-jüdischen Gemeinden 1909 in Mailand, wurden die Anstrengungen Mortaras zum Teil mit dem Statut des Consorzio delle università e comunità israelitiche italiane umgesetzt.⁴⁵ Das stete Ringen Mortaras um gemeinsame Anliegen und Einheitlichkeit des italienischen Rabbinats war von den unterschiedlichen Beteiligten des italienischen Judentums abhängig. Anstatt einen gemeinsamen Weg zu gehen, hielten viele italienische Rabbiner stur an ihrer Position fest, da sie Einschränkungen ihrer Autorität nicht verhandeln wollten. Der Blick auf das italienische Rabbinat Ende des 19. Jahrhunderts zeigt, dass italienische Rabbiner durchaus unterschiedliche ideologische Wege einschlugen. Sie waren von einem ausgeprägten liberalen Individualismus gekennzeichnet, teilweise auch von einem beeindruckenden gesellschaftspolitischen Engagement, einer starken Identifikation mit und stolzen Zugehörigkeit zur italienischen Nation, was häufig in einer gesellschaftspolitischen Desillusionierung und bitteren Krisenerfahrung mündete. Andere dagegen schwebten zwischen kritischem Engagement für den Fortschritt der Wissenschaft vom Judentum, Idealismus und dem Festhalten an der jüdischen Tradition. Daher blieben die Antworten, welche die italienisch-jüdischen Gelehrten und Rabbiner formulierten, äußerst widerstreitend und vielfältig. Das Judentum im vereinten Italien war weit entfernt von der Konstruktion geschweige denn der Konsolidierung einer Einheitlichkeit an Ideen, religiösen Positionierungen, Programmen und Intentionen. Diese multiplen Seelen des italienischen Judentums reflektierten sich in einer Vielfalt an jüdischen Mikrokosmen auf lokaler Ebene, die teilweise auch in sich besonders heterogene Einstellungen zeigten.⁴⁶ Im Hinblick auf die universitären Einrichtungen, die in der Zeit vor der Einheit in den jeweiligen Herzogtümern, Kleinstaaten und Regionen zersplittert waren, Ebd., 150; 164; A. Curiel, „Palpiti e chiacchiere“ Il Corriere Israelitico 12 (1873 – 1874): 229 – 230. Ferrara degli Uberti, Fare gli Ebrei italiani, 150. Hamaui, Ebrei a Milano, 66. Catalan, Le reazioni dell’ebraismo italiano all’antisemitismo europeo (1880 – 1914), 140. Vgl. Ferrara degli Uberti, Fare gli ebrei italiani, 148.
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hatte mit der italienischen Vereinigung eine Umstrukturierung stattgefunden. Hinzu kam 1873 – nach langen parlamentarischen Debatten – der Ausschluss der theologischen Fakultäten von den staatlichen Universitäten des neu gegründeten Königreichs Italien. Bei genauer Betrachtung hatten die Ausschlussgründe ihre Wurzeln nicht nur im zugespitzten Antiklerikalismus und Laizismus des neuen liberalen Einheitsstaates, sondern können vielmehr als Resultat verschiedener miteinander verbundener Phänomene und der parallelen Interessen verschiedener Gruppierungen gelesen werden. Sie waren auch auf eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen zurückzuführen, welche die neue liberale Regierung Italiens unmittelbar vor und nach der Einigung für die theologischen Fakultäten auf den Weg gebracht hatte.⁴⁷ Dazu kam ein ambivalentes Verhalten der römischen Kurie diesbezüglich, das sich zwischen ausgeprägtem Desinteresse gegenüber und Delegitimierung der theologischen Studien universitären Charakters erstreckte, sowie der zunehmende Abbruch der Theologiestudien vonseiten katholischer Kleriker.⁴⁸ Dies lag auch darin begründet, dass die neue liberale Regierung mit der Trennung zwischen säkularen und theologischen Studien die absolute Kontrolle in Sachen universitärer Bildung und Schulwesen behalten wollte und sich parallel dazu gegenüber den katholischen Einflüssen auf die Bildung und Erziehung ablehnend zeigte.⁴⁹ In den 1870er-Jahren verlagerten sich die Studien der jüdischen Philologien, der Hebraistik, der semitischen Sprachen und die damit verbundenen Studien der Orientalistik zum Teil in andere Zentren Norditaliens, etwa nach Mailand oder nach Mittelitalien, z. B. nach Rom und in die Toskana. Ab dieser Zeit beschrieben die zahlreichen auf die Orientalistik spezialisierten Periodika sowie die neu gegründeten Akademien, Einrichtungen und Vereine, die sich in jener Zeit vermehrten,⁵⁰ einen wachsenden Trend zur Verwissenschaftlichung und Professio-
Diese staatlichen Maßnahmen hatten mit der Legge Casati (13. November 1859) begonnen und als Höhepunkt das nach dem Guarentige-Gesetz vom Jahre 1871 das Scialoja-Correnti-Gesetz im Jahre 1873 gehabt. So hatte die Regierung einem Prinzip des Separatismus zwischen Staat und Kirche zufolge, eine dezidiert laizistische Politik verfolgt. Vgl. P. Giovannucci, „La fine della facoltà teologica. Implicazioni e riflessioni.“ In F. Agostini (Hg.), L’ateneo di Padova nell’Ottocento. Dall’Impero asburgico al Regno d’Italia, Milano 2019, 203 – 225: 204– 205, 209. Vgl. Ebd., 208. Innerhalb kurzer Zeit nahm die Zahl der Studierenden an den theologischen Fakultäten auf der ganzen italienischen Halbinsel weiter ab. M. Miele, „Scienze sacre nell’Ateneo di Padova tra confessionismo giurisdizionalista e separatismo liberale.“ In F. Agostini (Hg.), L’ateneo di Padova nell’Ottocento. Dall’Impero asburgico al Regno d’Italia, Milano 2019, 133 – 163: 148. Vgl. auch Facchini, Orientalistica e ebraismo, 120. L. E. Funaro, „,Cose d’Oriente‘. Studi ebraici e orientalismo nella Firenze del secondo Ottocento. Inediti da un epistolario in Formative Christianity in the Light of Modern Age“ Annali di Storia dell’Esegesi 31 (2014), 2, 203 – 232: 205. 1871 etablierte sich in Florenz die erste etnologische
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nalisierung der jüdischen Philologien, der Orientalistik und der Semitistik. Wachsendes Interesse erlebten auch die wissenschaftlichen Studien zur Volkskunde, Mythologie und Indologie sowie die komparatistischen Literaturwissenschaften. Im Vergleich zu Frankreich und dessen Kreis von Gelehrten um den katholischen Historiker und Orientalisten Ernest Renan (1823 – 1892) wie auch zu den Professuren der Orientalistik in Deutschland, etwa in Leipzig oder Berlin, blieb die Zahl der Orientalistiklehrstühle und der Semitistik an den italienischen Universitäten jedoch immer gering.⁵¹ Im Zuge der großen Faszination für diese Fächer und ihr Umfeld erlebten auch die neuen archäologischen und kartografischen Entdeckungen, wie die Berichte und Befunde zahlreicher Naturwissenschaftler, Reisender und Forscher, einen großen Aufschwung. Der Impuls, den die mit dem Orient verknüpfte literarische Produktion und die archäologischen Entdeckungen erlebten, die Verbreitung und Popularisierung dieses Themenfeldes nahmen auch die jüdischen Periodika der Zeit wahr.⁵² Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konstituierten sich die Studiengänge der Orientalistik, der Hebraistik und der Semitistik in den Universitäten der Toskana, d. h. in Pisa und in Livorno, sowie in den Akademien in Florenz, was durch christliche und jüdische Gelehrte wie Fausto Lasinio (1831– 1914), David Castelli, Salvatore De Benedetti (1818 – 1891), Angelo de Gubernatis (1840 – 1913) ermöglicht wurde. Diese neue Generation von italienischen Gelehrten – auch wenn sie sich als recht kleine wissenschaftliche Nische in Italien herauskristallisierte – verwendete nun einen neuen wissenschaftlichen Zugang zu und einen neuen Umgang mit den Texten der religiösen jüdischen Tradition und Literatur. Nach wie vor pflegte man viele Kontakte und wissenschaftliche Beziehungen mit deutschen und französischen Gelehrten. So wurden weiterhin Meinungen, Ideen, neue Projekte und Studien ausgetauscht, diskutiert und in den Kolumnen der spezialisierten wissenschaftlichen deutschen und französischen Periodika argumentiert und am Leben gehalten. Auffällig ist zudem die Bereitwilligkeit der beteiligten italienischen Gelehrten, miteinander Quellenmaterial u. a. aus der Biblioteca Laurenziana in Florenz auszutauschen und über dessen Veröffentlichung der Allgemeinheit zugänglich zu machen.⁵³ Dazu zählten Handschriften, alte
Gesellschaft und im Jahre 1872 wurde die Società italiana per gli Studi orientali gegründet. 1878 tagte immer in Florenz der internationale Kongress der Orientalisten. Ebd., 205. Über archäologische Entdeckungen insbesondere eine Gedenktafel, die den Namen Moses trug. F. Servi, „Varietà“ Il Corriere Israelitico 10 (1871– 1872), 326 – 328: 326 – 327. Funaro, „Cose d’Oriente“, 211. Vgl. zu Lasinios Forschungen: S. Jona, „Bibliografia. Descrizione e Compendio del discorso intorno al Gan Eden del Rabbino Chaiim Israel per Pietro Perreau.
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Codices, einzelne Fragmente von Drucktexten und hebräischen Schriften.⁵⁴ Gelehrten wie Fausto Lasinio pflegten z. B. intensive Kontakte mit deutschen Orientalisten in München und Berlin, u. a. mit Abraham Berliner und Moritz Steinschneider.⁵⁵ Eine grundlegend gewandelte Textwahrnehmung kennzeichnete das Werk Salvatore De Benedettis, Professor der Hebraistik an der Fakultät der Italianistik und Philosophie der Universität in Pisa. Anders als Luzzatto vertraten jüdische Literaturforscher aus dem Kreis De Benedettis eine historisch-kritische Herangehensweise an die Schriften. Sie suchten die Hebraistik mit den modernen Methoden der Textkritik und der Komparatistik zu betreiben. Deshalb untersuchte Salvatore De Benedetti die Texte der Bibel und der talmudischen Literatur mit einer Annäherungsweise, die jedes theologische oder religiöse Element, wie etwa voreingenommene Haltungen, mied.⁵⁶ De Benedettis Wertschätzung für die deutsche Wissenschaft des Judentums, ihre Forscher und Gelehrten machte den Professor zum Kenner der zeitgenössischen wissenschaftlich-philologischen und literarischen Fortschritte in Deutschland.⁵⁷ In seiner Übersetzung und seinem kritischen Kommentar zu Jehuda Halevis Gedichtsammlung Canzoniere Sacro di Giuda Levita (1871) machte De Benedetti daraus kein Hehl, die zeitgenössischen deutsch-jüdischen Gelehrten und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse im Hinblick
Studio sopra Averroe per Fausto Lasinio. Prima continuazione“ Il Corriere Israelitico 13 (1874– 1875): 274– 278. A. Curiel, „Rivista bibliografica“ Ebd. 13 (1874– 1875): 164– 165: 164. Es handelt sich um eine kurze Meldung über das von Abraham Berliner herausgegebene Werk des Kabbalisten Moses Zacuto (1625 – 1697) Yessod Olam und die unternommene Forschungsreise Berliners in die Bibliotheken von Parma und Rom. Über Steinschneider vgl. Y. Schwartz, „Jewish Orientalism Pre-modern and Modern. Epochal Variations of Cultural Hybridity?“ In O. Fraisse (Hg.), Modern Jewish Scholarship on Islam in Context. Rationality, European Borders, and the Search for Belonging, Berlin 2018, 31– 59: 50 – 51. Fausto Lasinio war auch mit der Società orientale Germanica vernetzt, für die er als Korrespondent tätig war. Funaro, „Cose d’Oriente“, 203 – 232: 212. S. De Benedetti, L’Antico Testamento e la letteratura italiana. Discorso letto da Salvatore De Benedetti professore di lingua ebraica per la inaugurazione degli studi dell’anno scolastico 1884 – 1885, Pisa 1885, 5. De Benedetti widmete sich intensiv den philologischen und komparatistischen Studien, insbesondere legte er seine Aufmerksamkeit auf die italienische Literaturwissenschaft des Mittelalters, auf Texte der hebräischen mittelalterlichen Literatur insbesondere der hebräischen Poesie. Bemerkenswert ist seine kritische Auseinandersetzung mit Jehuda Halevis Dichtung, insbesondere seinem Canzoniere Sacro. Rabbiner Flaminio Servi bezeichnete De Benedetti als Nachahmer der „Deutschen Schule“. Servi, Cronaca Mensile Italiana, 219
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auf die Bibelkritik wie auch auf die jüdische Literatur und die hebräische Sprache des Mittelalters anzuerkennen.⁵⁸ In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etablierte sich mit Gelehrten wie Graziadio Isaia Ascoli (1829 – 1907), Fausto Lasinio oder David Castelli die uneingeschränkte Anerkennung der historisch-kritischen und wissenschaftlichphilologischen Methoden in den deutschen Universitäten Berlin und Leipzig und galten nun als unangefochten. Insbesondere rezipierte Graziadio Isaia Ascoli, der als der Begründer der Dialektforschung und Sprachwissenschaften in Italien gilt, mit großer Bewunderung und positivistischer Sachlichkeit deutsche Vorbilder.⁵⁹ In jener Zeit, als die Debatte zur italienischen Sprache viele Diskussionen und Reaktionen hervorrief, wurde Ascoli der Theoretiker eines neuen Konzepts einer Wiedergeburt der italienischen Sprache. Er, der ursprünglich aus einer jüdischen Familie aus Görz – noch Teil des Habsburgerreichs – stammte, theorisierte ein Modell von Sprache, das der Professor der Orientalistik und Komparatistik an der Universität Mailand von verschiedenen kulturellen wie linguistischen Traditionen gleichzeitig beeinflusst sah.⁶⁰ Der Weitblick Ascolis mit seinem engagierten Projekt für die neu zu prägende kulturelle Politik Italiens erzählte u. a. von der Dringlichkeit, die zutiefst erlebte Kluft zwischen habsburgischer Mentalität und italienischer Identität wiedergutzumachen. Parallel dazu ging es auch darum, neben gemeinsamen linguistischen Ausdrucksformen auch neue kulturelle Werte für den Vorgang des italienischen Einheitsprozesses und gleichzeitig für eine gewünschte, sich weiterentwickelnde wissenschaftliche Diskussion unter italienischen Forschern, Spezialisten und interessierten Laien zu erschließen. Triest als Geburtsstätte Samuel David Luzzattos, eines der wichtigsten Repräsentanten der italienischen Wissenschaft vom Judentum, zeichnete sich im Hinblick auf die italienisch-jüdischen Verhältnisse als eine Stadt blühender mitteleuropäischer Kultur und kosmopolitischen Charakters aus. Triest und seine jüdische Gemeinde wollten sich ab der zweiten Hälfte der 1860er-Jahre nicht damit begnügen, als Peripherie der jüdischen Wissenschaft betrachtet zu werden. Vielmehr bot sich die Stadt mit ihrem jüdischen Periodikum, dem Corriere Israelitico, als Bindeglied zwischen deutschem und italienischem Judentum an,⁶¹ d. h. auch zwischen zwei sehr unterschiedlichen Ansätzen der Wissenschaft. Dabei war der Wille erkennbar, als wichtige Achse des Informations- und Wis-
S. De Benedetti, Canzoniere Sacro di Giuda Levita tradotto dall’ebraico e illustrato da Salvatore De Benedetti con introduzione, Pisa 1871, VII. Funaro, „Cose d’Oriente“, 230. L. Tomasin, „Proemio all’ ,Archivio glottologico italiano‘ (1873).“ In A. Casellato und S. Levis Sullam (Hg.), Leggere l’unità d’Italia. Per una biblioteca del 150°, Venezia 2011, 15 – 17: 15. A. Curiel, „Cronaca israelitica del mese“ Il Corriere israelitico 6 (1867), 97– 102: 97– 99.
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sensaustauschs, als Knotenpunkt von Gelehrtenbeziehungen, Informationen, wissenschaftlichen Theorien, kulturellen und ästhetischen Werten sowie Darstellungsmodi zu fungieren. Dies alles wollte die Stadt nach all den Missverständnissen und der Feindseligkeit, die die vorhergehenden Jahre gekennzeichnet hatten, mittels der Wissenschaftssprache des Positivismus und anhand neuer Wissenschaftskooperationen erreichen.⁶² Man gestand die Vernachlässigung mancher wissenschaftlicher Gebiete zu und lobte zugleich den großen Fortschritt auf deutscher Seite mit Arbeiten jüdischer und christlicher Gelehrter in Fachgebieten wie der Bibelkritik, der Geschichtswissenschaft und den philosophischen und literaturhistorischen Studien. Die Bewunderung für die deutsche akademische Kultur bewegte einige der involvierten politischen Akteure in der Debatte der 1870er-Jahre um die Umstrukturierung der theologischen Fakultäten dazu, ein überkonfessionelles Modell des theologischen Studiums nach deutschem Vorbild zu befürworten.⁶³ Zur selben Zeit setzte sich Rabbiner Mortara mit einem modernen wissenschaftlichen Konzept von Religionskritik auseinander. Jenes überkonfessionelle, offene, akademische theologische Studium, das damals bloß theorisiert wurde, war ein offensichtlicher Affront gegen das Programm von politischer und religiöser Restauration der konservativen katholischen Kirche, das die Bewahrung eigener, exklusiv katholischer Handlungsspielräume wie die Domäne der Schule und der höheren Bildung für zentral hielt. Diese Reflexionen bestätigen eine mit Blick auf die Zukunft der theologischen Studien, der biblischen Tradition und der Bibelwissenschaft in Italien nur angedeutete erste kritische Auseinandersetzung. Im Hinblick auf den Fortschritt der jüdischen Studien und auf die Resultate der Wissenschaft des Judentums war die Einbindung der Rabbinerseminare wie des Collegio Rabbinico Italiano in Florenz und später des Collegio Rabbinico in Rom nicht mehr die wichtigste, unabdingbare Voraussetzung für den jüdischen Partikularismus in Italien. Dies bestätigte die wissenschaftliche Tätigkeit von jüdischen Gelehrten wie Umberto Cassuto (1883 – 1951). Bei ihm lösten sich rabbinische und akademische Karriere als Dozent am Collegio Rabbinico Italiano (1899) in Florenz und als Professor der Hebraistik und der Vergleichenden Semitistik an der Universität La Sapienza in Rom gegenseitig ab. Gerade sein rationalistisches Verständnis der Bibel eröffnete Cassuto den Weg zu seinen bahnbrechenden wissenschaftlichen Studien im Bereich der Bibelkritik
Ebd., 99. Vgl. Giovannucci, La fine della facoltà teologica, 214.
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und der Semitistik Anfang des 20. Jahrhunderts, die er zusammen mit anderen Forschern an der Universität Jerusalem in den 1930er-Jahren weiterführte.⁶⁴ Letztendlich war aus dieser Dialektik zwischen zutiefst geteilten ethischen Werten und Stereotypen der italienischen Mentalität, aus den neuen gesellschaftlichen Partizipationsräumen, aber auch aus der Einbindung in partikulare jüdische Traditionen und aus den verschiedenen Identitäten und Zugehörigkeiten im postunitarischen Italien doch ein Krisengefühl entstanden. Die neue politische und existenzielle Selbstverortung der italienischen Juden im Einheitsstaat forderte sie heraus, vielmehr eine über sich selbst und ihre Ambivalenzen kritisch reflektierende italienisch-jüdische Gemeinschaft zu schaffen. Doch blieb mit Blick auf die Fragmentierung des italienischen Judentums wie auch der gesamten italienischen Gesellschaft und ihren offensichtlichen Gegensätzen dieses Bestreben noch weitgehend unerfüllt.
Vgl. G. Rigano, „Umberto Cassuto all’Università di Roma.“ In A. M. Piattelli und A. Rofé (Hg.), Umberto Cassuto, Maestro di Bibbia nel Paese della Bibbia. La Rassegna Mensile di Israel 82, 2– 3 (Mai–Dezember 2016 / Iyar 5776–Tevet 5777), 117– 136.
Verzeichnis der Quellen und der Forschungsliteratur Ungedruckte Quellen Dokumentation über das Collegio Convitto Rabbinico von Padua, die sich im Archiv der jüdischen Gemeinde von Venedig, „Archivio Renato Maestro“ ACEV befindet. Ordner 164: Akte N. 26: über die Kriterien der Zulassung am Collegio. Akte N. 30: Grundlinien über die Wahl der Professoren. Akte N. 46: über die Institutionsphase. Ordner 167: Umschlag B über das Regolamento; Dokumentation über das Gebäude. Ordner 170: Akte 112: über die ersten am Collegio abgehaltenen Prüfungen im Jahr 1834; Akte 128: Akte 136 zu den Jahren 1859 – 1861. Ordner 173: Akte zu dem Jahre 1858; zu dem Jahre 1860 über die Erweiterung der Programme am Collegio; 1861 – 1864 über die Ausgaben des Collegio. Centro Bibliografico Tullia Zevi, UCEI, Fondo Samuel David Luzzatto, bb: 17, Rom. Frankel an Luzzatto, Padua, März 1862, XIII, 3482. Fürst an Luzzatto, Padua, 13. 06. 1846, VII, 440. Fürst an Luzzatto, Padua, 27. 07. 1846, VII, 272. Fürst an Luzzatto, Padua, 09. 04. 1854, IX, 474. Geiger an Luzzatto, Padua, 13. 04. 1842, VI, 2972. Geiger an Luzzatto, Padua, 10. 07. 1849, VII, 2975. Geiger an Luzzatto, Padua, 21. 08. 1849, VII, 2976. Geiger an Luzzatto, Padua, 11. 09. 1849, VII, 2994. Geiger an Luzzatto, Padua, 09. 10. 1849, VII, 2977. Geiger an Luzzatto, Padua, 12. 02. 1850, VIII, 2969. Geiger an Luzzatto, Padua, 11. 06. 1850, VIII, 2970. Geiger an Luzzatto, Padua, 24. 09. 1850, VIII, 2978. Geiger an Luzzatto, Padua, 25. 02. 1851, VIII, 2979. Geiger an Luzzatto, Padua, 07. 03. 1851, VIII, 2981. Geiger an Luzzatto, Padua, 20. 03. 1851, VIII, 455. Geiger an Luzzatto, Padua, 09. 10. 1851, VIII, 0531. Geiger an Luzzatto, Padua,03. 11. 1851, VIII, 2993. Geiger an Luzzatto, Padua, 29. 12. 1851, VIII, 2992. Geiger an Luzzatto, Padua, 20. 05. 1852, VIII, 608. Geiger an Luzzatto, Padua, 01. 11. 1852, VIII, 450. Geiger an Luzzatto, Padua, 16. 11. 1852, VIII, 2995. Geiger an Luzzatto, Padua, 15. 02. 1856, X, 2987. Geiger an Luzzatto, Padua, 14. 03. 1856, X, 2990. Geiger an Luzzatto, Padua, 11. 06. 1856, X, 2988. Geiger an Luzzatto, Padua, 23. 03. 1857, XI, 2964. Geiger an Luzzatto, Padua, 06. 09. 1857, XI, 2966. Rovighi an Luzzatto, Padua, 05. 06. 1845, VI, 3985. Rovighi an Luzzatto, Padua, 18. 06. 1845, VI, 3991. https://doi.org/10.1515/9783110768558-013
Werke und Beiträge Samuel David Luzzattos in Zeitungen und Zeitschriften
351
Rovighi an Luzzatto, Padua, 17. 07. 1845, VI, 3957. Rovighi an Luzzatto, Padua, 02. 01. 1848, VII, 3973. Rovighi an Luzzatto, Padua, 19. 01. 1848, VII, 3979.
Ungedruckte Quellen Luzzattos Copialettere, Fondo Samuel David Luzzatto, Miszellen 1, XVI, 4253 – 4334. In: Centro Bibliografico Tullia Zevi, Archivio Storico dell’Unione delle comunità ebraiche italiane, UCEI, Rom. „Taccuino antropologico“, Fondo Samuel David Luzzatto, Miszellen 2, XVII, 4461. In: Centro Bibliografico Tullia Zevi, Archivio Storico dell’Unione delle comunità ebraiche italiane, UCEI, Rom.
Werke und Beiträge Samuel David Luzzattos in Zeitungen und Zeitschriften Prolegomeni ad una grammatica ragionata della lingua ebraica, di Samuel David Luzzatto da Trieste, Professore di lingua ebraica e caldaica, sacra esegesi teologia dogmatica e morale, e storia israelitica nel Collegio rabbinico di Padova. Padova: Tipografia e fonderia Cartallier, 1836. „Briefwechsel über religiöse Zustände, S. D. Luzzatto in Padua an I. S. Reggio in Görz“ Israelitische Annalen 1 (29. 03. 1839) 13: 99 – 100; 1 (05. 04. 1839), 14: 107 – 108; 1 (17. 05. 1839), 20: 156 – 157; 1 (24. 05. 1839), 21: 163 – 164; 1 (19. 07. 1839), 29: 227 – 228; 1 (26. 07. 1839), 30: 235 – 237. „Brief über einen literarischen Angriff, von S. D. L. an I. S. R.“ Israelitische Annalen 1 (13., 20. 12. 1839), 50 – 51: 396 – 397, 404 – 405. „Literarische und historische Controversen, Schreiben von S. D. L. in P. 8. Juli“ Israelitische Annalen 2 (21. 08. 1840), 34: 288 – 289; (28. 08. 1840), 35: 296 – 297. „Nachrichten und Correspondenzen. Padua 16. Nov. 1840“ Israelitische Annalen 2 (11. 12. 1840), 50: 416 – 417. „Padua“ Israelitische Annalen 2 (18. 12. 1840), 51: 426. „Ueber die hebräische Verskunst, S. D. Luzzatto, übersetzt aus dem Italienischen von seinem Freunde“ Literaturblatt des Orients 1 (04., 11., 18. 01. 1840): 1 – 3, 6 – 7; 20 – 22; 42 – 44. לקוטי שירים מדיואן ר' יהודה הלוי.בתולת בת יהודה, Betulat bat Jehuda. Prag: M. J. Landau, 1840. „Gutachtliches Wort von Samuel David Luzzatto. Stimmen und Urtheile über den Frankfurt Reform Verein (Ueber den in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, 3. August 1843 besprochenen jüd. Reformverein)“ Literaturblatt des Orients 4 (19. 12. 1843), 51: 811 – 816; 52 (26. 12. 1843): 822 – 824. „Nachträgliches über die Thargumim, von S. D. Luzzatto“ Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 5 (1844), 1: 124 – 137. „Ueber Kalir. Ins Deutsche aus dem Hebräischen übersetzt von Dr. Moses Ehrenreich, Rabbiner“ Literaturblatt des Orients 6 (22. 10. 1845), 43: 676 – 688.
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Verzeichnis der Quellen und der Forschungsliteratur
„Ein Brief des Menachem B. Saruk an Chasdai B. Isaak. Italienisch eingesandt von S. D. L., übersetzt von Dr. I. M. Jost“ Literaturblatt des Orients 7 (19. 02. 1846), 8: 113 – 117. „Lezioni di Teologia morale israelitica del Prof. Luzzatto“ Rivista Israelitica 1 (Juni–Juli 1846), 6 – 7: 329 – 349; 8: 473 – 490. „Trauerlied des Rabbi Salomo Ibn G’ebirol, über den im Monat Nisan 4799 (d. h. April 1039) getödteten R. Jekutiël. Abgeschrieben aus einer bei meinem Freunde R. M. Girondi sich befindenden Handschrift, wo sich auch der Brief des Menachem Ibn Saruk an Chasdai b. Isaak befindet. Von Sam. Dav. Luzzatto, Prof. am Coll. Rabb. zu Padua“ Literaturblatt des Orients 7 (10. 09. 1846), 37: 580 – 589. „Lezioni di Teologia morale del Prof. Luzzatto“ Rivista Israelitica 1 (Juni–Juli 1846), 6 – 7: 329. „Der Tod Raschi’s von Herrn Carmoly unrichtig vom Jahre 1105 auf 1108 verlegt“ Literaturblatt des Orients 7 (02. 07. 1846), 27: 418 – 423. „Ueber die Sprache der Mischna von Sam. Dav. Luzzatto“ Literaturblatt des Orients 8 (01. 01. 1847), 1: 1 – 5; (15. 01. 1847), 3: 46 – 48; (22. 01. 1847), 4: 55 – 57. „Literarische Analekten. Moses Chefez“ Literaturblatt des Orients 8 (30. 04. 1847), 18: 280 – 281. „Literarische Analekten. Amram Gaon bar Scheschna und sein Siddur, von Sam. Dav. Luzzatto“ Literaturblatt des Orients 8 (21. 05. 1847), 21: 326 – 327. „Salomo Ibn G’ebirolʼs Lob und Preisgedicht auf Rabbi Jekutiël in Babylonien. Einleitung“ Literaturblatt des Orients 8 (20. 08. 1847), 34: 535 – 541. Il Giudaismo illustrato nella sua teorica, nella sua storia e nella sua letteratura, per Samuel David Luzzatto da Trieste, Professore nellʼIstituto Rabbinico di Padova. Bd. 1. Padua: Coi Tipi di Antonio Bianchi, 1848. „Verzeichnis der Poëtanim von Prof. Sam. Dav. Luzzatto“ Literaturblatt des Orients 9 (29. 07. 1848), 31: 481 – 485; 35 (26. 08. 1848): 547 – 553; 36 (02. 09. 1848): 573 – 576; 39 (23. 09. 1848): 614 – 618. „Von den Verschiebungen des Neujahrstages, oder den דהיותvom Prof. S. D. Luzzatto, aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt von B. F. Igel Dr. der Theologie aus der Rabbinenschule zu Padua“ Literaturblatt des Orients 10 (02. 06. 1849), 22 – 23: 337 – 343; (09. 06. 1849): 353 – 359. „Le tre Unità“ Educatore Israelita 1 (1853): 39 – 47. „Breve prospetto della Legislazione Mosaica“ Educatore Israelita 1 (1853): 68 – 74, 104 – 106, 134 – 138, 161 – 166, 229 – 232, 291 – 295, 321 – 324. „Annunzio tipografico. Il profeta Isaia, volgarizzato e commentato ad uso degli Israeliti da S. D. Luzzatto. Padova, 1855“ Educatore Israelita 3 (1855): 242 – 244. „Discorsi storico-religiosi“ Educatore Israelita 4 (1856): 7 – 11, 109 – 112, 161 – 164, 225 – 227, 289 – 292, 337 – 340, 358 – 360. „Die Bedeutung des biblischen אלוףund Erklärung des 36. Kapitels der Genesis, von Professor Samuel David Luzzatto Professor am Rabbinischen Institute zu Padua, korresp. Mitgl. des f. f. Venet. Instituts und außerordentl. Mitgl. der f. f. Akademie zu Padua, und Nachbemerkung der Redaktion“ Ben Chananja 2 (1859), 3: 123 – 128. Il Pentateuco colle Haftarot, con introduzione critica ed ermeneutica ad uso degli Israeliti. Trieste: Coi Tipi di Colombo Coen, 1860. Lezioni di Teologia morale israelitica. Padova: Sacchetto, 1862. Lezioni di Teologia dogmatica israelitica. Trieste: Coi Tipi di Colombo Coen, 1863.
Die Zeitschriften
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„Intorno ad una nota del Prof. Giuseppe Levi nella sua Teocrazia mosaica. Padua, 21. Dezember 1863“ Il Corriere Israelitico 2 (1863 – 1864): 293 – 294. Discorsi storico-religiosi agli studenti Israeliti del Professore Samuel David Luzzatto. Padova: Tipografia Crescini, 1870. Introduzione critica ed ermeneutica scritta nellʼanno 1829 ad uso degli alunni dell’istituto convitto rabbinico di Padova. Padova: Sacchetto, 1870. Hebräische Briefe, אגרות שד"לIgrot ShaDal, gesammelt von seinem Sohne Isaias Luzzatto, []דפוס זופניק עט קנאללער, 5 Bde. Przemyśl []פרזעמישל: Eisig Gräber, Zupnik & Knoller, 1882. Epistolario italiano, francese, latino di Samuel David Luzzatto da Trieste, pubblicato dai suoi figli. Padova: Tipografia alla Minerva dei Fratelli Salmin, 1890.
Die Zeitschriften Allgemeine Zeitung des Judentums. Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse in Betreff von Politik, Religion, Literatur, Geschichte, Sprachkunde und Belletristik, (1837 – 1922), Leipzig, hg. v. Dr. Ludwig Philippsohn. Ben Chananja. Monatsschrift für jüdische Theologie, dann Wochenblatt für jüdische Theologie, (1858 – 1867), Szeged, Ungarn, hg. v. Leopold Löw, zunächst monatlich, dann ab 1861 wöchentlich erschienen. Bikkūrē hā-’ittīm, minḥat bikkūrīm „( בכורי העתיםErste Früchte der Zeiten“), (1820 – 1831), Wien, hg. v. Schalom Kohen, Moses Israel Landau, Bernhard Schlesinger, Jehuda Jeiteles. Il Corriere Israelitico. Periodico Mensile per la storia e la letteratura israelitica e per gli interessi generali del Giudaismo, (1862 – 1875), Trieste, hg. v. Abram Vita Morpurgo, fortgeführt von Aronne Curiel, monatlich erschienen. LʼEducatore Israelita. Giornale di letture per le famiglie israelitiche, (1853 – 1872), Vercelli, hg. v. Giuseppe Levi, Esdra Pontremoli. LʼEducazione della femmina israelitica, (1821), Venezia, hg. v. von Leone Romanini. Deborah. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für Israeliten („Die Biene“), (1866), Wien, hg. v. Isach Bloch, vierzehntägig erschienen. Ha Chaluz, „( החלוץDer Pionier“), (1852 – 1889), Lemberg, hg. v. Jehoschua Heschel Schorr. Israelitische Annalen. Ein Centralblatt für Geschichte, Literatur und Cultur der Israeliten aller Zeiten und Länder, (1839 – 1841), Frankfurt am Main, hg. v. Isaak Markus Jost. Jeschurun. Ein Monatsblatt zur Förderung jüdischen Geistes und jüdischen Lebens in Haus, Gemeinde und Schule, (1854 – 1887), Frankfurt am Main, hg. v. Samson Raphael Hirsch. Kalender und Jahrbuch für Israeliten, auf das Jahr … (1842 – 1851, 1854 – 1868), Wien, hg. v. Isidor Busch (1842/43 – 1850/51), Joseph Wertheimer (1854/55 – 1864/65), Leopold Kompert (1861/62 – 1864/65), Simon Szántó (1865/66 – 1867/68). Kerem Chemed („Lieblicher Weinberg“), (1833 – 1856), Wien/Prag/Berlin, hg. v. Samuel Löb Goldenberg und Senior Sachs. Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, unter Mitwirkung mehrerer Gelehrten, (1851 – 1868), Dresden, hg. v. Zacharias Frankel. Der Orient. Berichte, Studien und Kritiken für jüdische Geschichte und Literatur, von den bekanntesten jüdischen Gelehrten (1840 – 1851), Leipzig, hg. v. Julius Fürst. Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für Modernes Judentum, (1901 – 1923), Berlin, hg. unter Mitwirkung von Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern von Davis Trietsch, Leo Winz.
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Verzeichnis der Quellen und der Forschungsliteratur
Ozar Nechmad, אוצר נחמד, Briefe und Abhandlungen, jüdische Literatur betreffend, von den bekanntesten jüdischen Gelehrten (1856 – 1863), 4 Bde., Wien, hg. v. Ignatz Blumenfeld. Rivista Israelitica. Giornale di morale, culto, letteratura e varietà, (1845 – 1848), Parma, hg. v. Cesare Rovighi. Strenna Israelitica, contenente il calendario ebraico, per l’anno dalla creazione del mondo … che corrisponde agli anni dell’era volgare … ed un annuario di articoli letterari e varietà, (1852 – 1855), Gorizia, hg. v. Isaak Samuel Reggio. Sulamith. Eine Zeitschrift zur Beförderung der Cultur und Humanität unter den Israeliten, (1806/07 – 1848), Dessau/Leipzig, hg. v. David Fränkel. Wiener Vierteljahrschrift. Organ für Wissenschaft und Kunst, Cultur- und Literaturgeschichte mit besonderem Hinblick auf israelitische Zustände, 1, 1 – 3 (1853), Wien, hg. v. Meir Letteris. Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie, (1835 – 1847), Frankfurt am Main, hg. v. Abraham Geiger. Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judentums, (1844 – 1846), Leipzig, hg. v. Zacharias Frankel, monatlich erschienen. Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums, (1823), Berlin, hg. v. dem Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden, Redakteur Leopold Zunz. Zijon, ציון. Monatsschrift für Reformation, Kritik und Religionswissenschaft, (1840 – 1843), Frankfurt am Main, hg. v. Isaac Markus Jost und Michael Creizenach.
Gedruckte Quellen Abate, Luigi Vincenzi. Alcuni pensieri sopra gli atti di beneficienza del sommo Pontefice Papa Pio IX felicemente regnante verso gli Ebrei di Roma, e sopra vari commenti manifestati al pubblico su questo proposito ovvero l’ebraismo in Roma innanzi e dopo l’era volgare. Rom: Tipi di G.B. Zampi, 1848. Anonymus. „Schreiben aus Triest, an den Herausgeber dieser Zeitschrift, den Kulturzustand der Israeliten in Italien betreffend“ Sulamith 7 (1825 – 1833), 1: 338 – 343. Anonymus. „Italienische Gemeinden, geschildert von einheimischen Verfassern. Triest“ Israelitische Annalen 1 (27. 12. 1839), 52: 409 – 411. Anonymus. „Zustände in Italien, insbesondere die Jugenderziehung“ Israelitische Annalen 2 (18. 09. 1840), 38: 317 – 318. Anonymus. „Zustände in Italien, insbesondere die Jugenderziehung. (Schluß)“ Israelitische Annalen 2 (25. 09. 1840), 39: 326 – 327. Anonymus. „Aus Italien, Notizen“ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 4 (1855), 1: 43 – 44. Anonymus. „Briefe aus Oesterreichisch-Italien“ Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 6 (1857), 10: 392 – 398. Bachi, Emilio. „Riforma del culto“ Educatore Israelita 8 (1860): 97 – 102, 193 – 200, 225 – 232. Bachi, Emilio. „Considerazioni teorico-pratiche sulla proposta del Sinodo rabbinico italiano“ Educatore Israelita 11 (1863): 312 – 315. Barzilai, Giuseppe. „Studj biblici“ Il Corriere Israelitico 7 (1868 – 1869): 73 – 75. Bergson, Joseph. „Berlin, 21. Aug. Stimme über die Beschneidung“ Der Orient 4 (05. 09. 1843), 36: 283 – 284.
Gedruckte Quellen
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Bergson, Joseph. Die Beschneidung vom historischen, kritischen und medicinischen Standpunkt. Mit Bezug auf die neuesten Debatten und Reformvorschläge von Dr. Joseph Bergson Arzt in Berlin. Mit Steindrucktafel. Berlin: Verlag von Th. Scherk, Athenaeum, 1844. Beer, Bernhard. „Rückblick auf die jüdische Literatur, insbesondere in den letzten zwei Jahren“ Kalender und Jahrbuch für Israeliten 2 (1855 – 1856), 1: 145 – 160. Benamozegh, Elia. „Das Lied Mosis, eine wissenschaftliche Vergleichung, von L. Bodenheimer, Consistorial Oberrabbiner“ Educatore Israelita 11 (1863): 23 – 24. Bianchi-Giovini, Aurelio. Storia degli Ebrei e delle loro sette e dottrine religiose durante il Secondo Tempio. Milano: Tipografia Pirotta, 1844. Bolmida, Eugenio. „La religione universale“ Il Corriere Israelitico 10 (1871 – 1872): 276 – 278. Brill, Hermann. „Die Verhandlung des Kongresses der italienischen Israeliten, zu Florenz Ende April 1867“ Ben Chananja 10 (01. 08. 1867), 15: 465 – 471. Busch, Isidor. „Vorwort“ Kalender und Jahrbuch für Israeliten 1 (1842): 1 – 2. Calimani, Simon ben Abraham. Esame ad un giovane ebreo istruito nella sua religione, composto da Simone Calimani Rabbino veneto. Venezia: G. Braglia, 1786. Cantoni, Lelio. „La preghiera del fanciullo israelita“ Educatore Israelita 1 (1853): 91. Carpi, Alessandro. „La Religione e l’onestà“ Il Corriere Israelitico 11 (1872 – 1873): 8 – 10. Castelli, David. Leggende Talmudiche. Saggio di traduzione dal testo originale con prefazione critica. Pisa: Tipografia dei FF. Nistri, 1869. Colombo, Moisé. „Sullo studio della Storia Israelitica“ Educatore Israelita 16 (1868): 173 – 176. Creizenach, Michael. „Der Frankfurter Reform-Verein. Offenes Schreiben an Hrn. Dr. G. Riesser“ Der Orient 4 (17. 10. 1843), 42: 334 – 336. Curiel, Aronne. „Cronaca israelitica del mese“ Il Corriere Israelitico 6 (1867 – 1868): 97 – 102. Curiel, Aronne. „Programma“ Il Corriere Israelitico 6 (August 1867), 1867 – 1868: 129 – 132. Curiel, Aronne. „Movimento intellettuale del Giudaismo contemporaneo“ Il Corriere Israelitico 7 (1868 – 1869): 123 – 128. Curiel, Aronne. „Cronaca israelitica del mese“ Il Corriere Israelitico 7 (1868 – 1869): 149 – 152. Curiel, Aronne. „LʼIstituto Rabbinico di Padova“ Il Corriere Israelitico 7 (1868 – 1869): 266 – 268. Curiel, Aronne. „Persecuzione“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 68. Curiel, Aronne. „Una lettera del Tommaseo al Dr. Barzilai“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 77 – 78 Curiel, Aronne. „La processione di sangue a Brusselles“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 85 – 87. Curiel, Aronne. „Una lettera di Vincenzo Gioberti al Rabb. S. Jona“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 90 – 93. Curiel, Aronne. „Siamo conseguenti!“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 174 – 175. Curiel, Aronne. „Rivista“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 197 – 200. Curiel, Aronne. „Monumento Luzzatto“ Il Corriere Israelitico 9 (1870 – 1871): 234 – 239. Curiel, Aronne. „Al benigno lettore“ Il Corriere Israelitico 10 (1871 – 1872): 3 – 4. Curiel, Aronne. „Le feste per la pace e gli Ebrei“ Il Corriere Israelitico 10 (1871 – 1872): 90 – 91. Curiel, Aronne. „Rivista“ Il Corriere Israelitico 10 (1871 – 1872): 261 – 263. Curiel, Aronne. „Persecuzioni“ Il Corriere Israelitico 11 (1872 – 1873): 33 – 38. Curiel, Aronne. „Accusa e ritrattazione“ Il Corriere Israelitico 11 (1872 – 1873): 46 – 50. Curiel, Aronne. „L’Unità Cattolica e gli Ebrei“ Il Corriere Israelitico 11 (1872 – 1873): 50 – 52.
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Verzeichnis der Quellen und der Forschungsliteratur
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Gedruckte Quellen
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Verzeichnis der Quellen und der Forschungsliteratur
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Verzeichnis der Quellen und der Forschungsliteratur
Erklärung der Thargume und Correcturen zum Thargum der Psalmen) von Prof. Samuel David Luzzatto, Prof. am Collegium Rabbinicum in Padua. Wien 1830“ Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 3 (1837), 1: 103 – 117. Geiger, Abraham. „Die Rabbinerzusammenkunft. Sendschreiben an einen befreundeten rabbinischen Geistlichen“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 3 (1837), 3: 313 – 332. Geiger, Abraham. „Jüdische Zeitschriften“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 4 (1839), 2: 286 – 292; 4: 459 – 471. Geiger, Abraham. Der Hamburger Tempelstreit, eine Zeitfrage. Breslau: F. E. C. Leuckart, 1842. Geiger, Abraham. „Jüdische Zeitschriften“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 5 (1844), 3: 446 – 477. Geiger, Abraham. „Die Aufgabe der Gegenwart“ Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 5 (1844), 1: 1 – 35. Geiger, Abraham. Lehr- und Lesebuch zur Sprache der Mischna. Breslau: F. E. C. Leuckart, 1845. Geiger, Abraham. Die dritte Versammlung deutscher Rabbiner. Ein vorläufiges Wort zur Verständigung. Breslau: F. E. C. Leuckart, 1846. Geiger, Abraham. Vorläufiger Bericht über die Tätigkeit der dritten Versammlung deutscher Rabbiner. Breslau: F. E. C. Leuckart, 1846. Geiger, Abraham. „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume. Erster Artikel“ Wissenschaftliche Zeitschrift für jüdische Theologie 6 (1847), 1, 1 – 16. Geiger, Abraham. „Die religiösen Thaten der Gegenwart im Judenthume. Erster Artikel. Der Gottesdienst. Schluß“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 6 (1847), 3: 81 – 90. Geiger, Abraham. „Literarisch-kritische Übersicht“ Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 6 (1847), 3: 91 – 115. Geiger, Abraham. Grundzüge und Plan zu einem neuen Gebetbuche. Breslau: Druck von Leopold Freund, 1849. Geiger, Abraham. „Einleitung in das Studium der jüdischen Theologie (1849).“ In Abraham Geiger’s Nachgelassene Schriften, hg. v. L. Geiger, 1 – 32. Berlin: Druck und Verlag von Georg Reimer, 1875. Geiger, Abraham. Diwan des Castillers Abu’ l-Hassan Jehuda ha-Levi, nebst Biographie und Anmerkungen. Breslau: Verlag von Joh. Urban Kern, 1851. Geiger, Abraham. Seder tefila devar iom be iomo, israelitisches Gebetbuch für den öffentlichen Gottesdienst im ganzen Jahre mit Einschluß der Sabbate und sämtlicher Feier und Festtage. Geordnet und mit einer neuen deutschen Bearbeitung. Erste Auflage: 1854, Berlin: Gerschel, 1870. Geiger, Abraham. Parschandatha. Die nordfranzösische Exegetenschule. Ein Beitrag zur Geschichte der Bibel-Exegese und der jüdischen Literatur. Leipzig: Schnauss, 1855. Geiger, Abraham. Jüdische Dichtungen der spanischen und italienischen Schule. Leipzig: Leiner, 1856. Geiger, Abraham. Urschrift und Übersetzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwicklung des Judenthums. Breslau: Verlag von Julius Hainauer, 1857. Geiger, Abraham. „Abhandlungen. Samuel David Luzzatto“ Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 4 (1866), 1: 1 – 22.
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Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4:
Abb. 5 a/b:
Abb. 6 a/b:
Abb. 7: Abb. 8 a/b:
Abb. 9 a–c:
Abb. 10:
Samuel David Luzzatto (1800 – 1865) in jungen Jahren. ÖNB Digital, Porträtsammlung [https://onb.digital//result/11287B21], Österreichische Nationalbibliothek. Der Gelehrte Isaak Samuel Reggio (1784 – 1855). ÖNB Digital, Porträtsammlung [https://onb.digital//result/1123284D], Österreichische Nationalbibliothek. Der Rabbiner Lelio Della Torre (1805 – 1871). ÖNB Digital, Porträtsammlung [https://onb.digital//result/110530B8], Österreichische Nationalbibliothek. Der Publizist Julius Fürst (1805 – 1873) an der Universität Leipzig. Ölgemälde von Robert Krausse, 1871. Aus der Sammlung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, Inv.-Nr. XIX/59. Foto: Christoph Sandig. Brief vom 27. Juli 1846 (Fürst an Luzzatto). Aus der Sammlung des Centro Bibliografico Tullia Zevi, Archivio Storico dell’Unione delle comunità ebraiche italiane, UCEI, Rom: Archivio di Samuel David Luzzatto – SHaDaL, VII, Papier, (Julius Fürst, 27. Juli 1846, 272). Brief vom 9. April 1854 (Fürst an Luzzatto). Aus der Sammlung des Centro Bibliografico Tullia Zevi, Archivio Storico dell’Unione delle comunità ebraiche italiane, UCEI, Rom: Archivio di Samuel David Luzzatto – SHaDaL, IX, Papier (Julius Fürst, 9. April 1854, 474). Der Reformrabbiner Abraham Geiger (1810 – 1874). Aus der Sammlung des Joods Historisch Museum Amsterdam, Inv.-Nr. M003130. Brief vom 11. September 1849 (Geiger an Luzzatto). Aus der Sammlung des Centro Bibliografico Tullia Zevi, Archivio Storico dell’Unione delle comunità ebraiche italiane, UCEI, Rom: Archivio di Samuel David Luzzatto – SHaDaL, VII, Papier (Abraham Geiger, 11. September 1849, 2994). Brief vom 11. Juni 1850 (Geiger an Luzzatto). Aus der Sammlung des Centro Bibliografico Tullia Zevi, Archivio Storico dell’Unione delle comunità ebraiche italiane, UCEI, Rom: Archivio di Samuel David Luzzatto – SHaDaL, VIII, Papier (Abraham Geiger, 11. Juni 1850, 2970). Der Hauptrabbiner von Mantua Marco Mortara (1815 – 1894). Aus der Sammlung der National Library of Israel, mit freundlicher Genehmigung der Kollektion von Avraham Schevdron.
https://doi.org/10.1515/9783110768558-014
Personenregister Abravanel, Jehuda 182 Abuvalid („Averroes“) 139 Alatri, Samuel 304 Alfasi, Isaak 163 Alighieri, Dante 166 Almanzi, Joseph 107, 121 f., 125 f., 128, 156, 323 Ammon, Christoph 313 Aquin, Thomas von siehe Thomas von Aquin Aristoteles 216 f. Artom, Isacco 14 Ascoli, Graziadio Isaia 347 Ascoli, Isach 270 Augustinus 313 Azulai, Hayym Joseph David 121 Bachi, Emilio 272, 290 f. Bacon, Francis 219, 224, 314 Balbo, Cesare 14 Bamberger, Seligmann-Bär 245 Barbarigo, Gregorio Kardinal 178 Basnage, Jacques 251 Bechor Schor, Joseph 240 Bedersi, Jedaiah 182 Beer, Bernhard 101 Beer, Peter 251 Bendavid, Lazarus 63 Benjakob, Isaak 129 Ben Labrat, Dunasch 110, 139, 155 – 157 Ben Saruk, Menachem 79, 110, 129, 139 Bérigard, Claude Guillermet de 218 Berlan, Francesco 306 Berliner, Abraham 346 Bianchi-Giovini, Aurelio 14, 119, 145, 250 f., 311 Blumenfeld, Berisch 105 Blumenfeld, Ignatz 105 Boas, biblischer Held 146 Bonaparte, Napoleon 15, 41 Brenner, Friedrich 313 Busch, Isidor 65, 90 Calimani, Simon Ben Abraham
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https://doi.org/10.1515/9783110768558-015
Cantoni, Lelio 190, 192, 296 Cantù, Cesare 255 Carlo Alberto von Savoyen, König 15 Carmoly, Eljakim (David) 79 Cases, Israel 192 Cassuto, Umberto 348 Castelli, David 248, 316, 331, 345, 347 Cattaneo, Carlo 336 f. Cavour, Camill Benso von, Graf 14, 311 Chajug, Jehuda 110, 139 Chasdai, Ben Isaak (Abu Jussouf) 79, 129 Christianpoller, Michael 197 Clarke, Samuel 313 Colletta, Pietro 255 Colombo, Moisé 253 – 255, 257 f., 331 Condillac, Étienne Bonnot de 224 Costantini, Giuseppe 303 Creizenach, Michael 76, 120 Cumberland, Richard 224 Curiel, Aronne 98, 102, 336, 338 f. Da Modena, Leone 137, 140, 155 Dante siehe Alighieri, Dante Daru, Pierre Antoine Noël Mathieu Bruno, Graf 255 D’Azeglio, Massimo 14, 304, 334, 336 f. De Benedetti, Salvatore 345 f. De Gubernatis, Angelo 345 De Jaucourt, Louis 224 De Leva, Giuseppe 208 – 210 Delitzsch, Franz Julius 114 f., 305 f. Della Torre, Lelio 9 f., 32, 41, 47, 62, 66 f., 75, 85, 87, 94 – 96, 99 – 101, 179, 184, 186 – 188, 191 f., 194 f., 197, 201 – 204, 206 f., 211, 221 f., 234 – 236, 239 – 242, 244, 247, 270, 279, 281 f., 332 Delmedigo, Joseph 137 Depping, Georges Bernard 70 De Rossi, Azaria 156 f. De Wette, Wilhelm Martin Leberecht 301, 313 Dina, Giacomo 311 Diodati, Giovanni 238, 241
390
Personenregister
Dohm, Christian Wilhelm von 39 f. Dreyfus, Samuel 278 Dukes, Leopold 107, 120, 245 Dunasch siehe Ben Labrat, Dunasch Eckhart siehe Meister Eckhart Ehrenreich, Moses 129, 197 f., 242, 267 Eichhorn, Johann Gottfried 301 Euchel, Isaac Abraham 3 Ewald, Heinrich 95, 112 Fichte, Johann Gottlieb 313, 331 Figo, Azaria 183, 195 Franck, Adolphe 122 Fränkel, David 51, 62 Frankel, Zacharias 66, 95, 100, 110, 144, 151, 171, 199, 202, 204, 208, 228, 246 f., 255 Franz I., Kaiser 178 Frizzi, Benedetto 195 Fürst, Julius 27, 31, 51, 54 f., 62, 64 f., 75 – 81, 103, 106 – 109, 111 – 122, 125 – 132, 135 f., 149, 155, 198, 217, 265 f., 275, 282, 322 – 324 Galilei, Galileo 218 Gallico, Giuseppe Vita 2 Gans, Eduard 63, 88, 327, 331 Gaon, Saadia 110, 139, 155, 157, 162, 215, 218, 238 Gaon, Scherira 182 Gassendi, Pierre 218 Geiger, Abraham 10, 27, 31 – 33, 64 f., 67 f., 82, 84, 86, 88, 95, 103, 106 – 108, 110 f., 114, 127, 132, 135 – 159, 162 – 174, 195 f., 211, 213 f., 224 – 233, 236, 249, 261, 268 f., 287 f., 299, 303, 318, 323 – 325, 327, 329, 331 Gentilomo, Samson 77 f. Gesenius, Friedrich Wilhelm 112 – 114, 186, 238 f., 305 Ghirondi, Mordechay Šemuʼel 107, 125, 156, 323 Gioberti, Vincenzo 14, 336 Giovini, Aurelio siehe Bianchi-Giovini, Aurelio
Goldenberg, Samuel Löb 61 f., 105, 107, 127, 182, 196 Graetz, Heinrich 101, 122, 171 f., 249, 252 f. Grotius, Hugo 224, 314 Guicciardini, Francesco 255 Halevi, Avraham Ibn Daud 218 Halevi, Jehuda 110, 126 f., 158, 162 – 167, 180, 183, 215, 218, 227, 325, 346 Ha Romi, Immanuel Schlomo (Immanuel Romano) 166 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 249, 261, 313, 331 Hess, Michael 288 Hieronymus (San Girolamo) 306 Hirsch, Samson Raphael 58, 67, 92, 95 f., 270 Holdheim, Samuel 148, 288 Homberg, Naphtali Herz 49 Hume, David 224 Ibn Ezra, Abraham 126, 156, 182, 215, 219 Ibn Gabirol (G’ebirol), Salomo 79, 110, 129, 167 Jacobi, Heinrich 314 Jacobson, Israel 260 f. Jellinek, Adolf 107, 115, 120, 279, 282 Jona, Salomone 334, 339, 341 f. Joseph II., Kaiser 40 f., 83 Josephus, Flavius 187, 312 Jost, Isaak Markus 10, 50 f., 53 f., 61 – 65, 70 – 78, 80, 84, 95 f., 106 – 109, 114, 118, 120, 129, 167, 189, 197 f., 216 f., 244, 249, 251 f., 254, 258, 262, 279 f., 301 f., 322, 327 f., 331 Kalonymos ben Kalonymos 166 Kant, Immanuel 218, 261, 313 Karo, Joseph 155 Katzenelbogen, Meir 178 Kayserling, Meyer 255 f. Kimchi, David 110, 182 Klemens von Alexandria 306 Kompert, Leopold 65, 100 Kopernikus, Nikolaus 219
Personenregister
Krochmal, Nachman 105 Krug, Wilhelm Traugott 313 La Bruyère, Jean de 314 Lasinio, Fausto 345 – 347 Lattes, Abraham (Abramo) 69, 192, 270, 275, 338 Lattes, Elia Aron 184 Lebrecht, Fürchtegott 109, 145 Leibniz, Gottfried Wilhelm 224, 314 Leopold II., Kaiser 83 Letteris, Max (Meir) 73, 107, 115, 127, 165 Levi, Giuseppe 50, 85, 91 f., 94, 97 f., 100, 108, 203, 208, 241, 245 – 248, 277, 292, 295, 297 f., 300, 312, 335 Levi, Jacob 275 Levi, Moise Marco 297 Liebermann, Eliezer 261 Locke, John 219, 224, 314 Loewisohn, Solomon 182 Lolli, David 4 Lolli, Eude 105, 207, 242 Lolli, Samuel Vita 3, 223 Löw, Leopold 67 f., 93, 96, 201 f., 245, 270, 294 Luther, Martin 264, 266 Luzzatto, Filippo 167 Luzzatto, Filosseno 119, 129 Luzzatto, Moses (Moshe) Chaim 115, 182 Luzzatto, Samuel David 1 – 7, 9 f., 24, 27 f., 30 – 33, 56, 61 f., 65 – 82, 85 – 87, 89, 96, 99, 101, 103 – 122, 124 – 132, 135 – 159, 162 – 174, 179 f., 182 – 184, 186, 188 – 197, 199, 201 – 203, 207, 211, 213 – 234, 237 – 243, 249, 251 – 253, 256 f., 263 – 267, 269 f., 279 f., 282, 300 f., 303 – 315, 321 – 332, 346 f. Macchiavelli, Niccolò 255 Maimonides, Moses (Moses ben Maimon) 62, 72, 74, 76, 109, 145 f., 151, 155 – 157, 166 f., 180, 183, 187, 215 – 220, 224, 229 f., 253, 311, 325 Mainster, Abraham (Abramo) Haim 141, 241 f., 269, 290 f., 293 f., 298 Manheimer, Friedrich 200 Margotti, Giacomo 335
391
Mazzini, Giuseppe 13, 334 Medoro, Samuel 187 Meister Eckhart 306 Mendelssohn, Moses 2 – 4, 6, 40, 49, 56, 62, 73, 76, 137, 204, 213, 226, 236, 253, 255, 263 f., 266, 330 Minz, Yehuda 178 Morpurgo, Abraham Vita 97 f., 100 – 102, 206 Mortara, Marco 62, 66, 85 f., 93, 99, 198, 240, 242, 270, 278 – 292, 295 f., 298, 300, 316 – 319, 331, 334, 340 – 343, 348 Moscato, Jehuda ben Joseph 183 Moser, Moses 63 Moses, biblischer Patriarch 190, 224, 227, 229, 237, 345 Munk, Salomon 107, 122 Musio, Giuseppe 338 Nachmanides 155, 215, 240 Napoleon siehe Bonaparte, Napoleon Nardi, Francesco 313 – 315 Naumann, Robert 115, 118 Newton, Isaac 219, 314 Nikolaus von Lyras, Prophet 144 Olper, Samuele Salomone Onkelos (Aquila?) 144 Origenes 306 Ottolenghi, Donato 14
258, 296 – 298
Paggi, Angelo 276 Pascal, Blaise 219, 313 Paulus von Tarsus 306 Perles, Joseph 279 Philippson, Ludwig 32, 52, 56, 62 f., 65 f., 69 – 72, 90, 93, 95 f., 101, 116, 200, 211, 241 f., 245, 255, 270, 279, 288, 303, 322 Pius IX., Papst 15, 45, 83, 304 Platon 309 Pontremoli, Esdra 50, 91 f., 94, 98, 203, 242, 254 – 256, 258, 277, 297 f., 331 Pythagoras von Samos 310 Racah, Leone 248 Randegger, Giuseppe Aron 156, 323 Randegger, Meyer 3, 85, 106, 129, 156, 323
392
Personenregister
Rapoport, Salomo Juda 105, 107, 120, 127, 144, 146, 151, 165 Raschi 110, 139 – 142, 155 f., 215, 219, 229, 238, 240 Ravenna, Leone 286 Recanati, Jakob Hayym 260 Reggio, Abram 192 Reggio, Isaak Samuel 4, 6, 9, 62, 66, 71 f., 75 f., 80 – 82, 105 f., 140, 147 f., 180 – 185, 195, 215, 217, 220 – 223, 225, 234, 239 f., 244, 263 f., 275, 331 Renan, Ernest 311, 345 Robespierre, Maximilien de 256 Romanini, Leone 84 Romanin, Samuel 14, 66 Romano, Juda ben Moses 137 Rosenthal, Salomon 76, 109, 216 f., 219 Rousseau, Jean Jacques 255 Rovighi, Cesare 14, 42 f., 82, 85 – 92, 108, 222, 270, 272, 282 f., 288 Sachs, Michael 107, 127, 165 Salom, Marco Aurelio 206 f. Salomon, Gotthold 38 Samun, Schem Tov 260 f. Savoyen siehe Carlo Alberto, Viktor Emanuel I., Viktor Emanuel II. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 261, 313 Schleiermacher, Friedrich Daniel 226, 231, 261 Schorr, Osias Hirsch 105 – 107, 120, 126, 140 f., 147 Servi, Flaminio 37, 91, 241, 247, 252 – 254, 257, 273, 330, 339 f., 342, 346 Sismonde, Jean-Charles-Léonard 255 Soave, Francesco 224 Spinoza, Baruch 237, 253, 261
Stein, Leopold 101 Steinschneider, Moritz 107, 109, 249, 279, 282, 327, 331, 346 Stern, Max 65, 107 Szántó, Simon 65 Tedesco, David Vita 85 f., 90, 271 Terracini, (Marco) Davide 295 Thomas von Aquin 313 Tiboni, Pietro Emilio 303, 306, 308 – 312, 315 Tiktin, Salomo 144, 151 Tommaseo, Niccolò 336 Treves, David 270 Trieste, Gabriel 190, 192 Viktor Emanuel I. von Savoyen, König 42 Viktor Emanuel II. von Savoyen, König 13 Vincenzi, Luigi Abt 304 Viterbi, David Graziadio 198, 242 Viterbi, Raffael 270 Wegscheider, Julius August Ludwig 313 Weigel, August 119 Weigel, Theodor Oswald 119 Weisse, Joseph 81 Wertheimer, Joseph 65, 96, 100 Wessely, Naphtali Hartwig 3 f., 6, 56, 137, 180 Wolf, Joseph 62 Zacuto, Moses 346 Zarfati, Yoseph Ben Chaim 183 Zunz, Leopold 10, 63, 66, 79 f., 84, 107 – 109, 114, 127, 165, 194 f., 197, 211, 213, 220 f., 233 – 235, 238, 244, 249, 252, 258, 280, 301 f., 327 f., 331
Sachregister Akkulturation 22, 191, 253, 326 Altes Testament siehe Testament, Altes Antikatholizismus 16 Antiklerikalismus 250, 344 Antisemitismus 335 – 338 Assimilation siehe auch Akkulturation 327, 333, 339 Attizismus 74, 215 Aufklärung 219, 249, 313 Aufklärung, jüdische 249 Befreiungskrieg siehe auch Unabhängigkeitskrieg 14, 16, 43, 58, 85, 336, 340 Beschneidung 187, 265 – 267, 276 Bibelauslegung 110, 162, 309 – 311 Bibel, Exegese 137, 142, 157, 182 – 184, 217, 236 f., 240, 243, 256, 303, 307 Bibelkritik 236 f., 300 f., 309, 329, 347 f. Bibel, Übersetzung 156, 169, 240 – 242 Bibelwissenschaft 233, 242, 301, 307, 329, 348 Brieffreundschaft („amicizia di carteggio“) 73 Carteggio teologico 72 Chokhmat Jisrael 9 Chorgesang 192, 265, 273 Christentumsforschung 317, 319 Christologische Deutung / christozentrische Darstellung 308, 312 Codices 107, 139, 143, 155 – 158, 162, 346 Collegio Foa 49, 91 Collegio Rabbinico Italiano 207, 332, 348 Comunioni israelitiche siehe auch Università 38 Consistoire Central Israélite 291 Consorzio delle università e comunità israelitiche italiane 343 Deutschtum 48 Dichtung, hebräische siehe auch Poesie, hebräische 127, 173, 330 Dogmatik, katholische/christliche 301, 308 https://doi.org/10.1515/9783110768558-016
École rabbinique von Metz / Rabbinerseminar von Metz 196, 200, 204 Einheitsstaat, italienischer 332 f., 337 f., 342, 344, 349 Emanzipationsedikt 14 f., 40 Emanzipationsgesetz 39, 46, 319 Emanzipationsprozess 22 f., 40, 234, 333, 337 Ethik 4, 183, 219 f., 223, 225, 327 Fakultät, jüdisch-theologische 32, 196, 199 f., 327, 332 Fakultät, theologische in Padua 178, 308 Fakultät, theologische (katholisch) 185, 308, 344, 348 Frankfurter Reform-Verein 78, 265 f. Freimaurer 14, 335 Garantiegesetz siehe auch Josephinismus 83 Gebetsformel 280 f., 285 Gedichtsammlung siehe auch Poesie, hebräische 3, 126 f., 162 f., 166, 346 Gelehrtenaustausch 11 f., 18, 33, 103, 322, 324 Geschichtsschreibung, jüdische 24, 250, 253 – 255, 258, 314, 328 Geschichtswissenschaft, jüdische 23, 250, 329, 348 Gesetz, jüdisches 215, 264, 277, 282 Gesetzkorpus, jüdischer 217, 248 Gesetz, offenbartes 264 Giovine Italia 13 f. Gleichstellung, bürgerliche 40, 58, 83 Haggada 245 Haggadischer Teil 246 – 248 Hamburger Tempel-Verein / Neuer Israelitischer Tempel-Verein 260 f. Haskala siehe auch Aufklärung, jüdische 2 – 4, 22 f., 26, 83, 105, 236, 243, 249, 328
394
Sachregister
Hebraistik siehe auch Philologie, hebräische 344 – 346, 348 Hermeneutik, biblische 184, 188, 309 f., 327 Hochschule für die Wissenschaft des Judentums 211 Homiletik 181, 183, 187, 195, 202 Institut zur Förderung der israelitischen Literatur 96, 245 Islam 301, 316 Italianità 311 Jakobtempel 260 Josephinismus siehe auch Garantiegesetz, Toleranzedikt 40, 178 Jüdische Freischule 48 Jüdisch-theologische Fakultät siehe Fakultät, jüdisch-theologische Jüdisch-Theologisches Seminar zu Breslau 10, 66, 199, 204, 211 Kabbalah 146, 310 Kaiserlicher Entschluss siehe Sovrana Risoluzione Kanon, jüdischer / kanonischer Text 170, 215, 235, 237, 310, 330 Katechismus 49 f., 91 Katholisches Seminar / katholisch-theologisches Konvikt 179, 185, 307 – 309 Katholizismus 16, 52, 287, 304, 308, 315 f., 339 Komparatistik 346 f. Konvikt 179, 185, 196 Krise/Krisenerfahrung/Krisengefühl 101, 201, 212, 319, 337, 339, 343, 349 Kulturtransfer siehe auch Wissensaustausch 1, 103, 321, 323 Lehrplan (Collegio Rabbinico) Literaturverein 11, 83, 101
185, 195
Materia orale 182 f., 190, 196 Materia tradizionale 183 f., 221 Medienaustausch siehe auch Zeitschriftenaustausch 107, 110, 136, 140, 324
Meha Berakot (Hunderte von Gebetsformeln) 280 Midrasch 140, 225, 281 Mischna 4, 75, 157, 181, 183, 188, 224, 228, 244, 330 Mizwot 183 Monotheismus 305, 318 Monotheistische Idee 305, 318, 341 Monotheistische Religion 316 f., 319, 339 Moral, katholische 224, 339 Mosaische Religion 32, 216, 225, 282 Mosaisches Gesetz 215, 222, 264, 266, 317 Mystizismus 72, 74, 309 f. Nationalbewusstsein 337 f. Nationalgeschichte 251 f., 254 Nationalismus, italienischer siehe Italianità, siehe Nationalbewusstsein, siehe Zugehörigkeitsgefühl, italienisches Nationalliteratur, jüdische 184 Neuer Israelitischer Tempel-Verein siehe Hamburger Tempel-Verein Neues Testament siehe Testament, Neues Ordinationsrede 192, 203 Orgelmusik 261, 274 Orientalistik 328, 344 f., 347 Österreichisches Zivilgesetz / Codice Civile Austriaco 41 Pastoral 181, 183 Peschat (Methode) 140, 229 Philologie, hebräische siehe auch Hebraistik 80, 168, 187, 256, 328 Philosophie, aristotelische 80, 215 f., 218, 230, 310 Pijjutim 135, 149, 269, 285 Poesie, hebräische (mittelalterliche) 3 f., 84, 105, 126, 157, 162, 166, 184, 310, 346 Proclama Olper / Proklamation Olper 296, 298 Prophetenbücher 240, 242, 309, 329 Psalmen/Psalmenbücher 239 f., 285, 309 Rabbinerkonferenz 291, 296
206, 279, 286, 289,
Sachregister
Rabbinerordination 192 – 194 Rabbinerseminar von Metz siehe École rabbinique von Metz Rabbinertitel 192, 207, 296 Rationalismus 74, 109, 146, 264, 309, 314, 316 Rattazzi-Gesetz siehe auch Gleichstellung, bürgerliche 15 Reformdebatte/Reformagenda/Reformprogramm 25, 52, 259 – 261, 263, 265 f., 269, 285 – 287 Regenerationsprozess, moralischer 316, 334, 337 Regie Costituzioni (königliche Konstitutionen) 42 Regolamento siehe auch Verordnung 185 – 187 Religionskritik 250, 319, 348 Ressentiment, antiösterreichisches 337 Restauration 12, 41 f., 44 f., 83 f., 348 Risorgimento 13 f., 16, 21, 43, 45, 83, 85, 184, 333, 336 f., 340 Ritual, katholisches 193 Ritualmord(verdacht) 335, 337 Ritualtheologie 183, 187, 222, 229 Ritus, jüdischer 107, 148, 152, 262, 273, 275 f., 285, 296 Rivista bibliografica („Bibliografische Revue“) 94 Sammlung siehe auch Gedichtsammlung 83, 121, 126 f., 163, 188, 248 Scienza talmudica / Talmudwissenschaft 188, 233, 243 f. Semitistik 345, 348 f. Septuaginta siehe auch Bibel, Übersetzung 170, 306 Shiva 296 Sovrana Risoluzione (kaiserlicher Entschluss) 179, 187 Staatsgrundgesetz siehe Statuto Albertino Staatsgründung, italienische 12, 333, 336 Statuto Albertino / Statuto fondamentale del Regno di Sardegna 15, 83 Storia Patria 254 Synagogenbau 273
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Synode/Rabbinersynode siehe auch Rabbinerkonferenz 289 – 291, 294, 297, 342 Talmudwissenschaft siehe Scienza talmudica Targume/Targumim 143 – 145, 147, 169 f. Testament, Altes 240, 300 f., 303, 305 – 309, 312, 315 Testament, Neues 240, 308, 312 Theologie, jüdische/israelitische 192, 214, 220, 223, 225, 230, 326 Theologie, protestantische 226, 231, 299 Theologische Fakultät (katholisch) siehe Fakultät, theologische (katholisch) Thora, mündliche / Tora she be al pé siehe auch Gesetz, offenbartes 227, 280 – 282 Thora, schriftliche siehe auch Mosaische Religion 227 Toleranzedikt (Toleranzmaßnahmen) siehe auch Josephinismus 41 Unabhängigkeitskrieg siehe auch Befreiungskrieg 13, 205, 207 Università (italienische Gemeinde) siehe auch Comunioni israelitiche 38, 343 Vaterland, italienisches / Patria 98, 340 Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden 10, 63 Verordnung 7, 185, 195 Vulgata siehe auch Bibel, Übersetzung 238, 241, 306 Wiener Kongress 12, 39 Wissensaustausch siehe auch Kulturtransfer 1, 27, 30, 135, 157, 325, 348 Wissenschaft vom Menschen / Torat ha Adam 234 f. Wissenschaft von Gott / Torat ha Shem 234 f. Zeitschrift – Allgemeine Zeitung des Judentums 56, 63, 66, 69 – 72, 92 f., 95 f., 116, 245, 255, 270 – Ben Chananja 41, 47, 67, 93, 96, 201 f., 245, 270, 294
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Sachregister
– Bikkurei ha Ittim 61 f., 120 – Der Orient 45, 50 – 52, 54 – 58, 64 f., 75 – 81, 120, 122, 126, 128 – 132, 135 f., 149, 197 f., 217, 265 f., 275, 281 f., 322 – Ha Chaluz 167 f. – Il Corriere Israelitico 30, 97 – 101, 206 – 208, 242, 246 f., 270, 277, 282, 288, 292, 295, 316 f., 319, 336 f., 339 – 342, 347 – Israelitische Annalen 51 f., 55, 58, 64 f., 71 – 78, 80, 118, 197 f., 203, 216 f., 244, 258, 262 f., 280, 322 – Jeschurun 38, 58, 67, 92, 95, 270 – Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 67, 136 f. – Kalender und Jahrbuch für Israeliten 65, 90, 107, 194, 200 – Kerem Chemed 61 f., 120, 127, 146, 167, 196 – L’Educatore Israelita 30, 37 f., 50, 58, 91 – 94, 96 – 98, 100, 203 – 208, 239, 241, 245 – 248, 252, 257 f., 270, 275, 277 f., 286, 288, 290 f., 293, 295, 297, 312, 335 f. – L’Educazione della femmina israelita 84
– Literaturblatt des Orients 64, 76, 106, 115 f., 120, 125 f., 128 – 131, 269 – L’Unità Cattolica 335 – Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 37, 66, 95, 100, 194, 199, 246 f., 255 – Ozar Nechmad 167 f. – Rivista Israelitica 30, 42, 82, 85 – 90, 92, 108, 222, 270, 272, 283, 288 – Serapeum 115, 118 – Sulamith 51, 62, 194 – Wissenschaftliche Zeitschrift für Jüdische Theologie 64 f., 82, 95, 132, 142 f., 145, 147 f., 151, 196, 226, 268, 324 – Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judentums 66 – Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums 10, 63 Zeitschriftenaustausch 82, 92 Zensur/Zensurmaßnahmen 41, 83, 87, 98, 101, 117, 119 Zeremonialgesetz, jüdisches siehe auch Gesetz, offenbartes 264, 305 Zugehörigkeitsgefühl, italienisches 21, 43, 254, 285, 312, 333, 341, 343, 349