Akteure der Außenbeziehungen: Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel 9783412212698, 9783412205638


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Akteure der Außenbeziehungen: Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel
 9783412212698, 9783412205638

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Akteure der Außenbeziehungen

externa Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven Herausgegeben von André Krischer, Barbara Stollberg-Rilinger, Hillard von Thiessen und Christian Windler

Band 1

Hillard von Thiessen · Christian Windler (Hg.)

Akteure der Außenbeziehungen Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel

2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Ausschnitt aus dem Gemälde „Die Gesandten“ (entstanden um 1533) von Hans Holbein d.J. Der Ausschnitt zeigt Jean de Dinteville; London, National Gallery © akg-images

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Reihenkonzept und Umschlagentwurf: Judith Mullan, Wien Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20563-8

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive. Von Hillard von Thiessen und Christian Windler.........................................

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Verflechtung und personale Netzwerke

Außenverflechtung in konzentrischen Zonen: Rom 1605–1607 – Erfolg und Misserfolg. Von Wolfgang Reinhard...............................................................................

15

Diplomatische Geschäftsleute – geschäftstüchtige »Diplomaten«: Akteure der genuesischen Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit zwischen Wirtschaft und Politik. Von Julia Zunckel........................................................................................

31

Familienbande im Außendienst: Die diplomatischen Aktivitäten des Kardinals Bernardino Spada (1594–1661) im Kontext der Familienpolitik. Von Arne Karsten......................................................................................

45

Hochadlige Außenverflechtung zwischen Fürstendienst und Hochverrat: Der Grand Condé als europaweit tätiger Akteur. Von Christian Kühner.................................................................................

63

Verflechtung und Verfahren: Individuelle und kollektive Akteure in den Außenbeziehungen der Alten Eidgenossenschaft. Von Andreas Würgler.................................................................................

79

Diplomatie im Spannungsfeld widersprüchlicher Interessen: Das Beispiel von Zug, einer schweizerischen Landsgemeindedemokratie (17. und 18. Jahrhundert). Von Daniel Schläppi..................................................................................

95

Theorie und Praxis der Diplomatie

Verhandeln in der Frühen Neuzeit: Vom Orator zum Diplomaten. Von Jean-Claude Waquet........................................................................... 113

VI

Inhaltsverzeichnis

Humanismus, Gelehrtenrepublik und Diplomatie: Überlegungen zu ihren Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Von Sven Externbrink............................................................................... 133 Finanzwissenschaft und diplomatische Missionen: Machtstrategien und Ausbildung der Staatswissenschaften in Frankreich und der österreichischen Monarchie (1750–1820). Von Christine Lebeau................................................................................ 151 Reformer, Experten und Diplomaten: Grundlagen des Internationalismus im 19. Jahrhundert. Von Johannes Paulmann............................................................................ 173 Gestaltungsraum und lokale Lebenswelt: Britische Diplomaten an ihren deutschen Standorten, 1815–1914. Von Markus Mößlang................................................................................. 199 Gender

Mit den Mitteln einer Frau: Handlungsspielräume adliger Frauen in Politik und Diplomatie. Von Katrin Keller...................................................................................... 219 Fürstliche Diplomatinnen: Die Herzoginnen von Burgund und die burgundische Außenpolitik 1369–1530. Von Malte Prietzel.................................................................................... 245 Kammerdame und diplomatische Akteurin: Die Princesse des Ursins am Hof Philipps V. von Spanien (1701–1714). Von Corina Bastian................................................................................... 261 Die königliche Mätresse als Diplomatin: Madame de Pompadour im Dienst der französischen Krone. Von Eva Kathrin Dade............................................................................... 277 Interkulturalität

Politik und Geschäft: Interkulturelle Beziehungen zwischen Muslimen und Christen im Mittelmeerraum. Von Wolfgang Kaiser................................................................................... 295

Inhaltsverzeichnis

VII

Wahrnehmungen und Praktiken in den französisch-russischen Beziehungen (17. bis 19. Jahrhundert). Von Marie-Karine Schaub......................................................................... 319 Ungleiche Partner: Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Hanse und der spanischen Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert. Von Thomas Weller..................................................................................... 341 Mit »Primitiven« verhandeln: Die britische Campbell-Mission von 1836/37 und die Redefinition von Diplomatiestilen in Sierra Leone. Von Alexander Keese.................................................................................. 357 Die Macht des Protokolls und die Ohnmacht der Osmanen: Zum Berliner Kongress 1878. Von Susanne Schattenberg.......................................................................... 373 Sattelzeiten der Diplomatie

Das »Westfälische System«: Realität und Mythos. Von Heinz Duchhardt............................................................................... 393 Diplomatie der Könige, Diplomatie der Völker 1770–1800. Von Marc Belissa....................................................................................... 403 No Punctilios of Ceremony? Völkerrechtliche Anerkennung, diplomatisches Zeremoniell und symbolische Kommunikation im Amerikanischen Unabhängigkeitskonflikt. Von Matthias Köhler................................................................................. 427 Interkulturelle Diplomatie in der Sattelzeit: Vom inklusiven Eurozentrismus zur »zivilisierenden« Ausgrenzung. Von Christian Windler.............................................................................. 445 Diplomatie vom type ancien: Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens. Von Hillard von Thiessen........................................................................... 471 Abkürzungsverzeichnis............................................................................ 505 Auswahlbibliographie.............................................................................. 507 Personenregister...................................................................................... 527

Einleitung: Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive Von Hillard von Thiessen und Christian Windler

Die Geschichte der Außenbeziehungen hatte lange Zeit den Ruf eines weitgehend von den methodischen Innovationen der Historiographie unberührten Raumes. Erst in den letzten Jahren hat sich dieses Bild gewandelt; die Forschung zu den Außenbeziehungen hat wieder Anschluss an die Entwicklungen der Historiographie gefunden. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich herausragende Vertreter neuer historiographischer Schulen – etwa Lucien Febvre1 oder Hans-Ulrich Wehler2 – mit scharfen Attacken gegen die Politikgeschichte im Allgemeinen und die Geschichte des Mächtesystems und der Diplomatie im Besonderen profilierten. Die Forschung zu Außenbeziehungen steht heute nicht mehr in der theoriefernen Schmollecke, sondern hat an den methodischen Entwicklungen des Fachs Anteil. Wie kam Bewegung in die Historiographie der Außenbeziehungen? Zum einen aus den Politischen Wissenschaften. Hier wurden bereits in den 1960er Jahren Alternativen zur bis dahin üblichen Sichtweise entwickelt, die Außenbeziehungen ausschließlich als zwischenstaatliche Beziehungen interpretierte. Die internationalen Beziehungen hatten entsprechend als ein System gegolten, das überzeitlichen Regeln von Machtpolitik folgte und in dem Staatswesen mittels ihrer Regierungen und Diplomatien in Interaktion miteinander traten3. 1 Lucien Febvre, Contre l’histoire diplomatique en soi. Histoire ou politique? Deux méditations: 1930, 1945, in: ders., Combats pour l’histoire, Paris 1953, 61-69. 2 Hans-Ulrich Wehler, Moderne Politikgeschichte oder ›Große Politik der Kabinette‹?, in: Geschichte und Gesellschaft 1 (1975), 344–369; ders., ›Moderne‹ Politikgeschichte? Oder: Willkommen im Kreis der Neorankeaner vor 1914, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), 257–266. 3 Gerhard Th. Mollin, Internationale Beziehungen als Gegenstand der deutschen NeuzeitHistoriographie seit dem 18. Jahrhundert. Eine Traditionskritik in Grundzügen und Beispielen, in: Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, hrsg. v. Wilfried Loth / Jürgen Osterhammel, München 2000, 3–30, 6 ff. Eine vehemente Verteidigung der Grundannahme, dass Außenbeziehungen von überzeitlichen Regeln des Ringens um Macht und Einfluss bestimmt werden, findet sich in: Thomas Nicklas, Macht – Politik – Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 86 (2004), 1–25. In der englischsprachigen Forschung postuliert die »realistische Schule« die Existenz überzeitlicher Machtbeziehungen, vgl. z.B.: Hedley Bull, The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics, New York 1977; Hans J. Morgenthau, Politics among Nations: The Struggle for Power and Peace, 1. Aufl.,

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Hillard von Thiessen und Christian Windler

Dem entgegen aber stand der aktuelle Befund, dass die Außenpolitik nicht mehr allein Sache der Nationalstaaten war. Die Aufweichung nationalstaatlicher Souveränität machte sich bemerkbar. Staatenbünde, supranationale Organisationen und zunehmend auch nicht-gouvernementale Akteure gewannen auf der eben nicht mehr nur »internationalen« Bühne an Bedeutung. Die Staaten hatten offenbar ihren Status als unumstrittene Hauptakteure der Außenbeziehungen eingebüßt und verloren damit an normgebender Macht für deren Regelwerk. Die methodische Konsequenz hieraus war die Entwicklung des Konzepts der »Transnationalen Beziehungen«. Es sollten nicht mehr nur Beziehungen zwischen staatlichen Regierungen und Diplomatien untersucht werden, sondern stattdessen »Interaktionen« und »Interdependenzen« zwischen einer Vielzahl von Akteuren im Zentrum der Forschung stehen4. War der unmittelbare Effekt dieser Entwicklungen in der Politologie auf die Historiographie zunächst noch sehr gering, so bewältigte die Geschichtswissenschaft seit den 1970er Jahren eine ganze Serie von Paradigmenwechseln. Die »Bielefelder Schule« der historischen Sozialwissenschaften machte der Außenpolitikgeschichte in den 1970er Jahren ihre ohnehin schon lange nicht mehr allgemein anerkannte5 Führungsstellung innerhalb der Disziplin endgültig streitig, indem sie den »Primat der Außenpolitik« vehement ablehnte und an seine Stelle innenpolitische Aspekte setzte. Diplomatie- und New York 1948 / 7. Aufl. Boston 2005 (dt. Übers.: Macht und Frieden. Grundlegung einer Theorie der internationalen Politik, Gütersloh 1963); Markus Fischer, Feudal Europe, 800–1300: Communal Discourse and Conflictual Practices, in: International Organization 46 (1992), 427–466. Gegen Fischer aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive: Rodney Bruce Hall / Friedrich V. Kratochwil, Medieval Tales: Neorealist ›Science‹ and the Abuse of History, in: International Organization 47 (1993), 479–491. 4 Ernst-Otto Czempiel, Internationale Politik. Ein Konfliktmodell, Paderborn u. a. 1981, 13 ff. und 69 ff.; Karl Kaiser, Transnationale Politik. Zu einer Theorie der multinationalen Politik, in: Die anachronistische Souveränität. Zum Verhältnis von Innen- und Außenpolitik, hrsg. v. Ernst-Otto Czempiel (Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 1/1969), Köln / Opladen 1969, 80–109; Joseph Nye / Robert Keohane, Transnational Relations and World Politics: An Introduction, in: Transnational Relations and World Politics, hrsg. v. dems., Cambridge Ma. 1972, IX–XXIX; Jürgen Osterhammel, Transnationale Gesellschaftsgeschichte: Erweiterung oder Alternative?, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), 464–479; Kiran Klaus Patel, Überlegungen zu einer transnationalen Geschichte, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004), 626–645; Thomas RisseKappen (Hrsg.), Bringing Transnational Relations Back In. Non-State Actors, Domestic Structures and International Institutions, Cambridge 1995. 5 Zu den in Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg geführten Debatten um den Primat der Außenpolitik: Andreas Wirsching, Internationale Beziehungen, in: Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch, hrsg. v. Joachim Eibach / Günther Lottes, Paderborn u. a. 2002, 112–125, 119 ff.

Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive

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Außenpolitikgeschichte wurden daraufhin zunehmend marginalisiert, weil sie weder die Herausforderung der Sozialgeschichte annahmen, noch die Sozialgeschichte ihrerseits Interesse für außenpolitische Fragestellungen zeigte, sieht man einmal vom »Sozialimperialismus«-Konzept ab6. Auch die darauf folgende Hinwendung der Geschichtswissenschaft zu sozialanthropologisch orientierten Fragestellungen und die Entstehung einer politischen Kulturgeschichte gingen zumindest im deutschsprachigen Raum zunächst an der Außenpolitikgeschichte vorbei. Allerdings veränderte sich die Sichtweise auf die Staatsbildung in einer Weise, die auch Konsequenzen für die Geschichte der Außenbeziehungen mit sich bringt. Die neuere Forschung beschreibt den Staatsbildungsprozess als eine Entwicklung, die weit weniger zielgerichtet verlief, als man dies noch vor einigen Jahren angenommen hatte. Die Dekonstruktion des Absolutismus-Paradigmas veränderte den Blick auf den frühneuzeitlichen Fürstenstaat in durchschlagender Weise. Im Ancien Régime, so der Tenor der jüngeren Forschung, gelang die machtpolitische Durchdringung und rechtliche Vereinheitlichung der protostaatlichen Territorien nur in Ansätzen. Nicht Befehl und Gehorsam beziehungsweise Disziplinierung und Anpassung bestimmten das Verhältnis zwischen Fürst und Untertanen, sondern, um hier die Formel von Nicholas Henshall zu nennen, Kooperation und Konsens7. Nicht der zentral regierte absolutistische Fürstenstaat, sondern die zusammengesetzte Monarchie im Sinne von John H. Elliott stellte den Normalfall im frühneuzeitlichen Europa dar8. Die auf diesen Forschungsergebnissen aufbauende politische Kulturgeschichte historisiert den Staat im Allgemeinen und dekonstruiert den National- und Verwaltungsstaat als Maßstab und Zielpunkt der Geschichte – dies vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrung einer schleichenden Delegitimation und eines Rückgangs der Staatsgewalt in der Gegenwart. Nicht mehr normative Setzungen und politische Theorien stehen damit im Vordergrund des Interesses, sondern ihre Verhandlung und ihre Implementation – oder aber deren Scheitern. Sie betrachtet den Staat und die politische Kultur nicht mehr von oben, sondern als Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen 6 Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Imperialismus, Köln 1970, 86. 7 Nicholas Henshall, The Myth of Absolutism. Change and Continuity in Early Modern European Monarchy, London / New York 1992. Zur Absolutismusdebatte: Ronald G. Asch / Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700), Köln / Weimar / Wien 1996; Lothar Schilling (Hrsg.), Der Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz, München 2008. 8 John Huxtable Elliott, A Europe of Composite Monarchies, in: Past and Present 137 (1992), 48–71.

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Hillard von Thiessen und Christian Windler

Akteuren. Vasallen beziehungsweise Untertanen werden nicht als Objekte der Disziplinierung, sondern als kreative Akteure betrachtet, die ebenfalls Anteil am Staatsbildungsprozess hatten. Aushandlung bedeutete dabei wohlgemerkt nicht, dass in trauter Harmonie und gegenseitiger Akzeptanz eines Regelwerks Fragen von politischer Bedeutung geregelt wurden. Sie stellte in der Praxis vielmehr ein Kräftemessen zwischen verschiedenen Akteuren dar. Die kreative Teilnahme der Untertanen beziehungsweise Vasallen am Staatsbildungsprozess ändert nichts am prinzipiellen Faktum, dass die Staatsgewalt wuchs und dieses Wachstum im Verlauf der Frühen Neuzeit unumkehrbar wurde. Doch wurde die Staatsbildung ebenso durch Impulse »von unten« beeinflusst und die Herrschaftsträger waren mehr oder weniger erfolgreich bemüht, das Ausgreifen des Staates auf neue Lebensbereiche den Betroffenen gegenüber zu legitimieren9. Wenn die politische Kultur demnach das Ergebnis fortlaufender Aushandlungsprozesse darstellt und somit einem beständigen Wandel unterworfen ist, dann hat dies auch Auswirkungen auf unsere Sichtweise der Geschichte der Außenbeziehungen. Im Lichte der jüngeren Forschung scheint eine Reihe von Grundannahmen, die lange die Geschichte der Außenbeziehungen geprägt haben, entweder nicht mehr haltbar, oder reif für eine gründliche Überprüfung. Zu diesem Zweck fand vom 13. bis zum 16. März 2008 an der Universität Bern die Tagung »Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive. Verflechtung – Gender – Interkulturalität« statt. Vier Thesen zu den Konsequenzen, die für die Erforschung der Außenbeziehungen gezogen werden sollten, bildeten dabei den Ausgangspunkt. Erstens erscheint es höchst zweifelhaft, dass es im Sinne des »Realismus« je überzeitliche Regeln außenpolitischen Verhaltens gegeben hat; vielmehr sollte 9 Achim Landwehr, Diskurs – Macht – Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), 71–117; Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 574–606; Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hrsg. v. ders., Berlin 2005, 10–24; Ronald G. Asch / Dagmar Freist (Hrsg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2005; Wolfgang Reinhard hat die Verwendung des Begriffs »Aushandeln« folgendermaßen kritisiert: »Das deutsche Wort ›Aushandeln‹, das sehr bewußt eine gleichgewichtigegalitäre Konstellation zwischen Herrschaft und Untertanen suggerieren will, führt in die Irre, im Gegensatz zum englischen ›negotiate‹, das wie ›Verhandeln‹ oder ›Nutzen‹ im Deutschen asymmetrische Interaktion einschließt und damit sachgerechter wäre.« Wolfgang Reinhard, Zusammenfassung: Staatsbildung durch ›Aushandeln‹?, in: R. G. Asch / D. Freist (Hrsg.), Staatsbildung (wie oben), 429–438, 434.

Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive

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grundsätzlich von der Veränderbarkeit des politischen Wahrnehmungs- und Handlungsrahmens ausgegangen werden. Zweitens sollten Staatswesen nicht wie geschlossen handelnde Individuen untersucht werden. Der Deagentivierungsdiskurs, in dem zum Beispiel von Frankreich oder Paris oder dem Quai d’Orsai als handelnden Einheiten die Rede ist, übersieht, dass Außenpolitik menschengemacht ist und dass die personalen Akteure selbst dann, wenn sie von den Interessen eines Staates sprechen, doch bestenfalls ihre Vorstellungen von dessen Interessen zum Ausdruck bringen. Drittens sollte die Auffassung, Außenpolitik sei mit dem Aufstieg der frühneuzeitlichen Fürstenstaaten ein von der übrigen Gesellschaft getrennter Arkanbereich geworden, einer kritischen, an der soziopolitischen Praxis orientierten Überprüfung unterzogen werden. In diesem Zusammenhang ist viertens anzuzweifeln, dass Außenbeziehungen selbst in der Hochphase der Nationalstaaten im späten 19. und frühen 20.  Jahrhundert eine exklusiv staatliche Angelegenheit darstellten und dass die außenpolitische Willensbildung weitgehend frei von nichtstaatlichen Einflüssen war10. Dieser Band enthält Beiträge zu einem Zeitraum, der vom späten Mittelalter bis zum Ende des »langen 19. Jahrhunderts« reicht. Wir haben uns für die Bezeichnung »Außenbeziehungen« statt »internationaler« oder »transnationaler« Beziehungen entschieden, um den souveränen Nationalstaat des 19. und 20. Jahrhunderts nicht als Maßstab aller Dinge zu setzen. Mit »Außenbeziehungen« haben wir einen Begriff zur Verfügung, der für verschiedene Formen grenzüberschreitender Beziehungen auch in vornationalstaatlicher Zeit verwendet werden kann. »Akteurszentriert« soll in einem sehr umfassenden Sinn verstanden werden. Forschungen zu transnationalen Beziehungen befassen sich zumeist mit nichtstaatlichen Akteuren11. Die Aufsätze dieses Bandes orientieren sich aber weniger an der Scheidung in staatliche und nichtstaatliche Akteure, die sich im Laufe der Frühen Neuzeit ohnehin erst allmählich durchsetzte. Vielmehr soll das Handeln von Personen und sozialen Gruppen in grenzüberschreitenden Beziehungen untersucht werden, und zwar sowohl von Akteuren, die als 10 Vgl. hierzu den Sammelband: Sebastian Conrad / Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland und die Welt 1871–1914, Göttingen 2004. 11 Vgl. z.B. den Vorschlag Martin Kriegers zur Erforschung transnationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit, der sich mit Netzwerken jenseits staatlicher Strukturen befasst: Martin Krieger, ›Transnationalität‹ in vornationaler Zeit? Ein Plädoyer für eine erweiterte Gesellschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), 125–136.

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Hillard von Thiessen und Christian Windler

Amtsträger ihrem Staatswesen oder Fürsten dienten, als auch von Angehörigen nichtstaatlicher Netzwerke wie Händlern, Ordensmitgliedern, Missionaren oder Mitgliedern grenzüberschreitend verflochtener Familienverbände. Die Vielfalt neuerer Ansätze zwingt zur Beschränkung. Die in diesem Band gebündelten Beiträge betreffen vier Forschungsbereiche, deren gemeinsamer methodischer Ausgangspunkt in der Konzentration auf die Denk- und Handlungsspielräume personaler Akteure liegt: Verflechtung und Netzwerke, Theorie und Praxis der Diplomatie, Gender und schließlich Interkulturalität. Dass eine akteurszentrierte Perspektive die Untersuchung von Netzwerken impliziert, erscheint geradezu selbstverständlich. Allerdings hat sich die Netzwerkanalyse bis vor kurzem weitgehend auf Binnenstrukturen beschränkt. Ausgehend von Modellen der Sozialanthropologie hat Wolfgang Reinhard das Konzept der »Verflechtung« entwickelt, das vier Beziehungstypen unterscheidet: Verwandtschaft, Landsmannschaft, Freundschaft und Patronage12. Parallel dazu entstanden Studien, die mit den Mitteln der Netzwerkanalyse die Praxis fürstlicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit untersuchten und dem Verständnis von Herrschaftsausübung im Ancien Régime grundlegende Impulse vermittelten13. Verflechtungs- beziehungsweise Netzwerkanalyse bedeutet zunächst einmal, personale Netzwerke zu rekonstruieren und somit informelle Beziehungsstrukturen offenzulegen. Vor allem die Analyse von Verwandtschafts- und Patron-Klient-Beziehungen hat massiv zu unserem Verständnis der Kohäsion sozialer und politischer Einheiten beigetragen. Herrschaftsträger waren in der Frühen Neuzeit auf diese Beziehungsformen angewiesen, um Personal und Untertanen überhaupt an sich binden und Entscheidungen durchsetzen zu können14. Es liegt nahe, dass auch Gesandte eines 12 Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. ›Verflechtung‹ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979. 13 William Beik, Absolutism and Society in Seventeenth-Century France. State Power and Provincial Aristocracy in Languedoc, Cambridge 1985; Sharon Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France, New York / Oxford 1986; Christian Windler, Lokale Eliten, seigneurialer Adel und Reformabsolutismus in Spanien (1760– 1808). Das Beispiel Niederandalusien, Stuttgart 1992. 14 Birgit Emich, Territoriale Integration in der Frühen Neuzeit. Ferrara und der Kirchenstaat, Köln 2005; Sh. Kettering, Patrons, Brokers, and Clients (Anm. 13); Nicole Reinhardt, Macht und Ohnmacht der Verflechtung. Rom und Bologna unter Paul V. Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat, Tübingen 2000; Ch. Windler, Lokale Eliten, seigneurialer Adel und Reformabsolutismus (Anm. 13). Vgl. außerdem die Sammelbände: Ronald G. Asch / Adolf M. Birke (Hrsg.), Princes, Patronage, and the Nobility. The Court at the Beginning of the Modern Age c. 1450–1650, Oxford 1991; Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Power Elites and State Building, Oxford 1996. Vgl. weiterhin die durch Heiko Droste ausgelöste Kontroverse über die Patronageforschung: Heiko

Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive

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Fürsten oder einer Republik über Verwandtschafts- oder Klientelbindungen zu maßgeblichen Personen bei Hof oder in der Regierung auf ihren Posten gelangt waren und dass die Bindung an verschiedene Netzwerke Einfluss auf ihre Amtsführung hatte15. Darüber hinaus dient die Verflechtungsanalyse nicht nur der Erfassung von Netzwerken, sondern ist ebenso ein Mittel zur Ermittlung des Ethos sozialer Bindungen. Denn Verwandte, Klienten, Patrone und Freunde zu unterstützen bedeutete, den Erfordernisses eines, um mit Bourdieu zu sprechen, »sanften Zwanges« zu folgen16. Es bedeutete, Erwartungen zu erfüllen und damit Vertrauen zu stiften sowie das eigene soziale Kapital zu mehren. Über sachliche oder ideologische Verflechtungsgründe hinaus – gemeinsame politische Interessen, gleiche Konfession, gleicher Bildungshorizont – war es somit ein soziales Ethos, das Netzwerke zusammenhielt. Inwieweit dieser Befund auch für grenzüberschreitende Netzwerke wie die République des lettres, für Beziehungen zwischen Adelsfamilien verschiedener Länder oder für Gesandte galt, ist Thema des ersten Teils dieses Bandes. Auch wird die Frage gestellt, ob sich in der diachronen Perspektive ein Wandel im sozialen Ethos und in den Handlungsmöglichkeiten grenzüberschreitender Netzwerke feststellen lässt. Der zweite Themenbereich hängt eng mit dem ersten zusammen: Praxis und Theorie der Diplomatie klafften insbesondere in der Frühen Neuzeit deutlich auseinander. Auf der einen Seite finden wir eine umfangreiche TraktatliteDroste, Patronage in der Frühen Neuzeit – Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für Historische Forschung 30 (2003), 555–590; Birgit Emich / Nicole Reinhardt / Hillard von Thiessen / Christian Wieland, Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), 233–265. 15 Aus der Schule um Wolfgang Reinhard liegen mittlerweile einige Arbeiten zur Außenverflechtung des Kirchenstaats vor: Guido Metzler, Französische Mikropolitik in Rom unter Papst Paul V. Borghese (1605–1621), Heidelberg 2008; Tobias Mörschel, Buona amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien, Mainz 2002; Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605–1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, Tübingen 2004 (darin Aufsätze zu Spanien von Hillard von Thiessen, zu Neapel von Guido Metzler, zu Mailand von Julia Zunckel und zu Genua von Jan-Christoph Kitzler); Christian Wieland, Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621), Köln / Weimar / Wien 2004. Vgl. außerdem zu weiteren europäischen Beispielen für Außenverflechtung in der Frühen Neuzeit: Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 36), Berlin 2005. 16 Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt/M. 1994, 173 f.

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Hillard von Thiessen und Christian Windler

ratur, welche normative Anforderungen an die Diplomaten formuliert. Sie fordert seine unbedingte Bindung und Treue an den Dienstherrn und umschreibt seine Aufgaben; im Kern hat er als reines Medium zur Vermittlung des Willens seines Herrn zu wirken17. Auf der anderen Seite finden wir Gesandte in der diplomatischen Praxis in vielen Rollen, die aus ihren sozialen Beziehungen (und damit verbunden: Verpflichtungen) resultierten. Sie vermakelten Ressourcen an Verwandte, Freunde, Patrone und Klienten, gingen verpflichtende Bindungen am Dienstort ein und begriffen ihren Fürstendienst als Teilhabe an Herrschaft und Ressourcen ihres Herrn18. Die Beiträge in diesem Abschnitt setzen sich mit den Rollen, Lebenswelten und Handlungsspielräumen der Gesandten auseinander, fragen nach verschiedenen Typen von Gesandten und untersuchen, auf welche Wissensbestände und welche Ausbildung sie zurückgreifen konnten. Darüber hinaus behandeln sie Normen- und Rollenkonflikte, denen die Gesandten ausgesetzt waren und mit denen sie umzugehen hatten. In den Netzwerken von Gesandten spielten Frauen zumindest in der Frühen Neuzeit eine erhebliche Rolle. Das mag zunächst ebenso überraschen wie die Aufnahme der Kategorie »Gender« in einen Band über Außenbeziehungen. Denn dass Männer Außenpolitik machten, galt selbst in der Genderforschung lange Zeit als derart unumstößliche Tatsache, dass die Erforschung weiblicher Handlungs- und Einflusssphären in grenzüberschreitenden Beziehungen ein bis heute außerordentlich marginales Forschungsfeld darstellt. Wenn aber

17 Zur Traktatliteratur: Maurizio Bazzoli, Ragion di Stato e interessi degli stati. La trattatistica sull’ambasciatore dal XV al XVIII secolo, in: Nuova rivista storica 86 (2002), 283–328; Heidrun Kugeler, ›Le parfait Ambassadeur‹. Zur Theorie der Diplomatie im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, in: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, hrsg. v. ders. / Christian Sepp / Georg Wolf, Hamburg 2006, 180–211; Jean-Claude Waquet, François de Callières: L’art de négocier en France sous Louis XIV, Paris 2005. Zum Verständnis des Diplomaten als Vertreter und Abbild seines Herrn siehe auch: Christian Wieland, Diplomaten als Spiegel ihrer Herren? Römische und florentinische Diplomatie zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), 358–379. 18 Zum Begriff der Teilhabe an Herrschaft mit Bezug auf Diplomaten: Heiko Droste, Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert, Hamburg 2006, 13 und 210. Zur Rollenvielfalt der Diplomaten: Hillard von Thiessen, Grenzüberschreitende Patronage und Diplomatie vom type ancien. Die spanisch-römischen Beziehungen im Pontifikat Pauls V. (1605–1621) in akteurszentrierter Perspektive, Epfendorf 2010. Zu Botschaftern als Vertretern ihres Familienverbandes: Toby Osborne, Dynasty and Diplomacy in the Court of Sayoy. Political Culture and the Thirty Years’ War, Cambridge 2002.

Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive

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Frauen innerhalb von familiären Netzwerken eine Schlüsselrolle spielten19 und die Familienbindung wenigstens bis in das 18. Jahrhundert von handlungsleitender Bedeutung selbst für die Diplomatie war, dann liegt hier noch ein erhebliches Forschungsdesiderat vor. Dies gilt umso mehr, als die Genderforschung betont, dass weibliche Akteure in der höfischen Gesellschaft größeren Einfluss auf viele Bereiche des Politischen ausübten als dies in der bürgerlichen Gesellschaft, die den weiblichen Handlungsraum weitgehend auf die Sphäre des Privaten beschränkte, möglich war20. Die Untersuchung des Gewichts von Frauen in außenpolitischen Willensbildungsprozessen und die Frage nach strukturellen Unterschieden zwischen weiblichen und männlichen Handlungsmustern in der Außenpolitik lässt also einerseits Entwicklungen im Geschlechterverhältnis erkennen, während sie andererseits auf den Hof als Ort verweist, an dem bis zum Ende des Ancien Régime außenpolitische Entscheidungen getroffen wurden. Frauen in der Konfiguration des Hofes – sei es als Vertreterinnen adliger Familienverbände oder als Mätressen des Fürsten – können hier ebenso in den Blick genommen werden wie die Fürstinnen selbst. Weniger überraschend, aber nichtsdestotrotz erst seit relativ kurzer Zeit Gegenstand der Forschung, ist der vierte Themenschwerpunkt. Der Umgang mit dem Fremden ist für Akteure, die grenzüberschreitend handeln, eine Alltagssituation. Zu den zentralen Herausforderungen von Diplomatie gehört es, zwischen Herrschaftsverbänden zu vermitteln, die unterschiedliche normative Vorstellungen repräsentieren. Mittels einer anthropologischen Entzifferung diplomatischer Texte können diese als Zeugnisse einer Herausforderung des Fremden interpretiert werden. In interkulturellen Interaktionssituationen zeigt sich, wie stark die Akteure kulturell konditioniert sind. Damit wird auch die Tragfähigkeit von Kulturkonzepten, wie sie in der historischen Anthropologie verwendet werden, auf die Probe gestellt. Waren diplomatische Akteure im Sinne eines Geertzschen Kulturbegriffes gewissermaßen Gefangene ihrer Wahrnehmungsmuster21? War ihr Blick auf das Andere also in erster Linie 19 Renata Ago, Giochi di squadra: uomini e donne nelle famiglie nobili del XVII secolo, in: Signori, patrizi, cavalieri in Italia centro-meridionale nell’età moderna, hrsg. v. Maria Antonietta Visceglia, Rom / Bari 1992, 256–264. 20 Natalie Zemon Davis, La femme ›au politique‹, in: Histoire des femmes en Occident, Bd.  3: XVIe–XVIIIe siècle, hrsg. v. ders. / Arlette Farge, Paris 1991, 213–232; Sybille Oßwald-Bargende, Die Mätresse, der Fürst und die Macht. Christina Wilhelmina von Grävenitz und die höfische Gesellschaft, Frankfurt a.M. / New York 2000, 13. 21 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung, Frankfurt/M. 1983 und weitere Auflagen. Dagegen haben Vertreter der italienischen microstoria betont, dass Bedeutungen in symbolisch vermittelten Prozessen nicht nur reproduziert, sondern auch verändert wurden. Vgl. z. B. Giovanni Levi, I pericoli del geertzismo, in: Quaderni storici 20, No. 58 (1985), 269–277.

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Projektion des Eigenen22? Es stellt sich die Frage, ob die an der interpretativen Kulturanthropologie orientierten Ansätze mit ihrem semiotischen Kulturbegriff die Fähigkeiten der Akteure unterschätzen, die kulturelle Konditioniertheit der eigenen Wahrnehmungsformen und Praktiken zu erkennen, kulturelle Missverständnisse zu vermeiden und Handlungskontexte zu verändern. Es scheint, dass ein interaktionistisches Verständnis von Kultur den praxisbezogenen Überlegungen der Akteure vergangener Epochen besser entspricht23. Zu fragen ist aber auch, ob die zunehmende Nationalisierung der Identitäten der Akteure deren Bereitschaft zur Akkulturation verminderte. Ein zentrales Anliegen dieses Bandes ist es, Außenbeziehungen in ihrer Entwicklung über einen langen Zeitraum zu verfolgen. Können wir von einer – gar gezielt vorangetriebenen? – Genese diplomatischer Praxis sprechen, ist Diplomatie also Indikator und/oder Gestalter eines graduell ablaufenden Staatenbildungsprozesses? Oder stellt sich die Geschichte der Außenbeziehungen eher als eine Folge wirkmächtiger, die Praxis wie die Vorstellungen der beteiligten Akteure deutlich verändernder Entwicklungsschübe dar, die jeweils von längeren Phasen von Kontinuität und relativer Stabilität abgelöst wurden? Können in dieser Perspektive diplomatische Sattelzeiten, also Phasen beschleunigten Wandels mit dem Ergebnis qualitativer Entwicklungsschübe identifiziert werden? Mögliche Zeiträume beschleunigten Wandels könnten in der Entstehung ständiger Gesandtschaften um 1500, den großen Friedensschlüssen Mitte des 17. Jahrhunderts, dem Untergang des Ancien Régime, der Nationalisierung und Professionalisierung der Diplomatie, der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress oder mit der kolonialen Durchdringung der Welt durch europäische Mächte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert angesetzt werden. Die Periodisierung der Geschichte der Außenbeziehungen 22 Mehrere Untersuchungen zum Umgang mit fremden Kulturen von Seiten der römischen Nuntien in der Frühen Neuzeit bescheinigen diesen eine regelrechte Wahrnehmungsverweigerung: Peter Burschel, Das Eigene und das Fremde. Zur anthropologischen Entzifferung diplomatischer Texte, in: Kurie und Politik. Stand und Perspektiven der Nuntiaturberichtsforschung, hrsg. v. Alexander Koller, Tübingen 1998, 260–271; Volker Reinhardt, Nuntien und Nationalcharakter. Prolegomena zu einer Geschichte nationaler Wahrnehmungsstereotype am Beispiel der Schweiz, in: ebd., 285–299; Wolfgang Reinhard, Historische Anthropologie frühneuzeitlicher Diplomatie. Ein Versuch über Nuntiaturberichte 1592–1622, in: Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. v. Michael Rohrschneider / Arno Strohmeyer, Münster 2007, 53–72. 23 Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’Autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840), Genf 2002; ders., Diplomatie als Erfahrung fremder politischer Kulturen. Gesandte von Monarchen in den eidgenössischen Orten (16. und 17. Jahrhundert), in: Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), 5–44.

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ist kein l’art pour l’art, sondern ein Mittel zur Reflexion über die Wirksamkeit verschiedener Faktoren und Rahmenbedingungen auf die Außenbeziehungen, über das Verhältnis von gesellschaftlichen Strukturen und außenpolitischen Denkweisen, über das Verhältnis von Norm und Praxis und über die Beschaffenheit des »internationalen« Systems. Die akteurszentrierte, mikrohistorische Perspektive auf die Außenbeziehungen liefert zu diesen Fragen Ergebnisse, die teilweise von den allein aus der Makroperspektive gewonnenen Gewissheiten abweichen und neue Perspektiven eröffnen. Die Mikroperspektive kann für ihre Ergebnisse genauso wenig Allgemeingültigkeit beanspruchen, wie dies die klassische Außenpolitikforschung aus ihrer normativen Vogelperspektive vermag. Indem sie aber neue Fragen an alte Forschungsgegenstände heranträgt und Forschungsergebnisse der politischen Kulturgeschichte zur Kenntnis nimmt und verwertet, vertieft und erweitert sie unser Verständnis der Geschichte der Außenbeziehungen. Nicht die Fortsetzung eines »Dialogs der Taubstummen«24 zwischen historiographischen Schulen, die dezidiert nicht voneinander lernen wollen25, ist geboten, sondern die selbstverständliche Einbettung der Erforschung der Geschichte der Außenbeziehungen in die Entwicklung und Vielfalt der historischen Forschung insgesamt. Das ist das Hauptanliegen dieses Bandes. Die Herausgeber danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung für Neuere Geschichte des Historischen Instituts der Universität Bern, die entscheidend zum Gelingen der Tagung im März 2008 beigetragen haben. In ihren Händen lagen auch die redaktionelle Bearbeitung der Beiträge, die Übersetzung der fremdsprachigen Texte und die Anfertigung des Personenregisters. 24 Wilfried Loth, Einleitung, in: ders. / J. Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte (Anm. 3), VII–XIV, VIII. 25 Ein Nebeneinander im Sinne einer mehr oder weniger friedlichen Koexistenz zwischen »alter« Politikgeschichte und »neuer« Kulturgeschichte fordern: Hans-Christof Kraus  / Thomas Nicklas, Einleitung, in: Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, hrsg. v. dens., München 2007, 1–12. Dabei wird die Inkompatibilität dieser beiden Richtungen betont, zumal die Kulturgeschichte die konventionelle Politikgeschichte abwerte. Bemerkenswert ist, dass dabei der Kulturgeschichte die »Enthandwerklichung« des Fachs vorgeworfen wird, obwohl doch gerade kulturhistorische Mikrostudien zur Geschichte der Außenbeziehungen auf intensiver Quellenarbeit beruhen. Auch erscheint es fraglich, ob das Pochen auf dem Objektivitätsgebot des Historismus weiterführend ist. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Kraus und Nicklas die »alte« Politikgeschichte als Reservat verstehen, in dem neue Perspektiven und Ansätze nicht mehr zur Kenntnis genommen werden müssen. Damit aber wird ein Eckpfeiler wissenschaftlichen Anspruchs eingerissen.

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Dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und dem Max und Elsa Beer-Brawand-Fonds sei für die Finanzierung der Tagung und Ersterem auch für die großzügige Unterstützung der Drucklegung gedankt.

Außenverflechtung in konzentrischen Zonen: Rom 1605–1607 – Erfolg und Misserfolg Von Wolfgang Reinhard

»Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie [von Gemeinwesen] wiesen im 16. Jahrhundert große Ähnlichkeit mit den Außenbeziehungen der werdenden Staaten auf.« Zu diesem Schluss gelangt Guido Metzler bei seiner Untersuchung der Beziehung zwischen Rom und dem Königreich Neapel1. Den hoch entwickelten Zentralbehörden entsprach im frühen 17. Jahrhundert nirgendwo eine differenzierte »staatliche« Lokalverwaltung. Auch wenn die Autorität der Zentrale längst nicht mehr in Frage stand, so war sie doch nach wie vor auf Zusammenarbeit mit den lokalen Machthabern angewiesen. Das waren entweder Adelsherrschaften oder kommunale Oligarchien von quasirepublikanischen, aber ganz und gar nicht demokratischen Gemeinwesen, die im Gegensatz zu Adelsherrschaften der Zentrale unmittelbar unterstanden. Im Kirchenstaat nahm diese Gattung ständig zu. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebten 70,8 % der Bevölkerung des Kirchenstaates in Feudalherrschaften, im 18. Jahrhundert waren es nur noch 9,5 %, die außerdem im südlichen Latium, dem Revier der römischen Barone, konzentriert waren2. Der unmittelbaren Unterwerfung unter die Zentrale entsprach eine innere Oligarchisierung der über zweihundert Städte und Gemeinden, die von Rom wohlwollend gefördert wurde. Denn auf diese Weise ließen sich die chronischen Faktionskonflikte der italienischen Kommunen beenden, und die Zentrale erhielt verlässliche, weil abhängige Partner, die ihre Anliegen zwar nicht mehr auf gleicher Augenhöhe mit der Zentrale »aushandeln« konnten, aber immer noch genug Selbständigkeit und Selbstbewusstsein zum »Verhandeln« mit ihr besaßen. Wie die Zentrale waren sie an Ruhe und Ordnung sowie am Eingang der Steuern interessiert, letzteres auch deswegen, weil sie zum Teil selbst Gläubiger des Papstkredits waren, der aus den Steuern verzinst 1 Guido Metzler, Die doppelte Peripherie. Neapel als römische Kolonie und spanische Provinz, in: Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605–1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, hrsg. v. Wolfgang Reinhard, Tübingen 2004, 179– 334, 181. – Der folgende Beitrag stützt sich im Wesentlichen auf die Kapitel »Kirchenstaat«, »Genua«, »Genuesisches Krisenmanagement« und »Venedig und der kalte Krieg« meines Buches Paul V. Borghese 1605–1621. Mikropolitische Papstgeschichte, Stuttgart 2009, das meine und anderer Leute Forschungen zusammenfasst. 2 Bandino Giacomo Zenobi, Le ben regolate città. Modelli politici nel governo delle periferie pontificie in età moderna, Rom 1994, 217.

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wurde. Außerdem teilten sie sich mit der Zentrale in Rom die Kontrolle der kirchlichen Pfründen in ihrer Gemeinde. Denn sie waren mit jener nicht nur durch die gemeinsame konfessionelle, humanistische und juristische Kultur verbunden, sondern auch personell: Ein großer Teil des umfangreichen Personals der Zentrale, der römischen Kurie, rekrutierte sich aus den städtischen Oligarchien des Kirchenstaats3. Auf den ersten Blick nahm sich die politische Landschaft außerhalb des Kirchenstaates aus römischer Sicht kaum anders aus. Auf den zweiten Blick ergeben sich freilich zwei wesentliche Unterschiede. Erstens dominierten als Partner für Rom außerhalb des Kirchenstaats die Adelsherrschaften, denn Königreiche und Fürstentümer waren auch nichts anderes. Außerdem wurden auch unterhalb des Niveaus der Souveräne von Rom in jenen Ländern in erster Linie Kontakte mit Adeligen gepflegt und kaum einmal mit Gemeinden. Dieser Befund ist allerdings widersprüchlich, denn einerseits bewegte man sich damit im vertrauten Milieu der politischen Kultur von Monarchien wie die Kirche selbst eine war, andererseits galten Hochadelige aller Art innerhalb und außerhalb des Kirchenstaats aus guten Gründen als schwierige Partner, denen Rom nie völlig über den Weg traute4. Ob aber autonome Stadtrepubliken mit den im Kirchenstaat erprobten Verfahren der Manipulation von Oligarchien leichter zu handhaben waren? Solche Gemeinwesen spielten als Partner des Papsttums außerhalb des Kirchenstaats nur in der Schweiz und in Italien eine Rolle. Die Schweizer allerdings verkörperten für die Römer eine fremdartige barbarische politische Kultur, die von ihnen noch misstrauischer betrachtet wurde als die europäischen Monarchien. Denn die Schweiz stand im Verdacht der Pöbelherrschaft und galt geradezu als eine Art von Gegenwelt zum monarchisch-aristokratischen Europa5. Hingegen gab es dem Kirchenstaat verwandte Verhältnisse in Italien, vor allem in den großen aristokratischen Stadtrepubliken Genua und Venedig. Zweitens ist bei den römischen Außenbeziehungen zu bedenken, dass der Papst als Monarch des Kirchenstaates, einer italienischen Mittelmacht, außerhalb von dessen Grenzen eigentlich nichts zu sagen hatte. Allerdings sind die 3 Wolfgang Reinhard, Stadtrepublikanismus im Kirchenstaat? Ein Versuch, in: Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Stefan Ehrenpreis / Ute Lotz-Heumann / Olaf Mörke / Luise Schorn-Schütte, Berlin 2007, 345–379. 4 Giampiero Brunelli, Soldati del Papa. Politica militare e nobiltà nello Stato della Chiesa (1560–1644), Rom 2003, bes. 132–185. 5 Wolfgang Reinhard, Historische Anthropologie frühneuzeitlicher Diplomatie: Ein Versuch über Nuntiaturberichte 1592–1622, in: Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. v. Michael Rohrschneider / Arno Strohmeyer, Münster 2007, 53–72, 57.

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frühneuzeitlichen Verhältnisse keineswegs immer von derartiger Eindeutigkeit. Neapel war nicht nur ein spanisches Königreich, sondern zugleich eine römische Kolonie, und die Bewohner der Stadt Avignon in der südfranzösischen Exklave des Kirchenstaats wurden von der Loyalität gegenüber ihrem päpstlichen Monarchen nicht daran gehindert, sich auch als französische Untertanen zu betrachten6. Vor allem aber kommt an dieser Stelle die zweite, oder besser: die erste Rolle des Papstes als zumindest dem Anspruch nach ebenfalls unumschränkter Monarch der katholischen Gesamtkirche zum Tragen. Dabei verstand sich die römische Rechtskirche in der politischen Kultur der Zeit als Staat unter Staaten. Bekanntlich war die römische Kirche der erste »Staat«, und voraussichtlich wird »der Staat« als Gemeinwesen, das geglaubt werden will und muss, einst die letzte »Kirche« sein. In seiner Eigenschaft als Kirchenmonarch erhob der Papst nach dem Konzil von Trient in allen katholischen Ländern umfassende Jurisdiktionsansprüche in geistlichen und, was besonders brisant war, in gemischt-geistlich-weltlichen Angelegenheiten. Das schlug sich unter anderem in der Besteuerung der italienischen Kirche, besonders bestimmter Orden Italiens, auch außerhalb des Kirchenstaates nieder7. Und es führte in vielen Fällen zu heftigen Jurisdiktionskonflikten. Nach dem mittelalterlichen Investiturstreit herrschte jetzt ein weltweiter Immunitätsstreit. Unter diesen Umständen erscheint es sinnvoller, statt im modernen Sinn von einem stramm dichotomischen Gegensatz von »innen«, dem Kirchenstaat, und »außen«, dem Rest der Welt, auszugehen, vier oder fünf konzentrische Zonen abnehmender Intensität der politischen, nicht zuletzt auch der finanziellen Interaktion und der mikropolitischen Vernetzung anzunehmen. Die Stadt Rom hatte als Sitz des Monarchen einen Sonderstatus. Die Autonomie des römischen Volkes und seines Magistrats, damals längst wieder auf die unzutreffende Formel SPQR gebracht, war extrem reduziert, wie man nicht nur an der Bestellung der Amtsträger und der höchst eingeschränkten Finanzhoheit ablesen kann. Auch der Alltag stand in erster Linie unter der direkten Kontrolle des päpstlichen Gouverneurs und seines Stabes, im Gegensatz zum ersten Gürtel um Rom, dem Kirchenstaat, wo im oben geschilderten Sinn die unbestrittene päpstliche Hoheit in erster Linie durch Management kommunaler Oligarchien zum Ausdruck kam. In einem zweiten Gürtel, der aus den spanischen Nebenländern Neapel und Mailand sowie dem Großherzogtum Toskana bestand, hatte der Papst 6 Histoire d’Avignon, Aix-en-Provence 1979, 376 f.; Rose-Léone Mouliérac-Lamoureux, Le Comtat Venaissin pontifical 1220–1791, Vedène 1977, 203–213. 7 Massimo Carlo Giannini, L’oro e la tiara. La costruzione dello spazio fiscale italiano della Santa Sede (1560–1620), Bologna 2003.

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einen weit reichenden Zugriff auf die kirchlichen Pfründen. Demgemäß fand hier eine höchst intensive mikropolitische Interaktion statt, natürlich auch mit der spanischen Zentrale im Hinblick auf ihre italienischen Besitzungen. In diesem Raum lag außerdem keineswegs zufällig der Schwerpunkt der Interessen der Papstfamilie. Im dritten Gürtel, dem restlichen Italien und der iberischen Halbinsel, herrschte ein ziemlich strammes spanisches, savoyisches oder venezianisches Kirchenregiment, bei dem nicht nur Bistumsbesetzungen der offiziellen fürstlichen Nomination unterlagen oder zumindest mit den örtlichen Machthabern ausgehandelt werden mussten. Nichtsdestoweniger bezog der Papst aus diesem Raum ungeachtet häufiger Schwierigkeiten immer noch reichliche Einkünfte. Im vierten Gürtel, der aus dem übrigen katholischen Europa bestand, das heißt Frankreich, dem Reich, Polen, Ungarn und so fort, konnte davon kaum mehr die Rede sein. Außerdem wurden in Frankreich die Bistümer und Konsistorialabteien von der Krone besetzt; im Reich herrschte Wahlrecht von Domkapiteln und Konventen. Demgemäß fiel die mikropolitische Interaktion gegenüber der dritten Zone sehr viel bescheidener aus. Das protestantische und das orthodoxe Europa als fünften Gürtel von Außenverflechtung zu bezeichnen, erscheint wenig sinnvoll, denn Beziehungen zu Ketzern gab es per definitionem nicht. Immerhin kamen informelle Kontakte vor. Aus anderen Gründen können Lateinamerika und die asiatischen Missionen höchstens formal als fünfte oder sechste Zone bezeichnet werden, denn die große Entfernung einerseits, das stramme königliche Patronat andererseits hielten auch dort die Kontakte mit Rom in engen Grenzen. In diesem Rahmen sollen nun im Folgenden nicht wie üblich die Beziehungen des Papstes zu den Monarchen behandelt werden, sondern zwei eng verwandte Jurisdiktionskonflikte Pauls V. mit italienischen Stadtrepubliken im Mittelpunkt stehen. Konnten im dritten Gürtel erfolgreich Techniken des Umgangs mit stadtrepublikanischen Oligarchien eingesetzt werden, die sich im ersten Gürtel, im Kirchenstaat, bewährt hatten? In erster Linie handelte es sich dabei um die mikropolitische Interaktion mit der römischen Kurie und konkret um die Frage, warum der Streit mit Genua elegant und mit sowenig Aufsehen beigelegt werden konnte, dass er in der Forschung bisher so gut wie unbeachtet blieb, während derjenige mit Venedig kurz darauf an die Grenze eines Krieges führte und in der Historiographie nicht ganz zu Recht paradigmatischen Status für das Kirche-Staat-Problem erhalten hat.

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I. Genua: Verflechtung und Krisenmanagement Genua wurde wie Venedig von einer Aristokratie von Nobili beherrscht, der hier zwei bis drei Prozent der Stadtbevölkerung angehörten. Die Korrespondenz des Kardinalnepoten, in der sich römische Mikropolitik in erster Linie niedergeschlagen hat, fand kaum mit den offiziellen Amtsträgern der Republik statt, sondern mit Nobili, deren Familien an der Kurie vertreten waren. Wir stoßen auf drei genuesische und zwei spanische Centurione, auf 14 Doria, auf vier Gentile, auf 15 genuesische (neben den venezianischen) Giustiniani, auf mindestens zwölf Grimaldi, auf 13 Marini, auf zehn Pinelli, auf zwei Raggi, auf fünf Rivarola, auf fünf Sauli, auf acht Serra, schließlich auf nicht weniger als 31 Spinola. Neun von diesen zwölf Namen finden sich auch schon auf einer Liste der reichsten Häuser Genuas aus dem späteren 16. Jahrhundert, und zwar handelt es sich dabei obendrein um die reicheren von den 28 reichsten. Ihre Gesamtvermögen schwanken zwischen 1,3 und 13,4 Millionen Pfund, das waren circa 260’000 und 2,68 Millionen römische Silberscudi, mit einem Durchschnitt deutlich über 4 Millionen Pfund, was circa 800’000 Silberscudi entspricht8. Sieben Namen sind außerdem auf einer Liste derjenigen Familien zu finden, aus denen zwischen 1500 und 1800 Kardinäle hervorgegangen sind, wobei die Zahlen zwischen zwei und 13 schwanken. Fünf davon haben schließlich während des Ancien Régime zwischen einem und elf Dogen gestellt9. Die Doria, Grimaldi, Sauli und Spinola sind auf allen drei Listen vertreten, die Spinola überall an erster Stelle mit 13,4 Millionen Pfund Vermögen, 13 Kardinälen und elf Dogen. Das zeigt, wie sehr die Bedeutung eines Hauses auch von der Zahl seiner Zweige und Mitglieder abhängig war. Die höchstmögliche Form von Vertretung eines Hauses an der Kurie war ein Familienkardinal. Unter Paul V. gab es nicht weniger als zehn genuesische Kardinäle, von denen allerdings vier aus unterschiedlichen Gründen keine große Rolle spielten. So bleibt ein harter Kern von sechs Genuesen, keine geschlossene, aber doch eine vernetzte Gruppe, wie sie keine andere Stadt stellen konnte. Die sechs zählten durchweg zu den wichtigen Figuren des Kardinalskollegiums. Die altgedienten Mitglieder Domenico Pinelli und Antonio Sauli waren von 1607 bis 1611 beziehungsweise 1620 bis 1623 sogar Kardinaldek8 ASV, Fondo Borghese I, 170–173, 239v.; zur Umrechnung Jan-Christoph Kitzler, Nützliche Beziehungen. Rom und Genua unter Paul V., in: Römische Mikropolitik (Anm. 1), 569–704, 626, und Volker Reinhardt, Kardinal Scipione Borghese (1605–1633). Vermögen, Finanzen und sozialer Aufstieg eines Papstnepoten, Tübingen 1984. 9 Christoph Weber, Familienkanonikate und Patronatsbistümer. Ein Beitrag zur Geschichte von Adel und Klerus im neuzeitlichen Italien, Berlin 1988, 85.

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ane. Vier dienten Paul V. in ausgesprochenen Vertrauensstellungen als Legaten, Orazio Spinola und Jacopo Serra in Ferrara, Benedetto Giustiniani in Bologna, Domenico Rivarola in Ravenna. Auch ihre Kongregationsmitgliedschaften können sich sehen lassen – sofern sie nicht durch ihre Legationen von Rom ferngehalten wurden. Pinelli war Mitglied in sieben Kongregationen, davon seit 1607 in dreien Vorsitzender, darunter die Inquisition als wichtigste von allen. Sauli war immerhin Präfekt der wichtigen Congregazione de vescovi e regolari und wurde außerdem 1622 der erste Präfekt der neuen Congregazione de propaganda fide. Von den Borghesekreaturen standen Serra und Rivarola der Papstfamilie besonders nahe, Serra als zeitweiliger oberster Verwalter sämtlicher Interessen sowohl des Kardinalnepoten als auch des weltlichen Zweiges des Hauses, Rivarola als Auditor Borgheses und dessen wichtigster Vertrauensmann. Die genuesische Präsenz an wichtigen Stellen der Kurie war aber mit den Kardinälen keineswegs erschöpft – im Gegenteil. Die sieben Brüder Costaguti konnten ausgehend von der Vertrauensstellung Giovanni Battista Costagutis bei Paul V. in Rom ein Finanzimperium errichteten und von 1619 bis 1621 die Schlüsselstellungen des depositario generale und des tesoriere segreto bekleiden. Der Nuntius in Turin Pietro Francesco Costa stammte aus dem genuesischrömischen Bankhaus Errera & Costa, das sich des besonderen Vertrauens der Papstfamilie erfreute. Bezeichnenderweise hängt auch der Aufstieg der Kardinäle Pinelli, Sauli, Giustiniani und Serra mit Finanzoperationen zusammen. Dank ihrer Finanzkraft waren die Genuesen nicht nur auf dem römischen Kapitalmarkt, sondern auch in wichtigen kurialen Kaufämtern überproportional vertreten. Unter den zwölf Protonotaren befanden sich zur Zeit Pauls V. vier Genuesen und auch von den zwölf Kammerklerikern, ein besonders teures und karriereträchtiges Amt, waren vier Genuesen. Einer davon, Giovanni Domenico Spinola, kaufte 1611 für 80’000 Scudi das wichtige Amt des Kammerauditors. Serra hatte 1608 die Schlüsselposition des tesoriere generale erhalten und diese Stellung auch nach der Erhebung zum Kardinal als protesoriere bis 1615 beibehalten. Das heißt, von 1611 bis 1615 waren die beiden wichtigsten Kammerämter in genuesischen Händen, vorher und danach wenigstens eines davon. In Genua gab es keinen päpstlichen Nuntius, und die Stadt war in Rom nur durch Agenten, nicht aber durch einen ständigen Botschafter vertreten. Dafür sprangen die genuesischen Kardinäle ein, in erster Linie der dienstälteste als Protektor der Republik, bis 1611 Pinelli, danach Sauli. Pinelli schickte von 1599 bis 1611 jede Woche eine Depesche an den Senat, die nach Aufbau und Charakter der üblichen Diplomatenkorrespondenz entsprach10 – allerdings 10 AS Genova, Archivio segreto 2811–2814.

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mit dem Unterschied, dass Pinelli kein bloßer Auftragsempfänger des Senats war, sondern selbständig agieren konnte. Das sollte noch wichtig werden. Aber die genuesischen Kardinäle waren nicht nur für Genuas Interessen in Rom, sondern auch für Roms Interessen in Genua tätig. In wichtigen Angelegenheiten versuchten sie, sich bei informellen Treffen im Hause des Protektors abzustimmen und geschlossen aufzutreten. Das war nötig, als sich im Sommer 1605 ein Jurisdiktionskonflikt zwischen Rom und Genua entwickelte und dramatisch eskalierte. Am 2. August teilte der Bischof des genuesischen Albenga Kardinal Pinelli mit, er habe gemäß päpstlicher Vollmacht ein Oratorium kontrollieren und die Bücher der dafür zuständigen Bruderschaft revidieren wollen. Die Gemeinde behaupte demgegenüber in einer angeschlossenen Bittschrift, die betreffende Vollmacht beziehe sich nur auf Kirchen, nicht aber auf ein Oratorium, das seit eh und je ihrem unmittelbaren Patronat unterstehe. Der Senat habe auf Vorstellungen der Bürgerschaft das Oratorium abschließen und die Schlüssel nach Genua bringen lassen. Pinelli schrieb daraufhin an den Senat: Bei allem Respekt – das gibt Ärger11. In der Tat: 14 Tage später hatte der Bischof beim Papst direkt eine Denkschrift eingereicht12, die Pinelli wenige Tage später von Berlingerio Gessi, dem Sekretär der Kongregation für die Bischöfe, im Auftrag des Papstes mit viel Getöse vorgelegt wurde. Er solle sich um die Angelegenheit kümmern, sonst müssten Papst und Kongregation zu »anderen Mitteln« (altro espediente) greifen, woraus Pinelli seine Ermahnung an den Senat ableitete, die Sache müsse unbedingt beigelegt werden13. Der Senat hingegen wies Pinelli darauf hin, dass der Bischof keineswegs im Recht sei; eine ausführliche Antwort werde folgen. Außerdem wurde am 26. August ein Edikt erlassen, das den Amtsträgern der Bruderschaft bei Strafe gebot, ihre Bücher und Statuten binnen 15 Tagen der Dogenkanzlei zur Rechnungsprüfung vorzulegen. Die Folgen waren fürchterlich, denn am 26. September mussten die drei Kardinäle Pinelli, Sauli und Giustiniani dem Senat schreiben, der Papst habe heute morgen anlässlich des Konsistoriums sein Missfallen über dieses Edikt geäußert, das »mit beträchtlichem Präjudiz für die Freiheit der Kirche im Widerspruch zu den Vorschriften des Tridentinischen Konzils und den heiligen Canones sowie der Praxis in ganz Italien erlassen« worden sei14. Pinelli fügte ein eigenhändiges Schreiben bei, was er 11 12 13 14

AS Genova, Archivio segreto 2812: Pinelli an Senat, 12.8.1605. AS Genova, Archivio segreto 2812: Pinelli an Senat, 27.8.1605. AS Genova, Archivio segreto 2812: Pinelli an Senat, 2.9.1605. […] fatto con molto pregiuditio della libertà ecclesiastica contro la forma del Concilio Tridentino et de Sacri Canoni et contro la pratica di tutta Italia. AS Genova, Archivio segreto

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sonst nie tat, denn Paul V. sei »sehr verärgert und habe sich dazu entschlossen gezeigt, den Fall dem Konsistorium vorzulegen und zur Exkommunikation zu schreiten«. Daher sei das Edikt unverzüglich zu widerrufen; als Ausrede böte sich die unzureichende Information des Senats an15. Als der Papst Pinelli vor der nächsten Inquisitionssitzung privat ins Gebet nahm und betonte, der Senat maße sich auch über das Edikt hinaus Jurisdiktionsbefugnisse an, die ihm nicht zustünden, konnte der Kardinal nur erwidern, Post aus Genua sei unterwegs und er könne sich bei der untadeligen kirchlichen Gesinnung des Senates so etwas nicht vorstellen. Dem Senat hingegen schrieb er ziemlich grob, er solle »bei solchen Handlungen behutsam vorgehen« (proceder consideramente in simil attioni) und ihn gefälligst vorher um Rat fragen16. Am 3. Oktober wurde im Senat ein päpstliches Breve verlesen, in dem Paul V. sein Erstaunen über das Edikt kundtat und darauf hinwies, dass das Edikt zwar als rechtswidrig eo ipso null und nichtig sei, dass aber nichtsdestoweniger alle daran Beteiligten den schwersten Kirchenstrafen verfallen seien. Pflichtgemäß und aus väterlicher Zuneigung ermahne er sie, das Edikt zu widerrufen und künftig dergleichen zu unterlassen. Sonst müsse er geeignete Maßnahmen zur Verteidigung der kirchlichen Freiheit ergreifen17. Am 7. Oktober traf mit Kurier die Erklärung des Senats bei Pinelli ein, er habe in seiner gut kirchlichen Gesinnung das betreffende Edikt unverzüglich widerrufen. Pinelli beriet sich mit Sauli und erbat und erhielt abends eine Sonderaudienz für sie beide beim Papst. Paul V. war allerdings mit Brief und Widerruf nicht zufrieden, sondern wollte »die tatsächliche Ausführung« (l’essecutione con le fatti) abwarten, das heißt vor allem die öffentliche Bekanntgabe an die Bischöfe. Wahrheitswidrig behaupteten die Kardinäle, dies sei bereits im Gange, und mahnten deshalb beim Senat entsprechenden Vollzug an. Dafür konnten sie das in solchen politisch delikaten Fällen übliche Zugeständnis erwirken, dass jeder an dem Edikt Beteiligte und daher eo ipso exkommunzierte Genuese sich diskret und ohne Aufsehen von seinem eigenen Beichtvater davon absolvieren lassen dürfe. Allerdings müssten alle schwören, sich künftig nicht mehr an solchen Gesetzen und Dekreten gegen die Freiheit der Kirche und das Kirchenrecht zu beteiligen. Erneut tadelten die Kardinäle den Senat: Keinem 2812: Pinelli, Sauli, Giustiniani an Senat, 26.9.1605, mit Kopie des Edikts (vgl. dazu AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli und Sauli an Senat, 14.10.1605). 15 […] mostrò d’essere molto male affetto et ve’ ne con risolutione di darne conto al Concistoro et di procedere alla scomunica. AS Genova, Archivio segreto 2812: Pinelli (eigenhändig) an Senat, 26.9.1605. 16 AS Genova, Archivio segreto 2812: Pinelli an Senat, 30.9.1605. 17 AS Genova, Archivio segreto 1554 C, Nr. 221: Paul V. an Senat, 22.[9.]1605 (Or.), dorsal: am 3.10. im Senat verlesen.

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Fürsten wäre so ein Fehler passiert; wenn sie vorher Nachricht gegeben hätten, wäre die Panne zu verhindern gewesen; sie sollten also künftig »mit reiflicher Überlegung« (maturamente) vorgehen18. Damit war aber keineswegs alles ausgestanden – ganz im Gegenteil. Offenbar wollte sich der Senat unter Vorbehalten und Ausflüchten mit einem verbalen Rückzieher gegenüber Rom begnügen,19 was laut Pinellis äußerst scharfer Reaktion von teuflischer Verwirrung des Gremiums zeuge. Er und Sauli drängten detailliert auf Bekanntmachung des Widerrufs und bestimmte Wiedergutmachungsmaßnahmen, auf »Taten statt Worte« (fatti non parole). Denn der Papst durchschaute die Taktik des Senats und ließ Pinelli noch einmal ausdrücklich wissen, dass, falls der Widerruf nicht genau nach seinen Weisungen stattfinde, die bereits gedruckte Exkommunikation doch noch erfolgen und der ganzen Christenheit bekannt gegeben werde20. Ein Woche später mussten Pinelli und Sauli dem Senat mitteilen, der päpstliche Memorialensekretär habe sie aufgesucht und ihnen im Detail dargelegt, dass der Papst mit allen Widerrufsdokumenten unzufrieden sei und zusätzlich eine Reihe weiterer Wiedergutmachungsaktionen erwarte. Sie schickten dem Senat daraufhin ihren eigenen Entwurf für einen Widerruf21. Vor der Inquisitionssitzung am 27. Oktober nahm der Papst Pinelli erneut beiseite: Ob es nichts Neues aus Genua gebe22? Zwei Tage darauf wurde er zum Papst bestellt und ihm mit aller Deutlichkeit klargemacht: 1. Bruderschaften und Oratorien gingen den Senat von Genua nichts an, 2. wenn der Widerruf in der verlangten Form nicht binnen einer Woche stattfinde, werde zur Exkommunikation geschritten, 3. wenn die Angelegenheit in Ordnung gebracht worden sei, wolle der Papst Genua die erwarteten geistlichen Gnaden gewähren und gerne seine Obödienzgesandten empfangen23.

18 AS Genova, Archivio segreto 2814: Pinelli und Sauli an Senat, Pinelli an Senat, 7.10.1605; AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli an Senat, Pinelli und Sauli an Senat, 7.10.1605. 19 AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli an Senat, 21.10.1605. »Remissiva a parole, intransigente nella sostanza« sei die Republik gegenüber Rom noch im späteren 17. Jh. gewesen, schreibt Raffaele Ciasca, Contrasti giurisdizionali a Genova nel secolo XVII, in: Raccolta scritti in onore di Arturo Carlo Jemolo, Bd. 1/1, Mailand 1963, 197–213, 203. 20 AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli an Senat, Pinelli und Sauli an Senat, 14.10.1605, Pinelli an Senat, 15.10.1605. 21 AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli und Sauli an Senat, Pinelli an Senat, 22.10.1605. 22 AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli an Senat, 28.10.1605. 23 AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli an Senat, 29.10.1605.

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Am 4. November konnten die genuesischen Kardinäle endlich erleichtert an den Senat schreiben, am Sonntagabend sei der ersehnte Kurier endlich eingetroffen, der Papst sei zufrieden, die Obödienzgesandten dürften kommen24. Es würde auch keine öffentliche Absolution des Senats stattfinden, wie dieser befürchtet hatte, sondern, wie bereits angekündigt, eine diskrete für jeden einzelnen durch seinen privaten Beichtvater25. Dies wurde ausdrücklich in einem Breve verfügt, in dem der Papst seine Freude über den von den Cardinales Vestrae Nationis überbrachten Widerruf zum Ausdruck brachte26. Im Januar 1607 nahm auch der Große Rat das umstrittene Dekret mit dreihundert gegen 43 Stimmen formell ausdrücklich zurück – und bot Soldaten gegen Venedig an27. Auch wenn in Genua entstandene Quellen zu diesem Konflikt kaum vorliegen28, so steht doch zweierlei fest. Erstens meinte Papst Paul V. seine Drohungen vollkommen ernst, sodass durchaus mit einem größeren Konflikt von der Art, wie er inzwischen mit Venedig ausgebrochen war, gerechnet werden musste. Zweitens kam das Verdienst für die Beilegung fast ausschließlich dem mikropolitischen Krisenmanagement durch Domenico Pinelli zu. Insofern handelt es sich um einen exemplarischen Fall von Mikropolitik als hinreichende Bedingung makropolitischen Erfolges, wie die Gegenprobe zeigt. Denn Venedig hatte in seinem Konflikt mit Rom eben keine vergleichbar platzierten Kardinäle zur Verfügung, sondern war auf die Vermittlung dritter Mächte angewiesen, die erst einsetzen konnte, als die Krise bereits bis zur Schwelle eines Krieges eskaliert war. Allerdings fiel es Genua vermutlich leichter nachzugeben, weil es einerseits anders als Venedig keinen traditionellen territorialpolitischen Konfliktstoff mit dem Kirchenstaat hatte, andererseits ebenfalls anders als Venedig wegen seiner in Rom und Spanien engagierten Bankiers verwundbarer gewesen wäre29. Auf der anderen Seite dürfte die Erfahrung des rasch und erfolgreich beigelegten Jurisdiktionskonflikts mit Genua den Juristenpapst Paul V. darin bestärkt haben, auch gegenüber Venedig eine harte Linie zu fahren und so den einmal erzielten Erfolg zu wiederholen. Er sollte sich täuschen. 24 AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli an Senat, Pinelli, Sauli, Giustiniani an Senat, 4.11.1605. 25 AS Genova, Archivio segreto 2813: Pinelli, Sauli, Giustiniani an Senat, 18.11.1605. 26 AS Genova, Archivio segreto 1554 C, Nr. 219: Paul V. an Senat, 19.11.1605 (Or.). 27 BAV, Urb.lat 1075 I, 61; BAV, Cappon. lat. 165 II, 38. 28 Gezielte Recherchen und die Überprüfung der in Frage kommenden Buste AS Genova, Archivio segreto 1334 A, 1352, 2832 blieben ohne Ergebnis. 29 Vgl. Michele Rosi, Storia delle relazioni fra la Repubblica di Genova e la Chiesa Romana specialmente considerate in rapporto alla riforma religiosa, in: Atti della Accademia dei Lincei V 6 (1898), 170–231, zum 16. Jahrhundert.

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II. Venedig: Entflechtung und Eskalation Die Republik Venedig führte seit alters ein besonders strammes Kirchenregiment30. Obwohl die 46 Bistümer und 52 Kommendatarabteien Venedigs und seiner Territorien ebenso wie die entsprechenden Pfründen Genuas theoretisch der freien Besetzung durch den Papst unterlagen, wurde deren Vergabe nicht wie dort mit der Republik ausgehandelt, sondern der Senat verschaffte sich die Kontrolle dadurch, dass er sich die Genehmigung des possesso temporale reservierte. Da es sich um sehr viel reichere kirchliche Ressourcen als in Genua handelte, lohnte sich das für die venezianischen Nobili. Denn während des 17. Jahrhunderts waren zwar nur 36 % der venezianischen Bistümer mit Nobili besetzt, aber bei den sechs wichtigsten und reichsten waren es 95 %, beim Patriarchat Venedig, das durch Wahl des Senats vergeben wurde, sogar 100 %. Bei den 52 Klöstern bietet sich ein ähnliches Bild. Fast drei Viertel der Inhaber waren Venezianer, davon 85 % Nobili. Hier wie dort tauchen aber immer wieder dieselben Familiennamen auf, vor allem Barbarigo, Bragadin, Cornaro, Dolfin, Giustiniani, Grimani, Morosini, Pisani, Priuli und Valier. Manche Stellen waren in bestimmten Familien quasi erblich, indem sie über Generationen von einem Onkel an einen Neffen weitergegeben wurden. 1617 versuchte die Republik die Bestimmung des Nachfolgers durch den Vorgänger ohne römische Mitwirkung sogar zur Regel zu erheben. Aber Rom ließ sich die formelle Entscheidung und damit die mikropolitische Einflussnahme nicht entwinden. Das bedeutete, dass die genannten Familien, soweit sie Rom nahe standen, sich nur im Zusammenspiel mit der Kurie die Kontrolle über fette Pfründen sichern konnten. Aus diesem Grund war es familienstrategisch sinnvoll, zur »römisch« gesinnten Fraktion des Patriziats zu gehören. Umgekehrt konnte sich Rom durch seine Besetzungspolitik Anhänger unter den Nobili verschaffen31. Das war nötig, denn gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten die sogenannten giovani im Großen Rat, dann auch in den übrigen Gremien die Oberhand gewonnen. Sie lehnten den Katholizismus des Konzils von Trient und die Jurisdiktionsansprüche des nachtridentinischen Papsttums ab. Die vecchi, von denen Konflikte mit Rom gern diskret unter der Hand beigelegt 30 Fulvio Salimbeni, La Chiesa di Venezia del Seicento, in: La Chiesa di Venezia nel Seicento, hrsg. v. Bruno Bertoli, Venedig 1992, 19–45, 23, spricht von »cesaropapismo dogale d’ascendenza bizantina«. 31 Anna Pizzati, Commende e politica ecclesiastica nella repubblica di Venezia tra ‘500 e ‘600, Venedig 1997; Antonio Menniti Ippolito, Politica e carriere ecclesiastiche nel secolo XVII. I vescovi veneti fra Roma e Venezia, Bologna 1993.

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wurden, waren sich nicht einig und litten außerdem unter einem ideologischen Handicap. Denn wenn die giovani sich im Interesse Venedigs für die Freiheit Italiens und gegen den bedrohlichen Imperialismus der Führungsmacht Spanien engagierten, dann konnten sie dies nahtlos einerseits mit Abneigung gegen den neuen Konfessionskatholizismus, andererseits mit Orientierung nach Frankreich und sogar mit Sympathien für die spanienfeindlichen Protestanten verbinden. Während der Papst und die Jesuiten für sie schlicht Agenten Spaniens waren, mussten die vecchi ihre kirchliche Romorientierung mit der auch für sie unausweichlichen Abneigung gegen Spanien unter einen Hut bringen. Drei 1602, 1604 und 1605 erlassene venezianische Gesetze zur Begrenzung des wachsenden kirchlichen Immobilienbesitzes zusammen mit der Verhaftung zweier straffälliger Geistlicher durch den Rat der Zehn im Jahr 1605 führten zum Eklat. Paul V. verlangte unter Berufung auf das göttliche und kirchliche Recht die Auslieferung der Übeltäter an die geistliche Gerichtsbarkeit und den Widerruf der Dekrete. Am 10. Dezember 1605 erließ der Papst zwei Breven, in denen er die beiden Gesetze und das Vorgehen gegen die beiden Geistlichen verurteilte und mit Kirchenstrafen drohte, während die Republik am 10. Januar 1606 den Romgegner Leonardo Donà zum Dogen wählte und vorsorglich die neue Einrichtung eines theologisch-kanonistischen Staatsgutachters schuf, die am 28. Januar dem gelehrten Serviten Paolo Sarpi übertragen wurde. Er hatte zusammen mit Leonardo Donà dem kritischen Kreis um den Patrizier Andrea Morosini angehört, dem sogenannten ridotto Morosini32. In Februar und März 1606 herrschte in Venedig helle Aufregung. Die päpstlichen Vorstellungen wurden abgewiesen, und auch ein venezianischer Sondergesandter brachte kein Zeichen eines Entgegenkommens mit. Daraufhin erließ der Papst am 17. April 1606 im Konsistorium ein Breve, das Collegio und Senat exkommunizierte und das gesamte Gebiet von Venedig mit dem Interdikt belegte, falls nicht binnen spätestens 27 Tagen die drei Gesetze widerrufen und die beiden Gefangenen ausgeliefert würden. Alle Kardinäle mit Ausnahme der beiden Venezianer Giovanni Dolfin und Agostino Valier 32 Gino Benzoni, La cultura: contenuti e forme, in: Storia di Venezia, Bd. 6: Dal Rinascimento al Barocco, hrsg. v. Gaetano Cozzi / Paolo Prodi, Rom 1994, 515–588, 583; William J. Bouwsma, Venice and the Defense of Republican Liberty. Renaissance Values in the Age of the Counter Reformation, Berkeley / Los Angeles 1968, 234; Gaetano Cozzi, Il doge Nicolò Contarini. Ricerche sul patriziato veneziano agli inizi del Seicento (1958), in: ders., Venezia barocca. Conflitti di uomini e idee nella crisi del Seicento veneziano, Venedig 1995, 41–44; Heinrich Kretschmayr, Geschichte von Venedig, Bd. 3: Der Niedergang, Stuttgart 1934, 112.

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stimmten zu33. Die Republik konterte auf den Rat Sarpis am 6. Mai mit einem Protest, weil das Breve dem Naturrecht, der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern und dem Kirchenrecht widerspreche. Der Papst irre und deshalb sei es Christenpflicht, ihm nicht zu gehorchen. Damit wurde ein umfangreicher publizistischer Schlagabtausch eröffnet, in dem sich auf venezianischer Seite vor allem Sarpi hervortat34, auf römischer die Kardinäle Robert Bellarmino, Cesare Baronio und anonym auch Bonifacio Caetani35. Für eine diskrete Beilegung des Konflikts fehlte es an mikropolitischen Ressourcen Roms in Venedig und Venedigs in Rom. Das durchaus vorhandene venezianische Netzwerk an der Kurie wurde von den Botschaftern der Republik gewaltig überschätzt. Nichtsdestoweniger ist es sehr bezeichnend, dass sie es für angebracht hielten, dem Senat eine entsprechende Bestandsaufnahme vorzulegen. Die drei venezianischen Kardinäle tauchen darin bezeichnenderweise nicht einmal auf. Denn Francesco Mantica war als Jurist ein römischer »Karrierekardinal«, der außerdem nicht aus den Reihen der Nobili stammte. Giovanni Delfino, der nach einer erfolgreichen politischen Laufbahn dank Clemens VIII. 1603 Bischof von Vicenza und 1604 Kardinal geworden war, galt einerseits als besonders ausgeprägter Vertreter der romfreundlichen Richtung des Patriziats und war andererseits ein entschiedener Gefolgsmann Pietro Aldobrandinis, des Todfeindes der Papstfamilie an der Kurie. Obwohl er sich im Interdiktskonflikt bei Paul V. mutig für die Republik einsetzte, kam er deshalb als Vermittler für beide Seiten kaum in Frage. Dasselbe gilt von dem ebenso orientierten Agostino Valier, dem altgedienten Reformbischof von Verona und Kardinalbischof von Palestrina. Venedig untersagte die Verbreitung des Breve und die publizistische Verfechtung des päpstlichen Standpunkts und verbot die Beachtung des Interdikts bei Todesstrafe. Angeblich sollte die Androhung der Todesstrafe nur der Missachtung des Interdikts durch den venezianischen Klerus Vorschub leisten, es gibt aber auch Hinweise auf Hinrichtungen und Drohungen mit Repressalien gegen die Familien unbotmäßiger Bischöfe36. Die Beachtung des 33 Die Konsistorialrede Pauls V. übersetzt in David Chambers / Brian Pullan / Jennifer Fletcher (Hrsg.), Venice Portrayed. A Documentary History 1450–1630, Oxford 1991, 225–227. 34 Vgl. Paolo Sarpi, Opere, hrsg. v. Gaetano e Luisa Cozzi, Mailand / Neapel 1969; Gino Benzoni (Hrsg.), Storici e politici veneti del Cinquecento e del Seicento, Mailand 1982, 133–442 Nicolò Contarini, 645–729 Antonio Quirini, 731–863 Fulgenzio Manfredi; W. J. Bouwsma, Venice (Anm. 32), 100, 394–402; 417–487. 35 W. J. Bouwsma, Venice (Anm. 32), 378–381; 417–487. 36 Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 12: Leo XI. und Paul V., Freiburg 1927, 99, 101.

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Interdikts hielt sich unter diesen Umständen in Grenzen. Die Reformorden der Jesuiten, Kapuziner und Theatiner allerdings leisteten ihm Folge und wurden daraufhin ausgewiesen. Vielen giovani kam der Konflikt auch gelegen, um die Jesuiten loszuwerden, die ihnen als kirchenpolitische Jugendverderber galten, während sie in Kreisen der vecchi als unentbehrliche Vorkämpfer der katholischen Reform betrachtet wurden. Damit verknüpft waren Konflikte um die venezianische Universität Padua, wo Protestanten, Juden und »häretische« Lehren von Professoren geduldet wurden, während das Jesuitenkolleg ein Gegengewicht zu schaffen versuchte37. Die Lage war dermaßen festgefahren, dass zum Krieg gerüstet wurde. Der Papst nahm Kriegskredite auf und begann mit Werbungen. Die Kräfteverhältnisse schienen ihn zu begünstigen, denn er konnte auf Spanien hoffen. Dessen kriegerischer Gouverneur in Mailand, der Conde de Fuentes, hätte bei dieser Gelegenheit früher an Venedig verlorene Teile der Lombardei wiedergewinnen können. Ein spanischer Vermittlungsversuch im Herbst 1606, der von gemäßigten Senatoren und sogar vom Dogen Leonardo Donà selbst unterstützt wurde, scheiterte an den Intransigenten um Nicolò Contarini. Heinrich IV. von Frankreich hingegen war zwar selbstverständlich ein Gegner der spanischen Vormacht, konnte es sich aber nur ein gutes Jahrzehnt nach seiner Absolution noch nicht leisten, an der Seite Venedigs gegen den Papst die Waffen zu ergreifen. Also suchte er den spanischen Rivalen wenigstens als Friedensstifter auszustechen und setzte zu diesem Behufe seine Kardinäle in Marsch, im Herbst 1606 Jacques Davy du Perron, im Frühjahr 1607 seinen Verwandten François de Joyeuse. Da inzwischen beide Seiten doch kalte Füße bekommen hatten, gelang es Joyeuse im Wettlauf mit dem spanischen Botschafter, die Beilegung des Konflikts zu erreichen. Die beiden Übeltäter wurden der geistlichen Gerichtsbarkeit übergeben und die umstrittenen Gesetze erst einmal nicht angewandt. Widerrufen wurde von venezianischer Seite allerdings nichts. Der Papst hatte auf der Rückkehr der Jesuiten bestanden, bis deren General auf Vorstellungen du Perrons selbst darauf verzichtete. Am 21. April 1607 konnte Joyeuse dem Senat die Lossprechung von den Zensuren erteilen; Verletzer und Beobachter des Interdikts wurden anschließend von der jeweiligen Seite »begnadigt«. Der Papst hatte knapp das Gesicht gewahrt. Er scheint seinem bescheidenen Erfolg nicht recht getraut zu haben, denn er gab den Kardinälen im Kon-

37 Gaetano Cozzi, Venezia dal Rinascimento all’Età barocca, in: Storia di Venezia 6 (Anm. 32), 3–125, 81 f.; ders., La Compagnia di Gesù a Venezia (1550–1657), in: Venezia barocca (Anm. 32), 291–323.

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sistorium am 30. April keine Gelegenheit zur Stellungnahme38. Venedig hingegen hatte sich behauptet, ohne das Risiko eines Krieges mit hohen Kosten und unsicherem Ausgang einzugehen. Die Maximalziele der Radikalen allerdings wurden verfehlt. Die Verluste aus den Kriegen des frühen 16. Jahrhunderts konnten nicht rückgängig gemacht werden. Auch wenn venezianische Diplomaten immer wieder behaupteten, die Untertanen des Kirchenstaates seien mit der geistlichen Herrschaft unzufrieden und vor allem die Bewohner der Romagna und der Marche seien nach wie vor der Republik Venedig ergeben39, so konnte von der Wiedergewinnung dieser Gebiete so wenig die Rede sein wie von der unumschränkten Kontrolle der Adria oder dem Nominationsrecht für alle Bischofsstühle40.

III. Schlussfolgerungen Paul V. war wohl zu sehr Jurist und zu wenig Politiker, um seine Chancen in dem Konflikt richtig einzuschätzen. Falls sein Erfolg gegenüber Genua ihn in seiner harten Haltung bestärkt haben sollte, hätte er drei wesentliche Unterschiede übersehen. Erstens hatte Venedig im Vergleich zu Genua nur wenige gemeinsame Interessen, aber durchaus eine ganze Reihe ständiger Konflikte mit Rom, war also nicht so leicht unter Druck zu setzen, sondern konnte es auf einen Zusammenstoß ankommen lassen. Zweitens konnte es deshalb ungescheut eine publizistische Kampagne beginnen, die so viel Aufsehen erregte und ideologische Verhärtung erzeugte, dass eine diskrete Beilegung des Konflikts unmöglich war und auswärtige Vermittler notwendig wurden. Drittens waren diese auswärtigen Vermittler aber auch deshalb nötig, weil es am internen mikropolitischen Vermittlungspotential fehlte. Bei Ausbruch der Interdiktkrise gab es nur drei venezianische Kardinäle, von denen Valier bald starb und Mantica nicht zu den Nobili gehörte. Andere venezianische Kurialen hatten sowieso kaum Einfluss und die drei Kardinäle spielten in Rom nur eine marginale Rolle. Noch wichtiger war, dass sie im 38 L. v. Pastor, Geschichte (Anm. 36), 129. 39 Le relazioni degli stati Europei lette al senato degli ambasciatori venziani nel secolo XVII. Relazioni di Roma, Bd. 1, hrsg. v. Nicolò Barozzi / Guglielmo Berchet, Venedig 1877, 64, 88. 40 Geschichte des Interdikts nach Gaetano Cozzi, Venezia dal Rinascimento all’Età barocca, in: Storia di Venezia 6 (Anm. 32), 3–125, 78–85; Gaetano Cozzi u. a. (Hrsg.), La Repubblica di Venezia nell’età moderna. Dal 1517 a la fine della Repubblica (Storia d’Italia, 12/2), Turin 1992, 87–91; W. J. Bouwsma, Venice (Anm. 32), 339–416; L. v. Pastor, Geschichte (Anm. 36), 82–154.

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Gegensatz zu ihren genuesischen Kollegen auch in Venedig kaum zählten, und zwar nicht nur, weil sie ohnehin nicht zur herrschenden Faktion gehörten. Die Venezianer hegten nämlich grundsätzliche Zweifel, ob Kardinäle der Republik loyal bleiben könnten und erwogen daher 1588 sogar, auf eigene Kardinäle überhaupt zu verzichten41. Zwar setzte sich das politische Prestigebedürfnis gegen diese Überlegung wieder durch, aber das mikropolitische Potential der venezianischen Kardinäle blieb bescheiden, auch nachdem Paul V. etliche neue ernannt hatte, zum Teil aus dubiosen Gründen. Was Mikropolitik leisten konnte, lehrt stattdessen der Konflikt mit Genua.

41 Gaetano Cozzi, Venezia dal Rinascimento all’Età barocca, in: Storia di Venezia 6 (Anm. 32), 3–125, 80.

Diplomatische Geschäftsleute – geschäftstüchtige »Diplomaten«: Akteure der genuesischen Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit zwischen Wirtschaft und Politik Von Julia Zunckel

Wirtschaftlich bedeutend – politisch nahezu irrelevant. Die frühneuzeitliche Geschichte Genuas scheint durch jenen Kontrast geprägt zu sein, der für das Schicksal vieler Handelszentren kennzeichnend war: Das Europa der staatsbildenden Monarchien degradierte das Europa der prosperierenden Städte nahezu zur politischen Bedeutungslosigkeit. Obgleich diese Schematisierung dem Verständnis des spannungsreichen Komplementärverhältnisses zwischen Wirtschaft und Politik in der Frühmoderne alles andere als zuträglich ist, scheint sie bezüglich der gegenwärtigen Forschungspraxis doch von Bewandtnis zu sein. Zwar profitieren die florierende Hof- und Adels- sowie die historische Städteforschung gleichermaßen vom akteurszentrierten Perspektivenwandel und der kultur- und kommunikationswissenschaftlich inspirierten Erneuerung. Bei den Bemühungen um eine neue Kulturgeschichte des Politischen, die den frühmodernen Handlungszusammenhängen gerecht wird, bleibt die ökonomische Sphäre jedoch unterbelichtet1. Am deutlichsten wird dieses Defizit auf dem Gebiet der Außenbeziehungen: Zwar operiert nicht nur die Handels-, sondern auch die neue Politikgeschichte mit netzwerk- bzw. akteurszentrierten Ansätzen2. Synergieeffekte sind bislang aber vor allem auf dem Gebiet des interkulturellen Austausches mit der außereuropäischen Welt beziehungsweise für die »Sattelzeit« des 18./19. Jahrhunderts zu verzeichnen3. Weitaus geringer ist hingegen das Interesse an jenen Verdichtungsprozessen, die während des »langen 16. Jahrhun-

1 Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 35), Berlin 2005; Claudia Opitz (Hrsg.), Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozeß. Norbert Elias’ Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln 2005; Rudolf Schlögl (Hrsg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2004. 2 Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personelle Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 36), Berlin 2005. 3 Vgl. die Beiträge von C. Lebeau, W. Kaiser, M.-K. Schaub, A. Keese und C. Windler im vorliegenden Band.

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derts« zur Ausbildung eines gesamteuropäischen Beziehungsraumes führten4. Dass Wirtschafts- und Politikgeschichte bezüglich dieser für die Staatsbildungs- und Globalisierungsprozesse gleichermaßen zentralen ersten Schubphase wenig Ambitionen hegen, gemeinsam innovative Forschungsstrategien zu erarbeiten, ist erstaunlich, zumal sich die Entwicklungsdynamik kommunikativer Verdichtung auf der Basis der überwiegend strukturhistorisch orientierten Literatur relativ gut nachvollziehen lässt5. Bekanntlich war die von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts währende konjunkturelle Aufschwungsphase durch handelskapitalistische Wertschöpfung charakterisiert. Die auf verwandtschaftlich-geschäftlicher Netzwerkbildung basierenden weit verzweigten Kommunikationskanäle der Kaufleute schufen ein integriertes Austauschgefüge. Die Aktivitäten dieser global players führten mittels einer außerordentlichen Ausweitung des Kreditwesens zu einer enormen Verdichtung, Verstetigung und Beschleunigung der Zirkulation von Informationen und Ressourcen aller Art, sodass die Geschäftseliten eine Art frühneuzeitlicher new economy generierten. Das intensivierte Interaktionspotential der Zirkulationssphäre bestimmte gewissermaßen die Weltzeit6. Es setzte neue Maßstäbe, indem es die Grundkoordinaten politischen Kalküls sowie das Tempo für politisches Agieren vorgab und somit die Handlungshorizonte der traditionellen Herrschaftseliten veränderte, deren eigenes Ressourcenmanagement allerdings äußerst schwerfällig blieb. Der Aufschwung bescherte den urbanisierten Kernregionen aber nicht nur Prosperität, sondern auch ein hohes soziopolitisches Konfliktpotential. Beides kennzeichnete sowohl Italien als auch die burgundischen Niederlande. Dass die dynamischen Wachstumspole Europas im Zentrum des habsburgisch-

4 Nach wie vor lesenswert Fernand Braudel, Europäische Expansion und Kapitalismus: 1450–1650, in: Universalgeschichte, hrsg. v. Ernst Schulin, Köln 1974, 255–294; ders., Civilisation matérielle, économie et capitalisme, XVe–XVIIIe siècle, 3 Bde., Paris 1967– 1979 (in Übersetzung: Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts, München 1986). 5 Hierzu das Forschungspanorama bei Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Power Elites and State Building, Oxford 1996, 1–18. Auch bezüglich der Städteforschung scheint sich diesbezüglich seit Charles Tilly / Wim P. Blockmans (Hrsg.), Cities and the Rise of the States in Europe. A.D. 1000–1800, Oxford 1994, nur wenig getan zu haben. 6 Simonetta Cavaciocchi (Hrsg.), Fiere e mercanti nella integrazione delle economie europee, secc. XIII–XVIII, Florenz 2001; Francisco Bethencourt / Florike Egmond (Hrsg.), Cultural Exchange in Early Modern Europe, 3 Bde., Cambridge 2007; Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2003; Wolfgang Kaiser / Gilbert Buti (Hrsg.), Moyens, supports et usages de l’information marchande à l’époque moderne, Aix-en-Provence 2007.

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französischen Dauerkonflikts standen, dürfte also alles andere als Zufall sein7. Die Aussicht auf die Nutzbarmachung von reichen Ressourcen, die keinesfalls dem politischen Konkurrenten überlassen werden durften, schien den massiven Einsatz aller verfügbaren Mittel zu rechtfertigen – Mittel, über welche die Herrschaftsapparate allerdings nicht ad hoc verfügten, sodass eine enge Kooperation mit den ökonomisch versierten global players unverzichtbar war. Vor dem Hintergrund eines verdichteten europäischen Beziehungsraums aktivierte sich eine Wettkampflogik, in der sich die Vorstellungen für das grundsätzlich Machbare und das absolut Notwendige gegenseitig hochschaukelten. Dass diese Logik eine gewisse Eigendynamik entfalten konnte und den ersten europaweiten Konflikt generierte, in dessen Epizentrum der Dreißigjährige Krieg stand, basierte auf eben jenen Diensten, welche die Geschäftseliten den Potentaten Europas zur Verfügung stellten. Ohne sie war kein Krieg zu führen und kein Staat zu machen8. Zwar werden die Beziehungen der europäischen merchant bankers zu den politischen Gewalten im Rahmen der Finanzgeschichte, der Handels(haus)und Elitenforschung immer wieder thematisiert. Dennoch findet die Einbindung von grenzüberschreitend operierenden Wirtschaftseliten in die politischen Handlungszusammenhänge im Hinblick auf die Ausbildung des so genannten europäischen Staatensystems nur wenig Berücksichtigung. Nach wie vor tut sich die Forschung schwer damit, diesen Problemkomplex jenseits jener analytischen Engführungen zu behandeln, die als Erbschaft einer machtpolitisch-etatistischen Sichtweise zu bezeichnen sind; und dies, obwohl die in der Blütezeit des Nationalstaates geprägten Interpretamente unter dem Eindruck der aktuellen Globalisierungsprozesse Revision erfahren. Stehen die Handlungsstrategien grenzüberschreitender Gruppenverbände eindeutig im Mittelpunkt der an die Stelle der traditionellen Diplomatiegeschichte tretenden Untersuchungen, so wird dabei jedoch überwiegend auf die Genese eines interhöfischen Beziehungsgefüges, vorrangig also auf die Sphäre adelsdominierter politischer Kommunikation fokussiert9. Andererseits ist hinsichtlich 7 Christine Shaw (Hrsg.), Italy and the European Powers. The Impact of War, 1500–1530, Leiden / Boston 2006; Wim P. Blockmans, Der Kaiser und seine niederländischen Untertanen, in: Karl V. 1500–1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee, hrsg. v. Alfred Kohler u. a., Wien 2002, 437–449. 8 Vgl. demgegenüber Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), 487–499. 9 Vgl. die Einleitung von H. v. Thiessen und C. Windler im vorliegenden Band. Auch Untersuchungen zu städtischen bzw. republikanischen Außenbeziehungen heben vorrangig auf politische Kommunikation ab; ökonomische Außenbeziehungen bleiben somit Domäne der Handelsgeschichte. Vgl. Christina Lutter, Politische Kommunikation an

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der für die historische Entwicklung politischer Ökonomie maßgeblichen finanzsoziologischen Ansätze zu konstatieren, dass deren nationalökonomische Ausrichtung durch die von den transnationalen Interdependenzmodellen ausgehenden Impulse erst allmählich eine Korrektur erfährt10. Die folgenden Überlegungen zielen darauf ab, das Erkenntnispotential einer Zusammenführung von wirtschafts- und politikrelevanten Fragestellungen aus der akteurszentrierten Perspektive am Beispiel der genuesischen Außenbeziehungen auszuloten. Im Mittelpunkt des Interesses steht somit ein ganz besonderer Gruppenverband, nämlich die als Speerspitze der frühneuzeitlichen new economy zu bezeichnende aristokratische Geschäftselite Genuas. Zwar gilt Genua wegen des vermeintlichen Kontrastes zwischen der ökonomischen Stärke seiner Führungsschichten und der Schwäche des republikanischen Gemeinwesens gemeinhin als exotische Ausnahmeerscheinung, die in kein historiographisches Raster zu passen scheint11. Betrachtet man die Adelsrepublik und ihre Außenbeziehungen hingegen aus der Akteursperspektive, so zeigt sich gerade das enge Ineinandergreifen von politischer und ökonomischer Sphäre. Und eben dieses Zusammenspiel dürfte der Schlüssel für der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495–1508), München 1998; Johannes Ludwig Schipmann, Politische Kommunikation in der Hanse (1550–1621). Hansetage und westfälische Städte, Köln / Weimar / Wien 2004; André Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006. 10 Zur gegenwärtig wenig innovativen Finanzgeschichte Friedrich Edelmayer / Maximilian Lanzinner / Peter Rauscher (Hrsg.), Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert, München 2003. Zur transnationalen Gesellschaftsgeschichte siehe den Themenband von Geschichte und Gesellschaft 27 (2001). Transnationale und finanzsoziologische bzw. -politologische Ansätze wären in Hinblick auf die oben skizzierten Zusammenhänge zusammenzuführen, gewissermaßen in Nachfolge der Pionierstudie von Richard Ehrenberg, Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Creditverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bde., Jena 1896. Vgl. auch Simonetta Cavaciocchi (Hrsg.), Poteri economici e poteri politici, secc. XIII–XVIII, Florenz 1999. Zur aktuellen Diskussion um die Finanzsoziologie Reinhard Blomert, Sociology of Finance – Old and New Perspectives, in: Economic European Electronic Newsletter 2/2 (2001), 9–14. 11 Historiographiekritik bei Edoardo Grendi, Storia di una storia locale. L’esperienza ligure 1792–1992, Venedig 1996. Für die Überwindung des kontraproduktiven Dualismus Marina Montacutelli, Un teatro per ›dar direttione a cose infinite e grandi‹. Ipotesi di ricerca sui genovesi a Roma, in: La corte di Roma tra Cinque e Seicento: ›Teatro‹ della politica europea, hrsg. v. Gianvittorio Signorotto / Maria Antonietta Visceglia, Rom 1998, 367–391. Zur Bedeutung Genuas für die Modellbildung Avner Greif, Self Enforcing Political Systems and Economic Growth: Late Medieval Genoa, in: Analytic Narratives, hrsg. v. Robert H. Bates u. a., Chapel Hill 1996, 23–63.

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das Verständnis eines politischen Systems sein, in dessen Rahmen Genua als Finanzmanagementzentrale der europäischen Weltwirtschaft fungierte und sich gewissermaßen als die Schweiz der Frühen Neuzeit behaupten konnte12. Im kommerziellen Austausch hatten es die Familienclans Genuas im Laufe von Jahrhunderten zu großer Virtuosität gebracht. Seit den Kreuzzügen zählte die Seerepublik zu den führenden mediterranen Mächten, die ihre Prosperität in erster Linie dem Levantehandel verdankten. Darüber hinaus spielte die genuesische Kaufmannschaft spätestens seit dem 13. Jahrhundert eine zentrale Rolle für die Verknüpfung der beiden wirtschaftlichen Kernregionen Europas: der italienischen Halbinsel und dem nordwestlichen Entwicklungspol rund um die flandrische Textilproduktion13. Den Verlust ihrer Stützpunkte im östlichen Mittelmeer kompensierten die Genuesen seit Mitte des 15. Jahrhunderts nicht nur durch den Aufbau des Seidengewerbes, dessen Produkte insbesondere in Frankreich reißenden Absatz finden sollten, sondern auch durch die Intensivierung ihrer Handelstätigkeit auf der iberischen Halbinsel. »Ein Drittel Genuas ist in Spanien, wo es 300 genuesische Handelshäuser gibt«, vermerkte der Venezianer Marino Sanudo bereits im Jahr 1503. Und von dort aus zogen die Genuesen Profit aus der europäischen Expansion nach Übersee14. In der Fremde waren die Kaufleute zumeist in landsmannschaftlichen Konsulaten organisiert. Genua verfügte über ein dichtes Netz von derartigen Vertretungen: in Venedig, Neapel und in Sizilien, im westlichen Mittelmeerraum sowie in den nordwesteuropäischen Handelszentren, in London und in Antwerpen, wo die Genuesen Mitte des 16. Jahrhunderts die wichtigste natio darstellten. Ein stetiger Fluss von Informationen und Ressourcen, ein flexibles, auf Verwandtschaftsbindungen beruhendes ökonomisches Beziehungssystem – es war diese Art von Außenbeziehungen, die das Rückgrat der prosperierenden Stadt darstellten15.

12 Vgl. auch die Beiträge von D. Schläppi und A. Würgler im vorliegenden Band. 13 Giovanna Petti Balbi, Una città e il suo mare. Genova nel Medioevo, Bologna 1991; Steven A. Epstein, Genoa and the Genoese, 958–1528, Chapel Hill 1996. 14 »Il terzo di Zenoa è in Spagna e vi sono 300 case genovesi«, I diarii di Marino Sanudo 5, hrsg. v. Rinaldo Fulin u. a., Venedig 1881, 113. 15 Im Staatsarchiv Genua (AS Genova) harren die Konsulatsbestände noch ihrer wissenschaftlichen Erschließung. Giovanna Petti Balbi, Negoziare fuori patria. Nazioni e genovesi in età medievale, Bologna 2005; Edoardo Grendi, Traffico portuale, naviglio mercantile e consolati genovesi nel Cinquecento, in: Rivista Storica Italiana 80 (1968), 593–630; Colette Beck, La nation génoise à Anvers dans la première moitié du 16e siècle, in: Rapporti Genova, Mediterraneo, Atlantico nell’età moderna, hrsg. v. Raffaele Belvederi, Genua 1983, 445–476.

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Ihre Europa umspannenden Beziehungsnetzwerke und ihr kaufmännisches Know-how stellte die genuesische Aristokratie schließlich in den Dienst Habsburgs. In den Kriegen gegen Frankreich sowie gegen die Niederlande sorgte sie für Millionenkredite. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts billigte die spanische Krone den merchant bankers die direkte Verfügungsgewalt über die amerikanischen Edelmetallströme zu, was ihnen wiederum eine Schlüsselrolle in den Clearingmechanismen des Zahlungsverkehrs bescherte. Diese diskrete Dominanz über den europäischen Handel und die Geldmärkte währte bis Mitte des 17. Jahrhunderts und rangiert in der Wirtschaftsgeschichte unter der Bezeichnung des »Zeitalters der Genuesen«16. Die politikgeschichtliche Frühneuzeitforschung hat sich hingegen kaum für Genua interessiert, gilt die kleine Adelsrepublik doch als Inbegriff eines instabilen, archaischen Gemeinwesens, in dem es kaum zu staatlicher Verdichtung kam17. Im 15. Jahrhundert wurde das permanent von Faktionskämpfen gebeutelte Genua überwiegend durch die Schutzherrschaft der Herzöge von Mailand befriedet, ohne dass dies negative Auswirkungen für das Wirtschaftsleben hatte18. Die Kombination von ökonomischer Stärke und politischer Schwäche weckte Begehrlichkeiten, sodass Genua im Zentrum der italienischen Kriege stand. Herrschten die Valois mit Hilfe der pro-französischen Adelsfaktion seit 1499 über die Stadt, so konnte Karl V. seit 1522 dank des Rückhaltes bei der Gegenpartei auf die Dienste Genuas zählen19. 1527 nahmen die Truppen Franz’ I. die Stadt erneut ein. Dass im Jahr darauf der ge16 F. Braudel, Sozialgeschichte 3 (Anm. 4), 167–185; Aldo De Maddalena / Hermann Kellenbenz (Hrsg.), La repubblica internazionale del denaro tra XV e XVII secolo, Bologna 1986, darin besonders Giorgio Doria, Conoscenza del denaro e del sistema informativo. Il Know-how dei mercanti finanzieri genovesi nei secoli XVI e XVII, 57–121. Zur weiteren Entwicklung des Finanzstandortes Giuseppe Felloni, Gli investimenti finanziari genovesi in Europa tra il Seicento e la Restaurazione, Neapel 1972; Giorgio Doria, Nobiltà e investimenti a Genova in età moderna, Genua 1995. 17 Claudio Costantini, La Repubblica di Genova, Turin 1987; Dino Puncuh (Hrsg.), Storia di Genova. Mediterraneo – Europa – Atlantico, Genua 2003. Erst die Überwindung des Dekadenzparadigmas beförderte die Untersuchung der institutionellen Entwicklung der Republik und ihrer Führungskaste. Giorgio Doria / Rodolfo Savelli, ›Cittadini di governo‹ a Genova. Ricchezza e poteri tra Cinque e Seicento, in: Materiali per una storia della cultura giuridica 10 (1980), 277–355; Carlo Bitossi, Il governo dei Magnifici. Patriziato e politica a Genova fra Cinque e Seicento, Genua 1990. 18 Jacques Heers, Gênes au XVe siècle. Activité économique et problèmes sociaux, Paris 1961; Silvana Fossati Raiteri, Stati, mercanti e trattati. Genova e la tarda dominazione dei Visconti, in: Nuova Rivista Storica 88 (2005), 737–758. 19 Carlo Taviani, Superba discordia. Guerra, rivolta e pacificazione nella Genova di primo Cinquecento, Rom 2008.

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nuesische Kondottiere Andrea Doria die Fronten wechselte und seine private Galeerenflotte nicht mehr dem französischen König, sondern dem Kaiser zur Verfügung stellte, erwies sich letztlich nicht nur als kriegsentscheidend, sondern stellte auch die Weichen für die weitere politische Entwicklung Genuas20. Seit 1528, dem Gründungsjahr der Adelsrepublik, gilt Genua als eine Art Satellitenstaat. Die Interessenallianz der Oligarchie mit Habsburg führte zu einer relativ stabilen Einbindung in das spanische Imperium; das diplomatische Handlungspotential der politisch wie militärisch schwachen Republik wurde als dementsprechend gering erachtet21. Der tatsächliche Stellenwert Genuas lässt sich aber nicht aus der etatistischen Perspektive erschließen, denn diese Sichtweise blendet jenes enorme Beziehungskapital aus, das die eigentliche Stärke der Stadt ausmachte: die grenzüberschreitenden, ökonomischen Verbindungen der großen patrizischen Familienverbände. Vor dem Hintergrund des »Jahrhunderts der Genuesen« erscheint es offensichtlich, dass der politische Handlungsspielraum der Republik auf dem konzertierten Zusammenspiel eines ganzen Sets von unterschiedlich gelagerten und auf Privatinitiative gründenden Außenbeziehungen basierte, die überwiegend von nicht-staatlichen Akteuren getragen wurden. Und was entscheidend war: Diese Akteure hatten spezifische Kompetenzen aufzuweisen, über welche die großen Potentaten nicht verfügten. Worin das eigentümliche Wesen jener fast schon wundersamen Fähigkeiten bestand, schrieb der in kaiserlichen Diensten stehende Graf Lodovico Barbiano di Belgioioso im Jahr 1529 an Karl V.: »Wenn die Stadt aber unter französische Vorherrschaft zurückkehren würde, ließe sich Mailand unmöglich halten, da Genua fürwahr die Seele Mailands ist; es würde dann an Informationen und an Kommunikationskanälen fehlen, [...] das Geld würde keine Gestalt annehmen, es würde sodann jedweder Materialisierungen und Subsi-

20 Zur maritimen Kriegführung Luca Lo Basso, Gli asentisti del Re. L’esercizio privato della guerra nelle strategie economiche dei genovesi (1528–1716), in: Mediterraneo in armi (secc. XV–XVIII), hrsg. v. Rossella Cancila, Palermo 2007, 397–428. Vgl. auch Thomas Allison Kirk, Genoa and the Sea. Policy and Power in an Early Modern Maritime Republic, 1559–1684, Baltimore / London 2005. 21 Zum hohen Erkenntnispotential der diplomatischen Korrespondenz hingegen bereits Vito Vitale, Diplomatici e consoli della Repubblica di Genova, Genua 1934; ders., La diplomazia Genovese, Mailand 1941. Als erste klassisch-diplomatiegeschichtliche Studie hat zu gelten Matthias Schnettger, ›Principe sovrano‹ oder ›Civitas imperialis‹. Die Republik Genua und das Alte Reich in der Frühen Neuzeit (1556–1797), Mainz 2006. Ökonomische Aspekte werden hierin zwar behandelt, sind mangels eines dezidiert akteurszentrierten Ansatzes jedoch ohne die nötige Tiefenschärfe.

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dien ermangeln [...], schließlich würde jene Welt von Effekten ausbleiben, die im Kriege alle wichtig und notwendig sind.«22 Wohlgemerkt war für den Grafen nicht der Reichtum per se von Bedeutung, den die Habsburger – wie sie es ja in den Niederlanden tun sollten – hätten abschöpfen können. Stattdessen sprach er von Kommunikationskanälen, Materialisierung beziehungsweise Gestaltwerdung; etwas kryptisch anmutende Ausdrücke, die das Wesen der damaligen new economy in Worte zu fassen suchten. Es ging also um die Mechanismen der Ressourcen- und Kreditmobilisierung, und diese basierten auf dem weiten Einzugsgebiet der genuesischen Geschäftsbeziehungen. Es galt demnach, die Funktionstüchtigkeit jener komplexen »Welt von Effekten« nicht zu beeinträchtigen, sondern nach Möglichkeit zu fördern. Die virtuosen Akteure dieser herrschaftlicher Kontrolle entzogenen Sphäre personeller Infrastrukturen mussten Habsburg gewogen bleiben23. Von welch zentraler Bedeutung das Management europaweiter ökonomischer Beziehungen in einer spezifischen Phase des Staatsbildungsprozesses war, davon zeugt die Erfolgsgeschichte des genuesischen Adels. Die Interaktion zwischen Wirtschaft und Politik bildete den Kern der Handlungsstrategien dieses Gruppenverbandes. Ihre Beziehungen ermöglichten es den genuesischen Familien nicht nur, Habsburg zu hohen Zinssätzen Kredit zur Verfügung zu stellen. Diese berühmten asientos beinhalteten eine Reihe von weiteren günstigen Konditionen wie die Veräußerung von Zolleinahmen und Einkünften aller Art, Exportlizenzen für Güter und für Edelmetalle sowie die Verfügungsgewalt über einen Teil der konsolidierten Staatsschuld Spaniens. Darüber hinaus wurden die merchant bankers mit administrativ bedeutenden, für das Funktionieren der Kriegsmaschinerien relevanten Posten betraut, was wiederum der Perpetuierung ihres wirtschaftlichen Einflusses förderlich war. Diese von den privaten Geschäftsabschlüssen ausgehenden Begünstigungsketten kreierten aber nicht nur die zahlreichen Millionenvermögen des Adels, 22 Quando questa cità ritornasse sotto el dominio francese, seria impossibile che si regesse Milano, essendo per la verità Genova anima di Milano; manchariano avisi et modo de avisare [...], mancheria forma al denaro, mancheria ogni forma et subsidio [...], finalmente mancheriano un mondo de effetti tutti importanti et necessarii in la guerra. AGS, Estado, leg. 1553, f. 298–299: Brief an Karl V. vom 31.1.1529, zit. nach Arturo Pacini, La Genova di Andrea Doria nell’Impero di Carlo V, Florenz 1999, 62. 23 Dass diese Grundkonstellation für die Beziehungen zum Kaiserhof konstitutiv war und die Trennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteure nicht aufrecht zu erhalten ist, illustriert die materialreiche Studie von A. Pacini, Genova (Anm. 22), indem sie die Außenbeziehungen – implizit – aus der Akteursperspektive behandelt. Eine englische Zusammenfassung ders., Genoa and Charles V, in: The World of Emperor Charles V., hrsg. v. Wim P. Blockmans / Nicolette Mout, Amsterdam 2004, 161–199.

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sie sorgten auch dafür, dass sich die großen Familien Genuas – bis heute – zur europäischen Hocharistokratie zählen können24. Denn die Bindung an Habsburg bedeutete zugleich soziales Kapital, das sich nicht nur am Kaiserhof beziehungsweise am spanischen Hof, sondern auch in den vor allem nach Rom ausgerichteten Statusstrategien gewinnbringend einsetzen ließ. Spätestens seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts spielten die Genuesen auch für die päpstlichen Finanzen eine entscheidende Rolle. In der zweiten Hälfte des 17.  Jahrhundert schlug sich ihre finanzpolitische Dominanz unter anderem darin nieder, dass die Genuesen konstant mit wenigstens sieben Kardinälen gleichzeitig an der Kurie vertreten waren25. Je einflussreicher die Beziehungsnetzwerke waren, über die der genuesische Adel verfügte, desto sicherer konnte sich auch die Republik fühlen. Dass die Republik ihre formelle Unabhängigkeit trotz mehrer schwerer Krisen (1547 Fieschi-Verschwörung, 1575 Bürgerkrieg, 1627 Vacchero-Verschwörung) Habsburg gegenüber behaupten konnte, ist sicherlich nicht auf den glühenden Patriotismus der Aristokratie zurückzuführen, sondern vielmehr darauf, dass sie den Autonomiestatus als notwendige Voraussetzung für ihre grenzüberschreitenden ökonomischen Aktivitäten und somit für eine möglichst starke Verhandlungsposition des big business betrachtete. Unter Hinweis auf die genuesischen Geschäftsinteressen in Frankreich konnten die Hauptexponenten der kaiserlichen Partei – allen voran Andrea Doria – Karl V. davon überzeugen, Genua nicht fest in seinen Untertanenverband einzugliedern. Und noch circa hundert Jahre später schärfte die Republik ihrem Botschafter am spanischen Hof ein, sich mit allen Mittel für die Durchsetzung der Souveränitätsansprüche Genuas einzusetzen, denn »wenn das Gemeinwesen seine Freiheit verlöre, würden gleichzeitig die Privatleute ihre großen Einkünfte verlieren, über die sie in den Besitzungen Seiner Majestät verfügen. Unsere Vertragspartner der Krone, die sich in Madrid zur Zeit einer gewissen Wertschätzung erfreuen, würden ohne Freiheit mehr erniedrigt werden als die Juden Portugals«26. 24 Volker Reinhardt (Hrsg.), Die großen Familien Italiens, Stuttgart 1992. 25 Maria Antonietta Visceglia, ›La giusta statera de’ porporati‹. Sulla composizione e rappresentazione del sacro collegio nella prima metà del Seicento, in: Roma moderna e contemporanea 4 (1996), 167–211, 197–201. Das genuesische Einflusspotential in Rom ist ein Forschungsdesiderat. M. Montacutelli, Teatro (Anm. 11); Jan-Christoph Kitzler, Nützliche Beziehungen. Rom und Genua unter Paul V., in: Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605–1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, hrsg. v. Wolfgang Reinhard, Tübingen 2004, 569–704. Vgl. auch den Beitrag von W. Reinhard im vorliegenden Band. 26 Perdendo il pubblico la libertà, parimente i privati perderanno quelle grandi entrate che posseggono negli stati di Sua Maestà. I nostri partitanti che in Madrid sono ora tenuti in qualche

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Das Wirken der einflussreichen Lobby geschäftstüchtiger genuesischer Adelsfamilien an den europäischen Höfen ist bislang allerdings noch nicht systematisch untersucht worden. Vier Vertragspartner der spanischen Krone sollen kurz vorgestellt werden, um zumindest schlaglichtartig zu verdeutlichen, welch hohes politisches Handlungspotential ihnen aus ihren europaweiten Geschäftsverbindungen und Beziehungsnetzwerken erwuchs27. Der auf dem Gebiet der Außenbeziehungen wohl erfolgreichste genuesische Akteur war Andrea Doria28. Schließlich verdankte die Adelsrepublik ihre Neubegründung der ersten Klausel des zwischen Doria und dem Kaiser geschlossenen asiento. Denn als Gegenleistung für die Bereitstellung seiner Privatflotte hatte der Kondottiere verlangt, dass Genua nach der Vertreibung der Franzosen die Freiheit zurückgegeben werde und fortan unter republikanischer Regierungsform existieren könne29. Da die Errichtung einer Signorie nicht in Frage kam, nutzte der clevere Militärunternehmer seine Verhandlungsstärke auf die bestmögliche Weise: Er machte sich dem Kaiser unentbehrlich, etablierte eine prestigeträchtige personale Bindung zu ihm und trat als Beziehungsmakler der sich um ihn sammelnden pro-habsburgischen Klientel auf. 1531 wurde er zum Fürsten von Melfi im Königreich Neapel und zum Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies ernannt. Der Fürstentitel für Doria markiert den Anfang einer Infeudationswelle, mittels derer die Habsburger den genuesischen Adel fest an sich zu binden trachteten, wobei die Vertragspartner der spanischen Krone und deren Verwandtschaft zu den Meistbegünstigten gehörten. Das Beziehungsvermögen Dorias erwies sich als gute Investition für die Zukunft. Seine Nachfahren waren ebenfalls in militärischen Positionen tätig und regierten im königlichen Auftrag Sardinien sowie Sizilien. Anfang des preggio, perduta la libertà diventeranno più abbietti che i giudei di Portugallo. AS Genova, Archivio Segreto 244: Abschrift einer Einschätzung, die dem Schreiben der Republik an Ottavio Centurione vom 15.6.1637 beilag, zitiert nach V. Vitale, Diplomazia (Anm. 21), 41. 27 Die diesbezüglichen Informationen finden sich weit verstreut in den einschlägigen, Genua und den europäischen Handel betreffenden Spezialstudien. Aufgeführt wurden lediglich die wichtigsten Arbeiten insbesondere neueren Datums. Viele Angaben finden sich bei C. Bitossi, Governo (Anm. 17). Bezüglich der Verwandtschaftsbeziehungen aller hier behandelten Familien von großem Wert ist Christoph Weber, Genealogien zur Papstgeschichte, 6 Bde., Stuttgart 1991–2002. 28 A. Pacini, Genova (Anm. 22), Edoardo Grendi, Andrea Doria. Uomo del Rinascimento, in: ders., La repubblica aristocratica dei genovesi. Politica, carità e commercio tra Cinquecento e Seicento, Bologna 1986, 139–172. 29 Abgedruckt bei Vicente de Cadenas y Vicent, El protectorado de Carlo V en Génova. La ›condotta‹ de Andrea Doria, Madrid 1977, 85–88.

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17. Jahrhunderts zählten die Doria zu den Millionären Genuas, und 1671 heirateten sie in die Papstfamilie Pamphili ein, deren Vermögen sie 1762 erbten. Den großen merchant bankers gelang es ebenfalls, ihre Kompetenzen auf dem Gebiet der Kreditbeschaffung in einen dauerhaften Reputations- und Einflussgewinn für ihre Familien- und Klientelverbände umzumünzen. Wichtigster genuesischer Bankier Karls V. war Ansaldo Grimaldi, der dem Kaiser bereits vor 1528 eine Million Scudi Kredit beschafft hatte30. Ihn zu immer neuen Geschäftsabschlüssen zu bewegen, wäre ein hartes Stück Arbeit, schrieb der seit 1529 für vierzig Jahre als kaiserlicher Botschafter in Genua residierende Gómez Suarez de Figueroa, nämlich in etwa so, als ob man »Unterhandlungen über die Vereinigung der Christen mit den Lutheranern führen würde«31. Nach dem Sacco di Roma (1527) hatte Grimaldi aber auch die Finanznot des Papstes gelindert. Clemens VII. de’ Medici revanchierte sich unter anderem damit, dass er Ansaldos Neffen Girolamo zum Kardinal machte und Ansaldo selbst das Handelsmonopol (Appalt) über die Alaunproduktion in Tolfa übertrug. Dieses ging nach dem Tod des Bankiers auf die Kardinalssöhne Luca und Giovanni Battista über, sodass der Familie die Verfügungsgewalt über diesen für den Handel mit Nordwesteuropa zentralen Textilbeizstoff bis 1553 erhalten blieb32. Die exzellenten Beziehungen Ansaldos versuchte sich die Republik zunutze zu machen; schließlich wusste man von der erneuten Annäherung Clemens’ VII. an Frankreich. Und so wurde der Bankier, der wegen seiner Privatgeschäfte ohnehin zum Papst musste, als diplomatischer Vertreter Genuas zum Jahreswechsel 1532/33 nach Bologna geschickt, wo auf Initiative Karls V. über eine anti-osmanische Liga verhandelt wurde33. Ziel der Republik war es, dort zu einer allgemeinen Anerkennung ihres Autonomiestatus zu gelangen, wogegen sich vor allem Franz I. sperrte, der den Genuesen den Handel mit Frankreich 1531 untersagt hatte. Diese Maßnahme bereitete Genua große Sorge, da sie auf eine politische Destabilisierung der Republik zielte und 30 A. Pacini, Genova (Anm. 22), R. Ehrenberg, Zeitalter (Anm. 10), 333–336, 348 f.; Hermann Kellenbenz, Die Grimaldi und das Haus Habsburg im frühen 16. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 48 (1961), 1–17; Gustave Saige, Monaco. Ses origines et son histoire, d’apres les documents originaux, Monaco 1897. 31 [...] como si fuera hazer una unión de los christianos y luteranos; el cambio se ha hecho por la forma que micer Ansaldo suele negociar; porque non ha querido que se nobre ynteresse, aunque en el precio lo sea, pareciéndonos que es todo una cosa dar a hilar o tomar. AGS, Estado, leg. 1365, fol. 150 ff., zitiert nach A. Pacini, Genova (Anm. 22), 332 f., der auch die Tätigkeit des Botschafters ausführlich thematisiert. 32 Ebd., insbesondere 170, 176 f., 187 ff. 33 Ebd., 117 ff., 290 ff. Vgl. auch Kenneth Gouwens / Sheryl E. Reiss (Hrsg.), The Pontificate of Clement VII. History, Politics, Culture, Aldershot 2005.

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zudem Auswirkungen für den Geldmarkt zu befürchten waren. Erstaunlich schnell erwirkte Grimaldi eine generelle Gesprächsbereitschaft der französischen Unterhändler, wobei er seine Befugnisse jedoch eindeutig überschritt. Vorgegeben war ihm das Verhandlungsspektrum zwischen kaiserlichem Lager und Papst; tatsächlich arbeitete er auf einen Kontext hin, der dem Papst die zentrale Vermittlerrolle zwischen Genua und Frankreich zuwies. Da die Republik diesen Weg als zu riskant erachtete, wurde Grimaldi abberufen. Bedenkt man, dass die Grimaldi aufgrund ihres Feudalbesitzes Monaco im Verhältnis zu Frankreich von immenser Bedeutung waren und dass Ansaldo Grimaldi mit Andrea Doria in einem verdeckten Konkurrenzverhältnis stand, so ist es ziemlich erstaunlich, dass der Bankier überhaupt mit einer Mission betraut wurde, die das fragile politische Gleichgewicht der Republik in jeglicher Hinsicht aus dem Lot bringen konnte. In der Regel und aus gutem Grund wurde das Beziehungskapital der Oligarchie auf subtilere Art genutzt. Ein ähnliches Sozialprofil wie die Doria hatten die Spinola aufzuweisen. Für den Krieg gegen die Niederlande waren verschiedene Angehörige dieser weit verzweigten Familie die wichtigsten Vertragspartner der spanischen Krone in Antwerpen. Am prominentesten ist Ambrogio Spinola, der ebenso wie seine Verwandtschaft den Krieg als bedeutender Bankier vorfinanzierte, seit 1602 mit zehntausend Soldaten als Militärunternehmer in Erscheinung trat und 1625 für die Einnahme Bredas verantwortlich zeichnete. 1621 ernannte ihn Philipp IV. zum Marqués del los Balbases und zum Granden, während Ambrogios Sohn Agostino Kardinal wurde und seine übrige Nachkommenschaft in den spanischen Hochadel einheiratete34. Ambrogios Schwester Maria sorgte hingegen für die Verbindung zu einem weiteren Familienzweig der Spinola. Sie war mit Giovanni Battista Spinola verheiratet, der 1625 verstarb, als er als Botschafter Genuas an den spanischen Hof reiste. Er hinterließ ein Vermögen von circa 800’000 Scudi. Marias Schwager Giandomenico Spinola wurde 1626 Kardinal, und ein weiterer Bruder ihres Mannes namens Gianluca ist deshalb von Interesse, da er seit 1610 als Geschäftspartner eines gewissen Gregorio Spinola firmierte. Gregorio stammte aus einem unbedeutenden Zweig der Familie. Mit seinem in Madrid operierenden Bruder Bartolomeo strebte er danach, das nur moderate väterliche Kapital zu vermehren, was ihnen dank der Reputation ihrer berühmten Verwandtschaft in Genua, Flandern und Spanien auch gelang: 1621/22 unterzeichnete Bartolomeo vier 34 Geoffrey Parker, The Army of Flanders and the Spanish Road, 1567–1659. The Logistics of Spanish Victory and Defeat in the Low Countries’ War, Cambridge 1972; Carlos Álvarez Nogal / Luca Lo Basso / Claudio Marsilio, La rete finanziaria della famiglia Spinola. Spagna, Genova e le fiere di Cambio (1610–1656), in: Quaderni Storici 124/1 (2007), 97–110.

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asientos im Wert von 1’258’000 Scudi und nach dem Staatsbankrott von 1627 fungierte er bis zu seinem Tod im Jahre 1644 als Generalverwalter der königlichen Finanzen35. Seine Karriere illustriert die auf den Beziehungsnetzwerken der genuesischen Aristokratie basierenden Begünstigungs- und Reputationsketten auf hervorragende Weise. Einen vergleichbar steilen Aufstieg hatte Jahrzehnte zuvor Tomaso Raggi in den Niederlanden gemacht – eine Karriere, die in Genua so wohl nicht möglich gewesen wäre, denn die Raggi gehörten zum Neuadel, dessen kommerzielle Aktivitäten sich hauptsächlich um den Seidenhandel drehten. Erst nach dem genuesischen Bürgerkrieg von 1575/76 und dem zeitgleichen spanischen Staatsbankrott konnte der Neuadel groß in das asiento-Geschäft einsteigen, das zuvor die Domäne des Altadels war36. In den Niederlanden, wo die Kaufleute zwischen den Fronten operierten, war die Lage jedoch anders. Zusammen mit Bartolomeo Doria betrieb Raggi in Antwerpen Handelsgeschäfte. 1567 war er Konsul der genuesischen Nation, lieh der Stadt erhebliche Geldbeträge und fungierte als ihr Vermittler beim Herzog von Alba, in dessen Dienste er schließlich trat. 1569 schickte ihn der Gouverneur an den Hof Elisabeths I., um die für die Niederlande bestimmten Edelmetalllieferungen genuesischer Asientisten auszulösen, die im Jahr zuvor beschlagnahmt worden waren. Raggi war allerdings erfolglos, obwohl er über gute Kontakte zur Londoner City verfügte, insbesondere zu den dort operierenden Genuesen. Einflussreich waren dort zu jener Zeit seine Landsleute Benedetto Spinola und Orazio Pallavicini, dessen Familie nach den Grimaldi den päpstlichen Alaunappalt übertragen bekommen hatte. Pallavicini operierte nicht nur im Dienste der englischen Krone, sondern sollte wenige Jahre später auch für die Finanzierung der niederländischen Rebellen von zentraler Bedeutung sein37. Raggi hingegen wurde 1572 nach Augsburg geschickt, um im Auftrag Albas mit den Fuggern über Kredite zu verhandeln. Im Jahr darauf war er in spanischen Diensten in Hamburg, 1577 ging er nach Paris, um dort für Johannes von Österreich Geld aufzutreiben. Zusammen mit den Spinola und den Cattaneo schloss er bereits unter Alba einige asientos ab. Aber erst unter dem Gouverneur Alessandro Farnese firmierte er unter den bedeutendsten Vertragspartnern der Krone, um 1592 – ein Jahr vor 35 Carlos Álvarez Nogal, El factor general del rey y las finanzas de la monarquía hispánica, in: Revista de Historia Económica 17 (1999), 507–539. 36 Giorgio Doria, Un quadriennio critico: 1575–1578. Contrasti e nuovi orientamenti nella società genovese nel quadro della crisi finanziaria spagnola, in: Fatti e idee di storia economica nei secoli XII–XX. Studi dedicati a Franco Borlandi, Bologna 1977, 377–394. 37 Lawrence Stone, An Elizabethan. Sir Horatio Pallavicino, Oxford 1956. Die Pallavicini verschwägerten sich mit den Cromwell.

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seinem Tod – mit der Finanzverwaltung der spanischen Niederlande betraut zu werden38. Das von Tomaso Raggi angehäufte Kapital bildete den Grundstock für die weiteren Aktivitäten seiner Verwandtschaft, die sich dann hauptsächlich auf dem römischen Geldmarkt betätigte, Mitte des 17. Jahrhunderts zu den wichtigsten Geldgebern der Papstfamilie Barberini zählte und mit zwei Kardinalshüten bedacht wurde39. Freilich ermöglichen die vorgestellten Einzelfälle lediglich einen ersten Einblick in das enge Ineinandergreifen von Politik und Ökonomie auf dem Gebiet der Außenbeziehungen. Sie dürften jedoch das hohe Erkenntnispotential akteurszentrierter Sichtweisen hinsichtlich eines Themenkomplex verdeutlichen, den die Frühneuzeitforschung bislang nur schemenhaft behandelt hat40. Da transnationales Finanzmanagement, die neue europäische Dimension des Krieges und die Konsolidierung eines interhöfischen Beziehungsgefüges während des »Jahrhunderts der Genuesen« unauflöslich miteinander verknüpft waren, könnten derartig ausgerichtete Studien dazu beitragen, einer Epoche kulturgeschichtliche Tiefenschärfe zu verleihen, in der sich die soziopolitischen beziehungsweise sozioökonomischen Entwicklungsgrundmuster sowie die handlungsrelevanten Werte- und Wahrnehmungshorizonte einer als spezifisch europäisch zu kennzeichnenden Gesellschaftsformation erst herausbildeten. Und wenn man bedenkt, dass es sich bei der genuesischen Finanzelite längst nicht um den einzigen, sondern lediglich um den erfolgreichsten unter zahlreichen grenzüberschreitend operierenden Gruppenverbänden handelte, so verliert Genua schließlich auch den Nimbus eines Sonderfalles41. 38 Zu Raggi, der im Hinblick auf die Union seiner Familie mit den Fieschi auch unter letzterem Namen bzw. als Fieschi-Raggi firmierte, Giorgio Doria, Consideraciones sobre las actividades de un ›factor-cambista‹ genovés al servicio de la corona española, in: ders., Nobiltà (Anm. 16), 189–203. 39 Claudio Costantini, Genova e la guerra di Castro, in: Atti della Società ligure di Storia Patria 101 (1996), 327–346. 40 So harren auch die Verhandlungsprozesse um die asientos und die politischen Konstitutionsbedingungen der Wechselmessen noch ihrer umfassenden Erforschung. 41 Um nur einige der italienischen Geschäftseliten als die wichtigsten unter den europaweit agierenden Finanziers zu erwähnen: Die Florentiner Bankhäuser Strozzi, Gondi, Arnolfini, Rucellai und Balbani waren für die französische Krone aktiv. Jean Bouvier / Henry Germain-Martin, Finances et financiers de l’Ancien Régime, Paris 1964; Françoise Bayard, Le monde des financiers au XVIIe siècle, Paris 1988. Zum bedeutendsten Luccheser Bankier, der der englischen Krone diente, Giorgio Vola, Filippo Burlamacchi. Un finanziere nella Londra dei primi Stuart, in: L’emigrazione confessionale dei Lucchesi in Europa, hrsg. v. Simonetta Adorni Braccesi / Clara Sodini, Florenz 1999, 107–118. Zu den Aktivitäten besonders der Lucchesen in Polen vgl. Rita Mazzei, La trama nascosta. Storie di mercanti e altro (secoli XVI–XVII), Viterbo 2006.

Familienbande im Außendienst: Die diplomatischen Aktivitäten des Kardinals Bernardino Spada (1594–1661) im Kontext der Familienpolitik Von Arne Karsten

Bernardino Spada, 1594 in der kleinen Provinzstadt Brisighella bei Bologna geboren, gelang in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine steile Karriere an der Kurie, die ihm bereits mit 31 Jahren, am 19. Januar 1626, die Ernennung zum Kardinal eintrug (Abb. 1). Spada war zu diesem Zeitpunkt als päpstlicher Nuntius am französischen Königshof tätig und bekleidete sein Amt zur Zufriedenheit sowohl seines päpstlichen Souveräns Urban VIII. Barberini (1623– 1644) als auch des französischen Königs Ludwig XIII. Auf die vielfältigen Aktivitäten, die Spada als Nuntius entwickelte, soll im Folgenden nicht näher eingegangen werden1. Es geht vielmehr darum, anhand eines konkreten Fallbeispiels die Verbindung von diplomatischer Tätigkeit und Familienförderung herauszuarbeiten. Der direkte Zusammenhang zwischen der Tätigkeit eines frühneuzeitlichen Diplomaten im Dienste des Papstes einerseits und der Förderung von Familienangehörigen und Familieninteressen andererseits wird bereits daran deutlich, dass der designierte Nuntius Bernardino Spada auf seine Reise nach Paris im Herbst des Jahres 1623 nicht nur den für einen päpstlichen Botschafter am französischen Königshof angemessenen Hofstaat mitnahm, sondern auch zwei seiner Neffen. Er tat dies mit dem erklärten Ziel, »die kleinen Neffen zu großen Dingen zu führen«2. Es handelte sich dabei um Gregorio, den ältesten Sohn von Bernardino Spadas Bruder Giacomo Filippo, und Orazio, ebenfalls der Erstgeborene eines weiteren Bruders, Francesco (Abb. 2). Offensichtlich war es dem geistlichen Onkel der beiden Kinder aber nicht allein darum zu tun, die »kleinen Neffen« schon frühzeitig »an große Dinge zu gewöhnen« oder um ihnen das »Bildungserlebnis« am französischen Königshof zu vermitteln, sondern darüber hinaus ging es auch um materielle Vorteile für die Familie. Dies sollte sich am Ende der Legation zeigen, als der französische König dem scheidenden Nuntius eine jährliche Pension in Höhe von 6000 Scudi für ihn selbst sowie jeweils 2000 Scudi für die beiden Neffen an1 Vgl. hierzu die zusammenfassende Darstellung in: Arne Karsten, Kardinal Bernardino Spada. Eine Karriere im barocken Rom, Göttingen 2001, 51–77. 2 […] per incamminare i piccoli nepoti a cose grandi. Archivo di Stato di Roma, Fondo Spada Veralli, Kap. 7, f. 5r.

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bot3. Spada lehnte freilich die Pensionen nach Aussage seines Bruders Virgilio, dem wir eine Fragment gebliebene Biographie des Kardinals verdanken, ab, um sich selbst und seine Familie nicht allzu eng an Frankreich zu binden. Was er hingegen annahm, war eine Serie kostbarer Wandteppiche. In welchem Maße der Kardinal seine erfolgreiche diplomatische Tätigkeit als Grundlage seines Selbstverständnisses empfand und auch bewusst inszenierte beziehungsweise inszenieren ließ, zeigt im Übrigen das bereits angesprochene Porträt von der Hand Guido Renis. Interessant ist ein Vergleich dieses Bildes mit dem Porträt des Kardinals Ubaldini, das Spada selbst als Vorbild für seine Darstellung angibt. In einem Brief an seinen Bruder Virgilio nämlich schrieb er: »Guido Reni hat vor ein paar Monaten mein Porträt gemacht, das heißt den Kopf, und versprochen, bald auch den Rest zu machen. Es wird nicht geringer sein als das von Ubaldini, mit Briefregalen.«4 (Abb. 3). Beide Gemälde ähneln sich auf den ersten Blick in frappierender Weise. Beide Male sitzen die Porträtierten, dem Betrachter halb zugewandt, auf einem schweren Lehnstuhl, beide Male werden sie vor einem roten Vorhang dargestellt. Während aber Kardinal Ubaldinis etwas grimmig-verächtlicher Blick am Betrachter vorbei streift, blickt ihn Spada direkt an. Besonders auffällig ist jedoch die unterschiedliche Gestaltung der linken Bildhälfte: Wo Bernardino Spada ausdrücklich Schreibpult und Briefablage abgebildet haben wollte, finden wir auf dem Ubaldini-Porträt einen galerieartigen Gang, der den Blick elegant ins Freie geleitet. Zu dieser prächtigen Repräsentationsarchitektur passt, dass auf dem Tisch vor Ubaldini wohl auch eine Schreibfeder, vor allem aber eine Kassette zu erkennen ist, auf deren aufgeklapptem Deckel wir das Wappen des Legaten abgebildet finden. Der ins Auge springende Unterschied zwischen den beiden Gemälden – herrschaftliche Repräsentationsarchitektur im Falle Ubaldinis, Briefregale als Hintergrund des Spada-Porträts – entspringt nicht etwa einer Laune des Malers. Vielmehr gestattet er Rückschlüsse grundsätzlicher Art auf die gesellschaftliche Stellung der beiden Kardinäle und die Rolle, die ihrer diplomatischen Tätigkeit für ihr Selbstverständnis zukam. Roberto Ubaldini entstammte einer hochadligen Familie und war über seine Großmutter mit den 3 [...] ricevette da quelle Maestà quei maggiori segni d’affetto, e di stima, che mai stati usati con altri Nuntij, cio è sc. 6.000 situate et altri scudi 2.000 per li nepoti, che haveva seco, ciò è Oratio, e Gregorio. AS Roma, Fondo Spada Veralli 463, Kap. 15, f. 1v. 4 Guido Reni fece alcuni mesi sono il mio ritratto, cioè la testa, e dice voler fare presto il rimanente. Sarà non meno di quello d’Ubaldini (con) scanie di scritture. Bernardino Spada an Virgilio Spada, 3.10.1630, zit. nach: Roma 1630. Il trionfo del Pennello, Ausstellungskat. Rom 1994, Mailand 1995, 142.

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Florentiner Medici verwandt5. 1605, nach der Wahl Leos XI. de’ Medici, hätte er Kardinalnepot werden sollen. Diesen gewaltigen Sprung auf der sozialen und politischen Stufenleiter hatte lediglich der Tod des Papstes schon vier Wochen nach seiner Wahl verhindert. Ubaldini verdankte Amt und Würde seiner Geburt6. Die in seinem Porträt präsentierten Attribute des geborenen Herrschers – noble Architektur und Familienwappen – verdeutlichten dies unübersehbar. Bernardino Spadas Prestige hingegen speiste sich aus ganz anderen Wurzeln. Als sozialer Aufsteiger konnte er nicht auf Familientraditionen verweisen, sondern musste sich über seine unermüdliche Arbeitskraft, seine Leistung legitimieren, was am Besten gelingen konnte, wenn er sich nicht nur an seinem Arbeitsplatz, sondern bei der Arbeit selbst darstellen ließ. Dementsprechend instruierte er den Maler seines Porträts7. Die erfolgreiche diplomatische Tätigkeit diente jedoch keineswegs allein als Referenzpunkt für die kunstvoll inszenierte Selbstdarstellung des Kardinals. Die in Paris und dann als Legat in Bologna geknüpften Kontakte sollten sich als langfristig wichtig erweisen, nicht nur für Bernardino Spada selbst, sondern auch für seine Familie, die der Kardinal in den Jahren nach seiner Rückkehr aus Frankreich durch eine ganze Serie von geschickt eingefädelten Heiraten unter den führenden Adelssippen des Kirchenstaats etablierte8. So entstanden nicht weniger als vier Hauptlinien des Clans, nämlich – in der Reihenfolge ihrer Bedeutung – in Rom, Bologna, Faenza und Spoleto. Alle vier Ehen der Neffen Bernardino Spadas erwiesen sich als kinderreich, so dass der Kardinal schon bald damit beschäftigt war, nicht nur seine Stellung an der Kurie zu behaupten, sondern auch für die zahlreichen Großneffen (und, in geringem Maße, auch die Großnichten) zu sorgen. Spada bediente sich dabei mit der größten Selbstverständlichkeit des sozialen Kapitals, das er in den Jahren seiner diplomatischen Tätigkeit in Frankreich und danach als Nuntius in 5 Costanza de’ Medici, Schwester Leos XI., heiratete Ugo della Gheradesca. Aus dieser Ehe entstammte Roberto Ubaldinis Mutter Lucrezia della Gheradesca; vgl. Christoph Weber, Genealogien zur Papstgeschichte, 6 Bde., Stuttgart 1999–2003, Bd. 4, 943. 6 Zur Person Ubaldinis vgl. zuletzt Giulia Paris, Il cardinale Roberto Ubaldini. Un personaggio dimenticato e una collezione privata, in: Roma moderna e contemporanea 13 (2005), 259–277. 7 Welche Bedeutung die Familie Spada gerade diesem repräsentativen Bild beimaß, geht aus der Tatsache hervor, dass der Marchese Clemente Spada 1754 ein Porträt seines Onkels, des Kardinals Fabrizio Spada (bei dem es sich wiederum um einen Großneffen des Kardinals Bernardino handelte), in Auftrag gab, und zwar ausdrücklich als Komplementärstück, das accompagnasse l’altro di Guido [Reni] (AS Roma, Fondo Spada Veralli 1027, f. 7r und 1037, f. 2r). 8 Zur Heiratspolitik Spadas im Einzelnen vgl. A. Karsten, Bernardino Spada (Anm. 1), 177–206.

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Bologna, schließlich in rund zwei Jahrzehnten an der Kurie selbst erworben hatte. In welchem Maße und in welcher Form er dies tat, sei im Folgenden an einem konkreten Fallbeispiel erläutert: der Aufnahme seines Großneffen Alviano Spada (1645–1730) in den auf Malta ansässigen Johanniterorden in den Jahren 1652/539. Die umfangreichen diplomatischen Aktivitäten, die Spada in dieser Angelegenheit entwickelte, sind deshalb besonders aufschlussreich, weil die angestrebte Aufnahme seines Neffen Alviano Spada nicht nur der praktischen Versorgung eines Familienangehörigen dienen sollte, sondern ebenso eine Frage des Familienprestiges darstellte. Ausgangspunkt für die Bemühungen um ein cavalierato di Malta war nämlich der Bericht eines ehemaligen venezianischen Botschafters an der Kurie, der verlauten ließ, Bernardino Spada habe seinen Erfolg mehr seinem Reichtum und seiner Tüchtigkeit zu verdanken als einer hervorragenden Herkunft10. Die Formulierung mochte nach außen hin anerkennend wirken, enthielt aber für eine Aufsteigerfamilie eine bedrohliche Infragestellung ihres sozialen Status und erschien dem Kardinal schlichtweg »seltsam« (strano). Sie bot freilich auch Anlass, Zweifel solch grundsätzlicher Art am alten Adel des Hauses Spada ein für allemal zu zerstreuen. Zu diesem Zweck konnte nichts geeigneter erscheinen, »als einem seiner Neffen das Gewand eines Malteserritters zu verschaffen«11. Denn als Bedingung für die Aufnahme in den Orden des heiligen Johannes vom Spital zu Jerusalem war bereits im Jahre 1550 der Adelsnachweis des Bewerbers bis in die Großelterngeneration festgeschrieben worden, eine Forderung, die für italienische Bewerber im 17. Jahrhundert noch eine Verschärfung erfuhr, indem nunmehr zweihundert

9 Der diesbezügliche Briefwechsel des Kardinals sowie eine Reihe weiterer Dokumente, die Angelegenheit betreffend, befindet sich in AS Roma, Fondo Spada Veralli 270, 1.10.1652–1654: Lettere relative al negoziato condotto dal card. Bernardino Spada per la concessione del Cavalierato di Malta ad Alviano Spada (ohne Paginierung). 10 […] fatta in Roma d’ordine del Em.o Sig.r Card. Spada da un famigliare di S. Em.za.: È da sapersi, che essendo pervenuto a vista dell’Em.mo Sig. Cardinale Spada una relatione delle cose di Roma fatta ultimamente da un ambasciatore veneto, ch’era riseduto alcuni anni in questa corte, S. E. osservò, che parlando con molto honore della persona sua, cominciava il discorso et elogio sudetto con le sequente parole: Spada si è fatto largo più con le ricchezze e con la propria virtù che con la chiarezza della nascita. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Mandato sotto li 30 agosto 1653: Instruttione per chi havera da procurare dal conseglio della S. Religione Gerosolimitana nell’isola di Malta la petitione dell’habito per il nobile Alviano Spada (handschriftlich von Bernardino Spada ergänzt). 11 Ebd.: [...] essendo simili concetti totalmente falsi, fu stimato, che non si potesse più concludendamente procurar il contrario che col far prendere l’habito di Malta ad uno dei suoi nipoti.

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Jahre adliger Familientradition vorgeschrieben wurden12. Zu den Ordensangehörigen, geordnet nach den Herkunftsnationen (»Zungen«) Provence, Auvergne, Frankreich, Kastilien-Portugal, Aragon, Italien und Deutschland, zählten unter anderem nachgeborene Söhne zahlreicher Herrscher- und Königshäuser13. In Bezug auf das Sozialprestige war der Orden zweifellos die »exklusivste Bruderschaft der frühen Neuzeit«14. Unter diesen Umständen kann es nicht überraschen, dass Bernardino Spada die Aufnahme seines Neffen als geradezu idealer Schachzug erscheinen musste, um die Zweifel am Status seines Hauses ein für alle Mal auszuräumen. Ein erstes Problem bei den im Jahre 1652 beginnenden Verhandlungen stellte das Alter des zukünftigen Ritters dar, der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sieben Jahre zählte. Doch angesichts der hervorragenden Verbindungen seiner Großonkel an der Kurie, wo Bernardino Spada Mitglied zahlreicher Kardinalskongregationen war und sein Bruder Virgilio als elemosiniere generale Innozenz’ X. über direkte Kontakte zum Papst verfügte, räumte ein päpstlicher Dispens vom 23. November 1652 dieses Hindernis aus dem Weg15. Nachdem die erste Hürde genommen war, ging es als nächstes darum, die mit der Prüfung der Unterlagen beauftragten commissari, zwei Ordensritter des römischen Ordenspriorats, von der Korrektheit des Antrags zu überzeugen und anschließend die Zustimmung der Vollversammlung der römischen Ordensrit12 Vgl. Moritz Trebeljahr, Paul V. und seine devotissima Religione. Die Beziehungen zwischen der Kurie und dem Johanniterorden auf Malta (1605–1621), in: Die Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V. Borghese (1605–1621), hrsg. v. Alexander Koller, Tübingen 2008, 301–326, 310 f. 13 Einige Beispiele in ebd., 306. Die Karriere eines deutschen hochadligen Ordensangehörigen zeichnet nach: Ulrich Köchli, Trophäe im Glaubenskampf ? Der Konvertit und Kardinal Friedrich von Hessen-Darmstadt (1616–1682), in: Jagd nach dem roten Hut. Kardinalskarrieren im barocken Rom, hrsg. v. Arne Karsten, Göttingen 2004, 186–204. Zur sozialen und kulturellen Bedeutung des Maltersordens speziell für den italienischen Adel vgl. Angelantonio Spagnoletti, Stato, aristocrazie e ordine di Malta nell’Italia moderna, Rom 1988. 14 M. Trebeljahr, Paul V. (Anm. 12), 310. 15 [...] ho visto in primo luogo la gratia della minor età, come anco in poter far le sue prove nella città di Roma spedita sotto li 23 novembre 1652 e la fede di battesimo per la quale apparisce haver detto Alviano l’età di otto anni richiesta per la sudetta dispensa, in modo che in quanto alla formalità si vede d’haver adempito a quanto da nostri stabilimenti, et ordinationi vien richiesto. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Schreiben des mit der Überprüfung von Alviano Spadas Unterlagen beauftragten commissario Giovanni Battista Ansidei. Zum Problem des geringen Alters, in dem oftmals bereits Kinder in den Orden aufgenommen wurden, um bei der nach dem Anciennitätsprinzip erfolgenden Pfründenvergabe später erfolgreich zu sein vgl. M. Trebeljahr, Paul V. (Anm. 12), 311 f. Als elemosiniere generale oblag Virgilio Spada die Aufsicht über die Vergabe päpstlicher Almosen.

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ter zu gewinnen. Ein Vorhaben, bei dem der Onkel des Kandidaten nichts dem Zufall überlassen mochte. So schrieb Bernardino Spada am 31. März 1653 an den commendatore Orlandini: »Der cavaliere Veralli, Statthalter des römischen Priorates, wird Euer Gnaden wie auch die anderen Ritter aufgefordert haben, an der heute in seinem Palast stattfindenden Versammlung teilzunehmen, bei welcher der Antrag meines Großneffen Alviano verhandelt wird; [...] mehr als alles andere scheint mir die Teilnahme Eurer Person wünschenswert, soweit es Eure Gesundheit und die Gicht erlauben; deswegen erlaube ich mir, dieses Schreiben zu schicken, um Euch um Euer Erscheinen zu bitten und Euch mitzuteilen, dass sich um 14 Uhr vor Eurem Hause eine Kutsche einfinden wird (nicht die meine, aus Gründen der Vorsicht), die so lange warten wird, bis die Befehle Euer Gnaden eintreffen.«16 Auch der Bescheid der mit der Überprüfung von Alviano Spadas Unterlagen beauftragten commissari Giovanni Battista Ansidei und Giovanni Terrasconi lässt keine Probleme erkennen. Man habe Nachrichten eingeholt über den Adelsstatus von Alviano Spadas Ahnen, unter anderem bei den Kardinälen Luigi Capponi und Marc’Antonio Franciotti, beide als Legaten in der Emilia Romagna17 mit den dortigen Verhältnissen bestens vertraut, und diese Nachrichten lauteten vollkommen befriedigend18. Die beiden commissari schlossen ihr Gutachten mit der positiven Nachricht, dass sowohl aus ihrer Sicht wie auch nach dem Beschluss der Ordenskomturei in Rom einer Aufnahme des Alviano Spada in den Orden nichts entgegenstehe19. 16 Il cavaliere Veralli luogotente di questo Priorato di Roma havrà intimato V.S. come gli altri cavallieri d’intervenir questa mattina all’assemblea in casa sua a hore 15 per ricevere la petizione d’Alviano Spada mio pronipote [...]; desidero sopra ogn’altro cosa la presenza, et intervento suo a detta assemblea per quanto sia per permetterle la sua podagra, e la sua salute; onde mi faccio lecito di scriverle questo biglietto, così per pregarle dell’intervento sudetto, come per significarle, che alle hore 14 si trovarà alla porta del suo allogiamento una carozza (non però mia per ogni buon rispetto), che aspetarà tanto tempo, quanto sarà necessario per ricevere i di lei commandamenti. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Bernardino Spada an den commendatore Orlandini, 31.3.1653. 17 Luigi Capponi (1582–1659) war von 1642 bis 1644 Legat der Romagna (zusammen mit dem Kardinalnepoten Antonio Barberini d. J.); Marc’Antonio Franciotti (1592–1666) von 1640–1642, vgl. www.requiem-project.eu, Datenbank, s.v. 18 [...] la prova della nobiltà delle sue quattro famiglie, cioè Spada, Veralli, Severoli, e Rocci, costando in primo Luogo, che la detta famiglia paterna Spada habbia origine da Valdilamone di Romagna, nobile, et antica e cio non solamente per dispositione di quattro testimoni, persone cospicue ritrovati in Roma della sudetta Valle di Lamone, che conoscono molte bene questa famiglia, ma di due Em.mi cardinali Cappone, arcivescovo di Ravenna, e Franciotti, li quali stettero gran tempo nella Romagna, come anco dalli commissarii viste, e riconosciute authentiche, et in buona forma. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270. 19 E però confermandomi col parere de’ commissarii in partibus, e di tutta l’assemblea di Roma, nemine discrepante, accetto, et approvo il Pretendente, e le sue prove per buone, et valide, co-

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Damit schien die Angelegenheit erledigt. Was niemand voraussehen konnte: Die an diesem Punkt eigentlich nur mehr eine Formalität darstellende Zustimmung der Vollversammlung aller Ritter auf Malta blieb aus. Es war einer mit den Spada verfeindeten Familie, die wie diese aus der EmiliaRomagna stammte, gelungen, eine Mehrheit der italienischen Ritter zur Ablehnung Alviano Spadas zu bewegen20. Zwar reagierte der Großmeister des Ordens, Jean-Baptist Lascaris de Castellar21, sofort und schrieb Bernardino Spada einen beschwichtigenden Brief, in dem er die Ereignisse als das Ergebnis einer nicht vorhersehbaren Intrige junger, unerfahrener Ritter darstellte und versprach, die Sache so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen22. Doch Bernardino Spada empfand die Ablehnung seines Großneffen als eine Provokation, schlimmer noch, als eminente Bedrohung des Familienprestiges, das ja gerade durch die Aufnahme Alviano Spadas entscheidend hätte profitieren sollen. Der Kardinal reagierte auf diese Bedrohung unverzüglich mit der Mobilisierung seiner weitreichenden diplomatischen Kontakte23. Von besonderer Bedeutung waren dabei die engen Beziehungen, die der Kardinal seit seiner Nuntiaturzeit zur französischen Krone unterhielt. So schrieb der französische Botschafter in Rom, Henry d’Étampes-Valençay24, offenbar vom empörten Kardinal informiert, an den Großmeister Lascaris in scharfem Ton: »Das Interesse, das ich immer allen Angelegenheiten, die unseren Orden be-

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stando haver ricevuto li detti comissarii per le loro giornate scudi d’oro dodici per ciascuno, et questo è il mio parere. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270 (unterzeichnet von G. B. Ansidei und G. Terrasconi). La guerra scoperta si fa da una famiglia emula di quel paese, la quale si tiene offesa per un certo homicidio fatto già in un di loro da parenti di quei dell’altra famiglia, i quali parenti furono da essa protetti. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Brief ohne Absender und Datum. Jean-Baptist Lascaris de Castellar, zur Ordens-Zunge Provence gehörig, bekleidete das Amt des Großmeisters von 1636 bis 1657, vgl. H. J. A. Sire, The Knights of Malta, New Haven / London 2001, 282. [...] ma dopo haverle espresso il dispiacer, che provo non ordinario di quel impensato accidente, sortito, come intendo, per cabala d’alcuni giovani, et imprudenti cavalieri, mi porto ad assicurarla, che a tutto si darà l’opportuno rimedio, con intiero della riputazione del detto processo. Mi pesa solo [...] che convenga aspettare ad ottobre prossimo. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Lascaris an Spada, 21.6.1653. Dass die Sorgen Bernardino Spadas alles andere als unbegründet waren, lässt etwa das Schicksal des aus angesehenem Bologneser Patriziergeschlecht stammenden Carlo Marescottis erkennen, dem 1614 die Aufnahme in den Orden verweigert blieb, obwohl er als Patenkind des seinerzeitigen Kardinalnepoten Scipione Borghese von diesem protegiert wurde, vgl. M. Trebeljahr, Paul V. (Anm. 12), 310. Henry d’Étampes-Valençay war selbst Ordensritter und von 1670 bis 1678 Großprior von Frankreich, H. J. A. Sire, Knights (Anm. 21), 133.

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treffen, entgegengebracht habe, veranlasst mich, Euer Gnaden von dem Skandal in Kenntnis zu setzen, den an diesem Hof die wenig gerechte Behandlung eines Neffen des Kardinals Spada ausgelöst hat.« Nachdem alle Formalia korrekt erfüllt worden seien, hätten einige Malteser-Ritter im letzten Augenblick die Aufnahme des jungen Spada zu verhindern gewusst. Diese Zurückweisung sei »ein offensichtlicher Verstoß gegen die Konstitutionen des Ordens und eine manifeste Ungerechtigkeit«, sie sei aber darüber hinaus auch geeignet, nicht nur die »Ehre einer angesehenen Familie zu beleidigen«, sondern auch »eines der herausragenden Mitglieder des Kardinalskollegiums« vor den Kopf zu stoßen, das, so stünde zu fürchten, sich über kurz oder lang dafür rächen werde. Der Großmeister möge doch, um Schaden vom Orden zu wenden, den inkriminierten Beschluss so schnell wie möglich rückgängig machen25. Der französische Botschafter sollte in dieser Sache noch mehrfach intervenieren, doch war es keineswegs nur er allein, der von Bernardino Spada um Unterstützung gebeten wurde. Bereits am 12. Juli 1653 antwortete der Staatssekretär und nachmalige Papst Alexander VII., Kardinal Fabio Chigi, 25 L’interesse, che ho sempre havuto in tutte le cose, nelle quali s’è trattato di quella nostra religione [i.e. des Johanniterordens], mi servirà di motivo per avvisare V.S. dello scandalo, che ha cagionato in questa corte il poco giusto trattamento, che è stato fatto a uno dei nipoti dell’Em mo S.r Card.le Spada; il quale desiderando esser fatto cavaliere, gli furono destinati per questo effetto commissari per esaminar le di lui prove; et essendosi ritrovate validissime, furono ammesse nel capitolo provinciale nemine discrepante, et anche parvero benissime a i commissari deputati dalla lingua d’Italia a Malta, per conoscere la validità; con tutto ciò che fussero state queste formalità così regolarmente osservate, che non fusse doppo di esse da desiderar’altro; alcuni cavalieri però non hanno lasciato di opporsi alla loro esecutione senza saperne la ragione per impedire che le giuste pretensioni del sudetto cavaliere sortissero il suo bramato fine; il che è assolutamente contrario alle constituzioni dell’ordine, essendo una ingiustitia manifesta, che non ha per fondamento altro che il mero capriccio di questi, che ne sono stati li autori. Pertanto sapendo l’importanza di questo negotio per quello che ne puol succedere, l’honore d’un illustre famiglia ritrovandosene offeso, sicome quello d’uno de’ più eminenti soggetti del sacro collegio, il quale potrà presto o tardi secondo le parerà a proposito far palese il giusto risentimento, che conserverà dell’ingiuria così malamente fatta al suo nome; spinto dall’appassionato desiderio che ho di giovare alla mia religione, mi trovo in obbligo di far consapevole V.S. di quanto passa al di lui detrimento, et anche di pregarla con ogni caldezza mediante la sua autorità di rimediare ad una cosa di tanta importanza, ch’è quella, della quale hoggi di si tratta di far cassar, et annullare la contraditione della lingua dal nostro consiglio con sodisfattione delle persone, che ne poteranno ricevere qualche scapito al loro honore, non permettendo che tali abusi e novità s’introduchino nel nostro convento, le quali quanto prima potrebbono metter sottosopra l’ordine della giustitia, che è solita esser osservata in esso senza partialità veruna, con sicurezza che V.S. In questo incontro farà un atto tutto pieno di giustitia, di sommo rilievo per l’ordine di Malta, et inoltre di singolare obbligatione per me verso di V.S. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Traduzione della lettera del Sig. Ambasciatore di Francia.

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auf die Bitte Spadas und versicherte ihm, seinen Einfluss zu Gunsten des Neffen Alviano geltend machen zu wollen. Die beiden Kardinäle kannten und schätzten sich seit langem: In den Jahren von 1627 bis 1631 war Fabio Chigi als Vizelegat zusammen mit dem Legat Giulio Sacchetti in Ferrara tätig gewesen, während Bernardino Spada die benachbarte Legation von Bologna wahrgenommen hatte. Die auf die engen Kontakte in dieser Zeit zurückgehende gegenseitige Wertschätzung26 zahlte sich nun aus. Für Spada musste diese Zusage umso wertvoller erscheinen, als Chigi in den Jahren von 1635 bis 1638 als Inquisitor in Malta tätig gewesen war und aus dieser Zeit noch über zahlreiche Kontakte verführte27. Vom selben Tag datiert ein Schreiben Chigis an den amtierenden päpstlichen Inquisitor auf der Insel, Monsignore Federico Borromeo28: Ihm, Chigi, seien die immer wieder vorkommenden Widerstände einzelner Ordensritter gegen die Ernennung neuer cavalieri aus seiner eigenen Zeit als Inquisitor wohlbekannt, doch wisse er eben deswegen auch, dass diese Widerstände mit etwas diplomatischem Geschick durchaus zu überwinden seien, wofür sich einzusetzen er Borromeo nachdrücklich bitte29. Einen Monat später dann wandte sich Chigi mit einem Schreiben direkt an den Großmeister Lascaris. Aus der Zeit seiner eigenen Tätigkeit auf Malta sei hoffentlich noch erinnerlich, in welch ungewöhnlichem Maße er selbst, Chigi, dem Orden zugetan sei. Deswegen bitte er dringend, in dieser Angelegenheit den Wünschen des Kardinals Spada nachzukommen30. Unübersehbar 26 Vgl. hierzu A. Karsten, Bernardino Spada (Anm. 1), 278. 27 Zu Chigis früher Karriere vgl. vor allem Irene Fosi, Fabio Chigi und der Hof der Barberini – Beiträge zu einer vernetzten Lebensgeschichte, in: Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhard, hrsg. v. Peter Burschel u. a., Berlin 2002, 179–196, zu seiner Tätigkeit als Nuntius in Malta besonders 195 f. 28 Federico Borromeo (1627–1673), päpstlicher Nuntius in Malta vom 25.10.1652 (Nominierung) bis Juni 1654, wurde am 22.12.1670 zum Kardinal ernannt, vgl. Georg Lutz, Borromeo, Federico, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Rom 1960 ff., Bd. 13 (1971), 42–45, 42. 29 [...] spero hora, che tanto col suo favore et aiuto siano per passare felicemente doppo che haveranno havuto agio di vederle, e di esaminargli quegli, che alla prima l’haverano volute contradire, il che so non sser cosa nuova, et al mio tempo così provai, e superai io stesso più volte in simili casi. Prego dunque V.S. con tutto l’affetto ad abbracciar l’impresa, sicura di obbligarmi sommamente di riverirla in tutte le occasioni. AS Roma, Fondo Spada Veralli, 270: Chigi an Borromeo, 12.7.1653. 30 Fin quando io era in cotesta isola, V. E. havrà potuto scorgere la servitù che io passavo intrinseco con S. E., onde per questo rispetto, e per l’affetto che porto a cotesta religione mi ero a questi giorni sommamente contristato dell’impensato accidente occorso nella lingua d’Italia al processo del S.r Alviano suo pronipote, ma altretanto mi sono consolato poi in vedere la lettera di V. E. scritta al S.r Card.le predetto con egual prudenza, e sicurezza di giusto rimedio. Vengo dunque con la presente a render certa V. E. che quanto più prontamente, e più pienamente si provederà

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werden in Chigis Brief die Erinnerungen an die eigene diplomatische Tätigkeit und die dabei mit dem Großmeister des Ordens getauschten Gefälligkeiten im Dienste des Familieninteresses eines freundschaftlich verbundenen Kardinals instrumentalisiert. Doch gewinnt die Intervention des Kardinalsstaatssekretärs noch an Interesse, wenn man bei Durchsicht des Aktenfaszikels, in dem die entsprechende Korrespondenz enthalten ist, feststellt, dass nicht nur eine Kopie des Briefs von Chigi an Lascaris im Familienarchiv der Spada erhalten ist, sondern auch verschiedene Minuten von der Hand Bernardino Spadas für diesen Brief31. Spada bat den amtierenden Kardinalstaatsekretär also nicht nur um seine diplomatische Unterstützung, sondern setzte auch gleich das von diesem zu unterzeichnende Schreiben auf. Auf diese Weise gelang ihm eine besonders pikante Umkehrung des Verhältnisses von Formalität und Informalität in den außenpolitischen Beziehungen der Kurie: Für eine Privatangelegenheit des Hauses Spada instrumentalisierte er das Dienstverhältnis, das zwischen Kardinalsstaatssekretär Chigi als Chef der für die Außenpolitik des Papsttums zuständigen Behörde und dem weisungsgebundenen Inquisitor, der die Funktion eines Botschafters des Heiligen Stuhls in Malta ausübte, bestand. Wenig später wandte sich dann auch der Großprior der römischen Ordensprovinz an die Ritter in Malta. Kardinal Antonio Barberini der Jüngere32 hatte als Neffe Papst Urbans VIII. während der Herrschaft seines Onkels beste Beziehungen zur französischen Krone unterhalten und war nach dessen Pontifikatsende vor den Untersuchungen, die der neugewählte Pontifex Innozenz X. Pamphili (1644–1655) dem Finanzgebaren der Familie seines Vorgängers widmete, nach Paris ins Exil geflohen. Nach der Aussöhnung der Familien Barberini und Pamphili war der Kardinal 1653 in die Ewige Stadt zurückgekehrt, kurze Zeit bevor er von Seiten des französischen Botschafters auf den »Fall Spada« hingewiesen wurde. Angesichts der alten Verbundenheit zwischen Antonio Barberini und Bernardino Spada, der zu den profiliertesten Klienten der Familie Urbans VIII. zählte, erstaunt es nicht, dass Barberinis Brief die Ordensritter in energischem Ton darauf hinweist, er, Barberini, werde

alla giustitia, et alla riputatione di S. E. e di altri Em.mi nominati dentro a quel processo, tanto più opportunamente si farà cessare la meraviglia di questa corte, e l’amarezza, et afflitione di quegli, che amano il buon servitio e vantaggi di cotesta religione. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Chigi an den Großmeister Jean-Baptist Lascaris, 9.8.1653. 31 Unter anderem eine minuta mia alterata in parte in: AS Roma, Fondo Spada Veralli 270, datiert auf den 9.8.1653. 32 Antonio Barberini d. J. bekleidete das Amt eines Priors der römischen Ordensprovinz von 1624–1658, vgl. H. J. A. Sire, Knights of Malta (Anm. 21), 170 f.

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mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dafür sorgen, dass einer so verdienten Familie wie den Spada Gerechtigkeit widerfahre33. Zu den zahlreichen Persönlichkeiten, die sich in dieser Familienangelegenheit des Hauses Spada engagierten, gehörte auch der venezianische Botschafter an der Kurie, Nicolo Sagredo, der in einem Schreiben vom 19. September 1653 darauf hinwies, dass erst wenige Monate zuvor ein Spada bei der Verteidigung Candias gegen die Türken gefallen sei und ein anderer Spross dieser Familie bei den päpstlichen Truppen in Dalmatien Dienst tue34 – ein vergleichsweise sachlicher Hinweis auf militärische Traditionen der Familie Spada. Angesichts des diplomatischen Drucks, der von verschiedensten Seiten auf den Orden ausgeübt wurde, überrascht es nicht weiter, dass die Vollversammlung der Ritter auf Malta am 8. Oktober 1653 bei einer neuerlichen Beratung über die Aufnahme Alviano Spadas zu dem Ergebnis kam, dass »die Adelsnachweise des Herrn Alviano Spada gut und gültig sind und als solche auch akzeptiert werden sollen«35. Damit konnte die Affäre als beigelegt betrachtet werden. Virgilio Spada schrieb in seinen Aufzeichnungen für eine Biographie des Bruders, es sei »vermutlich schwer, einen Onkel zu finden, der für seine Neffen mehr habe tun wollen, können und auch tatsächlich getan habe als Bernardino Spada«36 – eine Behauptung, die angesichts des Aufwandes, den der Kardinal allein für die Aufnahme seines Großneffen Alviano in den Malteserorden betrieb37, zweifellos keine Übertreibung darstellt. Der diplo33 AS Roma, Fondo Spada Veralli 270: Antonio Barberini an die Ritter der italienischen Ordens-Zunge auf Malta. 34 Prego V. S. Ill.ma restare informata, che un nipote del S. Card.le [Spada] attualmente e non saranno sei mesi, lasciasse la vita in Candia al servitio della Rep.ca [dabei handelte es sich um Giuseppe Spada, 1630–1653]. Che altro suo nipote attualmente pure serva in Dalmatia nelle truppe pontificie [Paolo Spada, 1625–nach 1661]. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270. 35 [...] che le prove di nobiltà del S.re Alviano Spada [...] sono bone et valide, et come tali devono esser accettate. AS Roma, Fondo Spada Veralli 270. Laut Francesco Bonazzi di Sannicandro, Elenco dei Cavalieri del S. M. Ordine di S. Giovanni di Gerusalemme ricevuti nella Veneranda Lingua d’Italia dalla Fondazione dell’Ordine ai Nostri Giorni, Bd. 1: 1136–1715, Bologna 1897, 311, soll Alviano Spada bereits am 29.3.1653 aufgenommen worden sein und später das Kapitanat über eine Ordensgaleere inne gehabt haben. Ich danke Moritz Trebeljahr für diesen Hinweis. 36 Sarà difficile al certo trovare zio, che habbia verso i nepoti saputo, potuto e voluto porgere aiuti così efficaci. AS Roma, Fondo Spada Veralli 463, Kap. 29, f. 4r. 37 Und von denen Virgilio Spada in den biographischen Skizzen über seinen Bruder naheliegenderweise kein Wort verliert, wenn er über den Großneffen knapp konstatiert: Il 3° detto Alviano fu honorato dell’habito della Religione Gerosolimitana, et in tanto putto di anni 17 viene educato in grado di Paggio nella corte del Ser.mo Granduca con isperanza di ottima riuscita. AS Roma, Fondo Spada Veralli 463, Kap. 29, f. 4r.

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matische Druck, den er dank seiner weit reichenden politischen Beziehungen auf den souveränen Orden auszuüben verstand, führte schließlich zum Erfolg, doch dieser Erfolg ließ den Kardinal und seinen Bruder Virgilio nicht ruhen. Die für die Aufsteigerfamilie aus dem Norden des Kirchenstaats offensichtlich als eminente Bedrohung ihres sozialen Prestiges gewertete Skepsis gegenüber dem adligen Status ihrer Familie führte dazu, dass die Spada-Brüder, kaum dass die Malteser-Affäre beigelegt war, daran gingen, ihre alte Familientradition in einer der bemerkenswertesten Familienkapellen Roms ins Bild zu setzen zu. Während Bernardino Spada seine diplomatischen Beziehungen hatte spielen lassen, um seinem Großneffen die Aufnahme in den MalteserOrden zu erwirken, hatte er auch mit umfangreichen genealogischen Studien begonnen38. Deren Ergebnisse wurden nun in der kleinen römischen Kirche San Girolamo della Carità dem Publikum in geradezu aufdringlicher Inszenierung vor Augen geführt (Abb. 4): Zu beiden Seiten der Familienkapelle des Hauses Spada präsentieren Medaillons die Porträts von mühsam rekonstruierten Vorfahren, deren Taten zudem in kleinen Bildumschriften festgehalten wurden (Abb. 5). Unnötig zu betonen, dass die hier gezeigten Persönlichkeiten alles andere als bedeutend waren. Umso aufschlussreicher jedoch ist die Funktion der Medaillons wie der gesamten Kapellenanlage als künstlerisch verklärendes Komplementärstück zur Diplomatie im Dienste des Familienprestiges. Die Ausstattung der Kapelle wurde als nötig empfunden, weil das Prestige der Familie zwar von den diplomatischen Beziehungen des Kardinals Bernardino Spada in hohem Maße profitiert hatte, diese diplomatischen Beziehungen jedoch langfristig allein nicht als hinlänglich stabiles Fundament für den Rang des Hauses betrachtet wurden.

38 Überliefert in: AS Roma, Fondo Spada Veralli 266: Nota di cose domestiche fatta dal cardinale Bernardino Spada.

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Abb. 1: Giudo Reni, Portrait des Kardinals Bernardino Spada, Rom, Galleria Spada

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Abb. 2: Stammbaum der Familie Spada

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Abb. 3: Giudo Reni, Portrait des Kardinals Roberto Ubaldini, Los Angeles, County Museum of Art

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Abb. 4: Rom, San Girolamo della Carità, Cappella Spada

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Abb. 5: Rom, San Girolamo della Carità, Cappella Spada, Detail

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Hochadlige Außenverflechtung zwischen Fürstendienst und Hochverrat: Der Grand Condé als europaweit tätiger Akteur Von Christian Kühner

Wenn man frühneuzeitliche Außenbeziehungen unter dem Aspekt der handelnden Personen und nicht aus dem Blickwinkel abstrakter Staatsgebilde erforschen will, kommt man um die Betrachtung des Adels nicht herum, denn Diplomaten waren in der Frühen Neuzeit oft Adlige. Sie repräsentierten ihren Fürsten im Ausland – wohlgemerkt ihren Fürsten, nicht ihren Staat. Dies war eine Form des Dienstes, den ein frühneuzeitlicher Adliger gemäß dem eigenen Selbstverständnis seinem Fürsten schuldete1. Dass der Adlige dabei immer auch seine Familie mit repräsentierte und eigenen Interessen nachging, brauchte den Fürsten in den meisten Fällen nicht zu stören: Zu eindeutig verteilt waren die Gewichte. Das weist aber schon darauf hin, dass es besonders interessant sein könnte, Grenzfälle in den Blick zu nehmen, die Aufmerksamkeit also auf hoch- und höchstadlige Akteure zu richten. Diese konnten zwar als Diplomaten fungieren, aber auch wenn sie dies nicht taten, interagierten sie oft in großem Ausmaß mit dem Ausland. Der als Grand Condé bekannte Louis II de Bourbon, Prinz von Condé, ist eine Figur, anhand derer sich die grenzüberschreitende Verflechtung des europäischen Hochadels im 17. Jahrhundert beispielhaft darstellen lässt2. Als 1 Dabei hob die Selbststilisierung der Beteiligten darauf ab, dass der Adlige freiwillig diente und der Fürst ihn freiwillig entlohnte, so dass der Adlige nicht für ein Gehalt arbeitete, was als unaristokratisch gegolten hätte. Am Beispiel innerhöfischer Beziehungen ist dieser Mechanismus herausgearbeitet in Barbara Stollberg-Rilinger, Zur moralischen Ökonomie des Schenkens bei Hof, in: Luxus und Integration. Materielle Hofkultur Westeuropas vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. v. Karsten Plöger (im Druck), Ms.  13 f. Ich danke Barbara Stollberg-Rilinger für die Möglichkeit, das Manuskript einzusehen. 2 In der Literatur zum Grand Condé ist der Ausgangspunkt stets die umfangreiche Darstellung aus der Feder des Herzogs von Aumale, der das Condé-Archiv geerbt hatte: Henri d’Orléans d’Aumale, Histoire des princes de Condé aux XVIe et XVIIe siècles, 9 Bde., Paris 1885–1896. Seither ist der Prinz immer wieder Gegenstand von Biographien geworden, von denen zitiert seien: Georges Mongrédien, Le Grand Condé. L’homme et son œuvre, Paris 1959; Pierre Duhamel, Le Grand Condé ou l’orgueil, Paris 1981, sowie die derzeit aktuellste Biographie: Bernard Pujo, Le Grand Condé, Paris 1995. Die Machtpolitik der Condé analysiert Christian Jouhaud, Politiques de princes: Les Condé (1630–1652), in: L’État et les Aristocraties (France, Angleterre, Écosse). XIIe–XVIIe siècle, hrsg. v. Phi-

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erster Prinz von Geblüt war der Grand Condé einerseits Mitglied der erweiterten Königsfamilie, andererseits ein Hochadliger und befand sich so in einer Scharnierposition zwischen Krone und Hochadel. Diese ermöglichte auch in der Interaktion mit auswärtigen Akteuren ein Changieren zwischen den Rollen als Angehöriger oder als hochadliger Widerpart der Dynastie. 1621 als Sohn von Henri II de Bourbon, Prinz von Condé geboren, wurde er mit seinem Sieg in der Schlacht bei Rocroi 1643 zu einer zentralen Figur der französischen Politik: Zu seiner schon durch Geburt sehr hohen Stellung kam nun hinzu, dass er mit lediglich einundzwanzig Jahren Frankreichs erfolgreichster General wurde3. Die Kombination dieser Faktoren verschaffte ihm ein Gewicht, das in die Konzeption der Monarchie, wie sie sich unter Richelieu und Mazarin entwickelte, letztlich nicht mehr konfliktfrei integrierbar war. Der Dreißigjährige Krieg, in dem Condé mehrere französische Feldzüge führte, zögerte den innenpolitischen Konflikt über die Frage hinaus, ob Kardinal Mazarin oder Condé selbst der dominierende Mentor seines siebzehn Jahre jüngeren königlichen Cousins Ludwig XIV. werden würde. Als die Fronde ausbrach, blieb Condé zunächst loyal, obwohl sich eine Reihe von anlippe Contamine, Paris 1989, 335–355. Aktuelles Standardwerk zu den Condé ist Katia Béguin, Les Princes de Condé. Rebelles, courtisans et mécènes dans la France du Grand Siècle, Seyssel 1999. Im angelsächsischen Bereich zu Condé zuletzt Mark Bannister, Condé in Context. Ideological Change in Seventeenth-Century France, Oxford 2000. Zur Verarbeitung der fronde condéenne in der Familienerinnerung vgl. Katia Béguin, La trahison glorieuse. Une transfiguration de la mémoire de la Fronde condéenne à la fin du XVIIe siècle, in: Zwischen Schande und Ehre. Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise, hrsg. v. Horst Carl / Martin Wrede, Mainz 2007, 53–64. 3 Zur Schlacht von Rocroi vgl. B. Pujo, Le Grand Condé (Anm. 2), 59–75; zum Ablauf Gilbert Bodinier, Art. »Rocroi«, in: Dictionnaire du Grand Siècle, hrsg. v. François Bluche, 2. Aufl., Paris 2005, 1348 f. Eine Gesamtdarstellung der Schlacht, verbunden allerdings mit einer nationalistisch gefärbten Deutung, bietet Laurent Henninger, Rocroi, 1643, Paris 1993. Die Schlacht von Rocroi war für die französische Politik deshalb von großer Bedeutung, weil sie einen Sieg zu einem Zeitpunkt darstellte, zu dem die französische Monarchie nach außen und nach innen zugleich geschwächt war. Außenpolitisch bedeutete der Krieg gegen die beiden Zweige des Hauses Habsburg Feindseligkeiten an praktisch allen Landesgrenzen Frankreichs gleichzeitig sowie die Gefahr einer spanischen Invasion bis hin zu einer spanischen Bedrohung von Paris. Im Innern herrschten zum Zeitpunkt der Schlacht unklare Verhältnisse, weil Kardinal Richelieu seit knapp sechs Monaten und Ludwig XIII. seit fünf Tagen tot war; die Schlacht wurde daher zur victoria primigenia, zum ersten Sieg der Regierungszeit Ludwigs XIV. hochstilisiert, vgl. L. Henninger, Rocroi (wie oben), 52. Die Schlacht hatte große psychologische Bedeutung, zeigte sie doch, dass die französischen Armeen inmitten der Krisensituation zu Erfolgen fähig und die spanischen tercios nicht unbesiegbar waren.

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deren Hochadligen dem Aufstand anschloss. Trotzdem ließ ihn Mazarin am 18. Januar 1650 präventiv inhaftieren und dreizehn Monate gefangen halten4. Er erreichte damit genau das Gegenteil des Gewünschten: Sofort nach seiner Freilassung setzte sich Condé an die Spitze des Aufstands. Er war der einzige Anführer der Fronde, der nach dem Ende der Revolte die Unterwerfung verweigerte; stattdessen kämpfte er auf spanischer Seite weiter, bis er im Zuge des Pyrenäenfriedens nach Frankreich zurückkehren konnte. Im Gegenzug für seine Unterwerfung erreichte er die Restitution seiner Güter5. Innenpolitisch spielte er nach seiner Rückkehr keine entscheidende Rolle mehr. Nach einer Art politischer Quarantäne von einigen Jahren durfte er allerdings ab dem Devolutionskrieg von 1668 wieder französische Armeen befehligen; neben Turenne wurde Condé der wichtigste französische Heerführer unter Ludwig XIV. 1686 starb er in Fontainebleau an den Pocken. Jene allerhöchsten Adligen, zu denen Condé gehört, unterschieden sich von den Angehörigen anderer Adelshäuser insbesondere durch die Tatsache, dass sie selbst als Monarchen in Frage kamen. Ein Prinz von Condé hatte reelle Aussichten, einen der europäischen Throne zu besteigen. Vor allem zwei Konstellationen konnten aus einem Hochadligen einen Monarchen machen. Zum einen war dies das Aussterben des eigenen Königshauses, was in der Jugend des Grand Condé eine realistische Möglichkeit darstellte: Wären sowohl Ludwig XIII. als auch Gaston d’Orléans ohne männliche Nachkommen geblieben, hätten die Condé den Thron von den Bourbonen geerbt, so wie diese vormals von den Valois. Bis zur Geburt des späteren Ludwigs XIV. im Jahr 1638 sah es lange tatsächlich so aus, als würde es dazu kommen: Gaston d’Orléans hatte lediglich eine Tochter, die Prinzessin von Montpensier6, die aufgrund des Salischen Gesetzes nicht als Thronerbin in Frage kam. Der Vater des zukünftigen Großen Condé war somit nach Ludwig XIII. und Gaston d’Orléans die Nummer drei und sein Sohn die Nummer vier in der Thronfolge. Zum anderen boten Wahlmonarchien die Möglichkeit, auf einen Thron zu gelangen. Neben dem Kirchenstaat als geistlicher Wahlmonarchie ist hier vor allem an das Heilige Römische Reich deutscher Nation und an Polen zu 4 Zusammen mit ihm wurden auch sein Bruder, der Prinz von Conti, und sein Schwager, der Herzog von Longueville inhaftiert. 5 B. Pujo, Le Grand Condé (Anm. 2), 255. 6 Die Prinzessin ist auch als Grande Mademoiselle bekannt. Der Titel Mademoiselle bezeichnet die älteste Tochter des ältesten Bruders des Königs, somit die Nichte des Monarchen; die Hinzufügung von grande drückt aus, dass es sich um die Cousine des Herrschers handelt. Sie spielte eine führende Rolle in der Fronde und ist Verfasserin von Memoiren, die eine wichtige Quelle für die Geschichte der Condé sind: Mémoires de la Grande Mademoiselle, hrsg. v. Bernard Quilliet, Paris 2005.

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denken. Kaiser konnte ein französischer Adliger aller Wahrscheinlichkeit nach zwar nicht werden7, wohl aber König von Polen. Das europäische Netzwerk des Grand Condé ist zu komplex, um es an dieser Stelle in allen seinen Einzelheiten darzustellen. Nach einem Überblick über das Netzwerk soll deshalb vor allem auf zwei Aspekte näher eingegangen werden, nämlich auf die knapp gescheiterte polnische Sukzession und auf das Agentennetzwerk des Prinzen. Davon ausgehend werden einige allgemeinere Überlegungen über die Eigenschaften hoch- und höchstadliger Außenverflechtung angestellt8. Zwei Vorbemerkungen sollen an dieser Stelle noch eingeschaltet werden. Der erste Punkt betrifft die Frage der Repräsentativität des gewählten Beispiels. Man könnte argumentieren, dass die Rolle Condés dermaßen außergewöhnlich ist, dass aus ihr keine Schlussfolgerungen für andere Adlige gezogen werden können. Erster Prinz von Geblüt in Frankreich war eine Position, zu welcher im Rest Europas kein Äquivalent existierte. Vergleichbar hohe Adlige in Deutschland und Italien herrschten zudem über eigene Territorien, was ihnen eine qualitativ andere Stellung verlieh. Sie waren zwar nicht souverän, aber dennoch weit mehr als privilegierte Untertanen, nämlich die Spitzen eigener administrativer und meist auch militärischer Apparate. In Frankreich kam kein Adliger an Condés Position heran: Wenngleich die anderen Grands, also Prinzen und Herzöge, seinem Rang nahe kamen, stach Condé sowohl durch strategisches Können als auch persönliches Charisma deutlich heraus. Doch obwohl Condé eine Position sui generis besaß, pflegten auch andere hohe Adelige in Frankreich eigene Außenbeziehungen9. Für das Ausland stellen bereits die Partner Condés zahlreiche Beispiele dafür dar, dass auch von dort aus Kontakte in andere Herrschaftsbereiche gepflegt wurden. In dieser Sichtweise wird Condé zu einer Person, die eine besonders weitgreifende europäische Vernetzung besaß. Er verfügte sowohl über den Rang, um mit den Herrschern und höchsten Adligen anderer Reiche in Kontakt zu treten, als auch über die 7 Bei den französischen Kandidaturen für den Kaiserthron trat mit Franz I. und Ludwig XIV. jeweils der König selbst an, nicht ein Adliger. 8 Zum Konzept der Verflechtung grundlegend Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. ›Verflechtung‹ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979. 9 Hier wäre z. B. an den Maréchal de Bassompierre zu denken, der unter anderem Verbindungen nach Italien, Spanien und England hatte; vgl. François de Bassompierre, Journal de ma vie, in: Collection des mémoires relatifs à l’histoire de France. Depuis l’avènement de Henri IV, jusqu’à la paix de Paris, conclue en 1763, hrsg. v. Claude Bernard Petitot / Alexandre Petitot / Louis Jean Nicolas de Monmerqué, 78 Bde., Paris 1820–1829, Bde. 19–21.

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materiellen Ressourcen, um das für seine umfangreichen und weitgespannten Korrespondenzen notwendige Sekretariat zu unterhalten. Phänomene, die bei anderen Adligen in kleinerem Maßstab ebenfalls vorkommen, treten bei Condé besonders deutlich hervor. Der zweite Punkt betrifft den Netzwerkbegriff. Wenn im Folgenden von Condés Netzwerk die Rede ist, so ist damit ein ego-zentriertes Set von Korrespondenzbeziehungen in viele Länder Europas gemeint. Der ego-zentrierte Ansatz der Netzwerkanalyse10 erscheint zur Untersuchung von Außenverflechtung am geeignetsten, da hier die Korrespondenzpartner naturgemäß unterschiedlichsten räumlichen Kontexten angehören. Ansätze, die Netzwerke als mehr oder weniger geschlossene Systeme begreifen, in denen jeder Kontakt zwischen zwei Personen auch für alle anderen wichtig ist, erscheinen geeigneter für eng umgrenzte soziale Milieus11. In diesem Beitrag soll es lediglich um die Verflechtung Condés mit einer Reihe von Partnern gehen; deren Verflechtung mit weiteren Partnern und eventuell untereinander bleibt hier unberücksichtigt. Solche Beziehungen lassen sich anhand der Archivalien in Chantilly nicht nachvollziehen. Für ihre Analyse wäre es erforderlich, die erhaltenen Briefe jedes Partners Condés in ganz Europa zu untersuchen, was ein monumentales Unterfangen wäre. Das Ziel dieses Aufsatzes ist es nicht, die Beziehungen innerhalb einer Gruppe aufzuzeigen, sondern die Verflechtungen eines Individuums über weite geographische Räume darzustellen.

I. Das Netzwerk des Grand Condé Wie alle Netzwerke ist dasjenige Condés zeitlichen Wandlungen unterworfen. Eine Analyse der Entwicklung der Kontakte über die gesamte Lebensdauer des Prinzen würde jedoch den Rahmen dieses Beitrages bei weitem sprengen. Im Folgenden wird daher Condés Netzwerk lediglich für den Zeitraum von den 1640er Jahren, als er seine militärische Karriere begann, bis in die 1660er Jahre, als er aus dem Exil zurückgekehrt, aber noch nicht wieder an die Spitze einer Armee berufen worden war, in den Blick genommen12. Obwohl der Großteil 10 Die ego-zentrierte Netzwerkanalyse geht zurück auf Elizabeth Bott, Family and Social Network, London 1957. 11 Ein klassischer Anwendungskontext dieser Ansätze sind Betriebe. So in der grundlegenden Studie von George Caspar Homans, The Human Group, New York 1950. 12 Aussagen über das Netzwerk lassen sich aus der passiven Korrespondenz des Prinzen gewinnen, die im Condé-Archiv in Chantilly aufbewahrt wird. Von der aktiven Korrespondenz ist in Chantilly dagegen nur ein kleiner Teil erhalten, da offensichtlich nicht von jedem abgeschickten Brief eine Kopie erstellt wurde. Gelegentlich finden sich hand-

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der Korrespondenzpartner Condés Personen und Institutionen in Frankreich sind, fällt auf, dass ausländische Partner stets präsent sind. Die außerfranzösischen Korrespondenzpartner des Prinzen sind über einen Großteil der europäischen Länder verteilt und lassen sich in drei Kategorien einteilen: erstens kaiserliche und königliche, zweitens adlige und drittens nichtadlige Partner. Diese Unterscheidung hat die heuristische Funktion, die Beschreibung des immensen Netzwerks übersichtlicher zu machen. Condé korrespondierte mit den Kaisern Ferdinand III.13 und Leopold I.14, mit Königin Christina von Schweden15 sowie mit dem polnischen Königshof16. Die adligen Briefkontakte standen oft in engem Zusammenhang mit Condés militärischen und politischen Aktivitäten. So erklären sich viele der Kontakte ins Heilige Römische Reich aus seiner Rolle als General im Dreißigjährigen Krieg, jene zu polnischen Adligen aus dem Projekt der polnischen Sukzession und jene zu spanischen Adligen aus Condés Kampf gegen die französischen Armeen zwischen Fronde und Pyrenäenfrieden. Dazu kommen Kontakte nach Italien, einerseits zu vielen italienischen Fürsten, andererseits zu einer Reihe von Kurienkardinälen sowie anderen römischen Klerikern wie beispielsweise dem Jesuitengeneral Goswinus Nickel17. Auch der Großmeister des Malteserordens korrespondierte von Valletta aus mit Condé18. Holländische und schweizerische Partner runden das Netzwerk ab, wobei bei den Schweizer Obrigkeiten natürlich Adlige und Nichtadlige beteiligt waren. Bei den nichtadligen Partnern sind insbesondere städtische Obrigkeiten zu nennen, die oft als Korporationen mit dem Prinzen korrespondierten, so zum Beispiel einige Reichsstädte, oder auch ständische Körperschaften wie die Deputierten von Katalonien, die ihm 1649 schrieben19. Dieser Kontakt erklärt sich daraus, dass Condé 1647–48 den französischen Feldzug nach Katalonien angeführt hatte.

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schriftliche Notizen Condés, die als Entwürfe für Briefe dienten. – Für eine detailliertere Analyse des Condé-Netzwerks vgl. Christian Kühner, Mapping the Grand Condé’s Networks, in: Mapping Early Modern Spaces, hrsg. v. Marko Lamberg / Marko Hakanen / Ulla Koskinen (im Druck). AC, Serie P, Bd. XIII, f. 56. AC, Serie P, Bd. XXX, f. 184. AC, Serie M, Bd. XXXIII, f. 138. – Da die Korrespondenzen zum Teil sehr umfangreich sind, wird hier jeweils immer nur einer der frühesten Briefe des betreffenden Partners an Condé zitiert, von dem ausgehend die Korrespondenz nachverfolgt werden kann. Ein Teil der Korrespondenz liegt seit langem in edierter Form vor: Le Grand Condé et le duc d’Enghien. Lettres inédites à Marie-Louise de Gonzague, Reine de Pologne, sur la cour de Louis XIV (1660–1667), hrsg. v. Emile Magne, Paris 1920. AC, Serie P, Bd. XXIV, f. 242 f. AC, Serie P, Bd. XXVII, f. 342. AC, Serie P, Bd. III, f. 11.

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Bei einem so weitgespannten Netzwerk stellt sich die Frage nach Sprachproblemen als Kommunikationshindernis. Drei Praktiken sind erkennbar, wie in Condés Netzwerk damit umgegangen wurde. Die erste besteht in eigener Mehrsprachigkeit. Condé erhielt neben französischen auch spanische, italienische und lateinische Briefe, denen im Archiv keine Übersetzungen beiliegen. Auf Latein schrieben ihm insbesondere schwedische und polnische Korrespondenzpartner. Dass der Prinz das Lateinische fließend beherrschte, ist bekannt; er war im Alter von acht Jahren in das Jesuitenkolleg von Montrond eingetreten und dort sechs Jahre lang unterrichtet worden20. Das Spanische dürfte er entweder ebenfalls im Rahmen seiner Ausbildung oder aber auf dem Katalonien-Feldzug erlernt haben. Die Kenntnis dieser beiden Sprachen wiederum dürfte ihm zusammen mit seiner französischen Muttersprache das Verständnis des Italienischen sehr erleichtert haben, falls er es nicht ebenfalls im Rahmen der Ausbildung erlernt hatte. Die zweite Praxis ist die Verwendung von Französisch als Lingua franca. Viele Korrespondenzpartner im Ausland wie etwa die Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel21 schrieben direkt auf Französisch. Condé profitierte hier davon, dass die starke Ausstrahlung der französischen Kultur im 17. Jahrhundert Französisch zu einer Sprache machte, die von weiten Teilen der Eliten Europas beherrscht wurde. Die dritte Praxis besteht in der Verwendung von Übersetzungen. Deutsche Texte ließ sich der Prinz ganz offensichtlich von einem Sekretär übersetzen. Im Archiv von Chantilly liegt deutschsprachigen Briefen oft eine französische Übersetzung bei. Dabei ist die Übersetzung in schmuckloser Handschrift geschrieben und auch ansonsten formlos gestaltet; man darf also annehmen, dass sie von Condés Sekretär für den Hausgebrauch angefertigt wurde.

II. Die polnische Sukzession Auch wenn die Stellung der Condé nicht von einem Territorium abhing (das sie nicht hatten), so wäre sie doch durch den Besitz eines solchen aufgewertet worden. Innerhalb Frankreichs war das im 17. Jahrhundert nicht mehr möglich: Die Krone hatte aufgehört, Territorien als Apanagen an Prinzen auszugeben. Es blieben einige wenige Gebiete, in denen hochadlige Familien sich noch die Macht mit der Krone teilten, wie das beispielsweise bei den Gonzague im

20 B. Pujo, Le Grand Condé (Anm. 2), 24. 21 AC, Serie P, Bd. I, f. 1.

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Nivernais der Fall war22, aber keines dieser Territorien stand zur Disposition. Es blieb also nur die Möglichkeit, außerhalb Frankreichs nach einem solchen Herrschaftsgebiet zu suchen. Anders als das Streben nach einem französischen Territorium eröffnete diese Strategie den Condé zudem die Aussicht, zu souveränen Fürsten aufzusteigen. Der Grand Condé unternahm zweimal den Versuch, ein eigenes Territorium zu erwerben. Zum ersten Mal rückte diese Möglichkeit während der Verhandlungen mit den Königen von Spanien und Frankreich im Vorfeld des Pyrenäenfriedens in greifbare Nähe. Beinahe wäre es ihm gelungen, ein souveränes Territorium zwischen dem französischen und dem spanischen Machtbereich zu erhalten. Seine erste Präferenz war die Franche-Comté, ersatzweise hätte er sich auch mit Cambrai und dem Cambrésis zufriedengegeben23. Der zweite Versuch folgte unmittelbar darauf. Im August 1659, kurz vor Abschluss des Pyrenäenfriedens, erhielt Condé eine Anfrage aus Polen: Sein Sohn wurde als Kandidat für die Königswahl in Betracht gezogen. Condé verhielt sich abwartend, solange der Pyrenäenfrieden noch nicht geschlossen war24. Nach Frankreich zurückgekehrt, aber in Chantilly als begnadigter Rebell doch isoliert, unterstützte er den polnischen Vorschlag nachdrücklich. Ausschlaggebend dafür, dass das polnische Sukzessionsprojekt überhaupt begonnen werden konnte, waren Condés Kontakte zur polnischen Königin Marie-Louise de Gonzague, die er aus seiner Jugend kannte25. 1611 geboren, war sie die Tochter von Charles I. de Gonzague, Herzog von Nevers26. Das Aussterben der mantuanischen Hauptlinie der Gonzaga führte 1631 nach dem Mantuanischen Erbfolgekrieg dazu, dass Marie-Louises Vater den Herzogsthron von Mantua bestieg. Das machte sie zur Tochter eines italienischen Territorialfürsten und damit zu einer Heiratskandidatin für Monarchen. Ihre

22 Zu diesem Fall vgl. Ariane Boltanski, Les Ducs de Nevers et l’État royal. Genèse d’un compromis (ca. 1550–ca. 1600), Genf 2006. 23 B. Pujo, Le Grand Condé (Anm. 2), 252. 24 Léonce Raffin, Anne de Gonzague, princesse palatine. Essai biographique en marge d’une Oraison funèbre de Bossuet, Paris 1935, 215–216. 25 Zu Marie-Louise de Gonzague vgl. das ihr gewidmete Kapitel in Lucien Bély, La société des princes. XVIe–XVIIIe siècle, Paris 1999, 246–259. 26 Die Nevers waren eine Seitenlinie der mantuanischen Gonzaga. Nach dem Aussterben der Clèves als Herzöge von Nevers im Jahre 1564 hatte Karl IX. die Nevers in ihrer Eigenschaft als princes étrangers erneuert: Marie-Louises Großvater, der Mantuaner Lodovico Gonzaga, heiratete die Erbtochter des letzten Clèves-Herzogs und wurde so Louis de Gonzague, Herzog von Nevers. – Ausführlich hierzu A. Boltanski, Les ducs de Nevers et l’État royal (Anm. 22).

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fünf Jahre jüngere Schwester Anne de Gonzague27 erhielt 1645 durch die Heirat mit Eduard von Pfalz-Simmern28 den Titel einer princesse palatine. Im selben Jahr heiratete Marie-Louise den verwitweten polnischen König Wladislaw IV. Wasa. Als der König 1648 kurz nach dem Tod seines einzigen Sohnes starb, wurde Marie-Louise zur Regentin ernannt und betrieb erfolgreich die Wahl von Wladislaws Bruder Johann Kasimir zum König, den sie kurz darauf heiratete29. Als sich abzeichnete, dass die Ehe kinderlos bleiben würde, begann MarieLouise auf eigene Faust Verhandlungen über die mögliche Nachfolge ihres Mannes. Die Lösung sollte so aussehen, dass sie eine Adoptivtochter wählte, die dann mit dem Thronkandidaten verheiratet werden sollte. Ihre Wahl fiel auf Anne de Bavière, die Tochter ihrer Schwester Anne de Gonzague. Sie sollte mit Condés Sohn Henri Jules, dem Herzog von Enghien, verheiratet werden. Als Mitglied des Hauses Bourbon war er so hohen Ranges, dass er als König von Polen wählbar war. Für einen aus Frankreich stammenden polnischen König gab es zudem einen Präzedenzfall, hatte doch Heinrich von Valois ab 1573 kurze Zeit als König von Polen amtiert, bevor er 1574 als Heinrich III. den französischen Thron bestiegen hatte. Etwa zeitgleich mit dem Pyrenäenfrieden begannen daher Verhandlungen mit dem Ziel der Königswahl Henri Jules’. Das Projekt kam zunächst nicht voran, weil Mazarin die Erteilung der Genehmigung durch Ludwig XIV. hinauszögerte, ohne die Henri Jules nicht kandidieren konnte. Als Mazarin schließlich einlenkte und der französische König schriftlich dem Wahlprojekt seine Unterstützung zusicherte, befasste sich der Sejm mit der Angelegenheit. Ludwig XIV. schoss 600‘000 Pfund an Geldern zum Kauf von Stimmen zu30. Dieses finanzielle Engagement zeigt, dass er Condé die Genehmigung nicht widerwillig erteilte, sondern die Kandidatur aktiv unterstützte. Sie hatte für ihn mehrere Vorteile. Mit der Besetzung eines weiteren europäischen Thrones hätten die Bourbonen als Familienverband ihr machtpolitisches Gewicht in Europa erhöht. Zwar war eine Personalunion mit Polen nicht möglich: Als Heinrich III. 1574 das Land verließ, dankte er nicht ab, aber der Sejm erklärte den Thron nach einer Karenzzeit dennoch für vakant. Dass aber auch getrennt herrschende Linien 27 Eine neuere Biographie zu Anne de Gonzague ist ein Desiderat. Die letzten beiden monographischen Darstellungen stammen aus den dreißiger Jahren: L. Raffin, Anne de Gonzague (Anm. 24), sowie Henri d’Acremont, Anne de Gonzague, Paris 1936. 28 Eduard von Pfalz-Simmern ist ein Onkel väterlicherseits der ebenfalls als Princesse Palatine bekannten Liselotte von der Pfalz. 29 Emile Magne, Introduction, in: Lettres inédites à Marie-Louise de Gonzague (Anm. 16), xi–xvi. 30 L. Raffin, Anne de Gonzague (Anm. 24), 222.

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einer Dynastie noch Familiensolidarität übten, wusste Ludwig XIV. als Gegner der meist verbündeten spanischen und österreichischen Habsburger nur zu gut. Zudem hätte das Haus Bourbon damit die Dignität einer zusätzlichen Krone erworben – auch auf dem Gebiet des Prestiges wäre damit der Abstand zu den Habsburgern zumindest verringert worden. Schließlich mag nach den Erfahrungen mit der Fronde condéenne auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, dass die polnische Sukzession einen eleganten Ausweg öffnen würde, um den Ehrgeiz der Condé zu befriedigen, ohne sie innerhalb Frankreichs an der Macht beteiligen zu müssen. Die Wahl kam jedoch nicht zustande. Im September 1662 lehnte der Sejm aufgrund des liberum veto eines einzigen Landboten eine Wahl vivente rege ab. Treibende Kraft hinter dem Scheitern der Wahl war wohl Großmarschall Stanislaw Lubomirski. Obwohl Henri Jules’ Königswahl damit gescheitert war, wurde seine Ehe mit Anne de Bavière 1663 dennoch geschlossen. Außenverflechtung, in Form des Eingreifens der polnischen Königin, trug also hier zur Bildung einer Heiratsallianz innerhalb des französischen Hochadels bei. Condé und Enghien korrespondierten auch weiterhin mit der polnischen Königin und lieferten ihr Nachrichten vom französischen Hof31. Für MarieLouise dienten die Kontakte zu den Condé damit auch als Informationsquelle über das Geschehen in Frankreich. Marie-Louises Bemühungen um eine Königswahl traten derweil auf der Stelle. Ihre Reformbemühungen, zu denen neben einer Neuregelung der Thronfolge auch die Abschaffung des liberum veto gehörten, provozierten im Frühjahr 1665 einen Adelsaufstand unter Führung Lubomirskis, der das Königspaar nach der Schlacht bei Mątwy 1666 zum Verzicht auf die Reformen zwang32. Als Lubomirski im Januar 1667 starb, nahm Marie-Louise die Verhandlungen über die Königswahl wieder auf und bot diesmal Condé selbst die Krone an. Als jedoch die Königin ihrerseits im Mai 1667 starb, wurden die Verhandlungen abgebrochen33. Es gab zwar in Polen weiterhin Anhänger einer Kandidatur Condés: Als Johann Kasimir 1668 abdankte, versuchte die frankophile Partei der »Regalisten« unter Führung des Kronhetmans Jan Sobieski Condé erneut als Kandidaten ins Spiel zu bringen34. Dieser hatte jedoch nach dem Tod Marie-Louises klargemacht, dass er die Angelegenheit als erledigt betrachtete. Es ging ihm lediglich noch darum, seinem Sohn die Auszahlung eines Teils des Erbes der Königin zu sichern35. 31 32 33 34 35

Ebd., 227. Jörg K. Hoensch, Geschichte Polens, 3. Aufl., Stuttgart 1998, 151. L. Raffin, Anne de Gonzague (Anm. 24), 235 f. J. K. Hoensch, Geschichte Polens (Anm. 32), 152. B. Pujo, Le Grand Condé (Anm. 2), 296.

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Nimmt man in den Blick, wie die Königin die Verhandlungen um die Königswahl ausgestaltete, so lassen sich auch Rückschlüsse auf die Handlungsspielräume hoch- und höchstadliger Frauen mittels grenzüberschreitender Netzwerke ziehen36. Die Königin von Polen hatte zwar nicht den Gestaltungsspielraum einer Regentin, und – da Polen eine Wahlmonarchie war – auch nicht die Aussicht auf eine Regentschaft wie in Frankreich, von der Möglichkeit einer eigenen Thronbesteigung wie in England gar nicht zu reden. Doch auf der anderen Seite eröffnete ihr gerade die Wahlmonarchie spezielle Handlungsspielräume, die eine Königin in einer Erbmonarchie nicht hatte, nämlich die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Sukzession. Und da polnische Könige in aller Regel aus dem Ausland stammten, kam dabei der Außenverflechtung eine besonders hohe Bedeutung zu. Im Falle Condés aktivierte die Königin Beziehungen in ihr Heimatland, um einen engen Verbündeten als designierten Nachfolger ihres Mannes aufzubauen. Außenverflechtung muss also nicht immer heißen, dass Kontakte zu bisher fremden Personen an fernen Orten geknüpft werden. Es gibt auch die Möglichkeit, dass sich die Kontaktpersonen selbst an entfernte Orte begeben und so aus der Kommunikation unter Anwesenden Fernkontakte werden. Dass es durchaus diskutabel war, ob Verhandlungen über die Königswahl zu den Aufgaben einer Königin gehörten oder nicht, steht auf einem anderen Blatt; hier kommt individuelle agency zum Tragen. Anders gewendet: MarieLouise de Gonzague war als Frau, die Politik machte, keine Ausnahme, welche die Regel von der rein männlichen Politik nur bestätigen würde, wohl aber nutzte sie die weiblichen Handlungsspielräume mehr als die meisten anderen Fürstinnen. Dass die Wahl von Henri Jules und später von Condé selbst scheiterte, lag wohl weniger am fehlenden Gewicht der Außenbeziehungen der Königin als an der Tatsache, dass der Versuch einer Wahl vivente rege einen Tabubruch darstellte. Das letztlich gescheiterte Projekt der polnischen Sukzession zeigt damit eindrucksvoll, welche Möglichkeiten hochadlige Außenverflechtung eröffnete. Das Projekt wurde zwar zuerst durch Mazarins Widerstand, dann durch den Widerstand des polnischen Adels verzögert. Endgültig abgebrochen wurden die Verhandlungen aber erst mit dem Tod Marie-Louises, also derjenigen Akteurin, die der entscheidende Kontaktpunkt des Hauses Condé in Polen war und selbst das Sukzessionsprojekt aktiv vorantrieb. Dass Condé nach ihrem Tod auf alle weiteren Bemühungen hinsichtlich der polnischen Königswahl verzichtete, darf als Indiz dafür gelten, dass er ohne die Verflechtung mit der Königin dem Sukzessionsprojekt keine Chance einräumte. 36 Vgl. hierzu die Beiträge von K. Keller, M. Prietzel, C. Bastian und E. K. Dade in diesem Band.

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III. Das persönliche Agentennetzwerk Condés Das Netzwerk des Grand Condé ist ein Beispiel für ein adliges Netzwerk, das jenseits der modernen Dichotomie von »privat« und »öffentlich« liegt. Condé war kein Souverän, weshalb sein grenzüberschreitendes Netzwerk nicht der »öffentlichen« oder »staatlichen« Diplomatie zugerechnet werden kann und seine Abgesandten in den wichtigsten Machtzentren Europas nicht als Diplomaten bezeichnet werden können. Daher wird hier der Terminus »Agent«37 vorgezogen, um nicht auf paradoxe Benennungen wie »Privatdiplomat« oder »Privatbotschafter« zurückgreifen zu müssen. Abgesehen von den fehlenden »offiziellen« Titeln der Agenten handelte es sich bei ihnen um eine Einrichtung, die wichtige Merkmale eines diplomatischen Dienstes trug: Die Abgesandten saßen an einigen der wichtigsten Orte Europas, schrieben Berichte und vertraten den Prinzen beim jeweiligen Herrscher. Darüber hinaus stand Condé in persönlichem Kontakt mit so vielen hohen Würdenträgern, dass man von einem »privaten« Informationsnetzwerk eigentlich nicht mehr sprechen kann. Die Lösung liegt im Verzicht auf die strenge Trennung von öffentlicher Diplomatie und privater Freundschaft. Die höfische Gesellschaft kannte diese Trennung so nicht, daher stellt auch Condés Netzwerk hochadliger Außenverflechtung mitsamt seinem Agentennetzwerk keine Anomalie dar, sondern vielmehr das übliche Handeln eines Adligen, der zu hoch im Rang stand, um seine Aktivitäten auf sein Heimatland zu beschränken. Wie sah dieses Netzwerk aus? Condé verfügte über folgende adlige und geistliche Agenten: Saint-Agoulin bei Philipp IV. in Madrid, Barrière in London bei Cromwell, den Abbé Montreuil in Rom beim Heiligen Stuhl, Marigny in Frankfurt für das Reich, der später abgelöst wurde durch SaintEstienne in Regensburg für den Reichstag38. Dabei waren diese Agenten durchaus keine Spione, die ihre Verbindung zu Condé hätten verheimlichen müssen. Ein späterer Agent Condés in Rom, Saller39 wird in den Memoiren des Wiener Kardinals von Harrach als »condeischer Resident« bezeichnet40; das weist darauf hin, dass die Abgesandten des Prinzen eine offizielle Stellung 37 Damit werden die Condé-Agenten hier anders definiert als bei Pierre Lefebvre, der unter einem Agenten Condés einen Amtsträger im Haushalt und in den Besitzungen des Prinzen versteht: Vgl. Pierre Lefebvre, Aspects de la ›fidélité‹ en France au XVIIe siècle. Le cas des agents des princes de Condé, in: Revue Historique 250 (1973), 59–106. 38 B. Pujo, Le Grand Condé (Anm. 2), 214–215. 39 Weder die edierten Quellen noch die Archivalien in Chantilly geben Auskunft über Sallers Vornamen. 40 HHStA, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Familienarchiv Harrach, Handschrift 399, Bl.  64r. – Harrachs Memoiren werden in einem Forschungsprojekt der Universität

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an den betreffenden Höfen innehatten. Sallers Tätigkeit liefert auch ein Beispiel für die Risiken, die derjenige einging, der ein solches Agentennetzwerk unterhielt: Wie Condés Sekretär Pierre Lenet berichtet, ließ sich der ohnehin wenig pflichtbewusste Saller (»seit seiner Ankunft hatte er es eiliger, die Mädchen aufzusuchen als den Papst«41) von einem Spion Hugues de Lionnes in Rom umgarnen. Diesem gelang es, sich heimlich einen Abdruck des Schlüssels zu Sallers Kassette zu verschaffen und einen Nachschlüssel anzufertigen. Fortan erhielt Mazarin Kopien von allen Briefen, die sein Erzfeind Condé aus Rom empfing42. Da diese Episode in die 1650er Jahre fällt, als Condé von den spanischen Niederlanden aus gegen Frankreich kämpfte, konnte sich Mazarin wichtige Informationen von diesen Briefen versprechen. Ganz wie staatliche Gesandte waren also auch Agenten der Gefahr der Spionage ausgesetzt. Dieser Kreis adliger und geistlicher Agenten wurde ergänzt durch bürgerliche Korrespondenzpartner Condés in Städten, die ihm ebenfalls Berichte schickten – so zum Beispiel die in Chantilly überlieferten Berichte eines Monsieur Frischmann aus Straßburg43. Diese nichtadligen Kontaktpersonen taugten nicht unbedingt als Akteure in der Welt der großen Diplomatie an den Höfen, aber als Mittelsmänner beispielsweise zum örtlichen Stadtrat konnten sie durchaus fungieren. Darüber hinaus verdichteten sie durch ihre Berichte den Informationsfluss zum Prinzen.

IV. Schlussfolgerungen Das Beispiel des Grand Condé zeigt, dass Außenverflechtung durchaus nicht Sache derjenigen war, die im Inland politisch an ihre Grenzen stießen. Gerade die im Inland politisch bedeutsamen Adligen waren interessante Partner für Kontaktpersonen im Ausland. Außenverflechtung ging aus innenpolitischem Gewicht ebenso hervor wie sie dieses wiederum steigerte, indem sie sowohl die Anzahl der Handlungsoptionen erhöhte als auch das Prestige: Wer sich illustrer Freunde im Ausland rühmen konnte, steigerte sein Ansehen am heimischen Hof. Condé hatte einerseits genug Prestige und Ressourcen, um als VerWien ediert: Die Tagebücher und Tagzettel des Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667), hrsg. v. Alessandro Catalano / Katrin Keller, erscheint 2009. 41 […] dès qu’il fust arrivé il eut plus d’impatience de visiter les demoiselles que le pape. Lionne an Mazarin, Rom, 14.6.1655, in: Mémoires de Pierre Lenet, in: Nouvelle collection des mémoires pour servir à l’histoire de France, hrsg. v. Joseph-François Michaud / Jean-JosephFrançois Poujoulat, 32 Bde., Paris 1836–1839, Troisième Série, Bd. 2, 183–632, 621. 42 B. Pujo, Le Grand Condé (Anm. 2), 236. 43 AC, Serie P, Bd. XXXIX, f. 411.

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bündeter der spanischen Krone nach dem Scheitern der Fronde vom Ausland aus weiterkämpfen zu können, andererseits stärkte er aber gerade durch seinen Kampf auf spanischer Seite wiederum seine Position für seine Rückkehr. Da er auch im Exil im spanischen Machtbereich hätte bleiben können, war es ihm möglich, nach acht Jahren Rebellion zu komfortablen Bedingungen nach Frankreich zurückzukehren – ein eigentlich unerhörter Vorgang nach einem Verhalten, das nach zeitgenössischen Normen Hochverrat bedeutete. Außenverflechtung erfüllte außerdem die Funktion einer Versicherung – auch das zeigt das Beispiel Condés deutlich. Das nur durch Außenverflechtung mögliche Projekt der polnischen Sukzession eröffnete dem gescheiterten und begnadigten Rebellen interessante Aussichten. Seine Karrieremöglichkeiten im Inland waren eng begrenzt – dass er später wieder französische Armeen befehligen würde, war zum Zeitpunkt seiner Rückkehr aus dem Exil noch nicht abzusehen. In Polen dagegen hatte er Aussicht auf eine Königskrone. Der Konflikt zwischen Condé und Kardinal Mazarin erlaubt übrigens die Beobachtung, dass auch Condés Gegner Außenverflechtung einsetzten. In den Zeiten, in denen Condé in Frankreich die Oberhand hatte, griff der Kardinal zu denselben Strategien wie Condé in den Phasen von Mazarins Dominanz. Als Letzterer 1651 nämlich gezwungen war, die inhaftierten Prinzen freizulassen, ging er ins Exil nach Brühl. Dieses Schloss gehörte dem Kurfürsten Max Heinrich von Köln; der Kardinal mobilisierte hier seine Kontakte zu ihm, um sich einen sicheren Exilort zu verschaffen. Condé ist also kein Einzelfall. Die geschilderten Beispiele legen zumindest die Vermutung nahe, dass es sich bei Außenverflechtung um eine verbreitete Karrierestrategie höfischer Adliger handelte. Was bedeutete das Phänomen hochadliger Außenverflechtung für den König? Die Außenverflechtung des Hochadels war für den Monarchen schwerer zu handhaben als diejenige der kleineren Adligen. Nur der höchste Adel hatte die Ressourcen, um eine europaweite Verflechtung aufzubauen. Ein einzelner adliger Diplomat mochte zwar vor Ort beträchtlichen Einfluss auf die Gestaltung der Beziehungen ausüben, sein Wirkungskreis reichte jedoch kaum über das Land hinaus, in dem er sich aufhielt. Der Hochadel dagegen brauchte gar nicht selbst ins Ausland zu gehen. Er konnte einerseits europaweit korrespondieren, andererseits sich vertreten lassen. Dadurch gewannen Figuren wie der große Condé eine eigene Rolle auf der europäischen Bühne. Dass Condé während seiner Zeit als Rebell den Spaniern gegenüber darauf bestand, zusammen mit seinen Truppen als Verbündeter und nicht als Teil der spanischen Streitkräfte angesehen zu werden44, zeigt, dass er eine solche eigenständige 44 Jean-François Solnon, Condé, in: Dictionnaire du Grand Siècle (Anm. 3), 381–383.

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Rolle auch selbst beanspruchte. Im Übrigen sahen auch Ludwig XIV. und die französischen Zeitgenossen Condé als einen eigenständigen Gegner und nicht als spanischen General. Der König unterband diese personale Außenverflechtung nicht. Das ist ein Indiz dafür, dass er sie nicht als Konkurrenz zum diplomatischen Dienst sah, die eliminiert werden musste. Durch Figuren wie Condé konnten die Bourbonen als Familienverband mit mehr als einer Stimme im europäischen Konzert singen; einem Monarchen, der dies zu nutzen wusste, konnte das zusätzliche Möglichkeiten eröffnen. Gerade deshalb versuchte der König diese Außenverflechtung auch zu regulieren. Die Condé konnten erst für den polnischen Thron kandidieren, als der französische König ihnen dies ausdrücklich erlaubt hatte45. Dass Condé seine Kontakte auch in seiner Zeit als Rebell nutzte, als der französische König keinen regulierenden Einfluss auf sie ausüben konnte, war die Kehrseite dieser Verbindungen. Die Gestalt von Condés Außenkontakten gibt Anlass zu der Vermutung, dass die grenzüberschreitenden Netzwerke eines Adligen desto weiter gespannt waren, je höher er im Rang stand. Dies wäre allerdings in weiteren Forschungsarbeiten näher zu überprüfen. Hochadlige Außenverflechtung zeigt das Nachwirken älterer personalistischer Auffassungen von Herrschaft und Hierarchie. Noch wird nicht binär zwischen dem Souverän auf der einen und den Untertanen auf der anderen Seite getrennt. Denn wäre dies bereits der Fall, so wären die Condé – da sie kein eigenes Territorium beherrschten – in der Tat bloße Privatleute und ihre europäische Verflechtung schlicht Insubordination. Sie hätten sich in etwas eingemischt, das allein den Souverän etwas angeht und die Untertanen nicht. Dass die Außenverflechtung vom Monarchen zwar manchmal ausdrücklich erlaubt, nicht aber verboten wurde, zeigt, dass die Krone selbst durchaus die älteren Kategorien und Verfahrensweisen noch akzeptierte. Das Verhältnis der personalen Netzwerke zur offiziellen Außenpolitik war damit vielschichtig. Weder waren sie reiner Störfaktor noch bloß verlängerter Arm des Monarchen. Das Paradox ist, dass die Außenverflechtung einerseits notwendig war, solange der Monarch keine Mittel für einen umfassenden diplomatischen Beamtenapparat hatte, andererseits aber zugleich einen Risikofaktor darstellte, weil die Adligen ihre Kontakte auch zu eigenmächtigen Interaktionen mit dem Ausland bis hin zur Revolte einsetzen konnten. Adlige Außenverflechtung stützte somit die Außenpolitik des Monarchen und unterlief sie zugleich. 45 Dies geschieht durch das Brevet du Roi au prince de Condé et au duc d’Enghien pour leur permettre de briguer la succession de Pologne vom 2.12.1660 (AC, Serie P, Bd. XXIII, f. 384).

Verflechtung und Verfahren: Individuelle und kollektive Akteure in den Außenbeziehungen der Alten Eidgenossenschaft Von Andreas Würgler

Schon die frühneuzeitliche Staatstheorie konnte sich nicht darauf verständigen, ob es sich bei der alten Eidgenossenschaft um eine Art Bundesstaat (zu dieser Ansicht tendierte der Zürcher Josias Simler 1576) oder nicht doch um dreizehn verschiedene souveräne Staaten (so Jean Bodin ebenfalls 1576) handelte1. Das Corpus Helveticum oder corps helvétique, wie die Franzosen sagten, war ein Bündnissystem von dreizehn Kantonen, die untereinander durch eine Vielzahl bi- und multilateraler Bündnisse liiert waren, denen aber ein alle einigender Bundesvertrag fehlte2. Für die im Namen der Eidgenossenschaft tätigen politischen Akteure ergab sich daraus ein besonderes Loyalitätsproblem, denn die Interessen der Kantone, aus denen sie stammten, mussten nicht immer deckungsgleich sein mit den Interessen des Bundes insgesamt – ganz zu schweigen von ihren Privatinteressen. Die schwierige Frage, wo – bezogen auf die Außenbeziehungen – das »Innen« aufhörte und das »Außen« begann, löste der Schweizer Historiker Georg Kreis mit der Unterscheidung von zwei Arten der Außenpolitik, nämlich einer »inneren Außenpolitik«, womit er die Beziehungen der Kantone untereinander meinte, von einer »äußeren Außenpolitik«, womit er die Außenbeziehungen über die Eidgenossenschaft ansprach3. Wolf1 Zuerst vertreten von Josias Simler, Regiment Gemeiner loblicher Eydgnoschafft: Beschriben vnd in zwey Buecher gestellet / durch Josiam Simler von Zürych: Yetzo aber von newem übersehen / vnnd an vilen orten gemehret und verbesseret, 2. Aufl., Zürich 1577; dann einflussreich von Johann Kaspar Bluntschli, Geschichte des schweizerischen Bundesrechtes von den ersten ewigen Bünden bis auf die Gegenwart, 2 Bde., Zürich 1849–1852; vgl. z. B. Hans von Greyerz, Die Schweiz von 1499–1648, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. von Theodor Schieder, 8 Bde., Stuttgart 1968–1987, Bd. 3, zit. nach der dtv-Ausgabe »Geschichte der Schweiz«, München 1991, 25; JeanFrançois Aubert, Die schweizerische Bundesversammlung von 1848 bis 1998, Basel / Frankfurt a. M. 1998, 13. – Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, übers. von Bernd Wimmer, 2 Bde., München 1981–1986, Bd. 1, 163 f., 167 (Buch I, Kap. 9); Jean Bodin, Les six Livres de la République, Paris 1583 [Neudruck Aalen 1961]. 2 Zur Eidgenossenschaft vgl. Andreas Würgler, Art. Eidgenossenschaft, in: HLS, Bd.  4, 114–121. 3 Im Wortlaut: »die innere (Beziehungen zwischen den Orten) von der äußeren (aussereidgenössischen) Außenpolitik« unterscheiden, Georg Kreis, Art. Außenpolitik, in: HLS, Bd. 1, 591–595.

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gang Reinhard brachte das am Kirchenstaat entwickelte Modell konzentrischer Kreise ins Spiel, wobei um das Zentrum Rom der Kirchenstaat und dann Italien und das katholische Europa lägen4. Im eidgenössischen Fall müsste man analog von dreizehn Kantonen als jeweiligen Zentren, den übrigen zwölf als erstem Kreis, der eidgenössischen Tagsatzung als zweitem, den Zugewandten Orten als wiederum in sich gestuften dritten, den Nachbarmächten als viertem, dem restlichen katholischen beziehungsweise protestantischen Europa als fünftem Kreis ausgehen, wobei sich die Kreise zudem überlagern konnten, etwa hinsichtlich der Kategorien Nachbarschaft und Konfession. Der Rest der Welt, mit dem keine direkten Kontakte bestanden, würde den sechsten Kreis ausmachen. Gerade solche Modelle unterstreichen, dass die historische Vielfalt der Phänomene größer war, als man zunächst anzunehmen bereit ist. Die folgenden Ausführungen möchten zeigen, dass man nicht sinnvoll über die Außenbeziehungen der Eidgenossenschaft reden kann, ohne die Konstituierungsbedingungen im Innern des Bundes zu berücksichtigen. Aufgrund dieser föderalen und aristo-demokratischen Struktur und dem daraus resultierenden relativen Mangel an zentraler Staatlichkeit (oder gar absolutistischem Gewaltmonopol) ist im Falle der Eidgenossenschaft auch auf dem Feld der Außenbeziehungen mit einer Vielzahl von politischen Akteuren zu rechnen, worüber sich auch die Gesandten europäischer Mächte in der Eidgenossenschaft regelmäßig zu beklagen pflegten. Der päpstliche Nuntius Ranuccio Scotti brachte dieses Phänomen in vergleichender Perspektive zum Ausdruck, wenn er 1639 in seiner Finalrelation über die Nuntiatur bei den Eidgenossen sagte: »Es gibt keine schwierigere Nuntiatur als jene«, und dies wie folgt begründete: »Denn in den anderen [Nuntiaturen] bei den großen Höfen genügt es, wenn der Nuntius für den öffentlichen Dienst erreicht, dass ihm der Fürst und zwei oder drei Minister zugeneigt sind. In der Schweiz hingegen muss man mit einer Unmenge von Leuten verhandeln, von welchen die einen Parteigänger des Kaisers, die anderen Frankreichs oder Spaniens sind.«5 Die Interessengebiete der eidgenössischen Außenbeziehungen lassen sich – abgesehen vom Problem des Einschlusses in Friedensverträge wie etwa jene 4 Vgl. den Beitrag von W. Reinhard in diesem Band. 5 Non vi è Nunziatura più difficile di quella. Poichè nell’altre [nunziature], ove sono le gran corti, basta al Nunzio tenersi affetti il Principe ed i Ministri, che si riducono finalmente a due o tre per fare il servizio pubblico; ma nell’Elvetica dovendosi trattare con un’infinità di gente fazionaria chi aderendo all’Imperatore, chi à Francia, e chi a Spagna. Zit. in: Pierre Louis Surchat, Das Corpus Helveticum im Urteil der Nuntien, in: 1648. Die Schweiz und Europa. Aussenpolitik zur Zeit des Westfälischen Friedens, hrsg. von Marco Jorio, Zürich 1999, 111–119, 112 f. Ähnliche Aussagen sind auch von kaiserlich-mailändischen, französischen, toskanischen und spanischen Gesandten überliefert.

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von Westfalen 1648 oder Utrecht 17136 – auf zwei mit einander direkt verzahnte Themenfelder zuspitzen, nämlich das Soldgeschäft und die Handelsprivilegien. Die mit rund einer Million Einwohnern (im 17. Jahrhundert) relativ kleine Eidgenossenschaft war für die europäischen Staaten primär als Söldnerreservoir von Interesse. In den zahlreichen Verträgen mit europäischen Mächten handelten die Eidgenossen in der Regel als Gegenleistung für das an die Vertragspartner abgetretene Recht, in der Eidgenossenschaft Söldner zu werben, verschiedene Handelsprivilegien aus, für die sich die Getreide- und Salzimporteure sowie Exportkaufleute vor allem der Städteorte (Basel, Zürich, St. Gallen), aber auch die Viehexporteure der Landsgemeindekantone der Zentralschweiz interessierten. Die Außenbeziehungen wurden auch durch die konfessionelle Spaltung der Eidgenossen strukturiert. Zwar hatten – jedenfalls seit dem frühen 17. Jahrhundert – alle dreizehn Kantone der Allianz mit Frankreich von 1521 zugestimmt, doch gab es daneben exklusiv katholische Bündnisse etwa mit Savoyen seit 1560 oder mit dem Heiligen Stuhl wieder seit 1565 und vor allem mit Spanien-Mailand seit 1587, aber auch Bündnisse allein protestantischer Orte wie jenes von Zürich und Bern mit Strassburg 1588 oder mit Venedig 1615 (erneuert 1706). Obschon wichtige europäische Mächte wie Frankreich, Spanien-Mailand, der Papst, der Kaiser bzw. Österreich permanente oder quasi permanente Vertretungen in der Eidgenossenschaft unterhielten, verzichteten die Eidgenossen auf ständige Vertretungen an europäischen Höfen. Sie begnügten sich mit informellen Agenten (in Paris, Mailand, Madrid, Rom). Dass diplomatische Vertretungen nicht reziprok gestaltet wurden, war für die Frühe Neuzeit zwar nicht atypisch7, deutet aber auch auf gewisse eidgenössische Probleme mit der europäischen Diplomatie hin. Die am häufigsten genannte Begründung für den Verzicht auf ständige Vertretungen waren zwar die hohen Kosten, doch dürfte damit vor allem vom Problem der mangelnden Einigkeit und der fehlenden ständischen Qualifikation der eidgenössischen Gesandten für das traditionell stark an höfische Konventionen angelehnte diplomatische Protokoll kaschiert worden sein. Für die auf Kantone und Bund verteilte und schwach ausgebildete zentrale Staatlichkeit des Corpus Helveticum prägte die schweizergeschichtliche For-

6 Die Reihe umfasst u. a. London 1510, Westminster 1515, Noyon 1516, Cateau-Cambrésis 1559, Vervins 1598, Westfalen 1648, Rijswijk 1697, Utrecht 1713, Baden 1714. 7 Matthew Smith Anderson, The Rise of Modern Diplomacy 1450–1919, London / New York 1993, 11.

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schung den Begriff des »Bundesgeflechts«. Sie akzentuiert dabei den Aspekt bündischer Verflechtung. Wie aber stand es mit der personalen Verflechtung?

I. Formen der personalen Verflechtung Die Rolle der Netzwerke oder der personalen Verflechtung in ihren vier von Wolfgang Reinhard definierten Erscheinungsformen der Verwandtschaft, Freundschaft, Patronage und Landsmannschaft soll nun für die Eidgenossenschaft knapp skizziert werden. Für den Nachweis der enormen Bedeutung von Verwandtschaft als Faktor bei der Konstituierung der politischen Eliten in der Eidgenossenschaft kann auf den Beitrag von Daniel Schläppi zum Zuger Beispiel in diesem Band verwiesen werden. Für die Städteorte müssen einige ergänzende Angaben genügen. Unbestritten ist, dass es sich bei den Kantonen um eigentliche Familienoligarchien handelte, um patrizische oder aristokratische »Geschlechterherrschaften«. Dies lässt sich an der Verteilung der Machtpositionen in diesen Republiken darstellen. In Bern zum Beispiel schrumpfte die Zahl der regierenden Geschlechter, also jener Familien, die in den Ratsgremien vertreten waren, von noch rund 200 im 16. Jahrhundert auf bloß noch 70 um 1745. Im 16. Jahrhundert war es jeweils nur zwei bis vier Familien gelungen, fünf oder mehr Mitglieder gleichzeitig in den 200 bis 300 Mitglieder zählenden Grossen Rat zu bringen. Von 1645 bis 1691 waren es zwischen 10 und 27 Familien8. Waren in der Stadtrepublik Luzern im Jahr 1560 im Kleinen Rat noch über 30 Geschlechter präsent, so reduzierte sich ihre Zahl bis zum Jahr 1620 auf 20, und bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft auf 13. Die Ratssitze wurden also faktisch vererbt, und nur durch Aussterben schieden im 18. Jahrhundert Geschlechter aus dem Kleinen Rat Luzerns9. Selbst im »demokratischen« Landsgemeindekanton Uri teilte im 18. Jahrhundert ein engster Kreis von Magistratenfamilien die meisten Ämter unter sich auf – und die Mitglieder dieses aus lediglich neun Geschlechtern

8 Anton von Tillier, Geschichte des eidgenössischen Freistaates Bern, 6 Bde., Bern 1838– 1840, Bd. 3, 525 f.; Bd. 4, 389 f. Der Prozentsatz der Heiraten, die zwischen diesen Familien oder Clans geschlossen wurden, betrug in Bern 87%, wie am Beispiel der Familie von Wattenwyl von 1601 bis 1797 errechnet wurde, Hans Braun, Die Familie Wattenwyl, Murten 2004, 132. Vgl. aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts Albert Tanner, Arbeitsame Patrioten – wohlanständige Damen. Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Schweiz 1830–1914, Zürich 1995, 477–479. 9 Kurt Messmer / Peter Hoppe, Luzerner Patriziat. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien zur Entstehung im 16. und 17. Jahrhundert, Luzern / München 1976, 247 f.

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bestehenden Kreises heirateten in zwei Dritteln der Fälle Partner aus denselben neun Geschlechtern10. Das Gewicht des Faktors Patronage – verstanden als asymmetrische Beziehung zwischen Patron und Klient aufgrund informeller und ungleicher Tauschgeschäfte11 – mag man am ehesten erahnen, wenn man daran erinnert, dass die eidgenössischen Eliten in vielen kleinen Kantonen ökonomisch weitgehend von den Einkünften aus dem Soldgeschäft abhängig waren: Im 16. Jahrhundert stammten zwischen 15 und 80 Prozent der monetären Staatseinnahmen aus den Jahrgeldern der europäischen Mächte für die Söldnerrekrutierung12. Zudem zahlten die französischen, spanischen, burgundischen, kaiserlichen oder savoyischen Soldpatrone auch offene Pensionen an die politischen Entscheidungsträger. Schließlich schütteten die Soldpatrone auch heimliche Pensionen für Schlüsselfiguren des Geschäfts aus. Solche Zuwendungen mussten nicht unbedingt in Geld bestehen, es konnten auch »Geschenke« wie teure Stoffe (Seide, Brokat), Schmuck und Kunsthandwerk aus Silber und Gold, Studienplätze an Universitäten oder immaterielle Güter (Ehrentitel, Adelsbrief, Orden, Ritterschlag usw.) sein. Viele eidgenössische Spitzenpolitiker studierten in Mailand, Orléans oder Wien und ließen sich auf ihren Porträts mit großen goldenen Ehrenketten, Orden und Medaillen abbilden. Das war insofern konsequent, als offene und verdeckte Pensionszahlungen die Voraussetzung für die Abkömmlichkeit vieler eidgenössischer Politiker bildeten. Dieses viele »fremde Geld« spaltete nicht nur die Eidgenossenschaft als Ganze entlang meist konfessioneller Grenzen, sondern auch die rivalisieren10 Urs Kälin, Die Urner Magistratenfamilien. Herrschaft, ökonomische Lage und Lebensstil einer ländlichen Oberschicht, 1700–1850, Zürich 1991, 210, 216 und 378. 11 Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. ›Verflechtung‹ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979, 38 f.; Sharon Kettering, Patrons, Brokers, and Clients in Seventeenth-Century France, New York 1986. 12 Martin H. Körner, Solidarités financières suisses au XVIe siècle. Contribution à l’histoire monétaire, bancaire et financière des cantons suisses et des États voisins, Lausanne 1980, 112–113; Beat Immenhauser / Barbara Studer, Geld vor Glauben? Die Teilung Appenzells 1597 aus finanzgeschichtlicher Sicht, in: Appenzell und Oberschwaben. Begegnungen zweier Regionen in sieben Jahrhunderten, hrsg. von Peter Blickle / Peter Witschi, Konstanz 1997, 177–199, 190. Auch wenn diese Abhängigkeit in größeren Kantonen protestantischer Konfession deutlich geringer ausfiel und/oder besser versteckt wurde, so war sie auch hier zu spüren: Christian Windler, ›Ohne Geld keine Schweizer‹. Pensionen und Söldnerrekrutierung auf den eidgenössischen Patronagemärkten, in: Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit, hrsg. von Hillard von Thiessen / Christian Windler (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 36), Berlin 2005, 105–133.

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den regierenden Familien in den einzelnen Orten. Während die einen auf die Karte Frankreichs setzten, bevorzugten andere jene Spaniens – und ganz Schlaue verteilten ihre Einsätze auf beide oder gar noch weitere (etwa den Kaiser oder Savoyen), getreu der Devise des Berner Chronisten Valerius Anshelm, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu bedenken gab, »es were besser, zwo oder me melkküe ze hon, dann nur eine«13. Gerade der Umstand, dass sich die Parteiungen weitgehend entlang divergierender Präferenzen in den Außenbeziehungen strukturierten, unterstreicht nochmals die hohe Bedeutung dieser Außenbeziehungen und des daraus resultierenden Klientelismus für das Funktionieren der alten Eidgenossenschaft14. Das Geschäft der Patronage bestand auch darin, die asymmetrischen Beziehungen als freundschaftliche zu deklarieren – womit das Thema Freundschaft angesprochen wäre. Freunde gewinnen hieß die Devise schon der italienischen Gesandten des 16. Jahrhunderts. Und ob die französischen Ambassadoren die aufwendige Arbeit, in die sie über Jahrhunderte viel Geld und Zeit investierten, als »Klienten in den Kantonen anwerben« (faire des créatures dans les cantons) (Marquis de Puyzieulx 1708)15 oder als »Korrespondenz mit allen Freunden in den Kantonen« (Saint Romain 1676)16 bezeichneten, war lediglich eine rhetorische Variante: Es ging darum, Parteigänger zu rekrutieren und bei Laune zu halten. Doch mit dem Terminus Freundschaft wurden nicht nur »echte« Freundschaften und Klientelbeziehungen bezeichnet, sondern auch, und das macht ihn besonders schillernd, die Verwandtschaft in der heutigen Bedeutung des Wortes. Zumal die Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts unterscheiden nicht zwischen Freundschaft und Verwandtschaft17. Man gewinnt fast den Eindruck, 13 »Es wäre besser zwei oder mehr Milchkühe [Melkkühe] zu haben, als nur eine.« [Valerius Anshelm], Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, hrsg. vom Historischen Verein des Kantons Bern, 6 Bde., Bern 1884–1901, Bd. 2, 25. 14 Ulrich Pfister, Politischer Klientelismus in der Schweiz, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 42 (1992), 28–68; Thomas Lau, Fremdwahrnehmung und Kulturtransfer. Der Ambassadorenhof in Solothurn, in: Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. v. Michael Rohrschneider / Arno Strohmeyer, Münster 2007, 313–341, 325–330. 15 Marquis de Puyzieulx, Mémoire sur la manière dont j’ai traité avec les cantons en général, in: Jean de Boislisle, Les Suisses et le Marquis de Puyzieulx ambassadeur de Louis XIV (1698–1708). Documents inédits précédés d’une notice historique, Paris 1906, 84–92, 86. 16 [Baron de Saint Romain], Des französischen Gesandten bei der Eidgenossenschaft, Baron von Saint Romain, Denkschrift über die Schweiz im Jahre 1676 (aus der französischen Handschrift übersetzt), in: Helvetia 1 (1823), 61–85, 76. 17 Dazu Simon Teuscher, Bekannte – Klienten – Verwandte. Soziabilität und Politik in der Stadt Bern um 1500, Köln / Weimar / Wien 1998; Andreas Würgler, Freunde, amis, amici.

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Freundschaft sei die aus der Vielfalt potentieller biologischer und rechtlicher verwandtschaftlicher Bindungen tatsächlich aktualisierte Verwandtschaft. Mit anderen Worten: Ein Cousin, mit dem man spricht, ist ein Freund. Landsmannschaft hingegen scheint ein weniger prominenter Faktor für personale Verflechtungen zu sein. Die föderalen Strukturen institutionalisierten gewissermaßen die Landsmannschaft18, die zudem von der Konfession überlagert wurde. Denn meist deckten sich Kantons- und Konfessionszugehörigkeit. Außerhalb der Eidgenossenschaft dagegen erleichterte die Landsmannschaft die Herstellung von Kontakten und den Austausch von Informationen auch über die Konfessionsgrenzen hinweg. Im Bereich der Außenbeziehungen wurden landsmannschaftliche Verbindungen sichtbar, wenn sich eidgenössische Gesandte in Paris, Wien oder Mailand mit dort lebenden eidgenössischen Kaufleuten trafen oder mit Offizieren und Diplomaten eidgenössischer Herkunft, die im Dienste einer anderen europäischen Macht standen19. Es kam sogar vor, dass sich Landsleute oder gar Verwandte in den diplomatischen Delegationen beider Seiten befanden20.

II. Verfahren zur Kontrolle personaler Netzwerke Wie wichtig insgesamt personale Verflechtungen auf verschiedenen politischen Entscheidungsebenen der Kantone und der Eidgenossenschaft waren, lässt sich auch an den zahlreichen Versuchen der Zeitgenossen ablesen, die Wirkung dieser Netzwerke zu kontrollieren und einzuhegen. Insofern bedeuFreundschaft in Politik und Diplomatie der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, in: Freundschaft oder ›amitié‹? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert), hrsg. v. Klaus Oschema (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 40), Berlin 2007, 191–210. 18 Es gab keinen zentralen Hof, an dem sich die einzelnen Regionen oder Teile des Reiches bzw. der Christenheit mittels Lobbyarbeit in Erinnerung rufen mussten. Vgl. Christian Windler, Außenbeziehungen vor Ort. Zwischen ›großer Strategie‹ und ›Privileg‹, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), 593–619, am Beispiel der Freigrafschaft Burgund. 19 So besuchte der Zürcher Gesandte Beat Holzhalb 1677 in Wien einen Zürcher General in österreichischen Diensten, den aus Luzern stammenden Leibarzt der Kaiserin und mehrere St. Galler und Zürcher Kaufleute, Beat Holzhalb, Wiener Reise 1677, hrsg. v. Dietrich W. H. Schwarz, in: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 48/2 (1977), V–XXII und 1–48, XV. 20 Zum Beispiel die Berner in Paris, Andreas Würgler, Boten und Gesandte an der eidgenössischen Tagsatzung. Diplomatische Praxis im Spätmittelalter, in: Gesandtschaftsund Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa, hrsg. v. Rainer C. Schwinges / Klaus Wriedt, Ostfildern 2003, 287–312, 300–301.

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tete die vorhin erwähnte geringe Staatlichkeit der Eidgenossenschaft mitnichten, dass es keine Regeln gegeben hätte, um die offensichtlich auch als problematisch eingeschätzten Folgen der personalen Verflechtung einzudämmen. Die Kontrollversuche liefen vor allem über zwei Schienen, nämlich über Normen und über Verfahren. Im normativen Bereich, der nur kurz angedeutet werden soll, kennt man seit dem späten 15. Jahrhundert Versuche, den Geschenkverkehr in der Politik zu unterbinden oder doch zumindest transparent zu machen. Valentin Groebner hat ausführlich dargestellt, wie schwierig es den Zeitgenossen fiel, erlaubte Geschenke als Entgelt für erbrachte Dienstleistungen (Information, Übersetzung, Beratung) zu unterscheiden von unerlaubten »Miet und Gaben«, die als Bestechung im Sinne einer handlungsändernden Beeinflussung taxiert wurden21. Ein weiteres Problem bestand darin, dass es sich um einen Versuch der Selbstkontrolle handelte: Die potentiellen Nutznießer solcher Geschenke mussten über ein Verbot derselben entscheiden. Verbote dieser »Miet und Gaben« und ihre Wiederholungen ziehen sich wie ein Basso continuo durch die Geschichte der Kantone und der Eidgenossenschaft. Um diesen Normen mehr Geltung und Beachtung zu verschaffen, führten viele Kantone und auch die Eidgenossenschaft so genannte »Reinigungseide« ein. Mit dem Schwur eines solchen Eides musste ein neu Gewählter versichern, dass er normenkonform in das Amt gelangt sei und insbesondere keine verbotenen Geschenke verteilt und keine »Praktiken« angewandt habe22. Da Normen allein aber keine Lösung brachten – das hatte vermutlich auch niemand erwartet –, wurden verschiedene Verfahren entwickelt, die dem Zweck dienten, die personalen Netzwerke erstens durch Kontrolle zu beschränken und zweitens gefährliche Konkurrenzsituationen, die zu Konflikten eskalieren konnten, zu vermeiden, einzuhegen und einer allgemein akzeptierten Entscheidung zuzuführen. Im Folgenden sollen einige solche Verfahren vorgestellt werden, mit denen eidgenössische Gesandte während ihres Einsatzes zur Pflege der Außenbeziehungen kontrolliert werden sollten. Gesandte im Namen der Eidgenossenschaft wurden aus der politischen Elite der Kantone rekrutiert. Meist handelte es sich um Funktionsträger aus dem Kreis der wichtigsten und (nicht zuletzt dank Pensionszahlungen frem21 Valentin Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000. 22 Andreas Würgler, Zwischen Verfahren und Ritual. Entscheidungsfindung und politische Integration in der Stadtrepublik Bern in der Frühen Neuzeit, in: Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. v. Rudolf Schlögl, Konstanz 2004, 63–91.

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der Mächte) abkömmlichen23 Familien, die zudem oft Erfahrungen mit dem Raum hatten, in den die Reise ging. Diese Erfahrungen stammten üblicherweise entweder aus dem Militärdienst (etwa als Offizier von Schweizer Söldnerregimentern – dem im Ausland stehenden Heer der Eidgenossen – oder als Offizier im militärischen Dienst für einen fremden Herrscher) oder kaufmännischer Tätigkeit (Lehrjahre oder Aufenthalt in Niederlassungen eidgenössischer oder europäischer Handelshäuser). Diese gewisse Vertrautheit manifestierte sich normalerweise in der Kenntnis der Landessprache sowie in persönlichen Verflechtungen mit Ansprechpartnern vor Ort. Doch schon die erste Regel, die der fallweisen Wahl der Gesandten, dürfte eine der wichtigsten zur Eindämmung der Verflechtung gewesen sein: Eidgenössische Gesandte wurden nämlich immer nur von Fall zu Fall für eine Mission gewählt, nicht aber auf eine bestimmte Anzahl Jahre (Amtsdauer) oder gar lebenslänglich (als »Staatsdiener«24) bestallt25. Die Botschafter europäischer Mächte in der Eidgenossenschaft pflegten genau zu registrieren, ob die eidgenössischen Gesandtschaften aus Franzosen- oder Spanienfreunden zusammengesetzt wurden26. So beobachtete der spanische Gesandte Girolamo Casati in den 1620er Jahren für die »spanische Partei« (partido español) aufmerksam, wen die Eidgenossen als Gesandte an fremde Höfe auswählten. Umgehend pflegte er an seinen Herrn zu melden,

23 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5., revidierte Auflage besorgt von Johannes Winckelmann, Studienausgabe, Tübingen 1985, 170 und 757, 765, 830. 24 Hillard von Thiessen / Christian Windler, Einleitung, in: Nähe in der Ferne, hrsg. v. dens. (Anm. 12), 10. 25 Die fallweise Wahl lässt Phänomene wie die spanisch-mailändische Gesandtschaft in der katholischen Eidgenossenschaft, die über 100 Jahre (1594 bis 1704 mit kurzen Unterbrechungen) in der Mailänder Familie Casati blieb, aus eidgenössischer Perspektive als unwahrscheinlich erscheinen, Rudolf Bolzern, Spanien, Mailand und die katholische Eidgenossenschaft. Militärische, wirtschaftliche und politische Beziehungen zur Zeit des Gesandten Alfonso Casati (1594–1621), Luzern / Stuttgart 1982, 38 ff. 26 R. Bolzern, Spanien (Anm. 25), 68–70 (allgemein und Luzern, Uri, Nidwalden, Zug, Freiburg, Appenzell Innerrhoden); Benedikt Hegner, Rudolf von Reding, 1539–1609. Offizier, Staatsmann und Gesandter, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 59 (1966), 1–126, 78–80 (Schwyz); Die Correspondenz von Alfonso und Girolamo Casati spanischen Gesandten in der schweizerischen Eidgenossenschaft mit Erzherzog Leopold V. von Österreich 1620–1623. Ein Beitrag zur schweizerischen und allgemeinen Geschichte im Zeitalter des dreißigjährigen Krieges. Mit Einleitung und Anmerkungen hrsg. v. Heinrich Reinhardt, Freiburg i.d. Schweiz 1894, 200–202.

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ob sich unter den Auserkorenen »gute Freunde« (buoni amici) befanden oder nicht27. Ein zweiter Faktor zur Kontrolle der einzelnen Akteure ergab sich aus der Doppelung oder Multiplikation der Gesandtschaft. Eidgenössische Gesandtschaften bestanden nur selten aus lediglich einem einzigen Repräsentanten. Meistens wurden Vertreter mehrerer Kantone und beider Konfessionen geschickt. Diese Tradition der Mehrfach-Gesandtschaften war sicherlich eine Konsequenz des föderalistischen Systems. Sie konnte aber darüber hinaus auch dazu dienen, dass zwei oder mehrere »Parteien« – zum Beispiel die Franzosenfreunde und die Spanienfreunde – in der jeweiligen Abordnung vertreten waren und sich gegenseitig auf die Finger sehen konnten. Die Multiplikation schränkte auf jeden Fall den Handlungsspielraum jedes einzelnen Akteurs beträchtlich ein beziehungsweise erhöhte die Kontrollmöglichkeiten der Zuhausegebliebenen. Denn jedes Mitglied einer solchen Gesandtschaft pflegte die zuständigen Gremien seines Kantons direkt zu informieren, so dass diese Kantone über die offiziellen Berichten hinaus auch spezielle Nachrichten erhielten. Als drittes Element, das die Wirkkraft personaler Verflechtung deutlich zu stören vermochte, kommt der Mechanismus der Rotation ins Spiel. Abgesehen von ganz großen Gesandtschaften etwa zur Beschwörung der Allianz mit dem französischen König (1549, 1564, 1582, 1602, 1663, 1777), zu der in der Regel zwei oder gar mehr Vertreter jedes Kantons mitreisten, wurden eidgenössische Gesandtschaften meist nur von zwei bis vier (oder auch sechs) Vertretern aus entsprechend vielen Kantonen ausgeführt. Welche Kantone dabei zum Zuge kamen, ist eine spannende Frage, die – soweit ich sehe – noch kaum gestellt und schon gar nicht systematisch untersucht worden ist. Doch ist offensichtlich, dass einige Kantone öfter Gesandte stellten als andere. Die Tagsatzung, der Gesandtenkongress der Kantone28, bestimmte, welcher Kanton einen Gesandten zur eidgenössischen Mission beisteuern konnte. Anscheinend galt es dabei eine »Kehrordnung« – ein Rotationsprinzip – zu beachten, deren konkrete Details (zum Beispiel für welche Typen von Gesandtschaften sie gelten sollten) allerdings strittig waren29. Ein Argument, das bei solchen Diskussio27 Girolamo Casati an Erzherzog Leopold von Österreich, Altdorf, 8.12.1621, in: Correspondenz Casati (Anm. 26), Nr. 68, 77 f. (Landammann Emanuel Bessler aus Uri), und Luzern 18.12.1621, Nr. 71, 80 (ein guter Freund aus Schwyz). 28 Vgl. Andreas Würgler, Tagsatzung, in: HLS, elektr. Version, www.hls.ch (24.7.2008). 29 EA 6/2, Nr. 448 f. (Baden, 17.9.1700): Uri erinnert an die Ordnung bei der Einholung der fremden Gesandten; EA 6/2 Nr. 554g (Baden, 6.7.1704): Anlässlich der Einholung des neuen französischen Ambassadors beschwerten sich einige Orte, dass man immer Gesandte aus den gleichen Orten nehme; künftig solle eine Norm aufgestellt werden; EA 7/1, Nr. 22n (Baden, 9.–23.7.1713), Unterwalden, Zug, Glarus, Schaffhausen und

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nen öfter zu hören war, hieß: Wenn unser Kanton nicht in die offizielle Gesandtschaft Einsitz nehmen kann, dann schicken wir eben einen Vertreter auf eigene Faust30. Für das politische Vorgehen eines französischen, spanisch-mailändischen, kaiserlichen oder savoyischen Gesandten in der Eidgenossenschaft bedeutete dies, dass er seine Beziehungen in alle Kantone ausdehnen musste, da der nächste eidgenössische Gesandte aus jedem dieser Kantone stammen konnte. Er musste zudem darauf achten, alle potentiellen Kandidaten für eine Gesandtschaft zu gewinnen. In der Tat widmeten die Ambassadoren laut Auskunft ihrer Korrespondenzen und Relationen der Beziehungspflege mit den »Freunden in den Kantonen« sehr viel Raum: Zahlreiche Reisen an die Tagsatzungen und Konferenzen wechseln sich ab mit Rundtouren durch die Kantone (von Ort zu Ort) und zahllosen Empfängen im Residenzort. Die Bankette in der Eidgenossenschaft waren unter den europäischen Diplomaten berüchtigt, dauerten sie doch leicht sechs bis zwölf Stunden, während derer nicht selten mehrere Hundert Gäste zu unterhalten waren31. Als viertes Verfahren zur Kontrolle persönlicher Interessen diente die Instruktion. Die Tagsatzung gab den eidgenössischen Gesandten eine mehr oder weniger ausführliche Verhaltensvorschrift, eine Instruktion, mit. Über die Verbindlichkeit von Instruktionen gibt es in der Forschung kontroverse Ansichten32. Modellhaft ließe sich der Wissensstand so zusammenfassen, dass es erstens Instruktionen gab, die zur Mitteilung an den Verhandlungspartner bestimmt waren, die also »eröffnet« wurden, was in der frühneuzeitlichen Di-

die Zugewandten Orte (ohne Biel) beschweren sich, dass sie nie für Kommissionen zum französischen Gesandten bestimmt werden. 30 So Luzern, als die übrigen katholischen Orte keinen Luzerner als Gesandten zum Papst wählen wollten, EA 6/1, Nr. 487g (Luzern, 29.–30.10.1668), 764. 31 Andreas Würgler, Die Tagsatzung der Eidgenossen. Politik, Kommunikation und Symbolik einer repräsentativen Institution im europäischen Kontext (1470–1798), unveröffentlichte Habilitationsschrift, Bern 2004. 32 Vgl. Daniel Schläppi, ›In allem übrigen werden sich die Gesandten zu verhalten wissen.‹ Akteure in der eidgenössischen Aussenpolitik des 17. Jahrhunderts. Strukturen, Ziele und Strategien am Beispiel der Familie Zurlauben von Zug, in: Der Geschichtsfreund 151 (1998), 5–90; Andreas Würgler, Die Tagsatzung der Eidgenossen. Formen spontaner Repräsentation im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Landschaften und Landstände in Oberschwaben. Bäuerliche und bürgerliche Repräsentation im Rahmen des frühen europäischen Parlamentarismus, hrsg. v. Peter Blickle, Tübingen 2000, 99– 117; Michael Jucker, Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter, Zürich 2004; A. Würgler, Die Tagsatzung der Eidgenossen (Anm. 31).

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plomatie als Vertrauensbeweis galt33. Zweitens erhielten Gesandte zusätzlich Instruktionen, die nicht zur Offenlegung vorgesehen waren und teilweise mit mündlichen Anweisungen ergänzt werden konnten und/oder mussten, um überhaupt verständlich zu sein. Instruktionen mussten den Gang der Verhandlungen antizipieren und die Anweisungen für verschiedene denkbare Fälle vorbereiten, die in den Verhandlungen auftreten konnten. Solche mehrstufige Instruktionen überließen den Gesandten ein Stück weit die Entscheidung, welche Stufe wann realisiert werden konnte. Da nicht alle Eventualitäten vorhersehbar waren, blieb den Gesandten ein gewisser Handlungsspielraum, den sie vor dem Hintergrund der Fallkenntnis und der politischen Kräfteverhältnisse sowohl am Verhandlungstisch als auch in der Eidgenossenschaft ausspielen konnten. Um die Funktionsweise der Instruktionen im Zusammenhang der eidgenössischen Außenbeziehungen zu illustrieren, soll in gebotener Kürze ein Beispiel vorgeführt werden. Johann Rudolf Wettstein, jener Basler, der 1647 in Münster die Exemtion der Eidgenossenschaft vom Reich ausgehandelt hatte, wurde auf den 9. November 1650 vor die Tagsatzung in Baden geladen, um über Nachverhandlungen zum Westfälischen Frieden in Wien Bericht zu erstatten. Doch die Sitzung begann mit einem Eklat, weil der Vertreter des Kantons Schwyz den Bericht Wettsteins nicht als erstes Geschäft der Tagesordnung akzeptierte. Da aber die Mehrheit Wettsteins Bericht zuerst hören wollte, verließ der Schwyzer Vertreter den Saal, was als Affront aufgenommen wurde. Diese Darstellung des Vorfalls im Sitzungsprotokoll lässt sich ergänzen mit einem Schreiben Wettsteins an den Basler Rat: Die Vertreter von Schwyz hätten sich nach der Sitzung bei ihm, Wettstein, entschuldigt und ihm versichert, ihr Verhalten sei nicht gegen ihn persönlich oder gegen den Kanton Basel gerichtet gewesen, sondern vielmehr als Folge eines Streits in Schwyz zu erklären. In Schwyz habe man nämlich zuerst die beiden Vertreter für diese Tagsatzung gewählt, wobei aber der »kleine Abyberg« von der spanischen Partei übergangen worden sei. Da zwei frankreichfreundliche Boten bestimmt worden seien, habe sich die spanische Fraktion damit gerächt, dass sie in die Instruktion habe hineinschreiben lassen, die Schwyzer Boten müssten den Ausstand nehmen, wenn der Wettstein-Bericht zuerst behandelt werde. Das Störmanöver diente also dazu, die eigenen Schwyzer Vertreter als 33 Jean-Claude Waquet, François de Callières, L’art de négocier en France sous Louis XIV, Paris 2005, 224 (instruction ostensive); Donald E. Queller, The Office of Ambassador in the Middle Ages, Princeton (NJ) 1967, 121–126, bes. 123, 125. Vgl. René Alphonse Marie Maulde-la-Clavière, La diplomatie au temps de Machiavel, 3 Bde., Genf 1970 [Reprint der Erstausgabe Paris 1892–1893], Bd. 2, 119 f.

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Franzosenfreunde zu desavouieren34. Der eine Schwyzer Tagherr, Wolf Dietrich Reding, hatte eine Karriere in französischen Diensten hinter sich und war Kammerherr unter Ludwig XIII. geworden, bevor er die politische Karriere in Schwyz einschlug35. Das Beispiel zeigt die Macht der Instruktion – und auch die Instrumentalisierbarkeit dieses Verfahrens für unterschiedliche Zwecke. Umgekehrt konnten Instruktionen aber auch übergangen werden. Eine Gesandtschaft aller dreizehn Orte, die 1681, kurz nach der Eroberung Straßburgs, den französischen König im elsässischen Ensisheim treffen wollte, beugte sich im Streit um das Zeremoniell dem Sonnenkönig. Dieser verlangte, dass die Eidgenossen wie schon anlässlich der Bundesbeschwörung in Paris 1663 barhäuptig vor ihm und – das war der Streitpunkt – seinem Bruder erscheinen. Weil das Treffen sonst geplatzt wäre, willigten die eidgenössischen Botschafter widerstrebend ein, allerdings nicht ohne zu betonen, dass dies gegen ihre Instruktion und ohne Präjudiz geschehe36. Die Einhaltung der Instruktionen ließ sich ansatzweise überwachen durch das fünfte Verfahren, die Relation (Bericht), welche die eidgenössischen Gesandten neben den Korrespondenzen während ihrer diplomatischen Reise nach der Rückkehr abzuliefern hatten. Gerade die Multiplikation der Gesandten führte dazu, dass diese einerseits gemeinsam offizielle Briefe und Berichte zuhanden der Tagsatzung verfassten, aber zugleich auch individuell an die Ratsgremien ihrer Herkunftskantone rapportierten. Dadurch waren viele Tagsatzungsgesandte doppelt informiert. Dieses System engte den Handlungsspielraum des einzelnen Gesandten ein. Es kam durchaus vor, dass solche Gesandtschaftskorrespondenzen und -berichte an Tagsatzungen und Konferenzen gerügt wurden. So erkundigten sich etwa die katholischen Kantone in Bezug auf die gemeinsame (katholisch-reformierte) Gesandtschaft nach Paris von 1650, ob die Instruktion für die Gesandten nach Frankreich tatsächlich so verfasst worden sei, wie in den Sitzungen abgesprochen, und wie es sich erklären lasse, dass in den Berichten – wie es im Regest heißt – »das Interesse der Privaten jenem der Obrigkeiten vorangestellt sei?«37. Die letzte Kontrollmöglichkeit der politischen Gremien über die Tätigkeit der Gesandten bestand im Verfahren der Ratifikation. Die Gesandten konn34 EA 6/1, zu Nr. 34a (9.11.1650), 40. Vgl. Staatsarchiv des Kantons Bern, Bern: A IV 54 (AEA FFF), 842: Abschied der gemeineidgenössischen Tagsatzung vom 9.11.1650, 842. 35 Er war auch 1663 Vertreter von Schwyz in der eidgenössischen Delegation an die Bundesbeschwörung in Paris, Franz Auf der Maur, Reding, Wolfgang Dietrich, in: HLS, elektr. Version, www.hls.ch (7.3.2008). Dass Reding auch Träger des toskanischen Stephansordens war, lässt auf Kontakte zu den Medici schließen. 36 EA 6/2, Nr. 13 (Basel, 14.10.1681), 18. 37 EA 6/1, Nr. 39c (27./28.3.1651).

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ten Verhandlungsergebnisse und andere Entscheidungen von einer gewissen Tragweite nur unter dem Vorbehalt der Ratifikation beschließen. Das heißt, das erzielte Resultat musste der Tagsatzung und damit den dreizehn Kantonen zur Bestätigung vorgelegt werden. Aufgrund des föderativen Einhelligkeitsprinzips war es nun jedem Kanton immer noch möglich, die Ratifikation zu verweigern, sollte das Verhandlungsergebnis zu weit von den Vorgaben der Instruktion abweichen. Alle diese Kontrollverfahren – fallweise Wahl, Multiplikation, Rotation, Instruktion, Relation und Ratifikation – waren keineswegs auf die Gestaltung der Außenbeziehungen beschränkt, vielmehr bildeten sie das tägliche Brot der Zusammenarbeit in fast allen inneren Angelegenheiten der Eidgenossenschaft an Tagsatzungen und Konferenzen, kurz: Es handelte sich um Kernverfahren der eidgenössischen politischen Kultur38. Aber trotz allen Bemühens um die Kontrolle der persönlichen Verflechtungen und Interessen blieben gerade die eidgenössischen Außenbeziehungen vielfältig auf personale Netzwerke angewiesen. Jedes Mal, wenn eine eidgenössische Gesandtschaft an einem europäischen Hof aufwartete, pflegte sie als Ganzes oder pflegten einzelne ihrer Mitglieder regen Austausch mit Personen vor Ort, zu denen schon Kontakte bestanden. Das konnten eidgenössische Kaufleute sein (Lyon, Paris, Wien, Mailand) oder die Offiziere der Schweizer Garde in Diensten des fremden Fürsten (zum Beispiel des französischen Königs in Paris) oder der eidgenössischen Soldregimenter. Es konnten aber auch eidgenössische Offiziere, Kleriker, Gelehrte oder Politiker sein, die individuell im Dienste europäischer Monarchen standen und damit sozusagen auf der anderen Seite des Verhandlungstisches saßen beziehungsweise als Abgesandte einer »fremden« Macht in der Eidgenossenschaft vorsprachen39. Dieser Umstand erinnert daran, wie international diplomatisch-politische Karrieren sein konnten und wie sehr solche Karrieren die Kontaktaufnahme und den Informationsfluss begünstigten und prägten.

38 A. Würgler, Tagsatzung der Eidgenossen (Anm. 31). 39 So etwa EA 5/1, Nr. 195c (Baden, 2.2.1592, ts): »Philipp von Mentlen, alt-Landvogt von Baden, legt im Auftrag des Gubernators von Mayland und des spanischen Ambassadors den Vertrag vor, welcher zwischen dem Gubernator und den XII Orten in Betreff Ausrottung der Banditen abgeschlossen worden ist. Die Artikel werden angenommen und zu Kräften erkennt«. Weitere Beispiele: EA 2, Nr. 722d [falsch 723], (9.10.1473); EA 3/2, Nr. 367a (Luzern, 31.7.1510); EA 5/1, Nr. 85n (Baden, 29.1.1589); EA 5/1, Nr. 330b (Baden, 11.5.1597); EA 5/1, Nr. 957a (Baden, 2.7.1617); EA 6/1, Nr. 506kkk (Baden, 6.7.1670).

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III. Schlussfolgerungen Die geschilderten Normen und Verfahren zur Kontrolle individueller Interessen konnten, das ist gewiss, die Wirkungen personaler Verflechtung nicht annullieren. Allerdings wurden die Konstruktion und insbesondere das Handling personaler Netzwerke durch die erwähnten Normen und Verfahren beeinflusst. Die diversen Kontrollmechanismen erschwerten die Instrumentalisierung des eidgenössischen Gesandtenstatus für private Sonderinteressen. Zweifellos ist es sehr schwierig, den Erfolg dieser Normen und Verfahren zu messen. Etwa ebenso schwierig dürfte es aber sein, nicht nur die Existenz, sondern auch die Effizienz der Netzwerke zu messen, deren sich die Akteure in Außenbeziehungen ganz selbstverständlich bedienten. Insofern gehören die wiederholten und vielfältigen Kontrollversuche zu den deutlichsten Belegen für die von den Zeitgenossen befürchtete Wirksamkeit personaler Verflechtung in den Außenbeziehungen im frühneuzeitlichen Europa.

Diplomatie im Spannungsfeld widersprüchlicher Interessen: Das Beispiel von Zug, einer schweizerischen Landsgemeindedemokratie (17. und 18. Jahrhundert) Von Daniel Schläppi

Am 2. Juli 1632 schrieb Alfons Sonnenberg, ein tonangebender Luzerner Aristokrat, aus Frankreich nach Zug an Beat II. Zurlauben, einem treuen Gefolgsmann des französischen Königs in der katholischen Innerschweiz, er habe den König informiert, Zurlauben sei in Zug zum Ammann gewählt worden1. Ludwig XIII. habe sich darüber gefreut und gemeint, Zurlauben solle in Zug bleiben und auf allfällige Order warten. Er seinerseits habe dem König versprochen, dass Zurlauben »Jhro Mt. […] flissig werde bedienet sein«2. Am 3. April 1641 kündigte der französische Botschafter Jacques Le Fèvre de Caumartin demselben Zurlauben an, er habe im Hinblick auf die Konferenz der katholischen Orte der Eidgenossenschaft ein mémoire ausgearbeitet, das ihm bei der Beratung des französischen Begehrens um Truppenaushebungen bestimmt gute Dienste leisten könne. Zurlauben solle seinen Zuger Ratskollegen zusichern, dass Zug – beantworte es das französische Begehren positiv – eine vollständige Pension erhalten werde. Außerdem bekämen die Ratsherren eine außerordentliche Gratifikation. Zurlauben solle dafür sorgen, dass die Zuger Gesandten mit für Frankreich günstigen Instruktionen versehen und die von Spanien gestellten Aufbruchsbegehren abgelehnt würden3. Am 1. Dezember 1701 um 6 Uhr morgens verfasste der secrétaire d’ambassade Deroiste in der französischen Botschaft in Solothurn ein Expressschreiben an Beat Jakob II. Zurlauben, worin er ihn im Namen des Ambassadors aufforderte, unmittelbar nach Erhalt des Briefes nach dem im – ebenfalls katholischen – Kanton Solothurn gelegenen Schönenwerd aufzubrechen. Dort könn1 Der vorliegende Aufsatz beruht auf früheren Forschungen des Autors sowie auf einem gemeinsam mit André Holenstein durchgeführten Forschungsseminar. Zur eidgenössischen Außenpolitik bereits erschienen ist Daniel Schläppi, ›In allem Übrigen werden sich die Gesandten zu verhalten wissen‹. Akteure der eidgenössischen Aussenpolitik des 17. Jahrhunderts. Strukturen, Ziele, Strategien am Beispiel der Familie Zurlauben von Zug, in: Der Geschichtsfreund 151 (1998), 5–90. Dort finden sich einschlägige Literaturangaben zu den Verhältnissen in Zug und in der Eidgenossenschaft sowie zu politologischen Modellen, anhand derer sich das amorph anmutende außenpolitische Alltagsgeschäft in ein theoretisches Gefüge einbinden lässt. 2 AH, Bd. 32, Nr. 69, Alfons Sonnenberg an Beat II. Zurlauben, Punt Mussung, 2.7.1632. 3 AH, Bd. 23, Nr. 64, Ambassador Caumartin an Beat II. Zurlauben, 3.4.1641.

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ten sie sich in Ruhe über die anstehenden Geschäfte unterhalten. Den Ort des Treffens habe der Ambassador vorgeschlagen, der es für ungünstig halte, sich auf bernischem, sprich: protestantischem Territorium zu treffen4.

I. Akteurszentrierte Forschungsansätze Drei Schlaglichter auf die Welt, in der sich die Akteure der frühneuzeitlichen Diplomatie bewegten, genügen als Einstieg in die hier zur Diskussion stehende Thematik. Sie vermitteln einen impressionistischen Einblick davon, was unter Außenverflechtung in der alten Eidgenossenschaft zu verstehen sein könnte. Der allgemeine Kenntnisstand trägt den Überlegungen, die sich an die zitierten Quellen anschließen lassen (vgl. Kap. II.), bislang nicht vollumfänglich Rechnung. Deshalb soll hier zunächst auf die Positionen der klassischen Diplomatiegeschichte sowie auf die neuesten Erkenntnisse der kultur- bzw. kommunikationswissenschaftlich geprägten Forschung eingegangen werden5. Die Artikel »Allianzen«, »Außenpolitik« und »Diplomatie« im Historischen Lexikon der Schweiz gehen zur Beschreibung der vormodernen Verflechtung von klassischen Konzepten staatlicher Außenbeziehungen aus6. »Außen« wird dabei von der Idee des souveränen, bürokratisierten Nationalstaats her gedacht, unter Verwendung von Kategorien des 19. Jahrhunderts, nach denen zwischenstaatliche Kontakte die exklusive Domäne gouvernementaler Handlungsträger und Institutionen darstellen7. 4 AH, Bd. 26, Nr. 44, secrétaire d’ambassade Deroiste an Beat Jakob II. Zurlauben, Solothurn, 1.12.1701, 6 Uhr morgens. 5 In den Literaturangaben zu den folgenden Abschnitten bleiben Detailstudien zu einzelnen Orten der Eidgenossenschaft ausgeklammert. Auf theoretische Literatur, sofern solche zur Eidgenossenschaft überhaupt vorliegt, wird nur punktuell eingegangen. 6 Martin Körner, Allianzen, in: HLS: www.hls-dhs-dss.ch (19.6.2006); Georg Kreis, Außenpolitik, in: ebd. (23.10.2007); Rolf Stücheli, Diplomatie, in: ebd. (17.7.2007). Ein Artikel zum Begriff »Verflechtung« ist in der aktuellen Planung des Lexikons nicht vorgesehen. 7 Karl Schwarber, Nationalbewusstsein und Nationalstaatsgedanken in der Schweiz von 1700 bis 1789, Zürich 1918; Peter Stadler, Vom eidgenössischen Staatsbewusstsein und Staatensystem um 1600, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 8 (1958), 1–20. Demgegenüber postulieren Michael Werner / Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 607–636, 630 eine »eigene Logik des Transnationalen«. Ihnen zufolge konstituieren transnationale Prozesse »neue Aktionsfelder, in denen sich eigene Formen von Handlungslogik herausbilden«, was vom aktuell diskutierten Fallbeispiel bestätigt wird.

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Für die Verhältnisse der alten Eidgenossenschaft prioritär nach staatlichinstitutionellen Strukturen von Außenpolitik und Diplomatie zu fragen, zielt jedoch am Wesen der Sache vorbei. Nicht nur waren Außenbeziehungen für das wirtschaftliche Fortkommen der städtischen Aristokratien sowie der ländlichen Honoratiorengesellschaften, für die öffentlichen Finanzhaushalte8, die Handelsbeziehungen9 und das Soldgeschäft von eminenter Bedeutung. Grenzüberschreitende Verflechtungen hatten auch kaum hoch genug zu veranlagende Effekte auf Kultur und Lebensstile. Unzählige Schweizer mit Auslanderfahrung (Offiziere und einfache Soldaten) brachten französische Sitten in die Schweiz mit entsprechenden Auswirkungen auf die einheimische Lebenswelt und die Herrschaftsmechanik. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die klassischen, auf Institutionen und staatliches Handeln fokussierenden Konzepte wesentliche Aspekte frühneuzeitlicher Außenbeziehungen ausblenden. Es ist auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen, dass sich die herkömmliche Vorstellung des Primats gouvernementaler Institutionen hartnäckig in den Köpfen der Forschenden hält. Erstens animierte das die Außenpolitik der Schweiz im 20. Jahrhundert konzeptuell beherrschende und legitimierende Dogma unbedingter Neutralität mehrere Forschergenerationen dazu, die Geschichte der Außenbeziehungen als Chronik einer sich über Jahrhunderte zur Staatsmaxime entwickelnden Neutralität zu schreiben10. Zweitens befassten sich etliche Studien mit ereignisgeschichtlich markanten, meist kriegerischen Geschehnissen, in denen die Außenpolitik eine entscheidende Rolle spielte: Diplomatische Krisen unter dem Eindruck militärischer Bedrohungslagen produzieren Verwaltungsschriftgut beziehungsweise offizielle Korrespondenz und lenken den Blick der Historiker zwangsläufig auf gouvernementale Ka8 Martin Körner, Solidarités financières suisses au XVIe siècle. Contribution à l’histoire monétaire, bancaire et financière des cantons suisses et des États voisins, Lausanne 1980; ders., Luzerner Staatsfinanzen, 1415–1798. Strukturen, Wachstum, Konjunkturen, Luzern / Stuttgart 1981. 9 Margrit Hauser-Kündig, Das Salzwesen der Innerschweiz bis 1798, Diss. Zürich 1927; Herbert Lüthy, Die Tätigkeit der Schweizer Kaufleute und Gewerbetreibenden in Frankreich unter Ludwig XIV. und der Regentschaft, Zürich 1943. 10 Edgar Bonjour, Geschichte der schweizerischen Neutralität. Drei Jahrhunderte eidgenössischer Außenpolitik, Basel 1946; ders., Geschichte der schweizerischen Außenpolitik in ihren Grundzügen, in: Handbuch der schweizerischen Außenpolitik, hrsg. v. Alois Riklin u. a., Bern / Stuttgart 1975, 57–80; Daniel Frei, Neutralität – Ideal oder Kalkül. Zweihundert Jahre außenpolitisches Denken in der Schweiz, Frauenfeld 1967; Adolf Niethammer, Das Vormauernsystem an der eidgenössischen Nordgrenze. Ein Beitrag zur Geschichte der Schweizerischen Neutralität vom 16. bis 18. Jahrhundert, Basel 1944; Paul Schweizer, Geschichte der Schweizerischen Neutralität, Frauenfeld 1895.

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näle. Semiprivate Netzwerke und informelle Verflechtung, welche die Außenbeziehungen unterschwellig prägten, blieben dabei weitgehend ausgeblendet11. Für die jüngere Wirtschafts- und Sozialgeschichte waren Außenbeziehungen vor allem unter dem Aspekt der Geldflüsse und der daraus im Innern der Eidgenossenschaft resultierenden Machtmechanik von Interesse. Entsprechend thematisierten die fraglichen Arbeiten den ökonomischen und hegemonialen Nutzen der äußeren Beziehungen oder beschrieben die Strategien und Probleme des Soldunternehmertums. Die einschlägigen Arbeiten anerkennen zwar, dass grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen den Nährboden der Gewinne aus der Verquickung von politischen Ämtern und Militärkarrieren in fremden Diensten bildeten, erklären aber nicht, wie diese aufgebaut und gepflegt wurden12. Ein Forschungsstrang in historistischer Tradition befasste sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit der ambassade in Solothurn. Diese Linie brachte quellengesättigte Beiträge hervor, die sich an ein heimatgeschichtlich interessiertes Publikum richteten. Neben kulturgeschichtlich wertvollen Beschreibungen von Zeremoniellen konzentrierten sich die genannten Arbeiten auf ausgesuchte Ambassadorenpersönlichkeiten und deren Amtsführung13. Ausgehend von einem personengeschichtlichen Fokus hat sich die universitäre Forschung in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts mit Außenpolitik befasst und dabei auch die politische Mechanik im internationa11 Frieda Gallati, Eidgenössische Politik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Zürich 1918/1919; Leonhard Haas, Schwedens Politik gegenüber der Eidgenossenschaft während des Dreißigjährigen Krieges, Bern-Bümpliz 1951. 12 Philippe Gern, Aspects des relations franco-suisses au temps de Louis XVI. Diplomatie  – Economie – Finances, Neuchâtel 1970; Urs Kälin, Die Urner Magistratenfamilien. Herrschaft, ökonomische Lage und Lebensstil einer ländlichen Oberschicht, 1700–1850, Zürich 1991; Kurt Messmer / Peter Hoppe, Luzerner Patriziat. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien zur Entstehung und Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert, Luzern / München 1976; Hans Conrad Peyer, Die wirtschaftliche Bedeutung der fremden Dienste für die Schweiz vom 15. bis 18. Jahrhundert, in: Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege, hrsg. v. Jürgen Schneider, Stuttgart 1978, 701–716; Hans Rudolf Stauffacher, Herrschaft und Landsgemeinde. Die Machtelite in Evangelisch-Glarus vor und nach der Helvetischen Revolution, Glarus 1984; Hermann Suter, Innerschweizerisches Militärunternehmertum im 18. Jahrhundert, Zürich 1971. 13 Ferdinand von Arx, Aus der Geschichte der französischen Ambassadoren in Solothurn, Solothurn 1919; Gilbert Bloch, Bilder aus der Ambassadorenschaft in Solothurn, 1554– 1791, Biel 1898; Irène Schärer, Der französische Botschafter Marquis de Bonnac und seine Mission bei der Eidgenossenschaft 1726–1736, Spiez 1948; Franz Anton ZetterCollin, Ein handschriftliches Ceremonial für die französischen Ambassadoren in Solothurn aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, Solothurn 1913.

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len Kräftespiel sowie strukturelle Faktoren in ihre historischen Analysen mit einbezogen14. Allerdings hat sie die eidgenössische Außenpolitik, sofern es diese denn überhaupt gegeben haben soll, aus der Perspektive einer europäischen Großmacht gelesen. Auch wenn »Verflechtung« und »Interdependenz« als Analysekategorien zur Zeit, als die meisten dieser Arbeiten entstanden, noch nicht erfunden waren, legten diese Studien die Grundlage für akteurszentrierte Sichtweisen auf das Feld der Außenbeziehungen. In diesen teilweise sehr dichten Ereignisberichten scheint hinter den politischen Institutionen auch der informelle Bereich auf15. Jüngere Untersuchungen politischer Institutionen beziehen sozial-, mentalitäts- und kulturgeschichtliche Überlegungen in ihre Fragestellungen mit ein. Auf diese Weise werden zentrale Aspekte der Außenbeziehungen als entscheidende Handlungsfelder interpersonaler Verflechtung sichtbar und liefern neue Grundlagen, welche Außenpolitik unter vormodernen Vorzeichen besser verstehen lassen. Andreas Würgler hat in seiner Untersuchung über die Tagsatzung den protostaatlichen Charakter dieser ältesten und langlebigsten institutionellen Errungenschaft des eidgenössischen Bundes relativiert und stattdessen kulturelle und kommunikatorische Aspekte in den Vordergrund gerückt. Auf den merkantil-pekuniären Charakter, der die Beziehungen der 14 Stefan Altorfer-Ong, Exporting Mercenaries, Money, and Mennonites. A Swiss Diplomatic Mission to The Hague, 1710–1715, in: The Republican Alternative. The Netherlands and Switzerland Compared, hrsg. v. André Holenstein / Thomas Maissen / Maarten Prak, Amsterdam 2008, 237–257; Rudolf Bolzern, Spanien, Mailand und die katholische Eidgenossenschaft. Militärische, wirtschaftliche und politische Beziehungen zur Zeit des Gesandten Alfonso Casati (1594–1621), Luzern 1982; Beatrice Bucher, Abraham Stanyan (1705–1714). Die englische Diplomatie in der Schweiz zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges, Diss. Zürich 1951; Fredy Gröbli, Ambassador Du Luc und der Trücklibund von 1715. Französische Diplomatie und eidgenössisches Gleichgewicht in den letzten Jahren Ludwigs XIV., Basel 1975; Hans Michel, Die Ambassade des Marquis de Paulmy in der Schweiz von 1748 bis 1752. Beziehungen zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft in der Mitte des XVIII. Jahrhunderts, Diss. Bern 1954; Pierre Louis Surchat; Die Nuntiatur von Ranuccio Scotti in Luzern 1630–1639 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Supplementheft 36), Rom / Freiburg / Wien 1979. 15 Wie wenig staatlichen Charakter Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit mitunter hatten, machen Figuren wie François-Louis de Pesmes de Saint-Saphorin deutlich, der als Handelsreisender in Sachen diplomatischer Beziehungen zeitweise synchron Mandate von mehreren Auftraggebern ausübte sowie dem Berner Schultheißen Johann Friedrich Willading, der treibenden Kraft hinter den bernischen Staatsanleihen im Ausland, Informationen über den Londoner Finanzplatz zuspielte (vgl. Stefan Altorfer-Ong, Die Auslandsinvestitionen bernischer Patrizier, in: Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, hrsg. v. André Holenstein u. a., Bern 2008, 157).

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Eidgenossen zu ihren Bündnispartnern prägte, hat zuletzt Christian Windler hingewiesen16. Besonders spannend wird moderne Diplomatiegeschichte, wenn die öffentliche Überlieferung aus den politischen Institutionen mit privaten Beständen zeitgenössischer Akteure verglichen werden kann17. Die zu diesem Zweck erforderlichen heuristischen Strategien gestalten sich aufwendig, und entscheidende Erkenntnisse lassen sich mitunter nur dank »zufälligen« Funden machen. Das in fortschreitender Edition begriffene Familienarchiv der Zurlauben von Zug bietet eine ideale Grundlage, um Einblicke in die Bedeutung und die Wirkungsmacht des Informellen zu gewinnen18. Personale Verflechtung wuchs und wirkte im Hintergrund der politischen Institutionen. Fallweise brachten informelle Kontakte die Mechanik der formellen Macht ins Stocken oder setzten sie sogar ganz außer Betrieb. Die Privatüberlieferung vermittelt auf Augenhöhe der Akteure Einblicke in die Gepflogenheiten halbstaatlicher Diplomatie, welche die Ziele, Strategien, Techniken und Handlungsspielräume der Handlungsträger konstituierten.

II. Akteure an und als Schnittstellen dynamischer Interaktion Die eingangs zitierten Quellen aus den Acta Helvetica veranschaulichen die multiplen Rollen, welche diplomatische Akteure aktiv, zielfokussiert und akkurat ausfüllen mussten, wollten sie effizient und auf der Höhe der politischen Geschehnisse operieren. Auf den ersten Blick fallen folgende Handlungs- und Problemfelder ins Auge: 16 Andreas Würgler, Die Tagsatzung der Eidgenossen. Politik, Kommunikation und Symbolik einer repräsentativen Institution im europäischen Kontext (1470–1798), unveröffentlichte Habilitationsschrift, Bern 2004; ders., Tagsatzung, in: HLS: www.hls-dhsdss.ch (11.02.2005); Christian Windler, ›Ohne Geld keine Schweizer‹. Pensionen und Söldnerrekrutierungen auf den eidgenössischen Patronagemärkten, in: Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Hillard von Thiessen / Christian Windler (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 36), Berlin 2005, 105–133. Windlers Beobachtungen finden ihre Bestätigung nicht zuletzt in den Berichten ausländischer Gesandter, die ihren zentralen Verwaltungsstellen periodisch Berichte über die Verhältnisse in der Eidgenossenschaft ablieferten. Vgl. dazu René Aeberhard, Die schweizerische Eidgenossenschaft im Spiegel ausländischer Schriften von 1474 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, Zürich 1941; Richard Feller, Die Schweiz des 17. Jahrhunderts in den Berichten des Auslandes, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 1 (1943), 55–117. 17 Vgl. die früheren Untersuchungen des Autors (Anm. 1). 18 Vgl. die oben gemachten Angaben zu den Acta Helvetia (Anm. 2).

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1. Diplomatie als Kommunikationsraum, in dem unzählige Personen mit jeweils divergierenden Zugängen zu Entscheidungsträgern Informationen austauschen, als Fürsprecher von Partikularinteressen auftreten oder mit schwer zu verifizierendem Insiderwissen wuchern, um personale Bindungen aufzubauen oder zu vertiefen. 2. Diplomatie als Feld vielfältiger Wechselwirkungen von Dienstbarkeiten und Abhängigkeiten, die einerseits hierarchisch überwölbt waren, andererseits aber doch fallweise wechselten oder ganz in Frage gestellt wurden. Die daraus resultierenden Loyalitätsverhältnisse waren ebenso fragil wie existentiell. Deshalb waren sie schwer zu steuern und mussten auf Zusehen permanent erneuert werden, was stetige, reziproke Investitionen aller Beteiligten erforderte. 3. Die Eigenheiten des politischen Systems der alten Eidgenossenschaft, die für die spezifischen Charakteristika der Diplomatie, wie sie unter demokratischen Vorzeichen in den schweizerischen Landsgemeindeorten betrieben wurde, verantwortlich waren. Konkret bedeutete dies: – Amtsträger und Gesandte mussten demokratisch gewählt und Begehren fremder Mächte durch plebiszitär konzipierte Verfahren sanktioniert werden, wobei allein das pekuniäre Potential der Petenten den Wahl- bzw. Abstimmungserfolg nicht garantierte. Ebenso wichtig waren der Ruf des Geschlechts (soziales Kapital), eine solide Klientel und die politische Großwetterlage19. – Parteipolitische Spaltung in Anhänger der französischen Krone einerseits und die mit Spanien-Mailand Sympathisierenden andererseits. – Bikonfessionalität in einem strukturell nur ansatzweise verfestigten Staatenbund. 4. Das Tagesgeschäft diktierte einen hohen Rhythmus, denn Tag für Tag das für sinnvolle Entscheidungen erforderliche Wissen über Geschehnisse an entlegenen Schauplätzen zu beschaffen, erforderte neben der Pflege persönlicher Kontakte einen immensen Schreib-, Kommunikations- und allenfalls auch Reiseaufwand. 5. Das Beziehungsgeflecht war vielschichtig und von komplexen Interdependenzen durchdrungen. Aus analytischer Perspektive ist die Grenze zwischen Außen und Innen schwer zu ziehen. Will man überhaupt den Begriff »Außenpolitik« verwenden, so können die multiplen Verflechtungsverhältnisse und Interdependenzen auf unterschiedlichen Ebenen nur bedingt als 19 Zum Klientelismus eidgenössisch-republikanischer Prägung vgl. die konzeptionelle Pionierleistung von Ulrich Pfister, Politischer Klientelismus in der frühneuzeitlichen Schweiz, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 42 (1992), 28−68.

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»staatlich« gelten. Die alte Eidgenossenschaft war kein homogenes Gebilde und sicherlich kein Staatswesen modernen Zuschnitts. Handelte es sich bei Kontakten eines katholischen Kantons zu anderen katholischen Orten oder zur Summe der eidgenössischen Kantone noch um Innen- oder bereits um Außenpolitik? Auch wenn die Begriffe »außen« und »innen« semantisch die Idee suggerieren, Außenpolitik sei institutionell von Innenpolitik getrennt gewesen, zeigen die üblichen Gepflogenheiten sowie im Besonderen die Aktivitäten der Familie Zurlauben deutlich, dass Außenund Innenpolitik untrennbar ineinander verflochten waren. 6. Liest man die private Korrespondenz politischer Entscheidungsträger und ihrer auswärtigen Ansprechpartner, so zeigt sich eine nicht auflösbare Durchdringung privater und öffentlicher Angelegenheiten. Teilweise entsteht der Eindruck, dass in den Briefen aus der persönlichen Schreibstube der Zurlauben Themen verhandelt wurden, die nach modernen Kriterien in die Zuständigkeit der offiziellen Zuger Kanzlei hätten fallen müssen20. Auch wenn jeweils offizielle Gesandtschaften die Rahmenverträge und Allianzen mit fremden Mächten aushandelten, mischte im diplomatischen Alltag eine Vielzahl privater Akteure mit, die mit unterschiedlicher Anbindung an beziehungsweise Unterstützung durch offizielle Institutionen ihre Interessen verfolgten. Der nur schwach ausgebaute Verwaltungsapparat der Orte in der alten Eidgenossenschaft setzte einer »staatlichen« Außenpolitik enge Grenzen. 7. Wie sind diplomatische Interventionen im grenzüberschreitenden Verkehr zu taxieren, die von Privatpersonen ausgingen – von privaten Akteuren, die synchron zu den Interessen ihres Ortes ihre persönlichen Geschäfte vorantrieben? Kann man von Außenpolitik reden, wenn Akteure zwar ihren Ort gegenüber fremden Partnern repräsentierten, gleichzeitig aber als Broker äußerer Mächte mit großem Engagement deren Interessen in den eigenen Stammlanden durchsetzten21?

20 Das Dokument AH, Bd. 25, Nr. 34, Beat II. Zurlauben an Ambassador De la Barde, 26.5.1655, lässt sich dahingehend deuten, dass besagter Zurlauben im Regelfall die gesamte Korrespondenz des Ortes Zug in korrektes Französisch redigierte. 21 Über ihre Gewährsleute nahm die Ambassade auch Einfluss auf die Verwaltung der Landvogteien in den Gemeinen Herrschaften (vgl. AH, Bd. 26, Nr. 27, Ambassador Amelot an den Landvogt im Thurgau, Beat Jakob II. Zurlauben, Solothurn, 3.11.1696). Beat Jakob II. Zurlauben machte sich im Raum Bodensee als Kundschafter für Frankreich dienstbar und lieferte gefasste Deserteure an den Ambassador aus (AH, Bd. 26, Nr. 25 f., 63, 136, 138; Bd. 27, Nr. 130).

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Die in einer ersten Rundumschau angesprochenen Aspekte sollen in den folgenden Abschnitten vertieft werden. Dabei gehe ich von folgenden Thesen bzw. Beobachtungen allgemeineren Charakters aus: 1. Die Pflege grenzüberschreitender Beziehungen war für die Eliten und die Stabilität des politischen Systems der alten Eidgenossenschaft von zentraler Bedeutung (Stichworte: Bündnisgelder, Pensionen, Soldgeschäft, Handelsprivilegien mit unverzichtbaren Gütern wie beispielsweise Salz). Außenbeziehungen waren für die Stabilität der herrschaftlichen Hierarchien und der territorialen Integrität der dreizehn Orte der alten Eidgenossenschaft die conditio sine qua non. Öffentliche Aufgaben und die Privathaushalte der bedeutenden Aristokratengeschlechter wurden zu großen Teilen aus den über Außenbeziehungen generierten Einnahmen finanziert. Insofern ist schwer zwischen staatlicher Politik und Privatgeschäften zu unterscheiden. Diesem Faktor ist beim Nachdenken über personale Verflechtung Rechnung zu tragen. 2. Das diplomatische Feld bot den Akteuren aufgrund der unsteten, diskontinuierlichen Tagespolitik kaum langfristige Sicherheiten und wenig institutionelle bzw. strukturelle Orientierungspunkte. Die Handlungsträger operierten in einer realpolitischen Umgebung, die sie von einem Tag auf den anderen mit neuen Rahmenbedingungen konfrontierte. Entscheide wurden mit permanenter, durch die Kommunikationstechnik bedingter Verzögerung getroffen. Institutionelle Kanäle für eine offizielle Außenpolitik waren kaum entwickelt. Diplomatisches Protokoll und offizielle Verhandlungen, die den Verkehr mit äußeren Partnern für die politische Öffentlichkeit in den Schweizer Stammlanden einerseits und bei den europäischen Hofdiplomatien andererseits sichtbar prägten, dienten in erster Linie zur Anbahnung, Verstetigung und effektvollen Darstellung von Beziehungen. 3. Tragfähige Kontakte und wichtige Entscheide wurden vielfach in informellem Rahmen abgewickelt. Politische Verfahren wie Wahlen, Abstimmungen und Referenden zu Sachfragen sowie zeremoniell-prozedurale Regieanweisungen – in den einzelnen Orten sowie auf der Ebene der Tagsatzung, dem Gesandtenkongress der eidgenössischen Orte – dienten nicht dem Ziel, eine langfristig konsistente außenpolitische Stoßrichtung zu definieren. Vielmehr hatten sie für die Akteure fallweise den Charakter praktischer Instrumente beziehungsweise unüberwindlicher Hindernisse bei der Durchsetzung und Legitimation der eigenen Interessen oder der Durchkreuzung gegnerischer Absichten. Die plebiszitären Verfahren in Landsgemeindedemokratien gaben der Politik eine unberechenbare Note22. 22 Nach C. Windler, Geld (Anm. 16), 115 beanspruchten beispielsweise in der Innerschweiz »die Landleute im Rahmen der Landsgemeinde auch in außenpolitischen Angelegenheiten Mitsprache«.

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4. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Akteure als Schnittstellen dynamischer Interaktion fungierten. Ob und wie diese anspruchsvolle Funktion langfristig erfolgreich wahrgenommen wurde, hing vom strukturellen Untergrund und der europäischen Großwetterlage genauso ab wie vom Charisma, den individuellen Fähigkeiten und der politischen Eleganz, welche die Akteure beim Tanz auf dem diplomatischen Parkett an den Tag legten.

III. Im Spannungsfeld widersprüchlicher Interessen Die Familie Zurlauben verdeutlicht exemplarisch, welche Herausforderungen und schwer aufzulösenden Widersprüche die im diplomatischen Terrain tätigen Magistraten als Lokal- und Tagsatzungspolitiker, Diplomaten, Soldunternehmer und Häupter weit verzweigter Sippschaften zu meistern hatten. Nicht nur sind aufgrund eines seit über drei Jahrzehnten vorangetriebenen Editionsprojektes Unmengen aussagekräftiger Quellen aus der informellen Sphäre von Politik und Gesellschaft einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht worden23. Vielmehr eignen sich die Zurlauben auch deswegen als Fallbeispiel, weil sie in mehrfacher Hinsicht einen exponierten Sonderfall darstellen. Zug war ein kleiner Kanton, im Grenzraum zwischen der katholischen Innerschweiz und dem protestantischen Vorort Zürich gelegen. Die politischen Verhältnisse waren verworren, da neben der Stadt drei gleichberechtigte Landgemeinden eigenständige Versammlungen kannten und dieselben Ansprüche auf Mitsprache und Teilnahme bei diplomatischen Missionen geltend machen durften. Weiter waren die Zurlauben auch in schwersten Zeiten treue Gewährsleute für Frankreich und verfügten über beste Verbindungen an den dortigen Hof. Zum Abschluss eines erfolgreichen diplomatischen Geschäfts im Festsaal von Versailles über das Parkett schweben zu dürfen oder von ihrer Majestät eine Privataudienz gewährt zu bekommen, stellte für die Innerschweizer Magistraten die Krönung einer erfolgreichen politischen Karriere dar. Um in den Genuss dieser seltenen Gnade zu kommen, mussten sich die Politiker in ihrem Hauskanton eine solide Stellung erkämpfen und diese dauerhaft behaupten, denn politische Ämter im Heimatort inne zu haben war die Voraussetzung für die regelmäßige Delegation an eidgenössische oder mindestens katholische Tagsatzungen, wo die französischen Interessen verteidigt werden mussten. Die regelmäßige Präsenz an den eidgenössischen Gesandtenkongressen multiplizierte das Beziehungsnetz und erleichterte langfristig den Zugang 23 Vgl. Anm. 2.

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zu den an außenpolitische Kontakte gekoppelten Geld- und Machtressourcen. Für auswärtige Mächte waren in der Eidgenossenschaft Politiker als Geschäftspartner nur attraktiv, wenn sie an den Schalthebeln der Macht saßen. Das Wahlvolk wollte von seinen politischen Häuptern bei Laune gehalten werden. Diese mussten vor Abstimmungen und Wahlen in Form von Gratismahlzeiten, Geldspenden und der Vertretung von Partikularinteressen bei den ausländischen Botschaftern vertikale Loyalität demonstrieren24. Schon kurze Ortsabwesenheiten, die sich häufig nicht vermeiden ließen, führten zu Erosionserscheinungen an der Position gestandener Honoratioren. Als Beat II. Zurlauben im November 1637 in politischer Mission ins Wallis reiste, nutzte sein damaliger Widersacher, der Fleischer Wolfgang Wickart, den er insgeheim auch als »Metzgerhund« taxierte, diesen Moment, um einige Geschäfte gegen Zurlaubens Willen durch die Zuger Gremien zu peitschen. Zurlauben durchschaute Wickarts rustikale Strategien: Dieser warte immer »uff sölche occasion, das ich nur nit darby sye«. Und »die Purst«– als »Burschen« bezeichnete Zurlauben also das politische Personal in seinem Städtchen – »volgt uff der stell, bloß weil Wickart Zfressen und Zsuffen hat«25. Ein Keller voll Fleisch war offenbar ein effektives Instrument und in gewissen Fällen offenbar auch das bessere Argument als wenn man – wie die Zurlauben – über Generationen das Amt des Verteilers der französischen Pensionen bekleidete. Letzteres war eine zwiespältige Ehre: Kam das fremde Geld regelmäßig und pünktlich, fanden das alle in Ordnung und normal. Blieben die fremden Gelder aus, fiel dies negativ auf die Familie zurück, bürgte sie doch für den großen Partner. Frankreich erwies sich als chronisch unzuverlässiger Schuldner – eine Belastung für die Stellung der Zurlauben. In Krisenzeiten der Krone wurden die Zurlauben gar Zielscheibe gehässiger Anfeindungen. Teilweise ging es in den Gemeindeversammlungen so hitzig zu, dass man »usswüethen« lassen musste, bevor wieder sachlich diskutiert werden konnte. So wurde immer wieder der Vorwurf geäußert, der französische König und der Ambassador mischten sich in innere Angelegenheiten Zugs ein. Beschwichtigungsversuche wie das Argument, Frankreich wolle für 24 Zum Wechselspiel von materieller Reziprozität und politischer Loyalität vgl. Daniel Schläppi, Das Staatswesen als kollektives Gut. Gemeinbesitz als Grundlage der politischen Kultur in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, in: Neue politische Ökonomie in der Geschichte, hrsg. v. Johannes Marx / Andreas Frings, Köln 2007, 169–202. 25 AH, Bd. 67, Nr. 109, Notizen von Beat II. Zurlauben zu Geschehnissen während seiner Abwesenheit zur Bündnisbeschwörung im Wallis, 4.11.1637. – Zur Problematik längerer Ortsabwesenheiten vgl. auch AH, Bd. 25, Nr. 34, Beat II. Zurlauben an Ambassador De la Barde, 26.5.1655; AH, Bd. 31, Nr. 32, 1651/1652, Notizen Beat II. Zurlauben zu den Verhandlungen des Stadtrates von Zug (Donnerstag, den 7.12.1651).

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Zug nur das Beste, überzeugten nicht, im Gegenteil: An einer Bürgergemeinde im Jahr 1634 erklärte Lorenz Frei, ein Zuger Bürger ohne jegliche herausragende politische Bedeutung, er wolle mit dem »lumpen« – damit meinte er den französischen Ambassador – nichts zu tun haben26. Mit vergleichbaren Schwierigkeiten hatten auch in den anderen Orten jene Geschlechter zu kämpfen, die mit den Zurlauben die unerschütterliche Verbundenheit zu Frankreich teilten. Die Parteifreunde korrespondierten und kooperierten rege miteinander. Solche geschäftlich und ideell motivierten Kontakte mündeten etwa im Fall der Reding in Schwyz auch in verwandtschaftliche Allianzen. Beat II. Zurlauben und Wolf Dietrich Reding waren schon als Jugendliche zur Ausbildung und ersten Solddiensterfahrungen zusammen nach Paris geschickt worden, wo sie die Grundlage zu einer langen Freundschaft legten27. Bemerkenswerterweise unterhielten die Angehörigen der Franzosenpartei auch Beziehungen zu Franzosenfreunden in den protestantischen Orten, so beispielsweise nach Zürich. Konsens bezüglich Außenaffinität überwog dabei konfessionelle Gegensätze. Gut organisierte, konfessionsübergreifende Seilschaften konnten bei der Interessenvertretung innerhalb der Eidgenossenschaft sehr effizient sein. Allerdings drohte den informellen Gefolgschaften die Gefahr, vom mächtigen äußeren Partner instrumentalisiert zu werden. Frankreich zögerte nicht, seine helvetischen Kombattanten gegeneinander auszuspielen und mit ungleichen Versprechen und Belohnungen Konkurrenz und Zwist zwischen ihnen zu säen, um sie auf diese Weise zum äußersten Einsatz für die französische Sache anzustacheln. Im Fall der Zurlauben war die Verquickung mit Frankreich so eng, dass sie mehrmals wöchentlich mit dem Ambassador oder mindestens mit einflussreichen Vertretern aus dessen Solothurner Entourage in Verbindung standen. In dieses Milieu wurden durch gezielte Verheiratung von Zurlauben-Töchtern mit Söhnen aus den Familien, die traditionell Botschaftssekretäre stellten, familiäre Verbindungen aufgebaut. Diese verwandtschaftlichen Verflechtungen erleichterten es, regelmäßig zu den zahlreichen von den Botschaftern organisierten Festivitäten eingeladen zu werden, um dort die bereits bestehenden Beziehungen zu vertiefen und von den Gastgebern reich beschenkt zu werden. Der privilegierte Zugang zu den auswärtigen Vertretern der französischen Monarchie räumte den treuen Parteigängern eine gewisse Priorität im Botschaftsbetrieb ein. Auch nach Paris beziehungsweise Versailles bestanden direkte Verbindungen. So hatte die Familie dort eigene Kontaktleute, die beim 26 AH, Bd. 17, Nr. 52, Notizen zur Bürgergemeinde vom 27./30.8.1634, 8.9.1634. 27 D. Schläppi, Akteure (Anm. 1), 65.

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Heereskommando oder in der Bürokratie des Secrétaire d’État de la Guerre für die familiären Soldgeschäfte antichambrierten. Die Zurlauben stellten lange Zeit eine königliche Gardekompanie, deren Offiziere kraft ihres Amtes regelmäßig im Dunstkreis des Hofes verkehrten. Da sie mehrheitlich dem engeren Familienkreis entstammten, spielten sie als Interessenvertreter und Informationslieferanten der Zuger Schaltzentrale eine entscheidende Rolle. Standen wichtige Positionen der Familie auf dem Spiel, bemühten sie sich vielfach erfolgreich um eine Privataudienz beim König28. Das langfristige Wohl der Kernfamilie und der weit verzweigten Verwandtschaft war Mittel und Zweck der Außenbeziehungen in einem. Wenn Verwandte nicht selber an Schaltstellen der Macht saßen, verfügten sie immerhin über mittelbare Zugänge zu Entscheidungsträgern oder zählten mindestens zu deren informellem Umfeld, wo einschlägige Informationen kursierten. Kooperation innerhalb der Sippschaft war eine Grundbedingung, um die Stellung des Clans langfristig zu konsolidieren und nach Möglichkeit auszubauen. Um die vorhandenen personellen und symbolischen Ressourcen so gewinnbringend wie möglich einzusetzen, wurde innerfamiliäre Arbeitsteilung betrieben. Sie hatte zum Ziel, eine auf diversen Standbeinen ruhende, grenzüberschreitende Familienökonomie am Laufen zu halten. Entsprechend schlugen die Nachkommen jeweils unterschiedliche Laufbahnen im Soldwesen sowie in Politik und Verwaltung, seltener auch Kaufmannschaft oder Kirche ein. Der Verband erwartete vom Einzelnen den Verzicht auf individuelle Entfaltung, der seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert aber immer weniger selbstverständlich geleistet wurde. Das Geschlecht der Zurlauben hatte seinen Zenit überschritten, der Niedergang war eine Frage der Zeit. Es brauchte das Zusammenwirken mehrerer Umstände, bis der politische Niedergang der Familie im Zuger Harten- und Lindenhandel von 1728–1736 besiegelt wurde29. Systemisch betrachtet konnten die multiplen Verflechtungen eine einzelne Störung über substitutive Funktionsstränge im Netzwerk problemlos ausgleichen. Erst Pannen an mehreren Schlüsselstellen versetzten das System in einen labilen Zustand. Die finale Krise wurde durch das Zusammenspiel folgender Faktoren ausgelöst: Schwerer Verzug der französischen Pensionszahlungen schürte in der Eidgenossenschaft eine zunehmend ablehnende Stimmung gegen Frankreich. Weil die Ambassadoren ihre Schweizer Partner in dieser Lage zu wenig unterstützten, litten die üblicherweise guten 28 AH, Bd. 32, Nr. 77, Heinrich I. an Beat II. Zurlauben, 22.3.1638. 29 Renato Morosoli, ›Harten- und Lindenhandel‹, Kanton Zug, in: HLS: www.hls-dhsdss.ch (27.11.2007); Fabian Brändle, Demokratie und Charisma. Fünf Landsgemeindekonflikte im 18. Jahrhundert, Zürich 2005, 165–210.

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Beziehungen der Familie zur Ambassade. War das Misstrauen erst geweckt, schlug dies nachhaltig auf die wechselseitige Loyalität und Unterstützungsbereitschaft zurück. Massiven Schaden richtete insbesondere der usurpatorische Herrschaftsstil Fidel Zurlaubens an. In Verbindung mit der missbräuchlichen Bewirtschaftung des staatlichen Zuger Salzhandels verstieß sein Regiment gegen verbreitete Auffassungen, wie eine gerechte Regierung auszusehen hatte. Die polarisierende Persönlichkeit Fidel Zurlaubens und seine allgemein konstatierte Charakterschwäche spalteten die Familie. Selbst getreue Gefolgsleute und Freunde der Zurlauben versagten der Familie mit der Zeit die Unterstützung. Schließlich brauchte es auch noch einen charismatischen und agilen Widersacher, der es schaffte, die Landsgemeinde gegen die Aristokraten zu mobilisieren. Erst die Verbindung all dieser Umstände führte dazu, dass die Zuger nach diversen Tumulten das Soldbündnis mit Frankreich auflösten. Damit verloren die zuvor funktionierenden und rentablen Verflechtungen der Zurlauben ihre Bedeutung. Der Unwillen des empörten Stimmvolks entzündete sich nicht zuletzt an den Insignien französischer Kultur, welche die Zurlauben als Ausdruck ihrer lebenspendenden Verbindung zur Großmacht in Form von Kleidern, Sprache, Orden usw. als stratifizierende Statussymbole zur Schau trugen30. So waren die repräsentativen Räume des Zurlaubenhofs in Zug mit den Porträts aller französischer Könige dekoriert. Männliche Nachkommen studierten ganz selbstverständlich in Frankreich. Mädchen wurden in Klosterpensionaten oder von Bekannten mit französischer Prägung sozialisiert (zum Beispiel in Solothurn). Das Flair für französische Kultur sowie die ökonomischen und politischen Verflechtungen zu Frankreich waren in Zug auch für einfache Leute erkennbar, die nur als Zaungäste an der hohen Politik partizipierten31. Die Zurlauben 30 Von der zentralen Bedeutung ausländischer Kultur im Feld der symbolischen Kommunikation zeugt das Verhalten des Kontrahenten der Zurlauben im Harten- und Lindenhandel Joseph Anton Schumachers, eines erklärten Franzosenfeindes. Er weigerte sich, mit dem französischen Ambassador in französischer Sprache, die er bestens beherrschte, zu konversieren. Er trug seine Tiraden vielmehr in Latein vor (Jacob Amiet, Culturgeschichtliche Bilder aus dem Schweizerischen Volks- und Staatsleben, zur Blüthezeit des französischen Einflusses auf die Aristokratien der Schweiz, St.Gallen 1862, 144). 31 F. Brändle, Demokratie und Charisma (Anm. 28), 58 ff., 108 liefert entsprechende Argumente. Bemerkenswert ist sein Hinweis auf Albrecht von Hallers Urteil über den letzten männlichen Repräsentanten des Geschlechts, Beat Fidel Anton Zurlauben, der »ein wenig gelittener ›Geck‹, ja sogar ein allseits verhasster ›Anbeter Frankreichs‹« gewesen sei (S.  67). – Vgl. außerdem Georg Carlen, Der König von Frankreich als Stifter und Schenker. Französische Präsenz im schweizerischen Barock, in: Unsere Kunstdenkmäler 39 (1988), 304–322; Josef Grünenfelder, Das Landtwingkabinett in der Zuger Burg, in:

Diplomatie im Spannungsfeld: Das Beispiel von Zug

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betrieben »Akkulturation auf Distanz«, das heißt sie kultivierten das Französische in der entlegenen Diaspora der bäuerlichen Innerschweiz. Diese kulturelle Absetzung stellte einerseits ein exklusives symbolisches Kapital dar, barg aber auch Zündstoff für gehässige Anfeindungen durch die in der bodenständigen Heimatkultur verwurzelten politischen Gegner. Standen die Zeichen schlecht für Frankreich, waren die Zurlauben in den Augen der Landleute plötzlich bloß noch erbärmliche Helfershelfer.

IV. Schlussfolgerungen Als treue Parteigänger Frankreichs waren die Zurlauben in zahlreichen Handlungsfeldern gefordert. Sie hatten die Interessen Frankreichs und des in Solothurn sitzenden Ambassadoren in Zug, in den katholischen Orten und in der ganzen Eidgenossenschaft durchzusetzen. Gleichzeitig waren die von partizipativen Verfahren geprägten politischen Institutionen der Alten Eidgenossenschaft schwer zu steuern. In einem Landsgemeindeort wie Zug, wo neben der Stadtgemeinde und dem dortigen Rat auch noch das politisch weitgehend autonome Amt (bestehend aus drei dörflichen Gemeinden im Umland) in die taktischen Überlegungen mit einzubeziehen war, beruhte Politik wesentlich auf Face-to-Face-Handeln. Man kannte die Wortführer und Parteigänger der gegnerischen außenpolitischen Faktion persönlich. Bei der Pflege von Außenbeziehungen durchdrangen und beeinflussten sich unterschiedliche Handlungsebenen und Formen der Verflechtung. Um nach Außen nachhaltig zu wirtschaften, mussten die Akteure in einem komplexen Geflecht multipler Interdependenzen und widersprüchlicher Interessenlagen den Überblick behalten. Erfolgreiches Management sich überlagernder Beziehungsfelder bedingte nachhaltige Pflege und Bewirtschaftung von Informationsnetzen unter Gleichgesinnten, Kooperation unter Parteigängern sowie beständigen Kontakt mit ausländischen Ambassadoren, höfischen Bürokratien und der erweiterten Verwandtschaft. Diese Beziehungen waren von spezifischen Interessen und Loyalitätserwartungen durchdrungen, die sich teilweise widersprachen. Eine große Herausforderung stellte das republikanische Moment dar, welches den Akteuren eine Politik in mindestens vordergründigem Einvernehmen mit den Landleuten auferlegte. Das Stimmvolk der Urschweiz war schon Tugium 2 (1986), 92–116; Rolf E. Keller, Kontinuität und Wandel bei Darstellungen der Schweizer Geschichte vom 16.–18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 41 (1984), 111–117, 115.

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in der Frühen Neuzeit fallweise schlecht auf Außenbeziehungen zu sprechen, obwohl seine Prosperität von ihnen abhing. Inmitten all dieser divergierenden Interessen saßen die Diplomaten und mussten versuchen, es allen politischen Mitspielern einigermaßen recht zu machen. Beat II. Zurlauben formulierte es stellvertretend für viele seiner Zeitgenossen: Es gehe ihm genau gleich, wie es schon seinem Vater ergangen sei. Er habe viel »Landtsgmeindcostens und andrer umbcosten uffen Tagsazungen«, die Politik komme ihn teuer zu stehen. Dafür bekomme er aber von »niemandt dankh, sonders nuer das widerspil«32.

32 AH, Bd. 5, Nr. 103, Beat II. an Heinrich I. Zurlauben, 7.11.1633.

Verhandeln in der Frühen Neuzeit: Vom Orator zum Diplomaten Von Jean-Claude Waquet

An der Börse der wissenschaftlichen Werte erfuhr das Konzept der Verhandlung am Ende des 20. Jahrhunderts einen steilen Kursanstieg, nimmt man etwa die Resultate einer von jedermann durchführbaren Analyse auf der Grundlage der Dissertation Abstracts International als Maßstab. Dabei zeigt sich nämlich, dass der Begriff »negotiating«, der vor 1970 in lediglich zwölf Dissertationstiteln auftaucht, zwischen 1970 und 1979 38, zwischen 1980 und 1989 53, zwischen 1990 und 1999 278 und schließlich in den vier ersten Jahren des folgenden Jahrzehnts ganze 210 Mal erscheint. Diese Explosion lässt sich durch die Aufmerksamkeit erklären, welche die universitäre Forschung insbesondere im Anschluss an die Arbeiten von Erving Goffman und James Scott dem ausgehandelten Charakter von Diskursen, Normen, Identitäten und sozialen Beziehungen beizumessen pflegt. Sie verweist zudem auf die Entwicklung des spezifischen Forschungsfeldes der Negotiation Studies, das ab den 1960er Jahren einen großen Aufschwung verzeichnete1. Die Resultate dieser Studien fanden wiederum Niederschlag in der Diplomatiegeschichte, die in den letzten Jahren wichtige Neuerungen erfahren hat – nicht nur durch Arbeiten, welche die Rolle interpersoneller Netzwerke stark hervorheben2, sondern auch durch Studien zu den Dynamiken interkultureller Interaktion3. In diesem Kontext ist die Verhandlung, verstanden als eine friedliche und ergebnisoffene Praxis, zu einem gesonderten Untersuchungsgegenstand der 1 Für einen Überblick zu diesem Studienbereich vgl. die Synthese von Guy-Olivier Faure, Négociation, in: Dictionnaire de sociologie, hrsg. v. André Akoun / Pierre Ansart, Paris 1999, 360–362. 2 Siehe insbes. Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Römische Mikropolitik unter Papst Paul  V. Borghese (1605–1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, Tübingen 2004; Tobias Mörschel, Buona amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien, Mainz 2002; Christian Wieland, Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621), Köln / Weimar / Wien 2004; Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 36), Berlin 2005. 3 Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’autre. Consuls français au Maghreb, 1700–1840 (Bibliothèque des Lumières, 60), Genf 2002; ders., Diplomatie et interculturalité: les consuls français à Tunis, 1700–1840, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 50 (2003), 63–91.

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Geschichtsforschung geworden. Diesem Gegenstand sind die folgenden Ausführungen gewidmet. Wir beziehen uns dabei zum Teil auf Resultate einer kollektiven Untersuchung von face-to-face-Unterredungen in der diplomatischen Praxis seit dem Mittelalter4. Zudem wird auf Erkenntnisse zurückgegriffen, die der Verfasser aus der Analyse sowohl von theoretischen Texten – insbesondere der Manière de négocier avec les souverains von François de Callières5 – als auch von schriftlichen Zeugnissen der Verhandlungspraxis gewonnen hat. Unter letztere fallen namentlich die Depeschen des Kardinals d’Ossat, Agent Heinrichs IV. in Rom6, von Monseigneur de Forbin-Janson, Gesandter Ludwigs XIV. im Großherzogtum Toskana7, des Marquis de La Chétardie, Repräsentant Ludwigs XV. in Sankt Petersburg8, von DominiqueVivant Denon, chargé d’affaires Ludwigs XVI. in Neapel9, sowie des Auditors 4 Siehe Paroles de négociateurs. L’entretien dans la pratique diplomatique de la fin du Moyen Âge à la fin du XIXe siècle, hrsg. v. Stefano Andretta / Stéphane Péquignot / Marie-Karine Schaub / Jean-Claude Waquet / Christian Windler, Rom 2010. Mehrere der Aufsätze dieses Bandes werden im Folgenden zitiert: Eva Kathrin Dade, Une diplomatie féminine: Les entretiens des négociateurs étrangers avec Madame de Pompadour; Marie-Karine Schaub, Avoir l’oreille du roi: l’ambassade de Pierre Potemkin et Simeon Roumiantsev en France en 1668; Hillard von Thiessen, Switching Roles in Negotiation: Levels of Diplomatic Communication between Pope Paul V Borghese (1605–1621) and the Ambassadors of Philip III; Jean-Claude Waquet, Le juge face au soldat? Conflit, communication et marchandage dans les entretiens entre l’auditeur Angeli et le maréchal Carafa (Milan, 1691–1692); Christian Windler, Les pratiques de l’entretien à l’épreuve des différences de culture politique et confessionnelle: une mission milanaise auprès des cantons suisses en 1565. 5 Jean-Claude Waquet, François de Callières. L’art de négocier en France sous Louis XIV, Paris 2005. 6 Jean-Claude Waquet, Arnaud d’Ossat, ou l’art de négocier, in: Negociar en la Edad Media / Négocier au Moyen Âge (Actas del coloquio celebrado en Barcelona los días 12, 13 y 14 de octubre del 2004), hrsg. v. María Teresa Ferrer Mallol / Jean-Marie Moeglin / Stéphane Péquignot / Manuel Sánchez Martínez, Barcelona 2005, 389–407. 7 Jean-Claude Waquet, L’ambassadeur, son domestique et son maître: trois conceptions de la négociation sous Louis XIV, in: Papes, princes et savants dans l’Europe moderne. Mélanges à la mémoire de Bruno Neveu, hrsg. v. Jean-Louis Quantin / Jean-Claude Waquet, Genf 2007, 237–251. 8 Jean-Claude Waquet, Diriger la politique, subir l’histoire: les diplomates français et les révolutions de la cour de Russie (1740–1741), in: Complots et conjurations dans l’Europe moderne. Actes du colloque international organisé par l’École française de Rome, Rome, 30 septembre – 2 octobre 1993, hrsg. v. Yves-Marie Bercé / Elena Fasano Guarini, Rom 1996, 203–230. 9 Jean-Claude Waquet, Dominique-Vivant Denon, négociateur sans lendemain, in: Vivant Denon. Colloque de Chalon-sur-Saône, le 24 mai 2003, Chalon-sur-Saône 2003, 67–84; ders., Dans le guêpier napolitain, in: Négocier sur un volcan. Dominique Vivant Denon

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Pietro Angeli, der in Mailand als Repräsentant des toskanischen Großherzogs Cosimos III. mit dem Marschall und kaiserlichen Bevollmächtigten Antonio Carafa verhandelte10. Gestützt auf diese Berichte, welche die konkreten Verhandlungen in ausgestalteter und gefilterter Form wiedergeben, soll zuerst dargelegt werden, dass die Frühe Neuzeit zunächst von einer »Erfindung« der Verhandlung geprägt war und sodann – mit dem Erscheinen von François de Callières’ Manière de négocier (1716) – vom Bestreben, die Diplomatie über die Verhandlungspraxis auf Akteursebene zu denken. Ausgehend von der vereinfachten, ja idealisierten Darstellung Callières’ werden anschließend die der face-to-face-Interaktion inhärenten Herausforderungen der Kommunikation in den Blickpunkt gerückt, soweit sie sich in der Frühen Neuzeit im Kontext einer diplomatischen Verhandlung stellten. Sich diesen Herausforderungen zu stellen, bedeutete, eine »Verhandlungsart« (manière de négocier) ins Leben zu rufen, die darauf abzielte, eine Antwort auf die Dilemmata zu finden, vor die sich jeder Unterhändler gestellt sah, und von der man sich erhoffte, dass sie so effizient wie möglich sei. Die Verschiedenheit dieser Verhandlungsarten sowie deren langfristige Homogenisierung im Kontext eines zunehmend normierten Verhaltens werden Gegenstand des letzten Teils der vorliegenden Ausführungen sein.

I. Das Problem und seine Erkennung Man hat – natürlich – schon immer verhandelt. Aber man hat die Verhandlung nicht immer als gesonderten, insbesondere von der Rechtssprechung zu unterscheidenden Prozess gedacht. Das Mittelalter war gemäß den Beiträgen eines jüngst veröffentlichten Sammelbandes mit dieser reflexiven Vorgehensweise wenig vertraut11. In der Frühen Neuzeit vollzog sich hingegen eine Entwicklung im Sinne einer »Erfindung« oder Loslösung der Verhandlung als gesonderte Praxis mit eigenen Verfahrensweisen und spezialisiertem Personal. Um sich davon zu überzeugen, braucht man weniger auf die Traktate de legatis et legationiet sa correspondance de Naples avec le comte de Vergennes (1782–1785), hrsg. v. Françoise Janin, Brüssel 2007, ix–lxxvi; ders., Lente dégénérescence, imminente révolution: Dominique-Vivant Denon, voyageur et négociateur dans le royaume des Deux-Siciles, in: Les fruits de la récolte. Études offertes à Jean-Michel Boehler, hrsg. v. Jean-François Chauvard / Isabelle Laboulais / Christine Lebeau, Strassburg 2007, 437–456. 10 Jean-Claude Waquet, Le juge face au soldat? (Anm. 4). 11 Vgl. die Beiträge des Sammelbandes Negociar en la Edad Media (Anm. 6), und ihre Besprechung in Jean-Claude Waquet, Négocier au Moyen Âge: la négociation avant la négociation?, in: Francia 35 (2008), 537–547.

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bus zu verweisen, die von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an vermehrt erschienen und vor allem vom Botschafter, seinem Rang und seinen Privilegien handelten12, als vielmehr auf die etwas später erfolgende Verbreitung von Werken mit Titeln wie Ambassades et négociations oder Négociations bestimmter Unterhändler. Diese schweren Bände bestanden aus Sammlungen diplomatischer Korrespondenzen, die aufgrund der Bedeutung der Angelegenheiten und des Geschickes der an den Verhandlungen Beteiligten für beispielhaft gehalten wurden13. Sie machten die Anerkennung einer Aktivität oder eines spezifischen Handlungswissens geltend, welches anhand einiger Ausnahmepraktiker wie d’Ossat, Bassompierre oder d’Avaux veranschaulicht wurde. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begannen die Wörterbücher von Richelet, Furetière oder der Akademie das Verb »Verhandeln« (négocier) und das Substantiv »Verhandlung« (négociation) immer genauer zu definieren: Verhandeln, so kann man darin lesen, bedeutete nicht mehr wie einstmals »eine Beschäftigung, eine Arbeit, eine zu erfüllende Aufgabe« (avoir une occupation, un travail, une besogne à accomplir), sondern gemäß Furetière, »zwischen Privatpersonen« oder »im Namen der Fürsten« ein bestimmtes »Geschäft zu behandeln« (traitter une affaire entre les particuliers [oder] au nom des Princes). Die Verhandlung, so entschieden ihrerseits die vierzig Mitglieder der Akademie, müsse verstanden werden als »Kunst und Handlung« (art et action), ein »Geschäft« (affaire) zu verhandeln. Illustriert wurde dies durch Beispiele, die zu einem guten Teil dem Kontext der Außenbe12 Zu diesen Schriften vgl. neben den älteren Studien von Jules Jusserand, L’École des ambassadeurs, Paris 1934, und von Garrett Mattingly, Renaissance Diplomacy, Boston / Cambridge 1955, auch die neueren Publikationen von Daniel Ménager, Diplomatie et théologie à la Renaissance, Paris 2001; Maurizio Bazzoli, Ragion di Stato e interesse degli Stati. La trattatistica sull’ambasciatore dal XV al XVIII secolo, in: Nuova Rivista Storica 86 (2002), 283–328, und Stefano Andretta, L’arte della prudenza. Teoria e prassi della diplomazia nell’Italia del XVI e XVII secolo, Rom 2006. Wir erwarten auch die Publikation der Dissertation von Heidrun Kugeler, ›Le parfait ambassadeur‹. The Theory and Practice of Diplomacy in the Century following the Peace of Westphalia, Ph. D. Oxford 2006; vgl. einstweilen dies., ›Le parfait Ambassadeur‹. Zur Theorie der Diplomatie im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, in: Internationale Beziehungen in der frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, hrsg. v. ders. / Christian Sepp / Georg Wolf, Münster 2006, 180–211. 13 Siehe etwa: Lettres et ambassade de Messire Philippe Canaye, seigneur de Fresne, Paris 1635/1636; Ambassades et négociations de l’illustrissime cardinal Du Perron, Paris 1623; Négotiation de Monsieur le maréchal de Bassompierre envoyé ambassadeur en Angleterre de la part du Roi Très Chrétien, en 1626, Köln 1668; Négociations de Monsieur le comte d’Avaux en Hollande, depuis 1679 jusqu’en 1684, Paris 1751/1753; Ambassades et négociations de Monsieur le Comte d’Estrades, en Italie, en Angleterre et en Hollande, depuis l’année 1637 jusqu’en l’année 1662, Amsterdam, 1718.

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ziehungen entstammten14. Daraufhin schickte sich ein Akademiemitglied und Botschafter – Callières – nicht nur an, in seiner kurzen Manière de négocier avec les souverains die Geheimnisse der Botschaften zu offenbaren, sondern auch die eigentlichen Elemente der »Verhandlungskunst« (art de négocier), die er als Instrument eines »gesonderten Berufs« (profession à part) präsentierte15. Andere, zuerst Pecquet, dann de Félice, folgten ihm16. Parallel dazu publizierte Mably seine Principes de la négociation. Mit ihm wurde die »Verhandlungskunst« – und dies stellte eine weitere Konsekration dar – zum Gegenstand einer philosophischen Kritik, die sie auf ein Instrument der Intrige im Dienst der egoistischen Interessen der Fürsten ohne jegliche Rücksichtsnahme auf das grundlegende Interesse der Völker reduzierte17. Die Verhandlung war also in der Frühen Neuzeit im Aufstieg begriffen. Ihre Identifizierung als gesonderte Aktivität, bald schon gebunden an ein eigenständiges Wissen – die »Verhandlungskunst« – kann als eine Folge der Intensivierung des zwischenstaatlichen Austauschs und der damit verbundenen Zunahme von Verhandlungen zwischen den Fürsten und ihren Repräsentanten gedeutet werden. Sie geht zudem mit einem doppelten Autonomisierungsprozess einher: zum einen in Bezug auf die Rechtssprechung, von welcher sie die Menschen des Mittelalters noch kaum trennen konnten, weil jede konkrete Verhandlung ad instar litis wahrgenommen und verstanden wurde18; zum anderen gegenüber der Repräsentation, die weiterhin eingesetzt wurde, um auf symbolische Weise eine Position oder einen Herrschaftsanspruch auszudrücken. Repräsentation stellte zugleich ein wichtiges Mittel dar, um anderen Parteien – Freunden oder Feinden – bestimmte Zeichen zu übermitteln und blieb aufgrund der Konflikte, die sie auslösen konnte, ein permanenter Gegenstand von Verhandlungen, die aber nicht zuletzt aufgrund ihres öffentlichen 14 Vgl. Négocier, in: Antoine Furetière, Dictionnaire universel, Den Haag / Rotterdam 1690; Négociation, in: Dictionnaire de l’Académie françoise, Paris 1694. 15 François de Callières, De la manière de négocier avec les souverains, Paris 1716, neu ediert in J.-C. Waquet, L’art de négocier (Anm. 5), 175–268 (die Passage zur Verhandlung als profession à part findet sich auf S. 254). 16 Antoine Pecquet, Discours sur l’art de négocier, Paris 1737; Fortuné Barthélémy de Félice, Des Négotiations, ou de l’Art de Négocier (1773), in: Charles de Martens, Guide diplomatique […]. Nouvelle édition, Paris 1837, Bd. I, 347–380. 17 Gabriel Bonnot de Mably, Principes des négociations pour servir d’introduction au droit public de l’Europe (1757), hrsg. v. Marc Belissa, Paris 2001. Siehe hierzu auch den Beitrag von M. Belissa in diesem Band sowie insbes. ders., La diplomatie et les traités dans la pensée des Lumières: négociation universelle ou école du mensonge?, in: Revue d’Histoire Diplomatique 113 (1999), 291–317. 18 Jean-Marie Moeglin, Introduction: heurs et malheurs de la négociation du Moyen Âge à l’époque moderne, in: Negociar en la Edad Media (Anm. 6), 5–26.

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Charakters zusehends im Widerspruch zur Verhandlung gesehen wurde. So etwa bei Callières, der eine strikte Trennung zwischen dem öffentlichen Raum der Repräsentation, Bühne des Botschafters als »Abbild« und Ort konzessionsloser Verteidigung der Ehre seines Herren, und dem geheimen Raum der Verhandlung, Tätigkeitsbereich des »gewandten Individuums ohne Glanz« (particulier habile et sans éclat), orientiert an den Kriterien des Nutzens und der Effizienz, einführte19. Der Aufstieg und die Verselbständigung der Verhandlung brachte zwingend auch die mit ihr in Zusammenhang stehende Person hervor: gemeint ist weniger der Botschafter, als vielmehr der Unterhändler (négociateur), dessen Profil – eindeutig unterschieden von jenem des mit Geld und Wechselbriefen hantierenden Kaufmanns (négociant) – bald sowohl in Lexika als auch theoretischen Schriften behandelt wurde20. François de Callières verlieh ihm in seiner Manière die Züge eines klugen, gewandten und vor allem auch für Leidenschaften unempfänglichen Praktikers, der die Hebel einer zugleich rationalen und vollkommenen Kunst betätigte und den stets beeinflussbaren Willen der gewöhnlichen, von ihrer Eigenliebe und anderen Affekten beherrschten Menschen als Ansatzpunkt für sein Schalten und Walten betrachtete. Die auswärtige Politik, so Callières, müsse der Obhut dieses anerkannten Spezialisten anvertraut werden; seine moralische Überlegenheit, seine Fähigkeit, Situationen zu analysieren, sowie seine Geschicklichkeit würden es ihm immer erlauben, seine Verhandlungspartner in die Hand zu nehmen und mit ihnen den Verlauf der Ereignisse und den Gang der Geschichte21. 19 Jean-Claude Waquet, Le négociateur et l’art de négocier dans l’Europe des princes: du ministre public à l’envoyé secret, in: Secret et république, 1795–1840, hrsg. v. Bernard Gainot / Pierre Serna, Clermont-Ferrand 2004, 39–56. 20 Verwendet von Montaigne (Essais, 3/1) und aufgenommen von Randle Cotgrave (A Dictionarie of the French and English tongues, Londres 1611), erhält der Begriff »négociateur« bei Abraham de Wicquefort (L’ambassadeur et ses fonctions, La Haye 1681, I, 12) einen »diplomatischen« Sinn, indem er sich seiner bedient, um den Begriff des »ambassadeur« genauer zu bestimmen: Der Botschafter sei kein Unterhändler und nicht jeder Unterhändler ein Botschafter. Es brauche deshalb, schreibt Wicquefort an anderer Stelle (I, 117), quelque distinction entre le Ministre et le Négotiateur, parce que tout Négotiateur n’est pas Ministre. »Négociateur« erhält anschließend einen zentralen Platz bei François de Callières, dessen Abhandlung mehr dem Unterhändler als dem Botschafter gewidmet ist (J.-C. Waquet, L’art de négocier [Anm. 5], 79). Schliesslich dient der Begriff »négociateur« bei Jean-Nicolas Démeunier dazu, jenen zu bezeichnen, der eine spezifische Aufgabe erfüllt, nämlich die diplomatische Verhandlung; er bezeichnet gleichermassen den ministre public wie den négociateur sans qualité (Économie politique et diplomatique [Encyclopédie méthodique], Paris 1784/1788, I, 137, III, 338). 21 J.-C. Waquet, L’art de négocier (Anm. 5), 133–169.

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Die Verhandlung stellte sich hier als Technik zur indirekten Kontrolle der Welt dar, die über das Schicksal der Staaten entschied, sich aber auf der Stufe einer Dreierbeziehung abspielte, die den Fürsten, seinen Unterhändler und einen auswärtigen Dritten umfasste. Das direkte Aufeinandertreffen der zwei letztgenannten Akteure faszinierte den Autor der Manière und regte ihn zu den besten Seiten seines Werks an22. Weniger lebhaft war dagegen Callières’ Interesse für eine Vielzahl von Aspekten, die in konkreten Verhandlungssituationen ebenfalls sehr präsent waren. Tatsächlich verteidigte der Unterhändler in der Praxis häufig zugleich die Interessen seiner Familie, seiner Protektoren und seines Herren, nahm verschiedene Rollen ein, diente mehreren Herren, hatte Feinde innerhalb des eigenen Lagers und Freunde oder Unterstützung im anderen Lager, unterhielt gleichzeitig Kontakte zu verschiedenen Verhandlungspartnern und wusste sein Vorgehen stets von Verhandlungen durchkreuzt, die parallel zu seiner liefen. Callières nahm mit anderen Worten eine Perspektive ein, die es nicht erlaubte, vollumfänglich der verworrenen Lage eines Carafa in Mailand oder eines Denon in Neapel Rechung zu tragen, ganz zu schweigen von der hochkomplexen Situation, in welcher sich zum Beispiel die spanischen Botschafter bei Papst Paul V. Borghese wiederfanden, wie es jüngst Hillard von Thiessen untersucht hat23. Callières’ Sicht war vereinfacht, wenn sie sich auf die doppelte Beziehung des Unterhändlers zu seinem Herrn auf der einen und zu seinem Verhandlungspartner auf der anderen Seite konzentrierte. Sie war idealisiert, wenn sie zwischen Unterhändler und Verhandlungspartner eine moralische Asymmetrie postulierte, die sicherlich den Notwendigkeiten einer Apologie der Verhandlungskunst entgegenkam, dabei aber Gefahr lief, sich in der Realität nicht zu bestätigen24. Callières kam trotzdem ein Verdienst zu: Er hatte über den Umweg der Verhandlung das Problem der Diplomatie im Hinblick auf deren Akteure aufgeworfen, die face-to-face-Begegnung zwischen singulären Figuren in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestellt sowie schließlich die Frage des adäquaten Verhaltens in der jeweiligen Verhandlungssituation thematisiert. Im Folgenden werden wir von der idealisierten Sichtweise der Verhandlung und der Verhandlungsart, wie sie durch den Botschafter Ludwigs XIV. präsentiert wurde, übergehen zu einer Überprüfung zum einen der 22 Siehe insbes. das Kapitel mit dem Titel Observations sur les manières de négocier (F. de Callières, De la manière [Anm. 15], 234–237). 23 Zu Denon vgl. J.-C. Waquet, Dans le guêpier napolitain (Anm. 9). Zu Carafa, ders., Le juge face au soldat? (Anm. 6). Zu den spanischen Botschaftern in Rom: H. von Thiessen, Switching Roles in Negotiation (Anm. 4). 24 J.-C. Waquet, L’art de négocier (Anm. 5), 168.

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konkreten Bedingungen der face-to-face-Interaktion, zum anderen der Vielfalt der »Arten«, nach welchen die Interaktionen tatsächlich geführt wurden – durch Personen, die letztlich weit davon entfernt waren, dem von Callières propagierten Modell zu entsprechen.

II. Das face-to-face und seine Herausforderungen Das Quellenkorpus, auf das wir uns im Folgenden im Hinblick auf die Frage der diplomatischen face-to-face-Verhandlung stützen werden, umfasst die Schriften eines Praktikers – d’Ossat25 –, den Callières geradezu als Modell betrachtete. Mit Forbin-Janson26, Angeli27, La Chétardie28 und Denon29 enthält es zudem die Korrespondenz von Personen, die in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert agierten – jener Zeit also, in der die Verhandlungskunst immer mehr als gesonderte Aktivität verstanden wurde. Es ist folglich nicht abwegig, die Erfahrung dieser Unterhändler mit dem gewissermaßen als Idealbild skizzierten Aufriss Callières’ zu konfrontieren. Die Depeschen d’Ossats, Denons und anderer waren als Korrespondenz mit einem Hof, dem sie von den in der Ferne geführten Gesprächen berichteten, Teil einer Kommunikationsdynamik, die den Unterhändler über multiple Kanäle – briefliche und mündliche – an seine nahen und fernen Partner band: seine ausländischen Verhandlungspartner, seinen Herrn und dessen Minister oder auch seine eigenen Kollegen, Freunde und Protektoren. Seine Beziehungen zu auswärtigen Höfen betrafen öffentliche Angelegenheiten und waren normalerweise auf der Ebene der Freundschaft angesiedelt, welche das erklärte 25 Die vollständigste Edition seiner Briefe ist jene von Nicolas-Abraham Amelot de La Houssaye: Lettres du cardinal d’Ossat, avec des notes historiques et politiques […], nouvelle édition corrigée sur le manuscrit original, considérablement augmentée et enrichie de nouvelles notes […], qui ne se trouvent point dans la dernière édition de Paris de 1697, 5 Bde., Amsterdam 1708. 26 Die Texte von Forbin-Janson, auf die wir uns hier beziehen, sind jene zu seiner Mission in Florenz bei Cosimo III. de’ Medici und Marguerite Louise d’Orléans. Sie wurden publiziert von François Duffo, Mgr de Janson, évêque de Marseille, à la cour de Toscane, Année 1673, Paris 1929. 27 Dessen Depeschen finden sich in: AS Firenze, Mediceo del Principato 2663 (Dezember 1691–April 1692). 28 Die berücksichtigten Schriftstücke stammen aus seiner Mission nach Sankt Petersburg 1740/41. Sie wurden teilweise publiziert in Sbornik imperatorskago russkago istoricekago obscestva, Bd. 86 (Sankt Petersburg, 1893), 92 (1894), 96 (1896), 100 (1897) und 105 (1899). Die Originale finden sich in MAE, CP Russie, Bd. 37–39. 29 Négocier sur un volcan (Anm. 9).

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Ziel jeder Gesandtschaft darstellte. Wenn sie auf etwas Weitergehendes abzielten, war dies der Aufrichtigkeit des Unterhändlers zuzuschreiben. Denn Kommunizieren lief nach d’Ossat vor allem darauf hinaus, bei anderen »Vertrauen und Sicherheit« (confiance et asseurance)30 hervorzurufen, sogar wenn die beiden Parteien durch schwerwiegende Differenzen entzweit waren. „Sich einschmeicheln« (s’insinuer) war ein anderer Begriff, von dem oft Gebrauch gemacht wurde. Als Indiz für die inhärente Ambiguität jeder diplomatischen Beziehung verrät der Begriff den Willen nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zur Beherrschung, der den Unterhändler antrieb und ihn wünschen ließ, seine Kontrolle über das Bild, das er von sich selbst gab, auf die Situationen und Ereignisse, die zu meistern seine Aufgabe war, und folglich auch auf die Menschen, von welchen die Realisierung dieser zwei Ziele abhing, auszuweiten. Der Wortschatz der Depeschen drückt diesen Anspruch aus: Man sprach darin nicht nur vom Herstellen des Vertrauens, sondern auch davon, »eine Antwort« aus dem Gegenüber »zu ziehen« (tirer quelque réponse)31, es zu einer vernünftigen Lösung »zu bringen« (réduire)32 oder aber seine Kräfte »zu benutzen« (employer)33. Kurz: Zur Herausforderung der Kommunikation in Konfliktsituationen kam die Herausforderung der durch Vertrauen zu errichtenden Kontrolle hinzu. Auf einer sehr allgemeinen Ebene betrachtet setzte die Kommunikation voraus, dass man sich auf einen Rahmen einigte – formelle oder private Audienz, gesellschaftliches Gespräch, Bankett oder Versammlung. Nach Callières war dies auch eine Angelegenheit des persönlichen Charakters, weshalb sie sich zum Nachteil desjenigen wendete, dessen Nähe und Umgang andere abstießen. Doch die Lektüre unserer Korrespondenzen – wie übrigens auch jene der Historiographie – zeigt zur Genüge, dass die Frage der Kommunikation sich zunächst auf der Ebene der kulturellen und sozialen Normen stellte. Wenn bestimmte Individuen in diesem Bereich eine Rolle spielten, dann auch aufgrund der Beherrschung dieser Normen, ihrer Fähigkeit, sich ihnen anzupassen und ihrer gegenseitigen Bereitschaft, sie weiterzuentwickeln, wenn nicht gar zu erfinden, um eine Ebene des Einvernehmens mit ihren Verhandlungspartnern zu finden. Diese stets wandelbare Ordnung war – um den Ausdruck Vergennes’ aufzunehmen – jene der »Regeln des Anstands« (règles de bienséance)34. Sie betraf sowohl das Zeremoniell als auch die Umgangsformen 30 31 32 33 34

Lettres du cardinal d’Ossat (Anm. 25), I, 320. Ebd., 292. F. Duffo, Mgr de Janson (Anm. 26), 56. MAE, CP Russie, Bd. 38, 189v (4.11.1741). Négocier sur un volcan (Anm. 9), 514.

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sowie allgemeiner die Bedingungen der verbalen und nonverbalen Interaktion. Dank der Konventionen, die sie begründete, gelang es dem Auditor Angeli und dem Marschall Carafa, zwei vollkommen gegensätzlichen Persönlichkeiten, die sich dazu noch in einer Lage tiefgehenden Konflikts befanden, zwischen sich eine Situation des Austausches zu etablieren und diese trotz unaufhörlicher Konfrontation aufrechtzuerhalten. Wenn sich die zwei Personen indessen nicht auf bestimmte geteilte Ressourcen hätten beziehen können, hätten sie diese erfinden oder aber die Verhandlung abbrechen müssen. Denn die erste und wichtigste Ressource aller Verhandlungen – besonders in Gesellschaften, die wie jene der Frühen Neuzeit der Ehre und dem Erscheinen große Bedeutung zumaßen – war jene der Kommunikationsregeln; und einer der größten Trümpfe der europäischen Diplomatie der Frühen Neuzeit war es, auf ein adliges Personal zählen zu können, das, im Gebrauch der gesellschaftlichen Höflichkeitsformen und im Umgang der französischen Sprache bewandert, in dieser Doppelkompetenz eine gemeinsame Plattform für einen immer wieder erneuerten Dialog fand. Was die Kontrolle betrifft, setzte diese beim Unterhändler ein Analysevermögen voraus, das auf die Aufdeckung dessen ausgerichtet war, was Machiavelli einst unter dem Namen der verità effectuale beschrieben hatte35: eine letztlich operative Wahrheit, die zugleich die Position der Partner, ihre Dispositionen, Intentionen, die Bedürfnisse, die sie empfanden, die Zwänge, denen sie ausgesetzt waren und die Werte, die sie verwirklichen sollten, einschloss. Diese Wahrheit kam umso leichter zum Vorschein, wenn man das Geheimnis des anderen durch Beobachtung, Spionage oder Geld aufdecken konnte. Daraus ließen sich indes keine richtigen Schlüsse ziehen, wenn der Unterhändler nicht bereits über ein sicheres Urteil verfügte, das die Informationen gewichtete und in einen passenden Referenzrahmen integrierte. D’Ossat brillierte in dieser Kunst. Und bei seiner Ankunft in Sankt Petersburg versuchte sich der Marquis de La Chétardie auf seine Weise darin. Seine Aktivität bestand darin, eine »fortwährende und exakte Verknüpfung« (continuelle et exacte combinaison)36 zwischen den verschiedenen Elementen, die sich seinem Blick darboten, zu suchen, ihre »Umstände« (circonstances) zu bemessen, zwischen ihnen »Verbindungen« (connexions) herzustellen, sie auf »Prinzipien« (principes) zu beziehen und auf dieser komplexen Grundlage zu »moralischen Gewissheiten« (certitudes morales) zu gelangen37.

35 Der Fürst, Kap. 15. 36 Nach der Formulierung von A. Pecquet, Discours (Anm. 16), xxxi. 37 Sbornik (Anm. 28), 86, 543; ebd., 92, 60 f.

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Kontrollieren hieß demnach zunächst, über die Wahrheit der Dinge zu entscheiden. Aber es bedeutete zugleich auch, Herr seines eigenen Bildes zu bleiben und, wenn möglich, auch Herr jenes der anderen. Auch war die Verhandlung zum Teil ein Aushandeln von Identitäten. Diese waren sowohl in der Präsentation seiner selbst als auch in der Konstruktion der Verhandlungspartner und Dritter begründet und bildeten den Gegenstand eines immer wieder aufgenommenen Spiels, in dem jeder sich bemühte, sich selbst und die anderen in der Identität, die hinsichtlich der eigenen Interessen am vorteilhaftesten war, zu bestärken. D’Ossat profilierte sich so in seinen Briefen an den König als treuer Diener und kluger Ratgeber, wollte aber zugleich vom Papst als ein »wahrhaftiger und verschwiegener« (véritable et secret)38 Unterhändler gesehen werden. Clemens  VIII. und er stritten sich über das wahre Wesen Heinrichs IV., der für d’Ossat ein aufrichtiger Katholik und treuer Anhänger des Heiligen Stuhls, für den Papst aber ein Büßer und zweifelhafter Konvertit war. Diese in der Dynamik des Austauschs und in Abhängigkeit von den Gesprächspartnern und Bedürfnissen geschmiedeten Identitäten waren diskursive Konstrukte, die in den Verhandlungen als Argumente eingesetzt werden konnten. Weder beständig noch einmalig, konnten sie sehr offen als widersprüchlich erlebt werden: So etwa, wenn sich Angeli und Carafa beide gleichzeitig die Figur des Gesandten aneigneten, der gezwungen sei, seinen Verhandlungspartner wider seine persönlichen Neigungen zu verärgern, um sich darauf als Freund und Diener zu präsentieren, der trotz der treuen Ergebenheit den Medici oder den Habsburgern gegenüber leider davon abgehalten werde, ihnen beizustehen. Neben den Menschen mussten auch die Situationen in Betracht gezogen werden. Dabei war es essentiell, die Wahrnehmung derselben zu kontrollieren, indem man die andere Partei veranlasste, religiöse, philosophische, politische, juristische, militärische, historische oder andere Urteilskriterien anzunehmen, die es erlaubten, die Umstände und ihre mögliche Entwicklung in einem für die eigenen Absichten günstigen Licht zu sehen. Mit anderen Worten: Die Tatsache war nicht das einzige, worum es ging; es war vielmehr deren Interpretation, die zählte. Die eigene Interpretation durch Überlegungen, deren Legitimität man etablieren musste, glaubwürdig erscheinen zu lassen, war das sicherste Mittel, die andere Partei dazu zu nötigen, ihre »wahren Interessen« (véritables intérêts)39, wie Callières es nannte, zu entdecken und sie damit zu den Konzessionen oder Deklarationen zu bringen, die man von ihr wünschte. Die Verhandlung bestand infolgedessen oft darin, einen Standpunkt, den man 38 Lettres du cardinal d’Ossat (Anm. 25), I, 320. 39 F. de Callières, De la manière (Anm. 15), 210, 247.

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seinem Verhandlungspartner aufzudrängen trachtete, immer wieder zu wiederholen: So ging Forbin-Janson vor, gemäß seinem Sekretär mit dem Risiko, in eine indiskrete Eindringlichkeit zu verfallen40; oder auch Angeli, dessen nie erliegender Ehrgeiz dahin ging, den widerstrebenden Carafa von der Richtigkeit seiner Thesen zu überzeugen. Es blieb schließlich noch, dies alles in Bewegung zu setzen, indem man die Analyse der Positionen, die Konstruktion der Identitäten und die Interpretation der Situationen verknüpfte, um daraus im Rahmen der gegebenen Kommunikationsnormen die größten Vorteile zu ziehen. Der Unterhändler stieß an dieser Stelle auf die Grenzen seiner Freiheit. Denn sein Herr verhielt sich nicht immer wie Kaiser Leopold, von dem Carafa behauptete, er lasse ihm den größtmöglichen Spielraum. Vielmehr agierte er ganz im Gegenteil oft wie Vergennes, der nicht aufhörte, den unglücklichen Denon einzuengen und zu tadeln. Die Partner des Unterhändlers versuchten vor allem, sich dessen Fängen zu entziehen, und der Unterhändler selbst bemühte sich, den Fäden, mit welchen ihn seine Gegenüber einzuschnüren trachteten, zu entrinnen. Auch stellte sich allen Beteiligten die Frage der Alternativen, die sich zum Verhandlungspartner, zu den auf dem Verhandlungsweg erreichbaren Lösungen oder zu den als inakzeptabel beurteilten Vorschlägen der anderen Partei boten. Dieses Problem durchzieht die Depeschen von Angeli, die auf jeder Seite den Wunsch des Auditors, den Verhandlungspartner zu wechseln, die Drohung des Marschalls, die Waffen gegenüber der Diplomatie vorzuziehen und die Verbissenheit aller, sich seinen eigenen Vorschlägen zu widersetzen, zum Ausdruck bringen. Mehrere Fallstricke konnten diese komplexe Dynamik zum Scheitern bringen. Zunächst war dies die Unmöglichkeit oder zumindest die große Schwierigkeit, die Kommunikation in Gang zu bringen, sei es, weil – wie in Venedig – das lokale Recht alle Gespräche mit fremden Gesandten verbot, weil Konventionen diese Unterredungen schwierig machten, wie dies in Versailles mit der Marquise de Pompadour der Fall war, oder weil der Verhandlungspartner sich auf eine eindeutige Parole festlegte und sich dem Dialog verschloss, wie dies den nach Frankreich entsandten russischen Botschaftern in der Zeit Ludwigs XIV. passierte41. Schwierigkeiten solcher Art zeigen sich indes kaum in den Texten, 40 Der Bericht dieses Sekretärs Serre de Lamayène unter dem Titel »Relation d’un voyage que j’ay fait en Italie l’an 1673« publiziert durch François Duffo, Un voyage en Italie au XVIIe siècle. Les voyages littéraires. Voyages en Languedoc et en Provence, Paris 1930, 66–74. 41 Siehe E. K. Dade, Une diplomatie féminine (Anm. 4), und M.-K. Schaub, Avoir l’oreille du roi (Anm. 4).

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auf die wir uns stützen. Dagegen tauchen hier kritische Situationen auf, in denen die üblichen Kommunikationscodes außer Kraft gesetzt wurden, wobei derjenige, der gegen sie verstieß, sie zwar kannte, aber das Risiko einging oder auch das Ziel verfolgte, die diplomatische Beziehung in eine Krise schlittern zu lassen. So agierten die Verhandlungspartnerinnen von Forbin-Janson und von Denon, Margherita-Luisa von Toskana und Maria Carolina von Neapel, wenn sie durch ihre gewalttätigen Mittel und ihre »sonderbaren Auftritte« (étranges scènes)42 die friedliche und regelgeleitete Praxis der Unterhändler durchbrachen. Auf diese Art ging auch Denon vor, indem er sich, als er nicht mehr auf den guten Willen seiner neapolitanischen Verhandlungspartner zählen konnte, in die Haltung des unbestechlichen Anklägers versetzte und sich ostentativ einer paradoxen Diplomatie der Konfrontation verpflichtete. Die schlimmste denkbare Situation war jedoch das Fehlen oder der Verlust der Kontrolle. Eine solche Situation konnte nicht nur aufgrund von Übergängen und Ereignissen, die den Gang der Verhandlungen in völlig neue Bahnen warfen, eintreten, sondern auch aufgrund einer Kommunikationskrise, einer fehlerhaften Analyse der Positionen, einer ungenügenden Interpretation der Situationen, einer ungeeigneten Darstellung derselben, dem Fehlen von Alternativen oder, im Gegenteil, der Umsetzung einer Ersatzlösung durch die Gegenpartei. Als gewiefter Unterhändler entging d’Ossat dieser Art von Misserfolg. Forbin-Janson dagegen überschätzte die Richtigkeit seiner Auffassungen, gleich wie La Chétardie, der, so scheint es, in seiner Beurteilung der russischen Innenpolitik westliche Maximen und Stereotype zu weit trieb. Denon verlor ebenfalls jede Kontrolle über die Situation, wie er an anderer Stelle bitter vermerkte. Sie alle erfuhren damit das Schicksal, das dem glücklosen Unterhändler vorbehalten blieb: die Geschichte nicht lenken zu können, wie Callières es vorschrieb, sondern ihr ausgeliefert zu sein.

III. Die Unterhändler und ihre Verhandlungsarten Wer eine solche Desillusion vermeiden wollte, stellte sich vorgängig die Frage nach der Verhandlungsart, die am besten geeignet wäre, um das Entgegenkommen der Gegenpartei zu erzielen. Auch hier führte Callières ein Idealprofil ein, das er an der Person des »klugen und gewandten Unterhändlers« (sage et habile négociateur) festmachte43. Die bereits zitierten Depeschen sowie die oben erwähnten Resultate der Forschungen über die diplomatische Un42 Négocier sur un volcan (Anm. 9), 620. 43 F. de Callières, De la manière (Anm. 15), 238.

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terredung bestätigen jedoch die Diversität der in konkreten Verhandlungen angewandten Vorgehensweisen zu einer Zeit, in welcher der Beruf des Diplomaten noch lange nicht gefestigt war und die Interaktionssituationen sich sehr vielfältig gestalteten. Im Austausch konstruiert, im Gebrauch konsolidiert und fortwährend durch die Reaktion der Anderen auf die Probe gestellt, oszillierten diese Verhandlungsarten zwischen Solennität und Informalität wie auch zwischen Geselligkeit und Aggressivität. Sie unterschieden sich gleichermaßen in anderen Merkmalen, berücksichtigt man den Raum, den sie – je nach Ort und Zeit – der argumentativen Strategie und den Emotionen, der geschmückten Eloquenz und der gewandten Konversation, der »Wissenschaft der Welt« (science du monde)44 und jener der Diplomatie einräumten. Sie konnten auch aus der Perspektive der Spannung zwischen »Gewissensstandpunkt« (point de la conscience)45, wie es d’Ossat ausdrückte, und Interesse gesehen werden; oder sie konnten in Bezug gesetzt werden zum von den Autoren so oft diskutierten Dilemma zwischen der wahrheitsgemäßen Aussage, welche die Reputation der Redlichkeit begründete, und der Praxis der Dissimulation, die es erlaubte, verdeckt vorzugehen, aber auch mit dem Risiko einherging, für falsch gehalten zu werden. Die Verhandlungsarten konfigurierten sich somit als mehr oder weniger stabile und erfolgreiche Verfahrensweisen, die sich zwischen offenen Optionen und konträren Zwängen im Innern eines Universums vollzogen, das eine Vielzahl von Möglichkeiten vorzeichnete. In Bezug auf die Frühe Neuzeit unterschied Harold Nicolson dennoch lediglich zwei Verhandlungsarten, die eine feudal, militärisch und brutal, die andere bürgerlich, merkantil und friedlich46. Die Berücksichtigung von Situationen der Interkulturalität, bei welchen sich im Austausch neue Normen herausbildeten, hätte sicher dazu beigetragen, diese Klassifikation zu erweitern. Zudem ist es offenkundig, dass sich die Situation auch zwischen den europäischen Staaten viel komplexer präsentierte als dies der berühmte englische Essayist behauptete. Nehmen wir zum Beispiel den kürzlich von Christian Windler präsentierten Fall eines Obwaldner Notabeln in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Seine Art, mit den Gesandten des Gouverneurs von Mailand zu verhandeln, war nicht nur direkt, sondern auch vollkommen merkantil und hätte die Verhandlung auf ein einfaches Geschäft reduziert, wenn er von sei44 Um den Titel eines anderen Werkes von François de Callières aufzunehmen: De la science du monde et des connoissances utiles à la conduite de la vie, Paris 1717. 45 Lettres du cardinal d’Ossat (Anm. 25), I, 310. 46 Harold Nicolson, Diplomacy, Oxford 1969, 25–26.

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nen Verhandlungspartnern aus Mailand die entsprechende Geldsumme erhalten hätte47. Oder nehmen wir den Auditor Angeli: Seine Verhandlungsart war die eines Richters, der mit seinen Dossiers vertraut war und die Tatsachen sehr vorsichtig beurteilte, immer wieder auf Rechtsfragen zu sprechen kam, in gelehrter Weise auf Rechtsgrundsätze Bezug nahm, fromm die Religion heranzog, Mittel der Eloquenz zum Einsatz brachte, die Kontroverse schätzte, die Launen verachtete, sich noch mehr den Leidenschaften widersetzte und entschieden auf die überzeugende Wirkung einer gemäßigten und gut abgestützten, auf gewichtigen und unabweisbaren Argumenten beruhenden Vernunft setzte. Doch wusste sein Verhandlungspartner, Marschall Carafa, damit absolut nichts anzufangen. Er erklärte, er wisse nur als Soldat zu verhandeln, er interessierte sich weder für das Recht noch für die Religion, rühmte den Pragmatismus und betrachtete die Notwendigkeit als seine Bibel, Machiavelli als seinen Lehrmeister und sein Interesse als Richtschnur des Handelns. Auch trug er seine Freimütigkeit zur Schau, glänzte in der Dissimulation, gefiel sich in Selbstgerechtigkeit, argumentierte ohne Gnade, fluchte ohne Unterhalt, drohte ohne Scham, und zählte im Grunde vor allem auf die Kraft seines Sprechens und der zynischen Manipulation der Emotionen Anderer. Einer anderen Art von Unterhändler lässt sich der Kardinal d’Ossat zuordnen, der sich weder im Richter noch im Marschall wiedererkannt hätte. Seine Verhandlungsart war weniger juristisch als jene Angelis und sanfter als jene Carafas. Politisch in ihren Kriterien, eigennützig in ihren Zielen, gemäßigt in ihren Wegen und konventionell in ihrer Form setzte sie vor allem auf die Herstellung von Vertrauen und stellte die Vernunft in den Dienst nicht nur einer realistischen Analyse der Lage, sondern auch einer geschickten psychologischen Manipulation und einer immer wieder aufgenommenen Suche nach Auswegen. Dieser Verhandlungsmodus besaß im Vergleich zu jenem des Auditors ein gewisses Maß an Geschmeidigkeit und Informalität und zeichnete sich im Vergleich zu jenem des Marschalls durch eine Neigung zur Bescheidenheit, Sanftheit und Diskretion aus. Callières sollte sich später darin wiedererkennen, was wenig überrascht. Vier verschiedene Verhandlungsweisen stehen damit Seite an Seite: eine merkantile, eine juristische, eine militärische und eine weltgewandt-politische. Diese Vielfalt der Verhandlungsarten verweist auf jene der Akteure – Notabel eines Schweizer Kantons, italienischer Magistrat, kaiserlicher General und französischer Kirchenmann –, die nichts dazu prädisponierte, dieselben Verhaltensregeln zu teilen. Aber mit der Zeit wurde die Gesellschaft der Un47 Siehe C. Windler, Les pratiques de l’entretien (Anm. 4). Die Episode betrifft den Landvogt Heinrich Wirz aus Obwalden.

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terhändler homogener, sei es auf der Basis einer häufig anzutreffenden, die Unterhändler miteinander verbindenden adligen Herkunft, sei es aufgrund der langsamen Entstehung einer zusehends professionellen Konzeption des Unterhändlers. Die Ausdrucksweisen und die Kenntnisse erneuerten sich außerdem grundlegend im Laufe der Jahrhunderte. Es stellt sich damit die Frage nach der Entwicklung der Verhandlungsarten im Zusammenhang mit den allgemeinen kulturellen Wandlungsprozessen und nach einer eventuellen Reduktion auf eine einzige und einzigartige Norm des Verhandelns. Wir behaupten keineswegs, ein derart komplexes Problem in einigen Worten lösen zu können. Wenn wir gleichwohl riskieren sollten, eine Spur zu öffnen, so würde diese wahrscheinlich über drei Worte führen, die nacheinander Konjunktur hatten. Es sind dies die Worte »orator«, dessen größte Beliebtheit mit der Renaissance zusammenfällt, »négociateur«, das im 18. Jahrhundert besonders beliebt war, und »Diplomat«, das nach 1790 auftrat. Der Erfolg des orators ist häufig mit den Qualitäten der Eloquenz in Bezug gesetzt worden, die von einem Botschafter erwartet wurden48. Der Begriff steht auch im Zusammenhang mit einer stark auf die Rede zentrierten Verhandlungsart, die noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Embaxador von Vera sehr präsent ist, 48 Wenngleich der orator ursprünglich auf die römische Figur der legati oratores, die durch den Senat ernannt wurden, zurückgegangen ist (Riccardo Fubini, Classe dirigente ed esercizio della diplomazia nella Firenze quattrocentesca. Rappresentanza esterna e identità cittadina nella crisi della tradizione comunale, in: I Ceti dirigenti nella Toscana del Quattrocento, Florenz 1987, 158–170, 133, n. 60), setzt sich im Anschluss doch eine Angleichung an den Redner im Allgemeinen durch (siehe z. B. Fridericus de Marselaer, Legatus, Amsterdam 1644, 4: Legatus vero etiam Orator appellatus est. Orator, inquam, ab oratione: ore enim et sermone magis, quam litteris negotia tractat: vel tum maxime aptus huic muneri, cum facundia excellens). Der Begriff (orator, oratore) hatte seit dem Spätmittelalter massgeblichen Erfolg in Italien und anderswo in Europa (Donald E. Queller, The Office of Ambassador in the Middle Ages, Princeton 1967, 63; Pierre Chaplais, English Diplomatic Practice in the Middle Ages, Hambledon / London 2003, 157–158; Christina Lutter, Politische Kommunikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die diplomatische Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495–1508), München 1998, 32, 85; dies., Bedingungen und Formen politischer Kommunikation zwischen der Republik Venedig und Maximilian I., in: Gesandtschafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa, hrsg. v. Rainer C. Schwinges / Klaus Wriedt, Ostfeldern 2003, 191–223, 200; Charles Giry-Deloison, La naissance de la diplomatie moderne en France et en Angleterre au début du XVIe siècle (1475–1520), in: Nouvelle revue du seizième siècle 5 (1987), 41–58; Eugenio Dupré-Theseider, Niccolò Machiavelli diplomatico, Bd. 1: L’arte della diplomazia nel Quattrocento, Como 1945, 92). Noch 1611 definiert R. Cotgrave, A Dictionarie (Anm. 20), Orator als Spokesman, Arguer, Pleader, Advocate, Embassador. Im 17. Jahrhundert hörte der Begriff indes zusehends auf, im Sinne von Botschafter verwendet zu werden.

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welcher der Ansprache viel Platz einräumte49. Diese Art verlor indes an Kredit zugunsten einer anderen, die Konversation stärker gewichtende Verhandlungsart, die bereits bei d’Ossat präsent war und durch Callières theoretisiert wurde. Ihr Held war nicht mehr der orator, sondern der négociateur50, eine strategisch handelnde und zugleich mit den höfischen Umgangsformen vertraute Figur, orientiert am honnête homme und bewandert in der »Wissenschaft der Welt«, das heißt einem gesellschaftlichen Wissen mit allgemeiner Reichweite. Dann geriet das Buch Callières’ in Vergessenheit und die »Wissenschaft der Diplomatie« wurde zur Referenz, während jene der »Welt« in den Hintergrund trat. Diese Entwicklung lässt sich etwa an einem »Plan des Studiums und des Betragens« (plan d’étude et de conduite), verfasst am Ende des 18. Jahrhunderts durch einen commis der Monarchie51, und später am berühmten Guide diplomatique von Charles de Martens52 ablesen. Die Bezeichnung des négociateur oder Unterhändlers, der vor allem auf die face-to-face-Interaktion verwies, wurde ersetzt zugunsten eines Begriffs, dessen Semantik eher auf die Welt der Schrift, noch präziser auf die Wissenschaft der Verträge verweist: »Diplomat«53. Die Entwicklung könnte also mit einer zunehmenden Aufwertung zweier Verhandlungsarten – die eine rede-, die andere gesprächszentriert – begonnen haben. Diese entsprachen sich insofern, als sie vor allem auf der Beherrschung sozialer Regeln und eloquenter Sprache aufbauten und durch ein nicht spezifisch professionalisiertes Personal in die Praxis umgesetzt werden konnten, wenngleich sie nur den kenntnisreichsten sozialen Gruppen zustanden. Weder die eine noch die andere war jedoch imstande, als etablierte und exklusive Norm eines Berufsfeldes aufzutreten, das im Übrigen noch gar nicht existierte. Die Verhandlungsart des Gesprächs wurde aufgewertet durch jene, die wie Callières danach strebten, aus der Verhandlung eine »gesonderte Profession« 49 Dies, indem er eine Zusammenstellung der schönsten Ansprachen der Botschafter der Antike anführt (El Embaxador, Sevilla 1620, discurso quarto, 123 f.). 50 Zum Auftauchen dieses Begriffs vgl. oben, Anm. 20. 51 Über diesen Plan d’étude et de conduite pour un jeune homme qui se destine aux Affaires étrangères (1786 oder 1787) siehe Alain Ruiz, Aux origines de la diplomatie contemporaine: de l’ambassadeur improvisé à la formation du spécialiste (d’après un manuel inédit de la fin de l’Ancien Régime), in: Revue d’histoire diplomatique 87 (1973), 38–95. 52 C. de Martens, Guide diplomatique (Anm. 16). 53 Die erste Verwendung von »Diplomat« wird allgemein auf das Jahr 1792 für die französische Sprache (Dictionnaire historique de la langue française, hrsg. v. Alain Rey, Paris 2000) und auf 1813, was das Englische betrifft (The Oxford English Dictionary, Oxford 1989), datiert. 1808 definierte Raxis de Flassan die Diplomatie als l’expression par laquelle on désigne depuis un certain nombre d’années la science des rapports extérieurs, laquelle a pour base les diplômes ou actes écrits émanés des souverains (zit. n. A. Ruiz, Aux origines [Anm. 51], 50).

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zu machen. Aber eine im Vergleich zur Vergangenheit hegemonialere Verhaltensnorm sollte sich letztlich erst später, im Rahmen der Verbindung dieser wesentlich gesellschaftlichen Kunst mit der Wissenschaft der Diplomatie und durch die Praxis eines sich bildenden diplomatischen Corps ausbilden.

IV. Schlussfolgerungen Wenn man in einigen Worten die Frühe Neuzeit aus der Sicht der Geschichte der Verhandlung charakterisieren müsste, sollte der Schwerpunkt nicht oder nicht nur auf die Tatsache gelegt werden, dass man in dieser Zeit viel verhandelte und man deshalb auch oft – wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg – die doppelte Herausforderung der Kommunikation und der Kontrolle im Kontext des Austausches zwischen Unterhändlern lösen konnte. Als aussagekräftiger stellen sich drei Entwicklungen heraus, deren Wichtigkeit zu unterstreichen legitim erscheint. Die erste bestand in der Entdeckung oder zumindest der Identifizierung der diplomatischen Verhandlung als losgelöste Praxis und als eigenständiger Reflexionsgegenstand im Rahmen eines intensivierten Austauschs zwischen den Staaten. Die zweite bestand in dieser Reflexion selbst und damit im mehrmals unternommenen Versuch, das Wesen und die Regeln der Verhandlungskunst zu beschreiben oder theoretisch zu definieren. Die dritte Entwicklung schließlich spielte sich – zumindest auf der Ebene des innereuropäischen Austauschs – auf der Ebene der Konstruktion, Erneuerung und zunehmenden Normierung von Verhandlungsarten ab. Dies geschah in einer dreifachen Beziehung erstens zu Codes und rhetorischen sowie gesellschaftlichen Kenntnissen, zweitens zur Praxis der Gesandtschaften und der Bildung eines diplomatischen Corps sowie schließlich drittens zur spezifischen Reflexion der Verhandlungskunst und der diplomatischen Wissenschaft. Zugleich darf aber die relative Ungewissheit nicht erstaunen, die weiterhin das Funktionieren der Verhandlungsbeziehungen belastete. Diese konnte sowohl aus der Verschiedenheit der beteiligten Verhandlungsarten in face-to-faceSituationen als auch aus dem festen Willen einzelner Akteure, durch bewusste Missachtung der existierenden Kommunikationscodes den Austausch in eine Krise zu führen, resultieren. Außerdem war – wie bereits aufgezeigt – dem Ziel der Kontrolle der Ereignisse durch das Individuum nicht immer Erfolg beschieden. Der Unterhändler fand sich folglich immer der heiklen Aufgabe ausgesetzt, Rechenschaft über Abweichungen von den gesetzten Zielen abzulegen. Er konnte darin nur erfolgreich sein, wenn er sich als fähig erwies, die Darstellung der Information, die er an den Hof sandte, von Tag zu Tag oder

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eher noch von Depesche zu Depesche neu auszuhandeln. Mit anderen Worten: Die Frage der diplomatischen Verhandlung stellte sich nicht nur gegenüber den auswärtigen Verhandlungspartnern. Sie betraf auch die Beziehungen des Unterhändlers zu seinem Herrn und wirkte so zurück auf die Korrespondenz, die ebenfalls Herausforderungen der Kommunikation und Kontrolle stellte. Es stellte sich dabei insbesondere das Problem der Wahrheit und mit ihm die Frage nach dem Abfassen der Briefe, die sich nach einigen Theoretikern auf die Darstellung der verità effectuale beschränken, für andere wiederum in die Kunst verwandeln sollte, die Tatsachen so darzustellen, dass sie den Herrn am ehesten überzeugten54. Die Verhandlung bewirkte damit eine Art von Bewegung von der Alterität zur Wahrnehmung als Teil einer gleichen Gruppe, von der Stimme zur Feder und von der Interaktion im fernen Land zum Austausch zwischen Abwesenden. Aber damit spielte sie sich weiterhin auf der gleichen Ebene ab: auf jener der Akteure. Übersetzung aus dem Französischen: Nadir Weber

54 Jean-Claude Waquet, La lettre diplomatique: vérité de la négociation et négociation de la vérité dans quatre écrits de Machiavel, du Tasse et de Panfilo Persico, in: Politique par correspondance. Les usages politiques de la lettre en Italie (XIVe–XVIIIe siècle), hrsg. v. Jean Boutier / Sandro Landi / Olivier Rouchon, Rennes 2009, 43–56.

Humanismus, Gelehrtenrepublik und Diplomatie: Überlegungen zu ihren Beziehungen in der Frühen Neuzeit Von Sven Externbrink

Der moderne Staat, das europäische Staatensystem und die moderne Wissenschaft haben ihren Ursprung in der Welt des Renaissance-Humanismus. Die Wiederentdeckung und Neuaneignung der antiken griechisch-römischen Geisteswelt, die Auseinandersetzung mit der Philosophie und Literatur der Antike, das Studium der antiken Geschichte gaben wesentliche Impulse, die Europa in eine »neue Zeit« aufbrechen ließen. Die historisch-philologische Textkritik und Methode eines Lorenzo Valla (um nur ein Beispiel zu nennen) stehen am Beginn einer Entwicklung, die sowohl zum kritischen Denken der Aufklärung als auch zur modernen Naturwissenschaft eines Isaac Newton führte. Parallel dazu entwickelten sich der moderne souveräne Staat und ein nach und nach zuerst Europa, später auch die Welt umspannendes internationales (Staaten-)System. Der frühneuzeitliche Staat zeichnete sich im Inneren durch die schrittweise Durchsetzung eines Gewaltmonopols aus, nach Außen prägte seine Entwicklung die Interaktion mit anderen souveränen Staaten beziehungsweise nach Souveränität strebenden Akteuren. Dabei waren die Akteure im sich formierenden System beständig auf der Suche nach einer Ordnung, welche die eigene Existenz sichern sollte1. Es entstand eine 1 Dass das, was im Folgenden als »Staat« bezeichnet wird, nur wenig Ähnlichkeit mit dem Staat des 19. und vor allem 20. Jahrhunderts mitsamt seiner Möglichkeiten hat, bedarf keiner weiteren Erklärung. Auf die Defizite und Besonderheiten frühneuzeitlicher Staatlichkeit, auf die Um- und Irrwege der Staatsbildung soll jedoch hier, um die Ausführungen nicht zu überlasten, nicht weiter eingegangen werden. Gleiches gilt für die moderne Wissenschaft: Der Weg zu Newton und Kant verlief alles andere als geradlinig und zielgerichtet. Zur Problematik des Staatsbildungsprozesses vgl. umfassend: Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999; zum Staatensystem aus historischer Perspektive: Peter Krüger (Hrsg.), Das europäische Staatensystem im Wandel, München 1996; zur Formierung des Systems zwischen 1550 und 1660 jetzt der wichtige Beitrag von Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 2), Paderborn u. a. 2007; zur Theorie internationaler Systeme, die den vorliegenden Überlegungen zugrunde liegen: Barry Buzan / Richard Little, International Systems in World History. Remaking the Study of International Relations, Oxford 2000. Siehe auch: Sven Externbrink, Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Geschichte der Poli-

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neue Form der grenzüberschreitenden Interaktion zwischen den politischen Großakteuren: die spezifisch neuzeitliche Diplomatie, gekennzeichnet durch ständige Gesandtschaften, durch die »Erfindung« des Prinzips der négociation permanente (Richelieu) und durch den Aufbau eines Kommunikationsnetzwerkes, das sich über Europa legte und von sich zusehends spezialisierenden »Ministerialbürokratien« kontrolliert und gesteuert wurde2. Diese großen Strömungen der europäischen Geschichte, die seit jeher das Interesse der historischen Forschung auf sich gezogen haben, verliefen bei weitem nicht voneinander isoliert, sondern standen in einem beständigen Austausch. Wie eng die Welt der Politik, insbesondere der internationalen Politik avant la lettre und die Welt des Geistes miteinander verflochten waren, belegt schon ein Blick auf die Geschichte des Begriffs der »Gelehrtenrepublik«. Die älteste bislang bekannte Verwendung des Begriffes (1417) begegnet uns im Briefwechsel zweier bedeutender Humanisten, Francesco Barbaro (1390–1454) und Poggio Bracciolini (1380–1459), die sich zugleich auch als Diplomaten im Dienste Venedigs und der Kurie auszeichneten (letzterer nahm zu diesem Zeitpunkt am Konstanzer Konzil teil)3. Die Angehörigen der Gelehrtenrepublik, die diese als eine grenzüberschreitende und seit dem 16. Jahrhundert auch überkonfessionelle Gemeinschaft begriffen, standen, wie dieses Beispiel zeigt, im beständigen Austausch mit der Welt der Politik, nahmen dort Funktionen wahr, die auch Einfluss auf ihr Denken und Handeln in der Gemeinschaft der Gelehrten hatten. Auf die Interdependenz und die Verflechtung zwischen diesen beiden Phänomenen ist immer wieder hingewiesen worden; sie ist jedoch nie systematisch untersucht worden4. Letzteres wird in der vorliegenden knappen Skizze nicht tik: Alte und Neue Wege, hrsg. v. Hans Christoph Kraus / Thomas Nicklas (Historische Zeitschrift, Beiheft 44), München 2007, 15–39. 2 Zur Geschichte der frühneuzeitlichen Diplomatie: Lesenwert, wenn auch mittlerweile korrekturbedürftig Garrett Mattingly, Renaissance Diplomacy, London 1955; Matthew S. Anderson, The Rise of Modern Diplomacy, 1450–1919, London / New York 1993; Lucien Bély / Isabelle de Richefort (Hrsg.), L’invention de la diplomatie. Moyen Âge – Temps Modernes, Paris 1998; Lucien Bély, L’art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne, XVIe–XVIIIe siècle, Paris 2007; Daniela Frigo (Hrsg.), Ambasciatori e nunzi. Figure della diplomazia in età moderna (Cheiron, 30), Rom 1999; dies. (Hrsg.), Politics and Diplomacy in Early Modern Italy. The Structure of Diplomatic Practice 1450–1800, Cambridge 2000. 3 Hans Bots / Françoise Waquet, La Repubblica delle lettere, Bologna 2005, 12. Françoise Waquet, Qu’est-ce que la République des Lettres? Essai de sémantique historique, in: Bibliothèque de l’École de Chartes 147 (1989), 473–502. 4 Vgl. die einführenden Bemerkungen von Marc Fumaroli, La diplomatie de l’esprit, in: L’Europe des traités de Westphalie. Esprit de la diplomatie et diplomatie de l’esprit, hrsg. v. Lucien Bély / Isabelle de Richefort, Paris 2000, 5–11.

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angestrebt. Es sollen an einigen ausgewählten Beispielen die gemeinsamen Wurzeln und die parallele Entwicklung von frühneuzeitlicher gelehrter und politischer Praxis illustriert werden: In einem ersten Schritt werden zurückgehend auf das 15. Jahrhundert die Wurzeln der Verflechtung von gelehrter Praxis und Diplomatie skizziert, in einem zweiten Schritt dann anhand einiger Persönlichkeiten des 17. Jahrhunderts die Beziehungen zwischen Gelehrtenrepublik und Diplomatie analysiert, deren Existenz wohl unbestritten, aber gleichwohl nur schwer nachzuweisen ist5. Abschließend ist auf die Auflösung der Verbindung von Diplomatie und Gelehrtenrepublik einzugehen.

I. Humanismus, Politik und die Anfänge der Diplomatie Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts entstand eine neue Form der Diplomatie und »Außenpolitik«, als zuerst die spätmittelalterlichen Staatswesen Italiens und dann Europas in zunehmend dynamischere Kontakte zueinander traten und sich Ansätze einer systemartigen Interaktion und Verflechtung herauszubilden begannen. Der italienischen Halbinsel kam in diesem Prozess die Rolle eines Vorreiters zu, da hier neue Dynastien die Macht in ehemaligen Stadtrepubliken eroberten (Sforza, Gonzaga, Medici), die zur Absicherung ihrer Herrschaft die Kommunikation mit den Nachbarstaaten intensivierten6. Die neuen Herren in den ehemaligen Stadtrepubliken konnten bei der Etablierung ihrer »diplomatischen Dienste« auf eine bis ins 13. Jahrhundert zurückgehende Tradition der grenzüberschreitenden Interessenvertretung der Kommunen zurückgreifen, die ihren Niederschlag in den Statuten und Verfassungen der italienischen Städte fand7. 5 L. Bély, L’art de la paix en Europe (Anm. 2), 136. Siehe auch H. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (Anm. 1), 103–105. Der Begriff »Diplomat«, »Diplomatie« zur Kennzeichnung der Staaten- bzw. Akteursbeziehungen kam erst im frühen 19. Jahrhundert auf, vgl. zur Begriffsgeschichte Amadée Outrey, L’administration française des Affaires étrangères. Histoire et principes, in: Revue française de science politique 3 (1953), 298–318; 491–510; 714–738, 299–300. 6 Vgl. Daniela Frigo, Prudence and Experience. Ambassadors and Political Culture in Early Modern Italy, in: Journal of Medieval and Early Modern Studies 38 (2008), 15–34, 18; klassische Darstellung dieser Entwicklung bei: G. Mattingly, Renaissance Diplomacy (Anm. 2), 55–71. 7 Das klassische Beispiel für hochmittelalterliche Gesetzgebung über die Aufgaben der Gesandten ist Venedig: Vgl. Donald E. Queller, Early Venetian Legislation on Ambassadors, Genf 1966. Siehe aber auch die Statuten von Bergamo (Lo statuto di Bergamo del 1331, hrsg. v. Claudia Storti Storchi, Mailand 1986, 207f.), Florenz (Statuti della Repubblica Fiorentina, Nuova Edizione, hrsg. v. Romolo Cagese / Giuliano Pinto, Bd. 2: Sta-

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Dabei veränderte sich im Laufe des 15. Jahrhunderts der Charakter dieser Missionen. Neben den Gesandten, der einen klar umrissenen Verhandlungsauftrag erhalten hatte, und im Anschluss daran wieder zurückkehrte, trat der ständige Resident, der sich politisch bedingt (etwa um den Bestand eines Bündnisses zu sichern) über längere Zeit am fremden Hof aufhielt und regelmäßig über dortige Vorkommnisse berichtete8. Somit entstand schrittweise eine neue Profession, der »Botschafter«, den zu entsenden ein wichtiges Attribut uneingeschränkter Herrschaft wurde. Aufgaben und Charakter des ambasciatore wurden seit dem frühen 15. Jahrhundert Gegenstand einer umfangreichen Traktatliteratur9. Zwischen Staatsbildungsprozess und humanistischer Bewegung gab es eine Vielzahl von Verflechtungen. Der Staat benötigte nicht nur humanistisch gebildete Juristen oder gelehrte Räte, welche die Verschriftlichung und Verrechtlichung von Herrschaft vorantrieben, sondern bediente sich auch wesentlicher Inhalte des Renaissance-Humanismus, mit deren Hilfe er neue Formen der Repräsentation und Selbstdarstellung schuf. Die Humanisten gingen auf die Herrscher zu, zum einen, weil ihnen der Fürstendienst ein Auskommen sicherte und, soweit sie aus bescheidenen Verhältnissen stammten, soziale Mobilität ermöglichte, zum anderen, weil es dem praxisorientierten Ideal der humanistischen Bildungsbewegung entsprach. Vor allem die rhetorischen Fähigkeiten, welche die Tätigkeit des Botschafters (vielfach auch noch als orator bezeichnet) prägten, fanden ihre Entsprechung im humanistischen Interesse am Studium der antiken Rhetorik. Historische Studien der Humanisten wurden von den aufstrebenden Herrschaften instrumentalisiert und lieferten tuto del podestà dell’ anno 1325, Florenz 1991, 57 ff.), Perugia (Statuto del comune e del popolo di Perugia del 1342 in volgare, hrsg. v. Mahmoud Salem Elsheikh, Bd. 1, Perugia 2000), Siena (Il costituto del comune di Siena, volgarizzato nel MCCCIX–MCCCX, Siena 1908, 233–236). Ich danke Patrice Gili, Montpellier, für den Hinweis auf diese Quellen. 8 Für Antoine Pecquet, Autor eines Traktats über die Verhandlungskunst, bestand genau in dieser Anwesenheit an einem fremden Hof ohne spezifischen Verhandlungsauftrag das Neue im Vergleich zum mittelalterlichen Gesandtschaftswesen. Vgl. Antoine Pecquet, Discourse on the Art of Negotiation, hrsg. v. Aleksandra Gruzinska / Murray D. Sirkis, New York u. a., 2004, 7. Die Entstehung der Residentialität aus der politischen Notwendigkeit und nicht als zielgerichteter Prozess betont Riccardo Fubini, La ›résidentialité‹ de l’ambassadeur dans le mythe et dans la réalité. Une enquête sur les origines, in: L’invention de la diplomatie (Anm. 2), 28–35. Zusammenfassend: Francesco Senatore, ›Un mundo de carte‹. Forme e strutture della diplomazia sforzesca, Neapel 1998, 25–50. 9 D. Frigo, Prudence and Experience (Anm. 6), 19. Eine (nicht ganz vollständige) Zusammenstellung dieser Traktate bis 1700 bei Vladimir E. Hrabar, De Legatis et Legationibus Tractatus Varii, 2 Bde., Dorpat 1905, 1918.

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Gründungsmythen, Vorbilder, die es zu übertreffen galt. Eine neue säkulare Politik fand Verwendung für eine antikisch erneuerte Rhetorik, Humanisten schrieben und hielten Reden für den Staat10. Der Renaissancefürstenhof war ein privilegierter Ort, an dem dieser Austausch zwischen den Feldern stattfand. Hier traf der Aufstiegswille humanistisch gebildeter Bürgerlicher auf den Adel, der sich ebenfalls humanistischem Denken öffnete, aber zugleich die obersten Ränge des Fürstendienstes für sich beanspruchte. Die Eigenschaften, die dem Höfling zugeschrieben wurden, trafen in großem Maße auch auf das sich parallel dazu ausbildende Ideal des parfait ambassadeur zu11. Eine perfekte Verkörperung dieses Typus des Gesandten, der zugleich von hohem Adel war und sich als Botschafter und Gelehrter auszeichnete, war der spanische Grande Don Diego Hurtado de Mendoza (1504–1575), der zwischen den 1530er und 1550er Jahren in England und Italien die Interessen Spaniens vertrat. Er zählte zugleich zu den großen Humanisten Spaniens, trat hervor als Autor von Gedichten und historischen Schriften und konkurrierte beim Bücherkauf auf der Apenninenhalbinsel mit seinem Herrn, Philipp II. Seine Reden waren rhetorische Kunstwerke, und die Zeitgenossen lobten seine angenehme Konversation12. In der Konkurrenz um die Ernennung zum Gesandten, der zunehmend als Repräsentant und Stellvertreter des entsendenden Fürsten bzw. einer Republik betrachtet wurde und als solcher aufzutreten hatte, gab es für die bürgerlichen Humanisten den entscheidenden Nachteil, dass ihnen die Ressourcen fehlten, um den mit einer Gesandtschaft im Range eines Botschafters verbundenen hohen repräsentativen Aufwand auf eigene Kosten zu bestreiten.13 Dass sie dennoch nicht aus dem Kreis der für diplomatische Zwecke Eingesetzten heraus fielen, ist auf die Ausbildung einer Gesandtenhierarchie zurückzuführen, 10 Vgl. Anthony Grafton, Humanism and Political Theory, in: The Cambridge History of Political Thought 1450–1700, hrsg. v. James Henderson Burns / Mark Goldie, 2. Aufl., Cambridge 1994, 9–29. 11 Vgl. Douglas S. Biow, Castiglione and the Art of Being Inconspicuously Conspicuous, in: Journal of Medieval and Early Modern Studies 38 (2008) 35–55, und ders., Doctors, Ambassadors, Secretaries. Humanism and Professions in Renaissance Italy, Chicago / London 2002. 12 Über Hurtado de Mendoza vgl.: Erika Spivakovsky, Son of the Alhambra. Don Diego Hurtado de Mendoza 1504–1575, Austin / London 1970; Michael J. Levin, Agents of Empire. Spanish Ambassadors in Sixteenth-Century Italy, Ithaca / London 2005, 183–188. Zu seinen Schriften siehe auch: Angel González Palencia / Eugenio Mele, Vida y Obras de Don Diego Hurtado de Mendoza, 3 Bde., Madrid 1941–1943, bes. Bd. 3, dort 481–564 das Inventar seiner Bibliothek. 13 Dass ein ambassadeur über Vermögen verfügen sollte, betont z. B. Hotman, zit. in: L. Bély, L’art de la paix (Anm. 2), 135.

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die vom einfachen Agenten bis zum mit erheblichem repräsentativem und zeremoniellem Aufwand auftretenden Botschafter reichte14. Spätestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts galt es als allgemein völkerrechtlich verbindlich, dass nur diejenigen Akteure das Recht besaßen, ihren Repräsentanten den Titel »Botschafter« zu verleihen, die über die volle staatliche Souveränität verfügten und deren Ansprüche als Souveräne auch anerkannt wurden15. Die Akteure, deren Souveränität Schranken gesetzt waren – z.B. die deutschen Reichsstände –, mussten sich, soweit sie am great game der internationalen Politik beteiligt waren, mit der Entsendung von envoyés, Agenten und Residenten begnügen16. Aber auch Souveräne ernannten ihre Vertreter nicht nur zu Botschaftern, sondern bedienten sich oft auch der unteren Ränge der Gesandtschaftshierarchie. Diese Posten waren für den Hochadel wenig attraktiv, weshalb man weiterhin auf humanistisch gebildete Sekretäre aus den Administrationen, zum Teil auch auf Kaufleute zurückgriff17. So findet man in den frühneuzeitlichen »diplomatischen Corps« (avant la lettre) einerseits den Hochadel, der seine Missionen als eine Etappe einer Karriere 14 Die Hierarchie der Gesandtenränge wird erläutert bei Abraham de Wicquefort, L’ambassadeur et ses fonctions, 2 Bde., Den Haag 1682, Bd. 1, 82–99 und François de Callières, De la manière de négocier avec les souverains, in: Jean-Claude Waquet, François de Callières. L’art de négocier en France sous Louis XIV, Paris 2005, 175–268, 204–207. Zusammenfassend: Erich Markel, Die Entwicklung der diplomatischen Rangstufen, Diss. Erlangen 1951. 15 Vgl. Abraham de Wicquefort, L’ambassadeur (Anm. 14), Bd. 1, 9: le droit d’Ambassade est la plus illustre marque de la Souveraineté. Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1715 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 4), Paderborn u. a. 1997, 24. Vgl. zur Durchsetzung dieses Prinzips auf dem Westfälischen Friedenskongress Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, 5. Aufl., Münster 1972, 206–212. 16 Dies wurde noch einmal deutlich im Verlauf des Friedenskongresses von Nimwegen, auf dem die deutschen Kurfürsten und Fürsten vergeblich versuchten, ihre Vertreter als »Botschafter« akkreditieren zu lassen. Darüber entspann sich eine Aufsehen erregende Flugschriftenkampagne, an der sich auch Leibniz beteiligte. Vgl. Paul Otto Höynck, Frankreich und seine Gegner auf dem Nymwegener Friedenskongreß, Bonn 1960, 49–51. 17 Vgl. zum Komplex Diplomatie und Handel: Heiko Droste, Unternehmer in Sachen Kultur. Schwedens Diplomaten im 17. Jahrhundert, in: Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500–1850, hrsg. v. Thomas Fuchs / Sven Trakulhun, Berlin 2003, 205–226. Erik Thomson, Commerce, Law and Erudite Culture. The Mechanics of Theodore Godefroy’s Service to Cardinal Richelieu, in: Journal of the History of Ideas 68 (2007), 404–427. Joachim de Wicquefort, Bruder Abrahams, war zugleich Bankier und Kaufmann als auch Resident des Landgrafen von Hessen-Kassel in den Niederlanden, vgl. Pierre-François Burger, Res Angusta Domi. Les Wicquefort et leurs métiers bien délicats entre Paris, Amsterdam et Pärnu, in: Francia 27 (2000), 25–58, 27–31.

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am Hofe verstand und mit seiner Tätigkeit Familien- und Standesinteressen verfolgte18, und andererseits Geistliche, Juristen und Gelehrte, die auf sozialen Aufstieg hofften beziehungsweise ihre Funktion zur Existenzsicherung benötigten. Insbesondere die als Agenten und Residenten eingesetzten Gesandten trugen, da sie oftmals über Jahre und Jahrzehnte am selben Ort verblieben, einen wesentlichen Anteil an der Ausbildung eines die politischen Zentren verbindenden europaweiten Kommunikationsnetzwerks. Dass der homme de lettres den an den Gesandten gestellten Anforderungen auf ideale Weise entspreche, formulierte 1603 Jean Hotman de Villiers in seinem Traktat über den ambassadeur: »Aber ich behaupte, dass die hommes lettrés fähiger sind, sie wissen, sich besser auszudrücken und jedem zu antworten, sie können die Gerechtigkeit eines Krieges, die Billigkeit aller Ansprüche und Forderungen beurteilen und hüten sich davor, bei Friedens-, Bündnis- oder Heiratsverträgen und -verhandlungen getäuscht zu werden: Deshalb beschäftigt man gerne Leute dieser Art.«19 Zweifellos hatte Hotman bei dieser Charakterisierung sich selbst vor Augen, doch seine Bemerkung umreißt zentrale Aufgaben, die Gesandte auf ihren Missionen zu bewältigen hatten. Das politische Kommunikationsnetzwerk der Gesandtenkorrespondenzen hat seine Entsprechung im zeitgleich entstehenden und ihm vielleicht sogar vorangehenden Netzwerk gelehrten Informationsaustausches, auf das sich die Idee der Gelehrtenrepublik stützt. Der niederländische Philologe Gisbert Cuper sprach von der Pflicht des Gelehrten, seine Erkenntnisse den anderen zur Verfügung zu stellen20. Auch für den Diplomaten war die Pflicht zur Information, zur aufmerksamen Betrachtung und Analyse seiner Umgebung sowie die Berichterstattung darüber wesentlicher Bestandteil seines Alltags21. 18 Zahlreiche Beispiele in: Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605– 1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, hrsg. v. Wolfgang Reinhard, Tübingen 2004. 19 Mais je soutiens que les hommes lettrés en sont encore plus capables, savent mieux parler et répondre à chacun, juger de la justice d’une guerre, de l’équité de toutes prétentions et demandes, se garder d’être trompés aux traités et négociations de paix, alliance ou mariage: où volontiers on emploie gens de cette sorte [...]. L. Bély, L’art de la paix (Anm. 2), 135 f. 20 Christiane Berkvens-Stevelinck / Hans Bots, Introduction, in: Les grands intermédiaires culturels de la République des Lettres. Études des réseaux de correspondances du XVIIe au XVIIIe siècle, hrsg. v. Christiane Berkvens-Stevelinck / Hans Bots / Jens Häseler, Paris 2005, 9–28, 13. 21 Ce n’est pas assez de sçavoir ménager avec dextérité les intérests d’un prince ou d’un État dans une cour étrangère; il faut encore sçavoir rendre un compte exact et fidèle de tout ce qui s’y passe, tant à l’égard de la négociation dont on est chargé que de toutes les autres affaires qui y surviennent durant le séjour qu’on y fait fordert F. Callières, De la manière (Anm. 14), 244.

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Wie die Höfe Knotenpunkte des diplomatischen Kommunikationsnetzwerkes waren, gab es auch einzelne Gelehrte, die in ihrer Zeit die Funktion eines Vermittlers oder einer »Relaisstation« einnahmen und die Verknüpfung verschiedener Kommunikationslinien übernahmen. Diese »Achsen, um die sich Planeten drehen«, so die treffende Charakterisierung von Thomas Hobbes22, gab es in der gesamten Frühen Neuzeit, beginnend mit Erasmus und endend mit Voltaire oder Samuel Formey in Berlin. Die höchste Dichte solcher Vermittler und zugleich intensivste Verflechtung von Gelehrtenrepublik und Diplomatie ist während des 17. Jahrhunderts zu beobachten, was nun an drei Beispielen näher illustriert werden soll.

II. Gelehrte Diplomatie: Bongars, die Gebrüder Dupuy und Spanien Beim ersten Beispiel handelt es sich um Jacques Bongars (1554–1612), der von 1593 bis 1610 in Straßburg als ständiger Gesandter des französischen Königs bei den protestantischen Fürsten residierte23. Bongars diplomatische Tätigkeit hatte bereits 1585 als Gesandtschaftssekretär des Vertreters Heinrichs von Navarra im Reich begonnen. Er kann zweifellos als der Deutschlandexperte Heinrichs von Navarra gelten, denn er kannte das Reich und seine komplizierten politisch-konfessionellen Probleme von zahlreichen Reisen. Bongars trat aber auch als in der humanistischen Tradition stehender Historiker hervor. Schon 1581 hatte er eine Darstellung zur antiken Geschichte publiziert, der bis zu seinem Tode weitere folgten. Auf seinen Reisen im Reich etablierte Bongars schrittweise ein umfangreiches Korrespondentennetzwerk mit deutschen Angehörigen der Gelehrtenrepublik. Mit ihnen führte er einerSiehe auch D. Frigo, Prudence and Experience (Anm. 6), 27; M. S. Anderson, The Rise of Modern Diplomacy (Anm. 2), 12 f. 22 Hans Bots, Marin Mersenne, ›secrétaire général‹ de la République des Lettres (1620– 1648), in: Les grands intermédiaires (Anm. 20), 165–181, 165; C. Berkvens-Stevelinck / H. Bots, Introduction (Anm. 20), 24–26. 23 Das folgende nach Ruth Kohlndorfer, Jacques Bongars (1554–1612). Lebenswelt und Informationsnetzwerke eines frühneuzeitlichen Gesandten, in: Francia 28 (2001), 1–15. Bongars Bibliothek ist erhalten geblieben, sie befindet sich in der Berner Universitätsbibliothek, vgl. ›Ein herrliches Präsent‹, die Bongars-Bibliothek seit 350 Jahren in Bern. Handschriften und Drucke aus 1000 Jahren. Ausstellung vom 24. Oktober–13. November 1983 [Burgerbibliothek, Stadt- und Universitätsbibliothek Bern], hrsg. v. Christoph von Steiger / Margaret Eschler, Bern 1983. Ich danke Andreas Würgler für den freundlichen Hinweis auf diesen Bestand.

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seits eine typische gelehrte Korrespondenz, also Austausch über Bücher, Projekte und die Weiterleitung von Neuerscheinungen nach Paris – kurz: Er war eine bedeutende Schnittstelle in einem deutsch-französischen Wissenstransfer um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Andererseits dienten ihm diese Kontakte aber auch zur Beschaffung und Übermittlung von politischen Nachrichten nicht nur aus dem ganzen Reich, sondern auch aus dem Baltikum, Polen und dem Osmanischen Reich. Wer hinter der jeweiligen Nachricht stand, verriet er nicht –  es seien seine »Freunde« (amys)24. Die glücklicherweise in großem Umfang erhaltenen Briefwechsel erlauben die Identifizierung dieser »Freunde«. Zu den bedeutendsten zählen zweifellos Joachim Camerarius der Jüngere (1534–1598), Arzt in Nürnberg und selbst Mittelpunkt eines eigenen europaweiten Korrespondentennetzwerks sowie Georg Michael Lingelsheim (1558–1636), kurpfälzischer Rat und einflussreicher außenpolitischer Berater des Kurfürsten Friedrich IV.25. Über letzteren konnte Bongars zahlreiche weitere Kontakte zum pfälzischen Hof in Heidelberg etablieren, so dass er bestens über die Politik der protestantischen Fürsten in Deutschland informiert war und entsprechende Berichte an seine Vorgesetzten in Paris schicken konnte. Diese Kontakte dienten zugleich auch dem wissenschaftlichen Austausch, sichtbar etwa am Beispiel der Historia sui temporis von Jacques Auguste de Thou, deren Vertrieb im Reich Bongars über seine Freunde in der Pfalz organisierte26. Die Verflechtung von Diplomatie und République des Lettres im Falle Bongars beruhte auf der Instrumentalisierung der gelehrten Kontakte zur Nachrichtenübermittlung und Informationsgewinnung – den zentralen Aufgaben eines Diplomaten. Bongars vertrat dezidiert procalvinistische und antihabsburgische Auffassungen, und diese Haltung führte um 1610 zum Bruch mit seinen Pariser Auftraggebern und seinem Ausscheiden aus dem »diplomatischen Dienst« Frankreichs27. Er fühlte sich, dies ist zu betonen, eher dem »internationalen Calvinismus« verbunden als zur Loyalität gegenüber dem zum Katholizismus konvertierten Heinrich von Navarra verpflichtet. 24 R. Kohlndorfer, Bongars (Anm. 23), 7. 25 Über Lingelsheim vgl.: Axel E. Walter, Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenz Georg Michael Lingelsheims, Tübingen 2004. 26 Klaus Garber, Paris, die Hauptstadt des europäischen Späthumanismus. Jacques Auguste de Thou und das Cabinet Dupuy, in: Res publica litteraria. Die Institution der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, hrsg. v. Sebastian Neumeister / Conrad Wiedemann, 2 Bde., Wiesbaden 1987, Bd. 1, 71–92, 77; R. Kohlndorfer, Bongars (Anm. 23), 9 f. 27 R. Kohlndorfer, Bongars (Anm. 23), 5 f.

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Das zweite Beispiel gilt nicht einer einzelnen Persönlichkeit, sondern vielmehr einem Netzwerk28 des Informations- und Wissensaustausches, das sich in Paris seit den 1620er Jahren gebildet hatte. Es handelt sich um das Cabinet Dupuy der Gebrüder Jacques und Pierre Dupuy sowie ihres Cousins François-Auguste de Thou. Sie institutionalisierten regelmäßige Treffen von Freunden, wie sie bereits der Vater von François-Auguste, Christophe de Thou, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in seiner Bibliothek veranstaltet hatte29. Die Dupuy hatten Christophe de Thous Bibliothek geerbt, erweiterten sie systematisch und gründeten dort um 1616 eine Académie, die sie später, nach Richelieus Gründung der Académie française, in Cabinet umbenannten30. Dieses Cabinet war Treffpunkt für Gelehrte (M. Mersenne, J. F. Gronovius, I.  Vossius) und Diplomaten (H. Grotius, J. Hotman, G. Priandi31) zugleich und Umschlagplatz vor allem für politische Nachrichten aller Art. Die Anziehungskraft der regelmäßigen Treffen bestand nicht nur im intellektuellen Niveau der Diskussionen der Anwesenden, sondern insbesondere darin, dass die Dupuy zum Kreis der politischen Berater Kardinal Richelieus zählten. Sie bildeten jenen think tank, zu dem auch Théodore Godefroy, Cardin Le Bret und andere zu zählen sind, welcher der Politik des Kardinals Legitimation und Argumente lieferte und sie publizistisch flankierte32. Die Welt der Politik und die Welt der Gelehrtenrepublik waren im Cabinet Dupuy auf vielfache Art und Weise verschlungen, die im Einzelnen noch nicht 28 Zur Begriffsdefinition vgl.: Thomas Schweizer, Netzwerkanalyse als moderne Strukturanalyse, in: Netzwerkanalyse. Ethnologische Perspektiven, hrsg. v. dems., Berlin 1989, 1–32, 1. Auf weitere Literatur zur Netzwerkanalyse sei hier verzichtet, die hier zugrunde gelegte Auffassung von »Netzwerken« folgt den Überlegungen von Wolfgang Reinhard. Vgl.: Wolfgang Reinhard, Einleitung, in: Römische Mikropolitik (Anm. 18), 3–12 sowie ausführlich: ders., Amici e creature. Politische Mikrogeschichte der römischen Kurie im 17. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven 76 (1996), 308–334. 29 Jerôme Delatour, Les frères Dupuy et leurs correspondances, in: Les grands intermédiaires culturels (Anm. 20), 61–101; Klaus Garber, A propos de la politisation de l’humanisme tardif européen, in: Le juste et l’injuste à la Renaissance et à l’âge classique, hrsg. v. Christine Lauvergnat-Gagnière, St.-Etienne 1986, 157–166; ders., Paris (Anm. 26); René Pintard, Le libertinage érudit dans la première moitié du XVIIe siècle, 2 Bde., Paris 1943. 30 J. Delatour, Les Frères Dupuy (Anm. 29), 63 f. 31 Über den Mantuaner Residenten Priandi vgl. Sven Externbrink, Das Selbstporträt eines Diplomaten im 17. Jahrhundert. Guistiniano Priandis Memorandum für Desmarets de Saint-Sorlin aus dem Jahre 1644, in: Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem. Festschrift für Klaus Malettke, hrsg. v. Sven Externbrink / Jörg Ulbert, Berlin 2001, 227–244. 32 William F. Church, Richelieu and Reason of State, Princeton 1972, über Dupuy und Godefroy bes. 361–371.

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näher erforscht wurden. Auf den regelmäßigen Treffen im Hause der Dupuys wurden Briefe verlesen, Neuerscheinungen vorgestellt und natürlich über die neuesten politischen Ereignisse diskutiert33. Die Inhalte der Diskussionen im Cabinet und damit die Informationen flossen nach zwei Seiten ab: Einerseits in die Berichte der Diplomaten wie Grotius, die ihre Erkenntnisse dann an ihre Auftraggeber weiterleiteten, andererseits in die Büros von Richelieus Mitarbeitern, welche die Informationen in ihre Memoranden und Propagandaschriften für Richelieu integrieren konnten. Politik und Diplomatie und die Welt der Gelehrten waren somit mehrfach ineinander verwoben: Wie im Falle Bongars dienten die Kontakte zu anderen Gelehrten und Gesandten der Informationsgewinnung, der Hauptaufgabe des Diplomaten. Darüber hinaus ermöglichten die regelmäßigen Treffen im Cabinet den teilnehmenden Gesandten den Meinungsaustausch und den Einblick in innerfranzösische Entscheidungsprozesse, soweit die Brüder Dupuy und andere Mitarbeiter Richelieus ihnen diesen gewährten34. Hinzuweisen ist im übrigen noch auf die Tatsache, dass die Kontakte der Brüder Dupuy – im Gegensatz zum Korrespondentennetzwerk Bongars’ – die konfessionellen und dogmatischen Grenzen überwanden, weniger was die Korrespondenten betraf (es gab es nur wenige Protestanten, zu ihnen zählten J. Scaliger, C. Saumaise, D. Heinsius35), sondern vor allem im Hinblick auf die Teilnehmer an den Zusammenkünften. Das Cabinet gilt als ein Zentrum der libertinage érudit des frühen 17. Jahrhunderts36. Als drittes und letztes Beispiel für die Verflechtung von Diplomatie und Gelehrtenrepublik sei nun der Gelehrte und Diplomat Ezechiel Spanheim vorgestellt37. Spanheim (1629–1710) war die Gelehrsamkeit gleichsam in die 33 K. Garber, Paris (Anm. 26), 82: Martin Opitz bemerkte über das Cabinet Dupuy, »darinnen man von den ganzen Europäischen Staate frey gedachte, frey urtheilte, und frey seine Gegenmeinungen fürtrug«. 34 K. Garber, Paris (Anm. 26), 81. Zahlreiche Belege für die engen Kontakte von Hugo Grotius zu den Brüdern Dupuy finden sich in dessen Korrespondenz, vgl. z. B.: Briefwisseling van Hugo Grotius, hrsg. v. B. L. Meulenbroek, 17 Bde., Den Haag 1928–2000, Bd. 10, 256, Bd. 16, 697. 35 J. Delatour, Les Frères Dupuy (Anm. 29), 67. 36 R. Pintard, Libertinage érudit (Anm. 29), 92–100. 37 Über Spanheim siehe: Victor Loewe, Ein Diplomat und Gelehrter. Ezechiel Spanheim (1629–1710), Berlin 1924; Stefan Lorenz, Ezechiel Spanheim und das höhere Bildungswesen in Brandenburg-Preußen um 1700, in: Vom Kurfürstentum zum ›Königreich der Landstriche‹. Brandenburg-Preußen im Zeitalter von Absolutismus und Aufklärung, hrsg. v. Günther Lottes, Berlin 2004, 85–136; Sven Externbrink, Diplomatie und République des Lettres. Ezechiel Spanheim (1629–1710), in: Francia 34/2 (2007), 25–59; ders., ›Internationaler Calvinismus‹ als Familiengeschichte: Die Spanheims (ca.

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Wiege gelegt: Er war der Sohn eines calvinistischen Professors und zu den Vorfahren der Mutter zählte Guillaume Budé. Seine Jugend verbrachte er in Leiden, wo er Schüler der großen Späthumanisten und Philologen Claude Saumaise und Daniel Heinsius wurde. Die mit dem Ruf an die Genfer Akademie eingeleitete Karriere eines Universitätslehrers gab er jedoch 1657 zu Gunsten einer Karriere am Hof und in der Diplomatie in den Diensten des Kurfürsten von der Pfalz auf. Von pfälzischen wechselte er anschliessend in brandenburgische Dienste: Seit 1680 fungierte er als envoyé extraordinaire des Großen Kurfürsten am Hofe von Versailles, 1689 bis 1697 übernahm er wichtige Funktionen in der Administration Brandenburgs (Oberaufsicht der kurfürstlichen Bibliothek, Leitung des Kommissariats für französische Angelegenheiten, Kurator des Collège français), um 1698 kehrte er als Gesandter zurück nach Frankreich und verbrachte die letzten Lebensjahre, mittlerweile geadelt (Baron von Spanheim), als Vertreter des ersten preußischen Königs im Range eines ambassadeur in London. Dass er das Leben eines Professors mit dem eines Diplomaten vertauschte, bedeutete aber nicht, dass er auch die Gelehrsamkeit aufgab. Vielmehr zählt Spanheim zu den bedeutendsten und meist geachteten Gelehrten seiner Zeit38. Wie im Falle Bongars’ konnte auch die gelehrte Korrespondenz Spanheims der Übermittlung politischer Nachrichten dienen. So war, um nur ein Beispiel zu nennen, wiederkehrendes Thema der Briefe, die Spanheim in den 1690er Jahren mit Leibniz wechselte, die ungeklärte spanische Erbfolge39. Leibniz agierte in diesem Fall als Nutznießer und Multiplikator der Informationen, die er an andere Korrespondenten weitergab40. Spanheim verkörpert den orateur und négociateur, in ihm verbanden sich das rhetorische und das »technische« Element der Diplomatie. Seine Depeschen dokumentieren detailliert seine Verhandlungen, sie sind gleichsam Mitschriften der Gespräche. Er ergänzte sie aber auch durch die Reden, die er bei offiziellen Audienzen vor Ludwig XIV. oder am englischen Hof hielt, sowie durch den Wortlaut der Antworten, die er bei diesen Anlässen erhielt. Sie ermöglichen somit die wortwörtliche Rekonstruktion des Ablaufes der Audienzen bei Ludwig XIV. (oder bei den englischen Königen), von der Ansprache 1550–1710), in: Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Cordula Nolte / Claudia Opitz, Köln / Wien 2008, 137–155. 38 Vgl. die Kommentare von Zeitgenossen bei S. Externbrink, Diplomatie und République des Lettres (Anm. 37), 25 f. 39 Z. B. Gottfried Wilhelm Leibniz, Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel (Sämtliche Schriften und Briefe, Erste Reihe), Bd. 16, Berlin 2000, 282, 600. 40 Ebd., 379.

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des Gesandten (eine rhetorische Übung) bis zur Reaktion des Monarchen und der königlichen Familie (meist Dankesworte). Diese Praxis, die Reden, welche bei den einem festgelegten Ablauf folgenden Audienzen gehalten wurden und nicht der Verhandlung dienten, der diplomatischen Korrespondenz beizufügen, scheint unter den Gesandten der Epoche eher selten. Bislang konnte nur ein weiteres Beispiel dafür entdeckt werden, bezeichnenderweise bei einem der großen Humanisten und Redner seiner Zeit, dem bereits erwähnten Don Diego Hurtado de Mendoza, der gleichfalls seine bei feierlichen Audienzen gehaltenen Reden an Philipp II. zu schicken pflegte41. Die Eloquenz, die bei solchen Gelegenheiten demonstriert werden konnte, war aber nicht nur von Bedeutung für die Inszenierung bei einer Audienz, sondern auch für das Verhandeln, denn der gute Rhetor konnte zugleich ein geschickter Unterhändler sein, der im Gespräch seinem Gegenüber Information entlockte42. Urteile wie die des venezianischen Gesandten Mocenigo, Mendoza sei ein angenehmer Gesprächspartner, lassen sich auch für Spanheim finden, etwa aus der Feder von Kurfürstin Sophie von Hannover43 oder aus der des antifranzösischen Publizisten Gregorio Leti, der Spanheim als »Redner von gesundem Menschenverstand und gepflegter Ausdrucksweise« (orateur de bon sens aussi bien que de beau langage) charakterisierte44. In seinem Auftreten und seinem Habitus als Gesandter verkörperte Spanheim den Idealtypus des parfait ambassadeur, der ja zugleich auch ein perfekter Höfling war, und der sich Hotman und schon Castiglione zufolge insbesondere in den »Studien, die sie die humanistischen nennen« (studii che chiamano d’humanità) auszeichnen sollte45. Spanheims Fähigkeit zur höfischen Konversation in Verbindung mit seinem Expertenwissen über antike Münzen und Medaillen öffneten ihm die Türen der Salons der französischen und englischen Höflinge, die ihn einluden, ihre Medaillensammlungen zu begutachten und einzelne Stücke zu erklären. Es ist davon auszugehen, dass es nicht bei der Deutung antiker Münzen geblieben ist, sondern dass auch aktuellere Themen zur Sprache kamen. Die aus solchen Gesprächen gewonnenen Informationen finden sich wieder in Form zahlreicher Details, die Spanheim über Ereignisse am französischen oder englischen Hofe zu berichten wusste. 41 M. J. Levin, Agents of Empire (Anm. 12), 21 f. 42 Vgl. zu dieser Thematik den Beitrag von J.-C. Waquet in diesem Band. 43 Briefwechsel der Herzogin Sophie von Hannover mit ihrem Bruder, dem Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, und des letzteren mit seiner Schwägerin, der Pfalzgräfin Anna, hrsg. v. Eduard Bodemann, Leipzig 1885, 79. 44 Zit. nach: Ézéchiel Spanheim, Relation de la cour de France en 1690, hrsg. v. Émile Bourgeois, Lyon / Paris 1900, 26. 45 Vgl. Anm. 19. Castiglione zit. nach D. S. Biow, Doctors, Ambassadors (Anm. 11), 8.

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Das Festhalten an seinen gelehrten Interessen bildete somit die Grundlage für den gesellschaftlichen und »beruflichen« Erfolg des Diplomaten Ezechiel Spanheim. Homme de lettre und Politicus können nur willkürlich getrennt werden, Gelehrtenrepublik und Diplomatie erscheinen im Falle Spanheims als zwei Seiten einer Medaille. Dies spiegelt im Übrigen auch der Bestand seiner umfangreichen, ebenfalls von den Zeitgenossen gerühmten Bibliothek46, die sowohl die eines Gelehrten als auch die eines Diplomaten war. In ihr hatte er sowohl die philosophischen, theologischen und historischen Debatten seiner Zeit als auch die politische Publizistik der Epoche griffbereit47.

III. Vom »gelehrten« zum »professionellen« Diplomaten Die noch zu Spanheims Zeiten enge Verflechtung von Gelehrtenrepublik und Diplomatie begann sich seit dem 18. Jahrhundert aufzulösen. Das späte 17. Jahrhundert und die mit der »Krise des europäischen Bewusstseins« (P. Hazard) einsetzende Aufklärung scheinen eine schrittweise Entflechtung der beiden Bereiche einzuleiten: Die in der Gelehrtenrepublik laut werdende kritische Infragestellung der göttlichen, politischen und sozialen Ordnung kollidierte mit der wachsenden »Selbstständigkeit« des Staates, sichtbar sowohl in den Tendenzen zur Bürokratisierung und Professionalisierung staatlichen Handelns als auch im Willen zur Kontrolle der Ideen48. Letzteres war nicht mit den Idealen der Gelehrtenrepublik vereinbar, denn deren Angehörige, so

46 Vgl. die Bemerkung des Numismatikers Andreas Morell in einem Brief an Leibniz über Spanheims Bibliothek: Je suis bien aise d’apprendre que Sa Majesté ait achepté la Bibliothèque de Monsieur de Spanheim, car c’est un prodigieux receueil de meilleurs livres, qu’on puisse trouver, et les connoisseurs à Paris l’estimoient valoir vingt mille Escus: comme Il n’en recevra que douze mille Escus, je voudrois bien prolonger la vie d’un si Grand homme, d’une année par chaque millier d’escus de defaut. In: G. W. Leibniz, Briefwechsel (Anm. 39), Bd. 20, Berlin 2006, 584 f. 47 Zum Bestand der Bibliothek vgl. S. Externbrink, Diplomatie und République des Lettres (Anm. 37), 46–56. 48 Paul Hazard, La crise de la conscience européenne 1685–1715, Paris 1935 (dt. 1939); Margaret Jacob, The Crisis of the European Mind. Hazard Revisited, in: Politics and Culture in Early Modern Europe, hrsg. v. Phyllis Mack / Margaret Jacob, Cambridge 1987, 251–271; Jonathan I. Israel, Radical Enlightenment. Philosophy, and the Making of Modernity 1650–1750, Oxford 2001; ders., Enlightenment Contested. Philosophy, Modernity, and the Emancipation of Man, 1670–1752, Oxford 2006.

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der Bayle-Biograph Pierre Desmaiseaux, »erkennen nur die Gesetze an, die sie sich selbst vorschreiben.«49 Im 18. Jahrhundert setzte sich die Tendenz zur Monopolisierung von Außenbeziehungen fort. Zwar traten weiterhin nichtstaatliche Akteure wie etwa die großen Handelskompanien auf, jedoch agierten diese in der Mehrheit der Fälle in Abstimmung mit ihren Herkunftsländern. Ein Schwerpunkt ihres Tätigkeitsfeldes lag außerhalb Europas. Nichtstaatliche Akteure in den europäischen Außenbeziehungen, die – wie im 16. und frühen 17. Jahrhundert die erwähnten Akteure konfessioneller Netzwerke des internationalen Calvinismus und des Katholizismus – massiven Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nehmen konnten, verschwanden (man denke an die Auflösung des Jesuitenordens in den 1760er Jahren), oder verloren an Bedeutung. Zudem sind im 18. Jahrhundert Tendenzen einer »Nationalisierung« der diplomatischen Corps und ihrer Akteure zu beobachten. Verwendung auf Missionen fanden in der Mehrheit der Fälle nur noch Landeskinder. Der Beruf des Diplomaten wurde zwar nicht unbedingt attraktiv, doch vom Adel als ein Sprungbrett für eine administrative und höfische Karriere angesehen, da die frühneuzeitlichen Administrationen zunehmend auch das Problem der Finanzierung der Gesandtschaften meisterten. Ruhm und Ehre bot in erster Linie der Dienst in der Armee, doch in Friedenszeiten war man bereit, eine diplomatische Mission zu übernehmen50. Damit drängte der Adel, der ja schon immer die Spitze der Hierarchie der Gesandten für sich reklamiert hatte, verstärkt auch in die niederen Ränge der envoyés. So wurde der diplomatische Dienst auf Dauer zu einer Domäne des Adels51. »Diplomat« wurde zu einem Beruf, der erlernbar ist. Nach allgemeiner Auffassung reichte dem Adeligen als Vorbereitung auf diese Tätigkeit die standesübliche »Ausbildung«, etwa auf Ritterakademien in Verbindung mit der Kavalierstour. Auf die eigentliche Mission würde man sich dann durch das Studium der relevanten Korrespondenzen der Vorgänger auf dem zu besetzenden Posten vorbereiten52. 49 Zitiert nach F. Waquet, Qu’est-ce que la République des Lettres? (Anm. 3), 485: Chaque membre [de la république des lettres] ne reconnoît d’autres loix que celles qu’il se prescrit à lui-même. 50 Beispiele aus dem Umfeld der französischen Diplomatie sind zu finden bei: Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, 374–385; David B. Horn, The British Diplomatic Service 1689–1789, Oxford 1961, 94 f. 51 H. Duchhardt, Balance of Power (Anm. 15), 28. 52 Ebd.

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Doch es gab auch Stimmen, die diese Form der Vorbereitung für unzureichend hielten. Überall in Europa gab es im 18. Jahrhundert Versuche, staatliche »Diplomatenschulen« zu errichten. Eine der ersten wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Frankreich durch den Außenminister Ludwigs XIV., Colbert de Torcy, begründet. Die Académie politique diente der Ausbildung von Botschaftssekretären, die den Leitern der Gesandtschaft assistieren sollten53. Weitere, ebenfalls nur kurzlebige Versuche, wurden unter anderem in Preußen und Österreich unternommen54. Zu einem Erfolg entwickelte sich die »Diplomatenschule« Johann Daniel Schöpflins in Straßburg, an der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fast alle Diplomaten und Politiker studierten, welche die Geschicke Europas an der Wende zum 19. Jahrhundert bestimmen sollten55. Für nichtadelige Aufsteiger und »Quereinsteiger« aus dem Umfeld der Gelehrtenrepublik wie etwa Spanheim blieben nur nachgeordnete Ränge und Aufgaben. Zudem veränderte sich die Perzeption von Gelehrsamkeit und Wissenschaft. Der Gelehrsamkeit haftete zunehmend der Geruch des Pedantismus an, das neue Ideal war das des philosophe56. Der junge Voltaire und der junge Rousseau dienten zwar kurzfristig als Gesandtschaftssekretäre, verfolgten diesen Weg aber nicht weiter. Sie verkörpern den Prototypen des Intellektuellen, der mit Wissenschaft, Gelehrsamkeit und Publizistik versucht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Fürstenhof und -dienst stellte für die philosophes des 18. Jahrhunderts zwar noch immer eine Versuchung dar (besonders für Voltaire, aber auch für Diderot), das Ideal des in den studia humaniora bewanderten Höflings aber verlor an Anziehungskraft. Außenpolitik wurde weitgehend aus der Ferne kommentiert, analysiert (Voltaire im Siebenjährigen Krieg) und vor allem kritisiert57. Der Staatsdiener und -beamte des späten 18. und des 19. Jahrhunderts, dem Wohl eines Herrschers und eines Staates verpflichtet, mochte staatskritische Debatten zwar rezipieren, nahm aber eher selten aktiv an ihnen teil. 53 Guy Thuillier, La première école d’administration. L’académie politique de Louis XIV, Genf 1996. 54 H. Duchhardt, Balance of Power (Anm. 15), 27. 55 Vgl. Jürgen Voss, Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung: Johann Daniel Schöpflin (1694–1771), München 1979. 56 Chantal Grell, Histoire intellectuelle et culturelle de la France du Grand Siècle (1654– 1715), Paris 2000, 62 ff. Umfassend: Blandine Kriegel, L’Histoire à l’âge classique, Bd. 2: La Défaite de l’érudition, Paris 1996. 57 Vgl. die Kritik Mablys an der europäischen Außenpolitik seiner Zeit. Siehe dazu: Marc Belissa, Introduction, in: Gabriel Bonnot de Mably, Principe des négociations pour servir d’introduction au droit public d’Europe (1757), hrsg.v. Marc Bélissa, Paris 2001, 7–38.

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Von der ursprünglich engen Verbindung zwischen studia humanitas und Diplomatie ist nur noch das zum Klischee gewordene Bild des Diplomaten als einer weltgewandten und kultivierten Persönlichkeit geblieben. Zwar gab es im 19. und 20. Jahrhundert noch zahlreiche »Diplomaten-Schriftsteller« wie Paul Claudel, Saint-John Perse, Harry Graf Kessler, Wilhelm Hausenstein oder Erwin Wickert, doch die Gegenwart der Diplomatie bestimmen Spezialisten für Recht und Wirtschaft.

Finanzwissenschaft und diplomatische Missionen: Machtstrategien und Ausbildung der Staatswissenschaften in Frankreich und der österreichischen Monarchie (1750–1820) Von Christine Lebeau

Die Geschichte der internationalen Beziehungen interessiert sich gemeinhin wenig für das Sammeln von Informationen und Wissen, ob sie sich nun der »realistischen Schule« zurechnet oder den Fokus eher auf die Akteure und die personalen oder staatlichen Strategien der Verflechtung legt. Es war aber nicht allein die Nähe zum Fürsten, die Einfluss verlieh; man musste ihm auch Mittel vorschlagen, seine Macht zu mehren. Dabei war die während diplomatischer Missionen gesammelte Information Gegenstand multipler, ja sogar gegensätzlicher Strategien. Wissenschaftliche Kompetenzen, der Besitz von Informationen oder die Position an einer wichtigen Schaltstelle der Kommunikation wurden zu Quellen von Macht1. Der vorliegende Beitrag nimmt diesen Aspekt diplomatischer Tätigkeit genauer in den Blick. Er ist in der Forschung oft festgestellt, aber kaum problematisiert und noch weniger mit Überlegungen zur Entstehung der Staatswissenschaften in Bezug gesetzt worden. Indem das Erkenntnisinteresse weg von den eigentlichen Verhandlungen hin zum Sammeln von Informationen verschoben wird, soll zudem die Frage der diplomatischen Sattelzeit, verstanden als ein Moment beschleunigten strukturellen Wandels, die das Ende der Gelehrtenrepublik und der diplomatie de l’esprit (Marc Fumaroli) markiert und mit neuen Konzeptionen und Erwartungen einhergeht, genauer erörtert werden2. Während die Historiker, die sich mit der Zeit nach 1800 befassen, das 19. Jahrhundert mit seinen Experten, die im Dienste allgemeiner Interessen und Fachkenntnisse ihre Treffen und ihren Austausch jenseits der Grenzen organisierten, inzwischen nicht mehr nur als Zeitalter des Nationalismus, sondern auch des Internationalismus analysieren3, halten die nationalen Verwaltungsgeschichten die These eines Abschlie1 Michel Crozier / Erhard Friedberg, L’acteur et le système, Paris 1992 (zuerst 1977). 2 M. S. Anderson, The Rise of Modern Diplomacy, London 1993. 3 Vgl. hierzu den Beitrag von Johannes Paulmann in diesem Band, sowie Martin H. Geyer / ders. (Hrsg.), The Mechanics of Internationalism. Culture, Society and Politics from the 1840s to the First World War, Oxford 2001; Éric Brian, Transactions statistiques au XIXe siècle. mouvements de capitaux symboliques , in: Actes de la Recherche en sciences sociales 145 (2002), 34–46.

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ßungsprozesses aufrecht, verstanden als Synonym für Bürokratisierung und Professionalisierung4. Nach 1790 wurde neues Wissen jedoch immer noch in personalen Netzwerken generiert und konnte sich selbst in Kontexten starker Institutionalisierung dem nationalen Rahmen entziehen5. Die Praktiken veränderten sich nicht in gleichem Masse wie die Personen. Mit Blick auf die Strategien der Akteure ist zu fragen, wie sich zwischen dem Siebenjährigen Krieg und dem Wiener Kongress ein transnationales Fachwissen herausbildete, das den Verwaltungsbeamten allmählich vom Diplomaten trennte.

I. Verhandlung und Information Die Handbücher für Diplomaten aus dem 17. und 18. Jahrhundert wiesen diplomatischen Missionen allesamt eine doppelte Aufgabe zu. Während der Fürst nur dort einen diplomatischen Repräsentanten unterhielt, wo er verhandeln konnte und musste, sollte ihm dieser zugleich auch eine umfassende Kenntnis über die Situation jener Fürsten, die in »irgendeiner Beziehung« (quelque rapport) zu seinen Interessen standen, verschaffen.6 Die Information musste also der Verhandlung vorangehen und diese begleiten7. Im Laufe der Zeit wurden die Aufgaben der diplomatischen Vertreter ausgeweitet und zugleich präziser abgegrenzt. François de Callières hielt die Informationsbeschaffung im Herrschaftsbereich eines fremden Fürsten für legitim. Einzig derjenige, der sich korrumpieren lässt, sei zu verurteilen8. Als »ehrenhafter Spion« musste der Botschafter auch Auge und Ohr seines Fürsten sein: »In dem Maße, wie er sich über den Zustand des Hofes und die Angelegenheiten des Landes, in dem er sich befindet, in Kenntnis setzt, muss er davon in seinen Depeschen Bericht erstatten und darin die Geisteslage jener, die am meisten Kredit genießen und der Mi4 Z. B. Waltraud Heindl, Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780 bis 1848, Wien 1991, oder Françoise Dreyfus, L’invention de la bureaucratie. Servir l’État en France, en Grande-Bretagne et aux États-Unis (XVIIIe–XXe siècle), Paris 2000. 5 Jean-Luc Chappey, La Société des observateurs de l’homme, 1799–1804. Des anthropologues au temps de Bonaparte, Paris 2002; ders. (Hrsg.), Réseaux & sociabilité littéraire en Révolution, Clermont-Ferrand 2007. 6 Vgl. Abraham de Wicquefort, L’ambassadeur et ses fonctions, 2 Bde., Cologne 1690, Bd. 1, 71. Zu den Abhandlungen über die Rolle des Gesandten siehe den Beitrag von J.-C. Waquet in diesem Band. 7 Lucien Bély, L’art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne, Paris 2007, 18. 8 François de Callières, De la manière de négocier, Paris 1716, 178; L. Bély, L’art de la paix (Anm. 7), 571.

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nister, mit denen er es zu tun hat, ihre Geneigtheit, ihre Leidenschaften und Interessen beschreiben und bestrebt sein, sie in so klarer und konziser Art und Weise wiederzugeben, dass der Fürst oder Minister, der die Briefe erhält, den Zustand der Dinge, von welchen er berichtet, so genau kennt, als wäre er selbst vor Ort.«9 Zu erwerben waren Callières zufolge gleichermaßen Kenntnisse der militärischen Angelegenheiten und der Einkünfte und Ausgaben. Aber auch diese Kenntnisse erwarb der Unterhändler, indem er das Mienenspiel zu lesen und den versteckten Sinn von Worten zu verstehen suchte10. Einen anderen Ansatz vertrat Jakob Friedrich von Bielfeld. Dieser Kaufmannssohn war preußischer Legationssekretär in Hannover und London, hatte vorher an der Universität von Leiden studiert und war durch die Niederlande, Frankreich und England gereist11. Er hob die Bedeutung von Tatsachen hervor, gerade, um dem zufallsbedingten Charakter der Berichte über die Menschen und ihre Umtriebe abzuhelfen. Der zweite Band seines Werkes Lehrbegriff der Staatskunst handelt unter dem Titel »Von dem Cabinette der auswärtigen Angelegenheiten« nicht allein die Repräsentation und die Repräsentanten ab, sondern auch das »politische Kalkül«, wozu statistische Kenntnisse gehörten12. Der wichtigste Gegenstand der »Wissenschaft der Kabinette« bestehe darin, »diejenigen Länder, über welche man arbeitet, nach ihrer Lage, Stärke und Schwäche, ihren Vortheilen, ihren Rechten, ihren Ansprüchen, ihren natürlichen Nutzen, u.d.g. genau und vollkommen zu kennen.«13 Bielfeld ermunterte daher den angehenden Gesandten, eine persönliche Bibliothek anzulegen und zusammenfassende Abhandlungen zu verfassen, die sich aus dem Gesammelten speisen würden. Diese Überlegungen standen offensichtlich in Verbindung zur kameralwissenschaftlichen Ausbildung, wie sie an den deutschen Universitäten auf der Grundlage der Handbücher von Johann Ja-

9 […] à mesure qu’il s’instruit de l’état de la cour et des affaires du pays où il se trouve, il doit en faire le récit par ses dépêches, y marquer la situation des esprits de ceux qui ont le principal crédit et des ministres avec qui il traite, leurs attachements, leurs passions et leurs intérêts, s’étudier à les représenter d’une manière si claire et si ressemblante que le prince ou le ministre qui reçoit ses dépêches puisse connaître aussi distinctement l’état des choses dont il lui rend compte, que s’il était lui-même sur les lieux. F. de Callières, De la manière (Anm. 8), 296. 10 Jean-Claude Waquet, François de Callières. L’art de négocier en France sous Louis XIV, Paris 2005, 137, 153. 11 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 2, Leipzig 1875, 624 f. 12 Jakob Friedrich von Bielfeld, Lehrbegriff der Staatskunst, zweiter Theil. Nebst denen Ergänzungen beyder Theile aus dem Französischen übersetzt, Bresslau / Leipzig, 1768, 3. Hauptstück: »Von dem Cabinette der auswärtigen Angelegenheiten«, 11. 13 Ebd., 11 f.

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kob Schmauß und später von Achenwall betrieben wurde14. Joachim Darjes, Professor für Kameralwissenschaft in Jena, verfasste denn auch das Vorwort für die Ausgabe der Institutions politiques von 1762. Die auf Französisch abgefassten und publizierten Institutions spiegeln die wachsende Bedeutung wider, welche dem quantitativen Wissen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur in der Beurteilung der Stärke und Schwäche der Staaten, sondern auch in den politischen Entscheidungsprozessen zukam15. Um seine Aufgabe als privilegierter Informationsgeber zu erfüllen, konnte der Botschafter oder Gesandte von einem Sekretär oder sogar von gentilshommes d’ambassade mit weniger klar geschiedenen Aufgabenbereichen unterstützt werden. Callières plädierte für den systematischen Einsatz dieses Personals in den französischen Botschaften. Bielfeld präzisierte diesbezüglich, dass weder der Sekretär, noch die gentilshommes Repräsentanten des Fürsten seien. Sie unterschieden sich von Spionen aber dadurch, dass sie dem Fürsten vorgestellt wurden, wenn sie Adlige waren, und dem Minister, wenn sie nicht dem Adel angehörten. Bielfeld unterstrich vor allem die Vorteile, welche die mit ihrer Tätigkeit verbundene Ausbildung für eine diplomatische Laufbahn hatte. So begleitete etwa Montesquieu den englischen Botschafter im Jahre 1728 nach Österreich; Ludwig von Zinzendorf gehörte der Gefolgschaft des Grafen von Kaunitz an, der zwischen 1750 und 1753 in Paris weilte, um das renversement des alliances vorzubereiten. Dem Botschafter das Verhandeln, dem Sekretär und den gentilshommes das Sammeln der Grundkenntnisse über die Staaten – diese auf den ersten Blick geradezu idealtypische Aufteilung der Zuständigkeiten sollte nicht die wichtige Rolle verdecken, welche persönliche Bindungen und der Einsatz von Macht bei der Informationsbeschaffung spielten. Tatsächlich waren die Missionen so verschieden wie die Akteure, die sie ausführten. Die Einsichten von Montesquieu waren alle persönlicher Art: Wie er von Wien aus schrieb, wünschte er in den diplomatischen Dienst des Königs zu treten, um seine Betrachtungen über die Funktionsweise der Ständeversammlungen zu vervollständigen16. Ludwig von Zinzendorf setzte sich über die Prinzipien der neuen politischen Ökonomie ins Bild und informierte sich bei französischen und englischen Financiers genauer über die Banken Europas, bevor er Finanzrat des Kanzlers Kaunitz wurde17. 14 Michael Stolleis, Histoire du droit public en Allemagne, Paris 1998, 466 f. 15 Lars Behrisch, Politische Zahlen. Statistik und Rationalisierung der Herrschaft im späten Ancien Régime, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), 551–577. 16 Robert Shackelton, Montesquieu. Biographie critique, Grenoble 1977, 79 f. 17 Christine Lebeau, Aristocrates et grands commis à la Cour de Vienne (1748–1791). Le modèle français, Paris 1996, Kap. 8.

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Die Empfehlungen eines Callières und eines Bielfeld trugen sicherlich dazu bei, die literarische Figur des parfait ambassadeur zu prägen18. Trotzdem stellt das Handbuch von Bielfeld, der die Ratschläge von Wicquefort und Callières aufnahm und umformte, auch das Zeugnis einer Praxis dar. Es war Teil der idealen Bibliothek des Prospectus d’un nouveau dictionnaire de commerce von Morellet und diente als Grundlage für die Ausbildung der Handelsräte in der kaiserlichen Handelsakademie19. Der Botschafter erscheint damit als einer der Hauptakteure in der Zirkulation des Wissens über die Staaten in Europa. Dem entspricht auch die Vorstellung, die sich andere Zeitgenossen vom Botschafter machten: Der introducteur d’ambassadeurs Jean-Nicolas Dufort de Cheverny zeichnete ein lobendes Bild des Grafen von Kaunitz, der nach den Verhandlungen um das renversement des alliances seine Zeit damit verbracht habe, sich bei den Financiers über die französischen Finanzen zu erkundigen20. In den diplomatischen Archiven sind heute nur noch unvollständige Spuren dieser Aktivität der Gesandten und ihres Gefolges erhalten. Dennoch erhellen sie einige Probleme, die sich als noch vielfältiger und komplexer darstellen als die Vorbereitungen zur Verhandlung21. Die Fehlinformation war ein steter Begleiter der Information. Ein Beispiel dafür ist etwa das Manuscrit de M. Trudaine, von dem in London, Wien und Dresden mehrere Kopien erhalten sind22. Es enthält eine Bilanz der französi18 Zur Konstruktion von Callières vgl. J.-C. Waquet, François de Callières (Anm. 10). 19 André Morellet, Prospectus d’un nouveau dictionnaire de commerce en cinq volumes infolio proposés par souscription, Paris 1769. André Morellet (1727–1819), Sohn eines Papierhändlers in Lyon, studierte Theologie am Maison et société de la Sorbonne zusammen mit den zukünftigen contrôleurs généraux Turgot und Loménie de Brienne. Den Ökonomen nahe stehend, wurde er 1762 durch den Pariser Buchhändler Etienne mit einer neuen Edition des Dictionnaire de commerce der Brüder Savary beauftragt und erhielt ab 1766 eine Gratifikation von 2000 livres (3000 livres 1769) für die Ausarbeitung des Dictionnaire de commerce, der alle sechs Monate neu erschien. Zur Académie de commerce in Wien vgl. C. Lebeau, Aristocrates et grands commis (Anm. 17), 114 f. 20 Jean-Nicolas Dufort de Cheverny, Mémoires sur les règnes de Louis XV et Louis XVI et sur la Révolution, 2 Bde., Paris 1886, Bd. 1, 132. 21 Vgl. den weitläufigen Überblick bei Lucien Bély, Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV, Paris 1990, Kap. 6 (»L’universelle curiosité«) und Kap. 7 (»Les métamorphoses de l’information«). 22 Dieses Manuskript wurde als Primärquelle verwendet bei James C. Riley, The Seven Years War and the Old Regime in France, Princeton 1986, 147. Riley präsentiert Trudaine als »Autorität in den Finanzen«. Daniel Trudaine (1703–1769) war der Sohn von Charles Trudaine (1659–1721), prévôt der Händler von Paris. Als Mitglied des Parlements von Paris und Intendant von Auvergne wurde Daniel Trudaine 1734 zum Staatsrat ernannt, wurde 1744 zum Finanzintendanten und übernahm insbes. die Leitung der Brücken und Deiche.

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schen Staatsschuld seit 1750 und schätzt die Kosten eines zukünftigen Krieges, der mit Hilfe einer Steuererhöhung finanziert werden sollte, ohne jedoch »das Volk allzu sehr niederzudrücken« (trop fouler le peuple). Allerdings handelte es sich bei den Exemplaren in den Archiven von London, Wien und Dresden nicht um ein Produkt der ehrenhafter Spionage, sondern um ein von der französischen Administration konstruiertes politisches Instrument. Eine Bemerkung, die dem Exemplar von Dresden beigefügt ist, verweist auf diese Bedeutung des Textes: »Diese Denkschrift darf niemals als authentisch betrachtet werden, erstens aufgrund der Tatsache, dass Herr von Trudaine Themen behandelt, welche absolut nicht in seinen Kompetenzbereich fallen, weder in das Ressort des Finanzrates noch jenes der auswärtigen Angelegenheiten und des Krieges […], drittens verraten die schimärischen Ideen in dieser Denkschrift einen wenig gebildeten Autoren, was man von Herrn von Trudaine nicht annehmen kann. Nichts ist wertloser als der Plan, den König von Savoyen mit 40-50‘000 Mann zu überrennen, wo doch allgemein bekannt ist, dass dieser Fürst in der Lage ist, ein Heer von 55‘000 Mann auf die Beine zu stellen, das – verschanzt in den Alpen – 150‘000 Franzosen standhalten könnte.«23 Thomas von Fritsch, Präsident der Restaurierungskommission und Autor dieser Randnotiz, kannte die französische Finanzadministration nach mehreren diplomatischen Missionen für den Kurfürsten von Sachsen nach Paris und Wien gut24. Der Kommentar zeigt die Bedeutung von personalen Beziehungen, die es erlaubten, sich den Fallen der Fehlinformation zu entziehen, und verweist auf das Gemeinschaftsgefühl der diplomatischen Vertreter über die Grenzen der Staaten hinweg, die sie repräsentieren sollten. Die heute unter Varia, Nota oder Mémoires et Documents archivierten Dokumente wurden von den Archivdiensten in von den Depeschen geschiedene Bestände zusammengefasst, als ob sie nichts mit der diplomatischen Tätigkeit 23 Ce Mémoire ne doit jamais être regardé comme authentique 1° à cause du détail où Mr de Trudaine entre sur des matières qui ne sont absolument pas de sa compétence, ni du ressort du Conseil des Finances comme les affaires étrangères et le détail de la guerre […] 3° les idées chimériques qui sont répandues dans ce Memoire decèlent un auteur peu instruit; tel qu’on ne peut pas supposer Mr de Trudaine. Rien n’est plus gratuit que le plan de campagne qu’il trace d’écraser le roy de Sardaigne avec une armée de 40 – à 50 000 ho[mmes] tandis qu’il est de notoriété publique que ce Prince est très en état de mettre sur pied une armée de 55 000 ho[mm] qui retranchés dans les Alpes feroient tête à 150 000 François. Sächsisches Hauptarchiv, Dresden, 10026 Geheimes Kabinett Loc 575/31: Manuscrit de Mr Trudene pour l’année 1757 jusqu’en 1760. 24 Zur Tätigkeit von Thomas von Fritsch als Präsident der Restaurierungskommission vgl. Horst Schlechte (Hrsg.), Die Staatsreform in Kursachsen 1762–63. Quellen zum kursächsischen Retablissement nach dem Siebenjährigen Kriege, Berlin 1958.

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zu tun hätten. Ihre Struktur variiert indessen merklich von Staat zu Staat. Der politische und gesellschaftliche Kontext prägte die Art der gesammelten Information. Die in Paris abgelegten Mémoires et Documents zu Österreich oder Sachsen enthalten Berichte, in welchen nach dem von Callières empfohlenen Modell vor allem die Hofparteien analysiert werden. Die Mémoires et Documents zu England dagegen sind fast gänzlich den Ressourcen des Landes und vor allem der Analyse seiner Finanzen gewidmet. Unter ihnen finden sich einige anonyme Denkschriften, welche während des ganzen 18. Jahrhunderts offenbar vergeblich die Ursachen für die Entwicklung der englischen Staatsschuld zu erklären versuchten, die den französischen Behörden unbegreiflich erschien. Dagegen enthalten die in Wien abgelegten Varia zu Frankreich und England Korrespondenzen zwischen den Botschaftern und geben so Aufschluss über österreichische und europäische diplomatische Netzwerke, enthalten aber kaum finanztechnisches oder statistisches Material. Die von der Staatskanzlei in die Hofkammer überwiesenen Papiere und Denkschriften (Nota) zeigen nur ein schwaches Interesse für die ausländischen Projekte und deren Verwirklichung. Man darf allerdings sicher auch die von Bielfeld empfohlene Praxis, sich selbst eine Bibliothek mit Akten und »Stücken« anzulegen, nicht ignorieren; die öffentlichen Bestände dürften nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Arbeit enthalten. So hat etwa die Staatskanzlei von Wien 1824 den Nachlass der Papiere von Joseph Wilczek25 erfasst. Der Katalog enthält 358 Stücke, von welchen die ältesten von der österreichischen Gesandtschaft nach London zwischen 1739 und 1749 stammen und von denen ein guter Teil die Finanzangelegenheiten des Herzogtums Mailand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts betrifft, also im europäischen Kontext zentrale Reformen26. Die Dokumente, die von drei Amtsträgern stammen, deren Laufbahnen im Grenzgebiet von Diplomatie und innerer Verwaltung verliefen, dokumentie25 Johann Joseph Graf von Wilczek (1738–1819), 1760 Mitglied des Consiglio supremio di economia von Mailand, kaiserlicher Gesandter in die Toskana 1771 und nach Neapel 1777, wurde 1782 Bevollmächtigter in Mailand. 26 Nur der Katalog ist heute noch zugänglich: Verzeichnis der aus der Verlassenschaft des verstorbenen k.k. geheimen Rathes und Obersthofmarschalls Herrn Grafen von Willszeck verwahrenden Aktenstücke, Haus- Hof- und Staatsarchiv, Wien, Staatskanzlei, Vorträge 237, 6.1.1824, und Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, hrsg. v. L. Gross u.a., Wien 1937, Bd. 2, 118. Zu den statistischen Sammlungen der kaiserlichen Bevollmächtigten in Mailand vgl. Christine Lebeau, Chiffres privés, chiffres politiques. L’inconcevable publication des Bilans de Pietro Verri (État de Milan, deuxième moitié du XVIIIe siècle), in: L’information économique. Production et circulation, hrsg. von Dominique Margairaz, Paris 2008, 201–225.

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ren ein von Ignaz Wasner dominiertes Netzwerk der Macht: Dieser war kaiserlicher Gesandter in London und »Freund« der österreichisch-italienischen Häuser, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Dienste der Reichsdiplomatie standen27. Karl Firmian und Franz von Rosenberg wurden bei Wasner ausgebildet und bildeten ihrerseits Wilczek aus28. Dass die Varia oder Nota keine oder nur wenige fremde Berichte enthalten, sagt letztlich nichts über die Ausbildung der Angehörigen der Machtelite in der Habsburgermonarchie aus, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts systematisch den diplomatischen Dienst passierten, bevor sie in den Zentralstellen tätig wurden29. Die grundsätzliche Verschiedenheit der Laufbahnen in Frankreich und in der Habsburgermonarchie – auf der einen Seite eine Trennung zwischen Königsdienst und Verwaltung, die nur über die Funktion des höchsten diplomatischen Amtsträgers kommunizierten, auf der anderen Seite die diplomatische Tätigkeit als Vorbedingung für eine Karriere in den Zentralstellen – darf indes das Wesentliche nicht verdecken. Der Botschafter oder sein Sekretär war für seinen Fürsten, seine Verwandtschaft und seine persönlichen Zwecke ein privilegierter Beobachter der Stärken und Schwächen der Staaten. Die interpersonalen Beziehungen spielten eine zentrale Rolle bei dieser Sammlung von Wissen, sowohl in Bezug auf die Glaubwürdigkeit als auch die Vermittlung der Information. Dass die Handbücher über den parfait ambassadeur im 18. Jahrhundert Ökonomie und Finanzpolitik mitberücksichtigten, ist auch als Ergebnis der

27 Les maisons que vous devez frequenter le plus assidument et paroitre de vous attacher le plus est La maison de Kaunitz ou on vous offrira de venir diner quand il vous plairait […] outre le directoire Rudolph Chotek vous pourra aussi placer dans son college de commerce comme il a fait Zinzendorf qu’on nomme communément Zinzin. Outre ces maison il faudra voir assez frequemment Mr de Wasner lequel est comme vous savez amico di casa, lequel vous presentera a Mr de Koch, lequel possede toute la confiance de l’imperatrice. Landesarchiv, Klagenfurt, Familienarchiv Orsini-Rosenberg, 41: An Vinzenz Rosenberg (um 1750). 28 Karl Graf von Firmian (1712–1782), Gesandter des Kaisers in Neapel und von 1759 an Bevollmächtigter in Mailand. Franz Xaver Fürst von Orsini-Rosenberg (1723–1796), Legationssekretär des kaiserlichen Botschafters Baron Ignaz Wasner in London, dann in der Verwaltung von Mailand unter der Leitung des Grafen Ferdinand Harrach, 1750 kaiserlicher Vertreter in Kopenhagen, kaiserlicher Botschafter in Madrid von 1757– 1765, Großmeister des Hofes und leitender Minister der Kanzleien des Staates, des Krieges und der Finanzen von Toskana und ab 1777 Großkämmerer und Minister der Konferenz in Wien. 29 Klaus Müller, Das kaiserliche Gesandtschaftswesen im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, 1648–1740, Bonn 1976.

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zunehmenden finanziellen Belastungen der Staaten zu verstehen30. Fortan musste der Botschafter nicht nur das römische Recht und die alte Geschichte, das heißt Instruktionen, Briefwechsel, Verhandlungen und Verträge beherrschen, sondern auch die gegenwärtigen Sprachen, die neuere Geschichte und den gegenwärtigen Zustand der Staaten kennen31. Doch konnte er um die Mitte des 18. Jahrhunderts tatsächlich all das erkennen, was für seinen Fürsten von Nutzen war?

II. Von der Kameralwissenschaft zu den Staatswissenschaften In der neueren Forschung zur Entstehung der Staatswissenschaften wird der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine beachtliche Bedeutung zugemessen. Mehrere Arbeiten haben auf die starke Bindung dieses Wissens an das Behördenwesen hingewiesen, indem sie die schwache Autonomie der Gelehrsamkeit und die spezifische Rolle der Akademien und Spezialschulen in einem staatlichen Rahmen unterstrichen32. Zwischen der Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Kameralwissenschaft 1727 in Frankfurt an der Oder und der Gründung der Académie des sciences morales et politiques 1795 in Paris scheint sich der Graben zwischen den philosophes und den Experten geschlossen zu haben. Die Institutionalisierung der Staatswissenschaften an Akademien oder Universitäten führte zur Produktion neuer Informations- und Kommunikationsmittel sowie von wirtschafts- und staatswissenschaftlichen Handbüchern, aber auch zu einer Konkurrenz, die nicht nur eine Expertengemeinschaft, sondern auch einen internationalen Wettbewerb herbeiführte. Dieser weitläufige Austausch, der sich in der Gelehrtenrepublik entfaltete, konnte sich schließlich nicht ohne die Presse ausbilden, die vor allem seit der Amerikanischen Revolution die alte, von den avvisi stammende Wahrnehmungsweise, die sich auf die Person der Souveräne konzentrierte, zu verändern begann.

30 John Brewer, The Sinews of Power. War, Money and the English State, 1688–1783, London / Boston / Sydney 1989. 31 A. de Wicquefort, L’ambassadeur (Anm. 6); F. de Callières, De la manière (Anm. 8); J. J. Bielfeld, Lehrbegriff (Anm. 12). 32 Roger Hahn, The Anatomy of a Scientific Institution. The Paris academy of sciences, 1666–1803, Berkeley / Los Angeles / London 1971; Charles Coulston Gillispie, Science and Polity in France at the End of the Old Regime, Princeton 1980; Éric Brian, La mesure de l’État. Administrateurs et géomètres au XVIIIe siècle, Paris 1994; Corinne Delmas, Instituer des savoirs d’État. L’académie des sciences morales et politiques au XIXe siècle, Paris 2006.

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Allerdings erklärt all dies beispielsweise nicht die zwar verzögerte, aber schließlich erfolgreiche Einführung von Parzellenkatastern oder Staatsbanken durch die europäischen Staaten – beides zentrale Elemente der neuen Finanzwissenschaft, welche sich um 1820 konstituierte. Die Handbücher lieferten nur unklare Hinweise, ja rieten sogar von solchen Maßnahmen ab. Die akademischen Preisausschreibungen behandelten eher »sozialwissenschaftliche« Themen. In der Presse war davon kein Wort zu lesen. Wenn die Reform und Innovation in diesen Bereichen also offenbar dem Arkanum unterstand, wie kann dann das Aufkommen eines transnationalen Wissens verstanden werden, das an mehreren Orten anwendbar sein sollte und schließlich von einer Mehrheit der Staaten übernommen wurde33? In der Finanzkrise, der sich die europäischen Staaten am Ende des Siebenjährigen Krieges ausgesetzt sahen, wurde die Einführung neuer Instrumente zu deren Bewältigung zum gemeinsamen Erwartungshorizont der Finanzverwalter in Europa. Die Ausbildung der Staatswissenschaften kann deshalb als eine Form zwischenstaatlicher Beziehungen untersucht werden, in welchen der Botschafter zwar immer ein zentraler Akteur, aber dennoch nur einer unter anderen war. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie sich diese Suche nach neuen Verwaltungstechniken außerhalb der Ämter und Akademien vollzog, wobei personalen Beziehungen eine stark strukturierende Rolle zukam. Am Ende des Siebenjährigen Krieges befanden sich die französischen Finanzen am Rande des Abgrunds, und die Krone wusste sich kaum noch gegen die radikale Opposition der parlements zu wehren. Der Parzellenkataster, der im Piemont und dem Herzogtum Mailand um 1731/1738 beziehungsweise um 1756 eingeführt worden war, hatte sich als eine Lösung für die Probleme der Zeit erwiesen34. Die Art und Weise, wie dieses Instrument in den Blick der französischen und österreichischen Behörden rückte, zeigt, wie sich deren 33 Zum Begriff des Instruments als Verwaltungstechnik vgl. Pierre Lascoumes / Patrick Le Galès (Hrsg.), Gouverner par les instruments, Paris 2004. 34 Antonella Alimento, Réformes fiscales et crises politiques dans la France de Louis XV. De la taille tarifée au cadastre général, Bruxelles 2008 (Übers. v. Riforme fiscali e crisi politiche nella Francia di Luigi XV. Dalla ›taille tarifée‹ al catasto generale, Firenze 1995). Zu den italenischen Katastern siehe Roberto Zangheri, I Catasti, in: Storia d’Italia, hrsg. v. Ruggiero Romano / Corrado Vivanti, Bd. 5, Torino 1973, 761–806; detaillierter: Sergio Zaninelli, Il nuovo censo dello Stato di Milano dall’editto del 1718 al 1733, Milano 1963, und Isabella Ricci, Perequazione e catasto in Piemonte nel secolo XVIII, in: Città e proprietà immobiliare in Italia negli ultimi due secoli, hrsg. v. Carlo Carozzi / Lucio Gambi, Milano 1981, 133–152. Eine europäische Darstellung findet sich bei Antonella Alimento, Entre justice distributive et développement économique. La lutte pour la création de cadastres généraux au 18e siècle, in: Kataster und moderner Staat in Italien, Spanien und Frankreich (18. Jh.), hrsg. v. Luca Mannori, Baden-Baden 2001, 1–28.

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Informationssystem an die diplomatische Repräsentation anlehnte und sich zugleich davon abzugrenzen versuchte. Um 1750 hatte der Ökonom Claude-Jacques Herbert ein Werk publiziert, welches vordergründig den Kataster anzupreisen schien, tatsächlich aber eine nach den Angaben der Besitzer angefertigte Liste der Parzellen nach dem Modell der englischen land tax empfahl35. In einer Publikation, die sich mit Spanien befasste, erwähnte der inspecteur général des monnaies und Ökonom Véron de Forbonnais in positiver Weise den Kataster von Patiño in Katalonien. Er stützte sich dabei auf spanische Werke, von denen eines auf seine Anordnung hin übersetzt worden war36. Das Wissen, das die Bücher nicht vermittelten, musste man an der Quelle suchen. Zu diesem Ziel wurden die französischen Gesandten zu Beginn des Jahres 1763 durch den contrôleur général des finances Bertin und den Finanzintendanten Moreau de Beaumont angewiesen, eine detaillierte Beschreibung des Steuersystems des Landes, in welchem sie Dienst taten, anzufertigen. Vor Ort bediente man sich der herkömmlichen Praxis, einen lokalen Experten zu befragen. Der französische Botschafter in Wien erhielt auf diese Weise einen Bericht des Präsidenten der Hofrechnungskammer Ludwig von Zinzendorf, in welchem das Fiskalsystem der Habsburgermonarchie in groben Zügen dargestellt wurde37. Die Gesamtheit dieser Schriften wurde 1768 publiziert und bildete gemäß Adam Smith das »Handbuch« der französischen Intendanten, in dem man allerdings keine Darstellung der Verwaltungstechniken im eigentlichen Sinne, sondern bloß eine Beschreibung der verschiedenen Steuern findet38. Wie hatte man sich die Kenntnisse über die an den verschiedenen Orten und unter verschiedenen Obrigkeiten entwickelten Verwaltungstechniken beschafft? Eine vertrauliche Erklärung des Botschafters von Sardinien brachte 35 Claude-Jacques Herbert, Essai sur la police générale des grains, sur leurs prix et sur les effets de l’agriculture, Berlin 1755. 36 François Véron de Forbonnais, Mémoires et considérations sur le commerce et les finances d’Espagne, avec des Réflexions sur la nécessité de comprendre l’étude du commerce et des finances dans celle de la politique, Amsterdam 1761, 81 f. Vgl. Gerónimo de Ustáriz, Théorie et Pratique du commerce et de la marine. Traduction libre par F. Véron de Forbonnais sur l’espagnol de Don Geronymo de Ustariz, sur la seconde edition de ce livre à Madrid en 1742, Paris 1753, und, für den Kataster von Katalonien, Miguel de Zavala y Auñón, Miscellanea económico-política, ó Discursos varios sobre el modo de aliviar los vassallos con aumento de el real erario, Pamplona 1749. 37 Vgl. DOZA, HS 63: Ludwig an Karl von Zinzendorf, Wien, April 1764. 38 Jean-Louis Moreau de Beaumont, Mémoire concernant les impositions et droits en Europe, Paris 1768; Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776, Buch V, Kap. II, Sekt. 2: ›Of Taxes‹, hier nach der frz. Übers.: Recherches sur la nature et les causes de la richesse des nations, trd. par Germain Garnier, Paris 1991, 467.

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im Herbst 1763 neuen Schwung in das Unternehmen. Im Hintergrund stand das Bemühen des Königs von Sardinien-Piemont um die Unterstützung des französischen Königs mit dem Ziel, seine Ansprüche auf das Herzogtum von Parma und Piacenza durchzusetzen: »Die [Steuer auf das Land] existiert im ganzen Herzogtum Mailand. Der König von Sardinien hat sie in seinen Staaten eingeführt. Der Vorgang hat zehn Jahre gedauert, der derzeitige Botschafter in Frankreich hält darüber die größten Lobreden. Es wäre sehr wichtig und sogar notwendig, gute historische und instruktive Berichte über diesen Staat zu haben. […] Unter anderen scheint der Botschafter von Sardinien bereit, darüber alle Auskünfte zu erteilen, die nachgefragt werden.«39 Das ursprüngliche Projekt erfuhr eine zweite Änderung mit dem Entschluss, eine »fähige Person« (personne habile) zu schicken.40 Ohne Zweifel stammt die Idee von Trudaine de Montigny41. Die alte Praxis der Kaufleute, sich vor Ort umzuschauen, war unter der Leitung seines Vaters Daniel Trudaine, der in den 1740er Jahren den Anstoß zur Industriespionage in England gegeben hatte, auch für Ingenieure üblich geworden42. Der Wille, den Eindruck von Spionage zu vermeiden, wurde allerdings in der Einleitung der Instruktion für den mit der Mission betrauten Harvouin klar kenntlich gemacht43. Der Gesandte des Königs konnte auf die Unterstützung des Netzwerkes des französischen Ministers ÉtienneFrançois de Choiseul zählen, danach auf jene des Turiner Verbindungsmanns in Mailand44. Der Botschafter der Kaiserin seinerseits ermöglichte die Ausdehnung der Reise nach Mailand und Florenz. Der Einsatz diplomatischer 39 La [taxe sur la terre] a lieu dans tout le Milanois. Le roy de Sardaigne l’a établie dans ses États. L’opération a duré dix ans, l’ambassadeur actuel en France en fait les plus grands éloges, et dit que cela fait le bonheur des nations. Il seroit bien important et même nécessaire d’avoir de bons mémoires historiques et instructifs sur cette nation […] M. l’ambassadeur de Sardaigne entr’autres paroit disposé a donner sur cela tous les renseignemens qui lui seroient demandés. AN, Fonds Lefèvre d’Ormesson, 144 AP = 156 Mi 72, 2: Documents concernant la mission confiée en 1763 à M. Harvouin, receveur général des finances d’Alençon pour aller étudier les cadastres établis en divers États d’Italie: Instructions données pour sa mission à M. Harvouin. 40 Vgl. hierzu Jean-Baptiste le Rond d’Alambert, Experts, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des arts et des métiers, hrsg. v. dems. / Denis Diderot, Bd. VI, Paris 1756, 301. 41 Jean-Charles Philibert Trudaine de Montigny (1733–1777), renommierter Chemiker und Mitglied der Académie des sciences. Er übernahm das Amt des Finanzintendanten 1757 von seinem Vater. 42 André Guillerme (Hrsg.), De la diffusion de la science à l’espionnage industriel, Paris 2001. 43 Instructions données pour sa mission à M. Harvouin (Anm. 39). 44 Von 1754 bis 1765 war der Choiseul nahe stehende Marquis François-Claude de Chauvelin französischer Botschafter in Turin.

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Mittel legitimierte die Mission und erlaubte es Harvouin, Ansprechpartner zu finden. Ging es jedoch darum, die einzelnen Ämter aufzusuchen und sie zu bitten, vollständige Antworten auf den in den bureaux der französischen contrôle général des finances ausgearbeiteten Fragebogen zu liefern, dann war der Botschafter nicht mehr der geeignete Mann. Sicherlich blieb er aufgrund seines Wissens um die Geflogenheiten, das Zeremoniell, die diplomatischen Zusammenhänge und die lokale Politik als Vermittler wichtig. Dennoch mussten neue Formen der Kommunikation erfunden werden. Das Sammeln von Dokumenten wurde – neben den mündlichen Kontakten – zu einem bevorzugten Mittel des Wissenserwerbs. Dabei konnte man Geheimhaltung umgehen, indem man statt authentischer Dokumente Modelle zu erhalten suchte, wie dies etwa aus folgendem Kommentar über die Kontakte mit der piemontesischen Behörde hervorgeht: »Dieser Plan wird sehr lehrreich sein, weil er fiktiv ist und man deshalb alle Arten von Schwierigkeiten einfließen lassen kann, die im Verlauf der Operation auftreten können, mit dem Ergebnis, dass man gleich viel erfährt, wie wenn man die Pläne und Karten einer ganzen Provinz hätte, was anzufragen oder daran zu gelangen unmöglich wäre.«45 Als Harvouin mit einem genuesischen Projektemacher konfrontiert wurde, der den Kataster »erfunden« zu haben vorgab, versuchte er zunächst herauszufinden, worin sein Geheimnis bestand. Harvouin zufolge lag die Erfindung selbst in Reichweite eines jeden, während seine Arbeit als Behördenangehöriger das vernunftgeleitete Sammeln praxisbezogener Modelle beinhaltete (Register, Buchhaltung, Karten). Ausgestattet mit »ansehnlichen Materialien« (materiaux aussy considerables), konnte er die Angebote des genuesischen Projektemachers ausschlagen46. Harvouins Vorgehensweise konkretisierte sich in der Tat im Kontakt mit den Behördenangehörigen. Es blieb ihm nunmehr noch, über die Umsetzung des Parzellenkatasters in Frankreich nachzudenken. Harvouin ging zuerst zum früheren Botschafter von Sardinien in Frankreich, der die französischen Verhältnisse gut kannte, um danach besser mit Neri in Florenz über dieses Thema beraten zu können47. 45 Ce plan sera tres instructif en ce qu’il est fictif et que par ce moyen on a pu y faire entrer comme on l’a fait toutes les natures de difficultés qui peuvent se rencontrer dans tout le cours de l’operation, de sorte qu’il sera aussy vite que si l’on avoit les Plans et Cartes d’une Province entiere, ce qu’il n’etoit pas possible de demander ny d’obtenir. AN, Fonds Lefèvre d’Ormesson, 144 AP = 156 Mi 72, 2: Premier Journal de la route et du travail de Mr Harvouin Receveur general des finances (im Folgenden: Premier Journal), 9.7.1763. 46 Ebd., 31.3. u. 1.4.1764. 47 Archivio di Stato di Torino, Archivio di Corte, Materie economiche, Perequazione del Piemonte, mazzo I di Prima Addizione, n. 5, 36: Copia di lettera scritta dal presidente Neri a mons. Harvoin deputato dal Re di Francia, che l’aveva richiesto di diverse notizie

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Die Herausforderung bestand darin, Herrschaftswissen zu erweben, das sich andernorts anwenden ließ, und genau darauf zielte die Antwort, die Neri Harvouin erteilte. Harvouins Mission steht für eine neue Form des Austausches zwischen Behördenangehörigen. Wenngleich die diplomatischen Netzwerke immer noch beansprucht wurden, war die Information nicht mehr nur die Vorbedingung, sondern der eigentliche Gegenstand von Missionen. Entsprechend wurden die Kontakte erweitert. Harvouin war zwar immer noch der Gesandte des Königs; unter diesem Titel wurde er dem Fürsten von Savoyen, Sohn des Königs von Sardinien, vorgestellt und traf die Minister. Aber er war zugleich auch – und dies stellte eine wesentliche Neuerung dar – offiziell berechtigt, sich mit den niedrigeren Amtsträgern zu unterhalten. Der Metallurg Gabriel Jars, der auf kein persönliches Netzwerk zurückgreifen konnte, unterließ es auf seinen Missionen nie, den Botschafter vor Ort zu treffen, bediente sich dann aber der verschiedenen sich bietenden Möglichkeiten48. Die Diplomatie war zu einer Möglichkeit unter anderen geworden, um Zugang zu nützlichen Personen zu gewinnen. Dies illustrierten auch die Missionen des Kaiserlichen Kommerzienrates Karl von Zinzendorf. Wenngleich Kanzler Kaunitz Karl von Zinzendorf daran erinnerte, dass seine Missionen im Dienste des Staates stünden, war ihr Status trotz ihrer Kosten noch unscharf49. Als Kommerzienrat und jüngerer Bruder riguardo delle operazioni fattesi per il censimento di Milano, 27.3.1764, ediert in: Antonella Alimento, Finance e amministrazione. Un’inchiesta francese sui catasti nell’Italia del Settecento (1763–1764), Florenz 2008, 423–463. Vgl. [Pompeo Neri], Relazione dello stato in cui si trova l’opera del censimento universale del ducato di Milano, nel mese di maggio dell’anno 1750. Divisa in tre parti […], [Milano 1750]. Pompeo Neri (1707– 1776) stammte aus einem Patriziergeschlecht in Volterra. Sein Großvater, Giovanni Iacopo, war Astronom Ferdinand de’ Medicis und sein Vater, Giovanni Bonaventura, Rat des Großherzogs und Professor für öffentliches Recht an der Universität von Pisa. 1728 übernahm Pompeo den Lehrstuhl seines Vaters. 1739 trat er in den Finanzrat von Toskana ein, bevor er von 1749 bis 1758 die Giunta del censimento in Mailand präsidierte. 1758 kehrte er nach Florenz zurück und wurde 1765 Ministre degli Interni und 1769 Präsident des Staatsrates. 48 Gabriel Jars, Voyages métallurgiques, ou Recherches et observations sur les mines et forges de fer, la fabrication de l’acier faites depuis l’année 1757 et compris 1769, en Allemagne, Suède, Norwège, Angleterre et Écosse [...] par feu M. Jars, [...] et publiés par G. Jars, Lyon 1774–1781. 49 Vgl. Kaunitz an Karl von Zinzendorf, (undat., wohl 1764): J’ai reçu vos remarques sur l’état de Gênes et sur celui du Piémont et j’ai été charmé de me convaincre par là de plus en plus que vos premiers soins continuent de vous rendre utile à l’État par l’acquisition des Lumières qui peuvent y contribuer. DOZA, HS 51: Karl Graf und Herr von Zinzendorf, Correspondances qui se rapportent à deux in fol. Contenant des matériaux de biographie relié en 1805, f. 222.

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von Ludwig von Zinzendorf, Präsident der Hofrechenkammer in Wien, unternahm er zwischen 1766 und 1769 eine Handelsreise in die italienischen Staaten sowie nach Frankreich und England50. Seine Mission bediente sich immer der Kanäle der Botschafter, folgte aber nicht den herkömmlichen Mustern. In Paris verschaffte ihm der kaiserliche Botschafter Mercy-Argenteau nicht den Zugang zu den Machtzirkeln oder Ämtern, sondern zu den Salons, wo Karl von Zinzendorf »nützliche Bekanntschaften« schließen konnte. Während der Reise, die ihn von Paris über Portugal nach London führte, hielt sich Zinzendorf in Madrid auf, ohne in den Genuss einer Einführung durch den Botschafter zu kommen. Nach drei Wochen gelangte er lediglich in den Besitz der Abhandlung von Zavala, einem Werk, das in Behördenkreisen durch die Vermittlung von Véron de Forbonnais bereits in ganz Europa bekannt war51. In London genoss der österreichische Hochadlige, dessen Familie Ende des 17. Jahrhunderts aus konfessionellen Gründen nach Sachsen emigriert war, die Protektion des Botschafters von Sachsen sowie von Louis-Joseph Plumard de Dangeul, einem Vetter von Véron de Forbonnais, der für seine Spionageaktivitäten bekannt war52. Diese gegenseitige Bekanntschaft spielte eine wichtige Rolle. In Paris sicherte der frühere Aufenthalt seines Bruders als adliges Botschaftsmitglied (gentilhomme d’ambassade) des Grafen von Kaunitz im Jahre 1752 Zinzendorf die Unterstützung von Madame Blondel, Tochter und Gattin eines fermier général, und Kontakte zu Finanzkreisen, insbesondere zu Harvouin und Forbonnais. Ersterer übermittelte ihm seine Sammlungen zum Kataster in Sardinien einschließlich des Fragebogens und seiner Analyse der Relazione von Pompeo Neri im Austausch gegen Berichte über die Finanzen Englands53. Der an der Universität Jena in der Kameralwissenschaft ausgebildete Karl von Zinzendorf gelangte über die Wissenschaft des Handels, die er sich in Wien über die Handbücher von Bielfeld und Justi angeeignet hatte, zur 50 C. Lebeau, Aristocrates et grands commis (Anm. 17). 51 HHStA, Tagebuch v. Karl von Zinzendorf, 6.7.1767. Christine Lebeau, Regional Exchanges and Patterns of Taxation in Eighteenth Century Europe. The Case of the Italian Cadastres, in: Global Debates about Taxation, hrsg. v. Holger Nehring / Florian Schui, Basingstoke 2007, 21–35. 52 Im März 1767 hat Karl von Zinzendorf Véron de Forbonnais mehrmals getroffen (K. v. Zinzendorf, Tagebuch [Anm. 52], 4., 11., 15., 16.3.1767). Louis-Joseph Plumard de Dangeul (1722–1777), chevalier, gentilhomme ordinaire du Roi, maître ordinaire in seiner Rechnungskammer und Trudaine nahestehend, für welchen er Spionagemissionen in England ausführte. Er ist der Autor der Remarques sur les avantages et les désavantages de la France et de la Gr. Bretagne par rapport au commerce et autres sources de la puissance des États. Traduction de l’anglois du chevalier John Nickolls, Leyde 1754. 53 K. v. Zinzendorf, Tagebuch (Anm. 51), 2.1.1769 und 21.1.1769.

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Finanzwissenschaft. Während er weiterhin regelmäßig seine Berichte abfasste und nach Wien sandte, sammelte er Materialien zu den Finanzen Europas, die seine Arbeit als Finanzminister unterstützen sollten. Ein neues Informationssystem entspann sich auf halbem Wege zwischen Außenbeziehungen und Gelehrtenrepublik. Institutionalisierte Verfahrensweisen sind in diesen interpersonalen Austauschprozessen nicht zu finden, die nur teilweise den administrativen und sozialen Hierarchien folgten. Die über diese Kanäle gesammelten Informationen betrafen dennoch die Zentralbereiche des Staates. Auch wenn sie nicht unmittelbar in die Praxis umgesetzt wurden, trugen sie doch nicht wenig zum Aufbau der Wissensbestände bei, die um 1820 die Wissenschaft der öffentlichen Finanzen begründeten.

III. Macht und Expertenwissen zwischen Ancien Régime und Revolution Bei der Übernahme neuer Verwaltungstechniken in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen vielfältige grenzüberschreitende Sozialbeziehungen zum Tragen. Die von Wolfgang Reinhard vorgeschlagene Kategorisierung personaler Netzwerke erweist sich dabei als anwendbar. Wenngleich Kanzler Kaunitz Zinzendorf in seinem Einsatz im Dienste des Staates bestärkte, fühlte sich der junge Kommerzienrat doch zunächst der Ehre seiner Familie verpflichtet, und sein Bruder bemerkte, dass das Familieninteresse einen »gebildeten Untertanen« (sujet formé) verlange54. Die Brüder Zinzendorf, die ihren politischen Aufstieg dem Kanzler Kaunitz verdankten, waren mit diesem auch über einen gemeinsamen Vorfahren, den Präsidenten der Hofkammer Gundaker Starhemberg, verbunden. Ihre Gemeinsamkeit bestand indessen vor allem darin, nicht böhmisch zu sein. Denn die wiederholten personellen Wechsel, die während der 1760er Jahre die Zentralstellen prägten, verweisen auf erbitterte Kämpfe zwischen den Hoffaktionen. Die Reform der Finanzinstitutionen zielte darauf ab, mittels neuer Kontrollorgane, die in den Händen der Zinzendorfs lagen, die alten, durch die böhmische Faktion beherrschten administrativen Strukturen zu entmachten55. 54 Ai rencontré la nécessité d’avoir un sujet formé, en état de me remplacer un jour. Je vous ai nommé. La proposition n’a point déplu, mais on a dit que c’est encore l’affaire de quelques années; tout le conseil d’État est convaincu que vous êtes le seul sujet […] Je me flatte que c’est le moyen de vous mener au grand. DOZA, HS 65: Ludwig an Karl von Zinzendorf, Wien, 19.4.1768. 55 C. Lebeau, Aristocrates et grands commis (Anm.17), Kap. 3.

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Familienbindungen und Patronage wirkten auch in Frankreich in die diplomatische Repräsentation hinein. Der mangelnde Wille des Botschafters Chauvelin in Turin lässt sich auch durch die Abneigung des Choiseul-Netzwerkes gegen eine direkt wider die parlements gerichtete Fiskalreform erklären. In der Mitte der 1760er Jahre war Trudaine de Montigny aufgrund seiner Position an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Akademie Anführer der Reformpartei; zugleich war er der Nachfolger seines Vaters in der Rolle des Patrons der Ökonomen. Plumard de Dangeul, Vetter von Forbonnais, der Zinzendorf in London führte, wurde von Morellet als Mitglied der »Gruppe von Gournay« bezeichnet, so benannt nach dem Verantwortlichen intendant des finances im bureau de commerce in den 1750er Jahren, das der direkten Verantwortung Trudaines unterstand56. Obgleich Plumard und Forbonnais tatsächlich Vettern waren, war die Gruppe als Ganzes indessen vor allem über die Netzwerke der Reeder und Leinenhändler im Westen Frankreichs verbunden57. Standen also die »starken Bindungen« der Verwandtschaft, der Patronage und der Landsmannschaft ganz im Vordergrund? Wenn man den Fokus nicht nur auf die starken, sondern auch auf die schwachen Bindungen (weak ties) legt58, ist es die Kategorie der Freundschaft, die man genauer erfassen muss. Trotz der sehr unterschiedlichen sozialen Positionen – die einen waren Adlige hohen Ranges, die anderen Angestellte aus dem Amtsadel oder dem Handel – ließen die individuellen Strategien der Akteure im Hinblick auf den Austausch administrativen Wissens die beiden Gruppen punktuell in Kontakt treten. Graf Franz Xaver von Rosenberg war der Freund von Ludwig von Zinzendorf59. Kaunitz, Rosenberg und Zinzendorf zogen die Prinzipien ihrer Politik und ihrer Ratschläge aus Büchern60, aber Karl von Zinzendorf 56 André Morellet, Mémoires sur le XVIIIe siècle et sur la Révolution, hrsg. v. Jean-Pierre Guicciardi, Paris 1988, S. 64 f. Morellet beschreibt hier die Aktivitäten Gournays und seines Umkreises. 57 Antoin Murphy, Le développement des idées économiques en France (1750–1756), in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 33 (1986), 521–541; Arnault Skornicki, L’État, l’expert et le négociant. Le réseau de la ›science du commerce‹ sous Louis XV, in: Genèses 65 (2006), 4–26. 58 Vgl. Mark S. Granovetter, The Strength of Weak Ties, in: American Journal of Sociology, 78 (1973), neu aufgel. in: ›La force des liens faibles‹, Le marché autrement, Paris 2000, 45–74. 59 Une connoissance que vous ferés à Florence est Monsieur de la comte de Rosenberg. Il est de beaucoup de mes amis. DOZA, HS 64: Ludwig an Karl von Zinzendorf, Wien, 2.1.1766. 60 C’est me faire beaucoup plus d’honneur que je ne mérite que de me demander mon foible sentiment, mais c’est une tâche qui ne laissera pas d’être embarrassante pour moi, mes principes étant à dire le vrai en plusieurs choses très différents de ceux de quelques uns des Ministres de Votre Majesté. Je ne suis point l’inventeur de ces principes, je les ai puisés partie dans des

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war auch ein »Freund« von Thomas Whately, der ihm praktische Kenntnisse über das Rechnungswesen vermittelte und ihm eine Denkschrift aushändigte, die zur »Tauschwährung« bei den Pariser Behördenangehörigen wurde61. Die Freundschaft als starkes Band innerhalb der Gruppen und als schwaches Band zwischen den Gruppen ermöglichte damit die Bildung neuen Sachverstands an der Spitze des Staates. Wenngleich einige Behördenangehörige wie Karl von Zinzendorf oder Véron de Forbonnais lange Karrieren beschritten, welche die Umbrüche der Revolution und des Empires überdauerten, wurden die aufgezeigten Strukturen in der revolutionären Phase doch tiefgreifend umgestaltet. Während allerdings das Personal von Diplomatie und Verwaltung wechselte, blieben die finanziellen Probleme dieselben, da sie in den Strukturen der Staaten angelegt waren und – bedenkt man die übermäßige Emission von Assignaten – sogar noch gravierender wurden. In Österreich wurden fast zur gleichen Zeit ähnlich ausgerichtete Finanz- und Fiskalreformen durchgeführt wie in Frankreich. Dabei bediente man sich einer Reihe von Instrumenten, die vor 1780 entwickelt worden waren62. Auch dort, wo die Revolution tabula rasa gemacht hatte, musste man auf Wissen und Strukturen zurückgreifen, die vor der Revolution entwickelt worden waren. Deshalb ist es sinnvoll, bei der Betrachtung der Zeit nach 1800 die Vorgeschichte im Blick zu behalten. Auf französischer Seite erweist sich die soziale Erneuerung des Personals als augenfälligstes Phänomen. So wurde der alte Adel von der Macht verdrängt, was im diplomatischen Dienst aufgrund dessen Präsenz noch tiefgreifendere Folgen zeitigte als in der Finanzverwaltung. Miot de Melito, Botschafter in livres généralement estimés bons, et partie je les ai appris de plusieurs grands hommes que j’ai eû l’occasion de connoître dans les voyages continuels que je fais depuis 25 ans. Landesarchiv, Klagenfurt, Familienarchiv Orsini-Rosenberg, 65/359 (Bericht [Konzepte] des Grafen Franz X. Rosenberg an Kaiserin Maria Theresia betref. toskanische Angelegenheiten 1766–1768): Brief des Grafen Rosenberg an die Kaiserin Marie-Thérèse, Hof zu Florenz, o. D. (1767 ?). 61 2. Janvier 1769. M. Harvouin fut chez moi le matin, je commençois a lire des questions proposées a M. le Président Neri sur l’Introduction du Censimento en France […]. 21 janvier 1769 M. Harvouin m’envoya la copie de mon mémoire sur les revenus de l’Angleterre que je collationnois. K. v. Zinzendorf, Tagebuch (Anm. 52). Thomas Whately (gest. 1772), Mitglied des Parlaments (1761–1768), wo er die Funktion eines commissioner am Bord of Trade, eines Sekretärs der Schatzkammer unter Lord Grenville und Unterstaatssekretär unter Lord North (1771–1772) ausübte, hatte Zinzendorf seine Kenntnisse über die Finanzen von England vermittelt. 62 Eine Kommission zur Einführung eines Katasters wurde 1810 eingesetzt; der im gleichen Jahr unterzeichnete Aufhebungsplan der Assignaten öffnete den Weg für die Gründung einer Nationalbank 1814.

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Florenz und danach in Turin, unterstreicht dies in seinen Memoiren63. Ausgebildet in den bureaux des Kriegsministeriums in Versailles, wo sein Vater einer der premiers commis gewesen war, wurde er im November 1794 ( Jahr III) zum Kommissar für Außenbeziehungen. Als solcher versuchte er, die auswärtigen Beziehungen, »die nicht mehr existierten«, wiederzubeleben. Im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten hatten sich allein die Gebräuche erhalten: Es war deshalb absolut notwendig, eine neue Bibliothek anzulegen, um Bücher und Zeitschriften zu sammeln, welche im Ausland publiziert wurden. Im Bereich der Finanzen war der Umbruch weniger ausgeprägt. Michel Bruguière hat auf die Bedeutung der Kaufmannsnetzwerke für die Indienneherstellung hingewiesen, welche die Kontinuität zwischen Ancien Régime und der Konsulatszeit sicherten. Zugleich beschreibt er, wie Männer, die seit dem Beginn der 1770er Jahre mit dem Fürsten Talleyrand in Verbindung gestanden hatten, in das Finanzwesen eindrangen. Talleyrand selbst war zu Beginn seiner Karriere von Choiseul protegiert worden64. Über die revolutionären Wechselfälle hinweg behielten die administrativen Kompetenzen ihre Bedeutung. Besser als das Herkunftsprinzip erklären sie die personalen Kontinuitäten innerhalb der bureaux, verkörpert durch Miot, aber auch durch Gaudin und Hennet, die Mitarbeiter des napoleonischen Katasteramts, oder Mollien, den Leiter der Banque de France65. Nach Thermidor entstanden neue Bedingungen für den grenzüberschreitenden Austausch um Fachwissen. Die Mobilität, die damit einherging, ermöglichte die Wiederaneignung der alten Wissensbestände. Die Finanzmission wurde zu einem zentralen Element der Verwaltung des neuen von 63 André-François Miot, Graf von Melito (1762–1841), Kommissar für Außenbeziehungen (21. November 1794 bis zum 19. Februar 1795) und Gesandter in die Toskana (1795), dann nach Rom und Turin (1797). Nach dem 18. Brumaire führte er Missionen in Belgien und dann in Neapel aus. Vgl. Mémoires du comte Miot de Mélito, ancien ministre, ambassadeur, conseiller d’État et membre de l’Institut, Paris 1873–1874. 64 Michel Bruguière, La Première Restauration et son budget, Genève / Paris 1969, und ders., Gestionnaires et profiteurs de la Révolution. L’administration des finances françaises de Louis XVI à Bonaparte, Paris 1986. 65 Martin-Charles Gaudin, duc de Gaète (1856–1841) trat 1773 in die Verwaltung des Vingtième ein. Er wurde Commissionaire in der Trésorerie nationale, und trat von dort 1795 zurück. Er kehrte 1799 als Finanzminister zurück und blieb dies bis 1814. Danach war er Gouverneur der Banque de France von 1820 bis 1834. Graf François-Nicolas Mollien (1758–1850), Sohn eines Posamentierers, trat 1778 in die ferme générale ein, dann in die contrôle général des Finances. 1792 übernahm er eine Baumwollspinnerei. 1799 erhielt er die Direktion der caisse d’amortissement und wurde von 1806 bis 1814 Minister des Trésor Public. Er wurde 1808 comte d’Empire, 1819 pair de France und präsidierte die commission de surveillance de la Caisse des dépôts et consignations.

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Frankreich beherrschten Raumes, zum einzigen Mittel, um mit Hilfe des Ratschlags »erfahrener Personen« Ortskenntnisse zu erwerben66. Die Weitergabe der Informationen zwischen den verschiedenen Behördenzweigen sei künftig vorgesehen, so Bouteville, représentant en mission in Belgien, 1797: »Die Minister des Inneren, der Justiz und der Finanzen hatten mich nacheinander nach Auskünften gefragt und mich angeregt, mich zu diesem wichtigen Beschluss zu äußern. Nach jedem Rundgang, den meine Mission erforderte, präsentierte ich den Ministern und selbst dem Direktorium die weitläufigen Berichte zu diesem Thema.«67 Auf diese Art wurde auch das Interesse am Kataster wiederbelebt. Als Hennet sich darüber beklagte, dass er über das öffentliche Haushaltswesen berichten müsse, ohne sich nach London begeben zu haben, betonte er die Bedeutung seiner Reise in den Piemont zum Zeitpunkt der Departementalisierung dieses Gebietes, um sich über den Kataster zu erkundigen. Schon 1795 hatte er sich in Brüssel aufgehalten, um an der fiskalischen Harmonisierung zwischen Belgien und Frankreich zu arbeiten. Gaudin seinerseits begab sich nach Mailand, um Dokumente zu sammeln68. Die Finanzordnungen, die mit der territorialen Expansion notwendig wurden, erforderten ebenfalls neues Wissen. So wurde Mollien 1798 beauftragt, das englische Bankensystem unmittelbar vor Ort zu untersuchen, so wie es Graf von Pergen im Dienst des Kaisers tat. Champagny, der Nachfolger von Chaptal im Innenministerium, erwarb als Spezialist für Probleme bei der Eintreibung von Schulden, die durch die territorialen Umwälzungen verursacht

66 Vues sur la Belgique et la Hollande, par Portiez (de l’Oise), représentant du peuple, précédées du compte qu’il rend de sa mission depuis le 26 brumaire jusqu’au 26 germinal an III de la république française. Imprimées par ordre de la Convention nationale, Imprimerie nationale, thermidor an III, 6. Der Bestand AF IV der Archives Nationales in Paris enthält das Archiv der für die Missionen zuständigen Kommission. Zur Bedeutung des Raumes vgl. Isabelle Laboulais, La géographie physique selon Nicolas Desmarets, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 51/2 (2004), 38–57. 67 Les ministres de l’intérieur, de la justice et des finances m’avaient successivement demandé des renseignemens, et invité à m’expliquer sur cette importante résolution. Au retour de chacune des tournées que ma mission nécessita, je présentai aux ministres et au directoire même des rapports étendus à ce sujet. Compte de la mission du citoyen Bouteville, commissaire du gouvernement dans les neuf départements réunis par la loi du 9 vendémiaire an 4, Brüssel Jahr 5 (=1797), 21. 68 Storia de’ principj, delle massime e regole seguite nella formazione del catasto prediale introdotto nello stato di Milano l’anno 1760 di Carlo Lupi segretario di governo presso l’I.R. Giunta del Censimento dedicata S.A.I. il serenissimo Principe Ranieri Vicere del Regno Lombardo-Veneto e Presidente dell I. R. Giunta del Censimento, Milano 1825, 155.

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wurden, Anerkennung, bevor er wieder Außenminister wurde69. Diesen Männern, die vor 1789 untergeordnete Posten besetzt hatten, gelang es aufgrund ihres Sachverstands, in höchste Ämter aufzusteigen. Inwiefern wurde das Primat der Sachkompetenz, wie es sich im Zuge des gewaltsamen Umbruchs in Frankreich durchzusetzen schien, durch die Verfestigung neuer Netzwerke rasch korrigiert70? Die technischen Probleme um die Gründung der österreichischen Nationalbank zeigen, welche Bedeutung der Beherrschung von Informationen und Instrumenten weiterhin zukam, nicht nur um neue Macht zu begründen, sondern auch um bereits gewonnenen Einfluss zu erhalten. An der Seite des Grafen von Wallis, Präsident der Hofkammer, findet man den Hofrat Limpens, vorher zuständig für die Kammer in den Niederlanden und Erbe eines mächtigen wallonischen Geschlechts, der sich von Pariser Bankiers die Pläne der Banque de France beschafft hatte71. Die Ergebnisse dieser Finanzspionage zeitigten allerdings angesichts der Macht des Patronagenetzwerks des Grafen Stadion nicht den erhofften Erfolg72. Wenngleich sich der Letztgenannte selbst trotz seines Studiums in Göttingen als inkompetent erwies, kontrollierte und konzentrierte er auf der Grundlage seines diplomatischen Beziehungsnetzes den vielfältigen, auch auswärtigen finanziellen Sachverstand, etwa jenen des Genfers toskanischer Herkunft Sismondi und jenen eines holländischen Finanzkonsortiums73. Stadion, der wie Metternich aus dem rheinischen Ritteradel hervorgegangen war, musste sich 69 Jean-Baptiste de Nompère de Champagny, duc de Cadore (1756–1834), major de vaisseau mit 26 Jahren, war Deputierter des Adels von Forez bei den Generalständen 1789. Napoléon Bonaparte ernannte ihn 1800 zum Staatsrat, 1801 zum Botschafter in Wien, 1804 zum Innenminister, 1807 zum Minister für Außenbeziehungen. In diesem Amt handelt er die Heirat des Kaisers mit der Erzherzogin Marie-Louise aus. 70 Emmanuel de Waresquiel, Un groupe d’hommes considérables. Les pairs de France et la Chambre des pairs héréditaire de la Restauration, 1814–1831, Paris 2006. 71 Limpens de Schevemont, Prospectus pour l’amortissement de billets d’échange et pour la reproduction de quelque Numéraire. Österreichisches Staatsarchiv, Wien, Hofkammerarchiv, Geheimes Präsidential-Protokoll, 5, 497–528. 72 Graf Johann Philipp von Stadion-Warthausen (1763–1824) war Botschafter in Stockholm 1787, in London zwischen 1790 und 1792,und 1804 in St. Petersburg. Von 1805 bis 1809 war er Außenminister des österreichischen Kaisers, von 1815 bis zu seinem Tod Finanzminister. Vgl. Alois Brusatti, Graf Philipp Stadion als Finanzminister, in: Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag, Graz / Köln, 1965, 281–294. 73 HHStA, Saatskanzlei ad Hofkammer 259, 497–528: Mémoire sur la suppression des Billets de banque par Mr Sismonde de Sismondi, 1808; Baron Feltz, Coup d’œil sur l’état actuel des finances de la Monarchie autrichienne et de leur rapport immédiat avec les relations externes de cette Puissance, 135 f., und HHStA, Kaiser Franz Akten 177, 179 f.: Mémoire sur l’état de finances de la monarchie autrichienne au mois de septembre 1808.

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dennoch auf die Finanzen begrenzen, da ihm, verdrängt von seinem Landsmann und Freund, der Zugang zur Staatskanzlei verwehrt blieb. Die Verschränkung zwischen Außendienst und Beobachtung vor Ort zum Zwecke der Erhaltung, Anpassung und Neuschaffung von Machtnetzwerken wirkte weiter.

IV. Schlussfolgerungen Sowohl in Frankreich als auch in Österreich zeugen die Akten der nach 1800 eingerichteten Büros und Kommissionen von der Nationalisierung des administrativen Wissens, indem sie die Erinnerung an den Austausch auslöschten, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Einrichtung dieser Institutionen vorangegangen war. Der Verwaltungsapparat begann für sich selbst Expertenstatus zu beanspruchen, während die vertraulichen oder privaten Akten weiterhin auf personale Verflechtungen verweisen. In diesem Sinne lässt sich eine lange Anlaufphase ausmachen, in der seit dem Siebenjährigen Krieg Familien und Einzelpersonen in den Genuss von Gunsterweisen des Fürsten kamen, wenn sie den Willen zum Wandel und zur technischen Rationalität befriedigen konnten. Neue Instrumente des öffentlichen Finanzwesens entstanden auf diese Weise. Parzellenkataster, Amortisation, öffentliches Rechnungswesen, Budgetplanung und Nationalbank wurden in einer Grauzone von diplomatischen Beziehungen und familiären Strategien zum Gegenstand grenzüberschreitenden Transfers74. Das Erscheinen neuer zwischenstaatlicher Kommunikationsformen und neuer Schriften über den Staat – Handbücher, statistische Sammlungen oder Protokolle internationaler Kongresse –, die zu den alten interpersonellen Praktiken hinzutraten, beförderten diese Entwicklung. Die Personenkreise, die wir in den Mittelpunkt unserer Betrachtung gestellt haben, waren keine Eindringlinge in die Diplomatie, sondern zentrale Akteure einer doppelten Professionalisierung, welche »die Folgen der Trennung und der Abgrenzung zwischen den als souverän bezeichneten Räumen«75 konzeptualisierte und steuerte. Übersetzung aus dem Französischen: Nadir Weber 74 Christine Lebeau, L’homme imaginaire. La construction européenne de la science des finances (im Druck). 75 »[…] les effets de séparation et de distinction entre espaces de souveraineté proclamée.« Zit. Bertrand Badie, Le diplomate et l’intrus. L’entrée des sociétés dans l’arène internationale, Paris 2007, 10.

Reformer, Experten und Diplomaten: Grundlagen des Internationalismus im 19. Jahrhundert Von Johannes Paulmann

Das 19. Jahrhundert gilt gemeinhin als das Jahrhundert des Nationalismus. Mit dem Aufkommen der modernen Nationalstaaten – so die gängige Interpretation – endete das alte, vielfältig verflochtene Europa. Politik, Gesellschaft und Kultur orientierten sich fortan entlang nationaler Grenzen. Der Imperialismus steigerte dann später den Machtanspruch der Nationen über die historisch begründeten Räume hinaus auf weite Teile der ganzen Welt: Weltmächte konkurrierten miteinander, verstrickten sich in einen »neuen dreißigjährigen Krieg« (Raymond Aron). Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewannen die transnationalen Kräfte so viel Gewicht, dass manche Kommentatoren vom kommenden Ende der Nationalstaaten im Zeitalter der Globalisierung zu reden begannen1. Eine solche Erzählung kann im Lichte neuerer Forschungsperspektiven mit einer anderen Darstellung kontrastiert werden, in der das 19. Jahrhundert als ein Jahrhundert des Internationalismus erscheint. Diese Interpretation betont die Verdichtung und Beschleunigung des Weltverkehrs und in seinem Gefolge die wachsende Zahl von wirtschaftlichen und sozialen Fernbeziehungen seit den 1840er Jahren. Der Blick wird hier auf Bindungen und Wertsetzungen jenseits nationaler Denkmuster gerichtet. Internationale Regulierungen des Wirtschaftsaustauschs, der Migration und der Kulturbeziehungen finden besondere Beachtung, und die frühen Internationalen Organisationen rücken in den Mittelpunkt des Interesses2. Der Erste und der Zweite Weltkrieg unterbrachen zunächst diese Entwicklung zur Weltgesellschaft. Erst nach 1945 knüpften führende Mächte und Persönlichkeiten dann wieder an die Vorleistungen des 19. Jahrhunderts an. Die hergebrachte und die neuere Darstellung enden beide mit dem Aufstieg der Kräfte, die jenseits des Nationalstaats wirken. Die erste betont für die Zeit ab dem 19. Jahrhundert die politische Macht des Staates und des Nationalismus. Der Internationalismus stellte lange Zeit nur eine schwache Alter1 Aus ökonomischer Sicht, den Niedergang als »Befreiung« der Wirtschaft vom staatlichen Bürokratismus fordernd, Kenichi Ohmae, The End of the Nation State. The Rise of Regional Economies, New York 1995; zur Debatte vgl. Paul Hirst / Grahame Thompson, Globalization in Question. The International Economy and the Possibilities of Governance, 2. Aufl., Cambridge 1999; David Held u.a., Global Transformations. Politics, Economics, Culture, Cambridge 1999. 2 Exemplarisch Akira Iriye, Global Community. The Role of International Organizations in the Making of the Contemporary World, Berkeley 2002.

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native zu diesen Faktoren dar und erschien erst im Anschluss an die Übersteigerung des Nationalstaats für manche lernbereiten Staatsmänner tragfähig. Die zweite Interpretation gewichtet nichtstaatliche Akteure und ökonomischgesellschaftliche Prozesse von Anfang an stärker. Wissenschaftlich verfolgt sie einen transnationalen Ansatz, um die Potenz der grenzüberschreitenden Verbindungen, die von einer national orientierten Geschichtswissenschaft übersehen wurde, zu rekonstruieren. Beiden Interpretationen gemeinsam ist in der Regel die Gegenüberstellung von Nationalismus und Internationalismus sowie von Staat und Gesellschaft. Die folgenden Überlegungen sollen diese Dichotomien teilweise auflösen und gleichzeitig den Blick über Europa hinaus weiten. Der erste Abschnitt schildert knapp das Phänomen des Internationalismus. Im zweiten werden zeitgenössische und geschichtswissenschaftliche Definitionen erläutert und verschiedene Erklärungsansätze für das Wachstum internationaler Bewegungen und Organisationen vorgestellt. Der dritte Teil erklärt die Grundlagen und Rahmenbedingungen des Internationalismus im 19. Jahrhundert, um daraus Thesen für die weitere Forschung zu gewinnen.

I. Das Jahrhundert des Internationalismus Das 19. Jahrhundert lässt sich in mehrfacher Weise als ein Jahrhundert des Internationalismus schildern: quantitativ hinsichtlich der zunehmenden Zahl Internationaler Organisationen, qualitativ bezogen auf die Breite des Spektrums internationaler Aktivitäten. Insgesamt wurden zwischen 1815 und 1914 mehr als 500 Internationale Organisationen gegründet. Mit einer Anzahl von 466 überwogen nichtregierungsamtliche gegenüber 37 regierungsamtlichen Organisationen (siehe Tabelle). Die Quote der vor 1914 gegründeten Vereinigungen, die Mitte des 20. Jahrhunderts noch aktiv waren, lag bei 41 % beziehungsweise 54 %, womit sich die kleinere Zahl regierungsamtlicher internationaler Zusammenschlüsse langfristig als dauerhafter erwies als die Vielzahl nichtregierungsamtlicher. Im Vergleich zum 20.  Jahrhundert scheint die Zahl von insgesamt 500 Neugründungen im Jahrhundert bis 1914 zwar relativ gering: Die politikwissenschaftliche Forschung beispielsweise hat errechnet, dass nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1947 durchschnittlich allein pro Jahr mehr als 90 Internationale Nichtregierungsorganisationen gegründet wurden3. Als dauerhafter, freiwilli3 John Boli / George M. Thomas, INGOs and the Organization of World Culture, in: Constructing World Culture. International nongovernmental organizations since 1875, hrsg. v. dens., Stanford, Cal., 1999, 13–49, Schaubild 1.1.

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Gründung Internationaler Organisationen4

Gründungsjahre 1815–1849 1850–1859 1860–1869 1870–1879 1880–1889 1890–1899 1900–1909 1910–1914 Summe 1815–1914

INGO Zahl der Gründungen (Zahl der Mitte des 20. Jh. noch aktiven INGO) 4 (4) 5 (2) 15 (7) 25 (15) 40 (22) 73 (39) 192 (64) 112 (38) 466 (191)

IGO Zahl der Gründungen (Zahl der Mitte des 20. Jh. noch aktiven IGO) 1 (1) 2 (0) 6 (3) 5 (3) 5 (3) 5 (4) 9 (3) 4 (3) 37 (20)

ger Zusammenschluss von Angehörigen verschiedener Nationen sind Internationale Organisationen allerdings ein Novum und genuines Phänomen bereits des 19. Jahrhunderts. Gemessen an den Maßstäben ihrer Zeit ist auch die Zahl der gegründeten Internationalen Organisationen äußerst bemerkenswert: So fanden etwa zwischen 1814 und 1914 circa 220 persönliche Treffen zwischen regierenden Monarchen beziehungsweise amtierenden Staatspräsidenten der fünf europäischen Großmächte statt5. Die Gründung von 500 Internationalen Organisationen stand diesen herausragenden diplomatischen Ereignissen somit quantitativ nicht nach. Die Entwicklung Internationaler Organisationen vollzog sich nicht gleichmäßig, sondern in Phasen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts wurden nur sehr wenige Zusammenschlüsse ins Leben gerufen. Allein im Jahrzehnt von 1850 bis 1859 kam es dann zu mehr Gründungen als im knappen halben Jahrhundert zuvor. Ab 1880 verdoppelten und verdreifachten sich die Internationalen Organisationen fast alle zehn Jahre. Das Wachstum erfolgte überwiegend bei den Nichtregierungsamtlichen, während die Zahl der Gründungen regierungsamtlicher Internationaler Organisationen nur geringfügig zunahm. Die zwischenstaatliche Organisation erwies sich damit im Vergleich zur gesellschaftlichen Organisation über nationale Grenzen hinweg nicht nur, wie bereits erwähnt, als dauerhafter, sondern zugleich als weniger leicht zu bewerkstelligen.

4 Francis Stewart Leland Lyons, Internationalism in Europe, 1815–1914, Leyden 1963, 14. 5 Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn u. a. 2000, 420.

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Das Spektrum der international organisierten Aktivitäten war schon im 19. Jahrhundert denkbar breit6. Von der Wirtschaft über die wissenschaftliche und religiöse Kooperation bis hin zur Politik umfassten die Internationalen Organisationen bereits vor 1914 fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Einige Beispiele seien stellvertretend erwähnt. Für die wachsende wirtschaftliche Verflechtung und Arbeitsteilung bildeten Internationale Organisationen im Verkehrs- und Kommunikationswesen eine wichtige Voraussetzung und hatten zugleich ihre Ursache im Wirtschaftsaustausch. Mit der CentralCommission für Rheinschiffahrt nahm 1816 eine der ersten regierungsamtlichen Organisationen ihre Tätigkeit auf, die ab 1831 auf der Grundlage der Mainzer Rhein-Schifffahrtsakte und seit 1868 der Mannheimer Rhein-Schifffahrtsakte die Internationalisierung des Rheins überwachte7. Den Informationsaustausch erleichterten seit 1865 die Union des administrations télégraphiques und ab 1874 der Allgemeine Postverein (seit 1878 unter dem Namen Weltpostverein)8. Das Bureau international des poids et mesures wurde 1875 mit der Pflege der metrischen Maße betraut9. 1905 beschloss ein Kongress von Handelskammervertretern die Gründung des Internationalen ständigen Komitees für die Vereinigung der Handelskammern, das im folgenden Jahr seine Tätigkeit aufnahm. In der Welt der Arbeit entstanden ebenfalls zahlreiche Internationale Organisationen. Bereits 1818 versuchte der britische Sozialreformer Robert Owen, allerdings erfolglos, die europäischen Diplomaten, die auf dem Kongress von Aachen versammelt waren, für den internationalen Arbeitsschutz zu interessieren. Gegen Ende des Jahrhunderts, nachdem Arbeitsschutzbestimmungen national eingeführt worden waren, tagte dann 1890 eine Internationale Arbeiterschutzkonferenz auf Einladung der deutschen Regierung in 6 Eine zeitgenössische Zusammenstellung bietet Alfred H. Fried, Das internationale Leben der Gegenwart, Leipzig 1908. 7 Willem J. M. van Eysinga, Die Zentralkommission für die Rheinschiffahrt. Geschichtliche Darstellung, verfasst auf Veranlassung der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, Leiden 1936 (Nd. u.d.T.: Geschichte der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt 1816 bis 1969, Straßburg 1994); Miloš Vec, Das Prinzip der Verkehrsfreiheit im Völkerrecht. Die Rheinschifffahrt zwischen dem Frieden von Lunéville (1801) und der Mannheimer Akte (1868), in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 30 (2008), 221– 241. 8 John F. Sly, The Genesis of the Universal Postal Union. A Study in the Beginnings of an International Organization, in: International Conciliation 233 (Oct. 1927), 393–443; Manikath A. K. Menon, The Universal Postal Union, New York 1965. 9 Martin H. Geyer, One Language for the World. The Metric System, International Coinage, Gold Standard, and the Rise of Internationalism, 1850–1900, in: The Mechanics of Internationalism. Culture, Society, and Politics from the 1840s to the First World War, hrsg. v. dems. / Johannes Paulmann, Oxford 2001, 55–92.

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Berlin, und 1900 wurde in Paris die Association internationale pour la protection légale des travailleurs mit Sitz in Basel ins Leben gerufen10. Internationale Gewerkschaftsföderationen waren seit den 1890er Jahren aktiv11. Die politische Arbeiterbewegung schließlich formierte sich grenzüberschreitend in der Ersten (1864–1872/76) und Zweiten Internationale (1889–1914)12. Im wissenschaftlich-intellektuellen Bereich wurden vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche grenzübergreifende Organisationen gegründet. Ein wesentliches Anliegen bildete hier der Informationsaustausch, für den die Arbeit des International Institute of Bibliography (1895) in Brüssel beispielhaft erwähnt sei13. Zentral für den grenzüberschreitenden Verkehr waren in fast jeder Hinsicht – auch hinsichtlich des »geistigen Eigentums« – Rechtsfragen, mit denen sich bereits seit 1873 das Institut de droit international in Brüssel beschäftigte14. Zahlreiche internationale wissenschaftliche Vereinigungen wurden ins Leben 10 Madeleine Herren, Internationale Sozialpolitik vor dem Ersten Weltkrieg. Die Anfänge europäischer Kooperation aus der Sicht Frankreichs, Berlin 1993; auch Gerold Ambrosius, Internationaler Regulierungswettbewerb im 19. Jahrhundert. Das Beispiel des Arbeitsschutzes, in: Historische Streiflichter. Untersuchungen zu ausgewählten außen-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen deutscher Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Thomas Stahl, Münster 2004, 5–29. 11 Kategorisierend zu den bewegenden nationalen und transnationalen Kräften Richard Hyman, Shifting Dynamics in International Trade Unionism. Agitation, Organisation, Bureaucracy, Diplomacy, in: Labor History 46 (2005), 137–154; beispielhaft Sigrid KochBaumgarten, Gewerkschaftsinternationalismus und die Herausforderung der Globalisierung. Das Beispiel der Internationalen Transportarbeiterförderation (ITF), Frankfurt a. M. 1999. 12 Georges Haupt, Aspects of International Socialism, 1871–1914: Essays, Cambridge 1987; Gerhard A. Ritter, Die britische Arbeiterbewegung und die II. Intenationale 1889–1914, in: Weltpolitik, Europagedanke, Regionalismus, hrsg. v. Heinz Dollinger u. a., Münster 1982, 333–362; Markus Bürgi, Die Anfänge der Zweiten Internationale. Positionen und Auseinandersetzungen 1889–1893, Frankfurt a. M. 1996. 13 W. Boyd Rayward, The International Federation for Information and Documentation (FID), in: Encyclopedia of Library History, hrsg. v. Wayne A. Wiegand / Don G. Davis, Jr., New York 1994, 290–294; Paul Otlet, International Organisation and Dissemination of Knowledge. Selected Essays of Paul Otlet, Amsterdam 1990. 14 Iustitia et pace. Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Institut de Droit International, hrsg. v. Wilhelm Wengler, Berlin 1974; zum Geistigen Eigentum Miloš Vec, Weltverträge für Weltliteratur. Das Geistige Eigentum im System der rechtssetzenden Konventionen des 19. Jahrhundert, in: Grundlagen und Grundfragen des Geistigen Eigentums, hrsg. v. Louis Pahlow / Jens Eisfeld, Tübingen 2008, 107–130; Barbara Dölemeyer, Wege der Rechtsvereinheitlichung. Zur Auswirkung internationaler Verträge auf europäische Patent- und Urheberrechtsgesetze des 19. Jahrhunderts, in: Aspekte europäischer Rechtsgeschichte. Festschrift für Helmut Coing (Ius Commune. Sonderheft 17), hrsg. v. Christoph Bergfeld u. a., Frankfurt a. M. 1982, 65–85.

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gerufen bis hin zur International Association of Academies von 190015. Internationale wissenschaftliche Kongresse nahmen als neue Form des Wissenstransfers einen großen Aufschwung, konkrete Anwendungen wurden auf zahlreichen Tagungen beraten, so etwa auf den Konferenzen zur Cholerabekämpfung, die von 1851 bis 1894 stattfanden16. Internationale Zusammenschlüsse von Intellektuellen gründeten 1910 in Brüssel mit der Union of International Associations eine Art eigenen Dachverband17. Religiöse Organisationen bildeten sich international sowohl innerhalb einer Religionsgemeinschaft oder Konfession als auch auf ökumenischer Ebene. Früh formierten sich die Evangelical Alliance (1846) und die World Alliance of Young Men’s Christian Associations (1855)18. Die enge Verbindung der internationalen Glaubensverbände mit dem europäischen Kolonialismus verdeutlicht die 1910 in Edinburgh abgehaltene World Missionary Conference19. Christlicher Glaube und kirchliche Organisation bildeten vielfach die Grundlage für huma15 Peter Alter, The Royal Society and the International Association of Academies 1897– 1919, in: Notes and Records of the Royal Society of London 34 (1980), 241–264; Brigitte Schroeder-Gudehus, Die Akademie auf internationalem Parkett. Die Programmatik der internationalen Zusammenarbeit wissenschaftlicher Akademien und ihr Scheitern im Ersten Weltkrieg, in: Die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, hrsg. v. Jürgen Kocka, Berlin 1999, 175–195. 16 Anne Rasmussen, Jalons pour une histoire des congrès internationaux au XIXe siècle. Régulation scientifique et propagande intellectuelle, in: Relations internationales 62 (1990), 115–133; Eckhart Fuchs, Wissenschaftliche Kongressbewegung und Weltausstellungen. Zu den Anfängen der Wissenschaftsinternationale vor dem Ersten Weltkrieg, in: Comparativ 6 (1996), 156–177; Roswitha Reinbothe, Deutsch als internationale Wissenschaftssprache und der Boykott nach dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt 2006, 30–95; Valeska Huber, The Unification of the Globe by Disease? The International Sanitary Conferences on Cholera, 1851–1894, in: Historical Journal 49 (2006), 453–476. 17 F. S. L. Lyons, Internationalism in Europe (Anm. 4), 205–208. 18 Siehe John Wolffe, The Evangelical Alliance in the 1840s. An Attempt to Institutionalize Christian Unity, in: Voluntary Religion (1986), 333–46, J. F. Maclear, The Evangelical Alliance and the Antislavery Crusade, in: Huntington Library Quarterly, 42/2 (1979), 141–164, und die Jubiläumsdarstellung von W. Harold Fuller, From the Evangelical Alliance to the World Evangelical Fellowship. 150 Years of Unity with a Mission, in: International Bulletin of Missionary Research 20 (1996), 160–163. 19 Brian Stanley, Africans through European Christian Eyes. The World Missionary Conference, Edinburgh 1910, in: African Identities and World Christianity in the Twentieth Century, hrsg. v. Klaus Koschorke, Wiesbaden 2005, 165–180; Klaus Koschorke, Christentumsgeschichte in globaler Perspektive. Kirchliche Emanzipationsbestrebungen im Asien der Jahrhundertwende und die Anfänge der modernen ökumenischen Bewegung des Westens, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 107 (1996), 72–89; David Carter, The Ecumenical Movement in its Early Years, in: Journal of Ecclesiastical History 49 (1998), 465–485.

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nitäres Engagement, das im 19. Jahrhundert nationalstaatliche Grenzen weit überschritt. Für viele spätere internationale Reformbewegungen beispielhaft wirkte die Bekämpfung des Sklavenhandels und der Sklaverei seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis 188820. Sie stellte das Modell für die Formen gesellschaftlicher und politischer Mobilisierung in anderen Bereichen. Teilweise übernahmen die Aktivisten auch die Begrifflichkeit, so etwa in der so genannten abolitionistischen Bewegung zur Bekämpfung der Zwangsuntersuchung von Frauen, die der Prostitution verdächtigt wurden, und im Zusammenhang der Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels21. Moralisch-philanthropische Anliegen eröffneten besonders Frauen ein internationales Tätigkeitsfeld, während ihnen die Partizipation national und in anderen Bereichen oft verwehrt war22. Diese Aktivitäten jenseits des Nationalstaates wirkten sich verstärkend oder bestätigend auch auf die Forderungen nach Teilhabe an der politischen Öffentlichkeit aus. Die internationale Bewegung für das Frauenwahlrecht der Wende zum 20. Jahrhundert fußte auf der Vernetzung ihrer Protagonistinnen in anderen, oftmals unpolitisch erscheinenden internationalen Organisationen, die sich sozialen Reformprojekten widmeten23. 20 Für den transatlantischen Zusammenhang Helen Thomas, Romanticism and Slave Narratives. Transatlantic Testimonies, Cambridge 2000, und Kathryn Kish Sklar, ›Women who speak for an entire nation‹. American and British Women at the World Anti-Slavery Convention, London, 1840, in: The Abolitionist Sisterhood: Women’s Political Culture in Antebellum America, hrsg. v. Jean Fagan Yellin / John C. Van Horne, Ithaca 1994, 301–340; zur französischen Antisklavereibewegung, mit Hinweisen auf Verbindungen zur britischen, vgl. Marcel Dorigny, Anti-esclavagisme, abolitionisme et abilitions en France de la fin du XVIIIe siècle aux années 1840, in: Culture coloniale en France. De la Révolution française à nos jours, hrsg. v. Pascal Blanchard / Sandrine Lemaire / Nicolas Bancel, Paris 2008, 67–89; und vergleichend Seymour Drescher, British way, French way. Opinion Building and Revolution in the Second French Slave Emancipation, in: American Historical Review 96 (1991), 709–734. 21 Lutz Sauerteig, Frauenemanzipation und Sittlichkeit. Die Rezeption des englischen Abolitionismus in Deutschland, in: Aneignung und Abwehr. Interkultureller Transfer zwischen Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Rudolf Muhs / Johannes Paulmann / Willibald Steinmetz, Bodenheim 1998, 159–197; Marion A. Kaplan, Die jüdische Frauenbewegung in Deutschland. Organisation und Ziele des Jüdischen Frauenbundes 1904–1938, Hamburg 1981, 181–248; Harald Fischer-Tiné, ›The greatest blot on British rule in the East‹. ›Weißer Sklavenhandel‹ und die britische Kolonialherrschaft in Indien (ca. 1870–1920), in: Comparativ 13 (2003), 114–147. 22 Exemplarisch Ian Tyrrell, Women’s World, Women’s Empire. The Women’s Christian Temperance Union in International Perspective, Chapel Hill 1991. 23 Siehe Anja Schüler / Kerstin Wolff, ›Es sind die gleichen Überzeugungen, die die Frauen aller Länder erfüllen …‹. Zur Entstehung von internationalen Netzwerken in den Frauenbewegungen, in: Politische Netzwerkerinnen: Internationale Zusammenarbeit von

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Die internationale Zusammenarbeit erstreckte sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg auch auf den Naturschutz. So fand im Jahr 1900 in London die erste International Conference on the Preservation of Wild Animals, Birds, and Fish in Africa statt24. Die Initiative war von deutschen und britischen Großwildjägern und den Kolonialbeamten in Ostafrika ausgegangen. Ökonomische und Jagdinteressen, Kolonialverwaltung und Naturschutz verbanden sich hier mit europäischer Diplomatie und Kolonialherrschaft zu den ersten Ansätzen eines internationalen Umweltschutzes. Dessen imperiale Ursprünge wurden nicht zuletzt daran deutlich, dass die Interessen der afrikanischen Bevölkerung von den europäischen Delegierten aus Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Belgien, Portugal, Spanien und Italien nicht wirklich berücksichtigt wurden. 1913 wurde dann in Bern auf der Conférence internationale pour la protection de la nature ein Vorvertrag zur Errichtung einer internationalen Naturschutzkommission unterzeichnet, die der Initiator der Konferenz, der Schweizer Naturforscher Paul Sarasin, seit einigen Jahren propagierte hatte; erst nach dem Weltkrieg konnten solche Bemühungen im Rahmen des Völkerbundes weiter verfolgt werden25. Frauen 1830–1960, hrsg. v. Eva Schöck-Quinteros / Anja Schüler / Annika Wilmers / Kerstin Wolff, Berlin 2007, 13–26 (in diesem Band bes. auch die Beiträge von Anne Summers u. von Jill Liddington); Leila J. Rupp, The Making of International Women’s Organizations, in: Mechanics (Anm. 9), 205–234; Caroline Daley / Melanie Nolan (Hrsg.), Suffrage and Beyond. International Feminist Perspectives, New York 1994; Elisabeth Dickmann, Emanzipation und Internationalismus. Die Chance der Frauen in den ersten internationalen Organisationen des 19. Jahrhunderts, in: Bürgerliche Gesellschaft – Idee und Wirklichkeit. Festschrift für Manfred Hahn, hrsg. v. Eva Schöck-Quinteros / Hans Kloft / Franklin Kopitzsch / Hans-Joseph Steinberg, Berlin 2004, 109–132; und, unter bes. Berücksichtigung imperialer Strukturen, Ian Christopher Fletcher / Laura E. Nym Mayhall / Philippa Levine (Hrsg.), Women’s Suffrage in the British Empire. Citizenship, Nation, and Race, London 2003; ferner Sylvia Paletschek / Bianka Pietrow-Ennker (Hrsg.), Women’s Emancipation Movements in the Nineteenth Century. A European Perspective, Stanford 2004. 24 Das folgende nach Bernhard Gißibl, German Colonialism and the Beginnings of International Wildlife Preservation in Africa, in: From ›Heimat‹ to ›Umwelt‹. New perspectives on German Environmental History, hrsg. v. Frank Zelko, Washington 2006, 121–143; ferner, zeitgenössisch, Hugo Conwentz, On National and International Protection of Nature, in: Journal of Ecology 2 (1914), 109–122, und John McCormick, Reclaiming Paradise. The Global Environmental Movement, Bloomington 1991; Lynton Keith Caldwell, International Environmental Policy, 3. Aufl., Durham 1996. 25 Paul Sarasin, Weltnaturschutz. Vortrag gehalten am VIII. Internationalen Zoologenkongress in Graz am 16. August und an der 93. Versammlung der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft in Basel am 5. September 1910, Basel 1910; zur Fortführung der Ideen in der Arena des Völkerbunds vgl. Anna-Katharina Wöbse, Oil on Troubled

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Internationale Organisationen berührten vor dem Ersten Weltkrieg auch die internationale Politik. Bereits um die Jahrhundertmitte entstand die Friedensbewegung, die 1848 bis 1851 internationale Friedenskongresse in Brüssel, Paris, Frankfurt und London abhielt und Fragen der Völkerrechtskodifizierung und der Schiedsgerichtsbarkeit zur Beilegung oder Verhinderung von militärischen Konflikten diskutierte26. Religiöse Motive und freihändlerische Argumentationen verbanden sich hier mit gesellschaftlichem Engagement für eine friedliche Welt27. Selbst die europäischen Kriege ab den 1850er Jahren führten zur Internationalisierung in Teilbereichen: Das Erlebnis der Schlacht von Solferino (1859) während des österreichisch-französisch-italienischen Kriegs trieb den Geschäftsmann Henri Dunant an, 1863 das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, ausschließlich bestehend aus Genfer Bürgern, zu gründen; 1864 wurde auf seine Initiative eine internationale diplomatische Konferenz einberufen, welche die erste Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsverwundeten abschloss28. Das Anliegen, den Krieg zu »humanisieren«, wurde an der Wende zum 20. Jahrhundert auf zwischenstaatlicher Ebene 1899 und 1907 während der beiden Haager Konferenzen weiter vorangetrieben, begleitet von der ersten »weltweiten« Frauenfriedensdemonstration am 15. Mai 189929.

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Waters? Environmental Diplomacy in the League of Nations, in: Diplomatic History 32/4 (2008), 519–537. Sandi E. Cooper, Patriotic pacifism. Waging War on War in Europe, 1815–1914, New York 1991. Alexander Tyrrell, Making the Millennium. The Mid-nineteenth Century Peace Movement, in: Historical Journal 21 (1978), 75–95; ferner, bes. für die Rolle der Freihändler, David Nicholls, Richard Cobden and the International Peace Congress Movement, 1848–1853, in: Journal of British Studies 30 (1991), 351–376; Martin Ceadel, Cobden and Peace, in: Rethinking Nineteenth-Century Liberalism. Richard Cobden Bicentenary Essays, hrsg. v. Anthony Howe / Simon Morgan, Aldershot 2006, 189–207. Siehe Dieter Riesenberger, Für Humanität in Krieg und Frieden. Das Internationale Rote Kreuz 1863–1977, Göttingen 1992. Jost Dülffer, Regeln gegen den Krieg? Die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 in der internationalen Politik, Frankfurt 1981; Dokumente abgedruckt in Shabtai Rosenne (Hrsg.), The Hague Peace Conferences of 1899 and 1907 and International Arbitration. Reports and Documents, The Hague 2001; zur internationalen Friedensdemonstration von Frauen 1899 siehe Ute Kätzel, A Radical Women’s Rights and Peace Activist. Margarethe Lenore Selenka, Initiator of the First Worldwide Women’s Peace Demonstration in 1899, in: Journal of Women’s History 13 (2001), 46–69; und, für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg und währenddessen, Anne Chao, Transmissions and Transformations. Global Peace Movements between the Hague Conferences and World War I, in: History Compass 5/5 (2007), 1677–1693, sowie Annika Wilmers, ›Jene feinen

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Die skizzenhafte Auflistung sollte veranschaulichen, dass das 19. Jahrhundert als ein Zeitalter des Internationalismus bezeichnet werden kann. Vor dem Weltkrieg betätigten sich Männer und Frauen in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens im Rahmen zahlreicher internationaler Organisationen. Zu den Akteuren gehörten Sozialreformer jeder Richtung und mit einer Vielzahl von Anliegen. Experten spielten eine führende Rolle als Techniker, Wissenschaftler, Juristen und Missionare. Unternehmer trieben die wirtschaftliche Organisation international voran. Auch staatliche Akteure – Diplomaten und Amtsträger – waren an der Internationalisierung vieler Bereiche maßgeblich beteiligt. Internationalität kennzeichnete die Epoche nicht weniger als das Merkmal der Nationalität.

II. Definitionen und Erklärungen des Internationalismus »Internationalismus« kann nicht mit der Aktivität von Internationalen Organisationen, die im vorherigen Abschnitt nur als ein Indikator für ein breiteres Phänomen gewählt worden sind, gleichgesetzt werden. Der Begriff umfasst mehr, ist jedoch nicht eindeutig bestimmt. Einerseits bezeichnet er deskriptiv einen Prozess oder eine Form des Handelns, anderseits normativ eine Gesinnung oder Zielsetzung. Beide Dimensionen spielen in der historischen Begriffsentwicklung und in der aktuellen wissenschaftlichen Anwendung eine Rolle. Das Adjektiv »international« tauchte erstmals 1780/89 bei Jeremy Bentham auf30. Der Sozialphilosoph verwandte das Wort für zwischenstaatliche Beziehungen im Sinne des law of nations oder droit des gens. Ab den 1840er Jahren weitete sich die Anwendung auf andere als rechtliche Beziehungen aus und schloss wirtschaftliche, technologische und geistige Verbindungen ein. Schon 1843 brachte ein deutsches Lexikon einen Hinweis auf die völkerverbindende Wirkung dieses internationalen Austauschverkehrs, der auf einer übergeordneten Ebene die verschiedenen Staaten und Völker gleichsam universalistisch in sich aufheben sollte31. Bald diente »international« auch zur Bezeichnung für länderübergreifende Organisationen und Vereine, so 1847 für die freihändlerische Internationale Liga und 1855/64 für die inneren Werte …‹. Zur Kultur der internationalen Frauenfriedensbewegung während der Kriegs- und Nachkriegszeit 1915–1919, in: Netzwerkerinnen (Anm. 23), 249–266. 30 Zur Begriffsgeschichte Peter Friedemann / Lucian Hölscher, Internationale, International, Internationalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsg. v. Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck, Bd. 3, Stuttgart 1982, 367–397, 369. 31 L. Kiesewetter, Neuestes vollständiges Fremdwörterbuch […], Glogau / Leipzig 1841, zit. nach P. Friedemann / L. Hölscher, Internationale (Anm. 30), 370.

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Arbeiter-Internationale. Um die Mitte des Jahrhunderts existierten damit vier zeitgenössische Bedeutungen nebeneinander: die völkerrechtliche, diejenige der wirtschaftlich-sozialen Beziehungen über- oder unterhalb der staatlichen Ebene, die der grenzüberschreitenden Organisationsformen und die des universalistischen Anspruchs auf Völkerverständigung. Ab den 1860er Jahren entwickelt sich dann die Substantivform »Internationale« vom Organisationsbegriff der Arbeiterbewegung hin zur Fremdbezeichnung für diese und andere gesellschaftliche Gruppen. Als Kampfbegriff dient sie in politischen Auseinandersetzungen in Deutschland zur Kennzeichnung der Gegner, unter anderem als rote (sozialistische), schwarze (katholische), goldene (jüdische) und graue (liberale) Internationale, unabhängig davon, ob die derart Bezeichneten tatsächlich international organisiert waren oder nicht. Die Wortbildung »Internationalismus« findet sich erst in den späten 1860er Jahren in einer englischen Schrift, die sich mit einem Anliegen von Richard Cobden, dem Kopf der Freihandelsbewegung, befasste. Der Autor beschrieb Cobdens Eintreten für eine internationale Föderation der Staaten, einer Art Völkerbund, als Internationalismus32. Als Bezeichnung für ein erstrebenswertes Ziel oder für eine bestimmte Gesinnung wurde Internationalismus dann in den folgenden Jahrzehnten vor allem in der Arbeiterbewegung gepflegt. In Gegnerschaft zu »Imperialisten« und »Nationalisten« wurde die Bezeichnung »Internationalist« während des Ersten Weltkriegs schließlich ideologisch stark aufgeladen. Allerdings blieb der gleichzeitige, beschreibende Prozessbegriff »Internationalismus« im Sinne der Zunahme ökonomischen und kulturellen Austauschs zwischen den Völkern bis 1914 dominierend. So wie »Internationalismus« zeitgenössisch nebeneinander deskriptiv für Austauschprozesse zwischen den Nationen sowie für länderübergreifende Organisationen gebraucht wurde und normativ politische Zielsetzungen und Gesinnungen verkündete oder verurteilte, so enthalten auch wissenschaftliche Definitionen beschreibende und wertende Bestandteile. Die historische Forschung befasste sich lange Zeit wenig mit dem Phänomen als Ganzem und untersuchte lediglich einzelne Bewegungen und Organisationen. Eine grundlegende Studie, die allerdings nach ihrem Erscheinen unmittelbar keine breitere wissenschaftliche Resonanz fand, veröffentlichte Francis Lyons 1963 unter dem Titel Internationalism in Europe, 1815–191433. Darin konzentrierte der Autor sich auf formale Internationale Organisationen. Seine Definition lehnte er an die Begrifflichkeit der Jahrhundertwende an. Henri La Fontaine und Paul Ot32 Lord Hobart, The ›Mission‹ of Richard Cobden, London o.J., 5, zit. nach P. Friedemann / L. Hölscher, Internationale (Anm. 30), 392. 33 F. S. Lyons, Internationalism (Anm. 4).

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let, den Gründern der Union of International Associations von 1910 folgend kennzeichnet eine Internationale Organisation demnach34, dass sie Mitglieder verschiedener Nationalität aufnimmt (1), offen ist für alle Personen oder Gruppen, die sich ihr anschließen wollen (2), Ziele öffentlicher allgemeiner oder universaler Natur verfolgt (3), keine unmittelbar finanziellen Interessen oder rein kommerzielle Motive besitzt (4) und schließlich eine dauerhafte Organisationsform entwickelt (5). Diese Definition ist stark am Organisationsbegriff orientiert und bewertet intergouvernementale Organisationen implizit höher als nichtregierungsamtliche. Dennoch deckt sie ein breites Spektrum von inhaltlichen Tätigkeitsfeldern ab. Den Hintergrund von Lyons’ Studie bildete die Europäische Integration der späten fünfziger und sechziger Jahre; der Europarat finanzierte seine Forschungen und veröffentlichte die Ergebnisse in einer eigenen wissenschaftlichen Reihe. Der Internationalismus des 19. Jahrhunderts galt Lyons, einem irischen Historiker, als ausbaufähiger Vorläufer für die institutionelle Integration Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Politikwissenschaftler beschäftigten sich mit dem Internationalismus in den späten 1960er und 1970er Jahren im Rahmen der Untersuchung von transnational relations35. Ihre Forschungen waren nicht historisch angelegt und wurden in der Geschichtswissenschaft wenig rezipiert36. Die Vorläufer aktueller Entwicklungen galten den Politologen als quantitativ unbedeutend und daher ohnmächtig gegenüber der zeitgenössischen nationalstaatlichen Weltpolitik. Transnationale Beziehungen der Gegenwart definierten diese Politikwissenschaftler als nichtstaatliches Handeln; dazu zählte jede Form grenzüberschreitender Aktivität von den Geschäften multinationaler Unternehmen über Kapitalbewegungen bis zur Ideen- und Wertediffusion. Den Hintergrund der Forschungen bildete eine Kontroverse darüber, ob der Kalte Krieg besser staats- oder gesellschaftszentriert ausgefochten werden sollte, um ihn erfolgreich zu führen. Verknüpft war damit eine Vorstellung von weltweiter Interdependenz, die nur zum Schaden aller gestört werden könnte. Die Analyse des Internationalismus als Form transnationaler Beziehungen war ein 34 Henri La Fontaine / Paul Otlet, La vie internationale et l’effort pour son organisation, in: La Vie Internationale 1 (1912), 14, und Paul Otlet, L’organisation internationale et les associations internationales, in: Annuaire de la vie internationale 1908–09, Brüssel 1910, 37–91. 35 Robert O. Keohane / Joseph S. Nye (Hrsg.), Transnational Relations and World Politics, Cambridge Mass. 1972. 36 Vgl. aber Werner Link, Deutsche und amerikanische Gewerkschaften und Geschäftsleute 1945–1975. Eine Studie über transnationale Beziehungen, Düsseldorf 1978; Gilbert Ziebura, Weltwirtschaft und Weltpolitik, 1922/24–1931. Zwischen Rekonstruktion und Zusammenbruch, Frankfurt a. M. 1984.

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Teil der westlichen Debatte um die Entspannungspolitik, um die Ansprüche seitens neuer sozialer Bewegungen auf politische Partizipation und um die langfristige Entwicklung des kapitalistischen Systems. Seit den 1990er Jahren hat die Geschichtswissenschaft den Internationalismus als historischen Gegenstand neu entdeckt. Dies geschah vor allem im Gewand von Forderungen nach einer Erneuerung der Geschichtsschreibung in transnationaler und globaler Perspektive und verlief parallel sowie im Austausch mit ähnlichen Entwicklungen in benachbarten Disziplinen. Globale Prozesse der Vereinheitlichung, Anpassung und Abwehr sollten historisch untersucht werden. Auch Fragen nach dem Charakter der Weltordnung, die sich auf die politische Wirksamkeit transnationaler Akteure und die Steuerungsmöglichkeiten in einzelnen Bereichen richteten, wurden gestellt. Einer der prominenten Historiker auf diesem Feld ist Akira Iriye. In seinen beiden Büchern Cultural internationalism and world order (1997) und Global community: the role of international organizations in the making of the contemporary world (2002) zählt er zum Internationalismus alle diejenigen Ideen, Bewegungen und Institutionen, die auf die Veränderung der Beziehungen zwischen den Nationen ausgerichtet sind. Dieses Ziel erreichen sie Iriye zufolge durch transnationale Kooperation und den vermehrten Austausch zwischen den Kulturen und Zivilisationen. Hinter der Definition steht klar ein universalistischer Anspruch, der sich schon in den Ziel- und Gesinnungsbegriffen des 19. Jahrhunderts erkennen lässt. Wie in der politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit transnationalen Beziehungen der 1970er Jahre geht es Iriye um eine Alternative zur Regierungs- und Machtpolitik. Er verbindet mit dem weiten normativen Anspruch aber ein sehr begrenztes Konzept in der Definition Internationaler Organisationen. Sie sind bei ihm freiwillige, nichtstaatliche Assoziationen (1), die keinen Profit anstreben (2), keine religiöse Orientierung haben (3) und nicht-militärisch vorgehen (4). Wie La  Fontaine und Otlet knapp hundert Jahre zuvor und anders als Keohane und Nye in den 1970er Jahren grenzt Iriye wirtschaftliche Interessen aus. Dies ist ebenso problematisch und verkürzend wie der gleichzeitige Ausschluss von Religion. Für das 19. Jahrhundert ist die Nichtbeachtung von Glaubenselementen bei der Erforschung internationaler Bewegungen unhaltbar, gleiches gilt auch für das 20. Jahrhundert, selbst wenn man nur an »säkulare« Aktivitäten kirchlicher Gruppen denkt37. Thematisch beschränkt Iriye sich konkret auf humanitäre Hilfe (und ignoriert religiöse Mo37 Vgl. die Kritik Porters an der Vernachlässigung von Theologie und Religiosität der christlichen Missionsbewegung in der Analyse europäisch-kolonialer Zivilisierungsmission: Andrew Porter, Christentum, Kontext und Ideologie. Die Uneindeutigkeit der ›Zivilisierungsmission‹ im Großbritannien des 19. Jahrhunderts, in: Zivilisierungsmissio-

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tive), Kulturaustausch (und missachtet seine teilweise komplementäre Funktion in der militärischen Sicherheitspolitik), Friedens- und Abrüstungsbewegung, Entwicklungshilfe (und unterschlägt ihre Verzahnung mit staatlicher Entwicklungspolitik sowie ihre wirtschaftlichen Dimensionen), Menschenrechtsbewegung und Umweltbewegung (und übersieht ökonomische wie ökologische Faktoren). Die historische Erforschung des Internationalismus erweist sich bei Iriye gleichsam als Bemühen um die Rehabilitation lange unterlegener Kräfte und als Suche nach einer alternativen Weltordnung. Die Historikerin Madeleine Herren hat jüngst die gängige Trennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren am Beispiel Belgiens, der Schweiz und der USA als nicht haltbar widerlegt38. Die kleineren Staaten und das zu Europa periphere Land benutzten internationale Aktivitäten tatsächlich zur Modernisierung ihrer Außenpolitik. Herren definiert »gouvernementalen Internationalismus«, mit Bezug auf frühere Debatten um 1900, als einen Teilbereich, in dem die staatliche Außenpolitik auf grenzüberschreitende Vernetzungen reagierte. Es gab in Praxis und Selbstverständnis keine scharfe Abgrenzung gegenüber nichtregierungsamtlichen Organisationen, sondern vielmehr gegenseitige Unterstützung und Ergänzung. Die grenzüberschreitende, multilaterale Kooperation erfolgte unter Hinnahme von Souveränitätseinbußen. Herren erkennt eine Internationalisierungsstrategie der Regierungen, die mit Hilfe vermehrter wirtschaftlicher und kultureller Austauschbeziehungen die politische Bedeutung ihrer Länder zu vergrößern versuchten. Ihr gelingt es auf diesem Weg, den Internationalismus als einen strategischen Bereich der Außenpolitik zu bestimmen. Diplomatie war demzufolge im 19. Jahrhundert nicht nur territorial bezogen; der wissenschaftliche Blick richtet sich unter Aufnahme politikwissenschaftlicher Konzepte vielmehr auch auf die Ausbildung von Netzwerken gouvernementaler und nichtgouvernementaler Art39. Das Interesse am strukturellen Wandel der Außenbeziehungen steht auch im Mittelpunkt des Sammelbandes von Martin H. Geyer und Johannes Paulmann über die Mechanics of Internationalism40. Angeregt von Untersuchungen zum interkulturellen Transfer wird hier deren multilaterale Erweiterung ernen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. v. Boris Barth / Jürgen Osterhammel, Konstanz 2005, 125–147. 38 Madeleine Herren, Hintertüren zur Macht. Internationalismus und modernisierungsorientierte Außenpolitik in Belgien, der Schweiz und den USA 1865–1914, München 2000. 39 Madeleine Herren / Sacha Zala, Netzwerk Außenpolitik. Internationale Kongresse und Organisationen als Instrumente der schweizerischen Außenpolitik 1914–1950, Zürich 2002. 40 M. H. Geyer / J. Paulmann (Hrsg.), Mechanics (Anm. 9).

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probt41. Die Herausgeber definieren den Internationalismus in Anlehnung an die Zeitgenossen weit: Er umfasst einerseits gesellschaftliche und politische Bewegungen, die Reformen in den Staaten und zwischen den Völkern international durchsetzen wollen; andererseits schließt er die praktische Internationalisierung in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft ein. Unterschiedliche Formen von nichtregierungsamtlichen Organisationen über zwischenstaatliche Einrichtungen bis hin zu informellen Netzwerken finden Beachtung. Das Augenmerk liegt auf den Strukturen des Internationalismus, die in vielem auf denselben Voraussetzungen beruhten wie der Nationalismus. Vorgeschlagen wird eine akteurszentrierte Sichtweise, die Motive, Handlungsspielräume und Deutungsbemühungen der handelnden Individuen und Gruppen analytisch integriert. Internationalismus war, dies lässt sich im Anschluss an die jüngsten Arbeiten feststellen, ein Strukturelement der internationalen Beziehungen im 19. Jahrhundert. Wissenschaftlich lassen sich Diplomatie und Außenbeziehungen in einem weiteren Sinne, Staat und Gesellschaft und, wie noch weiter zu zeigen sein wird, Internationalismus und Nationalismus in einer Weise erforschen, die sie einander nicht gegenüberstellt, sondern Gemeinsamkeiten, Wechselwirkungen und gegenseitige funktionale Abhängigkeiten berücksichtigt. Auf diesem Wege kann auch das Wachstum internationaler Bewegungen und Organisationen besser als bisher erklärt werden. Für die Ausbreitung des Internationalismus im 19. Jahrhundert sind zwei allgemeine Erklärungen gängig. Die eine sieht in ihm eine Folge zunehmender weltwirtschaftlicher Verflechtung, die internationale Regulierungen notwendig nach sich zog. Die andere versteht ihn als eine Gegenkraft zum politischen Nationalismus, der die Konfliktregulierung oder Lösung grenzüberschreitender Probleme ermöglichen sollte. Spezifischer erklärt Lyons den Internationalismus hauptsächlich als eine Folge der Kommunikationsrevolution, die es technisch ermöglichte, weite Entfernungen zu überwinden, wenn der Transport von Gütern, Menschen und Ideen organisatorisch entsprechend reguliert wurde42. Daraus ergaben sich die internationalen Vereinbarungen über Telegraphie, Post, Gewichte und Maße. Zentrale Foren hierfür boten ab 1851 die internationalen Ausstellungen und die sie begleitenden Kongresse; im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1889 etwa fanden 87 der insge41 Diese Erweiterung schlägt anschließend auch vor Wolfram Kaiser, Transnational Mobilization and Cultural Representation. Political Transfer in an Age of Proto-Globalization, Democratization and Nationalism 1848–1914, in: European Review of History 12 (2005), 403–424. 42 F. S. Lyons, Internationalism (Anm. 4), 14 f.

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samt 97 internationalen Kongresse dieses Jahres statt43. Neben der technischen Kommunikationsverbesserung wirkte das Wachstum von Expertenwissen befruchtend auf den Internationalismus, weil durch ihn die Organisation, Verbreitung und Sammlung von Wissen erleichtert wurde. Ferner beförderten, Lyons zufolge, zahlreiche ungelöste soziale Probleme das internationale humanitäre Engagement, und Kriege beziehungsweise Kriegsgefahren regten das Bemühen um internationale Konfliktregulierung an. Auf einer sehr allgemeinen Ebene sind die Erklärungen nicht falsch, aber sie basieren auf bestimmten gedanklichen Voraussetzungen, die nicht ohne weiteres übernommen werden sollten. Eine materialistische Disposition lässt den Internationalismus als zwangsläufige Folge technisch-ökonomischer Entwicklungen erscheinen. Unterschiedliche Formen und Wandel werden dabei nicht ausreichend erklärt. Auch schwingt wertend ein idealistischer Gegenentwurf zur so genannten Realpolitik mit, wenn die Konflikte als Ursache für Internationalismus angeführt werden. Die oben vorgestellten Ansätze der jüngsten Forschung bieten hingegen Ansätze für eine weiterführende Erklärung der Geschichte des Internationalismus im 19. Jahrhundert. Mit Madeleine Herren muss die aktive Rolle nationalstaatlicher Politik als Faktor für die Ausbreitung internationaler Regulierungen und Organisationen einbezogen werden. Ferner können Nationalismus und Internationalismus hinsichtlich der gemeinsamen strukturellen Voraussetzungen und Mechanismen, etwa der Mobilisierung von Akteuren, erklärend herangezogen werden. Sodann sollte in Anlehnung an Transferforschungen die Anpassung internationaler Regeln und transnational verfügbaren Wissens in jeweils nationale Zusammenhänge berücksichtigt werden, so dass lokal spezifische Gründe für Internationalisierungsprozesse erkennbar werden44. Schließlich gilt es, die individuellen und gruppenspezifischen Motive der Akteure systematisch zu berücksichtigen: Gewinnstreben, Wissenserwerb, Suche nach Lösungen für heimische Probleme, Bemühen um Ausgleich relativer Machtlosigkeit oder eines Minderheitenstatus im eigenen Land, zwischenstaatliche Konkurrenz, Hilfe für Bedürftige und – insgesamt 43 Zu den Weltausstellung grundlegend: Utz Haltern, Die ›Welt als Schaustellung‹. Zur Funktion und Bedeutung der internationalen Industrieausstellung im 19. und 20. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 60 (1973), 1–40; auch Wolfram Kaiser, Cultural Transfer of Free Trade at the World Exhibitions, 1851– 1862, in: Journal of Modern History 77 (2005), 563–590. 44 Johannes Paulmann, Grenzüberschreitungen und Grenzräume. Überlegungen zur Geschichte transnationaler Beziehungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeitgeschichte, in: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, hrsg. v. Eckart Conze / Ulrich Lappenküper / Guido Müller, Köln 2004, 169–196.

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möglicherweise weniger bedeutsam als häufig angenommen – allgemeine Völkerverständigung. Die akteurszentrierte Erforschung des Internationalismus steht dem häufig verwendeten Begriff der »Verflechtung« teilweise entgegen. Verflechtung scheint mir ein leicht irreführendes und zu harmloses Konzept45. Implizit überhöht es konkrete internationale Aktivitäten zu Elementen einer Integrationsgeschichte, die sich auf Europa oder die globale Welt bezieht. Insbesondere im Zusammenhang der Geschichte der Globalisierung unterstellt Verflechtung einen selbstgesteuerten, durch technisch-ökonomische Faktoren bedingten, fast schicksalhaften Prozess. Dabei werden die verschiedenen ökonomischen, sozialen und kulturellen Konfliktpotentiale grenzüberschreitenden Verkehrs vernachlässigt. Opposition zu internationalen Bestrebungen oder die Ausgrenzung von Nichtbeteiligten innerhalb und jenseits der jeweiligen Gesellschaften finden keinen Platz. Doch das Spektrum von Wettbewerb, Konkurrenz, Koexistenz, Widerstand und Feindschaft innerhalb der transnationalen Sphäre sollte genauer erkundet werden, anstatt mit einem allgemeinen Begriff wie Verflechtung die erkennbaren Unterschiede, die Asymmetrien und ungleiche Teilhabe gleichsam zu überdecken. Nimmt man eine akteurszentrierte Perspektive ein, ist der politikwissenschaftliche Ansatz der Governance-Forschung hilfreich. Governance geht nicht von einem anarchischen System souveräner Nationalstaaten aus, sondern betrachtet die internationale Ordnung als ein System, in dem sich »Regieren« in bestimmten Feldern im Rahmen verhandelbarer und eingespielter Beziehungen zwischen mehreren Akteuren vollzieht46. Die unterschiedlichen Akteure – Regierungen, Internationale Organisationen, internationale Bewegungen oder auch herausragende Einzelpersönlichkeiten – besitzen nicht den gleichen Status; es gibt im Unterschied zu den Formen der Regierung, die auf Gesetzen und exekutiver Gewalt beruhen, keine oder zumindest nur eine wenig hierarchische Führung. Governance in den jeweils relevanten Feldern ist auf ein gemeinsames Ziel gerichtet. Ohne Interessenkonflikte auszublenden bemühen 45 Ausführlicher Johannes Paulmann, Feindschaft und Verflechtung. Anmerkungen zu einem scheinbaren Paradox, in: Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Martin Aust / Daniel Schönpflug, Frankfurt a. M. 2007, 340–355. (Die Kritik bezieht sich nicht auf den Verflechtungsbegriff im Sinne personaler Netzwerke, wie er im Anschluss an Wolfgang Reinhard in mehreren Beiträgen dieses Sammelbandes Verwendung findet.) 46 Einführend Michael Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates. Globalisierung und Denationalisierung als Chance, Frankfurt a. M. 1998; vgl. als Kritik Aram Ziai, Zwischen Global Governance und Post-Development. Entwicklungspolitik aus diskursanalytischer Perspektive, Münster 2006, 70–97.

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sich die Beteiligten, das Verhalten im Interesse aller festzulegen, und nehmen dabei auch Rücksicht auf die Funktionsfähigkeit des jeweiligen Systems ihrer Gesamtbeziehungen. Kommunikation ist ein zentrales Instrument des Handelns in solchen spezifischen Beziehungsfeldern. Mit Hilfe der Kategorien der Governance-Forschung lässt sich Internationalismus konkret erforschen. Die große Politik wird einbezogen, aber dennoch nicht ohne weiteres über alle anderen institutionellen Arrangements gesetzt. Das Verhältnis der Akteursgruppen in einem bestimmten Feld zu einem umfassenderen Beziehungssystem ist Gegenstand der Analyse und kann als historisch wandelbar verstanden werden, sodass die Grundlagen und Rahmenbedingungen nicht nur gegenstandsspezifisch, sondern auch epochal genauer bestimmbar werden.

III. Grundlagen und Rahmenbedingungen des Internationalismus im 19. Jahrhundert Im Folgenden sollen wesentliche Bedingungen für die Entwicklung des Internationalismus mit der Absicht vorgestellt werden, einige Thesen für das 19. Jahrhundert zu formulieren. Die wichtigsten Grundlagen waren die internationalen Kommunikationssysteme (1), das europäische Staatensystem (2), der europäische Imperialismus (3), die Transformation von Staatlichkeit (4) und die Entwicklung der Zivilgesellschaft (5). Notwendige Voraussetzung für die Bildung internationaler Organisationen und Bewegungen waren die neuen oder weiterentwickelten technischen Kommunikationssysteme Eisenbahn, Schifffahrt, Telegraphie und das Druckund Pressewesen47. Sie ermöglichten erst den immensen Zuwachs im Austausch von Ideen, Gütern und Menschen. Die periodischen Zusammenkünfte fern voneinander lebender Wissenschaftler und Experten auf Kongressen sowie das internationale Ausstellungswesen beruhten auf der verbesserten und verbilligten Kommunikation. Gleichzeitig generierten diese Systeme ihren eigenen internationalen Regulierungsbedarf – und oftmals ihr eigenes Expertentum –, waren also auch Motor für fortschreitende Internationalisierung im Sinne von Standardisierungsbemühungen. Trotz der fundamentalen Voraussetzungen, die so für internationale Aktivitäten geschaffen wurden, dürfen al47 Peter J. Hugill, Global Communications since 1844. Geopolitics and Technology, Baltimore 1999; zum imperialen Charakter der Kommunikations- und Transportinfrastruktur vgl. Daniel R. Headrick, The Tools of Empire. Technology and European Imperialism in the Nineteenth Century, Oxford 1981; ders., The Tentacles of Progress. Technology Transfer in the Age of Imperialism, 1850–1940, Oxford 1988.

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lerdings die Grenzen der Kommunikation im 19. Jahrhundert nicht übersehen werden. Soziale Beschränkungen ergaben sich aus der für praktizierten Internationalismus notwendigen Verfügung über Zeit und Geld. Nicht nur Reisen, sondern auch der Erwerb von Wissen standen nicht jedem offen; es waren vor allem Menschen bürgerlicher und adeliger Herkunft, die grenzüberschreitende Kommunikation zur Etablierung dauerhafter Organisationen nutzten. Auch räumlich blieb der Internationalismus vor dem Ersten Weltkrieg weitgehend beschränkt auf europäische Gebiete. Jenseits von Europa wurden nur die weißen Siedlerkolonien eingebunden. Als These zu den Kommunikationssystemen kann formuliert werden: Die grenzüberschreitenden Kommunikationsmöglichkeiten waren notwendige Voraussetzung und gleichzeitig Motor des Internationalismus, indem sie internationale Regulierungen institutionell nach sich zogen; die Kommunikationsmittel standen allerdings nicht allen und überall gleichförmig zur Verfügung, sondern in einem sozial-räumlichen Ungleichverhältnis, das stark europäisch gewichtet war. Das europäische Staatensystem bot im 19. Jahrhundert ebenfalls günstige Voraussetzungen für die Entwicklung des Internationalismus. Die lange Phase des Friedens, die in Europa zwischen Wiener Kongress und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs herrschte, ließ ungestört Raum für den Aufbau und die Pflege wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Beziehungen über territoriale Grenzen hinweg. Die Unterbrechungen in den Revolutionen der Jahrhundertmitte und den nationalen Einigungskriegen wirkten nicht einschneidend, denn die militärischen Auseinandersetzungen waren kurz und begrenzt, sie erforderten keine totale Mobilisierung wie die Kriege des 20.  Jahrhunderts und wirkten selbst noch für internationale Organisation befruchtend, wie das Beispiel des Roten Kreuzes belegt. Allerdings war der Frieden räumlich begrenzt: An den Rändern Europas zum Osmanischen Reich wie in Übersee basierte der Aufbau von Beziehungen auch auf militärischer Gewalt. Die um die Wende zum 20. Jahrhundert vereinbarten Regeln zur Humanisierung des Krieges kamen in den Kolonialkriegen nicht selbstverständlich zur Anwendung48. Der europäische Imperialismus – frühzeitig und grundlegend wirkte hier insbesondere das britische Empire – schuf insgesamt eine weltumspannende Infrastruktur, die von Händlern, Missionaren, Wissenschaftlern und vielen anderen genutzt wurde, ohne dass die jeweilige nationale Zugehörigkeit über den Zugang von Interessenten zu den Verkehrs- und Kommunikations-

48 Mark Levene, Genocide in the Age of the Nation State, Bd. 2: The Rise of the West and the Coming of Genocide, London 2005; Boris Barth, Genozid: Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien, Kontroversen, München 2006.

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mitteln entschied49. Der Internationalismus – so die These – entwickelte sich nicht in Opposition zum europäischen Staatensystem, sondern basierte in doppelter Weise auf ihm: einmal auf der Konfliktregulierung in Europa und zum anderen auf der teilweise kriegerischen Expansion der europäischen Nationalstaaten in Übersee. Die »europäisch-transnationale« Dimension des Imperialismus verdient weitere Beachtung durch künftige Forschungen zum Internationalismus. Die These lässt sich im zweiten Teil zuspitzen: Der europäische Kolonialismus ist ambivalenter Bestandteil des im 19. Jahrhundert entstandenen Internationalismus. Ein Beleg hierfür ist die Antisklavereibewegung. Sie war eine internationale Bewegung, die einerseits ab dem Ende des 18. Jahrhunderts das System der Arbeitskräftebeschaffung und Sklavenhaltung in den Kolonien kritisierte; andererseits diente der Kampf gegen Sklavenhandel, etwa in Ostafrika, in den 1880er Jahren auch zur Rechtfertigung für koloniale Besitzergreifung50. Einen weiteren Beleg für die Verknüpfung von Kolonialismus und Internationalismus bietet die International Congo Reform Association, die sich gegen die Missstände im belgischen Kongo engagierte51. Der Schriftsteller Arthur Conan Doyle unterstützte die Bewegung, deren Ambivalenz in seinem ernstgemeinten Vorschlag erkennbar wird, das Kongo-Gebiet aufzuteilen: Eine größere Fläche sollte von den angrenzenden europäischen Kolonialmächten Großbritannien, Frankreich und Deutschland übernommen und verwaltet werden, während in der Mitte ein Reservat für Schwarzafrikaner eingerichtet werden sollte52. Diese beiden Beispiele verdeutlichen Grenzen und Strukturbedingungen des reformerischen Internationalismus, der sich als Strategie nicht nur emanzipatorischen Bewegungen, sondern auch den Rassisten sowie den vom weißen Internationalismus ausgeschlossenen Akteuren empfehlen konnte53. 49 Exemplarisch: Ulrike Kirchberger, Deutsche Naturwissenschaftler im britischen Empire. Die Erforschung der außereuropäischen Welt im Spannungsfeld zwischen deutschem und britischem Imperialismus, in: Historische Zeitschrift 271 (2000), 621–660. 50 Klaus J. Bade, Antisklavereibewegung in Deutschland und Kolonialkrieg in DeutschOstafrika 1888–1890. Bismarck und Friedrich Fabri, in: Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), 31–58; Horst Gründer, ›Gott will es‹ – Eine Kreuzzugsbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 28 (1977), 210–224. 51 Andrew Porter, Sir Roger Casement and the International Humanitarian Movement, in: Journal of Imperial and Commonwealth History 29 (2001), 59–74; Wm. Roger Louis / Jean Stengers, E.  D. Morel’s History of the Congo Reform Movement, Oxford 1968, 171–220. 52 Arthur Conan Doyle, Das Congoverbrechen. Dt. Übers. v. C. Abel-Musgrave, Berlin 1909, 160–165. 53 Marilyn Lake / Henry Reynolds, Drawing the Global Colour Line. White Men’s Countries and the International Challenge of Racial Equality, Cambridge 2008, bes. 241–262; Mansour Bonakdarian, Negotiating Universal Values and Cultural and National Pa-

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Eine weitere Rahmenbedingung des Internationalismus bildete die Transformation von Staatlichkeit im 19. Jahrhundert. Mit Hilfe des Konzepts von »Territorialität«, das der Historiker Charles Meier vorgeschlagen hat, lässt sich der Wandel von Staatlichkeit ab den 1850er Jahren als zweifacher Vorgang beschreiben54: Vor allem durch die Verfügbarkeit neuer technisch-ökonomischen Mittel gelang es einerseits zunehmend, Territorien so zu beherrschen, dass ein decision space geschaffen wurde, den die politischen Machthaber in weitem Maße durch ihre Entscheidungen zu kontrollieren glaubten und in dem sie die innere und äußere Sicherheit zentral zu gewährleisten versprachen. Andererseits entwickelten sich politische Institutionen und öffentliche Arenen, über die Loyalität und Identität hergestellt wurde, sodass ein identity space entstand. Neue politische Partizipationsmöglichkeiten im Innern und Abgrenzungen nach außen bildeten die Grundlage für eine veränderte Identität der Bevölkerung. Diese funktionale Analyse der Ausbildung moderner Nationalstaaten und Nationalismus scheint keinen Raum für Internationalismus zu lassen. Allerdings muss bedacht werden, dass es sich um einen variantenreichen, ungleichmäßigen Prozess handelte. Die vollständige Deckungsgleichheit des Entscheidungs- und Kontrollraums mit dem Identitätsraum als Ideal wurde nie ganz erreicht; selbst am Höhepunkt des Territorialitätsprinzips zur Mitte des 20. Jahrhunderts gab es praktische Lücken hinsichtlich der zentralen Steuerung, der Mobilisierung der Bevölkerung, der Elitenintegration und der technisch-ökonomischen Infrastruktur. Internationalismus kann nun entweder als eine Bewegung verstanden werden, welche die noch vorhandenen Lücken zu nutzen wusste, sich der modernen Territorialität zu entziehen suchte und ihr widerstand. Oder aber der Internationalismus war eine nicht-territoriale Form des Regierens und der Identitätsbildung in Räumen, die zwar jenseits territorialer Grenzen lagen, den die politischen und gesellschaftlichen Machthaber aber dennoch kontrolliert sehen wollten und daher mit anderen Mitteln indirekt zu steuern suchten; gleichzeitig konnten damit auch Ansprüche an die Ausdehnung staatlicher Tätigkeit, etwa auf die Sozialpolitik, eingeschränkt werden. Der Internationalismus des 19. Jahrhunderts war – so die These – ein Teil der Transformation von Staatlichkeit; zumindest aber stand er in einer engen, teilweise abhängigen Beziehung zu ihr. rameters at the First Universal Races Congress, in: Radical History Review 92 (2005), 118–132; Susan D. Pennybacker, The Universal Races Congress, London. Political Culture, and Imperial Dissent, 1900–1939, in: Radical History Review 92 (2005), 103–117; Robert John Holton, Cosmopolitanism or Cosmopolitans? The Universal Races Congress of 1911, in: Global Networks 2 (2002), 153–70. 54 Charles S. Maier, Consigning the Twentieth Century to History. Alternative Narratives for the Modern Era, in: American Historical Review 105 (2000), 807–831.

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Für die weitere Forschung ergeben sich daraus eine Reihe von Fragen hinsichtlich des Zusammenhangs innerstaatlicher Strukturen, dem Grad der Institutionalisierung transnationaler Felder und den Handlungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Akteure55. Die gesellschaftliche Grundlage des Internationalismus bildete die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Europa, die als Pendant zur Transformation von Staatlichkeit begriffen werden kann. »Zivilgesellschaft« ist ein schwieriges, nicht unumstrittenes Konzept, weil es beschreibend und normativ zugleich gebraucht wird. Es wurde bislang in der historischen Forschung überwiegend im Rahmen von Nationalgeschichten verwendet, ist aber auch auf einer transnationalen Ebene angewandt worden, so vor allem zeitgeschichtlich mit Blick auf Protestbewegungen seit den 1960er Jahren. Für das 19. und frühe 20. Jahrhundert lässt es sich noch weiter fruchtbar machen. Zivilgesellschaft wird erstens definiert als eine spezifische Form sozialen Handelns, die mehrere Kennzeichen besitzt56: Konflikte werden öffentlich ausgetragen mit dem Ziel, Verständigung und Kompromisse zu erreichen; es handelt sich um eine Form sozialer und individueller Selbstorganisation; Pluralität wird von denjenigen, die sich zusammenschließen, anerkannt und Differenzen mittels gewaltfreier und friedlicher Verfahren bewältigt; das Handeln ist an allgemeinen Gütern orientiert, nicht an Partikularinteressen. Zur gängigen Definition von Zivilgesellschaft gehört zweitens, dass sie als sozialer Bereich zwischen Staat, Wirtschaft und Privatsphäre angesiedelt ist. Ihre organisatorischen Formen sind Vereine, Assoziationen, Netzwerke oder Initiativen, die sich durch eine dynamische Kraft auszeichnen. Drittens ist Zivilgesellschaft Teil eines umfassenden Ordnungsentwurfs, der immer auch ein Stück Utopie enthält. Es ist zu erkennen, dass definitorische Elemente von Zivilgesellschaft auf den Internationalismus übertragbar sind, beziehungsweise einer Bestimmung gleichen, wie sie etwa Akira Iriye vertritt. Einher gehen damit aber nicht nur ähnliche, sondern auch neue Probleme. Die enge Verbindung der Zivilgesellschaft mit dem Bürgertum als Sozialformation führt den Historiker Manfred Hettling zu einer Interpretation, die am Ende des 19. Jahrhunderts eine allmähliche Abkehr des Bürgertums von den Idealen der Zivilgesellschaft konstatiert. Die tragenden Kräfte wandten sich demnach älteren, ständisch konno55 J. Paulmann, Grenzüberschreitungen und Grenzräume (Anm. 44), 193–195; anregend aus politikwissenschaftlicher Perspektive: Thomas Risse-Kappen (Hrsg.), Bringing the Transnational Back in. Non-state Actors, Domestic Structures, and International Institutions, Cambridge 1995, 20–32. 56 Jürgen Kocka, Zivilgesellschaft in historischer Perspektive, in: Zivilgesellschaft als Geschichte. Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Ralph Jessen / Sven Reichardt / Ansgar Klein, Berlin 2004, 29–42, hier 32–34.

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tierten Gesellschaftsmodellen zu, christlich-religiöse Orientierungen schienen verloren zu gehen, während kollektive Leitideen wie Volk und Raum eine neue, überindividuelle Sicherheit angesichts der aufbrechenden, zersplitternden Gesellschaftsordnung versprachen57. Hettling schreibt eine Geschichte des Niedergangs der bürgerlichen Zivilgesellschaft, die besonders in Deutschland in einen völkischen Nationalismus mündete. Mit dem Aufstieg des Internationalismus bis zur Wende zum 20. Jahrhundert scheint dies nicht vereinbar, obgleich sich die soziale Zusammensetzung der nationalen Akteure und die zivilen Verhaltensmuster kaum von denen der internationalen Bewegungen und Organisationen unterschieden. Wie lassen sich der angenommene Niedergang der Zivilgesellschaft und der parallele Aufstieg des strukturell so ähnlichen Internationalismus verstehen? Zum einen löst sich die Widersprüchlichkeit dann auf, wenn man von der sozial gleichen Zusammensetzung – und teilweisen Identität der Personen – ausgehend beide als ein Elitenkonzept versteht. Dann erscheint die Frage der Partizipation beziehungsweise der Zugehörigkeit eine selbstverständliche zu sein58. Anstelle der Annahme, jeder könne in den Formen einer (internationalen) Zivilgesellschaft mitwirken, tritt dann eine Analyse der Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Dass die Teilhabe von Frauen von Anfang an eine gewisse Sprengkraft für bürgerliche Assoziationen wie für transnationale Organisationen entwickeln konnte, überrascht dann genauso wenig wie spätere Partizipationskonflikte, die ebenfalls entlang der Geschlechtszugehörigkeit oder etwa im kolonialen Raum entlang ethnischer Linien auftraten59. Weder die nationale Zivilgesellschaft noch der Internationalismus waren per se demokratisch in dem Sinne, dass alle Menschen gleichberechtigt daran teilhaben sollten oder durften, wenn sie sich nur bereitwillig den jeweiligen Zielen verschreiben wollten. Wie gleichberechtigt auch immer die interne Konfliktregulierung vonstatten ging, die geselligen Formen hatten im 19. Jahrhundert nicht unbedingt die umfassende Demokratisierung einer Weltgesellschaft zum Ziel60. Außer den bereits erwähnten Voraussetzungen der 57 Manfred Hettling, ›Bürgerlichkeit‹ und Zivilgesellschaft. Die Aktualität einer Tradition, in: Zivilgesellschaft (Anm. 56), 45–63. 58 Frank Trentmann (Hrsg.), The Paradoxes of Civil Society. New Perspectives on Modern German and British History, 2. Aufl., New York 2003, 3–46. 59 Exemplarisch Clare Midgley, Can Women be Missionaries? Envisioning Female Agency in the Early Nineteenth-century British Empire, in: Journal of British Studies 45 (2006), 335–358; Steven S. Maughan, Civil Culture, Women’s Foreign Missions, and the British Imperial Imagination, 1860–1914, in: Paradoxes (Anm. 58), 199–222. 60 Vgl. F. Trentmann, Paradoxes (Anm. 58), 16–18; Stefan-Ludwig Hoffmann, Geselligkeit und Demokratie. Vereine und zivile Gesellschaft im transnationalen Vergleich 1750– 1914, Göttingen 2003, bes. 7–19.

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Verfügung über Zeit und Geld und der Geschlechtszugehörigkeit waren auch Bildung, rechtliche Gleichstellung und zumeist »Rasse«-Zugehörigkeit sowie christliche Religion wesentliche Voraussetzungen, um an den gängigen Formen des Internationalismus im 19. Jahrhundert partizipieren zu können. Zum anderen löst sich die Widersprüchlichkeit zwischen dem diagnostizierten zivilgesellschaftlichen Niedergang im völkischen Nationalismus einerseits und dem Aufstieg des Internationalismus anderseits auf, wenn man den Internationalismus als durchaus kompatibel mit nationalem Denken begreift. 1840, im Jahr der für den deutschen Nationalismus formativen Rheinkrise, veröffentlichte die dezidiert anti-französische Zeitung »Volkshalle« einen Spendenaufruf für die Opfer einer Überschwemmung von Rhône und Saône. Das nationalistische Blatt erklärte, dass »Handlungen der Menschlichkeit« die nationale Haltung nicht schwächten61. Grenzüberschreitende Menschlichkeit stand für die Zeitgenossen also nicht im Widerspruch zu nationaler Politik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte ein bekannter Internationalist, der Nobelpreisträger Alfred Fried, sogar eine enge Verbindung her, als er schrieb: »Internationalismus im modernen Sinne ist nichts anderes als Erhöhung der Nation. Es ist veredelter Nationalismus.«62 Aus der zivilgesellschaftlichen Perspektive auf den Internationalismus lassen sich somit zwei Thesen bilden: Im Internationalismus formierte sich im 19. Jahrhundert erstens eine national segmentierte neue internationale Elite aus; und zweitens war der Internationalismus eine Form der Integration zumeist bürgerlicher Eliten in die europäischen Nationalstaaten, die sich auf der Ebene der Beziehungen zwischen den Staaten abspielte. Internationalisten waren also insgesamt weder national noch sozial dauerhaft Außenseiter, selbst wenn dies auf einzelne Individuen zutreffen mag63. Internationalismus war, so lässt sich abschließend festhalten, ein Strukturelement der Außenbeziehungen im 19. Jahrhundert – und im Übrigen aufgrund seiner Rückwirkungen auch der nationalen Gesellschaften. Er entwickelte sich im engen Zusammenspiel mit der technisch-organisatorischen Vernetzung in Wirtschaft und Wissenschaft in Europa und im Rahmen der europäisch-atlantischen Expansion. Universale Ansprüche und koloniale Ungleichheiten gehörten ebenso wie gesellschaftliche Mechanismen der Inklu61 Elisabeth Hüls, Johann Georg August Wirth (1798–1848). Ein politisches Leben im Vormärz, Düsseldorf 2004, 456 f. 62 A. H. Fried, Leben (Anm. 6), 31; exemplarisch auch Stefan-Ludwig Hoffmann, Nationalism and the Quest form Moral Universalism. German Freemasonry, 1860–1914, in: Mechanics (Anm. 9), 259–284. 63 Vgl. Markus Krajewski, Restlosigkeit. Weltprojekte um 1900, Frankfurt a. M. 2006, hier 16.

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sion und Exklusion durchgängig zu seinen Merkmalen. Internationalismus war teilweise strategisches Mittel staatlichen Regierens im Sinne von Governance auf den Feldern innerhalb und jenseits der territorialen Grenzen, auf denen der sich wandelnde Staat des 19. Jahrhunderts keine Kontrolle ausüben konnte oder wollte. Auf gesellschaftlichem Gebiet diente der Internationalismus so einerseits auch der Elitenintegration und anderseits der Bildung einer zumeist national segmentierten internationalen und dominant europäischen Elite von Technikern, Wissenschaftlern, Juristen, Beamten, Missionaren und Sozialreformern. Hier wie im Rahmen nationaler oder lokaler Gesellschaften war vor dem Ersten Weltkrieg die Beteiligung oder Aktivität von Frauen keine Selbstverständlichkeit; allerdings schufen Frauen sich in manchen Ausprägungen des Internationalismus neue öffentliche Handlungsräume. Idealistische Konzepte spielten gegenüber dem Bemühen um pragmatische Verbesserung von Wirtschaft und Gesellschaft im Internationalismus des 19. Jahrhunderts eine geringere Rolle. Die Akteure nutzten die Außenbeziehungen je nach ihren Interessen und Weltvorstellungen. Der Internationalismus kann damit schließlich auch als Konzept und Motor von Globalisierungsprozessen untersucht werden. Beide – Internationalismus und Globalisierung – waren charakterisiert durch ähnliche Mechanismen von Grenzüberschreitung und Grenzziehung64; der Internationalismus hat aber den Vorteil der Quellen- und Akteursnähe. Seine Untersuchung verbindet Perspektiven der Zeitgenossen mit analytischem Zugriff und analysiert belegbare und konkrete Austauschprozesse.

64 Vgl. Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003; Sebastian Conrad / Andreas Eckert / Ulrike Freitag (Hrsg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt a. M. 2007.

Gestaltungsraum und lokale Lebenswelt: Britische Diplomaten an ihren deutschen Standorten, 1815–1914 Von Markus Mößlang

1870/71, in den Jahren des deutsch-französischen Krieges und der Gründung des deutschen Kaiserreichs, befasste sich auf der anderen Seite des Kanals ein Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments mit der Diplomatie des Vereinigten Königreichs. Die Kommission diskutierte neben zahlreichen Fragen der Reform des diplomatischen Dienstes auch die Frage des Fortbestandes der britischen Gesandtschaften in den deutschen Einzelstaaten. Nachdem 1866 die Missionen beim Deutschen Bund in Frankfurt und im von Preußen annektierten Königreich Hannover geschlossen worden waren, standen abgesehen von der Botschaft in Berlin nun auch die eigenständigen britischen Vertretungen in München, Stuttgart, Dresden, Darmstadt, Hamburg und Coburg zur Disposition1. Dieses dichte Netz von Diplomaten war in der britischen Außenpolitik eine singuläre Erscheinung. Seit 1815 war Großbritannien in keinem anderen Land so stark vertreten wie in Deutschland. Am Vorabend der Reichsgründung tat hier gut ein Fünftel der weltweit 33 britischen Missionschefs ihren Dienst2. Der Untersuchungsausschuss stellte nicht nur die Kosten der sieben Gesandtschaften den Anforderungen eines veränderten politischen Umfeldes gegenüber, er nahm auch die seit Beginn der 1850er Jahre vorgebrachten Zweifel an der Nützlichkeit von Diplomaten in den kleineren Staaten Deutschlands auf und brachte sie mit neuem Nachdruck vor. Zeugenaussagen wie die der ehemaligen Gesandtschaftssekretäre Henry Du Pré Labouchere und Charles Heanage gossen dabei Wasser auf die Mühlen der Schließungs-Befürworter. Danach hatte sich der Gesandte John Milbanke in den 1850er Jahren über Monate mit englischen Freunden an den Tegernsee zurückgezogen und sein 1 Vgl. Report from the Select Committee on Diplomatic and Consular Services, London 1870 (HCPP, 382); First Report from the Select Committee on Diplomatic and Consular Services, London 1871 (HCPP, 238). Allgemein zur Entwicklung des britischen diplomatischen Dienstes: Raymond A. Jones, The British Diplomatic Service, 1815–1914, Gerrards Cross 1983; Thomas G. Otte, Old Diplomacy: Reflections on the Foreign Office before 1914, in: Contemporary British History 18 (2004), 31–52. 2 Die Angaben zur Stationierung der britischen Diplomaten in Deutschland beruhen auf Stanley Thomas Bindoff u. a. (Hrsg.), British Diplomatic Representatives, 1789–1852 (Camden Third Series, 50), London 1935, und The Foreign Office List and Diplomatic and Consular Yearbook, London 1852 ff.

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Landhaus nur dann verlassen, wenn der königliche Bote einmal pro Monat in München erwartet wurde3. Ähnlich lag der Fall bei Milbankes Nachfolger Henry Howard. Dieser hatte einen guten Teil des Jahres am Starnberger See verbracht und kam nur bei Bedarf nach München4. Die 1858 vom radikalen Unterhausabgeordneten John Bright vorgebrachte Kritik, wonach Diplomatie nichts anderes sei als eine gigantische Unterstützungskasse für die Aristokratie, schien sich zu bestätigen5. Auch andere Quellen zeichnen das Bild eines eher angenehmen Diplomatenlebens in München. »Die Jagd und das Fischen waren ausgezeichnet«6 schreibt Lord Loftus 1863 an Andrew Buchanan und in seiner Autobiographie zählt er seine Münchner Jahre »zu den glücklichsten und angenehmsten meines Lebens«7. Die Einwände des Untersuchungsausschusses gegen die Amtsführung britischer Diplomaten im Allgemeinen und die kleineren Missionen in Deutschland im Besonderen blieben ohne weitreichende Folgen. Zunächst fiel lediglich Hamburg dem Rotstift zum Opfer8. Auch die Vorliebe britischer Diplomaten für bayerische Seen blieb erhalten. Victor Drummond befand sich im Juni 1886 auf Sommerfrische in Starnberg, als wenige Kilometer weiter Ludwig II. ums Leben kam. Die Erkundigungen des umgehend mit einem Boot nach Berg geschickten Dieners brachten allerdings keine weiteren Informationen über die Todesursache des Königs und seines Leibarztes9. Nicht erst seit der Reichsgründung wurde das beschauliche Dasein an den kleineren Missionen nur von kurzen Phasen politischer Betriebsamkeit unterbrochen. Die Meldung »Nichts von auch nur geringster Wichtigkeit hat sich in letzter Zeit in dieser Hauptstadt ereignet«10 war zwischen 1815 und 1914 regelmäßig zu vernehmen. Während aber etwa in der Phase der Zollvereinsgründung, der JuliBewegung von 1830 oder der 1848er Revolution die deutschen Mittelstaaten 3 Vgl. Select Committee 1870 (Anm. 1), 348, 352 f. Zu den Royal Messenger vgl. R. A. Jones, Diplomatic Service (Anm. 1), 119. 4 Vgl. Select Committee 1870 (Anm. 1), 363. 5 James E. Thorold Rogers (Hrsg.), Speeches on Questions of Public Policy by the Rt. Hon. John Bright, MP, Neudruck: London 1898, 470. 6 Hunting and fishing were excellent. Nottingham University Library, Department of Manuscripts and Special Collections, Bu 16/18: Loftus an Buchanan, 9.5.1863. 7 As among the happiest and most enjoyable in my life. Augustus Loftus, The Diplomatic Reminiscences of Lord Augustus Loftus, Bd. 2: 1862–1879, London 1894, 2. 8 Vgl. dazu John Ward, Experiences of a Diplomatist. Being Recollections of Germany, Founded on Diaries Kept during the Years 1840–1870. London 1872, 275–279. 9 PRO, FO 9/256: Drummond an Rosebery, Nr. 18, München, 14.6.1886; James Rennell Rodd, Social and Diplomatic Memories, 1884–1893, London 1922, 102 f. 10 Nothing of the slightest Importance has occurred lately in this Capital. PRO, FO 68/48: Forbes an Palmerston, Nr. 1, Dresden, 30.1.1840.

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zumindest vorübergehend in das Zentrum britischer Aufmerksamkeit rückten und die Entwicklungsmöglichkeiten des Deutschen Bundes gerade aus der Perspektive der Mittelstaaten hervorgingen, wurde das politische Gefälle zu Berlin seit 1866 beziehungsweise 1871 immer deutlicher11. 1909 merkte man etwa im Foreign Office an, dass es ja nicht der Fehler des Diplomaten sei, wenn der Jahresbericht über die Großherzogtümer Baden und Hessen-Darmstadt nur wenig politische Substanz habe12. Auch die Zahl der Gesandtenberichte spricht ein klare Sprache: Während der Berliner Botschafter im Schnitt ein bis zwei offizielle Depeschen pro Tag nach London schickte, kam man an den kleineren Gesandtschaften seit der Reichsgründung auf maximal eine pro Woche, mit abnehmender Tendenz. Dass für die Münchner Legation eine Schreibmaschine als mehr als ausreichend (amply sufficient) erachtet wurde, passt zu diesem Bild13. Die Empfehlung des Parlaments, die Notwendigkeit der kleineren Missionen in Deutschland weiterhin zu prüfen und diese gegebenenfalls zu schließen14, führten in den Jahren 1890 und 1907 lediglich zu einem kleineren Rückbau, als die Missionen in Stuttgart und Coburg den Vertretungen in München und Dresden zugeschlagen und vor Ort nur noch sporadisch von Gesandtschaftssekretären betreut wurden. Neben der Rücksichtnahme auf den Beförderungsstau im diplomatischen Dienst – formal gesehen handelte es sich in den deutschen Mittelstaaten um Stellen von Missionschefs – waren es vor allem die familiären Bindungen des britischen Throns zu den deutschen Fürstenhäusern, die das Foreign Office von einem weiteren Stellenabbau abhielten15. Letzteres galt auch für die Aufrechterhaltung diplomatischen Beziehungen zu weiteren

11 Vgl. u. a. Frank Lorenz Müller, Britain and the German Question. Perceptions of Nationalism and Political Reform, 1830–63, Basingstoke 2002, und die vom Verfasser dieses Beitrags mitherausgegebene Editionsreihe British Envoys to Germany, 1816–1866 (Camden Fifth Series, 15, 21 und 28), Cambridge 2002–2006. 12 PRO, FO 371/672, File 9910: Minutes, April 1909. 13 PRO, FO 371/259, File 10715: Vermerk vom 9. April 1907. Die offizielle Korrespondenz aus Deutschland ist im PRO unter FO 9, FO 30, FO 33, FO 34, FO 64, FO 68, FO 82 und FO 371 überliefert. 14 Report from the Select Committee on Diplomatic Service, London 1861 (HCPP, 459), XV; Select Committee 1871 (Anm. 1), VI. 15 Zu den dynastischen Erwägungen siehe u. a. PRO, FO 391/27: Hammond, Memorandum (Entwurf ), 3. März 1870; Select Committee 1870 (Anm. 1), 14; Fourth Report of the Royal Commission Appointed to Inquire into the Civil Establishments of the Different Offices of State at Home and Abroad, London 1890 (HCPP, Cd. 6172), 119–120. Zum sogenannten block in promotion vgl. ebd., 125 f., R. A. Jones, Diplomatic Service (Anm. 1), 146–151.

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– im Jahr 1890 waren es acht16 – deutschen Höfen, an denen die britischen Diplomaten zusätzlich akkreditiert waren. Auch hier zählten Konventionen zwischen den europäischen Fürstenhäusern mehr als das politische Faktum eines geeinten Deutschlands. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass man im Jahr 1906 auf keinen Fall den Anschein erwecken wollte, dass es sich beim Zwei-Mann-Betrieb in München um eine Außenstelle der Berliner Botschaft handle17. Die Eigenstaatlichkeit der deutschen Länder legitimierte also die Existenz von offiziellen Beobachtern, ohne dabei dem Spionageverdacht ausgesetzt zu sein. Die offizielle Begründung für die Aufrechterhaltung der sogenannten minor missions in Deutschland war ähnlich gelagert. Britische Diplomaten, so argumentierte man, ohne näher auf ihr Handlungspotential einzugehen, könnten hier Informationen erhalten, die in Berlin nicht verfügbar seien18. Dies betraf zum einen die regionalen Ereignisse, zum anderen die Rückkoppelungen gesamtdeutscher und internationaler Entwicklungen vor Ort. Wie während des deutsch-französischen Krieges, als der spätere Botschafter in Russland, Robert Morier, in Darmstadt stationiert war, schärfte der regionale Standpunkt den Blick für das Ganze: »All die belanglosen und elenden Seiten eines solchen Kampfes liegen offen vor einem wie unter einem Mikroskop.«19 Auch mit der Lösung der deutschen Frage blieb der jeweilige regionale Standort als Referenzpunkt erhalten. Die Existenz der Gesandtschaften in Deutschland spiegelte damit den föderalen Charakter des Deutschen Reichs20. Dem entspricht, dass der Fortbestand der kleineren Gesandtschaften nach 1871 als ein Indiz dafür gewertet werden kann, dass der Reichsgründung aus britischer Sicht etwas Provisorisches anhaftete. Gerade in Zeiten unklarer Entwicklun16 Anhalt, Baden, Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar und Waldeck. Vgl. Royal Commission 1890 (Anm. 15), Appendix, 182. 17 Vgl. PRO, FO 371/76, File 3434: Lascelles an Grey, Nr. 32, 29.1.1906. 18 Vgl. die Stellungnahmen der britischen Außenminister und Unterstaatssekretäre vor den einschlägigen Untersuchungsausschüssen: Report from Select Committee on Official Salaries, London 1850 (HCPP, 611), 68 f.; Select Committee 1861 (Anm. 14), 90  f., 108 f.; Select Committee 1870 (Anm. 1), 15 f.; 61, 63 f.; Royal Commission 1890 (Anm. 15), 36; Royal Commission on the Civil Service. Appendix to Fifth Report of the Commissioners, London 1914 (HCPP, Cd. 7749), 278. 19 All the petty and miserable sides of such a struggle are opened out before one as under a microscope. Morier an Russel, Darmstadt, 16.1.1871, zit. nach Memoirs and Letters of the Rt. Hon. Sir Robert Morier, G.B.C., from 1826 to 1876, Bd. 2, hrsg. v. Rosslyn WesterWemyss, London 1911, 227. 20 Dazu allgemein Siegfried Weichlein, Nation und Region. Integrationsprozesse im Bismarckreich, Düsseldorf 2004.

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gen wolle man, so Lord Malmesbury 1870, so viele watch dogs 21 haben wie möglich. Zweifelsfrei war das Foreign Office über die Geschehnisse in Deutschland im Jahrhundert zwischen 1815 und 1914 durch seinen Diplomatenstab vorzüglich und differenziert informiert – als Quelle zur britischen Deutschlandwahrnehmung suchen die multiperspektivischen Gesandtenberichte aus Deutschland in ihrer Vielschichtigkeit und ihrem Kenntnisreichtum ihresgleichen. Im komplexen Prozess der deutschen Einigung und während der internationalen Krisen zwischen 1848 und der Reichsgründung erbrachten die Depeschen aus den deutschen Klein- und Mittelstaaten dabei durchaus außenpolitischen Mehrwert, etwa in den Diskussionen um groß- und kleindeutsche Einigungsoptionen, während der Verhandlungen zur Schleswig-Holstein-Frage oder im Vorfeld des österreichisch-italienischen Krieges, als der britische Außenminister durch seinen Gesandten in Hannover frühzeitig auf die österreichischen Pläne aufmerksam gemacht wurde22. Nach 1871 finden sich dagegen nur sehr vereinzelt Anhaltspunkte dafür, dass die Berichterstattung aus der deutschen Provinz – »voll mit lokalen Tatsachen von sekundärem und kurzfristigem Interesse«23 – für das Außenministerium Relevanz erlangte, von einem substantiellen Einfluss auf außenpolitische Prozesse ganz zu schweigen24. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ergänzten immer häufiger special reports, die in gedruckter Form dem britischen Parlament vorgelegt wurden, die routinemäßige politische Berichterstattung aus der deutschen Provinz. Umfangreiche Analysen über das metrische System, über Denkmalschutz, Scheidungsrecht, Kaminkehrerordnungen, Einkommensteuer, Wahlrecht und Parlamentsdiäten25, um nur einige wenige Themen der in den deutschen Einzelstaaten erstellten Druckschriften zu nennen, waren Ausdruck wachsender Internationalisierung innenpolitischer Prozesse und weisen auch auf die zunehmende Verflechtung Großbritanniens und Deutschlands hin26. Die 21 Select Committee 1870 (Anm. 1), 64. 22 Select Committee 1861 (Anm. 14), 180. 23 Crowded with local facts of secondary & transient interest. PRO, FO 68/123: Strachey an Derby, Nr. 42, 3.12.1874. 24 Die Berichte aus den deutschen Mittelstaaten spielen eine entsprechend marginale Rolle in der Editionsreihe British Documents on the Origins of War, 1898–1914, hrsg. v. G. P. Gooch / Harold Temperly (11 Bde.), London 1926–1938. 25 Siehe beispielsweise die HCPP Cd. 253 (1900), Cd. 8443 (1897), Cd. 1468 (1903), Cd. 2347 (1905), Cd. 2587 (1905), Cd. 3501 (1907). 26 Vgl. u. a. Paul M. Kennedy, The Rise of the Anglo-German Antagonism 1860–1914, London 1980; Peter E. Hennock, British Social Reform and German Precedents. The Case of Social Insurance, 1880–1914, Oxford 1987.

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Sachberichte aus den Ländern des Deutschen Reiches waren aber angesichts der Flut derartiger parliamentary papers aus der Feder britischer Diplomaten aus aller Welt eher ein Nebenprodukt diplomatischer Multirepräsentanz in Deutschland als ihre Legitimationsgrundlage. Gleichwohl verdeutlichen gerade die Sachberichte, dass in der komplexen Gemengelage von diplomatischen Konventionen und politischen Notwendigkeiten neue gesellschaftliche Entwicklungen ihren Weg in die diplomatische Praxis fanden. Nicht zuletzt an den politisch sekundären Standorten nahmen Recherche und Berichterstattung über Angelegenheiten, welche die traditionellen Außenbeziehungen nur am Rande berührten, im täglichen Geschäft der Missionschefs eine immer bedeutendere Rolle ein. Für die Bewertung von Funktion und Stellung der Missionen in Deutschland ist dieser Blick auf die Praxis der Gesandten vor Ort zentral27. Gerade vor dem Hintergrund der innerbritischen Kritik an der Amtsführung der Diplomaten erlaubt die Perspektive auf den »Gestaltungsraum« der Gesandten in ihrem lokalen Umfeld die verschiedenen britischen Standorte in Deutschland vergleichend einzuordnen. Darüber hinaus können diplomatische Lebenswelten und ihre Funktionen für die Außenbeziehungen in Bezug gesetzt werden. Wenn also die Gesandten in München, Dresden oder Darmstadt von Bedeutung für die britische Außenpolitik waren – wie schlug sich das im täglichen Handeln nieder? Und welche Anpassungsleistungen lassen sich für die Diplomaten in einem sich verändernden innen- wie außenpolitischen Umfeld feststellen? Die zahlreichen autobiographischen Schriften, die offiziellen Depeschen und die umfangreichen privaten Korrespondenzen, die eine Vielzahl britischer Diplomaten hinterlassen haben, verdeutlichen, dass mit der zunehmenden Professionalisierung des Diplomatenstandes nicht zwangsläufig eine Abkehr von den Praktiken und Konventionen der traditionellen diplomatischen Lebenswelt verbunden war28. Den Neuerungen im diplomatischen Dienst zum Trotz, die interne Reformen und übergeordnete Modernisierungsschübe – allen voran die Kommunikationsrevolution durch Eisenbahn und Telegraf29 – im 27 Dieser Ansatz entspricht dem neueren Interesse an einer Kulturgeschichte der Diplomatie. Vgl. dazu den vom Verfasser dieses Beitrags mitherausgegebenen Sammelband: Markus Mösslang / Torsten Riotte (Hrsg.), The Diplomats’ World. A Cultural History of Diplomacy, Oxford 2008. 28 Eine Übersicht der Privatkorrespondenzen findet sich in: Private Papers of British Diplomats 1782–1900, hrsg. v. The Royal Commission on Historical Manuscripts (Guides to Sources for British History, 4), London 1985. 29 Siehe dazu exemplarisch David Paull Nickles, Under the Wire. How the Telegraph Changed Diplomacy, Cambridge Mass. 2003.

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Laufe des 19. Jahrhunderts mit sich brachten, hingen die offizielle und die private Sphäre des Diplomatenalltags bis 1914 eng zusammen und wurden vor Ort höchst individuell ausgestaltet. Im Falle der Gesandten in Deutschland zeigt sich dieses Wechselspiel von Amtsfunktion, Person und Dienstort auch in der Wahrnehmung ihrer Gastländer. Wie vom britischen Außenministerium vorgebracht, verfolgten die Diplomaten die Ereignisse in den deutschen Klein- und Mittelstaaten durch eine regionale Brille und stützen sich vor allem auf Informationen aus ihrem unmittelbaren Umfeld, an erster Stelle die Gespräche mit ihren offiziellen Ansprechpartnern, den auch nach 1871 amtierenden Außenministern der Einzelstaaten. Dabei lag es auch unabhängig vom politischen Nutzen einer regional differenzierten Berichterstattung im eigenen Interesse, die Relevanz des jeweiligen Gastlandes und Beobachtungshorizonts zu betonen. Allein aus Karrieregründen war dies opportun, und seit Beginn der 1850er Jahre tat die Diskussion um die Schließung der minor missions ihr übriges. Im Falle eines britischen Geschäftsträgers in Dresden tritt die berufsbiographisch motivierte Wahrnehmung des Gastlandes besonders deutlich hervor. Vierzehn Jahre bevor George Strachey nach Dresden berufen wurde, bezeichnete er die Posten in den deutschen Mittelstaaten als seats of darkness30. Es sei eine Schimäre anzunehmen, so meinte er 1861, dort irgendwelche nützlichen Informationen zu erhalten. Als Strachey 1875 nach Dresden geschickt wurde, sah er dies freilich anders. Sachsen repräsentiere nicht nur ein anderes, ein föderales, nicht-preußisches Deutschland, Dresden sei wahrscheinlich auch, so schreibt er wenige Monate nach seinem Dienstantritt, »unübertroffen als ein deutsches ›Ohr des Dionysius‹«, wenn es um Berliner Politik ginge. Sein Posten, so meinte er, sei nicht zuletzt auch deswegen kaum verzichtbar31. Über einen Zeitraum von 23 Jahren ist Stracheys Korrespondenz durchzogen von derartigen Rechtfertigungen – allerdings, je länger er in Dresden blieb, zunehmend in resignativem Tonfall. Das lag nicht nur am Ausbleiben einer Berufung an einen bedeutenderen Posten, den Strachey ebenso sehnlich erwartete wie seine Amtsvorgänger Charles Murray und Joseph Hume Burnley. »Die unterste Stufe der diplomatischen Leiter«32 machte sich nicht zuletzt 30 Select Committee 1861 (Anm. 14), 238. 31 Unsurpassed as a German ›Ear of Dionysius‹. PRO, FO 68/159: Strachey an Derby, Nr. 5, Dresden, 27.1.1875. Zur Berichterstattung aus Sachsen siehe auch James Retallack, ›Under the name of a constitution…‹ British Diplomatic Reports from Germany in the Nineteenth Century, in: Figuren und Strukturen. Historische Essays für Hartmut Zwahr zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Manfred Hettling u. a., München 2002, 621–643. 32 The bottom of the diplomatic ladder. Vgl. Herbert Maxwell, The Honourable Sir Charles Murray, K.C.B. A Memoir. Edinburgh / London 1898, 329.

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auch in der geringen Dotation des Postens bemerkbar. Da Strachey im Gegensatz zu vielen Kollegen nicht auf ein Privatvermögen zur Finanzierung seiner Lebenshaltung zurückgreifen konnte, sah er die Gefahr der gesellschaftlichen Ausgrenzung, mit allen seinen negativen Folgen für die Informationsbeschaffung vor Ort33. Die Anforderungen an den Lebensstil britischer Diplomaten hingen maßgeblich von den lokalen Besonderheiten des jeweiligen Standorts ab. In der Regel orientierte der Gesandte sich an den Gepflogenheiten der jeweiligen Höfe. In Darmstadt, Coburg und Dresden gestaltete sich das höfische Leben vergleichsweise frugal und informell, im München der 1860er und 1870er Jahre war es von der Wechselhaftigkeit und Scheu Ludwigs II. bestimmt und in Stuttgart eiferte man zu Lebzeiten Königin Olgas der Opulenz des russischen Zarenhofs nach. Auch im bürgerlichen Hamburg hatte der britische Geschäftsträger Mühe, mit den ersten Familien mitzuhalten, was hier wie an allen anderen Standorten aber als Bedingung guter diplomatischer Praxis gesehen wurde – eine Bedingung, die angesichts gestiegener Ansprüche, aber auch allgemeiner Teuerung und überteuerter Preise für Diplomaten spätestens seit den 1850er Jahren zunehmend schwer zu erfüllen war. Die Herabstufung der meisten kleineren Vertretungen in Deutschland zu 3rd class missions und die Kürzungen der Diplomatengehälter – beides ein Zugeständnis an die innerbritischen Kritiker – führten dabei zu ihrer finanziellen Austrocknung34. Auch Berlin, wo die britische Gesandtschaft 1862 zur Botschaft aufgewertet wurde, stellte den britischen Missionschef trotz einer ungleich höheren Dotation vor erhebliche finanzielle Herausforderungen: »Der Lebensstil in der Gesellschaft, in welcher die Mitglieder des diplomatischen Corps sich zu treffen pflegen, ist kostspieliger geworden. Es gibt in Europa keinen prunkvolleren Hof als jenen in Berlin.«35 Während aber das diplomatische Corps in Berlin – bis 1914 ein Refugium der europäischen Aristokratie – zum neuen Glanz des Reichs beitragen sollte, symbolisierte es in den übrigen deutschen 33 Vgl. PRO, FO 68/159: Strachey an Derby, Nr. 5, Dresden, 27.1.1875. 34 Vgl. PRO, FO 366/529: Malet an Clarendon, Frankfurt, 28.4.1857; FO 82/124: Gordon an Stanley, Stuttgart, 19.11.1866; Reports from Her Majesty’s Representatives Respecting the British and Foreign Diplomatic Services, 1869–70. London 1870 (HCPP, C. 49), 20 f., 63, 104 f., 122; Royal Commission 1890 (Anm. 15), 36. 35 The style of living among the society in which the members of the Diplomatic Body are in the habit of meeting has become more costly. There is no Court in Europe more magnificently kept than at Berlin. Reports 1870 (Anm. 34), 105. Zum diplomatischen Corps in Berlin vgl. Hans Philippi, Die Botschafter der europäischen Mächte am Berliner Hofe 1871–1914. Eine Skizze, in: Vorträge und Studien zur preußisch-deutschen Geschichte, hrsg. v. Oswald Hauser, Köln / Wien 1983, 159–250.

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Residenzstädten die Reste der Eigenstaatlichkeit der Länder. Insbesondere für die Monarchen waren diplomatische Vertretungen »unverzichtbare Attribute eines Staates« 36. Dem entspricht, dass der Souveränitätsverlust der deutschen Mittel- und Kleinstaaten nur vergleichsweise geringe Rückwirkungen auf die höfische Stellung der Diplomaten hatte. Für das Selbstverständnis der deutschen Monarchien ist es bezeichnend, dass Etikette und Protokoll weiterhin mit großer Ernsthaftigkeit eingehalten wurden. Für negatives Aufsehen sorgte etwa der britische Geschäftsträger Morier, als er ein Bankett des bayerischen Königs vorzeitig verließ, da er nicht am königlichen Tische platziert wurde37. Anders als ein knappes halbes Jahrhundert zuvor, als vor dem Hintergrund des Thronantritts Ottos von Bayern als König von Griechenland ein bizarrer Streit um das Tragen von Kniebundhosen und seidenen Strümpfen für bayerischbritische Verstimmungen sorgte, fehlte allerdings die politische Aufladung derartiger symbolischer Handlungen.38 Offizielle Termine waren jetzt eher gesellschaftliche Zwangsübungen als die Bühne diplomatischen Agierens39. Der Hof war nur ein Bestandteil der sozialen Pflichten. Nicht weniger wichtig waren die informellen gesellschaftlichen Zusammenkünfte, die als Informations- und Kontaktbörse dienten. Auch hier zeigen sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutliche Unterschiede zwischen Berlin und den kleineren Residenzstädten. Bei letzteren waren Kontakte zu Personen, die nicht der offiziellen Elite angehörten, angesichts der geringeren Dichte des Terminkalenders, aber auch der liberaleren Politikstile in den süddeutschen Ländern eher die Regel als die Ausnahme40. Der Umgang mit der zweiten Reihe war von Seiten des Foreign Office als zusätzliche Informationsquelle auch

36 Paul Sauer, Regent mit mildem Zepter. König Karl von Württemberg, Stuttgart 1999, 203. 37 Irmgard von Barton, Die preußische Gesandtschaft in München als Instrument der Reichspolitik in Bayern von den Anfängen der Reichsgründung bis zu Bismarcks Entlassung, München 1967, 133 f. 38 Vgl. British Envoys to Germany, Bd. II: 1830–1847, hrsg. v. Markus Mösslang / Sabine Freitag / Peter Wende (Camden Fifth Series, 21), Cambridge 2002, 409–411. 39 Vgl. u. a. George Buchanan, My Mission to Russia, and Other Diplomatic Memories, Bd. 1, London 1923, 27–32. 40 Dieter Langewiesche, Politikstile im Kaiserreich. Zum Wandel von Politik und Öffentlichkeit im Zeitalter des ›politischen Massenmarktes‹, in: Regierung, Parlament und Öffentlichkeit im Zeitalter Bismarcks. Politikstile im Wandel, hrsg. v. Lothar Gall, Paderborn 2003, 1–21. Zu Berlin, wo exklusive Salons zur Begegnungsstätte der Diplomaten wurden, vgl. H. Philippi, Botschafter (Anm. 35), und Magnus Brechtken, Scharnierzeit 1895–1907. Persönlichkeitsnetze und internationale Politik in den deutsch-britischamerikanischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg, Mainz 2006, 195 f., 331–338.

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erwünscht. Indiskretionen, so glaubte man, seien hier besonders häufig41. Für die lokale Vernetzung der Gesandten waren die langjährigen, an den kleineren Gesandtschaften bisweilen auch Jahrzehnte andauernden Dienstzeiten in den deutschen Mittelstaaten gewiss nicht abträglich, bargen aber die Gefahr so genannter »Lokalitis«, also einer zu starken Identifikation mit und persönlichen Einbindung in ihrem Gastland42. Erwähnt sei zum Beispiel Henry Howard, der über seine zweite Frau, Marie Ernestine von der Schulenburg, engste Kontakte zu deutschen Freunden und Bekannten pflegte. Die preußenkritische Haltung, die der katholische Diplomat während des Reichsgründungsprozesses an den Tag legte, spiegelte sich dabei in seinem gesellschaftlichen Umgang. Stimmig in diesem Zusammenhang ist auch, dass sich Howard nach 38 Dienstjahren in Deutschland an seinem letzten Dienstort, München, dauerhaft niederließ43. Die Diplomaten fanden nicht nur Aufnahme in die lokale Gesellschaft, sondern man schuf mit den Gesandt- und Botschaften auch selbst Räume, in denen es zu Kontakten kam. Als Orte offizieller Handlungen, wie etwa dem Visieren von Pässen, der Repräsentation und des politischen Austausches aber auch des Wohnens, verdichten sich hier viele Aspekte der diplomatischen Lebenswelt. Bei der Wahl des Standorts wurde zumeist die unmittelbare Nähe zum jeweiligen Außenministerium und den übrigen Gesandtschaften gesucht. Dies war gerade im großen Berlin notwendig, um nicht unnötig viel Zeit zu verschwenden. So findet sich, nachdem das preußische Außenministerium im Jahr 1819 in die Wilhelmstraße gezogen war, die britische Mission zunächst Unter den Linden, dann am Pariser Platz, in der Leipziger Strasse und schließlich in der Wilhelmstrasse selbst, wo 1876 das Stadtpalais des Eisenbahnkönigs Strousberg angemietet und 1884 gekauft wurde44. Eine der großen Vorzüge dieser Residenz war ihr großer Festsaal, der gut sechshundert Personen aufnehmen konnte – eine Voraussetzung dafür, dass sich die neue britische Botschaft zu einem Mittelpunkt des Berliner Gesellschaftslebens 41 Vgl. Select Committee 1861 (Anm. 14), 108 f.; Select Committee 1870 (Anm. 1), 86. 42 Zum Phänomen der ›localitis‹ vgl. Geoff R. Berridge, Diplomacy: Theory and Practice, 3.  Aufl., Basingstoke, 2005, 112 f. Eine Liste von britischen Diplomaten mit langen Dienstzeiten in Deutschland findet sich in F. L. Müller, German Question (Anm. 11), 210 f. 43 Hans Rall, König Ludwig II. und Bismarcks Ringen um Bayern 1870/71. Unter Auswertung unbekannter englischer, preußischer und bayerischer Quellen, München 1973, 2, 51–56, 88; J. R. Rodd, Memories (Anm. 9), 103. 44 Angaben beruhen auf der Auswertung der Berliner Adressbücher zwischen 1815 und 1914. (http://adressbuch.zlb.de/; 1.1.2008). Zur Botschaft im Palais Strousberg vgl. Laurenz Demps, Berlin-Wilhelmstrasse. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht, 2. Auflage, Berlin 1996, 114–116.

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entwickeln konnte. Aber auch schon vorher sah man sich dem Ruf verpflichtet, guter Gastgeber zu sein, etwa im Jahr 1863, als man aus Anlass eines Banketts zu Ehren der Vermählung des Prince of Wales mit Prinzessin Alexandra von Dänemark extra Schildkrötensuppe aus London kommen ließ45. Dinner und entertainment schienen etwas spezifisch Britisches und waren, so war man jedenfalls in Diplomatenkreisen überzeugt, Aktivposten englischer Außenpolitik. Dies galt für Berlin genauso wie für die deutsche Provinz – ja gerade hier wurde die gesellschaftliche Rolle der Briten genau registriert46. Die kleineren britischen Gesandtschaften waren jeweils in repräsentativen Wohngegenden, die mitunter auch etwas weiter von der Stadtmitte entfernt sein konnten, anzutreffen, etwa in Frankfurt in der Bornheimer Landstraße, oder in München der Schwabinger Landstraße, der heutigen Leopoldstrasse. Diese Quartierwahl der Gesandten, die zu einem guten Teil aus der persönlichen Vorliebe der Diplomaten resultierte, kann man als ein Indiz dafür nehmen, dass die Trennung zwischen gesellschaftlicher und politischer Sphäre in den deutschen Hauptstädten nicht so ausgeprägt war wie in Berlin. Dies betrifft nicht zuletzt den Kontakt zu Landsleuten, seien es Adelige auf dem Weg zu den Bädern des Kontinents oder auch ansässige Briten, für welche die britische Kanzlei beziehungsweise die Wohnung des Gesandten neben der English Chapel zum Anlaufpunkt wurde. Dafür sorgten auch zahlreiche Empfehlungsschreiben, so genannte soup tickets, und in Dresden wurde die relativ große, etwa fünfhundert Personen umfassende englische Kolonie als Argument für den Fortbestand der dortigen Gesandtschaft angeführt47. Als »englische Oasen«48 hatten die britischen Missionen auch Symbolkraft nach außen. Besonders eindrucksvoll präsentierten sich die Gesandtschaften als genuin britischer Ort nach dem Tod des Prinzgemahls Albert im Dezember 1861. Über ein Jahr lang waren sowohl die Diplomaten wie auch das gesamte Personal in Trauerkleidung anzutreffen und die Gesandtschaft entsprechend dekoriert49. Die Konventionen der Hoftrauer wurden auch befolgt, 45 Vgl. Nottingham University Library, Department of Manuscripts and Special Collections, Bu 17/93: Hammond an Buchanan, Berlin, 20.4.1863; Meriel Buchanan, Ambassador’s Daughter, London 1958, 51–52. 46 Select Committee 1850 (Anm. 18), 228–229, 235; Select Committee 1870 (Anm. 1), 44, 348; Royal Commission 1890 (Anm. 15), 121, 151; H. Rall, Bismarcks Ringen (Anm. 43), 52 f. 47 PRO, FO 366/529: Malet an Clarendon, Frankfurt, 28.4.1857; FO 68/122: Murray an Russel, 1.1.1861; Select Committee 1870 (Anm. 1), 86, 339; Royal Commission 1890 (Anm. 15), 120. 48 Royal Commission 1914 (Anm. 18), 62. 49 PRO, FO 7/640: Bloomfield an Hammond, Wien, 11.12.1862.

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wenn das Oberhaupt des Gastlandes verstarb50. Andere Bespiele zeigen, dass äußerliche Zeichen der Einbindung in das lokale Umfeld noch weiter gehen konnten, etwa wenn aus Anlass eines Thronjubiläums oder auch der Siegesfeier über Frankreich im April 1871 am Gesandtschaftsgebäude Festbeleuchtungen angebracht wurden. Man wolle keinen schlechten Eindruck erwecken, rechtfertigte sich ein Gesandter, galt es doch, das lokale Umfeld positiv zu stimmen51. Zu echten Bestandteilen der politischen Topographie ihrer Gaststädte wurden die Gesandtschaften mit der Ausnahme der Berliner Botschaft in der Wilhelmstraße vor 1914 allerdings nicht. Es ist bezeichnend, dass die Beflaggung der britischen Kanzlei in München im Juli 1866 nicht an die einheimische Bevölkerung gerichtet war, sondern an potentielle preußische Besatzungstruppen, um während des deutsch-deutschen Krieges auf die Immunität der Gesandtschaft hinzuweisen52. Auch in dieser Hinsicht zeigen sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts in den deutschen Mittelstaaten mehr Kontinuitäten als Neuerungen. Im Gegensatz zu Berlin, wo sich die Botschaft zum semiöffentlichen Raum und Instrument politischer Kommunikation entwickelte und damit Bestandteil eines Prozesses war, der im 20. Jahrhundert in eine symbolisch aufgeladene Botschaftsarchitektur mündete, waren die übrigen Gesandtschaften in Deutschland in erster Linie Privatwohnungen der Diplomaten. Das Schattendasein der kleineren Vertretungen war nicht nur Platz- und Kostenüberlegungen geschuldet, sondern auch ein Ausdruck der Exklusivität der diplomatischen Zirkel, die sich weithin den Augen der allgemeinen Öffentlichkeit entzogen. Wie die Salons und Clubs oder die Kurorte, in die sich die Angehörigen des außenpolitischen Establishments in den Sommermonaten zurückzogen, waren Gesandtschaften Begegnungsorte der Vertreter der verschiedenen Nationen. Die persönlichen Kontakte eines Diplomaten gründeten dabei in einer Vielzahl gemeinsamer Bekannter und zurückliegender Begegnungen an anderen Missionen: »Es wäre unmöglich für ihn, einen Posten an irgendeinem Ort der Welt anzutreten, ohne ein paar Leute zu treffen, die er nicht schon vorher kannte.«53 Auf dieser Grundlage konstituierte sich auch an den kleineren Standorten in Deutschland ein diplomatischer Raum, in dem sich nicht nur die Exklusivität der Mitglieder des 50 Diplomatic Expenses. Ordered, by the House of Commons to be Printed, London 1830 (HCPP, 306), 4; Report from Select Committee on Official Salaries, London 1850 (HCPP, 611), 227. 51 Vgl. PRO, FO 64/442: Bloomfield an Clarendon, Berlin, 15.12.1857; FO 68/153: Burnley an Granville, Nr. 45, Dresden, 7.7.1871. 52 PRO, FO 9/176: Howard an Egerton, München, 7.8.1866. 53 It would be impossible for him to go to a post in any part of the world without meeting few people whom he knew before. Royal Commission 1914 (Anm. 18), 55.

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diplomatischen Corps, sondern auch ihr Anspruch auf das Deutungsmonopol in außenpolitischen Fragen manifestierte. Die Korrespondenz britischer Diplomaten zwischen 1815 und 1914 bietet eine Fülle von Schilderungen inoffizieller Zusammenkünfte in ihren Privatquartieren, die genutzt wurden, um politische Neuigkeiten auszutauschen. So war es nach einer Unterredung mit dem jeweiligen Außenminister durchaus üblich, die Wohnung eines anderen Diplomaten aufzusuchen – gerade in Krisenzeiten hatten die zumeist vertraulichen Informationen besonderen Wert. Die Referenzpunkte der Konversationen lagen gleichermaßen innerhalb wie außerhalb des Gastlandes, und nach einem intensiven Austausch mit einem Kollegen konnte man sich relativ sicher sein, dass der Gesprächspartner am nächsten Tag seinem Außenminister schrieb. Dies betraf auch bilaterale Fragen, die zwischen Gesandten informell ausgelotet wurden. Wie die preußischen Beschwerden über den bereits erwähnten Henry Howard zeigen, konnten die politischen Positionen eines Gesandten nicht zuletzt auch zu Reaktionen eines dritten Landes führen54. Das lokale diplomatische Corps konstituierte einen Kommunikationsraum mit Stellvertreterfunktion, in dem politische Ziele indirekt verfolgt wurden, ohne dass man sich notwendigerweise der Gefahr einer politischen Krise aussetzte. Auch britische Gesandte trugen bei der Beobachtung ihrer Kollegen kräftig zur diplomatischen Gerüchteküche bei, etwa wenn Fairfax Leighton Cartwright seinem Kollegen Alfred Dumaine unterstellte, der deutschen Reichsregierung während der Ersten Marokkokrise in die Hände gespielt zu haben. Gerade der Umstand, dass der französische Gesandte in seinen Unterhaltungen mit Cartwright politische Themen vermied, machte ihn verdächtig55. Im Allgemeinen bemühte man sich aus Gründen der Informationsbeschaffung mit den Kollegen on easy terms56 zu sein. Neben Diskretion beruhte der vertrauliche Umgang vor allem darauf, dass man selbst Substantielles zu den Gesprächen beitragen konnte. Die Klage George John Robert Gordons aus dem Jahr 1860 über den mangelnden Informationsfluss aus London nach Stuttgart zeigt allerdings, dass man die Erwartungen der Gesprächspartner an einen Vertreter des britischen Weltreichs nicht immer erfüllen konnte: »Es muss daran erinnert werden, dass allein Vertrauen Vertrauen hervorruft und dass der Diplomat, der nie in der Lage ist (jedenfalls an den kleineren Höfen),

54 Vgl. H. Rall, Bismarcks Ringen (Anm. 43), 2, 6, 62 ff. 55 PRO, FO 371/76: File 20483, Cartwright an Grey, Nr. 62, München, 19.6.1907. 56 Royal Commission 1914 (Anm. 18), 55.

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irgendwelche interessante Informationen weiterzugeben, kaum damit rechnen kann, solche im Gegenzug zu erhalten.«57 Ungeachtet gelegentlicher Informationsdefizite nahmen sich Diplomaten in den deutschen Mittelstaaten durchweg der großen außenpolitischen Themen an, sei es nun die spanische Erbfolgefrage in den 1830er Jahren, die Indian Mutiny in den 1850ern oder der amerikanische Bürgerkrieg in den 1860ern. Die zunehmende Verflechtung der Staatenwelt spiegelt sich in den entsprechenden Gesandtenberichten wider – mit ihrem beruflichen Hintergrund brachten die Diplomaten die weite Welt in die deutsche Provinz58. Aber auch ohne eigene Erfahrungen fühlte man sich als Vertreter des Diplomatenstandes gerade an den kleineren Standorten dazu berufen, über Angelegenheiten zu sprechen, die den eigentlichen Wirkungskreis nicht berührten. Diese Fragen, so der badische Diplomat Andlaw in seinen Erinnerungen über seine Münchner Jahre, regten »die einzelnen Mitglieder des Corps mehr auf, als dies gewöhnlich in größeren Städten der Fall ist, wo jeder, sich auf die ihm angewiesene Thätigkeit beschränk[te].«59 Das zum Ausdruck gebrachte Selbstbild als außenpolitische Elite geriet im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer stärker in Diskrepanz zur tatsächlichen Bedeutung der Diplomaten der zweiten Reihe. Die bis zum Kriegsausbruch 1914 dokumentierte Betriebsamkeit britischer Diplomaten in den deutschen Mittelstaaten und die Nähe zu ihren Kollegen war nicht nur reines Festhalten an den Konventionen diplomatischer Praxis, sondern entsprach durchaus auch der Notwendigkeit, die Auswertung der regionalen deutschen Presse, der Hauptaufgabe an den kleineren Missionen, mit Informationen aus erster Hand zu ergänzen60. Der Umstand, dass in den Hauptstädten der Länder neben ausländischen auch innerdeutsche Gesandte akkreditiert waren, war in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Angesichts der schieren Fülle der diplomatischen Korrespondenz, die das Foreign Office tagtäglich er57 It is to be recollected that only confidence provokes confidence, and that the diplomatist who is never in the position (at the smaller courts at all events) of imparting any information of interest is very unlikely to receive any in return. PRO, FO 82/95: Memorandum, 23. November 1860, Anhang Gordon an Russell, Nr. 155, Stuttgart, 31.12.1860. 58 Vgl. etwa den Fall eines französischen Gesandten in Württemberg, der aus Asien nach Stuttgart versetzt wurde und in Gesprächen mit seinem britischen Kollegen die Situation in Fernost diskutierte. PRO, FO 82/86: Jerningham an Clarendon, Nr. 10 , Stuttgart, 27.1.1857. 59 Franz Freiherr von Andlaw, Erinnerungsblätter aus den Papieren eines Diplomaten. Wien, München, Paris, Frankfurt a. M. 1857, 190. 60 Vgl. Martin Gilbert, Sir Horace Rumbold. Portrait of a Diplomat, 1869–1941, London 1973, 70–73.

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reichte61, muss der politische Wert entsprechender Berichte aus der deutschen Provinz doch zumindest stark relativiert werden. Es ist auffällig, dass auch Deutschlandexperten des Londoner Außenministeriums, wie Sir Eyre Crowe im Juli 1914, zur Rechtfertigung der kleinen Vertretungen keine konkreten Beispiele anführten, sondern sich mit dem Hinweis begnügten, Deutschland sei »ein sehr eigenartiges Land und Berlin nicht das Zentrum von Deutschland in dem Sinne, wie Paris das Zentrum von Frankreich ist«62. Echte außenpolitische Verhandlungen seien freilich auf Berlin beschränkt. Auch in der Hauptstadt wurde man von den komplexeren politischen Realitäten der internationalen Beziehungen erfasst. So war seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Tagesgeschäft der britischen Repräsentanten in Berlin zunehmend von der Machtpolitik der Großmächte geprägt. Der Berliner Kongress stellte 1878 einen ersten Höhepunkt dar. Wie seine Berliner Kollegen agierte der britische Botschafter auf dem Berliner Kongress nunmehr in der zweiten Reihe, hinter den jeweiligen Außenministern. Am beeindruckenden Pensum gesellschaftlicher Pflichten, die mit dem Kongress einhergingen, änderte dieser Umstand wenig. Für Lord Odo war das »Festmahl der Nationen«63, wie er süffisant die Kongresswochen umschrieb, nicht zuletzt auch eine erhebliche finanzielle Belastung. Über derartige Großereignisse hinaus wird in der diplomatischen Berichterstattung aus Berlin die Herauslösung aus dem innenpolitischen Kalender des Gastlandes, der über weite Teile des 19. Jahrhunderts vor allem mit den Sitzungsperioden der Ständevertretungen und Parlamente die Aktivitäten der Diplomaten bestimmte, greifbar. Die Massenpresse auf beiden Seiten des Kanals sorgte dabei für ein zunehmend politisiertes Umfeld, das letztlich die Einflussmöglichkeiten der Gesandten vor Ort aushöhlte64. Der Preis der Exklusivität der Diplomaten war ihre zunehmende Isolierung, sowohl als innenpolitische Beobachter wie auch im außenpolitischen Prozess. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass seit den 1850er Jahren auch die gut vernetzten Gesandten in den deutschen Mittelstaaten die »Politisierung« der Außenbeziehungen zu spüren bekamen. So betonte der bereits erwähnte George Strachey immer wieder seine Funktion als Korrektiv zum Deutschlandbild der britischen Presse, insbesondere der Londoner 61 T. G. Otte, Old Diplomacy (Anm. 1), 33 f. 62 A very peculiar country and Berlin is not the centre of Germany in the same sense that Paris is the centre of France. Royal Commission 1914 (Anm. 18), 278. 63 Odo an Hastings, 2.2.1878, zit. nach Karina Urbach, Bismarck’s Favourite Englishman. Lord Odo Russell’s Mission to Berlin, London 1999, 13. Zum Berliner Kongress vgl. auch den Beitrag von S. Schattenberg in diesem Band. 64 Siehe zuletzt Dominik Geppert, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896–1912), München 2007.

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Times65. Die Konkurrenzsituation zur Presse, die nicht nur die Bedeutung der Berichtserstattung als Kernaufgabe der Diplomaten untergrub, sondern vor allem auch immer stärker das politische Tagesgeschäft bestimmte, war in den Jahrzehnten vor 1914 die zentrale Herausforderung für die traditionellen Gestalter der Außenbeziehungen. Diplomaten fanden auf den Wandel von Politik und Öffentlichkeit keine oder nur ungenügende Antworten66. Vor diesem Hintergrund fällt auch das Urteil über die Bedeutung des Standorts für die diplomatische Praxis und damit über den potentiellen Nutzen der Diplomaten an den kleineren Gesandtschaften in Deutschland zweischneidig aus. Als kritische Beobachter der deutschen Einzelstaaten lieferten sie über das gesamte lange 19. Jahrhundert differenzierte Analysen der deutschen Politik. Ihre Einbindung in das lokale Umfeld war dafür die zentrale Voraussetzung. Lokale Netzwerke und Lebensstile, deren Ursprünge sich weit in die Frühe Neuzeit zurückverfolgen lassen67, überdauerten nicht nur weitgehend unbeschadet die Reichsgründung, sie fanden auch ihren Platz in der politischen Kultur der Einzelstaaten. Gerade in der deutschen Provinz blieben den Gesandten damit jene lebensweltlich geprägten Gestaltungsräume erhalten, die an der Berliner Botschaft durch zunehmende Arbeitsbelastung und Professionalisierung verloren gingen. Andererseits spielten seit 1871 weder die Gesandten noch ihre Berichte aus den deutschen Ländern eine signifikante Rolle in der britischen Außenpolitik. Die Tätigkeiten und Verhaltensmuster der Diplomaten vor Ort entsprachen damit – wie von den zeitgenössischen Kritikern vermutet – nicht mehr den politischen Realitäten. Damit ist weniger eine Verflachung diplomatischer Praxis zu konstatieren als die sukzessive Erosion ihrer Bedeutung und Gestaltungskraft. Spätestens mit der Verfestigung des Deutschen Reiches offenbarte die Entsendung von Diplomaten in die deutschen Mittelstaaten mangelnde Anpassungsleistungen des britischen Außenministeriums an ein verändertes politisches Umfeld. Das Scheitern von old diplomacy, die uns in Deutschland

65 Vgl. PRO, FO 68/158: Strachey an Derby, Nr. 41, Dresden, 27.11.1874; FO 68/160: Strachey an Derby, Nr. 52, Dresden, 30.11.1876. 66 Vgl. allgemein Eckart Conze, Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt. Die gesellschaftliche Dimension in der Internationalen Geschichte, in: Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, hrsg. v. Wilfried Loth / Jürgen Osterhammel, München 2000, 117–140. 67 Vgl. Hamish Scott, Diplomatic Culture in Old Regime Europe, in: Cultures of Power in Europe during the Long Eighteenth Century. Essays in European History Presented to Tim Blanning, hrsg. v. dems. / Brendan Simms, Cambridge 2007, 58–85.

Britische Diplomaten an ihren deutschen Standorten, 1815–1914

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bis 1914 in ihrer ganzen Vielfalt entgegentritt, findet hier seinen Ausdruck68. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs offenbart nicht nur die Machtlosigkeit traditioneller Diplomatie. Nach über sechzigjähriger Diskussion um ihre Existenz markiert er auch den Schlussstrich für die britischen Diplomaten in den Einzelstaaten Deutschlands.

68 Zum Begriff old diplomacy vgl. u. a. Harold Nicolson, Diplomacy. 3. Aufl., London 1960, 56–79; Michael Hughes, Diplomacy before the Russian Revolution. Britain, Russia and the Old Diplomacy, 1894–1917, London 2000, 8–14.

Mit den Mitteln einer Frau: Handlungsspielräume adliger Frauen in Politik und Diplomatie Von Katrin Keller

Forschungen zu Frauen als Akteurinnen des politischen Geschehens in der Frühen Neuzeit gehören bis heute sowohl in der frauen- und geschlechtergeschichtlichen Forschung wie im Kontext der Politikgeschichte eher zu den Ausnahmen. Dabei wurde bereits in der frühen feministischen Frauenforschung der 1980er Jahre eine intensive Debatte um das Problemfeld »öffentlich – privat« geführt1 und damit eine zentrale Rahmenbedingung politischen Handelns von Frauen angesprochen. Allerdings blieb die Diskussion weitgehend auf Themen der neuesten Geschichte beschränkt. Schon in ihren frühen Arbeiten hat aber etwa Natalie Zemon Davis2 politische Spielräume von Frauen in der Frühen Neuzeit thematisiert, dabei vorrangig städtische Gesellschaften Frankreichs in den Blick nehmend. Erst zu Beginn der neunziger Jahre lässt sich eine Hinwendung auch zur Untersuchung politischer Handlungsmöglichkeiten von adligen Frauen und insbesondere von Fürstinnen erkennen3, denen bis dahin kaum Aufmerksamkeit gewidmet worden war. Zwar 1 Leonore Davidoff, ›Alte Hüte‹. Öffentlichkeit und Privatheit in der feministischen Geschichtsschreibung, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 4 (1993), 7–36. Einen Überblick gibt auch Claudia Opitz, Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen 2005, 156–220. 2 Z. B. Natalie Zemon Davis, Women on Top, in: Gender & History in Western Europe, hrsg. v. Robert Shoemaker / Mary Vincent, London / Sydney 1998, 285–206 (zuerst in dies., Society and Culture in Early Modern France, Stanford 1975); dies., Frauen, Politik und Macht, in: Geschichte der Frauen, Bd. 3: Frühe Neuzeit, hrsg. v. Arlette Farge / Natalie Zemon Davis, Frankfurt a. M. / Paris 1994, 189–206. 3 Barbara Harris, Women and Politics in Early Tudor England, in: Historical Journal 33 (1990), 259–281; Heide Wunder, Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hrsg. v. Ute Gerhard, München 1997, 27–54; Magdalena S. Sánchez, The Empress, the Queen and the Nun. Women and Power at the Court of Philip III of Spain, Baltimore 1998; Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume, Darmstadt 2000; Martin Kintzinger, Die zwei Frauen des Königs. Zum politischen Handlungsspielraum von Fürstinnen im europäischen Spätmittelalter, in: Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hrsg. v. Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini, Stuttgart 2000, 377–398; Katrin Keller, Kurfürstin Anna von Sachsen (1532– 1585): Von Möglichkeiten und Grenzen einer ›Landesmutter‹, in: ebd., 263–285; Fanny Cosandey, La reine de France. Symbole et pouvoir, Paris 2000; Sibylle Oßwald-Bargende,

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haben biographische Studien zu Fürstinnen eine lange historiographische Tradition, aber neu ist, dass es seitdem verstärkt darum geht, die Position von adligen Frauen und Fürstinnen im politischen und gesellschaftlichen System der Frühen Neuzeit intensiver und umfassender zu behandeln. Bedenkt man, dass insbesondere die deutsche Frauen- und Geschlechtergeschichte lange gebraucht hat, um ihren Blick auf politisches Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit zu richten, so verwundert es nicht, dass von Seiten der Politikgeschichte nach der politischen Rolle von Frauen im Allgemeinen und in der Diplomatie im Besonderen bislang kaum gefragt worden ist. Da Frauen bis ins 20. Jahrhundert kaum öffentliche Ämter wahrnehmen, geschweige denn Mitglied staatlicher Bürokratien werden konnten, waren sie für die traditionelle diplomatiegeschichtliche Forschung uninteressant und faktisch unsichtbar4, denn sie erscheinen nur selten als Akteurinnen in den einschlägigen Beständen staatlicher Archive, und es gibt keine Instruktionen und »offiziellen« diplomatischen Briefwechsel für und mit Frauen adliger oder fürstlicher Abkunft. Dieses Bild ist noch im jüngst erschienenen Band L’art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne von Lucien Bély deutlich erkennbar: In seinem umfangreichen Werk, das vor allem aus französischer Sicht die Herausbildung einer professionellen Diplomatie nachzeichnet, erscheinen Frauen in knappen Erwähnungen als Ehefrauen, Mütter, Erbinnen in dynastischen Krisensituationen, als Salonnièren, nur ganz selten aber als Akteurinnen auf dem politisch-diplomatischem Parkett. An erster Stelle unter diesen Ausnahmen Die Mätresse, der Fürst und die Macht. Christina Wilhelmina von Grävenitz und die höfische Gesellschaft, Frankfurt a. M. 2000; Heide Wunder (Hrsg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 28), Berlin 2002; Clarissa Campbell Orr, Queenship in Britain 1660–1837. Royal Patronage, Court Culture and Dynastic Politics, Manchester / New York 2002; dies. (Hrsg.), Queenship in Europe 1660–1815: The Role of the Consort, Cambridge 2004; Pauline Puppel, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700, Frankfurt a. M. / New York 2004; James Daybell (Hrsg.), Women and Politics in Early Modern England, 1450–1700, Aldershot 2004. 4 Rudolf Schlögl, Politik- und Verfassungsgeschichte, in: Kompass der Geschichtswissenschaft, hrsg. v. Joachim Eibach / Günther Lottes, Göttingen 2002, 95–111, 97 f., 105 f. Zu Forschungstraditionen siehe auch Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hrsg. v. ders. (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 35), Berlin 2005, 9–24, sowie den Überblick von Sven Externbrink, Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, hrsg. v. HansChristof Kraus / Thomas Nicklas (Historische Zeitschrift, Beiheft 44), München 2007, 15–39. Siehe auch die Beiträge von H. v. Thiessen und C. Windler in diesem Band.

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ist Renée de Guébriant zu nennen, der Bély sogar ein eigenes Kapitel widmet mit der Frage, ob sie die »einzige Botschafterin« in der Frühen Neuzeit gewesen sei (La Maréchale de Guébriant: l’unique ambassadrice?)5. Hier wird der interessante, aber eben außergewöhnliche Fall erörtert, dass Renée de Guebriant tatsächlich als mit Instruktion bestallte französische Vertreterin bei der Eheschließung zwischen Louise Marie Gonzaga und Władysław Zikmund von Polen im Jahr 1645 fungierte. Im gleichen Kapitel werden außerdem zwei andere Fälle aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert erwähnt, in denen einer Frau der Titel ambassadrice zugesprochen wurde6. Als in verschiedenen politischen Kontexten aktiv treten bei Bély außerdem Maria Theresia von Österreich, über deren dynastisch-politische Sonderstellung hier nicht weiter reflektiert werden muss, Maria de’ Medici, Maria Stuart sowie Françoise de Maintenon und Anne Marie d’Ursins in Erscheinung. Das damit repräsentierte Spektrum entspricht weitgehend einem beinahe klassisch zu nennenden Kanon: Frauen spielen in der Diplomatiegeschichte eigentlich nur dann eine Rolle, wenn sie als Regentinnen die innere und äußere Politik eines Landes weitgehend selbstständig gestalten konnten. Außerdem treten sie in Erscheinung, wenn sie aus politischen Erwägungen sozusagen stellvertretend für männliche Mitglieder der Familie agierten, etwa als Vormünder wie Maria de’ Medici, oder wenn Louise von Frankreich und Margarethe von Savoyen 1529 die so genannte Paix des Dames in Cambrai aushandelten. Schließlich gibt es in der älteren Literatur noch das Phänomen der femme forte7 im politisch-diplomatischen Kontext, zu dem ich unter den eben genannten Damen Madame de Maintenon und die Princesse des Ursins zählen würde, Frauen also, die aufgrund einer besonderen Position im beziehungsweise zum Fürstenhaus als politisch einflussreich in klassischen di5 Lucien Bély, L’art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne, Paris 2007, 213–224; siehe auch den Aufsatz von Anuschka Tischer, Eine französische Botschafterin in Polen 1645–1646. Die Gesandtschaftsreise Renée de Guébriants zum Hofe Władisławs IV., in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 12 (2001), 305–321. Auch Anna von der Pfalz, geb. Gonzaga-Nevers, wurde 1656 in Bündnisverhandlungen mit Frankreich als offizielle Botschafterin geführt: Repertorium der diplomatischen Vertreter aller Länder seit dem Westfälischen Frieden, hrsg. v. Ludwig Bittner / Lothar Groß, 3 Bde., versch. O., 1936–1965, Bd. 1: 1648–1715, Berlin 1936, 401. Zu Frauen als Informantinnen siehe Lucien Bély, Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV, Paris 1990, 174–182. 6 L. Bély, L’art de la paix, (Anm. 5), 215 f. Als Beispiel für die Entsendung einer Frau in diplomatischer Mission siehe Nicole Reinhardt, Les relations internationales à travers les femmes au temps de Louis XIV, in: Revue d’histoire diplomatique 117 (2003), 193–230. 7 Bettina Baumgärtel / Silvia Neysters (Hrsg.), Die Galerie der starken Frauen. Regentinnen, Amazonen, Salondamen, München 1995.

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plomatiegeschichtlichen Quellen in Erscheinung treten und deshalb von der Forschung auch wahrgenommen wurden8. Hält man jedoch etwas genauer Ausschau, so findet man außer den bereits genannten Frauen noch eine gute Anzahl weiterer Beispiele dafür, dass adlige und fürstliche Frauen in der Frühen Neuzeit in politischen Sphären aktiv und einflussreich sein konnten. Dies gilt etwa für die indirekt bereits erwähnte Louise Marie Gonzaga, die nacheinander mit zwei Königen von Polen verheiratet war. Während ihrer ersten, kurzen Ehe scheint ihr Einfluss gering geblieben zu sein, nicht zuletzt deshalb, weil ihr Ehemann zu ihr ein eher distanziertes Verhältnis hatte. Aber bereits in der Zeit zwischen dem Tod ihres ersten Ehemannes und der Wahl eines neuen Königs von Polen positionierte sie sich, indem sie sich zur Wiederverheiratung mit Jan Kazimierz Wasa, dem jüngeren Bruder des Verstorbenen, entschied und diesem damit die französische Unterstützung sicherte9. In den folgenden Jahren förderte sie immer wieder französische Interessen in Polen, ohne dabei einfach zum verlängerten Arm französischer Politik zu werden. Vielmehr spielte auch ihre Herkunft aus dem Haus Gonzaga eine Rolle, das im gleichen Zeitraum nacheinander zwei Kaiserinnen stellte, was im politischen Interessengeflecht der Habsburger in Hinblick auf Polen nicht ohne Bedeutung blieb10. Eine zentrale Rolle spielte Louise Marie von Polen ebenfalls im Kontext des schwedisch-polnischen Krieges in der zweiten Hälfte der 1650er Jahre, der – verbunden mit Bestrebungen zur Reform des polnischen Staates – eine zukunftsweisende Bedeutung für die Entwicklung Polens erlangte. Die Königin positionierte sich frühzeitig gegen eine Durchsetzung russischer Ansprüche auf die polnische Thronfolge, lavierte phasenweise zwischen Habsburg – 1657 schickte sie einen zu ihrer Klientel gehörenden polnischen Diplomaten nach Wien – und Frankreich, um sich schließlich ab 1658 endgültig zugunsten einer französischen Nachfolge auf dem polnischen Thron zu engagieren11. Ins gleiche Jahr fällt auch ihre sichtbarste diplomatische Aktivität: Sie reiste Ende Juni 1658 selbst nach Berlin. Nach außen hin firmierte die Reise als Besuch bei der Gemahlin des mit Polen verbündeten Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg. Der eigentliche Zweck war aber, 8 Vgl. den Beitrag von C. Bastian in diesem Band. 9 Robert Frost, After the Deluge. Poland-Lithuania and the Second Northern War 1655– 1660, Cambridge 1993, 27, 64; zu ihrer Person knapp auch Maciej Serwanski, Être une reine étrangère: deux Françaises en Pologne, in: Femmes & pouvoir politique. Les princesses d’Europe, hrsg. v. Isabelle Poutrin / Marie-Karine Schaub, Rosny-sous-Bois 2007, 193–200, 193–196, Mariusz Markiewicz, Historia Polski 1492–1795, Kraków 2004, 503, 508 f., 543–45, 552. 10 R. Frost, After the Deluge (Anm. 9), 28, 90, 93. 11 Ebd., 83, 90, 107–110, 122, 128 f.

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mit Friedrich Wilhelm über einen Waffenstillstand mit Schweden sowie über französische Friedensvermittlungen zu verhandeln12. Ein weiteres Beispiel sind die Aktivitäten der Kurfürstin Anna von Sachsen, einer geborenen Prinzessin von Dänemark, die seit 1548 mit Herzog, später Kurfürst August von Sachsen vermählt war: Bis zu deren Tod 1571 pflegte Anna mit ihrer Mutter, der dänischen Königin-Witwe, nicht nur einen regelmäßigen Briefwechsel13, sondern reiste mit ihrem Ehemann auch mehrfach nach Dänemark beziehungsweise empfing die verwitwete Königin in Sachsen. Im Zusammenhang mit dem dänisch-schwedischen Krieg in den 1560er Jahren zeigen die Briefe der beiden Frauen, wie sowohl Kurfürstin Anna als auch ihre Mutter nach Möglichkeiten der Vermittlung und der Entschärfung des Konflikts suchten. Anna versuchte zunächst, ihren Bruder, König Friedrich, schon vor Beginn der Kampfhandlungen zu einem Vergleich zu bewegen. Als dies nicht gelang, nutzte sie ihre brieflichen Kontakte zu Landgraf Philipp von Hessen und dessen Sohn Wilhelm, die sich ihrerseits als Vermittler betätigten, ebenso wie sie ihren Mann – nicht zuletzt auf Bitten ihrer Mutter – in seinen entsprechenden Bemühungen unterstützte. Nach dem Scheitern der ersten Vergleichsverhandlungen 1563 stellte die Kurfürstin briefliche Kontakte zu verschiedenen dänischen Reichsräten her, die sie immer wieder dazu mahnte, einen Ausgleich mit Schweden zu befördern. Besonders im Jahr 1568 spielten diese Vermittlungsbemühungen in Annas Briefwechsel mit Dänemark eine erhebliche Rolle. Sie schrieb häufig an die Reichsräte und ihren Bruder mit der Mahnung zum Ausgleich, erreichte (auf Bitte des Bruders) eine Verlängerung kursächsischer Kredite zur Truppenfinanzierung und nutzte ihre Kontakte nach Wien, um beim Kaiser im Vorfeld der Verhandlungen vom Juni und Juli 1568 das Terrain für eine dänische Gesandtschaft vorzubereiten. Damit wird erkennbar, wie sie ihr vorhandenes Korrespondenznetzwerk zu nutzen und zu erweitern wusste, um ein im engen Sinne des Wortes politisches Ziel, den Ausgleich zwischen Dänemark und Schweden, herbeizuführen14. 12 Ebd., 129. 13 Das Folgende nach Katrin Keller, Kommunikationsraum Altes Reich. Zur Funktionalität der Korrespondenznetze von Fürstinnen im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), 205–230, 220 f. Zur Rolle Annas in Bezug auf Dänemark ausführlich Pernille Arenfeldt, The Political Role of the Female Consort in Protestant Germany, 1550–1585. Anna of Saxony als ›Mater Patriae‹, unveröffentlichte Diss., Europäisches Hochschulinstitut, Florenz 2006, 129–190. 14 Beispiele für ähnliche Vermittlungspositionen: Katherine Walsh, Die Fürstin an der Zeitenwende zwischen Repräsentationsverpflichtung und politischer Verantwortung, in: Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter, hrsg. v. Jörg Rogge, Ostfildern 2004, 265–282, 274 f.; Christina An-

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Hinzuweisen ist aber auch auf Beispiele von weiblichen Amtsträgerinnen bei Hofe, die in politisch-diplomatischen Kontexten aktiv waren. So ist beispielsweise bekannt, dass im Rahmen der Verhandlungen 1559 zwischen Elisabeth I. von England und dem spanischen Botschafter über eine Verehelichung der Königin mit Erzherzog Karl von Innerösterreich Lady Mary Sydney eine Rolle als Vermittlerin innehatte. Später spielten Katherine Ashley und Dorothy Broadbelte im Vorfeld der Eheverhandlungen zwischen Elisabeth und Erik XIV. von Schweden15 eine ähnliche Rolle. Beide Fälle sind signifikante Beispiel dafür, dass Frauen der königlichen Privy Chamber in politische Kontexte direkt eingebunden waren und dass nicht allein im Privy Council aktiv Politik »gemacht« wurde. Aber auch Frauen der Hofgesellschaft ohne eigentliches Amt konnten als Vermittlerinnen tätig werden, wie zum Beispiel Elizabeth Brookes, eine Vertraute Elisabeths I., über die viele Kontakte des englischen Hofes nach Spanien liefen16. Schließlich belegt ein letztes Beispiel politische Funktionen von Frauen aus adligen Familien auch ohne direkte Einbeziehung in höfische Hierarchien oder gar Ämter: Louise von Oranien, die letzte Frau Wilhelms von Oranien und Tochter des berühmten Admirals de Coligny. Sie lebte nach der Ermordung Wilhelms 1584 zunächst weitgehend isoliert in den Niederlanden, konnte jedoch über briefliche Kontakte und später über die Eheschließung ihrer Tochter allmählich enge Verbindungen nach Frankreich in die Umgebung König Heinrichs IV. aufbauen. Insbesondere durch ihren Einfluss auf ihren Schwiegersohn Henri de la Tour d’Auvergne, später Duc de Bouillon, war sie in den 1590er Jahren für den neuen König interessant, als dieser nach seiner Konversion Vermittlung in Hinblick auf die alten evangelischen Verbündeten suchte. Louise von Oranien konnte nicht nur auf den Duc de Bouillon, sondern auch auf den Duc de La Trémoille Einfluss nehmen und diese dazu bewegen, die Konversion Heinrichs IV. zu akzeptieren17. Sie vermittelte auch zwischen 1602 und 1606 in einer Zeit der Spannungen zwischen Bouillon und Heinrich IV. und konnte schließlich einen Ausgleich zwischen beiden tenhofer, Letters Across the Borders. Strategies of Communication in an Italian-German Renaissance Correspondence, in: Women’s Letters across Europe, 1400–1700. Form and Persuasion, hrsg. v. Jane Couchman / Ann Crabb, Aldershot 2005, 90–107, 105–107. 15 Natalie Mears, Politics in the Elizabethan Privy Chamber: Lady Mary Sidney and Katherine Ashley, in: Women and Politics in Early Modern England (Anm. 3), 67–82, 69–72. 16 Mears, Politics (Anm. 15), 72. 17 Jane Couchman, ›Give birth quickly and then send us your good husband‹: Informal Political Influence in the Letters of Louise de Coligny, in: Women’s Letters across Europe (Anm. 14), 163–184, 178–182.

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herstellen. Ihre familiären Kontakte nach Frankreich waren es auch, die 1594 die Generalstaaten veranlassten, eine Reise Louises von Oranien in familiären Angelegenheiten nach Frankreich zu nutzen, um sie gleichzeitig mit inoffiziellen diplomatischen Verhandlungen zu beauftragen18. Die Liste der Beispiele ließe sich zweifellos erheblich verlängern. Was sie deutlich machen sollen ist nicht nur, dass es in der Frühen Neuzeit Frauen gab, die im politisch-diplomatischen Bereich Aktivitäten entfalten konnten. Noch wichtiger ist, die weit verbreitete Auffassung zu korrigieren, dass es sich bei allen diesen Frauen um Ausnahmen gehandelt habe, die allein aufgrund spezieller Bedingungen und individueller Eigenschaften, gar individueller Machtgier, politische Aufgaben wahrnahmen. Die Basis politischen Handelns einer Fürstin oder Frau von Adel war auch nicht allein der Umstand, dass es dem einen oder anderen Fürsten an eigener Entschlusskraft mangelte – so wurde etwa traditionell die Rolle Louise Maries von Polen mit der politischen Indifferenz und Schwäche Jan Kazimierz’ von Polen erklärt oder die Rolle der Princesse des Ursins in Spanien mit der Trägheit Philipps V. von Spanien19. Auf diese Weise konstruierte die ältere Forschung insbesondere die politisch aktive Fürstin als Ausnahme, die sozusagen stellvertretend für einen schwachen Regenten Aktivitäten entfaltete, während doch eigentlich »Frauen in die Familie, nicht auf das Forum gehören«. Auf diese Konstruktion hat zuletzt Pauline Puppel20 anhand frühneuzeitlicher juristischer Debatten nachdrücklich verwiesen. Es ist jedoch an der Zeit, auch außerhalb der geschlechtergeschichtlichen Forschung im engeren Sinne21 wahrzunehmen, dass politische Aktivitäten von 18 Ebd., 181; N. Reinhardt, Relations internationales (Anm. 6), 225–228. 19 Referiert bei R. Frost, After the Deluge (Anm. 9), 27 f.; Charles C. Noel, ›Bárbara succeeds Elizabeth …‹. The Feminisation and Domestication of Politics in the Spanish Monarchy, 1701–1759, in: Queenship in Europe 1660–1815 (Anm. 3), 155–185, 160 f. Wiederholt findet man diese Position auch noch in anderen Beiträgen des Bandes Queenship in Europe. 20 ›Virilibus curis, fæminarum vitia exuerant‹. Zur Konstruktion der Ausnahme, in: Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse, Festschrift für Heide Wunder, hrsg. v. Jens Flemming u. a., Kassel 2004, 356–376. Siehe auch Elaine Chalus, Elite Women in English Political Life, c. 1754–1790, Oxford 2005, 12; Nicole Grochowina, Naturrechtliche Gleichheit der Menschen und Geschlechterhierarchie. Handlungsspielräume von Frauen in Polititk und Justiz, in: Handlungsspielräume von Frauen um 1800, hrsg. v. Julia Frindte / Siegrid Westphal, Heidelberg 2005, 171–191, 180 f. 21 Zur Wahrnehmung in der politikgeschichtlichen Forschung Thomas Kühne, Staatspolitik, Frauenpolitik, Männerpolitik. Politikgeschichte als Geschlechtergeschichte, in: Geschlechtergeschichte und allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, hrsg. v. Hans Medick / Ann-Charlott Trepp, Göttingen 1998, 171–231, bes. 184.

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Frauen zumindest im Rahmen der höfischen Gesellschaft eben keine individuellen Ausnahmen darstellten, sondern ein strukturelles Phänomen, eine Konsequenz der rechtlichen und sozialen Position der adligen Frau wie der Handlungsbedingungen der höfischen Gesellschaft.

I. Legitimität und ihre Umsetzung Handlungsmöglichkeiten von Frauen in der Öffentlichkeit waren bis ins 19. Jahrhundert hinein dezidiert an ihren Stand gebunden, also an ihre soziale Herkunft, an das Faktum der Verehelichung respektive den Witwenstand. Allgemein galt zwar der Rechtsatz major dignitas est in sexu virili, demzufolge die Frau dem Mann juristisch untergeordnet war und deshalb keine öffentlichen Ämter ausüben durfte22. Genauso galt aber auch, dass die Ehefrau, obwohl rechtlich dem Regiment des Ehemannes als Hausvater unterworfen, gemeinsam mit ihm im Rahmen des Hauses Herrschaft über die Familie und andere Mitglieder des Haushaltes ausübte23. Insbesondere für die Frau adligen Standes galt, dass ihr kraft ihrer Zugehörigkeit zum »Herrschaftsstand« schlechthin selbstverständlich ebenfalls herrschaftliche Befugnisse zukamen, schon deshalb, weil sie den Gehorsam rangniederer Personen männlichen wie weiblichen Geschlechts beanspruchen konnte. Die Fürstin wie die Frau von Adel war damit nie ausschließlich als Ehefrau unter dem »väterlichen Regiment« des Mannes. Zudem wurden die Gebote beziehungsweise Vorstellungen der christlichen Anthropologie gerade im Kontext von Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit immer wieder unterlaufen, wurde die Rechtspraxis im Sinne von Herrschaftssicherung modifiziert. Deutliche Beispiele dafür sind etwa die Einführung der weiblichen Erbfolge in England, Schottland und Schweden oder im Rahmen der Prag22 Vgl. für den deutschsprachigen Raum insbesondere Elisabeth Koch, Major dignitas est in sexu virili. Das weibliche Geschlecht im Normensystem des 16. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1991; H. Wunder, Herrschaft (Anm. 3); P. Puppel, Regentin (Anm. 3), 59 f.; N. Grochowina, Gleichheit der Menschen (Anm. 20); generell Merry E. Wiesner, Women and Gender in Early Modern Europe, Cambridge 1993, 30–35, 239; Olwen Hufton, Frauenleben. Eine europäische Geschichte 1500–1800, Frankfurt a. M. 1998, 85 f. 23 Zusammenfassend Heide Wunder, Er ist die Sonn’, sie ist der Mond. Frauen in der Frühen Neuzeit. München 1992, 58 f., 244, 267; Claudia Ulbrich, Shulamit und Margarethe. Macht, Geschlecht und Religion in einer ländlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts (Ashkenas. Beiheft 4), Wien / Köln / Weimar 1999, 10; Gisela Bock, Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000, 46–50; siehe auch Jennifer Richards / Alison Thorne, Introduction, in: Rhetoric, Women and Politics in Early Modern England, hrsg. v. dens., London / New York 2007, 1–25, 13.

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matischen Sanktion bei den Habsburgern. Als Beispiel können aber auch zahlreiche Regentinnen gelten, deren Amtsinhabe und Herrschaftsausübung für minderjährige Söhne ein weitgehend anerkanntes Rechtsinstitut darstellten24, ebenso wie Regentinnen geistlicher Territorien des Alten Reiches. In der ambivalenten Konstellation zwischen gehorsamer Ehefrau und Herrschaftsträgerin sind Wirksamkeit und Wirkungsmöglichkeiten von Fürstinnen und Frauen aus regierendem Adel zu verorten und sinnvoller zu gewichten, als es eine am modernen Politik-Begriff orientierte Geschichtsschreibung lange getan hat25. Die Fürstin war nicht allein auf die Wahrnehmung von Herrschaft lediglich in Stellvertretung von Mann bzw. Sohn im Falle der Vormundschaft oder die fast suspekte Beeinflussung des Ehegatten durch »weibliche Tugenden« angewiesen, wenn sie Einfluss auf die Landesgeschicke nehmen wollte. Ihr standen eigene Wirkungsbereiche zu: Der je nach Rang mehr oder weniger ausgedehnte Herrschaftsraum gab dabei als erweiterter Haushalt den Rahmen vor. Standen der Hausmutter Weisungsbefugnisse gegenüber Familienmitgliedern und Gesinde zu, oblag ihr die Sorge für das – körperliche wie geistige – Wohlergehen der Mitglieder des Haushaltes, so war auch die Fürstin als »Landesmutter« zu entsprechender Fürsorge im Sinne des öffentlichen Wohls angehalten. Bedenkt man dabei schließlich noch, dass im zeitgenössischen Sinn des 16. Jahrhunderts »Politik« nicht wie seit dem 18. Jahrhundert vorrangig als »Machtkunst« thematisiert, sondern in erster Linie als Handeln zur Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung, als moralisches Handeln im Sinne des Gemeinwohls gesehen wurde26, so ergibt sich ein wiederum erweiterter Blick auf Möglichkeiten aktiven politischen Handelns von Frauen. Die verschiedenen möglichen Herrschaftsfunktionen der adligen Frau beziehungsweise der Fürstin waren in der Frühen Neuzeit dabei durchaus unterschiedlich legitimiert27: Ihre Stellung als Ehefrau war es, die ihr Funktionen 24 P. Puppel, Regentin (Anm. 3); Regina Schäfer, Handlungsspielräume hochadeliger Regentinnen im Spätmittelalter, in: Fürstin und Fürst (Anm. 14), 203–224. 25 H. Wunder, Er ist die Sonn’ (Anm. 23), 215; E. Chalus, Elite Women (Anm. 20), 12. 26 Volker Sellin, Politik, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsg. v. Otto Brunner / Werner Conze / Reinhard Koselleck, Bd. 4, Stuttgart 1978, 789–875, 808 ff.; Richards / Thorne, Introduction (Anm. 23), 8 f. 27 H. Wunder, Herrschaft (Anm. 3), 46 f.; Anja Victorine Hartmann, Zwischen Geschlechterordnung und politischer Ordnung: Herrscherinnen und Regentinnen in der Frühen Neuzeit, in: Die frühneuzeitliche Monarchie und ihr Erbe. Festschrift für Heinz Duchhardt, hrsg. v. Ronald G. Asch / Johannes Arndt / Matthias Schnettger, Münster 2003, 135–152; Isabelle Poutrin / Marie Karine Schaub, Introduction, in: Les princesses d’Europe (Anm. 9), 8–50, 47.

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in der Haushaltsführung zuwies, die im Falle der Fürstin das ganze Land als »erweiterten Hofstaat« umfassen konnten. Hausgesetze und/oder eheherrliche Testamente bildeten die rechtliche Basis von Regentschaften; der Auftrag des Ehemanns oder die Einsetzung durch ihn oder einen anderen männlichen Verwandten bildeten die Grundlage weiblicher Statthalterschaften, die beispielsweise in den Niederlanden28 immer wieder praktiziert wurden, oder auch von diplomatischen Missionen wie der zitierten Reise der Königin von Polen. Und wiederum auf der Position der Ehefrau basierte die Rolle der Fürstin als erster Fürbitterin, die Gnade, Amt und Einkünfte für Dritte bei ihrem Ehemann erlangen oder dessen Zustimmung zu konkreten Entscheidungen erbitten konnte. Dieses Zusammentreffen verschiedener Elemente von Legitimierung politischen Handelns machte freilich die Position der politisch handelnden Frau dauerhaft problematisch: Nicht auf ein Amt und nur teilweise auf eigene juristische Positionen konnte sie sich berufen; ihre politische Stellung war labil und in vieler Hinsicht auf das Verhältnis zur Familie und insbesondere zum Ehemann oder Sohn angewiesen. Das zeigt sich in den zahlreichen Fällen persönlich gescheiterter Ehen, in denen Fürst und Fürstin etwa keinen gemeinsamen Wohnort mehr hatten, das zeigt sich aber auch in Fällen gescheiterter Versuche politischer Betätigung von Fürstinnen wie etwa im Fall der Herzogin Jacobe von Jülich-Cleve-Berg29. Sie war seit 1585 mit Johann Wilhelm, dem Erbprinzen von Jülich, verehelicht, bei dem aber 1589 eine dauerhafte Geisteskrankheit zutage trat. Die Ehe war auf Betreiben einer katholischen Partei am Hof in Düsseldorf zustande gekommen; die katholische Schwiegertochter wurde vom regierenden Herzog mit einigem Misstrauen aufgenommen. Trotzdem konnte sie zunächst ihren Ehemann in seinen Ansätzen gegenreformatorischer Politik bestärken. Nachdem dessen Regierungsunfähigkeit sichtbar geworden war, versuchte Jacobe, ihre Position gegenüber den protestantischen Landständen durch religionspolitische Zugeständnisse zu festigen, die sie aber später zugunsten ihres Verhältnisses zum Kaiser wieder zurücknahm. Die ihr 1592 beim Tod des Schwiegervaters zugebilligten Regierungsrechte nahm sie in den ersten Jahren offenbar recht eigenständig wahr, zog sich dabei aber mehr und mehr den Unmut der 28 Wie Anm. 24; Louise-Marie Libert, Dames de Pouvoir. Régentes et gouvernantes des anciens Pays-Bas, Brüssel 2005. 29 Eva Ortlieb, Eine Fürstin verteidigt sich vor dem Kaiser. Die Anzeige wegen Ehebruchs gegen Jakobe Herzogin von Jülich-Kleve-Berg, in: In eigener Sache. Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches, hrsg. v. Siegrid Westphal, Köln / Weimar / Wien 2005, 183–217.

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Entscheidungsträger des Landes zu, bis der Landtag ihre Absetzung beschloss und die herzoglichen Räte sie in haftähnlichen Gewahrsam nahmen. An diesen Akt der Entmachtung der Herzogin schloss sich ein langwieriger Prozess vor dem Reichskammergericht an, welcher der juristischen Legitimierung dieser Entmachtung einer rechtmäßig Herrschaftsrechte ausübenden Fürstin dienen sollte. Dabei ergriffen sowohl die Räte der jülich-clevischen Landesregierung als auch die Schwester von Jacobes Ehemann gegen sie Partei, beschuldigten sie der Leichtfertigkeit und Zauberei ebenso wie der Gefährdung des Landes. Jacobe, die als früh verwaiste Tochter aus dem Hause Baden in München aufgewachsen war, konnte bei ihrer Verteidigung nicht auf den Rückhalt einer Herkunftsfamilie30 bauen. Ihr Ehemann war aufgrund seiner Krankheit nicht handlungsfähig, und sie hatte während ihrer Haft keinen Zugang zu ihm. Zudem war es ihr in ihren Jahren in Düsseldorf offenbar nicht gelungen, einen dauerhaften Rückhalt bei Hof beziehungsweise in der Administration aufzubauen, oder sie hatte diesen durch ihre religionspolitischen Manöver und ihre Weigerung, mit den Räten gemeinsam vorzugehen, verloren. Zwar gelang es Jacobe, ihre juristische Position als Landesfürstin vor den Reichsgerichten erfolgreich zu verteidigen; die Tatsache, dass es überhaupt zu einem Prozess kommen konnte, zeigt jedoch, dass juristische Legitimität allein als Basis weiblicher Herrschaft auf Dauer nicht unproblematisch war. Das Gegenbeispiel zur Fürstin stellte im Übrigen auch in dieser Hinsicht die fürstliche Mätresse dar. War die Fürstin rechtlich zur Herrschaftsausübung und Beteiligung an Politik legitimiert und musste dies »nur« durch Interaktion mit Ehemann, Hofgesellschaft und Bürokratie absichern, so fehlte der Mätresse genau die angesprochene Legitimität, so dass dem Element der Interaktion und Vernetzung als wesentlicher Stütze einer Macht, die allein auf Zugang zum Fürsten beruhte, herausragende Bedeutung zukam. Langjährig politisch bedeutsame Favoritinnen zeichnen sich daher durch ein umfangreiches Netzwerk Verwandter und Freunde aus, das sie in der Umgebung des Fürsten und der Bürokratie zu installieren wussten31. Aus diesen Beobachtungen ergeben sich somit zwei zentrale Handlungsbedingungen für erfolgreiche politische Aktivitäten von Fürstinnen und adli30 Beispiele dafür siehe Andrea Lilienthal, Die Fürstin und die Macht. Welfische Herzoginnen im 16. Jahrhundert: Elisabeth, Sidonia, Sophia, Hannover 2007, 52 f., 212–218; Jill Bepler, Tugend- und Lasterbilder einer Fürstin: die Witwe von Schöningen, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 8 (1997), 218–231, 225 f. 31 Z. B. Mark Bryant, Partner, Matriarch, and Minister: Mme de Maintenon of France, Clandestine Consort, 1680–1715, in: Queenship in Europe 1660–1815 (Anm. 3), 77– 106, bes. 84 f., 90; Beitrag von E. K. Dade in diesem Band; Oßwald-Bargende, Mätresse (Anm. 3).

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gen Damen. Ein funktionierendes Verhältnis zwischen den Ehepartnern war stets Voraussetzung für die Realisierung politischer Spielräume einer Fürstin32. Dann konnte die Fürstin – sofern sie entsprechende Ambitionen hatte33 – in ihrer Rolle als Fürbitterin auch als Vermittlerin auf verschiedenen Ebenen wirksam werden und sich so Gestaltungsräume über das Frauenzimmer hinaus erschließen. Dabei bleibt zu betonen, dass diese Spielräume trotz teilweise rechtlicher Legitimierung zum erheblichen Teil nicht-öffentlichen Charakter hatten, der die Ehefrau schnell in den Verdacht der »heimlichen«, unkontrollierten Beeinflussung des Ehegatten bringen konnte. Zugleich steht das Verhältnis zum Ehemann für ein ungestörtes Verhältnis zur Familie34, deren Interessen oft den Hintergrund für weibliches Handeln im öffentlichen Raum abgaben. Die Wahrung der Familieninteressen und das Handeln in diesem Sinne waren zentrale Figuren der verbalen Legitimierung politischen Handelns von Frauen. Die zweite Handlungsbedingung bezieht sich auf einen weiteren sozialen Raum. Um die juristisch immer wieder umstrittene Legitimität politischen Handelns abzusichern, brauchten politisch aktive Frauen ein breites Netzwerk von Verbündeten beiderlei Geschlechts in der jeweiligen höfischen Gesellschaft35, aber auch über diese hinaus. Soziale Netzwerke, die im Bedarfsfall aktiviert und instrumentalisiert werden konnten, stellten ein Potential dar, mit dessen Hilfe gegebenenfalls auch ohne direkten Rekurs auf Ehemann oder Familie Handlungsspielräume erschließbar wurden, sei es am eigenen Hof, sei es über diesen hinaus36. 32 Jörg Rogge, Einleitung, in: Fürstin und Fürst (Anm. 14), 9–20, 14; Schäfer, Regentinnen (Anm. 24), 220–23; I. Poutrin / M. K. Schaub, Introduction (Anm. 27), 41; Bärbel Raschke, ›Madame Vous etiéz faite pour Gouverner des Empires […]‹. Möglichkeiten und Grenzen politischer Aktivitäten verheirateter Fürstinnen am Beispiel Luise Dorotheas von Sachsen-Gotha, in: Handlungsspielräume von Frauen um 1800 (Anm. 20), 311–330, 315 f. 33 Manche Fürstin mag gar kein Interesse an einer wirklichen Einbeziehung in Entscheidungsprozesse entwickelt haben, vgl. etwa Äußerung Dorotheas von Preußen bei Iselin Gundermann, Herzogin Dorothea von Preußen (1504–1547), Köln / Berlin 1965, 11. 34 I. Poutrin / M. K. Schaub, Introduction (Anm. 27), 41; E. Chalus, Elite Women (Anm. 20), 15; Sigrid Schmitt, Die Herrschaft der geistlichen Fürstin. Handlungsmöglichkeiten von Äbtissinnen im Spätmittelalter, in: Fürstin und Fürst (Anm. 14), 187–202, 197, 199; B. Raschke, Madame (Anm. 32), 318, 329; James Daybell, Women Letter-Writers in Tudor England, Oxford 2006, 263 f. 35 A. Lilienthal, Die Fürstin und die Macht (Anm. 30), 240, 261. 36 Anette Völker-Rasor, Bilderpaare – Paarbilder. Die Ehe in Autobiographien des 16. Jahrhunderts, Freiburg i. Br. 1993, 219, 221 ff.; Katrin Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien / Köln / Weimar 2005, 170–185; Barbara

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Dabei ist freilich unbestritten, dass Netzwerke keineswegs nur für politisch aktive Frauen von erheblicher Bedeutung für die Erhaltung und den Ausbau ihrer Handlungsfähigkeit waren. Dies gilt ebenso für männliche Amtsträger und Diplomaten37, dies gilt in gewissem Sinne für das Funktionieren des gesamten frühneuzeitlichen Staatswesens38. Trotzdem hebe ich die Relevanz von Netzwerken für Frauen hier besonders hervor, und zwar zum einen, weil der Rolle von Frauen in Netzwerken allgemein, in Patronage- und Klientelbeziehungen im Besonderen bislang noch wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden ist39. Zum anderen aber, und dies fällt stärker ins Gewicht, kam dem erfolgreichen Agieren im gesellschaftlichen Umfeld und dem Aufbau tragfähiger sozialer Netze für die Handlungsfähigkeit von Frauen eine größere Rolle zu als bei Männern, eben weil Frauen die Legitimation qua Amtsinhabe weitgehend vorenthalten blieb. Auch bei der Fürstin selbst, das zeigte das Beispiel der Jacobe von Jülich-Cleve-Berg, reichte juristische Legitimation allein nicht notwendigerweise als Basis politischen Handelns aus. Im Falle einer politisch aktiven Frau von Adel schuf die soziale Position eine Ausgangsbasis, zu der aber nur fallweise – etwa bei höfischen Amtsträgerinnen – regelrechte Harris, English Aristocratic Women, 1450–1550. Marriage and Family, Property and Careers, Oxford / New York 2002, 68 f., 200, 205 f., 243 f. Zu Netzwerken allgemein siehe Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. ›Verflechtung‹ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979; Volker Press, Patronat und Klientel im Heiligen Römischen Reich, in: Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Antoni Mączak, München 1988, 19–46; Sharon Kettering, Patrons, Brokers and Clients in Seventeenth-Century France, New York 1986, 13; Hans-Heinrich Nolte, Patronage und Klientel: Das Konzept in der Forschung, in: Patronage und Klientel. Ergebnisse einer polnisch-deutschen Konferenz, hrsg. v. dems., Köln 1989, 1–17; Ronald G. Asch, Der Hof Karls I. von England. Politik, Provinz und Patronage 1625–1640, Köln / Weimar / Wien 1993, bes. 288–296; Nicole Reinhardt, Macht und Ohnmacht der Verflechtung. Rom und Bologna unter Paul V. Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat, Tübingen 2000. 37 Siehe dazu u. a. R. G. Asch, Hof Karls I. (Anm. 36), Andreas Pečar, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711–1740), Darmstadt 2003; Mark Hengerer, Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne, Konstanz 2004. 38 Dazu z. B. Heiko Droste, Patronage in der Frühen Neuzeit – Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für Historische Forschung 30 (2003), 555–590, sowie Birgit Emich / Nicole Reinhardt / Hillard von Thiessen / Christian Wieland, Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), 233–265. 39 Sharon Kettering, The Patronage Power of Early Modern French Noblewomen, in: Historical Journal 32 (1989), 817–841; K. Keller, Hofdamen (Anm. 36), 180–185; J. Daybell, Letter-Writers (Anm. 34), 234–246.

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Amtsbefugnisse hinzutraten. Ansonsten blieb es der Frau jeweils überlassen, inwieweit sie das Potential ihres gesellschaftlichen Status’ als Ehefrau, Witwe oder Fürstin für politische Aktivität nutzte, und zwar in wesentlich stärkerem Ausmaß, als dies bei männlichen Amtsträgern respektive dem Fürsten selbst der Fall war. Wollte sie jedoch ihre Stellung zugunsten eigener Interessen, zugunsten der Familie oder zugunsten Dritter nutzen, so mussten informelle Kontakte einen Großteil des Potentials von Amtsinhabe ausgleichen. Auf diese zweite Handlungsbedingung für Frauen soll nun anhand einiger Beispiele eingegangen werden.

II. Korrespondenzwerke Ein erstes Beispiel ist die oben bereits erwähnte Kurfürstin Anna von Sachsen und ihr Korrespondenznetzwerk40. Wir haben gesehen, wie sie sowohl langjährige als auch zweckgerichtete, kurzfristige Briefwechsel dazu nutzte, ein politisches Ziel, den Ausgleich zwischen Dänemark und Schweden, herbeizuführen. In vielen dieser Korrespondenzen trat die Kurfürstin als Fürbitterin und Maklerin fürstlicher Gunst gegenüber Personen verschiedensten Ranges in Erscheinung und wurde so zur zentralen Figur eines ausgedehnten sozialen Netzwerkes. Denn Konsequenz des erfolgreichen Engagements der Fürstin war in klassischer Weise eine Verpflichtung für den Klienten oder die Klientin41, die Anna von Sachsen dann gegebenenfalls in ihrem Interesse nutzen konnte. Eine Übersicht über die Korrespondenzpartner und -partnerinnen42, mit denen Kurfürstin Anna in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anhaltende, umfangreiche Briefwechsel verbanden, zeigt zwei zentrale Charakteristika. Es handelte sich erstens um ein überwiegend, wenn auch keineswegs ausschließlich weibliches Korrespondenznetz. Zweitens erfasste dieses Netz zumindest zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung um 1580 das Alte Reich fast zur 40 Zur politischen Rolle eines Korrespondenznetzwerks vgl. auch A. Lilienthal, Die Fürstin und die Macht (Anm. 30), 261–63; C. Antenhofer, Letters across the Borders (Anm. 14), 121; B. Raschke, Madame (Anm. 32), 320–322. Zu Korrespondenzen von Frauen allgemeiner J. Daybell, Letter-Writers (Anm. 34), zu Netzwerken bes. 3, 151 f., 195–199. 41 A. Fößel, Königin (Anm. 3), 182–90, 300–308, 313–316; M. S. Sánchez, The Empress (Anm. 3), 117; Linda Levy Peck, Court Patronage and Corruption in Early Stuart England, London 1996, 47 f., 68–74; B. Harris, Women and Politics (Anm. 3), 268; James Daybell, Women’s Letters of Recommendation and the Rhetoric of Friendship in Sixteenth-century England, in: Rhetoric, Women and Politics (Anm. 23), 172–190. 42 Zum Folgenden siehe K. Keller, Kommunikationsraum (Anm. 13), 216–219, 229 f.

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Gänze. Zu den regelmäßigen und damit wohl auch relativ bedeutsamen Adressaten beziehungsweise Absendern von Briefen gehörten zwischen 1551 und 1585 rund hundert Personen; davon waren knapp zwei Drittel Frauen. Wenn man die Dauer der brieflichen Kontakte genauer betrachtet, wird die Dominanz der Verbindungen zu anderen Frauen fürstlicher und hochadeliger Herkunft besonders sichtbar: Während sich knapp die Hälfte aller Korrespondenzen mit Männern nur über weniger als drei Jahre erstreckte, hielten briefliche Kontakte mit Frauen fast in der Hälfte aller Fälle zwischen sieben und 15 Jahren. Insgesamt ein Viertel der Frauenbriefwechsel erstreckte sich zudem über mehr als zwanzig Jahre, was bei den männlichen Briefschreibern nur in ganz wenigen Fällen zu beobachten ist. Trotz der weiten Streuung ihrer Kontakte wird erkennbar, dass die Schwerpunkte der Korrespondenzbeziehungen von Kurfürstin Anna um 1580 im nördlichen, protestantischen Reichsgebiet lagen. Mit verschiedenen Zweigen des Hauses Braunschweig und den brandenburgischen Kurfürsten und Markgrafen waren die Kontakte über Jahrzehnte verhältnismäßig eng. Sowohl im Fall von Braunschweig-Lüneburg, wohin Annas jüngere Schwester geheiratet hatte, wie mit dem kurfürstlichen Brandenburg, von wo 1582 ihre Schwiegertochter Sophie nach Dresden kam, spielten dabei familiäre Beziehungen eine Rolle. Unter den dauerhaften Korrespondenzen mit nicht direkt verwandten fürstlichen Häusern sind die intensiven Kontakte zum benachbarten Anhalt besonders auffällig, außerdem die Korrespondenz mit Wilhelm von HessenKassel und dessen Ehefrau, aber auch mit verschiedenen Habsburgerinnen. Annas Ehemann, Kurfürst August, stand seit einem Aufenthalt in Wien in jungen Jahren dem Erzherzog und späteren Kaiser Maximilian II. persönlich nahe und pflegte auch Beziehungen zu dessen Brüdern43. Anna ihrerseits schloss spätestens 1562 persönliche Bekanntschaft mit Kaiserin Maria, aus der in den siebziger und achtziger Jahren ein anhaltender Briefkontakt resultierte. Daneben wurden auch verschiedene Damen der Wiener Hofgesellschaft in diese Kontakte einbezogen, die teilweise als direktes Bindeglied zwischen Kurfürstin und Kaiserin dienten. Am Beispiel ihrer Verbindungen zur Kaiserin und deren Umgebung lässt sich zeigen, wie das Korrespondenznetz die Spielräume der Fürstin erweitern konnte. Annas Möglichkeiten der Einflussnahme in Wien nutzten sowohl ihr Bruder Friedrich von Dänemark im Kontext der Friedensverhandlungen 1568 als auch Herzog Ulrich von Mecklenburg, ihre Schwägerin Sidonia von 43 Maximilian Lanzinner, Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maximilian II. (1564–1576), Göttingen 1993, 73, 309, 358 ff., 412; Paula Sutter Fichtner, Emperor Maximilian II., New Haven / London 2001, 14, 128.

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Braunschweig-Calenberg im Ehestreit mit ihrem Mann ebenso wie Kurfürst August zur Unterstützung des Rates von Frankfurt am Main44. Mit den Gräfinnen Lukretia und Barbara Schlick wandten sich aber auch böhmische Adlige an Anna mit der Bitte um Fürsprache beim Kaiser respektive der Kaiserin. Die Intensität der Beziehungen zwischen Dresden und Prag beziehungsweise Wien war offensichtlich erheblich, und zwar eben nicht nur zwischen Kurfürst und Kaiser. Die Kurfürstin entwickelte ein so dichtes und funktionsfähiges Beziehungsnetz dorthin, dass Zeitgenossen behaupteten, »es würde kein schreiben nach vorbitt so baldt gefordertt im gantzen Reich als die von euer churfürstlichen Gnaden kemen«45. Das Korrespondenznetz der Kurfürstin war damit Bestandteil eines engmaschigen Netzes von Kommunikation im Alten Reich und lässt sich in bemerkenswerter Weise mit politischen Gruppierungen im Alten Reich in der Zeit um 1580 parallelisieren46. Vor diesem Hintergrund lässt die Bestandsaufnahme der Korrespondenz der Kurfürstin erkennen, dass eine Betrachtung von deren brieflichen Kontakten im Kontext politischer Beziehungssysteme Sinn ergibt. Fürst und Fürstin ergänzten einander bei der Aufrechterhaltung »guter Correspondenz« mit Nachbarn und Verbündeten im Sinne des frühneuzeitlichen Ehepaars als »Arbeitspaar«47. Sicherlich waren aber die Grenzen der Beziehungsnetze für Anna durchlässiger, so dass die Funktionalität des ausgedehnten Korrespondenzsystems der Fürstin gerade darin liegen konnte, dass ihrem Briefwechsel (wie ihren Ehestiftungsbemühungen) gewöhnlich weniger offizielles Gewicht beigemessen wurde und dieser damit eher für Sondierungen geeignet war. Hinzu kam, dass sie als Tochter und als Ehefrau zwei familiären Kommunikationssystemen angehörte und dadurch auch für Außenstehende als Vermittlerin interessant werden konnte48. Die Fürstin ergänzte und erweiterte im Idealfall mit ihren Kontakten das kommunikative 44 Katrin Keller, Zwischen zwei Residenzen: Der Briefwechsel der Kurfürstin Anna von Sachsen mit Freiin Brigitta Trautson, in: Viatori per urbes castraque. Festschrift Herwig Ebner, hrsg. v. Helmut Bräuer u. a., Graz 2003, 365–382; dies., Le pouvoir des lettres: les réseaux de communication entre Dresde et Vienne au XVIe siècle, in: Femmes & pouvoir politique (Anm. 9), 164–181. Zu Sidonia siehe auch A. Lilienthal, Die Fürstin und die Macht (Anm. 30), 183–240. 45 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc. 8535/4, Bl. 16 (6.6.1575). 46 K. Keller, Korrespondenzraum (Anm. 13), 226 f.; P. Arenfeldt, Political Role (Anm. 13), 37–88. 47 H. Wunder, Er ist die Sonn’ (Anm. 22), 96–98, 109 f.; C. Antenhofer, Letters across the Border (Anm. 14), 105–107. 48 B. Harris, Women and Politics (Anm. 3), 176–185; Christiane Coester, Schön wie Venus, mutig wie Mars. Anna d’Este, Herzogin von Guise und von Nemours (1531–1607), München 2006, 160 f.; A. Lilienthal, Die Fürstin und die Macht (Anm. 30), 280, 283, 286.

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Beziehungsnetz des Ehemannes, indem sie zusätzliche Personen und fürstliche Häuser erreichte respektive die Aufrechterhaltung des Briefverkehrs mit diesen übernahm. Soziale Netzwerke lassen sich in der Korrespondenz der Kurfürstin von Sachsen aber auch in anderer Weise erkennen. So findet man eine Vielzahl von Hinweisen darauf, dass sie im Inneren des Kurfürstentums parallel zum Klientelsystem Kurfürst Augusts ein eigenes Netz von Verbindungen unterhielt, welches sowohl adlige Familien wie Frauen bürgerlicher Herkunft umfasste49. Am Beispiel der sächsischen Kurfürstin lässt sich damit eine generelle Beobachtung festhalten: Zumindest bis ins 17. Jahrhundert lassen sich auch bei Fürstinnen im Alten Reich keine getrennten Bereiche politischer Aktivität ausmachen. Entweder suchte eine Fürstin Möglichkeiten politischer Aktivität im Inneren wie Äußeren des Landes, oder sie tat es nicht. Spezifische »außenpolitische« Interessen unter Vernachlässigung der inneren Entwicklungen des Territoriums, so scheint es zumindest beim derzeitigen Kenntnisstand, sind nicht feststellbar. Allerdings ist in vielen Fällen eine klare Beschränkung politisch-diplomatischer Aktivitäten auf einen weiteren familiären Rahmen feststellbar, wenn vorrangig zugunsten der Herkunftsfamilie Interessen vertreten wurden. Bei Frauen aus nicht regierenden Häusern war dies natürlich anders. Hier bezog sich die Außendimension politischen Handelns gewöhnlich auf die Relation zu anderen Familien beziehungsweise zum Herrscherhaus, wie sich dies etwa in vielen Fällen von politisch aktiven Frauen während der Religionskriege und der Fronde in Frankreich feststellen lässt50.

III. Netzwerke und Klientel bei Hof Neben dem Aufbau und der Ausgestaltung von Korrespondenznetzwerken lag für Fürstinnen auch in der Möglichkeit, über die Verehelichung einer ihrer Hofdamen männliche Kandidaten für eine Hofkarriere an sich zu binden, Potential zur Gestaltung von Klientelbeziehungen. Die daraus resultierenden Bindungen darf man sich natürlich nicht als lebenslängliche Gefolgschaft vorstellen; jenseits einer grundlegenden Loyalität der Männer und Frauen der Hofgesellschaft gegenüber dem Fürstenhaus waren Familieninteressen ein be49 K. Keller, Kurfürstin (Anm. 3), 269 f. 50 Z. B. Éliane Viennot, Des ›femmes d’État‹ au XVIe siècle: Les princesses de la ligue et l’écriture de l’Histoire, in: Femmes et pouvoirs sous l’Ancien régime, hrsg. v. Danielle Haase-Dubosc / ders., Paris 1991, 77–97; Dominique Godineau, Les femmes dans la société française, 16e–18e siècle, Paris 2003, 90–92.

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stimmender Faktor, dem sich durchaus wechselnde Koalitionen im sozialen Raum zu- und unterordneten. Aber die in vielen Fällen dauerhafte Verbundenheit der ehemaligen Hofdame mit »ihrer« Fürstin, die Förderung, welche die Karriere ihres Mannes durch die Eheschließung im Allgemeinen erfuhr, sorgte nicht selten für eine engere Bindung an die Fürstin51. Beispiele für die anhaltende Einbindung von ehemaligen Hoffräulein in soziale Netzwerke einer Fürstin lassen sich etwa anhand des Testamentes der Kaiserinwitwe Eleonora Gonzaga der Älteren aus den Jahren 1651 beziehungsweise 1655 erkennen52. Da Eleonora Gonzaga die Ältere kinderlos war und erst lange nach ihrem Ehemann Ferdinand II. starb, organisierte sie mit ihrem Testament ein Memoria-Netzwerk, das zu einem guten Teil solche sozialen Beziehungen widerspiegelte. Natürlich kam Kirchen und Klöstern eine erhebliche Bedeutung für die Memoria der Kaiserin zu; natürlich wurden ihre Stiefkinder und -enkel, also die kaiserliche Familie, sowie Familienangehörige in Italien bedacht. Geschenke per memoria sind im Testament aber auch für weitere Personen vorgesehen, darunter ihre aktiven Hofdamen, die Hofmeisterinnen, der Obersthofmeister und seine Gemahlin, der Hauptmann der Leibgarde der Kaiserinwitwe, der Oberststallmeister und der Sekretär, ihr ehemaliger Obersthofmeister von Dietrichstein und seine Frau, ihre ehemalige Hofdame Sophie Agnes von Mansfeld. Geschenke erhielten aber auch drei italienische Hofdamen, die bereits lange verheiratet waren (Ottavia Strozzi, geborene Strozzi, Maria Blanca Breuner, geborene Arco, Eleonora von ThurnValsassina, geborene Gonzaga-Luzzara)53. Bedacht wurden mit Maria Eleonora Pálffy, Patenkind, Hofdame und Kammerfräulein der Kaiserinwitwe bis 1649, Katharina von Waldstein, Kammerfräulein seit 1640, und Susanna Elisabeth von Hofkirchen außerdem drei Hofdamen, die der Kaiserin augenscheinlich besonders nahe gestanden hatten54. Von eher persönlichen Beziehungen im Rahmen eines sozialen Netzwerks zeugen auch Erinnerungsgeschenke an drei Geheime Räte – an Johann Franz Trautson, den einzigen Sohn der früheren Obersthofmeisterin Susanna Veronica Trautson, an Matthias Khuen von 51 A. Pečar, Ökonomie der Ehre (Anm. 37), 99 f.; M. S. Sánchez, Empress (Anm. 3), 42 f.; S.  Kettering, Noblewomen (Anm. 39), 841; B. Harris, English Aristocratic Women (Anm. 36), 226. 52 Zu Testamenten und Memoria Anke Hufschmidt, Adlige Frauen im Weserraum zwischen 1570 und 1700. Status – Rollen – Lebenspraxis, Münster 2001, 424, 432; M. S. Sánchez, Empress (Anm. 3), 4 f., 38 f., 45–54, 113. Das Testament bei Almut Bues, Das Testament der Eleonora Gonzaga aus dem Jahre 1651. Leben und Umfeld einer Kaiserin-Witwe, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 102 (1994), 316–358. 53 A. Bues, Testament (Anm. 52), 352–354. 54 Ebd., 328, 353–356.

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Belasy, der zeitweise das Obersthofmeisteramt bei Eleonora verwaltete, sowie an Johann Weikhard von Auersperg, den ehemaligen Obersthofmeister des gerade verstorbenen Königs Ferdinand IV.55. Ein anderes Beispiel für anhaltende Verbindungen zwischen Fürstin und Hofdamen zeigt die Mitgliederliste des Damenordens Sklavinnen der Tugend, den Kaiserinwitwe Eleonora Gonzaga die Jüngere 1662 stiftete56. Eleonora Gonzaga die Jüngere, eine Verwandte ihrer älteren Namensvetterin, hatte 1651 auf deren Initiative hin Kaiser Ferdinand III. geheiratet. Nach seinem Tod im Frühjahr 1657 blieb sie bis zu ihrem Tod 1686 Witwe und widmete sich verschiedenen künstlerischen Interessen sowie frommen Werken. Letzteres dokumentierte sich etwa auch in der Stiftung eines zweiten Damenordens: Der Sternkreuzorden (1668) stellte eine Gebetsgemeinschaft dar, in die ausschließlich stiftsfähige adlige Frauen katholischer Konfession aufgenommen wurden. Im Gegensatz zu dieser religiös orientierten Gemeinschaft stellten die »Sklavinnen« eine exklusive Gesellschaft von Damen unterschiedlicher Konfession dar, über deren tugendhaften Lebenswandel als Aufnahmevoraussetzung in erster Linie die Kaiserinwitwe selbst entschied. Unter »Tugend« verstehen die Ordensstatuten dabei in erster Linie beispielhaft höfisches Verhalten – weder in Glück noch Unglück heftige Gemütsbewegungen zu zeigen, die Gebärden dem Stand angemessen einzurichten sowie die Regeln der Konversation zu beherrschen57. Die Verpflichtung zum Erscheinen bei Hof zum jährlichen Ordenstag sowie zum Tragen des Ordenszeichens am Hof und in Gegenwart anderer Mitglieder unterstreicht den höfischen Charakter der Gemeinschaft ebenso wie die einzige bislang bekannte Mitgliederliste. Diese Liste für die Jahre 1662 bis 167558 lässt interessante Rückschlüsse hinsichtlich unserer Frage nach Netzwerken von Fürstinnen zu: Unter den insgesamt 72 bekannten Mitgliedern der Vereinigung befanden sich zwanzig Fürstinnen des Reiches sowie Frauen der Familien Gonzaga und Habsburg. Unter den restlichen 52 Personen befanden sich 16 ehemalige Hofdamen, darunter wieder elf der 25 namentlich bekannten Hofdamen Eleonora Gonzagas 55 Ebd., 354. 56 Sabine Koloch, Neue Befunde zu dem habsburgischen Damenorden ›Sklavinnen der Tugend‹, in: Orden und Ehrenzeichen. Das Magazin für Sammler und Forscher (BDOSJahrbuch), Hof / Saale 1999, 1–3; Hermann Dikowitsch, Die österreichischen Damenorden, in: Österreichs Orden vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hrsg. v. Johann Stolzer / Christian Steeb, Graz 1996, 183–189. 57 Johann David Köhler, Das goldene Schaustück des von der verwittibten Röm. Kayserin Eleonora A. 1662 gestiffteten Damenordens der Sclavinnen der Tugend, in: Historische Münzbelustigung, Teil 21, 1749, 169–176. 58 Ebd., 174 ff.

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der Jüngeren aus den Jahren 1651 bis 1657, außerdem die langjährige Obersthofmeisterin der Kaiserin, die überhaupt das älteste nicht-fürstliche Mitglied gewesen sein dürfte. Die verbleibenden 35 Frauen waren in der Mehrzahl Gemahlinnen von hohen Amtsträgern des Wiener Hofes beziehungsweise von Militärs in kaiserlichen Diensten. Dieses Zahlenverhältnis belegt auf andere Weise als das erwähnte Testament, dass das Hofamt zwar gewisse dauerhafte Rechte von Hoffräulein begründete, die sich insbesondere auf den Zutritt zur Fürstin bezogen. Anhaltender Wertschätzung, Verbundenheit auf einer persönlichen Ebene, dauerhaften Interesses aufgrund gesellschaftlicher Positionierung erfreute sich aber eben nur ein Teil der ehemaligen Amtsträgerinnen. Damit umreißt die Mitgliederliste des Damenordens in verschiedener Hinsicht ein engeres Umfeld der Kaiserinwitwe, dessen genauere Untersuchung ihre Vernetzung mit zentralen Personen des Wiener Hofes über deren Ehefrauen und Töchter ebenso zeigen würde, wie sie das Verhältnis zwischen Fürstin und (ehemaliger) Hofdame beleuchtet. Die Frage, inwieweit die durch die Ordenszugehörigkeit dokumentierten Verbindungen zwischen der Kaiserinwitwe zu Frauen aus anderen regierenden Häusern politisch genutzt wurden, ist derzeit leider nicht zu beantworten. Anzufügen bleibt, dass dieser Damenorden keine Ausnahme darstellte; bislang sind mindestens zehn weitere Beispiele aus dem 17. und 18. Jahrhundert bekannt59. Interessanterweise handelt es sich bei mehreren der Stifterinnen um Witwen oder Fürstinnen in anderweitig prekärer dynastischer Situation. Christine von Schweden (Orden der Amaranthe) als unverheirateter Thronerbin musste 1653 die Institutionalisierung sozialer Kontakte am Herzen liegen. Christiane Eberhardine von Sachsen (Freundschaftsorden der Treue) war durch die Konversion von Ehemann und Sohn und endgültig 1719 durch die Ehe des letzteren mit einer Habsburgerin ins dynastische Abseits gedrängt worden. Elisabeth Christine von Spanien (Orden der Nächstenliebe in Spanien und Deutschland), später Kaiserin, war 1708 als junge Königin im Spanischen Erbfolgekrieg bemüht, schnell ein funktionierendes Netzwerk zu installieren. Insgesamt wäre es wünschenswert, über diese Form der Institutionalisierung sozialer Netzwerke von Fürstinnen mehr zu wissen, ebenso wie über die Beweggründe und Konsequenzen ihrer Stiftung. Interessant wäre es schließlich auch, der Frage nachzugehen, inwiefern Fürstinnen und Damen der höfischen Gesellschaft in diplomatische Netz59 Else Kastner-Michalitschke, Geschichte und Verfassungen des Sternkreuzordens, Leipzig / Wien [1909], 6–8.

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werke eingebunden waren60 und diese selbst nutzten. Dazu bedarf es insbesondere für die deutschen Höfe zweifellos weiterer Forschungen, denn bislang sind Korrespondenzen diplomatischer Vertreter noch nicht gezielt auf diese Frage hin untersucht worden. Dabei dürfte es ertragreicher sein, statt der offiziellen Berichterstattung oder der Botschafter-Relationen eher informelle Briefwechsel und Privatkorrespondenz auszuwerten, aus welchen sich erkennen ließe, inwieweit Frauen im Umfeld der Kaiserin oder auch diese selbst als Ansprechpartnerinnen für auswärtige Gesandte fungierten. Nicht zuletzt sollte dabei der Frage nach der politischen Rolle von Botschaftergemahlinnen nachgegangen werden. Aufgrund der Verstetigung diplomatischer Missionen im 17. Jahrhundert wurde die Botschafterin – im Sinne der Gattin des Botschafters – an vielen europäischen Höfen zu einer Dauererscheinung61, der das höfische Zeremoniell Rechnung trug. Die Schrift L’ambassadrice et ses droits (1754) von Friedrich Karl Moser bringt dies deutlich zum Ausdruck. In Wien war es schon vor 1648 Brauch, dass zumindest die Gattin des spanischen Botschafters – ebenso wie der Botschafter selbst – eine regelrechte Antrittsaudienz bei der Kaiserin hatte. Gewöhnlich scheinen dann zumindest die spanischen und venezianischen Botschafterinnen während ihres Aufenthaltes in Wien auch an höfischen Festen und allgemein am gesellschaftlichen Leben62 der Residenz und im Umfeld der Kaiserin teilgenommen zu haben. Einen Eindruck von den Aktivitäten einer Botschafterin vermittelt das Tagebuch von Franz Eusebius von Pötting, kaiserlicher Botschafter in Spanien zwischen 1663 und 167463. Pötting vermerkt dort nicht nur seine eigenen Aktivitäten (Gespräche, Korrespondenz, Besuche), sondern auch jene seiner Gemahlin Maria Sophie, geborene Dietrichstein. Damit sind nicht nur zahlreiche Besuche bei Damen der Madrider Gesellschaft nachweisbar, sondern ist insbesondere auch die Frequenz der Aufenthalte bei Hof belegt. Im ersten Jahr der Gesandtschaft war Maria Sophie von Pötting in der Regel einmal wöchentlich bei der spanischen Königin, gegen Ende des Aufenthaltes in Madrid, während der Regentschaft Maria Annas von Österreich, dagegen zwei-, 60 C. Coester, Schön wie Venus (Anm. 48), 162 f. 61 A. Tischer, Botschafterin (Anm. 5), 306. 62 Beispiele dafür bei L. Bély, L’art de la paix, (Anm. 5), 415; Philipp Erlanger, Madame de Longueville. De la révolte au mysticisme, Paris 1977, 96, 99; Thomas Biskup, The Hidden Queen: Elisabeth Christine of Prussia and Hohenzollern Queenship in the Eighteenth Century, in: Queenship in Europe 1660–1815 (Anm. 3), 300–321, 307 f., 312; K. Keller, Hofdamen (Anm. 36), 189. 63 Diario del Conde de Pötting, embajador del Sacro Imperio en Madrid (1664–1674), bearb. von Miguel Nieto Nuño, 2 Bde., Madrid 1990, 1993.

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oft dreimal pro Woche. Insgesamt war die Gräfin damit mindestens doppelt so häufig bei Hof wie ihr Gemahl, der Botschafter. Dieser unterhielt jedoch ebenfalls Kontakte nicht nur zu Diplomaten und Amtsträgern der spanischen Krone, sondern besuchte regelmäßig auch die Obersthofmeisterin der Königin. Die wichtigste Kontaktperson im Umfeld der Fürstin war aber Leonor de Velasco y la Cueva de Siruela, die als Hofdame eine besondere Vertrauensstellung bei Maria Anna von Österreich innehatte. Leonor de Velasco64 war schon 1629 Hofdame der gleichnamigen Mutter der späteren Königin geworden, mit dieser nach Wien gereist und von dort 1648 mit der jungen Königin wieder zurück nach Spanien, sodass sie Maria Anna seit ihrer Geburt kannte. Auch Pöttings Nachfolger als kaiserlicher Botschafter in Spanien, Ferdinand Bonaventura von Harrach, konnte im Übrigen auf seine Frau als Vermittlerin von Kontakten zur Königin zählen: Johanna Theresia von Harrach, geborene Lamberg, war als Tochter des kaiserlichen Botschafters in Spanien selbst Hofdame der Königin Maria Anna gewesen, was ihr nicht nur ein vertrautes Verhältnis zur Fürstin65, sondern auch weitgehende Zutrittsrechte bei Hof verschaffte. Die beiden Beispiele legen nahe, dass Botschafterinnen sich aktiv um eine Einbindung in örtliche Netzwerke bemühten. Auf welche Weise dies zur Informationsbeschaffung oder konkret zur Anbahnung von Kontakten genutzt wurde, bedarf noch der Untersuchung. Ebenso wäre zu fragen, ob es sich bei den Aktivitäten der Gräfin Wackerbarth in Wien Anfang des 18. Jahrhunderts wirklich nur um eine der gern zitierten Ausnahmen handelt. Ihr Ehemann August Christoph von Wackerbarth war von 1701 bis 1711 als Gesandter für Kursachsen und Polen in Wien tätig. Wurde er nach Dresden gerufen, so vertrat ihn mehrfach seine Frau Caterina Paolina, indem sie die diplomatische Korrespondenz mit dem sächsisch-polnischen Hof weiterführte und sogar fallweise in diplomatischen Angelegenheiten Audienzen erhielt66. Wir sehen hier also auch im diplomatischen Bereich ein Arbeitspaar in Aktion.

64 K. Keller, Hofdamen (Anm. 36), 328 f.; Diario (Anm. 63) 1, 54 f. 65 Susanne Claudine Pils, Schreiben über Stadt. Das Wien der Johanna Theresia Harrach 1639–1716, Wien 2002, 18–20, 232 f. 66 Rouven Pons, Gesandte in Wien. Diplomatischer Alltag um 1700, in: Ein zweigeteilter Ort? Hof und Stadt in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Susanne Claudine Pils / Jan Paul Niederkorn, Wien / Innsbruck 2005, 155–187, 164, 174.

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IV. Grenzenlose Möglichkeiten Politische Aktivitäten, auch im Bereich der Diplomatie, gehörten somit zur sozialen Position der Fürstin, aber ebenso der adligen Frau der höfischen Gesellschaft. Legitimiert durch ihre rechtliche Stellung, boten sich adligen Frauen in Gesellschaften, in denen öffentliche und private Belange noch nicht getrennt gedacht wurden, weit reichende Handlungsmöglichkeiten bis hin zum Zugang zur politischen Welt67. Dies war am Hof zweifellos der Fall und gilt insbesondere für den Bereich der diplomatischen Beziehungen vor dem Dreißigjährigen Krieg, als deren Professionalisierung erst langsam voranschritt68. Herkunft, Stand und Mechanismen der Herrschaftsausübung innerhalb der höfischen Gesellschaft waren also wichtige Rahmenbedingungen für eine politische Partizipation von Frauen. Chancen politischer Aktivität von Frauen lagen dabei keineswegs nur in der Sicherung der Dynastie in Krisenzeiten als Regentinnen und Vormünder. Frauen konnten gerade über Korrespondenzen und mit der Rückendeckung durch echte oder vermeintliche Familieninteressen Sondierungen vornehmen oder auf sicherem Terrain verhandeln, wo direkte diplomatische Aktivitäten Probleme verschärft oder erst geschaffen hätten – man denke an Eheanbahnungen69 oder Ausgleichsverhandlungen wie bei Louise von Oranien oder Louise Marie von Polen. Freilich erfordern die Grenzen weiblicher Handlungsräume noch weiteres Nachdenken. Es ist sicher, dass intensives Engagement von Frauen bei der Vermittlung sozialer Chancen wie politischer Kontakte auch negativ beurteilt werden konnte und zwar nicht nur durch Gunstentzug seitens der Fürstin oder des Fürsten oder weil eine Frau sich nicht in der Lage sah, ihre eingegangenen Verpflichtungen umzusetzen. Eine solche Grenze lag sicher in der Akzeptanz zeitgenössischer Weiblichkeitsideale oder Frauenrollen, weil diese etwa eine zu deutliche Ausübung von Herrschaft über Klientelbeziehungen schwierig machten, da dies den gültigen Rollenmustern widersprach70. Solche Verstöße 67 B. Harris, Women and Politics (Anm. 3), 268, 272, zum Folgenden auch M. Kintzinger, Frauen des Königs (Anm. 3), 381 f. 68 Als Überblick vgl. Matthew Anderson, The Rise of Modern Diplomacy 1450–1919, London 1993; Holger Th. Gräf, Funktionsweisen und Träger internationaler Politik in der Frühen Neuzeit, in: Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden. Festschrift für Klaus J. Gantzel, hrsg. v. Jens Siegelberg / Klaus Schlichte, Wiesbaden 2000, 105–123. 69 K. Keller, Kommunikationsraum (Anm. 13), 212–215. 70 Merry E. Wiesner, Gender and Power in Early Modern Europe: The Empire Strikes Back, in: The Graph of Sex and the German Text. Gendered Culture in Early Modern Germany 1500–1700, hrsg. v. Lynne Tatlock (Chloe. Beihefte zum Daphnis, 19), Ams-

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wurden als Gefährdung sozialer Ordnung betrachtet und mussten ein negatives Image der betreffenden Frau nach sich ziehen, wie dies etwa bei Madame de Maintenon der Fall war. In diesem Kontext ist noch einmal auf die Bedeutung der Familie zu verweisen. Die Bindung sozialer und politischer Aktivitäten an Familieninteressen war für Frauen viel enger, die Aktivität meist deutlicher an die Versorgung von Kindern und anderen nahen Verwandten gebunden als bei Männern. Betrachtet man jedoch Familienpolitik nicht als »Privatsache«, sondern als Form der Gestaltung öffentlicher Belange, so relativiert dies die Beschränkung, ohne sie freilich ganz aufzuheben. Als Beschränkung gab diese Orientierung wohl den Rahmen weiblicher Aktivitäten ab, innerhalb dessen die Zeitgenossen diese für zulässig und standesgemäß erachteten. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die in vielen Beispielen71 aufscheinende explizite Bezugnahme auf Familieninteressen auch als Rechtfertigung herangezogen wurde, um die Bemühungen einzelner Fürstinnen oder Amtsträgerinnen ins zeitgenössische Normensystem einzupassen. Frauen am Hof waren sich über Erwartungen, die Familie und Hofgesellschaft an sie stellten, durchaus bewusst und konnten daher Formen der Selbstdarstellung diesen Anforderungen entsprechend kontrollieren72. Zu betonen bleibt, dass diese Grenzen weiblicher Handlungsräume keineswegs politische Einflussnahme von Frauen ausschlossen, wenn man akzeptiert, dass politische Beziehungen in der Frühen Neuzeit stark persönlich geprägt waren und dass Frauen über diese persönlichen Beziehungen auch Mitspracherechte realisieren konnten73. Die Einbeziehung in Netzwerke oder Patronagebeziehungen in einem weiteren Sinne verschaffte Frauen der höfischen Gesellschaft zweifellos zusätzliche Möglichkeiten zur Ausübung von terdam / Atlanta 1994, 201–223, 210; Ingrid H. Tague, Women of Quality. Accepting and Contesting Ideals of Feminity in England, 1690–1760, Woodbridge 2002; E. Chalus, Elite Women (Anm. 20), 16, 155 f. 71 K. Keller, Hofdamen (Anm. 36), 176–179; Silke Lesemann, Die ›Mutter der Könige‹ und der englische Thron: Kurfürstin Sophie von Hannover, in: Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, hrsg. v. Martina Schattkowsky, Leipzig 2003, 249–264, 251 f., 255; J. Richards / A. Thorne, Introduction (Anm. 23), 16. 72 I. H. Tague, Women of Quality (Anm. 70), 213–216; mehrere Beispiele in J. Daybell, Women and Politics (Anm. 3). 73 Harris, Women and Politics (Anm. 3), 278 ff.; I. H. Tague, Women of Quality (Anm. 70), 208 f.; Helen Payne, Aristocratic Women, Power, Patronage and Family Networks at the Jacobean Court, 1603–1625, in: Women and Politics in Early Modern England (Anm. 3), 164–180, 170; E. Chalus, Elite Women (Anm. 20).

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indirect power74. Generell bleiben Handlungsspielräume in diesem Bereich stärker individuell geprägt als in anderen Gebieten, etwa dem höfischen Klientelismus, Künstlerpatronage75, der Nutzung und Erweiterung familiären Besitzes usw. Inwieweit eine Fürstin, eine Amtsträgerin bei Hof oder die Gemahlin eines ranghohen Diplomaten direkte politische Wirksamkeit erlangen konnte, hing eben in erheblichem Maße von individuellen Strategien und Fähigkeiten ab. Damit will ich mich keineswegs wieder auf die Firmierung politisch aktiver Frauen als Ausnahme zurückziehen. Es bleibt aber – neben der Angreifbarkeit der rechtlichen Positionen – hinzuweisen auf das zeitgenössische Frauenbild und seine Distanz zur Macht sowie darauf, dass die Distanz zwischen prinzipieller Legitimität politischen Handelns und faktischer Ausfüllung vorhandener Spielräume eben durch die individuelle Aktivität der einzelnen Frau überbrückt werden musste76. Auch heute stehen Frauen prinzipiell Handlungsräume offen, aber keineswegs alle stoßen in diese Räume auch vor, geschweige denn an deren Grenzen. Schließlich bleibt noch darauf hinzuweisen, dass sich die Handlungsspielräume von Frauen innerhalb der höfischen Gesellschaft im Laufe der Frühen Neuzeit veränderten, ein Aspekt, der freilich bislang noch wenig untersucht ist. Mir scheint, dass das lange 16. Jahrhundert zumindest im deutschsprachigen Raum der Fürstin relativ große Handlungsspielräume überließ, nicht zuletzt weil sich das reformatorische Ideal von Hausvater und Hausmutter entsprechend ummünzen ließ und weil fürstliche Herrschaft noch stark personalisiert war77. Nach 1650 scheint aber mit der allmählich fortschreitenden Entpersonalisierung des fürstlichen Amtes und der stärkeren Ausprägung von Staatlichkeit die Fürstin etlicher Handlungsmöglichkeiten beraubt worden zu sein. Die Professionalisierung von Diplomatie und Verwaltung machte weibliche Einflussnahme im staatlichen Bereich schwieriger. Das Konzept der 74 S. Kettering, Noblewomen (Anm. 39), 818. 75 Siehe dazu etwa Kerstin Merkel / Heide Wunder (Hrsg.), Deutsche Frauen der Frühen Neuzeit. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzenatinnen, Darmstadt 2000; Wilhelm Haefs / Holger Zaunstöck (Hrsg.), Hof – Geschlecht – Kultur. Luise von Anhalt-Dessau (1750– 1811) und die Fürstinnen ihrer Zeit (Das achtzehnte Jahrhundert 28/2), Wolfenbüttel 2004. 76 J. Rogge, Einleitung (Anm. 32), 14; I. Poutrin / M. K. Schaub, Introduction (Anm. 27), 41; A. Lilienthal, Die Fürstin und die Macht (Anm. 30), 287, 289; Julia Frindte / Siegrid Westphal, Einleitung, in: Handlungsspielräume von Frauen um 1800 (Anm. 20), 3–16, 7 f. 77 Von einer eher negativen Wirkung der Reformation geht allerdings aus Claudia Opitz, Das Universum des Jean Bodin. Staatsbildung, Macht und Geschlecht im 16. Jahrhundert, Frankfurt a. M. / New York 2006, 29.

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Staatsräson, das seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend praktische Relevanz erlangte78, förderte eine weitere Ausprägung der Dichotomie von privater und öffentlicher Sphäre. Die Umsetzung und Bewertung aktiven politischen Handelns von Frauen wurde damit immer problematischer, bis das bürgerliche 19. Jahrhundert ihnen – unabhängig von ihrem Stand – nur noch privates Handeln zuschrieb.

78 Ebd., 128 f.; T. Kühne, Staatspolitik (Anm. 21), 214.

Fürstliche Diplomatinnen: Die Herzoginnen von Burgund und die burgundische Außenpolitik 1369–1530 Von Malte Prietzel

Im Jahr 1363 übertrug König Johann II. von Frankreich seinem jüngsten Sohn Philipp dem Kühnen das Herzogtum Burgund, dessen angestammte Dynastie kurz zuvor ausgestorben war. Unter Philipp und seinen drei Nachfolgern, den vier »großen Herzögen von Burgund« entstand im Lauf von hundert Jahren ein großes, wenn auch heterogenes Herrschaftsgebilde, das schließlich, beim Tod Karls des Kühnen im Jahr 1477, das eigentliche Herzogtum Burgund, die Freigrafschaft Burgund, die größten Gebiete der heutigen Benelux-Staaten und Teile Nordwestfrankreichs umfasste. Das rasante Wachsen dieses »burgundischen Staats« und die Konsolidierung der dann habsburgischen Niederlande gründeten nicht zuletzt auf erfolgreicher Außenpolitik1. Die Frage, inwieweit die Herzoginnen von Burgund daran Anteil hatten, bietet daher eine hervorragende Gelegenheit, um Möglichkeiten und Grenzen des diplomatischen Handelns von Fürstinnen im späten Mittelalter zu untersuchen. Zu diesem Zweck werden zunächst die einzelnen Fürstinnen im Hinblick auf ihre außenpolitischen Tätigkeiten und deren Grundlagen betrachtet. Dann werden grundsätzliche Strukturen des außenpolitischen Wirkens von Fürstinnen analysiert. Da es in der behandelten Zeit die Konzepte von Innen- wie von Außenpolitik noch nicht gab, wird »außenpolitisch« hier im Sinn von »über den eigenen Hof und das eigene Herrschaftsgebiet hinausreichend« verwendet.

I. Margarete von Flandern Philipp der Kühne heiratete 1369 Margarete, die Erbtochter Graf Ludwigs von Flandern. Beim Tod des Brautvaters im Jahr 1384 erbten Philipp und Margarete außer Flandern die Grafschaft Artois und die Freigrafschaft Burgund2. Das Ehepaar strebte danach, das Herzogtum Burgund zum Stammland einer neuen Dynastie zu machen. Zugleich aber wollte Philipp im Königreich 1 Zum burgundischen Staat: Hermann Kamp, Burgund: Geschichte und Kultur, München 2007; Bertrand Schnerb, L’État bourguignon, 1363–1477, Paris 1999; Wim Blockmans / Walter Prevenier, Die burgundischen Niederlande, Weinheim 1986. 2 Margarete fand bisher kaum Aufmerksamkeit in der Forschung. Zu ihrer politischen Rolle daher vor allem Richard Vaughan, Philip the Bold, 2. Aufl., Woodbridge 2002, hier bes. 4–6 (Heirat), 16 (Erbe Graf Ludwigs).

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Frankreich jenen Einfluss wahrnehmen, der ihm als Fürsten von Geblüt zustand. Jener Teil der Politik Philipps und Margaretes, der über die eigenen Fürstentümer herausreichte und insofern als Außenpolitik zu bezeichnen ist, bezog sich daher im Wesentlichen auf den französischen Hof und die Beziehungen zu anderen französischen Fürsten. Um an der Politik des französischen Hofes teilzuhaben, musste Philipp am Königshof weilen. Außerdem reiste er fast jedes Jahr nach Flandern, um dort die Grundlagen für seinen Herrschaftsantritt zu schaffen, der nach dem Tod seines Schwiegervaters erfolgen würde. Der Herzog hielt sich daher zunächst nur rund die Hälfte des Jahres in Burgund auf. Als 1380 sein Bruder König Karl V. starb, führte Philipp mit seinen anderen Brüdern und seinem Schwager die Regentschaft für seinen Neffen, Karl VI., zunächst wegen dessen Minderjährigkeit, später wegen dessen Geisteskrankheit. Hartnäckig stritten die Regenten miteinander um den Zugriff auf den Machtapparat und die Finanzen des Königtums. Philipp der Kühne verbrachte jetzt nur noch ein Viertel des Jahres in Burgund und besuchte auch Flandern seltener als zuvor3. Herzogin Margarete ihrerseits weilte zunächst fast ausschließlich im Herzogtum Burgund, ab 1384 auch in Flandern und im Artois, und überwachte als Stellvertreterin ihres Ehemannes die Verwaltung dieser Länder4. Eine solche Aufgabenverteilung gab es unter fürstlichen Ehepaaren häufig, wenn kein volljähriger Thronfolger verfügbar war. In späteren Jahren stand Margarete oft ihr ältester Sohn Johann Ohnefurcht zur Seite, den sie auf diese Weise in die Pflichten des Herrschers einführte. Gegen Ende ihres Lebens hielt sich die Herzogin dann vor allem im Artois auf, das sie ab 1398 wohl aus Altersgründen kaum noch verließ. Außenpolitische Tätigkeiten sind aufgrund dieser Sachverhalte bei ihr kaum belegt. Interessante Einblicke in Margaretes politisches Wirken bietet ihr Itinerar zwischen dem 21. Dezember 1384 und dem 30. November 13855. In diesen elf Monaten war Margarete recht lange aus dem Herzogtum abwesend, unter anderem weil sie im Januar 1384 in Cambrai an den Verhandlungen über die Verheiratung zweier ihrer Kinder teilnahm6. An ihrer Anwesenheit war sicherlich nicht nur ihr selbst, sondern auch ihrem Mann und den zukünftigen 3 Ebd., 17, 118, 172 f. 4 Bertrand Schnerb, Jean sans Peur. Le prince meurtrier, Paris 2005, 28 f., 52, 262; R. Vaughan, Philip the Bold (Anm. 2), 114, 118, 151 f. 5 Marcel Canat de Chizy, Marguerite de Flandres, duchesse de Bourgogne, sa vie intime et l’état de sa maison, in: Mémoires de l’Académie impérial des sciences, arts et belleslettres de Dijon, 2e série, 7 (1858–1859), 65–332 [auch als Sonderdruck, Paris 1860], hier 222–242, vgl. 68–72. 6 Vgl. zuletzt: B. Schnerb, Jean sans Peur (Anm. 4), 38–49.

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Schwiegereltern ihrer Kinder gelegen. Auf diese außenpolitisch wie persönlich höchst wichtige Frage konnte sie also durchaus Einfluss nehmen. Auch in die Unterredungen über die Verheiratung einer weiteren Tochter war sie einbezogen7. Selbstredend wohnte Margarete dann auch den Hochzeitsfeierlichkeiten bei, die im April 1384 wiederum in Cambrai stattfanden. Ebenso war sie bei der Hochzeit des Königs Karl VI. im folgenden Juli in Amiens anwesend, wo sie als angeheiratete Tante des Bräutigams und Ehefrau eines Fürsten von Geblüt gleichermaßen teilnehmen musste. Blieb Margarete wegen dieser drei großen Ereignisse ohnehin schon ungewöhnlich lange dem Herzogtum Burgund fern, so verlängerte sich ihre Abwesenheit noch, weil sie zwischen den Unterhandlungen über die Hochzeit und deren Feier sowie danach jeweils sechs Wochen in der unmittelbaren Umgebung von Paris verbrachte8. Bezeichnenderweise empfing sie in dieser Zeit hochrangigen Besuch. Der König selbst und sein Bruder kamen mehrfach zu ihr, ebenso der Herzog von Bourbon, der mit einer Schwester Philipps des Kühnen verheiratet war. Margarete ihrerseits stattete dem König einen Gegenbesuch ab. Außerdem hielt sie sich einige Tage in Paris auf. Zweifellos wird man bei diesen Gelegenheiten über Politik gesprochen haben, und Margarete vertrat dabei gewiss ihre Interessen und diejenigen ihres Ehemannes. Aber in den alltäglichen Umgang mit den kleineren wie größeren politischen Problemen war sie nicht verwickelt, schon deswegen nicht, weil sie selbst gar nicht am Königshof weilte. Insbesondere nahm sie nicht an den Sitzungen des königlichen Rats teil, wo die politischen Maßnahmen entschieden wurden. Bezeichnenderweise weilte Philipp der Kühne sogar in dieser Zeit nur ausnahmsweise und für kurze Zeit bei seiner Frau; er dürfte sich mit seinem Hofstaat am Königshof aufgehalten haben, damit er dort auf dem Laufenden blieb. Gerade weil die elf Monate 1384/85 eher untypisch für Margaretes Aufenthalte und Beschäftigungen sind, zeigen sie desto deutlicher, wie gering ihr Einfluss auf die Politik am königlichen Hof war. Obwohl sie ungewöhnlich lange außerhalb des Herzogtums und in der Nähe des königlichen Hofes weilte, blieb ihr Einfluss auf dessen Politik doch sehr gering. Im bedeutendsten Bereich burgundischer Außenpolitik spielte sie daher kaum eine Rolle. Der wesentliche Grund dürfte darin liegen, dass sie aufgrund ihrer Herkunft die maßgeblichen Personen nicht kannte und aufgrund der Arbeitsteilung zwischen den Ehegatten nicht kennen lernte. Wie sehr ihr Frankreich und so7 M. Canat de Chizy, Marguerite de Flandres (Anm. 5), 71. 8 4. Februar bis 17. März 1385: Beauté-sur-Marne; 4. bis 26. Mai 1385: Conflans, anschließend bis 19. Juni: Corbeil. M. Canat de Chizy, Marguerite de Flandres (Anm. 5), 224–232.

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gar das Herzogtum Burgund fremd blieben, demonstrierte sie durch die Wahl ihrer Grablege. Nicht in der von ihrem Ehemann gegründeten Kartause nahe Dijon wollte sie bestattet werden, sondern an der Seite ihrer Eltern im flandrischen Lille9.

II. Margarete von Bayern-Hennegau Als 1404 Johann Ohnefurcht seinem Vater Philipp dem Kühnen nachfolgte, blieben die politischen Konstellationen gleich. Die Konflikte gewannen jedoch an Härte und es kam sogar zum Bürgerkrieg. Johann und seine Ehefrau Margarete von Bayern-Hennegau verteilten die Rollen ganz ähnlich wie Johanns Eltern: Der Herzog kämpfte um die Macht im Königreich, die Herzogin stand der Verwaltung der ererbten Fürstentümer vor. Dabei verfügte sie über beachtliche Vollmachten. Wie ihre Schwiegermutter besaß sie aufgrund ihrer Herkunft keine Verbindungen an den französischen Königshof und vermochte auch keine aufzubauen, da sie sich dort kaum je aufhielt. In den Außenbeziehungen des burgundischen Hofs trat sie dementsprechend kaum hervor. Wenn sie 1410 in Abwesenheit Johanns Ohnefurcht in Dijon Karl III. von Navarra empfing, erfüllte sie nur eine selbstverständliche zeremonielle Pflicht. Eine nachweisbare außenpolitisch relevante Handlung Margaretes betraf bezeichnenderweise ihre mütterliche Verwandtschaft: Im Jahr 1415 schenkte sie ihrem Vetter Herzog Ludwig II. von Brieg, einem Vertrauten des römischdeutschen Königs Sigismund, 500 Écus, weil er sich bei diesem Herrscher für das burgundische Herzogspaar eingesetzt hatte10.

III. Isabella von Portugal Johann Ohnefurcht wurde 1419 von Anhängern der gegnerischen Bürgerkriegspartei und des Dauphins ermordet. Sein Sohn und Nachfolger Philipp der Gute schloss ein Bündnis mit England gegen den Dauphin, um seinen Vater zu rächen. Der Zugang zu den Machtmitteln des Königtums war ihm nun verbaut. Zugleich weitete er sein Herrschaftsgebiet in den Niederlanden 9 B. Schnerb, Jean sans Peur (Anm. 4), 142 f. 10 Margarete von Bayern-Hennegau fand noch weniger Aufmerksamkeit als ihre Schwiegermutter. Vgl. zu ihr daher vor allem: R. Vaughan, Philip the Bold (Anm. 2), bes. 86–88 (zur Heirat); B. Schnerb, Jean sans Peur (Anm. 4), 533, 545, 573, 674 (Vertretung des Herzogs), 388 (Karl III.), 611 (Herzog von Brieg); auch Richard Vaughan, John the Fearless, 2. Aufl., Woodbridge 2002.

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erheblich aus. Die Gesamtheit seiner Fürstentümer entwickelte sich langsam zu einer eigenständigen Macht. Die zentrale außenpolitische Frage lautete angesichts des englisch-französischen Gegensatzes von nun an, mit welchem der beiden Königreiche sich Burgund gegen das andere wenden sollte11. Während der Krieg gegen Frankreich noch andauerte, suchte Philipp der Gute eine dritte Ehefrau; die ersten beiden waren jung gestorben, so dass ihnen gar keine Zeit für außenpolitische Aktionen geblieben war. Philipp heiratete schließlich 1430 Isabella, eine Tochter des Königs von Portugal, deren Mutter aus der englischen Königsdynastie stammte. Naheliegenderweise bemühte sich die Herzogin stets um gute Beziehungen zu England. Vor allem nahm sie vom Ende der 1430er Jahre bis 1446 mehrfach persönlich an Verhandlungen mit englischen Gesandten teil12. Der andere Schwerpunkt von Isabellas außenpolitischen Tätigkeiten lag im Projekt eines Türkenkreuzzugs, das auch ihrem Mann sehr am Herzen lag. Isabella trug durch Geld und durch ihre Verbindungen zu Flottenexpeditionen bei, die in das Schwarze Meer führten. Auch in diesem Bereich erklärt sich ihr Handeln aus ihrer Herkunft, denn die portugiesische Königsfamilie baute in Nordafrika durch Kriege gegen die Muslime ihre Macht energisch aus13. An den burgundischen Höfen und unter den Beamten unterhielt Isabella viele persönliche Verbindungen14. Darüber hinaus zog Isabella mit sicherer Menschenkenntnis mehrere Talente an den burgundischen Hof, die sich auch durch ihre humanistischen Neigungen empfohlen haben dürften. Wenigstens

11 Zuletzt: B. Schnerb, L’État bourguignon (Anm. 1), 172–227. 12 Umfassend zu dieser Herzogin: Monique Sommé, Isabelle de Portugal, duchesse de Bourgogne. Une femme au pouvoir au XVe siècle, Villeneuve d’Ascq 1998, hier bes. 395–407, 441–450. 13 Heribert Müller, Kreuzzugspläne und Kreuzzugspolitik des Herzogs Philipp des Guten von Burgund, Göttingen 1993, 17–23, 32–35; Werner Schulz, Andreaskreuz und Christusorden. Isabella von Portugal und der burgundische Kreuzzug, Freiburg i. Ü. 1976. Zurückhaltender in der Beurteilung der Rolle Isabellas: Jacques Paviot, Les ducs de Bourgogne, la croisade et l’Orient (fin XIVe–XVe siècle), Paris 2003, 62 f. 14 M. Sommé, Isabelle (Anm. 12), 221–371; dies., Les Portugais dans l’entourage de la duchesse de Bourgogne Isabelle de Portugal (1430–1477), in: Revue du Nord 77 (1995), 321–343; Éric Bousmar / Monique Sommé, Femmes et espaces féminins à la cour de Bourgogne au temps d’Isabelle de Portugal, in: Das Frauenzimmer. Die Frau in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini, Stuttgart 2000, 47–78; dies., Les conseillers et collaborateurs d’Isabelle de Portugal, duchesse de Bourgogne, au milieu du XVe siècle, in: À l’ombre du pouvoir. Les entourages princiers au Moyen Âge, hrsg. v. Alain Marchandisse / Jean-Louis Kupper, Genf 2003, 343–359.

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drei von ihnen wirkten später als Leiter von wichtigen Gesandtschaften maßgeblich an der burgundischen Diplomatie mit15. Die außenpolitisch relevanten Bindungen Isabellas manifestieren sich nachdrücklich am Beispiel eines dreizehnköpfigen Regentschaftsrats, den Philipp der Gute seiner Ehefrau zur Seite stellte, als er 1441 in das Herzogtum Burgund reiste und Isabella seine Stellvertretung in den Niederlanden übertrug. Nicht weniger als sieben Mitglieder dieses Gremiums nahmen vorher oder hinterher an Gesandtschaften teil, die unter Isabellas Ägide standen. Zwei von ihnen band die Herzogin auch dadurch an sich, dass sie ihnen die Heirat mit einem Fräulein aus ihrem Hofstaat ermöglichte16. Bei ihren diplomatischen Initiativen stützte sich Isabella nur zum geringeren Teil auf Männer, die zu ihrem Hofstaat zählten. Es handelte sich vor allem um solche Personen, die dort die beiden höchsten Ränge einnahmen: jenen des chevalier d’honneur, welcher der Position des Ersten Kammerherrn (premier chambellan) im Hofstaat eines männlichen Mitglieds der burgundischen Valois entsprach, oder jenen des Haushofmeisters (maître d’hôtel)17. Die meisten Männer, die an Missionen unter Isabellas Ägide teilnahmen, wurden als Angehörige von Philipps Hofstaat besoldet. Großenteils waren sie Mitglieder des herzoglichen Rats, der das zentrale Organ für politische Beratungen darstellte, also politische, gewissermaßen staatliche Funktionen wahrnahm, aber ein Teil des herzoglichen Hofstaats war und noch lange blieb18; ein entsprechendes Organ gab es in Isabellas Hofstaat nicht. Als Entscheidungsträger und als Spezialisten, die sich mit den jeweils behandelten Sachfragen auskannten, waren diese Männer bei diplomatischen Missionen unverzichtbar. Ferner wurden manchmal Inhaber von Ämtern in Verwaltung und Rechtsprechung den Gesandtschaften zugesellt, wenn diese Männer aufgrund ihres Ressorts betroffen waren oder von Nutzen sein konnten. Bei den Verhandlungen 15 Malte Prietzel, Guillaume Fillastre der Jüngere (1400/07–1473). Kirchenfürst und herzoglich-burgundischer Rat (Beihefte der Francia, 51), Stuttgart 2001, 64–66. Zu den drei Mitgliedern dieser Gruppe, die außenpolitisch einflussreich waren: ebd.; Claudia Märtl, Kardinal Jean Jouffroy († 1473). Leben und Werk, Sigmaringen 1996; Henri Stein, Un diplomate bourguignon du XVe siècle: Antoine Haneron, in: Bibliothèque de l’École des Chartes 98 (1937), 283–348. Zur Förderung des Humanismus durch die Herzogin: Charity Cannon Willard, Isabel of Portugal, Patroness of Humanism?, in: Miscellanea di studi e ricerche sul Quattrocento francese, hrsg. v. Franco Simone, Turin 1967, 517–544. 16 M. Sommé, Les conseillers (Anm. 14), 345–348. 17 M. Sommé, Isabelle (Anm. 12), 291–300, 308, 311, 323–325. 18 Jan van Rompaey, De Groote Raad van de hertogen van Boergondië en het Parlement van Mechelen, Brüssel 1973, 73–102; B. Schnerb, L’État bourguignon (Anm. 1), 234–236.

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von Châlons 1445 begleiteten die Herzogin zum Beispiel der Vorsitzende des parlements, das heißt des obersten Gerichts des Herzogtums Burgund, sowie die Amtleute (baillis) von Dijon und Auxerre. Alle drei waren direkt betroffen, da es bei den Unterredungen unter anderem um die Übergriffe königlicher Truppen auf das Herzogtum ging. Außerdem zählten zur Gesandtschaft zwei adlige Räte und Kammerherrn sowie drei nicht-adlige Räte19. Bei außenpolitischen Aktivitäten befand sich die Herzogin stets in Einklang mit ihrem Ehemann. Doch die Politik des Herzogs änderte sich. Eine englandfreundliche wurde durch eine Frankreich favorisierende Adelsclique verdrängt. Isabella löste 1457 ihren Hofstaat auf und zog sich in ein kleines Schloss, eine Art fürstliche Einsiedelei zurück. Ihre politischen Aktivitäten ließen spürbar nach, doch blieb sie stets informiert20.

IV. Margarete von York Isabella übertrug ihre außenpolitische Grundorientierung auf ihren Sohn Karl den Kühnen. So war es verständlich, dass dieser ein Bündnis mit England gegen Frankreich anstrebte. Nachdem seine zweite Ehefrau wie schon die erste jung verstorben war, heiratete er 1468 Margarete, eine Schwester des englischen Königs Eduard IV., die traditionell »von York« genannt wird. Sie selbst jedoch betonte in ihrer Titulatur nicht die Abstammung aus der York-Linie der Plantagenêts, sondern ihre Abkunft aus einem Königshaus: Sie unterschrieb meist mit Margarete of Engeland 21. Wie ihre Vorgängerinnen vertrat sie ihren Ehemann in dessen Fürstentümern, wenn er selbst nicht anwesend war. 19 Burgundische Amtsträger: Archives départementales du Nord, B 1988, f. 66r, f. 67r–v, f.  69r–v, f. 174r–v. – Pierre de Bauffremont, Herr von Charny, und Dreux, Herr von Humières: ebd., f. 63v–64r, f. 65v. – Godefroy Clebbet, Jean Tronson und Guillaume Fillastre, Bischof von Verdun: ebd., f. 62v, f. 71v–72r; B 1991, f. 67r–v. Zu den Unterhandlungen: M. Sommé, Isabelle (Anm. 12), 404–408; M. Prietzel, Guillaume Fillastre (Anm. 15), 81–83. 20 M. Sommé, Isabelle (Anm. 12), 449 f. Zur Auflösung des Hofstaats: Holger Kruse, Amt, Hof und Gagen. Die täglichen Gagenlisten des burgundischen Hofes (1430–1467) und der erste Hofstaat Karls des Kühnen (1456), Bonn 1996, 193–196. Zum weiterhin regen politischen Interesse Isabellas: Monique Sommé, Une mère et son fils: Isabelle de Portugal, après son départ de la cour (1457–1471), et Charles le Téméraire, in: Autour de Marguerite d’Écosse. Reines, princesses et dames du XVe siècle, hrsg. v. Geneviève und Philippe Contamine, Paris 1999, 99–121. 21 Christine Weightman, Margaret of York, Duchess of Burgundy, 1446–1503, 2. Aufl., New York 1993 (zur Unterschrift: 183); zu einzelnen Aspekten: Jean-Marie Cauchies (Hrsg.), Marguerite d’York et son temps, Neuchâtel 2004.

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Dies war ab 1473 wegen Karls zahlreicher Kriege recht häufig der Fall. Darüber hinaus kümmerte sie sich um die Erziehung von Karls einzigem Kind, der 1457 geborenen Maria. Außenpolitisch trat sie – außer zu rein zeremoniellen Anlässen – nur bei einigen Gelegenheiten in Erscheinung, als es um die Beziehungen Burgunds zu ihrem Bruder Eduard IV. ging22. Nach Karls Tod 1477 setzte sich Margarete gemeinsam mit ihrer Stieftochter Maria entschlossen für die Heirat Marias mit Maximilian von Habsburg, dem späteren König und Kaiser, ein. Außerdem mussten sich beide Fürstinnen den Beziehungen zu Frankreich zuwenden23. Da Maria schon 1482 starb, blieb ihr für weitere außenpolitische Aktionen keine Zeit. Auch Margarete wurde, als Maximilian nach der Heirat mit ihrer Stieftochter die fürstliche Politik in den Niederlanden bestimmte, nur noch gelegentlich außenpolitisch tätig, und zwar dann, wenn es um das Verhältnis zu England ging. Außerdem unterstützte sie energisch die Interessen jener Linie der königlichen Dynastie, der sie selbst angehörte24. Der Hofstaat Margaretes von York und ihre persönlichen Verbindungen wurden noch nicht untersucht. Festzustellen ist daher bislang lediglich, dass sie selbstredend mit den Spitzen der Verwaltung zusammenarbeitete, wenn sie in den Niederlanden für ihren Ehemann stellvertretende Funktionen wahrnahm. Einige von ihnen betraute sie dann nach Karls Tod auch mit außenpolitischen Aufgaben25. Eine länger andauernde Zusammenarbeit in außenpolitischer Hinsicht lässt sich nur mit Guillaume de La Baume belegen, einem Adligen aus der Bresse, der seit 1473 ihr chevalier d’honneur war. Spätestens 1477 hatte er eine echte Vertrauensstellung errungen. La Baume spielte eine bedeutende Rolle bei den Verhandlungen um die Heirat Marias von Burgund mit Maximilian I. Auch begleitete er Margarete von York auf ihrer Reise nach England 148026. 22 C. Weightman, Margaret of York (Anm. 21), 76, 79, 90–95, 98 f.; Jean-Marie Cauchies, Philippe le Beau. Le dernier duc de Bourgogne, Turnhout 2003, 6 f., 40, 105–107. 23 Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, 5 Bde., München 1975–1986, hier Bd. 1, 113–128; C. Weightman, Margaret of York (Anm. 21), 105–118. 24 C. Weightman, Margaret of York (Anm. 21), 127, 131 f., 134–137, 145, 148–186; Patricia Robins, Le veuvage et le douaire de Marguerite d’York dans le contexte politique de 1477 à 1503, in: Handelingen van de Koninklijke Kring voor oudheidkunde, letteren en kunst van Mechelen 97 (1993), 123–179, 138–157, 167–170. 25 C. Weightman, Margaret (Anm. 21), 79 f.; vgl. Werner Paravicini, Gui de Brimeu. Der burgundische Staat und seine adlige Führungsschicht unter Karl dem Kühnen, Bonn 1975, 456 f., 478 f. 26 Claudine Lemaire, Guillaume de La Baume, in: Les chevaliers de l’Ordre de la Toison d’or au XVe siècle, hrsg. v. Raphaël de Smedt, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2000, 213–216 (Nr. 90).

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V. Margarete von Österreich Nach dem Tod Marias von Burgund fielen ihre Länder an ihren einzigen Sohn, Philipp den Schönen. Maximilian I. führte für den Minderjährigen die Regentschaft, bis dieser 1494 volljährig wurde und selbst die Herrschaft in den Niederlanden übernahm. Schon 1501 jedoch brach er mit seiner Ehefrau Johanna, einer Tochter des spanischen Königspaares, nach Spanien auf, um dort deren Erbe anzutreten. Johanna unternahm während ihrer kurzen Zeit in den Niederlanden keine diplomatischen Aktionen. Nach Philipps Tod 1506 blieb sie in Spanien und war zudem wegen einer Geisteskrankheit handlungsunfähig27. Für Karl V., den noch minderjährigen Sohn des Ehepaares, übernahm Maximilian I. die Vormundschaft, während dessen Tochter, Margarete Erzherzogin von Österreich und Herzogin von Burgund, ab 1507 als Statthalterin in den Niederlanden, seit dem Folgejahr mit erweiterten Befugnissen als Regentin agierte. Margarete stand dafür zur Verfügung, weil sie 1504 zum zweiten Mal Witwe geworden war. Ihre Amtsführung endete 1515, als ihr Neffe für volljährig erklärt wurde. Doch als Karl V. 1517 nach Spanien reiste, wurde Margarete zum Mitglied des Regentschaftsrates und 1519 wiederum zur Regentin ernannt. Dieses Amt behielt sie bis zu ihrem Tod 153028. Margaretes Durchsetzungsfähigkeit war in innen- wie außenpolitischer Hinsicht immer dadurch eingeschränkt, dass sie selbst nur über abgeleitete Herrschaftsrechte verfügte, die ihr zunächst ihr Vater als Vormund ihres Neffen, dann dieser selbst übertragen hatte. Ihre Widersacher innerhalb der Niederlande versuchten immer wieder, sich unter Umgehung ihrer Person un27 Zu Philipp dem Schönen vor allem: J.-M. Cauchies, Philippe le Beau (Anm. 22). 28 Zur Regentschaft Margaretes vor allem: Jean-Marie Cauchies, Marguerite d’Autriche, gouvernante et diplomate, in: L’  itinérance des seigneurs (XIVe–XVIe siècle), hrsg. v. Agostino Paravicini Bagliani u. a., Lausanne 2003, 353–376; auch Helmut G. Koenigsberger, Monarchies, States Generals, and Parliaments. The Netherlands in the Fifteenth and Sixteenth Centuries, Cambridge 2001, 93–122; Letitia Gorter-van Royen, De regentessen van Karel V in de Nederlanden. Beeld en werkelijkheid, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 119 (1997), 169–197, hier 171–179. – Faktenreich, aber wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügend: Ursula Tamussino, Margarete von Österreich. Diplomatin der Renaissance, Graz 1995; Eleanor E. Tremayne, The First Governess of the Netherlands: Margaret of Austria, New York 1908. – Große strukturelle Ähnlichkeiten mit der Regentschaft Margaretes von Österreich hätte eine Untersuchung derjenigen Marias von Ungarn ergeben. Dazu zuletzt: H. G. Koenigsberger, Monarchies (s. o.), 123–171; L. Gorter-van Royen, De regentessen (s. o.), 181–191; dies., Maria von Hongarije, regentes der Nederlanden. Een politieke analyse op basis van haar regentschapsordonnanties en haar correspondentie met Karel V, Hilversum 1995.

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mittelbar an Maximilian oder Karl V. zu wenden. Schwierigkeiten bereitete ihr auch der Umstand, dass sie als Regentin nicht auf eine etablierte Rolle zurückgreifen und ihr Wirken dadurch rechtfertigen konnte. Vielmehr schuf sie sich selbst aus unterschiedlichen Elementen eine Legitimation, die konkret auf ihre Person als princesse naturelle, das heißt im Land geborene Fürstin, als Habsburgerin und als Erzherzogin, aber auch als Witwe bezogen war. Auch der zuletzt genannte Aspekt war politisch relevant, denn die Witwenschaft schuf wirtschaftliche und damit politische Unabhängigkeit. Vor allem aber bot sie eine akzeptierte Rolle, die eine eigenständige Lebensweise und damit politische Betätigung rechtfertigte29. Außenpolitisch musste Margarete angesichts der vielen Auseinandersetzungen, vor allem mit Frankreich und Geldern, aktiv sein – und sie war dabei sehr erfolgreich. 1508 wirkte sie entscheidend an Verhandlungen in Cambrai mit, die nicht nur zum Frieden mit Frankreich und Geldern, sondern sogar zu einem Bündnis mit Frankreich gegen Venedig führten. 1513 war sie am Abschluss der Liga von Mecheln beteiligt, die sich nun wieder gegen Frankreich richtete. 1518 und im Folgejahr erreichte sie wichtige Abkommen mit Lüttich. Im Vorfeld der Wahl Karls V. zum römisch-deutschen König im Jahr 1519 erwarb sie sich ebenfalls große Verdienste. Als ihr bedeutendster außenpolitischer Erfolg gilt der so genannte Damenfrieden von Cambrai 1529, in dem sie mit der Mutter des französischen Königs einen weiteren Friedensschluss mit dem Königreich aushandelte30. Innen- wie außenpolitisch stützte sich Margarete zum einen auf eine englandfreundliche Parteiung von Adligen, von denen einige auch an diplomatischen Unterhandlungen teilnahmen. Johann III. von Bergen zum Beispiel wohnte 1507 Verhandlungen mit den Engländern, 1521 dem Abschluss des Bündnisses mit Heinrich VIII. und 1529 den Verhandlungen von Cambrai bei31. 29 Dagmar Eichberger, Leben durch Kunst – Wirken durch Kunst. Sammelwesen und Hofkunst unter Margarete von Österreich, Regentin der Niederlande, Turnhout 2002, 22 f., 33–42; Barbara Welzel, Widowhood. Margaret of York and Margaret of Austria, in: Women of Distinction: Margaret of York and Margaret of Austria, hrsg. v. Dagmar Eichberger, Leuven 2005, 103–113. Am Widerstand Margaretes scheiterte der weit fortgeschrittene Plan, sie mit dem englischen König zu vermählen. Robert Wellens, Un épisode des relations entre l’Angleterre et les Pays-Bas au début du XVIe siècle: le projet de mariage entre Marguerite d’Autriche et Henri VII, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 29 (1982), 267–290. 30 J.-M. Cauchies, Marguerite d’Autriche (Anm. 28), 360–362, 365, 370 f.; H. Wiesflecker, Maximilian I. (Anm. 23), Bd. 4, 23–32, 88, 118, 320–329. 31 Zu dieser Gruppierung: H. G. Koenigsberger, Monarchies (Anm. 28), 93–96; auch J.-M. Cauchies, Marguerite d’Autriche (Anm. 28), 373–375. Es handelte sich teilweise um dieselben Personen, die schon Margaretes Bruder zur Seite gestanden hatten. Ders.,

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Zum anderen verließ sie sich auf eine geringe Anzahl persönlicher Vertrauter, die ihren persönlichen Geheimen Rat (conseil privé) bildeten. Diese Männer waren bezeichnenderweise erst in Diensten Margaretes in die Niederlande gekommen und daher von ihr persönlich abhängig. Fast alle von ihnen stammten aus Savoyen, wo sie mit ihrem dritten Ehemann einige Jahre gelebt hatte, oder aus der Freigrafschaft Burgund, die ihr Maximilian als Lohn für ihre Dienste auf Lebenszeit überlassen hatte32. Außenpolitische Aufgaben übernahmen nur wenige dieser engen Vertrauten. Von überragender Bedeutung für Margaretes Diplomatie war der piemontesische Jurist Mercurino Arborio di Gattinara, den sie in Savoyen kennen gelernt hatte. Er setzte in ihrem Auftrag bei Maximilian 1507 die Ernennung zur Statthalterin, später auch diejenige zur Regentin durch. Bei den Unterhandlungen von Cambrai 1508 fungierte er als Chefunterhändler Margaretes und ihres Vaters. Als Gesandter des Kaisers weilte er 1510 ein ganzes Jahr am Hof Ferdinands von Aragón. 1517 begleitete er Karl V. nach Spanien und wurde dort wenig später zu dessen Großkanzler ernannt. Ab 1521 erledigte dann Nicolas Perrenot de Granvelle aus der Franche Comté, ebenfalls ein Jurist, erfolgreich mehrere diplomatische Missionen in Margaretes Auftrag. 1529 rief ihn Karl V. an seinen Hof, damit er Gattinara unterstützte; nach dessen Tod übernahm er seine Funktion33. Margarete von Österreich vermochte also die erfolgreichsten Männer, die sie anwarb, nicht auf Dauer zu halten; vielmehr wechselten sie in die Dienste des eigentlichen Herrschers. Das konnte Margarete insofern nutzen, als sie nun in Gattinara und Perrenot Ansprechpartner am Hof Karls V. besaß, die ihr gewogen waren. Aber der Verlust ihrer Spitzenkräfte zeigt doch deutlich, dass sie politisch ihrem Neffen untergeordnet war und ihr Spielraum daher begrenzt blieb.

Philippe le Beau (Anm. 22), 59–69. Zu Johann III. von Bergen: Paul de Win, Art. Jean III de Glymes ou de Berghes, in: Les chevaliers (Anm. 26), 216–220 (Nr. 91). 32 Zu diesem Kreis enger Vertrauter: Max Bruchet, Marguerite d’Autriche, duchesse de Savoie, Lille 1927, 57–76; auch J.-M. Cauchies, Marguerite d’Autriche (Anm. 28), 374. Zur Ausbildung des Geheimen Rats und des Hofrats sowie zur Kompetenzenverteilung: J.-M. Cauchies, Philippe le Beau (Anm. 22), 69–72. 33 Zu Gattinara in Diensten Margaretes zuletzt: Ursula Czernin, Gattinara und die Italienpolitik Karls V. Grundlagen, Entwicklung und Scheitern eines politischen Programms, Frankfurt a. M. u. a. 1993, 44–69; vgl. auch J.-M. Cauchies, Marguerite d’Autriche (Anm. 28), 356, 368 f., 374; H. Wiesflecker, Maximilian I. (Anm. 23), Bd. 4, 371, 383 f.

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VI. Schlussfolgerungen Einige Herzoginnen von Burgund waren, wie der kurze Überblick gezeigt hat, außenpolitisch sehr aktiv, andere hingegen fielen in dieser Hinsicht kaum auf. Um diese Unterschiede zu erklären, sind verschiedene Beobachtungen festzuhalten. Zum Ersten: Dynastische Krisen erzwangen es zwar in einigen Fällen, dass eine Herzogin diplomatisch handelte, wie es bei Maria von Burgund und Margarete von York der Fall war. Doch nicht nur in solchen Zwangslagen, sondern weit darüber hinaus war das außenpolitische Handeln von Fürstinnen möglich. Margarete von York agierte auch vorher und später außenpolitisch, und zwar deswegen, weil sie selbst handeln wollte – zum Besten der Niederlande oder ihrer englischen Verwandten. Ebenso erklären sich die diplomatischen Initiativen Isabellas von Portugal und Margaretes von Österreich aus deren eigenen Wünschen. Es gibt ferner keine Anzeichen dafür, dass die Verhandlungspartner sich in der so sehr auf Rang und Ehre bedachten Adelsgesellschaft brüskiert gefühlt hätten, weil ›nur‹ eine Frau mit ihnen unterhandelte. Im Gegenteil: Diese Fürstinnen scheinen dank ihres hohen Ranges manche Verhandlungen entschieden gefördert zu haben. Das außenpolitische Handeln der burgundischen Herzoginnen wurde grundsätzlich als legitim betrachtet. In ganz ähnlicher Weise war es ganz selbstverständlich, dass die vier Fürstinnen, die mit einen Herzog von Burgund verheiratet waren, in dessen Abwesenheit als Stellvertreterinnen innerhalb der Länder handelten. Wie bei männlichen Mitgliedern fürstlicher Familien aber gilt: Dass sie nach dem Verständnis ihrer Zeit außenpolitisch agieren durften, heißt noch nicht, dass sie dies immer konnten und wollten. Zum Zweiten: Die Prägung durch den heimatlichen Hof spielte eine große Rolle für das Maß und die Zielrichtung diplomatischer Initiativen, wie sich besonders bei Isabella von Portugal und Margarete von York gezeigt hat. Margarete von Österreich profitierte in vergleichbarer Weise sehr von dem, was sie während ihrer drei Ehen in Frankreich, Spanien und Savoyen gelernt hatte. Politische Sichtweisen, aber auch kulturelle Interessen, die eine Fürstin schon in jungen Jahren kennen gelernt hatte, blieben oft weiterhin bestimmend. Außerdem konnten verwandtschaftliche Kontakte genutzt werden. Wenn solche Voraussetzungen fehlten oder nicht anwendbar waren, blieb die außenpolitische Einsetzbarkeit einer Fürstin gering, wie sich im Fall Margaretes von Flandern und Margaretes von Bayern-Hennegau erwiesen hat. Fürstinnen konnten also zum Nutzen des burgundischen Staats Chancen wahrnehmen, die männliche Mitglieder der Valois-Dynastie in dieser Weise nicht gehabt hätten. Die Herzöge von Burgund wuchsen am Hof ihrer Eltern auf und über-

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nahmen intellektuell wie institutionell das, was ihre Vorfahren ihnen hinterließen. Die Ehefrauen der Herzöge aber konnten mit dem, was sie aus der anderen politischen Umwelt mitbrachten, dem fremden Hof Neues und Attraktives bieten – nicht nur in der Außenpolitik. Entsprechendes gilt für die in die Heimat zurückgekehrte Margarete von Österreich. Zum Dritten: Eigenständige Personennetze machten eigenständiges diplomatisches Handeln – wie auch politisches Wirken am eigenen Hof und im eigenen Land – überhaupt erst möglich. Bei Isabella von Portugal und Margarete von Österreich, den aktivsten Fürstinnen, sind die persönlichen Beziehungen dementsprechend am weitesten verzweigt. Zum Vierten: Selbstredend reichte es nicht, dass die Strukturen Möglichkeiten boten, sondern eine Person musste bereit und willens sein, diese Chancen zu nutzen. Zum außenpolitischen Handeln der burgundischen Herzoginnen trug also auch ein ganz individuelles Element bei: ihr persönlicher Charakter. Bezeichnenderweise ist bei jenen drei Herzoginnen, die diplomatisch in bedeutenderem Maß tätig wurden, auch in anderem Zusammenhang viel Sorgfalt, Energie und Umsicht belegt, nämlich beim Einsatz für ihre eigenen finanziellen Belange. Isabella von Portugal verwaltete geschickt ihren eigenen Besitz und besaß darüber hinaus sogar weitreichende Befugnisse gegenüber der burgundischen Finanzverwaltung. Als Margarete von York mit ihrem Bruder, dem König von England, politische Unterhandlungen führte, ließ sie sich von ihm auch lukrative Ausfuhrgenehmigungen ausstellen. Außerdem verteidigte sie verbissen ihre Ansprüche auf ihr Witwengut. Auch Margarete von Österreich kümmerte sich aufmerksam um ihr Wittum34. Bei denselben drei Fürstinnen fallen außerdem eigenständige kulturelle Interessen auf35. Margarete von Flan34 M. Sommé, Isabelle (Anm. 12), 97–218; 408–419. – C. Weightman, Margaret of York (Anm. 21), 187–190; P. Robins, Le veuvage (Anm. 24), bes. 152 f. (zu den Ausfuhrgenehmigungen); Livia Visser-Fuchs, Edward IV’s Grants of Privileges to People and Places in the Low Countries, 1472–1478, in: Publications du Centre européen d’études bourguignonnes, 44 (2004), 151–167, hier 165 f.; M. Bruchet, Marguerite d’Autriche (Anm. 32), 91–142. 35 Zu Isabella siehe oben, Anm. 15. – Zu den kulturellen Interessen und dem Mäzenatentum Margaretes von York und Margaretes von Österreich die einzelnen Beiträge in dem Ausstellungskatalog: Women of Distinction (Anm. 29). Zu Bibliothek und Buchbesitz Margaretes von York ferner die Beiträge in: Thomas Kren (Hrsg.), Margaret of York, Simon Marmion, and ›The Visions of Tondal‹, Malibu 1992. Zu ihren kulturellen Interessen auch C. Weightman, Margaret of York (Anm. 21), 204–212. Umfassend zu Margarete von Österreich als Sammlerin, Auftraggeberin und Mäzenin: D. Eichberger, Leben (Anm. 29). Zu ihrer Bibliothek vor allem Marguerite Debae, La librairie de Marguerite d’Autriche. Essai de reconstruction d’après l’inventaire de 1523/24, Leuven 1995. Zu ihrer größten Stiftung vor allem: Markus Hörsch, Architektur unter Margarete von

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dern und Margarete von Bayern-Hennegau lassen hingegen lediglich ein geringes Interesse für Bücher erkennen36. Maria von Burgund starb zu früh, um ein eigenes Profil entwickeln zu können. Zum Fünften: Für alle behandelten Fürstinnen mit Ausnahme der früh verstorbenen Erbtochter Maria gilt, dass ihre Stellung nur eine abgeleitete war. Die Diplomatie Isabellas von Portugal entsprach jeweils den Zielen, die auch ihr Mann verfolgte. Als seine außenpolitische Grundlinie nicht mehr mit der ihren übereinstimmte, zog sie sich vom Hof zurück und unternahm auch keinen Versuch, sie gegen den Herzog durchzusetzen. Margarete von Österreich musste immer wieder Einmischungen ihres Vaters oder ihres Neffen hinnehmen. Margarete von York hätte zu Lebzeiten ihres Mannes, der gegenüber jedermann sehr auf seiner Entscheidungsbefugnis beharrte37, sicherlich nie auf dem Feld der Außenpolitik so umfassend agieren können, wie ihre Schwiegermutter Isabella dies unter Philipp dem Guten getan hatte. Die tatsächliche Macht blieb in Händen der Fürsten, die sie ererbt hatten – dank eines Erbrechts, das Söhne bevorzugte. Wie schwierig es für einen Mann sein konnte, sich politisch durchzusetzen, wenn er nicht selbst das ererbte Recht am Land besaß, zeigt überdeutlich das Beispiel Maximilians I., der nach dem Tod Marias von Burgund erbittert mit den Ständen der Niederlande um die Vormundschaft über seine leiblichen Kinder und damit um seine politischen Befugnisse kämpfen musste38. Die Stellung der Fürstinnen wäre auch mit der von nachgeborenen und daher nicht erbberechtigten Söhnen zu vergleichen. Treffend ist vor allem das Beispiel Antons von Burgund, eines unehelichen Sohns Philipps des Guten. Anton unterstützte seinen Vater und seinen Halbbruder, später auch seine Nichte Maria entschieden und mitunter entscheidend in deren Politik – aber er trieb keine eigene Politik39.

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Österreich, Regentin der Niederlande. Eine baugeschichtliche Studie zum Grabkloster Saint-Nicolas de Tolentin in Brou bei Bourg-en-Bresse, Brüssel 1994; Marie-Françoise Poiret, Le monastère de Brou. Chef d’œuvre d’une fille d’empereur, Paris 1994; auch M. Bruchet, Marguerite d’Autriche (Anm. 32), 143–186. R. Vaughan, Philip the Bold (Anm. 2), 191–193; B. Schnerb, Jean sans Peur (Anm. 4), 453, 461, 459 f., 446. Vgl. die brillante Charakter- und Herrschaftsstudie: Werner Paravicini, ›Vernünftiger Wahnsinn‹. Karl der Kühne, Herzog von Burgund (1433–1477), in: Karl der Kühne (1433–1477). Kunst, Krieg und Hofkultur, hrsg. v. Susan Marti / Till-Holger Borchardt / Gabriele Keck, Brüssel / Brügge 2008, 38–49. H. Wiesflecker, Maximilian I. (Anm. 23), Bd. 1, passim; J.-M. Cauchies, Philippe le Beau (Anm. 22), 8–14. Jean-Marie Cauchies, Antoine de Bourgogne, in: Les chevaliers (Anm. 26), 129–131 (Nr. 54).

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Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Herzoginnen von Burgund das Entstehen des burgundischen Staats nicht nur förderten, indem manche von ihnen als Erbtöchter die Länder ihrer Vorfahren in die Ehe einbrachten. Vielmehr bereicherten einige dieser Fürstinnen auch durch kulturelle und politische Traditionen ihrer Heimat den burgundischen Hof, seine Kultur und seine Politik – und diese Herzoginnen trugen durch ihre außenpolitischen Maßnahmen Entscheidendes dazu bei, dass dieses eigenartige politische Gebilde in so kurzer Zeit entstehen und in Gestalt der habsburgischen Niederlande Bestand haben konnte.

Kammerdame und diplomatische Akteurin: Die Princesse des Ursins am Hof Philipps V. von Spanien (1701–1714) Von Corina Bastian

»Der König von Spanien bittet mich um die Rückkehr der Princesse des Ursins nach Madrid, wo er die Anwesenheit dieser Dame zum guten Gelingen der Geschäfte für unerlässlich hält.«1 Mit diesen Worten erklärt der französische König Ludwig XIV. seinem Botschafter am 6. Januar 1705, warum er seine Meinung geändert habe und die Princesse des Ursins erneut in Madrid wünsche. Ein prägnantes Zitat zum Thema »Frauen in Außenbeziehungen« – und doch kein gutes, wenn es lediglich einen bemerkenswerten Fall verdeutlichen soll. Denn nach wie vor werden weibliche Akteure in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit als Ausnahmeerscheinungen angesehen, und so wird meist nach den »spezifisch weiblichen Handlungsmöglichkeiten« gesucht. Die Frage nach der »weiblichen Einflussnahme« impliziert dabei aber schon die Grundannahme, dass Macht und Einfluss im Normalfall von Männern ausgeübt wurden. »Männliche Einflussnahme« stellt demnach beinahe eine Tautologie und somit nur selten einen Forschungsgegenstand dar; Macht und Politik bleiben mit dem Attribut »männlich« verbunden. Dass diese Sichtweise ein Erbe der Aufklärung ist, die erst die scharfe Dichotomisierung der Kategorien weiblich/männlich und öffentlich/privat hervorgebracht hat, wurde bereits überzeugend dargestellt2. Simple binäre Schematisierungen lassen sich nicht aufrechterhalten, denn immer wieder kommen geschlechtergeschichtliche Studien zum Ergebnis, dass die Rollenverteilung vielschichtiger und komplexer ist, als dies die einfachen Gegensätze männlich/ weiblich suggerieren. Trotzdem scheint noch viel historische Forschung nötig, um die unterschwelligen Implikationen von Rollenbildern zu dekonstruieren. 1 [Le Roi d’Espagne] me fait prier [...] de lui accorder le retour de la princesse des Ursins à Madrid, où il regarde la présence de cette dame comme indispensable au bien des affaires. Ludwig XIV. an Gramont, 6.1.1705, zit. nach François Combes, La Princesse des Ursins. Essai sur sa vie et son caractère politique, Paris 1858, 192. 2 Z. B. Regina Becker-Schmitt, Trennung, Verknüpfung, Vermittlung. Zum feministischen Umgang mit Dichotomien, in: Kurskorrekturen. Feminismus zwischen Kritischer Theorie und Postmoderne, hrsg. v. Gudrun-Axeli Knapp, Frankfurt a. M. / New York 1998, 84–125; Andrea Griesebner / Christina Lutter (Hrsg.), Die Macht der Kategorien. Perspektiven historischer Geschlechterforschung (Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit, 2), Wien 2002.

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»Dazu dürften weitere Untersuchungen zu Rollenparadoxa ein besonders Erfolg versprechender Weg sein«, formuliert Martin Dinges3. Die Princesse des Ursins am Hof Philipps V. von Spanien kann als Beispiel für ein solches Rollenparadoxon gelten. In ihrer doppelten Rolle als Erste Kammerdame der spanischen Königin und Vertreterin des französischen Königs Ludwigs XIV. war sie zugleich hofinterne und hofferne politische Akteurin4. Als Frau blieb ihr das Amt des Botschafters zwar verschlossen, sie erhielt aber einen diplomatischen Auftrag, den sie in Zusammenarbeit mit dem Botschafter in Madrid ausübte. Doch handelt es sich nicht vielmehr um eine vermeintliche Paradoxie? Eine Paradoxie, die entsteht, weil der Kategorie »Geschlecht«5 eine Bedeutung zugemessen wird, die nicht der frühneuzeitlichen entspricht? Der folgende Beitrag möchte anhand eines konkreten Beispiels eine Annäherung an diese Fragestellung leisten. In einem ersten Schritt soll in Kürze auf den historischen Kontext eingegangen und sodann die Position der Princesse des Ursins am spanischen Hof sowie ihre Verbindungen zum französischen Hof in den Blick genommen werden. Ihre zentralen Handlungsräume können in die Bereiche Patronage, Zeremoniell und Beratung aufgeteilt werden. Zur Verdeutlichung sollen schlaglichtartig zwei Umbruchsmomente beleuchtet werden: zum einen ihre ersten Monate am Hof 1701, zum anderen das »Krisenjahr« 1709.

3 Martin Dinges, ›Weiblichkeit‹ in ›Männlichkeitsritualen‹. Zu weiblichen Taktiken im Ehrenhandel in Paris im 18. Jahrhundert, in: Francia 18 (1991), 71–98, 98. 4 Politik soll im Folgenden »als Handlungsraum, der stets mit dem Ganzen zu tun hat und in dem kollektiv verbindliche Entscheidungen getroffen werden« definiert werden: Barbara Stollberg-Rilinger, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hrsg. v. ders., Berlin 2005, 9–24, 13 f. 5 Die Kategorie »Geschlecht« soll im Folgenden als Werkzeug zur Entschlüsselung historischer Texte verstanden werden. »Geschlecht« ist demnach, wie es Joan W. Scott zusammengefasst hat, »a constitutive element of social relationship based on perceived differences between the sexes, and gender is a primary way of significant relationship of power« (Joan W. Scott, Gender. A Useful Category of Historical Analysis, in: The American Historical Review 91/5 [1986], 1053–1075). So verstanden ist »Geschlecht« eine Kategorie historischer Analyse neben Klasse, Alter, Nationalität, usw. Des Weiteren leistet die geschlechtergeschichtliche Methode einen Beitrag zur grundlegenden Kritik an der »historischen Meistererzählung«, an der nationalstaatlich determinierten Geschichtsnarration. Hier trifft sie sich mit der jüngeren Diplomatieforschung, die sich einer akteurzentrierten Perspektive verschrieben hat.

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In der Forschung wird die zentrale Stellung der Princesse des Ursins allgemein anerkannt6. Jedoch ist sie stets als Ausnahmeerscheinung ihres Geschlechts dargestellt worden, während die Frage unbeantwortet blieb, welche strukturellen Rahmenbedingungen die Vorraussetzung für ihre Einflussnahme bildeten. Im Folgenden interessiert der kulturwissenschaftliche Blick auf die Quellen, der die »Analyse der zu einem jeweiligen Zeitpunkt in einem sozialen Verband steckenden politischen Möglichkeiten (nicht: der politischen Wirklichkeit)«7 zum Ziel hat. Daher sind die leitenden Fragen auf der diskursiven Ebene anzusiedeln: Wie wurde die Einflussnahme der Princesse in den Quellen dargestellt? Was für ein Selbstverständnis hatte sie als politische Akteurin? In einem zweiten Schritt sollen zeitgenössische Normvorstellungen erläutert und mit der Fremd- und Selbstdarstellung der Princesse des Ursins in Beziehung gesetzt werden – ein scheinbar widersprüchliches Verhältnis, wie sich zeigen wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich schließlich die Frage nach dem Stellenwert der Kategorie »Geschlecht« für die Analyse frühneuzeitlicher Außenbeziehungen. Quellengrundlage bilden die diplomatischen Korrespondenzen zwischen Madrid und Versailles, die Instruktionen an die französischen Botschafter in Madrid sowie die Briefwechsel der Princesse des Ursins mit verschiedenen französischen und spanischen Ministern, militärischen Befehlshabern, Höflingen und Hofdamen.

I. Die Princesse des Ursins zwischen Versailles und Madrid Die Beziehungen zwischen dem französischen und dem spanischen Hof waren im Untersuchungszeitraum (1701–1714) von der prekären Situation in Madrid geprägt. Mit der Thronbesteigung Philipps von Anjou8, Enkel Ludwigs XIV., wurde in Spanien nach dem Tod des kinderlosen habsburgischen Königs Karl II. eine bourbonische Dynastie installiert. Parallel dazu erhob aber auch der Enkel des spanischen Königs Philipp IV., Erzherzog Karl, als Kandidat der österreichischen Habsburger Anspruch auf den spanischen Thron. Diese konkurrierenden Ansprüche wurden von 1701 bis 1714 im Spanischen 6 In Auswahl: Marianne Cermakian, La Princesse des Ursins. Sa vie et ses lettres, Paris 1969; Saint-René Taillandier, La princesse des Ursins. Une grande dame française à la cour d’Espagne sous Louis XIV, Paris 1926; Diane Ribardière, La princesse des Ursins. Dame de fer et de velours, Paris 1988; M. F. Combes, La Princesse (Anm. 1). 7 Karl Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse, in: Historische Zeitschrift 250 (1990), 321–346, 334. 8 Philipp V. von Spanien (1683–1746), Herzog von Anjou, Sohn des Dauphin Ludwig von Frankreich und Maria Anna von Bayern.

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Erbfolgekrieg ausgefochten. Auf der Ebene der europäischen Politik ging es um die Frage, ob sich eine bourbonische Suprematie würde etablieren können, oder aber ob sich das Gleichgewicht der Mächte durchsetzen ließe9. Neben dieser äußeren Bedrängnis in Form des Krieges stand der siebzehnjährige spanische König vor der innenpolitischen Herausforderung, sich gegen die habsburgfreundlichen Faktionen am Hof durchzusetzen und sich den Rückhalt seiner spanischen Untertanen zu sichern. Dazu war Philipp – finanziell, militärisch und politisch – auf die Unterstützung seines Großvaters Ludwig XIV. angewiesen. In der Anfangszeit seiner Regierung wurde er von diesem geführt und kontrolliert: Madrid muss dabei weniger als Verbündeter Versailles’ denn als eine Art Satellit angesehen werden10. Ludwig bediente sich dazu einer regelrechten französischen Equipe in Madrid, die neben dem formalen Botschafter verschiedene informell agierende Akteure umfasste – unter ihnen die Erste Kammerdame der spanischen Königin, Marie-Anne de la Trémoille, genannt Princesse des Ursins. Marie-Anne wurde im Jahr 1641 als Tochter von Ludwig II., Duc de Noirmoutier und Julie-Renée d’Aubéry, Marquise de Tilleport geboren. Sie heiratete zunächst Louis-Blaise de Talleyrand, Duc de Chalais. Nachdem ihr erster Ehemann infolge eines Duells zu Tode gekommen war, ging die nicht mehr ganz junge Witwe nach Rom, wo sie eine zweite Ehe mit Flavio I. Orsini, Principe di Taranto und Duca di Bracciano einging. Bereits zu dieser Zeit war sie für die französische Krone als Vermittlerin am päpstlichen Hof tätig. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns nahm sie den Titel der Prinzessin Orsini an, französisch Princesse des Ursins11. Im Jahr 1701 musste eine geeignete Gattin für den seit wenigen Monaten herrschenden Philipp V. gefunden werden. Die Princesse des Ursins nutzte ihre Korrespondenzen nach Versailles, Madrid und Turin, um ihre Ansichten ins Spiel zu bringen: Sie schlug die savoyardische Prinzessin Marie-Louise12 als spanische Königin vor13 und bot sich gleichzeitig an, die erst Dreizehnjährige auf ihrer Reise nach Madrid zu begleiten. Als Begleiterin hätte sie die 9 Zum Spanischen Erbfolgekrieg siehe insbes. Henry Kamen, The War of Succession in Spain. 1700–15, London 1969; Virginia León Sanz, Entre Austrias y Borbones. El Archiduque Carlos y la Monarchía de España, 1700–1715, Madrid 1993; John Lynch, Bourbon Spain. 1700–1808, Cambridge 1989. 10 Vgl. das Kap. »Ally or satellite of France?« in: J. Lynch, Bourbon Spain (Anm. 9), 46–53. 11 Zur Biographie der Princesse des Ursins: M. Cermakian, La Princesse (Anm. 6). 12 Maria-Luisa von Savoyen (1688–1714), Tochter Victor Amadeus’ II. von Savoyen und Anna-Marias von Orléans. 13 Ursins an die Maréchale de Noailles, o. O., 17.12.1700, in: Lettres inédites de la Princesse des Ursins, hrsg. v. Matthieu-Auguste Geffroy, Paris 1859, 84.

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besten Aussichten auf das einflussreiche Hofamt der camarera mayor14 der zukünftigen Königin. Madame des Ursins betonte insbesondere die Tatsache, dass sie eine »große Zahl von Freunden« in Spanien habe, Spanisch spräche und den Titel der Grande de España führe15. Auch ihr fortgeschrittenes Alter, durch das sie die nötige Erfahrung mitbrachte, und ihr weites Patronagenetzwerk, über das sie dank ihrer familiären Herkunft und den an verschiedenen europäischen Höfen verbrachten Lebensstationen zurückgreifen konnte, waren von Bedeutung. Als Witwe war sie rechtlich relativ unabhängig. Der Titel der Grande de España verschaffte ihr in Madrid das nötige Ansehen und ließ sie nicht als Fremde erscheinen; gleichzeitig garantierte aber ihre französische Herkunft eine gewisse Verbundenheit mit den Interessen Versailles’. In Versailles konnte sie vor allem auf die Patronage der Maréchale de Noailles16 zählen, eine Verwandte und enge Vertraute von Madame de Maintenon. Letztere hatte als morganatische Ehefrau des Königs den Zugang zu ihm weitgehend monopolisiert17. Der Plan ging auf: Am 16. April 1701 sprach sich Madame de Maintenon in einem Brief an den französischen Botschafter in Madrid für sie aus, vier Tage später verkündete der Staatssekretär 14 Die camarera mayor war rund um die Uhr an der Seite der Königin. Sie stand der gesamten Hofhaltung vor und war im Besitz der Schlüssel zu den königlichen Gemächern. Diese Kontrolle des Zugangs zur Königin kann auch im übertragenen Sinne gelten: Sie ernannte die Hofdamen und filterte die Patronageanfragen. Diese Aufgaben, sowie der ständige direkte Kontakt mit der Königin schaffen die besondere Intimität dieser Beziehung, was dem Amt auf symbolischer Ebene eine außergewöhnliche Würde verlieh. 15 […] et, comme il faut une dame titrée pour conduire cette jeune princesse, je vous supplie de m’offrir, Madame, avant que le Roi jette les yeux sur quelque autre. J’ose dire être plus propre que qui que ce soit pour cet emploi par le grand nombre d’amis que j‘ai en ce pays-là et par l’avantage que j’ai d’être grande d’Espagne, ce qui lèveroit les difficultés qu’une autre rencontreroit pour les traitements. Je parle, outre cela, éspagnol, et je suis sûre d’ailleurs que ce choix plairoit à toute la nation de laquelle je puis me vanter d’avoir toujours été aimée et estimée. Ursins an Maréchale de Noailles, Rom 17.12.1700, in: Lettres inédites (Anm. 13), 89. Vgl. auch Recueil des instructions donnés aux ambassadeurs et ministres de France depuis les Traités de Westphalie jusqu’à la Révolution Française, Bd. 7 (Espagne) / 2 (1701–1722), hrsg. v. Alfred Morel-Fatio / Henri Léonhardon, Paris 1898, 4–54, 19. 16 Marie-Françoise de Bournonville (1656–1748), Maréchale de Noailles. 17 Françoise d’Aubigné, Mme de Maintenon (1635–1719), ab 1683 morganatische Ehefrau Ludwigs XIV. Zum politischen Einfluss der Maintenon vgl. insbesondere Marc Bryant, Partner, Matriarch, and Minister. Mme de Maintenon of France, Clandestine Consort, 1680–1715, in: Queenship in Europe, 1660–1815. The Role of Consort, hrsg. v. Clarissa Campbell-Orr, Cambridge 2004, 77–106; ders., Françoise d’Aubigné, Marquise de Maintenon. Religion, Power and Politics – A Study in Circles of Influence during the Later Reign of Louis XIV. 1684–1715, unveröffentlichte Diss., University of London 2001.

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für auswärtige Angelegenheiten, dass Ludwig die Princesse zur königlichen Begleiterin bestimmt habe, im Juni schließlich erhielt Madame des Ursins einen Brief von Philipp V. mit ihrer Ernennung18. Die Gruppe der französischen Akteure um Philipp V. bestand zu diesem Zeitpunkt aus dem scheidenden Botschafter Harcourt, seinem Nachfolger Marsin, dem Interims-Botschafter Blécourt, dem Finanzexperten Orry sowie dem Erzieher des jungen Königs Louville19. Aus der Botschafterinstruktion des Jahres 1701 geht hervor, dass die Einflussnahme auf die Regierung Philipps V. Teil des französischen Programms war. Sie müsse jedoch äußerst subtil vonstatten gehen, damit sich der spanische Adel nicht in seinem Stolz verletzt fühle20. Man rechnete in Versailles schon zu diesem Zeitpunkt damit, dass der Einfluss der jungen Königin zukünftig ein wichtiger Faktor sein würde. Diesen Einfluss zu kontrollieren, war die Aufgabe der Princesse des Ursins, die zunächst als Begleiterin von Marie Louise, dann kraft ihres Amtes als camarera mayor nicht mehr von ihrer Seite wich21. Angeleitet wurde die Princesse in den Anfangsjahren vom französischen Staatssekretär für Auswärtiges, Colbert de Torcy22. Hatte jener sich einmal als ihr »Schüler« bezeichnet, so suchte nun sie seinen Rat23. Vorrangig war ihm zufolge, das vollständige Vertrauen der jungen Königin zu gewinnen, um so den französischen Einfluss gewährleisten zu können. Damit Madame des Ursins nach und nach zur einzigen Ratgeberin der Königin würde, sollte außerdem das gesamte Gefolge der savoyardischen Prinzessin zurück in den Piemont geschickt werden24. Gemeinsam mit dem Botschafter fiel Madame 18 Vgl. Ursins an Maréchale de Noailles, Rom 21.6.1701, in: Lettres inédites (Anm. 13), 107. 19 Henry d’Harcourt (1654–1718), erster Duc d’Harcourt; Ferdinand, Comte de Marsin (1656–1706), Maréchal de France; Jean-Denis, Marquis de Blécourt (1640–1719); Jean Orry (1652–1719); Charles Auguste d’Allonville de Louville (1664–1731). 20 Vgl. Recueil des instructions (Anm. 15), 4–6. 21 Comme le Roi d’Espagne est d’un caractère doux, il sera facile à la Reine sa femme d’acquérir un grand pouvoir sur son esprit. On ne peut rien savoir encore de celui de la princesse de Savoye: elle est dans un âge où les vues du gouvernement sont très éloignées; mais ce même âge reçoit aisément toute sorte d’impressions […]. Ces considérations méritoient l’attention du Roi dans le choix de la camarera mayor ou dame d’honneur […]. Sa Majesté a jugé qu’il ne pouvoit être mieux confié qu’à la princesse des Ursins. Recueil des instructions (Anm. 15), 18 f. Vgl. auch: MAE, MD Espagne 105, f. 150: Ludwig XIV. an Marcin, 14.11.1701. 22 Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Torcy (1665–1746). 23 […] Enfin, Monsieur, donnez-moi des conseils sur toutes choses. Vous vous piquiez autrefois d’être mon élève ; aujourd’hui je n’ose pas faire un pas sans vous. Ursins an Torcy, 3.4.1702, in: Madame des Ursins et la succession d’Espagne. Fragments de correspondances, hrsg. v. Louis de La Trémoille, 6 Bde., Nantes / Paris 1902–1907, Bd. 2, 28 f. 24 Vgl. z. B. MAE, MD Espagne 105, f. 42 f.: Ludwig XIV. an Marcin, o. O., 12.10.1701.

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des Ursins die diffizile Aufgabe zu, diese Maßnahme so durchzuführen, dass die junge Königin Marie-Louise nicht verstimmt würde, sondern ihrem neuen Ehemann gewogen bliebe25. Mit dem Argument der Traditionen des spanischen Hofes konnte tatsächlich die Zustimmung Marie-Louises zu diesem Vorhaben erlangt werden: Der Bericht des Botschafters und der Princesse entbehrt nicht eines gewissen Stolzes über den gemeinsamen Erfolg26 und kann in seiner Darstellung beispielhaft für weitere Situationen stehen. Denn eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den beiden war für Versailles von oberster Priorität. Beide bekamen regelmäßig Anweisungen, sich miteinander zu beraten und sich gegenseitig zu unterstützen27. Die beiden sollten ein gut funktionierendes Arbeitspaar28 bilden, weshalb sie in ihren Briefen nach Versailles häufig auf den anderen und ihr concert parfait verweisen. Teil des französischen Reformprogramms in Madrid stellte auch die Auflockerung der rigiden spanischen Etikette dar, wofür die Anfangszeit der neuen Regierung einen besonders günstigen Moment bot29. Von Seiten Versailles’ bediente man sich des Zeremoniells auch, um das Hofamt der Princesse ihrem Auftrag gemäß zu gestalten. Dies wird anhand zweier zeremonieller Änderungen deutlich. Madame des Ursins sollte während der Reise des Königspaars von Barcelona nach Madrid nicht wie für die camarera mayor üblich in einer separaten Kutsche Platz nehmen. Vielmehr wünsche Ludwig, »dass Ihr entgegen der Etikette mit dem König und der Königin in ihrer Kutsche fahren solltet, da nichts so wichtig ist, als Euch dort als Dritte zu platzieren«30, so Torcy an die Princesse. Die Bedeutung dieses Bildes kann nicht überschätzt werden: Der Bruch mit der traditionellen Etikette leitet den Beginn einer neuen Herrschaft in Madrid ein. Die Präsenz der französischen Kammerdame als Dritte neben dem Königspaar verweist einerseits auf die Intention Ludwigs XIV., in Gestalt der Princesse das Herrscherpaar »auf engstem Raum« zu führen und zu kontrollieren; andererseits manifestieren sich in der zeremoniellen Praxis 25 MAE, MD Espagne 105, f. 60: Ursins an Torcy, Marseille, 21.10.1701. Oder: MAE, MD Espagne 105, f. 87: Marcin an Torcy, Barcelona, 26.10.1701. 26 MAE, MD Espagne 105, f. 135: Ursins an Torcy, Barcelona, 12.11.1701. 27 Recueil des instructions (Anm. 15), 20. 28 In Anlehnung an Wunder, die den Begriff für das frühneuzeitliche fürstliche Ehepaar geprägt hat. Vgl. Heide Wunder, ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond.‹ Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, 215. 29 Recueil des instructions (Anm. 15), 10 f. 30 […] que malgré l’étiquette vous deviez aller avec le Roy et avec la Reine dans leur carosse, rien n’etoit plus important que de vous y mettre en tiers. MAE, MD Espagne 105, f. 145 f.: Torcy an Ursins, Fontainebleau, 13.11.1701.

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die spezifischen politischen Verhältnisse am spanischen Hof. Als »Triumvirat« charakterisiert John Lynch die Herrschaftszeit Philipps V. und bezieht sich dabei auf die Macht der Königin und ihrer Kammerdame31 – eine Einschätzung, die durch das Bild der »Kutschenfahrt zu dritt« gestützt wird. Torcy fährt fort: »Es gibt noch eine andere Gelegenheit, bei der Ihr die Regeln der Etikette brechen solltet: in den Audienzen, welche die Königin den auswärtigen Ministern gibt. […] Der König hält es für sehr wichtig […], dass Ihr immer in der Lage seid zu hören, was die auswärtigen Minister dieser Prinzessin sagen.«32 Falls es Kritik an diesem Vorgehen geben sollte, »so kann das wenig fortgeschrittene Alter der Königin einige Jahre als legitimer Vorwand für diese Änderung dienen33«, so Ludwig an seinen Botschafter. Damit erschloss sich der königlichen Kammerdame der Einfluss auf einen zentralen Bereich der Außenbeziehungen: die Audienzen auswärtiger Akteure bei der Königin34. Die Princesse konnte dadurch die Arbeit des französischen Botschafters ergänzen, der zu diesem Bereich keinen Zugang hatte. Er war hier selbst an das Zeremoniell gebunden und auf die camarera mayor angewiesen. Wollte er mit der Königin sprechen, musste die Princesse ihm eine Audienz verschaffen35. Gleich nach ihrer Ankunft im Jahr 1701 übernahm die Princesse auch Funktionen als Beraterin. Aus der Korrespondenz mit Torcy geht beispielsweise hervor, dass man bei der Zusammenstellung des Hofstaates der Königin auf ihr Urteil vertraute – üblicherweise eine Kompetenz des Königs. Als MarieLouise in Abwesenheit ihres Gatten die Regentschaft übernehmen musste,

31 J. Lynch, Bourbon Spain (Anm. 9), 46. 32 Il y a encore une autre occasion ou vous devez rompre la règle de l’étiquette: c’est dans les audiences que la Reine donnera aux ministres étrangers. […] le Roy croit […] qu’il est très important que vous soiez toujours en état d’entendre ce que le ministres étrangers pourraient dire à cette Psse. MAE, MD Espagne 105, f. 145 f.: Torcy an Ursins, Fontainebleau, 13.11.1701. 33 Si l’on dit que ce n’est pas la coutume en Espagne, l’âge peu avancé de la Reine peut servir quelques années de prétexte légitime à ce changement. MAE, MD Espagne 105, f. 145 f.: Torcy an Ursins, Fontainebleau, 13.11.1701. 34 […] le retour des femmes qu’il a renvoyeés en Piedmont avec tant der raison. Agissez en cela de concert avec la Princesse des Ursins et comme les conseils du Duc de Savoie sont fort à craindre, il faut empêcher que les Ministres de ce Prince ne parlent jamais à la Reine autrement que par audience. Il faudroit même que dans les audiences qu’elle donnera à tous les ministres étrangers, la Princesse des Ursins toujours auprès d’elle. Si l’on dit que ce n’est pas la coutume en Espagne, l’âge peut avancé de la Reine peut servir quelques années de prétexte légitime à ce changement. Service historique de la Défense, Vincennes, A1 1519, f. 150: Ludwig XIV. an Marcin, 14.11.1701. 35 MAE, MD Espagne 105, f. 165: Marcin an Ludwig XIV., Barcelona, 19.11.1701.

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war es die Princesse, die ihren rechtlichen Status definierte und für diese Zeit als ihre Ratgeberin fungierte36. Dass die Betätigungen der Princesse über ihr Hofamt als Kammerdame hinausgingen, war ihr selbst bewusst. Ein weiteres Beispiel aus der Korrespondenz mit Torcy zeigt, wie sie ihre Grenzen auslotete: Im November 1701 wollte eine Gruppe spanischer Höflinge verhindern, dass Philipp sich persönlich an die Spitze seiner Armee in Italien setzte. Es wurde argumentiert, dass seine Präsenz in Madrid außerordentlich wichtig sei für das Volk. Die Princesse berichtet, dass sie gemeinsam mit dem Botschafter versucht habe, den König in seinem Vorhaben zu bestärken. Dabei merkt sie fragend an: »[…] all dies überschreitet vielleicht meinen Auftrag, Monsieur«37. Doch der Staatssekretär nimmt ihr die Befürchtung, indem er ihr Ludwigs Anerkennung übermittelt und ihr versichert, dass der König ihrem Auftrag keineswegs die engen Grenzen setzen wolle, die sie ihm gäbe38 – jedoch ohne zu präzisieren, worin genau ihre »Mission« bestünde. Das zweite Schlaglicht soll auf das Jahr 1709 fallen, einen Zeitpunkt, zu dem die Princesse des Ursins bereits zu einer festen, unumgänglichen Größe am Hof von Madrid und in den Beziehungen zu Versailles geworden war. Dies wird insbesondere aus den Instruktionen für den neuen Botschafter ersichtlich, in denen sie allgegenwärtig ist. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hatte gezeigt, dass Philipp nicht allein regierte, sondern von seiner Gattin und damit ihrer Ersten Kammerdame geleitet wurde. Die Königin habe die »völlige Macht über seine Gedanken«39, so der Wortlaut der Instruktionen. Dieser Einfluss konnte und sollte auch gar nicht verringert, sondern für die Sache eingesetzt werden. Daher vertraue man weiterhin den »weisen Ratschlägen der Princesse« und ihrer Zusammenarbeit mit dem Botschafter40. Auch der despacho, das höchste

36 MAE, MD Espagne 107, f. 88: Ursins an Torcy, Barcelona, 15.3.1702. 37 […] tout ceci dépasse peut être ma commission, Monsieur. MAE, MD Espagne 105, f. 203: Ursins an Torcy, Barcelona, 28.11.1701. 38 Le Roi voit avec plaisir l’empressement du Roi son petit-fils sur ce voyage et si quelque chôse est capable d’augmenter l’envie qu’il a de la faire je suis persuadé qu’il vous connaît présentement assez pour être excité par les conseils que vous lui donnez sur ce sujet. Vous voyez, Madame, qu’on ne veut point réduire vôtre commission dans les bornes étroits que vous voulez y mettre. MAE, MD Espagne 105, f. 312: Torcy an Ursins, Versailles, 25.12.1701. 39 […] le pouvoir entier de la Reine sur son esprit. Recueil des instructions (Anm. 15), 141. 40 L’intention du Roi n’est point de le diminuer, mais de faire en sorte que cet ascendant de la Reine sur l’esprit du Roi Catholique soit employé à lui faire prendre de bons partis, et c’est ce que Sa Majesté attend des sages conseils que la princesse des Ursins lui donnera de concert avec le sieur Amelot. Recueil des instructions (Anm. 15), 141.

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Ratsgremium am Hof41, sollte nach einem von der Princesse verfassten mémoire neu zusammengestellt werden. Der Botschafter selbst wurde angehalten, sich nach ihr zu richten und ihr keinen Grund zur Eifersucht und Verstimmung zu geben42. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Madame des Ursins war fünf Jahre zuvor wegen einer Indiskretion des spanischen Hofes verwiesen worden und hatte sich in der Folge vor Ludwig XIV. und Madame de Maintenon rechtfertigen dürfen. Nur wenige Monate später war sie gestärkt und mit dem Botschafter ihrer Wahl nach Madrid zurückgekehrt43; außerdem hatte sie einen Briefwechsel mit Madame de Maintenon aufgenommen. War dieser commerce ursprünglich wohl zu einer verstärkten Kontrolle ihrer Aktivitäten gedacht gewesen, so ermöglichte er nun der Princesse selbst einen noch direkteren Zugang zum französischen König. Die Korrespondenz der beiden Frauen stellte zudem einen weiteren Informationskanal zwischen Versailles und Madrid dar und wurde zur Diskussion militärischer und politischer Belange genutzt44. Zusätzlich korrespondierte die Princesse mit französischen Staatsministern und anderen am Hof einflussreichen Personen45. Die Zusammenarbeit zwischen Kammerdame und Botschafter hatte nicht immer gut funktioniert, fünf Botschafter hatte sie bereits »überlebt«. Es war also die Princesse des Ursins, welche die Kontinuität der französischen Einflussnahme in Madrid garantierte. Dies wurde schließlich insbesondere im Jahr 1709 deutlich, als sich die militärische Lage so drastisch verschlechterte, dass Ludwig XIV. sich gezwungen sah, Friedensverhandlungen mit der Allianz um die österreichischen Habsburger und England aufzunehmen. Diese forderten eine vollständige Trennung der Interessen Frankreichs und Spaniens, und so musste Ludwig seinen Botschafter aus Madrid abziehen und durch einen einfachen Gesandten ersetzen. Die Princesse dagegen, die formal nicht als Vertreterin des französischen Königs fungierte, sondern ein spanisches Hofamt bekleidete, konnte er 41 Vgl. Marie-Françoise Marquart, L’Espagne de Charles II et la France. 1665–1700, Toulouse 2002, 173. 42 […] de ne pas donner de sujet de jalousie et d’ombrage à la princesse des Ursins. Recueil des instructions (Anm. 15), 150 f. 43 Vgl. M. Cermakian, La Princesse (Anm. 6), 338. 44 Der zehn Jahre umfassende Briefwechsel ist in der British Library in London (Add. 20918-20920) erhalten. Ediert wurde das Jahr 1709: Correspondance de Mme de Maintenon et la Princesse des Ursins. 1709 – une année tragique, hrsg. v. Marcel Loyau, Paris 2002. 45 Beispielsweise mit dem Maréchal de Tessé, Michel Chamillart, dem Maréchal de Villeroy, dem Maréchal de Noailles, dem Maréchal de Villars und dem Maréchal de Berwick.

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in Madrid belassen46. Ihr kam damit gewissermaßen eine »Jokerfunktion« zu, die ihrer ambivalenten Stellung zwischen Kammerdame der Königin und Vertreterin Ludwigs geschuldet war. Ihre Doppelrolle war somit die Grundlage ihrer Machtposition: Ihr formales Amt als Kammerdame im Haushalt der Königin ermöglichte ihr einen exklusiven Zugang zum spanischen Königspaar, dessen Vertrauen sie gewonnen hatte, wodurch sie wiederum als Agentin für den französischen König unverzichtbar wurde. Als »informelles Pendant« des Botschafters war sie der zuverlässigere Part der beiden. Hier wird erneut deutlich, dass eine scharfe Dichotomisierung von »informell« und »formal« zur Erklärung politischer Einflussnahme in der Frühen Neuzeit nicht ausreichend, ja sogar hinderlich ist47. Die Einflussnahme der Princesse des Ursins kann mit keinem der beiden Begriffe erschöpfend beschrieben werden.

II. Weibliche Diplomatie Wie können diese Ergebnisse nun aber mit den zeitgenössischen Norm- und Ordnungsvorstellungen in Einklang gebracht werden? Für die vormodernen Denker waren Frauen generell das schwache Geschlecht, das der Kontrolle und Anleitung durch den überlegenen Mann bedurfte und insofern keinesfalls selbst Gewalt ausüben sollte48. Der Staatstheoretiker Jean Bodin begründete in seinen Six livres de la République von 1576 die Geschlechterhierarchie mit der natürlichen, gottgegebenen Ordnung49. Justus Lipsius gibt in seiner »Politik« von 1589 ebenfalls den Männern der Vorrang zur Herrschaft, lediglich die »vermännlichte« Frau sei zur Herrschaftsausübung fähig50 – auch dies war ein verbreitetes Motiv. Im Mundus bavaro-christiano-politicus von 1711 werden Frauen als zur positiven Ausübung von Herrschaft unfähig dargestellt, wobei 46 Vgl. insbes. die Korrespondenz zwischen Ursins und Maintenon im September 1709, BL Add. 20919. 47 Vgl. Ulla Wischermann, Feministische Theorien zur Trennung von privat und öffentlich – Ein Blick zurück und nach vorn, in: Feministische Studien 1 (2003), 23–34, bes. 32. 48 Claudia Opitz, Weibliche Herrschaft und Geschlechterkonflikte in der Politik des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Frieden und Krieg in der FNZ. Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden: Religion – Geschlechter – Natur und Kultur, hrsg. v. Klaus Garber / Jutta Held, München 2001, 507–520. 49 Vgl. Claudia Opitz, Das Universum des Jean Bodin, Frankfurt a. M. 2006, z. B. 42. 50 Justus Lipsius, Politicorum Sive Civilis Doctrinae Libri Sex, Leiden 1589; dt.: Von Unterweisung zum Weltlichen Regiment Oder von Burgerlicher Lehr. Sechs Bücher, Amberg 1599.

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in der üblichen Manier negative Beispiele generalisiert, positive dagegen als Ausnahmeerscheinungen gedeutet werden51. Konsultiert man die normativen Schriften zur Botschaftertätigkeit, so gelangt man zu ähnlichen Ergebnissen: In den Traktaten von Abraham van Wicquefort, François de Callières oder Rousseau de Chamoy tauchen politisch fähige Frauen entweder als Ausnahmeerscheinungen und »Ersatz« für die Männer auf oder werden dem Mann nachgeordnet als ambassadrice, also als Gattin des Botschafters52. Carl Friedrich von Moser behandelt in seinem Traktat L’ambassadrice et ses droits53 die Rolle und Aufgaben derselben ebenfalls nachgeordnet als jene der Ehefrau des Botschafters – Einfluss auf die politischen Angelegenheiten, die affaires, sollte sie nicht nehmen. Diese Schriften können vor dem Hintergrund der seit Mitte des 16. Jahrhundert geführten querelle des femmes, in der das Verhältnis der Geschlechter thematisiert wurde, gelesen werden. Der »Streit um die Geschlechter« war in der von Ungleichheiten strukturierten frühneuzeitlichen Gesellschaft allgegenwärtig, eingebettet in eine soziale Praxis und somit in von Interessen geleitetes Handeln. Daher muss die Ausrichtung dieser Texte als »Barometer sozialer Spannungen und Konflikte«54 verstanden werden. Grundsätzlich dominierten jedoch die Schriften, die sich ablehnend zur politischen Machtausübung von Frauen äußerten55. 51 Mundus christiano-bavaro-politicus, wahrscheinl. um 1711. Als Autor wird meist Franz Kaspar Schmidt angenommen. Zur Analyse des »Mundus« und der »Politik« vgl. die unveröffentlichte Zulassungsarbeit von Veronika Hain, Das Frauenbild am frühneuzeitlichen Hof. Soziale und rechtliche Stellung, Aufgaben und Handlungsspielräume der Frau nach dem Mundus christiano-bavaro-politicus, Eichstätt 2009. 52 Vgl. Abraham van Wicquefort, L’ambassadeur et ses fonctions. 2 Bde., Den Haag 1681; Louis Rousseau de Chamoy, L’idée du parfait ambassadeur (1697), hrsg. v. Louis Delavaud, Paris 1912; François de Callières, De la manière de negocier avec les souverains, Paris 1716. 53 Carl Friedrich von Moser, L’ambassadrice et ses droits, o. O. 1754. 54 Claudia Opitz, Streit um die Frauen? Die frühneuzeitliche ›Querelle des femmes‹ aus sozial- und frauengeschichtlicher Sicht, in: Historische Mitteilungen 8 (1995), 15–27, 27. 55 Befürworter waren z. B.: Agrippa von Nettesheim, De nobilitate et praecellentia foeminei sexus. Vom Adel und Vorrang des weiblichen Geschlechts, hrsg. v. Otto Schönberger, Würzburg 1997; Christine de Pizan, Le livre de la cité des dames, hrsg. v. Éric Hicks, Paris 1986; Irmgard Hierdeis, ›Die Gleichheit der Geschlechter‹ und ›Die Erziehung der Frauen‹ bei Poullain de la Barre (1647–1723), Frankfurt a. M. u. a. 1993. Vgl. hierzu Claudia Opitz, Staatsräson kennt kein Geschlecht. Zur Debatte um die weibliche Regierungsgewalt im 16. Jahrhundert und ihrer Bedeutung für die Konzipierung frühneuzeitlicher Staatlichkeit, in: Indifferenz gegenüber Differenzen (Feministische Studien 2 [2005]), 228–241.

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Auf den ersten Blick scheinen sich somit im Fall der Ursins Norm und Praxis zu widersprechen. Wenn dies der Fall ist – wird in den Quellen ein Normenbruch thematisiert? In den Botschafterinstruktionen und der Botschafterkorrespondenz wird – wie deutlich wurde – der Einfluss der Princesse wie selbstverständlich benannt und genutzt. Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, wird nicht thematisiert56. Dies weist darauf hin, dass ihr Geschlecht in diesem Kontext nicht von Bedeutung war: Ludwig XIV. bediente sich ihrer als einer einflussreichen Vertrauensperson des Königspaars, die eben über jene Möglichkeiten verfügte, die auch einem Günstlingsminister oder einem Favoriten – ganz gleich ob männlich oder weiblich – zugeschrieben wurden57. Das Bewusstsein einer Geschlechternorm lässt sich aber an anderen Stellen greifen, insbesondere in zwei Zusammenhängen. Zum Ersten kann die Memoirenliteratur herangezogen werden. So rekurriert beispielsweise SaintSimon auf eine Norm, wenn er etwa 30 Jahre später das »Weiberregiment« der Madame de Maintenon und der Princesse des Ursins beschreibt. Er macht die Allmacht der beiden Frauen und ihren »geheimen und intimen Bund, um Spanien zu regieren«58 für die Ohnmacht der Minister und der beiden Könige verantwortlich. Dazu zieht er das gesamte Register der mit dem monstrous regiment of women59 verknüpften Topoi: eine Herrschaft, die durch persönliche Machtgier motiviert, mittels Intrigen durchgesetzt, von Unkenntnis und Unbeständigkeit geprägt und somit unkontrollierbar ist. Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen, seiner Verstrickungen in den verschiedenen Hoffaktionen und der daraus resultierenden Frustration, nimmt der Autor die Frauen als Projektionsfläche für Kritik am König – und instrumentalisiert damit die Kategorie »Geschlecht«. Zum Zweiten lässt sich das Bewusstsein einer Norm auch in der Selbstdarstellung der beiden Frauen erkennen. Bezug auf ihr Geschlecht nehmen sie in der Korrespondenz dann, wenn sie durch gewisse Formulierungen versuchen, 56 Die feministische Forschung spricht in einem solchen Fall von de-gendering. Vgl. C. Opitz, Staatsräson (Anm. 55), 237. 57 Vgl. etwa Ronald G. Asch, ›Lumine solis‹. Der Favorit und die politische Kultur des Hofes in Westeuropa, in: Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Michael Kaiser / Andreas Pečar, Berlin 2003, 21–38. 58 Louis de Rouvroy de Saint-Simon, Mémoires complets et authentiques sur le siècle de Louis XIV et la Régence, 20 Bde., Paris 1829, Bd. 4 (1703), 58–168, 62. Sicherlich wäre noch genauer zu untersuchen, inwiefern sich der zeitliche Abstand auf die Bezugnahme des Autors auf Normenvorstellungen auswirkte. 59 Vgl. hierzu Sharon L. Jansen, The Monstrous Regiment of Women. Female Rulers in Early Modern Europe, New York 2002.

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die eigene Bedeutung herabzuspielen. Sie verweisen auf die eigene »weibliche« Schwäche, auf ihre Bedeutungslosigkeit, ihr mangelndes Verständnis und ihre Uninformiertheit – um Kritik abzuwehren. So schließt die Princesse des Ursins nach einer langen Erläuterung zu militärischen oder politischen Fragen mit den Worten, dass sie als Frau dies ja eigentlich gar nicht beurteilen könne und verweist auf den Botschafter und den König, die dasselbe dächten wie sie60. An anderer Stelle schwächt sie eine mögliche Kompetenzüberschreitung mit den Worten ab: »Ich spreche als Frau« (je parle en femme)61. Bei Madame de Maintenon sind es häufig Momente, in denen sie ihren Einfluss nicht nutzen kann oder will. Sie habe sich als Frau nicht in solche Angelegenheiten einzumischen, verkündet sie dann62. Häufig handelt es sich dabei um Rückzugsstrategien, um Kritik abzuweisen und sich der Verantwortung zu entziehen. An anderer Stelle schreibt sie, dass sie es nicht wage, den Brief der Princesse zu zeigen, da »man es hier nicht schätzt, wenn Frauen über Politik sprechen« 63. Mit solchen Formulierungen will Madame de Maintenon der Princesse Grenzen setzen. Die Princesse dagegen äußert sich in diesem Fall verärgert über die bestehende Geschlechterordnung. Ihr zufolge besteht das Unglück darin, dass gewisse Frauen mehr Ehre hätten als die Männer und dass deren Fehler die Frauen zu den Märtyrern dieser Welt machten64. Wenn dagegen der Botschafter oder andere männliche Akteure die Princesse des Ursins kritisieren, geschieht dies aus konkreten Situationen heraus, beispielsweise weil sie ihnen den Zugang zum König verwehrte oder Entscheidungen traf, die nicht zu ihrem Aufgabenbereich als camarera mayor gehörten65. Es handelt sich in diesen Fällen um Kompetenzüberschreitungen, nicht aber um geschlechterspezifische Grenzübertretungen. Die Topoi, mit denen die Herrschaft von Frauen üblicherweise kritisiert wurde und die uns in der Memoirenliteratur begegnen, tauchen in diesen Korrespondenzen nicht auf. 60 BL, Add. 20918, f. 58: Ursins an Torcy, Madrid 6.11.1705. 61 Z. B. BL, Add. 20918, f. 60: Ursins an Torcy, Madrid 6.11.1705. 62 BL, Add. 20918, f. 141: Maintenon an Ursins, Versailles, 27.10.1709, Saint-Cyr, 10.10.1706. 63 Je n’oserais montrer votre lettre, on n’aime pas ici que les dames parlent d’affaires. BL, Add. 20919, f. 546: Maintenon an Ursins, Saint-Cyr, 25.11.1709. 64 Tant mieux si on n’aime pas en France que les femmes parlent d’affaires, nous aurons bien des choses à reprocher aux hommes, puisque nous n’y aurons point eu de part. Le mal est que certaines femmes ont plus d’honneur qu’eux, et que leurs fautes nous rendent martyres de ce monde. [...] Ne serait-ce pas cela la cause de tous nos malheurs? Passez-moi s’il vous plaît cette mauvaise plaisanterie. BL, Add. 20919, f. 571: Ursins an Maintenon, Madrid, 16.12.1709. 65 Vgl. z. B. MAE, MD Espagne 107, f. 231: Blecourt an Torcy, Madrid, 15.4.1702.

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Interessiert man sich für den konkreten Handlungsspielraum weiblicher Akteure, so ist zu fragen, in welchen Kontexten welche Kategorien relevant waren und wie sich »Geschlecht« zu anderen Identitäts- und Differenzkategorien verhielt. »Um die Geschlechterdimension in die politische Geschichte hineinzutragen, reicht es nicht, die Wirksamkeit historischer Akteurinnen zu messen (soweit diese sich überhaupt messen lässt). Vielmehr müssen die Kontexte ihrer Wirkungsmöglichkeiten, aber vor allem auch die wissenschaftlichen und politischen Konzepte, aufgrund derer sie tätig wurden, auf ihre Geschlechterdimension hin befragt werden«66, so Claudia Opitz.

III. Höfische Diplomatie Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Princesse des Ursins ergänzte durch ihre Doppelrolle geschickt den Wirkungsbereich Ludwigs XIV. Ihr Handlungsspielraum war flexibel, aber nicht willkürlich oder unbegrenzt. Ihre diplomatischen Befugnisse waren zwar nicht formalisiert, wohl aber organisiert, denn von Versailles erhielt sie explizite Anweisungen, diplomatisch tätig zu werden. Dabei erscheint sie in den Briefen in erster Linie als politischer Akteur, dessen Geschlecht nicht thematisiert wird67. Dass sie geschlechtsspezifische Grenzen überschritt, war dabei aber allen Beteiligten bewusst: Die Darstellung der Frauen in den Memoiren und die Rhetorik der Selbstbeschränkung in ihren eigenen Briefen zeigen dies. In den diplomatischen Korrespondenzen und den Botschafterinstruktionen wird ein Bruch mit der Norm jedoch an keiner Stelle thematisiert. Dieses Paradoxon mit Pragmatik zu erklären, ist wenig überzeugend. Vielmehr zeigt sich an dem Beispiel der Princesse des Ursins, dass Analysekategorien flexibel verwendet werden müssen, um ein Phänomen zu erklären, das meines Erachtens ein strukturelles ist: die Einbindung weiblicher Akteure in vermeintlich männlich dominierte Betätigungsfelder wie die Diplomatie. Diese Einbindung zeichnet sich durch einen flexiblen Umgang mit Referenzsystemen aus, der es ermöglicht, auf vielfache Art und Weise Zugänge zu Macht und Einfluss zu nutzen. Der Princesse eröffneten sich – einerseits 66 C. Opitz, Staatsräson (Anm. 55), 228 f. 67 Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt Eva Kathrin Pollmann, Die Marquise de Pompadour. Ein weiblicher Günstling am Hof Ludwigs XV., in: Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, hrsg. v. Arne Karsten / Hillard von Thiessen, Göttingen 2006, 88–113, 111.

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aufgrund ihres Geschlechts, andererseits unabhängig von ihrem Geschlecht – verschiedene Handlungsoptionen. Als camarera mayor hatte sie ein Hofamt inne, das nur von einer Frau bekleidet werden konnte. Dadurch verfügte sie über Zugang zur Intimität der königlichen Gemächer und genoss das vollständige Vertrauen des Königspaars, das ihrem Rat folgte. Ihre Korrespondenzen mit verschiedenen Ministern, Madame de Maintenon und Ludwig XIV. stellten die Bühne dar, auf der sie als diplomatische Akteurin auftreten konnte; für den französischen Botschafter war sie eine wichtige Beraterin und politische Partnerin. Damit zeigt sich erneut, dass der Faktor »Geschlecht« in der Frühen Neuzeit nicht die gleiche gesellschaftsstrukturierende Wirkung hatte wie im 19. Jahrhundert68 und weniger eine Frage ideologischer Abstraktion denn gesellschaftlicher Performanz war. Um Handlungsspielräume frühneuzeitlicher Akteure zu beschreiben, hat sich das von Michaela Hohkamp vorgeschlagene Konzept des Kaleidoskops als besonders fruchtbar erwiesen: Ihr zufolge können die verschiedenen relevanten Analysekategorien in einem Kaleidoskop angeordnet begriffen werden. In der Beschreibung einer konkreten historischen Situation können dann eine oder mehrere Kategorien als primär ausschlaggebend hervortreten, während andere in den Hintergrund rücken, ohne dabei völlig zu verschwinden69. Die Princesse des Ursins konnte nur als Frau camarera mayor werden, doch ausschlaggebend für die Ausgestaltung und die Fülle ihres Handlungsspielraumes waren in erster Linie andere Faktoren: ihr Status als grande de España, ihre Lebenserfahrung und ihre Kenntnisse des spanischen Hofs, ihre Einbindung in Netzwerke, ihre »Nähe zum Herrscher« sowie die Nicht-Formalität ihrer diplomatischen Mission. In diesem Licht erscheinen die Handlungsoptionen der Princesse des Ursins nicht als »Ausnahmeerscheinung«, sondern sollten als in einen höfischen Kontext eingebettet verstanden werden.

68 Vgl. insbes. H. Wunder, Er ist die Sonn’ (Anm. 28), 265. 69 Michaela Hohkamp, Im Gestrüpp der Kategorien. Zum Gebrauch von ›Geschlecht‹ in der Frühen Neuzeit, in: Die Macht der Kategorien (Anm. 2), 6–17, 7.

Die königliche Mätresse als Diplomatin: Madame de Pompadour im Dienst der französischen Krone Von Eva Kathrin Dade

Friedrich II. wäre 1757 bereit gewesen, der Marquise de Pompadour die Herrschaft über das Fürstentum Neuchâtel zu übertragen – unter der einzigen Bedingung, dass die königliche Mätresse sich beim französischen König Ludwig XV. für die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Preußen einsetzen solle1. Der Plan schlug fehl, eine entsprechende Vereinbarung kam nie zustande. Überraschen konnte dies den preußischen König indes nicht: Bereits vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges hatte er hinnehmen müssen, dass es seinen Diplomaten in Versailles nicht gelang, enge Kontakte zur königlichen maîtresse en titre aufzubauen, die am Hof als ausgesprochen machtvoll und einflussreich galt. Die Marquise de Pompadour, geborene Jeanne-Antoinette Poisson, entstammte einer wohlhabenden Familie aus dem Kreis der Pariser Financiers und Generalsteuerpächter und hatte einflussreiche Gönner mit guten Verbindungen zum Hof, die dafür sorgten, dass sie im September 1745 als Mätresse Ludwigs XV. in Versailles eingeführt wurde2. Die folgenden neunzehn Jahre lang, bis zu ihrem Tod im April 1764, stand Madame de Pompadour dem französischen König so nah wie niemand sonst. Sie nahm Einfluss auf die Auswahl von Staatssekretären, Ministern und Militärs und die Verteilung von Gunsterweisen jeglicher Art. Weil sie über alle laufenden Angelegenheiten der Krone informiert war, war der Kontakt zu ihr vor allem für die auswärtigen Diplomaten am Versailler Hof von erheblichem Wert: Gespräche mit ihr konnten die Unterredungen mit dem Außenminister ergänzen und lieferten den Auswärtigen in vielen Fällen Informationen, die auf anderem Wege nicht zu erhalten waren. Ludwig XV., der selbst nur in eingeschränktem Maße Kontakt zu den Hoffremden pflegte, sorgte dafür, dass der Mätresse alle auswär1 Die Episode um das Fürstentum Neuchâtel, das seit 1707 der preußischen Krone unterstand, beschreibt Armand du Pasquier, La marquise de Pompadour et Neuchâtel, in: Musée neuchâtelois 4 (1917), 7–24. Die entsprechenden Briefwechsel Friedrichs II. mit seinen Agenten finden sich in der Politischen Correspondenz Friedrichs des Grossen, 46 Bde., Berlin / Leipzig / Oldenburg 1879–1939, Bd. 15. – Dieser Beitrag stellt Ergebnisse aus der Dissertation der Verfasserin vor: Eva Kathrin Dade, Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie, Köln / Weimar / Wien 2010. 2 Zu biographischen Angaben siehe Évelyne Lever, Madame de Pompadour, Paris 2003.

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tigen Diplomaten an seinem Hof bekannt waren3. Infolge einer königlichen Anordnung geleitete der introducteur des ambassadeurs die Gesandten nach ihrer ersten offiziellen Einführung bei Hofe nicht nur zu den Mitgliedern der königlichen Familie, sondern auch zur Mätresse4. Einmal wöchentlich wohnten die Diplomaten im Folgenden auch der Schmink- und Ankleidezeremonie Madame de Pompadours bei. Bei dieser so genannten toilette herrschte stets ein dichtes Gedränge, und es ergab sich für die Anwesenden in der Regel keine Möglichkeit zu ausführlichen Unterhaltungen mit Madame de Pompadour5. Dazu musste man sie in ihren Räumlichkeiten aufsuchen, wozu indes nur wenige auswärtige Diplomaten befugt waren. Die preußischen Gesandten zählten nicht dazu. Sie waren zunächst davon überzeugt gewesen, dass Madame de Pompadour keinerlei Einfluss auf die auswärtigen Angelegenheiten nehmen könne und dass aus ihrer Bekanntschaft keinerlei Nutzen zu ziehen sei, wie der preußische Gesandte Baron de Chambrier Friedrich II. auf dessen Nachfrage entgegnete6. Dieses Urteil musste er revidieren, nachdem ihm 1751 zu Ohren gekommen war, dass Madame de Pompadour den Arbeitstreffen des Königs mit seinem Außenminister Puisieulx beiwohne7. Folgerichtig erhielten er und seine Nachfolger von Seiten Friedrichs II. in den kommenden Jahren 3 Von verschiedenster Seite finden sich Klagen von Botschaftern über das unzugängliche Wesen des Königs und seine mangelnde Bereitschaft, mit ihnen zu sprechen. Siehe GStAPK, I. HA Rep. 96, Nr. 25 K, f. 195 f.: Keith an Friedrich II., Paris, 18.11.1752. 4 Siehe Journal et mémoires du marquis d’Argenson, hrsg. v. Edmé Jacques Benoît Rathery, 9 Bde., Paris 1859–1867, hier Bd. 9, 145 (5.12.1755): Le roi veut que les ambassadeurs lui (i. e. Madame de Pompadour) aillent rendre visite les mardis, comme à la reine; l’introducteur des ambassadeurs les mène à sa toilette. 5 Siehe die entsprechenden Bemerkungen in: HHStA, Frankreich, Berichte 103, f. 40– 45  r: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 17.3.1758. Zur Atmosphäre bei der toilette der Madame de Pompadour siehe auch Anton Wenzel von Kaunitz-Rietberg, Mémoire sur la cour de France, in: La revue de Paris 11/13 (1904), 441–454 und 827–847, vor allem 449. 6 Vgl. GStAPK, I. HA, Rep. 96, Nr. 24 G, f. 182: Chambrier an Friedrich II., Paris, 11.1.1751: La Marquise de Pompadour est toute puissante pour […] tout ce qui regarde l’intérieur du Royaume. Elle n’a aucune influence dans les affaires politiques que celle de placer un Ministre dans les Cours étrangères […]; mais pour ce qui regarde les négociations que les puissances étrangères peuvent faire avec la France, la Marquise de Pompadour ne s’en mêle pas. Elle n’aime point ces sortes d’affaires; elle ne les entend pas. […] [C]ette femme n’a pas l’esprit qu’il faut pour ces sortes de choses et qu’elle ne les entend pas. 7 Siehe GStAPK, I. HA, Rep. 96, Nr. 24 G, f. 185 f.: Chambrier an Friedrich II., Paris, 15.3.1751 (siehe auch Politische Correspondenz [Anm. 1], Bd. 8, Nr. 4861, 313 f.): Ce que j’ai donc appris tout récemment, est que le marquis de Puisieulx a commencé de travailler avec le roi de France en présence de la marquise de Pompadour, en suite de la représentation qu’il a faite à ce Prince – après s’être concerté apparemment avec cette maîtresse – qu’il était du bien de son service qu’elle fût présente au travail qu’il aurait l’honneur de faire avec lui.

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wiederholte Male die Aufforderung, sie sollten den Kontakt zu Madame de Pompadour suchen. Mehrfach ließ der preußische König auch seine Bereitschaft erkennen, Madame de Pompadour Geschenke und Geld zukommen zu lassen, damit sie in seinem Sinne auf den König einwirke8. Von Bestechungsversuchen dieser Art konnten ihn seine diplomatischen Vertreter abbringen: Madame de Pompadour, so war ihre Einschätzung, nehme gern Präsente entgegen, allerdings erhalte sie derart viele, dass sich daraus nicht zwangsläufig Verpflichtungen für sie ergäben9. Nach seiner Unterzeichnung der Westminster-Konvention mit Großbritannien im Januar 1756, mit der er den französischen Hof gegen sich aufgebracht hatte, hoffte Friedrich II. dennoch, dass eine Audienz seines Vertreters bei Madame de Pompadour die aufgebrachten Gemüter in Versailles beruhigen könne. Einige Wochen, nachdem der preußische Gesandte Baron von Knyphausen über einen Vertrauten der Marquise um ein Gespräch mit ihr gebeten hatte, erhielt er jedoch einen negativen Bescheid10. Dieser wie auch der eingangs erwähnte Versuch, sich der Dienste der Marquise de Pompadour zu versichern und sich mit ihrer Hilfe politische Vorteile zu verschaffen, scheiterte. Die Mätresse verhielt sich den Vertretern Preußens gegenüber demonstrativ zurückhaltend – im Verhältnis zwischen der preußischen und der französischen Krone spielte die Mätresse Ludwigs XV. dementsprechend keine entscheidende Rolle11. Erfolgreicher als die preußischen waren in dieser Hinsicht die habsburgischen Diplomaten. Anhand ihrer Beziehungen zu Madame de Pompadour sollen im Folgenden die Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten der Mätresse in den Außenbeziehungen dargestellt werden. Welche Position kam ihr zwischen Monarch, Ministern und Botschaftern zu, und welcher Art waren ihre Funktionen innerhalb der höfischen Kommunikationsstrukturen? Als Ausgangspunkt zur Klärung dieser Fragen dienen die Ereignisse um das renversement des alliances, den europäischen Bündniswechsel, der die französi8 Siehe GStAPK, I. HA, Rep. 96, Nr. 25 K, f. 215: Friedrich II. an Keith, Potsdam, 28.11.1752. (Siehe auch Politische Correspondenz [Anm. 1], Bd. 9, Nr. 5685, 275.) 9 Siehe GStAPK, I. HA Rep. 96, Nr. 25 K, f. 246 f., Keith an Friedrich II., Paris, 18.12.1752 (Siehe auch Politische Correspondenz [Anm. 1], Bd. 9, Nr. 5717, 297 f.) 10 Siehe den entsprechenden Briefwechsel zwischen Friedrich II. und seinem Gesandten, Baron von Knyphausen, in: GStAPK, I. HA, Rep. 96, Nr. 26 D. Von der endgültigen Absage der Marquise de Pompadour berichtet Knyphausen in einem Schreiben an Friedrich II. vom 15.3.1756 (ebd.). 11 Siehe zum ambivalenten Verhältnis Friedrichs II. zur Marquise de Pompadour Gerhard Knoll, Friedrich II. König von Preußen. Totengespräch zwischen Madame de Pompadour und der Jungfrau Maria, 2. Aufl., Berlin 2000, 35 ff.

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sche und die habsburgische Krone 1756 zu Partnern machte und der ohne die Mithilfe Madame de Pompadours nicht zustande gekommen wäre.

I. Die Mätresse Ludwigs XV. und die kaiserlichen Diplomaten Die Mission des kaiserlichen Botschafters Wenzel Anton Graf von Kaunitz, der sich von 1750 bis 1752 in Paris und Versailles aufhielt12, galt der Annäherung beider Kronen, die sich zuletzt im Österreichischen Erbfolgekrieg feindlich gegenüber gestanden hatten. Innerhalb der Regierungsstruktur des französischen Hofes, die sich nach Ansicht des kaiserlichen Vertreters durch unklare Machtverhältnisse, einen schwachen König, rivalisierende Minister und eine machtvolle Mätresse auszeichnete13 – und damit insgesamt das Bild »eines ziemlich schlecht angespannten Pfluges«14 abgab –, hielt Kaunitz Madame de Pompadour für seine wichtigste Ansprechpartnerin15. Obwohl der habsburgische Botschafter der Mätresse von seinem Vorhaben eines Bündnis12 Zu Kaunitz’ Jahren in Paris siehe Milena Lenderova, Wenzel Anton Kaunitz, ambassadeur d’Autriche en France, in: Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg 1711–1794. Neue Perspektiven zu Politik und Kultur der europäischen Aufklärung, hrsg. v. Grete Klingenstein / Franz A. J. Szabo, Graz u. a. 1996, 47–56. Zur Vorgeschichte des renversement des alliances siehe Max Braubach, Versailles und Wien von Ludwig XIV. bis Kaunitz. Die Vorstadien der diplomatischen Revolution im 18. Jahrhundert, Bonn 1952. Zum renversement selbst und der Rolle Kaunitz’ darin siehe vor allem Lothar Schilling, Kaunitz und das Renversement des alliances. Studien zur außenpolitischen Konzeption Wenzel Antons von Kaunitz, Berlin 1994, und zuletzt Sven Externbrink, Friedrich der Grosse, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, 24 f. Siehe zur außenpolitischen Konzeption Kaunitz’ im Jahr vor seiner Abreise nach Paris Wenzel Anton von Kaunitz, Denkschrift des Grafen Kaunitz zur mächtepolitischen Konstellation nach dem Aachener Frieden von 1748, bearb. v. Reiner Pommerin / Lothar Schilling, in: Expansion und Gleichgewicht. Studien zur europäischen Mächtepolitik des Ancien régime, hrsg. v. Johannes Kunisch, Berlin 1986 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 2), 165–239. 13 Siehe W. A. v. Kaunitz, Denkschrift (Anm. 12), 198 f. (und in ähnlicher Weise auch 220). 14 Vgl. HHStA, Frankreich, Varia 22, f. 20 r.: Kaunitz an Koch, Paris, 11.12.1750: À mesure que je vois de plus près cette Cour, et le gouvernement interne de cette Monarchie, j’y découvre plus de défectuosités; C’est une charrue assez mal attelée, et la plupart de choses ne se font que par intrigues et cabales. 15 Siehe die Aussage Kaunitz’ in Mémoires de Marmontel: Mémoires d’un père pour servir à l’instruction de ses enfants, hrsg. v. Maurice Tourneux, 3 Bde., Genf 1967 (Nachdr. der Ausg. Paris 1891), hier Bd. 1 (1967), 265: J’ai deux personnes à ménager, le roi et sa maîtresse: je suis bien avec tous les deux. Siehe auch Correspondance secrète entre le comte A. W. Kaunitz-Rietberg, ambassadeur impérial à Paris, et le baron Ignaz de Koch, secrétaire de l’impératrice Marie-Thérèse 1750–1752, hrsg. v. Hanns Schlitter, Paris 1899, hier

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ses zwischen Österreich und Frankreich berichtete16, musste er dennoch zunächst ohne Ergebnis nach Wien zurückkehren, von wo aus er keinen Kontakt mit Madame de Pompadour unterhielt. Sein Abschlussbericht macht jedoch deutlich, dass er sie als außerordentlich machtvoll einstufte: Die Mätresse herrsche, so Kaunitz, »despotengleich«17. Kaunitz’ Nachfolger, Georg Adam Graf von Starhemberg18, erreichte Paris im Januar 1754 und hatte zunächst nur wenig Kontakt mit Madame de Pompadour, die entsprechend selten Gegenstand seiner Berichte war19. Erst im August 1755 widmete Starhemberg der mächtigen Stellung der Mätresse bei Hof einen ausführlichen Bericht. Den Anlass bot eine Auseinandersetzung Madame de Pompadours mit ihrer früheren Vertrauten, Madame d’Estrades, die in der Verbannung der Letzteren vom Hof gipfelte – die entsprechende Entscheidung des Königs führte man auf das Einwirken der Mätresse zurück20. Etwa zur selben Zeit erhielt der kaiserliche Diplomat die Anweisung aus Wien, das Projekt eines habsburgisch-französischen Ausgleichs wieder aufzunehmen. Starhemberg beschloss, dass auch der neuerliche Versuch über Madame de Pompadour laufen solle, und entschied sich damit gegen den Cousin und Vertrauten Ludwigs XV., Prince de Conti, der ebenfalls zur Wahl gestanden hatte21. Am 30. August 1755 erschien Starhemberg bei Madame

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113 f.: Kaunitz an Koch, Paris, 22.8.1751: Si Madame de Pompadour se mêlait des affaires étrangères, j’ai lieu de croire qu’elle ne nous rendrait pas des mauvais offices. Siehe Correspondance secrétaire (Anm. 15), 239 f.: Kaunitz an Koch, Paris, 23.6.1752. Von Kaunitz’ ersten Vorstößen berichtet auch der Abbé de Bernis in: Mémoires et lettres de François Joachim de Pierre, Cardinal de Bernis, hrsg. v. Frédéric Masson, 2 Bde., Paris 1878, hier Bd. 1, 227. A. W. v. Kaunitz, Mémoire (Anm. 5), 448: Elle gouverne despotiquement. Siehe zu Starhemberg den entsprechenden Artikel von Hanns Schlitter in der Allgemeinen Deutschen Biographie, hrsg. v. d. Historischen Commission bei der Königlichen Akadademie der Wissenschaften, 56 Bände, Leipzig u.a., 1875–1912, hier Bd. 35 (1893), 471–473. Starhembergs Berichte aus den Jahren 1754 bis 1764 befinden sich im HHStA, Staatenabteilung Frankreich, Berichte und Weisungen, Karton 92 (1754), 93 (1755), 95 (1756), 98 (1757), 99 (1757), 102 (1757), 103 (1758), 106 (1759), 110 (1760), 114 (1761), 120 (1762), 124 (1763) und 127 (1764). Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 93, f. 75 r.–76 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 10.8.1755. Zu Contis Rolle als Berater Ludwigs XV. siehe John D. Woodbridge, Revolt in Prerevolutionary France. The Prince de Conti’s Conspiracy against Louis XV (1755–1757), Baltimore / London 1995. Siehe zu Prince de Conti auch Eva Kathrin Dade, ›Schneller als auf den herkömmlichen und regulären Wegen?‹ Informalität am Hof Ludwigs XV., in: Informelle Strukturen am Hof. Ergebnisse der Dresdener Gespräche III zur Theorie des Hofes, hrsg. v. Reinhardt Butz / Jan Hirschbiegel, Münster 2009, 133–147.

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de Pompadour und überreichte ihr einen Brief Maria Theresias, der an den König adressiert war und dem ein Begleitschreiben von Kaunitz an Madame de Pompadour beilag. Gemäß dem Wunsch des Hofes in Wien leitete die Marquise das Schreiben der Kaiserin an den König weiter, und Starhemberg konnte am folgenden Tag nach Wien berichten, dass sein »erste[r] Anwurf« von Madame de Pompadour »sehr wohl aufgenommen« worden sei22. Wenig später bestimmte Ludwig XV. den Abbé François Joachim de Pierre de Bernis, einen Günstling der Marquise, zum Unterhändler, der in seinem Auftrag mit dem habsburgischen Vertreter verhandeln sollte23. Am 3. September 1755 trafen sich der Abbé de Bernis und Starhemberg erstmals auf dem Gelände des Schlosses Bellevue24. Dieses Anwesen gehörte Madame de Pompadour, die auf Wunsch des Königs dem Treffen der beiden Unterhändler beiwohnte. Im Laufe weiterer Begegnungen, die wie die erste außerhalb von Versailles stattfanden, arbeiteten die Repräsentanten beider Kronen schließlich die Bedingungen eines Bündnisses aus25. Von Madame de Pompadour war während dieser Phase keine Rede mehr in den Berichten Starhembergs. Ob sie an den Zusammenkünften teilnahm, ist unklar. Im November 1755 wurde ein erster Entwurf des Vertrags vier ausgewählten Mitgliedern des Conseil vorgelegt26. Während in Wien zu dieser Zeit nur die Kaiserin, der Kaiser und Kaunitz über den Stand der geheimen Verhandlungen informiert waren, gab es in Versailles noch bis November 1755 keine Mitwisser außer dem König, Madame de Pompadour und Abbé de Bernis. Erst nachdem Bernis und Starhemberg gemeinsam den endgültigen Vertragstext der habsburgisch-bourbonischen Allianz ausgearbeitet hatten, wurden

22 HHStA, Frankreich, Berichte 93, f. 91r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 1.9.1755: »Gestern Abend habe den ersten Anwurf, jedennoch mit gehöriger Vorsichtigkeit, bei der Marquise de Pompadour gemacht, und ist selbiger sehr wohl aufgenommen worden. In 5 oder 6 Tagen hoffe ein mehreres berichten zu können.« 23 Bernis war ein Günstling der Marquise, der eigentlich für den Posten des Botschafters in Madrid vorgesehen und im Begriff war, dorthin abzureisen. Er trat den Posten in Madrid niemals an, sondern wurde stattdessen am 2.1.1757 als ministre d’État in den Conseil berufen. Am 28.6.1757 ernannte ihn Ludwig XV. außerdem zum Staatssekretär des Auswärtigen. 24 Siehe dazu Mémoires et lettres Bernis (Anm. 16), Bd. 1, 229 ff. 25 Zum Fortgang der Verhandlungen und den kritischen Punkten siehe M. Braubach, Versailles und Wien (Anm. 12), 433 ff. 26 Siehe ebd., 435, und Mémoires et lettres Bernis (Anm. 16), Bd. 1, 267. Die vier Minister waren Jean-Baptiste de Machault d’Arnouville, Staatssekretär der Marine und garde des sceaux, Jean Moreau de Séchelles, contrôleur général des finances, Antoine Louis Rouillé, Außenminister, und Staatsminister Louis Phélypeaux, comte de Saint-Florentin.

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auch die übrigen Minister Ludwigs XV. ins Vertrauen gezogen. Am 1. Mai 1756 wurde der Vertrag von Versailles schließlich von Starhemberg und dem französischen Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Antoine Louis Rouillé, unterzeichnet27. Damit waren Frankreich und Österreich Bündnispartner, das renversement des alliances war besiegelt. Hatte Starhemberg die Marquise de Pompadour in den Monaten vor der Unterzeichnung des Vertrags in seinen Briefen nur selten erwähnt, so wurde der Kontakt zwischen den beiden in der zweiten Jahreshälfte 1756 intensiver. Madame de Pompadour forderte Starhemberg auf, er solle ihr, wann immer es ihm genehm sei, Besuche abstatten, womit sie ihm ein besonderes Vorrecht einräumte28. Der kaiserliche Diplomat kam der Einladung Madame de Pompadours nach. Er fuhr fortan häufig außerhalb der üblichen Zeiten an den Hof und berichtete von langen und »sehr geheimen« Unterredungen mit Madame de Pompadour, von denen er sich einen unmittelbaren Nutzen versprach: Sie sollten dazu beitragen, die neue Allianz zu konsolidieren. Der kaiserliche Vertreter war überzeugt, dass man ohne die Mätresse den Bündnisvertrag nicht hätte abschließen können und schrieb an Kaunitz in Wien: »Es ist gewiss, dass sie es ist, der wir alles zu verdanken haben und dass sie es ist, von der wir für die Zukunft alles erwarten dürfen.«29 Kaunitz dankte daraufhin in einem handschriftlichen Schreiben der Marquise de Pompadour für ihren Eifer im Dienste der gemeinsamen Sache30. Im Folgenden tauschten die Mätresse und Kaunitz in unregelmäßigen Abständen Briefe aus, in denen sie sich gegenseitig ihres Engagements für das neue Bündnis versicherten31 – stets ermuntert durch Starhemberg, der wusste, dass Madame de Pompadour alle Briefe dem König vorzulegen pflegte32.

27 Die Vertragspartner vereinbarten die Neutralität der südlichen Niederlande, sie sicherten sich gegenseitig ihre Besitzungen zu und versprachen sich in einem geheimen Zusatz die Bereitstellung von 24’000 Mann für den Fall, dass einer der Vertragspartner angegriffen würde. 28 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 95, f. 234 v.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 14./18.6.1756: Elle m’a dit qu’elle me verrait en particulier toutes les fois que je le demandais, qu’il fallait se parler souvent […]. 29 HHStA, Frankreich, Berichte 95, f. 214: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 13.5.1756: Il est certain que c’est à elle que nous devons tout, et que c’est d’elle que nous devons tout attendre pour l’avenir. 30 Siehe HHStA, Frankreich, Varia 28, f. 1–3: Kaunitz an Pompadour, Wien, 9.6.1756. 31 Siehe HHStA, Frankreich, Varia 25, f. 73 r.–v.: Pompadour an Kaunitz, Paris, 7.9.1756, und Varia 28, f. 4–5: Kaunitz an Pompadour, Wien, 10.10.1756. 32 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 98, f. 185: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 27.5.1757.

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Am Jahrestag des ersten Vertrags, am 1. Mai 1757, wurde ein zweiter habsburgisch-bourbonischer Vertrag unterzeichnet, der als Offensivvertrag den früheren Vertrag ergänzen sollte33. Auch dieses Abkommen war das Ergebnis intensiver Verhandlungen, die vor allem von Starhemberg und Bernis geführt worden waren. Zwei Tage nach Unterzeichnung des Zweiten Versailler Vertrags vermerkte Starhemberg dennoch wiederum ausdrücklich, dass auch der neuerliche Vertrag auf Madame de Pompadour zurückgehe34. Angesichts dieser Versicherungen sah man sich in Wien veranlasst, Madame de Pompadour als Dank für ihre Mithilfe am Zustandekommen der beiden Verträge ein kostbares Geschenk zukommen zu lassen. Einige Zeit später konnte Starhemberg der Marquise in Versailles ein mit Diamanten, vergoldeten Scharnieren und einem Porträt der Kaiserin verziertes Schreibpult aus lackiertem Holz überreichen35, für das sie sich in einem eigenhändigen Schreiben an die Kaiserin bedankte36. Dieser Brief war – mit hoher Wahrscheinlichkeit – der einzige, den Madame de Pompadour jemals an Maria Theresia sandte. Von der Kaiserin erhielt sie keine Antwort; dennoch kursierten bereits seit 1756 Gerüchte, wonach die Mätresse und die Kaiserin in regelmäßigem Briefkontakt miteinander stünden. Ein Informant, der die britische Regierung seit 1755 mit Nachrichten aus Versailles versorgte, berichtete Ende 1758, Starhemberg habe Pompadour bereits zahlreiche handschriftliche Briefe der Kaiserin überbracht37. Maria Theresia war angesichts dieser Gerüchte sehr daran gelegen, klarzustellen, dass sie Madame de Pompadour keinen einzigen Brief geschrieben habe und dass ihre Diplomaten nur, soweit es unbedingt notwendig geschienen habe, auf die Hilfe der Mätresse zurückgegriffen hätten. Gegenüber

33 Darin wurde vereinbart, dass Frankreich Österreich 130’000 Mann zur Verfügung zu stellen habe. Außerdem sagte die französische Krone Österreich eine einmalige Zahlung von 12 Millionen Gulden zu und verpflichtete sich, den Krieg nicht zu beenden, bevor Schlesien und Glatz wieder an Österreich gegangen seien. Erst in diesem Fall trat die Gegenleistung Österreichs ein: der Abtritt der Herrschaft über mehrere Städte in den südlichen Niederlanden. 34 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 99, f. 117: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 3.5.1757: Si la besogne que nous avons faite est bonne, comme je l’espère, c’est à [Madame de Pompadour] que nous en devons certainement en grande partie l’obligation, et je ne doute pas que Votre Excellence ne lui fasse connaître par sa réponse que nous en sommes convaincus. 35 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 98, f. 1–4: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 1.9.1757, und Berichte 106, f. 7 r.–v.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 1.2.1759. 36 HHStA, Frankreich, Varia 28, f. 1–3: Pompadour an Maria Theresia, Versailles, 28.1.1759. Deutsche Übersetzung siehe Victor Lucien Tapié, Maria Theresia. Die Kaiserin und ihr Reich, Graz / Wien / Köln 1980, 286 f. (Anhang). 37 Siehe BL, Add. Ms. 32886, f. 452, Intelligence Paris, 24.12.1758.

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der sächsischen Kurfürstin Maria Antonia leugnete die Kaiserin wenige Jahre später jeden Kontakt mit Madame de Pompadour38.

II. Die Mätresse als Zugang zum Herrscher Welcher Art waren die Handlungsspielräume Madame de Pompadours in den Bündnisverhandlungen, und wie lässt sich der Kontakt zwischen der Mätresse und den habsburgischen Vertretern charakterisieren? Madame de Pompadour stand innerhalb der höfischen Strukturen an der Schnittstelle zwischen den auswärtigen Diplomaten und dem französischen König, in dessen Auftrag sie den Kontakt zwischen ihm und seinem Umfeld vermittelte. Als Beziehungsmaklerin kam ihr eine bedeutsame Rolle zu, indem sie den Zugang zum König kontrollierte und die Weitergabe von Informationen zu bündeln suchte. Am Beispiel des Grafen Starhemberg lässt sich dies sehr anschaulich nachvollziehen: Dem kaiserlichen bevollmächtigten Minister war es zunächst nicht vergönnt, vom König zur Audienz vorgelassen zu werden39. Wollte Starhemberg dem König dennoch auf direktem Wege, ohne Indiskretionen fürchten zu müssen, einen Brief zukommen lassen, gab er ihn Madame de Pompadour, denn sie war neben den Staatssekretären die einzige Person, von der Ludwig  XV. Schriftstücke entgegennahm40. Starhemberg erschien außerdem regelmäßig zur toilette der Mätresse, dem »gewöhnlichen Besuch«41 bei ihr. Im Rahmen der toilette bot sich die Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch von Komplimenten; vertrauliche Inhalte ließen sich jedoch kaum besprechen. Starhemberg kam es daher sehr gelegen, dass er seit 1756 freien Zugang zu den Räumen der Marquise hatte und sie ihn ohne Voranmeldung zum Gespräch unter vier Augen zuließ. Diese Besuche bei Madame de Pompadour dienten 38 Siehe Kaiserin Maria Theresia und Kurfürstin Maria Antonia von Sachsen. Briefwechsel 1747–1772, hrsg. v. Woldemar Lippert, Leipzig 1908, 185: Maria Theresia an Maria Antonia, Wien, 10.10.1763: Vous vous trompez si vous croyez que nous avons jamais eu des liaisons avec la Pompadour, jamais une lettre, ni que notre ministre ait passé par son canal, ils ont dû lui faire la cour comme tous les autres, mais jamais aucune intimité. Ce canal n’aurait pas convenu, je lui ai fais un présent plutôt galant que magnifique l’année 1756 et avec la permission du roi, je ne la crois pas capable d’en accepter autrement. 39 Darauf hatten nur Diplomaten im Rang eines Botschafters ein Anrecht. Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 99, f. 34: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 31.1.1757. 40 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 98, f. 75 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 27.7.1757. 41 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 103, f. 24 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 13.11.1758: »[…] den andern Tag aber mit allen übrigen Botschaftern und Ministris ihr den gewöhnlichen Besuch abgestattet […].«

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dem Diplomaten zugleich als Gelegenheit, den König, den er sonst nur selten sah, persönlich anzutreffen42, denn es war bekannt, dass Ludwig XV. bis zu fünf Stunden am Tag bei Madame de Pompadour verbrachte43. Im Mai 1757 berichtete Starhemberg, er habe den König in der vergangenen Woche »dreimal bei der Madame de Pompadour angetroffen«, und er sei »mit ihnen beiden [das heißt Ludwig XV. und Madame de Pompadour] und dem Abbé de Bernis jedes Mal über eine halbe Stunde geblieben.«44 An dieser Praxis hielt er einige Jahre lang fest: Er ging zu Madame de Pompadour, um mit dem König zu sprechen45, der sich dort ungezwungener und weniger kontaktscheu zeigte als sonst46 und auch über Fragen sprach, die er ansonsten selbst mit seinen Ministern nur in den explizit als travail deklarierten Arbeitsgesprächen thematisierte47. Nach einiger Zeit konnte Starhemberg vermelden, dass Ludwig XV. neuerdings von sich aus das Wort an ihn richte und mit ihm über die laufenden Geschäfte spreche48. Starhemberg bediente sich demnach der Räume der Marquise de Pompadour, um die Regeln des Protokolls zu umgehen. In ihren Räumlichkeiten konnten Zusammenkünfte stattfinden, die ohne Beachtung der Etikette abliefen und in einem wenig reglementierten Rahmen die Gelegenheit zum Gespräch mit dem König boten49. Auch Ludwig XV. machte sich diese Freiräume 42 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 95, f. 63 v.–64 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 2.11.1756: J’ai eu l’occasion de le voir depuis quelque temps plus particulièrement chez Madame de Pompadour, qui me reçoit présentement à toute heure, et sans que j’aie besoin de l’en prévenir (chose qu’elle n’a jamais faite pour aucun Ministre étranger) et il y parle toujours d’une façon qui confirme bien tout ce que m’avaient dit jusqu’ici les ministres et Madame de Pompadour de la sincérité des dispositions personnelles dans lesquelles il est à l’égard de Sa Majesté l’Impératrice. 43 Auch wer zu den soupers vorgelassen werden wollte, musste sich dazu an Madame de Pompadour wenden, die den Zugang kontrollierte. Siehe beispielsweise Emmanuel duc de Croÿ, Journal de cour, bearbeitet von Laurent Sortais, 3 Bde., Paris 2004, hier Bd. 1, 69, Januar 1747. 44 HHStA, Frankreich, Berichte 98, f. 168 v.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 26.5.1757. 45 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 110, f. 32 v.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 17.7.1760. 46 Siehe E. Croÿ, Journal (Anm. 43), Bd. 1, 69, 29.1.1747. 47 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 98, f. 42 v.–43 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 31.1.1757. 48 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 95, f. 63 v.–64 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 2.11.1756. 49 Siehe zum Beispiel den Versailles-Aufenthalt des habsburgischen Fürsten von Lobkowitz, für den Starhemberg eine Zusammenkunft mit dem Monarchen in den Räumen Madame de Pompadours arrangieren konnte. Statt einer kurzen Begrüßung im Vorübergehen im Anschluss an die Messe erhielt Lobkowitz auf diese Weise die Gelegenheit zu

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zu Nutzen und bestellte etwa Starhemberg seinerseits häufig zu Madame de Pompadour, wenn er ihn zu sprechen wünschte50. Die Aufgaben der Mätresse, die darauf zielten, den Zugang zum Herrscher zu kontrollieren und zwischen ihm und den Diplomaten zu vermitteln, mussten sie zwangsläufig in Konkurrenz zu den Inhabern der wichtigsten Ämter im Umfeld des Königs, zu den Ministern und Staatssekretären, bringen. In der Regel war Madame de Pompadour über die laufenden Geschäfte der Krone ebenso aktuell informiert wie die Amtsträger, unter anderem weil sie von Hoffremden in der gleichen Weise und zum gleichen Zeitpunkt wie diese über Neuigkeiten informiert wurde51. Dennoch ersetzte die Beziehung der Diplomaten zur Mätresse keineswegs den regulären Kontakt etwa mit dem Außenminister, sie löste diesen Kontakt auch nicht zeitlich ab. Vielmehr ergänzte sie ihn: Um ihre Anliegen zu besprechen, konnten sich die Diplomaten an den zuständigen Staatssekretär oder an die Mätresse wenden, wenn sie der Meinung waren, über Madame de Pompadour seien Entscheidungen des Königs im gewünschten Sinn zu beeinflussen. Die Diplomaten besprachen sich vor allem dann mit ihr, wenn sie in ihren Gesprächen mit dem Minister nicht weiterkamen52, wenn sie sich rückzuversichern suchten, wenn sie eine Angelegenheit unter Umgehung zeremonieller Regeln zu klären oder wenn sie den König auf möglichst direktem und schnellem Wege zu erreichen wünschten. In diesen Fällen konnte Madame de Pompadour vielfach flexibler agieren als die formal legitimierten Amtsträger. In Bezug auf die Verhandlungen zum renversement des alliances und die Jahre im Anschluss daran hat sich gezeigt, dass Madame de Pompadour an den Besprechungen, in denen es um die inhaltliche Ausrichtung des Vertrags ging, nicht direkt beteiligt war. Jedoch ermöglichte sie diese Verhandlungen, indem sie den Kontakt zwischen Diplomat und Monarch herstellte, die Verhandlungspartner zusammenführte, wichtige Informationen weiterleitete und die einem formlosen, halbstündigen Gespräch mit dem König. Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 98, f. 46 v.–47 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 21.12.1757. 50 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 98, f. 4 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 5.7.1757. 51 Boten auswärtiger Höfe lieferten ihre Berichte nicht selten außer beim zuständigen Staatssekretär auch bei Madame de Pompadour ab. Von einem solchen Fall berichtet die Mätresse selbst in einem Brief an den Duc de Richelieu: Siehe É. Lever, Madame de Pompadour (Anm. 2), 363, f. 151: Pompadour an Richelieu, o. D. 52 So handhabten es etwa die britischen Botschafter während der Auseinandersetzungen zwischen der britischen und der preußischen Krone um den neuen preußischen Gesandten in Versailles – eine Streitigkeit, bei der sie beim Außenminister Puisieulx nicht den erwünschten Rückhalt fanden. Siehe BL, Eg. Ms. 3457, f. 66: Holdernesse an Albemarle, London, 2.4.1753.

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Kommunikationskanäle sicherte. In der Darstellung Starhembergs erschien Madame de Pompadour aufgrund dieser Funktionen als die zentrale Figur, deren Wohlwollen über Erfolg oder Misserfolg des habsburgischen Vorstoßes entschied, obwohl ein Einwirken ihrerseits auf einzelne inhaltliche Bestimmungen der Bündnisverträge nicht nachweisbar ist. Da Madame de Pompadour in direktem Kontakt einerseits zum König, andererseits zu ihrem Günstling Bernis stand, ist es vorstellbar, dass sie in einzelnen Fragen Anregungen geben und eigene Vorstellungen einbringen konnte. Konkrete Hinweise auf einen entsprechenden Fall sucht man in den Berichten Starhembergs ebenso wie in den Schilderungen Bernis’ jedoch vergebens. Festzuhalten ist, dass die gezielte Annäherung an Madame de Pompadour und die Zuhilfenahme ihrer Vermittlungstätigkeit sich für die Interessen Habsburgs auszahlten: Der Weg über die Mätresse des Königs bot den Gesandten des Wiener Hofes zahlreiche Möglichkeiten, die etwa den preußischen Diplomaten verwehrt blieben.

III. Zugeständnisse an zeitgenössische Rollenmuster Welches Interesse hatte Madame de Pompadour selbst an einer Zusammenarbeit mit den Vertretern auswärtiger Mächte? Sie bot ihr die Möglichkeit zum Prestigegewinn und zur Sicherung ihrer Stellung – zumal die sexuelle Beziehung zwischen Ludwig XV. und ihr schon wenige Jahre nach ihrer Ankunft bei Hof, um 1751, beendet war, was von der Hofgesellschaft und auch von Seiten der auswärtigen Beobachter mit Interesse konstatiert und kommentiert wurde53. Madame de Pompadour gelang es, ihre Stellung als maîtresse en titre über diesen Einschnitt hinaus zu wahren; jedoch stand sie fortan unter einem erhöhten Legitimationsdruck und mag den Kontakt zu den Diplomaten daher bewusster als zuvor gesucht haben. Nichtsdestotrotz versäumte sie kaum eine Gelegenheit, ihre fehlende Einsicht in öffentliche Belange und ihre beschränkten Einflussmöglichkeiten zu betonen54: Zu Starhemberg bemerkte Madame de Pompadour in einem Gespräch kurze Zeit nach Unterzeichnung des ersten Vertrags von Versailles, 53 Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 95, f. 1–2, hier 2 r.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 16.2.1756: Je crois que Votre Excellence sait que depuis près de quatre ans, il ne restait plus qu’une liaison d’habitude, d’amitié, et de confiance, et il y a toute apparence, que cette même liaison, qui se resserre de jour en jour davantage, subsistera très longtemps. 54 Siehe etwa Correspondance de Madame de Pompadour avec son père, M. Poisson et son frère, M. de Vandières, suivie de lettres de cette dame à la comtesse de Lutzelbourg, à Pâris Duverney, au duc d’Aiguillon, etc., et accompagnée de notes et de pièces annexes, hrsg. v. Auguste Poulet-Malassis, Paris 1878, hier Nr. XI, 23: Pompadour an François

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dass sie »nicht die Gewohnheit [habe], sich in politische Angelegenheiten zu mischen.«55 Sie wolle, so versicherte sie an anderer Stelle auch gegenüber dem Herzog von Pfalz-Zweibrücken, Christian IV., gar nicht erst vorgeben, in Angelegenheiten Entscheidungen beeinflussen zu können, »von denen Frauen nichts verstehen dürfen.«56 Jedoch waren ihre vorgegebene Zurückhaltung und ihr tatsächliches Verhalten zweierlei: Hand in Hand mit Hinweisen auf ihre fehlende Befugnis, ihre mangelnden Geistesfähigkeiten und Kenntnisse gingen Ratschläge zu Fragen aus der Regierungsarbeit und den öffentlichen Angelegenheiten, die sie ihren Briefpartnern erteilte. Sie lassen vermuten, dass die Beteuerungen der Mätresse vor allem als Zugeständnis an zeitgenössische Rollenmuster zu werten sind. Sehr anschaulich lässt sich dies am Beispiel ihrer Beziehung zu Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken nachvollziehen, schließt sich an den oben zitierten Satz aus einem Brief Pompadours an den Herzog doch umgehend eine Belehrung an, wie sich der Herzog hinsichtlich der Besitzstreitigkeiten innerhalb des Hauses Wittelsbach zu verhalten habe. Auf die Bemerkung, dass sie als Frau nicht über politische Angelegenheiten befinden und auch nicht vorgeben dürfe, dazu in der Lage zu sein, folgte nicht nur in diesem Beispiel das genaue Gegenteil dessen57. Indem Madame de Pompadour ihr eigenes Urteil in ihren schriftlichen Äußerungen stark zurücknahm und abwertete, entsprach sie auf den ersten Blick dem gängigen Prinzip der »devotionalen Selbstverkleinerung«58, die als Zeichen

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Poisson, Versailles, 5.7.1753: Vous êtes trompé, si l’on vous dit que le ministre n’attend qu’une parole de moi pour accorder les dix-huit deniers que vous demandez pour M. Bouret. HHStA, Frankreich, Berichte 95, f. 223 v.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 20.5.1756: Elle lui a promis d’informer le Roi de ce qu’il venait de lui dire, mais l’a prié de la dispenser de lui rapporter une réponse, vu qu’elle n’avait pas coutume de se mêler des affaires politiques. Bayrisches Hauptstaatsarchiv München, Kasten blau 404 / 5b, Nr. 115: Pompadour an Pfalz-Zweibrücken, Compiègne, 11.7.1752: Je ne me donne pas les airs de décider d’affaires auxquelles les femmes ne doivent rien entendre. Zu den Beziehungen zwischen Madame de Pompadour und Christian IV. siehe Helge Siefert, ›Le protecteur éclairé des arts.‹ Herzog Christian IV. von Zweibrücken und seine Verbindungen nach Versailles und Paris, in: Jenseits der Grenzen. Französische und deutsche Kunst vom Ancien Régime bis zur Gegenwart. Festschrift für T. Gaehtgens, hrsg. v. Uwe Fleckner, 3 Bde., Köln 2000, Bd. 1, 209–225. So lautet der direkte Anschluss an den oben zitierten Satz aus dem Brief an Christian  IV.: Mais je vous dirai simplement, que tous les parts qui pourront vous rapprocher de l’Électeur, sans rien faire perdre à votre dignité, seront à mon avis les meilleurs à prendre, et les plus agréables au roi; n’oubliez jamais en même temps que le mépris rendu à certaines démarches faites ne vous sera jamais pardonné, et ne vous fiez qu’à bonnes enseignes. Siehe beispielsweise Reinhard M. G. Nickisch, Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit einer Bibliographie zur Briefschreiblehre (1474–1800), Göttingen 1969, 83.

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der Ergebenheit gegenüber den Adressaten von Briefen in den Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts gefordert wurde59. Unterwürfigkeitsbekundungen und der Hinweis auf die eigenen mangelnden Fähigkeiten waren unentbehrlicher Bestandteil auch der diplomatischen Korrespondenz60. Bei Madame de Pompadour war die Herabwertung des eigenen Urteilsvermögens indes nicht, wie ansonsten üblich, begleitet von einem Verweis auf einen möglichen Standesunterschied zwischen ihr und den Adressaten ihrer Briefe, auf ihre mangelnde Erfahrung oder das niedere Amt, das sie bekleide. Vielmehr begründete sie ihre Verkleinerung mit einem Hinweis auf ihre Geschlechtszugehörigkeit: Ihr Urteil sei deshalb nicht maßgeblich, weil sie eine Frau sei. Ihre zurückhaltende Selbstzuschreibung lässt sich demnach zumindest zum Teil als ein Zugeständnis an zeitgenössische Normvorstellungen charakterisieren, die eine aktive Rolle der Mätresse auf dem Gebiet der Außenbeziehungen nicht vorsahen. Ähnliche Muster lassen sich auch in der Fremddarstellung ihrer Funktionen durch die Diplomaten nachweisen, denen insbesondere in ihren offiziellen Berichten häufig daran gelegen zu sein schien, den Einfluss der Mätresse auf außenpolitische Zusammenhänge herabzuspielen, um im gleichen Atemzug zu betonen, dass man ohne ihre Mithilfe nicht auf Erfolge in der Umsetzung der eigenen Interessen hoffen könne. Offensichtlich widersprach diese Darstellung jedoch den Gepflogenheiten der amtlichen diplomatischen Korrespondenz. Viel häufiger als dort fand Madame de Pompadour in den Schreiben der Diplomaten Erwähnung, die einen weniger formellen Charakter besaßen61.

IV. Schlussfolgerungen Als maîtresse en titre und engste Vertraute Ludwigs XV. verfügte Madame de Pompadour über wertvolle Kontakte und Informationen. Sie war damit eine 59 Siehe beispielhaft für den deutschsprachigen Raum Georg Philipp Harsdörffer, Der teutsche Secretarius. Das ist: Allen Cantzleyen, Studir- und schreibstuben nützliches, fast nothwendiges, und zum 5. mal verm. Titulatur- und Formularbuch, Nürnberg 1674. 60 Bei Starhemberg etwa finden sich in großer Zahl Formulierungen in der Art wie »[nach meiner] gantz ohnmaßgeblichen Meinung«, die die eigene Urteilsfähigkeit bewusst in Frage stellen. Siehe HHStA, Frankreich, Berichte 93, f. 19–42, hier 30 v.: Starhemberg an Maria Theresia, Paris, 1.5.1755. Siehe ähnliche Beobachtungen bei William J. Roosen, The Functioning of Ambassadors under Louis XIV, in: French Historical Studies 6 (1970), 311–332, 314. 61 Siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen in der Dissertation der Verfasserin zu verschiedenen Formen der diplomatischen Korrespondenz und dem jeweils unterschiedlichen Umgang mit der Mätresse in diesen Quellen.

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zentrale Ansprechpartnerin und Vermittlerin für die Vertreter auswärtiger Mächte. Die diplomatischen Vertreter wussten, dass die Mätresse denjenigen, die mit dem König kommunizieren wollten, den Zugang zum Monarchen vermitteln konnte. Sie leitete Anfragen und Briefe an ihn weiter und fungierte als Nachrichten- und Kontaktvermittlerin. Von noch größerer Bedeutung waren die erweiterten Möglichkeiten, die Madame de Pompadour in Form ihrer Räumlichkeiten zur Verfügung stellen konnte. Die wenigsten Diplomaten durften den König sprechen, der sich bei offiziellen Anlässen sehr wortkarg und unzugänglich zeigte. Nur bei Madame de Pompadour schien er gelöster und sprach auch über Fragen der Regierungsarbeit, die er ansonsten gegenüber den Diplomaten und seinen Ministern nicht außerhalb des travail berührte. Für die Kommunikation zwischen Herrscher und auswärtigen Diplomaten erwies sich Madame de Pompadour damit als unverzichtbar, und dies, obwohl – oder gerade weil – ihre Rolle formal nicht vorgesehen war. Sie konnte vielfach flexibler agieren, weil sie zeremonielle Regeln im Umgang mit dem König und den Diplomaten umgehen konnte. Es war am Hof bekannt, dass Madame de Pompadour an Besprechungen zwischen König und Außenminister teilnahm, dass die Minister mit ihren Anliegen häufig zunächst zu ihr kamen, bevor sie mit ihren Unterlagen zum König gingen62, und dass der König einzelne Minister bisweilen zu ihr schickte, um sich abzusichern, bevor er einen Entschluss fasste63. Auf diese Weise standen Madame de Pompadour auch Möglichkeiten offen, auf Entscheidungen von großer Tragweite einzuwirken. Ein inhaltliches Einflussnehmen ihrerseits auf einzelne Entscheidungen Ludwigs XV. lässt sich jedoch kaum fassen. Greifbar ist hingegen vor allem ihre koordinierende und vermittelnde Tätigkeit, wie am Beispiel des renversement des alliances gezeigt werden konnte. Der Vertreter Habsburgs war vor allem seit der Unterzeichnung des ersten Versailler Vertrags gegenüber den übrigen Diplomaten am Hof privilegiert. Er wurde, wann immer er es wünschte, von Madame de Pompadour empfangen und besprach seine Angelegenheiten mit ihr, bevor er sich an den Staatssekretär des Äußeren wandte. Seine Einschätzung ihrer Macht war dennoch zwiespältig: Ihre Kenntnisse in politischen Fragen seien nicht sehr ausgeprägt – »[a]ußer dem festgestellten Haupt-Sistemate [verstehet sie] von der Politique gar nichts«64, schrieb 62 Siehe GStAPK, I. HA, Rep. 96, Nr. 25 H, f. 121: Keith an Friedrich II., Paris, 3.12.1751. 63 Siehe etwa BL, Add. Ms. 32911, f. 247: Intelligence Paris, 12.9.1760. 64 HHStA, Frankreich, Berichte 106, f. 154 v.: Starhemberg an Kaunitz, Paris, 26.9.1759. Diese und andere Einschätzungen mögen in vielen Fällen ein Zugeständnis an zeitgenössische Rollenmuster und traditionelle Diskurse wie denjenigen von der körperlichen und geistigen Unterlegenheit der Frau gegenüber dem Mann gewesen sein.

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Starhemberg etwa 1759 –, dennoch schätzte er die persönliche Beziehung zu ihr als politisch gewinnbringend ein. Der gleichen Meinung waren auch die übrigen diplomatischen Vertreter am Versailler Hof. Sie unterschieden sich in der Art des Umgangs, den sie mit Madame de Pompadour pflegten, und sie waren, wie das preußische Beispiel gezeigt hat, nicht alle in gleichem Maße erfolgreich, wenn es darum ging, sich der Vermittlerdienste der Mätresse zu bedienen. Dass es jedoch ratsam sei, den Kontakt zu ihr zu halten, darin waren sie sich einig. Dem widerspricht auch nicht, dass die Mätresse sich selbst als unpolitisch darstellte. Sie entsprach auf diese Weise gesellschaftlichen Konventionen und sicherte sich für die Zukunft die Handlungsspielräume, welche ihr gerade deshalb offen standen, weil sie durch ihre Stellung als Vertraute des Königs ohne formelles Amt vielfach an bestehenden Strukturen und zeremoniellen Regeln vorbei agieren konnte.

Politik und Geschäft: Interkulturelle Beziehungen zwischen Muslimen und Christen im Mittelmeerraum Von Wolfgang Kaiser

»Bei diesen Leuten findet man kein Erbarmen, in dem nicht Geldgier mitschwänge«, so ließe sich der Stoßseufzer in einem Brief zweier Kapuzinermönche aus Algier übersetzen, in dem sie 1587 ihren Oberen über ihre Erfahrungen bei den Verhandlungen über den Freikauf von in Algier versklavten Untertanen des Kirchenstaats berichteten1. Zwei Jahre später bestätigte der Marseiller Kaufmann Guillaume Borgal, Mittelsmann der redentori in Algier, ihren Eindruck: »Ich sehe keinen Weg mehr, wie man weiter verhandeln und die Redemption weiterführen könnte in diesem Land, in dem nicht nur die redentori übel behandelt und bedroht werden, sondern auch die Kaufleute, sodass sich alle zu dem Entschluss durchringen müssen, nicht weiter hier [in Algier] zu bleiben.«2 Diese und ähnliche zeitgenössische Äußerungen, die sich in den europäischen Quellen zuhauf finden lassen, sollten uns nicht dazu verleiten, die Beziehungen zwischen Muslimen und Christen im frühneuzeitlichen Mittelmeerraum als ständiges Scharmützel fehlzudeuten. Konflikte schlossen vielfältige Beziehungen nicht aus, sondern konnten sogar dazu anregen, neue Handelsbeziehungen zu knüpfen oder diese zu intensivieren. Die Beziehungen zwischen Muslimen und Christen in der Frühen Neuzeit schreiben sich im kulturell gesättigten Mittelmeerraum in eine weit ins Mittelalter zurückreichende Tradition ein. Die venezianischen Gesandten in Byzanz trugen seit 1082 den Titel bailo (balyos), 1205 wurde der erste bailo ernannt und als podestà veneziano e despota a Costantinopoli bezeichnet. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (1453) wurde den Venezianern 1 Co[n] questa gente no[n] si troua pietà doue n[e] [h]a l’interesse dil denaro. ASV, Arciconf. Gonfalone 7, f. 167 v. Frati Dionigi di Piacenza und Arcangelo di Rimini an die guardiani del Gonfalone in Rom, Algier, 5.4.1587. 2 Io non vedo piu estrada ne modo alcuno con che se poscia trattare et continuare la redentione in questo paese perch[e] non sollamente li redentori e[t] limosineri vengano mal tractati e[t] sacinati ma ancora li mercanti e[t] negotianti e[t] in modo che bisogna risolversi tutti a non star piu ne trattar in queste parte. ASV, Arciconf. Gonfalone 7, f. 215 r.: Guillaume Borgal an die Rettori in Rom, Alger, 20.4.1588. Siehe Wolfgang Kaiser, Una missione impossibile? Riscatto e comunicazione nel Mediterraneo Occidentale (secoli XVI–XVII), in: Informazioni e scelte economiche, hrsg. v. Wolfgang Kaiser / Biagio Salvemini, Quaderni Storici 124 (2007), 19–41.

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im Friedensvertrag vom 18. April 1454 Handelsfreiheit und die Vertretung durch einen bailo zugesichert3; in den diplomatischen Beziehungen knüpften die neuen Herrscher also zum Teil an byzantinische Traditionen an4. Die Absicherung des Handels stand auch im Vordergrund der ungefähr sechzig Abkommen, die italienische Stadtstaaten und Territorien von 1171 bis 1516 mit den Mamelucken in Ägypten und den Herrschern in Nordafrika (Almariden, Hafsiden, Meriniden) abschlossen5. Und auf der iberischen Halbinsel schlossen die kriegerischen Auseinandersetzungen der sogenannten Reconquista Verträge mit ökonomischen Klauseln zwischen den Gegnern keineswegs aus. Die portugiesischen und spanischen Häfen an der marokkanischen Atlantikküste (Larache, La Mamora, usw.)6 und die spanischen, portugiesischen, englischen (Tanger, 1661–1684), genuesischen (Tabarka) oder französischen (Bastion de France) Stützpunkte an der nordafrikanischen Mittelmeerküste schließlich konnten ohne Regelungen mit den lokalen Herrschern und Stämmen – das heißt ohne Tributzahlungen – gar nicht überleben7. Auf diese Tradition und diesen Erfahrungsschatz stützten sich die osmanischen Herrscher in Konstantinopel ebenso wie die europäischen Mächte, die im 16. und 17. Jahrhundert ständige Gesandtschaften und ein Netz von Konsulaten in muslimischen Ländern (im Osmanischen Reich und seinen Dependancen sowie in Marokko) aufbauten.

3 Christiane Villain-Gandossi, Les attributions du Baile de Constantinople dans le fonctionnement des échelles du Levant au XVIe siècle, in: Recueils de la Société Jean Bodin, Bd. 32: Les grandes escales, 2. Teil: Les temps modernes, Bruxelles 1972, 227–244; Eric R. Dursteler, Venetians in Constantinople. Nation, Identity, and Coexistence in the Early Modern Mediterranean, Baltimore 2006. 4 Niels Steensgaard, Consuls and Nations in the Levant from 1570 to 1650, in: Merchant Networks in the Early Modern World, hrsg. v. Sanjay Subrahmanyam, Aldershot 1996, 179–221; Daniel Goffman, The Ottoman Empire and Europe, Cambridge 2002. 5 J.M.J.L. Mas Latrie, Traités de paix et de commerce et documents divers concernant les relations des chrétiens avec les Arabes de l’Afrique septentrionale au Moyen Âge, Paris 1866; Dominique Valérian, Bougie, port maghrébin, 1067–1510, Rom 2006; ders., Le rachat des captifs dans les traités de paix de la fin du Moyen Âge. Entre diplomatie et enjeux économiques, in: La rançon, hrsg. v. Wolfgang Kaiser, Paris 2006, 343–358. 6 Leïla Maziane, Salé et ses Corsaires (1666–1727). Un port de course marocain au XVIIe siècle, Caen 2007. 7 Zu Oran siehe Beatriz Alonso Acero, Orán-Mazalquivir, 1589–1659. Una sociedad española en la frontera de Berbería, Madrid 2000; Jean-Frédéric Schaub, Les juifs du roi d’Espagne. Oran 1509–1669, Paris 1999. Zu Tabarka Philippe Gourdin, Tabarka. Histoire archéologique d’un préside espagnol et d’un comptoir génois en terre africaine (XVe– XVIIIe siècle), avec une contribution de Monique Longerstay, Rom 2008.

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Was änderte sich in der Frühen Neuzeit in diesen Beziehungen? Durch das Vordringen der Osmanen im 15. bis 17. Jahrhundert wurden die Karten im Mittelmeerraum neu gemischt, neue Kräfteverhältnisse geschaffen und beispielsweise mit den nunmehr unter osmanischer Oberhoheit stehenden nordafrikanischen Herrschaften (»Regentschaften«) ein Prozess in Gang gesetzt, in dem bereits früher praktizierte Umgangsformen gleichsam neu erlernt werden mussten. Ein zweites Element des Wandels war die zunehmende Bedeutung Frankreichs und der northern intruders, der atlantischen Mächte England und der Niederlande, im Mittelmeerhandel. Damit wurde, vor dem Hintergrund der ersten Globalisierung und der Intensivierung des Levantehandels, eine starke intereuropäische Konkurrenz um die vorteilhaftesten terms of trade im Osmanischen Reich in Gang gesetzt, die über Kapitulationen, Gesandtschaften und Konsulate in den Häfen der Levante und des Maghreb abgesichert wurden. Im Wechselspiel von Diplomatie und Handel wurden die Außenbeziehungen zwischen christlichen und muslimischen Mächten geknüpft und gefestigt, wobei aufgrund der Wichtigkeit des Handels den hierarchisch den Gesandtschaften untergeordneten Konsulaten, die für die Verhandlungen mit den örtlichen Autoritäten und für die Führung der »Nation« zuständig waren, eine zentrale Bedeutung zukam. Dies war eine asymmetrische Entwicklung, denn während die Europäer ein Netz von Konsulaten in der Levante und im Maghreb aufbauten, gab es eine dergestalt abgesicherte institutionelle Struktur für die muslimischen Kaufleute in den europäischen Hafenstädten nicht. Im Gegenteil, das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit waren eine Zeit zunehmender Ungastlichkeit, wie sich an der Umwandlung von funduqs für die Beherbergung muslimischer Kaufleute in Waren- und Getreidedepots zeigt8. Die Einrichtung des fondaco dei turchi in Venedig zu Beginn des 17. Jahrhunderts ist kein Gegenbeispiel, sondern bei näherem Hinblick auf seine Entstehungsgeschichte eher eine Bestätigung dieser Einschätzung9. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sicherte die spanische Krone Algier die ständige Vertretung in einem spanischen Mittelmeerhafen vertraglich zu10. 8 Olivia R. Constable, Housing the Stranger in the Mediterranean World. Lodging, Trade, and Travel in Late Antiquity and the Middle Ages, Cambridge 2003. 9 Ennio Concina, Fondaci. Architettura, arte e mercatura tra Levante, Venezia e Alemagna, Venedig, 1997, 219–246; Cemal Kafadar, A Death in Venice (1575). Anatolian Muslim Merchants Trading in the Serenissima, in: Journal of Turkish Studies 10 (1986), 191–218; Maria Pia Pedani-Fabris, Presenze islamiche a Venezia, in: Levante 35 (1993), 13–20. 10 Jörg Manfred Mössner, Die Völkerrechtspersönlichkeit und die Völkerrechtspraxis der Barbareskenstaaten, Berlin 1968; Christian Windler, De l’idée de croisade à l’acceptation d’un droit spécifique. La diplomatie espagnole et les Régences du Maghreb au XVIIIe siècle, in: Revue Historique 301 (1999), 747–788.

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Die institutionelle Asymmetrie bedeutet aber nicht, dass muslimische Kaufleute während der Frühen Neuzeit in den europäischen Mittelmeerhäfen nicht präsent gewesen wären, sie scheinen nur weniger sichtbar. Bei näherem Hinsehen ergibt sich zwischen Andalusien, Malta, Sizilien und den maghrebinischen Häfen oder zwischen Marseille, Genua, Livorno und Algier oder Tunis ein dichtes Netz von Handelsbeziehungen, getragen von Kaufleuten mit doppelter Residenz in Marseille und Algier, in Tunis und Palermo oder Livorno11.

I. Diplomatie und Handel In der neueren Literatur wird unterstrichen, dass die italienischen Mächte nach dem Schock der Eroberung von Konstantinopel, der in der älteren Historiographie unter Berufung auf Enea Silvio Piccolominis Traktat Europa (1458) oder seinen Brief an Mehmet II. (1461) im Vordergrund stand, nicht nur bald wieder zum business as usual übergingen, sondern sogar versuchten, die neuen Herrscher in Konstantinopel günstig zu stimmen und die Bündnisse mit dem Sultan im italienischen Mächtespiel einzusetzen: 1464 wollte etwa Sigismondo Malatesta, der Herrscher von Rimini, seinen Hofkünstler Matteo de’ Pasti zur Anfertigung eines Portraits und einer Büste des Sultans und mit dem Ziel einer Allianz gegen Venedig zur Hohen Pforte schicken – der Künstler wurde aber von den Venezianern abgefangen. Diese sandten ihrerseits Gentile Bellini, den Bruder von Giovanni, für mehrere Monate nach Konstantinopel, wo er ein Portrait Mehmets II. im europäischen Stil sowie ein Portrait eines türkischen Schreibers im persischen Stil malte. Diese Beispiele werden in neueren Untersuchungen ins Feld geführt, um die eurozentrische Auffassung der Renaissance aufzubrechen und in Richtung einer kulturellen Zirkulation zwischen Ost und West zu erweitern. Während solche kulturwissenschaftliche Analysen ihrerseits zum Teil etwas einseitig die friedliche Kulturdiplomatie zu betonen scheinen12, betten andere Arbeiten diese Zirkulation realistischer 11 Sadok Boubaker, La Régence de Tunis au XVIIe siècle. Ses relations commerciales avec les ports de l’Europe méditerranéenne, Marseille et Livourne, Zaghouan 1987; Giuliana Boccadamo, Mercanti e schiavi fra Regno di Napoli, Barberia e Levante (secc. XVII– XVIII), in: Rapporti diplomatici e scambi commerciali nel Mediterraneo, hrsg. v. Mirella Mafrici, Soveria Mannelli (Catanzaro), 2004, 237–273; Alberto Anaya Hernández, Simón Romero, pescador gran canario y gran almirante de la armada argelina, in: Anuario de estudios atlánticos 49 (2003), 1–21. 12 Jerry Brotton, Renaissance Bazaar. From the Silk Road to Michelangelo, Oxford 2002, 50–52; Lisa Jardine / Jerry Brotton, Global Interests. Renaissance Art between East and West, London 2000; Gerald MacLean (Hrsg.), Re-Orienting the Renaissance. Cultural

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in die materielle Kultur eines offenen Mittelmeerraums »zwischen Bazar und Piazza« ein13. Die diplomatische Präsenz der »neuen« europäischen Mächte an der Hohen Pforte ließe sich in die generelle Tendenz der Schaffung ständiger Gesandtschaften einordnen, mit einem gewissen zeitlichen Nachhinken verglichen mit der Präsenz Venedigs und Genuas in Konstantinopel, wobei der Fall Frankreichs am besten in den Rahmen einer klassischen Diplomatiegeschichte im Kontext des euro-mediterranen Kräfteverhältnisses zu passen scheint. Nach Spanien und England entsandte auch Frankreich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ständige Gesandte nach Rom und Venedig (1520) und – nach einem ersten gescheiterten Versuch 1525 (die Gesandten wurden in Bosnien ermordet) – im Jahr 1535 erstmals eine ständige Gesandtschaft nach Konstantinopel zu Suleiman I. Erster französischer Gesandter war Jean de La Forest, der auf Grund der Kommunikationsprobleme von Venedig aus instruiert und besoldet wurde. Dessen Entwurf eines Vertrages verlief nach europäischem Muster; die angeblichen ersten »Kapitulationen« von 1536 wurden von der Pforte indes wohl nicht akzeptiert14. Die französisch-osmanischen Beziehungen erstreckten sich in der ersten Phase (1525–1559) auch auf eine militärische Zusammenarbeit. Diese begann in den 1530er Jahren und währte bis 1558; insbesondere die Gesandtschaft von Gabriel d’Aramon (1547–1553), begleitet unter anderem von Guillaume Postel und Pierre Belon, diente auch diesem Zweck15. Es folgte eine lange Phase der Abkühlung, die von 1559 bis 1683 währte und in welche die ersten quellenmäßig belegten Kapitulationen von 1569 fallen. Diese waren in der Form eines einseitigen Gnadenakts des Sultans verfasst, der Niels Steensgard zufolge jedoch nicht einen ahdname, sondern die Privilegien zum Vorbild hatte, die Byzanz Venedig gewährte16. Die Verhandlungsergebnisse von Claude Du Bourg stießen deshalb auf die Kritik der französischen Diplomaten:

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Exchange with the East, Houndsmill / New York 2005. Siehe auch Hans Belting, Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks, München 2008. Rosamond E. Mack, Bazaar to Piazza. Islamic Trade and Italian Art, 1300–1600, Berkeley 2002; Lisa Jardine, Worldly Goods. A New History of the Renaissance, New York 1996; Ennio Concina, Il doge e il sultano. Mercatura, arte e relazioni nel primo ‘500, Rom 1994. Abgedruckt in: Négociations de la France dans le Levant, hrsg. v. Eugène Charrière, 4 Bde., Paris, 1848–1860, Bd. 1, 285–294 (Capitulations, Februar 1535 v.st.). Es handelt sich wahrscheinlich nur um ein von La Forest verfasstes Protokoll, siehe Michel Fontenay, Capitulations, in: Dictionnaire de la France d’Ancien Régime, hrsg. v. Lucien Bély, Paris 1996, 201–203, mit der einschlägigen Literatur. Siehe zu dieser Gesandtschaft Almut Höfert, Den Feind beschreiben. ›Türkengefahr‹ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich, 1450–1600, Frankfurt a. M. / New York 2003. N. Steensgaard, Consuls and Nations (Anm. 4).

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»Du Bourg hat Kapitulationen wie jene Venedigs ausgehandelt, etwas, woran weder meine Vorgänger noch ich je hätten denken wollen, da sie für Ihre Grandeur von zu großem Nachteil sind, zumal Ihre Majestäten niemals geringer sind noch sich geringer schätzen dürfen als der Sultan« schrieb der Gesandte Grandchamp an Katharina von Medici am 16. Oktober 156917. Ähnlich äußerte sich 1581 Gilbert Nouilles, ehemaliger Gesandter an der Hohen Pforte: »Die angebliche Kapitulation hat nicht im geringsten die Form, um so genannt zu werden, denn es wird darin nur der Sultan aufgeführt, der darin Anordnungen nach Art eines Gebots trifft; sie hat in dieser Hinsicht nichts gemein mit jener, die Sieur de la Forêt von Fürst zu Fürst abgeschlossen hat, in der beide sich äußern und ihre Minister für sich verhandeln lassen.«18 So kritikwürdig sie in französischen Diplomatenaugen auch erschienen, in handelspolitischer Hinsicht sicherten diese Kapitulationen Frankreich vorteilhafte Bedingungen. So mussten alle europäischen Kaufleute außer den Venezianern und Genuesen unter französischer Flagge fahren; zudem wurden die Abgaben auf drei Prozent reduziert. Diese Kapitulationen wurden unregelmäßig erneuert und immer differenzierter ausgestaltet: Sie umfassten 18 Artikel im Jahr 1569, 85 Artikel im Jahr 174019. Das 17. Jahrhundert war eine Phase abgekühlter Beziehungen: Zwischen 1604 und 1673 gab es keine Erneuerung der Kapitulationen, von 1661 und 1665 befand sich kein französischer Gesandter an der Hohen Pforte – dieser war wegen der schlechten Behandlung, der er in Konstantinopel ausgesetzt gewesen war, heimgerufen worden. Dennoch bildeten die Kapitulationen die Grundlage für die Schaffung von französischen Konsulaten im muslimisch-osmanischen Mittelmeerraum im 16. und 17. Jahrhundert, wie sie Géraud Poumarède nachgezeichnet hat20, und prägten 17 De Bourg a tiré des capitulations comme celles des Vénitiens, chose que mes prédécesseurs ni moi n’avons jamais voulu penser, pour être un trop grand tort fait à votre grandeur, d’autant que vos majestés ne se sont ni ne doivent jamais moins s’estimer que le Grand Seigneur […]. Négociations avec le Levant (Anm. 14), Bd. III, 91. 18 Que la prétendue capitulation n’a aucune forme vraie pour être appelée ainsi, car il n’y a que le Grand Seigneur qui dispose en icelle comme par commandement sien; et n’ayant pour ce regard rien de semblable avec celle du sieur de la Forêt faite de prince à prince, parlant tous deux et traitant leurs ministres pour eux. Zit. nach: Géraud Poumarède, Négocier près la Sublime Porte. Jalons pour une nouvelle histoire des capitulations franco-ottomanes, in : L’invention de la diplomatie. Moyen Âge – temps modernes, hrsg. v. Lucien Bély, Paris 1998, 71–85, 74. 19 1581 ( J. de Germigny), 1597 (F. Savary de Brèves), 1604 (F. Savary de Brèves), 1673 (Ch.-F. Olier de Nointel), 1740 (M. de Villeneuve). 20 Géraud Poumarède, Naissance d’une institution royale. Les consuls de la nation française en Levant et en Barbarie aux XVIe et XVIIe siècles, in: Annuaire-Bulletin de la Société de l’histoire de France, année 2001, Paris 2003, 65–128.

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die Diplomatiegeschichte, wie sie für Frankreich in der einschlägigen Darstellung von Michael Hochedlinger nachzulesen ist21. Komplizierter wird es, wenn man die innereuropäische Konkurrenz an der Hohen Pforte in den Blick nimmt, bei der Handelsinteressen mit diplomatischen Mitteln verfochten wurden22. In die Phase der inneren Schwächung Frankreichs durch die religiösen Bürgerkriege in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fiel der Vorstoß Englands mit dem Zweck, eine diplomatische Vertretung an der Pforte und ebenbürtige Handelsbedingungen zu erreichen. Englische Kaufleute waren bereits im Spätmittelalter im Mittelmeerhandel (straights trade) mit Stockfisch, kretischem Malvasierwein und Korinthen präsent. Nach einer Unterbrechung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts handelte es sich also nicht um ein erstes Eindringen, sondern um eine Rückkehr ins Mittelmeer, zunächst unter französischer Flagge23. Im Unterschied zur französischen Diplomatie an der Hohen Pforte wurden die englischen Verhandlungen im Auftrag der Krone von Kaufleuten geführt und von der Levant Company finanziert. Die Initiative zu einer Deputation an die Pforte kam von zwei Londoner Kaufleuten, Edward Osborne und Richard Staper, die im Handel mit Spanien und Portugal, später auch mit Brasilien und dem Maghreb (Barbary Company, 1585) aktiv waren24. Ein Faktor Osbornes, der Kaufmann William Harborne, wurde 1578 in Konstantinopel tätig, handelte dort unter französischer Flagge und verhandelte gleichzeitig mit der Pforte. Die ersten, 22 Artikel umfassenden Kapitulationen von 1580 gestanden England die gleichen Bedingungen zu wie Frankreich, insbesondere die Aufhebung des Flaggenzwangs. Nach deren Annullierung auf Druck des französischen Botschafters Jacques de Germigny führten erneute Verhandlungen Harbornes zu neuen Kapitulationen im Jahre 1583, welche die Senkung der Abgaben von fünf auf drei Prozent und damit die Gleichstellung mit Frank21 Michael Hochedlinger, Die französisch-osmanische ›Freundschaft‹ 1525–1792. Element antihabsburgischer Politik, Gleichgewichtsinstrument, Prestigeunternehmung – Aufriss eines Problems, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 102 (1994), 108–164. 22 Zu den venezianischen Handelsabkommen siehe Milos Jačov, Gli accordi commerciali tra l’impero ottomano e la Repubblica di Venezia, in: Rapporti diplomatici e scambi commerciali nel Mediterraneo moderno, hrsg. v. Mirella Mafrici, Salerno 2003, 87–109. 23 Gigliola Pagano De Divitiis, Mercanti inglesi nell’Italia del Seicento. Navi, traffici, egemonie, Venedig 1990 (engl. Übers. 1997); Maria Fusaro, Uva passa. Una guerra commerciale tra Venezia e l’Inghilterra, 1540–1640, Venedig 1996; Molly Greene, Beyond the Northern Invasion. The Mediterranean in the Seventeenth Century, in: Past and Present 174 (2002), 42–71; dies., A Shared World. Christians and Muslims in the Early Modern Mediterranean, Princeton 2000. 24 Alfred C. Wood, A History of the Levant Company, London 1964 (1935).

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reich beinhalteten. Die englische Position wurde durch die Ernennung eines ständigen Gesandten gestärkt, aber die englische Mittelmeerdiplomatie funktionierte weiterhin in der Zusammenarbeit von Krone und der neuen Levant Company. Diese war 1592 aus der Turkish und der Venice Company entstanden und entlohnte die Konsuln, wie schon den 1581 von Elisabeth I. zum »Gesandten und Agenten« der Krone ernannten Harborne, der 200 Pfund plus Spesen erhielt. Harborne ernannte zwischen 1583 und 1585 einen Agenten für Kairo, Alexandrien und Ägypten, einen weiteren für Aleppo, Damaskus und Tripolis in Syrien (Residenzort) sowie einen Konsul für Algier, Tunis und Tripolis in Libyen. Weitere Konsulate wurden auf dem Peloponnes (Morea) und in der griechischen Inselwelt geschaffen. Zu den Engländern gesellten sich die Niederländer. Auch sie betrieben die straatfahrt, den Mittelmeerhandel, zunächst unter französischer und nach 1583 – mit Erlaubnis des Sultans – unter englischer Flagge. Die England gewährten Kapitulationen von 1601 bestätigten dieses Recht für die Provinzen Holland, Zeeland, Friesland und Geldern. Der anschließende Streit zwischen Frankreich und England illustriert, worum es bei den diplomatischen Beziehungen im Wesentlichen ging: um die Abgaben in Höhe von drei oder fünf Prozent und das Protektionsrecht der eigenen Flagge für Kaufleute anderer Länder oder den Flaggenzwang – ein Kampf um die lukrative Protektion der Niederländer, oder, in den Worten Frederic C. Lanes, um eine »Protektionsrente« 25. 1604 erlangte der französische Botschafter Savary de Brèves, der des Osmanischen mächtig war, in den Kapitulationen den exklusiven Flaggenzwang, kurz darauf jedoch erwirkte seinerseits der englische Gesandte Sir Thomas Glover (1607–1611) eine Bestätigung der England gewährten Konditionen, die in die Kapitulationen von 1607 aufgenommen wurden. Der Streit wurde so heftig geführt, dass der Großwesir 1609 den venezianischen bailo um einen Schiedsspruch bat. Dieser wurde zu einem Pyrrhussieg für Frankreich: Es erhielt zwar das Schutzrecht für dreizehn niederländische Provinzen, England wahrte jedoch das Protektionsrecht über die vier allein Seefahrt im Mittelmeer treibenden Provinzen. Die niederländischen Kaufleute im Levantehandel nutzten diese anglo-französische Rivalität aus und fuhren unter der jeweils günstigsten Flagge. 25 Frederic C. Lane, Economic Consequences of Organized Violence, in: Journal of Economic History 18 (1958), 401–417; ders., Profits from Power. Readings in Protection Rent and Violence-Controlling Enterprises, Albany 1979; Janice E. Thompson, Mercenaries, Pirates and Sovereigns. State-Building and Extraterritorial Violence in Early Modern Europe, Princeton 1994.

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Noch vor der Hohen Pforte wurde Marokko ein diplomatischer Partner der Generalstaaten, mit einer ersten niederländischen Deputation (1604– 1609), geleitet von Pieter Martens Coy, gefolgt von zwei marokkanischen Gesandtschaften26. Der Waffenstillstand von 1609 mit Spanien verhinderte nicht den Abschluss eines ersten offiziellen Abkommens mit dem marokkanischen Herrscher am 24. Dezember 1610, das die Lieferung von Kriegsmaterial und drei Schiffen an Marokko sowie die Handelsfreiheit und Öffnung der marokkanischen Häfen auch für holländische Kriegsschiffe vorsah27. Parallel dazu diskutierten die Generalstaaten über die Sicherung des Levantehandels und beschlossen nach brieflicher Aufforderung durch in Konstantinopel residierende Goldschmiede (etwa Giacomo Ghisbrechti) und Konsultation der Kaufleute in Holland, eine Gesandtschaft an die Pforte zu schicken und dort eine ständige Botschaft zu errichten, um Kapitulationen nachzusuchen sowie um die Errichtung eines Generalkonsulats in Syrien und Zypern. Der Gesandte Cornelis Haga, ein Advokat und ehemaliger Kaufmann, war mit den Verhältnissen vertraut. Er hatte das Osmanische Reich bereist und war dort als Faktor für Handelshäuser tätig gewesen. Im März 1612 traf er nach abenteuerlicher Reise in Konstantinopel ein28. Noch im selben Jahr erwirkte er Kapitulationen, die den Niederländern die gleichen Bedingungen wie den anderen europäischen Mächten einräumten. Cornelis Haga blieb bis 1639 in Konstantinopel, bevor er über Moldawien, Danzig und Lübeck nach Holland zurückkehrte. Die Kapitulationen ermöglichten die Einrichtung von Konsulaten in Aleppo für Syrien (bis 1631), auf Zypern, in Algier – betrieben von Wijnant de Keyzer29, gefolgt von Pieter Martens Coy bis 1629, dem Todesjahr de Coys – und in Tunis, wo Cornelis Pijnacker und dann Lambert Verhaer, der 1629 nach Livorno 26 Alexander H. Groot, The Ottoman Empire and the Dutch Republic. A History of the Earliest Diplomatic Relations, 1610–1630, Leiden / Istanbul 1978, 94–96; ders., Friends and Rivals in the East. Studies in Anglo-Dutch Relations in the Levant from the Seventeenth to the Early Nineteenth Century, Leiden 2000. 27 Ausgehandelt u. a. von Samuel Pallache, der den Botschafter Ahmed ibn Abdallah begleitete. Vgl. Mercedes Garcia Arenal / Gerard Wiegers, Entre el Islam y Occidente. Vida de Samuel Pallache, judío de Fez, Madrid 1999 (engl. Übers. 2003), erweiterte Neuaufl. Madrid 2008. 28 Er reiste im November 1611 inkognito über Köln, Nürnberg und Wien, dann weiter nach Graz, unter dem Deckmantel einer Freikaufsmission. In Fiume (Rijeka) mietete er ein Schiff, um die Uskoken-Piraten in die Irre zu führen, die den Befehl hatten, ihn gefangen zu nehmen, schiffte sich selbst dann im istrischen Pula ein, wechselte schließlich auf der Insel Zante auf ein venezianisches Boot, usw. 29 Gérard van Krieken, Corsaires & marchands. Les relations entre Alger et les Pays-Bas, 1604–1830, Paris 2002 (niederländisch 1999).

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flüchten musste, residierten. Im Gegensatz zu Frankreich und England bauten die Niederländer allerdings keine solide institutionelle Konsulatsstruktur auf, sondern mussten sich angesichts der feindseligen Behandlung in Algier und Tunis 1629 nach Genua und Livorno zurückziehen. Nach dem Ende des Waffenstillstands mit Spanien (1621), als die spanischen Häfen ihnen erneut verwehrt waren, stützten sie sich ab 1625 auf ein Konvoisystem oder fuhren zum Teil unter anderer Flagge30. Diese erste Phase der diplomatischen Beziehungen ließ pittoreske Gestalten aus dem Dunkel der Geschichte auftauchen wie den osmanischen Meisterspion französischer Herkunft, Gabriel Defrens31, der 1580 vom Sultan mit dem offiziellen Auftrag, Uhren zu kaufen, nach England geschickt worden war. Vor ihm warnte der kaiserliche Botschafter in Konstantinopel, Joachim von Sinzendorff, in einem Brief nach Wien: »[E]in Kundschafter wurde von hier nach England geschickt, ein geborener Franzose oder eher Niederländer namens Gabriel, wie mir Personen berichtet haben, die ihn gesehen haben, ein junger Mann von 25 oder 26 Jahren, mit einem dunklen, fast schwärzlichen Bart, ein hagerer Mann, mittelmässig lang, und wenn er redet, dann geht ihm die Rede etwas schnaufend durch die Nase, aber nicht zu doll, seine Sprachen sind ein gutes Französisch, Welsch, einigermaßen Latein und Türkisch, er hat eine Warze auf einer Wange«32. Die Vermengung von Spionage und politischem Lobbying lässt sich bei allen europäischen Gesandtschaften an der Pforte beobachten33. Für England und die Niederländer standen in dieser ersten Phase vom 16. bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Diplomaten-Kaufleute im Zentrum: William Harborne und Cornelius Haga in Konstantinopel; in Marokko, neben dem offiziellen Gesandten, für den Sultan als Kaufleute, Informanten und Korsaren tätige jüdische Broker wie Samuel Pallache34. Im französischen 30 Marie-Christine Engels, Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs. The ›Flemish‹ Community in Livorno and Genoa (1615–1635), Hilversum 1997; dies., Schiavi, commercio e baratto con Cala e Stora. Il ruolo degli Olandesi all’inizio del Seicento, in: Le commerce des captifs. Les intermédiaires dans l’échange et le rachat des prisonniers en Méditerranée, XVe–XVIIIe siècle, hrsg. v. Wolfgang Kaiser, Rom 2008, 283–290. 31 Susan Skiliter, The Sultan’s Messenger. Gabriel Defrens: An Ottoman Masterspy of the Sixteenth Century, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 68 (1976), 47–59. 32 Ebd., 56. 33 Bruno Simon, Lobby et réseau d’espionnage vénitiens à Constantinople au milieu du XVIe siècle, in: Patronages et clientélismes, 1550–1750 (France, Angleterre, Espagne, Italie), hrsg. v. Charles Giry-Deloison / Roger Mettam, Lille / London 1995, 207–216; Paolo Preto, I servizi segreti di Venezia, Mailand 1994. 34 M. Garcia Arenal / G. Wiegers, Entre el Islam y Occidente (Anm. 27).

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Fall scheinen dagegen von Anfang an Adlige als Gesandte vorzuherrschen, mit Ausnahme inoffizieller Gesandtschaften wie jener des korsischen condottiere in französischen Diensten, Sampiero Corso, in den 1560er Jahren, bei der es um ein Projekt zur Rückeroberung Korsikas von Genua ging35. Doch auch hier kommen Kaufleute ins Blickfeld: auf der Ebene des Konsulats und seines Personals. Unlängst ist die zentrale Bedeutung der Konsuln an der Schnittstelle von Handel und Politik eingehend untersucht worden, allerdings mit dem Fokus auf die französischen Konsuln und den innereuropäischen Handel36. In den maghrebinischen Regentschaften gab es Konsuln seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Frankreich) beziehungsweise den ersten Jahrzehnten des 17.  Jahrhunderts (Niederlande, England)37. Zunächst diente in Algier und Tunis die Residenz des Konsuls als Notariat für Verträge und Ort der Konfliktregelung und zugleich als Herberge für Reisende wie beispielsweise für die redentori der Freikaufmissionen religiöser Orden und Bruderschaften. In der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden dann in Tunis größere Gebäudekomplexe, der fondouk des Français und in der Nachbarschaft der funduq der Engländer und jener der Niederländer38. Die Zentralität der konsularischen Residenz bestand zunächst in der elementaren Schutzfunktion. Der französische Konsul Jacques de Vias musste sich in Algier um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert mehrfach wochenlang in seinem Haus verbarrikadieren, um sich vor der aufgebrachten Menge zu schützen. Doch dieser Schutz war durchaus trügerisch: Der niederländische Konsul Wijnant de Keyzer wurde während seines elfjährigen Aufenthalts in Algier dreimal ins Gefängnis geworfen und erhielt eine öffentliche Bastonade39. Die zentrale Bedeutung der Konsuln ergab sich aber vor allem aus der rechtlichen Funktion, aus dem Beglaubigungsrecht für geschäftliche Transaktionen und aus ihrer Arbitragefunktion. Das Recht des französischen Konsuls, derartige Beglaubigungen vorzunehmen – und dies auch für europäische Kaufleute anderer Nationen –, hat uns herausragende Quellen für die politische 35 Michel Vergé-Francescchi / Antoine-Marie Graziani, Sampiero Corso, 1498–1567. Un mercenaire européen au XVIe siècle, Ajaccio 1999. 36 Jörg Ulbert / Gérard Le Boëdec (Hrsg.), La fonction consulaire à l’époque moderne. L’affirmation d’une institution économique et politique (1500– 1700), Rennes 2006. 37 G. Poumarède, Naissance d’une institution royale (Anm. 20). Zur späteren Entwicklung siehe Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840), Genf 2002. 38 Jacques Revault, Le Fondouk des Français et les Consuls de France à Tunis, 1660–1860, Paris 1984. 39 G. van Krieken, Corsaires & marchands (Anm. 29), 21.

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und Handelsgeschichte beschert, so etwa die von der französischen Kanzlei in Tunis beglaubigten Rechtsakte von 1582 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts40. Die hier nachgezeichnete frühe Phase der Beziehungen mit dem Osmanischen Reich zeigt die zentrale Bedeutung des Handels, die sich auch anhand der venezianisch-osmanischen Beziehungen aufweisen ließe41, in den Untersuchungen über die habsburgischen Gesandtschaften jedoch bislang weitgehend ausgeblendet worden zu sein scheint42. Die Auseinandersetzung um die terms of trade und die abenteuerlichen Aspekte der Mächtekonkurrenz machen zugleich den Erkenntnisgewinn deutlich, der sich einstellt, wenn man sich der praktischen Umsetzung der Abkommen nähert. Niels Steensgard hat 1996 in einer vergleichenden Untersuchung über die Konsulate Venedigs, Frankreichs, Englands und der Niederlande in Syrien (Tripoli, Aleppo, Alexandretta) und Ägypten (Alexandria, Kairo) von 1570 bis 1650 darauf hingewiesen, wie wenig Respekt die lokalen Behörden für die Kapitulationen hatten und wie anders die realen Bedingungen vor Ort aussahen43. Die prekäre Lage der Konsuln geht noch am Ende des 17. Jahrhunderts aus dem Journal des englischen Kon40 Pierre Grandchamp, La France en Tunisie (1582–1705), 10 Bde., Tunis 1921–1933. 41 M. Jačov, Gli accordi commerciali (Anm. 22). Maria Pia Pedani, In nome del Gran Signore. Inviati ottomani a Venezia dalla caduta di Costantinopoli alla guerra di Candia, Venedig 1994; dies., Venezia tra Turchi, Mori e Persiani, Vicanza 2005; dies., Documenti turchi dell’archivio di stato di Venezia, Rom 1994; Hans Theunissen, Ottoman-Venetian Diplomatics. The ‘adh-names, Utrecht 1998; Hans-Georg Beck u. a. (Hrsg.), Venezia centro di mediazione tra Oriente e Occidente. Secoli XV–XVI, aspetti e problemi, 2 Bde., Florenz 1977; Alberto Tenenti (Hrsg.), Venezia e i Turchi. Scontro e confronti di due civiltà, Mailand 1985; Marie-Françoise Viallon, Venise et la Porte ottomane, 1453–1566. Un siècle de relations vénéto-ottomanes de la prise de Constantinople à la mort de Soliman, Paris 1995; Géraud Poumarède, Pour en finir avec la croisade, Paris 2004. Lucette Valensi, Venise et la Sublime Porte. La naissance du despote, Paris 2005. Zum Levantehandel siehe Michel Fontenay, Le commerce des Occidentaux dans les échelles du Levant au XVIIe siècle, in: Relazioni economiche tra Europa e mondo islamico. Secc. XIII–XVIII, hrsg. v. Simonetta Cavaciocchi, Florenz 2008. 42 Wolfgang Neuber‚ ›Türkisches‹ Zeremoniell. Alterität und Vertrautheit der osmanischen Herrschaftsdemonstration am Beispiel von Salomon Schweiggers ›Reyßbeschreibung‹ (1608), in: Zeremoniell in der Krise. Störung und Nostalgie, hrsg. v. Bernhard Jahn / Thomas Rahn / Claudia Schnitzer, Marburg 1998, 78–88; Peter Burschel, Der Sultan und das Hündchen. Zur politischen Ökonomie des Schenkens in interkultureller Perspektive, in: Historische Anthropologie 15 (2007), 408–421; ders., Verlorene Söhne. Bilder osmanischer Gefangenschaft in der frühen Neuzeit, in: Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Birgit Emich / Gabriela Signori (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 42), Berlin 2009, 157–182; Hedda Reindle-Kiel, Der Duft der Macht. Osmanen, islamische Tradition, muslimische Mächte und der Westen, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 95 (2005), 195–258. 43 N. Steensgaard, Consuls and Nations (Anm. 4).

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suls im libyschen Tripoli, Thomas Baker, hervor, der als »ehrenwerter Spion« fein säuberlich die von den Korsaren gekaperten Schiffe der europäischen Konkurrenten verzeichnete44.

II. Akteure vor Ort Konsulat und Nation waren gleichsam die institutionelle Grundstruktur der europäischen Präsenz im Osmanischen Reich und Marokko, eine juristische Form, die jedoch keineswegs erschöpfend Auskunft darüber gibt, wie viele Kaufleute wirklich an einem Ort tätig waren und unter welchen Bedingungen sie Handel trieben. Vor einer vorschnellen Gleichsetzung von Staat, Konsulat und »Nation« bewahrt ein Blick auf die interkontinentalen und polyzentrischen Netzwerke armenischer Kaufleute, die in der Levante und in Livorno eine zentrale Rolle spielten und deren Handeln als Verbindung von diaspora lobbying and ›stateless‹ power charakterisiert worden ist45. Auch für die europäischen Kaufleute im Mittelmeerhandel verbietet sich die Gleichsetzung mit der konsularisch kontrollierten »Nation«. Die British Factory in Livorno umfasste höchstens zwei Dutzend Kaufleute, die französische Nation in der Levante im 18. Jahrhundert einige hundert (650 im Jahr 1764). Eric Dursteler hat in seiner neueren Studie über die Venezianer in Konstantinopel in der Frühen Neuzeit ein Kapitel der unofficial nation gewidmet, bestehend aus banditi, schiavi, greci46. Bei einer genaueren Beschäftigung mit Freikaufsmissionen in Algier und Tunis kommen italienische und französische Kaufleute in den Blick, die als Residenten vor Ort, im Umkreis der Konsulate, ihre Mittlerdienste für europäische Neophyten im Maghrebhandel anboten47. Auch Berichte wie jener Hans Ulrich Kraffts, der im 16. Jahrhundert im syrischen Tripoli und in Aleppo als Faktor des Handelhauses Manlich tätig war, geben einen Einblick in die konkreten Bedingungen des Levantehandels48.

44 Piracy and Diplomacy in Seventeenth-Century North Africa. The Journal of Thomas Baker, English Consul in Tripoli, 1677–1685, hrsg. v. C.R. Pennell, Rutherford NJ 1989. 45 Sebouh Aslanian, Trade Diaspora versus Colonial State. Armenian Merchants, the English East India Company, and the High Court of Admiralty in London, 1748–1752, in: Diaspora 13 (2004), 37–100, 73. 46 E. Dursteler, Venetians in Constantinople (Anm. 3), Kap. 3. 47 W. Kaiser, Una missione impossibile (Anm. 2). 48 Reisen und Gefangenschaft Hans Ulrich Kraffts, hrsg. v. K.D. Haszler, Stuttgart 1861. Siehe auch Leonhart Rauwolff, Aigentliche beschreibung der Raiß inn die Morgenlaender (1583), Ndr. Graz 1971.

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Wir haben eine Reihe von Untersuchungen des Intrigenspiels an der Hohen Pforte, auch neuere kulturwissenschaftliche Arbeiten zur Geschenkpraxis und zum Zeremoniell der Empfänge von Gesandtschaften auf der Grundlage zeitgenössischer Berichte, etwa von Salomon Schweigger oder Stephan Gerlach49, wissen aber noch vergleichsweise wenig über die interkulturelle Praxis vor Ort in den Ottoman borderlands (Daniel Goffman). In Konstantinopel hatte man ständig mit der osmanischen Administration zu tun, im stark von den europäischen Kaufleuten geprägten Smyrna weit weniger. Konstantinopel, Smyrna und Aleppo erschienen von London aus gleich weit entfernt, von Konstantinopel und Smyrna aus gesehen war Aleppo im 17. Jahrhundert in einer Randlage, ein remote entrepot, wie Daniel Goffman gezeigt hat50. Christian Windlers historisch-anthropologische Untersuchung der Tätigkeit der französischen Konsuln in Tunis im 18. Jahrhundert ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu nennen51. Diese Akteure vor Ort standen gleichsam unter misstrauischer Beobachtung und waren nicht nur mit dem Standardvorwurf gegen die Venezianer konfrontiert, alla turchesca zu leben, sondern wurden – wie die französischen Vizekonsuln in Algier (Lucentio Prat) und Tunis (Antoine Bérenguier, Antoine Lovico) Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts – verdächtigt, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, die Beziehungen zu monopolisieren und mit den Autoritäten vor Ort unter einer Decke zu stecken52. Zeitlich gesehen tauchen diese ins Zwielicht gestellten Personen insbesondere in Phasen einer nur lockeren Kontrolle der weit entfernten Konsulate auf, also für Frankreich in der Zeit vor Colbert. Es ist wohl auch kein Zufall, dass Daniel Goffman in der Zeit der Bürgerkriege und Revolution in England in den entfernten Grenzregionen des Osmanischen Reiches auf ganz erstaunliche Britons gestoßen ist, für die er die schöne, vielleicht etwas überzogene Bezeichnung cultural cameleons geprägt hat. Ein hervorstechendes Beispiel ist Henry Hyde, in den 1630er und 1640er Jahren englischer Konsul von Morea mit Sitz in Patras gegenüber der Insel 49 Salomon Schweigger, Reyßbeschreibung auß Teutschland Nach Constantinopel vnd Jerusalem, Nürnberg 1608; Stephan Gerlachs deß Aeltern Tagen=Buch […], Frankfut a. M. 1674; W. Neuber, ›Türkisches‹ Zeremoniell (Anm. 42); P. Burschel, Der Sultan und das Hündchen (Anm. 42); H. Reindle-Kiel, Der Duft der Macht (Anm. 42). 50 Daniel Goffman, Britons in the Ottoman Empire, 1642–1660, Seattle / London 1998. 51 C. Windler, La diplomatie (Anm. 37). 52 Wolfgang Kaiser, Kaufleute, Makler und Korsaren. Karrieren zwischen Marseille und Nordafrika im 16. und 17. Jahrhundert, in: Schlaglichter: Preußen-Westeuropa. Festschrift für Ilja Mieck zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Ursula Fuhrich-Gruber / Angelus H. Johansen, Berlin 1997, 11–31.

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Zante am Golf von Korinth (Lepanto). Dieser nutzte seine konsularische Position, um im Korinthenhandel reich zu werden, und verwendete seine Einkünfte von der Levant Company, um ein voyvoladik im Umland von Patras zu erwerben, das ihm die Autorität eines osmanischen Paschas und zudem noch das Amt eines osmanischen Zolleinnehmers (bacdarlik) verlieh. Wegen Veruntreuung von Geldern der Levant Company seines Konsulamtes enthoben, hatte sein Nachfolger keine Chance, gegen diesen english despot und seine osmanischen Machtpositionen und Verbindungen anzukommen53. War Henry Hyde wirklich ein cultural cameleon oder nicht vielmehr ein Briton, der außer Kontrolle geraten war und couragiert seine Chancen in einer osmanischen Grenzprovinz genutzt hatte? Eher letzteres, denn so außergewöhnlich ist er nicht, wenn man an den britischen Abenteurer Sir Robert Shirley denkt, der 1617 im portugiesischen Goa an der indischen Westküste als persischer Gesandter im Mogulreich fungierte54. Englische Zeitgenossen meinten, dass selbst zum Islam übergetretene englische renegados, mit denen sie in Marokko über den Freikauf englischer Gefangener verhandelten, im Grunde »hartgesottene Engländer« geblieben seien – eine gleichsam unauslöschliche kulturelle Prägung oder »Natur«, die Verständigung ermöglichte55. Die Bezeichnung cultural cameleon ließe sich vielleicht eher verwenden für interkulturelle Broker wie Samuel Pallache, als Dolmetscher und Übersetzer Mitglied einer marokkanischen Gesandtschaft in die Niederlande, marokkanisch-spanischer Doppelagent, Kaufmann und Korsar, der sein abenteuerliches Leben zwischen Fez, Madrid, Amsterdam und London führte. Oder für einen anderen Agenten und Waffenschmuggler, den portugiesischen converso Manuel Vaz de Azevedo, der zwischen Frankreich, England und Marokko agierte und je nach Land als Lutheraner, Katholik oder Jude galt56. Vielleicht gab es eine historische Phase – vom Ausgang des 15. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts – in dem solche Virtuosi und facettenreichen Gestalten Konjunktur hatten und Kraft ihrer Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit eine wesentliche Rolle in den (diplomatischen und anderen) Außenbeziehungen im interkulturellen Kontext spielen konnten, vielleicht auch noch im europäischen Kontext. Durch die striktere Organisation und Kontrolle des Systems der Konsuln und Nationen sowie die Professionalisierung der europäischen Diplomatie verschwanden freilich weder die Virtuosi – wenn man etwa an die Rolle von Spionen, Kaufleuten und Journalisten wie Daniel Defoe im 53 54 55 56

D. Goffman, Britons (Anm. 50), 51–67. M. García Arenal / G. Wiegers, A Man of Three Worlds (Anm. 27), 44–45. Nabil Matar, Turks, Moors & Englishmen in the Age of Discovery, New York 1999, 72. M. García-Arenal / G. Wiegers, A Man of three Worlds (Anm. 27), 43–46.

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Umkreis des Kongresses von Utrecht (1713) denkt – noch die Anforderung gesteigerter Flexibilität, beispielsweise an die französischen und anderen Konsuln im Maghreb im 18. Jahrhundert57. Die Bezeichnung »kulturelles Chamäleon« verweist gleichsam auf ein Leben mit dem Wendemantel, eine geschickte Anpassung, wobei unterschwellig der Verdacht eines nur instrumentellen Verhaltens mitschwingt. Um die kreativen Leistungen in derartigen interkulturellen Situationen zu erfassen, operiert man in neueren Forschungen mit dem Begriff der »Hybridität«, die Neues durch die Fusion von Existierendem hervorbringt, etwa von Rechtspraktiken im Überschneidungsbereich von zwei Rechtssystemen58. Die räumlichen Metaphern zur Bezeichnung einer interkulturellen Kontaktzone, eines Zwischenraums, sind den Postcolonial Studies und der amerikanischen Kulturgeographie – der third space von Homi Bhabha und Edward W. Soja59 – oder der New American History entlehnt – der middle ground von Richard White60 –, wobei der Begriff middle ground sich konkret auf die Lichtungen in den amerikanischen Wäldern bezieht, auf denen die Indianer und die europäischen coureurs des bois sich zum Austausch von Fellen gegen europäische Waren trafen und ex nihilo Handelsbräuche entwickelten. Wie triftig und handhabbar sind diese Begriffe für die interkulturellen Beziehungen zwischen Muslimen und Christen im Mittelmeerraum, welcher Erkenntnisgewinn lässt sich durch ihre Verwendung als analytische Begriffe erzielen?

III. Anpassung, Übertragungsleistungen und Kreativität Wie bereits ausgeführt, war der Mittelmeerraum in der Frühen Neuzeit historisch und kulturell gesättigt und kein »Neuland«, kein middle ground im Sinne Richard Whites. Die Akteure interkultureller Beziehungen schufen vielleicht durch ihre Interaktionen einen third space in einem Grenzraum, der an Friedrich Ratzel und seine Vorstellung einer besonderen Grenzgesellschaft erin57 C. Windler, La diplomatie (Anm. 37). 58 J. M. Mössner, Die Völkerrechtspersönlichkeit (Anm. 10). 59 Homi K. Bhabha, The Third Space. Interview with Homi Bhabha, in: Identity, Community, Culture, Difference, hrsg. v. Jonathan Rutherford, London 1990, 207–221; Edward Soja, Thirdspace. Journeys to Los Angeles and Other Real-and-Imagined Places, Oxford 1996. 60 Richard White, The Middle Ground. Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650–1815, Cambridge 1991.

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nert61. Dieser Raum war allerdings keineswegs ein no man’s land, sondern durch herrschaftliche Überdeterminierung gekennzeichnet: An der Grenze wurde Staat gemacht. Für die diplomatischen Beziehungen zwischen europäischen Mächten und dem Osmanischen Reich ergibt sich daraus zunächst eine Parallelinterpretation des ahdname oder der Kapitulationen – als Vertrag mit Reziprozität oder einseitigen Gnadenakt – und deren Folgerungen für die praktischen Konsequenzen: Die Europäer sahen die privilegierte Nation als Rechtsexklave an (was sich erst im 18. Jahrhundert durchsetzte) und wehrten sich im 17. Jahrhundert mehrfach gegen Versuche osmanischer Behörden, auf die europäischen müste’min Kopf- oder Verbrauchssteuern zu erheben62. Ein weiteres Beispiel für eine parallele Auslegung eines Aktes ist die Interpretation einer Zahlung als Geschenk oder als Tribut63. Die konträre Auslegung ermöglichte erst derartige Zahlungen. Dies ist freilich nur eine Art argumentativer Schirm, der vor eine insgeheim als demütigend empfundene Praxis gestellt wurde, die man in Geheimklauseln versteckte, zu verschweigen und so wenig sichtbar wie möglich zu vollziehen versuchte. Ein näherer Blick auf die Verhandlungen zwischen den presidios, dem Gouverneur von Tabarka, Oran, Tanger oder des Bastion de France einerseits, den Herrschern von Tunis oder Algier sowie lokalen Stämmen andererseits zeigt eine als peinlich empfundene Praxis des Erkaufens von Ruhe und Frieden sowie der Sicherung der Versorgung. Als unangenehm empfunden wurde sie im Übrigen auch von den muslimischen Herrschern: 1740 warnte der Dey von Algier den Bey von Tunis davor, Tabarka an die Franzosen zu verkaufen, und verwies auf das Beispiel des spanischen Oran, das er mit einem kranken Zahn verglich, den auszureißen ihm nicht gelänge64. Insbesondere Tabarka hatte eine von beiden Seiten akzeptierte und genutzte Funktion als »Vorzimmer Europas«, als ein dem Konflikt weitgehend entzogener und deshalb für Verhandlungen bevorzugter Ort65. Dieser verweist auf eine spezifische Praxis des Krieges und Kaperkrieges und auf eine spezifische Topographie des Mittelmeerraums, auf die Orte, an denen man zeitweilig die Feindseligkeiten einstellte, um Gefangene auszutauschen oder zum Freikauf 61 Wolfgang Kaiser, Penser la frontière – notions et approches, in: Histoire des Alpes-Storia delle Alpi-Alpengeschichte 3 (1998), 63–74. 62 D. Goffman, Britons (Anm. 50), 22. 63 Christian Windler, Tribut und Gabe. Mediterrane Diplomatie als interkulturelle Kommunikation, in: Saeculum 50 (1999), 24–56. 64 Paul Masson, Histoire des établissements et du commerce français dans l’Afrique barbaresque (1560–1793), Paris 1903, 333. 65 P. Gourdin, Tabarka (Anm. 7).

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anzubieten66. Für solche shared sites ist eine gemeinsame Auslegung ebenso wenig zwingend nötig wie für die im Mittelmeerraum und Orient verbreitete Verehrung von Maria oder christlichen Heiligen durch Muslime, die nicht unbedingt auf Synkretismus verweisen muss. Im Modus des Simultaneum funktionierte beispielsweise die religiös und literarisch überformte Grotte von Lampedusa, die Fiktion des »dritten Ortes« im westlichen Mittelmeer, in der geflüchtete Galeerensklaven beider Religionen Zuflucht und Proviant finden, die Jungfrau Maria auf der einen, das Grab eines Marabuts auf der anderen Seite verehren konnten67. Interaktion durch Parallelauslegung war ein Grenzfall. In anderen Kontexten waren Übersetzungsleistungen von Maklern und drogmans notwendig: in Konstantinopel oder Alexandria und den Emporien der Levante gewöhnlich vielsprachige Armenier, orthodoxe Griechen oder Juden. Dabei kam es weniger auf die wortwörtliche Übersetzung als vielmehr auf eine »transkulturelle Dekodierung von Signalen« (Daniel Goffman) an, eine Übertragungsleistung, die Deutungsmacht verlieh, weshalb savoir-faire und Diskretion ebenso wichtig waren wie sprachliche Fähigkeiten. So versuchten auch die europäischen Mächte seit 1675, ihre eigenen Übersetzer auszubilden: die jeunes de langue68. Auch die christlichen Kaufleute in Algier oder Tunis wie der bereits erwähnte Guillaume Borgal boten diese Übertragungsleistungen. Sie kannten die (Handels-)Bräuche und kulturellen Codes, wussten Kredit zu beschaffen und die wichtigen Personen mit Geschenken günstig zu stimmen, hatten Zugang zu den Mächtigen, usw. Denn bei Tische oder vor Ort las es sich anders, wie die bereits erwähnten Kapuziner in Algier ihren Oberen beizubringen versuchten, die Unmögliches von ihnen verlangten und dabei nur ihre Unkenntnis der Verhältnisse vor Ort zeigten: »So kann man hier nicht verhandeln«, schrieben sie, »außer mit ein paar Armseligen (poverini). Mit hochgestellten Personen geht man jedoch nicht so um, denn diese möchten zum einen, dass man als Gnade anerkennt, dass sie Sklaven zum Freikauf freigeben, und zum anderen, dass für diese hohe Preise gezahlt werden, worauf die Sklaven auch

66 In Andalusien mit dem aus dem Arabischen stammenden Wort alafía bezeichnet: Francisco Andújar Castillo, Los rescates de cautivos en la dos orillas del Mediterraneo y en el Mar (alafías) en el siglo XVI, in: Le commerce des captifs (Anm. 30), 135–164. 67 Wolfgang Kaiser, La grotte de Lampedusa. Pratiques et imaginaire d’un ›troisième lieu‹ en Méditerranée à l’époque moderne, in: Topographien des Sakralen. Religion und Raumordnung in der Vormoderne, hrsg. v. Susanne Rau / Gerd Schwerhoff, München / Hamburg 2008, 282–303. 68 D. Goffman, Britons (Anm. 50 ), 16.

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auf ein Ehrenwort freigelassen werden.«69 Die Anerkennung der Freilassung von Gefangenen als Gnadenerweis sowie die Deutung des hohen Entgelts nicht als schnöden Marktpreis für Sklaven, sondern im Rahmen einer Ökonomie der Gabe als Ausdruck für den Rang des Herrn, der sich dann in der Freilassung auf Ehrenwort manifestierte, bildeten einen Kommunikationszusammenhang, der auf Wertvorstellungen, einem spezifischen Konzept von Ehre und Gabe beruhte, in dem jeder Akt wechselseitigen Respekt und die Anerkennung hierarchischer Positionen zum Ausdruck brachte und bestätigte. Ließe sich hier also vielleicht »Hybridität« festmachen? Die einem Samuel Pallache oder Manuel Vaz de Alveda abgeforderten Übertragungsleistungen waren sicherlich kreativ. Sie ergeben aber nicht notwendig eine Integration im Sinne einer »Verschmelzung« und der Bildung eines »hybriden« Neuen, sondern bilden Versatzstücke, die wir mit der Rede von »multiplen Identitäten« mehr schlecht als recht zu erfassen suchen. Unterschwellig präsent ist damit das Problem einer scheinbaren »Inkohärenz«, das ich bereits an anderer Stelle am Beispiel des französischen Malteserritters Jacques de Vincheguerre diskutiert habe70. Dieser schloss sich 1596 auf Malta mit orthodoxen, katholischen und muslimischen Kaufleuten für den Handel in der Levante und im griechischen Archipel, einschließlich des Sklavenfreikaufs, zusammen71. Wenige Jahre später (1616) rüstete er im Auftrag Marseilles eine kleine Flotte aus, um militärische Aktionen und Razzien an der tunesischen Küste durchzuführen, wurde jedoch bald verdächtigt, seine eigenen Interessen zu verfolgen »auf Kos69 […] ma in questa maniera co[n] tutto cio no[n] si puo trattare seno[n] co[n] qualche poverino ma co[n] gli grandi a pari di Arnaut Mami no[n] si tratta in questo modo p[er]che vogliono questi tali quando danno schiavi due cose, una che si riconosca p[er] gratia che lo lasciano per riscato (ancorche siino avidiss[im]i dil dinaro), l’altra che si paghino molto bene e gran favore ci fara il Cap[ita]no Arnaut se chiedendoglielo lo lasciara sopra alla parola, il che pero fara co[n] noi volentieri, ma no[n] ne vorra almeno di ducento cinquanta scuti et sara buon pretio p[er] che hora gli sacerdoti sono saliti in tanto pretio che no[n] vogliono meno di 300 e 400 et 500 scuti. […] circa alla 2a l[ette]ra chi no[n] contiene altro che il negotio dil riscato di Gio: Batista prete racco[manda]to co[n] tanta caldezza dall’Ill[ustrissi]mo Card[ina]le Farnese [ ...] [non si puo fare per due ragioni] una p[er]che le Sig[no]rie V[ostre] limitano il prezzo in ducento scuti come no[n] ben informati dil prezzo de schiavi et particolarmente sacerdoti, l’altro p[er] che lo vogliono e vogliono che resti nelle mani dil suo patrone, il che è inco[m]patibile e questo no[n] aviene da altro seno[n] che chi gli ha dato questa informatione di modo di negotiare non è prattico. ASV, Arciconf. Gonfalone 7, f. 240 r.: Dionigi di Piacenza nach Rom, Alger, 22.09.1588. W. Kaiser, Una missione impossibile (Anm. 2). 70 Wolfgang Kaiser, ›Why not I?‹ Gewaltökonomie im Mittelmeerraum in der Frühen Neuzeit, in : Kriegswirtschaft und Wirtschaftskriege – Économie de guerre et guerres économiques, hrsg. v. Valentin Groebner / Sébastien Guex / Jacob Tanner, Zürich 2008, 39–50. 71 Anne Brogini, Malte, frontière de Chrétienté (1530–1670), Rom 2006, 394–395.

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ten und zum Ruin der Allgemeinheit« (aux despens et à la ruine du public), lieber italienische und englische Schiffe aufzubringen und die Beute in Livorno zu verkaufen72, sowie sich mit Leuten zu umgeben, die mit den maghrebinischen Korsaren unter einer Decke steckten (de personnes notoirement suspectes et d’inteligence avec les coursaires)73. Er habe einem der führenden Ra’is von Tunis, dem Genueser Renegaten Osta Morat, türkische Gefangene geschenkt und es, statt die Feinde zu verfolgen, vorgezogen, sich in Trapani und auf Malta auszuruhen. Schlimmer noch, er habe Untertanen des französischen Königs, die sich ihm zufolge zwar als solche ausgaben, aber nur Italienisch sprachen, auf Malta als Sklaven verkauft74. Gleichzeitig jedoch erfüllte Vincheguerre seine diplomatische Mission, auch dank der Geschenke an den tunesischen Korsaren. Er handelte 1616 einen Friedensvertrag mit Tunis aus und ließ seinen Sohn Philandre fast anderthalb Jahre zur Garantierung des Friedens als Geisel in Tunis zurück75. Wie lässt sich dieses auf den ersten Blick widersprüchliche Verhalten deuten? Die Ernsthaftigkeit seiner diplomatischen Mission steht wohl außer Zweifel. Sie wird dadurch belegt, dass er seinen Sohn als Geisel zurückließ. Seine Aktivität als Kaperfahrer im Kleinkrieg gegen die »Barbaresken« stand im Einklang mit seiner Mission als Malteserritter, und es ist nicht erstaunlich, dass die Marseiller Konsuln ihn als Spezialisten anheuerten. Durchaus konsequent war er bei der Kaperfahrt vor allem auf Beute aus: Im Kapergeschäft galt es, rasch zu handeln und sich Beute nicht entgehen zu lassen; nur und erst wenn man sie hatte, konnte man ihre Rechtmäßigkeit prüfen. Deutlich werden dabei der Interpretationsspielraum und die Schwierigkeiten, eine rechtmäßige von einer unrechtmäßigen Beute zu unterscheiden. Lassen sich diese Aktivitäten noch im Rahmen von »Außenbeziehungen« interpretieren, so gilt dies für die interreligiöse und interkulturelle Handelsgesellschaft nur zum Teil. Der Freikauf christlicher Sklaven wurde im 16. Jahrhundert zum Beispiel spanischen Kaufleuten zur Auflage gemacht und rechtfertigte die Ausnahmegenehmigung für den Handel mit den »Ungläubigen«76. Dieses 72 ACCIM, E 49 (Instruktion vom 2. Januar 1613); G 43, Mémoyre, fol. 1 v., 2 v.: ce contentant de prendre les crestiens. 73 ACM, HH 318. 74 ACCIM, E 51 (Tunis, 11.3.1617); J 1887 fol. 1 v. 75 Wolfgang Kaiser, Négocier la liberté. Missions françaises pour l’échange et le rachat de captifs au Maghreb (XVIIe siècle), in: La mobilité des personnes en Méditerranée, de l’antiquité à l’époque moderne. Modalités de contrôle et documents d’identification, hrsg. v. Claudia Moatti, Paris 2004, 501–528. 76 Eloy Martín Corrales, Comercio de Cataluña con el Mediterráneo musulmán (siglos XVI–XVIII). El comercio con los ›enemigos de la fe‹, Barcelona 2001.

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Argument konnte auch der Malteserritter für seine geschäftliche Verbindung mit einem Muslim anführen77. Was auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheint, hatte also durchaus eine innere Logik, welche die verschiedenen Facetten des Jacques de Vincheguerre zusammenhielt. Zwei Aspekte in diesem Beispiel führen zurück zum Problem der Interkulturalität. Der erste betrifft die (privat-)rechtliche Form der geschäftlichen Assoziation. Der Vertrag zur Gründung einer Handelsgesellschaft zwischen Katholiken, Orthodoxen und Muslimen auf Malta wurde von einem christlichen Notar aufgesetzt. Es gab jedoch auch qadi für die subalterne muslimische Bevölkerung, und aus der Forschung über das mittelalterliche Spanien wissen wir, dass es nach der christlichen Eroberung (christliche) Rechtsvertreter gab, die nach islamischem Recht in Streitfällen zwischen Muslimen Recht sprachen. Daneben existierten, wie etwa aus Aussagen vor der Inquisition über die Organisierung der Solidarität zum Freikauf muslimischer Sklaven hervorgeht, muslimische qadi, von deren Tätigkeit aber keine direkten, schriftlichen Spuren erhalten sind78. Angesichts der religiösen und ethnischen Vielfalt im Osmanischen Reich waren Rechtsstreitigkeiten zwischen Angehörigen verschiedener Gemeinschaften zahlreich und »Rechtspluralismus« die Regel79; für die Beilegung von Streitigkeiten im Osmanischen Reich schätzten die Betroffenen bisweilen anscheinend die »relative Unparteilichkeit der islamischen Gerichte«80. Kreditgeschäfte und wirtschaftliche Angelegenheiten wurden anscheinend gemäß den Rechtsgepflogenheiten des Handelsplatzes abgewickelt, vor einem Notar in der Provence, in der Kanzlei des französischen Konsuls in Tunis oder dort vor muslimischen Notaren. Sadok Boubaker hat für den Sklavenfreikauf die Analogie zwischen französischen Notariatsurkunden und den Verträgen in arabischer Sprache, der mukataba (schriftliche Verpflichtung zwischen zwei Personen) oder dem fidya (Freilassungsvertrag) aufgezeigt81. Die Registrierung französischer Charterverträge in den Konsulatskanzleien, abgeschlossen zwi77 Wolfgang Kaiser, La excepción permanente. Actores, visibilidad y asimetrías en los intercambios comerciales entre los paises europeos y el Magreb (siglos XVI–XVII), in: Circulación de personas y negociaciones comerciales en el Mediterraeo y en el Atlantico, siglos XVI, XVII, XVIII, hrsg. v. José Antonio Martínez Torres, Madrid 2008, 148–163. 78 Manuel Danvila y Collado, La expulsión de los moriscos españoles, Valencia 2007, Anhang, Nr. XVI, 257. 79 Zum Rechtspluralismus und der Komplexität der spanischen Situation siehe Lauren Benton, Law and Colonial Cultures. Legal Regimes in World History, 1400–1900, Cambridge 2002, Kap. 2: Law in Diaspora. 80 D. Goffman, Britons (wie Anm. 50), 18. 81 Sadok Boubaker, Réseaux et techniques de rachat de captifs de la cours à Tunis au XVIIe siècle, in: Le commerce des captifs (Anm. 30), 25–46.

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schen osmanischen Kaufleuten und französischen Schiffskapitänen, bildeten die Grundlage für Daniel Panzacs Untersuchung der caravane maritime im 17. und 18. Jahrhundert82. Hier gab es mithin angesichts der Analogie der Handelsbräuche anscheinend keine Notwendigkeit zur Entwicklung hybrider juristischer Formen im interkulturellen Handel, man vertraute auf die Bindekraft der Verträge im jeweiligen Rechtssystem. Der zweite Aspekt, der zum Problem der Interkulturalität zurückführt, betrifft das See-, Seehandels-, Seekriegs- und Prisenrecht, wie es sich in den Abkommen zwischen den osmanischen Regentschaften und europäischen Mächten spiegelte. »Gott schuf das Land und das Meer, und hat die Erde unter den Menschen aufgeteilt, das Meer hingegen allen gemeinsam gegeben. Es ist unerhört, jemandem die freie Seefahrt verbieten zu wollen.«83 1615, nur einige Jahre nach dem Erscheinen des berühmten Textes De mare liberum von Hugo Grotius (verfasst 1604/05, anonym veröffentlicht 1608), stellte sich der muslimische Gouverneur von Makassar (auf den Gewürzinseln im heutigen Indonesien) mit diesem Argument – das Meer als res communis – gegen die Prätentionen der niederländischen Vereinigten Ostindischen Compagnie, allen anderen den Handel mit den Molukken untersagen zu wollen. Hassan S. Khalilieh zitiert diese Aussage eingangs seiner Einführung in das islamische Seerecht, um die grundsätzliche Freiheit der Meere im islamischen Recht hervorzuheben. Welche Beeinflussungen oder Austauschprozesse gab es zwischen den Rechtssystemen? Für das Seerecht wird beispielsweise von islamischen Rechtselementen ausgegangen, die in das im westlichen Mittelmeer vorherrschende katalanische consolat del mar aus dem zwölften Jahrhundert eingegangen seien. Es fehlt freilich für das westliche Mittelmeer und insgesamt für die Frühe Neuzeit eine vergleichende Untersuchung wie jene von Khalilieh für das östliche Mittelmeer zwischen dem antiken Rhodischen Seerecht und dem mittelalterlichen Kitab Akriyat al-Sufun (800–1050)84. Da es im islamischen Bereich keine Admiralitätsgerichtsbarkeit gab, müssen andere Wege gegangen werden, um die pragmatische Ausbildung des Rechts im interkulturellen Austausch und Konflikt zu untersuchen. Die Waffenstillstände und anschließenden Verträge samt ihren Anhängen aus Passportformularen und ähnlichem sind eine 82 Daniel Panzac, La caravane maritime. Marins européens et marchands ottomans en Méditerranée (1680–1830), Paris 2006. 83 Hassan S. Khalilieh, Islamic Maritime Law. An Introduction, Leiden / Boston 1999, 137. 84 Hassan S. Khalilieh, Admiralty and Maritime Laws in the Mediterranean Sea (ca. 800– 1050). The Kitab Akriyat al-Sufun vis-à-vis the Nomos Rhodion Nautikos, Leiden / Boston 2006.

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Möglichkeit, die Ausdifferenzierung der Kontrollprozeduren, der nötigen Schiffspapiere usw. zu untersuchen85. Dieser Bereich war ein Laboratorium, in dem Abstraktionsleistungen erbracht wurden wie die Ersetzung der Kontrolle von Personen durch jene der Authentizität von Papieren oder die Projektion der Territorialität auf die Planken eines Schiffs (das Prinzip, wonach eine befreundete Flagge feindliche Ware oder Untertanen eines gegnerischen Staates schütze, wurde erst 1856 allgemein akzeptiert). Diese Abstraktionsleistungen rieben sich freilich an der überkommenen Praxis und den Reflexen der Korsaren und waren deshalb Gegenstand von Streitigkeiten, die Recht durch weitere Auslegung, Präzisierung und Korrekturen schufen. Ein work in progress, das auf einem anderen Feld als dem der Außenbeziehungen für eine akteurszentrierte und fallorientierte Perspektive plädiert.

85 Siehe W. Kaiser, Négocier la liberté (Anm. 75).

Wahrnehmungen und Praktiken in den französischrussischen Beziehungen (17. bis 19. Jahrhundert) Von Marie-Karine Schaub

Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts waren die Beziehungen zwischen Frankreich und Russland unstet und geprägt von gegenseitiger Unkenntnis. Während sich die russische Diplomatie um Anbindung bemühte, prägte Verachtung und Herablassung die Haltung der französischen Seite. Erst die Herrschaft Peter des Großen führte, wie in anderen Bereichen auch, zu größerer Neugier und zu häufigeren Begegnungen, wobei der Aufenthalt des Zaren in Paris 1717 ein Schlüsselmoment in diesem Prozess der Annäherung war. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde der diplomatische Austausch intensiver. Die Qualität desselben war dabei eng mit den wechselnden Bedingungen im Gefüge der europäischen Allianzen verknüpft: bewaffnete Feindseligkeit in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Wiederaufnahme der Beziehungen nach dem renversement des alliances 1756, diplomatischer Bruch nach dem Beginn der Französischen Revolution, Krieg während der napoleonischen Eroberungen, häufig schwierige diplomatische Beziehungen in der Restaurationszeit und schließlich wieder bewaffnete Konfrontation im Krimkrieg. In diesen Beziehungen spielten die französischen Gesandten in Russland während einer ersten Phase eine wesentliche Rolle beim Transfer von Bildern, Praktiken und Diskursen, die den Dialog zwischen den beiden Ländern nachhaltig prägen sollten. Als Individuen reagierten sie auf gegebene diplomatische, militärische, religiöse oder ökonomische Situationen. Die Reaktionen waren jedoch auch abhängig von strukturellen und persönlichen Dispositionen, die je nach Kontext und Situation sehr verschiedene Verhaltensweisen hervorbringen konnten. Während noch im 17. Jahrhundert vor allem die wenigen französischen Reisenden in Russland den kulturellen Austausch belebten und Stoff für die jeweiligen Fremdbilder lieferten, wurden die Reiseberichte und diplomatischen Relationen ab dem 18. Jahrhundert durch eine Vielzahl anderer Quellen wie philosophische Texte, historische oder literarische Essays und Zeitungsartikel ergänzt. Publizistik und Geschichtsschreibung, die sich in beiden Ländern im 18. und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts vervielfachten, prägten Vorstellungen und formten Meinungen. Die Philosophen der Aufklärung waren teilweise überzeugte Bewunderer des russischen Politik- und Gesellschaftsmodells; sie und die Vertreter der russischen Aufklärung beeinflussten und inspirierten sich gegenseitig. Die wechselseitige Wahrnehmung veränderte sich nochmals radikal während der Revolution, der napo-

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leonischen Kriege und des Aufeinandertreffens russischer und französischer Armeen und schließlich in der Restaurationszeit und der Julimonarchie. Der vorliegende Beitrag beleuchtet das französisch-russische Verhältnis zunächst im Kontext der europäischen Mächtebeziehungen. Der zweite Teil gibt einen Überblick über die Wahrnehmung Russlands in Frankreich. Im dritten Teil wird gezeigt, wie sich die gegenseitige Fremdwahrnehmung der diplomatischen Akteure und die Praktiken des diplomatischen Umgangs zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert veränderten.

I. Der europäische Kontext Drei Hauptprobleme stellten sich in den russischen Außenbeziehungen des 17. Jahrhunderts: die Frage der Vereinigung mit der Ukraine und Weißrussland, die beide unter polnischer Herrschaft geblieben waren, die Expansion zur Ostsee sowie der Kampf gegen das Osmanische Reich und die Krimtataren, die damals noch Vasallen der Hohen Pforte waren. Die Kriege gegen Polen und Schweden veranlassten die Zaren, der Expansion und Kolonisation im Süden und Osten1 den Vorzug zu geben, gleichzeitig aber auch Allianzen mit westeuropäischen Monarchien, insbesondere Frankreich, anzustreben. Der russische Einfluss beschränkte sich allerdings auf die östliche Peripherie des Kontinents. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, vor allem nach dem russischen Sieg im Krieg mit Polen um die Ukraine (1654–1667), veränderten sich die Kräfteverhältnisse in Osteuropa2. Der Frieden ermöglichte einerseits die territoriale Expansion gegen Westen, andererseits die Reaktivierung des Projekts der russischen Teilnahme an einer christlichen Koalition gegen das Osmanische Reich, an welcher Polen und Habsburg schon beteiligt waren und in die auch Frankreich eintreten konnte3. An seinen südlichen Grenzen wurde Russland von der Hohen Pforte bedroht: Dort kämpfte Moskau gegen die Krimtataren um die Kontrolle über die Ufer des Schwarzen Meeres. Die Beziehungen zwischen Russland und Frankreich wurden zunächst noch sehr sporadisch gepflegt, obwohl insbesondere seit der Eroberung Narvas durch Ivan  IV. 1558 Handelsbeziehungen bestanden. Dies bezeugen die Präsenz französischer Händler in diesem Hafen, Missiven über künftige Handelsbeziehungen zwischen Heinrich III. und Ivan IV. sowie die Entsendung russischer 1 Andreas Kappeler, La Russie, un Empire multi-ethnique, Paris 1994. 2 Nicolas M. Rogozin, Istorija vnechnei politiki Rossii. Konec XV–XVII vek, Moskau 1999, 322–325. 3 Ebd., 327–330.

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und französischer Emissäre in den Jahren 1585 und 15864. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts fiel es den französischen Kaufleuten allerdings schwer, sich auf dem russischen Markt zu behaupten. Ihre Geschäftsbeziehungen mündeten im Gegensatz zu jenen anderer westlicher Märkte nur in letztlich erfolglose Versuche, einen Handelsvertrag abzuschließen. So zählt man im Verlauf des 17. Jahrhunderts sechs mehr oder weniger gut dokumentierte französische Gesandtschaften nach Russland – 1615, 1654, 1668, 1681, 1685 und 1687 – sowie zwei russische nach Frankreich in den Jahren 1635 und 16725. Die Ziele dieser Gesandtschaften waren immer dieselben: Die russischen Gesandten sollten den französischen König über die dynastische Situation ihrer Heimat informieren und versuchen, Geschäftsverbindungen zu stärken sowie engere diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Letzteres stand zwischen 1654 und 1667, als Russland und Polen sich im Krieg befanden, und in den 1680er Jahren, als Russland versuchte, Bündnispartner gegen das Osmanische Reich zu finden, im Mittelpunkt 6. Im Gegenzug begaben sich 1629, 1630/31, 1658 und 1680 vier französische Gesandte ins Zarenreich, zuerst mit dem Auftrag, Getreide zu kaufen, danach, um ab 1658 an den Friedensverhandlungen zwischen Russland und Schweden beziehungsweise zwischen Russland und Polen im 4 G. Zordanija, Les premiers marchands et navigateurs français dans la région maritime de la Russie septentrionale. L’origine des relations commerciales et diplomatiques francorusses, in: La Russie et l’Europe, XVIe–XXe siècle, Paris / Moskau 1970, 7–30, 10 u. 27; Alexandra Kalmykow, A Sixteenth Century Russian Envoy to France, in: Slavic Review 23 (1964), 701–705. 5 Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les traités de Westphalie jusqu’à la Révolution Française: Russie, hrsg. v. Alfred Rambaud (Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les traités de Westphalie jusqu’à la Révolution Française, 8), 2 Bde., Paris 1890, Bd. 1; Vladislas Nasarov / Pavel Ouvarov, Les premiers Bourbons et le premier Romanov. La relation de l’ambassade en France d’Ivan Kondyrev et de Michaïl Neverov, in: Le traité de Vervins, hrsg. v. Jean-François Labourdette / Jean-Pierre Poussou / Marie-Claire Vignal, Paris 2000, 473–482; Marie-Karine Schaub / Éric Schnakenbourg, La rencontre de deux cultures diplomatiques. L’ambassade moscovite de 1668 à la cour de Louis XIV, in: Les ambassades du bout du Monde, hrsg. v. Lucien Bély / Géraud Poumarède, Paris (im Druck); Nicolas M. Rogozin, Posol’skij Prikaz. Kolybel’ Rossijskoj Diplomatii, Moskau 2003, 221 f. 6 Sbornik Imperatorskago Russkogo Istoricheskago Obshchestva, 148 Bde., Sankt Petersburg 1867–1916, Bd. 34 (1881), III; Recueil des instructions aux ambassadeurs (Anm. 5), 45 f., 55–66; Emmanuel Galitzine, La Russie du XVIIe siècle dans ses rapports avec l’Europe occidentale. Récit de voyage de Pierre Potemkine, envoyé en ambassade par le tsar Alexis Mikhaïlovitch à Philippe IV d’Espagne et à Louis XIV en 1668, Paris 1855; Dmitri S. Likhatchev, Putechestvija russkikh poslov, XVI–XVIIvv, stajenye spiski. Moskau / Leningrad 1954, 227–315; Gennadi A. Sanin, Vnechnaja politika Rossii vo vtorj polovine XVIIv, in: N. M. Rogozin, Istorija vnechnej politiki Rossii (Anm. 2), 322–330.

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Jahr 1680 teilzunehmen7. Bei der Thronbesteigung Peters des Großen 1689 waren die bilateralen Beziehungen zwar noch von geringer Bedeutung8, Ziel der russischen Außenpolitik war jedoch der Abschluss eines Bündnisses mit Frankreich. Peter der Große versuchte während des Großen Nordischen Krieges die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich zu stärken, was teilweise seine Reise an den Hof des Regenten im Jahre 1717 erklärt, einer Zeit, in der sich die französische Politik hauptsächlich auf England konzentrierte9. Der Kampf des Zaren gegen seine drei Hauptfeinde Schweden, Polen und das Osmanische Reich stand allerdings im Gegensatz zu den außenpolitischen Zielen des französischen Königs, für den diese Länder wichtige Verbündete im Kampf gegen die österreichischen Habsburger waren. 1726 unterzeichnete Zarin Katharina I. denn auch ein Bündnis mit Österreich, was Frankreich im polnischen (1733–1738) und österreichischen (1740–1748) Erbfolgekrieg zum Gegner Russlands machte. Die französische Diplomatie strebte nun nach der Einkreisung Russlands durch dessen Feinde Schweden, Polen und Osmanisches Reich. Nach dem Tod der Zarin 1727 wurden unter der Leitung von Heinrich Ostermann (Andrej Ivanovič Osterman) die russischen Beziehungen zu Österreich und Russland enger. Die französisch-russischen Beziehungen wurden jedoch nicht ganz unterbrochen, auch wenn Fleury kein Interesse an einer Annäherung an Russland zeigte. 1739 ergriff Zarin Anna Ivanovna die Initiative zum Abschluss eines Bündnisses, indem sie Fürst Kantemir nach Paris sandte, während sich im Gegenzug La Chétardie von 1739 bis 1742 nach Sankt Petersburg begab. Dessen ungeachtet schien Russland für Frankreich zu diesem Zeitpunkt höchstens als potentieller Verbündeter seiner Feinde, im vorliegenden Fall Österreichs, von diplomatischem Interesse zu sein10. Bis Mitte der 1740er Jahre wurde Russland zum Gegner Frankreichs, 1746 erneuerte es das Bündnis mit Österreich. Die Beziehungen zwischen Frankreich und Russland waren nun so angespannt, dass Ludwig XV. Elisabeth I. den von ihr beanspruchten Kaisertitel und das damit verbundene Zeremoniell ver7 Recueil des instructions (Anm. 5), 23–31, 36–51, 64–70, 83–89. 8 Lindsey Hughes, Sophia, Regent of Russia, 1657–1704, New Haven / London 1990, 179–217. 9 Albert Vandal, Louis XV et Élisabeth de Russie. Étude sur les relations de la France et de la Russie au XVIIIe siècle d’après les Archives du Ministère des Affaires Étrangères, Paris 1882, 25; Vladimir P. Potemkine, Histoire de la diplomatie, 3 Bde., Paris 1946–1965, Bd. 1 (1946), 258; Éric Schnakenbourg, La France, le Nord et l’Europe au début du XVIIIe siècle, Paris 2008; Dmitri Gouzevitch / Irina Gouzevitch, Velikoe posol’stvo, Feniks, Sankt Petersburg 2003. 10 A. Vandal, Louis XV et Élisabeth de Russie (Anm. 9), 180.

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weigerte. Während die Mehrheit der europäischen Höfe dazu übergegangen war, diese Würde anzuerkennen, akzeptierte der französische König die Existenz eines weiteren Kaiserreichs in Europa nicht11. Der Vertrag von Aachen von 1748, der den österreichischen Erbfolgekrieg beendete, provozierte dann den kompletten Bruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern12. 1755 erhielt jedoch Mackenzie Douglas Instruktionen, als Gesandter des französischen Königs eine geheime Mission nach Russland zu führen und einen Bericht über die Situation des Landes zu verfassen. Im Anschluss an diese Mission, hauptsächlich aber aufgrund des renversement des alliances und der Annäherung zwischen Österreich und Frankreich im Jahr 1756, nahmen Frankreich und Russland ihre regulären diplomatischen Beziehungen wieder auf. Dies geschah im Rahmen eines politischen Systems, das auf die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts in Europa zielte und sich gegen die Ambitionen Österreichs, gegen Preußen und die – in erster Linie maritimen – Interessen Englands richtete. Der Einbezug Russlands in das Spiel der europäischen Mächtebeziehungen veränderte die Natur der Beziehungen zwischen den beiden Ländern radikal. Vom Großen Nordischen Krieg bis zum Ende des österreichischen Erbfolgekrieges verschmolzen Ost- und Westeuropa zu einem System von Mächtebeziehungen, das Frankreich, England, Österreich, Preußen und Russland umfasste, wobei jeder Staat als dem anderen gleich betrachtet wurde. Obwohl Krisen wie der Staatsstreich Katharinas II. im Jahr 1763, die sukzessiven Teilungen Polens und die russisch-türkischen Kriege das Verhältnis belasteten, führte erst die Hinrichtung Ludwigs XVI. wieder zu einem Bruch der diplomatischen Beziehungen. Für die junge französische Republik gehörte Russland zu den Feinden, und die wenigen Russophilen um Talleyrand, der ab 1797 für die Außenbeziehungen verantwortlich war, erschienen verdächtig. Nach seiner Machtübernahme am 18. Brumaire versuchte Napoleon den Frieden zwischen den beiden Ländern wiederherzustellen; 1801 und 1807 machte er das Russland Pauls I. zum Verhandlungspartner und Verbündeten. Die Haltung Napoleons gegenüber Russland blieb allerdings bis 1812 wechselhaft, folgte sie doch den jeweiligen Erfordernissen seiner Strategie. Im Rahmen einer heftigen 11 Francine-Dominique Liechtenhan, Les aventures du marquis de la Chétardie en Russie (d’après des documents d’archives inédits), in: L’ours et le coq. Trois siècles de relations franco-russes. Essai en l’honneur de Michel Cadot, réunis par Francine-Dominique Liechtenhan, Paris 2000, 41–54, 53. 12 Francine-Dominique Liechtenhan, La Russie entre en Europe. Élisabeth 1ère et la Succession d’Autriche (1740–1750), Paris 1997, 133–146.

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anti-russischen Propaganda wurde damals auch das »apokryphe Testament« Peters des Großen verwendet. Letzteres wurde wahrscheinlich in den 1790er Jahren in polnischen Diplomatenkreisen verfasst, die mit der Beschwörung des russischen Dranges zur Ostsee und zum Schwarzen Meer die Unterstützung des Direktoriums gewinnen wollten13. Nach dem militärischen Desaster des Russlandfeldzuges und dem Wiener Kongress 1815 konnte Frankreich Russland nicht wieder als Verbündeten gewinnen. Vom Beginn der 1820er Jahre bis 1856 beschäftigte die Orientfrage alle europäischen Kanzleien und schuf einen derart tiefen Graben zwischen den beiden Ländern, dass Frankreich während des Krimkrieges (1853–1856) Teil der großen anti-russischen Koalition wurde.

II. Die Wahrnehmung Russlands in Frankreich Zwischen dem späten 17. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der kulturelle Austausch zwischen Russland und Frankreich trotz der unterschiedlichen Ausrichtung der diplomatischen Beziehungen intensiver. Zugleich veränderten sich die Inhalte dieses Austauschs. Ende des 17. Jahrhunderts war das Zarenreich in Frankreich vor allem dank der Berichte von sechs Reisenden bekannt: dem aus Dieppe stammenden Seemann Jean Sauvage, der 1586 zwei Monate in Arkhangelsk verbracht hatte, Hauptmann Jacques Margeret14 und

13 Als »apokryphes Testament« wird die anonyme Schrift Des progrès de la puissance russe bezeichnet, welche 1807 und 1812 in Paris erschien. Der Verfasser dieses russophoben Texts war der Publizist und Historiker Charles-Louis Lesur, langjähriger Angestellter des Ministère des Relations extérieures. Nach der französischen Niederlage von 1812 fand des »apokryphe Testament« Peters des Grossen in Frankreich die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts nährte es die Ängste vor der Macht Russlands und vor dessen Einfluss in der Orientfrage. Vgl. dazu Elena Jourdan, Le Testament apocryphe de Pierre le Grand. Universalité d’un texte (1794–1836), Bulletin de l’Institut Pierre Renouvin. Université Paris 1-Panthéon Sorbonne, Nr. 18 (2004), http://ipr.univ-paris1.fr/spip.php/article204. 14 Jacques Margeret, Estat de l’empire de Russie et grand-duché de Moscovie, avec ce qui s’y est passé de plus mémorable et tragique pendant le règne de quatre empereurs: à sçavoir depuis l’an 1590 jusques en l’an 1606, Paris 1607, 1669; ders., Un Mousquetaire à Moscou. Mémoires sur la première révolution russe, 1604–1614, hrsg. v. André Bennigsen, Paris 1983; André Bérélowitch, Les origines du capitaine Margeret, in: L’influence française en Russie au XVIIIe siècle, hrsg. v. Jean-Pierre Poussou / Anne Mézin / Yves Perret-Gentil, Paris 2004, 301–322; J. Margeret, Sostojanie Rossijskoj Imperii, hrsg. v. André Bérélowitch / Pavel Ouvarov / Vladislav Nazarov, Moskau 2007.

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Pierre de la Ville15, die beide während der Zeit der Wirren (1598–1613) in Russland gekämpft hatten, Guillaume Levasseur de Beauplan, ein Ingenieur und Geograph aus der Normandie, der die Ukraine bereist hatte16, Pater Philippe Avril, der Russland auf dem Weg nach China durchquert hatte17 und schließlich Foy de la Neuville, außerordentlicher Gesandter des Königs von Polen in Moskau18. Hinzu kamen zahlreiche von Europäern verfasste Berichte von Reisen durch Russland19. Alle zusammen prägten sie die Darstellungsweisen Russlands in Frankreich20. Negative Ethnostereotypen häuften sich in diesen Werken, in denen die Russen als Barbaren beschrieben und dadurch in die kulturelle und geographische Alterität eines nicht »zivilisierten« Raumes verstoßen wurden. Die französischen Gesandten beurteilten Russland immer von ihrer eigenen Kultur, nicht von der russischen Geschichte her. Diese erschien aufgrund der als despotisch beurteilten Herrschaftsverhältnisse und der damit einhergehenden Unterdrückung des Volkes als verwerflich. Sogar die Frage nach der Zugehörigkeit Russlands zur christlichen Welt wurde gestellt21. 15 Pierre de la Ville, Discours sommaire de ce qui est arrivé en Moscovie depuis le règne de Ivan Wassiliwich, empereur, jusques à Vassili Ivanovitz Soushy (Bibliothèque russe et polonaise, 5), Paris 1834. 16 Guillaume Levasseur de Beauplan, Description d’Ukranie, Paris 1650,1660. 17 Père Avril, Voyages en divers états d’Europe et d’Asie, Paris 1692. 18 Foy de la Neuville, Relation curieuse et nouvelle de la Russie, Paris 1698; ders., Zapiski o Moskovii, hrsg. v. Aleksandr Lavrov, Moskau 1996; Michel Mervaud / Jean-Claude Roberti, Une infinie brutalité. L’image de la Russie dans la France des XVIe et XVIIe siècles, Paris 1991. 19 Am Ende des 16. Jahrhunderts umfasst dieses Korpus bereits 24 Bände, von welchen das bekannteste das Buch des Diplomaten Sigismond von Herberstein, Rerum Moscoviticarum commentarii, publiziert 1549 und mehrmals wieder aufgelegt, darstellt. Vgl. Marie-Louise Pelus, Un des aspects de la naissance d’une conscience européenne. La Russie vue d’Europe occidentale au XVIe siècle, in: La conscience européenne au XVe et au XVIe siècle. Actes du colloque international, 30 septembre–30 octobre 1980, organisé par l’École normale supérieure de jeunes filles, Paris 1982, 309–325, 313; Stéphane Mund, Orbis Russiarum. Genèse et développement de la représentation du monde ›russe‹ en Occident à la Renaissance, Genf 2003; Marshall T. Poe, A People Born to Slavery. Russia in Early Modern European Ethnography, 1476–1748, Ithaca 2000. 20 Francine-Dominique Liechtenhan, Le Russe, ennemi héréditaire de la chrétienté? La diffusion de l’image de la Moscovie en Europe occidentale aux XVIe et XVIIe siècles, in: Revue Historique 285 (1991), 77–103, 81; dies., Les découvreurs de la Moscovie. L’appréhension des observateurs occidentaux face à la montée de Moscou, in: Histoire, Économie, Société 8 (1989), 483–506; dies., La progression de l’interdit. Les récits de voyage en Russie et leur critique à l’époque des tsars, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 43 (1993), 15–41. 21 Dies., Les trois christianismes et la Russie. Les voyageurs occidentaux face à l’Église orthodoxe russe, XVe–XVIIIe siècle, Paris 2002, 67–74.

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Im 18. Jahrhundert veränderte sich der französische Blick auf Russland, wie es der Aufenthalt von Jacques Jubé in Sankt Petersburg von 1728 bis 1731 deutlich macht22. Jubé, ein nach Holland geflüchteter Jansenist, begab sich nach Russland, um an der Wiedervereinigung der Kirchen zu arbeiten. Zu diesem Zweck lernte er die russische Sprache, deren Schrift ihn faszinierte, und begab sich heimlich nach Paris, wo er Vasilij Tred’jakovskij traf. Dieser war ein Agent Aleksandr Kurakins, der dem Unterricht der Doktoren an der Sorbonne folgte23. Als Jubé in Russland eintraf, war die Rolle der Franzosen für die russische Kultur noch unbedeutend, trotz der Lehrtätigkeit dreier französischsprachiger Gelehrter – des Astronomen Joseph-Nicolas Delisle, des Anatomen Duvernoy und des schweizerischen Mathematikers Daniel Bernoulli – an der Akademie der Wissenschaften von Sankt Petersburg. Begünstigt wurde die französische Präsenz durch den Herzog von Liria, den spanischen Botschafter in Russland. Noch wichtiger aber waren französische Bücher und die nun häufigeren Reisen junger Russen ins Ausland. Die Thronbesteigung Anna Ivanovnas begrenzte allerdings ab 1731 den französischen Einfluss zugunsten jenes deutscher Höflinge, und Jubé sah sich gezwungen, Russland noch im selben Jahr zu verlassen. Trotz allem bemühte er sich in seinem eigenen Buch – wahrscheinlich beeinflusst durch die Werke eines John Perry oder Adam Olearius24 – um Ausgewogenheit. Weder ganz vom Superioritätskomplex des Abendländers gegenüber den »Barbaren« noch vom guten Gewissen des mit den »Schismatikern« konfrontierten Katholiken befreit, anerkannte er dennoch die Lernfähigkeit der Russen: »Von allen Völkern Europas sind die Russen die Unbelesensten und Unwissendsten, aber vielleicht die Lernfähigsten.«25 Abgesehen von den Schriften Jubés blieben französische Werke über Russland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch selten26; die viel zahlrei22 Michel Mervaud, La Russie de J. Jubé, in: L’ours et le coq (Anm. 11), 11-28; Jacques Jubé, La religion, les mœurs et les usages des Moscovites, texte présenté et annoté par Michel Mervaud, Oxford 1992. 23 M. Mervaud, La Russie de J. Jubé (Anm. 22), 13. 24 John Perry, Estat présent de la Grande Russie contenant une relation de ce que sa Majesté czarienne a fait de plus remarquable dans ses états, Den Haag 1717; Adam Oléarius, Relation de voyage en Moscovie, en Tartarie et Perse, traduit de l’allemand par Monsieur de Wicquefort, 2 Bde., Paris 1659. 25 De tous les peuples de l’Europe, les plus ignares & non lettrés, les moins instruits, mais peut-être les plus capables de l’être, ce sont les Moscovites. M. Mervaud, La Russie de J. Jubé (Anm. 22), 27 f. 26 Man muss dennoch auf das Werk des Mediziners und Botanikers Pierre Deschisaux hinweisen, der seine Voyage de Moscovie 1727 in Paris veröffentlichte.

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cheren französischen Übersetzungen europäischer Reiseberichte vermittelten in der Regel ein negatives Bild des Landes27. Diese Perspektive änderte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgrund des Interesses und der Bewunderung, welche die Herrschaft Peters des Großen weckte. Der englische Ingenieur John Perry, der zum Kanalbau nach Russland gerufen worden war, vermittelte ein hartes Bild des Landes, würdigte aber das Werk Peters des Großen.28 Friedrich-Christian Weber, Resident Hannovers in Sankt Petersburg29, oder Rousset de Missy, der Russland zwei Kompilationen widmete30, bilanzierten die Zarenherrschaft auf ähnliche Weise. Nach 1750 vervielfachten sich die in Frankreich publizierten Werke über Russland. Unter ihren Verfassern befanden sich der Astronom Abbé Jean Chappe d’Auteroche, der 1768 nach Sibirien gesandt wurde, um den Gang der Venus über die Sonne zu beobachten, Baron Baert du Hollant, der 1784 Russland durchquerte, Barthélémy de Lesseps, der sich 1790 nach Kamtschatka begab, und Fortia de Piles, der 1796 das Buch Voyage de deux Français en Allemagne, Danemark, Suède, Russie et Pologne veröffentlichte31. Der Anstieg publizistischer Tätigkeit erklärt sich durch eine verstärkte personelle Präsenz: Im Laufe des 18. Jahrhunderts vervielfachte sich die Zahl der in Russland anwesenden Franzosen sowie die russische Präsenz in Frankreich, wo sich russische Adlige immer öfter im Rahmen ihrer grand tour aufhielten32. Auch wurde das Verfassen von Reiseberichten und Reisetagebüchern üblicher. 27 Z. B. A. Oléarius, Relation de voyage en Moscovie (Anm. 24); Samuel Collins, Relation curieuse de l’estat present de la Russie, Paris 1679; Jan Struys, Voyages en Moscovie, en Tartarie, en Perse, aux Indes et en plusieurs autres païs étrangers, Lyon 1682. 28 J. Perry, Estat présent de la Grande Russie (Anm. 24). 29 Friedrich-Christian Weber, Nouveaux Mémoires sur l’état présent de la Moscovie, 2 Bde., Paris 1725. 30 Jean Rousset de Missy, Mémoires du règne de Pierre le Grand, 4 Bde., Den Haag 1725– 1726, ders., Mémoires du règne de Catherine impératrice et souveraine de toute la Russie, Amsterdam / Den Haag 1728. 31 Jean Chappe d’Auteroche, Voyage en Sibérie, Paris 1768; Hélène Carrère d’Encausse, L’impératrice et l’abbé, un duel littéraire inédit entre Catherine II et l’abbé Chappe d’Auteroche, Paris 2003; Barthélémy de Lesseps, Journal historique du voyage de M. de Lesseps, consul de France, employé dans l’expédition de M. le comte de la Pérouse en qualité d’interprète du roi; depuis l’instant où il a quitté les frégates Françaises au port SaintPierre et Saint-Paul du Kamtschatka jusqu’à son arrivée en France le 17 octobre 1788, Paris 1790; Alphonse Fortia de Piles, Voyage de deux Français en Allemagne, Danemark, Suède, Russie et Pologne, fait en 1790–1792, Paris 1796. 32 Wladimir Bérélowitch, Les voyageurs russes en France, in: La culture française et les archives russes. Une image de l’Europe au XVIIIe siècle, études réunies par Georges Dulac, avec le concours de Dominique Taurison, Monique Piha et Marine Reverseau, FerneyVoltaire 2004, 7–14.

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Im Zusammenhang dieser Reisen und im Kontext der Aufklärung gewann der kulturelle Austausch zwischen Frankreich und Russland eine neue Dimension. Seitdem 1725 Fontenelle seine Lobschrift auf Peter den Großen verfasst hatte, verteidigten die französischen philosophes Russland in der Regel, indem sie das Positivbild eines Landes zeichneten, das dank der Reformen seiner Herrscher in einen Zyklus des Fortschritts eingetreten sei33. Die unterschiedlichen Ausrichtungen der Politik Bonapartes in den ersten Jahren des Konsulats und des Kaiserreiches beeinflussten auch das Bild Russlands. Während zunächst eine pro-russische Welle die Zeitungen erfüllte, setzte sich nach 1805 eine anti-russische Haltung durch. Der Adel und die gebildete Elite Russlands reagierten ihrerseits heftig auf die revolutionären Umstürze und die napoleonische Expansionspolitik34. Die russischen Diplomaten, die zum Grossteil dem gebildeten Adel entstammten, fühlten sich einer europäischen intellektuellen Gemeinschaft zugehörig, die ihrerseits in französischer Bildung und Lebensführung verwurzelt war. Die napoleonische Offensive provozierte nun eine entscheidende Repositionierung der bis dahin frankophonen und frankophilen Aristokratie. Sie fand den von ihr als »zurückgeblieben« betrachteten Rest der russischen Gesellschaft seit dem Krieg von 1812 in einer nationalen Aufbruchstimmung, die Frankreich auf die Seite der Feinde verwies. Frankreichfeindlichkeit tauchte damals auch in der Kanzlei und dem Generalstab auf; die Franzosen wurden als Revolutionäre und Aggressoren angesehen. Die französische Besetzung und die damit verbundene Gewalt sowie die Allgegenwärtigkeit des Kriegs radikalisierten die wechselseitigen Wahrnehmungen. Publizisten beider Länder verfassten Werke zur besseren Kenntnis des »Feindes«. Auf dieser Grundlage entstanden nach den napoleonischen Kriegen viele russische Werke über die Restauration, und in Frankreich interessierte sich die öffentliche Meinung verstärkt für Russland. Während der ersten Jahre der Herrschaft Alexanders I. war das Land noch nicht das »bedrohliche Rätsel«35, zum einen aufgrund der Persönlichkeit des Zaren und dessen Rolle beim Wiener Kongress, zum anderen aber auch, weil zahlreiche französische Emigranten während der Revolution in Russland Asyl 33 Francine-Dominique Liechtenhan, Les espaces franco-russes de Frédéric II, in: Transferts culturels triangulaires France-Allemagne-Russie, hrsg. v. Katia Dmitrieva / Michel Espagne, Paris 1996, 71–91; Albert Lortholary, Le mirage russe en France au XVIIIe siècle, Paris 1951, 22–25; Christiane Mervaud / Michel Mervaud, Le Pierre le Grand et la Russie de Voltaire, in: Le mirage russe en France au XVIIIe siècle, hrsg. v. Sergeï Karp / Larry Wolff, Ferney-Voltaire 2001, 11–35. 34 Maya Goubina, La perception réciproque des Russes et des Français d’après la littérature, la presse et les archives, 1812–1827, thèse inédite, Université Paris IV 2007, 97–151. 35 Michel Cadot, La Russie dans la vie intellectuelle française, 1839–1856, Paris 1967, 9.

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gefunden hatten. Die abfälligen Meinungen und Eindrücke blieben deshalb insgesamt in der Minderzahl. Sogar der Aufstand der Dekabristen von 1825 führte nicht zu großer Beunruhigung in Frankreich. Die Übersetzung russischer Werke ins Französische, insbesondere der Histoire de la Russie von Nikolaj Karamzin, nährte die Russlandrezeption in Frankreich und zeitigte Auswirkungen auf die öffentliche Meinung36. Nach der Julirevolution von 1830 wurde indessen die Expansionspolitik von Niklaus I. mit Beunruhigung verfolgt. Das autokratische Regime und der Status der Leibeigenschaft wurden zu den bestimmenden Themen der Autoren vor allem der liberalen Milieus. Bei Schriftstellern wie Georges Sand, Raspail oder Victor Hugo weckte die Niederschlagung der polnischen Revolution Misstrauen gegenüber Russland. Das Blutbad in Polen brachte auch das katholische Lager, sogar einen Teil der Legitimisten, gegen das Zarenreich auf. Nach 1839, als das Los Polens zeitweise in den Hintergrund trat, begannen sich zahlreiche Schriftsteller erneut für Russland zu interessieren, wobei der Marquis de Custine damals eine langfristig wirksame negative Sicht auf das Land prägte37. Sein Werk wurde in Frankreich insgesamt günstig aufgenommen und in den literarischen Salons und den diplomatischen Kreisen diskutiert, während die russischen Diplomaten in Paris das Buch zurückwiesen38. Das zweideutige Interesse für das Zarenreich hatte mehrere Ursprünge: Der erste in Paris errichtete Lehrstuhl für slawische Sprache und Literatur war damals dem polnischen Schriftsteller Mickiewicz anvertraut, der daraus eine Tribüne anti-russischer Propaganda machte. Zugleich brachte die Orientfrage die französische Diplomatie gegen Russland auf. Schließlich rief die Ankunft einer kleinen Gruppe politischer Flüchtlinge um Bakunin und Herzen in Paris ab 1840 zugleich Neugier und Beunruhigung hervor39. Zur Zeit der Publikation Custines vervielfachten sich also die Berichte. Wenn sich einige Wissenschaftler wie der Ingenieur Le Play oder einfache »Touristen« wie Xavier Marmier wohlwollend zeigten, bekundeten andere wie Balzac, Horace Vernet oder Berlioz ihre starke Enttäuschung. Sie prangerten das Versagen der Aristokratie, die Korruption in der Verwaltung und das Elend der Bauern an40. Nach 1848 wurde Russland aufgrund seiner imperi36 Elena Jourdan, ›Du mirage russe‹ à la Russie de Custine. L’empire des tsars vu par les Français de la Révolution à la Restauration, Bulletin de l’Institut Pierre Renouvin, Nr. 14, Université Paris1-Panthéon Sorbonne, 2002, http://ipr.univ-paris1.fr/spip.php/ article103. 37 Adolphe de Custine, La Russie en 1839, Paris 1990. 38 M. Cadot, La Russie dans la vie intellectuelle française (Anm. 35), 234–236, 245 f. 39 Ebd., 10 f. 40 Ebd., 137.

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alen Ambitionen als gefährlich angesehen. Prosper de Barante, Botschafter in Sankt Petersburg von 1835 bis 1841, sammelte in seiner diplomatischen und persönlichen Korrespondenz Eindrücke über Russland, welche die ambivalenten Wahrnehmungen in Frankreich bestätigten41. Für die Franzosen war Russland zugleich ein Land, das trotz des Sieges am Wiener Kongress Milde gezeigt hatte, und eine beunruhigende Macht, die im Innern despotisch und auf der internationalen Szene zu ehrgeizig war. Die Einblicke in die gesellschaftlichen Missstände und die Nachrichten über politische Proteste formten in der französischen Öffentlichkeit ein Russlandbild, das zugleich von der Beunruhigung über eine möglicherweise bevorstehende Revolution und von Zweifeln bezüglich des Platzes Russlands in der europäischen Kultur geprägt war. Joseph de Maistre fasste letzteres folgendermaßen zusammen: »Alle anderen Nationen Europas haben vor dem Sprechen während drei oder vier Jahrhunderten gestottert; weshalb also erhebt Russland den Anspruch, auf Anhieb zu sprechen?«42 Mitte des 19. Jahrhunderts galt Russland zugleich als Despotie, als das Land des wirtschaftlichen Fortschritts und als Terrain möglicher zukünftiger Revolutionen.

III. Fremdwahrnehmungen und Praktiken der Diplomatie Während des 17. und 18. Jahrhunderts wandelten sich die Funktion und Effizienz des mit den diplomatischen Verhandlungen betrauten Personals beträchtlich. Im 17. Jahrhundert, in einem Kontext unterschiedlicher diplomatischer Kulturen und Praktiken, schienen die russischen Gesandten in den Augen der Westeuropäer schlecht auf ihre diplomatischen Missionen vorbereitet43. Die Bedingungen zur Aufrechterhaltung des Dialogs waren allerdings 41 Prosper de Barante, Notes sur la Russie de 1835–1840, Paris 1875. 42 Toutes les autres nations de l’Europe ont balbutié pendant trois ou quatre siècles avant de parler; pourquoi donc les Russes ont-ils la prétention de parler d’emblée? Joseph de Maistre, Première lettre sur l’éducation publique en Russie, an M. le comte Rasoumowsky, ministre de l’Instruction Publique, St. Petersburg, zit. nach: M. Cadot, La Russie dans la vie intellectuelle française (Anm. 35), 174. 43 Marianne Seydoux, Les ambassades russes à la cour de Louis XIV, d’après les documents du Ministère des Affaires Étrangères, in: Cahiers du monde russe 9 (1968), 235–244; Avis Bohlen, Changes in Russian Diplomacy under Peter the Great, in: Cahiers du Monde russe 7 (1966), 341–358; Dan Altbauer, The Diplomats of Peter the Great, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 28 (1980), 1–16; N. M. Rogozin, Istorija vnechnej politiki Rossii (Anm. 2), 352–355; Marie-Karine Schaub, Se comprendre avec difficulté. Les pratiques russes de négociation à l’époque moscovite, in: Negociar en la Edad Media /

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immer gegeben: »Bis ins 17. Jahrhundert führten die russischen Diplomaten die Verhandlungen mit den europäischen Botschaftern auf verschiedenen Stufen, jedoch in einer Distanz, die es ermöglichte, einander zu verstehen.«44 Die russischen außerordentlichen Botschafter waren Bojaren, die diesen Dienst der Gunst des Zaren zu verdanken hatten. Sekundiert wurden sie durch ein spezialisiertes Personal von Sekretären und Untersekretären, die aus dem niederen Adel rekrutiert wurden und im Kreis des Gesandtschaftsamtes ein Corps von ungefähr 85 Personen bildeten. Diese Spezialisten arbeiteten in Moskau oder wurden ins Ausland entsandt; einige von ihnen wurden auch als Dolmetscher oder Übersetzer eingesetzt. Jene, die ins Ausland geschickt wurden, gehörten in der Regel den höchsten Rängen des Gesandtschaftsamtes an. Die außerordentlichen Botschafter besaßen dagegen normalerweise weder eine spezifische Ausbildung noch entsprechende praktische Erfahrung. Sie verließen meist den Dienst im Heer oder bei Hofe, um sich ins Ausland zu begeben. Dort bestand ihr Auftrag darin, den Zaren zu repräsentieren und dessen Ehre zu verteidigen, indem sie sicherstellten, dass das russische Protokoll und die russische Etikette eingehalten wurden45. So schockierte Konstantin Mačekin, der 1654 eine Gesandtschaft in Frankreich leitete, seine Verhandlungspartner durch die Liste seiner Ansprüche. Der vom introducteur des ambassadeurs Nicolas de Berlize verfasste Bericht macht die Kluft deutlich, die sich zwischen den russischen Forderungen und den französischen diplomatischen Gepflogenheiten auftat: Alles, was Berlize am Verhalten der russischen Delegation auffiel – Forderungen nach Bezahlung der Aufenthaltskosten, protokollarische Schwierigkeiten während der Audienz beim König, inkorrektes Verhalten der russischen Delegation, Unkenntnis der auswärtigen Angelegenheiten, seltsame Erscheinung und Kleidung46 – verortete er als andersartig und nichteuropäisch. Petr Ivanovič Potemkin, der in den Jahren 1668 und 1681 je eine Gesandtschaft leitete, war ein Bojar polnischer Herkunft. 1655 war er zum General in den Armeen Zar Aleksej Michajlovitčs und 1667 zum Wojwoden von Borowsk ernannt worden; 1681 wurde er in den prestigeträchtigen Rang eines Quartiermeisters befördert und 1681 sowie 1687 für verschiedene diploNégocier au Moyen-Âge, hrsg. v. María T. Ferrer Mallol / Jean-Marie Moeglin / Stéphane Péquignot / Manuel Sánchez Martínez, Barcelona 2005, 369–387. 44 Vladimir P. Savva, Moskovskie cari i vizantijskie Valcilevsy. K voprosu o vlijanij Vizantij na obrazovanie idei carskoj vlasti moskovskih gosudarej, Kharkov 1901 (Slavistic printings and reprintings, 127), Den Haag / Paris 1969, 179. 45 Léonid A. Juzefovitch, Kak v posol’skikh obytchayakh vedetsia, Moskau 1988. 46 Nicolas de Berlize, Relation de la réception faite à Constantin Garasnnott Matscharhnen, envoyé du Grand duc de Moscovie, 1654, in: Bibliothèque de l’Institut, collection Godefroy, Ms. 476.

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matische Missionen in Dänemark eingesetzt47. Nach der Gesandtschaft von 1668 kehrte er, anscheinend überzeugt von deren Erfolg, nach Moskau zurück. Der lange Bericht, den er über seine Mission verfasste, unterstreicht, wie die erreichten Resultate den erhaltenen Instruktionen entsprochen hätten. Der Botschafter behauptete, die Höflinge durch seine Kultiviertheit und Gelehrsamkeit beeindruckt zu haben48. Es sei ihm gelungen, die guten Beziehungen zum König zu erhalten, geschäftliche und diplomatische Beziehungen für die Zukunft vorzubereiten und persönliche Kontakte zu knüpfen. Im Gegensatz dazu wird aus den französischen Quellen deutlich, wie sehr das Verhalten der russischen Delegationsmitglieder als unangebracht wahrgenommen wurde und die Forderung nach der Bezahlung der Aufenthaltskosten dem König so lästig fiel, dass er diese Praxis anlässlich der neuen russischen Gesandtschaft von 1681 einstellen ließ. 1687, während eines weiteren Aufenthalts russischer Gesandten in Paris, beurteilten die Franzosen deren Verhalten aus protokollarischer und formeller Sicht wieder als inakzeptabel. Erstere hatten die Bedingungen ihres Empfangs durch den König von Frankreich zurückgewiesen. Zudem trieben sie in Saint-Denis Handel mit Kleidern und Pelzen, zogen also ihren persönlichen Profit der Verteidigung der Ehre des Zaren vor. Ludwig XIV. drohte ihnen mit dem Entzug einer königlichen Audienz, um dieses Fehlverhalten zu unterbinden49. Noch zu diesem Zeitpunkt wurden also aus französischer Sicht die persönlichen und politischen Beziehungen durch das Verhalten der russischen Gesandten beeinträchtigt. Diese Situation erscheint umso erstaunlicher, als die Leitung des Gesandtschaftsamts zu jener Zeit in den Händen von Männern lag, die einsahen, dass es notwendig war, das Verhalten der russischen Gesandten den neuen Beziehungen zu Frankreich anzupassen. So galt Afanasij Lavrent’evič Ordin-Naščokin, der mehrere westeuropäische Sprachen beherrschte und gerne Fremdwörter verwendete, als gleich kompetent wie irgendein anderer europäischer Minister50. Sein hoch gebildeter, frankophoner und geschichtsbegeisterter Nachfolger Artamon Sergeevič Matveev, der 1682 sein Amt übernahm, wurde als einer der ersten russischen »Okzidentalisten« betrachtet51. Vasilij Vasil’ewič Golicyn, der während der Regentschaft Sophies zwischen 1682 und 1689 im Amt war, 47 E. Galitzine, La Russie du XVIIe siècle (Anm. 6), XXVIII–XXXII; Gavril L. Kessel’brenner, Izvestnye diplomaty Rossii. Ot Posol’skoj izby do Kollegii inostrannych del, Moskovskie utechebniki i Kartoligrafija, Moskau 1999. 48 D. S. Likhatchev, Putechestvija russkikh poslov (Anm. 6), 270. 49 MAE, MD Russie 3, f. 223. Mémoire touchant la conduite qu’ont tenue en France les ambassadeurs de Moscovie, 1687. 50 G. L. Kessel’brenner, Izvestnye Diplomaty Rossii (Anm. 47), 24–32. 51 Ebd. 35–37.

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gehörte zu einer kleinen Gruppe neuer Akteure, die danach strebten, den politischen Betrieb Russlands westeuropäischen Gepflogenheiten anzupassen. Foy de la Neuville schrieb über ihn: »Ohne Zweifel ist er einer der intelligentesten, raffiniertesten und großartigsten Männer, den dieses Land, welches er den anderen ebenbürtig zu machen versucht, je gesehen hat.«52 Von den Europäern wurde er umso mehr geschätzt, als er sich als Bewunderer des Westens präsentierte. An der Spitze des Gesandtschaftsamtes versuchte er dessen Funktionsweise zu verbessern: Er ließ die Mitarbeiter des Amtes Fremdsprachen lernen und vervielfachte die Gesandtschaften nach Frankreich, England, zu den österreichischen Habsburgern und nach Schweden. Golizyn hatte verstanden, dass das Prestige seines Landes von der Ausbildung und Haltung seiner Diplomaten abhing53. Bis Ende des 17. Jahrhunderts wurden die Modalitäten der französischrussischen Beziehungen von einem gegenseitigen Mangel an Informationen und von Konflikten, die den gegenseitigen Umgang betrafen, bestimmt. Die strategischen Ausrichtungen wirkten sich noch nicht auf die französische Politik aus. In dieser Phase des gegenseitigen Sich-zur-Kenntnis-Nehmens hatten französische und russische Gesandte großen Anteil an der Ausprägung der gegenseitigen Wahrnehmung und der Verfestigung von Praktiken des Umgangs. Der mit Peter dem Großen einsetzende soziokulturelle Bruch führte auch im Bereich der Außenbeziehungen zu zahlreichen Veränderungen. Weil das Gesandtschaftsamt den Anforderungen der Diplomatie nicht mehr gerecht wurde, wurde eine parallele Institution errichtet. Diese neue Botschaftskanzlei bemächtigte sich nach und nach aller Funktionen des Gesandtschaftsamtes. 1720 wurde sie als »Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten« fest etabliert54. An die Spitze des Kollegiums traten ein Präsident, Graf Gavril Golovkin, sowie ein Vizepräsident, Petr Šafirov, die von so genannten Botschaftsräten unterstützt wurden. Unter diesen befand sich auch der in Bochum als Sohn eines lutherischen Pastors geborene Heinrich Ostermann, der später in der russischen Außenpolitik eine unentbehrliche Rolle besetzen sollte. Die Arbeit des Kollegiums erfolgte unter der direkten Kontrolle des Zaren. Es umfasste zwei Sektionen, die ihrerseits aus mehreren Büros bestanden, in denen 52 Sans aucun doute c’est l’un des hommes les plus intelligents, les plus raffiné et les plus magnifique que ce pays, qu’il essaye de rendre égal aux autres, a jamais vu. Foy de la Neuville, Relation curieuse et nouvelle de Moscovie, Den Haag 1699, 55. 53 Lindsey Hughes, Russia and the West. The Life of a Seventeenth-Century Prince Vasilij Vasil’evitch Golitsyn (1643–1714), Newtonville, Mass. 1984, 3. 54 V. P. Potemkine, Histoire de la diplomatie (Anm. 9), 260–264; Anna Joukovskaïa-Lecerf, À propos de la création du Collège des Affaires étrangères sous Pierre le Grand, in: Cahiers du Monde russe 43 (2002), 57–66.

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wiederum spezielle Dossiers, insbesondere europäische Angelegenheiten, bearbeitet wurden. Der Personalbestand – 1720 waren es 120 Bedienstete – stieg in der Folge beträchtlich an: 1762 zählte das Kollegium 261 Bedienstete und verfügte über ein Budget von 500‘000 Rubeln. Die alten Regeln der diplomatischen Praxis veränderten sich allerdings nicht sofort. Die Russen zeigten sich in Bezug auf protokollarische Fragen weiterhin unerbittlich, und Peter der Große selbst trug beim Empfang fremder Botschafter keinen Hut, um diesen beim Vernehmen des Namens des vertretenen Souveräns nicht ziehen zu müssen. Bei solchen Angelegenheiten handelte es sich noch um Relikte früherer Praktiken, welche die französischen Diplomaten nur schlecht ertrugen: »Die russischen Gesandten versuchen nicht, ihrem Souverän beim König zu dienen, sondern stellen nur hochmütige Forderungen.«55 Dennoch wuchs nun eine neue Generation russischer Diplomaten heran, welche die fremden Gepflogenheiten und Praktiken ebenso kannte wie die Beziehungen der Mächte zueinander. Sie war auch in der Lage, eine wirksame Propagandaliteratur hervorzubringen, welche die französische und allgemeiner die europäische Meinung formen sollte. Zu Beginn setzte Peter der Große dazu die Mitglieder des Gesandtschaftamtes ein; später wählte er seine Vertreter im Ausland aus den höchsten Rängen des Adels. Die Wahl der Person hing dabei immer davon ab, wie viel Respekt man dem Souverän, der die Gesandtschaft empfangen sollte, erweisen wollte. Die Bemühungen der russischen Diplomatie, sich bemerkbar zu machen und sich langsam den europäischen Verhaltensnormen anzupassen, trugen Früchte. Die russischen Diplomaten, die nun ihren Verhandlungspartnern zunehmend ähnlich waren, wurden nicht mehr nur als Repräsentanten einer aufsteigenden Macht, sondern auch als Individuen respektiert. Pierre le Moyne d’Iberville, der 1707 mit den Verhandlungen mit Artamon Sergeevič Matveev beauftragt wurde, schrieb über diesen: »Ich entdecke bei diesem Botschafter viel mehr Intelligenz und Wissen um die europäischen Angelegenheiten und viel mehr Höflichkeit, als ich es bei einer Person, die aus diesem Land kommt, erwartet habe.«56 In Bezug auf den Fürsten Boris Ivanovič Kurakin, einem der kompetentesten Vertreter Peters des Großen, unterstreicht Saint-Simon, dass dieser Französisch und weitere Sprachen beherrsche und sich seiner Herkunft

55 Ils ne cherchent pas à servir leur souverain auprès du roi, et ne font que des demandes orgueilleuses. V. P. Potemkine, Histoire de la diplomatie (Anm. 9), 265. 56 Je découvre chez cet ambassadeur beaucoup plus d’intelligence et de savoir des affaires européennes et de courtoisie que ce que j’attendais d’une personne venant de ce pays. D. Altbauer, The Diplomats of Peter the Great (Anm. 43), 15.

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in großem Maße bewusst sei57. Kurakin war 1721 nach Frankreich entsandt worden, um dem Regenten für seine Mediation anlässlich des Friedens von Nystad zu danken und über eine mögliche Heirat von Ludwig XV. mit Elisabeth, der jüngsten Tochter Peters des Großen, zu verhandeln. Kardinal Dubois sprach von Jurij Dolgorukij, dem russischen Botschafter beim Regenten im Jahr 1721, als »einem Minister mit gesundem Menschenverstand, der diskret und völlig fähig ist, seinem Hof über den Zustand Frankreichs und unsere Gefühle Bericht zu erstatten.«58 Campredon, der 1721 nach Sankt Petersburg entsandt wurde, um die Verhandlungen über eine Vermählung zwischen Prinzessin Elisabeth und einem Mitglied der französischen königlichen Familie wiederzubeleben, sprach von Ostermann als einem Diplomaten alter Schule, schurkenhaft und schwierig, stellte aber nie dessen Kompetenzen in Frage59. Gleichzeitig stieg im 18. Jahrhundert die Zahl französischer Diplomaten in Russland an. 1714 wurde eine ständige französische Vertretung in Sankt Petersburg errichtet. Die französischen Gesandten spielten eine wichtige Rolle bei den Bemühungen um eine diplomatische Annäherung. Einige von ihnen griffen auch in die russische Innenpolitik ein. So war zum Beispiel Campredon von 1721 bis 1725 der am meisten Begünstigte aller fremden Gesandten in Sankt Petersburg60, und Joachim Jacques Trotti de La Chétardie, der sein Amt von 1739 bis 1742 versah, war an der Verschwörung beteiligt, die 1741 Elizaveta Petrovna auf den Thron brachte61. Nach einer militärischen Karriere war La Chétardie als Botschafter nach England, Preußen und schließlich Sankt Petersburg entsandt worden, wo er feste Verbindungen zu Prinzessin Elizaveta und deren Entourage geknüpft hatte. Assistiert wurde er von einem Sekretär, Louis d’Usson, Comte d’Allion. Dieser hatte zuerst zweitrangige diplomatische Funktionen in den Vereinigten Provinzen und Konstantinopel ausgeübt und war dann 1723 nach Russland entsandt worden, um nach den osmanischen Eroberungen an den Verhandlungen um die Festlegung der persischen Grenzen teilzunehmen. Als Ludwig XV. La Chétardie 1739 nach Sankt Petersburg sandte, versuchte er damit, sich Russland anzunähern. Weil er dort nur mit einem Sekretär vertreten gewesen war, waren die Beziehungen bis dahin distanziert geblieben. Ludwig XV. verlangte, dass La Chétardie bei sei57 Ebd., 16. 58 […] un ministre de bon sens, discret et tout à fait capable de rendre compte à sa cour, de l’état de la France et de nos sentiments. Recueil des instructions (Anm. 5), 250 f. 59 A. Vandal, Louis XV et Élisabeth de Russie (Anm. 9), 60. 60 Ebd., 42–44. 61 F.-D. Liechtenhan, Les aventures du marquis de la Chétardie (Anm. 11), 41–54 ; Recueil des instructions (Anm. 5), 339–380; A. Vandal, Louis XV et Élisabeth de Russie (Anm. 9), 116–180.

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ner Ankunft die gleiche Behandlung erfahre wie der Botschafter des Kaisers. Der Einzug in Sankt Petersburg fiel dann tatsächlich prächtig aus: Zarin Anna Ivanovna, die Ludwig XV. für seine Mediation gegenüber dem Osmanischen Reich und Österreich anlässlich des Friedens von Belgrad zu Dank verpflichtet war, gewährte La Chétardie alle Ehren seines Ranges62. Nach der Abberufung La Chétardies 1744 folgte d’Allion mit dem Titel eines ministre plénipotentiaire, wurde jedoch schon bald nach Paris zurückberufen, weil die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Höfen abgebrochen wurden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts folgten auf dem Posten in Sankt Petersburg sieben französische Diplomaten aufeinander63. Die geheime Mission von Mackenzie Douglas im Jahr 1755 erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu welchem keine Beziehungen unterhalten wurden, was aus seiner Instruktion deutlich hervorgeht: »Seit langem unterhält Ihre Majestät dort keinen Botschafter oder Minister, nicht einmal einen Konsul, man kennt den Staat kaum, umso weniger, da der Charakter der Nation und der eifersüchtige und argwöhnische Despotismus des Ministeriums die in anderen Ländern gebräuchlichen Formen des Umgangs nicht gestatten. Wir dachten, dass es, um vertrauenswürdige Kenntnisse über die Vorgänge in Russland zu erhalten, angebracht sei, eine Person ohne sichtbaren oder geheimen diplomatischen Rang dorthin zu entsenden, jemanden, der fähig ist, den Hof persönlich genau zu untersuchen und danach darüber Bericht zu erstatten. Ein Franzose eignete sich für einen solchen Auftrag nicht. Obwohl wir annehmen, dass die Zarin Russlands Ihrer Majestät freundlich gesinnt und der französischen Nation zugeneigt ist, würde ein Untertan des Königs vom Ministerium in Russland bestimmt allzu sehr beobachtet werden, um sich dort als nützlich erweisen zu können, welchen Vorwands er auch immer sich bediente, um das Motiv seiner Reise zu verbergen.«64 Man musste also einen Fremden, im vorliegenden Fall einen 62 F.-D. Liechtenhan, Les aventures du marquis de la Chétardie (Anm. 11), 43. 63 Claire Béchu, Les ambassadeurs français en Russie au XVIIIe siècle, in: L’influence française en Russie au XVIIIe siècle (Anm. 14), 65–73. 64 Depuis longtemps sa Majesté n’y entretient plus d’ambassadeur, de ministre, ni même de consul, on en ignore presque entièrement l’état, d’autant plus que la caractère de la nation et le despotisme jaloux et soupçonneux du ministère ne permettent pas les correspondances usitées dans les autres pays. On a pensé que pour avoir des notions sur lesquelles on puisse compter, de ce qui se passe en Russie, il convenait d’y envoyer, sans aucune qualité, ni apparente, ni secrète, une personne capable de bien examiner par elle-même cette cour et d’en venir rendre compte ensuite. Un François ne pouvoit être propre à cette commission. Malgré l’amitié que l’on suppose toujours que l’Impératrice de Russie a pour Sa Majesté et son penchant pour la nation française, un sujet du Roi seroit certainement trop observé en Russie par le Ministère pour qu’il pût y être utile, de quelque prétexte qu’il se servît pour cacher le motif de son voyage. Zit. nach ebd., 66.

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Schotten, nach Russland entsenden, der sich um die französische Interessen kümmern sollte. In der Folge fanden sich viele Militärangehörige unter den französischen Diplomaten. So übernahm zum Beispiel 1756 der Marquis de l’Hôpital den Posten in Sankt Petersburg. Er hatte seine militärische Karriere 1716 als enseigne im französischen Garderegiment begonnen und 1745 als lieutenant général beendet. Louis-Auguste Le Tonnelier, Baron von Breteuil, wurde nach einer militärischen Karriere 1760 mit 30 Jahren zum ministre plénipotentiaire in Sankt Petersburg ernannt, worauf er seine diplomatische Karriere als Botschafter in Schweden, Holland, Neapel und Wien fortsetzte. Unter den Botschaftern in Russland findet sich auch der dem Dienstadel entstammende François-Michel Durand de Distroff, conseiller im parlement von Metz, der aufgrund seines politischen Feingefühls und seiner diplomatischen Qualitäten 1748 als Gesandter an den Kongress von Aachen geschickt wurde und danach in London, Polen, Wien und schließlich 1772 in Sankt Petersburg eingesetzt wurde. Der letzte französische Botschafter in Sankt Petersburg war der Comte de Ségur, der sich im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ausgezeichnet hatte. Um sich für seinen Posten in Sankt Petersburg vorzubereiten, arbeitete er zuerst im Außenministerium in Paris und führte Gespräche mit Friedrich Melchior Grimm und dem Baron de Breteuil, die ausgewiesene Kenner des Hofes in Sankt Petersburg waren. 1785 begleitete er die Zarin während ihrer Inspektion des Ostsee-Wolga-Kanals. In seinen Memoiren berichtet er, wie er diese Reise genutzt habe, um die französisch-russische Freundschaft zu stärken, dies insbesondere im Hinblick auf den Abschluss eines Handelsabkommens, das 1787 ratifiziert wurde65. Im Großen und Ganzen unterschied sich die russische diplomatische Etikette ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht mehr von derjenigen der europäischen Länder. Das beste Anzeichen für diesen Wandel war der Gebrauch des Französischen als gemeinsame Sprache. Die im 18. Jahrhundert zentralen Fragen der Titulatur blieben für die Beziehungen der beiden Länder wichtig. So weigerten sich die Franzosen noch 1766, dem Titel »Majestät« das Attribut »kaiserlich« anzufügen, wobei sie vorgaben, ein solcher Zusatz entspräche nicht den Gesetzen der französischen Sprache. Katharina ließ daraufhin antworten, es widerspreche den Gesetzen der russischen Sprache und des russischen Zeremoniells, Briefe entgegenzunehmen, welche die entsprechenden Titel nicht aufführten. Weitere Probleme entstanden, weil die französische Regierung ihre Repräsentanten anwies, gegenüber den Russen überall 65 Ebd., 69; Jean-Louis van Regemorter, Commerce et politique: préparation et négociation du traité franco-russe de 1787, in: Cahiers du Monde russe et soviétique 4 (1963), 230–257.

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auf ihrer préséance zu beharren und sie selbst mit Gewalt durchzusetzen. Nikita Ivanovič Panin, ein sehr einflussreicher Diplomat während der Herrschaft Katharinas II., forderte die russischen Botschafter seinerseits dazu auf, ihren Rang, koste es was es wolle, zu verteidigen. Die diplomatische Etikette illustrierte in seinen Augen den gegenseitigen Respekt und die gegenseitige, der jeweiligen Stärke entsprechende Wertschätzung66. Albert-Bertrand Lortholary hat in seinem klassischen Werk Le mirage russe en France au XVIIIe siècle darauf hingewiesen, dass es unumgänglich sei, die Erfahrungen der Diplomaten und Reisenden mit den oft enthusiastischen Zeugnissen der Philosophen der Aufklärung über Russland zu konfrontieren, um die kulturelle Wirkung Russlands in Frankreich zu verstehen. In seiner Histoire de Charles XII und insbesondere in seiner Histoire de l’Empire de Russie sous Pierre le Grand prägte Voltaire das Bild eines Landes, dessen Herrscher den Ehrgeiz hatte, den Aufbau des Reiches voranzutreiben und seinen in Unwissenheit verhafteten Untertanen die Zivilisation zu bringen. Voltaire zählte Peter den Großen zu einem weiten Pantheon vernünftiger und toleranter Staatsmänner67. Wie d’Alembert oder Friedrich Melchior Grimm bewertete Diderot, der anders als Voltaire die gefährliche Reise nach Sankt Petersburg auf sich genommen hatte, trotz seiner eigenen Enttäuschungen in Frankreich die Reformen der ersten Regierungsjahre Katharinas II. wohlwollend. Alle waren empfänglich für diese Bemühungen – trotz der offensichtlichen Widersprüche zwischen dem Ziel der Europäisierung und einem auf der Leibeigenschaft begründeten sozialen System sowie einer Herrschaft, die keiner Institution Rechenschaft abzulegen hatte. Im 18. Jahrhundert gaben also französische Denker, Reisende und Diplomaten dem Beitritt Russlands ins Konzert der europäischen Nationen starken Auftrieb. In ihren Augen repräsentierte Russland trotz seines Rückstandes ein weiteres Ausgreifen Europas gegen Osten. Nach dem Wiener Kongress forderten zahlreiche Stimmen aus der Diplomatie ein französisch-russisches Bündnis, eine Idee, die trotz der Besorgnis über die neue Macht Russlands nach der Niederlage Napoleons von verschiedenen Personen aus Politik und Literatur vertreten wurde. So verteidigte Chateaubriand eine Politik der Annäherung in einer Denkschrift, die er an den Comte de La Ferronnays, den ehemaligen Botschafter Frankreichs in Sankt Petersburg, richtete. In den 1840er Jahren wurde diese Haltung von den Vertretern der dynastischen Linken und von Persönlichkeiten wie Sainte-Beuve 66 V. P. Potemkine, Histoire de la diplomatie (Anm. 9), 285. 67 C. Mervaud / M. Mervaud, Le Pierre le Grand (Anm. 33), 26.

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vertreten68. Oft tauchte jedoch auch der Topos der russischen Bedrohung wieder auf, so unter der Feder Lamartines und Michelets, die beide von der aktiven anti-russischen Propaganda Mickiewiczs oder Victor Hugos beeinflusst waren. Letzterer schrieb: »Wie vor zweihundert Jahren wird Europa von zwei gewaltigen Egoismen niedergedrückt und begehrt. Der Geist des Krieges, der Gewalt und der Eroberung herrscht noch im Orient, derjenige des Handels, der List und des Abenteuers im Okzident. Diese beiden Riesen haben sich nach und nach fortbewegt und sind nach Norden hinaufgezogen, gleichsam um den Kontinent von weiter oben her zu packen. Dem Osmanischen Reich folgte Russland; auf Spanien folgte England.«69 Nach 1848 beschrieben französische Diplomaten wie La Ferronnays Russland als eine Macht, die durch die Bauernrevolten und die noch archaischen wirtschaftlichen Strukturen geschwächt sei. Diese Wahrnehmung begünstigte das Eingreifen Frankreichs in den Krimkrieg. Die konkreten Handlungen der Diplomaten bestätigten diese sprunghaften Parteinahmen. So war Viktor Petrovič Balabin, der als Diplomat in Paris von 1842 bis 1852 den chargé d’affaires Ivan Sergeevič Gagarin ersetzte, den Katholiken und Liberalen feindlich gesinnt. Balabin war zwar 1846 an den Verhandlungen für einen Handelsvertrag beteiligt, zugleich aber mitverantwortlich für die Abkühlung der Beziehungen zwischen Frankreich und Russland bis ins Jahr 1848. Die starke russische Präsenz in Paris veranlasste die französischen Behörden, als gefährlich eingestufte Elemente überwachen zu lassen. Zugleich spionierte die russische Regierung ihre eigenen Staatsangehörigen aus. Dieses Phänomen wurde, verbreitet durch die Zeitung L’Illustration vom 15. März 1845, zu einem Gemeinplatz: »Die Russen schicken weder Bürger noch Muschiks nach Frankreich. Die großen Herren aber, die uns besuchen, verfolgen fast immer ein verstecktes Ziel, eine geheime Mission.«70 Die von russischen Aristokraten wie der Fürstin von Lieven, der Gräfin Razumovski, der Fürstin Bagration oder den Damen Naryškin gehaltenen Salons waren 68 M. Cadot, La Russie dans la vie intellectuelle française (Anm. 35), 502. 69 De même qu’il y a deux cents ans, deux immenses égoïsmes pressent l’Europe et la convoitent. L’esprit de guerre, de violence et de conquête est encore debout à l’Orient, l’esprit de commerce, de ruse et d’aventure est encore debout à l’Occident. Les deux géants se sont peu à peu déplacés et sont remontés vers le Nord, comme pour saisir le continent de plus haut. A la Turquie a succédé la Russie; à l’Espagne a succédé l’Angleterre. Victor Hugo, Le Rhin, conclusion IV, in: Œuvres politiques complètes-Œuvres diverses, Paris 1964, 108. 70 Les Russes n’envoient en France ni bourgeois, ni moujiks. Mais les grands seigneurs qui nous visitent ont presque toujours un but caché, une mission secrète. Zit. nach: M. Cadot, La Russie dans la vie intellectuelle française (Anm. 35), 68. Als Muschik wurden die leibeigenen Bauern Russlands bezeichnet (Anm. d. Übers.).

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aber auch Verbindungsorte zwischen Russen und Franzosen, durch welche die Russen Zugang zur literarischen und politischen Welt Frankreichs erlangten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war der Austausch zwischen Frankreich und Russland aufgrund der zahlreichen Reisen in die beiden Länder intensiv. Franzosen aller gesellschaftlichen Schichten begaben sich nach Russland: Diplomaten, Privatlehrer für die Kinder aristokratischer Familien oder Schriftsteller, die wie Balzac oder Custine glaubten, in Russland moralische und politische Werte vorzufinden, die Frankreich in ihren Augen verloren hatte. Die Russen ihrerseits kamen nach Paris, um Zuflucht vor politischer Verfolgung zu suchen oder auch, um vom mondänen und literarischen Leben zu profitieren. Zwischen dem späten 17. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Rolle der Verhandlungsspezialisten. Als die diplomatischen Beziehungen noch nicht dauerhaft etabliert waren, hatten die Diplomaten zugleich wesentlichen Anteil an deren Anbahnung, schufen aber auch Probleme, weil sich Normen und Praktiken stark unterschieden. Die Wende trat ein, als die Russen begannen, »sich zu verwestlichen«. Von dem Zeitpunkt an, zu dem diplomatische Beziehungen in einem westeuropäisch geprägten Rahmen etabliert wurden, verloren die Diplomaten ihre Schlüsselrolle bei der Ausformung der gegenseitigen Wahrnehmung: Neben die Berichte der Diplomaten traten nun Presse, Reiseberichte, philosophische Schriften und politische Propaganda. Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Affolter

Ungleiche Partner: Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Hanse und der spanischen Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert Von Thomas Weller

Hansa omnis in quatuor circulos divisa est. Diese Erläuterung, die bei dem einen oder anderen heutigen Leser unliebsame Erinnerungen an seinen Lateinunterricht wachrufen mag, steht am Beginn eines Schriftstücks, das höchstwahrscheinlich aus dem Jahre 1607 datiert und im Archivo General de Simancas in Spanien aufbewahrt wird1. Von Interesse ist das Dokument freilich weniger wegen seiner vermutlich unfreiwilligen Reminiszenzen an Cäsars Bellum Gallicum, sondern wegen seines Entstehungszusammenhangs. Am 2. April des Jahres 1607 gelangte eine Gesandtschaft der Hanse an den Hof Philipps III. von Spanien, um mit der spanischen Krone über einen Handelsvertrag zu verhandeln2. Zu diesem Zweck wollten die spanischen Kronbeamten gerne genauer wissen, wer oder was die Hanse eigentlich war beziehungsweise mit welchen Städten der spanische König einen Vertrag abschließen würde. Über die innere Organisation und die Zusammensetzung der Hanse wussten die Spanier zu Beginn des 17. Jahrhunderts vermutlich genauso wenig wie die antiken Bewohner der Apenninenhalbinsel über die Völker Galliens. Zumindest in dieser Hinsicht bestehen also durchaus Parallelen zu Cäsars Kommentaren über den gallischen Krieg, die über rein zufällige Ähnlichkeiten in der Wortwahl hinausgehen. Auf den gerade zitierten einleitenden Satz folgen jedoch nicht etwa ethnographische Bemerkungen über die Bewohner des Nord- und Ostseeraums, sondern eine schlichte Auflistung jener insgesamt 72 Städte, die die Verfasser des Schriftstücks Anfang des 17. Jahrhunderts zur Hanse zählten. Um Missverständnisse auszuschließen, wurde die Liste aus dem Lateinischen eigens noch einmal ins Spanische übersetzt. Dieser Umstand lässt bereits erahnen, dass die Kommunikation zwischen den Vertretern der Hanse und jenen der spanischen Krone nicht immer reibungslos verlief, wobei sprachliche Barrieren noch das geringste Problem dar-

1 AGS, Estado, leg. 2852 [nicht foliiert]. 2 Zu den näheren Umständen und den Hintergründen der Gesandtschaft vgl. unten bei Anm. 20.

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stellten3. Schließlich handelte es sich hier um Akteure, die in mehr als einer Hinsicht als »ungleiche Partner« gelten können. Politisch und militärisch war die spanische Monarchie zu diesem Zeitpunkt immer noch die dominierende Macht Kontinentaleuropas, auch wenn sich die Anzeichen ihres Niedergangs bereits bemerkbar machten4. Obgleich es sich beim frühneuzeitlichen Spanien um »das Paradigma zusammengesetzter Monarchien« handelte, werden die iberischen Königreiche, insbesondere Kastilien, im Hinblick auf ihre innere Entwicklung oft als Paradebeispiel für den Prozess frühmoderner Staatsbildung angeführt5. Die Hanse hingegen erschien in einer Welt, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts zunehmend von dynastischen Fürstenstaaten dominiert wurde, mehr und mehr wie ein anachronistisches Relikt aus dem Mittelalter, ein merkwürdiges politisches Konstrukt, das sich »wie ein Staat aufführte, ohne ein Staat zu sein«6, wie Heinz Duchhardt einmal treffend festgestellt hat. Die über eine Vielzahl unterschiedlicher Territorien verteilten Hansestädte, deren Zahl und Zusammensetzung übrigens keineswegs so eindeutig feststand, wie es das eingangs zitierte Dokument glauben macht, waren fast ausschließlich Untertanen anderer Souveräne7. Streng genommen war 3 Vgl. zu diesem Problem allg. Guido Braun, Fremdsprachen als Fremderfahrung: Das Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses, in: Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. v. Michael Rohrschneider / Arno Strohmeyer, Münster 2007, 203–244. 4 Vgl. John H. Elliott, Imperial Spain 1469–1717, London 1963; Antonio Domínguez Ortiz, Crisis y decadencia de la España de los Austrias, Barcelona 1984; Robert A. Stradling, Europe and the Decline of Spain. A Study of the Spanish System 1580–1720, London 1981; ders., Spain’s Struggle for Europe, 1598–1668, London 1994. 5 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, 66–69; 328 f., das Zitat 66. 6 Heinz Duchhardt, Die Hanse und das europäische Mächtesystem des frühen 17. Jahrhunderts, in: Niedergang oder Übergang? Zur Spätzeit der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert, hrsg. v. Antjekathrin Grassmann, Köln / Weimar / Wien 1997, 11–24, hier 15 f. Paradoxerweise ist es eben dieser Umstand, der die Hanse heute, unter geänderten Rahmenbedingungen, als Projektionsfläche für tagespolitische Vereinnahmungsversuche so attraktiv macht, vgl. Rolf Hammel-Kiesow, Europäische Union, Globalisierung und Hanse. Überlegungen zur aktuellen Vereinnahmung eines historischen Phänomens, in: Hansische Geschichtsblätter 125 (2007), 1–44. 7 Zur komplexen Organisation der Hanse und zur Stellung der einzelnen Städte vgl. Rolf Hammel-Kiesow, Die Hanse, 3. aktual. Aufl., München 2004, 10–13, 68–89; Philippe Dollinger, Die Hanse, 5. erw. Aufl., Stuttgart 1998, 155–171; Ernst Pitz, Bürgereinung und Städteeinung. Studien zur Verfassungsgeschichte der Hansestädte und der deutschen Hanse, Köln 2001; Georg Schmidt, Städtehanse und Reich im 16. und 17. Jahrhundert, in: Niedergang oder Übergang (Anm. 6) 25–46; Albrecht Cordes, Die Rechtsnatur der

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das Hanseoberhaupt Lübeck die einzige Stadt, die die ganze Frühe Neuzeit hindurch unangefochten den Status einer freien Reichsstadt besaß, und selbst als solche genoss sie nach Auffassung der meisten zeitgenössischen Juristen allenfalls eine eingeschränkte Souveränität8. Doch nicht nur in dieser Hinsicht unterschieden sich die Hanse und die spanische Monarchie grundlegend voneinander. Die spanische Gesellschaft des 16. und 17. Jahrhunderts war nach Auffassung vieler Autoren von einem adeligen Kriegerethos durchdrungen, dem wirtschaftliches Kalkül fremd war9. So diente die Wahrung und Mehrung der eigenen »Reputation« auch immer wieder als erklärtes Ziel und Rechtfertigung für die ruinöse spanische Aussenpolitik10. Demgegenüber schien in den Hansestädten ein gänzlich anderer Geist zu herrschen. Militärisch kaum noch dazu in der Lage, sich der Angriffe feindlicher Mächte ohne fremde Hilfe zu erwehren, war die Hanse in der Frühen Neuzeit außenpolitisch zumeist auf Neutralität und in erster Linie auf die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder bedacht11. Anders

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Hanse. Politische, juristische und historische Diskurse, in: Hansische Geschichtsblätter 119 (2001), 49–62; Wilhelm Ebel, Die Hanse in der deutschen Staatsrechtsliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Hansische Geschichtsblätter 65/66 (1940/41), 145–169. Vgl. Otto Brunner, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 50 (1963), 329–360; Volker Press, Die Reichsstadt in der altständischen Gesellschaft, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, hrsg. v. Johannes Kunisch, Berlin 1987, 9–42; Christine Morawa, Der rechtliche Status der Reichsstädte in den Werken deutscher Staatslehrer, in: Reichsstädte in Franken, Aufsätze 1: Verfassung und Verwaltung, hrsg. v. Rainer A. Müller, München 1987, 98–114; André Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006. Vgl. Bartolomé Bennassar, L’homme espagnol. Attitudes et mentalités du XVIe au XIXe siècle, Paris 1975; kritisch jedoch bereits Ruth Pike, Aristocrats and Traders. Sevillian Society in the 17th Century, Ithaca u. a. 1972. John H. Elliott, A Question of Reputation? Spanish Foreign Policy in the 17th Century, in: Journal of Modern History 55, 1983, 475–483; José Alcalá-Zamora, Zúñiga, Olivares y la política de la reputación, in: La España del Conde Duque de Olivares. Encuentro Internacional celebrado en Toro los días 15–18 de septiembre de 1987, hrsg. v. John H. Elliott / Ángel García Sanz, Valladolid 1990, 101–108; Antonio Domínguez Ortiz, La defensa de la reputación. in: Arte y saber. La cultura en tiempos de Felipe III y Felipe IV [Ausstellungskatalog], hrsg. v. Carlos Martínez Shaw, Madrid 1999, 25–32. Vgl. Hermann Queckenstedt, Johannes Domann (1564–1618) und der Niedergang der Hanse. Diplomatie und Krisenmanagement im frühen 17. Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 111 (1993), 43–95; Jochen Rath, ›alß gliedere eines politischen leibes trewlich meinen‹. Die Hansestädte und die Konflikte Braunschweigs mit den Welfen im 17. Jahrhundert, Münster 2001; Rainer Postel, Zur ›erhaltung dern commercien und darüber habende privilegia‹. Hansische Politik auf dem Westfälischen Friedenskongreß,

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als ihre Verhandlungspartner in Madrid waren die Gesandten der Hanse ausnahmslos bürgerlichen Standes, in der Regel handelte es sich um Kaufleute oder gelehrte Juristen. Nicht nur in politischer, sondern auch in sozialer Hinsicht bestanden also erhebliche Unterschiede und mögliche Kommunikationsbarrieren zwischen den Verhandlungspartnern12. Schließlich spielte in diesem Zusammenhang auch die Konfessionsfrage eine nicht zu unterschätzende Rolle. Während sich die spanische Krone als kompromisslose Verfechterin des tridentinischen Katholizismus gerierte und jegliche Form von Heterodoxie innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs mit erbitterter Härte unterdrückte, war die Hanse ein gemischtkonfessionelles Gebilde, in dem die protestantischen Städte allerdings die große Mehrheit bildeten13. Insbesondere die in den Spanienhandel involvierten Seestädte waren ausnahmslos evangelisch und drängten sich – so sollte man meinen – schon aus diesem Grunde nicht unbedingt als Handels- oder gar Bündnispartner des Katholischen Königs auf. Umgekehrt fand auch die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von den aufständischen Niederlanden ausgehende antispanische Propaganda im Hanseraum breiten Widerhall, was die Verhandlungen mit der spanischen Krone auch aus protestantischer Sicht bedenklich erscheinen lassen musste14. in: Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, hrsg. v. Heinz Duchhardt, München 1998, 523–540. 12 Vgl. dazu auch Thomas Weller, Städtisches Selbstverständnis und frühneuzeitliche Diplomatie. Fremdes und Eigenes in den Berichten über die hansischen Gesandtschaften nach Moskau (1603) und Madrid (1606), in: Der Blick auf sich und die anderen. Selbstund Fremdbild von Frauen und Männern in Mittelalter und früher Neuzeit. Festschrift für Klaus Arnold, hrsg. v. Sünje Prühlen / Lucie Kuhse / Jürgen Sarnowsky, Göttingen 2007, 349–377; Thomas Behrmann, Herrscher und Hansestädte. Studien zum diplomatischen Verkehr im Spätmittelalter, Hamburg 2004; Christian Windler, Städte am Hof. Burgundische Deputierte und Agenten in Madrid und Versailles (16.–18. Jahrhundert), in: Zeitschrift für Historische Forschung 30 (2003), 207–250; ders., Diplomatie als Erfahrung fremder politischer Kulturen. Gesandte von Monarchen in den eidgenössischen Orten (16. und 17. Jahrhundert), in: Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), 5–44. 13 Vgl. P. Dollinger, Hanse (Anm. 7), 413–425; Heinz Schilling, Konfessionskonflikte und hansestädtische Freiheiten im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Der Fall ›Lemgo contra Lippe‹, in: Hansische Geschichtsblätter 97 (1979) 36–59; Christof Römer, Commercia und Religion 1585. Der hansisch-protestantische Konflikt um Ostfriesland im Niedersächsischen Reichskreis, in: Hansische Geschichtsblätter 90 (1972), 40–62; Hans-Jörg Herold, Gutachten über ein Bündnis evangelischer Fürsten mit den Hansestädten aus dem Jahre 1608, in: Hansische Geschichtsblätter 87 (1969), 91–104. 14 Vgl. Judith Pollmann, Eine natürliche Feindschaft. Ursprung und Funktion der Schwarzen Legende über Spanien in den Niederlanden, 1560–1581, in: Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit,

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Trotzdem kam es seit dem Ende des 16. Jahrhunderts zu einer Intensivierung der Kontakte zwischen der spanischen Krone und der Hanse, die schließlich in die Aufnahme fester wirtschaftlicher und diplomatischer Beziehungen mündete. Im Folgenden sollen einige Schlaglichter auf die näheren Umstände und die spezifischen Probleme dieses Annäherungsprozesses geworfen werden. Insbesondere wird danach zu fragen sein, inwiefern kulturelle Unterschiede beziehungsweise wechselseitige kulturelle Zuschreibungen die Kommunikation zwischen den beiden »ungleichen Partnern« beeinträchtigen und welche Wege man fand, um solche Verständigungsschwierigkeiten zu überbrücken. Wenn in diesem Zusammenhang von der spanischen Monarchie und der Hanse die Rede ist, soll damit nicht verschleiert werden, dass es sich in beiden Fällen um abstrakte Gebilde handelte, die als solche natürlich handlungsunfähig waren. Es gilt also, die hier verfolgte Fragestellung auf die Handlungsebene der unmittelbar beteiligten Akteure zu projizieren15, wobei sich das Augenmerk vor allem auf die hansischen Gesandten in Spanien richten wird. Dabei handelte es sich ausschließlich um Männer. Weibliche Diplomatie in der Frühen Neuzeit war wohl nicht nur prinzipiell informeller Natur, sondern beschränkte sich offenbar auch primär auf die adelig-höfische Sphäre16. Abschließend sollen die am Beispiel der hansisch-spanischen Beziehungen gewonnenen Erkenntnisse noch einmal kurz zusammengefasst werden. Dabei wird vor allem zu klären sein, ob und inwieweit es sich bei der spanischen Monarchie und der Hanse nun tatsächlich um »ungleiche Partner« handelte, wie der Titel des Beitrags hrsg. v. Franz Bosbach, Köln u. a. 1992, 73–93; Wolfgang Reinhard, ›Eine so barbarische und grausame Nation wie diese‹. Die Konstruktion der Alterität Spaniens durch die Leyenda Negra und ihr Nutzen für allerhand Identitäten, in: Geschichtsbilder und Gründungsmythen, hrsg. v. Hans-Joachim Gehrke, Würzburg 2001, 159–177; Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder ›teutsche Libertet‹. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2001. Ein gutes Beispiel für die Rezeption der leyenda negra im Hanseraum sind die Lebenserinnerungen des Rostocker Bürgermeisters Bartholomäus Sastrow, vgl. Karl-Reinhart Trauner, Identität in der Frühen Neuzeit. Die Autobiographie des Bartholomäus Sastrow, Münster 2004, bes. 280–282; dazu auch Thomas Weller, Andere Länder, andere Riten? Die Wahrnehmung Spaniens und des spanischen Hofzeremoniells in frühneuzeitlichen Selbstzeugnissen aus dem deutschsprachigen Raum, in: Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, hrsg. v. Andreas Bähr / Peter Burschel / Gabriele Jancke, Köln 2007, 41– 55, hier 47–50. 15 Vgl. dazu auch Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 36), Berlin 2005, sowie die Einleitung von dens. zu diesem Band. 16 Vgl. dazu die Beiträge von K. Keller, C. Bastian und E. K. Dade in diesem Band.

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unterstellt, und welche allgemeinen Schlussfolgerungen sich im Hinblick auf den Charakter frühneuzeitlicher Außenbeziehungen ergeben.

I. Handel und Diplomatie Dass wirtschaftliche Fragen für die Außenpolitik der spanischen Krone prinzipiell von nachgeordneter Bedeutung gewesen seien, ist ein Fehlschluss. Gerade weil sich die spanische Monarchie seit dem Ende des 16. Jahrhunderts nahezu permanent am Rande eines Staatsbankrotts befand, spielten ökonomische Erwägungen innerhalb der höchsten politischen Entscheidungsgremien eine gewichtige Rolle17. Die spanischen Könige und ihre Ratgeber wussten nur zu genau um die Abhängigkeit der eigenen Wirtschaft von ausländischem Kapital und bestimmten Importprodukten, aber auch um die Attraktivität des spanischen Marktes und insbesondere des Transatlantikhandels für auswärtige Investoren. Wirtschaftliche Sanktionen und Handelsembargos waren deshalb schon im 16. Jahrhundert eines der bevorzugten Mittel spanischer Außenpolitik18. Eben diesem Umstand verdankt sich auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den Hansestädten. Seit dem Ausbruch des niederländischen Aufstands und des daraufhin verhängten Embargos gegen die nördlichen Provinzen kam es auf der iberischen Halbinsel periodisch zu Versorgungsengpässen und sogar Hungersnöten. Neben Holz und Ausrüstungsgegenständen für die Flotte mangelte es vor allem an Getreide, das bis zu diesem Zeitpunkt in erster Linie von niederländischen Kaufleuten aus dem Baltikum importiert worden war. Schon unter Philipp II. versuchte man deshalb, Kontakt mit den 17 Vgl. Bartolomé Yun Casalilla, Marte contra Minerva. El precio del imperio español, c. 1450–1600, Barcelona 2004; Miguel Ángel Echevarría Bacigalupe, Arbitrismo y política económica, siglos XVI y XVII, in: Pensamiento y política económica en la época moderna, hrsg. v. Luis Antonio Ribot García / Luigi de Rosa / Carlos Belloso Martín, Madrid 2000, 15–30; ders., Economic Thought and the Integration of the Spanish Monarchy, in: Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas 36 (1999), 105–124. 18 Felipe Ruiz Martín, La etapa marítima de las guerras de religión. Bloqueos y contrabloqueos, in: Estudios de Historia Moderna 3 (1953), 181–214; Manuel Herrero Sánchez, La política de embargos y el contrabando de productos de lujo en Madrid (1635–1673). Sociedad cortesana y dependencia de los mercados internacionales, in: Hispania 59 (1999), 171–191; Miguel Ángel Echevarría Bacigalupe, Guerra económica en Flandes (siglos XVI–XVII), in: Studia Histórica 27 (2005), 105–124; Ángel Alloza Aparicio, Europa en el mercado español. Mercaderes, represalias y contrabando en el siglo XVII, Salamanca 2006; Andrea Weindl, Wer kleidet die Welt? Globale Märkte und merkantile Kräfte in der europäischen Politik der Frühen Neuzeit, Mainz 2007.

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Hansestädten aufzunehmen, die bereits seit dem Mittelalter rege Handelsbeziehungen zu Portugal unterhielten und in erbittertem Konkurrenzkampf sowohl zu den Holländern als auch zu den englischen merchant adventurers standen. Anfang der 1580er Jahre schickte die spanische Krone erstmals Gesandte in die norddeutschen Hafenstädte, um über Getreidelieferungen zu verhandeln. Seit Sommer 1583 liefen bereits einige hundert Hanseschiffe jährlich die Häfen der Iberischen Halbinsel an19. Als die guten Beziehungen zur spanischen Krone durch einen unter Philipp III. eingeführten neuen Importzoll neuerlich beeinträchtigt wurden, entsandte die Hanse schließlich im Jahre 1606 eine außerordentliche Gesandtschaft nach Madrid, um mit der spanischen Krone einen Vertrag auszuhandeln, der den Hansekaufleuten ihre alten Privilegien sichern und die zukünftigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Seiten auf eine feste Grundlage stellen sollte20. Eine der wichtigsten Forderungen der spanischen Seite war dabei, dass die hansischen Schiffe fortan keine niederländischen Häfen mehr anlaufen und auch keine Waren aus den aufständischen Provinzen transportieren dürften. Die Vertreter der Hansestädte erklärten sich prinzipiell bereit, dieser Bedingung zuzustimmen. Beide Seiten wussten aber nur zu gut, dass die Umsetzung dieser Klausel in der Praxis erhebliche Probleme aufwarf. 19 Vgl. Carlos Gómez-Centurión, Las relaciones hispano-hanseáticas durante el reinado de Felipe II, in: Historia naval 15 (1986), 65–83; Pierre Jeannin, Die Rolle Lübecks in der hansischen Spanien- und Portugalfahrt des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 55 (1975), 5–40; Karl-Friedrich Olechnowitz, Die Hansestädte und der spanisch-niederländische Konflikt. Eine Studie zur Diplomatie und Politik der späten Hanse, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock 21 (1972), 255–261; Hektor Amman, Deutsch-spanische Wirtschaftsbeziehungen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, in: Fremde Kaufleute auf der iberischen Halbinsel, hrsg. v. Hermann Kellenbenz, Köln u. a. 1970, 132–155; Hermann Kellenbenz, Unternehmerkräfte im Hamburger Portugal- und Spanienhandel 1590–1625, Hamburg 1954; Harri Meier, Zur Geschichte der hansischen Spanien- und Portugalfahrt bis zu den spanisch-amerikanischen Unabhängigkeitskriegen, in: Ibero-Amerika und die Hansestädte. Die Entwicklung ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen, Hamburg 1937, 93–152; Ernst Kestner, Die Handelsverbindungen der Hansa speciell Danzigs mit Spanien und Portugal seit 1583, in: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 5 (1881), 1–22. 20 Zum Verlauf der Gesandtschaft vgl. T. Weller, Fremdes und Eigenes (Anm. 12), 367– 375; H. Queckenstedt, Johannes Domann (Anm. 11), 59–65; H. Meier, Geschichte (Anm. 19), 126–138; Carl Wilhelm Pauli, Aus den Aufzeichnungen des Lübecker Bürgermeisters Henrich Brokes, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 1 (1860), 79–92, 173–183, 281–347; Paul Simson, Die Reise des Danziger Ratsherrn Arnold von Holten durch Spanien und Oberitalien in den Jahren 1606–1608, in: Archiv für Kulturgeschichte 6 (1908), 39–70.

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Seit der Verhängung des Embargos gegen die aufständischen Provinzen rissen die Beschwerden nicht ab, dass die Holländer Schiffspapiere fälschten und sich als Hansekaufleute ausgaben. Im Jahre 1585 beklagte sich kein Geringerer als Philipp II. selbst in einem Brief an Alessandro Farnese über die zahlreichen Missbräuche, die aufzudecken seiner Meinung nach ein Leichtes sei. An der Sprache der Seeleute und an den Waren, die sie auf ihren Schiffen mit sich führten, könne man sofort erkennen, woher sie kämen21. So leicht, wie Philipp II. sich das vorstellte, war es in der Praxis allerdings nicht, denn diesseits wie jenseits der heutigen deutsch-niederländischen Grenze sprach man noch bis weit ins 18. Jahrhundert Varianten des Niederdeutschen, die sich nur geringfügig voneinander unterschieden. Auch der spanische König hätte es besser wissen können, wenn er eine anonyme Denkschrift aus den 1590er Jahren gelesen hätte, deren Verfasser sich dafür ausspricht, zur Kontrolle der Schiffe ausschließlich Aufseher einzusetzen, die selbst aus dem Hanseraum stammten. Denn nur diese seien in der Lage, die feinen Unterschiede in Sprache, Gewohnheiten und Kleidung zu erkennen, durch die sich die Küstenbewohner des Nord- und Ostseeraums voneinander unterschieden22. Dass die Grenze zwischen Niederländern und Hansekaufleuten unscharf war, hatte aber nicht nur etwas mit den angesprochenen Gemeinsamkeiten in Sprache und Kultur zu tun, sondern auch mit dem Charakter der Hanse als supraterritorialem Städtebund. Waren Nationen im modernen Sinne zu diesem Zeitpunkt überhaupt erst im Entstehen begriffen, so entzogen sich die in den spanischen Quellen teils als hanseáticos, häufig aber auch als alemanes oder osterlines (Osterlinge) bezeichneten Hansekaufleute in ganz besonderem Maße einer solchen Zuordnung23. So befanden sich unter den 72 Städten, die in dem eingangs angesprochenen Dokument aufgelistet wurden – vermutlich sehr zum Missfallen der spanischen Verhandlungspartner – denn auch nicht 21 […] en la lengua y lo que traen muchos de los marineros y de los naos que acá vienen se conoçe de donde son. AGS, Estado, leg. 2218, f. 85: Philipp II. an Alesandro Farnese, Madrid, 17.12.1585. 22 […] porque los de Holanda y Seelanda, Brabante, Flandres, Gheldres, Frisia, Embden, Breme, Anburgo, Pays de Holste, Danzig, Rostic, Wismar, Connixberga, y demás partes y puertos de Oosterlanda se entienden todos los unos a los otros y hablan todos una habla y lengua, sino es algunas palavras y la pronunciación del habla y aspiro ser differente la una de la otra lo qual todo facilmente puede distinguir el […] natural de dichas partes, porque el español, Walon, Frances, Italiano, Inglés, o otra nacion que sea, por mucho que ayan conversado con los que hablan dichas lenguas […] les sera dificil y inpossible poder distinguir dichas lenguas. AGS, Estado, leg. 614, f. 147; vgl. dazu auch Janis Kreslins, Linguistic Landscapes in the Baltic, in: Scandinavian Journal of History 28 (2003), 165–174. 23 Vgl. zu den Fremd- und Selbstbezeichnungen der Hansekaufleute auch T. Behrmann, Herrscher (Anm. 12), 13–67.

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weniger als 12 niederländische, von denen mit Ausnahme von Roermond und Venlo alle auf dem Gebiet der aufständischen Provinzen lagen24.

II. Völkerrechtlicher Status und diplomatisches Zeremoniell Die offene Struktur der Hanse eröffnete den Kaufleuten aus dem Hanseraum aber nicht nur Vorteile. Zwar profitierten selbstverständlich nicht nur die Niederländer selbst, sondern auch die Hansekaufleute, die dabei oft als Kommissionäre auftraten, vom Schmuggel niederländischer Waren. Doch aufgrund eben dieser Struktur – und dies war gewissermaßen die andere Seite der Medaille – wurde die Stellung der Hanse und ihrer Gesandten innerhalb des sich ausbildenden modernen Staatensystems zunehmend prekär. In einem anonymen französischsprachigen Dokument aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert, von dem eine jüngere Abschrift im Stadtarchiv Lübeck aufbewahrt wird, heißt es zum Status der Hansestädte und ihrer Gesandten: »[...] es steht den Hansestädten nicht zu, sich zu Souveränen zu erheben und ihren Vertretern einen Rang zu verleihen, den die deutschen Fürsten noch nicht für ihre Vertreter haben erlangen können.«25 Auch an anderen Höfen war der völkerrechtliche Status der Hanse zu dieser Zeit durchaus nicht unumstritten. Als der kaiserliche Gesandte in Madrid, Graf Khevenhüller, von den Plänen für die Gesandtschaft des Jahres 1607 erfuhr, legte er sofort Protest ein, mit der Begründung, dass den Hansestädten als Untertanen des Kaisers gar kein eigenständiges ius legationis zustehe26. Und auch in Brüssel, wo die Gesandten auf der Hinreise nach Madrid Station machten, hatten sie keinen leichten Stand. Anlässlich ihrer Audienz bei Erzherzog Albrecht hatten die Vertreter der Hanse einen Bericht mit den Klagen der im Spanienhandel tätigen Hansekaufleute übergeben, die sie auch in den Verhandlungen am Hof 24 Es handelte sich um die Städte Deventer, Kampen, Zwolle, Groningen, Staveren, Arnheim, Venlo, Roermond, Dordrecht, Tiel, Zaltbommel (Bommelen) und Zutphen; vgl. AGS, Estado, leg. 2852. 25 […] ce n’est pas aux villes Anseatiques à s’eriger en Souverains, et à donner â leurs Ministres une qualité, que les Princes d’Allemagne n‘ont pas encore pû obtenir pour les leurs. Zit. nach Georg Fink, Diplomatische Vertretungen der Hanse seit dem 17. Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 56 (1931), 112–155, hier 116; vgl. dazu auch Burghart Schmidt, Les relations consulaires entre les villes hanséatiques et la France (XVIe–XVIIIe siècle), in: La fonction consulaire à l’époque moderne. L’affirmation d’une institution économique et politique (1500–1700), hrsg. v. Jörg Ulbert / Gérard le Bouëdec, Rennes 2006, 211–258, 221 f. 26 H. Meier, Geschichte (Anm. 19), 125.

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des spanischen Königs zur Sprache bringen wollten. Zur Antwort erhielten sie statt des erhofften Empfehlungsschreibens jedoch nur einen kurzen formlosen Bescheid, der wohl von Christoph d’Assonville, einem Geheimen Rat des Erzherzogs, verfasst und – so die Gesandten in ihrer Antwort – »ganz odios« an die »Kaufleute von der Hanse« adressiert worden war. Diese Bezeichnung entsprach in keiner Weise ihrem Selbstverständnis. Zwar »wüssten sie sich zu erinnern, dass in den Hansestetten mehrenteils Kauffleut wohneten«, wiesen aber zugleich mit Nachdruck darauf hin, dass die Hansestädte auch »vornehme freie und herrliche communen« und sie als Gesandte keineswegs »von den Kaufleuten, sondern dem magistrat deroselben Stette deputiret und ausgefertiget« worden seien. Die Vertreter der Hanse weigerten sich deshalb, den Bescheid entgegenzunehmen, der noch dazu auf Französisch verfasst war, und forderten stattdessen eine erneute schriftliche Antwort »in teutscher oder in lateinischer sprach & in materia & in forma decente«27. Dieser Bitte wurde schließlich entsprochen. Dass die Gesandten trotz anfänglicher Widerstände mit ihrem Streben nach diplomatischer Anerkennung durch die spanische Monarchie durchaus Erfolg hatten, dürfte wohl auch damit zusammenhängen, dass bei den Verhandlungen gerade auch aus spanischer Sicht Einiges auf dem Spiel stand. Jegliche Bemühungen, die aufständischen Niederlande durch ein Embargo in die Knie zu zwingen, standen und fielen damit, einen verlässlichen Handelspartner zu finden, der in der Lage war, Spanien dauerhaft mit dem dringend benötigten Getreide und Materialien für den Schiffsbau zu beliefern. Dafür war man offenbar gern bereit, Zugeständnisse zu machen. So schenkten die königlichen Räte in Madrid den zuvor geäußerten Bedenken des kaiserlichen Botschafters denn auch keine weitere Beachtung. Den »Kaufleuten von der Hanse« wurde in der spanischen Hauptstadt ein überaus ehrenvoller Empfang bereitet, wenngleich die Einschätzung des Hansesyndikus Johann Domann, dass »dergleichen Ehre und Tractament noch niemals eines ein[z]igen Königs oder Potentaten Gesandten in Hispanien widerfahren« seien, zweifellos übertrieben waren28. Derartige Formulierungen tauchen in den Finalrelationen städtischer Gesandtschaften häufig auf und zielten darauf ab, den Anspruch auf Gleichrangigkeit mit dem fürstenstaatlichen Umfeld zu untermauern. Dass der Hanse die diplomatische Anerkennung als völkerrechtliches Subjekt mindestens ebenso wichtig war wie die genuin wirtschaftlichen Interessen der in den Spanienhandel involvierten Kaufleute, lässt sich auch an dem 27 Zit. nach ebd. 130. 28 Zit. nach ebd.

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enormen Aufwand ablesen, den man mit der Gesandtschaft des Jahres 1607 betrieb. Zur Refinanzierung der immensen Kosten wurde eigens eine Abgabe, die so genannte »Hispanische Kollekte«, eingeführt, die in den folgenden Jahren auf sämtliche Güter des Spanienhandels zu entrichten war29. Das Geld war in doppelter Hinsicht gut investiert. Die den Hansekaufleuten erstmals vertraglich gewährten Privilegien schienen ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten zu verschaffen – auch wenn dieser nur von kurzer Dauer war: Schon zwei Jahre später gerieten die Hansekaufleute aufgrund des spanisch-niederländischen Waffenstillstands gegen ihre Konkurrenten wieder ins Hintertreffen. Ein nicht minder beachtenswertes Ergebnis der Verhandlungen mit der spanischen Krone im Jahre 1607 war aber auch die Bestätigung eines ständigen hansischen Gesandten am Madrider Hof sowie das Recht, in anderen spanischen Städten hansische Konsuln zu benennen. Äußerst aufschlussreich im Hinblick auf den Status, den diese diplomatischen Vertreter der Hansestädte genossen, ist eine Eingabe Walther Delbrüggens, des ständigen hansischen Gesandten in Madrid, an den spanischen König vom 6. Dezember 168030. Der aus Köln stammende Delbrüggen, der sein Amt schon seit 1650 bekleidete und in der Korrespondenz teils als Konsul, teils als Agent, teils aber auch als Resident bezeichnet wird31, beklagt sich darin, dass die Gesandten anderer Mächte in Madrid besser gestellt würden als er. Seinen Anspruch auf Gleichrangigkeit begründet er unter anderem damit, dass die Hansestädte »freie Republiken mit Vertretung und Stimmrecht bei den Reichstagen« seien (repúblicas libres, con voto decisivo en las Cortes Imperiales). Dass dies nur sehr bedingt den Tatsachen entsprach, schien am spanischen Hof zu diesem Zeitpunkt niemanden sonderlich zu interessieren. Der Staatsrat Karls II. befürwortete Delbrüggens Anliegen jedenfalls einhellig und verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass erst vor kurzem dem Residenten Ragusas die gleichen Privilegien gewährt worden seien32. Zu den von Delbrüggen eingeforderten Vorrechten gehörte unter anderem die Zuweisung eines Balkons beim Stierkampf, noch heute ein wichtiger Indikator für den politisch-sozialen Status eines Akteurs innerhalb der spanischen Gesellschaft. Delbrüggen erwähnt dieses Privileg in seiner Petition denn auch an erster Stelle – und doch war dies nicht das einzige und möglicherweise nicht einmal das vordringliche Anliegen des hansischen Gesandten. Es ging 29 30 31 32

Vgl. H. Kellenbenz, Unternehmerkräfte (Anm. 19), 22. AGS, Estado, leg. 4125 [nicht foliiert]: Memorial Delbrüggens, Madrid, 6.12.1680. Vgl. G. Fink, Vertretungen (Anm. 25), 122. AGS, Estado, leg. 4125 [nicht foliiert]: Consulta del Consejo de Estado, Madrid, 21.1.1680.

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ihm nämlich auch um die Befreiung seiner Person von Steuern und Abgaben. Und hier stieß er bezeichnenderweise auf größeren Widerstand: Obwohl der Staatsrat den Vorstoß des hansischen Residenten prinzipiell befürwortete, verlangte der König aus diesem Anlass einen Bericht über die Anzahl der Gesandten auswärtiger Potentaten (ausgenommen die Gesandten gekrönter Häupter) mit der Begründung, dass die von Delbrüggen beanspruchten Vergünstigen in letzter Zeit überhand genommen hätten und die Krone angesichts der notorisch knappen Kassen keinen weiteren Rückgang der Steuereinnahmen hinnehmen könne33. Diese Reaktion macht zunächst noch einmal deutlich, dass ökonomisches Kapital auch am Hof des spanischen Königs, und nicht nur unter Kaufleuten, eine wichtige Größe war. Die Gesandten der Hanse – Delbrüggen inbegriffen – verstanden sich aber keineswegs in erster Linie als solche, also als Kaufleute, sondern sahen sich bis weit ins 17. Jahrhundert auch und nicht zuletzt als Vertreter einer politischen Institution, für die sie zum Teil mit Erfolg völkerrechtliche Anerkennung einforderten. Letztere bemaß sich gemäß den Spielregeln der frühneuzeitlichen Diplomatie in erster Linie an den wechselseitigen zeremoniellen Ehrenbezeigungen. Das Streben nach Reputation war also keineswegs ein exklusives Merkmal der spanischen Außenpolitik und ihrer zumeist hochadeligen Vertreter34. An der Eingabe des hansischen Residenten aus dem Jahre 1680 lässt sich aber auch ablesen, dass die Amtsgeschäfte und die »privaten« Interessen eines frühneuzeitlichen Gesandten nicht selten miteinander verschwammen. Kann dies als allgemeines Merkmal des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens gelten, so mag dies für die hansischen Gesandten vielleicht noch in gesteigertem Ausmaß zutreffen. Jedenfalls handelte es sich hier, ungeachtet ihrer gegenteiligen Beteuerungen, in vielen Fällen eben sehr wohl um vormoderne Unternehmer, die im Spanienhandel aktiv waren und aus ihrer Nähe zu den einflussreichen Kreisen bei Hof häufig auch für die eigenen Geschäftsinteressen Kapital schlagen konnten. Aber auch das symbolische Kapital, das sie im Namen ihres Auftraggebers für sich reklamierten, beförderte nicht zuletzt ihr eigenes Prestige. 33 Ebd.: Consulta del Consejo de Estado, Madrid, 27.2.1681. 34 Vgl. William J. Roosen, Early Modern Diplomatic Ceremonial: A Systems Approach, in: Journal of Modern History 52 (1980), 452–476; Barbara Stollberg-Rilinger, Honores regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation, hrsg. v. Johannes Kunisch, Berlin 2002, 1–26; André Krischer, Das diplomatische Zeremoniell der Reichsstädte, oder: Was heißt Stadtfreiheit in der Fürstengesellschaft?, in: Historische Zeitschrift 281 (2007), 1–30.

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In diesem Zusammenhang wäre ausführlicher auf die hansischen Konsulate außerhalb Madrids und ihr Personal einzugehen. Auch hier handelte es sich zu keinem Zeitpunkt um reine Handels- oder Wirtschaftsvertretungen. Dass die Frage, wer in einer bestimmten Stadt für die Angehörigen welcher Handelsnation als Konsul fungierte, gerade im Falle der Hanse noch Ende des 17. Jahrhunderts völkerrechtliche Probleme aufwerfen konnte, zeigt etwa ein Brief der Stadt Danzig an den spanischen König aus dem Jahr 1699. Darin beklagt sich der Rat der Stadt, dass sich der polnische Konsul im südspanischen Cádiz wiederholt in die Belange Danziger Kaufleute und Schiffer eingemischt habe. Danzig, so die Unterzeichner des Schreibens, sei aber eine Hansestadt, »eine der wichtigsten Städte des hanseatischen Bundes« (una de las principales de la Liga Hanseática), weshalb der Rat der Stadt im selben Schreiben den in Cádiz ansässigen hansischen Generalkonsul Zacharias Friedrich (Zacharías Vriderique) noch einmal ausdrücklich auch zum Vertreter Danzigs ernannte35. Die zitierte Beschwerde ist auch deshalb bemerkenswert, weil gemeinhin davon ausgegangen wird, dass die Hanse Ende des 17. Jahrhunderts faktisch bereits aufgehört hatte zu existieren. Aus gegebenem Anlass, vor allem dann, wenn dies den eigenen Interessen nützlich war, konnten sich aber – wie das Beispiel zeigt – auch andere Städte als Hamburg, Lübeck oder Bremen durchaus noch auf ihre Zugehörigkeit zur Hanse berufen.

III. Die Religionsfrage Neben der Frage des politischen und sozialen Status der Hanse beziehungsweise ihrer Gesandten und den daraus resultierenden Problemen, von denen bislang vornehmlich die Rede war, spielten auch die konfessionellen Gegensätze eine zentrale Rolle bei der Anbahnung und der weiteren Ausgestaltung der hansisch-spanischen Beziehungen. Schon im Umfeld der Verhandlungen von 1607 kam es deswegen verschiedentlich zu Konflikten. Als einer der Diener des Lübecker Ratsherrn Henrich Brokes während seines Aufenthalts in Madrid überraschend starb, entbrannte ein Streit um die Frage der Beisetzung. Gegen die Versuche der katholischen Geistlichen, seinen Diener gewissermaßen posthum zum Katholiken zu machen, wehrte sich Brokes standhaft. Eher solle man den Verstorbenen auf dem freien Feld begraben, als dass man be-

35 AGS, Estado, leg. 4192 [nicht foliiert]: Der Rat der Stadt Danzig an Karl II., Danzig, 15.2.1699.

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haupte, er sei »von seiner Religion getreten und papstisch« geworden36. Probleme ergaben sich auch immer wieder wegen der Kontrolle hansischer Schiffe in den spanischen Häfen. So mussten sich die Gesandten für einen Lübecker Kapitän einsetzen, den die Inquisition in Sevilla festgenommen hatte, nachdem an Bord seines Schiffes zwei indizierte Bücher gefunden worden waren37. Derartige Übergriffe waren keine Einzelfälle38. Andererseits – und dies ist mindestens ebenso auffällig – mangelte es auf beiden Seiten nicht an Beispielen für einen sehr pragmatischen Umgang mit der Konfessionsfrage. Zwar forderte die spanische Krone nicht zuletzt auch auf Druck des Kölner Nuntius’ Antonio Albergati39 die freie Religionsausübung für Katholiken in Hamburg und anderen Hansestädten, und auch auf hansischer Seite wurden ähnliche Forderungen hinsichtlich des protestantischen Kultus in den spanischen Hafenstädten erhoben.40 In dem schließlich abgeschlossenen Vertrag41 finden diese Fragen jedoch keinerlei Erwähnung. In der Praxis ließ die spanische Inquisition ausländische Protestanten in der Folgezeit zumeist unbehelligt, so lange sie ihren Glauben nicht in der Öffentlichkeit ausübten oder durch Provokationen für Aufsehen sorgten. Eine ganz andere Frage war es, wie sich die Praxis interkultureller Kommunikation etwa an den großen Handelsumschlagplätzen wie Sevilla oder Hamburg mit ihrem multiethnischen und multikonfessionellen Umfeld langfristig auf die Ausprägung konfessionell bedingter Identitäten und Werthaltungen auswirkte. Hier wäre nicht zuletzt auch an kollektive Einstellungen etwa zu Handel und Erwerbsarbeit zu denken. So sah Richard Konetzke noch 1970 in den »spanischen Verhaltensweisen zum Handel« wichtige Voraussetzungen 36 C. W. Pauli, Aufzeichnungen (Anm. 20), 315. 37 H. Meier, Geschichte (Anm. 19), 135. 38 Vgl. Claus Veltmann, Die Hanse, Westeuropa und die Ausbreitung der Reformation. Eine Skizze über die Rolle von Hansekaufleuten im europäischen Konfessionalisierungsprozess, in: Hansische Geschichtsblätter 123 (2005), 61–83, 77. 39 Vgl. AGS, Estado, leg. 2139, f. 213–215: Memorial de Antonio Albergati, nuncio en Colonia sobre la necesidad de haber una iglesia católica en Hamburgo; AGS, Estado, leg. 2025, f. 9: Consulta del Consejo de Estado del 17 de febrero de 1607 sobre la carta del Archiduque Alberto del 10 de enero. 40 H. Meier, Geschichte (wie Anm. 19), 134 f. 41 Capítulos de Privilegios concedidos a las Ciudades Confederadas de la Hansa Teutónica, y a sus Súbditos, Ciudadanos y Vecinos, en los Dominios de Portugal, confirmados, y ampliados por Su Magestad Catholica para la Andaluzia, y demás Reynos de Castilla, en Madrid a 28 de Septembre de 1607, in: Colección de los Tratados de Paz […] hechos por los pueblos, reyes y príncipes de España […], Reynado de Felipe III, hrsg. v. Joseph Antonio Abreu y Bertodano, Parte I, Madrid 1740, 375–382.

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für das »Vordringen der ausländischen Kaufleute in Spanien«42 und befand sich damit durchaus im Einklang mit der älteren spanischsprachigen Historiographie43. Neuere Untersuchungen geben indes zu Zweifeln Anlass: Trotz des bislang unbefriedigenden Forschungsstandes lässt sich erkennen, dass sich viele ausländische, auch hansische Kaufleute, sofern sie sich längere Zeit in Spanien aufhielten oder gar Einheimische heirateten und sich naturalisieren ließen, relativ rasch ihrem kulturellen Umfeld anpassten, ohne dass dies aber notwendig zu gravierenden Änderungen ihrer ökonomischen Praxis geführt hätte44.

IV. Ungleiche Partner Das gewählte Fallbeispiel, die Beziehungen zwischen der Hanse und der spanischen Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert, zeigt, dass es verfehlt ist, frühneuzeitliche Außenbeziehungen in erster Linie als Staatenbeziehungen zu betrachten. Unterhalb der Ebene der dynastischen Fürstenstaaten existierte eine ganze Bandbreite unterschiedlicher, zum Teil höchst eigentümlicher politischer Gebilde, denen es wie der Hanse auch nach 1648 immer noch gelingen konnte, Anerkennung als Völkerrechtssubjekte zu finden. Um zu einem adäquateren Verständnis frühneuzeitlicher Außenbeziehungen im Allgemeinen und der hansisch-spanischen Beziehungen im Besonderen zu gelangen, gilt es – auch dies ist deutlich geworden – Gruppen von Akteuren mit einzubeziehen, die bislang nicht im Zentrum der vornehmlich politikgeschichtlich orientierten Forschung standen. Gerade was die Frage nach dem Stellenwert kultureller Gegensätze und der wechselseitigen Konstruktion von Identität und Alterität für die Praxis frühneuzeitlicher Außenbeziehungen anbelangt, erweist sich eine solche Erweiterung des Blickwinkels als unabdingbar. Für je unterschiedliche Personengruppen – zu denken wäre etwa an Fernhandelskaufleute und Seeleute, an lokale Obrigkeiten und Amtsträger, an die Geistlichkeit und die städtische Bevölkerung an den großen 42 Richard Konetzke, Die spanischen Verhaltensweisen zum Handel als Voraussetzungen für das Vordringen der ausländischen Kaufleute in Spanien, in: Fremde Kaufleute auf der iberischen Halbinsel, hrsg. v. Hermann Kellenbenz, Köln / Wien 1970, 4–14. 43 Vgl. immer noch grundlegend Antonio Domínguez Ortiz, Los extranjeros en la vida española durante el siglo XVII, in: Estudios de Historia Social de España, Bd. IV, 2, Madrid 1960, 293–426. 44 Vgl. mit weiterer Literatur Klaus Weber, Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680– 1830. Unternehmen und Familien in Hamburg, Cádiz und Bordeaux, München 2004, 87–153.

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Handelsumschlagplätzen – wird man hier vermutlich zu sehr unterschiedlichen Befunden kommen. Die vorstehenden Überlegungen kann man schließlich auch als Anregung verstehen, die ökonomische Dimension frühneuzeitlicher Außenbeziehungen stärker in den Blick zu nehmen. Gerade im Hinblick auf den Stellenwert wirtschaftlicher Erwägungen für die außenpolitische Praxis – auch dies ist bemerkenswert – unterschieden sich die Hansestädte und die spanische Monarchie aber offenbar gar nicht so grundsätzlich voneinander, wie man zunächst vermuten würde. Auch ein Akteur wie die Hanse musste sein Handeln keineswegs ausschließlich an den Maximen ökonomischer Profitmaximierung ausrichten, sondern konnte ebenso nach der Akkumulation von symbolischem Kapital streben wie die gekrönten Häupter Europas – und umgekehrt.

Mit »Primitiven« verhandeln: Die britische Campbell-Mission von 1836/37 und die Redefinition von Diplomatiestilen in Sierra Leone Von Alexander Keese

Der 2. Mai 1837 wirkte wie ein Symbol einer neuen europäischen Diplomatie in nichteuropäischen Räumen. Lieutenant Findlay, Kommandant einer britischen Truppeneinheit aus der Kolonie Sierra Leone, ließ die Ortschaft »Forékaria Fence« in der Region der Skarcies Rivers anzünden, einer Gegend, die sich im Grenzgebiet der heutigen Staaten Sierra Leone und Guinea-Conakry befindet1. Im Rahmen von Findlays Operation wurden im Forékaria Fence mehr als 700 Sklaven befreit, die für die Verschiffung über den Atlantik in US-amerikanischen Sklavenschiffen vorgesehen gewesen waren. Die Komponente der Unterbindung »illegalen Handels« an der Wurzel, das heißt durch die Zerstörung der Stützpunkte von im Sklavenhandel aktiven Machthabern, spielte aus Sicht britischer Politiker eine zentrale Rolle. Das Auftreten gegen die Verkäufer legitimierte theoretisch ein Eingreifen mit Waffengewalt. Dabei hing es allerdings prinzipiell von der Interpretation entsprechender Verträge im Hinblick auf das Verbot des Sklavenhandels ab, ob die chiefs vor Ort durch die britische Seite bei Verstößen tatsächlich »haftbar« gemacht werden konnten2. Bei den britischen Vertretern vor Ort schwang die entsprechende Unsicherheit ständig mit. Neben den befreiten Sklaven, die vermutlich im Rahmen der typischen britischen Praxis als liberated africans (oder recaptives) auf der Sierra Leone Peninsula angesiedelt wurden, wurden auch etliche hundert Personen aus der Gruppe der Verteidiger des Forékaria Fence ohne Pistolenschuss gefangen genommen. Zunächst kam es nicht zu Gewalttätigkeiten oder regelrechten Massakern gegenüber der kapitulierenden Partei, wie sie zwischen 1780 und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Region der Skarcies keineswegs 1 Die zerstörte Örtlichkeit wurde von Findlay lapidar »Forékaria Fence« genannt. Dass Forékaria auch der Name der Hauptstadt des vormals bedeutendsten präkolonialen Reiches in der Küstenregion der Skarcies war, fiel zumindest dem britischen Offizier nicht auf. 2 CMS, CA1/0 193 (nicht nummeriert), 1–2: Schmidt an Graf, Kissy, 9.8.1853. – Auf diesen Aufsatz bezogene Forschungsaufenthalte wurden ermöglicht durch großzügige Stipendien der Holcim-Stiftung, Holderbank, des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) und des Deutschen Historischen Institutes, London (GHIL).

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unüblich waren. Stattdessen wurde der Großteil der Gefangenen nach Magbele, an einen Ort regionaler Friedensverhandlungen, geschafft. Ein solcher Gefangenentransport suchte für europäische Aktivitäten im subsaharischen Afrika bis dato seinesgleichen, weshalb der ganze Vorgang nur noch mehr Aufsehen erregte. Nach übereinstimmenden Berichten wurde die Ortschaft Forékaria Fence abgebrannt, wobei der Missionsbericht von Findlay selbst den Zerstörungsakt am nüchternsten darstellte: »Sonntag, der zweite [Mai]. Nachdem ich dem Sergeant und dem Corporal genügend Zeit gelassen hatte, um zurückzukommen, hielt ich es für angebracht, die Menschen in der Umzäunung in Sicherheit zu bringen. Daher gab ich den Befehl für einen allgemeinen Appell, der zunächst nicht akzeptiert zu werden schien. Trotzdem gelang es mir schliesslich mit der Hilfe von Ali Carlis General, der wahrhaftig ein guter Mann ist, alle aus der Umzäunung zu bringen. Ich zählte etwa 720 Männer, Frauen und Kinder, bei welchen es sich im ersten Moment als schwierig herausstellte, sie wegzubringen. Ich hielt es für besser, die Siedlung zu zerstören, um so feindlich gesinnte Gruppen daran zu hindern, Besitz von ihr zu ergreifen, und ich schlug dies all den verschiedenen Oberhäuptern vor, die individuell und kollektiv von der Angelegenheit betroffen waren. Dies machte umso mehr Sinn, als der Ort vollständig von Ali Carlis Gruppe besetzt worden war. Nachdem ich überprüft und mich versichert hatte, dass alle Gruppen und Vorräte entfernt worden waren, gab ich den Befehl für die sofortige Zerstörung durch Feuer, der ordnungsgemäss in die Tat umgesetzt wurde.«3

Das Inferno von Forékaria Fence scheint, auf den ersten Blick, eine Operation nach dem Geschmack frühkolonialer europäischer Politiker zu sein. Sie war fraglos noch weit von dem energischen britischen Eingreifen der 1870er und 1880er Jahre entfernt, mit welchem sich Großbritannien in verschiedenen Regionen Westafrikas von einer Protektorats- zu einer aktiven Kolonialmacht 3 Sunday 2nd. Having allowed sufficient time for the Serg.t and Corp.l to come back I considered it right to secure the people within the fence. I therefore gave an order for a General Muster which did not appear at first to be approved of however with the assistance of Ali Carli’s Gen.r.l who is really a good man I at last managed to turn all out of the fence. which I mustered about 720 men, women and children finding a difficulty in getting them out in the first instance. I thought it better to destroy the Town and thereby prevent any hostile party from taking possession and suggested the matter to the different headmen. who were individually and collectively concerned. the more so as being a place entirely usurped by Ali Carli’s party. Having personally enquired and ascertained that all parties and provisions were cleared out I gave orders for its immediate destruction by fire which was accordingly carried into effect. PRO, CO 267/149: Findlay, Unterleutnant des Royal African Corps, Sierra Leone, [Report of Operation to Fouricaria], 27.3.1837 (Unterstreichungen im Original).

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entwickeln sollte. In Sierra Leone würde diese neue, aktive Politik einen ersten Höhepunkt erst 1888 im so genannten Yonni’s War finden. Weder im Umfang der eingesetzten Streitkräfte, noch in der Schärfe des Tones gegenüber feindseligen lokalen Machthabern sind die britischen Aktivitäten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit diesen späteren Militäraktionen vergleichbar. Trotzdem erscheint zumindest das Engagement in der Befreiung von Sklaven und in der Bestrafung von Sklavenhändlern als folgerichtig, und es bietet Verbindungslinien zu britischem Auftreten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es fiele bei oberflächlicher Betrachtung somit leicht, die Zerstörung des Forékaria Fence als frühe Maßnahme einer britischen civilizing mission einzuordnen, wie sie als theoretisches Konzept existierte. Die diplomatischen Bemühungen, welche das britische Vorgehen in der Region der Skarcies Rivers einrahmten, wären in einer derartigen Logik eine Art von früher gunboat diplomacy gewesen4. Dass die britische Seite mit ihrem diplomatischen Eingreifen in dem geschilderten Fall tatsächlich Erfolg haben sollte, verstärkt die ent4 Henry L. Wesseling, Divide and Rule. The Partition of Africa, 1880–1914, Westport / London 1996.

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sprechende Wahrnehmung. Wir werden vor diesem Hintergrund anhand des britischen Diplomatiestiles in den 1830er Jahren herauszuarbeiten versuchen, inwieweit britische Diplomatie in dieser Phase bereits reell auf einen gunboat diplomacy-Kurs einzuschwenken begann.

I. Der Symbolort Freetown und der Wandel in Großbritanniens Überseeengagement (1787–1835) Für die »frühkoloniale« Situation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Sierra Leone mit seiner Hauptstadt Freetown fraglos eine ungewöhnliche Form britischer Präsenz an Westafrikas Küsten. Im Vergleich zu den Stützpunkten an der Gold Coast (dem heutigen Ghana), vor allem der für den Küstenhandel zentralen Cape Coast, war Freetown eine frühe Erfolgsgeschichte. Die britische Siedlung war dabei gänzlich anders organisiert als die anderen europäischen Besitzungen an der Westküste Afrikas. Mit ihrer unmittelbaren Umgebung war sie der Ort eines bahnbrechenden Experimentes mit erheblichen Rückwirkungen in der atlantischen Welt. Auf der Sierra Leone Peninsula waren von den Britischen Inseln und von Neuschottland aus freigelassene Sklaven angesiedelt worden. Diese sehr spezifische Erfahrung britischer Präsenz auf afrikanischem Boden im Rahmen eines Siedlungsprojektes mit afroamerikanischen Siedlern wurde in den Jahren nach der Abolition des Atlantischen Sklavenhandels erweitert. So wurden zwischen 1807 und 1830 Zehntausende von Sklavenschiffen befreite Gefangene nahe Freetown angesiedelt5. Dies geschah im Rahmen einer jahrelangen britischen Küstenoperation, die kostspielige Seepatrouillen, Angriffe auf Bastionen von Sklavenhändlern in den Flussarmen Westafrikas, den Freikauf von Sklaven bei Machthabern im Hinterland Sierra Leones und Subsidienzahlungen für die neuen »Siedler« beinhaltete6. In Bezug auf ihre innere Organisation veränderte die Siedlung Freetown spätestens ab den 1820er Jahren ihren Charakter. Sie blieb ein Erinnerungsort, ein Symbol britischer Generosität, des britischen Einsatzes für die Vernichtung des wicked traffic (an welchem man freilich im 18. Jahrhundert mehr als 5 David Northrup, Becoming African. Identity Formation among Liberated Slaves in Nineteenth-Century Sierra Leone, in: Slavery & Abolition 27 (2006), 1–21. 6 Die Kosten für diese Operationen waren beträchtlich; auch vor dem Hintergrund der zahlenmäßig eher spärlichen neueren Forschungsarbeiten darf der finanzielle und auch personelle Aufwand auf der britischen Seite nicht unterschätzt werden. Einen Eindruck der Kostensituation gibt PRO, CO 267/65, Nr. 26: Turner, Gouverneur von Sierra Leone, an Bathurst, britischer Marinesekretär, 25.6.1825, 8–11.

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alle anderen europäischen Mächte mitverdient hatte)7. Für britische Verwaltungsbeamte in Freetown war es damit auch auf lange Sicht schwierig, Machtstrukturen nach Prinzipien von Hautfarbe zu definieren. Nichtsdestoweniger finden wir bereits im Verwaltungsalltag der Kolonie Sierra Leone in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts all diejenigen Ambivalenzen im Hinblick auf die Vergabe politischer und juristischer Teilhaberechte an die afrikanischen Bevölkerungen, welche dann als Konfliktquelle die Jahrzehnte ab 1850 so entscheidend prägen sollten8. Die Ausdehnung britischer Verwaltungspräsenz in Sierra Leone zwischen 1807 und den 1830er Jahren ging einher mit einer Ausweitung diplomatischer Initiativen im »Hinterland« der Kolonie. Solche diplomatische Aktivität war bereits in der Frühphase des Stützpunktes Freetown von essentieller Bedeutung gewesen. Vor allem die temnesprachigen Gemeinschaften der unmittelbaren Nachbarschaft der britischen Siedlung hatten eine reelle physische Bedrohung für das Leben der Kolonisten dargestellt. Gleiches galt auch für die lose Reichsstruktur von bullomsprachigen Gemeinschaften an der so genannten Bullom Shore gegenüber der Halbinsel. Um militärische Auseinandersetzungen soweit als möglich zu vermeiden, hatten die Gouverneure aus Freetown ab 1801 immer wieder Gesandtschaften zu diesen als gefährlich eingeschätzten Nachbarn geschickt. In den 1830er Jahren hatte sich bereits ein regelrechtes Netz von Austauschbeziehungen entwickelt. Zwar wurden vor 1898 nur in absoluten Ausnahmefällen ständige britische Vertreter in den Regionen außerhalb des offiziellen britischen Machtbereiches – bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt auf die Sierra Leone Peninsula und einige »abgetretene« Territorien in der Küstenregion – installiert; jedoch war die britische Verwaltung in Freetown um ein regelmäßiges Auftreten in den Zentren der bedeutenden Machthaber in der Umgebung bemüht. Die Gouverneure selbst vollzogen eine regelmäßige Reisetätigkeit, zumal nach Port Loko und in die

7 Die Wortwahl britischer Verwaltungsbeamter folgte hier über Jahre hinweg in den Berichten etablierten Terminologien, die ursprünglich aus der Feder der engagiertesten Abolitionisten stammten, so dem impious traffick nach Thomas Clarkson, An essay on the slavery and commerce of the human species, particularly the African, London 1786, xi; in der Folge etwa auch als impious traffic, siehe PRO, CO 267/47 (nicht nummeriert), 4: Extract of a Letter from Assistant Commissary General [ John] Boocock dated 31 January 1818 to Governor MacCarthy – Goree, nicht datiert. Noch 1858 finden wir die gleichen Begriffe, siehe PRO, CO 267/260, Nr. 105, 4: Hill an Stanley, 17.6.1858. 8 Zur Siedlergemeinschaft in Sierra Leone und ihren Bemühungen um lokale Rechte siehe Leo Spitzer, The Creoles of Sierra Leone. Responses to Colonialism, 1870–1945, Madison 1974.

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Siedlungszentren nördlich der Halbinsel. In anderen Fällen wurden militärische oder zivile Vertreter des Council of Sierra Leone entsandt. Britische Gesandte in die Siedlungen und an die Höfe westafrikanischer Machthaber waren damit keine Karrierediplomaten. Dies entsprach der allgemeinen Praxis im diplomatischen Austausch mit außereuropäischen Herrschern – mit der Ausnahme etwa des Osmanischen Reiches und des nördlichen Afrikas, die wenigstens in der Theorie eher als europäische Peripherie mit prinzipiell vergleichbaren Spielregeln denn als grundsätzlich »fremder« und anders organisierter Raum angesehen wurden. Nichtsdestoweniger erfüllten die entsprechenden Akteure vergleichbare Rollen. Obgleich vom jeweiligen Gegenüber, zumindest auf den ersten Blick, das Einhalten zeremonieller Regeln nicht erwartet wurde, wurden solche von den britischen Gesandten umso engagierter etabliert. Verträge wurden im Namen des Gouverneurs und der beteiligten lokalen kings and chiefs mit großer formalisierter Einrahmung verfasst – wenngleich die im Falle Sierra Leones zumeist in arabischer Schrift verfassten Exemplare für die afrikanischen Machthaber nicht nur oftmals einen abweichenden Text enthielten, sondern auch weniger stark formalisiert daherkamen. Auch in Verhandlungen schätzten die europäischen Abgesandten zeremoniell geprägte Strukturen. Wo diese gänzlich anders funktionierten als an den europäischen Höfen der napoleonischen Ära oder der Restaurationszeit, stellten die europäischen Vertreter sie sich zumindest als vergleichbar vor. Das westafrikanische palaver, Versammlungen verschiedener lokaler Machthaber, auf welchen religiöse und politische Entscheidungen verhandelt wurden, wurde als eine weniger ausgefeilte, aber nichtsdestoweniger im Grundsatz analoge Form politischen Verhandelns angesehen9. Der rege diplomatische Austausch, der sich vor 1835 zwischen der britischen Verwaltung der Sierra-Leone-Halbinsel und den Machthabern der Reiche des Umlandes etabliert hatte, folgte zugleich zwei verschiedenen Logiken. Zum einen war die britische Aktivität von Beginn an auf die Öffnung von Handelsrouten ausgerichtet gewesen10. Diplomatischer Austausch sollte dafür sorgen, dass die verschiedenen lokalen chiefs sich dem Verzicht auf militärische Auseinandersetzungen verschrieben – zugunsten einer Neueinführung von Monokulturen und der Vermarktung der daraus gewonnenen Agrarprodukte11. 9 Bruce L. Mouser, The 1805 Forékariah Conference. A Case of Political Intrigue, Economic Advantage, Network Building, in: History in Africa 25 (1998), 219–262. 10 Winston McGowan, The Establishment of Long-Distance Trade between Sierra Leone and its Hinterland, 1787–1821, in: Journal of African History 31 (1990), 25–41. 11 Allen M. Howard, The Relevance of Spatial Analysis for African Economic History. The Sierra Leone-Guinea System, in: Journal of African History 17 (1976), 365–388, 369–370.

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Faktisch war dieser Ansatz völlig unrealistisch in der Region des heutigen Sierra Leone, welche von Jihāds und gradueller Islamisierung, ökologischen Problemen im Sinne von Bodenaustrocknung, fortgesetztem Sklavenhandel und Sklavenaufständen geprägt war. Plünderzüge von großer Brutalität, wie sie die Region zwischen 1780 und 1900 prägten, waren vermutlich vor allem diesen Ursachen geschuldet12. Die britische Seite durchschaute diese Zusammenhänge nur in rudimentären Zügen. Obwohl britische Vertreter vor dem Hintergrund chronisch instabiler Handelswege daran zweifelten, dass die lokalen Machthaber wirklich zur Unterhaltung »normaler« Handelsbeziehungen »fähig« seien, wurde eine Ausdehnung territorialer Kontrolle kaum diskutiert. Entsprechende Bemühungen des Gouverneurs Charles Turner in den 1820er Jahren waren von der britischen Regierung nicht unterstützt worden. Auf der anderen Seite blieb das Bekenntnis zur einseitigen Beendigung des Sklavenhandels, in den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit soviel emotionaler Wucht formuliert, auch auf lange Sicht eine entscheidende Triebfeder für britische Verwaltungsbeamte und Militärs. Ob die Identifikation der verschiedenen britischen Akteure – city gentlemen, Geistliche oder Politiker im »Mutterland«, militärische und zivile Vertreter vor Ort – mit dem Abolitionsziel tatsächlich immer so tiefgehend war, wie sie dies in ihren Schriften betonten, lässt sich wohl kaum noch klären13. Bei allen Unwägbarkeiten sprechen aber, was britische Aktivitäten an Westafrikas Küste angeht, die Fakten für sich. Man kann so die Bindung an das Abolitionsziel durchaus als die raison d’être des britischen Vorgehens in der Region sehen. Die britischen Aktionen waren, andererseits, durchaus von dem Gefühl einer Zivilisationsüberlegenheit geprägt, welches in unserer aktuellen Terminologie mit dem Begriff »rassistisch« belegt werden könnte14. Eine entsprechende Selbstwahrnehmung war am Beginn des 19. Jahrhunderts noch sehr diffus. Dass sie aber existierte, lag gewissermaßen im Trend breiterer europäischer Entwicklungen. Eine Kette von diplomatischen und militärischen Begegnungen und Entwicklungen zwischen Vertretern nichteuropäischer und europäischer Gemeinschaften zwischen den 1780er Jahren und 1835 bestätigt dieses Bild. Zu den entsprechenden Ereignissen gehören natürlich vor allem die 12 Ismail Rashid, Escape, Revolt and Marronage in 18th and 19th century Sierra Leone, in: Canadian Journal of African Studies 34 (2000), 656–683; Bruce L. Mouser, Rebellion, Marronage and Jihād. Strategies of Resistance to Slavery on the Sierra Leone Coast, c. 1783–1796, in: Journal of African History 48/1 (2007), 27–44. 13 Michael J. Turner, The Limits of Abolition. Government, Saints and the ›African Question‹, c. 1780–1820, in: English Historical Review 112 (1997), 319–357. 14 George Frederickson, Racism. A Short History, Princeton u. a. 2002.

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Ägyptenexpedition Napoleons, aber auch die Chinaexpedition des britischen Gesandten Macartney in den 1790er Jahren, die gescheiterte Goldküstenexpedition des britischen Gouverneurs McCarthy – über den Gerüchte besagten, er sei von den Asante verspeist worden, als ein eklatantes Zeichen des Grabens zwischen »zivilisierter« und »barbarischer« Kriegführung – und schließlich der Beginn der französischen Eroberungskampagne in Algerien 183015. Ein entsprechender Stil im Auftreten gegenüber nichteuropäischen Gruppierungen verbreitete sich langsam unter allen europäischen Akteuren. Es wäre also durchaus plausibel, Findlays Handeln als Glied in dieser Kette zu sehen. Demnach stellt sich die Frage, ob die britische Aktivität hier das Ergebnis eines solchen »zivilisatorischen« Handelns war, einer Form des Auftretens gegenüber außereuropäischen Gemeinschaften, welche zwar zumeist noch nicht auf eine echte Eroberung zielte, aber auch keinerlei Rücksicht auf (indigene) Verluste nahm. Ein Blick auf die Formen des Verhandelns in der Region der Skarcies Rivers in den 1830er Jahren und die Umstände der Zerstörung des Forékaria Fence geben uns in diesem Zusammenhang nähere Aufschlüsse.

II. Krieg führen und Verhandeln in Sierra Leone 1836/37 – Plünderer, Fehden, Sklavenhändler und Missverständnisse Die Beobachtungen zur Entwicklung britischer (und europäischer) Diplomatie in Westafrika mögen die Etablierung einer gewaltbereiten Variante zivilisatorischen Agierens nahe legen – ganz so einfach verhielt sich die Sache dann aber doch nicht. Von dem Vorgang am Forékaria Fence informiert, bekam der Gouverneur von Sierra Leone, Henry Dundas Campbell, offensichtlich einen regelrechten Wutanfall. Campbells wichtigster Agent in der Region, Dala Mohamadu, ein mächtiger lokaler Würdenträger, ein headman von der Küste 15 Zur Wandlung französischer Perspektiven auf den Orient nach der Ägyptenexpedition siehe neuerdings Juan Cole, Napoleon’s Egypt. The Invention of the Middle East, London 2007, und Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’Autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840), Genf 2002. Die Chinamission Macartneys wird betrachtet in James Hevia, Cherishing Men from Afar: Qing Guest Ritual and the Macartney Embassy of 1793, Durham / London 1995. Zur Analyse der Niederlage MacCarthys gegen die Asante vgl. noch immer Mary McCarthy, Social Change and the Growth of British Power in the Gold Coast, 1807–1874, Lanham / London 1983. Der Einfluss der algerischen Kampagne ab 1830 findet neue Interpretationen u. a. in Jennifer Sessions, Ambiguous Glory. The Algerian Conquest and the Politics of Colonial Commemoration in Post-Revolutionary France, in: Outre-Mers 94 (2006), 91–102; Olivier Le Cour Grandmaison, Coloniser. Exterminer. Sur la guerre et l’État colonial, Paris 2006.

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Sierra Leones, fürchtete gar in der Konsequenz um das Gelingen des eigentlichen Ziels: der Durchsetzung einer Friedensformel für den gesamten Norden des heutigen Sierra Leone16. Letztere sollte es Mohamadu und Händlern aus Freetown, welche meist von den angesiedelten Afroamerikanern aus Neuschottland abstammten und britische Untertanen waren, ermöglichen, den lukrativen, aber periodisch unterbrochenen Überlandhandel in der Region wieder aufzunehmen. Findlays Vorgehen weiter nördlich drohte nun diese Pläne auf längere Sicht zunichte zu machen. Kaum, dass sich die Nachricht von Findlays Aktion verbreitet hatte, hatte Fatima Brimah, der Alkali von Port Loko, dem bedeutendsten Hafenzentrum des nördlichen Sierra Leone, angedroht, sich in Zukunft auf keinerlei Vereinbarungen mit den Briten und den anderen chiefs mehr einzulassen. Fatima Brimah sah sich fraglos als der Hauptgeschädigte von Findlays Kampagne. Seine Gefolgsleute hatten einen offensichtlich politisch und strategisch wichtigen Ort, nämlich Forékaria, erobert und sich in den Besitz einer Reihe dort festgehaltener Sklaven gebracht. Dazu gehörte auch die Kontrolle einer bedeutenden Palisadenanlage, von der britischen Seite recht lapidar als fence bezeichnet, die aber aufgrund der großen Anzahl der dort gefangen gehaltenen Sklaven in jedem Fall von beachtlicher Größe für lokale Verhältnisse gewesen sein muss17. In der Literatur, zumal in Christopher Fyfes monumentalem Standardwerk, ist diese Tatsache nicht diskutiert worden18. Noch 1837 war in derselben Region die Stadt Forékaria der Hauptort des Reiches Morea, eines föderationsartigen Reichsgebildes19. In den 1820er Jahren scheinen die Almamis von Forékaria 16 PRO, CO 267/149 (nicht nummeriert), 4: Campbell an Glenelg, 19.5.1838; PRO, CO 267/149 (nicht nummeriert), 1–2: John Longley, Robert Rigsby, William Bonard u. a., Sierra Leone (»Creole«) Traders, an Dala Mohamadu, Chief von Medina, 21.1.1837. 17 Christopher Fyfe, A History of Sierra Leone, Oxford 1962, 206. Neben den lokal entstandenen Titeln des »Bai« oder »Bey«, die vor allem für temne-sprachige Machthaber benutzt wurden, wurden auch, vermutlich über den nordafrikanischen Raum, arabische Herrschertitel entlehnt und vor Ort verwendet. Zu diesen gehört das unspezifische »Alkali« sowie die Bezeichnung »Almami«, die neben der weltlichen auch die Autorität eines geistlichen muslimischen Würdenträgers ausdrückt. 18 Dies wird aus den geographischen Angaben Findlays deutlich. Er berichtet, die aufgesuchte Ortschaft befinde sich ca. 50 Meilen von Magbetti entfernt und man habe acht Wasserarme (brooks) und einen größeren Fluss durchqueren müssen. Diese Angaben lassen das Umland der Stadt Forékaria als möglich erscheinen. Allerdings ist einzuräumen, dass Findlay keine Durchquerung des bedeutenden Melikori erwähnt, welcher auf dem Verbindungsweg gelegen hätte. Vgl. zu den geographischen Aussagen PRO, CO 267/149 (nicht nummeriert): Findlay, [Report of Operation to Fouricaria], 27.3.1837. 19 Allen M. Howard / David Skinner, Network Building and Political Power in Northwestern Sierra Leone, 1800–65, in: Africa 54 (1984), 2–28.

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noch einen Teil der vorigen Machtposition gewahrt zu haben, wenngleich sie in den Kriegen in den Regionen nördlich der Sierra Leone Peninsula nicht mehr die bestimmende Größe waren20. Forékaria Fence dürfte ein großes, auf den Handel mit dieser Stadt gerichtetes Lager gewesen sein, das nun in die Hände des Alkali von Port-Loko geraten war. Es war ein enger Verbündeter des Almami von Morea, der Bai Sherbro von Mambolo, der seine Truppen und mit ihm verbündete Limba-Soldaten – Mitglieder einer anderen Sprachgruppe – gegen das besetzte Ortszentrum führte.21 Die Tatsache, dass unter den Kriegsgefangenen der Temne von Port-Loko etliche Mandinka waren, die aus dem unmittelbaren Umland der zerstörten Siedlung kamen, bestätigt nur die Hypothese: Es war nicht irgendein isolierter Außenposten, der während der Aktivitäten Findlays in der Skarcies River Region zerstört worden war22. Die Herrschaft über einen bedeutenden Handelsplatz der alten Hauptstadt Forékaria war immens prestigereich. Findlay hatte also im Rahmen seiner Aktion einen gewaltigen Schlag gesetzt, indem er die Palisade und große Teile der Ortschaft einfach in Brand hatte stecken lassen. Es verwundert daher nicht, dass die Vertreter der beteiligten Parteien, die ihre Hoffnungen auf die Kontrolle der Palisade hatten begraben müssen, außerordentlich irritiert über die Entwicklung in der Forékaria-Affäre waren. Die Belagerung durch die Truppen des Bullom-Machthabers Bai Sherbro hatte die Situation der Bevölkerungen im Forékaria Fence bereits vor dem Eintreffen der britischen Streitmacht prekär werden lassen. Erst Findlays Eingreifen jedoch hatte den Ausschlag zur Zerstörung der Siedlung gegeben, da die Verteidiger zuvor kategorisch eine Übergabe der Palisade abgelehnt hatten. Dass der Alkali wegen der Aufgabe der Stadt und ihrer nachfolgenden Zerstörung überaus erzürnt war, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Fatima Brimah und seine Dynastie hatten stets versucht, ihren Anspruch auf größere Territorien jenseits der Stadtgrenzen von Port Loko zu betonen. Der Gesichtsverlust ob der Tatsache, dass die eigene Armee einen wichtigen, frisch eroberten Stützpunkt auf britischen Druck geräumt hatte und die Soldaten anschließend als Gefangene durch die Region der Skarcies Rivers geführt 20 Zur Machtposition der Almamis von Morea siehe William Cooper Thomson, Narrative of Mr. William Cooper Thomson’s Journey from Sierra Leone to Tímbo, Capital of Fútah Jállo, in Western Africa, in: Journal of the Royal Geographical Society of London 16 (1846), 106–138, 114. 21 PRO, CO 267/149, Nr. 865, 10–14: Campbell, Investigation relative to the Complaints of Namina Seacka, Bocary Soree and Maly and the destruction of the Fouricaria Fence, 24.4.1837. Zu den Limba siehe auch Richard Fanthorpe, Limba ›Deep Rural Strategies‹, in: Journal of African History 39 (1998), 15–38, 19 f. 22 PRO, CO 267/149, 20 f.: Findlay, [Report of Operation to Fouricaria], 20.4.1837.

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worden waren, war vor diesem Hintergrund noch viel größer. Der britische Gouverneur Campbell, der in diesen Tagen die Durchsetzung eines regionalen Friedensschlusses für den Norden des heutigen Sierra Leone anstrebte, hatte größte Mühe, Fatima Brimah zum Verbleib bei den Friedensverhandlungen zu bewegen. Die Friedensverhandlungen wiederum fanden in Magbele statt, einer Kleinstadt auf halber Wegstrecke zwischen Freetown und Forékaria Fence. Campbell hatte in der Vorphase der Verhandlungen zunächst einmal seinen Vertrauensmann Mohamadu vorausgeschickt, um die verschiedenen Machthaber der Region zumindest zum Kommen zu bewegen. Dieser Versuch war, auch aufgrund von Mohamadus herausragender und allgemein anerkannter Position im regionalen Handel, mit Erfolg gekrönt. Im April 1836 traf Campbell erstmals mit verschiedenen der am Krieg beteiligten Machthaber in Magbele zusammen. Er sah die Ergebnisse der Gespräche als derart positiv an, dass er am 19. Januar 1837 in die Stadt zurückkehrte23. Dieses Mal waren noch mehr lokale und regionale Führer von Gemeinschaften vor Ort, und tatsächlich übertrugen sie nach nur kurzer Diskussion Campbell die Position des Vermittlers in den Gesprächen, mit dem Ziel eines allgemeinen Friedensschlusses. Der Gouverneur vermerkte dieses Ansinnen seiner Gesprächspartner voller Stolz in seiner Korrespondenz mit London; in dem Schriftwechsel schwingt das Gefühl zivilisatorischer Überlegenheit recht massiv mit: »Da ich durch moralischen Einfluss die ergebene Zuneigung der Eingeborenen gewonnen habe und eine Macht über sie ausübe, wie sie noch nie zuvor ein weißer Mann innegehabt hat, habe ich beschlossen, aus diesem Gefühl Nutzen zu ziehen und – mit Gottes Segen – das bescheidene Instrument zu werden, um die Zivilisation einzuführen und die Sklaverei zu beseitigen.«24

Tatsächlich waren in Magbele fast alle lokalen Machthaber versammelt, die im heutigen nördlichen Sierra Leone und im heutigen südlichen GuineaConakry in den 1830er Jahren Rang und Namen hatten. Das Geschehen war gruppenübergreifend, und der diplomatische Austausch verlief entschieden polyglott: Man sprach Englisch, Temne, Mende, Mandinka, Susu und Loko25. 23 Siehe die ersten Vertragsabschlüsse 1836/37 unter der Federführung der britischen Verwaltung in PRO, CO/267/149. 24 Having by moral influence gained the devoted affection of the Natives, and possessing over them an influence and power never before obtained by any White Man. I decided on taking advantage of the same feeling that. with God’s blessing, I might be the humble instrument of introducing civilization, and extirpating slavery. PRO, CO 267/149 (nicht nummeriert), 2: Campbell an Glenelg, 19.5.1838. 25 Ebd., 11.

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Diese Verhandlungsformen zeugen nicht nur von der für Westafrikas Küstenregionen beachtlichen sprachlichen und kulturellen Flexibilität, sondern sie illustrieren auch die Bereitschaft der Beteiligten, im Sinne einer längerfristigen Beruhigung der Region die Interessen der anderen Seiten wohlwollend aufzunehmen. Als die Nachrichten von Findlays Mission beziehungsweise von ihrem einigermaßen desaströsen Verlauf in Magbele eintrafen, hatte Campbell gerade erfolgreich eines der zahlreichen diplomatischen Probleme als Vermittler gelöst. Fatima Brimah, der Alkali von Port-Loko, und Bai Kru, ein anderer temnesprachiger chief, der ein Gebiet weiter den Flusslauf des Rokel hinauf beherrschte, hatten sich zu einem Sofortfrieden bereit gefunden. Findlays Verhalten zerstörte nun, so berichtet es Campbell, für eine längere Phase das zwischen den Parteien aufgebaute Vertrauen26. Man hatte, zumindest auf Seiten des mächtigen Alkali, den Eindruck, britische Abgesandte aus Freetown seien eben nicht die »neutralen Vermittler«, als welche man sie lange Zeit wahrgenommen hatte, sondern sie würden aktiv und auch mit militärischen Mitteln Partei ergreifen27. Der Gouverneur, der seine gesamten Erfolge in der Schaffung verbindlicher Absprachen zwischen den lokalen Herrschern gefährdet sah, änderte nun die Strategie. Anstelle einer vergleichsweise zurückhaltenden diplomatischen Tätigkeit sollte die britische Seite in Bezug auf den diplomatischen Austausch vollständig in die Offensive gehen.

III. Diplomatische Performance – britische »Beratertätigkeit« und der Wiederaufbau von Vertrauen während der Magbele-Konferenz Um das bei den anwesenden Machthabern verlorene Vertrauen wiederherzustellen, schritt Henry Campbell nun zu ungewöhnlichen Mitteln. Campbell hielt ein Tribunal über Findlay vor Ort, in Magbele, und dies im Beisein der chiefs! Dabei versicherte der Gouverneur dem Offizier unter der Hand mehrfach, das Verfahren sei rein vorbereitend und habe in seinen etwaigen Schlussfolgerungen keine unmittelbaren Konsequenzen. Nach britischem Militärrecht war ein solches Tribunal ohnehin irrelevant, denn schließlich, so stellte es auch der Gouverneur mit klarer kultureller Positionierung heraus, gehörte Findlays Fall vor ein Militärgericht, nicht vor eine Veranstaltung, welche doch mehr als alles andere einem palaver nach country custom glich (so das britisch-kreolische 26 Ebd., 12. 27 PRO, CO 267/149 (nicht nummeriert): Campbell an Benwick, 25.4.1837.

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Wort für die als langwierig empfundenen, oftmals ritualhaften politisch-juristischen Verhandlungen unter den Mandinka, Susu und Temne). Obgleich es sich bei der Anklage gegen Findlay im Beisein der chiefs aus diesem Blickwinkel eher um eine Art von Show gehandelt haben mag, entsprach das ganze Vorgehen doch gleichzeitig einem Versuch, den versammelten lokalen Machthabern Transparenz in der Vermittlungsleistung zu demonstrieren. Für Findlay selbst, der auf die Vorgänge einigermaßen erbittert reagierte, war das gesamte Tribunal nichts anderes als eine Demütigung seiner Position vor »Primitiven«. Die übrigen britischen Vertreter vor Ort ließen sich jedoch auf seine Sichtweise nicht ein. Zu einer »neutralen« Vermittlungsleistung gehörte eben auch ein verlässliches Vorgehen im Umgang mit den verschiedenen Machthabern (oder chiefs und kings, wie sie von den Briten bezeichnet wurden), und da man diese Grundsätze verletzt glaubte, opferte man lieber die Würde eines Unteroffiziers, als dass man die Verhandlungen in Magbele insgesamt platzen ließ. Aus dem öffentlichen Verfahren kennen wir umfänglich die Details der Geschehnisse in Forékaria Fence. Auch die sehr verschiedenen Interpretationen der Vorgänge sowie Auslegungen diplomatischer Spielregeln wurden im Verlauf des Verfahrens thematisiert. Dabei spielt in den Verhandlungen die Sichtweise der lokalen Machthaber eine ganz zentrale Rolle, wurden doch neben Findlay eine Reihe von Vertretern der Kriegsparteien vor Ort sowie ihre kings und chiefs direkt befragt. Während des Tribunals in Magbele verwahrte Findlay sich energisch gegen die Beschuldigung, er habe willkürlich den Forékaria Fence in Brand gesetzt. Der Kommandant des kleinen Trupps betonte, er habe mit den Generalen von Fatima Brimah und mit jenen des Bai Sherbro diskutiert, dabei die verschiedenen Würdenträger vor Ort – headmen, wie die Briten sie nannten – ausdrücklich nach ihrer Meinung befragt, schließlich aus strategischen Motiven die Zerstörung der Stadt vorgeschlagen, aber das Feuer erst gelegt, als er die Zustimmung der verschiedenen Militärführer eingeholt hatte. Die Verteidiger des Forékaria Fence kamen nun in der Gegenrede zu Wort. Namina Siaka, ein temnesprachiger Militärführer in Diensten Fatima Brimahs, widersprach Findlays Darstellung. Siaka behauptete, der britische Abgesandte habe den Heerführern des Alkali mit der sofortigen Zerstörung der Ortschaft und der Tötung sämtlicher seiner Soldaten gedroht; nur so habe er sich zur Räumung der Position zwingen lassen28. Im Verlauf seiner Aussage verstrickte Siaka sich jedoch in erhebliche Widersprüche, die es plausibel erscheinen lassen, dass die 28 PRO, CO 267/149, Nr. 865, 2: Campbell, Investigation relative to the Complaints of Namina Seacka, Bocary Soree and Maly and the destruction of the Fouricaria Fence, 24.4.1837.

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von Findlay beschriebenen Beratungen tatsächlich stattgefunden hatten. Auch die anderen Mitglieder der Armee, die den Forékaria Fence im Moment der Zerstörung der Ortschaft besetzt hielt, vermochten mit ihren Aussagen nicht zu überzeugen. Das ändert in der Retrospektive nichts daran, dass der von Malaria und damit Fieberschüben geplagte Findlay auf dem Rückweg von Forékaria Fence nach Magbele deutlich erkennbar mehrfach massiv die Nerven verloren hatte29. Er schlug die Militärführer von Fatima Brimahs Armee im Streit30. Er zeigte zudem nicht gerade glänzendes diplomatisches Geschick in der Frage der Nahrungsversorgung der zahlreichen nach Magbele geleiteten Personen. Weiterhin verhinderte er vor allem auch nicht, dass limbasprachige Plünderer mehrfach die entwaffneten Soldaten Fatima Brimahs angriffen und versuchten, die Feinde gefangen zu nehmen und zu versklaven31. Dies ändert jedoch nichts an der frappierenden Tatsache, dass die Zerstörung des Forékaria Fence tatsächlich aller Wahrscheinlichkeit nach im Einvernehmen mit allen beteiligten Gruppierungen stattfand32. Noch mehr überrascht in diesem Zusammenhang, dass sich das den britischen Vermittlern entgegengebrachte Vertrauen als so groß erweisen sollte, dass sich auch die in Magbele versammelten chiefs schließlich von Findlays Version der Vorfälle überzeugen ließen. Entgegen der Besorgnisse Campbells sollte die britische Leistung in der Friedensvermittlung letztlich allgemein positive Anerkennung finden; die britische »diplomatische Performance« hatte damit mittelfristig ihre Wirkung erzielt. Zumindest für zwanzig weitere Jahre sollte die überragende Autorität der britischen Vertreter als Vermittler intakt bleiben. Da sich die Ursachen für die Auseinandersetzungen und Plünderzüge der 1830er Jahre in der Folge nicht wesentlich änderten, wurden immer wieder britische Vermittler zum Einsatz gerufen. Diese konnten sich auf die in den 1830er Jahren erworbenen credentials verlassen. 1841, als erneut britische Gesandte als »neutrale Vermittler« geholt wurden, wusste der britische Missionar der Church Missionary Society in Port Loko, Nathaniel Denton, dann auch Entsprechendes zu berichten. Sieht man von den üblichen Übertreibungen ab, ist diese Darstellung als glaubwürdig anzusehen:

29 PRO, CO 267/149 (nicht nummeriert), 1: Copley an Abbott, 18.4.1837. 30 PRO, CO 267/149, Nr. 865, 6 f.: Campbell, Investigation relative to the Complaints of Namina Seacka, Bocary Soree and Maly and the destruction of the Fouricaria Fence, 24.4.1837. 31 Ebd., 17. 32 PRO, CO 267/149, 8 f., 14 f.: Findlay, [Report of Operation to Fouricaria], 20.4.1837.

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»25. März. Dies war ein hoher und wichtiger Tag mit den Temne. Zwischen den führenden Familien des Landes, die für viele Jahre im Streit miteinander gelegen haben, konnte Frieden geschlossen werden. Der Vorgang war sehr interessant. Mehrere tausend Leute waren versammelt, und nachdem einige kleine Geschenke ausgetauscht worden waren, gaben sich die verschiedenen Beteiligten die Hände. Jedes Gesicht strahlte vor Freude, und ihre Herzen schienen mehr zu umfassen, als ihre Lippen ausdrückten. Zahlreich kamen die Freudensbekundungen über ihre Lippen, als sie sich tief verpflichtet zeigten gegenüber der Art von Vermittlung seiner Exzellenz des Gouverneurs von Sierra Leone und jener von McCormack Esquire, einem Gentleman von exemplarischer Frömmigkeit, der hier residiert, seit der Gouverneur abgereist ist, um Angelegenheiten mit der Regierung zu regeln.«33

IV. Schlussfolgerungen: Consulting company diplomacy statt gunboat diplomacy in Großbritanniens frühkolonialen Aktivitäten in Westafrika Die Autorität britischer Vermittler in der Region des heutigen Sierra Leone und des südlichen Guinea-Conakry beeindruckt in ihrem Gewicht. Wie lassen sich diese Vorgänge erklären? Die Machthaber in der Region von Magbele waren keineswegs naiv, sie waren durch Jahre diplomatischer Verhandlungen gegangen, sie kannten durch ihre Erfahrungen mit britischen Unterhändlern und britischen Militäreinsätzen vor allem gegen die Stützpunkte von Sklavenhändlern auch britische Verhaltensweisen und britisches Militärpotenzial. Nichtsdestoweniger kann man davon ausgehen, dass die Diplomatieform, welche die britischen Vermittler in Sierra Leone entwickelten, ganz offensichtlich einen Nerv im Hinblick auf die Bedürfnisse der chiefs vor Ort traf. 33 25th March, This has been a high & important day with the Temnehs, peace has been made between the head families of the country, who for many years past have been at variance with each other. The scene was deeply interesting. several thousands of people were assembled & after some little presents were reciprocally given the different partners shook hands with each other. Every countenance beamed with joy & their hearts seemed to contain more than their lips expressed. / Many were the expressions of joy which fell from their lips while they acknowledge themselves deeply indebted to the kind interference of his Excellency the late Governor of Sierra Leone & that of J. Mc Cormack Esqr. a gentleman of exemplary piety who has been residing here since the Governor left, for the purpose of settling matters connected with the government. CMS CA1/0 0 87 (nicht nummeriert), 1: Denton, Journal extracts for the quarter ending June 24th 1841.

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Diese Tatsache britischen »Erfolgs« in ihrer ungewöhnlichen Vermittlungsposition im westlichen Afrika wirft ein Licht auf Situationen von Kulturbegegnungen, in welchen diplomatischer Austausch stattfindet, in denen die Agenden der Beteiligten und ihr commitment zu diesen Agenden qualitativ jedoch völlig unterschiedlich sind. Mit ihrem Auftreten als Vermittler pflegten britische Unterhändler einen Stil, welchen ich hier als performative Diplomatie im interkulturellen Rahmen bezeichnen möchte, oder aber, vielleicht etwas plakativer, als eine Art von consulting company diplomacy. Der Vergleich mit Wirtschaftskontexten und Privatunternehmen des späten 20. Jahrhunderts mag vielleicht auf den ersten Blick weit hergeholt erscheinen, ist aber folgerichtig: Entsprechend dem Auftreten eines Unternehmensberaters, welcher von außen in den Problemkontext eines Wirtschaftsunternehmens oder einer Behörde eintritt und der oftmals bereits eine eigene klare Agenda in den Kontext einführt, beeindruckten auch die britischen Vermittler ihre Gegenüber durch ihr informiertes Auftreten. Es ging dabei nicht um neue diplomatische Rituale, wie sie in der Revolutionsära der 1790er Jahre innerhalb Europas für Skandale, Zündstoff und Sprengstoff gesorgt hatten34. Es handelte sich um eine performance, die erst durch die Überzeugung der britischen Unterhändler ihren Sinn erhielt. Die britischen Vertreter waren in der Tat überzeugt, dass die Beendigung des Sklavenhandels die Patentlösung zur Verhinderung jeglicher weiterer Kriege war. Dies verlieh ihnen eine Selbstsicherheit in der Argumentation, die beeindruckte. Sie prägte ganz offensichtlich die diplomatische Situation für vier Jahrzehnte. Erst dann sollte sich zeigen, dass – wie es ironischerweise auch nicht selten im Fall des consulting auftritt – die empfohlenen Patentrezepte versagt hatten. Erst im Anschluss an diese Phase wurde dann auch koloniale Eroberung in Westafrika ein Thema.

34 Linda Frey / Marsha Frey, ›The Reign of the Charlatans Is Over‹: The French Revolutionary Attack on Diplomatic Practice, in: Journal of Modern History 65 (1993), 706–744.

Die Macht des Protokolls und die Ohnmacht der Osmanen: Zum Berliner Kongress 1878 Von Susanne Schattenberg

Über die erste Sitzung des Berliner Kongresses am 13. Juni 1878 berichtet der Botschafter und Leiter des Kongress-Sekretariats, Joseph Maria von Radowitz: »Bevor aber die Bevollmächtigten in den Saal getreten waren, hatte der Privatsekretär von Lord Beaconsfield, [Montagu] Corry, mich beiseite genommen und mich gebeten, im Auftrage seines Chefs dem Fürsten Bismarck zu melden, daß der englische Premier beschlossen hätte […], bei den Verhandlungen Englisch zu sprechen. Wir hatten schon […] vorher diesen Fall erörtert, weil es bekannt war, daß Disraeli nicht Französisch sprechen konnte und es kaum verstand […]. Andererseits mußte man doch von vornherein nur eine Sprache, und zwar die französische, als das Vermittlungsorgan für die Debatten und Beschlüsse des Kongresses annehmen und […] dies einem Votum des ganzen Kongresses, nicht dem Belieben eines einzelnen Mitgliedes vorbehalten. […] Ich sagte das Corry, der aber darauf bestand, es möchte einfach sein Auftrag an Fürst Bismarck ausgerichtet werden. So tat ich das, als er gerade im Begriff stand, die Prozession in den Saal zu geleiten. Er hörte es ruhig an und bemerkte: ›So? Na, wenn Gortschakow Geistesgegenwart genug dazu hat, muß er ihm Russisch antworten, und dann kann es nett werden!‹ Es kam leider nicht so. Tatsächlich ließ Beaconsfield […] gleich eine Rede […] auf Englisch los, und Gortschakow sprach sofort nach ihm Französisch. Nun verstand aber auch Gortschakow seinerseits kein Englisch und war zu eitel, um das einzuräumen.«1

Dieses Beispiel zeigt, wie schwer normalerweise die Verständigung zwischen Vertretern verschiedener Kulturen ist. Dabei sind reine Sprachfragen, also die Frage, ob Englisch, Französisch oder Russisch gesprochen wird, meist das kleinere Problem, da die Benutzung unterschiedlicher Zeichensysteme sofort offenbar wird und ein daraus resultierendes Missverständnis oder Unverständnis theoretisch schnell geklärt werden kann. Potentiell schwieriger gestaltet sich die Kommunikation auf der Ebene von Mimik und Gestik, Kleidung und Accessoires, Verhaltensweisen und Ritualen, weil die hier ausgesandten Zeichen nicht unbedingt als einem bestimmten Code zugehörig zu identifizieren 1 Aufzeichnungen und Erinnerungen aus dem Leben des Botschafters Joseph Maria von Radowitz, hrsg. v. Hajo Holborn, 2 Bde., Berlin / Leipzig 1925, Bd. 2 (1878–1890), 37.

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sind und sich der Agierende kaum sicher sein kann, ob sein Gegenüber den präsentierten Formen auch die intendierte Bedeutung zuordnet. Diplomatie, so meine These, ist daher grundsätzlich interkulturelle Kommunikation, in die mindestens drei Zeichensysteme involviert sind: die eigene Sprache und der eigene kulturelle Horizont, die fremde Sprache und deren Deutungssystem und schließlich die gemeinsame Sprache des Protokolls2. Das Protokoll ist genau genommen eine Kunstsprache, die sich in der westlichen Hemisphäre als einheitliches Zeichensystem entwickelt hat; es dient als verlässliche Operationsbasis und sorgt damit für Erwartungssicherheit3. Das Protokoll ist »Wörterbuch« und »Grammatik« zugleich, um alle Akteure mit dem gleichen Referenzsystem und Deutungshorizont auszustatten. Gerade die Ausbreitung des Französischen als Diplomatensprache schlechthin, die Durchsetzung einer einheitlichen Mode und die Aneignung eines gemeinsamen Habitus zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben zu der Behauptung geführt, Diplomaten, ganz gleich welcher Herkunft, verfügten über ein einheitliches Zeichensystem: Sie trügen die gleiche Kleidung, zeigten das gleiche Lächeln und sprächen das gleiche Französisch, kurz: Sie seien eine eigene Gattung Mensch4. Obwohl im Wiener Vertrag von 1815 unterstrichen wurde, dass der in Französisch gehaltene Text keine Präzedenz schaffen solle, vielmehr jede Macht berechtigt sei, in Zukunft Verhandlungen und Verträge in der Sprache zu formulieren, die ihr genehm sei5, und obwohl die Sprachfrage derart immer wieder als sensible hoheitliche Frage behandelt wurde und das einheitliche Bild der diplomatischen Kultur sich erst langsam am Ende des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss des französischen Hofes formte6, gilt es doch als kaum hinterfragte Binsenweisheit, dass die diplomatische Kultur eine Monokultur war. Tatsächlich scheinen sich im 19. Jahrhundert die Vertreter der Großmächte wie eine große Familie verhalten zu haben, die miteinander dieselbe Sprache sprachen und die zuwei2 Dieser Aufsatz ist Teil eines Forschungsprojekts zum Thema »Kulturgeschichte der Außenpolitik im ausgehenden Zarenreich«, das von der DFG finanziert wird. Für weitere Aufsätze zum Thema siehe auch: Susanne Schattenberg, Die Sprache der Diplomatie oder Das Wunder von Portsmouth. Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Außenpolitik, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 56 (2008), 3–26; dies., ›Gespräch zweier Taubstummer‹? Die Kultur der chruščevschen Außenpolitik und Adenauers Moskaureise 1955, in: Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens 57 (2007), 27–46. 3 Vgl. zur historischen Entwicklung und Funktion des Protokolls Stephen Gaselee, The Language of Diplomacy, Cambridge 1939; Harold Nicolson, Diplomacy, London 1939; Jürgen Hartmann, Staatzeremoniell, 2. Aufl., Köln 1990. 4 Vgl. Raymond Cohen, Negotiating Across Cultures. Communication Obstacles in International Diplomacy, Washington 1991, 3. 5 S. Gaselee, Language of Diplomacy (Anm. 3), 71. 6 Ebd., 68; H. Nicolson, Diplomacy (Anm. 3), 124.

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len untereinander mehr kulturelle Übereinstimmungen als mit den eigenen Landsleuten zeigten. Alle Streitigkeiten und Konflikte, alle Annäherungen und Allianzen spielten sich auf der einen Ebene des gemeinsamen Protokolls ab. Wozu dann also eine Untersuchung der diplomatischen Kultur als eigenem Zeichensystem, wenn kulturelle Unterschiede zwischen den Akteuren auch außerhalb des Protokolls nicht erkennbar sind und von einer interkulturellen Kommunikation offenbar nicht die Rede sein kann? Zunächst ist auch die diplomatische »Monokultur« bislang kaum als eigenes System untersucht worden7. Zudem soll hier gezeigt werden, dass es innerhalb dieses Rahmens sehr wohl feine »kulturelle Unterschiede« gab, sodass manche Diplomaten als altmodische und unwürdige Vertreter ihrer Zunft, andere dagegen als Lichtgestalten und Neuerer erschienen. Weiter wird argumentiert, dass das Protokoll nicht einfach wie Esperanto eine für alle verfügbare Sprache war, sondern einen Hegemonialdiskurs darstellte, den die Akteure zu adaptieren hatten. Das bedeutete aber keineswegs, so die These, dass alle, die sich dieses Diskurses bedienten, auch gleichmäßig Anerkennung fanden. Die osmanischen Delegierten beherrschten zwar perfekt die Protokollsprache, waren aber trotzdem Delegierte zweiter Klasse. Das aber bedeutete wiederum, dass die Diplomatensprache keineswegs alle kulturellen Unterschiede nivellierte: Es gab eine ingroup und eine outgroup. Hier sollen also Ein- und Ausschlussmechanismen beleuchtet werden, die sowohl mittels als auch jenseits des Protokolls bestanden.

I. Realpolitik Der Berliner Kongress tagte vom 13. Juni bis zum 13. Juli 1878 und sollte den Vertrag von San Stefano, den die Russen den Osmanen infolge des Russisch7 Pionierarbeit hat hier Johannes Paulmann geleistet: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn u. a. 2000. Zum Ansatz einer Kulturgeschichte der Diplomatie siehe auch Akira Iriye, Culture, in: The Journal of American History 77 (1990), 99–107; ders., Culture and Power. International Relations and Intercultural Relations, in: Diplomatic History 10 (1979), 115–128; Ursula Lehmkuhl, Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte. Theoretische Ansätze und empirische Forschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Soziologischem Institutionalismus, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), 394–423; Jürgen Osterhammel / Wilfried Loth (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen, Ergebnisse, Aussichten, München 2000; Jessica Gienow-Hecht / Frank Schumacher (Hrsg.), Culture and International History, New York 2003; Eckart Conze / Ulrich Lappenküper / Guido Müller (Hrsg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln 2004.

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Türkischen Krieges 1877/78 diktiert hatten, einer Revision unterziehen8. Zar Alexander II. hatte im Sommer 1877 seine Truppen auf den Balkan einmarschieren lassen, nachdem die Pforte 1875/76 Aufstände von Christen blutig niedergeschlagen hatte9. Die russischen Truppen machten jedoch in Bosnien beziehungsweise Bulgarien nicht Halt, sondern drangen bis vor die Tore Konstantinopels vor, wo der Unterhändler des Zaren, Nikolaj Pavlovič Ignat’ev (1832–1908), am 3. März 1878 eine Vergrößerung der Balkanstaaten, ein unabhängiges Großbulgarien und für das Zarenreich Gebietszugewinne in Bessarabien und im Kaukasus verfügte10. Durch diese weitreichenden Grenzverschiebungen sahen Österreich-Ungarn und England ihre Interessen auf dem Balkan beziehungsweise am Bosporus gefährdet und forderten von Russland eine Revision der geschaffenen Fakten. Seit dem 13. Februar 1878 kreuzte die britische Mittelmeerflotte im Bosporus, um Russland vor einer Einnahme Konstantinopels abzuschrecken11. Doch gerade dieses Eindringen in osmanische Gewässer brachte die beiden Großmächte an den Rand einer bewaffneten Auseinandersetzung12. Um einen europäischen Krieg zu verhindern, der den ganzen März 1878 zum Greifen nahe schien, willigte Russland schließlich

8 Der Berliner Kongreß 1878: Protokolle und Materialien, hrsg. v. Imanuel Geiss, Boppard/ Rh. 1978; ders., Der Berliner Kongreß – Eine historische Retrospektive, in: Der Berliner Kongreß von 1878. Südosteuropa als Problem der Europäischen Politik, hrsg. v. Ralph Melville / Hans-Jürgen Schröder, Wiesbaden 1982, 31–49; William L. Langer, European Alliances and Alignments, 1871–1890, 3. Aufl., New York 1964, William Newton Medlicott, The Congress of Berlin and After. A Diplomatic History of the Near Eastern Settlement, 1878–1880, 2. Aufl., London 1963; Manfred Müller, Die Bedeutung des Berliner Kongresses für die deutsch-russischen Beziehungen, Leipzig 1927; David MacKenzie, Russia’s Balkan Policies under Alexander II., 1855–1881, in: Imperial Russian Foreign Policy, hrsg. v. Hugh Ragsdale, Cambridge 1993, 219–246. 9 Arthur J. Evans, Through Bosnia and the Herzegovina on Foot During the Insurrection, August and September 1875, Reprint New York 1971, 326–364; Stevan K. Pavlowitch, A History of the Balkans 1804–1945, London 1999, 95–114; David MacKenzie, The Serbs and Russian Panslavism, 1875–1878, Ithaca 1967, 30–60; W.L. Langer, European Alliances and Alignments (Anm. 8), 59–88; Jelena Milojkovic-Djuric, The Uprising in Bosnia-Herzegovina 1875–1878, in: dies., The Eastern Question and the Voices of Reason, Boulder 2002, 12–31. 10 S. K. Pavlowitch, A History of the Balkans (Anm. 9), 72–115. 11 Barbara Jelavich, Negotiating the Treaty of San Stefano, in: Southeastern Europe 6 (1979), 171–193, 179. 12 Matthew Smith Anderson, The Eastern Question, 1774–1923. A Study in International Relations, 4. Aufl., London 1972, 201.

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ein, den Vertrag von San Stefano auf einem Kongress einer Revision zu unterziehen13. Der Berliner Vertrag beschnitt Russlands Einfluss auf dem Balkan erheblich: Rumänien, Serbien und Montenegro wurden zwar selbständig, aber Bulgarien blieb der Türkei tributpflichtig und verlor seinen südlichen Teil, Makedonien und Rumelien, an das Osmanische Reich. Russland sicherte zwar seine Landgewinne in Bessarabien und im Kaukasus (Batum und Kars), aber als Ausgleich erhielt Österreich-Ungarn das Recht, Bosnien-Herzegowina zu besetzen, und England ließ sich für einen Beistandspakt vom Osmanischen Reich Zypern abtreten14. Hier soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es auf dem Berliner Kongress um handfeste politische, strategische und wirtschaftliche Interessen ging. Arbeitshypothese ist aber, dass die Ergebnisse des Kongresses durchaus davon beeinflusst wurden, wie sich die Delegierten präsentierten, in welcher Form sie ihr Land vertraten und ihre Anliegen vorbrachten beziehungsweise wie sie von ihren Gegenspielern wahrgenommen wurden. Den Gedanken, dass nicht nur die unterschiedliche Interessenlage, sondern auch das Ambiente eine entscheidende Rolle spielen könnte, hatte bereits 1878 der Kongress-Sekretär Radowitz, der nicht nur durchsetzte, dass die repräsentativsten Räume der gerade erst bezogenen Reichskanzlei zum Kongress-Saal umfunktioniert wurden15, sondern auch ein Büfett für die Delegierten aufstellen ließ, um für deren leibliches Wohl und damit gute Stimmung und Konzilianz auf dem Kongress zu sorgen. Wie Radowitz richtig bemerkte, war der Ausgang des Kongresses durchaus offen16. Die Delegierten waren also darauf angewiesen, sich vor Ort zu verständigen – sei es am Büfett, in den kleinen Arbeitsgruppen oder auf den 20 Plenarsitzungen, auf denen alle 20 Delegierten zusammenkamen17. Der Berliner Kongress war kein congrès dansant wie der

13 George F. Kennan, Bismarcks europäisches System in der Auflösung. Die französischrussische Annäherung 1875 bis 1890, Frankfurt a. M. 1981, 51; John Lowe, The Great Powers. Imperialism and the German Problem, 1865–1925, London 1994, 44–73. 14 Barbara Jelavich, Russia’s Balkan Entanglements 1806–1914, New York 1991, 176 f.; Luigi Albertini, The Origins of the War of 1914, 3 Bde., 2. Aufl., London 1966, Bd. 1, 20–22. 15 Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 19 f. 16 Ebd. 17 An dem Kongress nahmen die sechs Signatarmächte von 1856 sowie das Deutsche Reich teil, die jede drei Delegierte schicken durften; einzig Italien entsandte nur zwei Delegierte. Teilnehmerverzeichnis des Berliner Kongresses, in: I. Geiss, Der Berliner Kongreß (Anm. 8), 23-27.

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Wiener Kongress, sondern ein Arbeitskongress18. Dennoch gab es neben einem Galadinner zum Auftakt, einem Konzert im Zoologischen Garten und einer Bootspartie auf dem Wannsee regelmäßig Abendgesellschaften19. Bei diesen offiziellen und inoffiziellen Anlässen war es entscheidend, so die These, dass sich die Delegierten als Angehörige der großen europäischen Diplomatenfamilie präsentierten und als solche wahrgenommen wurden. Es waren weniger persönliches Vermögen beziehungsweise Unvermögen als Repräsentationsformen und Wahrnehmungsmuster, die den Kongresserfolg beeinflussten.

II. A. M. Gorčakov – Diplomat veralteter Schule Eine gängige Lehrmeinung besagt, dass Russland, das sich um seinen Sieg betrogen und von Bismarck vernachlässigt fühlte, infolge des Berliner Kongresses Deutschland langfristig entfremdet wurde. Hier habe die Spaltung der Großmächte in zwei Lager, die dann in den Ersten Weltkrieg geführt habe, ihren Ausgang genommen20. In diesem Zusammenhang ist immer wieder diskutiert worden, welche Rolle der Zwist zwischen dem deutschen Kanzler, Fürst Bismarck, der sich als »ehrlicher Makler« präsentierte21, und dem russischen Kanzler und Ersten Bevollmächtigten Russlands, Fürst Gorčakov, spielte. Der spätere Außenminister Graf Vladimir Nikolaevič Lamzdorf (1844–1906) war sich sicher: »In Folge des Berliner Kongresses und einer Serie von Verletzungen, zu denen die Feindseligkeiten der Fürsten-Kanzler Gorčakov und 18 Andreas Hillgruber, Bismarcks Außenpolitik, Freiburg 1971, 134. 19 Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 47; Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig Hohenlohe-Schillingsfürst, hrsg. v. Friedrich Curtius, 2 Bde., Stuttgart / Leipzig 1906/1907, Bd. 2, 237, 248; The Letters of Disraeli to Lady Bradford and Lady Chesterfield, 2 Bde., London 1929, Bd. 2 (1876–1881), 175. 20 Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Berlin 1932, 419, 506; Imanuel Geiss, Der lange Weg in die Katastrophe. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs 1815–1914, München 1990; L. Albertini, The Origins of the War (Anm. 14); Irene Grüning, Die russische öffentliche Meinung und ihre Stellung zu den Großmächten vom Berliner Kongreß bis zum Abschluß des franco-russischen Bündnisses, Charlottenburg 1927, 52–86; Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, 1871–1945, Darmstadt 1995, 56; ganz anders dagegen Andreas Hillgruber, der unterstreicht, dass die Entfremdung zu Russland keineswegs vorgezeichnet gewesen sei: Bismarcks Außenpolitik (Anm. 18), 139. 21 Ebd., 115–146; Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt a.M. 1980, 503–525; Jost Dülffer, Bismarck und das Problem des europäischen Friedens, in: Otto von Bismarck. Person – Politik – Mythos, hrsg. v. dems. u. a., Berlin 1993, 107–122; Johannes Lepsius, Bismarck als Pazifist, Berlin 1922.

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Bismarck entscheidend beigetragen hatten, waren unsere Beziehungen zu Deutschland im Herbst 1879 auf einem beunruhigenden Tiefpunkt angelangt […].«22 Entsprechend solcher Zeitzeugenberichte hat der Historiker Bruce Waller in den 1950er Jahren den Konflikt der beiden Männer auf dem Berliner Kongress als »Kanzlerkrieg« bezeichnet23. Hier soll es aber nicht um individuelle, persönliche Konflikte gehen24, sondern darum, dass sich beide im Rahmen eines geschlossenen Kulturkreises bekriegten, dem sie sich beide gegenseitig zurechneten. Der deutsche Kanzler, Fürst Otto von Bismarck, 62  Jahre alt und auf der Höhe seiner Macht, und der russische Kanzler, Fürst Aleksandr Michajlovič Gorčakov, 80 Jahre alt und kaum mehr in der Lage, sein Amt auszuüben, kannten sich schon lange aus demselben diplomatischen Milieu25. Mitte der 1850er Jahre waren beide Gesandte in Frankfurt beim Deutschen Bund gewesen. Als Bismarck von 1859 bis 1862 in Petersburg Gesandter war, hatte Gorčakov eine Art väterliche Beziehung zu ihm aufgebaut26. Sie gehörten also derselben Diplomatenfamilie an. Was Bismarck und andere Delegierte an Gorčakov störte, war keinesfalls, dass sie ihn als »Russen« empfanden, sondern ganz im Gegenteil: »seine Eitelkeit und sein affektiertes Parisertum«27. 22 À la suite du Congrès de Berlin et d’une série de froissements, auxquels les inimitiés personnelles des Princes Chanceliers Gortchakov et Bismarck avaient sensiblement contribué, nos relations avec l’Allemagne, en automne 1879, étaient arrivées à une tension inquiétante […]. GARF, fond 568, Vladimir Nikolaevič Lamzdorf, opis’ 1, delo 52, list 1. Vgl. auch O. v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen (Anm. 20), 515. 23 Bruce Waller, Bismarck and Gorchakov in 1879. The Two Chancellors’ War, in: Studies in International History, Hamden 1967, 209–235; ders., Wirtschaft, Machtkampf und persönliche Rivalität in der Außenpolitik Bismarcks. Vom Berliner Kongreß bis zum Abschluß des Zweibundes, in: Der Berliner Kongreß von 1878 (Anm. 8), 153–162. 24 Zur Rolle der Krieg-in-Sicht-Affäre im Jahr 1875 für Bismarcks Verhalten auf dem Berliner Kongress siehe auch: GARF, fond 1074, opis’ 1, delo 309, list 4; Bernhard Fürst von Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. 1: Vom Staatssekretär bis zur Marokko-Krise, Berlin [1920], 45; Reinhard Wittram, Bismarck und Gorčakov im Mai 1875, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 7 (1955), 221–244; L. Gall, Bismarck (Anm. 21), 510–511; Jost Dülffer / Rolf-Harald Wippich / Martin Kröger, Bismarcks Herausforderung des Gleichgewichts. Die ›Krieg-in-Sicht‹-Krise 1875, in: Vermiedene Kriege. Deeskalation von Konflikten der Großmächte zwischen Krimkrieg und Erstem Weltkrieg, 1856–1914, hrsg. v. dens. München 1997, 207–220. 25 Zu Gorčakov siehe auch Semen K. Busuev, A. M. Gorčakov, hrsg. von V. P. Jakubovskij, Moskau 1961, E. M. Primakov u. a. (Hrsg.), Kancler A. M. Gorčakov – 200 let so dnja roždenija, Moskau 1998; Viktor Lopatnikov, Gorčakov. P’edestal – vremja i služenie kanclera Goarčakova, Moskau 2003. 26 O. v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen (Anm. 20), 212. 27 B. von Bülow, Denkwürdigkeiten (Anm. 24), 45; O. v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen (Anm. 20), 208, 212.

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Bismarck ätzte, Gorčakov könne an keinem Spiegel vorbeigehen, ohne sich darin zu betrachten; jeder Beamte, der sein Diktat aufnehme, müsse von Zeit zu Zeit zu ihm aufsehen, um ihn zu bewundern28. Auch von anderen Kongressteilnehmern wurde Gorčakov als eitle, hochnäsige Person belächelt, nie aber als russischer »Bojar« oder »moskovitischer Herr« qualifiziert. Er gehörte eindeutig zur europäischen Großfamilie der Diplomaten. Gorčakov war aber ein Diplomat der Ära Metternich und Nesselrode29. Damit galt er als Vertreter einer vergangenen Zeit, und alle anderen Delegierten empfanden es als peinlich oder anstößig, dass Gorčakov nach 60 Jahren im Dienst nicht in Würde ausscheiden konnte. Der Zar wollte ihn ursprünglich wegen seines fortgeschrittenen Alters nicht schicken, aber Gorčakov hatte seine Entsendung durchgesetzt, obwohl der Zar bereits seinen Londoner Botschafter Petr Andreevič Šuvalov (1827–1889), der erfolgreich das Londoner Abkommen verhandelt hatte, zum Ersten Bevollmächtigten ernannt hatte30. Gorčakov repräsentierte aber seinen Staat nicht nur in Wort und Tat, sondern auch mit seiner ganzen Erscheinung. Er verkörperte Russland und gab dabei ein bemitleidenswertes bis lächerliches Bild ab: »Am 12. [ Juni] kam er an, vorgeblich sehr leidend, so dass er in der ersten Zeit sich nur im Tragstuhle zeigte, aber seinen Lieblingsplatz am Fenster im Hochparterre der Russischen Botschaft erwählte und sich dort mit sichtlichem Behagen von dem Straßenpublikum beschauen ließ«, so berichtet der Kongress-Sekretär Radowitz31. Dazu passte, dass er, wie der Zweite Bevollmächtigte Russlands, Šuvalov, verbittert und die anderen Kongressabgeordneten amüsiert bemerkten, nur zu den Sitzungen erschien, auf denen er schöne Reden schwingen konnte, während er immer dann unpässlich war, wenn Russland schmerzhafte Zugeständnisse zu machen hatte, die dann Šuvalov allein verantworten musste32. Seine Redensweise empfanden seine Kollegen als affektiert und eitel. Den »Narziß des Tintenfasses« nannten ihn die jungen Diplomaten wegen seiner Jagd nach schöngeistigen und stolzen

28 GARF, fond 541, Dmitrij Nikolaevič Vergun, opis’ 1, delo 73: Gazetnye vyrezki so stat’jami i zametkami o russkoj diplomatii i russkoj politike (1906), list 9. 29 V. Lopatnikov, Gorčakov (Anm. 25), 330. 30 Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 24; P. A. Šuvalov, o Berlinskom Kongresse 1878g., übersetzt und eingeleitet von Vladimir Michajlovič Chvostov, in: Krasnyj archiv 59 (1933) 4, 82–109, 100. 31 Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 24. 32 Ebd.; AVPRI, fond 133, opis’ 470, delo 29a, Congrès: pis’ma i telegrammy, list 366; GARF, P. A. Šuvalov, Notes inédites sur le Congrès de Berlin dictées en Août 1880 par le Comte Pierre Schouvaloff à M. Arthur Raffalovich, GARF, fond R-6094, opis’ 1, delo 221, 11.18, 20.

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Wendungen33. Šuvalov bescheinigte ihm, daß er einst ein großer Mann, aber nie ein homme d’affaires gewesen sei34. Er habe die Phrasen geliebt und sich in Allgemeinplätzen ergangen, aber um Details nicht gekümmert. Das sagte Gorčakov selbst in einem Gespräch mit dem französischen Botschafter, Général Le Flô, kurz vor seiner Abreise nach Berlin: »Ich werde mich nicht mit Details aufhalten und sofort die großen Fragen in Angriff nehmen.«35 Anders ausgedrückt verstand Gorčakov die Diplomatie als Wortkunst, während inzwischen Sachkenntnisse gefragt waren. Gorčakov kümmerte sich um etwas anderes als um Details und Sachfragen: Er sorgte sich um die Ehre und Würde Russlands. Beide Begriffe tauchen immer wieder in der Korrespondenz des Außenministeriums auf; auch wird von anderen Kongressteilnehmern bezeugt, dass es Gorčakov und offenbar auch seinem Zaren in erster Linie um seine Ehre zu tun war. Während Šuvalov kühl kalkulierte und einer Zweiteilung Bulgariens zustimmte, weil Salisbury ihm dafür Batum und Kars überließ, ging es für Gorčakov immer um grundsätzliche Fragen: Die Befreiung der orthodoxen Christen auf dem Balkan ließ sich für ihn nicht mit einem Strich auf der Landkarte ad acta legen36. Vor den Vorverhandlungen in London hatte Gorčakov Šuvalov ermahnt: »Nach einem blutigen und siegreichen Krieg können wir nicht […] die Würde Russlands vor dem Prestige Englands erniedrigen lassen.«37 Was sich hier zeigt, ist, dass es auf dem Berliner Kongress offensichtlich weniger einen persönlichen Clinch zwischen dem deutschen und dem russischen Kanzler gab, dass auch keine Vorurteile oder Klischees hinsichtlich »des Deutschen« oder »des Russen« existierten, sondern dass es sehr unterschiedliche Politikstile und Kategorien gab, um die Ereignisse und Erfordernisse einzuordnen. Tatsächlich zählten sich alle zur großen europäischen Diplomatenelite; aber während die einen eher pragmatische Sachpolitik betrieben, wollten andere nur das große Ganze sehen und die Vaterlandsehre verteidigen. Innerhalb der Zunft gab es einen Standard, dem Gorčakov nicht mehr ent33 St. Petersburger Zeitung, Beiblatt vom 9./22. Dezember 1922, in: RGIA, fond 560, opis’ 22, delo 163. 34 RGIA, fond 560, opis’ 22, delo 163, P. A. Šuvalov, Notes sur le Congrès de Berlin, Carlsbad 1880, list 6. 35 Je ne m’arrêterai pas aux détails et j’aborderai tout de suite les grandes questions. MAE, CP Russie, Bd. 257, f. 27 v.–28 r. 36 AVPRI, fond 133, opis’ 470, delo 28,1, list 9; MAE, CP Russie, Bd. 257, f. 28 r. 37 Actuellement après une guerre sanglante et victorieuse, nous ne saurions même pour la forme abaisser la dignité de la Russie devant le prestige de l’Angleterre. Osvoboždenie Bolgarii ot tureckogo iga. Dokumenty v 3ch tomach, Moskau 1961–67, Bd. 3. Pis’mo A.M. Gorčakova russkomu poslu v Londone Šuvalovu, 38.

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sprach. Als Zeitgenosse Puschkins und Diplomat der Ära Metternich wirkte Gorčakov in den Augen der anderen als jemand, der vor lauter Repräsentieren den Zweck seines Schauspiels vergessen hatte. Indem er sich eines Zeichensystems bediente beziehungsweise selbst als ein Zeichen gesehen wurde, das die anderen Diplomaten als veraltet empfanden, verursachte er für Russland das Handicap, dass es nur einen ernstzunehmenden Unterhändler, Šuvalov, vorzuweisen hatte.

III. Benjamin Disraeli Lord Beaconsfield – Diplomat neuer Schule Das genaue Gegenteil von Gorčakov war der britische Premier Benjamin Disraeli Lord Beaconsfield (1804–1881)38. Er bildete das Zentrum des Kongresses, so die Kaiserin Augusta, und war everybody’s darling39. Obwohl er nur sechs Jahre jünger als Gorčakov war und ebenfalls am Stock ging, stand Disraeli für einen ganz anderen Typen von Diplomaten: Er war der Außenpolitiker, der das Handwerk der Diplomatie nie gelernt hatte, der sich in Protokollfragen nicht auskannte und eben auch kein Französisch sprach. Disraeli stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie und hatte seine Karriere als Schriftsteller begonnen, bevor er 1832 für die Tories ins Unterhaus einzog und Berufspolitiker wurde40. Auch Bismarck hielt große Stücke auf den Macher und Strategen, mit dem er bis zu dessen Tod 1881 befreundet blieb41. Dass er anders war, demonstrierte Disraeli – wie eingangs erwähnt – bereits auf der ersten Sitzung, indem er sich die Freiheit nahm, Englisch zu sprechen. Disraeli verursachte damit eine kleine Revolution, denn Bismarck ließ ihn gewähren. Damit war der Berliner Kongress zweisprachig geworden, denn Disraeli hielt auch auf den folgenden 19 Sitzungen seine Reden auf Englisch42. Die Verwendung der englischen Sprache war eine Machtdemonstration; sie war ein Protokollverstoß, der aber nicht geahndet wurde und damit einen ersten Punktsieg des diplomatischen Neulings bedeutete. Das Englische schuf neue Grenzen, denn weder Gorčakov noch die osmanischen Delegierten waren des Englischen 38 Memoirals of Lord Beaconsfield, London 1881; William Flavelle Monypenny / George Earle Buckle, The Life of Benjamin Disraeli, Earl of Beaconsfield, 2 Bde., London 1929. 39 Robert William Seton-Watson, Disraeli, Gladstone and the Eastern Question. A Study in Diplomacy and Party Politics, London 1935, 436. 40 Memorials of Lord Beaconsfield, London 1881, 1 ff. 41 Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 26; Letters of Disraeli (Anm. 19), 170, 175. 42 Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 25; Denkwürdigkeiten (Anm. 19), 232.

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mächtig43. Das wurde offenbar, als Gorčakov in seiner anschließenden Rede nicht in der Lage war, auf Disraeli zu antworten44. Disraeli verzieh man seine englischen Reden, weil er ein großes Kommunikationstalent war und es verstand, sich selbst bei den Kongress-Sekretären artig und überschwänglich für ihre Übersetzungen seiner Reden zu bedanken. Das modern und lebendig erscheinende Englisch Disraelis stand in einem krassen Gegensatz zu dem antiquierten Französisch Gorčakovs. Ihre Reden waren zudem in einem ganz anderen Duktus gehalten, denn, wie Radowitz es formulierte, Disraeli sprach »zum Fenster hinaus«45. Disraeli sagte selbst, seine Mission in Berlin sei es nicht, »Diplomatie zu betreiben« (de faire de la diplomatie)46. Adressat seiner Reden war in erster Linie die britische öffentliche Meinung. Auch wenn die Presse von den Sitzungen ausgeschlossen war, beherrschte Disraeli die Sprache der Straße, des einfachen Mannes, wie ein Delegierter berichtete: »Die Nationalisten müssen in ihrer eigenen Sprache beruhigt werden, und er ist der einzige unter uns, der sie fließend spricht.«47 Disraeli bediente sich also im doppelten Sinne einer modernen Sprache, nämlich jener des englischen Populismus, während Gorčakov affektiertes Französisch sprach; der eine verkörperte eine aussterbende Spezies Diplomat, der im Kreis erlauchter Herren Poetisches zum Besten gab, der andere stand für den modernen Politiker, der auch auf einem Marktplatz Reden schwingen konnte. Beide hatten vollkommen unterschiedliche Referenzsysteme und wählten daher auch sehr unterschiedliche Sprachen. In den Personen Gorčakov und Disraeli wird deutlich, wie die Kabinetts- und Hinterzimmerpolitik zu einem öffentlichen Anliegen wurde. Es ist bezeichnend, dass Disraeli eher mit Šuvalov eine Sprache fand, den er als »einen Parlamentsredner erster Klasse, [der] nie Notizen macht und doch in seinen Antworten nie einen Punkt vergisst«48 beschrieb. Es war genau dieser »Parlamentsstil«, den Gorčakov beklagte; Bismarck warf er vor, den

43 MAE, Papiers d’agents, William Henri Waddington, Bd. 4, f. 11 r.; R.W. Seton-Watson, Disraeli, Gladstone and the Eastern Question (Anm. 39), 438; Le rapport secret sur le Congrès de Berlin adressé à la Porte par Carathéodory Pacha, premier plénipotentiaire ottoman, hrsg. v. Bertrand Bareilles, Paris 1919, 66. 44 MAE, MD Turquie 109, f. 25 r. 45 Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 26, 47. 46 Rapport secret (Anm. 43), 104. 47 The Jingoes require to be calmed in their own language, and he is the only one among us who speaks it fluently. Zit. nach R. W. Seton-Watson, Disraeli, Gladstone and the Eastern Question (Anm. 39), 437. 48 […] a first-rate parliamentary debater, [who] never takes a note, and yet in his reply never misses a point […]. Letters of Disreali (Anm. 19), 175.

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Kongress wie ein Parlament zu führen49. Disraeli stand damit auch für die ersten Auflösungserscheinungen des »alten« europäischen Protokolls als gemeinsamer Sprache: Zum einen begann das Englische seinen Siegeszug, zum anderen war es zunehmend weniger entscheidend, im Milieu der Diplomaten sozialisiert zu sein, als sich in der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Während Gorčakov als Verkörperung Russlands ein Desaster darstellte, war Disraeli ein Glücksfall in Sachen public relations für England.

IV. Alexandre Carathéodory Pascha – Diplomat ohne Anerkennung Während Gorčakov und Disraeli sich innerhalb der europäischen Diplomatenfamilie sehr unterschiedlicher Codes bedienten, stellt sich die Frage, warum die osmanischen Delegierten ganz offensichtlich nicht zu diesem erlauchten Kreis zählten, obwohl sie das Protokoll durchaus perfekt beherrschten. Wenn das Protokoll eine lingua franca war, die alle ihre Sprecher zu gleichberechtigten Angehörigen einer Kultur machte, dann ist auffallend, dass das für die Osmanen nicht galt. Gerade Bismarck, der »ehrliche Makler«, sprang mit den Abgesandten Konstantinopels in einer Art um, wie er es sich mit den europäischen Delegierten nie erlaubt hätte. Schon auf der Eröffnungssitzung schnitt er ihnen rüde das Wort ab und weigerte sich konsequent, die von ihnen angeschnittenen Themen behandeln zu lassen50. Wiederholt übte er unverhohlen Druck auf die Kriegsverlierer aus: Wenn das Osmanische Reich den Berliner Vertrag nicht unterschreibe, sei es allein für einen europäischen Krieg verantwortlich, den es zudem nicht überleben würde51. Von den eigentlichen Verhandlungen, den Hinterzimmergesprächen, in denen sich Disraeli und Andrassy mit Šuvalov über die Grenzen Bulgariens, die Abtretung Bessarabiens sowie der Städte Batum und Kars an Russland einigten, blieb der Erste Bevollmächtigte der Pforte, Carathéodory Pascha, ausgeschlossen52. Bei seiner Ankunft in Berlin musste er feststellen, dass die europäischen Mächte sich schon vorher über seinen Kopf hinweg prinzipiell geeinigt hatten53. Carathéodory war überzeugt, jeder Wunsch, an den Grenzen noch etwas zu ändern, wäre ihm als Versuch, das europäische Mächtekonzert zu stören und den Kongress zu be49 50 51 52 53

W. F. Monypenny / G. E. Buckle, Disraeli (Anm. 38), 1200. Rapport secret (Anm. 43), 71, 99. Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 60; Rapport secret (Anm. 43), 76–77. Rapport secret (Anm. 43), 80, 94. Ebd., 79.

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hindern, ausgelegt worden. Tatsächlich ging ihn Bismarck scharf an, als er sich auf der vierten Sitzung am 22. Juni weigerte zuzustimmen, dass Varna und der Sandschak von Sofia an das Fürstentum Bulgarien fallen sollten. Die Zeitungen hätten die osmanischen Delegierten ohnehin als »Störfaktor« auf dem Kongress bezeichnet, so Carathéodory54. Die Kongress-Sekretäre, die großzügig die Änderungswünsche der europäischen Delegierten berücksichtigten und gern die gegen die Osmanen vorgebrachten Reden nachträglich entschärften, ignorierten konsequent entsprechende Bitten Carathéodorys, den sie sehr schroff abfertigten55. Die Behandlung der osmanischen Delegierten war so erniedrigend, dass ihre französischen Kollegen ihnen schließlich rieten, auf weitere Ausführungen zu verzichten und nur noch »nein, wir akzeptieren dies nicht« (non, nous n’admettons pas cela) zu sagen, um sich weitere Wutausbrüche und Unflätigkeiten Bismarcks zu ersparen56. Eine solche Behandlung lässt sich nicht damit erklären, dass die osmanischen Delegierten das Protokoll nicht beherrscht und die Regeln der Diplomatie nicht gekannt hätten. Ganz im Gegenteil war Alexandre Carathéodory Pascha (1833–1906) Phanariot, also einer der Griechen, die traditionell die Diplomaten des Osmanischen Reiches stellten57. Radowitz berichtet: »Carathéodory war aber jedenfalls einer der besten und achtungswertesten hohen Beamten, die der Pforte in unserer Zeit gedient haben. Dazu ein Mann von ungewöhnlicher allgemeiner Bildung und den besten Formen. Er gewann durch seine taktvolle und intelligente Haltung die Sympathie aller Kongressleute, auch die von Bismarck […].«58 Das Problem muss auf einer anderen Ebene gesucht werden. Zunächst war es die Auswahl der Delegierten an sich, die besonders von Bismarck als »geschmacklos« bewertet wurde59. Der Sultan entsandte neben dem türkischen Botschafter in Berlin, Sadullah-Bei, mit dem Griechen Carathéodory und General Mehmed Ali-Pascha zwei Christen. Denn letzterer hieß ursprünglich Detroit, stammte aus Magdeburg und war ein Renegat60. Die westlichen Diplomaten empörten sich, Sultan Abdül Hamid habe absichtlich Christen als Opferlämmer entsandt: Das zu erwartende Debakel sollte kein Muslim verantworten müssen61. Weiter bemängelten sie, der Außenminister Carathéodory, der Günstling Sadulla-Bei und der Soldat Ali-Pascha seien zweite Wahl, weil ohne Einfluss bei 54 55 56 57 58 59 60 61

Ebd., 80. Ebd., 92–94, 98, 165–166. Ebd., 81. Takis Chr.Tsonidis, The Caratheodory Family, Nea Orestias / Thessaloniki 1989. Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 31. AVPRI, fond 133, opis’ 470, delo 29a, list 212. Aufzeichnungen und Erinnerungen (Anm. 1), 31. Ebd.; R.W. Seton-Watson, Disraeli, Gladstone and the Eastern Question (Anm. 39), 444.

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Hofe gewesen62. Die Beobachtung, dass die Auswahl der Delegierten Bismarck in Rage brachte, ist nicht neu. Hier soll aus kulturgeschichtlicher Sicht unterstrichen werden, dass die Delegierten selbst – wie schon Gorčakov – als »Zeichen« gelesen wurden. Während der Sultan die Männer schickte, die sich qua Profession in Diplomatie und Krieg am Besten auskannten, deuteten die europäischen Delegierten dieses Zeichen als Provokation. Das ist erst einmal erstaunlich, denn dass Frankreich mit seinem Außenminister Waddington einen halben Engländer geschickt hatte und Gorčakov während seiner Abwesenheit in Petersburg von dem Baltendeutschen Giers vertreten wurde, empörte niemanden, sondern war Alltag imperialer Großreiche. Es müssen also Interpretationsmuster am Werke gewesen sein, die diese Wahrnehmungsweise vorstrukturierten. Sie wurden geprägt durch das, was Edward Said »Orientalismus-Diskurs« genannt hat und eine lange europäische Tradition bildet, die den Orient als »das Andere« und »Fremde« definiert, als unterlegen, unzivilisiert, barbarisch und mörderisch, aber auch geheimnisvoll, verlockend, inspirierend und märchenhaft63. Es war genau dieses historisch-kulturelle Konstrukt, das 1876 in Folge der blutigen Niederschlagung der bulgarischen Aufstände aufgefrischt worden war und den Zaren dazu berechtigte, auf dem Balkan einzufallen. Der amerikanische Kriegsberichterstatter Janarius MacGahan (1844–1878) hatte im August 1876 in allen großen europäischen Zeitungen gewarnt: »Zivilisation ist bei den Türken eine Täuschung, Gesetzlichkeit ein Hohn, Christentum eine Farce und ein Fehler.«64 Er war durch Bulgarien gereist und berichtete in drastischen Bildern von den Leichenbergen, geschändeten Frauen, geköpften Toten und verbrannten Kindern: »Türkische Mordgier hat ihre Orgien gefeiert […].«65 Auf seine Anklage hin, »die bequemen alten Herren, welche die Schicksale Europas lenken, sind zu wohlgenährt, um sich um diese elenden Frauen und Kinder zu kümmern, die vor Hunger umkommen«66, hatte es in der gebildeten europäischen Welt einen Aufschrei gegeben. Giuseppe Garibaldi, Victor Hugo, Ivan Turgenev, Fedor Dostoevskij, Charles Darwin, Oscar Wilde und Eleonora Marx so wie viele andere forderten öffentlich, Europa müsse eingreifen und die Türken stop62 Bertrand Bareilles, La diplomatie turco-phanariote, in: Le rapport secret (Anm. 43), 5–40, 6. 63 Edward W. Said, Orientalism, New York, 1978. 64 Janarius Avenarius MacGahan, Die türkischen Gräuel in Bulgarien. Briefe von J.A. Macgahan. Mit einem Vorwort sowie dem Bericht des amerikanischen Generalconsuls Schuyler, Stettin 1876, 38. 65 Ebd., 54. 66 Ebd., 60.

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pen67. Allein in Großbritannien gab es an die 500 Demonstrationen und Meetings, die Resolutionen gegen die türkischen Gräuel verabschiedeten. Der britische Politiker William Gladstone (1809–1898), alarmiert durch MacGahans Berichte, absolvierte eine regelrechte Tournee durchs Land, auf der er seine Zuhörer aufrüttelte und Russland das moralische Recht zusprach, auf dem Balkan einzugreifen, um dem Christenmord ein Ende zu bereiten. Während sich die anderen europäischen Mächte im Krimkrieg (1853–1856) von der Pforte hätten blenden lassen, habe einzig Russland damals schon verstanden, welche Gefahr von den Türken ausginge: »Ich sage, die Zeit ist gekommen, uns Russland anzuschließen, seinen guten Taten zu folgen und unsere Vorbehalte bis zu dem Moment zurückzustellen, an dem deutlich wird, dass es eindeutig schlechte Absichten verfolgt.«68 Es ist bezeichnend, dass auf dem Grabstein MacGahans Liberator of Bulgaria steht69. Das »Verdienst«, dass Russland in den Krieg zog, um Bulgarien vom Joch der Türken zu befreien, wird ihm zugesprochen. Unter Historikern ist bis heute umstritten, welche Faktoren es tatsächlich waren, die den Zaren dazu veranlassten, im April 1877 den Marschbefehl zu geben: Waren es die Panslawisten mit ihrem Traum vom slawischen Großreich, die ihn trieben, oder folgte er der traditionellen Außenpolitik, die Konstantinopel zum Ruhm und die Meerengen als »Schlüssel zum eigenen Hause« begehrte70, oder war es eine allgemeine Stimmung, wie sie auch in westlichen Hauptstädten herrschte, dass etwas zur Rettung der Christen vor den Türken getan werden müsste71? Eindeutig ist, dass die Berichte MacGahans auch in Russland gedruckt wurden und dass der russische Sonderermittler, Fürst Aleksej Ceretelev, nicht nur mit dem amerikanischen und britischen Ermittler, sondern auch mit MacGahan zusammenarbeitete, der dem Amerikaner als Sekretär diente. So reiste eine »europäische Kommission« durch Bulgarien, die türkischen Gräuel zu erforschen, und spätestens über Ceretelev bekam auch der 67 Iono Mitev, Macgahan and the April 1876 Uprising, in: Southeastern Europe 4 (1977), 262–277, 273; Roy E. Heath, J. A. MacGahan and His Role in the Liberation of Bulgaria, in: Southeastern Europe 6 (1979), 194–208, 200. 68 I say the time has come for us to emulate Russia by sharing in her good deeds, and to reserve our opposition until she shall visibly endeavour to turn them to evil account. W. E. Gladstone, Bulgarian horrors and the question of the East, London 1876, 58. 69 R. E. Heath, MacGahan (Anm. 67), 194. 70 Siehe dazu den Meinungsstreit zwischen Geyer und Schramm: Dietrich Geyer, Der russische Imperialismus. Studien über den Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860–1914, Göttingen 1977, 43–71; Gottfried Schramm, Das Zarenreich: ein Beispiel für Imperialismus. Folgerungen aus einem Buch von Dietrich Geyer, in: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), 297–310. 71 Siehe dazu AVPRI, fond 138, opis’ 463, delo 29, list 27.

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Zar die Berichte MacGahans zu lesen72. Ganz gleich, was letztlich den Zaren zum Waffengang bewog, er hatte ein virtuelles moralisches Mandat des westlichen Europa, das MacGahans Berichte verschlang und Genugtuung forderte. Dies ist der Kontext, in dem jedes von der Pforte ausgesandte Zeichen negativ ausgelegt werden musste: Erst hatten die Türken die Christen massakriert, nun schickten sie weitere als Opferlämmer. Ihre Herrschaft würde immer auf Gewalt, nie auf Recht gegründet sein. Das vermittelte Bismarck Carathéodory sehr deutlich, der nüchtern bilanzierte: »Herr von Bismarck macht sich gar nicht erst die Mühe, den Dingen auf den Grund zu gehen: Er glaubt ohnehin nicht an die Zukunft des Osmanischen Reiches. Er glaubt auch nicht mehr an die Ernsthaftigkeit oder die Wirksamkeit unserer Reformen. Er empfindet nicht die geringste Sympathie für die unterschiedlichen Völker des Orients.«73 Weiter wird verständlich, warum der Vorbild-Diplomat Carathéodory nicht als ebenbürtig akzeptiert wurde: Gladstone hatte Männer wie ihn zu »Monstern« erklärt. Er war eine Abweichung, die die Regel bestätigte, eine Laune der Natur, ein Mann mit »echten bürgerlichen Tugenden […] in einer Macht, welche für Jahrhunderte der Terror der Welt war.«74 Auch wenn der Kongress zusammentrat, um die Landnahmen Russlands zu beschneiden und sich die russischen Delegierten isoliert fühlten, bestand doch der Grundkonsens, dass »die Türken« in Europa nichts mehr zu sagen haben dürften. So wird deutlich, dass tiefer liegende kulturelle Muster, die Wahrnehmung des Orients als blutrünstigem Monster, das Christentum, Rechtsordnung und Zivilisation gleichermaßen bedrohte, die angeblich nivellierende Kraft der Protokollsprache aushebelte. Die Beherrschung des diplomatischen comme-il-faut brachte den osmanischen Delegierten weder Erwartungssicherheit noch eine respektvolle Behandlung ein. Der Orientalismus-Diskurs sorgte dafür, dass die osmanischen Delegierten aus der europäischen Diplomatenfamilie ausgeschlossen blieben. Šuvalov beschrieb ihre Art des Verhandelns als »heuchlerisch und verschlagen« (cafard et tortueux)75; Bismarck sagte Carathéodory ins Gesicht: »Genau gesagt haben Sie keine Leitprinzipien in Ihrer Diplomatie. Sie lassen sich vom Instinkt leiten, je nach Situation.«76 Der Westen hatte also Prinzipien und ratio, 72 I. Mitev, MacGahan (Anm. 67), 265–66. 73 M. de Bismarck, sans vouloir examiner des choses, ne croit pas à l’avenir de l’Empire ottoman. Il ne croit pas davantage à la sincérité ou à l’efficacité de nos réformes. Il n’a aucune sympathie pour les diverses races de l’Orient. Rapport secret (Anm. 43), 68. 74 […] true civic virtues […] in a Power which was for centuries the terror of the world. W. E. Gladstone, Bulgarian horrors (Anm. 68), 14. 75 AVPRI, fond 133, opis’ 470, delo 29a, list 202. 76 A proprement parler vous n’avez pas de principes dirigeant dans votre diplomatie. Vous vous laissez guider par l’instinct, selon les occasions. Rapport secret (Anm. 43), 70.

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der Orient Instinkt und Emotionen. So ließ sich rechtfertigen, die osmanischen Delegierten in ihren Entscheidungen zu bevormunden beziehungsweise unter Druck zu setzen77. Die klare Unterteilung in zivilisiertes, christliches Europa auf der einen und mordendes, brandschatzendes Türkenreich auf der anderen Seite sorgte schließlich dafür, dass die Gräueltaten, welche die russische Armee ihrerseits beim Vorrücken auf dem Balkan an der türkischen Bevölkerung beging, auf dem Kongress keine Erwähnung fanden. Der britische Botschafter schrieb aus Konstantinopel an Salisbury über die »Schrecken, die von Russen und Bulgaren begangen worden sind: Dies könnte als Entschlossenheit ihrerseits erscheinen, die muslimische Bevölkerung auszurotten.«78

V. Schlussfolgerungen Der Berliner Kongress zelebrierte – wohl zum letzten Mal – die Monokultur und Hegemonie des europäischen Protokolls, auch wenn sich mit Disraeli eine erste Ausdifferenzierung deutlich bemerkbar machte und das l’art pour l’art des Gorčakov abgelehnt wurde. Es ist festzuhalten, dass es im 19. Jahrhundert eine einheitliche diplomatische Sprache gab, die alle europäischen Unterhändler zu einer großen Familie mit denselben Sitten und Sackos machte. Zum einen gab es jedoch innerhalb dieser »Sprachfamilie« teilweise beträchtliche Divergenzen was Stil, Mittel und Zweck der Diplomatie anbelangte. Zum anderen war das Protokoll eine europäische Erfindung, die nur vermeintlich alle Sprecher dieser Sprache zu Gleichen werden ließ. Tatsächlich waren die mit ihr verbundenen Vorzüge und Privilegien einzig der westlich-christlichen Welt vorbehalten. Es wurde zwar toleriert und erwartet, dass sich der osmanische Bevollmächtigte an den Diplomatencode hielt; dennoch wurde er nicht als Diplomat, sondern als Abgesandter der Türken wahrgenommen, der heuchelte und sich wand. Gorčakov wurde verlacht, weil er das diplomatische Zeremoniell als eitle Pose zelebrierte, Carathéodory wurde geringschätzig behandelt, weil er Osmane war. Der eine konnte seine nationalen Attribute ablegen und Mitglied der Familie der Diplomaten werden; dem anderen blieb dieser Weg versperrt. Er war und blieb ein Werkzeug der Türken. Von der Kommu77 Siehe auch AVPRI, fond 133, opis’ 470, delo 28,2, list 563, 613, 616. 78 […] horrors committed by Russians and Bulgarians: This would appear to be a determination on their part to exterminate the musulman population. AVPRI, fond 133, opis’ 470, delo 29a: Copy from telegram from Sir H. Layard, Constantinople July 8th, list 274. Zur Behandlung und Vertreibung von Muslimen aus den Balkanrepubliken nach dem Berliner Kongreß siehe auch Kemal H. Karpat, Foundations of Nationalism in South East Europe, in: Der Berliner Kongreß von 1878 (Anm. 8), 385–410, 406.

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nikation zwischen zwei Kulturen kann hier also kaum die Rede sein, wohl aber davon, dass auf Grundlage des Orientalismus-Diskurses Kultur zugeschrieben wurde: den Türken Hinterhältigkeit, Prinzipienlosigkeit und Gewalttätigkeit, den Christen Rechtschaffenheit, Gesetzestreue und Friedfertigkeit. Nationale Klischees und religiöse Vorurteile überlagerten also das nur scheinbar neutralisierende Protokoll. Die osmanischen Delegierten konnten das gleiche Lächeln lächeln, das gleiche Französisch parlieren und die gleichen Anzüge tragen, sie waren und blieben Handlanger des »Monsters«. Während Gorčakov, auf dem Kongress isoliert blieb und damit die russischen Chancen auf Verhandlungserfolge sanken, musste Carthéodory zur Kenntnis nehmen, dass er anders als Gorčakov nicht einmal theoretisch die Chance hatte, als gleichberechtigter Verhandlungspartner behandelt zu werden. »Diplomatie« stand ihm als Repräsentant der mystérieuse Turquie79 nicht zu. Diplomatie war ein elitäres Spiel, bei dem die europäischen Großmächte nicht nur die Regeln, sondern auch die Mitspieler bestimmten.

79 B. Bareilles, La diplomatie (Anm. 62), 8.

Das »Westfälische System«: Realität und Mythos Von Heinz Duchhardt

Die deutschen historischen Fachlexika kennen den Begriff des »Westfälischen Systems« nicht, selbst ein deutsch-amerikanisches Gemeinschaftsunternehmen, ein Speziallexikon zum Westfälischen Frieden1, wirft das Lemma nicht aus. Bei den deutschen politikwissenschaftlichen Lexika ist der Befund kein anderer. Es bedarf kaum noch eines Wortes, dass vor diesem Hintergrund auch ein Blick in zeitgenössische, also vormoderne Lexika, etwa Zedlers UniversalLexicon, zu keinem Ergebnis führt. Soll sich dieser Beitrag also mit einem Phantom beschäftigen? Die Frage so stellen heißt zunächst, sie verneinen. Die angloamerikanischen Sozialwissenschaften – insbesondere die Politikwissenschaft, weniger die Geschichtswissenschaft – haben über einen langen Zeitraum hinweg den Begriff des »Westphalian System« oder auch der »Westphalian Era« geliebt und meist ziemlich unreflektiert als eine feststehende Tatsache, als einen nicht weiter zu hinterfragenden Terminus weitertradiert. Genannt und zitiert sei hier nur beispielshalber der Eintrag im Oxford Dictionary of Politics, wo als Charakteristikum des »Westphalian System« – term used in international relations, supposedly [!] arising from the Treaties of Westphalia which ended the Thirty Years War  – ein Staatensystem bezeichnet wird, dessen Glieder die volle Souveränität nach innen und nach außen besitzen, über formalisierte Beziehungen nach außen verfügen und diese nach dem Völkerrecht gestalten und auf die Innenpolitik dritter Staaten keinen Einfluss nehmen dürfen2. Erst in jüngster Zeit gibt es auch aus dem amerikanischen Lager eher kritisch-distanzierte Stimmen, von 1 Derek Croxton / Anuschka Tischer, The Peace of Westphalia. A Historical Dictionary, Westport / London 2002. 2 Westphalian state system: Term used in international relations, supposedly arising from the Treaties of Westphalia 1648 which ended the Thirty Years War. It is generally held to mean a system of states or international society comprising sovereign state entities possessing the monopoly of force within their mutually recognized territories. Relations between states are conducted by means of formal diplomatic ties between heads of state and governments, and international law consists of treaties made (and broken) by those sovereign entities. The term implies a separation of the domestic and international spheres, such that states may not legitimately intervene in the domestic affairs of another, whether in the pursuit of self-interest or by appeal to a higher notion of sovereignty, be it religion, ideology, or other supranational ideal. In this sense the term differentiates the ›modern‹ state system from earlier models, such as the Holy Roman Empire or the Ottoman Empire. Richard Coggins, Westphalian state system, in: The Concise Oxford Dictionary of Politics, hrsg. v. Iain McLean / Alistair Mc-

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denen hier nur die Paul W. Schroeders zitiert sei, der es für abwegig erklärt, eine solche, wie er es formuliert, neo-realist theory als Erklärungsparadigma für den gesamten Zeitraum von 1648 bis 1945 zu nutzen3. Denn das war und ist das Entscheidende: Der Begriff ist niemals nur auf einen begrenzten Zeitraum, eine Zeitspanne mittlerer Reichweite, etwa die vom Friedensschluss von 1648 bis zur Französischen Revolution, appliziert worden, sondern immer auf einen Zeitraum der wirklichen longue durée, der bis an die Schwelle der Gegenwart reicht. Die Konnotationen der Metapher waren über einen langen Zeitraum hinweg klar: Der renommierte amerikanische Völkerrechtler Leo Gross, ein Gelehrter, der in einer emotionalen Nähe zu Alteuropa aufgewachsen war, hatte es in einem inzwischen klassischen Aufsatz im Gedenkjahr 1948, der bereits auf die Erfahrung der Vereinten Nationen rekurrieren konnte, so auf den Punkt zu bringen gesucht, dass der Westfälische Friede ushers in the era of sovereign absolutist states which recognized no superior authority4. Der Tenor blieb sich wenigstens bis in die 1990er Jahre gleich: The conference of Westphalia helped to establish a European system of Sovereign States5. Angloamerikanische Untersuchungen just aus eben diesen 1990er Jahren, die angesichts der wachsenden Bedeutung von NGO’s und Wirtschaftsimperien, zudem auch von überstaatlichen und interstaatlichen Organisationen das Ende der zentralen Rolle des souveränen Staates in der internationalen Politik kommen sehen, schmücken diese Prognose dann eben noch einmal mit der Metapher »Westphalia«, um das Ende dieser langen Phase internationaler Beziehungen zu fixieren – ein von den beiden Amerikanern Gene M. Lyons und Michael Mastanduno herausgegebener Sammelband trägt den knappen Titel Beyond Westphalia?6. Und da man seine Aufgeschlossenheit gegenüber den neuen Medien im Hochschul- und Wissenschaftleralltag ja immer wieder unter Beweis zu stellen hat, sei nicht unterschlagen, dass selbstredend auch über Google ein in earthlink.net eingespeister Artikel über The Westphalian System of States zu finden ist7.

3 4 5 6 7

Millan, Oxford 2003, hier zit. nach: http://www.oxfordreference.com/views/ENTRY. html?subview=Main&entry=t86.e1467 (20. Februar 2008). Paul W. Schroeder, Historical Reality vs. Neo-realist Theory, in: International Security 19 (1994), 108–148. Leo Gross, The Peace of Westphalia, 1648–1948, in: The American Journal of International Law 42 (1948), 20–41, 19. Michael Ross Fowler / Julie Marie Bunck, Law, Power, and the Sovereign State. The Evolution and Application of the Concept of Sovereignty, University Park, PA. 1995, 65. Gene M. Lyons / Michael Mastanduno (Hrsg.), Beyond Westphalia? State Sovereignty and International Intervention, Baltimore 1995. http://home.earthlink.net/~tebrister/westphalia.htm (4. Februar 2008).

Das »Westfälische System«: Realität und Mythos

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Es scheint keinem Zweifel zu unterliegen, dass dieser – wenn man so will: neue – Mythos »Westfälischer Friede« mit dem alten in einem Zusammenhang steht. Der Westfälische Friede ist schon von den Zeitgenossen zu dem politisch-völkerrechtlichen Ereignis ihres Erinnerungsraums schlechthin stilisiert worden, das nicht nur einen säkularen, erstmals mehr oder weniger fast den gesamten Kontinent erfassenden Krieg beendet habe, sondern das auch so viel Innovatives beinhaltet habe, dass man es schnell und schlicht zur Mutter aller Friedensordnungen erhob. Das war arg gewagt, denn bekanntlich schuf der Westfälische Friede lediglich für die Mitte Europas so etwas wie eine – zugegebenermaßen tragfähige und stabile – Friedensordnung, während alle anderen Konfliktzonen, ob man an die spanisch-französische, die polnischrussisch-schwedische oder auch die italienische denkt, bestehen blieben und in der Folgezeit noch mehr als einmal Turbulenzen mit Rückwirkungen auf den übrigen Kontinent hervorriefen. Vom zeitweise wohl von Richelieu ventilierten Gedanken der Errichtung eines den Status quo zementierenden gesamteuropäischen Sicherheitssystems hatte man bei den Verhandlungen in Münster deswegen auch rasch wieder Abstand nehmen müssen, weil in einer Phase beschleunigter Bewegung in der Staatenwelt mit vielen potentiellen Aufsteigern vorderhand niemand daran dachte, territoriale und politische Optionen auf dem Altar von Gewaltverzicht und Anerkennung der bestehenden Grenzen zu opfern. Gleichwohl hatten diese materiellen Defizite die Geburt des Mythos nicht verhindern können, der sich unter anderem darin niederschlug, dass in nahezu allen bi- oder multilateralen Friedensverträgen der vorrevolutionären Folgezeit explizit und an prominenter Stelle auf den Westfälischen Frieden rekurriert wurde, dieser also tatsächlich, um die Metapher zu wiederholen, zur Mutter des modernen Vertragsvölkerrechts erhoben wurde. Worin diese Hochschätzung im einzelnen gründete, ist präzise schwer zu fassen; es war wohl, wie es Johann Stephan Pütter vor dem Hintergrund der Französischen Revolution formulierte, der »Geist« des Westfälischen Friedens, der für diese nicht mehr zu übertreffende Hochschätzung verantwortlich war: die Tatsache, dass es überhaupt gelungen war, den blutigsten und ausgedehntesten Konflikt, den Menschen bis dahin erlebt hatten, beizulegen; die Tatsache, dass dies ungeachtet aller konfessionellen Gräben gelungen war, die bis dahin einer rationalen Politik entgegengestanden hatten; die Tatsache, dass in der Vertragssprache und bei der Formalisierung des Friedens neue Wege beschritten wurden, die sich als langlebig und dauerhaft erwiesen; die Erkenntnis, dass in Münster und Osnabrück die Professionalisierung des Frieden-Machens einen deutlichen Schritt nach vorn tat; die Tatsache nicht zuletzt, dass in Bezug auf die Verhandlungen (Schriftlichkeit, Verzicht auf problematische Plenarkonferenzen, Zutrittsberechtigung für alle, auch nicht mit Souveränität ausge-

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stattete Gruppen und Verbände, die ein Anliegen hatten) Wegmarken gesetzt wurden, die zukunftsträchtig waren – all dies hatte seinen Anteil an jenem Mythos »Westfälischer Friede«, der zu den Grundkonstanten von vorrevolutionärer Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung zählte. Der »alte« Mythos »Westfälischer Friede« schlug sich nicht nur, wie bereits erwähnt, im ständigen Rekurs auf den Friedensschluss von 1648 in völkerrechtlichen Dokumenten nieder, nicht nur in den zahlreichen, dem Ereignis bald folgenden Dankfesten vor allem im protestantischen Teil des Reiches, sondern auch in der Ausbildung langfristiger lokaler Erinnerungskulturen, etwa in Städten wie Augsburg, die entscheidend von ihm profitiert hatten. Er schlug sich weiter in groß angelegten vormodernen Quellensammlungen nieder, in kaum zu überblickenden Spezialstudien zu einzelnen Artikeln und damit auch in den Curricula der Juristen sowie der entstehenden Geschichtswissenschaft und dann eben auch in fast schon nostalgischen Gesamtwürdigungen wie der genannten des Göttinger Reichspublizisten Johann Stephan Pütter aus dem Jahr 17958. Dieser »alte« Mythos war freilich, zumindest was Deutschland betrifft, mit dem Ende des Reiches und den Versuchen, eine neue staatliche Ordnung an seine Stelle zu setzen, wieder abgebrochen. Er war nicht lautlos verschwunden, und es hatte bis 1815 auch immer wieder Versuche gegeben, in politischer Hinsicht an ihn anzuknüpfen, aber ein neuer Wind blies dem alten Mythos dann doch so vehement ins Gesicht, dass sein Überleben ausgeschlossen war. Es war zunächst die von dem neuen Ideal des geschlossenen Nationalstaats provozierte Sicht, dass der Westfälische Friede durch seine Festschreibung des Dualismus Kaiser-Territorialstaaten den Weg zum Nationalstaat verbaut und Deutschland dadurch gegenüber seinen Konkurrenten und Nachbarn einen verhängnisvollen Nachteil eingebracht habe, die für diese zusehends negative Deutung des Westfälischen Friedens verantwortlich war. Hinzu kam die aus der Situation der napoleonischen Zeit und eines mit ihr in Zusammenhang stehenden ausgeprägten und verbreiteten frankophoben Denkens erklärbare Einschätzung, Deutschland habe sich damals willenlos einem Diktat der Garantiemächte unterworfen, von denen die eine – Frankreich – seitdem eine verhängnisvolle Fremdsteuerung des Reiches ausgeübt habe. Friedrich Rühs, der erste Historiker an der 1810 gegründeten Berliner Universität, war neben Publizisten wie Arndt oder Görres einer der prominenten Protagonisten ei-

8 Vgl. insgesamt auch: Bibliographie zum Westfälischen Frieden, hrsg. von Heinz Duchhardt, bearb. von Eva Ortlieb / Matthias Schnettger, Münster 1996. Der genannte Titel von Pütter dort Nr. 481.

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ner solchen Weltsicht9. An solche Verdikte konnte dann die borussische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts nachgerade mühelos anknüpfen, um den Westfälischen Frieden als einen Tiefpunkt der nationalen Geschichte zu stilisieren, von dem aus kein Weg in die Zukunft geführt habe, der vielmehr die Zukunft verbaut habe. Noch Karl Lamprecht, sicher ein des Borussismus nicht verdächtiger Historiker, kam im fünften Band seiner »Deutschen Geschichte« 1895 um die Bewertung nicht herum: »So, in einer nicht mißzuverstehenden Zerrüttung aller einigenden Elemente ihres Staatenlebens, ging die Nation einer zweifelhaften Zukunft entgegen, in der ihre Rettung nur noch aus der kräftigen Entwicklung der Einzelstaaten werden konnte«10. Die Negativierung des Westfälischen Friedens, also der pejorativ aufgeladene Mythos, hielt sich dann über die verschiedenen politischen Systeme, die Deutschland im 20. Jahrhundert erlebte, bemerkenswert lange, bis im Gefolge von Fritz Dickmanns magistraler Gesamtdarstellung11, dem Anlaufen des Editionsvorhabens der Acta Pacis Westphalicae und überhaupt einem Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft der 1960er Jahre, der einerseits auf eine Neubewertung des Alten Reiches und andererseits auf die mehr oder weniger radikale Abkehr von machtstaatlichen Fragestellungen bei gleichzeitiger Verlagerung des Forschungsinteresses auf Rechts- und Friedensordnungen zielte, zurückzuführen ist. Wir haben es also, pointiert ausgedrückt, mit einem doppelt gebrochenen Mythos zu tun, dem allerdings in der Gegenwart keinerlei mythische Züge mehr eignen. Um es zu wiederholen: Es scheint keinem Zweifel zu unterliegen, dass es zwischen dem »alten«, vorrevolutionären Mythos des Westfälischen Friedens und seiner modernen Neuauflage Zusammenhänge gibt, aber die Frage, wie sie im einzelnen zu fassen sind, ist außerordentlich schwierig zu beantworten. Es könnte sein, dass Wissenschaftler mit einem Emigrationshintergrund an der Wiege der Metapher vom »Westphalian System« stehen, also Gelehrte, die eine europäische Erfahrung mitbrachten; das zitierte Beispiel Leo Gross könnte in diese Richtung weisen. Aber es kommt dann sicher die spezifische amerikanische Erfahrung hinzu: Offenbar neigen amerikanische Sozialwissenschaftler und in der Kategorie der longue durée denkende Rechtshistori9 Vgl. Heinz Duchhardt, La Paix de Westphalie. De l’événement européen au lieu européen de mémoire?, Stuttgart 1999; ders., Friedrich Rühs (1779–1820) und die deutschfranzösischen Beziehungen, in: Nation und Europa. Festschrift Peter Krüger, Stuttgart 2001, 61–66; Michael Rohrschneider, Der Historiker Christian Friedrich Rühs und die Franzosen. Eine Studie zum deutschen Frankreichbild im frühen 19. Jahrhundert, in: Francia 33/2 (2006), 129–145. 10 Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte, Bd. 5/2, Berlin 1895, 767. 11 Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, Münster 1959 (5. Aufl. 1985).

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ker stärker als Historiker dazu, großformatige Modelle, nicht nur solche einer mittleren Reichweite, zu entwickeln, mit denen differenzierte Entwicklungen nach ihren Kernaussagen systematisiert werden. Vielleicht ist das für die Absolventen amerikanischer Universitäten auch hilfreich, sozusagen in Blöcken denken und sehr schablonenartig Epochen voneinander scheiden zu lernen. Wenn man die Kriterien der amerikanischen Protagonisten des Begriffs näher anschaut, schälen sich drei Grundgedanken heraus: Erstens habe sich mit 1648 der Gedanke durchgesetzt, dass nur noch der souveräne Staat das politische Leben – ergänzt werden muss selbstredend: Alteuropas – bestimme. Ich habe dazu an anderer Stelle12 bereits einiges angemerkt, etwa, dass es für den Historiker problematisch ist, Staatswerdungsprozesse auf einen Punkt zu fokussieren, umso mehr, als Gemeinwesen ihrer »Souveränität« auch wieder verlustig gehen konnten, dass mit dem Schlüsselwort »Souveränität« weder die Physiognomie des Heiligen Römischen Reiches noch die des Deutschen Bundes adäquat erfasst werden kann, dass sich auch bei der Eidgenossenschaft diesbezüglich Schwierigkeiten auftun. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass nach 1648 intermediäre Kräfte oder personale Gruppierungen in der Tat als vollgültige politische Partner weitgehend von der Bildfläche – zumindest der der großen Friedensschlüsse – verschwanden. Freilich muss man das dann auch gleich wieder etwas relativieren: NGO’s – um es in der Sprache unserer Zeit zu formulieren – in Gestalt etwa von Handelskompanien spielten auf den Friedenskongressen und bei den großen Friedensverträgen der Folgezeit nach wie vor eine kaum zu überschätzende Rolle, der (realiter, also als politische Größe) kaum noch existente Hanseverbund ließ sich in den Friedensschlüssen des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts immer wieder einmal seine Rechte bestätigen13, eine Gruppierung wie das Corpus Evangelicorum, die der Westfälische Friede so explizit nicht vorgesehen hatte, fand bei den internationalen Verhandlungen immer wieder Gehör. Die Annahme, der souveräne Staat habe im zwischenstaatlichen Bereich fortan allein die Szene beherrscht, ist also erheblich zu modifizieren. Der zweite Grundgedanke, der von völkerrechtsgeschichtlicher und sozialwissenschaftlicher Seite als Ingrediens des »Westphalian System« angesprochen wird, ist jener der Parität der Staaten; auch der genannte Internet-Artikel rekurriert an prominenter Stelle mit den Bemerkungen States recognized each 12 Heinz Duchhardt, ›Westphalian System‹. Zur Problematik einer Denkfigur, in: Historische Zeitschrift 269 (1999), 305–315, 308 ff. 13 Vgl. u. a. Heinz Duchhardt, ›System‹ im ›System‹? Die ›späte‹ Hanse und die internationale Politik, in: Konzeptionelle Ansätze der Hanse-Historiographie, hrsg. v. Eckhard Müller-Mertens / Heidelore Böcker, Trier 2003, 61–68.

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other’s independence in theory und It legitimized a patchwork quilt of independences in Europe zwar nicht auf den Begriff, aber doch immerhin auf die Sache, die gemeint ist. In der Tat war es ja eine der großen Leistungen der Verantwortlichen in den Hauptstädten der Kongressbeteiligten und vor Ort, also in Münster und Osnabrück, vor dem Hintergrund der erheblichen Gräben, die bisher in konfessioneller Hinsicht und im Weltbild bestanden hatten, der Praxis zum Durchbruch zu verhelfen, dass im Prinzip auf gleichem Fuß miteinander verhandelt wurde. Damit wurden Diskriminierungen konfessioneller Art und solche, die in der unterschiedlichen Größe des Staatsgebiets und des ökonomischen, demographischen und militärischen Potentials oder auch in der christlichen Anciennität oder dem dynastischen Prestige gründeten, eliminiert. In Münster und Osnabrück verhandelten – im Prinzip auf gleichem Fuß, das heißt unter Respektierung des jeweils anderen in seiner spezifischen Eigenart – starke und schwache Staaten miteinander, katholische und neugläubige, monarchische und republikanisch-oligarchische, solche mit überdimensionierten Heeren und solche mit bloßen Landaufgeboten, Status-quoStaaten und Veränderungsstaaten. Unterscheidungsmerkmal war nicht mehr die Staatlichkeit an sich, sondern allenfalls das Zeremoniell, das dann in einer Zeit grundsätzlicher Parität zum neuen Signum von Abstufungen (und gelegentlich auch zum Auslöser neuer Konflikte) wurde, ohne aber den ParitätsGrundsatz prinzipiell in Frage zu stellen. Das schloss zwar nicht aus, dass sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts eine Gruppe von Staaten herausbildete, für die die Forschung den Begriff der »Pentarchie« gefunden hat, die sich gleicher als die anderen fühlten und eine (informelle oder faktische) Aufsichts- und Kontrollfunktion über die Kleineren beanspruchten, aber grundsätzlich waren seit dem Westfälischen Frieden eben auch Verträge zwischen der winzigen Republik Lucca und der Krone Frankreich oder dem Hochstift Worms mit Großbritannien möglich. Auch wenn die Gleichberechtigung der Staaten in förmlicher Weise erst auf dem Wiener beziehungsweise dem Aachener Kongress 1815/18 festgeschrieben werden sollte, war sie seit der Mitte des 17.  Jahrhunderts unumstrittenes Prinzip, dem im Übrigen das sich formierende Völkerrecht entscheidend vorgearbeitet hatte. In diesen beiden Hinsichten hat der Westfälische Friede sicher, bei allen Einschränkungen, einige neue Pflöcke eingeschlagen und ist insofern mehr als ein Mythos gewesen. Ob er dagegen wirklich, wie es der genannte InternetArtikel behauptet, die emergence of the European states system herbeigeführt habe, ob er, wie es dort weiter heißt, a ›stalemate‹ among the powers of Europe repräsentiere, das mag dann doch mit diesem und jenem Fragezeichen versehen werden, vor allem wenn man mit dem Verfasser des Artikels glaubt, dass 1989, das Ende des Kalten Krieges, die letzte Etappe dieses settlement gewesen sei.

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Nein, Bündnissysteme mit dem Ziel der Erhaltung eines kontinentalen oder doch regionalen Ordnungszustands reichen viel weiter zurück, sicher bis zum Frieden von Lodi 1454 und dem dort installierten italienischen Ordnungsund Sicherheitssystem, und der Westfälische Friede hat eben überhaupt kein »System« geschaffen, sondern allenfalls dessen mögliche Träger definiert. Man wird – trotz einer Kontroverse in den 1990er Jahren, die sich an dieser Frage entzündete und in der Konrad Repgen14 einen wesentlichen Part spielte – insbesondere nicht davon sprechen können, die Diplomaten von 1645/48 hätten ein Gleichgewichtssystem aus der Taufe gehoben. Ganz unbestritten ist, dass den politischen Führungsfiguren der damaligen Zeit die Denkfigur der Balance wohl vertraut war und dass die Denkfigur in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden ihren Siegeszug durch die politische Publizistik und durch die Hörsäle der europäischen Universitäten angetreten hat und dass der Gleichgewichtsgedanke »zum Leitkonzept der europäischen Politik« bis zur Gegenwart geworden ist15. Aber es ist gleichzeitig zu bedenken, dass Gleichgewichtsvorstellungen und -metaphern viel älter sind und dass es 1648 nach mehreren Jahren zäher Verhandlungen längst nicht mehr darum ging, ein »System« von wenigstens mittlerer Reichweite zu installieren; die praktische Politik der folgenden Jahre sollte zeigen, dass etwas Systemisches noch außerhalb der Vorstellungswelt der verantwortlichen Politiker lag. Zu einer ins Ideologische gesteigerten Figur und einer Handlungsmaxime europäischer Politik wurde die Metapher des Gleichgewichts frühestens in den 1690er Jahren16. Der Befund ist also ernüchternd genug. Von den drei mit 1648 in Verbindung gebrachten Faktoren – staatliche Souveränität, Parität der Staaten, Gleichgewicht der Kräfte als System – lässt sich stricto sensu keiner direkt auf die westfälischen Friedensverträge zurückführen, allenfalls indirekt jener der Parität der nach innen und außen souveränen Staaten. Nur wenn man die Metapher vom »Westphalian System« auf diese einzige Tatsache reduziert, dass es die nach innen und außen souveränen Staaten sind, die das öffentliche Leben in Europa – und dann auch in anderen Teilen der Welt, denn dies ist in der Tat ein wichtiger Exportartikel Europas gewesen – bestimmen, macht es Sinn, davon zu sprechen. Aber konstruierte man hier nicht einen viele Erwartungen 14 Konrad Repgen, Der Westfälische Friede und die Ursprünge des europäischen Gleichgewichts, in: ders., Von der Reformation zur Gegenwart. Beiträge zu Grundfragen der neuzeitlichen Geschichte, hrsg. v. Klaus Gotto / Hans Günter Hockerts, Paderborn u. a. 1988, 53–66. 15 Theo Sommer, Laudatio [auf Konrad Repgen], in: Historikerpreis der Stadt Münster 1998, Dokumentation der Feierstunde […], o. O. 1998, 11–21, 15. 16 Grundsätzlich dazu Arno Strohmeyer, Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit, Wien / Köln / Weimar 1994.

Das »Westfälische System«: Realität und Mythos

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evozierenden Begriff für etwas ziemlich Banales? Und ist er insofern nicht ohne Schaden auch entbehrlich und verzichtbar? Die pathetische Formulierung von Leo Gross in dem eingangs zitierten Aufsatz aus dem Gedenkjahr 1948, der Westfälische Friede repräsentiere the majestic portal which leads from the old into the new world 17, schießt, wie ich denke, um einiges über das Ziel hinaus, vor allem wenn man zusätzlich in Rechnung stellt, wie viele Bestimmungen des Westfälischen Friedens ohne jede völkerrechtliche Langzeitwirkung blieben. Nein, hier ist ein Mythos aufgebaut worden, der mit den tatsächlichen Leistungen der Friedensarchitekten von 1648 nur wenig gemein hat. Auf der anderen Seite wird man einen interessanten Befund in der Wissenschaftssprache zu konstatieren haben: Was in der einen Wissenschaftskultur zu einer Fast-Selbstverständlichkeit geworden ist, hat sich in der anderen – mit gutem Grund, wie ich zeigen wollte – nie durchsetzen können. Die Vorbehalte der europäischen Historiker gegenüber diesem problematischen Begriff waren und sind begründet. Es besteht kein Anlass, sie aufzugeben, um so weniger als in der Geschichtswissenschaft ohnehin Epochenbezeichnungen oder sonstige Erklärungsmodelle, die rein etatistisch begründet sind, immer mehr in die Kritik geraten und obsolet geworden sind.

17 L. Gross, Westphalia (Anm. 4), 28.

Diplomatie der Könige, Diplomatie der Völker 1770–1800 Von Marc Belissa

Die Herausgeber dieses Bandes gehen von der Annahme aus, dass sich die Geschichte der Außenbeziehungen in der longue durée als Folge von Entwicklungsschüben präsentiert, die jeweils von mehr oder weniger langen Phasen relativer Stabilität abgelöst wurden1. Folglich sei es möglich, darin Momente rascher struktureller Veränderung (»Sattelzeiten« in der Begrifflichkeit von Koselleck) auszumachen. Die Welle von Revolutionen des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts und insbesondere das Jahrzehnt der Französischen Revolution sind ohne Zweifel Momente dieser Art. In den Jahren nach 1770, mit der ersten Teilung Polens, der Amerikanischen Revolution und der Entstehung »patriotischer« Bewegungen in Westeuropa, tauchte in einer ganzen Reihe von kritischen Schriften zur europäischen Ordnung und in den diplomatischen Quellen selbst die Vorstellung auf, dass das seit dem Anfang des Jahrhunderts existierende »politische System« im Begriff sei zu verschwinden2. Die Welle von Revolutionen, die Amerika 1776, die Vereinigten Provinzen 1787 und Belgien, Lüttich und schließlich Frankreich 1789 erreichte, erschien manchem Zeitgenossen als Ausdruck einer Bewegung, die zugleich die Rückeroberung der Rechte der Menschen, aber auch der Nationen und der Völker zum Ziel hatte. Die Kritik an der Diplomatie sowie an den Praktiken zwischenstaatlicher Beziehungen war ein Element der politischen Kultur der »Patrioten«. Das Europa der Souveräne war von den Aufklärern zum Teil radikal in Frage gestellt worden. Die Gesellschaft der Fürsten war durch bestimmte Werte, Regulierungsmodi, eine Praxis des Verhandelns und ein Zeremoniell strukturiert, die auf dem basierten, was die Zeitgenossen das »politische Gleichgewicht Euro1 Vgl. die Einleitung sowie den Einzelbeitrag von H. v. Thiessen in diesem Band. 2 Zum Einfluss der Teilung Polens auf die europäische Ordnung aus der Perspektive der Zeitgenossen siehe: Marc Belissa, Les causes de la première partition de la Pologne selon les contemporains, in: Revue d’histoire diplomatique 3 (2007), 249–270, und ders., Les Lumières, le premier partage de la Pologne et le système politique de l’Europe, in: Annales Historiques de la Révolution française 356 (2009) (im Druck). Zu den Konsequenzen der amerikanischen Revolution vgl. zwei ältere Aufsätze: ders., La diplomatie américaine et les principes du droit des gens (1776–1787), in: Revue d’histoire diplomatique 1 (1997), 3–20, und ders., Agrandir le cercle de la civilisation. Le débat sur les conséquences de la Révolution américaine, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 46 (1999), 532–544.

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pas« nannten. Diese Ordnung verstanden die Patrioten als Willkürherrschaft, die sich gegen die Rechte der Völker richte. Die revolutionären Wirren am Ende des 18. Jahrhunderts erschütterten die geopolitischen Kräfteverhältnisse, trugen aber auch zum Verschwinden der strukturellen und systemischen Homogenität bei, auf welche sich die Beziehungen der Herrscher gestützt hatten. Die Welt um 1800 wurde nicht mehr in der gleichen Weise verstanden wie jene um 1770. Die Brüche des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und der Französischen Revolution, das Verschwinden Polens und das Entstehen der republikanischen Staaten in Europa veränderten die Strukturen, die durch den Kongress von Utrecht und als Folge des Österreichischen Erbfolgekriegs und des Siebenjährigen Kriegs entstanden waren. Vor allem führten sie zu einer tiefgreifenden Veränderung der Art und Weise, wie die Zeitgenossen über Außenbeziehungen und Diplomatie dachten3. Die Frage nach einer neuen Weltordnung, in welcher die Freiheit des Handels und das Heraushalten aus Konflikten der Alten Welt den Frieden sichern sollten, stellte sich bereits der aus der Amerikanischen Revolution hervorgehenden Diplomatie. Aufgrund ihrer Radikalität und ihrer geopolitischen Konsequenzen war es jedoch die Französische Revolution, die zum entscheidenden Moment in jener Zeit strukturellen Wandels wurde. Bereits in den ersten Monaten der Revolution verlangte eine Gruppe von Abgeordneten der Linken in der Nationalversammlung sowie »patriotische« Militante und Publizisten, dass Frankreich mit der »machiavellistischen« Diplomatie der Könige brechen müsse. Man müsse für eine Außenpolitik einstehen, die auf 3 Die Bibliographie zur Entwicklung der internationalen Beziehungen in der Zeit um 1770–1800 ist sehr umfangreich und die Richtung dieser Entwicklung wird von den Historikern sehr unterschiedlich eingeschätzt. Vgl. insbesondere die folgenden Überblickswerke: Matthew Smith Anderson, The Rise of Modern Diplomacy, 1450–1919, London / New York 1993; Jeremy Black, The Rise of the European Powers, 1679–1793, London 1990; ders., European International Relations 1648–1815, New York 2002; Jean-Pierre Bois, De la paix des rois à l’ordre des empereurs, 1714–1815, Paris 2003; André Fugier, La Révolution française et l’Empire napoléonien (Histoire des relations internationales, 4), Paris 1954; Paul Kennedy, Rise and Fall of Great Powers, New York 1987; Derek McKay / Hamish M. Scott, The Rise of the Great Powers 1648–1815, London / New York 1983; Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics, 1763–1848, Oxford 1994. Zu den Revolutionen des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts und die internationale Ordnung siehe die folgenden zusammenfassenden Aufsätze: Marc Belissa, Fraternité Universelle dans les révolutions de la fin du XVIIIe siècle, in: Révoltes et Révolutions en Europe et aux Amériques, 1773–1802, hrsg. v. Raymonde Monnier, Paris 2004, 147–163, und ders., Les révolutions de la fin du XVIIIe siècle et l’ordre international, in: Révoltes et Révolutions en Europe et aux Amériques, 1773–1802 (Bulletin de l’Association des Historiens modernistes), Paris 2005, 69–80.

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anderen Prinzipien beruhe, von anderen Akteuren getragen werde und Ziele verfolge, die untrennbar mit der natürlichen Moral verbunden seien. Im Verlauf der Französischen Revolution entstand in Presse und Pamphletliteratur, auf der Tribüne der Assemblées und in den Büros des Außenministeriums eine Vielzahl von Überlegungen und Plänen zur Erneuerung der Grundlagen und des Personals der Diplomatie. Mit der Machtergreifung Bonapartes und dem damit proklamierten »Ende« der Revolution kam der Augenblick, Bilanz zu ziehen. Kommentatoren und Politiker wie der Deputierte Eschassériaux fragten sich: Unterscheidet sich die »Diplomatie« der Französischen Republik von jener der Könige? Muss sie sich überhaupt unterscheiden in einem Moment, in welchem der Erste Konsul beabsichtigt, wieder an die althergebrachten Strukturen anzuknüpfen und auf Akteure des Ancien Régime zurückzugreifen? Markiert das Jahr 1800 tatsächlich einen Wendepunkt, eine Rückkehr in das diplomatische Ancien Régime, oder ist die europäische Ordnung derart erschüttert, dass jeder Versuch, die Diplomatie in den früheren Mustern zu denken, scheitern muss4? Im Folgenden werden in einem ersten Schritt einige Überlegungen zu den Prinzipien und den Akteuren der neuen Diplomatie zwischen 1776 und 1795 in Frankreich und Amerika angestellt. Sodann soll auf die Zeit des Direktoriums, in der sich die Frage der neuen, postrevolutionären europäischen Ordnung in besonderer Schärfe stellte, eingegangen werden. Schließlich wird anhand der Texte eines der aktivsten Teilnehmers an der Diskussion, des Deputierten Eschassériaux, aufgezeigt, wie die Zeitgenossen um 1800 diese kurze Zeit des strukturellen Wandels rückblickend wahrnahmen.

I. Eine neue Politik, eine neue Diplomatie Die Naturrechtslehren von Grotius, Pufendorf und Burlamaqui, die englische republikanische Tradition, die Texte der Aufklärung über Diplomatie und zwischenstaatliche Beziehungen sowie insbesondere Vattel und Mably waren die Hauptquellen für das politische Denken der amerikanischen und französischen »Patrioten« in Bezug auf die Außenbeziehungen5. Im Anschluss an Abbé de Saint-Pierre und Montesquieu verurteilten die Publizisten am 4 Vgl. z. B. den Standpunkt von Gentz: Marc Belissa, Friedrich von Gentz, la Révolution française et la reconstruction de l’ordre européen en 1800, in: La Plume et le Sabre. Mélanges offerts à Jean-Paul Bertaud, hrsg. v. Michel Biard u. a., Paris 2002, 421–430. 5 Vgl. insbesondere meine Dissertation: Marc Belissa, Fraternité universelle et intérêt national (1713–1795). Les cosmopolitiques du droit des gens, Paris 1998.

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Ende des Jahrhunderts Eroberungskriege, die aus Ehrgeiz des Herrschers oder zur Vergrößerung des Staates geführt wurden. Die einzigen gerechten Kriege waren in ihren Augen Verteidigungskriege, die auf nichts anderes als auf die Verteidigung der im Naturrecht begründeten Ansprüche zielten. Ein Volk, das Eroberungen mache, so wurde argumentiert, lege nicht nur seine Nachbarn in Ketten, sondern es begebe sich auch selbst in die Versklavung durch seinen Herrscher. Das Kräftegleichgewicht sei nur ein Mechanismus, der den Krieg aufrechterhalte. Die europäische Ordnung sei geprägt von einem kriegstreibenden Widerspruch zwischen den »privaten« dynastischen Interessen der Herrscher und den öffentlichen Interessen der Nationen. Erst wenn die Nationen selbst die gegenseitigen Beziehungen kontrollieren würden, könne sich der Friede einstellen. Auch wenn Verträge und das positive öffentliche Recht Europas rechtliche Beziehungen zwischen den Staaten herstellten, so ergebe sich daraus doch nicht mehr als ein auf den bisherigen Praktiken beruhendes Ganzes, das den wahren Prinzipien der natürlichen Moral und dem Recht der Nationen widerspreche. Mit den Verträgen würden Völker »wie Schafherden« (comme des troupeaux de moutons) einzelner Herrscher verkauft und nicht als Rechtssubjekte betracht. Ein Großteil der philosophes wies die Diplomatie als eine machiavellistische Schule zurück: Sie stehe im Widerspruch zur richtigen »Politik«, einer auf die Beziehungen zwischen den Menschen angewandten universellen Moral. Am Ende des Jahrhunderts sahen die »Patrioten« die europäische Ordnung also in einem grundsätzlichen Gegensatz zu den Prinzipien der Freiheit der Nationen und der Souveränität der Völker, die sie verteidigten. Zu politischen Akteuren ersten Ranges aufgestiegen, waren sie allerdings – ob sie wollten oder nicht – gezwungen, Kontakte zu fremden Mächten und einem zwischenstaatlichen System zu unterhalten, dessen Grundlagen im Gegensatz zu ihrer Vision ebendieses Systems standen6. Konfrontiert mit der Ordnung, deren Prinzipien sie als repressiv zurückwiesen, mussten die französischen und amerikanischen »Patrioten« dennoch im Rahmen der diplomatischen Strukturen handeln, in die sie eingebettet waren. So nahmen die Amerikaner nur widerwillig mit Frankreich und Spanien Kontakt auf, unter anderem weil diese Staaten katholische Mächte und die Feinde von gestern waren, vor allem aber weil die aufständische Führung den Winkelzügen der europäischen Diplomatie misstraute. Mit Beginn der Unabhängigkeit mussten sie allerdings, trotz ihrer Ablehnung ständiger Botschaften und ihres Willens zur politischen Isolation, eine Form diplomatischer Reprä6 Vgl. dazu die Überlegungen des Politologen David Armstrong in Revolution and World Orders, Oxford 1993.

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sentation schaffen. Entscheidungsträger wie John Adams schrieben, dass die Vereinigten Staaten, sobald Friede sei, kein diplomatisches Netz mehr benötigten7. Dieser Wunsch stand aber im Widerspruch zur Vorstellung, dass die Amerikanische Revolution als Beispiel dienen müsse. Der Staatssekretär und zukünftige Präsident Thomas Jefferson befand deshalb, dass die Vereinigten Staaten gegenüber allen Völkern die Pflicht hätten, den Beweis zu erbringen, dass eine moralische Politik, die auf Brüderlichkeit zwischen den Völkern beruhe, möglich sei. Der Republikanismus wurde als grundlegende Bedingung für das Entstehen einer neuen internationalen Ordnung betrachtet. Daraus wurde die Verpflichtung der Vereinigten Staaten abgeleitet, Anstrengungen nach Freiheit strebender Völker, wo es möglich war, zu unterstützen. Der amerikanische Wille, die internationale Ordnung in moralischen Kategorien zu denken, kristallisierte sich in der sehr liberalen Interpretation des Völkerrechts, wie sie beispielsweise im Bericht von Jefferson vor dem Kongress am 20. Dezembers 1783 zu erkennen ist. Darin wird ein allgemeines »politisches« Programm beschrieben, das die Umsetzung der Gleichheit und der Reziprozität in den Beziehungen zwischen den Nationen zum Ziel hat8. Die ersten Verträge, welche die Vereinigten Staaten mit Frankreich, Preußen und den Vereinigten Provinzen unterzeichneten, waren als Modelle der Reziprozität und des Liberalismus gedacht9. Die Aufmerksamkeit der Amerikaner galt den Formen der Diplomatie, und zwar insbesondere dem Zeremoniell. Sie waren der Auffassung, dass es einer grundlegenden, mehr »Rationalität« hervorbringenden Reform bedürfe. Wenn die Vereinigten Staaten sich auch nicht von den in Europa gültigen Regeln der Etikette loslösen konnten, so milderten sie diese doch deutlich ab10. Der Bruch mit den bisherigen Praktiken der Außenbeziehungen manifestierte sich auch in der Unterordnung der Diplomatie unter die legislative Gewalt und vor allem dadurch, dass die amerikanische Regierung die Verträge und Korrespondenzen öffentlich zu machen

7 I have sometimes thought that after a few years it will be the best thing we can do to recall every ministery from Europe and send embassies only on special occasions. John Adams an Robert Livingston 1783, zit. nach Cornelius Blaga, L’évolution de la diplomatie, idéologie, mœurs et techniques, Bd. 1: Le XVIIIe siècle, Paris 1938, 394. 8 Reports on letters from the ministers in Paris, in Thomas Jefferson, Writings. New York 1892–1899, Bd. 3, 355–363. 9 Artikel 23 des Vertrags mit Preussen, Georg Friedrich Martens, Recueil des principaux traités d’alliance, de paix, de trêve, de neutralité, […] Bd. 4, Göttingen 1801, 47–48. 10 Jacques Portes, Jacques-Pierre Brissot et les États-Unis, in: La France et l’Amérique. Deux révolutions, hrsg. v. Elise Marienstras, Paris 1990, 61.

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und so der Manie des Geheimen, welche die traditionelle Diplomatie gekennzeichnet habe, entgegenzuwirken beabsichtigte11. Die Französische Revolution musste sich aufgrund des demographischen und geopolitischen Gewichts des Königreichs notwendigerweise in größerem Maße als die amerikanische Revolution auf die europäische Staatenordnung auswirken. Schon seit 1789 wurde die Frage nach einem Bruch mit der Außenpolitik der Monarchie in den Cahiers de doléances, in Kontroversen um die Garantie der 1782 nach einer französischen Militärintervention eingesetzten aristokratischen Genfer Konstitution und in den Diskussionen über Korsika gestellt. Im Mai 1790 nahm schließlich die Linke die Debatte über das Friedens- und Kriegsrecht zum Anlass, um einen totalen Bruch mit der Politik und der Diplomatie des Ancien Régime einzufordern12. Robespierre war der erste, der die Idee einer Deklaration an die Nationen und eines feierlichen Verzichts auf Eroberungen vorbrachte13. In den folgenden Tagen ergriffen Pétion, Barnave und Volney das Wort, um die Laster der Diplomatie der Könige, ihre »Manie« des Geheimnisses, ihre Vorliebe für machiavellistische Praktiken und ihre Willkürherrschaft gegenüber den Rechten der Völker zu kritisieren. Der »Rechten«, die das nationale Interesse als wirtschaftliche und koloniale Stärke definierte, antwortete die »Linke« unter Rückgriff auf Mably, das nationale Interesse sei nichts anderes als die Gerechtigkeit in den Außenbeziehungen. In dieser Rede Pétions ist der Einfluss Mablys klar herauszuhören – insbesondere in seiner Verurteilung der heimlichen Diplomatie: „Ihr müsst erklären, dass ihr alle Winkelzüge und alle Hinterlist aus der Politik verbannen wollt, um sie durch Gerechtigkeit und Loyalität zu ersetzen; dass Frankreich auf alle ehrgeizigen Projekte und Eroberungen verzichtet; dass es seine Grenzen als durch ewige Geschicke festgesetzt ansieht; dass jeder Übergriff auf fremdes Gebiet eine feige Niederträchtigkeit ist. Es gibt nichts, womit ihr in größerem Maße das Erstaunen und die Bewunderung der Nachwelt hervorrufen könnt«14. 11 C. Blaga, L’évolution de la diplomatie (Anm. 7), 406. 12 Archives Parlementaires de 1787 à 1860. Recueil complet des débats législatifs et politiques des Chambres françaises, Série 1 (1787 à 1799), Bd. 15, Paris 1883, 510 ff. 13 Maximilien Robespierre, Œuvres complètes, publiées par la Société des Études Robespierristes, Bd. 4, Paris 1939, 356–362. 14 Il faut déclarer que vous voulez bannir de la politique toutes les ruses, toutes les fourberies, pour les remplacer par la justice et la loyauté; que la France renonce à tous projets ambitieux, à toutes conquêtes; qu’elle regarde ses limites comme posées par les destinées éternelles ; que toute irruption sur un territoire étranger est une lâche infamie. Vous n’aurez rien fait qui puisse exciter davantage l’étonnement et l’admiration de la postérité. Rede des 17.5.1790, in: Moniteur 4/138, 390 ff.

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Der von den Patrioten geforderte Bruch, so Pétion, müsse sich in einem feierlichen Aufruf an die Nationen und in der Ausrufung eines neuen Völkerrechts manifestieren, gedacht als Signal zur Rückeroberung der Rechte der Nationen in der ganzen Welt. Das von Mirabeau vorgeschlagene Dekret vom 22. Mai hielt schließlich nur noch am Verzicht auf Eroberungen fest, was in Frankreich und in ganz Europa dennoch als Anfang einer neuen Ära der Beziehungen zwischen den Völkern aufgenommen wurde. Die Frage der Außenpolitik und der neuen Diplomatie verschwand nicht aus den Debatten, verpflichteten die Verträge Frankreich doch theoretisch zur Intervention in den englisch-spanischen Auseinandersetzungen ab Anfang 1790. Wie sollte sich Frankreich gegenüber Verträgen verhalten, die vom König unterzeichnet worden waren? Verpflichteten sie die Nation oder waren sie als alte Dokumente der Willkürherrschaft hinfällig geworden? Die deutschen Fürsten mit Besitzungen im Elsass beanspruchten im Übrigen eine Entschädigung für die Abschaffung des Feudalwesens in ihren Ländereien; sodann forderten die Bewohner von Avignon und der Grafschaft Venaissin, zweier päpstlicher Enklaven, unter Berufung auf das Recht der Völker, sich von Unterdrückung zu befreien, ihre Eingliederung in den französischen Staat. Für die »Linke« waren die Verträge, die gegen die Rechte der Nationen und das Prinzip der nationalen Souveränität verstießen, de facto nichtig. Robespierre beispielsweise forderte, dass der Pacte de Famille mit Spanien kurzerhand aufgelöst, die Petitionen der deutschen Fürsten zurückgesandt und Avignon ohne Rücksicht auf den Rest Europas mit Frankreich vereinigt werden solle. Jedoch gab es auch zahlreiche Deputierte der linken Seite, die der Meinung waren, dass eine Kompromisslösung dem Bruch mit dem öffentlichen Recht Europas vorzuziehen sei, obwohl die spanischen, deutschen und päpstlichen Forderungen prinzipiell nicht angenommen werden könnten. Auf der rechten Seite wies Abbé Maury darauf hin, dass Frankreich sich mit der Erhebung der nationalen Souveränität und des Naturrechts zu Prinzipien seiner Außenbeziehungen vom Rest Europas isoliere und die Gesellschaft der Staaten zerbreche. Etwas später sollte dies Edmund Burke Frankreich mit Vehemenz vorhalten: Die Revolution habe die Einheit der europäischen Staatengesellschaft zerstört, indem sie in den Außenbeziehungen das Naturrecht auferlegt habe15. 15 Das ist das Herzstück der Argumentation in Letters on a Regicide Peace von 1795–1796. Vgl. insbesondere Peter J. Stanlis, Edmund Burke and the Law of Nations, in: American Journal of International Law 47 (1953), 280–295; Jennifer Welsh, Edmund Burke and International Relations, Basingbroke 1995; David Armitage, Edmund Burke and Reason of State, in: Journal of the History of Ideas 61 (2000), 617–634; Marc Belissa, Les conséquences de la Révolution française sur l’ordre européen d’après les écrivains contre-ré-

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Die linke Seite beabsichtigte ausserdem, einerseits der Diplomatie eine neue Rolle in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu geben und andererseits das diplomatische Personal weitgehend auszutauschen. Bereits am 6. Oktober 1789 beschloss die Nationalversammlung eine bedeutende Budgetkürzung im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten. Im Januar 1790 wurden alle Posten und Pensionen abgeschafft, die man für unnötig hielt, und die Gehälter aller Beamten gekürzt16. Aber diese Maßnahmen veränderten die Institution nicht grundlegend. Weiterhin standen dieselben Männer an der Spitze der Ämter, repräsentierten dieselben Diplomaten das »erneuerte« Frankreich. Ihre Sprache blieb jene der Diplomatie des Königs. Die Nationalversammlung war ohnmächtig gegenüber den Diplomaten, die noch immer von Ludwig XVI. und seinem Kabinett kontrolliert wurden. Zwar bildete die Konstituante am 29. Juli 1790 ein diplomatisches Komitee, das mit der Aufgabe betraut wurde, die Gültigkeit der Verträge zu überprüfen. Aber in den Händen von Mirabeau entfaltete dieses Komitee nur eine schwache Tätigkeit, während die linke Seite vergeblich für eine Neubesetzung der Botschaften im Ausland plädierte. Frankreich, das die alte Politik verworfen hatte, sollte keine Geheimverträge mehr abschließen, die Subsidienzahlungen und ähnliche als korrupt wahrgenommene Praktiken oder fragwürdige Handelsgeschäfte regelten. Eine Nation, die alle Völker als gleich anerkannte, konnte auch hierarchische Abstufungen in ihrer Repräsentation nicht mehr anerkennen: Wieso sollte die Rangordnung von Botschafter, Gesandten und bevollmächtigtem Minister beziehungsweise Resident aufrecht erhalten werden? Brissot gehörte zu jenen, die sich in dieser Frage am meisten um eine Reform bemühten. Glaubt man dem Patriote français, benahmen sich die französischen Botschafter im Ausland noch immer wie unterwürfige Diener, statt auf die Provokation der Könige angemessen zu reagieren17. Die Nationalversammlung müsse aber dem »Ruhm« der französischen Revolution auf der ganzen Erde Respekt verschaffen; sie müsse daher Diplomaten präsentieren, die ihrer würdig seien. Brissot griff die Tatenlosigkeit des diplomatischen Komitees an, das sich mit Beobachten zufrieden gebe, statt die Exekutivgewalt zu überwachen und zu beraten. Marat wiederum spottete in seinem Tagebuch über die »Wichtigkeit der Posten der Botschafter« (l’importance des places

volutionnaires 1795–1800, in: La Révolution française. Idéaux, singularités, influences, hrsg. v. Robert Chagny, Grenoble 2002, 205–218. 16 Frédéric Masson, Le département des Affaires étrangères, 1788–1804, Paris 1877, 69–71. 17 Le Patriote français 3/406, 18.11.1790.

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d’ambassadeurs)18. Mehr noch als Rechtsschulen seien Botschafterversammlungen lächerliche Zusammenkünfte. Man behandle hier nur Themen von Wichtigkeit wie »den Alltag am Hof, die Schauspiele, die amourösen Abenteuer, die Intrigen der Gasse, die Mädchen, die gerade in Mode sind«19. Im Mercure National wurde das Zeremoniell attackiert: »Die Etikette ist aus der Ungleichheit geboren; das Zeremoniell der Gesellschaft aus dem Überdruss; die Neigung zum Leichtsinn aus dem Sittenverfall, und der erste Grund all dessen ist der Despotismus.«20 Für die Révolutions de Paris war »jeder Diplomat buchstäblich ein Spion, wenn die entsprechenden Länder nicht verbündet sind, und ein Verräter, wenn sie es sind«21. Der Verfasser sprach sich unmissverständlich für die Abschaffung der ständigen Botschaften aus, die seit dem Verzicht auf Eroberung und auf Offensivbündnisse sinnlos geworden seien. Saint-Just griff dasselbe Thema in L’Esprit de la Révolution auf22: Die Diplomaten bilden ihm zufolge »eine Armee, die immer bereit zur Verschwörung ist, welche die Tugend des Rechts der Völker in einen Zustand des Misstrauens versetzt und so in Mitleidenschaft zieht«23. Am Ende des Jahres 1790 forderte die patriotische Presse, insbesondere der Père Duchesne von Hébert und l’Orateur du Peuple von Fréron, von der Konstituante immer direkter, dass sie selbst die Botschafter ernennen solle, ungeachtet des Ernennungsrechts des Königs. Die Nationalversammlung müsse zumindest das Recht haben, jene Ernennungen rückgängig zu machen, welche der Nation Unrecht täten. Die Debatte über die Organisation der Ministerien gab Anlass zu einem Projekt, das die Diplomatie umstrukturieren sollte. Der Moniteur publizierte beispielsweise einen Artikel mit dem Titel »Vorschlag zu den diplomatischen Posten« (Proposition pour les places diplomatiques )24. Darin wurde empfohlen, die diplomatische Karriere nach den Grundsätzen der Verfassung zu regeln, 18 Le Junius Français 7, 10.6.1790, zit. nach: Jean-Paul Marat, Œuvres politiques, Bd. 3, Brüssel 1993, 859–860. 19 […] l’ordinaire de la cour, les spectacles, les aventures galantes, les intrigues de ruelle, les filles à la mode. Ebd. 20 L’étiquette est née de l’inégalité ; le cérémonial de société, de l’ennui ; le goût des frivolités, de la dégradation des mœurs ; et la cause première de toutes ces choses, c’est le despotisme. Le Mercure national 4, 1.8.1790, 227. 21 Tout diplomatiste [sic] européen est à la lettre un espion, quand les pays respectifs ne sont pas coalisés, et un traître quand ils le sont. Les Révolutions de Paris 8/92, 9.4.1791, 21–24. 22 [Les diplomates forment] une armée toujours prête aux conspirations qui met dans un état de défiance et qui altère la vertu du droit des gens. Louis Antoine Saint-Just, L’Esprit de la Révolution, Paris 1963, 115–116. 23 […] une armée toujours prête aux conspirations qui met dans un état de défiance et qui altère la vertu du droit des gens. Ebd. 24 Moniteur 7/82, 23.3.1791, 689.

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beispielsweise durch die Schaffung einer Beförderungsliste auf der Grundlage des Verdienstes, der Erfahrung und des patriotischen Eifers. Aus dem Corps der Botschafts- und Gesandtschaftssekretäre solle der Nachwuchs für die Diplomaten der unteren Ränge und aus dieser Gruppe wiederum der Nachwuchs für die wichtigen Botschaftsposten rekrutiert werden. Im April 1791 griffen Robespierre und einige andere Redner in die Debatte über die Organisation des Ministeriums ein, um die Kontrolle der Diplomaten durch die Legislative durchzusetzen, jedoch ohne wirklichen Erfolg. Die Ernennung Dumouriez’ zum Außenminister im März 1792 führte zu einem Bruch, der sich insbesondere in Plänen zu einer Reform der Außenbeziehungen manifestierte. So schlug der Deputierte Lobjoy aus dem Departement Aisne vor, die Befugnisse des diplomatischen Komitees zu erweitern, insbesondere durch die Möglichkeit, seine eigenen Vertreter ins Ausland zu entsenden. Er pries die gemeinsame Leitung der auswärtigen Angelegenheiten durch Legislative und Exekutive an, wie sie in der Republik der Vereinigten Staaten von Amerika sowie in der Republik der Vereinigten Provinzen der Niederlanden zu finden sei. Auch forderte er eine Umgestaltung der Gesandtenhierarchie und die Abschaffung »all dieser nach dem Stolz abgestuften Titel, die dazu dienen, ungebührliche Unterschiede zwischen den Gesandten herbeizuführen« (tous ces titres gradués par l’orgueil pour établir des différences choquantes entre les agents) 25. Die Kriegserklärung vom 20. April 1792 und die anschließende Abschaffung der Monarchie am 10. August führten zu einer Umstrukturierung des auswärtigen Dienstes. Jene, die den Bürgereid ablegten, blieben im Amt, die anderen wurden durch Neuernannte aus dem Kreis der niedrigeren Hierarchiestufen ersetzt. Die Formierung der europäischen Koalition vereinfachte das Bild, blieben doch zu Beginn des Jahres 1793 nur noch die Eidgenossenschaft, die skandinavischen Staaten, das Osmanische Reich und die Vereinigten Staaten neutral. Das Dekret vom 24. September 1793 und der Bericht Robespierres vom 17. November markierten schließlich einen radikalen Wendepunkt: Die Botschafterposten blieben bis zum Ende des Krieges vakant. Das Wohlfahrtskomitee und der Exekutivrat entsandten nur noch Geheimagenten zu den feindlichen Mächten und Geschäftsträger in die neutralen Staaten. Schließlich wies der Konvent jeden Versuch geheimer Vermittlung zurück und verkündete, dass das Wohlfahrtskomitee nur noch mit den Gesandten jener Mächte verhandeln werde, welche die Republik anerkannt hätten. Am Vor25 François Lobjoy, Opinion de F. Lobjoy député de l’Aisne pour organiser le département des Affaires étrangères, in: Le sens de la Constitution, Paris 1792, 11.

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abend des Sturzes von Robespierre waren nur noch vier Diplomaten auf ihrem Posten verblieben. Die Ausrufung der Republik im September 1792 und die konstitutionellen Verfassungsdebatten von 1793 hatten den Überlegungen über die neue Diplomatie wieder Aufschwung gegeben. Ducher, einer der Autoren des Moniteur und selbst ehemaliger Konsul, schenkte der Ausgestaltung einer »Diplomatie des Handels« (diplomatie commerciale), wie er sie nannte, besondere Aufmerksamkeit. Er warb für die Vereinigung der diplomatischen und konsularischen Dienste, denn, so schrieb er, »der Außenhandel muss unsere große, ich möchte sagen: unsere einzige Äußere Angelegenheit sein«26. Wenig später kam er auf »den Ruin der alten Diplomatie« (déroute de la vieille diplomatie) zurück: Die französische Republik solle nicht die diplomatische Anerkennung Europas suchen, denn die Nationen könnten auf Anerkennung, Garantien und Familienverträge verzichten27. In diesen alten Verträgen finde man »Tauschhändel, Zugeständnisse, Aufteilungen von Territorien, Thronbesteigungen, Abdankungen, Garantien der Souveränität einer Familie über ein Volk, Versprechen der gegenseitigen Beihilfe gegen Aufstände, Auswanderung der Untertanen und das gewaltsame Eindringen eines souveränen Fürsten auf das Gebiet eines anderen«28. Mit dieser Diplomatie der Könige müsse Schluss sein, jene der Franzosen müsse »auf wirtschaftliche Beziehungen beschränkt sein« (doit être restreinte à des rapports commerciaux). Die alten Verträge bildeten »die politische und feudale Kette dieses Dutzends von Herren, die Reiche als Lehen und Nationen als Zinspflichtige besaßen« (la chaîne politique et féodale de cette douzaine d’individus qui ont des empires pour fiefs et des nations pour censitaires). Diese Kette sei gesprengt worden, denn die französische Axt habe das wichtigste Glied durchtrennt. Zu Beginn des Jahres III setzte Ducher der alten Diplomatie eine »erneuerte Diplomatie« (diplomatie régénérée) entgegen. Die Französische Revolution wurde dabei einem »politischen Erdbeben« (tremblement de terre politique) gleichgesetzt, das die grundlegende Umgestaltung der europäischen Ordnung erforderlich mache29. Ducher hielt einen allgemeinen Vertrag, der nicht das Gleichgewicht zwischen den »gekrönten Häuptern« 26 Le commerce extérieur doit être notre grande, je dirais volontiers notre seule affaire étrangère. Moniteur 14/294, 20.10.1792, 243. 27 Ebd., 13/276, 12 Vendémiaire an II (3.10.1793), 24. 28 [On trouve dans ces vieux traités] des échanges, des cessions, des partages de territoire, des avènements au trône, des abdications de couronne, des garanties de souveraineté d’une famille sur un peuple, des promesses de secours réciproques contre la rébellion, l’émigration des sujets respectifs, l’invasion d’un individu souverain sur le territoire d’un autre. Ebd. 29 Ebd., 12/33, 3 Brumaire an III (24.10.1794), 294.

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(individus à couronne), sondern die Freiheit des Handels und die Rechte der Nationen verwirkliche, für unentbehrlich.

II. Die Wiedereingliederung in das europäische Gleichgewicht Mit den militärischen Erfolgen des Sommers 1794 wurde die Frage nach der Wiedereingliederung Frankreichs in die diplomatischen Netzwerke tatsächlich aktuell. Die Verträge von Basel mit Preußen und Spanien 1795 markierten die Rückkehr der Republik in eine aus dem Gleichgewicht geratene internationale Ordnung. Für beinahe alle Kommentatoren, ob Republikaner oder Konterrevolutionäre, war die vorrevolutionäre europäische Ordnung endgültig zu Grabe getragen. Die Gründe und die Periodisierung dieses Bruchs standen zur Debatte, aber alle oder zumindest beinahe alle waren bereit anzuerkennen, dass Europa nicht mehr umkehren könne und die Revolution eine neue Ausgangslage für die Außenbeziehungen geschaffen habe. Wie aber sollte unter Berücksichtigung der Umwälzungen, welche sich aus der Existenz der französischen Republik ergaben, eine neue europäische Ordnung hergestellt werden? Dies war die zentrale Frage, die von Seiten der Publizisten, Juristen, Diplomaten und Politiker gestellt wurde30. Das Programm des Direktoriums bestand darin, der Republik ihren »natürlichen Platz« in der europäischen Politik zurückzugeben (worunter man selbstverständlich den einer dominanten Macht verstand). Dazu musste man ein Zerwürfnis unter den bisher gegen Frankreich verbündeten Mächten herbeiführen, um England zu isolieren und die endgültige Abtretung Belgiens sowie die Annexion des linken Rheinufers zu erreichen. Folglich wurden zwischen dem Sommer 1795 und dem Sommer 1797 unter anderem Verträge mit Piemont, Württemberg, Hessen, Neapel sowie zwei Offensiv- und Defensivbündnisverträge mit der Batavischen Republik und Spanien unterzeichnet. Schließlich erreichte die Republik im Frieden von Campoformio mit Österreich vom 17. Oktober 1797 die Abtretung Belgiens. Nach dem zweiten Koalitionskrieg unterzeichnete der erste Konsul Bonaparte eine Reihe weiterer Abkommen, darunter jene von Lunéville 1801 und Amiens 1802, und stellte dadurch den allgemeinen Frieden wieder her. Das Direktorium und die Anfangszeit des Konsulats waren somit entscheidende Zeiträume für die Herstellung einer neuen internationalen Ordnung, zumal die militärischen Siege 30 Siehe dazu: Marc Belissa, Repenser l’ordre européen 1795–1802. De la société des rois aux droits des nations, Paris 2006.

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Frankreichs und die revolutionäre Dynamik in Holland, der Schweiz und Italien die Bildung von Schwesterrepubliken erlaubt hatten, die nun vollwertige Akteure einer neuen, der alten Ordnung der Könige entgegengesetzten republikanischen Ordnung waren. Diese Jahre erschienen den Zeitgenossen als eine Zeit äußerst schnellen Wandels der Kräfteverhältnisse sowie der Praktiken und Prinzipien der Außenbeziehungen. Paradoxerweise veranlasste gerade dieses Gefühl einer vollständigen Umwälzung die Thermidorianer und das Direktorium, sich alter Formen der Diplomatie zu bedienen, um mit den Fürsten zu verhandeln. Die Rückkehr ins europäische Gleichgewicht stellte für die Thermidorianer tatsächlich einen Wendepunkt dar, nicht nur hinsichtlich der Kriegsziele, sondern auch, was die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten und der Diplomatie betraf. Dies zeigte sich besonders in den Debatten des Konvents im Jahre III (1795). Die Prärogative der Exekutive wurde bestätigt, erlaubte die neue Verfassung doch dem Direktorium, das diplomatische Personal in Paris und im Ausland zu ernennen. Es durfte auch nach Belieben Verträge, einschließlich eventueller geheimer Klauseln, die ipso facto vor ihrer Ratifizierung bereits rechtskräftig wurden, aushandeln und unterzeichnen. Die Legislative konnte entsprechend der monarchischen Verfassung von 1791 ohne einen entsprechenden Vorschlag der Exekutive (nun des Direktoriums anstelle des Königs) keinen Krieg erklären. Die Wiedereingliederung Frankreichs in das europäische Mächtegefüge geschah damit unter Ablehnung der Grundsätze der »Linken« vom Mai 1790, das heißt unter Zurückweisung des Prinzips der Öffentlichkeit von zwischenstaatlichen Verhandlungen und der Rücknahme der Unterordnung der Exekutive unter die Legislative in den auswärtigen Angelegenheiten. Die Büros des Außenministeriums wurden von einem Minister geleitet, der durch das Direktorium ernannt wurde und ihm verantwortlich war. Man richtete auch einzelne neue Büros ein, allen voran ein offiziöses diplomatisches Büro, das die diplomatischen Archive zentral verwaltete und dessen Arbeit dem Prinzip der Geheimhaltung unterlag. Die französische Regierung war sehr darauf bedacht, die Vertraulichkeit als regulären Arbeitsmodus in den auswärtigen Angelegenheiten wieder zu etablieren: Ein Dekret vom 23. Vendémaire des Jahres III (14. Oktober 1794) sollte diesbezüglich die Arbeitsweise der Büros des Außenministeriums neu regeln. Die Geheimhaltung stand ebenfalls im Zentrum eines Berichts an das Direktorium vom 21. Brumaire des Jahres IV (12. November 1795), dessen Bestimmungen kurz darauf in die Praxis umgesetzt wurden31. Ein spezielles Amt für die Entschlüsselung der 31 Jacques Henri-Robert, Dictionnaire des diplomates de Napoléon, Paris 1990, 17.

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chiffrierten Depeschen wurde geschaffen und die politische Korrespondenz wieder von der konsularischen Korrespondenz getrennt. Ein neuer Erlass vom 9. Nivôse des Jahres VI (29. Dezember 1797) präzisierte die Tragweite der diplomatischen Geheimhaltung und untersagte die Verbreitung von politischer Korrespondenz. Um mit den europäischen Fürsten verhandeln zu können, bestand das Direktorium auf der Wiederherstellung diplomatischer Verhandlungsformen. Das Gesetz vom 4. Floréal des Jahres IV (23. April 1795) zielte auf eine Neuordnung der Audienzen und der Etikette. Ihr lag das Zeremoniell aus der Zeit der Könige zu Grunde32. Die Bemühungen, ein spezifisches diplomatisches Zeremoniell wiederherzustellen, setzte sich auch nach dem Jahr IV fort. Reubell forderte von den Abteilungen des Außenministeriums mehrfach Berichte zu dieser Frage an, selbst der Brauch, den Gesandten Geschenke zu überreichen, wurde wieder eingeführt. Im Messidor des Jahres IV ( Juni 1796) führte das Direktorium die spezielle Kleidung für die französischen Minister und Botschafter wieder ein, und ein Erlass des 28. Brumaire des Jahres IV (18. November 1795) regelte detailliert das Empfangszeremoniell für das diplomatische Corps. Diese Politik zielte unumwunden darauf ab, die allgemein gültigen Konventionen zu übernehmen, um dem Direktorium das Ansehen einer stabilen, regulären und dauerhaften Regierung und damit eines legitimen Mitglieds der europäischen Staatengemeinschaft zu geben. Diese Haltung zeigt sich auch in der besonderen Aufmerksamkeit, die man den alten Verträgen entgegenbrachte. Am 18. Brumaire des Jahres III (8. November 1794) wurde ein Amt für Analyse (bureau d’analyse) gebildet, dessen Aufgabe es war, die diplomatischen Dokumente der Vergangenheit zu studieren, eine Liste von »Ansprüchen« (prétentions) Frankreichs seit den Verträgen von Westfalen zu erstellen und ein neues »republikanisches politisches System« (système politique républicain) zu entwerfen33. Die Kontinuität, die das Direktorium anstrebte, zeigte sich teilweise auch auf personaler Ebene. Die Mitarbeiter des »Amts für Analyse« waren bekennende Anhänger des Ancien Régime und auch einige der Gesandten im Ausland waren ehemalige Diener des Königs. So waren etwa Barthélemy oder Bourgoing, welche die Verträge von Basel aushandelten, Diplomaten des Ancien Régime gewesen. Der Wille zur Kontinuität und zur Ausarbeitung eines allgemeinen Zeremonial- und Rechtssystems lässt sich als Ausdruck einer »Erfindung von Tra32 AN, AF III, 338, zit. nach Raymond Guyot, Le Directoire et la paix, Paris 1911, 89. 33 F. Masson, Le département des Affaires étrangères (Anm. 16), 340.

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dition« im Sinne Eric Hobsbawms verstehen34. Angesichts einer aus den Fugen geratenen Weltordnung suchte die französische republikanische Regierung in der Schaffung einer alten »diplomatischen Tradition« – die, zumindest als »Tradition«, im Ancien Régime nie wirklich existiert hatte – eine Antwort auf die Fragen, die durch die neuen Herausforderungen der Außenbeziehungen aufgeworfen worden waren. Das Fortbestehen eines alten Diskurses über die »natürlichen Interessen« Frankreichs darf indes keine Missverständnisse entstehen lassen: Die Zeitgenossen hatten durchaus verstanden, dass diese »Traditionen« vor allem durch Neuinterpretationen und durch die Anwendung alter Diskurse auf eine völlig neue internationale Situation entstanden. Außerdem blieb trotz des bekundeten Willens, an Formen und Personal der Diplomatie des Ancien Régime anzuknüpfen, ein Bruch zwischen dem republikanischen Zeremoniell und der diplomatischen Kultur des Ancien Régime unvermeidbar35. Dem Versuch der Wiederanknüpfung an Traditionen standen Praktiken entgegen, die eben diesen Versuch konterkarierten. Dass man Deputierte, die an der Hinrichtung des Königs beteiligt gewesen waren, oder Angehörige des Militärs ohne diplomatische Erfahrung als Repräsentanten an die europäischen Höfe schickte, war ein Zeichen dafür, dass man versuchte, die Republik mit Gewalt als legitimen Akteur auf der internationalen Bühne zu etablieren. Die Verhandlungsmethoden, derer man sich im Umgang mit den anderen Mächten bediente, wurden in einem radikalen Widerspruch zur anerkannten Praxis gesehen, da das Direktorium eine Reihe von Minimalklauseln erließ, aufgrund derer die Gesandten nur einen sehr begrenzten Spielraum hatten; oft waren sie an strenge Ultimaten geknüpft. Die europäischen Diplomaten zeigten sich darüber häufig verärgert. Sie erwähnen in ihren Berichten zahlreiche vermeintliche Provokationen der republikanischen Gesandten. Nach dem Staatsstreich Napoleons am 18. Brumaire des Jahres VIII übernahm die Politik Bonapartes vieles von jener des Direktoriums, das er abgesetzt hatte. Er bekundete mit dieser Politik aber offen seinen Willen, die Revolution im Innern wie im Äußern zu beenden und die alte Ordnung in den Außenbeziehungen und ihren Formen wiederherzustellen. Ein Erlass aus 34 Eric J. Hobsbawm / Terence Osborn Ranger (Hrsg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983. Hobsbawm definiert die »erfundenen Traditionen« als »ein Ensemble von Praktiken ritueller und symbolischer Natur, die normalerweise von Regeln beherrscht werden, die offen oder stillschweigend akzeptiert werden und zum Ziel haben, bestimmte Werte und Verhaltensnormen durch Wiederholung einzuüben, was automatisch eine Kontinuität der angeeigneten historischen Vergangenheit bedeutet.« Aber diese Kontinuität ist weitgehend fiktiv (5). 35 Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840), Genf 2002, 315.

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dem Pluviôse des Jahres VIII ( Januar 1800) zielte auf eine Neuordnung der diplomatischen Laufbahn im Innern und Äußern durch eine Vervielfachung der Ränge und Hierarchien nach dem Vorbild von militärischen Beförderungen. Insbesondere wurde die grundlegende und von den Revolutionären abgelehnte Unterscheidung zwischen bevollmächtigtem Minister und Botschafter wieder hergestellt. Die Rückkehr Talleyrands in das Amt am 21. November 1800 markierte auch einen Wechsel im Personal. Die überzeugten Republikaner wurden entfernt, aber gemäßigtere wie Eschassériaux wurden weiter beschäftigt. Vor allem war die Rückkehr der Diplomaten alten Stils, die seit 1792 entlassen worden waren, zu beobachten: So übernahmen die früheren chefs de division und premiers commis Hennin und Rayneval wieder die Führung ihrer Büros. Bonaparte brach allerdings nicht mit der während des Direktoriums begonnenen Praxis, Generäle zu Diplomaten zu ernennen. Der Historiker Stuart Woolf hat zu Recht unterstrichen, dass in den Jahren 1801 bis 1802 fast alle Botschafter und bevollmächtigten Minister Generäle waren36. Der Erste Konsul schenkte den Fragen der diplomatischen Repräsentation besondere Aufmerksamkeit. So ist es kein Zufall, dass die Beamten des Außenministeriums zu den am besten bezahlten gehörten. Botschafter auf prestigeträchtigen Posten durften großzügig Ausgaben tätigen. Das Prestige der Republik sollte sich im Luxus, im Gold der Uniformen und den Festlichkeiten spiegeln.

III. Wiederaufbau einer erneuerten europäischen Ordnung Wie nahmen die politischen Akteure den strukturellen Wandel in den Außenbeziehungen um 1800 wahr? Um diese Frage zu beantworten, kann man als Beispiel die Schriften des Abgeordneten der Charente, Joseph Eschassériaux, hinzuziehen, der sich auf der Tribüne der Assemblées und in der Presse sehr aktiv an den Debatten um die Diplomatie beteiligte37. Gegen Ende des Jahres II rief Eschassériaux in einer Rede, die er anlässlich des Empfangs des neuen amerikanischen bevollmächtigten Ministers James Monroe hielt, das Ende der alten Diplomatie aus: »Die Vertreibung des Tyrannen hat die alte Diplomatie und die Tradition all dieser lächerlich prunkhaften 36 Stuart Woolf, Napoléon et la conquête de l’Europe, Paris 1990, 97. 37 Als Jurist aus Saintonge übte Eschassériaux 1790 in seinem Departement administrative Funktionen aus. 1791 wurde er in die Gesetzgebende Versammlung und 1793 in den Konvent gewählt. Er hatte einen Sitz in der Montagne und trat nach dem 9. Thermidor in den Wohlfahrtsausschuss ein. Unter dem Direktorium war er Abgeordneter des Rats der Fünfhundert und am Anfang des Konsulats Mitglied des Tribunats.

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Zeremonien, die der Hochmut der Höflinge erfunden hatte, in den Schmutz gezerrt. Die wahre Diplomatie der unabhängigen Völker liegt in ihrem gegenseitigen Schutz, in den Handelsbeziehungen und deren Wohltaten.«38 In einem langen Artikel im Moniteur mit dem Titel Des droits des peuples umriss er die Geschichte der Diplomatie der Könige, um den Bruch mit dieser besser zu verdeutlichen und die Prinzipien, welche die Diplomatie der Republiken leiten solle, aufzuzeigen. Die politique sei ein »Gesetzbuch der Tyrannei« (code de la tyrannie), eine »dunkle Wissenschaft« (science obscure), die von den Zeiten des Despotismus hervorgebracht worden sei und der wahrhaftigen Diplomatie, das heißt der »handelnden Philosophie« (philosophie en action), zuwiderlaufe. Die Wilden hätten keine Diplomatie gekannt und die Völker der Antike nur Allianzverträge gehabt. Die Diplomatie sei also geboren worden im Europa der Fürsten und ihrer Minister. Das Papsttum habe eine Kunst der »italienischen Schurkerei« (fourberie italienne) hervorgebracht, die unter Franz I. in Frankreich übernommen und die nacheinander an Katharina de Medici, die Guise, Richelieu und Mazarin weitergegeben worden sei. So habe, schließt Eschassériaux, »die Diplomatie die Welt regiert; diese unselige Wissenschaft, Tochter der Tyrannei, usurpierte den Platz der Naturrechte, aus denen die Rechte für Menschen, die zusammen oder in getrennten Gesellschaften leben, hervorgehen«39. Bis zur Revolution habe der Wille der Tyrannen Europa regiert und dabei Misstrauen und nationalen Hass gestiftet. Das politische Gleichgewicht sei der Grund für das Unglück der Völker. Die Diplomatie verderbe die Sitten und die Herzen: »Unter den Menschen und in den öffentlichen Angelegenheiten eine Kultur der vollständigen Unaufrichtigkeit entstehen zu lassen, eine perfide Kunst des Meineids gegenüber dem eigenen Gewissen zu erschaffen, die Gefühle des Herzens lügen zu lassen, aus dem Heiligsten dieser Erde, dem Glauben der Menschen, ein Spiel zu machen […]. Die täuschende Kunst der politique ist jene der Monarchien, weil sie die Schurken lehrt, die aufrichtige Rechtschaffenheit zu fesseln.«40 Die französi38 La chute du trône du tyran a entraîné dans ces décombres la vieille diplomatie et la tradition de toutes ces cérémonies ridiculement fastueuses qu’avait inventées l’orgueil des courtisans. La véritable diplomatie des peuples indépendants est dans leur défense réciproque et dans les communications et les bienfaits du commerce […]. Sitzung des 14.8., in: Moniteur 11/329, 29. Thermidor an II (16.8.1794), 496. 39 […] la diplomatie gouverna le monde ; cette science funeste, fille de la tyrannie, usurpa la place des droits de la nature, qui font les droits des hommes vivant ensemble ou existant en sociétés séparées. Ebd. 40 […] placer entre les hommes et dans les affaires une dissimulation profonde, créer cet art perfide de parjurer sa conscience, de faire mentir les sentiments du cœur, et de faire un jeu de ce qu’il y a de plus sacré sur la terre, de la foi des hommes […]. L’art trompeur de la politique est celui des

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sche Republik dürfe daher, so Eschassériaux, in keinem Fall dieselbe Politik wie die Könige verfolgen. Daraus leitete er jedoch nicht ab, dass notwendigerweise auch die Regeln des öffentlichen Rechts radikal in Frage zu stellen seien. Die Unverletzbarkeit des Territoriums und der absolute Respekt vor dem »Eigentum der Gesetze« (propriété des lois) seien die zwei Kardinalprinzipien der republikanischen Diplomatie. Sie implizierten die wechselseitige Verteidigung der Freundschaft der Völker und die Freiheit des Handels41. Eschassériaux behandelte 1796 diese Frage erneut im Rahmen zweier Artikel, die im Februar und im April im Moniteur erschienen42: Die alte Ordnung sei tot, und es sei illusorisch, »ein unnützes Gleichgewicht und einen trügerischen Frieden in den Bündnissen, den Hofintrigen, den Verträgen und den Handelsinteressen«43 der alten machiavellistischen Politik zu suchen. Man müsse vielmehr einen dauerhaften Frieden schaffen, der auf dem Respekt der Interessen aller Völker Europas gegründet sei. Das Kräftegleichgewicht sei nur eine Chimäre gewesen, »der Vorwand für jegliche Bestrebungen zur Machterweiterung, die Ursache aller Kriege, das konstante Unglück der Völker. Wer auch immer die Macht hatte, wollte erobern, unterwerfen und beherrschen«44. Das zu seinen neuen natürlichen Grenzen vergrößerte Frankreich müsse der Angelpunkt der europäischen Politik und ein »unbezwingbarer Damm gegen die Raubzüge der Eroberer« (une digue invincible au brigandage des conquérants) sein. Frankreich sei als Gegengewicht notwendig, um den kontinentalen Frieden und die Eintracht aufrechtzuerhalten, welche durch die Zerstörung Polens erschüttert worden seien. Nur ein System, das »auf den Grundlagen des allgemeinen Interesses, der Mäßigung und der Gerechtigkeit gründet«45, könne den Kriegen in Europa ein Ende setzen. Die gegenwärtige Situation Europas sei »die gewaltsamste seit dem Eindringen der Nordvölker, […] eine neue Revolution droht es nochmals in diesen Zustand der Barbarei zurückzustoßen, aus dem es die langsamen Fortschritte des menschlichen Geistes

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monarchies parce qu’il apprend aux fourbes à enchaîner la probité franche. Ebd., 12/49, 19. Brumaire an II (9.11.1794), 447. Ebd. [ Joseph] Eschassériaux, Des intérêts de la République française et de toutes les puissances de l’Europe, in: Moniteur 27/138–140, 18.–20. Pluviôse an IV (7./8./9.2.1796), 549 f., 553 f., 557 f.; 27/211, 1. Floréal an IV (20.4.1796), 841 f. […] un vain équilibre et une paix trompeuse dans les alliances, dans ces intrigues de cour, dans ces traités ou ces intérêts de commerce. Ebd., 27/138, 18. Pluviôse an IV (7.2.1796), 549. […] le prétexte de toutes les ambitions, la cause de toutes les guerres, le malheur constant des peuples. Quiconque a eu la puissance a voulu conquérir, asservir et régner. Ebd., 550. […] fondé sur les bases de l’intérêt général, de la modération et de la justice. Ebd., 27/140, 20. Pluviôse an IV (9.2.1796), 557.

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herausgezogen hatten«46. Aus dieser Unordnung müsse eine neue, auf einer allgemeinen Übereinkunft gründende Ordnung entstehen, welche den Kontinent vor allgemeinen Revolutionen schütze. Seit fünf Jahren habe sich, schrieb Eschassériaux, »eine große Bewegung in der Politik ereignet. Die Bande, die einen Teil der europäischen Mächte durch Verträge aneinandergebunden haben, sind zerrissen worden, die diplomatischen Beziehungen verändert oder ganz zerbrochen, das politische Gleichgewicht verschoben, das Völkerrecht missachtet; eine neue Ordnung muss hergestellt werden«47. Dafür böten die alten Verträge keine Hilfe, denn »der Westfälische Frieden, der Pyrenäenfrieden und die Friedensverträge von Aachen, Nimwegen, Rijswijk und Utrecht waren zum größten Teil nur feierliche Akte der Teilung oder der großen Politik zwischen den Fürsten, die sie unterzeichneten«48. Die weltweite Lage habe sich seit der amerikanischen, französischen und polnischen Revolution völlig verändert: »Eine neue Reihe von Ereignissen hat eingesetzt, ohne dass sich der Kriegsschauplatz geändert hätte. […] Ein nahezu allgemeiner Krieg um politische Meinungen und Unabhängigkeit hat sich entwickelt.«49 Die Neubegründer der internationalen Ordnung sahen sich laut Eschassériaux mit bislang unbekannten Problemen konfrontiert: »Neue Gesetze müssen geschaffen, neue Grenzen festgelegt, Regierungen versöhnt, alle Elemente des Friedens und Mächte, die durch neue politische Meinungen, alten nationalen Hass und durch gegenwärtige Streitigkeiten entzweit sind, einander angenähert werden – das sind die großen Aufgaben, welche das ganze Geschick und den Ideenreichtum der Unterhändler herausfordern müssen.«50 »Die Unabhängigkeit aller Territorien und jeder Regierung« und »die Freiheit

46 […] la plus violente où elle se soit trouvée depuis l’invasion des peuples du Nord, […] une révolution nouvelle menace encore de la replonger dans cet état de barbarie, d’où l’ont tirée les progrès lents de l’esprit humain. Ebd. 47 […] il s’est opéré un grand mouvement dans la politique, les liens qui rattachaient une partie des puissances de l’Europe, sous le nom de traités, ont été rompus, les rapports diplomatiques changés ou renversés, l’équilibre politique déplacé, le droit des gens méconnu, il faut rétablir un nouvel ordre. Ebd., 27/211, 1. Floréal an IV (20.4.1796), 841. 48 […] les traités de Westphalie, des Pyrénées, d’Aix-la-Chapelle, de Nimwegen, de Ryswick, d’Utrecht, n’ont été pour la plupart que des actes solennels de partage ou de grande police entre les princes qui les ont signés. Ebd. 49 Une nouvelle carrière d’événements s’est ouverte, sans que le théâtre ait changé. […] Il s’est fait une guerre presque générale d’opinions politique et d’indépendance. Ebd., 841 f. 50 […] de nouveaux droits à régler, de nouvelles barrières à fixer, des gouvernements à concilier, tous les éléments de la paix à rapprocher, des puissances divisées par de nouvelles opinions politiques, par d’anciennes haines nationales, et par les ressentiments des querelles présentes ; voici les grands objets qui doivent appeler toute l’habilité et le génie des négociateurs. Ebd., 842.

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des Handels und der Meere«51 würden zur Grundlage der neuen Weltordnung. Eschassériaux spricht sich für einen allgemeinen europäischen Vertrag aus, in dem die Grenzen festgelegt und vor allem die zersplitterten Staaten aufgelöst werden sollten. Die Notwendigkeit, entlegene Territorien mit anderen Sitten und Sprachen zu verteidigen, sei die Ursache zahlreicher Kriege gewesen. Es dürfe nicht länger Herrschaften über weit entfernte Gebiete geben. Stattdessen sollten Staaten, die sich selbst regieren, gefördert werden. Zwei Jahre später sah Eschassériaux in der Eröffnung des Rastatter Kongresses die Möglichkeit zur Realisierung dieser aus seiner Sicht notwendigen allgemeinen Neuordnung: »Alle Hoffnungen, alle Zweifel knüpfen sich gegenwärtig an den Kongress zu Rastatt. Die ganze Welt erwartet von dieser Versammlung den Frieden. […] Alle unparteiischen Männer haben heute nur noch einen Wunsch, nämlich dass dieser Kongress, der unzugänglich geworden ist für die Einflüsse, die den Krieg entfacht haben, und die alles in Bewegung setzen, um ihn wieder zu entfachen, die Sachlage tief durchdringt und nicht eher auseinandergeht, als die Wunde Europas ergründet worden ist.«52 Er bekräftigte seine Überzeugung, wonach der Bruch mit der alten Ordnung vollzogen sei: »Ein neuer Zustand hat die alten Verhältnisse abgelöst. Alles hat sich geändert auf dem Kontinent, die Beziehungen der alten politischen Ordnung existieren nicht mehr. Einige Mächte sind verschwunden, neue Völker haben ihren Platz eingenommen; andere haben ihre Grenzen erweitert; der Krieg hat die Grenzen von einigen anderen enger geschnürt; die Hälfte des Kontinents wird durch andere Verfassungen und andere politische Meinungen beherrscht. Ein neues Gleichgewicht hat sich gebildet; die Vergrößerung der französischen Republik und die Geburt der italienischen Republiken im Süden haben jenes Gleichgewicht wiederhergestellt, das durch die Zerstörung Polens im Norden Europas erschüttert worden war. Der Vertrag von Campoformio und die Vorverhandlungen von Rastatt haben neue Meilensteine gesetzt. Dank dieser Verträge konnten die Rechte und Interessen der wichtigsten kriegführenden Mächte berücksichtigt werden.«53 Von nun an müsse 51 […] l’indépendance de tout territoire et de tout gouvernement und la liberté du commerce et des mers. Ebd. 52 […] toutes les espérances, toutes les craintes, sont attachées dans ce moment sur le congrès de Rastadt. Le monde entier demande la paix à cette assemblée. […] Tout ce qu’il y a d’hommes impartiaux ne forme aujourd’hui qu’un vœu, c’est que ce congrès devenu inaccessible aux inspirations qui ont allumé la guerre, et qui agitent tout pour la rallumer encore, pénètre profondément la situation des affaires, et ne se sépare pas sans avoir sondé la véritable plaie de l’Europe. Moniteur 345 u. 346, 15./16. Fructidor an VI (1./2.9.1798), 1382–1383, 1386–1387. 53 Un nouvel état a succédé à l’ancien état de choses ; tout est changé sur le continent; les rapports de l’ordre politique ancien n’existent plus ; des puissances ont disparu, de nouveaux peuples ont pris

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nach der Erschütterung durch die Revolutionen der Friede wiederhergestellt werden: »Der republikanische Krieg ist der elektrische Leiter der Revolutionen; der Friede muss die grundlegende Politik der Staaten sein.«54 Eschassériaux forderte eine allgemeine antienglische Liga zur Freiheit der Meere und den allgemeinen Verzicht auf Sklavenhaltung in allen europäischen Kolonien. Die Gesandten müssten vorausschauend handeln und ein System weltweiter Sicherheit und des Wohlstandes errichten: »Der Westfälische Friede hat Deutschland befriedet, der Pyrenäenfrieden Spanien und Frankreich, der Friede von Rijswijk die Niederlande; der Friede von Aachen hat vorübergehend einen Teil der europäischen Mächte entwaffnet; Rastatt wird nun vorerst den Kontinent befrieden. Aber was ist mit den Meeren, was mit der Zukunft – welche Verträge werden dieses große Werk vorbereiten?«55 Nach dem 18. Brumaire und dem Scheitern des Direktoriums in Europa übertrug Eschassériaux seine Hoffnungen auf Bonaparte: Er solle den allgemeinen Frieden herbeiführen, der die europäische Ordnung neu begründe. In den ersten Jahren der Konsulatszeit erschien Bonaparte vielen »gemäßigten« Republikanern zugleich als siegreicher General und als der politische Führer, der am ehesten den Frieden im Innern und in den Beziehungen mit den andern Mächten verwirklichen und damit die Revolution beenden konnte. Dementsprechend sah Eschassériaux im ersten Konsul den würdigen Nachfolger Las Casas’, Heinrichs IV., des Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseaus, die den Frieden durch das Recht gedacht hatten. Es sei Bonaparte, »dem der neue Ruhm vorbehalten ist, die großzügigen Zielsetzungen [dieser großen Männer] zu verwirklichen«56. Die vergangenen zehn Jahre seien wie Jahrhunderte »der Meinungs-, Unabhängigkeits- und Handelskriege« (guerres d’opinions, d’indépendance et de commerce) gewesen. Trotz des Friedens von Lunéville befänden sich das »koloniale System der Mächte sowie ihre Hanrang; d’autres ont agrandi l’enceinte de leurs limites ; la guerre a resserré les limites de quelques autres; la moitié du continent est régie par d’autres constitutions et d’autre opinions politiques. Un nouvel équilibre s’est formé; l’agrandissement de la République française et la naissance des républiques italiques au midi ont rétabli la balance que la destruction de la Pologne avait renversée au nord de l’Europe. Le traité de Campoformio et les préliminaires de Rastadt ont posé de nouvelles bornes et achevé de régler les droits et les intérêts des principales puissances belligérantes. Ebd. 54 La guerre républicaine est le conducteur électrique des révolutions ; la paix doit être la politique profonde des États. Ebd. 55 Le traité de Westphalie a pacifié l’Allemagne; celui des Pyrénées, l’Espagne et la France, celui de Riswick, la Hollande; celui d’Aix-la-Chapelle a désarmé pour un moment une partie des puissances de l’Europe; Rastadt va finir de pacifier le continent pour cet instant; mais les mers, mais l’avenir, quels seront les traités qui auront la gloire de préparer ce grand ouvrage? Ebd. 56 […] qu’est réservée la nouvelle gloire de réaliser les conceptions généreuses. Ebd.

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delsgesetze« (système colonial des puissances, leurs lois commerciales) noch immer in einem »fortwährenden Kriegszustand« (état perpétuel de guerre)57. Außerdem befinde sich das öffentliche Recht Europas »nicht in Einklang mit der Situation der Gesellschaft« (sans harmonie avec son état social), und »zivilisierte Völker« (des peuples civilisés) würden noch immer »von Institutionen aus barbarischen Zeiten regiert« (régis entre eux par des institutions de temps barbares). »Die Unabhängigkeit der Völker, ihre Besitztümer, ihre Erzeugnisse« (l’indépendance des peuples, leurs propriétés, leur industrie) hätten keine anderen Garantien als Einzelabsprachen und keine allgemeinen Prinzipien zur Grundlage. Es brauche deshalb ein neues politisches System, das den Zwiespalt beende und die Völker vereine. Die Zeit der Revolutionen und der Gegenrevolutionen sei vorbei, die Grundregel jeder Diplomatie müsse »der Respekt der etablierten Regierungen und ihrer Unabhängigkeit« sein58. Es sei Aufgabe Frankreichs, »alle Revolutionen, die mit der Zeit die großen Ideen der Zivilisation zerstören könnten, zu verhindern«59. Frankreich müsse sich an die Spitze eines »gemeinsamen Systems aus Defensivbündnissen« (système commun de confédération défensive) setzen, bestehend aus »Staaten, die ihre Unabhängigkeit vor Revolutionen und ihr Territorium vor Einfällen bewahren wollen«60. Der kontinentale Friede löse die oben genannten großen Friedenschlüsse des 17. und 18. Jahrhunderts ab. Er stelle »die ersten Grundlagen einer Ordnung [dar], auf der sich die Nationen und Regierungen nach so vielen Wirren und so viel Unglück eine Zeitlang werden ausruhen können«61. Das allgemeine Friedenssystem der Zukunft müsse sich auf drei Prinzipien stützen: »Sicherheit, Unabhängigkeit und Zivilisation« (sûreté, indépendance et civilisation), verkörpert in einem gemeinsamen Gesetzbuch des öffentlichen Rechts, das »anerkannt wird wie das Gesetz der Nationen zu Lande und zu Wasser«62. Die Französische Revolution habe »alle Beziehungen, alle Bindungen zwischen den Nationen zerbrochen und die Bündnisse verschoben; die Grenzen fast aller europäischer Staaten wurden verschoben […], jede Ordnung ist umgekehrt worden, jedes Interesse

57 Joseph Eschassériaux aîné tribun, Tableau politique de l’Europe au commencement du XIXe siècle et moyen d’assurer la paix générale, Paris, an X (1801), 9. 58 […] le respect des gouvernements établis et de leur indépendance. Ebd., 28. 59 [C’est à la France] qu’il appartient d’empêcher toutes les révolutions qui pourraient avec les temps détruire toutes les grandes idées de civilisation. Ebd., 43. 60 […] les États qui veulent garder leur indépendance à l’abri des révolutions, et leur territoire de l’envahissement Ebd., 43 f. 61 […] les premières bases d’un ordre dans lequel, après tant de convulsions et de malheurs, les nations et les gouvernements pourront se reposer quelqu’ intervalle. Ebd., 44. 62 […] reconnu comme la loi des nations entre elles sur la terre et sur les mers. Ebd., 51.

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missachtet, jede Regel, jedes Prinzip zerstört«63. Es sei daher notwendig, ein gemeinsames Recht zu schaffen. Eine Defensivallianz der Staaten müsse entstehen, »um eine auf dem Naturrecht und dem Völkerrecht beruhende Ordnung der Dinge aufrechtzuerhalten, wie sie dem Interesse und dem Wohlstand aller Nationen entspricht«64. Eschassériaux spricht sich jedoch nicht für eine einseitige Ausrufung des Völkerrechts aus, wie dies die Abgeordneten der Linken im Mai 1790 gefordert hatten. Er vertrat fortan eine auf Kompromiss und die Diskussion positiver multilateraler Konventionen zwischen Staaten abzielende Sichtweise. Es gehe nicht darum, die Menschen und Nationen gegen die Despoten zu mobilisieren, sondern den revolutionären Gewittern ein Ende zu setzen. Die Jahre 1800 bis 1802 erschienen Eschassériaux und einem großen Teil seiner Zeitgenossen als ein Angelpunkt, in dem die Stabilisierung einer neuen Weltordnung möglich war. Bonaparte erschien ihnen als Mann des Friedens, der Campoformio, Lunéville und das Konkordat ausgehandelt hatte, und nicht als Mann des Krieges. Freilich kam diese Ordnung nicht zustande, und es war eine ganz andere internationale Konstellation, die 1815 aus dem Wiener Kongress hervorging. Aber aus der Sicht der Zeitgenossen bestand kein Zweifel, dass die internationalen Strukturen und Beziehungen, die das frühneuzeitliche Europa charakterisiert hatten, um 1800 unwiederbringlich zu Ende gegangen waren.

IV. Schlussfolgerungen In der Tradition Albert Sorels hat die Geschichtsschreibung häufig die Kontinuitäten zwischen der Außenpolitik der Könige und jener der Republik und Napoleons betont65. Über die Ähnlichkeiten hinaus muss man sich indes fragen, wie die Akteure selbst den Übergang vom Europa des 18. Jahrhunderts zum Europa des 19. Jahrhunderts wahrgenommen haben, waren sie sich doch der Tatsache bewusst, eine Zeit des schnellen strukturellen Wandels der inter63 […] a rompu tous les rapports, tous les liens des nations, déplacé les alliances ; presque tous les États de l’Europe sont sortis de leur sphère […], tout ordre a été interverti, tout intérêt méconnu, toute règle, tout principe, détruits. Ebd., 52 f. 64 […] pour maintenir un ordre de choses fondé sur le droit naturel et le droit des gens, et que réclament l’intérêt et la prospérité de toutes les nations. Ebd., 60. 65 Albert Sorel, L’Europe et la Révolution française. Paris 1885–1904. Man findet den Einfluss Sorels noch in den Werken von François Furet und Denis Richet, beispielsweise in Frontières naturelles, in: Dictionnaire critique de la Révolution française, Paris 1988, 742–750.

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nationalen Ordnung und der Außenbeziehungen zu erleben. Für beinahe alle Kommentatoren war das Europa um 1800 nicht mehr jenes der 1770er Jahre: Die Beziehungen zwischen den Staaten waren sowohl in ihrer Form als auch in ihren Grundsätzen anders geartet. Die Vergleichsbeispiele, die in den Schriften der wichtigsten politischen Akteure zur Beschreibung der Ziele der Außenpolitik am häufigsten wiederkehren, sind der Wiederaufbau Europas in der Folge des Westfälischen Friedensschlusses und die Umgestaltungen, die durch die Reformation verursacht worden waren. Es handelt sich hierbei um Motive, die vor allem im Zeitraum von 1795 bis 1800 auftauchten. Für die Zeitgenossen ging es darum, auf vergleichbare Weise ein Fundament für eine allgemeine territoriale Ordnung aufzubauen, wie dies 1648 nach den Umwälzungen, die durch die Konfessionskriege hervorgerufen worden waren, geschehen sei. Die Revolution verstand sich nach dem Vorbild der Reformation als Ausgangspunkt für eine neue Ära der zwischenstaatlichen Beziehungen, die sich durch eine neue Geopolitik und neue Grenzziehungen auszeichnen sollte. An dieser Stelle soll nicht geklärt werden, ob die Reformation tatsächlich der Ursprung einer solchen Umwälzung war oder ob die Westfälischen Friedensverträge wirklich diesem Modell entsprachen. In der Tat neigen wir heute dazu, den Einfluss dieser beiden historischen Ereignisse auf die europäische Ordnung völlig anders zu bewerten. Den Menschen um 1800 jedoch erschienen diese Parallelen offensichtlich. Die Revolution markierte auch einen Bruch mit dem öffentlichen Recht Europas, denn das »erneuerte« Frankreich brach nicht nur mit den Verträgen und den Konventionen, die von den »alten Tyrannen« unterzeichnet worden waren, sondern auch mit dem Statut des öffentlichen Rechts und des Völkerrechts, wie es vor 1789 anerkannt gewesen war. Das existierende positive öffentliche Recht war nach französischer Auffassung illegitim, wenn es nicht den natürlichen Rechten der Nationen entsprach; die Souveränität der Völker war demnach etwas gänzlich anderes als die Souveränität der Dynastien und der Fürsten. 1800 war aus zeitgenössischer Perspektive ein Wendepunkt der Geschichte: Die in Kants Zum ewigen Frieden (1795) zusammengefassten kosmopolitischen Perspektiven der Aufklärung wurden in Frage gestellt. Nun ging es nicht mehr um die Ausrufung des Rechts der Nationen und die Errichtung des ewigen Friedens durch das Recht, sondern um den Wiederaufbau einer Mächteordnung, die indessen zugleich neue Interaktionsformen zwischen den Staaten implizierte. Diese sollte nach der Niederlage des napoleonischen Imperialismus durch den Wiener Kongress 1815 vollendet werden. Übersetzung aus dem Französischen: Nadine Amsler

No Punctilios of Ceremony? Völkerrechtliche Anerkennung, diplomatisches Zeremoniell und symbolische Kommunikation im Amerikanischen Unabhängigkeitskonflikt Von Matthias Köhler

Anfang September 1776 befasste sich der Kontinentalkongress der 13 Vereinigten Staaten Nordamerikas, die sich erst kurz zuvor für unabhängig erklärt hatten, zum ersten Mal mit einem delikaten Problem: Wie musste man im diplomatischen Verkehr auftreten und welche Formalitäten musste man einfordern, um als unabhängig anerkannt zu werden oder jedenfalls die eigenen Ansprüche nicht sogleich wieder zu desavouieren? Das sich nun entfaltende Ringen der amerikanischen Revolutionäre um den richtigen Umgang mit den zeremoniellen Umgangsformen der europäischen Diplomatie des Ancien Régime bildet ein ausgesprochen aufschlussreiches Anschauungsbeispiel für den Funktionswandel der diplomatischen Zeichensprache um 1800 und für den Aushandlungsprozess von Selbst- und Fremdbildern in interkultureller Kommunikation. Ihre Untersuchung eröffnet mithin die Möglichkeit, die Diplomatiegeschichte ein Stück weiter aus dem stahlharten Gehäuse des »Eigentlichen« zu befreien1. Die Debatte vom September 1776 war Folge des Versöhnungsangebots des britischen Oberkommandierenden in Amerika, Lord Howe, der es allerdings demonstrativ vermieden hatte, sich direkt an den Kongress zu wenden. Er erklärte sich zwar bereit, mit Kongressmitgliedern zu verhandeln, wollte diese aber nur als private gentlemen empfangen2. Einige der Abgeordneten plädierten für Verhandlungen und meinten, es käme in erster Linie auf die Inhalte des Angebots an. Dagegen wies John Witherspoon auf den seiner Ansicht nach 1 Was bei allen Unterschieden im Detail sowohl von deutschen Frühneuzeit- wie von amerikanischen Revolutionshistorikern angestrebt wird. Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hrsg. v. ders. (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 35), Berlin 2005, 9–24; Jeffrey L. Pasley / Andrew W. Robertson / David Waldstreicher, Introduction. Beyond the Founders, in: Beyond the Founders. New Approaches to the Political History of the Early American Republic, hrsg. v. dens., Chapel Hill NC 2004, 1–28. 2 Zu Howes Mission, ihrer Vorgeschichte und den Folgen: Ira D. Gruber, The Howe Brothers and the American Revolution, New York 1972, 26–43, 58–100; Weldon A. Brown, Empire or Independence. A Study in the Failure of Reconciliation, 2. Aufl., Port Washington NY 1966, 75–115.

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unlösbaren Zusammenhang zwischen Verfahrensformen und den Statusansprüchen der Beteiligten hin. Gleichzeitig fühlte er sich aber genötigt, sich zu verteidigen. Es gehe ihm keineswegs um bloße punctilios of ceremony: »Ich halte es für wichtig, mit der größten Aufmerksamkeit alle Begleitumstände dieser Anfrage zu betrachten. […] Dies hat nichts mit zeremoniellen Spitzfindigkeiten zu tun. […] Dass wir dies nicht so empfinden, zeigt, dass wir noch keine ausreichenden Vorstellungen von der Unabhängigkeit gewonnen haben und dass uns ihre Gepflogenheiten noch fremd sind; woraus ich lediglich schlussfolgere, dass jeder Schritt im Rahmen des vorgeschlagenen Austauschs einer faktischen oder zumindest partiellen Aufgabe der Würde gleichkommt, die wir erst vor so kurzer Zeit erworben haben.«3 Die Rede von Gewohnheiten und der Würde der Souveränität verweist auf die von den Amerikanern intensiv rezipierte aufgeklärte Völkerrechtslehre Vattels und über diesen Umweg auf die frühneuzeitliche Praxis der europäischen Diplomatie, die den Hintergrund der Debatte bildete4. Denn das gewohnheitsrechtlich verfestigte Medium, vermittels dessen die Diplomatie des Ancien Régime den Einschluss und Ausschluss verschiedener Herrschaftsträger in eine Ordnung völkerrechtlicher Souveräne regelte, war ja gerade das diplomatische Zeremoniell5. Seines souveränen Status’ konnte sich letzten Endes nur sicher sein, wem es gelang, für seine Gesandten die gleiche Behandlung wie für den Botschafter eines Königs durchzusetzen, und zwar insbesondere in Bezug auf 3 I think it is of importance to attend with greater exactness to all the circumstances of that message. [...] It is quite a different thing from any punctilios of ceremony. [...] That we do not feel it, shews that we have not yet acquired the whole ideas and habits of independence; from which I only infer, that every step taken in a correspondence as now proposed, will be a virtual or partial renunciation of that dignity so lately acquired. John Witherspoon’s Speech in Congress, 5.9.1776, in: Letters of Delegates to Congress, 1774–1789, hrsg. v. Paul H. Smith, 25 Bde., Washington, D. C. 1976–2000, Bd. 5, 108–113. Zur Debatte insgesamt ebd., 89–185; Journals of the Continental Congress, 1774–1789, hrsg. v. Worthington C. Ford u. a., 34 Bde., Washington DC 1904–1937, Bd. 5: 2.9.–5.9.1776, 728–737. 4 Emer de Vattel, Le droit des gens. Ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains, dt. Übers. m. Einl., Tübingen 1959 [frz. Orig. London 1758]. Zu Vattels Einfluss in Amerika vgl. Albert de Lapradelle, Introduction, in: Emer de Vattel, The Law of Nations or the Principles of Natural Law as Applied to the Conduct and to the Affairs of Nations and of Sovereigns, Washington 1916, xxix–xxx. 5 Barbara Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. Zur zeremoniellen Selbstdarstellung des brandenburgischen Hofes vor dem europäischen Publikum, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N. F. 7 (1997), 145–176; dies., Honores regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung, hrsg. v. Johannes Kunisch, Berlin 2002, 1–26.

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die Gestaltung seiner ersten Audienz. In diesem Medium überlappten sich allerdings stets völkerrechtlicher und sozialer Status der Souveräne. Deshalb hatten es Republiken lange Zeit schwer, ihre zeremoniellen Statusansprüche gegenüber Fürsten durchzusetzen, sofern sie sich in ihrer Repräsentation nach außen nicht weitgehend den Regeln ihrer monarchischen Umwelt anpassten6. Allerdings war gerade das diplomatische Zeremoniell in der aufklärerischen Kritik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Sinnbild der Korruption der monarchisch-höfischen Diplomatie geworden und löste sich auch in der Praxis – wenngleich nur allmählich – von seinen ursprünglichen Funktionen7. Die amerikanischen Revolutionäre definierten ihre politische Kultur in deutlicher Abgrenzung zu derjenigen der europäischen Monarchien8. Die Ablehnung des Zeremoniells war in dieser Hinsicht ein Kristallisationspunkt; den Vorwurf, sich mit zeremoniellen Spitzfindigkeiten zu befassen, wollte sich niemand machen lassen. Auch der Kongress konnte allerdings Form und Inhalt politischer Verfahren nicht trennen und war durchaus gezwungen, sich spitzfindige Gedanken über den diplomatischen Umgang zu machen. Denn er stand vor dem Problem, dass er einerseits die Anerkennung der Vereinigten Staaten durch Monarchen anstrebte, sich zum andern aber auch nach außen dezidiert als Republik darstellen wollte. Dennoch gelang Interaktion oft auf 6 André Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; Thomas Maissen, Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, Göttingen 2006; Matthias Schnettger, Rang, Zeremoniell, Lehnssysteme. Hierarchische Elemente im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit, in: Die frühneuzeitliche Monarchie in Europa und ihr Erbe. Festschrift für Heinz Duchhardt zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Ronald G. Asch, Münster 2003, 179–195. 7 Neben anderen: Marc Belissa, La diplomatie et les traités dans la pensée des lumières. ›Negociation universelle‹ ou ›école du mensonge‹, in: Revue d’histoire diplomatique 113 (1999), 291–317; Linda Frey / Marsha Frey, ›The Reign of the Charlatans is over‹. The French Revolutionary Attack on Diplomatic Practice, in: Journal of Modern History 65 (1993), 706–744; Miloš Vec, ›Technische‹ gegen ›symbolische‹ Verfahrensformen? Die Normierung und Ausdifferenzierung der Gesandtenränge nach der juristischen und politischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Vormoderne politische Verfahren (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 25), hrsg. v. Barbara Stollberg-Rilinger, Berlin 2001, 559–588. 8 Wann sich hier ein Bruch ergab, darüber hat sich allerdings eine Debatte entsponnen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Klassisch: Gordon S. Wood, The Radicalism of the American Revolution, New York 1991; Jack P. Greene, Pursuits of Happiness. The Social Development of Early Modern British Colonies and the Formation of American Culture, Chapel Hill NC u. a. 1988. Mit besonderem Blick auf die Außenpolitik: Mlada Bukovansky, Legitimacy and Power Politics. The American and French Revolutions in International Political Culture, Princeton NJ 2002, 110–162.

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der Basis partieller Übereinstimmungen, da die Normensysteme beider Seiten weder in sich einheitlich waren noch einander gänzlich ausschlossen9. Deshalb konnte mitunter gerade die Darstellung republikanischer Identität im zeremoniellen Rahmen rein zeremonielle Inszenierungsmängel überdecken – solange das europäische Publikum bereit war, die Amerikaner als positives Gegenbild zur eigenen Gesellschaft wahrzunehmen. Dies soll im Folgenden anhand einiger Episoden des Konflikts um die symbolische Dimension der diplomatischen Anerkennung der Vereinigten Staaten veranschaulicht werden. Zunächst werden die Verhandlungen mit Lord Howe untersucht, anschließend die ersten inoffiziellen Kontakte in Europa. Dabei zeigt sich, wie zunächst um die Deutungshoheit über den Status von Kontakten gerungen wurde und schließlich Anerkennungsansprüche für beide Seiten erkennbar ausgesetzt wurden. Der Empfang der amerikanischen Gesandten in Versailles und des französischen Gesandten in Washington lassen erkennen, wie sich zeremonielle Anerkennungsakte und die Darstellung republikanischer Identität vermischen konnten. Die Anerkennung der Vereinigten Staaten durch das Mutterland und die weitere Entwicklung der amerikanisch-britischen Beziehungen, die an dieser Stelle nur angerissen werden können, lassen schließlich ein Anerkennungsverfahren erkennen, das von der zeremoniellen Praxis weitgehend unabhängig war.

I. Ein Gespräch unter Freunden Der Kongress sah sich nach Howes Versöhnungsangebot in Zugzwang, denn man wollte weder vor dem heimischen Publikum als Kriegstreiber erscheinen, der sich Verhandlungen verweigerte, noch vor der europäischen Diplomatie als kompromissbereit in Bezug auf die Unabhängigkeitsfrage. Deshalb entschied man schließlich, drei Vertreter zu einem Gespräch mit Howe zu entsenden, diese aber zuvor ausdrücklich und öffentlich zur Kongressdelegation zu erklären, um die eigenen Ansprüche klarzustellen. Als sich die Kommission, bestehend aus Benjamin Franklin, John Adams und John Rutledge, Howes Hauptquartier auf Staten Island näherte, stellte sich allerdings das Problem, wie man die Praxis einseitiger Deklarationen nun 9 Die Gedanken zu interkultureller Kommunikation folgen den beispielhaften Arbeiten von Christian Windler, besonders: La diplomatie comme expérience de l’Autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840), Genf 2002; ders., Diplomatic History as a Field for Cultural Analysis: Muslim-Christian Relations in Tunis, 1700–1840, in: The Historical Journal 44 (2001), 79–106.

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in Interaktionsverhalten umsetzen könne10. Dies zeigte sich bereits, als Howe den Amerikanern einen Offizier entgegenschickte, der als Geisel auf dem Festland warten sollte, um ihre Sicherheit zu garantieren11. Die Amerikaner wiesen diese »Höflichkeit« entschieden als »unnötig« zurück und bestanden damit auf ihrer diplomatischen Immunität. Howe wiederum dankte ihnen daraufhin für ihr Vertrauen in seine persönlichen friedlichen Absichten, sah sich also weiterhin nicht von Amts wegen verpflichtet, ihre Sicherheit zu gewährleisten – natürlich nicht, weil er sie aus Freundschaft beschützen, sondern weil er sie als Rebellen behandeln wollte. Die Probleme wurden schließlich gelöst, indem man einvernehmlich die Verhandlungen zu einer Konversation unter Freunden erklärte, einer Gesprächsform, die die Statusansprüche der Parteien offen ließ. Howe wies zunächst auf den unvermeidlichen Zusammenhang zwischen Behandlung und Anerkennung hin: Er könne die Amerikaner nicht als Kongressabgesandte anerkennen (re-cognize), sondern sie nur als Privatpersonen behandeln (treat). Franklin lieferte darauf die allseitig gutgeheißene Lösung, »dass Seine Lordschaft die anwesenden Herren als das betrachten möge, was er für angemessen halte – dass es ihnen ebenso frei stehe, sich selbst unter ihrem wahren Charakter zu sehen – dass bei dieser Gelegenheit keine Notwendigkeit bestehe, zwischen dem Kongress und seinen einzelnen Mitgliedern zu unterscheiden – und dass das Gespräch wie unter Freunden stattfinden solle«12. Das »formlose« Gespräch unter Freunden bildete einen gemeinsamen Referenzrahmen 10 Das Treffen ist in verschiedenen Augenzeugenberichten überliefert: Am ausführlichsten in den Notizen von Howes Sekretär Henry Stratchey (Meeting of Lord Howe with a Committee of Congress, 11.9.1776, ediert in: Letters of Delegates [Anm. 3], Bd. 5, 137–144), dann in einem Brief John Adams an seinen Bruder Samuel vom 14.9.1776 [ebd., 159–62] und mit weiteren Details in John Adams’ Autobiographie (John Adams, Diary and Autobiography of John Adams, hrsg. v. Lyman H. Butterfield u. a., 4 Bde. [The Adams Papers. Series 1, Diaries], New York, N. Y. 1964, hier Bd. 3, 417–430), im offiziellen und veröffentlichten Bericht der Delegierten vor dem Kongress vom 17.9. ( Journals of the Continental Congress [Anm. 3], Bd. 5, 765 ff.) und knapper im Bericht Howes nach London (Letters of Delegates [Anm. 3], Bd. 5, 142) sowie sehr knapp in den Briefen John Rutledges an George Washington vom 11.9. und an Robert Livingston vom 2.10.1776 (ebd., 137, 294 ff.). 11 J. Adams, Diary (Anm. 10), Bd. 3, 419 (11.9.1776). 12 […] that his Lordship might consider the gentlemen present in any view he thought proper – that they were also at liberty to consider themselves in their real character – that there was no necessity on this occasion to distinguish between the Congress and individuals – and that the conversation might be held as amongst friends. H. Stratchey, Meeting (Anm. 10), 139. Die anderen Quellen beschreiben den Vorgang ähnlich, wenn auch nicht wortgleich und mit Auslassungen an unterschiedlichen Stellen.

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jenseits der Brüche der politischen Kultur, der unabhängig von tatsächlicher persönlicher Zuneigung gern aufgenommen wurde13. Aufgrund der unvereinbaren Standpunkte in Bezug auf die Unabhängigkeitsfrage trug die postulierte Freundschaft allerdings nur für eine ausgesprochen kurze Konversation. Wie schon Franklins Hinweis auf den »wahren Charakter« der Kongressvertreter erahnen lässt, war die Erklärung der Kontakte zur Konversation zwar kein Hindernis, die eigenen Ansprüche im Anschluss mit Nachdruck zu vertreten, aber auch keine Garantie dafür, die Deutungshoheit über die Vorgänge gegenüber dem heterogenen Publikum zu bewahren. Der Kongress wandte sich prompt nach der Rückkehr der Kommission mit einer offiziösen Beschreibung des Vorgangs an die amerikanische Öffentlichkeit, um seine Standhaftigkeit und Howes mangelnde Kompromissbereitschaft zu demonstrieren und erzielte damit einen großen Propagandaerfolg – zumal auch die Inhalte von Howes Angebot ausgesprochen unbefriedigend erschienen14. Bei europäischen Diplomaten dagegen verstärkte der Vorgang Zweifel darüber, wie ernst die Unabhängigkeitserklärung des Kongresses zu nehmen sei.

II. Diplomatisches Inkognito Im Laufe des Jahres 1777 nahm der Kongress in Angriff, was das eigentliche Ziel der Unabhängigkeitserklärung gewesen war: durch Entsendung von Diplomaten die Unterstützung europäischer Regierungen zu gewinnen15. Obwohl der Kongress seine Gesandten ausdrücklich instruiert hatte, die europäischen Regierungen zu einer öffentlichen Anerkennung der Unabhängigkeit zu bewegen, erwies sich auch hier die Aussetzung der Statusansprüche zunächst als einzig gangbare Alternative16. Denn auch wenn vor allem Frankreich zu einer 13 Franklin und Howe verband tatsächlich eine Bekanntschaft; Adams dagegen hatte im Vorfeld ausgesprochen wenig Zuneigung zu Howe erkennen lassen: Vgl. etwa Adams an James Warren, 4.9.1776 und 8.9.1776, in: Letters of Delegates (Anm. 3), 102 f., 122 f. 14 Journals of the Continental Congress (Anm. 3), Bd. 5, 755 (13.9.1776), 765  ff. (17.9.1776). 15 Vgl. insbes. David Armitage, The Declaration of Independence and International Law, in: William and Mary Quarterly 59 (2002), 39–64. 16 Instructions to Benjamin Franklin, Thomas Jefferson and Silas Deane as Commissioners to France, 24.9.1776, in: The Papers of Benjamin Franklin, hrsg. v. Ellen R. Cohn u. a., z. Zt. 38 Bde., New Haven, Conn. 1960 ff., Bd. 22, 624–628. Die endgültige Version, in der Jefferson durch Arthur Lee ersetzt ist, folgt der zitierten wörtlich. Darüber hinaus wurde beschlossen, die Gesandten sollten live in such a style and manner at the court of France […] as to support the dignity of their public character. Additional Instructions to Commisioners, 28.9.1776, in: ebd., 629.

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mehr oder weniger verdeckten materiellen Unterstützung der Rebellen durchaus bereit war, war niemand willens, durch eine offizielle Anerkennung der amerikanischen Diplomaten und damit des Kongresses eine Kriegserklärung Großbritanniens zu riskieren17. Im Gegensatz zu den Kontakten mit Howe ließ sich hier allerdings auf etablierte Konventionen der europäischen Diplomatie zurückgreifen, die es einem Diplomaten erlaubten, in einem fiktiven Zustand des Inkognito zu verbleiben, wenn er auf die Präsentation seiner Vollmachten und offizielle Audienzen verzichtete18. Am erfolgreichsten war die dreiköpfige Delegation in Paris, die aus Arthur Lee, Silas Deane und Franklin bestand, und zwar nicht nur, was Verhandlungen über materielle Hilfe betraf. Während durch das Inkognito jede offizielle diplomatische Repräsentation unmöglich war, hatte Franklins informelle Selbstdarstellung spektakulären Erfolg. Durch gezieltes self-fashioning als Exponent vermeintlicher amerikanischer Natürlichkeit und Tugendhaftigkeit wurde er zum Zentrum eines regelrechten Kults um seine Person und Amerika, der bis in die höfischen Oberschichten reichte und Amerika als utopisches Gegenbild zur eigenen Gesellschaft präsentierte19. Als die französische Regierung schließlich Anfang 1778 bereit war, die Vereinigten Staaten anzuerkennen, musste das Verhältnis von symbolischer Abgrenzung vom Ancien Régime und Anpassung an die Kommunikationsnormen der höfischen Diplomatie neu ausgehandelt werden. Zwar erhoffte sich davon der entschiedenste Befürworter eines zeremoniellen Anerkennungsaktes, Arthur Lee, eine besonders eindeutige Festlegung der französischen Regierung. Gleichwohl war der Akt gerade aufgrund seiner Vieldeutigkeit erfolgreich.

III. Der Empfang in Versailles Im Januar 1778 schloss die französische Regierung mit den amerikanischen Gesandten einen Bündnisvertrag, dessen Veröffentlichung sie allerdings ver17 Zur amerikanischen Diplomatie in Paris insbes. Jonathan R. Dull, Franklin the Diplomat. The French Mission, in: Transactions of the American Philosophical Society 72 (1982); zuletzt erschöpfend Stacy Schiff, A Great Improvisation. Franklin, France, and the Birth of America, New York 2006. 18 Vgl. etwa Julius Bernhard von Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der grossen Herren, hrsg. u. komm. v. Monika Schlechte, Weinheim 1990 [ND d. 2. Aufl. v. 1730], 389. 19 Dazu klassisch: Alfred O. Aldridge, Franklin and his French Contemporaries, New York 1957; knapp und präzise: Gordon S. Wood, The Americanization of Benjamin Franklin, New York 2004, 171–83; detailliert: S. Schiff, Improvisation (Anm. 17).

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zögerte, um dadurch die absehbare britische Kriegserklärung zu einem taktisch günstigen Zeitpunkt provozieren zu können. Diese Verzögerung und das daraus entstehende Misstrauen bildeten den Hintergrund der Bemühungen Lees um »öffentliche Anerkennung« der Vereinigten Staaten – wobei Lee mit »öffentlich« hier allein »zeremoniell« meint. Lee machte nämlich einen ausdrücklichen Unterschied zwischen dem in der Instruktion vorgesehenen publick acknowledgment der Gesandten und der Veröffentlichung der Verträge, um daraus zu schließen: »Wenn wir öffentlich anerkannt würden, würde dies Amerika auf zahllosen Kanälen zugetragen werden und dem Kongress einen eindeutigen Beweis für die Aufrichtigkeit und Entschlossenheit Frankreichs liefern«20, wogegen es einer Veröffentlichung des Vertragstextes offenbar an Beweiskraft mangelte21. Lee argumentierte damit durchaus im Rahmen der Theorie von Vattel, die äußerliche Akte als zwar juristisch unnütze, aber psychologisch wirksame Bekräftigung von Rechtsakten kannte. Einer solchen Bekräftigung bedurfte es nach Vattel insbesondere, wenn einer der Vertragspartner nicht so völlig aufgeklärt war, wie es das ideale Völkerreichssubjekt eigentlich sein sollte22. Obwohl der französische Unterhändler Conrad-Alexandre Gérard bereits – ebenfalls ähnlich wie Vattel – argumentiert hatte, schon die Gleichbehandlung der Amerikaner im Vertrag selbst sei die volle Anerkennung, und obwohl Franklin den Empfang ablehnte, gelang es Lee, sich durchzusetzen23. Kurz nach der Veröffentlichung des Vertrages und der Abreise des britischen Botschafters aus Paris wurden die amerikanischen Gesandten in Versailles empfangen. Allerdings fehlten bereits die Voraussetzungen für einen gültigen zeremoniellen Akt: Die Amerikaner waren nämlich nicht als Botschafter angereist, ja eigentlich gar nicht korrekt akkreditiert, wie Gérard ihnen schon zuvor klar gemacht hatte. Allein das Zeremoniell von Diplomaten mit Botschaftersta20 A public acknowledgement of us would reach America by numberless ways, and give them [dem Kongress] a decided proof of the sincerity and determination of France […]. Lee an Franklin und Deane, 26.2.1778, in: The Papers of Benjamin Franklin (Anm. 16), Bd. 25, 710. 21 So Arthur Lee’s Diary vom 4.3.1778, Franklin zitierend; vgl. Richard Henry Lee, Life of Arthur Lee, LL. D. [...] With his Political and Literary Correspondence [...], 2 Bde., Boston 1829, Bd. 1, 399. 22 É. de Vattel, Droit (Anm. 4), 295f., 298 ff. 23 C.-A. Gérard, Report of Interview with the American Commissioners, 9.1.1778, in: The Papers of Benjamin Franklin (Anm. 16), Bd. 25, 443 f., 446; É. de Vattel, Droit (Anm. 4), 255, 267. Zum gleichen Zeitpunkt war die französische Regierung nicht bereit, ihre Verträge mit dem Bey von Tunis als gleiche anzuerkennen: vgl. C. Windler, Diplomatie (Anm. 9), 227–230.

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tus war aber in der hergebrachten Praxis ausschlaggebend für den Status der Souveräne24. Auch der Ablauf entsprach keineswegs dem, was durch Gebrauch als »Gleichbehandlung« mit Souveränen etabliert war25. Die Wahrnehmung des Aktes, die sich anhand zweier paralleler Augenzeugenberichte aus völlig unterschiedlicher Perspektive nachzeichnen lässt, wurde davon jedoch nicht beeinträchtigt. Lee orientierte sich überhaupt nicht an den Details der Behandlung, welche die Zeremonialliteratur analysierte und mit deren dosiertem Einsatz am französischen Hof im Rahmen des klassischen Zeremoniells subtile Unterschiede zwischen Gesandten verschiedener Ränge oder Fürsten erzeugt werden konnten, etwa dem Grad der Öffnung der Türen, der Stellung und Anzahl der salutierenden Soldaten oder der Frage, ob König und Gesandte die Kopfbedeckung ablegten26. Dennoch war er von dem anscheinend unzeremoniellen Ablauf, in dem die Amerikaner zum levée des Königs vorgelassen wurden, enttäuscht: »Weder gab es ein Anzeichen dafür, dass man sich auf unseren Empfang vorbereitet hätte, noch lief er gemäß irgendeinem Zeremoniell ab«27. Zwar kritisierte er die – scheinbare – Informalität, etwa die Tatsache, dass der König wenig bekleidet war. Allerdings erkannte er dann doch gerade in dieser Informalität ein sicheres Zeichen von Zuverlässigkeit: »Der König schien mit männlicher Aufrichtigkeit zu sprechen«28. Statt den Akt nach den Regeln der höfischen zeremoniellen Kultur zu deuten, interpretierte Lee ihn nach den Regeln aufgeklärten persönlichen Austauschs – und erhielt so die Interpretation, die er ohnehin gewünscht hatte. Der zweite, umfangreichere Augenzeugenbericht stammt aus der Feder des Herzogs von Croÿ, der zum engeren Kreis der französischen höfischen Elite gehörte und sich als ausdauernder Chronist von Hofleben und Politik 24 André Krischer, ›Ein nothwendig Stück der Ambassaden‹. Zur politischen Rationalität des diplomatischen Zeremoniells bei Kurfürst Clemens August, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 205 (2002), 161–200; Lee’s Diary, 6.2.1778, in R. H. Lee, Life (Anm. 21), Bd. 1, 393; Louis W. Potts, Arthur Lee. A Virtuous Revolutionary, Baton Rouge LA / London 1981, 192. 25 Das zeitgenössische relevante Kompendium ist Jean Rousset de Missy / Jean Dumont, Le cérémonial diplomatique des cours de l’Europe, ou collection des actes, mémoires et relations [...] et en général tout ce qui a rapport au cérémonial et à l’étiquette, 2 Bde. (Corps universel diplomatique, Suppl., 4 u. 5), Amsterdam 1739, vgl. dort Bd. 1, 36–118; zuletzt detailliert S. Schiff, Improvisation (Anm. 17). 26 Vgl. J. Rousset de Missy / J. Dumont, Cérémonial (Anm. 25), a. a. O. 27 No appearance of preparation to receive us nor any ceremony in doing so. Lee’s Diary, 20.3.1778, in: R. H. Lee, Life (Anm. 21), 403. 28 The king appeared to speak with manly sincerity. Ebd.

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in Versailles hervortat29. Er berichtete ganz anders als Lee von der »noblen« Haltung des Königs. Auch für ihn waren allerdings letzten Endes zeremonielle »Mängel« nebensächlich: Er sah eine »erstaunliche Vorstellung« (présentation étonnante), abgeschlossen von einem »großen und prachtvollen zeremoniellen Diner, wie für beglaubigte Botschafter« (grand et splendide dîner de cérémonie, comme à des ambassadeurs accrédités)30. Und damit war auch das Ergebnis unzweifelhaft: »Da geht Frankreich nun voran und behandelt sie wie von einer Nation zur anderen, erkennt den Kongress an und auch die Unabhängigkeit.«31 Das Botschafterzeremoniell war also für Croÿ durchaus zentrales Medium der Anerkennung von Souveränität. Soweit orientierte das höfische Referenzsystem die Wahrnehmung. Dass der Akt allerdings in dieser Hinsicht gelang, lag daran, dass er zugleich noch in einem ganz anderen Referenzsystem gelesen wurde. Dabei traten die Persönlichkeit Franklins und das kaum davon zu trennende Bild der amerikanischen Republik in den Mittelpunkt der Wahrnehmung, und zwar gerade in ihrer Abweichung von den höfischen Konventionen. Begeistert berichtet Croÿ von dem »pittoresken Antlitz des schönen Greises, mit seinem Brillengestell und dem kahlen Kopf« (figure pittoresque du beau vieillard, avec ses besicles et sa tête chauve) sowie von den Verdiensten Franklins als Autor der Verfassung von Pennsylvania und als Erfinder, die ausdrücklich zum Gelingen des Ereignisses beigetragen hätten32. Franklin konnte sich im Empfangszeremoniell von Versailles besonders deutlich als repräsentativer Amerikaner inszenieren. Gelobt wurden zentrale Elemente seines explizit un29 Emmanuel, duc de Croÿ, Journal de cour, hrsg. v. Laurent Sortais (Sources de l’histoire de France. Le siècle des Lumières), 6 Bde., Clermont-Ferrand 2004–2006, hier Bd. 6, 38 ff., 44 f. (20.3.1778). Zu Croÿ vgl. Emmanuel-Henry de Grouchy / Paul Cottin, Introduction, in: Journal inédit du duc de Croÿ, 1718–1784. Publié d’après le manuscrit autographe conservé à la bibliothèque de l’Institut, avec introduction, notes et index, hrsg. v. dens., 6 Bde., Paris 1906, Bd. 1, vii–ixiv. 30 E. de Croÿ, Journal (Anm. 29), a. a. O. 31 Les voilà donc traités de nation à nation, et le Congrès bien reconnu, ainsi que l’indépendance, par la France la première. Ebd., 38. Damit steht Croÿ durchaus nicht allein, auch die Gazette de Leyde, das wichtigste gedruckte Informationsmedium der europäischen diplomatischen Öffentlichkeit, vermerkt einen besonders ehrenvollen Empfang: Nouvelles extraordinaires de divers endroits (= Gazette de Leyde), 24.3.1778, 31.3.1778. Zur Gazette de Leyde vgl. Simon Burrows, The Cosmopolitan Press, 1759–1815, in: Press, Politics and the Public Sphere in Europe and North America, 1750–1815, hrsg. v. Hannah Barker, Cambridge 2002, 23–47; Jeremy D. Popkin, News and Politics in the Age of Revolution. Jean Luzac’s Gazette de Leyde, Ithaca, N. Y. u. a. 1989. Zum Bericht der Gazette de France vgl. E. de Croÿ, Journal (Anm. 29), 44 f. 32 E. de Croÿ, Journal (Anm. 29), 38.

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höfischen Auftretens, seine praktischen Leistungen und ausgerechnet seine Verdienste um die Schaffung einer republikanischen Verfassung33. Auch innerhalb des französischen Hofadels gab es nicht nur ein kohärentes System zur Bewertung und Interpretation zeremonieller Akte – und es konnten auch durchaus mehrere gleichzeitig verwendet werden. Somit war es möglich, dass der Empfang sowohl als Erwerb eines politisch-sozialen Status gelesen wurde als auch die besondere Identität der Vereinigten Staaten als Republik mit für die aufgeklärte Oberschicht besonders attraktiven Eigenschaften zum Ausdruck brachte34. Eben dadurch entfaltete der Akt offenbar eine symbolische Eigendynamik, die seine rein zeremoniellen Mängel an den Rand der Wahrnehmung drängte.

IV. Das Empfangszeremoniell in Philadelphia Auch als infolge der Anerkennung ein französischer Gesandter, der bereits erwähnte Gérard, am Sitz des Kongresses in Philadelphia eintraf, waren im Zeremoniell zwei ganz unterschiedliche Problembezüge präsent: die Aushandlung einerseits von völkerrechtlichem Status, andererseits von republikanischer Identität. Dabei war der Akt den Beteiligten ausgesprochen wichtig. Beide Seiten drängten auf einen formellen Empfangsakt35. Alle Details des Vorgangs wurden in wochenlangen Verhandlungen abgeklärt36. 33 Zur Wirkung der Details von Franklins Auftritt vgl. Claude-Anne Lopez, Mon cher papa. Franklin and the Ladies of Paris, New Haven CT / London 1966, 180; G. S. Wood, Americanization (Anm. 19), 180 f.; S. Schiff, Improvisation (Anm. 17), 141 ff., die allerdings die Inszenierungsabsicht Franklins relativiert: Franklin hatte sich tatsächlich eigens einen neuen Anzug gekauft. Ob einer der klügsten Männer und geschicktesten Selbstdarsteller seines Zeitalters tatsächlich erwartete, sich allein mit einem hübschen Anzug in einen adretten Höfling verwandeln zu können, sei dahingestellt. Die Wirkung – und das ist hier das Wesentliche – lässt sich jedenfalls nicht bestreiten. 34 Vgl. auch Nouvelles extraordinaires (Anm. 31), 24.3.1778: Man erwarte den Empfang und damit dass les députés du Congres prendront bientôt rang parmi les ministres-étrangers. 35 Josiah Bartlett an William Whipple, 20.7.1778, 27.7.1778, in: Letters of Delegates (Anm. 3), Bd. 10, 319, 361; Gérard an Vergennes, 19.7.1778, in: Dispatches and Instructions of Conrad Alexandre Gérard 1778–1780. Correspondence of the First French Minister to the United States with Charles Gravier Comte de Vergennes, hrsg. v. John J. Meng, Paris 1939, 174. 36 Gérard war zwar bereits bei seiner Landung von einer Kongressdelegation aufwändig empfangen worden. Entscheidend für die zeremonielle Anerkennungspraxis war jedoch die erste Visite eines neuen Gesandten, und nur um diese wurde infolge dessen intensiv verhandelt. Zur Einholung Letters of Delegates (Anm. 3), Bd. 10, 265–285.

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Gérard achtete dabei insbesondere auf das Gelingen des Akts als Statustransformation vor dem Publikum der europäischen Diplomatie: »Man verwendete viel Zeit darauf, die Grundsätze für eine ganz neue Angelegenheit festzulegen […] und nach der geeigneten Art und Weise zu suchen, wie man sich mit einem Mal auf dem Platz etablieren kann, den man im Kreis der Mächte einzunehmen sich vorgenommen hat.«37 Gleichzeitig beklagte er die »noch sehr wirren Vorstellungen, die man hier von der Ehre, der Würde und der Etikette eines souveränen Staates hat«38. Die beklagten Konfusionen äußerten sich allerdings nicht dadurch, dass der Kongress überzogen hohe zeremonielle Ehrerweisungen verlangte. Vielmehr verzichtete der Kongress auf Kernelemente der europäischen Souveränitätssymbolik wie den Exzellenztitel oder die Anrede hauts-puissants, wie sie die Generalstaaten beanspruchten39. Zwar bildete der Kongress ein prominent besetztes Komitee zur Einrichtung des Zeremoniells und debattierte ausführlich über das Thema. Zentrales Problem war aber die Suche nach »Formen, die den wahren republikanischen Prinzipien entsprechen«40. Die 37 On employa beaucoup des tems à fixer les principes dans une matière toute neuve, […] à chercher la manière de s’élancer tout à coup à la place que l’on se promet d’occuper parmi les puissances. Gérard an Vergennes, 7.8.1778, in: Dispatches and Instructions (Anm. 35), 201. 38 Notions encore très confuses qu’il y on a ici de l’honneur, de la dignité et de l’étiquette d’un état souverain. Ebd., 202. 39 Journals of the Continental Congress (Anm. 3), Bd. 11, 700 (17.7.1778), 708 (25.7.1778); Gérard an Vergennes, 7.8.1778, in: Dispatches and Instructions (Anm. 35), 202. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Articles of Confederation, die Protoverfassung der Vereinigten Staaten, die Souveränität bei den Einzelstaaten beließen, welche dem Kongress nur ihre Außenvertretung übertrugen. Insofern musste der Kongress auch aus inneramerikanischen Erwägungen zurückhaltend agieren. Vgl. Peter S. Onuf, The Origins of the Federal Republic. Jurisdictional Controversies in the United States, Philadelphia, Pa. 1983; Jack N. Rakove, The Beginnings of National Politics. An Interpretive History of the Continental Congress, New York 1979. Selbst die entschiedensten Befürworter der Rechte der Einzelstaaten wollten jedoch an der Souveränität des Kongresses nach außen keinen Zweifel zulassen. David C. Hendrickson, The First Union: Nationalism versus Internationalism in the American Revolution, in: Empire and Nation. The American Revolution in the Atlantic World, hrsg. v. Eliga H. Gould, Baltimore u. a. 2005, 35–53. Zudem hatte aufgrund des Mangels innenpolitischer Kompetenzen des Kongresses der Kontakt mit Frankreich natürlich eine fundamentale Bedeutung für dessen Konstituierung als Körperschaft, vgl. Georges Livet, Conrad Alexandre Gérard. Premier ambassadeur de la France près les Etats-Unis d’Amérique 1778–1779, in: Le règne de Louis XVI et la Guerre d’Indépendance américaine. Actes du Colloque International de Sorèze 1976, hrsg. v. Jean de Viguerie, Dourgne 1977, 141–186, 144 f. 40 Forms that are adapted to the true republican principles. Samuel Adams an James Warren, 15.7.1778, in: Letters of Delegates (Anm. 3), Bd. 10, 280.

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eigene Ehre manifestierte sich – jedenfalls nach Meinung einer Mehrheit – in der Treue zu den eigenen Prinzipien und konnte gerade dadurch gestärkt werden, dass auf äußere Ehrerweisungen in Form des Zeremoniells verzichtet wurde41. Das galt umso mehr, als neben dem europäischen auch das amerikanische Publikum zu berücksichtigen war, wie Gérard bemerkte: »Wir haben nicht angenommen, dass wir eine andere Form hätten wählen können in einem Land, in dem man sich bemüht, jeden zeremoniellen Aufwand und jeden Prunk zu vermeiden.«42 Das klassische Zeremoniell war auf Statuszuweisungen in einer verbindlichen Hierarchie ausgerichtet, in der Republiken in der Regel gerade die Darstellung ihrer Adelsgleichheit anstrebten43. Der Umgang der Amerikaner mit dem Zeremoniell ähnelte dagegen eher der Praxis der republikanischen Rituale innerhalb Amerikas, welche republikanische Identität inszenierten und allmählich eine republikanische politische Identität hervorbrachten, und griff diesbezüglich der Praxis der Französischen Revolution vor44. Allerdings blieb das diplomatische Zeremoniell zugleich weiterhin ein Raum der Aushandlung von Statusansprüchen, und die Inszenierung war weit weniger aggressiv als diejenige der französischen Revolutionäre.

41 Henry Laurens an Rawlins Londes, 15.7.1778, Samuel Adams an Peter Thacher, 11.8.1778, in: Letters of Delegates (Anm. 3), Bd. 10, 285, 420. Die Abgeordneten aus den südlichen Staaten protestierten laut Gérard gegen den ersten Entwurf des Zeremoniells und forderten eine prachtvollere Zeremonie, konnten aber letzten Endes nur durchsetzen, dass der Kongress Besucher zu dem Akt zuließ, vgl. Gérard an Vergennes, 7.8.1778, in: Dispatches and Instructions (Anm. 35), 201 f. 42 On n’a pas cru devoir adopter d’autre forme dans un pays où l’on s’attache à éviter tout appareil et tout pompe. Gerard an Vergennes, 7.8.1778, in: Dispatches and Instructions (Anm. 35), 202. 43 Vgl. Anm. 6. Für die Eidgenossenschaft lässt sich allerdings feststellen, dass sie ihre Souveränität schon durch Inklusion in mehrere gesamteuropäische Verträge gewährleistet hatte und generell davon absah, diesen Status zu gefährden, indem man ihn zeremoniell auf die Probe stellte, vgl. T. Maissen, Republic (Anm. 6), 243–253. 44 Vgl. dazu David Waldstreicher, In the Midst of Perpetual Fetes. The Making of American Nationalism, Chapel Hill NC 1997, insbes. 30–52, der allerdings ausdrücklich keine Politik von Eliten untersuchen will. L. Frey / M. Frey, Charlatans (Anm. 7). Der Empfang wird allerdings noch von einem weiteren Thema dominiert: der gegenseitigen Versicherung der Treue zur Allianz angesichts eines neuen britischen Friedensangebots. Dies geschieht aufgrund der Struktur der amerikanischen Öffentlichkeit in erster Linie mittels Reden, die eine Semantik inniger und vertrauter Beziehungen bemühen.

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V. Anerkennung im Friedensvertrag? Die Anerkennung der Vereinigten Staaten durch das Mutterland erfolgte je nach Interpretation 1782 mit ihrer Nennung in der Vollmacht eines britischen Unterhändlers oder 1783 mit der Unterschrift unter den Präliminarfriedensvertrag. Zwar führte die intensivere Rezeption der europäischen diplomatischen und völkerrechtlichen Tradition durch die amerikanischen Diplomaten zu einer Verschärfung des Konfliktes, den sie nun als zeremoniellen Konflikt um die nationale Ehre stilisieren konnten, und zwar in einer Art und Weise, die den europäischen Verhandlungspartnern weitgehend unverständlich war. Gleichwohl konnten letztlich insbesondere die Amerikaner Souveränität nicht mehr als einen durch abgestufte Ehrerweisungen konstituierten Gegenstand begreifen, und auch Briten und Franzosen orientierten sich an diesem Schema. Der Konflikt drehte sich im Kern um die bloße Nennung der Vereinigten Staaten in einer Urkunde und den genauen Zeitpunkt, zu dem das zum ersten Mal zu geschehen hatte45. Die junge amerikanische Republik sollte in den folgenden Jahren durchaus noch die Erfahrung machen, dass sie durch protokollarische Zurücksetzungen empfindlich zu treffen war, auch wenn ihre Vertreter die Nennung in Vollmachten und Verträgen für völkerrechtlich ausreichende Belege ihrer Unabhängigkeit hielten und in den Folgejahren zahlreiche Handelsverträge in ganz Europa unterzeichneten46. Das hing damit zusammen, dass den Vereinigten 45 Zum Verhandlungsprozess zuletzt Frank W. Brecher, Securing American Independence. John Jay and the French Alliance, Westport CT / London 2003, sowie Andrew Stockley, Britain and France at the Birth of America. The European Powers and the Peace Negotiations of 1782–1783, Exeter 2001, mit Verweisen auf die ältere Literatur. Die erste Vollmacht des britischen Unterhändlers Oswald hatte ihn mit einer gewissen Großzügigkeit zu Verhandlungen ermächtigt mit any commissioner or commissioners named or to be named by the said colonies or plantations, or with any body or bodies, corporate or politic, or any assembly or assemblies, or description of men, or any person or persons whatsoever: George III’s warrant for Richard Oswald’s first commission for negociating peace, 25.7.1782, in: The Revolutionary Diplomatic Correspondence of the United States, hrsg. v. Francis Wharton, 6 Bde., Washington, DC 1889, Bd. 5, 613. Jay meinte, that it may be applied to the people you see walking in the streets, as well as to us: Oswald an Townshend, 10.9., in: John Jay. The Winning of the Peace. Unpublished Papers 1780–1784, hrsg. v. Richard B. Morris, New York u. a. 1980, 354. Er schlug daraufhin eine Vollmacht vor für Verhandlungen with the commissioner or commissioners already appointed or to be appointed by the Congress of the said states and them only: J. Jay, Draft of Patent, 15.8.1782, ebd., 309. 46 Zu den Verträgen: Günther E. Krug, Amity and Commerce. Amerika und Europa. Freundschafts- und Handelsverträge der USA mit europäischen Staaten in der Phase der Konföderation, Trier 1999.

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Staaten aufgrund interner verfassungsrechtlicher Probleme, die das Verhältnis der Bundesstaaten zur Zentralautorität betrafen, die Souveränität weiterhin mit gutem Grund bestritten werden konnte47. Die 1781 bis 1789 geltende Protoverfassung, die Articles of Confederation, hatte bezeichnenderweise auf die Großschreibung der United States of America verzichtet, um deren Nennung in der Vollmacht des britischen Unterhändlers die amerikanischen Diplomaten 1782 monatelang gekämpft hatten. Auch zur konsequenten Durchsetzung von abgeschlossenen Verträgen fehlte dem Kongress die Autorität. Die damit zusammenhängenden diplomatischen, völkerrechtlichen und machtpolitischen Probleme waren ein wesentlicher Motor der Entstehung und Durchsetzung der Verfassung von 178948. Den Standards des europäischen diplomatischen Zeremoniells verweigerte man sich allerdings weiterhin. Thomas Jefferson empfahl 1792, nur noch Konsuln nach Europa zu schicken49. Und tatsächlich entsandten die Vereinigten Staaten bis in die 1890er Jahre keine Botschafter, weil dies als unrepublikanisch galt50. Auch das ausgesprochen sparsame Empfangszeremoniell für ausländische Diplomaten blieb erhalten, wurde von diesen zum Teil irritiert aufgenommen und gerade von britischen Diplomaten auch als gezielte Beleidigung verstanden51.

VI. Schlussfolgerungen Die Referenzrahmen der politischen Kultur der höfischen Diplomatie und der amerikanischen Republik verschmolzen also nicht miteinander. Gleichwohl waren sie keineswegs geschlossene und einander ausschließende Systeme. Somit war von amerikanischer Seite die Kombination zeremonieller Praxis mit 47 Hier liegt eine weitere Parallele zur Eidgenossenschaft, die aber wie erwähnt keinerlei diplomatische Vertretungen unterhielt und nur in der Schweiz mit fremden Diplomaten verhandelte: T. Maissen, Republic (Anm. 6), 243–53. Ein weiterer Grund für die Probleme ist natürlich auch darin zu sehen, dass eine so wirksame Figur wie Franklin nicht zu ersetzen war. 48 Vgl. insbes. Frederick W. Marks, Independence on Trial. Foreign Affairs and the Making of the Constitution, Baton Rouge LA 1973. 49 Felix Gilbert, To the Farewell Address. Ideas of Early American Foreign Policy, Princeton NJ 1961, 72 f. 50 Bradford Perkins, The Creation of a Republican Empire, 1776–1865, Cambridge u.  a. 1993, 76. 51 Stephane Bégaud / Marc Belissa / Joseph Visser, Aux origines d’une alliance improbable. Le réseau consulaire français aux États-Unis (1776–1815), Brüssel 2005, 70 f.

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der Darstellung republikanischer Werte denkbar, die gleichzeitig von europäischer Seite sowohl als Manifestation von Souveränität als auch als Darstellung republikanischer Identität gelesen werden konnte. Allerdings ließe sich anhand der Konflikte um die Friedensverhandlungen auch zeigen, dass sich durch die Aneignung von Versatzstücken der zeremoniellen Praxis und damit ihre Einordnung in einen neuen kulturellen Rahmen Konflikte verschärfen konnten, da dann mit denselben Begriffen unterschiedliche und undurchsichtige Handlungsmotivationen koordiniert werden mussten. Die Dauerhaftigkeit bestimmter Praktiken zeigt, dass man im Umgang der amerikanischen Diplomaten mit Zeremoniell und diplomatischer Anerkennung durchaus zukunftsweisende Aspekte erkennen kann. Das fügt sich auch in die Ergebnisse anderer Forschungen zu zeremoniellen Akten an der Wende zur Moderne. Zeremonielle Akte büßten im Laufe des 18. und spätestens im 19. Jahrhundert ihre konstitutive Funktion für den rechtlich-sozialen Status und die politisch-soziale Ordnung ein, wenngleich sie auf andere Weise weiterhin dazu dienten, Sinn zu kanalisieren, wie es für das Zeremoniell von Herrscherbegegnungen oder Huldigungen anschaulich nachgewiesen worden ist52. Für die völkerrechtliche Anerkennung wurden sie so grundsätzlich verzichtbar. Moderne Kompendien des diplomatischen Zeremoniells rechtfertigen sich mit dem Argument des Ausschlusses von Missverständnissen statt dem des Schutzes von Ehre und Status53. So kann man heute etwa den Kosovo mit einem Schreiben anerkennen, das der Formalität nur bedarf, um sicherzustellen, dass ein Amtsträger in seiner Eigenschaft als Amtsträger handelt54. Symbolische Handlungen und Kämpfe sind dagegen weiterhin ein wichtiger Bestandteil internationaler Beziehungen55. Jede größere internationale Konferenz mit den »Familienfotos« der Mächtigen und den Inszenierungen von NGOs und 52 Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn u. a. 2000; Matthias Schwengelbeck, Die Politik des Zeremoniells. Huldigungsfeiern im langen 19. Jahrhundert, Frankfurt u. a. 2007. 53 John R. Wood / Jean C. Serres, Diplomatic Ceremonial and Protocol. Principles, Procedures and Practices, London 1970, xv–xviii. 54 Amerika und Frankreich erkennen den Kosovo an, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.02.2008, Nr. 42, 1; Serbien beruft Botschafter in Berlin ab, ebd., 21.02.2008, Nr. 44, 1; zur Formalität: Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 5. Aufl. Berlin 1999 (1. Aufl. 1962), 283–295. 55 Vgl. zu internationalen Inszenierungen im 19. Jahrhundert in präzisem Kontrast zum Zeremoniell auch Wolfram Kaiser, The Great Derby Race. Strategies of Cultural Representation at Nineteenth-Century World Exhibitions, in: Culture and International History, hrsg. v. Jessica C. Gienow-Hecht / Frank Schumacher, New York u. a. 2003, 45–59.

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Demonstranten legt hiervon Zeugnis ab. Umkämpft sind aber nicht mehr Herrschaftsansprüche oder der soziale Status der Beteiligten; allenfalls die Diskurshoheit steht in Frage. Symbolische Erfolge werden eher durch kreative Inszenierungen als durch Konkurrenz im Rahmen zeremonieller Normen erzielt und tendieren nicht mehr zu gewohnheitsrechtlicher Verfestigung.

Interkulturelle Diplomatie in der Sattelzeit: Vom inklusiven Eurozentrismus zur »zivilisierenden« Ausgrenzung Von Christian Windler

Mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die sich aus den Revolutionen in Amerika und Frankreich ergaben, verband sich der Anspruch, auch die Beziehungen zwischen den Nationen im Hinblick auf deren Zielsetzungen und die Praktiken des Umgangs neu zu gestalten. Die Außenbeziehungen sollten auf Grundlagen gestellt werden, die dem neuen Verhältnis zwischen den sich zu Bürgern emanzipierenden Untertanen und den Trägern staatlicher Gewalt entsprächen. Wie die innere Ordnung der Nation sollten sie einem »System der Freiheit« (système de liberté) folgen, formulierte etwa Mirabeau der Ältere1. In Frankreich führte das Verständnis der Nation als einer im freien Willen der Bürger begründeten Gemeinschaft dazu, dass Gebietsannexionen als Befreiungsakte gerechtfertigt wurden – erstmals bei der französischen Annexion von Avignon und des Comtat Venaissin im Jahre 17912. Trotz des in der Verfassung von 1791 festgeschriebenen Verzichts auf Eroberungskriege ging vom Prinzip der Volkssouveränität eine Dynamik aus, welche das labile europäische Mächtegleichgewicht sprengen sollte. Außenpolitik definierte sich in der jungen amerikanischen Republik und im Frankreich der Revolutionszeit zumindest vom Anspruch her in expliziter Abgrenzung zur Diplomatie des Ancien Régime. Einerseits repräsentierten die Diplomaten aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Stellung als Fürstendiener und ihrer höfischen Umgangsformen eine Gesellschaftsordnung, die es zu überwinden galt, andererseits diente die herkömmliche Form der Diplomatie im Selbstverständnis der daran Beteiligten 1 Zitiert in Jean Belin, La logique d’une idée-force. L’idée d’utilité sociale et la Révolution française (1789–1792), Paris 1939, 188. Vgl. zu Theorie und Praxis der Außenbeziehungen in der Französischen Revolution: Marc Belissa, Repenser l’ordre européen (1795–1802). De la société des rois aux droits des Nations, Paris 2006; Linda Frey / Marsha Frey, ›The Reign of the Charlatans Is Over‹: The French Revolutionary Attack on Diplomatic Practice, in: Journal of Modern History 65 (1993), 706–744. Zu den Außenbeziehungen der frühen amerikanischen Republik: Lawrence S. Kaplan, Colonies into Nation. American Diplomacy, 1763–1801, New York 1972; ders., Entangling Alliance with None: American Foreign Policy in the Age of Jefferson, Kent Ohio 1987; Reginald Horsman, The Diplomacy of the New Republic, 1776–1815, Arlington Heights Ill. 1985. Vgl. Mlada Bukovansky, Legitimacy and Power Politics. The American and French Revolutions in International Political Culture, Princeton NJ 2002. 2 Siehe J. Belin, La logique (Anm. 1), 184–193, 239–275, 393–412, und Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, 487–498.

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ebenso wie in der Wahrnehmung der Revolutionäre primär dynastischen Interessen und nicht der Vermittlung von Beziehungen zwischen freien Nationen. Gewiss fand die weit reichende Zurückweisung der »alten« Diplomatie in der Praxis rasch ihre Grenzen an den Erfordernissen der Realpolitik – wenn es nämlich galt, den beiden aus einer Revolution hervorgegangenen Republiken einen Platz im Kreis der souveränen Staaten zu sichern. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass die Vertreter der USA und Frankreichs zunächst vielerorts beträchtliches Aufsehen erregten, weil sie mit den alten Gepflogenheiten der Diplomatie nicht bloß unvertraut waren, sondern diese explizit ablehnten. Ihre Vorstellungen von einer neuen Diplomatie wurden zwar nur ansatzweise umgesetzt, entwickelten sich aber doch zu Bezugspunkten in den Debatten um eine Erneuerung der diplomatischen Praxis. Vor allem erzielten revolutionäre Umgestaltungsansprüche Wirksamkeit weit über die in den Revolutionen entstandenen beziehungsweise umgeformten Staatswesen hinaus. Auch bei den Gegnern Frankreichs (etwa in Preußen) wurden Reformen herkömmlicher Herrschaftspraktiken zu einer politischen Priorität, und nicht nur als revolutionäre Akteurin, sondern auch im Widerstand gegen die Revolution und das napoleonische Empire gewann die »Nation« eine Bedeutung, welche den Anspruch der Fürsten, alleinige Träger von Souveränität zu sein, de facto hinfällig werden ließ. So kann es nicht überraschen, dass der Wiener Kongress keineswegs ausschließlich restaurativ wirkte, sondern vielmehr die Veränderungen der Revolutionszeit in einer Weise konsolidierte, welche eine Kontinuität des dynastischen Prinzips unter den veränderten Rahmenbedingungen ermöglichen sollte. Zwar hatte bereits die Gleichgewichtspolitik des 18. Jahrhunderts einer neuen Ordnung vorgearbeitet, welche den Ranghierarchien zwischen den Fürsten ein Ende setzen und die souveränen Staaten als formal gleichberechtigte Völkerrechtssubjekte behandeln sollte, doch erst die Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts brachten den eigentlichen Durchbruch. Erst in deren Gefolge – und nicht bereits seit 1648 – wurde die prinzipielle Gleichheit souveräner Staaten (wenn auch unter einer Art Direktorium der fünf christlichen Großmächte) zum Strukturmerkmal eines europäischen Systems von Mächtebeziehungen, das sich zugleich zu einem internationalen System im eigentlichen Sinn des Wortes wandelte. Die im Naturrecht begründeten Vorstellungen der Aufklärung von einer Weltgesellschaft (etwa Émer de Vattels Postulat einer aus freien und gleichen Nationen zusammengesetzten société universelle du genre humain)3, aber auch deren Kritik am Unsinn der höfischen Zeremonielle so3 Zu Aufklärung und Völkerrecht siehe Marc Belissa, Fraternité universelle et intérêt national (1713–1795). Les cosmopolitiques du droit des gens, Paris 1998; Marcel Pekarek, Absolutismus als Kriegsursache. Die französische Aufklärung zu Krieg und Frieden,

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wie die Praxis neuer Kommunikationsformen in neu entstehenden sozialen Räumen wie etwa den Sozietäten hatten nicht viel daran geändert, dass in den diplomatischen Umgangsformen des 18. Jahrhunderts weiterhin eine den ständischen Rangunterschieden entsprechende hierarchische Ordnung abgebildet und bekräftigt worden war. Mit dem Wiener Kongress verband sich nun nicht bloß das Projekt einer Heiligen Allianz der Fürsten zur Eingrenzung der Freiheitsbestrebungen ihrer Untertanen, sondern auch eine Neuregelung der diplomatischen Rangordnungen nach Maßgabe des bekleideten Amtes und des Datums des Amtsantritts am Dienstort, mit der fortan im Zeremoniell das Prinzip der Gleichheit souveräner Staaten eingeübt wurde. Ebenso wichtig waren die mit den innereuropäischen Transformationen in Beziehung stehenden Veränderungen im Verhältnis europäischer zu nichteuropäischen Akteuren. In der Einleitung zu Band 5 des Handbuchs der Geschichte der Internationalen Beziehungen, der den Jahren 1785 bis 1830 gewidmet ist, stellt Michael Erbe zu Recht die Tatsache an den Anfang, dass um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert »in den Regierungszentralen […] zunehmend in weltweiten Dimensionen gedacht und geplant wurde«4. Was dies in der Praxis des diplomatischen Verkehrs mit nichteuropäischen Mächten bedeutete, geht allerdings aus der Darstellung des Handbuches nicht hervor. Mit diesem Defizit steht Erbe nicht allein da. Globale Dimensionen haben in die Geschichte der Außenbeziehungen um 1800 vor allem in Form von Einzelstudien Eingang gefunden. Im Hinblick auf die Frage, ob sich die Veränderungen in der Zeit um 1800 derart vertieften und beschleunigten, dass von einer »Sattelzeit der Diplomatie«, das heißt von einem epochalen Systemwandel, zu sprechen ist, wurden die Beziehungen zwischen europäischen und außereuropäischen Mächten bisher entschieden zu wenig berücksichtigt. Auch der vorliegende Beitrag geht von einem Einzelfall aus: den Beziehungen zu den osmanischen Regentschaften im Maghreb – Algier, Tunis und Tripolis –, wobei auf europäischer Seite Frankreich und auf nordafrikanischer Seite Tunis im Mittelpunkt des Interesses stehen wird5. Der untersuchte Einzelfall hat den Vorzug, dass es sich um Beziehungen handelt, die sowohl in den Revolutionsjahren als auch in der Restaurationszeit in verschiedenen Stuttgart / Berlin / Köln 1997; Jochen Zenz-Kaplan, Das Naturrecht und die Idee des ewigen Friedens im 18. Jahrhundert, Bochum 1995. 4 Michael Erbe, Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht, 1785–1830 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 5), Paderborn u. a. 2004, 1. 5 Der Aufsatz greift damit Fragen wieder auf, die der Verfasser in seiner Habilitationsschrift untersucht hat: Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’Autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840), Genf 2002.

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Kontexten in Europa und in den USA6 immer wieder thematisiert wurden. »Piraterie« und »Sklaverei« fanden Eingang in die Beratungen der Kongresse von Wien und Aachen und boten im frühen 19. Jahrhundert den Anlass zu Flottenunternehmungen, die in Europa und in den USA beträchtliche mediale Aufmerksamkeit erlangten. Eine reiche archivarische Überlieferung dokumentiert zudem die Praxis der Beziehungen vor Ort. Den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildet die These Jürgen Osterhammels, wonach zwischen etwa 1790 und 1830 aus der universalen Zivilisationstheorie der Aufklärung »die Überzeugung von einer mission civilisatrice« wurde, die es als Recht und Pflicht des zivilisierten Europa betrachtete, »die universalen Werte des Fortschritts durchzusetzen«7. Seit den 1780er Jahren sei »die Bewegung von einem inklusiven Europazentrismus, der die Überlegenheit Europas als eine Arbeitshypothese betrachtete, die von Fall zu Fall korrigierbar war, zu einem exklusiven Europazentrismus, der sie als Axiom voraussetzte«, »mit realen Ausgrenzungen verbunden« gewesen, zu denen Osterhammel unter anderem die »Orientalisierung des Osmanischen Reiches in der diplomatischen Praxis« zählt8, das heißt dessen Behandlung als Gegenstand der question d’Orient und damit die Überlegungen über eine mögliche Aufteilung des Reiches. Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen soll im Folgenden zuerst auf die Verrechtlichung der Beziehungen zwischen den europäischen Mächten und den Regentschaften eingegangen werden, wie sie sich im 18. Jahrhundert mit unterschiedlicher Deutlichkeit verfolgen lässt. Es wird gezeigt, wie die Regentschaften trotz ihrer Bindung an die Hohe Pforte als eigenständige Partner in Beziehungen wahrgenommen und anerkannt wurden, die einem spezifischen muslimisch-christlichen Vertrags- und Gewohnheitsrecht folgten. Der zweite Teil illustriert die Prozesse, welche, ausgehend von der amerikanischen und der französischen Revolution, seit den 1790er Jahren insbesondere auch durch die Vertreter der britischen Krone mitgetragen wurden und die Beziehungen zu den Regentschaften in ihren Grundlagen veränderten. Während man im 18. Jahrhundert eindeutig zwischen »Korsaren« und »Piraten« unter6 Zu den Beziehungen der USA zu den muslimischen Mächten im Mittelmeerraum siehe Ray Irwin, The Diplomatic Relations of the United States with the Barbary Powers, 1776–1816, Chapel Hill 1931; James A. Field, America and the Mediterranean World, 1776–1882, Princeton NJ 1969; Robert J. Allison, The Crescent Obscured. The United States and the Muslim World, 1776–1815, New York / Oxford 1995. 7 Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, 400. 8 Ebd., 380.

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schied, wurde der Kampf gegen die »Piraterie der Barbaresken« in der Restaurationszeit zu einem gemeinsamen Ziel aller »zivilisierten« Nationen.

I. Die Verrechtlichung der Beziehungen im 18. Jahrhundert Obwohl die Herrscher von Algier, Tunis und Tripolis ihre Investitur von der Hohen Pforte erhielten, pflegten sie seit dem 17. Jahrhundert selbständige Vertragsbeziehungen mit christlichen Fürsten. 1605 wurden zum ersten Mal verschiedene Artikel zwischen Tunis und der französischen Krone vertraglich festgelegt. Sie dienten zunächst dazu, die Anwendbarkeit der osmanischen Kapitulationen zu bestätigen und die Korsaren aus der Regentschaft von Tunis zur Einhaltung dieser Bestimmungen zu verpflichten. In diesem Sinn bezogen sich die französisch-tunesischen Verträge bis ins 19. Jahrhundert auf die Kapitulationen der Pforte. Zugleich entwickelte sich aber ein Vertragsrecht, das sich von den Kapitulationen in Form und Inhalt unterschied9. Während die osmanischen Kapitulationen zugunsten christlicher Fürsten und ihrer Untertanen im Wesentlichen muslimischen Rechtsvorstellungen entsprachen, flossen im Vertrags- und Gewohnheitsrecht, welches das Verhältnis zwischen den europäischen Mächten und den osmanischen Regentschaften im Maghreb regelte, in weit stärkerem Maße muslimische und europäisch-christliche Rechtsvorstellungen zusammen. Die von den Westeuropäern als Kapitulationen bezeichneten ahdname oder imtiyāzāt der Hohen Pforte waren als einseitige, zeitlich begrenzte und widerrufbare kollektive Schutzzusagen des Sultans formuliert; sie enthielten Jurisdiktionsprivilegien, Sicherheitsgarantien für Personen und Güter sowie die Befreiung von Abgaben. Die Konsuln und Gesandten erlangten eine Rechtsstellung, welche jener der Oberhäupter der verschiedenen einheimischen nichtmuslimischen Gemeinschaften ( ā’ifa) ähnelte. Nach osmanischem Verständnis war die Gültigkeit der Kapitulationen an die Person des Sultans, der sie gewährte, und an jene des christlichen Fürsten, der sie entgegennahm, gebunden10. Als Folge der Schwächung der militärischen Macht der Hohen Pforte wurde der einseitige Charakter des durch die Kapitulationen etablierten Rechtsverhältnisses im Laufe des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck der Unterlegenheit und Abhängigkeit des »kranken Manns am Bosporus«. Aus Privilegien, welche der Sultan aufgrund seiner Machtvollkommenheit gewährte, 9 Zu diesen Fragen siehe C. Windler, La diplomatie (Anm. 5), v.a. 220–245. 10 Siehe Art. »imtiyāzāt«, in: Encyclopédie de l’Islam. Nouvelle édition, Bd. 3, Leiden / Paris 1971, 1207–1225.

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wurden Konzessionen, die – ähnlich wie die damals mit dem Kaiser von China abgeschlossenen ungleichen Verträge – Bereiche der Extraterritorialität zugunsten der Europäer und ihrer einheimischen Protégés schufen, die aufgrund eines berāt an den Privilegien teilhatten11. Die Aufhebung der Kapitulationen im Vertrag von Lausanne von 1923 galt denn auch als große Errungenschaft der jungen türkischen Republik. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Pforte trotz bereits erkennbarer Schwächen durchaus noch imstande, im alltäglichen Umgang vor Ort den Fremden Bedingungen zu diktieren und ihnen einmal gewährte Privilegien auch wieder zu entziehen. Wie Maurits van den Boogert kürzlich gezeigt hat, war die Zahl der Personen, welche dank eines berāt in den Genuss konsularischer Protektion kamen, damals noch weit geringer, als dies in der Forschung vielfach angenommen worden ist; zudem verfügten Fremde und Nutznießer eines berāt nur über eine begrenzte Exemtion von der osmanischen Gerichtsbarkeit12. Allerdings begann man gegen Ende des Jahrhunderts in Westeuropa, die Vorzüge einer Aufteilung des Reiches gegenüber den Vorteilen informeller Einflussnahme abzuwägen, während Sultan Selim  III. (1789–1807) seinerseits eine erste Phase der Reichsreform initiierte, die insbesondere die Schaffung eines für die Außenbeziehungen zuständigen spezialisierten Verwaltungsbereichs und die Einrichtung ständiger Gesandtschaften in den wichtigsten westeuropäischen Hauptstädten vorsah. Damit machte er Reziprozität zur Grundlage der Beziehungen mit den christlichen Mächten13. Es sollte sich um eine europäisch geprägte Gegenseitigkeit handeln: Als die Hohe Pforte mit dem Vertrag von Paris von 1856 schließlich zu den »Vorteilen des öffentlichen Rechts und des europäischen Mächtekonzertes« zugelassen wurde, bedeutete dies zugleich ihre Unterordnung unter christlicheuropäische Völkerrechtsnormen. Nach dem Ende der großen militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich und den Habsburgern gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten die Regentschaften im Maghreb im Mittelpunkt eines muslimisch-christlichen Kleinkrieges gestanden, der auf beiden Seiten durch Kor11 Resat Kasaba, Treaties and Friendships: British Imperialism, the Ottoman Empire, and China in the Nineteenth Century, in: Journal of World History 4 (1993), 215–241. 12 Maurits H. van den Boogert, The Capitulations and the Ottoman Legal System. Qadis, Consuls and Beraths in the 18th Century, Leiden / Boston 2005, 26–29, 92–115. Van den Boogerts Studie hat den Vorzug, die praktische Umsetzung der Kapitulationen anhand einer Vielzahl osmanischer und westlicher Quellen zu untersuchen. 13 Carter Vaughn Findley, Bureaucratic Reform in the Ottoman Empire. The Sublime Porte, 1789–1922, Princeton NJ 1980, 126–140; ders., Ottoman Civil Officialdom. A Social History, Princeton NJ 1989.

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saren ausgefochten wurde, die das Geschäft des Kriegs als Militärunternehmer betrieben14. Als Mitglieder einer allogenen Elite, die im Gegensatz zu den osmanischen oder marokkanischen Sultanen keine prophetische Herkunft beanspruchen konnte, legitimierten sich die Herrscher von Algier, Tunis und Tripolis vor allem als Vorkämpfer des djihād. Die Küstenstädte wurden als Grenzfesten des Islam gepriesen, das Korsarenwesen als eine Form des heiligen Kriegs gegen die Ungläubigen gerechtfertigt15. Allerdings bedeutete dies nicht, dass die Beziehungen mit den Christen gänzlich in religiöse Begrifflichkeiten gefasst wurden. Neben Formeln, welche etwa das französische Königtum mit durchaus schmeichelhaften, aber heidnischen Modellen – den Königen von Persien, Alexander dem Großen oder Salomon – verglichen, brauchte man auch Titel, die ohne Unterschied von Muslimen und Christen getragen wurden16. Der Titel pādishāh, den auch der Sultan beanspruchte, markierte eine imperiale préséance des Königs von Frankreich gegenüber den übrigen europäischen Herrschern – auch gegenüber dem Kaiser aus dem Hause Habsburg. Die Verträge, welche der französische Hof seit dem 17. Jahrhundert mit den Regentschaften abschloss, beruhten formal auf dem Prinzip der Reziprozität, wurden sie doch anders als die Kapitulationen von beiden Seiten besiegelt und ratifiziert. Sodann war die Gültigkeit dieser Verträge nicht an die Person der Vertragsschließenden gebunden; die durch den König von Frankreich abgeschlossenen Verträge hatten eine Gültigkeit von hundert Jahren. Die Prägung durch das europäische Völkerrecht war vor allem darauf zurückzuführen, dass die Verträge vielfach als Ergebnis militärischer Machtdemonstrationen abgeschlossen wurden. 14 Einen Überblick bietet die ältere Arbeit von Salvatore Bono, Corsari nel Mediterraneo. Cristiani e musulmani fra guerra, schiavitù e commercio, Mailand 1992. Zur Gewaltökonomie des Korsarenkrieges und zum Freikauf der Gefangenen siehe folgenden kürzlich erschienenen Sammelband: Wolfgang Kaiser (Hrsg.), Le commerce des captifs. Les intermédiaires dans l’échange et le rachat des prisonniers en Méditerranée, XVe–XVIIIe siècle, Rom 2008. Zur Versklavung christlicher Gefangener im Maghreb siehe Robert C. Davis, Christian Slaves, Muslim Masters. White Slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and Italy, 1500–1800, Basingstoke 2003. Über die Spätzeit des maghrebinischen Korsarenwesens siehe Daniel Panzac, Les corsaires barbaresques. La fin d’une épopée, 1800–1820, Paris 1999. An den Umstand, dass der Korsarenkrieg ebenso auch von christlicher Seite betrieben wurde, erinnern folgende Studien über Malta: Anne Brogini, Malte, frontière de Chrétienté (1530–1670), Rom 2006; Godfrey Wettinger, Slavery in the Islands of Malta and Gozo, ca. 1000–1812, Malta 2002. 15 Houari Touati, Entre Dieu et les hommes. Lettrés, saints et sorciers au Maghreb (XVIIe siècle), Paris 1994, 161–191. 16 Wir folgen hier den Ausführungen von Jocelyn Dakhlia, Le divan des rois. Le politique et le religieux dans l’Islam, Paris 1998, 52–55.

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Im Zuge der Verrechtlichung der Beziehungen zwischen den Regentschaften und den europäischen Mächten, die im Laufe des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt fand, etablierte sich eine Art rechtlichen Synkretismus’: Während sich die Verträge stark an europäischen Völkerrechtsvorstellungen orientierten, setzten sich im von den Zeitgenossen gewöhnlich als »usage« bezeichneten Gewohnheitsrecht und damit in der Praxis der Beziehungen vielfach muslimische Rechtsvorstellungen durch. Das Zeremoniell, in das sich die europäischen Konsuln im Maghreb einzufügen hatten17, oder auch die Praktiken von Tribut und Gabe18 schufen einen weiteren Ausgleich zur überwiegend europäischen Prägung des Vertragsrechts. Formen pragmatischen Konsenses im alltäglichen Umgang wurden dadurch erleichtert, dass die Beteiligten oft darauf verzichteten, die Bedeutung symbolgeladener Gesten explizit zu machen. Die Vieldeutigkeit etwa von Geschenken wurde bewusst so eingesetzt, dass alle Beteiligten ihr Gesicht wahren konnten. Die französische Diplomatie unterschied sich von jener der »minderen Mächte« (puissances mineures) nicht aufgrund der ausdrücklichen Verweigerung von Geschenken, sondern indem sie es beispielsweise vermied, die Übergabe von Geschenken fest an bestimmte Ereignisse (zum Beispiel die Machtübernahme eines neuen Herrschers) zu knüpfen oder Kriegswaffen und -munition zu schenken, die als Bestandteile von Tributen galten. Die Bedeutung und zugleich Transformation des usage oder Gewohnheitsrechts lässt sich an der in den Vertragstexten nicht vorgesehenen Praxis ermessen, die Verträge bei einem Herrscherwechsel zu bestätigen. In der ersten Hälfte des 18.  Jahrhunderts lag es auch im Falle Frankreichs und Englands noch am französischen beziehungsweise englischen Konsul, bei einem Herrscherwechsel den Bey von Tunis um die Erneuerung der Verträge zu bitten. Seit den 1750er Jahren konnten es sich beide Mächte erlauben, auf einen solchen Schritt zu verzichten. 1759 kündete cAlī Bey von sich aus seinen Herrschaftsantritt an, und erst danach schrieb ihm der französische Hof einen Brief19. Die Gültigkeit der Verträge löste sich nun auch in der Praxis zunehmend von den Personen der Vertragsschließenden. Im 18. Jahrhundert waren Konsuln und andere Praktiker der Diplomatie bereit, die Regentschaften als Partner in einem Netzwerk transmediterraner Rechtsbeziehungen zu betrachten. Dabei handelte es sich nicht um eine Rechtsgemeinschaft im engeren Sinne einer Völkerrechtsgemeinschaft, 17 C. Windler, La diplomatie (Anm. 5), 405–475. 18 Ebd., 485–548. 19 AN, AE BI 4, f. 141r/v: Berryer, secrétaire d’État de la Marine, an Grou de Sulauze, Konsul in Tunis, Versailles, 7.5.1759.

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sondern vielmehr um ein Normengeflecht, in dem nur jene Bereiche geregelt wurden, in welchen die Beteiligten tatsächlich interagierten. Im Vordergrund stand naturgemäß das Seerecht. Gegenüber den Russen und den Spaniern verteidigte insbesondere die französische Diplomatie die spezifischen seerechtlichen Normen, welche in den Beziehungen zwischen Christen und Muslimen Anwendung fanden. So klagte 1773 Barthélémy de Saizieu, Konsul in Tunis, die Russen hätten sich während des russisch-osmanischen Krieges geweigert, die in tunesischem und algerischem Besitz befindliche Ladung eines französischen Schiffes herauszugeben, »obgleich sie doch nicht im Kriegszustand mit den Fürsten des Maghreb stehen, von denen sie wissen sollten, dass sie von der Pforte unabhängig und wie diese den Regeln unterworfen sind, welche die souveränen und wohlgeordneten Staaten unter sich festgelegt haben und beachten.«20 Auch im Schriftverkehr zwischen den französischen Staatssekretariaten war die Rede vom »Seerecht der Barbaresken«, und man erkannte an, dass die maghrebinischen Korsaren diese Normen respektierten, weshalb sie auch nicht als »Piraten« zu bezeichnen seien21. Diese Auffassung fand auch ihren Niederschlag in der völkerrechtlichen Literatur des 18. Jahrhunderts. Wenn die Fürsten Europas die Herrscher von Algier, Tunis und Tripolis diplomatisch anerkannten, so geschah dies Gaspard de Réal de Curban zufolge unter anderem deshalb, weil die Beutefahrer nicht als Piraten, sondern als Korsaren und damit als »rechtmäßige Gegner« zu betrachten seien22. 20 […] malgré qu’ils n’aient pas d’action ni de guerre déclarée avec les princes de Barbarie, qu’ils savent être indépendants de la Porte, et susceptibles comme elle des règles que les États souverains et policés ont établis, et observent entre eux. AN, AE BI 1145, f. 15v: Barthélémy de Saizieu, Konsul, an Bourgeois de Boynes, secrétaire d’État de la Marine, Tunis, 15.1.1773. 21 Vous n’ignorez pas, Monsieur, les principes qui constituent le droit maritime des Barbaresques. Ils ne contestent point au Pavillon neutre le droit de couvrir la marchandise non contrebande, et ils n’inquiètent point les navires amis et neutres sur la propriété de leurs cargaisons. Ils reconnaissent que le Pavillon ami sauve la marchandise ennemie. Mais en même tems ils ont pour maxime ancienne et constante que le Pavillon français doit leur répondre de tout ce qui est embarqué pour leur compte. Ils regardent la garantie du Pavillon comme un droit d’autant plus incontestable, qu’ils le respectent eux-mêmes, et qu’ils n’enlèvent point sur les vaisseaux français, les effets de leurs ennemis, soit Italiens, Espagnols, ou même Maltais. AN, AE, BI 1145, f. 311r–312r: Sartine, secrétaire d’État de la Marine, an Vergennes, secrétaire d’État des affaires étrangères, Versailles, 28.11.1774. 22 Gaspard de Réal de Curban, La science du Gouvernement, tome cinquième, contenant le Droit des Gens, qui traite des ambassades, de la guerre, des traités, des titres, des prérogatives, des prétentions et des droits respectifs des souverains, Bd. 8, Paris 1764, 96, vgl. auch 368: Si les princes de l’Europe reconnaissent les ministres d’Alger, de Tunis et de Tripoli, c’est parce qu’on regarde les chefs de ces trois pays d’Afrique comme corsaires et non comme pirates; c’est à cause de l’étendue de leurs possessions; c’est parce qu’ils ont une République, une cour, un

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Das »Seerecht der Barbaresken« beinhaltete insbesondere eine spezifische Neutralitätsregelung: Demgemäß schützte die befreundete Flagge Personen und Güter (mit Ausnahme von Konterbande, das heißt kriegsdienlicher Ware) von Kriegsführenden vor jeglichem Zugriff seitens feindlicher Schiffe. Bei Verstößen gegen diese Norm musste die Rückgabe der Prisen gefordert und, wenn dies erfolglos blieb, Entschädigung geleistet werden. Der Schutz durch die befreundete Flagge galt nicht nur zur See, sondern auch in den Häfen. Obwohl der Johanniterorden bis zur französischen Eroberung von Malta formal im Kriegszustand mit der Regentschaft von Tunis blieb, entwickelte sich in diesem normativen Rahmen ein zunehmend intensiverer Handelsverkehr zwischen Malta und Tunis. Der weitgehende Schutz durch die neutrale Flagge galt schon lange, bevor seit 1780 eine Reihe europäischer Seemächte für den innereuropäischen Verkehr ähnliche Regeln einer neutralité maritime armée (bewaffneten Seeneutralität) festlegte. Universelle Gültigkeit erlangten die Grundsätze erst mit dem Pariser Kongress von 1856. Quantitativ angelegte Untersuchungen belegen, dass die Untertanen jener europäischen Herrscher, die in einem Vertragsverhältnis mit den Regentschaften standen, tatsächlich weitgehenden Schutz vor Korsarenüberfällen genossen. Bereits im Zeitraum 1681–1700 waren von den 420 europäischen Sklaven, die sich für ihren Rückkauf der Dienste der Kanzlei des französischen Konsulats in Tunis bedienten, nur gerade 0,5 % französischer Herkunft. Wie die Franzosen wurden auch Engländer, die unter feindlichen Flaggen gefangen genommen wurden, aufgrund ihrer Pässe oder dank der Intervention ihrer Konsuln rasch wieder freigelassen23. Die Verhandlungen über die Freilassung französischer Untertanen, welche in den 1770er Jahren in Tunis geführt wurden, betrafen ausschließlich Korsen, die noch unter genuesischer Flagge in Gefangenschaft geraten waren, oder Franzosen, die in den militärischen Dienst von Feinden der Regentschaft getreten waren. In beiden Fällen hatten sie auch aus französischer Sicht als »gute Prise« zu gelten24. Am wenigsten Anlass zu Klagen bot die Regentschaft von Tunis. Diese war stärker als Algier und Tripolis in die mediterranen Handelsnetzwerke eingetrésor, des citoyens; c’est enfin à cause de la liaison de leurs États avec l’Empire Turc dont ils sont tributaires. 23 Godfrey Fisher, Barbary Legend. War, Trade and Piracy in North Africa 1415–1830, Oxford 1957; Michel Fontenay, Le Maghreb barbaresque et l’esclavage méditerranéen aux XVIe–XVIIe siècles, in: Les Cahiers de Tunisie 44, nos 157–158 (1991), 7–43, 18–20. 24 AN, AE BI 1147, f. 171r–173v: Barthélémy de Saizieu, Konsul in Tunis, an Sartine, secrétaire d’État de la Marine, Tunis, 3.12.1776; AN, AE BI 1149: ders. an ders., Tunis, 16.3.1778; rôle des Corses esclaves du bey et des particuliers de Tunis; Devoize, Generalkonsul in Tunis, an Praslin, secrétaire d’État de la Marine, Tunis, 8.6.1779.

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bunden. Während die französischen Faktoreien an der algerischen Küste den Korallenfang mit europäischen Arbeitskräften als eine Art off-shore-Geschäft betrieben, teilten in Tunis die einheimischen Eliten und europäische Kaufleute bedeutende ökonomische Interessen. Neben den Export von Agrarprodukten, der auch von den französischen Faktoreien an der algerischen Küste aus betrieben wurde, trat das tunesische Interesse an Rohwolle- und Farbstofflieferungen sowie an Transportdienstleistungen für das einheimische Textilgewerbe, welches das ganze Osmanische Reich mit Filzkappen belieferte. Als am Ende des 18. Jahrhunderts das Korsarenwesen in Tunis vorübergehend einen neuen Aufschwung nahm, waren die Besitzer der Korsarenschiffe reiche Kaufleute, die sich für ihre Handelsgeschäfte zur gleichen Zeit der europäischen caravane maritime bedienten25. Nicht weniger als europäische Kauf- und Seeleute hatten sie ein Interesse an der Einhaltung der seerechtlichen Normen, welche diese doppelten Tätigkeiten absicherten. Schlüsselfiguren des tunesischen Hofes förderten die Handelstätigkeiten und waren selbst daran beteiligt. Muafā Khūdja, ein Mameluck georgischer Herkunft, der als erster Minister von cAlī und ammūda Bey von allen europäischen Konsuln gleichermaßen für seine Kenntnisse der türkischen, arabischen und italienischen Sprache, aber auch der europäischen Politik gelobt wurde26, nutzte sein gutes Verhältnis zum französischen Konsul, um sein Interesse an technischen und wissenschaftlichen Neuerungen aus Europa zu stillen27. Als »Beweis der Zivilisiertheit« (preuve de la civilisation), welche der chancelier-interprète des französischen Generalkonsulats in Tunis von 1780 bis 1786, JeanMichel Venture de Paradis, mit Muafā Khūdja assoziierte, hatte aber insbesondere die Durchsetzung von Quarantänemaßnahmen nach europäischem Vorbild gegenüber Schiffen aus der Levante zu gelten, welche aus der Sicht des europäischen Beobachters eine gemeinsame Grenze zum Osmanischen Reich hin markierte28. Muafā Khūdja knüpfte auch Geschäftsbeziehungen mit Europäern: So brachte er etwa in Thunfischfangunternehmungen an der tunesischen Küste das notwendige Kapital ein, während seine Partner gegen 25 Dazu Daniel Panzac, La caravane maritime. Marins européens et marchands ottomans en Méditerranée (1680–1830), Paris 2004. 26 So Jean Michel Venture de Paradis, Observations sur le gouvernement de Tunis, 1788, in: ders., Tunis et Alger au XVIIIe siècle, mémoires et observations rassemblés et présentés par Joseph Cuoq, Paris 1983, 81–82. 27 Vgl. AN, AE BI 1143, f. 133r: Note des instruments de géographie et d’astronomie demandés par le ministre du bey de Tunis, Beilage zum Brief von Barthélémy de Saizieu, Konsul in Tunis, an Praslin, secrétaire d’État de la Marine, Tunis, 21.6.1769. 28 So J. M. Venture de Paradis, Observations (Anm. 26), 83.

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eine Gewinnbeteiligung die technische Leitung übernahmen29. Die Abwendung von kriegerischer Konfrontation manifestierte sich ebenso in der starken Ausweitung der Lebensmittelexporte nach Malta in den 1760er und 1770er Jahren30; mit französischer Vermittlung gelangten der Hof von Tunis und der Johanniterorden damals zu einem Arrangement, welches auch ohne formellen Friedensvertrag der gegenseitigen Bedrohung der Küsten und der Schifffahrt durch Korsaren ein Ende setzen sollte31. Anlässlich seiner Pilgerfahrt nach Mekka in den Jahren 1781 bis 1782 wurde Muafā Khūdja bei einer Zwischenstation in Malta vom Großmeister des Ordens in Ehren empfangen32. Auseinandersetzungen zwischen den Konsuln und dem Hof in Tunis wurden im 18. Jahrhundert im Wesentlichen mit juristischen Argumenten ausgefochten. Verträge und Gewohnheitsrecht regelten insbesondere den Zuschlag der Prisen. Vor der formellen Einrichtung gemischter Gerichtsbarkeiten im 19. Jahrhundert kamen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Formen der Konsultation und Vermittlung zur Anwendung, welche die alleinige höchstrichterliche Gewalt des Bey noch nicht begrenzten, den Konsuln aber dennoch Gehör verschafften. Für cAlī Bey (1759–1782) und dessen Sohn ammūda Bey (1782–1814) war die Achtung der Verträge durch die Korsaren auch eine Frage der entschiedeneren Durchsetzung der eigenen Autorität in einer Gesellschaft, die als »segmentiert« bezeichnet werden kann33. Von einem Ausnahmezustand, der auf dem Respekt begrenzter Schutzzusagen beruhte, wurden friedliche Beziehungen mit christlichen Mächten zusehends zu einem Normalzustand. Dies zeigte sich zum Beispiel an einer weniger formalistischen Interpretation der Verträge; wenn die französische Herkunft eines Schiffes feststand, rechtfertigten formale Mängel der Schiffspapiere immer weniger den Zuschlag als gute Prise. Bezeichnenderweise schenkte Barthélémy de Saizieu, Konsul in den Jahren 1763 bis 1778, nicht mehr a priori den französischen Seeleuten Vertrauen, wenn sie tunesische Korsaren beschuldig-

29 AN, AE BI 1146, f. 54r–55r, 80r/v, 94r/v: Barthélémy de Saizieu, Konsul in Tunis, an Sartine, secrétaire d’État de la Marine, Tunis, 28.3., 28.5. und 5.8.1775; AN, AE BI 21, f. 112r/v: Sartine an Barthélémy de Saizieu, Versailles, 26.2.1776. 30 Lucette Valensi, Les relations commerciales entre la Régence de Tunis et Malte au XVIIIe siècle, in: Les Cahiers de Tunisie 11, Nr. 43 (3. Trimester 1963), 71–83, 75–81. 31 AN, AE BI 1144, f. 274v–275r, 276r, 311v–313r: Barthélémy de Saizieu, Konsul in Tunis, an Bourgeois de Boynes, secrétaire d’État de la Marine, Tunis, 5.6. und 30.6.1772. 32 AN, AE BI 27, f. 42v: Castries, secrétaire d’État de la Marine, an Esparron, Vizekonsul in Tunis, Versailles, 26.1.1783. 33 C. Windler, La diplomatie (Anm. 5), 281–307.

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ten, ihnen Teile der Ladung weggenommen zu haben34. Bei Vertragsverletzungen konnte es in den 1780er Jahren vorkommen, dass fehlbare Korsaren, die von französischen Instanzen festgenommen worden waren, dem Bey zur Verurteilung übergeben wurden35. Ausdruck größerer Nähe und Vertrauens waren auch die in der diplomatischen Praxis entstandenen Beschreibungen der Regentschaft von Tunis36. An die Stelle einer republikanischen Terminologie, die den irregulären Gebrauch von Machtmitteln evozierte, traten im Laufe des 18. Jahrhunderts in zunehmendem Maße monarchische Kategorien: Zwar vermied es der Hof von Versailles, in Schriftstücken, die an den Bey adressiert waren, die Regentschaft als royaume zu bezeichnen; die Konsuln hingegen hielten sich nicht an diese Sprachregelung, sondern verwendeten in ihrer Korrespondenz mit dem zuständigen Staatssekretär der Marine den Begriff royaume. Vollends dem Muster eurozentrischer Inklusion folgte sodann der bereits genannte Jean-Michel Venture de Paradis in seinen Observations sur le gouvernement de Tunis aus dem Jahre 1788. Er beschrieb die Herrscher nach dem europäischen Muster des aufgeklärten Fürsten. Die tunesischen Herrscher unterschieden sich Venture zufolge durch eine humane Ausübung ihrer Jurisdiktionsgewalt, durch die Achtung des Eigentumsrechts und die Förderung von Landwirtschaft und Handel vom gouvernement turc, das heißt der »orientalischen Despotie«37. Wie die Prinzen königlichen Geblüts in Europa lebten die Vettern des regierenden Bey in Freiheit, was »der überzeugendste Beweis der Zivilisiertheit dieser Regierung« (la preuve la plus convaincante de la civilisation de ce gouvernement) und »einer türkischen Regierung« entgegengesetzt sei38. Derartige Positivwertungen im Sinne eines inklusiven Eurozentrismus wurden zunächst auch durch das im Naturrecht der Aufklärung fundierte Völkerrecht mitgetragen. Dessen Vertreter gingen zum Teil so weit, sämtliche An34 AN, AE BI 1146, f. 118v–119r: Barthélémy de Saizieu, Konsul in Tunis, an Sartine, secrétaire d’État de la Marine, Tunis, 26.9.1775. 35 AN, AE BI 29, f. 8r/v, 266r: Castries, secrétaire d’État de la Marine, an Esparron, Vizekonsul in Tunis, Versailles, 4.1. und 13.6.1784. 36 Über die Diskurse der Aufklärung über den Maghreb, vgl. Ann Thomson, Barbary and Enlightenment. European Attitudes towards the Maghreb in the 18th Century, Leiden / New York / Kopenhagen / Köln 1987. Ann Thomson lässt die diplomatische Korrespondenz unberücksichtigt. 37 Rien ne sent moins la Barbarie que la cour du bey de Tunis. Il y règne un ton de politesse, d’urbanité et de douceur capable d’étonner tout Européen: on n’y voit ni les principes ni la conduite du gouvernement turc. Les présents et l’argent n’y terminent aucune affaire et on y suit scrupuleusement les règles, les usages et les lois. J. M. Venture de Paradis, Observations (Anm. 26), 82. 38 Ebd.

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sprüche auf Sonderrechte gegenüber nichtchristlichen und nichteuropäischen Völkern systematisch zurückzuweisen. Christian Wolff zufolge ergaben sich die gegenseitigen Pflichten der Nationen unabhängig von der Religionszugehörigkeit und der Zivilisiertheit ausschließlich aus dem Gleichheitsgebot des Naturrechts39. Während das christlich geprägte europäische Völkerrecht die Hohe Pforte und die Regentschaften des Maghreb aufgrund des religiösen Gegensatzes von der Möglichkeit eines auf Gegenseitigkeit beruhenden Verhältnisses ausgeschlossen hatte, unterstrich auch Émer de Vattel 1758 im Anschluss an Wolff, der Religionsunterschied habe keinen Einfluss auf die Gültigkeit von Verträgen, die allein durch das Naturrecht bestimmt werde, demzufolge die Menschen »als Menschen und nicht als Christen oder Muslime« (en qualité d’hommes, et non en qualité de chrétiens, ou de musulmans) zueinander in Beziehung traten40.

II. Pragmatismus und »zivilisierende« Ausgrenzung zur Zeit der französischen Revolution Bedeutet dies nun, dass mit der amerikanischen und der französischen Revolution, welche die Regeln des menschlichen Zusammenlebens aus dem Naturrecht ableiteten, eine neue Ära von Beziehungen mit nichtwestlichen Gesellschaften und damit auch mit den Regentschaften des Maghreb auf der Grundlage gegenseitigen Respekts als Menschen anbrach? Das Gegenteil war der Fall. Im Gegensatz zu Wolff, der sämtliche Sonderrechte ablehnte, hatte bereits Émer de Vattel ein Okkupationsrecht zum Zweck der Kultivation auf Kosten nichtsesshafter Völker postuliert41. Das durch die Grundlegung im Naturrecht gestützte Selbstverständnis implizierte schließlich eine aggressive Absage an jenen Normpluralismus, der interkulturellen Beziehungen stets wesenseigen ist und den Verrechtlichungsprozess prägte, der im 18. Jahrhundert im Verhältnis zu den Regentschaften zu verfolgen ist. Europa »entwarf sich vor allem als die Kultur universaler Ordnungsstiftung«, wie Jürgen Osterhammel festgestellt hat42. 39 Wir folgen hier Jörg Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht. Die Auseinandersetzungen um den Status der überseeischen Gebiete vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1984, 270–275. 40 Émer de Vattel, Le droit des gens, ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains [1758], Edition Albert de Lapradelle, 3 Bde., Washington 1916, Bd. 1, livre II, chap. XII, § 162, 373–374, vgl. § 230, 441. 41 Siehe J. Fisch, Die europäische Expansion (Anm. 39), 275–280. 42 J. Osterhammel, Die Entzauberung Asiens (Anm. 7), 381.

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Zunächst allerdings wurde die französische Revolution von den diplomatischen Praktikern vor allem als große Gefahr für die Stellung Frankreichs im Mittelmeerraum wahrgenommen. Es galt zu verhindern, dass Frankreich im Mittelmeerraum neue Feinde erwuchsen; zugleich musste man sich angesichts der Versorgungsschwierigkeiten die Möglichkeit von Getreideimporten aus dem Maghreb offenhalten. Aus geschwächter Position heraus wurden indessen bereits auch die neuen strukturellen Gegensätze thematisiert, die sich aus der Revolution ergaben. Als solche glaubte man den Souveränitätsanspruch der Nation gegenüber dem König und die Neudefinition der Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu erkennen. Als die Nationalversammlung 1790 die neue revolutionäre Flagge auch für den französischen Schiffsverkehr für verbindlich erklärte, stellte sich die Frage, inwiefern nun mit diesem Beschluss auch die Existenz der Nationalversammlung den »Muslimen, die den alten Gebräuchen sehr verbunden sind und jede Änderung mit Beunruhigung sehen«43, bekannt gegeben werden sollte. Reichte es aus, den Wechsel der Flagge im Namen des Königs mitzuteilen, ohne das entsprechende Gesetz, welches die Nationalversammlung erwähnte, zu versenden44? Die verschiedenen Briefentwürfe, die im Dezember 1790 im Marineministerium verfasst wurden, zeigen, wie versucht wurde, einen größtmöglichen Eindruck von Kontinuität zu erwecken. Zwei erste Entwürfe präsentierten die Einberufung der Nationalversammlung als Initiative eines Königs, den die göttliche Vorsehung auf den Thron gerufen habe und der im vollen Besitz seiner Macht sei. Man verheimlichte nicht, dass der Wechsel der Flagge nur eine der Reformen war, welche die Nationalversammlung vorgeschlagen hatte, unterstrich aber die bestimmende Rolle des Königs bei der Gesetzgebung. Die Nationalversammlung wurde nicht als gesetzgebende Vertretung einer souveränen Nation dargestellt, sondern als ein Ratsgremium, das nicht selbst entschied, sondern dem König bloß Vorschläge vorlegte. In der endgültigen Fassung des Briefes an die Herrscher von Marokko, Algier, Tunis und Tripolis wurde die Existenz der Nationalversammlung dann allerdings völlig verschwiegen und der Wechsel der Flagge als ausschließlich königlicher Entscheid ausgegeben, der in keiner Weise die bestehenden Verträge in Frage stelle45. Nur wenn sich 43 Les musulmans très attachés aux anciens usages ne voient tout changement qu’avec inquiétude. AN, AE BI 35, f. 342r: Note pour le ministre, 19.12.1790. 44 AN, AE BI 35, f. 333r/v: Fleurieu, Marineminister, an Montmorin, Außenminister, Paris, 10.12.1790. 45 Lettre du roi au roi de Maroc pour lui annoncer le changement de pavillon (1re et 2e versions), vgl. AN, AE BI 35, f. 345r–346v: Lettre circulaire du ministre au dey d’Alger, bey de Tunis et pacha de Tripoli, Paris, 19.12.1790.

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die Empfänger mit dieser Darstellung nicht zufrieden geben sollten, durften die Konsuln weitere Erläuterungen im Sinne der ersten Entwürfe abgeben46. Die Reaktionen auf die Mitteilung fielen bezeichnenderweise unterschiedlich aus: Während der Sultan von Marokko, der Dey von Algier und der Pascha von Tripolis ihre Korsaren anwiesen, die neue Flagge zu respektieren, nahm ammūda Bey von Tunis den Wechsel zum Vorwand, um eine Bestätigung der Verträge und damit die Übergabe von Geschenken zu fordern. Die französische Regierung müsse ihm Waffen und Kriegsmunition sowie zwei Pontons liefern, mit denen die Häfen der Regentschaft ausgebaggert werden sollten. Diese Forderungen standen aufgrund der Zusammensetzung der Geschenke in einem scharfen Gegensatz zur bisherigen Praxis. In den Augen des Bey von Tunis schwächte der revolutionäre Umbruch Frankreich derart, dass er das Verhältnis in einer Weise neu definieren zu können glaubte, welche an seine Beziehungen zu den puissances mineures erinnerte, die ihm Tribute in Form von Waffen- und Munitionslieferungen schuldeten47. ammūda Bey war aufgrund seiner engen Beziehungen zu Europäern bestens über die Vorgänge in Frankreich informiert. Die in Paris gehegte Hoffnung, diese vor den muslimischen Höfen verheimlichen zu können, beruhte auf dem falschen Klischee eines von der europäischen Aktualität abgeschnittenen »orientalischen Herrschers«. Ungewissheiten entstanden auch aufgrund der Veränderungen im Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich. Die antireligiöse Ausrichtung der Revolution stieß bei der Hohen Pforte48 ebenso wie im Maghreb auf Missbilligung. Bezeichnend dafür ist folgender Kommentar eines muslimischen Gelehrten aus dem Umkreis des Bey von Mascara im Westen des heutigen Algerien: »Sie sind ohne Religion geblieben und jeder macht in religiösen Dingen, was ihm gerade gut scheint. Sie haben ihren König getötet […]. Lasse doch Gott ihren Verrat unter ihnen bleiben und bewirke Er, dass sie sich bloß um sich selbst kümmern.«49 In den Maghreb hinein wirkte die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche als Folge des Anspruches des Allerchristlichsten Königs auf das Patronat über die katholischen Missionen und in der 46 AN, AE BI 35, zwischen f. 347 und 348 eingefügtes Blatt: Postscriptum à mettre au bas de la lettre circulaire aux consuls de Barbarie [Paris, 19.12.1790]. 47 AN, AE BI 1153, f. 240r/v, 243v–246v, 256r/v: Delespine de Chateauneuf, Generalkonsul in Tunis, an Fleurieu, Marineminister, Tunis, 9.5. und 20.5.1791; Muafā Khūdja an idem, Tunis, 5 shawwāl H. 1205. 48 Faruk Bilici, La Révolution française dans l’historiographie turque 1789–1927, in: La Révolution française et le monde arabo-musulman. Colloque international, Tunis 9–11 novembre 1989, hrsg. v. Hédia Khadhar, Tunis 1991, 155–165, 157. 49 Tayeb Chenntouf, La Révolution française: l’événement vu de l’Algérie, in: La Révolution française, hrsg. v. H. Khadhar (Anm. 48), 61–70, 67–68.

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Frage der Beibehaltung oder Schließung der Konsulatskapellen. 1793 warnte Außenminister Lebrun das Comité d’Aliénation des Nationalkonvents vor einem Verkauf der Kirchengüter im Osmanischen Reich und im Maghreb, die zum französischen Patronat gehörten: Das osmanische Volk zeige »eine frenetische Abneigung« (une antipathie frénétique) gegen all jene, die es des Atheismus verdächtige. Der Verkauf der Kirchen würde als Beweis dafür genommen, dass die Anschuldigungen der Feinde der Revolution, man habe keine Religion mehr, zutreffend seien. Wenn sich diese Meinung verbreite, könne die Hohe Pforte nicht mehr länger mit Frankreich verbündet bleiben50. JacquesPhilippe Devoize, Generalkonsul in Tunis, widersetzte sich mit ähnlichen Argumenten der Säkularisierung der Konsulatskapelle durch einen außerordentlichen Kommissar des Wohlfahrtsausschusses. Damit würde nicht nur ein bedeutendes Privileg aufgegeben, sondern eine wichtige Grundlage der französischen Präsenz in Tunis vernichtet. Devoize unterstrich, dass alle Absprachen auf der Treue der Beteiligten gegenüber ihrer eigenen Religion beruhten: »Die Religion dient hier der Politik, wenn es darum geht, die Forderungen zu klären, welche sich oft aus den Übergriffen der Korsaren ergeben. Der Bey verlangt vom geschädigten Schiffskapitän einen Eid gegenüber dem Kaplan der [französischen] Nation, wonach das vorgelegte Inventar der [fehlenden] Effekten wahrheitsgetreu sei; darauf ordnet er die Bezahlung ohne Abzug an. Ich könnte ganze Ladungen nennen, die aufgrund dieses Eides bezahlt wurden.«51 Als die Kapelle 1796 dennoch geschlossen wurde, empörten sich dem spanischen Konsul zufolge die Muslime angesichts der Säkularisierung der Kapelle und ihrer Verwendung als Bankettsaal52. Der Atheismusverdacht stellte Beziehungen in Frage, deren Grundlagen aus muslimischer Sicht von den Regelungen des islamischen Rechts zugunsten christlicher Minderheiten abgeleitet waren; Menschen, die Gott verleugneten, verloren jeden Anspruch auf Schutz seitens einer muslimischen Obrigkeit. Parallel zu solchen Fragen manifestierte sich seit den frühen 1790er Jahren ein außenpolitischer Paradigmenwechsel, der schon bald ein mächtiges Aus50 Vgl. AN, AE BI 38, f. 170r/v: Lebrun, ministre des Relations extérieures, an Delacroix, Vizepräsident des Comité d’Aliénation des Nationalkonvents, 28.5.1793 (Zitat: 170v). 51 La religion sert ici la politique dans les réclamations qu’amènent souvent les déprédations des corsaires. Le bey exige du capitaine le serment entre les mains du chapelain de la nation que les notes d’effets qu’il présente sont fidèles, et le paiement en est ordonné sans déduction. […] Je pourrais citer des cargaisons entières qui ont été payées d’après ce serment. MAE, C.C.C. Tunis, Bd. 34, f. 74v–75v (Zitat: 75v.): Devoize an Delacroix, ministre des Relations extérieures, Tunis, 24 ventôse Jahr IV [14.3.1796]. 52 AHN, Estado, leg. 4802: Jaime Soler, Generalkonsul in Tunis, an Godoy, primer secretario de Estado, Tunis, 12.1.1797.

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greifen Frankreichs im Mittelmeerraum auf eine völlig neuartige Legitimationsgrundlage stellen sollte. Obwohl explizite Bezüge zu bestimmten Autoren in den Texten, welche in der Praxis der Außenbeziehungen entstanden, kaum vorkommen, glaubt man doch das Echo der Werke zum Beispiel eines Turgot oder Volney zu erkennen. Für Turgot war der osmanische Militärstaat der despotische Staat par excellence, der nicht durch intermediäre Gewalten gemäßigt werde und damit den Niedergang des Orients verursache. Aus solchen Überlegungen wurden bereits in den 1780er Jahren Eroberungsprojekte abgeleitet, so etwa wenn Baron de Tott in seinen 1784 veröffentlichen Mémoires sur les Turcs et les Tartares für eine Eroberung Ägyptens plädierte53. Besonders einflussreich war diesbezüglich Volney mit seinem 1787 veröffentlichten Voyage en Syrie et en Égypte, in dem der Autor eine wissenschaftliche Beschreibung der gesellschaftlichen Auswirkungen von Despotismus zu liefern beanspruchte. Sein Werk sollte 1798 Napoleon Bonaparte und die zivilen und militärischen Mitglieder des Expeditionscorps nach Ägypten begleiten54. Despotismus galt als entscheidendes Hindernis für die civilisation, die Zivilisierung. Dieser Gedanke findet sich auch in der Korrespondenz der Konsuln im Maghreb, vor allem dann, wenn sie ihre Übereinstimmung mit der Politik ihrer Vorgesetzten unter Beweis stellen mussten. 1795 wusste der Generalkonsul in Tunis, Devoize, um Bestrebungen, ihn aufgrund von Zweifeln an seiner Loyalität gegenüber der Republik von seinem Amt abzuberufen. Als er nun aufgefordert wurde, Informationen zu liefern, welche der Verbreitung der Künste, der Wissenschaften und des Gewerbes in Frankreich dienen könnten, antwortete er Folgendes: »Die Wissenschaften und Künste lassen in Tunis nur die traurige Feststellung zu, dass sie in dem Maße, wie sich der Despotismus […] in diesem Teil Afrikas durchgesetzt hat, zusammen mit den freien Menschen, die sie in den schönen Tagen Roms und Karthagos gepflegt hatten, verschwunden sind. Diese haben wertvolle Denkmäler hinterlassen, wenn sie jedoch der stupide Muslim – Opfer eines barbarischen Vorurteils – in den Ruinen von Karthago entdeckt, beeilt er sich, diese Meisterwerke der Kunst zu verstümmeln, die so für die Nachwelt verloren gehen, welche sie bewundern 53 Henry Laurens, Les origines intellectuelles de l’expédition d’Égypte. L’orientalisme islamisant en France (1698–1798), Istanbul / Paris 1987, 49–53, 63–65. 54 Constantin François Chassebœuf, Comte de Volney, Voyage en Égypte et en Syrie [1787], Edition Jean Gaulmier, Paris / Den Haag 1959. Vgl. Jean Gaulmier, L’idéologue Volney, 1757–1820. Contribution à l’histoire de l’orientalisme en France, Beyrouth 1951, 43–44, 58–62, 87–109, 114–121, 405–413. Siehe H. Laurens, Les origines (Anm. 53), 67–78, über die Bedeutung von Volney für die »tradition libérale et républicaine de mission civilisatrice«.

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und als Vorbilder nutzen würde.«55 Wie in Berichten über den östlichen Mittelmeerraum wurden die Ruinen der Antike im Maghreb zu einem Sinnbild des Niedergangs. Auch mit Bezug auf die Praktiken von Diplomatie sind zumindest aus einer ideengeschichtlichen Perspektive in den 1790er Jahren revolutionäre Innovationen im eigentlichen Sinn des Wortes zu erkennen. Während im Ancien Régime die Normenvielfalt im Verkehr zwischen Christen und Muslimen in den inneren Herrschaftsbeziehungen in der Vielfalt von Rechtsverhältnissen und Gerichtsbarkeiten eine strukturelle Entsprechung fand, stand der im Naturrecht begründete revolutionäre Universalismus in einem scharfen Gegensatz zur bisherigen diplomatischen Praxis. Sie hatte den Kompromiss und den stillschweigenden Konsens hinsichtlich positivrechtlicher Normen begünstigt und so die Kontinuität friedlicher Beziehungen ermöglicht. Hatte man bisher um die Auslegung und Anwendung vertrags- und gewohnheitsrechtlicher Normen gefochten, so beriefen sich die Konsuln der Revolutionszeit zumindest in der Korrespondenz mit ihren Vorgesetzten auf Prinzipien der Menschlichkeit, die durch despotische Regierungen mit den Füßen getreten würden. Es sei an der französischen Republik, »als erste das Joch abzuschütteln, welches die Barbaresken allen Mächten auferlegten […]«, schrieb Devoize 1792 Marineminister Monge; er glaube, dass »ein freies Volk die Sklaverei vor seiner Tür nicht länger dulden werde.«56 Während die Versklavung der Kriegsgefangenen bis dahin als Begleiterscheinung des Korsarenwesens hingenommen wurde, galt sie nun als Symbol einer Gesellschaftsordnung, welche im Gegensatz zu den Grundprinzipien französischer Politik stand. Angesichts der militärischen Bedrohungen in Europa war indessen Vorsicht geboten. 1794 zog es der Wohlfahrtsausschuss deshalb vor, im Verkehr mit den Regentschaften vorerst an die herkömmlichen Praktiken der medi55 […] les sciences et les arts n’offrent à Tunis qu’une triste observation à faire, c’est qu’à mesure que le despotisme qui ne peut subsister que par l’ignorance des peuples, s’est établi dans cette partie de l’Afrique, ils ont disparu avec les hommes libres qui les cultivaient dans les beaux jours de Rome et de Carthage. Ils ont bien laissé après eux des monuments précieux, mais en les découvrant parmi les ruines de cette dernière ville, le stupide musulman esclave d’un préjugé barbare, se hâte de mutiler ces chefs-d’œuvre de l’art qui sont perdus pour la postérité dont ils auraient fait l’admiration, en lui servant de modèles. MAE, C.C.C., Tunis, Bd. 33, f. 76r/v: Devoize an das Comité de Salut Public, Tunis, 30 nivôse Jahr III [19.1.1795]. Vgl. MAE, C.C.C., Alger, Bd. 32, f. 173r: Vallière, Generalkonsul in Algier, an das Comité de Salut Public, Algier, 14 pluviôse Jahr III [2.2.1795]. 56 C’est à la République française qu’il appartient de secouer la première le joug que les régences barbaresques imposent à toutes les puissances qui semblent s’être concertées pour le subir; je dois croire qu’un peuple libre ne souffrira pas l’esclavage à sa porte. AN, AE BI 1154, f. 168r–168v: Devoize an Monge, Marineminister, Tunis, 8.12.1792.

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terranen Diplomatie zu erinnern. Zugleich jedoch erhielten die Kommissare, die nach Tunis und Algier entsandt werden sollten, den Auftrag, die Revision und Überarbeitung aller Verträge vorzubereiten57. Die Instruktion, welche das Direktorium im Dezember 1795 dem neuen Generalkonsul in Algier mitgab, unterschied ebenfalls zwischen der unmittelbaren Notwendigkeit, die Beziehungen vorerst im gewohnten Rahmen weiterzuführen, und dem Ziel, nach dem Friedensschluss die Veränderungen, welche »die Einrichtung einer republikanischen Regierungsform auf den Trümmern einer absoluten Monarchie« implizierte, auf die Außenbeziehungen auszuweiten. Die Vertreter der Republik im Ausland sollten Dokumente sammeln, welche es der Regierung erlauben, »die notwendigen Änderungen durchzuführen und vorzuschlagen, um in allen Sozialbeziehungen die Einheit von Plan und System durchzusetzen«58. Der durch das Direktorium ernannte Jeanbon Saint-André verfügte über keinerlei diplomatische Erfahrung; 1793 hatte er als Abgeordneter des Nationalkonvents das Existenzrecht spezialisierter diplomatischer Institutionen grundsätzlich bestritten, weil »Wahrheit« und »Freiheit« die Diplomatie der Republik ausmachten59. An die Stelle der religiösen Begründung des Vormachtsanspruches Frankreichs als fille aînée de l’Église trat in den 1790er Jahren das Programm einer »Zivilisierungsmission«, wenn auch der Begriff der mission civilisatrice selbst noch nicht gebraucht wurde. Die spektakulärste Ausprägung fand das aus der Aufklärung gewachsene neue Paradigma des Umgangs mit nichteuropäischen und insbesondere muslimischen »Nationen« im Ägyptenfeldzug Napoleons: Geopolitische Ambitionen, welche Frankreich vor allem in Gegensatz zu England stellten, fanden hier im zivilisatorischen Anspruch der Aufklärung und der Revolution eine neuartige Legitimationsgrundlage, die sich im Kolonialismus des 19. und 20. Jahrhunderts als überaus wirkungsmächtig erweisen 57 MAE, C.C.C. Tunis, Bd. 32, f. 115r: Mémoire pour servir d’instructions aux citoyens Ducher et Lallement, agents extraordinaires allant à Alger et à Tunis, Paris, 4 ventôse Jahr II [22.2.1794]. 58 L’établissement d’un gouvernement tout républicain sur les débris d’une monarchie absolue entraîne dans l’administration du dedans des changements, dont l’influence doit s’étendre sur nos relations extérieures, soit politiques, soit commerciales. Tous les traités, conventions, capitulations etc. qui nous liaient aux autres puissances, doivent subir un examen qui mette le gouvernement en état de faire et de proposer les changements nécessaires pour établir dans toutes les relations du Corps social l’unité de plan et de système. MAE, C.C.C.. Alger, Bd. 32, f. 270v: Mémoire pour servir d’instructions au citoyen Jeanbon Saint-André, Consul général de la République française à Alger, approuvé par le Directoire exécutif, Paris, 25 frimaire Jahr IV [16.12.1795]. 59 L. Frey / M. Frey, The Reign of the Charlatans (Anm. 1), 716.

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sollte: Eroberung als eine Wohltat für die Eroberten, die sich ohne fremdes Zutun weder aus ererbter Knechtschaft befreien noch zu Zivilisation und Fortschritt gelangen könnten60. In einer 1801 im Auftrag des ersten Konsuls, Napoleon Bonaparte, verfassten Denkschrift über einen Feldzug gegen Tunis bezeichnete es JacquesPhilippe Devoize, Generalkonsul in Tunis, als Aufgabe Bonapartes als »Führer einer freien und kriegerischen Nation« (chef d’une Nation libre et guerrière), im Namen der »Menschlichkeit« auch gegen diese »Barbaren« vorzugehen, um »Obrigkeiten zu vernichten, deren Missbrauch so empörend« (détruire des autorités dont l’abus est si révoltant) sei, und damit »zur Regeneration dieses Teils Afrikas zu schreiten« (entreprendre la régénération de cette partie de l’Afrique)61. Devoize verfasste diese Denkschrift vor dem aktuellen Hintergrund des diplomatischen Bruchs zwischen den Regentschaften und Frankreich als Folge des Ägyptenfeldzugs. Selbst in dieser Situation blieb sein Urteil jedoch insgesamt eigenartig widersprüchlich, was wohl mit den engen Beziehungen des Verfassers zum tunesischen Hof zu erklären ist. Bei der Beschreibung der Herrscherqualitäten von ammūda Bey zerbrach die innere Kohärenz des zivilisatorischen Projektes, welches die militärische Aggression rechtfertigen sollte. Stattdessen verwendet Devoize Formulierungen, die an den inklusiven Eurozentrismus erinnern, wie er die Beschreibungen der Regentschaft in den Jahrzehnten vor der Revolution geprägt hatte: »Man findet sonst kein Beispiel eines so gebildeten muslimischen Fürsten. Er kennt von Grund auf alle Interessen der Mächte Europas und versteht es, daraus Nutzen zu ziehen. Begabt mit einem seltenen Maß an Scharfsinn und zugänglich auch für den Geringsten seiner Untertanen, verwendet er Tag für Tag mehrere Stunden darauf, ihre Klagen anzuhören und ihre Streitigkeiten zu schlichten. Alle seine Urteile, die ohne Kosten ergehen, werden durch Weisheit und Gerechtigkeit diktiert. Er wäre das Idol seines Volkes, wenn er sich sonst nicht so sehr dem Geiz und der 60 Zum Ägyptenfeldzug, siehe Henry Laurens (mit Beiträgen von Charles C. Gillispie, Jean-Claude Golvin und Claude Traunecker), L’expédition d’Égypte, 1798–1801, Paris 1989. Zu den Zivilisierungsmissionen vgl. Boris Barth / Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005. 61 AN, 327 AP 1: Mémoire sur un projet d’expédition contre Tunis, Paris, 6 prairial Jahr IX [26.5.1801]; der Brief gleichen Datums trägt die Unterschrift von Jacques-Philippe Devoize und erlaubt die Identifizierung des Autors. – Im gleichen Kontext und mit denselben Argumenten schlug auch der Generalkonsul in Algier einen Feldzug gegen die türkische Regierung von Algier vor, wo die unterdrückten Kabylen Bonaparte als »Befreier« (libérateur) empfangen würden. Zitiert bei François Charles-Roux, France et Afrique du Nord avant 1830. Les précurseurs de la conquête, Paris 1932, 394.

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Habsucht hingeben würde und es damit alle Arten von Übergriffen erleiden ließe.«62 Vor dem Ägyptenfeldzug und dem daraus resultierenden Bruch mit den osmanischen Regentschaften im Maghreb und dann wieder nach dem Abschluss der Friedensverträge mit Algier und Tunis 1801 beziehungsweise 1802 bestand ein scharfer Gegensatz zwischen einer um Ausgleich bemühten diplomatischen Praxis und den weit reichenden Entwürfen einer neuen Ordnung. Während die Sklaverei in den französischen Kolonien 1802 wieder legalisiert wurde, blieb der Kampf gegen die Versklavung europäischer Kriegsgefangener im Maghreb ein Leitmotiv französischer Politik. Als Folge der Gebietsannexionen in Europa stellte sich diese Frage zur Zeit des Empire in neuer Schärfe: Die annektierten Gebiete in Italien hatten zum Teil bisher im Kriegszustand mit den Regentschaften gestanden, weshalb immer wieder Untertanen von Korsaren in die Sklaverei abgeführt wurden. Ihre Freilassung sollte nun dazu beitragen, der französischen Fremdherrschaft ein gewisses Maß an Legitimität zu verschaffen. Die französischen Konsuln in Algier und Tunis wurden deshalb angewiesen, Verhandlungen aufzunehmen. Ein förmlicher Rückkauf sollte vermieden werden; stattdessen sollte Devoize 1806 ammūda Bey »ausschließlich als Ausdruck der Zufriedenheit« (uniquement à titre de satisfaction) – das heißt als Gegengabe – des Kaisers eine Geldsumme überreichen, welche der Anzahl freigelassener Sklaven entsprechen sollte63. Zuvor hatte der Dey von Algier bereits die Summe von 80’000 Piaster »als Geschenk und nicht als Lösegeld« (à titre de présent et non de rançon) entgegen genommen64. Devoize selbst sprach allerdings in späteren Briefen an Talleyrand vom »Preis der Freilassung« (prix de l’affranchissement) der Sklaven65. Solche Zweideutigkeiten charakterisierten die französische Diplomatie seit den 1790er Jahren. Während die revolutionären Diskurse die Formen des 62 On n’a pas d’exemple d’un prince musulman aussi instruit. Il connaît à fond tous les intérêts des puissances de l’Europe et sait en tirer parti. Doué d’une sagacité rare, accessible au moindre de ses sujets, il consacre journellement plusieurs heures à écouter leurs plaintes, à juger leurs discussions. Toutes ses sentences, rendues sans frais, sont dictées par la sagesse et la justice. Il serait l’idole de son peuple, si trop livré à l’avarice et la cupidité, il ne lui faisait éprouver d’ailleurs toutes sortes de vexations. AN, 327 AP 1: Mémoire sur un projet d’expédition contre Tunis, Paris, 6 prairial Jahr IX [26.5.1801]. 63 MAE, C.C.C.. Tunis, Bd. 38, f. 161r–161bis v: Talleyrand, ministre des Relations extérieures, an Devoize, Paris, 18.3.1806. 64 Devoize an ammūda Bey, Tunis, 24.6.1806, in: Correspondance des beys de Tunis et des consuls de France avec la Cour, 1577–1830, hrsg. v. Eugène Plantet, 3 Bde., Paris, 1893, 1894, 1899, hier: Bd. 3, 465–466. 65 MAE, C.C.C. Tunis, Bd. 38, f. 196r: Devoize an Talleyrand, ministre des Relations extérieures, Tunis, 28.10.1806.

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diplomatischen Umgangs mit den muslimischen Mächten, wie er bisher gepflegt worden war, grundsätzlich in Frage stellten, vermieden die Konsuln vor Ort den Eindruck eines Bruchs. Die Neudefinierung der Praktiken war weniger unmittelbare Realität als vielmehr Perspektive für die Zukunft.

III. Die Restauration und der Kampf gegen die »Piraterie« Wie tief die Neuorientierung im Verhältnis zu außereuropäischen Mächten allgemein und den Regentschaften im Besonderen griff, erweist der Ausblick auf die Restaurationszeit. Während sich in Europa nach den revolutionären Aufwallungen der 1790er Jahre manche Kompromisse mit überkommenen Praktiken der Diplomatie durchsetzten, wurde der Anspruch, die Beziehungen zu den nichteuropäischen Mächten nach den Regeln »zivilisierter Nationen« umzugestalten, von den europäischen Gegnern Frankreichs nicht minder entschieden vertreten. Dazu gehörte das neue Selbstbewusstsein des englischen Botschafters Macartney, der dem chinesischen Kaiser 1793 den Kotau verweigerte66, ebenso wie die ungefähr zeitgleiche Weigerung eines britischen Konsuls in Tunis, dem Bey bei der Audienz die Hand zu küssen, wie er dies, ebenso wie die Untertanen des Bey, bisher zu tun gehabt hatte67. Beide Praktiken wurden als Erniedrigung wahrgenommen und deshalb vor dem Hintergrund sich verändernder Kräfteverhältnisse abgelehnt. Im Hinblick auf die Beziehungen zu nichteuropäischen Akteuren knüpften jene, die 1814/15 an der »Restauration« der alten monarchischen Ordnung beteiligt waren, an die Umgestaltungen an, welche von der amerikanischen und der französischen Revolution ausgingen. Mit der innereuropäischen Konsolidierung eines neuen Systems zwischenstaatlicher Beziehungen im Rahmen der Friedensordnung des Wiener Kongresses ging der aggressiv vertretene Anspruch auf universelle Gültigkeit jener Normen einher, die diesem in Europa gewachsenen System zugrunde lagen. Die europäischen Staaten, die sich im Verkehr untereinander als de jure gleich gestellte Rechtssubjekte gegenübertraten, weigerten sich, mit den muslimischen Mächten im Mittelmeerraum weiterhin auf der Grundlage von Normen zu verhandeln, die vom europäischen Völkerrecht abwichen. 66 Dazu Sabine Dabringhaus, Einleitung, in: Johann Christian Hüttner, Nachricht von der britischen Gesandtschaftsreise durch China und einen Teil der Tartarei [1797], Sigmaringen 1996, 7–92, und James Hevia, Cherishing Men from Afar: Qing Guest Ritual and the Macartney Embassy of 1793, Durham NC / London 1995. 67 C. Windler, La diplomatie (Anm. 5), 435–436.

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Auf den Kongressen von Wien und Aachen (1818) wurde das zur »Piraterie« erklärte Korsarenwesen, welches vom Maghreb ausging, zur ersten praktischen Zielscheibe dieses Anspruches. Die Verurteilung des Korsarenwesens erfolgte im Anschluss an die Ächtung des atlantischen Sklavenhandels, welche vor allem von England aus betrieben wurde. Wenn man den Handel mit schwarzen Sklaven verbiete, so wurde argumentiert, könne man auch nicht mehr zulassen, dass in Nordafrika mit »zivilisierten Christen« gehandelt werde. Den unmittelbaren Anlass bot die Intensivierung des Korsarenwesens gegen das Ende der napoleonischen Kriege; sie scheint darauf zurückzuführen zu sein, dass die Kaufleute, Schiffsbesitzer und Seeleute aus dem Maghreb wieder aus der Handelsschifffahrt verdrängt wurden, der sie sich in den Kriegsjahren unter dem Schutz ihrer Neutralität zeitweise zugewandt hatten68. Im Sommer 1814 verbreitete der englische Admiral Sidney Smith eine Denkschrift, in welcher er die europäischen Regierungen dazu aufrief, einen gemeinsamen Flottenverband zusammenzustellen, um die »Piratenstaaten« im Maghreb durch Regierungen abzulösen, welche dem Handel nützlich seien und in Einklang mit den »zivilisierten Nationen« stünden. Die Aufmerksamkeit des Wiener Kongresses fand dieser Vorschlag erst nach einem spektakulären Überfall auf die Sardinien vorgelagerte Insel Sant’Antioco, bei dem tunesische Korsaren am 15. Oktober 1815 160 Gefangene in die Sklaverei abführten. Zwei Wochen später verurteilte der Kongress die Versklavung von Gefangenen. Der Befehlshaber der britischen Flotte im Mittelmeer, Lord Exmouth, wurde beauftragt, die Kongressbeschlüsse mit einem Geschwader durchzusetzen69. Nach der Bombardierung von Algier berichtete Lord Exmouth, »eine Handvoll Briten« (a handful of Britons) habe »die Sache Gottes und der Menschheit« (the cause of God and humanity) gegen »eine Horde von Fanatikern« (a hord of fanatics), die ihrem »Despoten« gehorchten, durchgesetzt70. Die Bombardierung von Algier vernichtete zwar einen großen Teil der Korsarenschiffe, brachte indessen nicht das endgültige Ende der Korsarentätigkeiten. 1818 beauftragte der Kongress von Aachen deshalb einen französischen und einen englischen Admiral, den Bey von Tunis, den Pascha von Tripolis und den Dey von Algier zum Verzicht auf die »Piraterie« aufzufordern. Das Vorgehen der europäischen Mächte gegen das Korsarenwesen und die Versklavung der Kriegsgefangenen richtete sich sowohl gegen die Normen, welche diese Praktiken legitimierten, als auch gegen die Praktiken selbst. Die Großmächte wollten, so Devoize 1819 in einem Schreiben an den französischen Leibarzt 68 Dazu D. Panzac, Les corsaires (Anm. 14), 137–226. 69 Ebd., 227–241. 70 PRO, ADM 1/432: Exmouth an Croker, Admiralty, Bucht von Algier, 28.8.1816.

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des Bey, dass die Regentschaften »wie die zivilisierten Nationen« Krieg führten71. Die Antworten der maghrebinischen Herrscher bestätigen, dass es nicht zuletzt darum ging, europäische Normen als allgemeinverbindlich durchzusetzen. Dem Bey von Tunis zufolge entsprach der Begriff »Piraterie« den Prinzipien seiner Regierung nicht mehr als jenen der Christen; seine Korsaren hätten nie unter Missachtung der Verträge die Immunität fremder Territorien verletzt. Mit ihrem Respekt gegenüber dem Vertragsrecht unterschieden sie sich vielmehr von den Engländern, die 1815 direkt unter den Kanonen der Festung von La Goulette zwei amerikanische Schiffe geentert und damit die Immunität seines Territoriums verletzt hätten. Mamūd Bey unterstrich seine Bereitschaft, die Verträge wie bisher genau einzuhalten. In der Praxis blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den Forderungen der europäischen Mächte zu beugen. In den folgenden Jahren fuhren nur noch vereinzelte Korsarenschiffe aus den Häfen des Maghreb aus72. Die Kontroversen um das Korsarenwesen waren Teil eines von Europa und Amerika ausgehenden epochalen Systemwandels, der die Beziehungen mit Gesellschaften, die fremden Normen und Werten folgten, auf eine neue Grundlage stellte. Die einseitige Neudefinierung der normativen Grundlagen, die aus europäischer Sicht als »Zivilisierung« zu verstehen war, bedeutete nicht Inklusion des Fremden. Vielmehr wurde der ungleiche Vertrag im 19. Jahrhundert zu einem Symbol der Beziehungen mit nichteuropäischen Mächten. Dafür stehen im Maghreb zum Beispiel die Verträge, die im August 1830 unmittelbar nach der Eroberung von Algier mit dem Bey von Tunis und dem Pascha von Tripolis abgeschlossen wurden. Ihr Wortlaut entsprach fast vollständig den Entwürfen, welche bereits im Juni im Außenministerium in Paris angefertigt worden waren73. Vertragsklauseln, die nur noch einen entfernten Zusammenhang zur aktuellen Politik der Regentschaften aufwiesen, sollten vor allem die Dienste aufzeigen, welche Frankreich der »christlichen Zivilisation« erwies. Dazu gehörte, dass die Vorteile ausdrücklich nicht auf die Franzo71 AN, 327 AP 14: Devoize an [Laurent Gay, 1. Leibarzt des Bey], o. O. [Tunis], o. D. [September 1819]. 72 MAE, C.C.C. Tunis, Bd. 43, f. 203r–204r: Traduction de la lettre écrite [par Mamūd Bey] en idiome arabe au contre-amiral Jurien, commandant français, palais du Barde de Tunis, 9 dhū al-idjdja H. 1234 [29.9.1819]. Vgl. D. Panzac, Les corsaires (Anm. 14), 242–243. 73 Französisch-tunesischer Vertrag vom 8.8.1830, franz. Fassung in: Correspondance (Anm. 64), Bd. 3, 704–707; Französisch-tripolitanischer Vertrag vom 11.8.1830, franz. Fassung in: Traités de la France avec les pays de l’Afrique du Nord: Algérie, Tunisie, Tripolitaine, Maroc, hrsg. v. Edgard Rouard de Card, Paris 1906, 288–293. Vgl. den Entwurf des Vertrages mit Tunis, Juni 1830 (MAE, C.P.C. Tunis, Bd. 1, f. 44r–47r).

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sen beschränkt waren. Die Regentschaften von Tunis und Tripolis mussten ein weiteres Mal auf das Korsarenwesen und die Versklavung christlicher Gefangener verzichten. Ebenso schufen die beiden Verträge für immer und für alle europäischen Mächte die Pflicht ab, den beiden Regentschaften Tribute und Geschenke zu überreichen. Damit wurde nun aber keineswegs Reziprozität im Sinne des innereuropäischen Völkerrechts zur Grundlage der Beziehungen zwischen den europäischen Staaten und den beiden Regentschaften. Während fortan alle europäischen Staaten nach eigenem Gutdünken Konsulate eröffnen durften, wurde den Regentschaften ein entsprechendes Gegenrecht verweigert. Die Verträge enthielten sodann bedeutende, ebenfalls einseitige fiskalische und ökonomische Konzessionen. Frankreich erhielt in Tunis kostenlos das Exklusivprivileg für den Korallenfang. Ausländische Kaufleute sollten in Zukunft direkt mit den Untertanen des Bey Handelsgeschäfte abschließen können. Zusammen mit der Abschaffung der Handelsmonopole stellte diese Klausel die bisher durch den Bey ausgeübte Kontrolle über den Außenhandel und damit eine wichtige Einnahmequelle in Frage. Die Regentschaften sollten sich im Verkehr mit den europäischen Staaten »wie zivilisierte Nationen« verhalten. Indem sie sich den Normen der »Zivilisierten« unterwarfen, galten sie indessen noch lange nicht als vollberechtigte Mitglieder der von den europäischen Staaten definierten Völkerrechtsgemeinschaft.

Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens Von Hillard von Thiessen

Die Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit sind lange Zeit fast ausschließlich aus der Vogelperspektive der Entwicklung des Staatensystems und des Kräftespiels der Mächte untersucht worden. Die großen Themen waren und sind dabei die Ausbildung eines von den Gesetzen der Staatsräson bestimmten Arkanums des Politischen und die Entstehung eines Staatensystems von souveränen Mächten. Die Perspektive, die diese Forschungen einnehmen, ist die des Fortschritts. Dabei wird oft implizit vorausgesetzt, dass die frühneuzeitlichen Staaten auf der internationalen Bühne gewissermaßen wie Individuen handelten und die staatlichen Regierungen die Außenbeziehungen monopolisierten (»Staatenweltmodell«)1. Damit aber werden die Verhältnisse staatlicher Souveränität des 19. und 20. Jahrhunderts auf die Frühe Neuzeit zurückprojiziert. Vor allem seit den 1990er Jahren sucht die Forschung zu den Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit jedoch auch nach zeittypischen Ausprägungen und Faktoren dieser Dynamik. Hierzu sind beispielsweise die Arbeiten von Johannes Kunisch und Johannes Burkhardt zu zählen, die nach den Ursachen für die hohe Dichte kriegerischer Auseinandersetzungen (»Bellizität«) im 16. und 17. Jahrhundert fragen2. Heinz Schilling hat vier »Leitkategorien« als »bewegende Kräfte« des frühmodernen internationalen Systems ausgemacht: 1 Zum Staatenweltmodell: Ulrich Druwe / Dörte Hahlbohm / Alex Singer, Internationale Politik, Neuried 1995, 66 f.; Arnold Wolfers, Macht und Indifferenz: Über das Verhalten der Staaten, in: Krieg und Frieden in der modernen Staatenwelt, hrsg. v. Uwe Nerlich, Gütersloh 1966, 359–377, 360. Zum Staatenweltmodell in der Geschichtswissenschaft: Gerhard Th. Mollin, Internationale Beziehungen als Gegenstand der deutschen NeuzeitHistoriographie seit dem 18. Jahrhundert. Eine Traditionskritik in Grundzügen und Beispielen, in: Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, hrsg. v. Wilfried Loth / Jürgen Osterhammel, München 2000, 3–30, 6 ff. – Für wichtige Hinweise, Korrekturen und Anregungen danke ich Eva Kathrin Dade, Moritz Isenmann und Nadir Weber. 2 Johannes Burkhardt, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997), 509–574; Johannes Kunisch, Der Nordische Krieg von 1655–1660 als Parabel frühneuzeitlicher Staatenkonflikte, in: Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume europäischer Außenpolitik im Zeitalter Ludwigs XIV., hrsg. v. Heinz Duchhardt (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 11), Berlin 1991, 9–42.

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Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradition. Sie waren, so Schilling, für die Entwicklung des internationalen Systems der Frühen Neuzeit verantwortlich3. Holger Thomas Gräf hat – bei grundsätzlicher Zustimmung zu diesem Modell – moniert, dass dabei zwei »Kardinalentwicklungen« fehlen: die Monopolisierung der Außenpolitik durch die Souveräne und die Herausbildung einer professionellen diplomatischen Elite4. Die neuzeitliche Diplomatie wird insbesondere von Lucien Bély als einer der Motoren der Herausbildung moderner Staatlichkeit und des internationalen Systems verstanden5. Wenn Gräfs Annahme, dass es den Souveränen in der Frühen Neuzeit gelungen sei, das Monopol über die Außenpolitik zu erringen, zutreffend wäre, dann könnten Diplomaten in der Tat allein als Ausführende der fürstlichen beziehungsweise staatlichen Politik gelten. Taten sie dies mit wachsender fachspezifischer Professionalität, haben wir in ihnen einen Faktor der Modernisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen und des Ausdrucks staatlicher Souveränität ausgemacht. Indes sind einige Einwände gegen die Modernisierungsperspektive in der Untersuchung der frühneuzeitlichen Außenbeziehungen angebracht; insbesondere die Vorstellung von der Diplomatie als Faktor der Modernisierung ist meines Erachtens in Zweifel zu ziehen. Auch sollten frühneuzeitliche Diplomaten nicht auf ihre Rolle als professionelle Exekutoren staatlicher Außenpolitik reduziert werden, denn damit wird ihr Grad an fachlicher Professionalität überschätzt. Die jüngere Forschung zu den Herrschaftsverhältnissen im 3 Heinz Schilling, Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems, hrsg. v. Peter Krüger, Marburg 1991, 19–46, 22 ff. Schilling unterteilt die Geschichte der Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit außerdem in vier Teilabschnitte (Zeit des habsburgischen Universalismus, Zeit der spanischen Hegemonie, Zeit des westfälischen Friedenssystems und Zeit des ausgereiften Systems der Balance of Power). Die vier Leitfaktoren waren laut Schilling in diesen Zeitabschnitten in jeweils unterschiedlicher Intensität präsent und lösten sich teilweise ab. 4 Holger Thomas Gräf, Gestaltende Kräfte und gegenläufige Entwicklungen im Staatensystem des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Republik der Vereinigten Niederlande als Macht des Übergangs, in: Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Peter Krüger, München 1996, 11–25, 12 f. 5 Lucien Bély, Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV, Paris 1990; ders, Les relations internationales en Europe (XVIIe–XVIIIe siècles), Paris 1992; ders., L’invention de la diplomatie, in: L’invention de la diplomatie. Moyen Âge – Temps modernes, hrsg. v. dems., Paris 1998, 11–23; ders., L’art de la paix en Europe. Naissance de la diplomatie moderne, XVIe–XVIIIe siècle, Paris 2007.

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frühneuzeitlichen Fürstenstaat hat gezeigt, dass der Ausbau fürstlicher Macht auf Schranken stieß, die es nicht rechtfertigen, von Absolutismus als Herrschaftspraxis oder gar als Epochenbezeichnung zu sprechen6. Wenn nun aber der arrondierte, von der Macht des Fürsten durchdrungene Staat, in dem der Adel gezähmt und die Untertanen diszipliniert wurden, wenigstens bis in das 18. Jahrhundert allein ein Konstrukt der Staatstheorie und der älteren Historiographie, nicht aber Ausdruck der realen politischen Verhältnisse war, dann muss dies auch Auswirkungen auf unsere Sicht auf die Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit haben. Die Vorstellung, dass die Fürsten beziehungsweise ihre Regierungen in der Lage waren, die Außenbeziehungen als Arkanbereich abzuschotten und so unter ihrer exklusiven Kontrolle zu halten, wird damit ebenso in Frage gestellt wie die Grundannahme, ein diplomatisches Corps habe ausschließlich Staatsinteressen vertreten. Auch erscheint es problematisch, über der Untersuchung der »bewegenden Kräfte« solche der Beharrung außer Acht zu lassen. In der Fortschrittsperspektive werden einerseits Erscheinungen, welche dieser Sichtweise zu widersprechen scheinen, als Anachronismen abgestempelt. Das betrifft insbesondere den Universalismus Ludwigs XIV., dessen Manifestationen Burkhardt als »universalistische Rückfälle« wertet7. Der Führungsanspruch des bourbonischen Königs über die europäischen Fürsten sei überholt gewesen, weil er den zwischenstaatlichen Ordnungsvorstellungen des aufkommenden Völkerrechts und des Westfälischen Friedens widersprochen habe, die beide auf die Gleichberechtigung souveräner Staaten und damit eine Überwindung des alten hierarchischen Systems gezielt hätten. Dass dem Völkerrecht in weiten Teilen die Verbindlichkeit fehlte und der Westfälische Frieden im Hinblick auf die Errichtung einer europäischen Friedensordnung gescheitert ist8, tritt in dieser Perspektive hinter die teleologische Bedeutung der Entwicklung hin zu einem Mächtesystem von Staaten zurück.

6 Zur Absolutismusdebatte: Ronald G. Asch / Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700), Köln / Weimar / Wien 1996; Nicholas Henshall, The Myth of Absolutism. Change and Continuity in Early Modern European Monarchy, London / New York 1992; Lothar Schilling (Hrsg.), Der Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz, München 2008. 7 Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg als frühmoderner Staatsbildungskrieg, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), 487–499, 496. 8 Heinhard Steiger, Konkreter Friede und allgemeine Ordnung – zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. Oktober 1648, in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa, hrsg. v. Klaus Bußmann / Heinz Schilling, München 1998, Textbd. 1, 437–448.

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Es ist angesichts ihrer Grundannahmen nur konsequent, wenn die historische Forschung bislang die Epochenschwelle um 1800 im Hinblick auf die Geschichte der internationalen Beziehungen zumeist gering wertete9. Entscheidende Entwicklungsschübe werden stattdessen um 1500 angesetzt (mit der Ausbildung eines Netzes fester Gesandtschaften in West- und Mitteleuropa)10 und oft auch in der Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Westfälischen Frieden (1648) und dem Pyrenäenfrieden (1659) zwischen der spanischen und der französischen Krone11. Doch die Mitte des 17. Jahrhunderts markiert lediglich den Übergang von einer führenden Universalmacht – der spanischen Krone – zur anderen, der französischen Krone. Ein internationales System, das von gleichberechtigten, souveränen Staaten gebildet wurde, ist mit dem Westfälischen Frieden nicht geschaffen worden. Es entwickelte sich vielmehr erst nach dem Scheitern des französischen Universalismusprojekts und ist somit ein Phänomen, das mit dem Frieden von Utrecht (1713) etabliert wurde, mithin erst im 18. Jahrhundert12. Als kollektives Sicherheitssystem wurde die

9 »Im internationalen System war der Bruch zwischen Alteuropa und moderner Welt weniger abrupt als in Wirtschaft, Gesellschaft, Verfassung, Mentalität oder Kultur.« H. Schilling, Formung (Anm. 3), 22. 10 Matthew S. Anderson, The Rise of Modern Diplomacy, 1450–1919, Harlow 1993, 2 ff.; Daniela Frigo, Politica estera e diplomazia: figure, problemi e apparati, in: Storia degli antichi stati italiani, hrsg. v. Gaetano Greco / Mario Rosa, Rom / Bari 1996, 117–161, 120  ff.; Riccardo Fubini, La ›résidentialité‹ de l’ambassadeur dans le mythe et dans la realité: une enquête sur les origines, in: L’invention de la diplomatie. Moyen Âge – Temps modernes, hrsg. v. Lucien Bély, Paris 1998, 27–35; Garrett Mattingly, The First Resident Embassies: Medieval Origins of Modern Diplomacy, in: Speculum 21 (1937), 423–439; ders., Renaissance Diplomacy, London 1955, 55 ff. Heinz Schilling nennt »Permanenz und Ubiquität« als die wesentlichen Merkmale der neuzeitlichen Diplomatie im Gegensatz zum mittelalterlichen Gesandtschaftswesen. Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 2), Paderborn u. a. 2007, 120 f. 11 Vgl. z. B. Evan Luard, The Balance of Power. The System of International Relations, 1648–1815, Basingstoke 1992; Jens Siegelberg, Staat und internationales System – ein strukturgeschichtlicher Überblick, in: Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden, hrsg. v. dems. / Klaus Schlichte, Wiesbaden 2000, 11–56, 17. Zur Rezeptionsgeschichte des Westfälischen Friedens siehe Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, München 1998. 12 Konrad Repgen, Der Westfälische Friede und die Ursprünge des europäischen Gleichgewichts, in: ders., Von der Reformation zur Gegenwart. Beiträge zu Grundfragen der neuzeitlichen Geschichte, Paderborn u. a. 1988, 53–66.

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Gleichgewichtsordnung – nach der Überwindung der napoleonischen Ordnung – erst auf dem Wiener Kongress fixiert13. Wir befinden uns bei der Erforschung der Außenbeziehungen in einer historiographischen Situation, die an die Lage der Forschung zur Staatsgewalt und zu fürstlicher Herrschaft vor der Absolutismusdebatte erinnert. Ich möchte als alternative Perspektive zum Modernisierungsmodell, das in den Staaten die maßgeblichen Akteure sieht, vorschlagen, die in die Außenbeziehungen involvierten personalen Akteure in den Blick zu nehmen. Dieser Ansatz stellt die verbreitete Annahme in Frage, die Interessen des Fürsten beziehungsweise des Staates seien geschlossen von seiner Regierung und seinem corps diplomatique vertreten worden. Die zusammengesetzten Monarchien der Frühen Neuzeit waren keine nach außen kohärent auftretenden politischen Gebilde, sondern erlaubten einzelnen Akteuren einen großen eigenen außenpolitischen Handlungsspielraum, auch unabhängig von ihren Fürsten. Mitunter konnten auch Absichten des Fürsten unterlaufen werden, oder einzelne Akteure handelten offen im Gegensatz zur Außenpolitik ihres Fürsten14. Außenbeziehungen stellten sich somit als Außenverflechtung15 dar; zwischen verschiedenen Ge13 Heinz Duchhardt, Gleichgewicht der Kräfte, Convenance, Europäisches Konzert. Friedenskongresse und Friedensschlüsse vom Zeitalter Ludwigs XIV. bis zum Wiener Kongreß, Darmstadt 1976. 14 So konnten beispielsweise regionale oder lokale Körperschaften selbst in Kriegszeiten eigene Kontakte mit dem Feind ihres Fürsten pflegen, die mitunter den Interessen ihres eigenen Landesherrn diametral entgegenstanden: Christian Windler, Außenbeziehungen vor Ort. Zwischen ›großer Strategie‹ und Privileg, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), 593–619; Jean-François Chanet / ders. (Hrsg.), Les ressources des faibles. Neutralités, sauvegardes, accommodements en temps de guerre (XVIe–XVIIIe siècle), Rennes 2009. Hinzuweisen ist auch auf das Phänomen der Doppelvasallitäten; so war es beispielsweise für den Adel des Kirchenstaats üblich, über Güter und Titel im Königreich Neapel auch im Vasallenverhältnis zum spanischen König zu stehen: Angelantonio Spagnoletti, Principi italiani e Spagna nell’età barocca, Mailand 1996. 15 Diesen Begriff verwendete erstmals Peter Steuer für seine Untersuchung der Außenbeziehungen Augsburger Familien: Peter Steuer, Die Außenverflechtung der Augsburger Oligarchie von 1500–1620. Studien zur sozialen Verflechtung der politischen Führungsschicht der Reichsstadt Augsburg, Augsburg 1988. Steuer arbeitete mit dem Verflechtungsmodell, das Wolfgang Reinhard zur Analyse sozialer Beziehungstypen aus sozialanthropologischen Ansätzen entwickelt hat: Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. ›Verflechtung‹ als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979; ders., Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie von Patronage-Klientel-Beziehungen, in: Freiburger Universitätsblätter 139 (1998), 127–141. Zu den Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Papst Paul V. liegen mittlerweile mehrere Studien vor, die sich des Ansatzes der Verflechtung bedienen: Guido Metzler, Französische Mikropolitik in Rom unter Papst Paul V. Borghese

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meinwesen bestanden vielerlei Beziehungsstränge, von denen die offiziellen diplomatischen Beziehungen nur einen darstellten, der zudem nicht von den übrigen abgeschottet war. Es erscheint forschungsstrategisch sinnvoll, nicht nur die grenzüberschreitenden Beziehungen nichtstaatlicher Netzwerke, also die »üblichen Verdächtigen« transnationalen Handelns, zu untersuchen16. Damit soll keineswegs bestritten werden, dass die Untersuchung der Netzwerke von Gelehrten oder Angehörigen einer Konfession ausgesprochen lohnend ist17. Doch ist ein entscheidendes Merkmal transnationaler Beziehungen in der Vormoderne darin zu sehen, dass die staatlichen Akteure im Ancien Régime in ihrer Dienstausübung nicht nur, ja mitunter nicht einmal primär als Staatsdiener agierten; vielmehr war ihr Handeln durch eine erhebliche Rollenvielfalt gekennzeichnet, die aus verschiedenen sozialen Bindungen resultierte. Sie waren somit staatliche und nichtstaatliche Akteure in einer Person. Ihre Rollenvielfalt ist durch das System personeller Herrschaft bedingt, wodurch formelle Dienstverhältnisse und informelle Sozialbeziehungen ineinander übergingen. Eine Trennung zwischen formellen Beziehungen staatlicher Akteure und informellen Netzwerken, wie sie das Konzept der transnationalen Beziehungen in der Moderne impliziert, ergibt damit keinen Sinn. (1605–1621), Heidelberg 2008; Tobias Mörschel, Buona amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien, Mainz 2002; Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605–1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, Tübingen 2004 (darin Aufsätze zu Spanien von Hillard von Thiessen, zu Neapel von Guido Metzler, zu Mailand von Julia Zunckel und zu Genua von Jan-Christoph Kitzler); Christian Wieland, Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621), Köln / Weimar / Wien 2004. Vgl. außerdem zur Außenverflechtung im europäischen Vergleich: Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 36), Berlin 2005. 16 Vgl. den Vorschlag von Martin Krieger zu einer Untersuchung der transnationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit, der die offiziellen Beziehungen weitgehend ausblendet und sich auf nichtstaatliche Netzwerke konzentriert: Martin Krieger, ›Transnationalität‹ in vornationaler Zeit? Ein Plädoyer für eine erweiterte Gesellschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), 125–136. 17 Vgl. z. B. Holger Thomas Gräf, ›International Calvinism revisited‹ oder europäische Transferleistungen im konfessionellen Zeitalter, in: Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen, hrsg. v. Thomas Fuchs / Sven Trakulhun, Berlin 2003, 137–158; Graeme Murdock, Calvinism on the Frontier 1600–1660. International Calvinism in Hungary and Transsylvania, Oxford 2000; Béatrice Nicollier-de Weck, Hubert Languet (1518–1581). Un réseau politique international de Melanchthon à Guillaume d’Orange, Genf 1995; Menna Prestwich, International Calvinism 1541–1715, Oxford 1985.

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Hier soll daher ein Ansatz vorgestellt werden, der die staatlichen Akteure mit einschließt und in das Zentrum der Untersuchung stellt, sie aber eben nicht auf diese Rolle reduziert. Sie sollen als Akteure innerhalb der Außenverflechtung begriffen werden. Außenverflechtung definiere ich als die Summe der zwischen zwei Herrschaftsverbänden bestehenden Beziehungsstränge. Das Hauptinteresse soll den Diplomaten gelten, also den auswärtigen Vertretern eines Fürsten oder eines republikanischen Gemeinwesens. Indem einerseits ihr Verhältnis zum Dienstherrn, andererseits ihre Netzwerke untersucht werden, kann der grundsätzlichen Frage nachgegangen werden, wie stark sie an den Fürsten und seine Außenpolitik gebunden waren, über welche eigenen Handlungsspielräume sie verfügten und wie sie diese umsetzten. Die akteurszentrierte Perspektive bricht die Vorstellung eines gleichsam von einem official mind18 gelenkten diplomatischen Dienstes auf. Sie korrigiert damit die anachronistische Übertragung der Verhältnisse des 19. und 20. Jahrhunderts auf die Frühe Neuzeit. Ich möchte im Folgenden das idealtypische Modell einer »Diplomatie vom type ancien« vorstellen; dabei wird Diplomatie in ihrer epochenspezifischen Ausprägung untersucht. Zunächst sollen die Rahmenbedingungen aufgeführt werden, innerhalb derer sich die Diplomaten der Frühen Neuzeit bewegten und von denen sie zu einem guten Teil geprägt wurden. Anschließend sollen die Grundmerkmale des Gesandten alten Typs bestimmt werden. Der idealtypische Diplomat vom type ancien soll dabei nicht als Modell oder Prototyp des modernen Fachdiplomaten betrachtet werden – auch wenn es zweifellos zahlreiche Entwicklungslinien gibt –, sondern als epochenspezifischer Idealtypus, der in vielerlei Hinsicht als Gegenstück zu seinen Nachfolgern im 19. und 20. Jahrhundert gesehen werden kann. Er wird also gerade nicht als Motor der Moderne verstanden, sondern als Figur des Ancien Régime.

I. Der Idealtypus der Diplomatie vom type ancien Das Konzept der Diplomatie vom type ancien geht von einem Stufenmodell in der Entwicklung des Gesandtschaftswesens aus. Den mittelalterlichen ad-hocGesandtschaften folgte die Diplomatie vom type ancien, die wiederum von der modernen Fachdiplomatie abgelöst wurde. Dieses Modell entspricht in etwa der Epochenabfolge Mittelalter – Frühe Neuzeit – Neueste Zeit, allerdings mit Abweichungen im Übergang zur modernen Fachdiplomatie, die noch 18 Dieser Begriff nach: Ronald Robinson / John Gallagher, Africa and the Victorians. The Official Mind of Imperialism, London 1967, 19 f.

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zu erläutern sein werden. Die einzelnen Typen der Diplomatie sind jeweils durch spezifische gesellschaftliche, politische und infrastrukturelle Rahmenbedingungen geprägt. Ich verstehe sie im Sinne Max Webers als Idealtypen, die durch eine Reihe von Grundmerkmalen gekennzeichnet sind, welche den jeweiligen Typus auszeichnen19. Das soll nicht heißen, dass wir es mit jeweils statischen Systemen bestimmter Vorstellungen und Handlungsweisen zu tun haben. Vielmehr weisen sie jeweils systemimmanente Dynamiken auf, die laufend Veränderungen generierten, aber keinen qualitativen Sprung bewirkten, der ihren Grundcharakter veränderte. Zwischen den Phasen relativer Stabilität sind solche des Übergangs anzusetzen, in denen sich die Rahmenbedingungen so weitgehend und beschleunigt veränderten, dass sich die Diplomatie grundsätzlich wandelte. Ich gehe also weder von einem evolutionären Entwicklungsmodell aus, noch spreche ich der Diplomatie ein signifikantes Modernisierungspotenzial zu. Dass der Übergang von der mittelalterlichen ad-hoc-Diplomatie zum System permanenter Gesandtschaften um 1500 – in Italien bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts – einen qualitativen Sprung bedeutete, ist in der Forschung kaum umstritten20. Welche Veränderungen der Rahmenbedingungen waren für diesen Sprung verantwortlich? Als erstes ist auf die Staatsbildung zu verweisen. Auch wenn die Forschung in den vergangenen Jahren mehr an den Defiziten des Staatsapparats in der Frühen Neuzeit als an seinem Wachstum interessiert war, bleibt doch festzuhalten, dass im Spätmittelalter ein Verdichtungsprozess von Herrschaft einsetzte, der sich zunächst vor allem in der Bündelung von Patronageressourcen an Fürstenhöfen und dem Aufbau zentraler Verwaltungen äußerte. Indem Fürsten Patronageressourcen an sich zogen und damit deren Distribution monopolisierten, banden sie ihre Untertanen – vor allem die in ihrem Dienst stehenden Eliten – an sich21. Diese Bündelung von Ressourcen machte die Finanzierung eines Systems von Dauergesandtschaften überhaupt erst möglich. Die Schaffung von zentralen Institutionen zur Verwaltung und Kontrolle der beherrschten Territorien und zur Koordination der Außenbeziehungen ging mit dieser Entwicklung einher. Der Normal- und Regelfall von Staatlichkeit in der Frühen Neuzeit war der Fürstenstaat. Repu-

19 Max Weber, Die ›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. v. Johannes Winkelmann, Tübingen 1968, 146–214, 190 ff. 20 Vgl. Anm. 10. 21 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, München 1999, 85.

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bliken, die in der Regel oligarchisch organisiert waren, bildeten noch Ausnahmen, auch wenn sie mitunter politisch sehr erfolgreich waren22. Der Prozess der Staatsverdichtung ist ebenso wie der Aufbau von Dauergesandtschaften nicht ohne den Ausbau der Kommunikationsnetze zu verstehen. Um 1500 wurden die »Kanäle«23 der Kommunikation durch Anwendung neuer Techniken massiv verbessert. Es mag angesichts des Standes des hoch- und spätmittelalterlichen Fernhandels zwar übertrieben sein, von einer »Inselraumstruktur« des Mittelalters zu sprechen24, doch erscheint es angemessen, von einem Veränderungsschub in den Kommunikationsstrukturen zu Beginn der Frühen Neuzeit auszugehen, der ihre Leistungsfähigkeit massiv erhöhte. Michael North und Wolfgang Behringer sprechen daher von einer »Kommunikationsrevolution«. North sieht vor allem in der Etablierung neuer Medien – Buch, Pamphlet, Zeitung – eine Entwicklung mit revolutionärer Wirkung, während Behringer den Ausbau der Kommunikationskanäle um 1500 als entscheidenden Entwicklungsschub wertet25. Durch den Aufbau des Postwesens in Europa wurde es möglich, Nachrichten in vorher nicht gekannter Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit zu transportieren. Das Revolutionäre an dieser Entwicklung ist auch darin zu sehen, dass Nachrichten und Ideen mittels des Drucks von Büchern und Handschriften in großer Quantität weit verbreitet werden konnten. Die Entwicklung der Kartographie veränderte zudem die Raumwahrnehmung fundamental. Damit verdichteten sich auch die Beziehungen zwischen Räumen; intensive Kommunikation zwischen Gemeinwesen wurde möglich. Erst durch den Ausbau des Kommunikationswesens konnten Fürsten und Regierungen permanent Kontakt mit ihren Gesandten halten. Erst jetzt schaffte der gesteigerte Fluss von Nachrichten die Grundlage für eine auf »Empirie und Reflexivität«26 be22 Ebd., 248 ff. 23 Zum Begriff »Kanäle«, der eine Übersetzung des von Harold Dwight Lasswell geprägten Begriffs »channels of communication« darstellt: Harold Dwight Lasswell, The Structure and Function of Communication in Society, in: The Communication of Ideas, hrsg. v. Lyman Bryson, New York 1948, 37–51; Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit, München 2003, 16. 24 W. Behringer, Zeichen (Anm. 23), 14 f. 25 Michael North, Einleitung, in: Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts, Köln 1995, XII f. Behringer betrachtet die mit der Einrichtung des Postwesens verbundene, um 1500 erfolgte Verbesserung des europäischen Kommunikationswesens als »Mutter aller Kommunikationsrevolutionen«, die eine Epoche steter Fortentwicklung auf diesem Gebiet eingeläutet habe: W. Behringer, Zeichen (Anm. 23), 9, 18 und 42 (dort auch das Zitat). 26 Ich verwende hier die von Cornel Zwierlein in seiner anregenden Dissertation verwendeten Begriffe, ohne mich allerdings seinen Schlussfolgerungen anzuschließen, dass der

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ruhende sachrationale Planung von Politik. Gesandte waren nun verpflichtet, in regelmäßigem Turnus oder zum Abschluss ihrer Mission über die Verhältnisse am Dienstort zu berichten; die Relationen der venezianischen Botschafter wirkten hier als Vorbild27. Nicht minder bedeutsam ist, dass erst die Verdichtung der Kommunikationsverhältnisse die Kontrolle der Gesandten durch ihren Dienstherrn ermöglichte. Die Einrichtung des Systems der Dauergesandtschaften wäre ohne die Kommunikationsrevolution allein schon deshalb nicht denkbar gewesen. Die beiden genannten Faktoren grundsätzlichen Wandels ermöglichten und erforderten damit den Schub von den mittelalterlichen Gesandtschaften zum System permanenter diplomatischer Vertretungen. Dieser fundamentale Sprung ist um 1500 anzusetzen. Um die Jahrhundertwende bauten der Kirchenstaat und die Katholischen Könige ein System von Dauergesandtschaften auf, während einige italienische Gemeinwesen ihre bereits seit Mitte des 15. Jahrhunderts in Italien bestehenden Dauergesandtschaftssysteme auf Höfe jenseits der Alpen ausweiteten. Die französische und die englische Krone folgten. An der europäischen Peripherie gelegene Fürstenstaaten zogen – teilweise allerdings mit erheblicher Verspätung – nach, so zum Beispiel Schweden im frühen 17. Jahrhundert28. Mit der Etablierung der Dauergesandtschaften kann von der Diplomatie vom type ancien gesprochen werden. Dass diese Form der Diplomatie in ihren Grundelementen über einen langen Zeitraum Bestand hatte und somit als eigenständiger Typus gelten kann, ist auf einige Rahmenbedingungen der longue durée zurückzuführen, die das Ancien Régime prägten. Zu diesen Faktoren gehört die aus dem mittelalterlich-christlichen Weltbild übernommene Vorstellung von einem hierarchischen System von Herrschaften, das im 16. und 17. Jahrhundert bestimmend, allerdings nicht unumstritten war und eine Aufladung dadurch erfuhr, dass Universalansprüche mit den gewachsenen Machtmitteln der Fürstenstaaten nun scheinbar durchsetzbar waren. Das Europa der Fürstenstaaten und Republiken wurde als eine Pyramide gedacht, in der jeder Fürst und jedes Gemeinwesen einen bestimmten von Empirie und Reflexivität geprägte neue politische »Denkrahmen« als Machiavellismus und diese politische Methodik in der Hand bzw. im Dienst des Fürsten als »Absolutismus« bezeichnet werden kann. Cornel Zwierlein, Discorso und Lex Dei. Die Entstehung neuer Denkrahmen im 16. Jahrhundert und die Wahrnehmung der französischen Religionskriege in Italien und Deutschland, Göttingen 2006, 25 ff. 27 Willy Andreas, Staatskunst und Diplomatie der Venezianer im Spiegel ihrer Gesandtschaftsberichte, Leipzig 1943. 28 Vgl. die Überblicksdarstellungen in: Alfred Kohler, Expansion und Hegemonie 1450– 1559 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 1), Paderborn u. a. 2008, 31–41; H. Schilling, Konfessionalisierung (Anm. 10), 120–131.

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Rangplatz einnahmen; ihr Verhältnis war also nicht gleichberechtigt29. Diese Hierarchie – verstanden als Teil der gottgewollten Ordnung – bezog sich bei den Fürstenstaaten weniger auf die Gemeinwesen selbst als auf die Fürsten beziehungsweise ihre Dynastie. Sie war allen Versuchen ihrer Fixierung30 zum Trotz keineswegs stabil. Die Rangplätze wurden agonal ausgefochten, insbesondere im diplomatischen Zeremoniell31. Die hohe Bedeutung symbolischer Kommunikation in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit spiegelt sich hier wider: Die Darstellung von Rang im Zeremoniell konstituierte diesen32. Noch 1661 eskalierte eine Rangelei um den Vorrang zwischen dem spanischen und dem französischen Botschafter in London zu einer Straßenschlacht mit etlichen Toten33 . An der Spitze der Pyramide standen Herrscher mit Universalansprüchen. Hier konkurrierten der Papst, der Kaiser, die »Allerchristlichste Majestät« Frankreichs, der »Katholische König« der spanischen Monarchie und zeitweise auch der schwedische König um Vorrang. 1648 stellt in diesem Zusammenhang keinen Bruch dar, weil nicht die hierarchische Ordnung an 29 Das Bild der Pyramide verwendet Johannes Burkhardt, Die entgipfelte Pyramide. Kriegsziel und Friedenskompromiß der europäischen Universalmächte, in: 1648 – Krieg und Frieden (Anm. 8), Textbd. I, 51–60. 30 Eine solche Ordnung festzulegen war für das Papsttum von hoher Bedeutung, um so den Anspruch des Papstes als über den Fürsten stehender arbiter auszudrücken. 1504 wurde unter Papst Julius II. eine Rangordnung der Fürsten erstellt und im diplomatischen Zeremoniell umgesetzt. Streitigkeiten um konkurrierende Rangansprüche blieben nicht aus. Vgl. Maria Antonietta Visceglia, Il cerimoniale come linguaggio politico. Su alcuni conflitti di precedenza alla corte di Roma tra Cinquecento e Seicento, in: Cérémonial et rituel à Rome (XVIe–XIXe siècle), hrsg. v. ders. / Catherine Brice, Rom 1997, 117–176. 31 Dies galt insbesondere für den spanisch-französischen Präzedenzkonflikt. Siehe Michael J. Levin, A New World Order. The Spanish Campaign for Precedence in Early Modern Europe, in: Journal of Early Modern History 6 (2002), 233–264. Generell zum rangzuweisenden Charakter des Zeremoniells und seiner Funktion im Übergang von der hierarchischen Fürstengesellschaft zum modernen Staatensystem: Barbara Stollberg-Rilinger, Honores Regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation, hrsg. v. Johannes Kunisch (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, Beiheft 6), Berlin 2002, 1–26. 32 Barbara Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), 489–527; Marian Füssel / Thomas Weller (Hrsg.), Ordnung und Distinktion. Praktiken sozialer Repräsentation in der ständischen Gesellschaft, Münster 2005. 33 H. Schilling, Konfessionalisierung (Anm. 10), 163. Ludwig XIV. nahm diesen Vorfall zum Anlass, vom spanischen König eine Entschuldigung zu erwirken, die mit der Anerkennung der französischen Präzedenz verbunden war. Damit hatte der französische König einen sich über mehr als ein Jahrhundert hinziehenden Rangstreit für sich entschieden.

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sich, sondern nur eine (die spanische Monarchie) von der anderen Universalmacht (dem bourbonischen Frankreich) abgelöst wurde34. Zu betonen ist auch, dass die Universalismen der Frühen Neuzeit alle am Widerstand, den sie auslösten, und an einer Überspannung der Kräfte scheiterten35. Erst das Gleichgewichtsdenken des 18. Jahrhunderts überwand für einen längeren Zeitraum die Vorstellung des hierarchischen Systems. Dass sich die Vorstellung einer balance der großen europäischen Mächte durchsetzen konnte, ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass diejenige mit den größten Ressourcen, England beziehungsweise Großbritannien, keine territorialen Interessen auf dem europäischen Kontinent hatte, sondern vielmehr auf den ungestörten Ausbau ihres Handels zielte. Damit wurde Großbritannien zum arbiter und Garanten der Stabilität des Systems, ohne selbst universalistische Tendenzen zu entwickeln36. Im diplomatischen Zeremoniell ging es nun weniger um die Konstituierung einer Rangordnung der Fürsten und Republiken als vielmehr um die Darstellung von Souveränität; zunehmend wurde statt gradueller Rangunterschiede ein qualitativer Unterschied zwischen souveränen und nichtsouveränen Gemeinwesen gesehen37. Hieraus folgt, um einen weiteren Faktor zu nennen, dass Souveränität in der Frühen Neuzeit, vor allem im 16. und 17. Jahrhundert, zwar bereits ein klar definierter Begriff war, der jedoch in der politischen Praxis zahlreiche Graubereiche und Uneindeutigkeiten erkennen ließ. So ist es beispielsweise nicht möglich, die genaue Anzahl souveräner Staatswesen zu bestimmen. Vielmehr interagierte eine Vielzahl von Akteuren, die quasisouveränen Charakters waren oder auch nur Souveränitätsansprüche erhoben, auf der europäischen Bühne. Auch Akteure mit eingeschränkter Souveränität, ja Glieder von zusammengesetzten 34 Zum Universalismus der französischen Krone siehe Alexandre Y. Haran, Le lys et le globe. Messianisme dynastique et rêve impérial en France à l’aube des temps modernes, Seyssel 2000. Zur Fortdauer der habsburgisch-bourbonischen Rivalität über 1648 hinaus: Jeremy Black, The Rise of European Powers 1679–1793, London u. a. 1990, 4 f. 35 Zu Universalismuskonzepten und der Kritik und dem Widerstand, den sie hervorriefen, siehe Franz Bosbach, Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff in der frühen Neuzeit, Göttingen 1988; Christoph Kampmann, Arbiter und Friedensstifter. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit, Paderborn 2001; Michael Roberts, The Swedish Imperial Experience, Cambridge 1979; Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder ›teutsche libertet‹. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2001. 36 H. Duchhardt, Gleichgewicht (Anm. 13), 73. 37 B. Stollberg-Rilinger, Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Präzedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Majestas 10 (2002), 125–151; dies., Honores Regii (Anm. 31), 26.

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Monarchien und hochadlige Familienverbände betrieben Diplomatie38. Zwar ist ab der Mitte des 17. Jahrhunderts eine Tendenz der Abgrenzung zwischen souveränen Staaten und anderen Akteuren zu erkennen, denen eigenständige Außenbeziehungen nicht zugestanden wurden; doch durchgesetzt und über die Gesandtenhierarchie völkerrechtlich fixiert wurden diese Spielregeln endgültig erst auf dem Wiener Kongress. Bezeichnend für die sehr langsame Implementation der Denkfigur der Souveränität ist das Beispiel der Eidgenossenschaft, die mit dem Westfälischen Frieden aus dem Reichsverband austrat. Hier brauchte es Jahrzehnte, bis sich die Kantone nicht mehr als besonders privilegierte Glieder des Reichs, sondern als souveräne Völkerrechtssubjekte verstanden39. Neben diesen, das »internationale« System betreffenden Rahmenbedingungen, sind außerdem noch sechs miteinander zusammenhängende soziopolitische Faktoren zu nennen, die den Denkhorizont der Diplomaten vom type ancien bestimmten: das Prinzip personaler Herrschaft, das Ethos der Patronage, die primäre Bindung des frühneuzeitlichen Individuums an seine Familie, das Fehlen einer Trennung zwischen der Sphäre des Öffentlichen und des Privaten, das Verständnis von Fürstendienst als Teilhabe an Herrschaft und die höfische Gesellschaft. Herrschaft über Untertanen beziehungsweise das Verhältnis zwischen dem Fürsten und seinen Untertanen wurde in der Frühen Neuzeit gerade von Letzteren noch als personale Beziehung verstanden. Allen Theorien über die absolute Gewalt des Monarchen zum Trotz sahen die Untertanen ihre Beziehung zum Herrscher als ein Verhältnis reziproker Natur. Selbst für das Frankreich des 18. Jahrhunderts lässt sich nachweisen, dass die Untertanen konkrete Erwartungen an den Fürsten hatten, auf die sie ein Anrecht zu haben glaubten40. Das bedeutet, dass sie zu ihrem Monarchen in einem Gabentauschverhältnis standen, das nach dem Prinzip der Patronage gedacht wurde. Die wechselsei38 Vgl. den Beitrag von C. Kühner in diesem Band. 39 Franz Egger, Johann Rudolf Wettstein und die internationale Anerkennung der Schweiz als europäischer Staat, in: 1648 – Krieg und Frieden (Anm. 8), Textbd. I, 423–432; Thomas Maissen, Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, Göttingen 2006. 40 Jens Ivo Engels hat Suppliken an den französischen König im frühen 18. Jahrhundert untersucht. In diesen »schimmert hinter den Devotionsformeln oftmals nachdrücklich vertretenes Rechtsbewusstsein« der Untertanen durch; die Güte, um die der König angefleht wird, schlägt oft um in einen offensiv vertretenen Anspruch an die Krone um Leistungen. Siehe Jens Ivo Engels, Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Bonn 2000, 21 ff. und 50 ff. (Zitat 50).

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tige Erfüllung von Verpflichtungen – Schutz und materielle wie auch symbolische Gaben von Seiten des Patrons gegen Treue und klienteläre Dienstleistungen – band Patron und Klient aneinander. Sich an diese Regeln zu halten war für beide Seiten ehrfördernd; man kann von einem Ethos der Patronage sprechen, das für die Beteiligten handlungsleitend war41. Das Ethos der Patronage betraf praktisch alle sozialen Beziehungen. Es bedeutete im Kern, dass Sozialbeziehungen als Handlungsketten von Gabe und Gegengabe verstanden werden können. Dieser Gabentausch bildete die Beziehungen ab und konstituierte sie. Indem die Beteiligten den Gabentausch fortführten, ließen sie erkennen, dass sie sich an die informellen Regeln der Gesellschaft halten würden, und generierten so wechselseitig Vertrauen. Den Gabentausch fortzuführen war somit ein ethischer Imperativ jenen gegenüber, denen man verpflichtet war. Wer über Ressourcen verfügte, stand unter dem Erwartungsdruck, diejenigen, mit denen er in einem Verwandtschafts- oder Patronageverhältnis stand, an diesen zu beteiligen. Die primäre Sozialbindung des Individuums war die zu seinem Verwandtschaftsverband. Auch in familiären Beziehungen galten die informellen Regeln des Gabentauschs, der als selbstverständliche Verpflichtung der Förderung und Begünstigung von Verwandten wahrgenommen wurde42. Entscheidend für die Diplomatie vom type ancien ist, dass ein Amtsträger, der über einen Zugriff auf Ressourcen verfügte, diese weiterzugeben hatte an diejenigen, denen er verpflichtet war. Er musste dies tun, um seine sozialen Beziehungen zu unterhalten. Um den Fürstendienst für Führungsschichten überhaupt attraktiv zu halten, musste den Amtsträgern die Möglichkeit der Bereicherung im Amt eingeräumt werden. Anders als in der Moderne kann in der Frühen Neuzeit noch nicht von einer Trennung zwischen der Sphäre des Öffentlichen und der des Privaten gesprochen werden. Solange Amtspersonen nicht in einem abstrakten Dienstverhältnis zum Staat, sondern in einem 41 Zum Ethos der Patronage siehe Hillard von Thiessen, Grenzüberschreitende Patronage und Diplomatie vom type ancien. Die spanisch-römischen Beziehungen im Pontifikat Pauls V. (1605–1621) in akteurszentrierter Perspektive, Epfendorf 2010. 42 Zu den Gruppenbindungen des frühneuzeitlichen Individuums siehe Natalie Zemon Davis, Boundaries and the Sense of the Self in Sixteenth-Century France, in: Reconstructing Individualism. Autonomy, Individuality, and the Self in Western Thought, hrsg. v. Thomas C. Heller / Morton Sosna / David E. Wellbery, Stanford 1986, 53–63; W. Reinhard, Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie (Anm. 15); Hillard von Thiessen, Exchange of Gifts and Ethos of Patronage in the Relations between Spain and the Papal States in Early 17th Century, in: L’arte del dono. Scambio culturale tra Italia e Spagna 1550–1650, hrsg. v. Marieke von Bernstorff / Susanne Kubersky-Piredda, Mailand 2009 (im Druck).

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personalen Dienerverhältnis zum Fürsten standen, trennten sie diese Amtsgeschäfte noch nicht strikt von ihren sozialen Verpflichtungen. Gerade in diesem Bereich drückt sich die für die Frühe Neuzeit so typische Konkurrenz zwischen sozialen und gemeinwohlorientierten Normen aus. Die Begünstigung von Verwandten, Patronen oder Klienten durch Amtsträger wurde zwar durchaus bereits von Fall zu Fall als Korruption gebrandmarkt, doch richteten sich diese Korruptionsvorwürfe eher gegen ein Übermaß der Bereicherung als gegen den Tatbestand an sich, oder sie wurden als Mittel der Delegitimation der Stellung von Gegnern im Machtkampf zwischen konkurrierenden Hoffaktionen eingesetzt43. Das Ethos der Patronage als informelles Grundgesetz sozialer Beziehungen bestimmte die Erwartungen adliger Fürstendiener – und damit auch von Diplomaten – an ihren Fürsten. Fürstendienst in herausgehobenen Positionen, das heißt im Militär, in Regierung und Verwaltung sowie im diplomatischen »Außendienst«, bedeutete für den Adel, standesgemäß leben zu können. Sich in den Fürstenstaat einzuordnen hieß, die Vorstellung, der Fürst sei nur ein primus inter pares innerhalb der Adelsgesellschaft, aufzugeben. Doch indem der Adel in den Dienst des Fürsten trat, konnte er seine distinguierte Stellung in der Gesellschaft wahren oder sogar ausbauen und materielle wie immaterielle Ressourcen des Fürsten an sich ziehen44. Fürstendienst bedeutete für den Adel Teilhabe an Herrschaft, auf welche die Vertreter des zweiten Standes ein Anrecht zu haben glaubten45. Der Fürst hingegen hatte den Vorteil, auf eine Elite zurückgreifen zu können, um die wichtigsten Ämter zu besetzen und die hierarchische Ordnung mit ihm an der Spitze darzustellen. Der Ort, an dem Adel und Fürst nicht konfliktfrei, aber im Großen und Ganzen zu wechselseitigem Vorteil kooperierten, war der Hof. Dort wurden die Ressourcen des Fürsten verteilt, dort rangen konkurrierende Faktionen um die Gunst des und den Zugang zum Fürsten, und dort benötigte der Fürst die Gegenwart des Adels zur effektvollen Selbstinszenierung. Hier wurde auch der höfische Verhaltensstil des Adels geprägt. Die jüngere Hofforschung hat 43 Hillard von Thiessen, Korruption und Normenkonkurrenz. Zur Funktion und Wirkung von Korruptionsvorwürfen gegen die Günstling-Minister Lerma und Buckingham in Spanien und England im frühen 17. Jahrhundert, in: Geld – Geschenke – Politik. Korruption im neuzeitlichen Europa, hrsg. v. Jens Ivo Engels / Andreas Fahrmeir / Alexander Nützenadel (Historische Zeitschrift, Beiheft [Neue Folge] 48), München 2009, 91–120. 44 Ronald G. Asch, Nobilities in Transition 1550–1750. Courtiers and Rebels in Britain and Europe, London 2003, 2; Hillay Zmora, Monarchy, Aristocracy and the State in Europe 1300–1800, London / New York 2001. 45 Heiko Droste, Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert, Hamburg 2006, 13 und 210.

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die Vorstellung des Hofes als Instrument der Zähmung und Disziplinierung des Adels aufgegeben. Stattdessen betrachtet sie den Hof als Ort der Kommunikation und der Inszenierung fürstlicher Macht, die ohne die Präsenz des Adels ins Leere laufen würde. Entscheidend für die Diplomatie vom type ancien ist, dass der Hof der Ort der politischen Willensbildung war; hier wurde ausgehandelt, wer auf welche Weise Einfluss auf außenpolitische Entscheidungen hatte und wer auf Botschafterposten gesetzt wurde. Im Kern waren die Machtkämpfe bei Hof weniger Auseinandersetzungen um Sachfragen als Kämpfe zwischen volatilen Faktionen um Einfluss. Personale Beziehungen und faktionelle Zugehörigkeit, nicht sachrationale Erwägungen bestimmten primär, wer die Linien der Politik vorgeben konnte. Das bedeutet nicht, dass die Akteure nicht zu sachrationaler Politikplanung in der Lage gewesen wären, sondern, dass politische Projekte nur im Rahmen der Regeln der höfischen Gesellschaft durchsetzbar waren. Hoffaktionen vertraten zwar mitunter politische Projekte, um ihre innere Kohäsion zu erhöhen, es ging ihnen aber zumeist in erster Linie um den Einflussgewinn bei Hof und die Erlangung fürstlicher Ressourcen zur Versorgung derer, denen sie verpflichtet waren. Die Trennung zwischen Hof (als Ort der Repräsentation) auf der einen Seite und Regierung und Verwaltung (als Ort der Findung und Umsetzung von Entscheidungen) auf der anderen Seite ging bis zum Ende des Ancien Régime nur sehr langsam und ansatzweise vonstatten46. Noch das renversement des alliances wurde im Wesentlichen von Mitgliedern der höfischen Gesellschaft ausgehandelt, unter maßgeblicher Beteiligung der Mätresse Ludwigs XV., der Madame de Pompadour. Dieser Fall verweist zudem darauf, dass Frauen als einflussreiche Akteure bei Hof außenpolitische Entscheidungen in einer Weise beeinflussen konnten, die ihnen die Fachministerien und die moderne Fachdiplomatie des 19. und 20. Jahrhunderts verwehren sollten47. 46 Ronald G. Asch, Der Hof Karls I. von England. Politik, Provinz und Patronage 1625– 1640, Köln 1993; Ronald G. Asch / Adolf M. Birke (Hrsg.), Princes, Patronage and the Nobility. The Court at the Beginning of the Modern Age, Oxford 1991; Roger Mettam, Power and Faction in Louis XIV’s France, Oxford 1988; Aloys Winterling, Der Hof des Kurfürsten von Kurköln 1688–1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung ›absolutistischer‹ Hofhaltung, Bonn 1986. 47 Karin Hausen, Die Polarisierung der ›Geschlechtercharaktere‹. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, hrsg. v. Werner Conze, Stuttgart 1976, 363–393; Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750– 1850, Frankfurt a. M. / New York 1991. Vgl. außerdem die Beiträge von C. Bastian, K. Keller und E. K. Dade in diesem Band. Der Beitrag von M. Prietzel behandelt zudem die Rolle von Fürstinnen in der außenpolitischen Willensbildung.

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Die wesentlichen Faktoren, welche die Diplomatie vom type ancien generierten, waren also die Staatsbildung, die den Fürstenstaat als Regelfall hervorbrachte, die qualitative Verbesserung der Kommunikationsmittel um 1500, eine hierarchisch gedachte Ordnung von Fürsten und Republiken mit unterschiedlichen Graden von Souveränität sowie die höfische Gesellschaft, in welcher die Trennung des Öffentlichen vom Privaten noch weitgehend fehlte. Fürstendienst bedeutete, in einer personalen Bindung zum Herrscher zu stehen, die durch das Ethos der Patronage bestimmt wurde. Die primäre Bindung fast aller frühneuzeitlichen Individuen bezog sich auf den eigenen Familienverband48. Dem Fürst zu dienen hieß also, dessen Ressourcen für die Wahrung und den Ausbau der Ehre und des Einkommens des eigenen Familienverbandes zu nutzen. Diese Rahmenbedingungen waren nicht alle in gleicher Weise in der Frühen Neuzeit wirkmächtig, aber die meisten von ihnen bestimmten doch für einen sehr langen Zeitraum den Denk- und Handlungsrahmen von Gesandten. Im 18. Jahrhundert verloren einige der genannten Faktoren ihre Bedeutung, wie noch zu erläutern sein wird.

II. Der Diplomat vom type ancien Als idealtypischer Diplomat vom type ancien im engeren Sinne wird im Folgenden der Vertreter eines Fürsten oder einer Republik vom Rang eines Botschafters (ambassadeur) verstanden. Im weiteren Sinn lassen sich auch Gesandte niederen Rangs, Mitarbeiter des Botschafters und informelle Vertreter, die in Beziehungen zwischen verschiedenen (sozio)politischen Einheiten tätig waren, unter diesem Begriff fassen. Nur die Mitarbeit dieser niederen Chargen ermöglichte den Botschaftern, ihre im Folgenden beschriebenen dienstlichen und sozialen Rollen zu erfüllen. Die Diplomatie vom type ancien war also auf das ergänzende Zusammenspiel dieser beiden Gruppen angewiesen. Der Diplomat vom type ancien lässt sich über folgende Merkmale beschreiben: Erstens stand er – wie die meisten anderen fürstlichen Amtsträger auch – in einem personalen Dienerverhältnis zu seinem Fürsten. Er betrachtete sein Verhältnis zum Fürsten als ein do-ut-des-Gabentauschverhältnis in der oben beschriebenen Weise. Er musste deshalb nicht zwingend sein Untertan sein, sondern konnte auch als Auswärtiger in dessen Dienste treten. Er erachtete den Dienst für den Fürsten als seiner Ehre zuträglich. In der Regel war er über Patronage an seinen Posten gelangt, war also Klient einer maßgeblichen Person bei Hof mit Zugang zum Fürsten, oft des Günstling-Ministers: »Die Be48 N. Z. Davis, Boundaries (Anm. 42).

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setzung eines wichtigen diplomatischen Postens war ein Resultat von Beziehungen, keine Kompetenz-Entscheidung.«49 Dieses Merkmal trifft im Prinzip auf den Diplomaten vom type ancien im engeren wie im weiteren Sinne zu. Zweitens war die Professionalität des Diplomaten alten Typs im engeren Sinne standes-, nicht berufsspezifischer Natur. Diplomatenschulen fehlten in der Frühen Neuzeit noch weitgehend beziehungsweise waren sehr kurzlebig, eine fachspezifische Ausbildung gab es somit nicht. Dies änderte sich erst zögerlich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, abgesehen vom römischen Vorreiter: Die Diplomatenschule des Kirchenstaats wurde bereits 1701 gegründet50. Dementsprechend haben wir es insbesondere bei den Botschaftern als diplomatischem Führungspersonal vor dieser Zeit nicht mit Fachdiplomaten zu tun, sondern mit Adligen, deren Kompetenz vor allem in ihren standesgemäßen höfischen Verhaltensformen lag. Sie mussten diese beherrschen, um ihre wichtigste Rolle zu erfüllen, die als Repräsentant, ja Abbild ihres Herrn51. Im diplomatischen Zeremoniell vertraten sie den Fürsten; Angriffe auf ihre zeremonielle Stellung oder Fehlverhalten eines Botschafters schlugen auf die Person des Fürsten und seine Stellung in der Hierarchie zurück52. Adlige erlernten die hierfür notwendigen Fähigkeiten und den angemessenen Habitus in Hofschulen, Ritterakademien und auf der Kavalierstour53. Dementsprechend 49 Dieser Befund gilt selbst für die wegen ihrer Effektivität und Kompetenz hochgelobte französische Diplomatie; siehe Anuschka Tischer, Diplomaten als Patrone und Klienten. Der Einfluss personaler Verflechtungen in der französischen Diplomatie auf dem westfälischen Friedenskongress, in: Le diplomate au travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses, hrsg. v. Rainer Babel, München 2005, 172–197, Zitat 190. Vgl. auch Hillard von Thiessen, Außenpolitik im Zeichen personaler Herrschaft. Die römisch-spanischen Beziehungen in mikropolitischer Perspektive, in: Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605–1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua, hrsg. v. Wolfgang Reinhard, Tübingen 2004, 21–177, 51 50 Vgl. die Wertung von Heinz Duchhardt: »Insgesamt wird sich sagen lassen, dass die große Zeit der systematischen Ausbildung von Diplomaten erst im 19. Jahrhundert anbrechen sollte.« Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 4), Paderborn u. a. 1997, 27; zu den Gründungen von Diplomatenschulen 26 f. 51 Christian Wieland, Diplomaten als Spiegel ihrer Herren? Römische und florentinische Diplomatie zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), 359–379. 52 M. J. Levin, World Order (Anm. 31). 53 Ein Beispiel für eine Hofschule stellt das 1597/98 gegründete Collegium Mauritianum in Kassel dar, das nicht nur der Ausbildung einer gebildeten Elite für die landesherrliche Verwaltung und Diplomatie dienen sollte, sondern auch als Knotenpunkt des internationalen Calvinismus fungierte. Siehe Holger Thomas Gräf, The Collegium Mauritianum

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war ein Hochadliger der ideale Botschafter, zumal sein Stand mitsamt dem entsprechenden Auftreten auch die symbolische Funktion eines Kompliments für den Herrscher erfüllte, an dessen Hof er gesandt wurde54. Zum adligen Verhaltensstil gehörte auch, dass ein Diplomat (ebenso wie seine Entourage) bereit sein musste, Angriffe auf seine zeremonielle Stellung agonal zu verteidigen; die oben erwähnte Straßenschlacht zwischen dem Gefolge des spanischen und dem des französischen Botschafters in London zeigt, wie weit derlei Auseinandersetzungen gehen konnten. Das bedeutet, dass der Diplomat vom type ancien sich mitunter höchst »undiplomatisch« zu verhalten hatte. Selbstverständlich musste er sich auch im Alltag der Dienstausübung eine gewisse Fachkompetenz aneignen, über die Fähigkeit verfügen, politische Zusammenhänge zu durchschauen, an Nachrichten zu gelangen55, sie auswerten und regelmäßig seinem Dienstherrn Bericht erstatten. Da aber der Hof der Ort der politischen Willensbildung war, kam ihm sein standesspezifischer Habitus als Höfling bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu Gute. Während er viele Aufgaben des diplomatischen Alltags an die niederen Chargen delegieren konnte, die über mehr Fachprofessionalität verfügen mussten als er, war es seine Kernaufgabe, standesspezifische Professionalität im diplomatischen Zeremoniell und in der Kommunikation bei Hof unter Beweis zu stellen. Fachprofessionalität kam folglich gewissermaßen von unten in die diplomatische Praxis. Auf zeremoniell weniger herausragende Posten oder kurzzeitige Missionen konnten im Übrigen auch weniger hochrangige, aber dafür mit bestimmten Formen kulturellen Kapitals ausgestattete Gesandte geschickt werden, wie beispielsweise Künstler, die zu Diplomaten vom type ancien im weiteren Sinn zu zählen wären. Rubens’ Tätigkeit als Gesandter des Herzogs von Mantua, der aufgrund seiner künstlerischen Fähigkeiten durchaus auch die Funktion in Hesse-Kassel and the Making of Calvinist Diplomacy, in: Sexteenth Century Journal 28 (1997), 1167–1180; ders., Die Kasseler Hofschule als Schnittstelle zwischen Gelehrtenrepublik und internationalem Calvinismus, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 105 (2000), 17–32. Zu Ritterakademien siehe Norbert Conrads, Ritterakademien der Frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen 1982. Zur Kavalierstour: Rainer Babel / Werner Paravicini (Hrsg.), Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, Stuttgart 2005; Mathis Leibetseder, Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2004; Gabriele Stannek, Telemachs Brüder. Die höfische Bildungsreise des 17. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2001. 54 H. v. Thiessen, Außenpolitik (Anm. 49), 48 f. 55 Zur Rolle des Gesandten als Spion siehe Heidrun Kugeler, ›Ehrenhafte Spione‹. Geheimnis, Verstellung und Offenheit in der Diplomatie des 17. Jahrhunderts, in: Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert, hrsg. v. Claudia Benthien / Steffen Martus, Tübingen 2006, 127–148.

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eines Kompliments an den Herrscher erfüllen konnte56, ist hierfür ebenso ein Beispiel wie der von Claudia Kaufold untersuchte Agostino Steffani. Er begann seine Tätigkeit am hannoverschen Hof 1688 als Kapellmeister, um dann von seinem Herrn auf verschiedene diplomatische Missionen geschickt zu werden und seine Karriere schließlich von 1710 bis 1728 als Apostolischer Vikar für Norddeutschland abzuschließen57. Auch diese diplomatischen Akteure verfügten über keine berufsspezifische Ausbildung, sondern erlangten ihre Bedeutung in der Diplomatie über in der höfischen Gesellschaft begehrte kulturelle Kompetenzen, gegebenenfalls ihre Netzwerke und ihre Fähigkeit, sich in der höfischen Gesellschaft angemessen zu bewegen. Sie konnten offiziell als Gesandte wirken oder aber mit diskreten Missionen informellen Charakters betraut werden. Damit kommen wir zum dritten Punkt. Ergänzt – aber mitunter auch unterlaufen – wurde die offizielle Diplomatie von zahlreichen semioffiziellen oder informellen Akteuren, beispielsweise Personen, die im Auftrag des Botschafters Informationen sammelten, oder Agenten, die mit bestimmten Verhandlungsgegenständen betraut wurden. Dieser Personenkreis überschnitt sich mit einer Schar von Agenten, die an Höfen die Angelegenheiten von Provinzen, Ständen, einzelnen Personen beziehungsweise Familienverbänden, seien sie nun Untertanen des Fürsten oder Auswärtige, und kleinerer Fürstenstaaten und Republiken, vertraten58. Innenbeziehungen zu den eigenen Untertanen gingen somit graduell in Außenbeziehungen über und offizielle Beziehungskanäle in inoffizielle59. Agenten konnten die offiziellen Außenbeziehungen er56 Wo er sich unter anderem dadurch beliebt machte, dass er ein fulminantes Reiterporträt des Günstling-Ministers, des Herzogs von Lerma, malte. John F. Moffitt, Ruben’s ›Duke of Lerma, Equestrian‹ amongst ›Imperial Horsemen‹, in: Artibus et Historiae 15 (1994), Heft 29, 99–110. Rubens’ diplomatische Aktivitäten werden derzeit von Matthias-Josef Reith, dem an dieser Stelle für seine Hinweise auf diese Rolle des Malers gedankt sei, in einer Magisterarbeit untersucht. 57 Claudia Kaufold, Ein Musiker als Diplomat. Abbé Agostino Steffani in hannoverschen Diensten (1688–1703), Bielefeld 1997. 58 Zu Agenten: Antonio Álvarez-Ossorio Alvariño, ›Pervenire alle orecchie della Maestà‹: el agente lombardo en la corte madrileña, in: Annali di Storia moderna e contemporanea 3 (1997), 173–223; Hans Cools / Marika Keblusek / Badeloch Noldus (Hrsg.), Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe, Hilversum 2006; Elisabeth Springer, Die Brüder Ridolfi in Rom. Habsburgische Agenten im Schatten des Bruderzwistes, in: Archiv und Forschung. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in seiner Bedeutung für die Geschichte Österreichs und Europas, Wien / München 1993, 78–95; H. v. Thiessen, Außenpolitik (Anm. 49), 57 ff. 59 Zu verschiedenen Graden von Außenbeziehungen als »konzentrische Kreise« siehe den Beitrag von W. Reinhard in diesem Band.

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gänzen beziehungsweise von ihnen in Dienst genommen werden. Sie konnten für Spionagedienste oder Geheimverhandlungen eingesetzt werden, womit die Arbeitskraft und die Ehre des Botschafters entlastet wurden und Sondierungsgespräche diskret sowie von zeremoniellen Problemen unbelastet ablaufen konnten60. Gerade die zeremoniell-repräsentative Aufladung der Person des Botschafters machte die Ergänzung seiner Tätigkeit durch diesen Kreis von Akteuren unerlässlich. Sie konnten aber auch im Verborgenen gegen die offizielle Diplomatie wirken und zum Beispiel für eine Neben-Außenpolitik, etwa von oppositionellen Hoffaktionen, eingesetzt werden61. Weitgehend unerforscht ist im Übrigen die Bedeutung wirtschaftlicher Netzwerke in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit62. Viertens schlugen Gesandte in der Frühen Neuzeit oft keine rein diplomatische Karriere ein; dies gilt für den Diplomaten alten Typs im engeren wie im weiteren Sinne. Sie waren dann also nicht lebenslang Diplomat, sondern erwarteten, nach einiger Zeit an fremden Höfen auch wieder im »Innendienst« ihres Fürsten eingesetzt zu werden63. Im Fall der spanischen Monarchie existierte beispielsweise die informelle Regelung, dass Botschafter nach einiger Zeit auf besonders einträgliche Vizekönigsposten oder in Spitzenstellungen der Zentralverwaltung versetzt wurden. Außerdem konnten informelle Karrieremuster dadurch entstehen, dass verschiedenen Botschaftsposten ein unterschiedlicher Rang zugesprochen wurde. Von einem ranghohen Botschaftsposten konnte man nur unter Ehrverlust an einen rangniederen Dienstort versetzt werden. So war es im 16. und 17. Jahrhundert üblich, dass Botschafter der katholischen Mächte in Rom nach Ende ihrer Dienstzeit nicht mehr an einen anderen Hof berufen werden konnten, weil dies ehrmindernd gewesen 60 61 62 63

C. Wieland, Fürsten (Anm. 15), 160 f.; H. Duchhardt, Balance of Power (Anm. 50). E. Springer, Brüder Ridolfi (Anm. 58); H. v. Thiessen, Außenpolitik (Anm. 49), 61 ff. Vgl. den Beitrag von J. Zunckel in diesem Band. Lange diplomatische Karrieren können sogar eher als schlechtes Zeichen für die Stellung eines Gesandten in der höfischen Gesellschaft seines Herkunftsortes gelten. Ein Beispiel stellt Baltasar de Zúñiga (1561–1622) dar. Er diente dem spanischen König Philipp III. ab 1598 als Botschafter in Brüssel, am Hof Heinrichs IV. von Frankreich und beim Kaiser in Prag. Dass er erst 1617 auf seinen dringenden Wunsch nach Spanien zurückkehren durfte, war darauf zurückzuführen, dass der Günstling-Minister des Königs, der Herzog von Lerma, ihn als potenziellen Konkurrenten vom König fernhalten wollte. Erst, als Lerma an Macht verlor, konnte Zúñiga zurückkehren und in den Staatsrat eintreten. Lerma hatte ihn eigentlich noch als Botschafter nach Rom schicken wollen. Vgl. John H. Elliott, The Count-Duke of Olivares. The Statesman in an Age of Decline, New Haven 1986, 38 ff.; H. v. Thiessen, Patronage (Anm. 41). Die oben genannte Karriere des Agostini Steffani (1654–1728) stellt ein Beispiel für einen »Seiteneinstieg« in die Diplomatie dar.

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wäre. Dass die römischen Botschaften als derart herausgehoben wahrgenommen wurden, lag nicht an der machtpolitischen Bedeutung des Kirchenstaats, sondern an der Stellung des Papstes an der Spitze der Fürstenhierarchie – jedenfalls in katholischer Perspektive64. Die Karrieremuster lassen erkennen, wie wichtig das symbolische Kapital der Ehre für die Gesandten war und dass auf ihrer Habenseite im Botschafterdienst nicht nur materieller, sondern vor allem auch symbolischer Gewinn stand. Auch wenn die Rolle als Abbild und Vertreter seines Herrn die Hauptrolle war, so zeichnete sich der Diplomat vom type ancien im engeren wie im weiteren Sinne fünftens durch eine Vielfalt von Rollen und Bindungen aus. Er war nicht nur Vertreter seines Fürsten, sondern er hatte im Dienst noch weitere Ansprüche zu erfüllen. Er war einerseits in mannigfacher Weise sozial verpflichtet: Es wurde von ihm erwartet, Verwandten, Klienten und Patronen aus seinem Herkunftsland Zugang zu den Ressourcen zu vermitteln, an die er über sein Amt gelangte65. Andererseits erwartete sein Herr von ihm, dass er an seinem Dienstort Beziehungen zu den maßgeblichen Amtsträgern und Höflingen knüpfte. Diese Beziehungen anzubahnen und zu unterhalten bedeutete aber, Gabentauschverhältnisse einzugehen. Der Diplomat vom type ancien musste also Gefälligkeiten erweisen, Geschenke annehmen und Personen aus dem Land, in dem er Dienst tat, seinem eigenen Fürsten empfehlen66. Damit war der Gesandte ein Vermittler zwischen den beiden Ländern und nicht nur Interessenvertreter seines Fürsten. Er vermakelte Patronageressourcen in beide Richtungen. Diese Stellung lag in der Gabentauschlogik begründet und entsprach auch den Erwartungen des Dienstherrn, weil sein Gesandter nur so seine Aufgaben erfüllen konnte. Zu bedenken ist an dieser Stelle, dass Gesandte zumeist unterbezahlt waren. Dies stellte vor allem für die Botschafter ein Problem dar, denn ihre Ausgaben für Repräsentationszwecke – die Rolle des Abbilds des Fürsten verlangte hohen Statuskonsum – waren in der Regel nicht mit ihrem Salär zu bestreiten. Daraus folgt einerseits, dass Diplomaten vom type ancien im engeren Sinne über ein gewisses Vermögen verfügen mussten, um diesen Ausgaben gewachsen zu sein und nicht bestechlich zu werden67. 64 H. v. Thiessen, Patronage (Anm. 41). 65 Zur Familienbindung von Diplomaten siehe Toby Osborne, Dynasty and Diplomacy in the Court of Sayoy. Political Culture and the Thirty Years’ War, Cambridge 2002; vgl. außerdem den Beitrag von A. Karsten in diesem Band. 66 Jeannette Falcke bezeichnet Geschenke als »Kommunikationsbestandteil des diplomatischen Diskurses«. Jeanette Falcke, Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgisch-preußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2006, 18. 67 Hierauf weist auch die Traktatliteratur hin; vgl. Juan de Vera y Zúñiga, El Enbaxador, Sevilla 1620 (Nachdruck Madrid 1947), Bd. 1, 128.

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Andererseits mussten die zu geringen regulären Einnahmen ergänzt werden. Dies geschah – nicht nur bei den Botschaftern, sondern in eingeschränktem Umfang auch bei ihren Mitarbeitern und informellen Agenten – unter anderem durch materielle und symbolische Gaben des Fürsten, die vor allem dem Familienverband des Diplomaten zu Gute kamen. Außerdem ermöglichte die Bereicherung am Dienstort eine Ergänzung des Salärs und bedeutete somit eine durchaus willkommene Entlastung der fürstlichen Kassen. Daher waren die Gabentauschverhältnisse des Diplomaten an seinem Dienstort nicht per se mit Verrat und Bestechung konnotiert, auch wenn sie praktisch jeden Diplomaten alten Typs für seine Gegner angreifbar machten. Die auf Gabentauschbeziehungen beruhenden personalen Netzwerke des Botschafters verweisen außerdem darauf, dass eine große Zahl von Akteuren an den Außenbeziehungen beteiligt war; man kann also nicht von einem Monopol des Fürsten beziehungsweise seiner Regierung in den Außenbeziehungen ausgehen. Dies gilt umso mehr, als zwischen zwei Ländern neben den Netzwerken des Botschafters noch zahlreiche Beziehungsstränge zwischen Familien des Adels, religiösen Gruppen, Fernhändlern usw. bestanden. Sechstens war der Botschafter Haushaltsvorstand seiner Gesandtschaft. Gesandtschaften waren keine Behörden; vielmehr bestand ihr Personal überwiegend aus Klienten und Verwandten des Botschafters. Diese waren in der Regel mit ihm an den Dienstort gereist und bildeten zusammen mit seiner Familie einen Haushalt68. Nur ein Teil dieses Personals war in der Botschaftsverwaltung tätig, während der andere Teil Funktionen in der Haushaltung ausübte, wobei es Überschneidungen geben konnte. Übernahm ein Gesandter Personal seines Vorgängers, konnte dies zu Loyalitätsproblemen führen; es konnte sich aber auch um eine Maßnahme zur Kontrolle durch seinen Dienstherrn handeln, der das dauerhaft an der Gesandtschaft tätige Personal zur Überwachung des Gesandten und seiner Mitarbeiter einsetzte69.

III. Grenzen und Probleme des Modells der »Diplomatie vom type ancien« Ein idealtypisches Modell erhebt nicht den Anspruch, einen Gegenstand in all seinen Ausprägungen und Varianten umfassend und in stets zutreffender Weise zu beschreiben. Vielmehr liegt sein Zweck darin, gemeinsame Grundmerkmale zu benennen, sie zeitlich zu verorten und zu bündeln. Diplomatie 68 Zum Botschafter als padre di famiglia siehe C. Wieland, Fürsten (Anm. 15), 158. 69 H. v. Thiessen, Außenpolitik (Anm. 49), 60.

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vom type ancien im engeren Sinne beschreibt einen idealen Botschaftertypus der Frühen Neuzeit, der seine volle Ausprägung im 17. Jahrhundert erreichte, und die Rahmenbedingungen, die ihn hervorriefen bzw. prägten. Dieser Idealtyp orientiert sich bewusst weniger an der diplomatischen Traktatliteratur70, die ein zu normatives, »sein-sollendes« Bild ergibt, sondern fragt nach der diplomatischen Praxis, wie sie in erster Linie durch die Auswertung von diplomatischen Korrespondenzen zu ermitteln ist. Die diplomatischen Traktate stellen bis zum 17. Jahrhundert weniger eine Beschreibung der Realität dar, sondern sind vielmehr in erster Linie in ihrer kasuistischen Zielrichtung zu verstehen71. Das bedeutet, dass sie einen irrealen Idealzustand beschreiben (den parfait ambassadeur72), um auf diese Weise Normenkonflikte, die in der Amtsführung der Botschafter auftraten, zu benennen73. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass die Frühe Neuzeit sich durch die Konkurrenz von sozialen, religiösen und gemeinwohlorientierten Normen auszeichnete; eine Zuschreibung der verschiedenen normativen Regelsysteme zu bestimmten gesellschaftlichen Bereichen hatte sich noch nicht konsequent ausdifferenziert. So ließ sich noch kein bürokratisches Amtsethos durchsetzen, das die Gültigkeit sozialer Normen im Fürstendienst grundsätzlich hätte ausschließen können74. Wie Akteure im Fürstendienst die aus diesen Normen entstehenden Spannungen ausbalancierten, ist durch eine Analyse ihrer Handlungen zu ermitteln. Ein Idealtypus neigt zu einer gewissen Holzschnittartigkeit, und er reizt dazu, ihn durch Gegenbeispiele in Bezug auf seine Reichweite in Frage zu stellen. Im Folgenden soll eine Reihe von möglichen Einwänden gegen dieses 70 Zur Traktatliteratur für Gesandte siehe Maurizio Bazzoli, Ragion di Stato e interessi degli stati. La trattatistica sull’ambasciatore dal XV al XVIII secolo, in: Nuova rivista storica 86 (2002), 283–328; Heidrun Kugeler, ›Le parfait Ambassadeur‹. Zur Theorie der Diplomatie im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden, in: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, hrsg. v. ders. / Christian Sepp / Georg Wolf, Hamburg 2006, 180–211; Jean-Claude Waquet, François de Callières. L’art de négocier en France sous Louis XIV, Paris 2005. 71 Olivier Chaline, L’ambassadeur selon les casuistes, in: L’invention de la diplomatie. Moyen Age – Temps modernes, hrsg. v. Lucien Bély, Paris 1998, 59–69. 72 So der Titel der französischen Übersetzung des Traktats El Enbaxador von Juan de Vera y Zúñiga (Anm. 67). 73 Hillard von Thiessen, Switching Roles in Negotiation: Levels of Diplomatic Communication between Pope Paul V Borghese (1605–1621) and the Ambassadors of Philip III, in: Paroles de négociateurs. L’entretien dans la pratique diplomatique de la fin du Moyen Âge à la fin du XIXe siecle, hrsg. v. Stefano Andretta u. a., Rom 2010, 151–172. 74 Zur Normenkonkurrenz bei fürstlichen Amtsträgern am Beispiel von Auseinandersetzungen über die Amtsführung von Günstling-Ministern im frühen 17. Jahrhundert siehe H. v. Thiessen, Korruption (Anm. 43).

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Modell behandelt werden. Ich werde auch Varianten vom Idealtypus identifizieren und Entwicklungen ansprechen, die den Übergang zur modernen Fachdiplomatie herbeiführten. Zunächst ein paar Worte zur Bezeichnung »Diplomatie vom type ancien«. Man könnte einwenden, dass die Begriffe »Diplomat« und »Diplomatie« in ihrem heutigen Verständnis einen erst für den modernen Fachdiplomaten typischen Grad an Professionalität implizieren. Als begriffliche Alternative böte sich »Gesandtschaftswesen« an. Allerdings ist der Terminus »Gesandter« nicht nur ein Überbegriff für Personen, die einen Fürsten oder ein Gemeinwesen auswärts vertreten, sondern er bezeichnet auch eine bestimmte Rangstufe, nämlich die unterhalb des Botschafters75. Da in der internationalen, vor allem in der englischsprachigen Forschung, allgemein von diplomacy als Überbegriff der Forschung die Rede ist und auch die deutschsprachige Mittelalterforschung den Begriff Diplomatie mittlerweile in diesem Sinne verwendet76, erscheint er als die bessere Wahl. Mit dem Zusatz type ancien wird zudem seine Zeitgebundenheit und damit die begriffliche Abgrenzung zum modernen Fachdiplomaten ausgedrückt. Den Diplomaten vom type ancien im engeren Sinne habe ich idealtypisch als hochadligen Fürstendiener dargestellt. Es ist anzumerken, dass Botschafter zwar in der Tat bevorzugt aus dem Adel rekrutiert wurden, jedoch auch ein Alternativmodell bestand, das sich allerdings längerfristig nicht durchzusetzen vermochte. Vor allem die französische Krone und die niederländischen Generalstaaten entsandten im 16. Jahrhundert häufig gelehrte Diplomaten nicht- oder niederadliger Herkunft. Man könnte vom Typus des humanistisch gebildeten Diplomaten sprechen77. Allerdings ist davon auszugehen, dass 75 Erich H. Markel, Die Entwicklung der diplomatischen Rangstufen, Diss. Erlangen 1951, 81 f. 76 Dieter Berg definiert Diplomatie als »Instrumentarium politischer Kommunikation [...], mit dem die politischen Beziehungen der Fürsten gestaltet werden.« Dieter Berg, England und der Kontinent. Studien zur auswärtigen Politik der anglonormannischen Könige im 11. und 12. Jahrhundert, Bochum 1987, 4. Diese Begriffsverwendung übernimmt auch Arnd Reitemeier, Außenpolitik im Spätmittelalter. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und England 1377–1422, Paderborn u. a. 1999, 24. 77 Ruth Kohlndorfer beschreibt diesen Typus am Beispiel des Jacques Bongars (1554– 1612). Er vertrat den französischen König bei verschiedenen protestantischen Fürsten im Reich, also an Höfen, die in französischer Perspektive wenig glanzvoll waren und an denen keine derart starke zeremonielle Konkurrenz bestand wie in Rom. Ruth Kohlndorfer-Fries, Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars, 1554–1612, Münster 2007. Heinz Noflatscher sieht hierin einen »neue[n] Diplomatentyp«, dessen humanistisches Sprachideal die »Professionalisierung von Politik« gefördert habe. Heinz Noflatscher, Sprache und Politik. Die Italienexperten

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die französische Krone im 17. Jahrhundert, als sie ihre Universalansprüche wiederbelebte, zumindest an die wichtigsten Höfe hochadlige Diplomaten schickte, denn diese waren aufgrund ihres Standes besser geeignet, die Rolle des Abbilds ihres Herrn glaubhaft darzustellen. Die Repräsentationsfunktion führte also dazu, dass sich der hochadlige Diplomat als stilbildender Regelfall zumindest in den wichtigen Gesandtschaften der größeren Fürstenstaaten durchsetzte. Auffallend ist darüber hinaus, dass die bürgerlichen Gesandten der französischen und der schwedischen Krone wie auch ihre niederländischen Kollegen den diplomatischen Dienst als ein Mittel ansahen, in den Adel aufzusteigen. Zudem passten auch sie sich als Diplomaten dem adlig-höfischen Verhaltensstil an78. Selbst die niederländischen Gesandten, die sich mit ihrem bürgerlich-frugalen Auftreten zunächst vom höfischen Verhaltenskodex distanzierten, nahmen im Verlauf des 17. Jahrhunderts die üblichen diplomatisch-höfischen Verhaltensformen an79. Auch sie konnten also kein dauerhaftes Gegenmodell diplomatischen Auftretens etablieren; vielmehr erwies sich die höfische Kultur als prägend. An dieser Stelle ist nochmals zu betonen, dass die Diplomatie vom type ancien als Gesamtsystem nur in Arbeitsteilung zwischen hochadligen Botschaftern und niederrangigeren Funktionsträgern funktionierte. Dies wurde besonders in der Kongressdiplomatie seit den Westfälischen Friedensverhandlungen deutlich. Dort bewährte sich die Paarung eines hochadligen Delegationsleiters, der als Repräsentant und Abbild seines Herrn fungierte, mit einem oder mehreren verhandlungserfahrenen Experten niederen Rangs für Kaiser Maximilians II., in: Kaiser Maximilian II. Kultur und Politik im 16. Jahrhundert, hrsg. v. Friedrich Edelmayer / Alfred Kohler, Wien / München 1992, 143–168, 167 f. Zu den gelehrten Diplomaten siehe auch: Holger Thomas Gräf, Die Entstehung des Gesandtschaftswesens aus dem Geist der Curiositas, in: Einmal Weimar-Wien und retour, hrsg. v. Katrin Keller, Wien / München 2005, 179–191; Wieland Held, Christoph von Carlowitz, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 69 (1998), 25–48; Gerhard Rill, Humanismus und Diplomatie, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25 (1972), 565–580; Uwe Sibeth, Gesandter einer aufständischen Macht. Die ersten Jahre der Mission von Dr. Pieter Cornelisz. Brederode im Reich (1602–1609), in: Zeitschrift für Historische Forschung 30 (2003), 19–52. Vgl. außerdem den Beitrag von S. Externbrink in diesem Band. 78 Zum schwedischen Fall vgl. H. Droste, Dienst (Anm. 45), 51 f.; zu den Gesandten der Niederlande vgl. Holger Thomas Gräf, Funktionsweisen und Träger internationaler Politik in der Frühen Neuzeit, in: Strukturwandel internationaler Beziehungen. Zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden, hrsg. v. Jens Siegelberg / Klaus Schlichte, Wiesbaden 2000, 105–123.; ders., Kräfte (Anm. 4), 19; U. Sibeth, Gesandter (Anm. 77). 79 H. T. Gräf, Kräfte (Anm. 4), 18 f.

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die Bewältigung der Anforderungen der alltäglichen Kongressdiplomatie80. Generell scheinen die Anforderungen der Kongressdiplomatie insbesondere im 18. Jahrhundert eine Professionalisierung der Diplomaten in Gang gesetzt zu haben, »eine Entwicklung im Sinne einer ›Erfindung‹ oder Loslösung der Verhandlung als gesonderte Praxis mit eigenen Verfahrensweisen und spezialisiertem Personal«, wie Jean-Claude Waquet in diesem Band feststellt81. Mit der stärkeren Gewichtung der Verhandlungskompetenz und der Abnahme der Bedeutung des Diplomaten als Abbild seines Herrschers ist also bereits im frühen 18. Jahrhundert eine Entwicklung zu beobachten, die zur Überwindung der Diplomatie alten Typs führte, also auf längere Sicht nicht mehr als systemimmanenter Wandel bezeichnet werden kann. Die höfische Kultur war ein gesamteuropäisches Phänomen, was dazu führte, dass die Gesandten sich an fremden Höfen auf vertrautem Terrain bewegten. Es war eine der Säulen des Selbstverständnisses des Adels, dass er an einer europäischen Elitenkultur teilhatte. Hieraus ergibt sich eine Forschungsperspektive für das Verhalten adliger Diplomaten auf republikanischem Terrain. Es scheint, dass hier durchaus ein Bewusstsein kultureller Differenz vorlag. So deuten Untersuchungen zu den Außenbeziehungen der Eidgenossenschaft darauf hin, dass die Gesandten von Fürsten den dortigen nichtadligen Akteuren unterstellten, nicht zuverlässig zu sein, weil sie nicht adligen Ehrvorstellungen folgten und an schnöde materielle Interessen gebunden seien. Ganz ähnliche Vorwürfe gingen von republikanischen Gemeinwesen aber auch zurück an die höfische Gesellschaft, in der nicht der Gemeinnutz, sondern allein das Faktionsinteresse und die Verstellung regieren würden82. Auch die volatilen soziopolitischen Verhältnisse in Wahlmonarchien konnten von diplomatischen Akteuren als unethisch, da nicht am Treuediskurs orientiert, gewertet werden; das Paradebeispiel hierfür stellt die römische Kurie dar83. Inwieweit diese bewusst wahrgenommenen mentalen Differenzen den diplomatischen Alltag beeinflussten, etwa in der Art, wie und mit welchen Erwartungen Gesandte soziale Beziehungen in derart kulturell fremdem Umfeld pflegten, ist noch eine offene Frage.

80 Vgl. z. B. zur französischen Delegation auf dem westfälischen Friedenskongress: Anuschka Tischer, Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin, Münster 1999. 81 Siehe den Beitrag von J.-C. Waquet in diesem Band (S. 115). 82 Christian Windler, ›Ohne Geld keine Schweizer‹. Pensionen und Söldnerrekrutierung auf den eidgenössischen Patronagemärkten, in: Nähe in der Ferne (Anm. 15), 105–133. 83 H. v. Thiessen, Patronage (Anm. 41).

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Nicht kulturelle Differenzen, sondern politische Feindschaft bildete einen weiteren Faktor, der den Handlungsrahmen von Gesandten empfindlich beeinflusste und, so ist zu vermuten, auch seine Rollenvielfalt einschränkte. Wenn der Diplomat vom type ancien in Erfüllung seiner verschiedenen Rollen do ut des-Beziehungen am Dienstort pflegte, dann war das, wie erwähnt, nicht per se mit der Konnotation von Verrat verknüpft. Galt dies aber auch dann, wenn ein Botschafter in einem Land diente, das mit seinem Herkunftsland in einem gespannten Verhältnis stand? Konnte etwa der spanische oder der kaiserliche Botschafter am französischen Hof wirklich Gabentauschverhältnisse zu Personen im Umfeld des Königs aufnehmen oder gar vom König selbst Geschenke annehmen? Stand er nicht in der Gefahr, dann zuhause des Verrats bezichtigt zu werden? Und würden seine personalen Netzwerke nicht umgekehrt an seinem Dienstort als der Versuch feindlicher Beeinflussung gewertet werden? Man denke in diesem Zusammenhang nur an den schlechten Ruf der spanischen Botschafter als Spione und Intriganten in der Zeit Elisabeths I. und der frühen Stuarts84. Es scheint also, dass die Konzentration auf die Hauptrolle des Botschafters – die als Vertreter und Repräsentant des Dienstherrn – dann begünstigt wurde, wenn er in eher feindlichem Umfeld diente. Abschließend ist die Frage zu klären, ob die Phase der Diplomatie vom type ancien zeitlich der Epoche der Frühen Neuzeit entspricht. Die Wertung des Wandels von ad-hoc-Gesandtschaften zum System permanenter Diplomatie als qualitativer Sprung, der einen neuen Typ von Diplomatie generierte, ist, wie erwähnt, Gemeingut der Forschung. Der Beginn der Diplomatie vom type ancien ist also um 1500 anzusetzen, als das neue, in Italien entstandene System von den wichtigsten europäischen Monarchien übernommen wurde, auch wenn der Ausbau eines europaübergreifenden Netzes von Dauergesandtschaften noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts gerade in der Peripherie des Kontinents nicht abgeschlossen sein sollte. Wie aber sieht es mit ihrem Ende aus? Auf den ersten Blick mag die Antwort auf diese Frage leicht erscheinen: Wenn die Diplomatie alten Typs an das Ancien Régime beziehungsweise an die höfische Gesellschaft gebunden ist, dann liegt es nahe, davon auszugehen, dass sie mit der Französischen Revolution durch einen neuen, modernen Typ von Diplomatie abgelöst wurde. Für die Annahme eines solchen Bruchs spricht, 84 Mitchell Leimon / Geoffrey Parker, Treason and Plot in Elizabethan Diplomacy. The ›Fame of Sir Edward Stafford‹ Revisited, in: English Historical Review 111 (1996), 1134–1158. Vgl. auch die Studie von Alain Hugon zu den spanischen Botschaftern in Frankreich: Alain Hugon, Au service du Roi Catholique: ›Honorables ambassadeurs‹ et ›divins espions‹ face à la France. Représentation diplomatique et service secret dans les relations hispano-françaises de 1598 à 1635, Madrid 2004.

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dass sich die Diplomaten des revolutionären Frankreich in den 1790er Jahren bewusst im Gegensatz zu den adligen Diplomaten alter Schule stilisierten. Sie traten als selbstbewusste Bürger einer revolutionären Macht auf, zeigten Geringschätzung gegenüber höfischen Verhaltensregeln und traten mit politischem Sendungsbewusstsein auf85. Diese Haltung hatte ihren Ursprung in der generellen Zeremonialkritik der Aufklärung86. Allerdings war diese bewusste Anti-Stilisierung recht kurzlebig: Bereits unter Napoleon bewegten sich die französischen Diplomaten wieder in traditionelleren Bahnen, was maßgeblich auf dessen Außenminister Talleyrand zurückzuführen war, der nicht mehr einen egalitären Stil als citoyen ministre pflegte, sondern Wert darauf legte, wieder als Son Excellence angesprochen zu werden87. Auch die Ablehnung der »Spitzfindigkeiten« des diplomatischen Zeremoniells beziehungsweise des höfischen Auftretens überhaupt von Seiten amerikanischer Diplomaten führte nicht zu einem neuen diplomatischen Stil eines demokratischen Staates; vielmehr sahen sich die amerikanischen Diplomaten gezwungen, sich bis zu einem gewissen Grad an die überkommenen Gepflogenheiten diplomatischen Umgangs anzupassen, um ihr Land als souveräne Nation überzeugend darstellen zu können88. Die revolutionäre Diplomatie erwies sich somit als sehr kurzlebig. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass um 1800 eine Reihe von Grundbedingungen der Diplomatie vom type ancien nicht mehr existierten oder an Relevanz verloren hatten. Die höfische Gesellschaft als Abbild einer selbstverständlichen, gottgewollten Ordnung überlebte 1789 insoweit nicht, als es fortan reale politisch-gesellschaftliche Alternativen gab. Adlige und höfische Verhaltensformen waren somit nicht mehr nur Ausdruck standesgemäßen Auftretens, sondern stellten im 19. Jahrhundert auch eine Manifestation politischer Ansichten dar. Schon vor 1789 hatten einige gesellschaftliche Fundamentalprozesse eingesetzt oder an Fahrt gewonnen, welche in die Moderne 85 Linda Frey / Marsha Frey, ›The Reign of the Charlatans is Over‹: The French Revolutionary Attack on Diplomatic Practice, in: Journal of Modern History 65 (1993), 706– 744; Uta Germann, Die Entschädigungsverhandlungen Hessen-Darmstadts in den Jahren 1798–1815. Diplomatie im Zeichen des revolutionären Umbruchs, Darmstadt 1998, 22 ff. Vgl. auch den Aufsatz von M. Belissa in diesem Band. 86 Miloš Vec, Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation, Frankfurt a. M. 1998, 366 ff. 87 Yves Bruley, Le personell diplomatique napoléonien, in: Napoléon et l’Europe. Regards sur une politique. Actes du colloque organisé par la direction des Archives du Ministère des Affaires étrangères, 18 et 19 novembre 2004, hrsg. v. Thierry Lentz, Paris 2005, 154–168, 156. 88 Vgl. den Beitrag von M. Köhler in diesem Band und Reginald Horsman, The Diplomacy of the New Republic, Arlington Heights 1985.

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wiesen und auch die Rahmenbedingungen der diplomatischen Praxis deutlich veränderten. Dazu gehörte die Ausdifferenzierung einer Sphäre des Privaten, welche die Rollenvielfalt, die frühneuzeitliche Amtsträger ausgezeichnet hatte, zunehmend einengte. Was im 17. Jahrhundert noch soziale Norm war – die Begünstigung von Verwandten im Amt etwa, ja das Ethos der Patronage überhaupt – galt am Ende des folgenden Jahrhunderts bereits eindeutig als Korruption89. Die Normenkonkurrenz des Ancien Régime verlor an Akzeptanz. Mit dem weiteren Ausbau der staatlichen Bürokratien wurde die personale Bindung der Fürstendiener an ihren Herrn durch ein bürokratisches Amtsethos abgelöst oder zumindest überlagert. Auch auf der Ebene des internationalen Systems lassen sich zwischen dem Beginn des 18. Jahrhunderts und dem frühen 19. Jahrhundert fundamentale Veränderungen erkennen. Ich habe bereits die Ablösung der hierarchischen Ordnung der Fürstenstaaten durch das Gleichgewichtssystem des 18. Jahrhunderts genannt. Damit hatten die Botschafter nicht mehr so eifersüchtig über ihren Rang zu wachen wie im Jahrhundert zuvor; sie konnten weniger agonal – im modernen Sinne: diplomatischer – auftreten. Auch wurde klarer zwischen souveränen Staaten und nichtsouveränen politischen Entitäten unterschieden. Allerdings zog erst der Wiener Kongress in dieser Hinsicht eine klare Scheidelinie. Erst mit der Wiener Ordnung arrondierter souveräner Staaten verschwanden die Akteure eingeschränkter Souveränität von der internationalen Bühne; damit konnten einheitliche Regeln für den Umgang der Diplomaten untereinander geschaffen werden90. Der Wiener Kongress erscheint im Hinblick auf das internationale System als der größere Einschnitt im Vergleich zum Westfälischen Frieden91. Die Ordnung souveräner Staaten, 89 Zum Wandel des Korruptionsdiskurses im Übergang zur Moderne vgl. Dieter Gembicki, Corruption, Décadence, in: Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820, hrsg. v. Rolf Reichardt / Hans-Jürgen Lüsebrink, Heft 14/15, München 1993, 7–60; Jens Ivo Engels, Politische Korruption in der Moderne. Debatten und Praktiken in Großbritannien und Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 282 (2006), 313–350, 322 ff. 90 Michael Erbe, Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785–1830 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, 5), Paderborn u. a. 2004, 59. 91 Den Bruch von 1815 betont in besonderem Maße Paul W. Schroeder, The Vienna System and Its Stability. The Problem of Stabilizing a State System in Transformation, in: Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Peter Krüger, München 1996, 107–122. Vgl. auch Wolfram Pyta, Konzert der Mächte und kollektives Sicherheitssystem. Neue Wege zwischenstaatlicher Friedenswahrung in Europa nach dem Wiener Kongress 1815, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 1996, 133–173.

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von der Forschung mitunter als »westfälisches System«92 bezeichnet, wurde erst in Wien geschaffen. Vom Beginn des 18. Jahrhunderts an veränderten sich somit die Rahmenbedingungen der Diplomatie fundamental. Bis zum Ende des Ancien Régime blieben allerdings viele ihrer gesellschaftlichen Grundkonstanten erhalten; erst der Umbruch der Revolution von 1789 schuf ein so stark verändertes Umfeld, dass von einer Diplomatie vom type ancien, wie ich sie hier beschrieben habe, keine Rede mehr sein kann. Was trat an ihre Stelle? Man könnte von der modernen Fachdiplomatie als nachfolgendem Idealtypus sprechen93. Sie entstand in einem Staatensystem, dessen Glieder im Hinblick auf ihre Souveränität gleichberechtigt waren. Der moderne Fachdiplomat wusste zwischen privaten und dienstlichen Rollen zu unterscheiden. Dies bedeutete nicht unbedingt korrektes Verhalten, sondern mitunter lediglich, dass Verwandtenförderung und Patronage im Verborgenen stattzufinden hatten94. Der Botschafter war nun Leiter einer staatlichen Einrichtung und sah sich als Diener eines Staates, oft auch einer Nation95, im Umgang mit Akteuren außerhalb des christlicheuropäischen Kulturkreises auch als Vertreter einer überlegenen Zivilisation96. Er verfügte über berufsspezifische Professionalität97, die jedoch weiterhin mit 92 Zur kritischen Auseinandersetzung mit der Tragweite dieses Begriffs siehe den Beitrag von H. Duchhardt in diesem Band; vgl. auch ders., ›Westphalian System‹. Zur Problematik einer Denkfigur, in: Historische Zeitschrift 269 (1999), 305–315; Andreas Osiander, Sovereignty, International Relations, and the Westphalian Myth, in: International Organization 55 (2001), 251–287; Benno Teschke, The Myth of 1648. Class, Geopolitics, and the Making of Modern International Relations, London / New York 2003. 93 Zu den nachfolgend skizzierten Rahmenbedingungen der modernen Fachdiplomatie: M. Erbe, Erschütterung (Anm. 90), 15 ff.; Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763–1848, Oxford 1994; scharf dagegen: Harald Kleinschmidt, Vom ›Gleichgewicht‹ zum ›Äquilibrium‹. Paul W. Schroeders ›Transformation of European Politics‹ – eine Systemgeschichte der internationalen Beziehungen?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 45 (1997), 520–528. 94 Arne Karsten / Hillard von Thiessen, Einleitung, in: Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, hrsg. v. dens., Göttingen 2006, 7–15, 13. 95 Christian Windler hat festgestellt, dass der zunehmende Nationalismus französischer Diplomaten seit der Revolution deren interkulturelle Kompetenzen beeinträchtigte; sie waren weniger bereit, sich auf fremde diplomatische Gepflogenheiten einzulassen: Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’Autre. Consuls français au Maghreb (1700–1840), Genf 2002; ders., Normen aushandeln. Die französische Diplomatie und der muslimische ›Andere‹ (1700–1840), in: Ius commune 24 (1997), 171–212. 96 Vgl. die Beiträge von S. Schattenberg und C. Windler in diesem Band. 97 Die Ausbildung der Diplomaten wurde um die Wende zum 19. Jahrhundert verbessert und verstetigt; so wurde 1800 eine an die Archivabteilung des französischen Außenministeriums angeschlossene Diplomatenschule gegründet. Vgl. M. Erbe, Erschütterung (Anm. 90), 56 ff.

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Hillard von Thiessen

standestypischen Elementen verbunden war; denn es ist nicht zu übersehen, dass die Diplomatie bis in das 20. Jahrhundert hinein von Adligen dominiert wurde98. Insoweit liegt hier eine Kontinuität zum Diplomaten alten Typs vor. Allerdings bedeutete Zugehörigkeit zum Adel in der Regel nun auch eine politisch konservative Ausrichtung. Dementsprechend wurde die Diplomatie des 19. und 20. Jahrhundert eher als gesellschaftlich beharrend wahrgenommen. Neu war aber die Gewichtung der Fachprofessionalität, welche die meisten Diplomaten in einer strukturierten, auf ihre Karriere im diplomatischen Dienst zielenden Ausbildung erworben hatten; damit entfiel das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Diplomaten alten Typs im engeren und dem im weiteren Sinn. Beim modernen Fachdiplomaten macht diese idealtypische Unterscheidung keinen Sinn mehr, auch wenn es natürlich Laufbahnen unterschiedlichen Rangs im modernen diplomatischen Dienst gab, die aber in jedem Fall Fachprofessionalität voraussetzten. Diplomat zu sein hieß nicht mehr in erster Linie, in standesgemäßer Weise einem Fürsten zu dienen, sondern einen Beruf auszuüben – und dies zumeist auch ein Berufsleben lang. Monika Wienfort konstatiert, dass die Diplomatie nach 1815 im Bezug auf die Fachprofessionalität nachholte, was sich in Verwaltung und Justiz schon vollzogen hatte. Sie bestätigt damit sowohl die Vermutung einer beschleunigten Veränderung der Diplomatie der Sattelzeit als auch die Annahme, dass die Diplomatie aber nicht zu den gesellschaftlichen Teilsystemen mit besonders hohem Modernisierungsgrad zählte99. Ein weiterer Faktor veränderte die Diplomatie im 19. Jahrhundert radikal: Mit der Kommunikationsrevolution des industriellen Zeitalters – vor allem die Telegraphie und die Eisenbahn sind zu nennen – waren die Diplomaten im Nachrichtenwesen neuen Herausforderungen ausgesetzt und rückten aufgrund der stark beschleunigten Kommunikationswege näher an ihre Dienstherren heran100. Der Übergang von der Diplomatie vom type ancien zur modernen Fachdiplomatie ist im Zeitraum zwischen dem Beginn des 18. Jahrhunderts und dem frühen 19. Jahrhundert anzusetzen. Anders als beim relativ abrupten Übergang um 1500 haben wir es mit einer langen Übergangsperiode zu tun, die man als »Sattelzeit der Diplomatie« bezeichnen könnte und die auch zeitlich 98 Vgl. z. B. Johann Caspar Struckmann, Preußische Diplomaten im 19. Jahrhundert. Biographien und Stellenbesetzungen der Auslandsposten 1815 bis 1870, Berlin 2003. Allerdings bedeutete die starke Ausweitung des Netzes diplomatischer Vertretungen im 19.  Jahrhundert auch eine Chance für Vertreter des gehobenen Bürgertums, in den diplomatischen Dienst einzutreten; siehe M. Erbe, Erschütterung (Anm. 90), 56. 99 Monika Wienfort, Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006, 105 ff. 100 Zur zweiten Kommunikationsrevolution vgl. M. North, Einleitung (Anm. 25), XVI f.

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– abgesehen von ihrem relativ frühen Beginn – mit der von Reinhart Koselleck als Sattelzeit101 bezeichneten Übergangsperiode übereinstimmt. Die Konzeption der beiden diplomatischen Idealtypen ist eine Konsequenz des mikrohistorischen Blicks auf das Handeln der Diplomaten. Sie bindet die Forschungsergebnisse zur politischen Kultur in die Analyse der Außenbeziehungen mit ein und relativiert die auf anachronistischen Annahmen bzw. einer teleologischen Sichtweise beruhende Staatenweltperspektive. Das hier vorgestellte Konzept kann dazu beitragen, die Außenbeziehungen stärker von der diplomatischen Praxis als von der normativen Vogelperspektive aus zu verstehen und sie auf diese Weise besser in zeitspezifische gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen.

101 Reinhart Koselleck, Einleitung, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Wörterbuch der historisch-politischen Sprache, Bd. 1, Stuttgart 1972, XIII–XVII, XV f.

Abkürzungsverzeichnis AC ACCIM ACM AGS AH

AHN AN AS Firenze AS Genova AS Roma ASV AVPRI BAV BL CMS DOZA EA

GARF GStAPK HCPP HHStA HLS PRO MAE RGIA

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Personenregister Abbott, Thomas: 370 Abdül Hamid II., Sultan des Osmanischen Reiches: 386–387 Abreu y Bertodano, Joseph Antonio: 354 Achenwall, Gottfried: 154 Acremont, Henri d’: 71 Adams, John: 407, 430–432 Adams, Samuel: 431, 438–439 Aeberhard, René: 100 Ago, Renata: 9 Ahmed Ibn Abdallah: 303 Aiguillon, Duc d’: siehe Vignerot du Plessis, Emmanuel-Armand de, Duc d’Aiguillon Alba, Duque de, siehe Álvarez de Toledo y Pimentel, Fernando, Duque de Alba Albacini, Daria: 58 Albemarle, Earl of: siehe Keppel, William Anne, Earl of Albemarle Albergati, Antonio: 354 Albert von Sachsen-Coburg und Gotha: 209 Albertini, Luigi: 377–378 Albrecht VII., Erzherzog von Österreich: 349–350 Alcalá-Zamora, José: 343 Aldobrandini, Pietro: 27 Aldridge, Alfred O.: 433 Alembert, d’: siehe Le Rond d’Alembert, JeanBaptiste Alexander I., Zar von Russland: 328 Alexander II., Zar von Russland: 376, 380–381, 386–388 Alexander VII., Papst: 52–53 Alexandra, Prinzessin von Dänemark: 209 c Alī, Bey von Tunis (1759– 1782): 452, 455–456

Alī Bāshā, Bey von Tunis (1735–1756): 311 Ali Carli: 358 Alimento, Antonella: 160 Allison, Robert J.: 448 Allonville, Charles-Auguste d’, Marquis de Louville: 266 Alloza Aparicio, Ángel: 346 Alonso Acero, Beatriz: 296 Altbauer, Dan: 330, 334 Alter, Peter: 178 Altorfer-Ong, Stefan: 99 Álvarez de Toledo y Pimentel, Fernando, Duque de Alba: 43 Álvarez-Ossorio Alvariño, Antonio: 490 Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg, Landgräfin von HessenKassel: 69 Ambrosius, Gerold: 177 Amelot, Michel-Jean, Marquis de Gournay: 102 Amelot de La Houssaye, Nicolas-Abraham: 120 Amiet, Jacob: 108 Amman, Hektor: 347 Anaya Hernández, Alberto: 298 Anderson, Matthew Smith: 81, 134, 140, 151, 241, 376, 404, 474 Andlaw, Franz Xaver, Freiherr von: 212 Andrássy, Gyula: 384 Andreas, Willy: 480 Andretta, Stefano: 116 Andújar Castillo, Francisco: 312 Angeli, Pietro: 114, 120, 122–124, 127 Anna von Dänemark, Kurfürstin von Sachsen: 219, 223, 233–235 Anna Ivanovna, Zarin von Russland: 322, 326, 336

c

Anna Sophia von Brandenburg, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg: 229 Anne de Bavière: 71–72 Anshelm, Valerius: 84 Ansidei, Giovanni Battista: 49–51 Antenhofer, Christina: 223, 232, 234 Anton von Burgund: 258 Aramon, Gabriel d’: 299 Arcangelo di Rimini: 295 Arenfeldt, Pernille: 223, 234 Argenson, Marc-Pierre, Marquis d’: 278 Armitage, David: 409, 432 Armstrong, David: 406 Arndt, Karl Eduard: 396 Arnolfini (Familie): 44 Aron, Raymond: 173 Arx, Ferdinand von: 98 Asch, Ronald G.: 3–4, 6, 231, 273, 473, 485–486 Ashley, Katherine: 224 Aslanian, Sebouth: 307 Assonville, Christophe d’: 350 Aubert, Jean-François: 79 Aubéry, Julie-Renée d’, Marquise de Tilleport: 264 Auersperg, Johann Weikhard von: 237 Auf der Maur, Franz: 91 August von Sachsen: 223, 233–235 Augusta von SachsenWeimar-Eisenach, Kaiserin und Königin von Preußen: 382 Avaux, Comte de: siehe Mesmes, Claude de, Comte d’Avaux Avril, Philippe: 325 Babel, Rainer: 489 Bade, Klaus J.: 192 Badie, Bertrand: 172

528 Baert du Hollant, CharlesAlexandre-BalthasarFrançois de Paule: 327 Bagration, Katharina Pawlowna: 339 Bai Kru: 368 Baker, Thomas: 307 Bakunin, Michail Alexandrowitsch: 329 Balabin, Viktor Petrovič: 339 Balbani (Familie): 44 Balbi, Giovanna Petti: 35 Balzac, Honoré de: 329, 340 Bannister, Mark: 64 Barbarigo (Familie): 25 Barbaro, Francesco: 134 Barberini (Familie): 44 Barberini, Antonio (der Jüngere): 50, 54–55 Bareilles, Bertrand: 383, 386, 390 Barnave, Antoine-PierreJoseph-Marie: 408 Barozzi, Nicolò: 29 Barrière, Comte de: siehe Taillefer, Henri de, Comte de Barrière Barth, Boris: 191, 465 Barthélemy, Jean-Jacques: 416 Barthélémy de Saizieu, Antoine-ÉtienneLazare: 453–457 Bartlett, Josiah: 437 Barton, Irmgard von: 207 Bassompierre, François de: 66, 116 Bastian, Corina: 73, 222, 261–276, 345, 486 Batailhe de Francès, Elisabeth: 165 (Madame Blondel) Bathurst, Henry, Earl of: 360 Battista, Giovanni: 41 Battista, Luca: 41 Bauffremont, Pierre de: 251 Baumgärtel, Bettina: 221 Bayard, Françoise: 44 Bazzoli, Maurizio: 8, 116, 494

Personenregister Beaumont, Charles de, Marquis de SaintEstienne: 74 Béchu, Claire: 336 Beck, Colette: 35 Beck, Hans-Georg: 306 Becker-Schmitt, Regina: 261 Bégaud, Stephane: 441 Béguin, Katia: 64 Behringer, Wolfgang: 32, 479 Behrisch, Lars: 154 Behrmann, Thomas: 344, 348 Beik, William: 6 Belgioioso, Lodovico Barbiano di: 37 Belin, Jean: 445 Bellini, Gentile: 298 Bellini, Giovanni: 298 Belissa, Marc: 117, 148, 403–426, 429, 441, 445–446, 499 Belon, Pierre: 299 Belting, Hans: 299 Bély, Lucien: 70, 134–135, 137, 139, 152, 155, 220–221, 239, 472 Bennassar, Bartolomé: 343 Bentham, Jeremy: 182 Benton, Lauren: 315 Benwick: 368 Benzoni, Gino: 26–27 Bepler, Jill: 229 Berchet, Guglielmo: 29 Bérélowitch, André: 324 Bérélowitch, Wladimir: 327 Bérenguier, Antoine: 308 Berg, Dieter: 495 Berkvens-Stevelinck, Christiane: 139–140 Berlioz, Louis Hector: 329 Berlize, Nicolas: 331 Bernis, Abbé de: siehe Pierres, FrançoisJoachim de, Abbé de Bernis Bernoulli, Daniel: 326 Berridge, Geoff R.: 208 Berryer, Nicolas-René: 452 Bertin, Henri-LéonardJean-Baptiste: 161

Bessler, Emanuel: 88 Bethencourt, Francisco: 32 Bhabha, Homi: 310 Biandrate, Carlotta: 58 Bielfeld, Jakob Friedrich, Freiherr von: 153–155, 157, 159, 165 Bilici, Faruk: 460 Bindoff, Stanley Thomas: 199 Biow, Douglas S.: 137, 145 Birke, Adolf M.: 6, 486 Birkensfeld-Bischweiler, Anna Magdalena von: 145 Biskup, Thomas: 239 Bismarck, Otto von: 192, 373, 378–386, 388–389 Bitossi, Carlo: 36, 40 Black, Jeremy: 404, 482 Blaga, Cornelius: 407–408 Blécourt, Jean-Denis, Marquis de: 266, 274 Blockmans, Wim P.: 32–33, 245 Blomert, Reinhard: 34 Blondel, Madame, siehe Batailhe de Francès, Elisabeth Bloomfield, John Arthur Douglas: 209–210 Bluntschli, Johann Kaspar: 79 Boccadamo, Giuliana: 298 Bock, Gisela: 226 Bodin, Jean: 79, 243, 271 Bodinier, Gilbert: 64 Bohlen, Avis: 330 Bois, Jean-Pierre: 404 Boislisle, Jean de: 84 Boli, John: 174 Boltanski, Ariane: 70 Bolzern, Rudolf: 87, 99 Bonaccorsi, Cornelia: 58 Bonakdarian, Mansour: 192 Bonard, William: 365 Bonaventura, Giovanni: 164 Bongars, Jacques: 140–141, 143–144, 495 Bonjour, Edgar: 97 Bono, Salvatore: 451 Boocock, John: 361

529

Personenregister Boogert, Maurits H. van den: 450 Borgal, Guillaume: 295, 312 Borromeo, Federico: 53 Bosbach, Franz: 482 Bots, Hans: 134, 139–140 Bott, Elizabeth: 67 Boubaker, Sadok: 298, 315 Bourbon (Haus): 63–65, 71 Bourbon, Armand de, Prince de Conti: 65 Bourbon, Louis II. de, Prince de Condé: 63–77, 247 Bourbon, Louis-François I., Prince de Conti: 281 Bourbon-Condé, AnneGeneviève de, Duchesse de Longueville: 239 Bourdieu, Pierre: 7 Bourgeois de Boynes, Pierre-Étienne: 453, 456 Bourgoing, Jean-François de: 416 Bournonville, Marie-Françoise de, Maréchale de Noailles: 264–266 Bousmar, Éric: 249 Bouteville, Louis: 170 Bouvier, Jean: 44 Bouwsma, William J.: 26–27, 29 Bracciolini, Poggio: 134 Brändle, Fabian: 107–108 Bragadin (Familie): 25 Bragança, Bárbara de: 225 Braubach, Max: 280, 282 Braudel, Fernand: 32, 36 Braun, Guido: 342 Braun, Hans: 82 Brecher, Frank W.: 440 Brechtken, Magnus: 207 Breuner, Maria Blanca: 236 Brewer, John: 159 Brian, Éric: 151, 159 Bright, John: 200 Brimah, Fatima: 365–370 Brissot, Jacques-Pierre: 410 Broadbelte, Dorothy: 224 Brogini, Anne: 313, 451 Brokes, Henrich: 353 Brookes, Elizabeth: 224

Brotton, Jerry: 298 Brown, Weldon A.: 427 Bruchet, Max: 255, 257–258 Brugière, AmableGuillaume-Prosper, Baron de Barante: 330 Bruguière, Michel: 169 Brûlart de Sillery, Louis Philogène, Marquis de Puisieulx: 278, 287 Bruley, Yves: 499 Brunelli, Giampiero: 16 Brunner, Otto: 343 Brusatti, Alois: 171 Bryant, Mark: 229, 265 Buchanan, Andrew: 200 Buchanan, George: 207, 209 Buchanan, Meriel: 209 Bucher, Beatrice: 99 Buckingham, Duke of: siehe Sheffield, John, Duke of Buckingham Buckle, George Earle: 382, 384 Budé, Guillaume: 144 Bülow, Bernhard von: 379 Bürgi, Markus: 177 Bues, Almut: 236–237 Bukovansky, Mlada: 429, 445 Bull, Hedley: 1 Bunck, Julie Marie: 394 Burger, Pierre-François: 138 Burke, Edmund: 409 Burkhardt, Johannes: 33, 471, 473, 481 Burlamacchi, Filippo: 44 Burlamaqui, Jean-Jacques: 405 Burnley, Joseph Hume: 205, 210 Burrows, Simon: 436 Burschel, Peter: 10, 306, 308 Busuev, Semen K.: 379 Buti, Gilbert: 32 Buzan, Barry: 133 Cadenas y Vicent, Vicente de: 40 Cadot, Michel: 328–330, 339 Cäsar, Gaius Julius: 341 Caetani, Bonifacio: 27

Caldwell, Lynton Keith: 180 Callières, François de: 8, 90, 114–115, 117–121, 123, 125–127, 129–131, 138–139, 152–155, 157, 159, 272, 494 Camerarius, Joachim (der Jüngere): 141 Campbell, Henry Dundas: 364–370 Campredon, Jacques de: 335 Canaye, Philippe: 116 Capponi, Luigi: 50 Carafa, Antonio: 114–115, 119, 122–124, 127 Carathéodory Pascha, Alexandre: 384–385, 388–390 Carlen, Georg: 108 Carlowitz, Christoph von: 496 Carrère d’Encausse, Hélène: 327 Carter, David: 178 Cartwright, Fairfax Leighton: 211 Casati, Alfonso: 87, 99 Casati, Girolamo: 87–88 Casement, Roger: 192 Castellar, Jean-Baptist Lascaris de: 51, 54, 68 Castiglione, Baldassare: 145 Castries, Marquis de: siehe La Croix, CharlesEugène-Gabriel de, Marquis de Castries Cattaneo (Familie): 43 Cauchies, Jean-Marie: 251–255, 258 Caumartin, Jacques Le Fèvre de: 95 Cavaciocchi, Simonetta: 32, 34 Ceadel, Martin: 181 Centurione (Familie): 19 Ceretelev, Aleksej: 387 Cermakian, Marianne: 263–264, 270 Chaline, Olivier: 494 Chalus, Elaine: 225, 227, 230, 242 Chambers, David: 27

530 Chambrier, Jean, Baron de: 278 Chamillart, Michel: 270 Champagny, Jean-Baptiste de Nompère de, Duc de Cadore: 170–171 Chanet, Jean-François: 475 Chao, Anne: 181 Chaplais, Pierre: 128 Chappe d’Auteroche, Jean: 327 Chappey, Jean-Luc: 152 Chaptal, Jean-Antoine: 170 Charles-Roux, François: 465 Chasseboeuf, Constantin François, Comte de Volney: 408, 462 Chateaubriand, FrançoisRené de: 338 Chauvelin, François-Claude de: 162, 167 Chauvigny, Gilbert de, Baron de Blot, Sieur de Saint-Agoulin: 74 Chenntouf, Tayeb: 460 Cheverny, Jean-Nicolas Dufort de: 155 Chigi, Fabio: 52–54 Chizy, Marcel Canat de: 246–247 Choiseul, Étienne-François de: 162, 167, 169 Christian IV., Herzog von PfalzZweibrücken: 289 Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth, Kurfürstin von Sachsen: 238 Christine, Königin von Schweden: 68, 238 Church, William F.: 142 Chvostov, Vladimir Michajlovič: 380 Ciasca, Raffaele: 23 Clarendon, Earl of: siehe Villiers, George William Frederick, Earl of Clarendon Claret, Charles-Pierre, Comte de Fleurieu: 459–460 Clarkson, Thomas: 361

Personenregister Claudel, Paul: 149 Clebbet, Godefroy: 251 Clemens VII., Papst: 41 Clemens VIII., Papst: 27, 123 Cobden, Richard: 181, 183 Coester, Christiane: 234, 239 Coggins, Richard: 393–394 Cohen, Raymond: 374 Colbert, Jean-Baptiste, Marquis de Torcy: 148, 266–269, 274, 308 Cole, Juan: 364 Coligny, Gaspard de: 224 Collins, Samuel: 327 Combes, François: 261, 263 Concina, Ennio: 297, 299 Condé, Henri-Jules de, Duc d’Enghien: 68, 71–72, 77 Condé (Prince de): siehe Bourbon, Louis II. de, Prince de Condé Conrad, Sebastian: 5, 197 Conrads, Norbert: 489 Constable, Olivia R.: 297 Contarini, Nicolò: 28 Conti, Prince de: siehe Bourbon, Armand de, Prince de Conti, und Bourbon, Louis-François I., Prince de Conti Conwentz, Hugo: 180 Conze, Eckart: 214, 375 Cools, Hans: 490 Cooper, Sandi E.: 181 Copley, Robert: 370 Cordes, Albrecht: 342 Cornaro (Familie): 25 Cornelisz, Pieter: 496 Corry, Montagu: 373 Corso, Sampiero: 305 Cosandey, Fanny: 219 Costa, Pietro Francesco: 20 Costaguti (Familie): 20 Costaguti, Giovanni Battista: 20 Costantini, Claudio: 36, 44 Cotgrave, Randle: 118, 128 Cottin, Paul: 436 Couchman, Jane: 224 Coy, Pieter Martens: 303

Cozzi, Gaetano: 26, 28–30 Cromwell, Oliver: 43, 74 Croker, John Wilson: 468 Crowe, Eyre: 213 Croxton, Derek: 393 Croÿ, Emmanuel, Duc de: 286, 435–436 Crozier, Michel: 151 Cuoq, Joseph: 455 Cuper, Gisbert: 139 Curban, Gaspar de Réal de: 453–454 Custine, Adolphe de: 329, 340 Czempiel, Ernst-Otto: 2 Czernin, Ursula: 255 Dabringhaus, Sabine: 467 Dade, Eva Kathrin: 73, 114, 124, 229, 277–292, 345, 471, 486 Dakhlia, Jocelyn: 451 Daley, Caroline: 180 Danvila y Collado, Manuel: 315 Darcy, Robert, Earl of Holdernesse: 287 Darjes, Joachim: 154 Darwin, Charles: 386 Davidoff, Leonore: 219 Davis, Natalie Zemon: 9, 219, 484, 487 Davis, Robert C.: 451 Davy du Perron, Jacques: 28, 116 Daybell, James: 220, 230–232, 242 Deane, Silas: 432–437 Debae, Marguerite: 257 Defoe, Daniel: 309 Defrens, Gabriel: 304 Delacroix, Jean-François: 461 Delatour, Jerôme: 142–143 Delbrüggen, Walther: 351–352 Delespine de Chateauneuf, Pierre-Bazile-François: 460 Delfino, Giovanni: 27 Delisle, Joseph-Nicolas: 326 Delmas, Corinne: 159

531

Personenregister Démeunier, Jean-Nicolas: 118 Demps, Laurenz: 208 Denon, Dominique-Vivant: 114–115, 119–120, 124–125 Denton, Nathaniel: 370–371 Derby, Earl of: siehe Stanley, Edward Henry, Earl of Derby Deschisaux, Pierre: 326 Desmaiseaux, Pierre: 147 Devoize, Jacques-Philippe: 454, 461–463, 465–466, 468–469 Dickmann, Elisabeth: 180 Dickmann, Fritz: 138, 397 Diderot, Denis: 149, 338 Dietrichstein, Maria Sophie von: siehe Pötting, Maria Sophie von (geb. Dietrichstein) Dietrichstein, Maximilian von: 236 Dikowitsch, Hermann: 237 Dinges, Martin: 262 Dionigi di Piacenza: 295, 313 Disraeli, Benjamin, Earl of Beaconsfield: 373, 382–385, 389 Dölemeyer, Barbara: 177 Dolfin (Familie): 25 Dolfin, Giovanni: 26 Dolgorukij, Jurij: 335 Dollinger, Philippe: 342, 344 Domann, Johann: 350 Domínguez Ortiz, Antonio: 342–343, 355 Donà, Leonardo: 26–28 Doria (Familie): 19, 42 Doria, Andrea: 37–40 Doria, Bartolomeo: 43 Doria, Giorgio: 36, 43–44 Dorigny, Marcel: 179 Dorothea, Herzogin von Preußen: 230 Dostoevskij, Fedor: 386 Douglas, Mackenzie: 323, 336

Doyle, Arthur Conan: 192 Drescher, Seymour: 179 Dreyfus, Françoise: 152 Droste, Heiko: 6–8, 138, 231, 485, 496 Drummond, Victor: 200 Druwe, Ulrich: 471 Dubois, Guillaume: 335 Du Bourg, Claude: 299 Ducher, G. J. A.: 413, 464 Duchhardt, Heinz: 3, 138, 147–148, 342, 393–401, 473–475, 482, 488, 491, 501 Dülffer, Jost: 181, 378–379 Duffo, François: 120–121, 124 Dufort de Cheverny, JeanNicolas: 155 Duhamel, Pierre: 63 Dull, Jonathan R.: 433 Du Luc, Charles-François de Vintimille: 99 Dumaine, Alfred: 211 Dumont, Jean: 435 Dumouriez, Charles-François: 412 Dunant, Henri: 181 Du Plessis, Armand-Jean, Duc et cardinal de Richelieu: 64, 134, 138, 142, 395, 419 Dupré-Theseider, Eugenio: 128 Dupuy, Jacques: 142–143 Dupuy, Pierre: 142–143 Durand de Distroff, François-Michel: 337 Dursteler, Eric R.: 296, 307 Dusson, Jean-Louis, Marquis de Bonnac: 98 Duverney, Pâris: 288 Duvernoy, Johann Georg: 326 Egerton, Edward: 210 Ebel, Wilhelm: 343 Echevarría Bacigalupe, Miguel Ángel: 346 Eckert, Andreas: 197 Edelmayer, Friedrich: 34 Eduard IV., König von England: 251–252, 257

Eduard VII., Prince of Wales: 209 Eduard von Pfalz-Simmern: 71 Egger, Franz: 483 Egmond, Florike: 32 Ehrenberg, Richard: 34, 41 Eichberger, Dagmar: 254, 257 Elisabeth I., Königin von England: 43, 224, 302, 498 Elisabeth I. (Elizaveta Petrovna), Zarin von Russland: 322, 335–336 Elisabeth Christine von Spanien: 238 Elisabeth Christine von Preußen und Hohenzollern, Königin von Preußen: 239 Elliott, John Huxtable: 3, 342–343, 491 Emich, Birgit: 6–7, 231 Engels, Jens Ivo: 483, 500 Engels, Marie-Christine: 304 Epstein, Steven A.: 35 Erasmus von Rotterdam: 140 Erbe, Michael: 447, 500–502 Erik XIV., König von Schweden: 224 Erlanger, Philipp: 239 Eschassériaux, Joseph: 405, 418–425 Esparron, Antoine d’: 456–457 Este, Anna d’: 234 Estrades, Godefroi d’, Comte d’: 116 Estrades, Charlotte d’: 281 Étampes-Valençay, Henry d’: 51 Evans, Arthur J.: 376 Exmouth, Edward, Lord: 468 Externbrink, Sven: 133–149, 220, 280, 496 Eysinga, Willem J.M. von: 176

532 Fabri, Friedrich: 192 Falcke, Jeanette: 492 Fanthorpe, Richard: 366 Farnese, Alessandro: 43, 348 Farnese, Elisabetta: 225 Faure, Guy-Olivier: 113 Febvre, Lucien: 1 Félice, Fortuné-Barthélémy de: 117 Feller, Richard: 100 Felloni, Giuseppe: 36 Ferdinand II., Kaiser: 236–237 Ferdinand III., Kaiser: 68 Ferdinand IV., römischdeutscher König: 237 Ferdinand V., König von Spanien: 255 Ferron, Auguste Pierre Marie, Comte de La Ferronnays: 338–339 Field, James A.: 448 Figueroa, Gómez Suarez de: 41 Fillastre, Guillaume: 251 Findlay, Alexander: 357–358, 364–366, 368–370 Findley, Carter Vaughn: 450 Fink, Georg: 349, 351 Firmian, Karl, Graf von: 158 Fisch, Jörg: 458 Fischer, Markus: 2 Fischer-Tiné, Harald: 179 Fisher, Godfrey: 454 Fitz-James, Jacques, Maréchal de Berwick: 270 Fitzjames-Stuart y Colón, Diego Francisco Duarte, Duque de Liria y Jérica: 326 Flassan, Raxis de: 129 Fletcher, Ian Christopher: 180 Fletcher, Jennifer: 27 Fleurieu, Comte de: siehe Claret, Charles-Pierre, Comte de Fleurieu Fleury, André-Hercule de: 322 Fößel, Amalie: 219, 232

Personenregister Fontenay, Michel: 299, 306, 454 Fontenelle, Bernard le Bovier de: 328 Forbes, Francis Reginald: 200 Forbin-Janson, Toussaint de: 114, 120–121, 124–125 Forbonnais, François Véron de: 161, 165–168 Formey, Samuel: 140 Fortia de Piles, Alphonse: 327 Fosi, Irene: 53 Fowler, Michael Ross: 394 Franciotti, Marc’Antonio: 50 Franklin, Benjamin: 430–437 Franz I., König von Frankreich: 36, 41, 66, 419 Frederickson, George: 363 Frei, Daniel: 97 Frei, Lorenz: 106 Freist, Dagmar: 4 Freitag Sabine: 207 Freitag, Ulrike: 197 Fréron, Louis-MarieStanislas: 411 Frey, Linda: 372, 429, 439, 445, 464, 499 Frey, Marsha: 372, 429, 439, 445, 464, 499 Fried, Alfred H.: 176, 196 Friedberg, Erhard: 151 Friedemann, Peter: 182–183 Friedrich II. (der Große), König von Preußen: 147, 277–279, 291 Friedrich II., König von Dänemark und Norwegen: 223, 233 Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz: 141 Friedrich Wilhelm I. von Bandenburg: 144, 222 Friedrich, Zacharias: 353 Frigo, Daniela: 134–136, 140, 474 Frindte, Julia: 243 Fritsch, Thomas von: 156 Frost, Robert: 222–223, 225

Fubini, Riccardo: 128, 136, 474 Fuchs, Eckhart: 178 Fuentes, Conde de: 28 Füssel, Marian: 481 Fugger (Familie): 43 Fugier, André: 404 Fuller, W. Harold: 178 Fumaroli, Marc: 134 Furet, François: 425 Furetière, Antoine: 116 Fusaro, Maria: 301 Fyfe, Christopher: 365 Gagarin, Ivan Sergeevič: 339 Galitzine, Emmanuel: 321, 332 Gall, Lothar: 207, 378–379 Gallagher, John: 477 Gallati, Frieda: 98 Garber, Klaus: 141–143 García Arenal, Mercedes: 303–304, 309 Garibaldi, Giuseppe: 386 Gaselee, Stephen: 374 Gattinara, Mercurino Arborio di: 255 Gaudin, Martin-Charles, Duc de Gaëte: 169–170 Gaulmier, Jean: 462 Gay, Laurent: 469 Geertz, Clifford: 9 Geiss, Imanuel: 376–379 Gembicki, Dieter: 500 Gentile (Familie): 19 Gentz, Friedrich von: 405 Geppert, Dominik: 213 Gérard, Conrad-Alexandre: 434, 437–439 Gerlach, Stephan: 308 Germain-Martin, Henry: 44 Germann, Uta: 499 Germigny, Jacques de: 300–301 Gern, Philippe: 98 Gessi, Berlingerio: 21 Geyer, Dietrich: 387 Geyer, Martin H.: 151, 176, 186 Gheradesca, Lucrezia della: 47 Gheradesca, Ugo della: 47

533

Personenregister Ghisbrechti, Giacomo: 303 Giannini, Massimo Carlo:17 Gienow-Hecht, Jessica: 375 Giers, Nikolai Karlowitsch de: 386 Gilbert, Felix: 441 Gilbert, Martin: 212 Gili, Patrice: 136 Gillispie, Charles Coulston: 159, 465 Giry-Deloison, Charles: 128 Gißibl, Bernhard: 180 Giustiniani (Familie): 19, 25 Giustiniani, Benedetto: 20–24 Gladstone, William: 387–388 Glenelg, Charles Grant: 365, 367 Glover, Thomas: 302 Godefroy, Theodore: 138, 142 Godineau, Dominique: 235 Godoy, Manuel de: 461 Görres, Joseph: 396 Goffman, Daniel: 296, 308–309, 311–312, 315 Goffman, Erving: 113 Golicyn, Vasilij Vasil’ewič: 332–333 Golovkin, Gavril: 333 Golvin, Jean-Claude: 465 Gómez-Centurión, Carlos: 347 Gondi (Familie): 44 Gonzaga (Familie): 69, 135 Gonzaga, Anne de: 70–71 Gonzaga, Charles I. de, Duc de Nevers: 70 Gonzaga, Eleonora (die Ältere): 236–237 Gonzaga, Eleonora (die Jüngere): 237–238 Gonzaga, Lodovico: 70 Gonzaga, Louise-Marie, Königin von Polen: 68, 70–73, 221–222 Gonzaga, Vincenzo, Herzog von Mantua: 489 Gonzaga-Nevers, Anna (Anna von der Pfalz): 221

Gooch, George P.: 203 Gordon, George John Robert: 206, 211 Gorter-van Royen, Letitia: 253 Gorčakov, Alexander Michailowitsch: 373, 378–384, 389–390 Goubina, Maya: 328 Gourdin, Philippe: 296, 311 Gouwens, Kenneth: 41 Gouzevitch, Dmitri: 322 Gouzevitch, Irina: 322 Gräf, Holger Thomas: 242, 472, 476, 488–489, 496 Grävenitz, Christina Wilhelmina von: 9, 220 Graf, John Ulrich: 357 Grafton, Anthony: 134 Gramont, Antoine Charles, Comte de Guiche, Duc de: 261 Grandchamp, Pierre: 306 Granovetter, Mark S.: 167 Granvelle, Nicolas Perrenot de: 255 Granville, Earl of: siehe Leveson-Gower, George, Earl of Granville Grantrie de Grandchamp, Guillaume de: 300 Gravier, Charles, Comte de Vergennes: 115, 121, 124, 437–439, 453 Graziani, Antoine-Marie: 305 Greene, Jack P.: 429 Greene, Molly: 301 Greif, Avner: 34 Grell, Chantal: 148 Grendi, Edoardo: 34–35, 40 Grewe, Wilhelm G.: 445 Grey, Edward: 202, 209 Greyerz, Hans von: 79 Griesebner, Andrea: 261 Grimaldi (Familie): 19, 41, 43 Grimaldi, Ansaldo: 41–42 Grimaldi, Girolamo: 41 Grimani (Familie): 25 Grimm, Friedrich Melchior: 337

Grochowina, Nicole: 225–226 Gröbli, Fredy: 99 Groebner, Valentin: 86 Gronovius, Johann Friedrich: 142 Groot, Alexander H.: 303 Gross, Leo: 394, 397, 401 Grotius, Hugo: 142–143, 316, 405 Grouchy, Emmanuel-Henry de: 436 Gruber, Ira D.: 427 Gründer, Horst: 192 Grünenfelder, Josef: 108 Grüning, Irene: 378 Guébriant, Renée de: 221 Guillerme, André: 162 Guise (Familie): 419 Gundermann, Iselin: 230 Guyot, Raymond: 416 Haas, Leonhard: 98 Habsburg (Haus): 38, 40–41, 64, 123 Haefs, Wilhelm: 243 Haga, Cornelis: 303–304 Hahlbohm, Dörte: 471 Hahn, Roger: 159 Hain, Veronika: 271 Hall, Rodney Bruce: 2 Haller, Albrecht von: 108 Haltern, Utz: 188 Hammel-Kiesow, Rolf: 342 Hammond, Edmund: 201, 209 ammūda, Bey von Tunis: 455–456, 460, 465–466 Haran, Alexandre Y.: 482 Harborne, William: 301–302, 304 Harcourt, Henry d’: 266 Harrach, Ernst Adalbert von: 74–75 Harrach, Ferdinand Bonaventura von: 158, 240 Harrach, Johanna Theresia von: 240 Harris, Barbara: 219, 230–232, 234, 236, 241–242 Harris, James Howard, Earl of Malmesbury: 203

534 Harsdörffer, Georg Philipp: 290 Hartmann, Anja Victorine: 227 Hartmann, Jürgen: 374 Harvouin, Joseph François: 162–165, 168 Hastings Russell, Francis Charles, Duke of Bedford: 213 Haupt, Georges: 177 Hausen, Karin: 486 Hausenstein, Wilhelm: 149 Hauser, Oswald: 206 Hauser-Kündig, Margrit: 97 Hazard, Paul: 146 Headrick, Daniel R.: 190–191 Heanage, Charles: 199 Heath, Roy E.: 387 Hébert, Jacques-René: 411 Heers, Jacques: 36 Hegner, Benedikt: 87 Heindl, Waltraud: 152 Heinrich III., König von Frankreich: 71, 320 Heinrich IV., König von Frankreich: 28, 66, 114, 123, 140–141, 224, 423, 491 Heinrich VIII., König von England: 254 Heinsius, Daniel: 143–144 Held, David: 173 Held, Wieland: 496 Hendrickson, David C.: 438 Hengerer, Mark: 231 Hennet, Louis-FarnèsePlaton: 169–170 Hennin, Pierre Michel: 418 Henninger, Laurent: 64 Hennock, Peter E.: 203 Henri-Robert, Jacques: 415 Henshall, Nicholas: 3, 473 Herberstein, Sigismond von: 325 Herbert, Claude-Jacques: 161 Herold, Hans-Jörg: 344 Herren, Madeleine: 177, 186–188 Herrero Sánchez, Manuel: 346

Personenregister Herzen, Alexander Iwanowitsch: 329 Hettling, Manfred: 194–195, 205 Hevia, James: 364, 467 Hierdeis, Irmgard: 272 Hildebrand, Klaus: 378 Hill, Stephen: 361 Hillgruber, Andreas: 378 Hirst, Paul: 173 Hobart, Lord: 183 Hobbes, Thomas: 140 Hobsbawm, Eric: 417 Hochedlinger, Michael: 301 Höfert, Almut: 299 Hölscher, Lucian: 182–183 Hoensch, Jörg K.: 72 Hörsch, Markus: 257 Höynck, Paul Otto: 138 Hoffmann, Stefan-Ludwig: 196 Hofkirchen, Susanna Elisabeth: 236 Hohkamp, Michaela: 276 Holdernesse, Earl of: siehe Darcy, Robert, Earl of Holdernesse Holenstein, André: 95 Holton, Robert John: 193 Holzhalb, Beat: 85 Homans, George Caspar: 67 Honegger, Claudia: 486 Hoppe, Peter: 82, 98 Horn, David B.: 147 Horsman, Reginald: 445, 499 Hotman, Jean, Marquis de Villers: 137, 139, 142, 145 Howard, Allen M.: 362, 365 Howard, Henry: 200, 208, 210–211 Howe, William: 427, 430–433 Hrabar, Vladimir E.: 136 Huber, Valeska: 178 Hüls, Elisabeth: 196 Hufschmidt, Anke: 236 Hufton, Olwen: 226 Hughes, Lindsey: 322, 333 Hughes, Michael: 215 Hugill, Peter J.: 190 Hugo, Victor: 329, 339, 386

Hugon, Alain: 498 Hurtado de Mendoza, Diego: 137, 145 Husayn, Dey von Algier: 468 Hyde, Henry: 308–309 Hyman, Richard: 177 Ignat’ev, Nikolaj Pavlovič: 376 Immenhauser, Beat: 83 Innozenz X., Papst: 49, 54 Ippolito, Antonio Menniti: 25 Iriye, Akira: 173, 185–186, 194, 375 Irwin, Ray: 448 Isabella von Portugal: 248–251, 256–259 Isenmann, Moritz: 471 Israel, Jonathan I.: 146 Ivan IV., Zar von Russland: 320 Jacob, Margaret: 146 Jacobe von Jülich-CleveBerg: 228, 231 Jačov, Milos: 301, 306 Jan Kazimierz Wasa ( Johann Kasimir), König von Polen: 71–72, 222, 225 Jansen, Sharon L.: 273 Jardine, Lisa: 298–299 Jars, Gabriel: 164 Jay, John: 440 Jeanbon Saint-André, André: 464 Jeannin, Pierre: 347 Jefferson, Thomas: 407, 432, 441, 445 Jelavich, Barbara: 376–377 Jeremie, John: 371 Johann I., König von Portugal: 249 Johann II., König von Frankreich: 245 Johann III. von Bergen: 255–255 Johann Ohnefurcht, Herzog von Burgund: 246, 248 Johann Wilhelm von JülichCleve-Berg: 228–229

535

Personenregister Johanna I. (die Wahnsinnige), Königin von Kastilien: 253 Johannes von Österreich: 43 Jones, Raymond A.: 199–201 Joukovskaïa-Lecerf, Anna: 333 Jouhaud, Christian: 63 Jourdan, Elena: 324, 329 Joyeuse, François de: 28 Jubé, Jacques: 326–327 Jucker, Michael: 89 Julius II., Papst: 481 Jurien de La Gravière, Pierre-Roch: 469 Jusserand, Jules: 116 Justi, Johann Heinrich Gottlob von: 166 Juzefovitch, Léonid A.: 331 Kälin, Urs: 83, 98 Kätzel, Ute: 181 Kafadar, Cemal: 297 Kamen, Henry: 264 Kaiser, Karl: 2 Kaiser, Wolfgang: 31–32, 295–317, 451 Kaiser, Wolfram: 187–188, 442 Kalmykow, Alexandra: 321 Kamp, Hermann: 245 Kampmann, Christoph: 482 Kant, Immanuel: 426 Kantemir, Antioch Dmitrijewitsch: 322 Kaplan, Lawrence S.: 445 Kaplan, Marion A.: 179 Kappeler, Andreas: 320 Karamzin, Nikolaj: 329 Karl I. (der Kühne), Herzog von Burgund: 245, 251–252, 258 Karl I., König von England: 231, 486 Karl II., Erzherzog von Innerösterreich: 224 Karl II., König von Spanien: 263, 351–353 Karl III., König von Navarra: 248 Karl V., Kaiser: 36–40, 253–255

Karl V., König von Frankreich: 246 Karl VI., Kaiser und Erzherzog von Österreich: 258–259 Karl VI., König von Frankreich: 246–247 Karl IX., König von Frankreich: 70 Karl Ludwig von der Pfalz: 145 Karpat, Kemal H.: 389 Karsten, Arne: 45–61, 492, 501 Kasaba, Resat: 450 Kasimir, Johann: 71–72 Kastner-Michalitschke, Else: 238 Katharina I., Zarin von Russland: 322 Katharina II. (die Große), Zarin von Russland: 323, 337–338 Kaufold, Claudia: 490 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton von: 154–155, 165–168, 278, 280–289, 291 Keblusek, Marika: 490 Keese, Alexander: 31, 357–372 Keith, James Francis Edward: 278–279, 291 Kellenbenz, Hermann: 36, 41, 347, 351 Keller, Katrin: 73, 219–244, 345, 486 Keller, Rolf E.: 109 Kennan, George F.: 377 Kennedy, Paul M.: 203, 404 Keohane, Robert O.: 2, 184–185 Keppel, William Anne, Earl of Albemarle: 287 Kessel’brenner, Gavril L.: 332 Kessler, Harry Graf: 149 Kestner, Ernst: 347 Kettering, Sharon: 6, 83, 231, 236, 243 Keyzer, Wijnant de: 303, 305 Khalilieh, Hassan S.: 316

Khevenhüller, Franz Christoph von: 349 Khuen von Belasy, Matthias: 236–237 Kiesewetter, Ludwig: 182 Kintzinger, Martin: 219, 241 Kirchberger, Ulrike: 192 Kirk, Thomas Allison: 37 Kitzler, Jan-Christoph: 7, 19, 39, 476 Kleinschmidt, Harald: 501 Klinglin, Marie-Ursule de, Comtesse de Lutzelbourg: 288 Knoll, Gerhard: 279 Knyphausen, Dodo Heinrich, Baron von: 279 Koch, Elisabeth: 226 Koch, Ignaz von: 280–281 Koch-Baumgarten, Sigrid: 177 Kocka, Jürgen: 194 Köchli, Ulrich: 49 Köhler, Johann David: 237 Köhler, Matthias: 427–443, 499 Koenigsberger, Helmut G.: 253–254 Körner, Martin: 83, 96–97 Kohler, Alfred: 480 Kohlndorfer-Fries, Ruth: 140–141, 495 Koloch, Sabine: 237 Konetzke, Richard: 354–355 Koschorke, Klaus: 178 Koselleck, Reinhart: 403, 503 Kraffts, Hans Ulrich: 307 Krajewski, Markus: 196 Kratochwil, Friedrich V.: 2 Kraus, Hans-Christof: 11 Kreis, Georg: 79, 96 Kren, Thomas: 257 Kreslins, Janis: 348 Kretschmayr, Heinrich: 26 Kriegel, Blandine: 148 Krieger, Martin: 5, 476 Krischer, André: 34, 343, 352, 427, 435 Kröger, Martin: 379 Krüger, Peter: 133 Krug, Günther E.: 440

536 Kruse, Holger: 251 Kühne, Thomas: 225, 244 Kühner, Christian: 63–77, 483 Kugeler, Heidrun: 8, 116, 489, 494 Kunisch, Johannes: 471 Kurakin, Aleksandr: 326 Kurakin, Boris Ivanovič: 334–335 Kuyucu Murad Pascha, Großwesir des Osmanischen Reiches: 302 La Barde, Jean de: 102, 105 La Barre, Poullain de: 272 La Baume, Guillaume de: 252 Laboulais, Isabelle: 170 La Chétardie, Jacques Joachim Trotti, Marquis de: 114, 120, 122, 125, 322–323, 335–336 La Croix, Charles-EugèneGabriel de, Marquis de Castries: 456–457 La Ferronnays, Comte de: siehe Ferron, AugustePierre-Marie, Comte de La Ferronnays La Fontane, Henri: 183–185 La Forest, Jean de: 299–300 Lake, Marilyn: 192 Lallement, Jean-Baptiste: 464 Lamartine, Alphonse de: 339 Lamprecht, Karl: 397 Lamzdorf, Vladimir Nikolaevič: 378–379 Lancaster, Philippa von, Königin von Portugal: 249 Landwehr, Achim: 4 Lanes, Frederic C.: 302 La Neuville, Foy de: 325, 333 Langer, William L.: 376 Langewiesche, Dieter: 207 Languet, Hubert: 476 Lanzinner, Maximilian: 34, 233 Lappenküper, Ulrich: 375

Personenregister Lapradelle, Albert de: 428, 458 Las Casas, Bartolomé de: 423 Lascelles, Frank: 202 Lascoumes, Pierre: 160 Lasswell, Harold Dwight: 479 La Tour d’Auvergne, Henri de, Vicomte de Turenne: 65, 224 La Trémoille, Claude de: 224 La Trémoille, Marie-Anne de, Princesse des Ursins: 221, 225, 261–276 Lau, Thomas: 84 Laurens, Henry: 439, 462, 465 La Ville, Pierre de: 324–325 Layard, Austen Henry: 389 Lebeau, Christine: 31, 151–173 Le Boëdec, Gérard: 305 Le Bret, Cardin: 142 Lebrun-Tondu, PierreHenri-Hélène-Marie: 461 Le Cour Grandmaison, Olivier: 364 Lee, Arthur: 432–437 Lee, Richard Henry: 434–435 Lefebvre, Pierre: 74 Le Flô, Adolphe-Charles: 381 Le Galès, Patrick: 160 Lehmkuhl, Ursula: 375 Leibetseder, Mathis: 489 Leibniz, Gottfried Wilhelm: 138, 144, 146 Leimon, Mitchell: 498 Lemaire, Claudine: 252 Le Moyne d’Iberville, Pierre: 334 Lenderova, Milena: 280 Lenet, Pierre: 75 Leo XI., Papst: 27, 47 León Sanz, Virginia: 264 Leopold I., Kaiser: 68, 124 Leopold V., Erzherzog von Österreich: 87–88 Le Play, Pierre-GuillaumeFréderic: 329

Lepsius, Johannes: 378 Lerma, Duque de: siehe Sandoval y Rojas, Francisco Gómez, Duque de Lerma Le Rond d’Alembert, JeanBaptiste: 162, 338 Lesemann, Silke: 242 Lesseps, Barthélémy de: 327 Lesur, Charles-Louis: 324 Leti, Gregorio: 145 Le Tonnelier, LouisAuguste, Baron de Breteuil: 337 Levasseur de Beauplan, Guillaume: 325 Levene, Mark: 191 Lever, Évelyne: 277, 287 Leveson-Gower, George, Earl of Granville: 210 Levi, Giovanni: 9 Levin, Michael J.: 137, 145, 481, 488 Levine, Philippa: 180 L’Hôpital, Paul-François de Gallucci, Marquis de: 337 Libert, Louise-Marie: 228 Liddington, Jill: 180 Liechtenhan, FrancineDominique: 323, 325, 328, 335–336 Lieven, Dorothea von: 339–340 Likhatchev, Dimitri S.: 321, 332 Lilienthal, Andrea: 229– 230, 232, 234, 243 Lingelsheim, Georg Michael: 141 Link, Werner: 184 Lionnes, Hugues de: 75 Lippert, Woldemar: 285 Lipsius, Justus: 271 Liria y Jérica, Duque de: siehe Fitzjames-Stuart y Colón, Diego Francisco Duarte, Duque de Liria y Jérica Liselotte von der Pfalz: 71 Little, Richard: 133 Livet, Georges: 438 Livingston, Robert: 407, 431

537

Personenregister Lo Basso, Luca: 37, 42 Lobjoy, François: 412 Lobkowitz, Ferdinand Philipp von: 286–287 Loewe, Victor: 143 Loftus, Lord Augustus William Frederick Spencer: 200 Loménie de Brienne, Étienne-Charles de: 155 Londes, Rawlins: 439 Longley, John: 365 Longueville, Duc de: siehe Orléans, Henri II. d’, Duc de Longueville Longueville, Duchesse de: siehe Bourbon-Condé, Anne-Geneviève de, Duchesse de Longueville Lopatnikov, Viktor: 379–380 Lopez, Claude-Anne: 437 Lorenz, Stefan: 143 Lortholary, AlbertBertrand: 328, 338–339 Loth, Wilfried: 11, 375 Louis de Bourbon, Dauphin de Viennois: 263 Louis, Roger: 192 Louise von Frankreich, Regentin von Frankreich: 221 Louise von Oranien: 224, 241 Louise Marie von Polen, Königin von Polen: 222, 225 Louville, Marquis de, siehe Allonville, Charles Auguste d’, Marquis de Louville Lovico, Antoine: 308 Lowe, John: 377 Luard, Evan: 474 Lubomirski, Stanislaw: 72 Ludwig II., Duc de Noirmoutier: 264 Ludwig II., König von Bayern: 200, 206 Ludwig II., Graf von Flandern: 245–246, 248 Ludwig II., Herzog von Brieg: 248

Ludwig III., König von Bayern: 207 Ludwig XIII., König von Frankreich: 45, 64–65, 91 Ludwig XIV., König von Frankreich: 8, 65–66, 68, 71–72, 77, 84, 99, 114, 119, 124, 144, 148, 153, 261-271, 273, 275, 290, 332, 472-475, 481, 494 Ludwig XV., König von Frankreich: 114,155, 167, 275, 277–292, 322–323, 335–336, 486 Ludwig XVI., König von Frankreich: 114, 155, 323, 409-411, 435-436 Lüthy, Herbert: 97 Luhmann, Niklas: 442 Luise von Anhalt–Dessau: 243 Luise von Savoyen: 254 Luise Dorothea von Sachsen-Gotha, Herzogin von SachsenGotha-Altenburg: 230 Lutter, Christina: 33–34, 128, 261 Lutz, Georg: 53 Lutzelbourg, Comtesse de: siehe Klinglin, MarieUrsule de, Comtesse de Lutzelbourg Lynch, John: 264, 268 Lyons, Francis Stewart Leland: 175, 178, 183–184, 187–188 Lyons, Gene M.: 394 Mably, Gabriel Bonnot de: 117, 148, 405, 408 Macartney, George: 364, 467 MacCarthy, Charles: 366, 371 Mačekin, Konstantin: 331 MacGahan, Janarius Avenarius: 386–388 Machault d’Arnouville, Jean-Baptiste de: 282 Machiavelli, Niccolò: 90, 122, 127–128, 131

MacKenzie, David: 376 Mack, Rosamond E.: 299 MacLean, Gerald: 298 Maclear, J. F.: 178 Maddalena, Aldo De: 36 Märtel, Claudia: 250 Magne, Emile: 71 Mahmūd, Bey von Tunis: 468–470 Maier, Charles S.: 193 Maintenon, Françoise d’Aubigné, Madame de: 221, 229, 242, 265, 270–271, 273–274, 276 Maissen, Thomas: 429, 439, 441, 483 Maistre, Joseph de: 329 Malaspina, Ottavia: 58 Malatesta, Sigismondo Pandolfo: 298 Malet, Edward Baldwin: 206, 209 Malmesbury, Earl of: siehe Harris, James Howard, Earl of Malmesbury Mambolo, Bai Sherbro von: 366 Mansfeld, Sophie Agnes von: 236 Mantica, Francesco: 27, 29 Marat, Jean-Paul: 410–411 Marescotti, Carlo: 51 Margarete von BayernHennegau: 248, 256–259 Margarete von Flandern, Herzogin von Burgund: 245–248, 256–259 Margarete von Österreich, Erzherzogin von Österreich und Herzogin von Savoyen: 221, 253–259 Margeret, Jacques: 324–325 Maria, Königin von Ungarn und Böhmen: 253 Maria von Burgund, Herzogin von Burgund: 252–253, 256–259 Maria von Spanien, Kaiserin: 233–234 Maria Anna von Bayern: 263 Maria Anna von Österreich, Königin von Spanien: 239–240

538 Maria Antonia, Kurfürstin von Sachsen: 284–285 Maria Carolina von Neapel: 125 Maria-Luisa von Savoyen, Königin von Spanien: 264–269 Maria Stuart, Königin von Schottland: 221 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich: 147, 168, 221, 280, 284–285, 290 Marigny, James Carpentier de: 74 Marini (Familie): 19 Markel, Erich H.: 138, 495 Markiewicz, Mariusz: 222 Marks, Frederick W.: 441 Marmier, Xavier: 329 Marquart, Marie-Françoise: 270 Marselaer, Fridericus de: 128 Marsilio, Claudio: 42 Marsin, Ferdinand de: 266 Martens, Charles de: 117, 129 Martens, Georg Friedrich: 407 Martín Corrales, Eloy: 314 Marx, Eleonora: 386 Mas Latrie, Jacques-MarieJoseph-Louis: 296 Masson, Frédéric: 410, 416 Masson, Paul: 311 Mastanduno, Michael: 394 Matar, Nabil: 309 Mattingly, Garrett: 116, 134–135, 474 Matveev, Artamon Sergeevič: 332, 334 Maughan, Steven S.: 195 Maulde-la-Clavière, RenéAlphonse-Marie: 90 Maury, Jean-Sifrein: 409 Max Heinrich, Kurfürst von Köln: 76 Maximilian I., Herzog von Burgund, römischdeutscher König, Kaiser: 252–255, 258 Maximilian II., Kaiser: 233–234, 496

Personenregister Maxwell, Herbert: 205 Mazarin, Jules: 64–65, 71, 73, 75–76, 419 Maziane, Leïla: 296 Mazzei, Rita: 44 McCarthy, Mary: 364 McCormack, John: 371 McCormick, John: 180 McGowan, Winston: 362 McKay, Derek: 404 McMillan, Alistair: 394 Mears, Natalie: 224 Medici (Familie): 47, 91, 123, 135 Medici, Caterina de’: 300, 419 Medici, Cosimo III. de’: 115 , 120 Medici, Costanza de’: 47 Medici, Ferdinand de’: 164 Medici, Maria de’: 221 Medlicott, William Newton: 376 Mehmed Ali Pascha: 385 Mehmet II., Sultan des Osmanischen Reiches: 298 Meier, Charles: 193 Meier, Harri: 347, 349, 384 Melanchthon, Philipp: 476 Mele, Eugenio: 137 Melito, Comte de: siehe Miot, André-François, Comte de Melito Ménager, Daniel: 116 Menon, Manikath A.K.: 176 Mentlen, Philipp von: 92 Mercy-Argenteau, Florimond Claude, Graf von: 165 Mergel, Thomas: 4 Merkel, Kerstin: 243 Mersenne, Marin: 140, 142 Mervaud, Christiane: 328, 338 Mervaud, Michel: 325–326, 328, 338 Mesmes, Claude de, Comte d’Avaux: 116 Messmer, Kurt: 82, 98 Mettam, Roger: 486

Metternich, Klemens Wenzel Lothar, Graf von: 172, 380, 382 Metzler, Guido: 7, 15–16, 476 Michajlovitčs, Aleksej: 331 Michel, Hans: 99 Michelet, Jules: 339 Mickiewicz, Adam: 329, 339 Midgley, Clare: 195 Milbanke, John: 199 Milojkovic-Djuric, Jelena: 376 Miot, André-François, Comte de Melito: 168–169 Mirabeau, Comte de: siehe Riqueti, Gabriel de, Comte de Mirabeau Mitev, Iono: 387–388 Mocenigo, Alvise: 145 Moeglin, Jean-Marie: 117 Mörschel, Tobias: 7, 113, 476 Mösslang, Markus: 199–215 Mössner, Jörg Manfred: 297, 310 Moffitt, John F.: 490 Mohamadu, Dala: 364–365, 367 Mollien, François-Nicolas: 170–171 Mollin, Gerhard Th.: 1, 471 Monge, Gaspard: 463 Mongrédien, Georges: 63 Monroe, James: 418 Montacutelli, Marina: 34, 39 Montaigne, Michel de: 118 Montesquieu, Baron de: siehe Secondat, Charles de, Baron de Montesquieu Montmorin, Armand-Marc, Comte de: 459 Montreuil, Abbé: 74 Monypenny, William Flavelle: 382, 384 Morat, Osta: 314 Morawa, Christine: 343 Moreau de Beaumont, JeanLouis: 161

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Personenregister Morel, Edmund Dene: 192 Morell, Andreas: 146 Morellet, André: 155, 167 Morgenthau, Hans J.: 1 Morier, Robert: 202, 207 Morosini (Familie): 25 Morosini, Andrea: 26 Morosoli, Renato: 107 Moser, Karl Friedrich: 239, 272 Mouliérac-Lamoureux, R.-L.: 17 Mouser, Bruce L.: 362–363 Müller, Frank Lorenz: 201, 208 Müller, Guido: 375 Müller, Heribert: 249 Müller, Klaus: 158 Müller, Manfred: 376 Mund, Stéphane: 325 Murdock, Graeme: 476 Murphy, Antoin: 167 Murray, Charles: 205, 209 Muṣṭafā Khūdja: 455–456, 460

Niethammer, Adolf: 97 Nieto Nuño, Miguel: 239 Nikolaus I., Zar von Russland: 329 Noailles, Adrien-Maurice de: 270 Noailles, Maréchale de: siehe Bournonville, Marie-Françoise de, Maréchale de Noailles Noel, Charles C.: 225 Noflatscher, Heinz: 495–496 Nogal, Carlos Álvarez: 42–43 Nolan, Melanie: 180 Noldus, Badeloch: 490 Nolte, Hans-Heinrich: 231 North, Michael: 479, 502 Northrup, David: 360 Nouilles, Gilbert: 300 Nye, Joseph S.: 2, 184 Nym Mayhall, Laura E.: 180

Napoleon I. Bonaparte: 323, 328, 338, 364, 405, 414, 417–418, 423, 425, 462, 464, 499 Naryškin (Familie): 339 Nasarov, Vladislas: 321 Neri, Pompeo: 164–165 Nesselrode, Karl Robert von: 380 Nettesheim, Agrippa von: 272 Neuber, Wolfgang: 306, 308 Neufville, François de, Duc de Villeroy: 270 Newton, Isaac: 133 Neysters, Silvia: 221 Nicholls, David: 181 Nickel, Goswinus: 68 Nickisch, Reinhard M. G.: 289 Nicklas, Thomas: 1, 11 Nickles, David Paull: 204 Nicollier-de Weck, Béatrice: 476 Nicolson, Harold: 126, 215, 374 Niederkorn, Jan Paul: 240

Ohmae, Kenichi: 173 Olearius, Adam: 326 Olechnowitz, KarlFriedrich: 347 Olga, Königin von Württemberg: siehe Romanowa, Olga Nikolajewna Olier de Nointel, CharlesFrançois: 300 Onuf, Peter S.: 438 Opitz, Claudia: 31, 219, 243–244, 271–273, 275 Opitz, Martin: 143 Ordin-Naščokin, Afanasij Lavrent’evič: 332 Orléans, Anne-Marie d’, Duchesse de Montpensier: 65, 264 Orléans, Duc d’: siehe Valois, Louis de, Duc d’Orléans Orléans, Gaston d’: 65 Orléans, Henri d’, Duc d’Aumale: 63 Orléans, Henri II. d’, Duc de Longueville: 65

Orléans, Marguerite Louise d’: 120, 125 Orr, Clarissa Campbell: 220, 265 Orry, Jean: 266 Orsini, Flavio I., Principe di Taranto, Duca di Bracciano: 264 Orsini-Rosenberg, Franz Xaver von: 158 Ortlieb, Eva: 228 Osborne, Edward: 301 Osborne, Toby: 8, 492 Osiander, Andreas: 501 Ossat, Arnaud d’: 114, 116, 120–123, 125–127, 129 Oßwald-Bargende, Sybille: 9, 219, 229 Osterhammel, Jürgen: 2, 5, 197, 214, 375, 448, 458, 465 Ostermann, Heinrich (Andrej Ivanovič): 322, 333, 335 Oswald, Richard: 440 Otlet, Paul: 177, 184 Otte, Thomas G.: 199 Otto Friedrich Ludwig, König von Griechenland: 207 Outrey, Amadée: 135 Ouvarov, Pavel: 321 Owen, Robert: 176 Pacini, Arturo: 38, 40–41 Pagano De Divitiis, Gigliola: 301 Palencia, Angel González: 137 Paletschek, Sylvia: 180 Pálffy, Maria Eleonora: 236 Pallache, Samuel: 303–304, 309, 313 Pallavicini (Familie): 43 Pallavicini, Orazio: 43 Palmerston, Viscount: siehe Temple, Henry John, Viscount Palmerston Pamphili (Familie): 41 Panin, Nikita Ivanovič: 338 Panzac, Daniel: 316, 451, 455, 468

540 Paravicini, Werner: 252, 258, 489 Paris, Giulia: 47 Parker, Geoffrey: 42, 498 Pasley, Jeffrey L.: 427 Pasquier, Armand du: 277 Pasti, Matteo de’: 298 Pastor, Ludwig von: 27, 29 Patel, Kiran Klaus: 2 Paul I., Zar von Russland: 323 Paul V., Papst: 6–8, 15–30, 39, 49, 51, 113–114, 119, 139, 231, 475–476, 488, 494 Pauli, Carl Wilhelm: 347, 354 Paulmann, Johannes: 151, 173–197, 375, 442 Paulmy, Marquis de: 99 Paviot, Jacques: 249 Pavlowitch, Stevan K.: 376 Payne, Helen: 242 Pečar, Andreas: 231, 236 Peck, Linda Levy: 232 Pecquet, Antoine: 117, 122, 136 Pedani-Fabris, Maria Pia: 297, 306 Pekarek, Marcel: 446–447 Pelus, Marie-Louise: 325 Pennybacker, Susan D.: 193 Perkins, Bradford: 441 Perron, Jacques Davy du: 28 Perry, John: 326–327 Perse, Saint-John: 149 Persico, Panfilo: 131 Pesmes, François-Louis de, Seigneur de Saint-Saphorin: 99 Peter I. (der Große), Zar von Russland: 318–319, 322–324, 327–330, 333–335, 338 Petersson, Niels P.: 197 Pétion, Jérôme: 408–409 Peyer, Hans Conrad: 98 Pfister, Ulrich: 84, 101 Phélypeaux, Louis, Comte de Saint-Florentin: 282 Philibert II., Herzog von Savoyen: 255

Personenregister Philipp I. (der Schöne), König von Kastilien: 253 Philipp II. (der Kühne), Herzog von Burgund: 245–248 Philipp II., König von Spanien: 137, 145, 346, 348 Philipp III. (der Gute), Herzog von Burgund: 248–251, 258 Philipp III., König von Spanien: 114, 219, 341, 347, 350, 491, 494 Philipp IV., König von Spanien: 42, 74, 263 Philipp V., König von Spanien: 225, 261–276 Philipp von Hessen: 223 Philippi, Hans: 206–207 Piccolomini, Enea Silvio: 298 Pierres, François-Joachim de, Abbé de Bernis: 281–282, 284, 286, 288 Pietrow-Ennker, Bianka: 180 Pijnacker, Cornelis: 303 Pike, Ruth: 343 Pils, Claudine Susanne: 240 Pinelli (Familie): 19 Pinelli, Domenico: 19–25 Pintard, René: 142–143 Pisani (Familie): 25 Pitz, Ernst: 342 Pizan, Christine de: 272 Pizzati, Anna: 25 Plumard de Dangeul, Louis-Joseph: 165, 167 Poe, Marshall T.: 325 Pötting, Franz Eusebius von: 239–240 Pötting, Maria Sophie von (geb. Dietrichstein): 239–240 Poiret, Marie-Françoise: 258 Poisson de Vandières, AbelFrançois: 288 Poisson, François: 288–289 Poisson, Jeanne-Antoinette, Marquise de Pompa-

dour: 114, 124, 275, 277–292, 486 Pollmann, Eva Kathrin: siehe Dade, Eva Kathrin Pollmann, Judith: 344 Pompadour, Marquise de: siehe Poisson, JeanneAntoinette, Marquise de Pompadour Pons, Rouven: 240 Popkin, Jeremy D.: 436 Porter, Andrew: 185–186, 192 Portes, Jacques: 407 Postel, Guillaume: 299 Postel, Rainer: 343–344 Potemkin, Petr Ivanovič: 114, 331 Potemkine, Vladimir P.: 321–322, 333–334, 338 Potts, Louis W.: 435 Poumarède, Géraud: 114, 124, 300, 305–306 Poutrin, Isabelle: 227, 230, 243 Praslin, César Gabriel de: 454–455 Prat, Lucentio: 308 Pré Labouchère, Henry du: 199 Press, Volker: 343 Prestwich, Menna: 476 Preto, Paolo: 304 Prevenier, Walter: 245 Priandi, Giustiniano: 142 Prietzel, Malte: 73, 245–259, 486 Primrose, Archibald Philip, Earl of Rosbery: 200 Priuli (Familie): 25 Pütter, Johann Stephan: 395–396 Pufendorf, Samuel von: 405 Puisieulx, Marquis de: siehe Brûlart de Sillery, Louis Philogène, Marquis de Puisieulx Pujo, Bernard: 63–65, 69–70, 72, 74–75 Pullan, Brian: 27 Puncuh, Dino: 36

541

Personenregister Puppel, Pauline: 220, 225–227 Puschkin, Alexander Sergejewitsch: 382 Puysieux [Puysieulx], Roger Brûlart de: 84 Pyta, Wolfram: 500 Queckenstedt, Hermann: 343, 347 Queller, Donald E.: 90, 128, 135 Radowitz, Joseph Maria von: 373, 377, 380, 383, 385 Raffin, Léonce: 70–72 Raggi (Familie): 19, 43 Raggi, Tomaso: 43–44 Raiteri, Silvana Fossati: 36 Rakove, Jack N.: 438 Rall, Hans: 208–209, 211 Rambaud, Alfred: 321 Ranger, Terence Osborn: 417 Raschke, Bärbel: 230, 232 Rashid, Ismail: 363 Rasmussen, Anne: 178 Raspail, François-Vincent: 329 Rath, Jochen: 343 Rathery, Edmé Jacques Benoît: 278 Ratzel, Friedrich: 310 Rauscher, Peter: 34 Rauwolff, Leonhart: 307 Rayneval, Matthias-JosephGérard de: 418 Rayward, W. Boyd: 177 Reding (Familie): 106 Reding, Rudolf von: 87 Reding, Wolf Dietrich: 91, 106 Regemorter, Jean-Louis van: 337 Reinbothe, Roswitha: 178 Reindle-Kiel, Hedda: 306, 308 Reinhard, Wolfgang: 4, 6–7, 10, 15–30, 39, 66, 79–80, 82–83, 113, 133, 142, 166, 189, 231, 342, 345, 475–476, 478–479, 484, 490

Reinhardt, Nicole: 6–7, 221, 225, 231 Reinhardt, Volker: 10, 19, 32, 39 Reiss, Sheryl E.: 41 Reitemeier, Arnd: 495 Reith, Matthias-Josef: 490 Reni, Guido: 46, 57, 59 Repgen, Konrad: 400, 474 Retallack, James: 205 Reubell, Jean-François: 416 Revault, Jacques: 305 Reynolds, Henry: 192 Ribardière, Diane: 263 Ricci, Isabella: 160 Ricciardelli, Francesca: 58 Richards, Jennifer: 226–227, 242 Richefort, Isabelle de: 134 Richelet, César-Pierre: 116 Richelieu, Kardinal: siehe Du Plessis, ArmandJean, Duc et cardinal de Richelieu Richelieu, Duc de: siehe Vignerot du Plessis, Louis-François-Armand de, Duc de Richelieu Richet, Denis: 425 Riesenberger, Dieter: 181 Rigsby, Robert: 365 Riley, James C.: 155 Rill, Gerhard: 496 Riotte, Torsten: 204 Riqueti, Gabriel de, Comte de Mirabeau: 409–410, 445 Risse-Kappen, Thomas: 2, 194 Ritter, Gerhard A.: 177 Rivarola (Familie): 19 Rivarola, Domenico: 20 Roberti, Jean-Claude: 325 Roberts, Michael: 482 Robertson, Andrew W.: 427 Robespierre, Maximilien de: 408–409, 412–413 Robins, Patricia: 252, 257 Robinson, Ronald: 477 Rodd, James Rennell: 200, 208 Römer, Christof: 344

Rogers, James E. Thorold: 200 Rogge, Jörg: 230, 243 Rogozin, Nicolas M.: 320–321, 330 Rohe, Karl: 263 Rohr, Julius Bernhard von: 433 Rohrschneider, Michael: 397 Romanowa, Olga Nikolajewna, Königin von Württemberg: 206 Rompaey, Jan von: 250 Roosen, William J.: 290, 352 Rosa, Luigi de: 346 Rosbery, Earl of: siehe Primrose, Archibald Philip, Earl of Rosbery Rosenberg, Franz Xaver von: 158–159, 167–168 Rosenne, Shabtai: 181 Rosi, Michele: 24 Rouillé, Antoine-Louis: 282–283 Roumiantsev, Simeon: 114 Rousseau, Jean-Jacques: 148, 423 Rousseau de Chamoy, Louis: 272 Rousset de Missy, Jean: 327, 435 Rouvroy, Louis de, Duc de Saint-Simon: 273, 334–335 Rubens, Peter Paul: 489–490 Rucellai (Familie): 44 Rühs, Christian Friedrich: 396–397 Ruiz, Alain: 129 Ruiz Martín, Felipe: 346 Rumbold, Horace: 212 Rupp, Leila J.: 180 Russel, John: 202, 209 Russell, Odo: 213 Rutledge, John: 430–432 Sacchetti, Giulio: 53 Sadullah-Bei: 385 Šafirov, Petr: 333 Sagredo, Nicolo: 55

542 Said, Edward: 386 Saige, Gustave: 41 Saint-Agoulin, Sieur de: siehe Chauvigny, Gilbert de, Baron de Blot, Sieur de SaintAgoulin Saint-Estienne, Marquis de: siehe Beaumont, Charles de, Marquis de Saint-Estienne Saint-Just, Louis Antoine: 411 Saint-Pierre, Charles-Irénée Castel de: 405, 423 Saint Romain, Baron de: 84 Saint-Simon, Duc de: siehe Rouvroy, Louis de, Duc de Saint-Simon Saint-Sorlin, Desmarets de: 142 Sainte-Beuve, CharlesAugustin: 338–339 Salimbeni, Fulvio: 25 Salisbury, Robert Arthur: 381, 389 Sánchez, Magdalena S.: 219, 232, 236 Sand, Georges: 329 Sandoval y Rojas, Francisco Gómez de, Duque de Lerma: 485, 490–491 Sanin, Gennadi A.: 321 Sannicandro, Francesco Bonazzi di: 55 Sanudo, Marino: 35 Sarasin, Paul: 180 Sarpi, Paolo: 26–27 Sartine, Antoine-Raymond, Comte de: 453–454, 456–457 Sauer, Paul: 207 Sauerteig, Lutz: 179 Sauli (Familie): 19 Sauli, Antonio: 19–25 Saumaise, Claude: 143–144 Sauvage, Jean: 324 Savary, Louis-Philemon: 155 Savary de Brèves, François: 300, 302 Savary des Bruslons, Jacques: 155

Personenregister Savelli, Rodolfo: 36 Savva, Vladimir P.: 331 Scaliger, Joseph Justus: 143 Schäfer, Regina: 227–228, 230 Schärer, Irène: 98 Schattenberg, Susanne: 213, 373–390, 501 Schaub, Jean-Frédéric: 296 Schaub, Marie-Karine: 31, 114, 124, 227, 230, 243, 319–340 Schevemont, Limpens de: 171 Schiff, Stacy: 433, 435, 437 Schilling, Heinz: 133, 135, 344, 471–472, 474, 480–481 Schilling, Lothar: 3, 280, 473 Schipmann, Johannes Ludwig: 34 Schläppi, Daniel: 35, 82, 89, 95–110 Schlechte, Horst: 156 Schlick, Barbara: 234 Schlick, Lukretia: 234 Schlitter, Hanns: 281 Schlögl, Rudolf: 31, 220 Schmauss, Johann Jakob: 153–154 Schmidt, Burghart: 349 Schmidt, D. K.: 357 Schmidt, Franz Kaspar: 272 Schmidt, Georg: 342 Schmidt, Peer: 345, 482 Schmitt, Sigrid: 230 Schnakenbourg, Éric: 321–322 Schnerb, Bertrand: 245–246, 248–250, 258 Schnettger, Matthias: 37, 429 Schöningen, Witwe von: siehe Anna Sophia von Brandenburg Schöpflin, Johann Daniel: 148 Schramm, Gottfried: 387 Schroeder, Paul W.: 394, 404, 500–501 Schroeder-Gudehus, Brigitte: 178

Schüler, Anja: 179 Schulenburg, Marie Ernestine von der: 208 Schulz, Werner: 249 Schumacher, Frank: 375 Schumacher, Joseph Anton: 108 Schwarber, Karl: 96 Schweigger, Salomon: 308 Schweizer, Paul: 97 Schweizer, Thomas: 142 Schwengelbeck, Matthias: 442 Scott, Hamish: 214, 404 Scott, James: 113 Scott, Joan W.: 262 Scotti, Ranuccio: 80, 99 Séchelles, Jean Moreau de: 282 Secondat, Charles de, Baron de Montesquieu: 154, 405 Ségur, Louis Philippe: 337 Selim III., Sultan des Osmanischen Reiches: 450 Sellin, Volker: 227 Senatore, Francesco: 136 Serra (Familie): 19 Serra, Jacopo: 20 Serre de Lamayène: 124 Serres, Jean C.: 442 Serwanski, Maciej: 222 Sessions, Jennifer: 364 Seton-Watson, Robert William: 382–383, 385 Severoli, Cecilia: 58 Seydoux, Marianne: 330 Sforza (Familie): 135 Shackelton, Robert: 154 Shaw, Christine: 33 Sheffield, John, Duke of Buckingham: 485 Shirley, Robert: 309 Siaka, Namina: 369–370 Sibeth, Uwe: 496 Sidonia von BraunschweigCalenberg: 233–234 Siefert, Helge: 289 Siegelberg, Jens: 474 Sigismund von Luxemburg, Kaiser: 248 Simler, Josias: 79

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Personenregister Simms, Brendan: 214 Simon, Bruno: 304 Simson, Paul: 347 Singer, Alex: 471 Sinzendorff, Joachim von: 304 Sire, H.J.A.: 51, 54 Sismondi, Jean-CharlesLéonard Simonde de: 171 Skiliter, Susan: 304 Skinner, David: 365 Sklar, Kathryn Kish: 179 Skornicki, Arnault: 167 Sly, John F.: 176 Smith, Adam: 161 Smith, Sidney: 468 Sobieski, Jan: 72 Soja, Edward W.: 310 Soler, Jaime: 461 Solnon, Jean-François: 76 Sommé, Monique: 249–251, 257 Sommer, Theo: 400 Sonnenberg, Alfons: 95 Sophie, Prinzessin von Russland: 332 Sophie von Brandenburg: 233 Sophie von Hannover: 145, 242 Sorel, Albert: 425 Spada, Alviano: 48, 50–51, 55 Spada, Aurelia: 58 Spada, Bernardino: 45–61 Spada, Camilla: 58 Spada, Caterina: 58 Spada, Clemente: 47, 58 Spada, Fabio: 58 Spada, Fabrizio: 47 Spada, Francesco: 45, 58 Spada, Giacomo Filippo: 45, 58 Spada, Giuseppe: 55 Spada, Ippolito: 58 Spada, Isotta: 58 Spada, Ludovico: 58 Spada, Orazio: 45 Spada, Paolo: 58 Spada, Teodora: 58 Spada, Virgilio: 46, 49, 55, 56, 58

Spagnoletti, Angelantonio: 49, 475 Spanheim, Ezechiel: 143–146, 148 Spinola (Familie): 19, 42–43 Spinola, Agostino: 42 Spinola, Ambrogio: 42 Spinola, Bartolomeo: 42–43 Spinola, Benedetto: 43 Spinola, Giandomenico: 42 Spinola, Gianluca: 42 Spinola, Giovanni Battista: 42 Spinola, Giovanni Domenico: 20 Spinola, Gregorio: 42 Spinola, Maria: 42 Spinola, Orazio: 20 Spitzer, Leo: 361 Spivakovsky, Erika: 137 Springer, Elisabeth: 490–491 Stadion-Warthausen, Johann Philipp, Graf von: 171–172 Stadler, Peter: 96 Stafford, Edward: 498 Stanley, Brian: 178 Stanley, Edward Henry, Earl of Derby: 205–206, 214, 361 Stanlis, Peter J.: 409 Stannek, Gabriele: 489 Stanyan, Abraham: 99 Staper, Richard: 301 Starhemberg, Georg Adam, Graf von: 281–292 Starhemberg, Gundaker: 166, 278 Stauffacher, Hans Rudolf: 98 Steensgaard, Niels: 296, 299, 306 Steffani, Agostino: 490–491 Steiger, Heinhard: 473 Stein, Henri: 250 Stengers, Jean: 192 Steuer, Peter: 475 Stockley, Andrew: 440 Stollberg-Rilinger, Barbara: 4, 31, 63, 220, 262, 352, 427–428, 481–482 Stolleis, Michael: 154

Stone, Lawrence: 43 Strachey, George: 203, 205–206, 213–214 Stradling, Robert A.: 342 Stratchey, Henry: 431 Strohmeyer, Arno: 400 Strousberg, Bethel Henry: 208 Strozzi (Familie): 44 Strozzi, Ottavia: 236 Struckmann, Johann Caspar: 502 Struys, Jan: 327 Stücheli, Rolf: 96 Studer, Barbara: 83 Sulauze, Grou de: 452 Suleiman I., Sultan des Osmanischen Reiches: 299 Summers, Anne: 180 Surchat, Pierre Louis: 80, 99 Suter, Hermann: 98 Sutter Fichtner, Paula: 233 Šuvalov, Petr Andreevič: 380–384, 388 Sydney, Mary: 224 Tague, Ingrid H.: 242 Taillandier, Saint-René: 263 Taillefer, Henri de, Comte de Barrière: 74 Talleyrand, Louis-Blaise de, Duc de Chalais: 264 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de: 169, 323, 418, 466, 499 Tamussino, Ursula: 253 Tanner, Albert: 82 Tapié, Victor Lucien: 284 Tasso, Torquato: 131 Taviani, Carlo: 36 Temperly, Harold: 203 Temple, Henry John, Viscount Palmerston: 200 Tenenti, Alberto: 306 Terrasconi, Giovanni: 50–51 Teschke, Benno: 501 Tessé, René III. de Froulay, Comte de: 269 Teuscher, Simon: 84 Thacher, Peter: 439 Theunissen, Hans: 306

544 Thiessen, Hillard von: 1–11, 31, 33, 87, 113–114, 119, 220, 231, 345, 403, 471–503 Thomas, George M.: 174 Thomas, Helen: 179 Thompson, Grahame: 173 Thompson, Janice E.: 302 Thomson, Ann: 457 Thomson, Erik: 138 Thomson, William Cooper: 366 Thorne, Alison: 226–227, 242 Thou, Christophe de: 142–143 Thou, François-Auguste de: 142–143 Thou, Jacques-Auguste de: 141 Thuillier, Guy: 148 Thurn-Valsassina, Eleonora: 236 Tillier, Anton von: 82 Tilly, Charles: 32 Tischer, Anuschka: 221, 239, 393, 488, 497 Tott, François, Baron de: 462 Touati, Houari: 451 Townshend, Thomas: 440 Traunecker, Claude: 465 Trauner, Karl-Reinhart: 345 Trautson, Brigitta: 234 Trautson, Johann Franz: 236 Trautson, Susanna Veronica: 236 Trebeljahr, Moritz: 49, 51, 55 Tred’jakovskij, Vasilij: 326 Tremayne, Eleanor E.: 253 Trentmann, Frank: 195 Tronson, Jean: 251 Trudaine, Charles: 155 Trudaine, Daniel: 155–156, 162 Trudaine de Montigny, JeanCharles-Philibert: 162 Tsonidis, Takis Chr.: 385 Turenne, Vicomte de: siehe La Tour d’Auvergne, Henri de, Vicomte de Turenne

Personenregister Turgenev, Ivan: 386 Turgot, Anne-RobertJacques, Baron de l’Aulne: 155, 462 Turner, Charles: 360 Turner, Michael J.: 363 Tyrrell, Alexander: 181 Tyrrell, Ian: 179 Ubaldini, Roberto: 46–47, 59 Ulbert, Jörg: 305 Ulbrich, Claudia: 226 Ulrich von Mecklenburg: 233–234 Urbach, Karina: 213 Urban VIII., Papst: 45, 54 Ursins, Princesse des: siehe La Trémoille, MarieAnne de, Princesse des Ursins Usson, Louis d’, Comte d’Allion: 335–336 Ustáriz, Gerónimo de: 161 Valensi, Lucette: 306, 456 Valérian, Dominique: 296 Valier (Familie): 25 Valier, Agostino: 26–27, 29 Valla, Lorenzo: 133 Vallière, Césarin-Philippe: 463 Valois (Familie): 36, 65 Valois, Louis de, Duc d’Orléans: 247 Valois, Isabella von: 247 Vandal, Albert: 322, 335 Vandières, Monsieur de: siehe Poisson, AbelFrançois Van Krieken, Gérard: 303, 305 Vattel, Émer de: 405, 428, 434, 446, 458 Vaughan, Richard: 245–246, 248, 258 Vaz de Azevedo, Manuel: 309, 313 Vec, Miloš: 176–177, 429, 499 Velasco y la Cueva de Siruela, Leonor de: 240 Veltmann, Claus: 354

Venture de Paradis, JeanMichel: 455, 457 Vera y Zúñiga, Juan de: 492, 494 Vergé-Francescchi, Michel: 305 Vergennes, Comte de: siehe Gravier, Charles, Comte de Vergennes Vergun, Dmitrij Nikolaevič: 380 Verhaer, Lambert: 303 Vernet, Horace: 329 Viallon, Marie-Françoise: 306 Vias, Jacques de: 305 Victor Amadeus II. von Savoyen: 264 Viennot, Eliane: 235 Vignerot du Plessis, LouisFrançois-Armand de, Duc de Richelieu: 287 Vignerot du Plessis, Emmanuel-Armand de, Duc d’Aiguillon: 288 Villain-Gandossi, Christiane: 296 Villars, Claude Louis Hector de: 270 Villeneuve, Louis-Sauveur, Marquis de: 300 Villeroy, Maréchal de: siehe Neufville, François de, Maréchal de Villeroy Villiers, George William Frederick, Earl of Clarendon: 206, 209–210, 212 Vincheguerre, Jacques de: 313–315 Vincheguerre, Philandre de: 314 Visceglia, Maria Antonietta: 39, 481 Visser, Joseph: 441 Visser-Fuchs, Livia: 257 Vitale, Vito: 37, 39–40 Völker-Rasor, Anette: 230 Vola, Giorgio: 44 Volney, Comte de: siehe Chasseboeuf, Constantin François, Comte de Volney

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Personenregister Voltaire, François-Marie Arouet: 140, 148, 328, 338 Voss, Jürgen: 148 Vossius, Isaac: 142 Wackerbarth, August Christoph von: 240 Wackerbarth, Catharina von: 240 Waddington, William Henry: 383, 386 Waldstein, Katharina von: 236 Waldstreicher, David: 427, 439 Waller, Bruce: 379 Wallis, Josef, Graf von: 171 Walsh, Katherine: 223 Walter, Alex E.: 141 Waquet, Françoise: 134, 147 Waquet, Jean-Claude: 8, 90, 113–131, 138, 145, 152–153, 155, 494, 497 Ward, John: 200 Waresquiel, Emmanuel de: 171 Warren, James: 432, 438 Washington, George: 431 Wasner, Ignaz: 158 Weber, Christoph: 19, 40, 47, 58 Weber, Friedrich-Christian: 327 Weber, Klaus: 355 Weber, Max: 87, 478 Wehler, Hans-Ulrich: 1, 3 Weichlein, Siegfried: 202 Weightman, Christine: 251–252, 257 Weindl, Andrea: 346 Wellens, Robert: 254 Weller, Thomas: 341–356, 481 Welsh, Jennifer: 409 Welzel, Barbara: 254 Wende, Peter: 207 Werner, Michael: 96 Wesseling, Henry L.: 359 Wester-Wemyss, Rosslyn: 202 Westphal, Siegrid: 243 Wettinger, Godfrey: 451

Wettstein, Johann Rudolf: 90, 483 Wharton, Francis: 440 Whately, Thomas: 168 Whipple, William: 437 White, Richard: 310 Wickart, Wolfgang: 105 Wickert, Erwin: 149 Wicquefort, Abraham de: 118, 138, 152, 155, 159, 272 Wicquefort, Joachim de: 138 Wiegers, Gerard: 303–304, 309 Wieland, Christian: 7–8, 113, 231, 476, 488, 491, 493 Wienfort, Monika: 502 Wiesflecker, Hermann: 252, 254–255, 258 Wiesner, Merry E.: 226, 241–242 Wilczek, Johann Joseph, Graf von: 157–158 Wilde, Oscar: 386 Wilhelm I. von OranienNassau: 224 Wilhelm IV. von HessenKassel: 223, 233 Willading, Johann Friedrich: 99 Willard, Charity Cannon: 250 Wilmers, Annika: 181–182 Win, Paul de: 255 Windler, Christian: 1–11, 31, 33, 83, 85, 87, 100, 103, 113–115, 126–127, 220, 297, 305, 308, 310–311, 344–345, 364, 417, 427, 445–470, 475–476, 497, 501 Winterling, Aloys: 486 Wippich, Rolf-Harald: 379 Wirsching, Andreas: 2 Wirth, Johann Georg August: 196 Wirz, Heinrich: 127 Wischermann, Ulla: 271 Witherspoon, John: 427–428 Wittram, Reinhard: 379

Wladislaw IV. Wasa, König von Polen: 71 Wöbse, Anna-Katharina: 180–181 Wolfers, Arnold: 471 Wolff, Christian: 458 Wolff, Kerstin: 179–180 Wolffe, John: 178 Wood, Alfred C.: 301 Wood, Gordon S.: 429, 433, 437 Wood, John R.: 442 Woodbridge, John D.: 281 Woolf, Stuart: 418 Würgler, Andreas: 35, 79–93, 99–100, 140 Wunder, Heide: 220, 226–227, 234, 243, 267, 276 York, Margarete von: 251–259 Yun Casalilla, Bartolomé: 346 Zala, Sacha: 186 Zangheri, Roberto: 160 Zaninelli, Sergio: 160 Zaunstöck, Holger: 243 Zavala y Auñón, Miguel de: 161, 165 Zenobi, Bandino Giacomo: 15 Zenz-Kaplan, Jochen: 447 Zettler-Collin, Franz Anton: 98 Ziai, Aram: 189 Ziebura, Gilbert: 184 Zikmund, Wladyslaw: 221 Zimmermann, Bénédicte: 96 Zinzendorf, Karl von: 164–168 Zinzendorf, Ludwig von: 154, 158, 161, 165–168 Zmora, Hillay: 485 Zordanija, G.: 321 Zürn, Michael: 189 Zunckel, Julia: 7, 31–44, 476, 491 Zúñiga, Baltasar de: 491 Zurlauben (Familie): 89–90, 95–110

546 Zurlauben, Beat II.: 95, 102, 105–107, 110 Zurlauben, Beat Fidel Anton: 108

Personenregister Zurlauben, Beat Jakob II.: 95–96, 102 Zurlauben, Heinrich I.: 110 Zwierlein, Cornel: 479–480