Tora und Weisheit: Studien zur frühjüdischen Literatur 9783161607998, 9783161608001, 3161607996

Der Band verbindet umfassende Untersuchungen Karl-Wilhelm Niebuhrs zur Bedeutung von Tora und Weisheit im Frühjudentum m

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German Pages 717 [730] Year 2021

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einführung: Tora und Weisheit im Frühjudentum
I Nomos und Sophia
1. Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum
2. Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur
3. Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora
4. Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora
5. Juden in Rom unter Nero. Intellektuelle Netzwerke, religiöse Praxis, geistige Horizonte
6. Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum. Inschriften als Zeugnisse für Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte im kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien am Beispiel des Jakobusbriefes
7. Weisheit als Thema biblischer Theologie
8. Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit. Eine Problemskizze
9. Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption
II Eschatologische Schriftauslegung im Frühjudentum
10. Ein Eschatologischer Psalm – 4Q521,2 II
11. Die Werke des eschatologischen Freudenboten. 4Q521 und die Jesusüberlieferung
12. Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte. Überlegungen in Anknüpfung an Herder
13. „Auferstehung“ im Frühjudentum. Das Nomen άνάστασις in der Septuaginta, in der frühjüdischen Literatur und im Neuen Testament
14. Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung
III Studien zur frühjüdischen Literatur
15. Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung. Ein Literaturbericht
16. Einführung in die Sapientia Salomonis
17. Ethik und Tora. Zum Toraverständnis in Joseph und Aseneth
18. Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im Griechischen Leben Adams und Evas
19. Wohin mit den Toten? Begräbnispraxis und Auferstehungshoffnung in der Spätantike
20. Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im Griechischen Leben Adams und Evas auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob
21. Pseudo-Phokylides: Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht aus Alexandria
22. Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides
23. Außerkanonische Schriften im antiken Christentum. Das Beispiel syrischer Menander
Nachweis der Erstveröffentlichungen
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Autorenregister
Sachregister
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Tora und Weisheit: Studien zur frühjüdischen Literatur
 9783161607998, 9783161608001, 3161607996

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) · Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)

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Karl-Wilhelm Niebuhr

Tora und Weisheit Studien zur frühjüdischen Literatur

Mohr Siebeck

Karl-Wilhelm Niebuhr, geboren 1956; 1986 Promotion; 1991 Habilitation; 1994–1996 Professor für Biblische Theologie (evangelisch) an der Technischen Universität Dresden; seit 1997 Professor für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Präsident des Eastern Europe Liaison Committee (EELC) der Studiorum Novi Testamenti Societas (SNTS). orcid.org/0000-0002-8850-7046

ISBN 978-3-16-160799-8 / eISBN 978-3-16-160800-1 DOI 10.1628/978-3-16-160800-1 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen ­Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de ­abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Der Universität Sofia St. Kliment von Ohrid und ihrer Theologischen Fakultät in Dankbarkeit für die Verleihung der Würde eines Doctor honoris causa am 5. Oktober 2018 gewidmet

Vorwort Die in diesem Band versammelten Studien zum Frühjudentum sind in den vergangenen rund 25 Jahren entstanden. Sie wurden für den Wiederabdruck zwar durchweg formal angeglichen und korrigiert, aber nur gelegentlich und sehr sparsam aktualisiert; alles andere hätte den zeitlichen Rahmen der Vorbereitung des Aufsatzbandes gesprengt. Neu erarbeitet und der Sammlung vorangestellt sind zwei umfangreichere Studien zu den titelgebenden Stichworten: Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum (15–100), sowie: Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur (101–148). Darüber hinaus waren zwei weitere Aufsätze bisher unveröffentlicht (Nr. 13 und Nr. 21), und zwei andere erscheinen hier erstmals in deutscher Übersetzung (Nr. 20 und Nr. 22). Für die Auswahl aller Arbeiten entscheidend war der Bezug zum Frühjudentum in der Vielfalt seiner literarischen, historischen und religiösen Ausprägungen. Näheres zu den inhaltlichen Zusammenhängen der Beiträge wird in der Einführung erläutert (1–12). Bei der Drucklegung habe ich vielfältige Hilfe erfahren, für die ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Besonders zu erwähnen sind Frau Valentine Weigel, die sich um die formale Vereinheitlichung der Fußnoten verdient gemacht hat, Herr Julius Sperling, der die Register erstellt hat (beide studieren derzeit an der Theologischen Fakultät in Jena), sowie mein Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Herr Akademischer Rat Dr. Johannes U. Beck, der in unvergleichlich genauer und zuverlässiger Weise die Korrekturen gelesen hat. Was trotzdem noch an Fehlern stehengeblieben sein mag, geht auf meine Kappe. Danken möchte ich auch den Herausgebern der Reihe „Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament“, namentlich den Kollegen Jörg Frey und Tobias Nicklas, für die Aufnahme des Bandes in die Reihe, in der auch schon meine Dissertation und meine Habilitationsschrift erscheinen sind, sowie den Mitarbeitern des Verlages Mohr Siebeck, insbesondere Herrn Tobias Stäbler und Herrn Matthias Spitzner, für ihre unermüdliche und außerordentlich freundliche Hilfestellung bei allen praktischen Fragen der Druckvorbereitung. Jena, im Juni 2021

Karl-Wilhelm Niebuhr

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Einführung: Tora und Weisheit im Frühjudentum ......................................... 1

I Nomos und Sophia 1. Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum .................................15 2. Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur ................................................................................................. 101 3. Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora................................................................................................. 149 4. Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora .........................................175 5. Juden in Rom unter Nero. Intellektuelle Netzwerke, religiöse Praxis, geistige Horizonte .................................................................................. 209 6. Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum. Inschriften als Zeugnisse für Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte im kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien am Beispiel des Jakobusbriefes ........................................................................................ 239 7. Weisheit als Thema biblischer Theologie ...............................................263 8. Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit. Eine Problemskizze ................................................................................ 285 9. Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption .......................................................299

X

Inhaltsverzeichnis

II Eschatologische Schriftauslegung im Frühjudentum 10. Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II ............................................ 327 11. Die Werke des eschatologischen Freudenboten. 4Q521 und die Jesusüberlieferung ........................................................ 349 12. Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte. Überlegungen in Anknüpfung an Herder .............................................. 359 13. „Auferstehung“ im Frühjudentum. Das Nomen  in der Septuaginta, in der frühjüdischen Literatur und im Neuen Testament ............................................................................. 377 14. Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung .............................. 399

III Studien zur frühjüdischen Literatur 15. Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung. Ein Literaturbericht .............................................................................. 423 16. Einführung in die Sapientia Salomonis ................................................. 457 17. Ethik und Tora. Zum Toraverständnis in Joseph und Aseneth .............. 493 18. Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im Griechischen Leben Adams und Evas .............................................. 511 19. Wohin mit den Toten? Begräbnispraxis und Auferstehungshoffnung in der Spätantike ................................................................................... 533 20. Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im Griechischen Leben Adams und Evas auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob ............ 547 21. Pseudo-Phokylides: Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht aus Alexandria ...................................................................................... 571 22. Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides ................................................. 585

Inhaltsverzeichnis

XI

23. Außerkanonische Schriften im antiken Christentum. Das Beispiel syrischer Menander .......................................................... 601 Nachweis der Erstveröffentlichungen ......................................................... 625 Literaturverzeichnis .................................................................................... 629 Stellenregister............................................................................................. 681 Autorenregister ........................................................................................... 705 Sachregister ................................................................................................ 715

Einführung: Tora und Weisheit im Frühjudentum 1. Zur Perspektive 1. Zur Perspektive

Eine „Theologie des Frühjudentums“ kann nicht geschrieben werden. Darin dürften alle übereinstimmen, die sich näher mit den Zeugnissen der Religion des antiken Israel im Zeitraum zwischen dem Babylonischen Exil und der Etablierung des Talmud beschäftigen. Das hat mehrere und verschiedene Gründe. Zum einen und zuerst liegt es am Begriff und der Konzeption einer „Theologie“ als zusammenfassender, systematisch angelegter Darstellung von religiösen Lehren und ihrer Reflexion durch wissenschaftlich qualifizierte Vertreter der betreffenden Religionsgemeinschaft. Dieser Begriff von „Theologie“ ist eindeutig christlich determiniert und hat im Rahmen der christlichen Religion auch seine Berechtigung, kann aber nicht einfach auf andere Religionen übertragen werden, schon gar nicht auf das antike Judentum. 1 Zudem ist er auch im Rahmen gegenwärtiger Bibelwissenschaft, die von christlichen Forschern betrieben wird, in Frage gestellt worden, ja, geradezu in Misskredit geraten. Das gilt insbesondere für die alttestamentliche, 2 aber – trotz der weiterhin lebhaften 1 Das Werk von ADOLF SCHLATTER , Die Theologie des Judentums nach dem Bericht des Josephus, BFChTh 26, Gütersloh 1932, stellt gewissermaßen sowohl die Ausnahme als auch die Regel dar, insofern es (schon im Titel der Reihe, in der es erschienen ist) klar aus christlicher Perspektive verfasst ist und zugleich auf außerordentlich gründlicher Kenntnis der Werke eines der bedeutendsten antik-jüdischen Autoren beruht. Das „Theologische Wörterbuch zu den Qumrantexten“ (hg. v. HEINZ-JOSEF FABRY/ULRICH DAHMEN, 3 Bde., Stuttgart 2011, 2013, 2016) verdankt seinen Namen dem im gleichen Verlag und in gleicher Aufmachung publizierten Vorgängerwerk „Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament“ (hg. v. G. JOHANNES BOTTERWECK/HELMER RINGGREN/HEINZ-JOSEF FABRY, 8 Bde., Stuttgart 1973–1995). Das Handbuch von HANS AUSLOOS/BÉNEDICTE LEMMELIJN (Hg.), Die Theologie der Septuaginta/The Theology of the Septuagint, LXX.H 5, Gütersloh 2020, bietet eine Sammlung von Aufsätzen verschiedener Autoren zu acht theologischen Themen in der Septuaginta, geordnet nach Schriftengruppen. Eine Theologie der Septuaginta darzustellen, wird damit nicht in Anspruch genommen. Das Problem wird kritisch reflektiert in der Einführung der Herausgeber: HANS AUSLOOS/BÉNEDICTE LEMMELIJN, Theology or not? That’s the question. Is there such a thing as ‚the theology of the Septuagint‘?, a.a.O., 19–45. Vgl. auch den Sammelband: JOHANN COOK/MARTIN RÖSEL (Hg.), Towards a Theology of the Septuagint: Stellenbosch Congress on the Septuagint, 2018, SBLSCS 74, Atlanta 2020. 2 Eine intensive Diskussion um Recht und Grenzen einer Theologie des Alten Testaments war in der deutschsprachigen Fachwissenschaft letztmalig im Rahmen der Debatte um die „Biblische Theologie“ geführt worden; vgl. dazu den Band von CHRISTOPH DOHMEN/THOMAS SÖDING (Hg.), Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen Biblischer Theologie, UTB 1893, Paderborn 1995. Konzeptionell wurde diese Diskussion in den ersten ca.

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Einführung

Publikation von Werken mit „Theologie“ im Titel – auch für die deutschsprachige neutestamentliche Wissenschaft; in der englischsprachigen bibelwissenschaftlichen Fachliteratur hatte sich eine entsprechende Gattung ohnehin nie so richtig etabliert. 3 Weiterhin liegt zu Tage, dass die Schriften des Neuen Testaments trotz aller Vielfalt und Unsicherheit der Zuweisungen im Detail doch aus einem zeitlich und geographisch relativ eng begrenzten Raum stammen, während das für die frühjüdischen Quellen auf keinen Fall gilt. Im Blick auf das Alte Testament könnte man zwar aus der Perspektive christlicher Bibelwissenschaft immerhin noch darüber streiten, ob nicht wenigstens die Rezeption der Schriften Israels in den neutestamentlichen Schriften und im entstehenden Christentum – und damit eine nach Zeit und Raum eben auch relativ gut eingrenzbare Perspektive der Rezipienten – dem Ansatz einer Theologie des Alten Testaments eine gewisse Berechtigung verschafft. 4 Aber dass eine solche Perspektive für die Erfassung und Darstellung der frühjüdischen Zeugnisse selbst nicht leitend sein kann, ist offenkundig, nicht zuletzt auch im Ergebnis der kritisch-reflektierten Auseinandersetzung mit einer weitgehend christlich geprägten Forschungsgeschichte zum antiken Judentum im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 5 Demgegenüber hat sich heute die Einsicht durchgesetzt, dass die Zeugnisse des antiken Judentums zunächst einmal für sich, im Rahmen ihrer eigenen Aussagezusammenhänge und -intentionen zu erforschen sind, bevor sie dann gegebenenfalls auch zu christlichen (oder sonstigen religiösen oder nichtreligiösen) Überzeugungssystemen in Beziehung und Vergleich gestellt werden können. Schließlich lassen auch gegenwärtige Forschungsansätze in der antiken zehn Bänden des seit 1986 erscheinenden Jahrbuches für Biblische Theologie geführt, vgl. besonders JBTh 10, 1995: Religionsgeschichte Israels oder Theologie des Alten Testaments?, mit verschiedenen Beiträgen ausgelöst durch den Entwurf von RAINER ALBERTZ, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde., GAT 8, Göttingen 1992. Ein eigener Band hat den Titel: „Gesetz“ als Thema Biblischer Theologie, JBTh 4, 1989. Vgl. zu diesem Thema auch RUDOLF SMEND/ULRICH LUZ, Gesetz, Biblische Konfrontationen, Stuttgart 1981. 3 Einen Einblick in die Diskussion im Blick auf die Theologie des Neuen Testaments gibt der Band von CILLIERS BREYTENBACH/JÖRG FREY (Hg.), Aufgabe und Durchführung einer Theologie des Neuen Testaments, WUNT 205, Tübingen 2007; vgl. darin besonders ROBERT MORGAN, Made in Germany: Towards an Anglican Appropriation of an Originally Lutheran Genre, a.a.O., 85–112. 4 Diese Überzeugung lag z.B. dem Werk von HANS HÜBNER, Biblische Theologie des Neuen Testaments, 3 Bde., Göttingen 1990, 1993, 1995, zugrunde und wurde systematisch entfaltet von BREVARD S. CHILDS, Die Theologie der einen Bibel, 2 Bde., Freiburg 1994, 2003. 5 Exemplarisch sei dafür verwiesen auf die Untersuchung von KARLHEINZ MÜLLER, Das Judentum in der religionsgeschichtlichen Arbeit am Neuen Testament. Eine kritische Rückschau auf die Entwicklung einer Methodik bis zu den Qumranfunden, JudUm 6, Frankfurt a. M. 1983.

2. Zum methodischen Ansatz

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Judaistik, ob von Christen betrieben oder von ‚anderen‘, zwar durchaus Raum für die Untersuchung religiöser Überzeugungen und ihrer Reflexion im Kontext antiker Kultur, Philosophie und Religion, also für Themen, die auch zum klassischen Interessengebiet von christlichen Theologen gehören, aber doch nur als Teil und im Zusammenhang mit weiteren Ausprägungen in sich vielfältiger und untereinander divergierender Wissenssysteme und Praxisformen religiösen Lebens. Die Suche nach einer „Theologie“ (oder auch nach verschiedenen „Theologien“) bedeutete hier eine unvertretbare Einengung der Perspektive. Gleichwohl sind mit den Begriffen Tora und Weisheit, die dem vorliegenden Band den Titel geben, zwei Bereiche der frühjüdischen Literatur und Religion benannt, die wohl von allen Forschern, die sich mit dem vorrabbinischen Judentum beschäftigen, im Zentrum jüdischen Lebens und Glaubens in dieser Epoche angesiedelt werden. 6 Ihnen sind die hier zusammengestellten Untersuchungen gewidmet. Sie sind von einem christlichen Neutestamentler verfasst und verfolgen durchaus auch theologische Interessen. So ist die Bedeutung der Tora für die meisten Schriften des Neuen Testaments und für zentrale Prozesse der Herausbildung eines frühen Christentums unübersehbar. 7 Die Rezeption biblischer und frühjüdischer Weisheitsüberlieferungen zieht sich ebenfalls durch weite Teile der neutestamentlichen Literatur und prägt dort die Herausbildung theologischer Überzeugungen. 8 Daher verdienen diese beiden frühjüdischen Überlieferungszusammenhänge bei der Analyse und Interpretation neutestamentlicher und frühchristlicher Quellen besondere Aufmerksamkeit.

2. Zum methodischen Ansatz 2. Zum methodischen Ansatz

Dennoch versuche ich in den folgenden Untersuchungen, die frühjüdischen Quellen nicht von vornherein mit Blick auf neutestamentliche Problemstellungen oder Konstellationen der Entstehungsgeschichte des frühesten Christentums zu analysieren, sondern sie zuerst einmal als Zeugnisse eines in jeder 6

Mit der Wendung „jüdischen Lebens und Glaubens“ greife ich eine Formulierung in Anlehnung an den Buchtitel von E. P. SANDERS, Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992, auf und verwende sie im vorliegenden Band häufiger, um den unlösbaren Zusammenhang von religiösen Überzeugungen und einer ihnen entsprechenden religiösen Praxis zu erfassen. 7 Vgl. dazu meinen Überblick in KARL-WILHELM NIEBUHR, Art. Nomos C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1039–1061. Eine Gesamtdarstellung aus der Perspektive der Altertumswissenschaften hat HARTMUT LEPPIN, Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin, München 2018, gegeben; vgl. darin besonders den ersten Hauptteil: „I Weder Juden noch Heiden?“, a.a.O., 33–133. 8 Vgl. dazu die Gesamtdarstellung von HERMANN VON LIPS, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990.

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Einführung

Hinsicht vielfältigen Frühjudentums wahr- und ernst zu nehmen. Dass ich dabei immer wieder auch neutestamentliche Belege heranziehe und auswerte, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern soll vielmehr diesen Ansatz gerade unterstreichen. Denn die Befunde aus Texten, die erst später einem entstehenden Neuen Testament zugeordnet worden sind, werden im Rahmen dieses Bandes zunächst als Quellen für das Frühjudentum herangezogen, dem sich die neutestamentlichen Schriften religions-, literatur- und sozialgeschichtlich ja zweifellos auch zuordnen lassen. Somit soll hier methodisch wenigstens partiell einmal der umgekehrte Weg gegangen werden gegenüber einer langen, aus heutiger Sicht als problematisch anzusehenden Forschungstradition, in der die (mehr oder weniger) zeitgenössischen jüdischen Texte lediglich als ‚Steinbruch‘ für das Verständnis des Neuen Testaments von Interesse waren und zu diesem Zweck ausgebeutet wurden. 9 Mit diesem methodischen Vorgehen knüpfe ich beim neu entworfenen Forschungsansatz des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti an, wonach frühjüdische und frühchristliche Quellen jeweils „in wechselseitiger Wahrnehmung“ untersucht werden. 10 Allerdings lege ich in diesem Band zunächst nur gewissermaßen die eine Hälfte solcher Untersuchungen vor, indem ich möglichst weiträumig, aber im Einzelfall dann auch möglichst detailliert Konzeptionen bzw. Rezeptionen von Tora und Weisheit untersuche, die sich in den literarischen Erzeugnissen des Frühjudentums niedergeschlagen haben. 11

9 Zur Kritik an diesem Ansatz im Blick auf Josephus vgl. STEVE MASON, Flavius Josephus und das Neue Testament, UTB 2130, Tübingen/Basel 2000, 19–52. 10 Mit diesem Untertitel (bzw. dieser Implikation) wurden bisher fünf Konferenzbände des genannten Projekts publiziert: ROLAND DEINES/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, WUNT 172, Tübingen 2004; CHRISTFRIED BÖTTRICH/JENS HERZER (Hg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, WUNT 209, Tübingen 2007; ROLAND DEINES/JENS HERZER/ KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen, WUNT 274, Tübingen 2011; MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, WUNT 322, Tübingen 2014; ROLAND DEINES/MARK WREFORD (Hg.), Epiphanies of the Divine in the Septuagint and the New Testament, WUNT, Tübingen 2021 (im Druck). Zur Geschichte des Projekts vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Das Corpus Hellenisticum. Anmerkungen zur Geschichte eines Problems, in: WOLFGANG KRAUS/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 361–382. Als exemplarische Einzelstudie, in der ich auch auf den Forschungsansatz des Projektes eingehe, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Adam’s Sin and the Origin of Death: Paul’s Argument in Rom 5:12–14 in the Light of Jewish Texts from the Second Temple Period, in: Studies in Philo (FS G. E. Sterling), hg. v. DAVID T. RUNIA/MICHAEL B. COVER, SPhiloA 32, Atlanta 2020, 205–225. 11 Ein zweiter Band mit Studien zu Paulus im Judentum seiner Zeit befindet sich in Vorbereitung.

3. Zum Verhältnis von Tora und Weisheit

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3. Zum Verhältnis von Tora und Weisheit 3. Zum Verhältnis von Tora und Weisheit

Am Anfang stehen zwei längere, bisher unveröffentlichte Studien, die jeweils einen der beiden Titelbegriffe im Überblick über die ganze Länge und Breite des Zeitraums entfalten und dabei den jeweils anderen nur gelegentlich mit Querverweisen berühren. 12 Schon hier wird deutlich, dass mit Tora und Weisheit nicht zwei verschiedene und getrennte geistige Räume im Frühjudentum voneinander abgegrenzt werden können. Vielmehr besteht eine deutliche Asymmetrie in der Beziehung zwischen beiden in dem Sinne, dass auf der gemeinsamen Grundlage der Schriften Israels, die seit der späten Perser- bzw. der frühen hellenistischen Zeit schon als in drei Teilen konturierte autoritative Sammlung vorlagen und überliefert wurden (Tanach), der Tora eine Leitfunktion bei der Strukturierung aller Glaubensüberzeugungen und Richtlinien religiösen Lebens zukam, darunter auch solchen, die aus weisheitlichen Überlieferungen herrührten. Eine solche Leitfunktion hat die Weisheit im Frühjudentum nie erreicht, und ob sie ihr für frühere Epochen der Geschichte Israels zugesprochen werden kann, ist zumindest fraglich. 13 Dennoch stellen Tora und Weisheit so etwas wie die beiden Pole im Frühjudentum dar, vielleicht besser: die Brennpunkte einer Ellipse, an denen sich sehr unterschiedliche Ausprägungen jüdischen Glaubens und deren literarische Niederschläge orientieren konnten bzw. an denen sie im analysierenden Zugriff ausgerichtet werden können. Verbunden waren sie durch die in beiden angelegte innere Spannung zwischen einem umfassenden, zunehmend als universal verstandenen Geltungsanspruch und der gleichzeitigen Rückbindung an den einen Gott Israels, der zu seinem Volk in einer durchaus partikularen, ja, exklusiven Beziehung stehend gesehen wurde. Während im Blick auf die Tora die Entwicklung von ursprünglich nur für die eigene Gruppe, den Stämmebund, den Staat, die Gemeinde Israels geltenden Weisungen und Sammlungen von Gesetzen zu einem immer universaler erhobenen Geltungsanspruch bis hin zur Identifizierung des Mose-Gesetzes mit dem Naturgesetz führte, verlief diese Entwicklung im Blick auf die Weisheit eher umgekehrt: Die von ihren orientalischen kulturellen und soziologischen Kontexten her ursprünglich universal geltende Weisheit in Israel wurde im Frühjudentum zunehmend ‚theologisiert‘, 14 d.h., dem Herrschaftsbereich des Gottes Israels unterstellt und damit den spezifischen religiösen Überzeugungen, rituellen Regeln und ethischen

12 Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum [in diesem Band 15–100]; Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur [in diesem Band 101–148]. 13 Eine entsprechende These war von GERHARD VON RAD, Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1970, vertreten worden. 14 Vgl. dazu die Skizze zur Entwicklung der Weisheitstradition in Israel von FRIEDRICH V. REITERER, Die Sapientia Salomonis im Kontext der frühjüdischen Weisheitsliteratur, in:

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Einführung

Weisungen des Volkes Israel zu- und untergeordnet, bis schließlich, wie exemplarisch und explizit bei Sirach geschehen, die Weisheit, die in der Gemeinde des Höchsten ihren Mund öffnet, um sich selbst zu loben (Sir 24,1f.), vom Verfasser der Schrift, dem Jerusalemer Weisheitslehrer Ben Sira, mit der Tora des Mose identifiziert wurde: Dies alles (gilt vom) Buch des Bundes des höchsten Gottes (    ), dem Gesetz, das uns Mose geboten hat ( ) als Erbteil für die Gemeinden Jakobs. (Sir 24,23) 15

Leben also Tora und Weisheit seit frühjüdischer Zeit in einer unlösbaren, aber keineswegs gleichberechtigten Partnerschaft miteinander, so ist diese Zweierbeziehung doch alles andere als exklusiv. Vielmehr unterhalten beide ständig auch intensive Außenbeziehungen, was ihr Verhältnis zueinander eher befruchtet als gefährdet. Für die Mose-Tora und ihre Rezeption und Interpretation im Frühjudentum wird die Integration von Traditionen aus dem Bereich der philosophischen Ethik und hellenistischen Politik prägend. Das zeigt sich schon an der Übersetzung des hebräischen Wortes in der Septuaginta mit , was keineswegs dazu führt, dass mit dem griechischen Begriff das im hebräischen Gemeinte wesentlich verändert würde. Eher umgekehrt nimmt, jedenfalls im Ausstrahlungsbereich der frühjüdischen Literatur, das Wort  hier die Bedeutung von Tora an im Sinne des Mosegesetzes als der maßgeblichen religiös-geistigen Grundlage für Israel. Ebenso auffällig ist in den Schriften des hellenistischen Frühjudentums die Identifikation der ethischen Forderungen der Tora mit den klassischen Tugenden der hellenistisch-römischen Ethik. Auch sie wird nicht als Übernahme oder gar Zitat verstanden, sondern eher wird der umgekehrte Anspruch erhoben: die Griechen haben (meist ohne es zu wissen) von Mose gelernt. Betrachtet man das Außenverhältnis der frühjüdischen Weisheit näher, dann kommt, schon vom Wort her, die Philosophie in den Blick. Die jüngere Forschung zur antiken Philosophiegeschichte betont sehr stark das religiöse und ethisch-praktische Interesse im Grunde aller philosophischen Schulrichtungen in hellenistisch-römischer Zeit. 16 Das kommt unserer eigenen Suche nach

KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015, 175–189, sowie den Forschungsbericht von Jürgen VAN OORSCHOT, Weisheit in Israel und im frühen Judentum, VuF 48, 2003, 59–89. 15 Vgl. dazu NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur (Anm. 12), 120. Übersetzungen aus der Septuaginta werden in diesem Band in der Regel nach LXX.D zitiert. 16 Vgl. exemplarisch den Sammelband von RAINER HIRSCH-LUIPOLD/HERWIG GÖRGEMANNS/MICHAEL VON ALBRECHT (Hg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven, Ratio Religionis Studien 1, Tübingen 2009.

4. Tora und Weisheit im frühjüdischen Ethos

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Querverbindungen zwischen frühjüdischer weisheitlich geprägter Ethik und griechischer Philosophie entgegen. Das Spektrum von Begegnungen zwischen biblisch-jüdischer Weisheit und griechisch-römischer Philosophie ist außerordentlich breit und reicht von weitgehender Abgrenzung oder Ignoranz bis zu programmatischer Integration. Die Jachad-Texte aus Qumran oder die Sibyllinischen Orakel (bei gleichzeitig mythisch-heidnischem Pseudonym!) auf der einen Seite und Aristobulos oder Philon von Alexandria auf der anderen mögen Extreme bilden. Dazwischen finden sich alle denkbaren Varianten für mehr oder weniger dauerhafte Dates. Unberührt von solchen Außenkontakten blieb jedenfalls niemand, und das dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen, wobei die Beeinflussungsrichtung von jüdischen auf nichtjüdische Quellen noch relativ wenig erforscht ist. Man sollte allerdings nicht so weit gehen, die Unterscheidung von einer Innenbeziehung zwischen Tora und Weisheit und deren jeweiligen Außenverhältnissen ganz aufzugeben. Gerade diejenigen frühjüdischen Autoren, die am stärksten produktiv in die aktuell-zeitgenössischen philosophischen Debatten eingreifen (Aristobulos und Philon), machen zugleich unmissverständlich klar, dass für sie die Tora des Mose die höchste und immer entscheidende Autorität ist, während Werke, die ihrer Gattung, Sprache oder literarischen Fiktion nach am stärksten ein hellenistisch gefärbtes Kleid tragen (z.B. Joseph und Aseneth oder Pseudo-Phokylides), bei näherem Hinsehen eine dezidiert jüdische Intention und Adressatenschaft zu erkennen geben. So bildet die Verbindung von Tora und Weisheit gerade in ihrer Asymmetrie und in Anbetracht ständig gepflegter Außenkontakte beider den Mutterboden für ein außerordentlich lebendiges, vielfältiges, buntes und kreatives Frühjudentum, das uns in seinen zahlreich, wenn auch oft auf äußerst verschlungenen Wegen, überlieferten Quellen begegnet.

4. Tora und Weisheit im frühjüdischen Ethos 4. Tora und Weisheit im frühjüdischen Ethos

Die Einzelstudien im ersten Hauptteil dieses Bandes folgen implizit der Leitfrage nach Rezeptionen der Tora im Zuge der Herausbildung eines eigenen Ethos im Frühjudentum. Den Begriff Ethos verwende ich im Anschluss an Michael Wolter, der darunter einen „Kanon von habitualisierten Handlungen“ versteht, „der innerhalb eines sozialen Systems in Geltung steht“. 17 Ein solches Ethos hat nach Wolter die Funktion, soziale Kohäsion zu stiften, indem es Einzelnen die Zugehörigkeit zu einer überindividuellen Gemeinschaft bestätigt. 18 17

MICHAEL WOLTER, Ethos und Identität in paulinischen Gemeinden, NTS 43, 1997, 430–444: 430f. 18 Vgl. dazu den Aufsatz: Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora [in diesem Band 149–173].

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Einführung

Während Wolter aber die Frage nach einem solchen identitätsstiftenden Ethos im Blick auf die paulinischen Gemeinden stellt, um Prozesse bei deren Ablösung von frühjüdischen Gruppen zu analysieren, geht es mir eher um die Identität stiftenden und wahrenden Kräfte innerhalb des Frühjudentums selbst, 19 wobei der Blick auf einzelne neutestamentliche Texte deutlich machen kann, dass und wie die sich dort artikulierenden frühchristlichen Gruppen ihre je spezifischen Merkmale immer noch im Rahmen eines frühjüdischen Ethos ausbilden. Deshalb kann man m.E. im Blick auf die neutestamentlichen Schriften und die hinter ihnen stehenden Gruppen noch nicht von einem eigenen, ‚christlichen‘ Ethos im Unterschied zum frühjüdischen sprechen. 20 Damit wird deutlich, dass hier zentrale historische Fragen zur Rekonstruktion der Frühgeschichte des Christentums berührt sind, die gegenwärtig in der neutestamentlichen Wissenschaft stark diskutiert werden. 21 Ich kann im Rahmen der hier vorgelegten Studien diese Frage nicht eigens diskutieren, bin freilich der Überzeugung, dass deren Ergebnisse bei dieser Diskussion eine Rolle spielen sollten. Wenn man mit dem Begriff Ethos für das Frühjudentum arbeitet, lässt sich zeigen, dass die Tora bei dessen Herausbildung eine Leitfunktion übernahm und behielt, allerdings in der Form, die sie in einem über Jahrhunderte andauernden Prozess von der ersten Sammlung verschiedener Rechtskorpora bis zur literarischen Komposition und Redaktion des Pentateuch gefunden hatte. Das betrifft sowohl die literarische Gestalt der pentateuchischen Großerzählung als auch ihre Sprachform, also für das hellenistische Diasporajudentum und für griechischsprachige Gruppen im Land Israel die Septuaginta (in möglicherweise im Detail noch verschiedenen Fassungen), für aramäischsprachige Gruppen dort neben den weiterhin tradierten hebräischen Fassungen (Plural!) auch erste Ansätze zu aramäischen Versionen, vor allem aber die Rezeptions- und

19 Der Sache nach kann man die Studien zum Frühjudentum von GERHARD DELLING dieser Fragestellung zuordnen, die gesammelt herausgegeben wurden von CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, Göttingen 2000, besonders DERS., Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum (1987), a.a.O., 23–121. 20 Exemplarisch versuche ich das in diesem Band im Blick auf Paulus und seine Gemeinden, den Jakobusbrief und das Matthäusevangelium zu zeigen, vgl. dazu die Aufsätze: Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora [in diesem Band 175–207], und: Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption [in diesem Band 299– 323]. 21 Vgl. exemplarisch einerseits UDO SCHNELLE, Die getrennten Wege von Römern, Juden und Christen. Religionspolitik im 1. Jahrhundert n. Chr., Tübingen 2019, andererseits TOBIAS NICKLAS, Jews and Christians? Second Century ‚Christian‘ Perspectives on the ‚Parting of the Ways‘, Tübingen 2014.

5. Eschatologische Schriftauslegung

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Interpretationsweisen der Tora im Frühjudentum. Diese lassen sich nicht systematisieren, etwa im Sinne der später entwickelten Systeme rabbinischer Auslegungsregeln, sondern nur jeweils für konkrete Texte einzeln erheben. Dass es auch im Zuge solcher aktualisierenden Auslegungen der Tora oder von Teilen aus ihr immer wieder zu fruchtbaren Begegnungen zwischen Weisheitstraditionen und Toratraditionen kam und die jeweiligen Außenbeziehungen zur orientalischen wie zur hellenistisch-römischen Welt dabei als Katalysatoren wirken konnten, lässt sich auch an ausgewählten Traditionskomplexen der Jesus-Überlieferung zeigen. 22 Dieses Thema müsste, wenn es umfassend dargestellt werden sollte, sehr viel breiter untermauert und ausgebaut werden. Hier kann es am Beispiel der Aufnahme von zentralen Geboten der Tora wie dem Liebesgebot aus Levitikus 19 oder den Dekaloggeboten in der Bergpredigttradition und im Rahmen der paränetischen Intentionen des Matthäusevangeliums nur angeschnitten werden. Aber schon an diesen wenigen Beispielen lässt sich m.E. ablesen, dass und wie Toratradition und Weisheitstradition auch für die Anfänge der frühchristlichen Traditionsbildung ein Paar bildeten, in dem der Tora klar die Führungsrolle zukam. Die Kombination von Goldener Regel und Liebesgebot, die wohl nicht erst im Zuge der matthäischen Komposition eines zusammenhängenden Entwurfs der ‚Lehre Jesu‘ zustande gekommen ist, sondern sich in frühere Stränge der Jesus-Überlieferung und vielleicht bis zum vorösterlichen Wirken Jesu zurückverfolgen lässt, ist ein Signal dafür. Während die Goldene Regel für einen in der Alten Welt universal verbreiteten Topos weisheitlicher Unterweisung steht, bildet Jesu Gebot der Feindesliebe eine markante, anderweitig nirgendwo so nachweisbare Zuspitzung einer der zentralen und erkennbar als Teil der Tora identifizierbaren Weisungen des Mose für Israel. Weitester orientalisch-antiker Horizont und engster spezifisch-jüdischer Fokus kommen hier also in einer der prägnantesten Intentionen Jesu zusammen und formen die Basis für die Herausbildung eines, wenn auch erst später von außen wahrnehmbaren, christlichen Ethos.

5. Eschatologische Schriftauslegung 5. Eschatologische Schriftauslegung

Auch für die Herausbildung spezifisch christlicher Glaubensüberzeugungen wie das Bekenntnis zur Messianität Jesu oder die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten ist nicht nur ganz allgemein die frühjüdische Traditionsentwicklung der Überlieferungen Israels maßgeblich – dafür bedarf es keiner

22 Vgl. dazu die Aufsätze: Weisheit als Thema biblischer Theologie [in diesem Band 263– 284], Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit. Eine Problemskizze [in diesem Band 285–297], und: Die Antithesen des Matthäus (Anm. 20).

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Einführung

eigenen Begründung – sondern in besonderer Weise die Verbindung von Toratraditionen und weisheitlichen Überlieferungen im Frühjudentum. Die unter der Überschrift „Eschatologische Schriftauslegung“ im zweiten Teil dieses Bandes zusammengestellten Studien sind in verschiedenen Zusammenhängen und aus unterschiedlichen Anlässen entstanden. Sie sollen hier nicht künstlich auf eine Linie gebracht werden. Jeder Aufsatz steht für sich und soll auf seine Weise einen Mosaikstein für ein Gesamtbild beitragen, vielleicht eher für ein Grundmuster, dessen Rahmen ebenso wenig zu erkennen ist wie die genaueren Konturen dessen, was es als Ganzes darstellen soll. Die Qumran-Texte bieten zahlreiche, z.T. ausgesprochen farbige und komplexe Beispiele für die Rezeption der Schriften Israels, die von einem endzeitlich bestimmten Selbstverständnis der Autoren und der religiösen Gemeinschaft, zu der sie sich zählen, bestimmt ist. 23 Ausgewählt habe ich zwei Studien, die einen dieser Texte näher analysieren und in den Zusammenhang mit der neutestamentlichen Jesus-Überlieferung stellen. 24 Die eschatologische Zuspitzung der in den prophetischen Schriften Israels ausgesprochenen Verheißungen für das heilvolle Handeln Gottes an seinem Volk verbindet den „eschatologischen Psalm“ 4Q 512,2 II mit der Jesus-Überlieferung. Die Bindung dieser Erwartungen an das Wirken Jesu in Galiläa macht das Besondere aus, das der neutestamentlichen und frühchristlichen Traditionsbildung einen neuen Inhalt und eine eigene Richtung gab. Am Beispiel der Geschichtssummarien in der frühjüdischen Literatur und im Neuen Testament 25 lässt sich zeigen, dass die Israel-Geschichte nicht nur ein literarisches Modell für die Darstellung der Jesus-Christus-Geschichte abgab, sondern dass für die neutestamentlichen Texte auch ein Gottes- und Geschichtsverständnis leitend ist, das in den Schriften Israels seine Basis und in deren Rezeption in frühjüdischen Schriften seine nächsten Verwandten hat. Das ist theologisch relevant, weil mit dem geschichtlichen Wirken Jesu in Raum und Zeit auch den vom Osterglauben bestimmten neutestamentlichen Autoren (und schon den für die vorliterarische Jesus-Überlieferung verantwortlichen Tradenten) die Aufgabe gestellt war, in überzeugender Weise vom Wirken Gottes im Zusammenhang mit irdisch-geschichtlichen Erfahrungen von 23 Zum aktuellen Stand der Einzelforschung und ihrer Aufbereitung für die Bibelwissenschaften insgesamt vgl. den Sammelband von JÖRG FREY, Qumran, Early Judaism, and New Testament Interpretation. Kleine Schriften III, WUNT 424, Tübingen 2019. 24 Vgl. die Aufsätze: Ein Eschatologischer Psalm – 4Q521,2 II [in diesem Band 327– 347], und: Die Werke des eschatologischen Freudenboten. 4Q521 und die Jesusüberlieferung [in diesem Band 349–357]. Zum Schriftgebrauch in Qumran vgl. auch meinen Aufsatz: KARL-WILHELM NIEBUHR, Bezüge auf die Schrift in einigen „neuen“ Qumran-Texten, Mitteilungen und Beiträge, Forschungsstelle Judentum, Theologische Fakultät Leipzig 8, 1994, 37–54. 25 Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte. Überlegungen in Anknüpfung an Herder [in diesem Band 359–375].

6. Tora und Weisheit in der jüdisch-hellenistischen Literatur

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Menschen zu sprechen, wollten sie dem Grundimpuls Jesu treu bleiben. 26 Die literarische Ausgestaltung und Überlieferung der Geschichtserfahrungen Israels in Gestalt des Tanach und seiner Rezeption in der frühjüdischen Literatur konnte dafür eine gute Schule sein. Auch die Einordnung solcher Überlieferungen in ein endzeitlich orientiertes Geschichtsbild und -verständnis bot den frühchristlichen Tradenten und Autoren Anknüpfungspunkte und Anregungen, ihr eigenes endzeitlich ausgerichtetes Gottes- und Geschichtsverständnis, das durch den Glauben an den auferweckten Jesus als Messias Israels und der Völker bestimmt war, zu entfalten. Ein besonders markanter und in den religionsgeschichtlichen Kontexten der hellenistisch-römischen Welt durchaus auffälliger Gegenstand frühjüdischer und frühchristlicher Glaubensüberzeugungen betraf Erwartungen zu einem Leben nach dem Tod bzw. über den Tod hinaus. Josephus kann als Beleg dafür dienen, dass auch nichtjüdische (römische) Vorstellungen mit solchen Motiven in Einklang zu bringen sind, die sich in jüdischen und/oder christlichen Auferstehungsaussagen wiederfinden. 27 Mögen die frühjüdischen Endzeiterwartungen auch partiell in altorientalisch-weisheitlichen, speziell persischen Vorstellungen wurzeln, so begegnen sie den neutestamentlichen Autoren doch erst in der Gestalt, die sie durch Einbindung in die Überlieferungen Israels, also in den Zusammenhang von Tora und Weisheit, erlangt haben. Bei näherer Betrachtung zeigt sich dabei, dass gerade die Auferstehungsvorstellung, mit der ja ein spezifischer und zentraler Teil der urchristlichen Bekenntnisbildung untrennbar verbunden ist, in charakteristischer Weise als Bindeglied zwischen frühjüdischen und frühchristlichen Überzeugungen gelten kann, und zwar so sehr, dass bei einzelnen Textbelegen gar nicht mehr sicher bestimmt werden kann, ob in ihnen frühjüdische oder frühchristliche Stimmen laut werden. 28

6. Tora und Weisheit in der jüdisch-hellenistischen Literatur 6. Tora und Weisheit in der jüdisch-hellenistischen Literatur

Die in der dritten Rubrik zusammengestellten Studien sind weder thematisch noch entstehungsgeschichtlich miteinander verbunden, bilden aber gewissermaßen das Fundament der übergreifenden Untersuchungen zu Tora und Weisheit im Frühjudentum. Denn wie schon eingangs betont: Nur anhand von Ein-

26 Die damit verbundene Problematik wird umfassend reflektiert von ROLAND DEINES, Acts of God in History. Studies Towards Recovering a Theological Historiography, WUNT 317, Tübingen 2013. 27 Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung [in diesem Band 399–419]. 28 „Auferstehung“ im Frühjudentum. Das Nomen !   in der Septuaginta, in der frühjüdischen Literatur und im Neuen Testament [in diesem Band 377–397].

Einführung

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zelanalysen zu den literarischen Zeugnissen des Frühjudentums in ihren jeweiligen historischen, kultur-, religions- und sozialgeschichtlichen Kontexten lässt sich ein einigermaßen zuverlässiges und repräsentatives Gesamtbild jüdischen Lebens und Glaubens in der Epoche des Frühjudentums gewinnen. Neben einem übergreifenden Forschungsbericht zur jüdisch-hellenistischen Literatur 29 gehören zu dieser Rubrik zwei einführende Beiträge zur Sapientia Salomonis 30 und zu Pseudo-Phokylides. 31 Außerdem sind hier drei Einzeluntersuchungen zum Griechischen Leben Adams und Evas zusammengestellt, 32 die sich der Frage nach dem Umgang mit dem Tod und den Hoffnungen über ihn hinaus beschäftigen und noch durch den Überblick zum Nomen   nzt werden könnten. 33 Drei weitere Einzelstudien zu Joseph und Aseneth, 34 Pseudo-Phokylides 35 und dem Syrischen Menander 36 behandeln jeweils bestimmte Aspekte (das Toraverständnis, die Frage nach einem frühjüdischen bzw. frühchristlichen Ethos und den Umgang mit dem Tod), die auch in anderen Aufsätzen dieses Bandes eine Rolle spielen und zur Begründung der dort entfalteten Themen beitragen. Ich erhebe nicht den Anspruch, mit meinen hier gesammelt vorgelegten Studien bereits ein Gesamtbild zur Bedeutung von Tora und Weisheit im Frühjudentum gezeichnet zu haben. Ich möchte aber mit meinen Einzeluntersuchungen dazu beitragen, dass ein solches Bild Konturen gewinnt, die sich aus den antik-jüdischen Zeugnissen ergeben, wobei allerdings von vornherein davon auszugehen ist, dass dieses Bild nicht fixierbar ist, sondern sich wie in einem Kaleidoskop immer wieder durch neue Bewegungen der Forschung verändern wird.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung. Ein Literaturbericht [in diesem Band 423–455]. 30 Einführung in die Sapientia Salomonis [in diesem Band 457–491]. 31 Pseudo-Phokylides: Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht aus Alexandria [in diesem Band 571–584]. 32 Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im Griechischen Leben Adams und Evas [in diesem Band 511–531]; Wohin mit den Toten? Begräbnispraxis und Auferstehungshoffnung in der Spätantike [in diesem Band 533–545]; Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im Griechischen Leben Adams und Evas auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob [in diesem Band 547–570]. 33 Vgl. dazu den Aufsatz: „Auferstehung“ im Frühjudentum (Anm. 28). 34 Ethik und Tora. Zum Toraverständnis in Joseph und Aseneth [in diesem Band 493– 509]. 35 Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides [in diesem Band 585–599]. 36 Außerkanonische Schriften im antiken Christentum. Das Beispiel syrischer Menander [in diesem Band 601–623].

I Nomos und Sophia

Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum Einleitung Einleitung

In der christlichen Theologiegeschichte bildet die Frage nach dem jüdischen Gesetz seit ihren Anfängen und bis heute einen zentralen Gegenstand der Reflexion des christlichen Glaubens. Das beginnt bei den frühesten literarischen Zeugnissen der frühchristlichen Bewegung, den Paulusbriefen, 1 und wird sicher nicht enden mit aktuellen Bemühungen der christlichen Theologie um ein besseres Verständnis des Judentums in Geschichte und Gegenwart. 2 Nicht immer wird in diesem thematischen Rahmen die Einbindung neutestamentlicher Aussagen zum jüdischen Gesetz in die zeitgenössisch-frühjüdischen Kontexte der Schriften des Neuen Testaments ausreichend berücksichtigt, früher nicht und heute auch nicht. Vielmehr war die neuzeitliche Theologiegeschichte gerade in ihrer reformatorisch-protestantischen Ausprägung lange von einer begrenzten Wahrnehmung frühjüdischer Vorstellungen vom und Umgangsweisen mit dem Gesetz bestimmt, die historisch betrachtet als anachronistisch erscheinen, religionsgeschichtlich als vorurteilsbehaftet und theologisch als defizitär – und sie ist es bisweilen auch noch heute. Ein solches, möglicherweise auch wieder einseitig erscheinendes Urteil kann im Folgenden nicht im Einzelnen begründet werden. Vielmehr sollen lediglich aus der Sicht eines christlichen Neutestamentlers die historischen, religionsgeschichtlichen und exegetischen Voraussetzungen dafür bereitgestellt werden, das, was das Neue Testament zum jüdischen Gesetz zu sagen hat, in einen aus heutiger Sicht zuverlässig und differenziert ermittelten Rahmen frühjüdischen Gesetzesverständnisses zu stellen. 3 Dass dies aus der Sicht und im Interesse einer Bibelwissenschaft im Zusammenspiel christlicher Theologie 4 1 Die Fachliteratur dazu ist uferlos; vgl. als knappen Einblick in die Thematik KARLWILHELM NIEBUHR, Art. Nomos, B. Jüdisch, C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1006– 1061: 1048–1058. 2 Als ein aus der Fülle der Literatur herausgegriffenes Beispiel vgl. FOLKER SIEGERT (Hg.), Kirche und Synagoge. Ein lutherisches Votum, Göttingen 2012. 3 Die folgenden Ausführungen beruhen im ersten Teil auf den entsprechenden Partien in meinem in Anm. 1 genannten RAC-Artikel. Auch für die folgenden Teile zur Tora in der frühjüdischen Literatur wurden einige Abschnitte aus diesem Artikel übernommen, allerdings aktualisiert und ergänzt und durch Behandlung einer erheblichen Zahl weiterer Quellen stark erweitert. Alle Kapitel wurden durchgehend überarbeitet und vervollständigt, so dass der Umfang des Textes gegenüber dem RAC-Artikel um ein Mehrfaches gewachsen ist. 4 Vgl. dazu meine Positionsbestimmung in KARL-WILHELM NIEBUHR, Biblische Theologie evangelisch: Neutestamentliche Wissenschaft im Zusammenspiel der Theologie, in:

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

geschieht, soll nicht verschwiegen, vielmehr ausdrücklich gleich eingangs klargestellt werden. Es zeigt sich nicht nur äußerlich, z.B. im Gebrauch des Begriffs „Altes Testament“, sondern auch etwa daran, dass der rabbinischen Traditionsliteratur, die in ihren Anfängen zweifellos in die frühjüdische Epoche hineinragt, nur eine Randstellung zugewiesen wird, nicht zuletzt wegen der in dieser Hinsicht mangelhaften Fachkompetenz des Verfassers. Eine stillschweigende Leitfrage bei meinem Durchgang durch die alttestamentliche und frühjüdische Literatur ist die nach den literarischen, oft narrativen Zusammenhängen, in denen in den Quellen vom jüdischen Gesetz die Rede ist. Gegenüber einer stark auf den Begriff „Gesetz“ und dessen Verständnis zugeschnittenen christlich-theologischen Rezeptionsgeschichte scheint es mir bemerkens- und bedenkenswert, wie stark in der biblischen und frühjüdischen Literatur die Tora Teil von „Großerzählungen“ ist, in denen die ganze Geschichte Israels, oft sogar die ganze Geschichte der Schöpfung und der Menschheit, zur Sprache kommt. Das ist in narrativen Texten der Fall, aber ebenso in endzeitlich ausgerichteten Visions- oder Offenbarungsschriften, in ‚exegetischen‘ Texten (im antiken Sinn) wie in poetischen oder ‚philosophischen‘ (ebenfalls im antiken Sinn). Daran wird schon vorab sichtbar, dass die Tora nicht von ihrem literarischen, religiösen und auch kulturellen Umfeld isoliert werden kann, in dem sie uns in den Quellen des Frühjudentums begegnet. Ein zweiter übergreifender Gesichtspunkt, der für ein sachgemäßes Verständnis des jüdischen Gesetzes im Kontext der neutestamentlichen Schriften von Bedeutung ist und über die Gefahr einer Verengung auf den Begriff „Gesetz“ in der christlich-theologischen Rezeption hinausweist, ist die Torapraxis.5 Das Thema des praktischen Umgangs mit der Tora und ihren Geboten kommt allerdings in den folgenden Kapiteln lediglich in zahlreichen Hinweisen auf die „Toraparänese“ im Frühjudentum zur Sprache, also auf die aktualisierende Rezeption und Anwendung von Forderungen der Tora im Lebensalltag frühjüdischer Gemeinschaften und Einzelner unter den Bedingungen der hellenistisch-römischen Gesellschaft. Der ganze Bereich der dezidiert religiösen (im modernen Sinne) Weisungen der Tora (Kultgebote, Reinheitsvorschriften, Speisevorschriften, Beschneidungsgebot, Sabbatgebot u.a.) müsste aber ebenfalls ausgiebig gewürdigt werden, um ein angemessenes Gesamtbild von der Bedeutung der Tora im Frühjudentum zu gewinnen. Dieser Aspekt kann in den folgenden Ausführungen, die sich stark auf die literarischen Befunde in den frühjüdischen Quellen konzentrieren, nicht ausreichend berücksichtigt

INGOLF U. DALFERTH (Hg.), Eine Wissenschaft oder viele? Die Einheit evangelischer Theologie in der Sicht ihrer Disziplinen, ThLZ.F 17, Leipzig 2006, 23–46. 5 Wegweisend in dieser Richtung sind die Monographien von ED P. SANDERS, Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992; DERS., Jewish Law from Jesus to the Mishnah. Five Studies, London/Philadelphia 1990.

1. Die Tora im Alten Testament

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werden. Er sei hier lediglich im Sinne einer Fehlanzeige notiert und müsste in weiteren Untersuchungen eigens entfaltet werden. 6

1. Die Tora im Alten Testament 1. Die Tora im Alten Testament

In der alttestamentlichen Überlieferung begegnen Gesetze in Gestalt von Einzelgeboten, Gesetzes- bzw. Gebotsreihen und Gesetzeskorpora. Sie finden sich textlich überliefert weit überwiegend im Pentateuch, darüber hinaus aber auch in Teilen der prophetischen und weisheitlichen Literatur. Von der Tora im Sinne der umfassenden Weisung Gottes für sein Volk Israel kann man aber erst sprechen, wenn man die Einbindung solcher Einzelgebote, Gebotsreihen und Gesetzeskorpora in den literarischen Zusammenhang des Pentateuch und darüber hinaus in die Sammlung der autoritativen Schriften Israels, den Tanach, berücksichtigt. In dieser Gestalt ist die Tora im Frühjudentum wirksam geworden und bildete auch für die Schriften des Neuen Testaments einen bestimmenden Horizont, auf den sehr viele von ihnen explizit Bezug nehmen.7 Deshalb verdienen im Folgenden bei der Darstellung zur Tora in den alttestamentlichen Schriften Beobachtungen zu den literarischen Strategien bei der Verknüpfung von Gebotskomplexen mit dem narrativen Kontext der jeweiligen Schriften besondere Beachtung. Für die Rezeption der Tora im Frühjudentum und im Neuen Testament sind sie von weit größerer Bedeutung als die literaturgeschichtlichen Rekonstruktionen der neuzeitlichen, historisch ausgerichteten Pentateuch-Forschung. Die biblische Terminologie zur Erfassung des jüdischen Gesetzes geht auf das hebräische Wort ‫ תורה‬zurück, das freilich in seiner Grundbedeutung zunächst nicht im Sinne eines Namens für die autoritative Sammlung der Gebote des Mosegesetzes zu verstehen ist, sondern eher auf den Vorgang des Erteilens von Rechtsentscheidungen oder Weisungen, oft durch Priester, verweist.8 In der Septuaginta wird ‫ תורה‬weit überwiegend mit νόμος wiedergegeben. Allerdings hat ‫ תורה‬innerhalb des Alten Testaments ein weiteres Bedeutungsspektrum, an dessen Ausgangspunkt priesterliche, prophetische oder weisheitliche Weisungen stehen. Zum Wortfeld von Unterweisung und Gesetz gehören darüber hinaus im Pentateuch auch die Ausdrücke ‫משפת‬, ‫ חוק‬und ‫מצוה‬, im weiteren

6 Einen ersten Zugang dazu mit besonderem Blick auf Paulus habe ich gesucht in meinem Aufsatz: KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51; vgl. auch DERS., Jesus, Paulus und die Pharisäer. Beobachtungen zu ihren historischen Zusammenhängen, zum Toraverständnis und zur Anthropologie, RCatT 34, 2009, 317–346. 7 Als Überblick zu solchen neutestamentlichen Bezugnahmen auf die Tora vgl. die entsprechenden Abschnitte in NIEBUHR, Art. Nomos (Anm. 1), 1039–1061. 8 GARCIA LÓPEZ, Art. ‫ורה‬ ֣ ָ ‫ ֹתּ‬tôrāh, ThWAT 8, 1995, 597–637.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Sinne und in den übrigen Teilen der Schrift auch noch ‫ברית‬, ‫דבר‬, ‫ דרך‬oder ‫עדות‬. In der frühjüdisch-hellenistischen und neutestamentlichen Rezeption bleibt zwar, ausgehend vom Sprachgebrauch der Septuaginta, νόμος mit seinen Derivaten führend. Daneben finden sich aber zahlreiche weitere Ausdrücke, die auf das jüdische Gesetz und seine Gebote verweisen (vor allem ἐντολή, ἐπιταγή, ἔθος, δόγμα, πρόσταγμα, πολίτευμα, πολιτεία).9 1.1 Zur Literaturgeschichte der Gesetzeskorpora im Pentateuch Im seit der Perserzeit weitgehend literarisch fixierten Pentateuch 10 lassen sich drei Rechtskorpora identifizieren, das Bundesbuch, das Heiligkeitsgesetz und das deuteronomische Gesetzbuch. Das Bundesbuch11 (Ex 20,22–23,33), als ältestes Rechtskorpus in das 8./7. Jh. v. Chr. zu datieren, hat verschiedene, ursprünglich selbständige thematische Rechtssammlungen in sich integriert.12 In der mittleren bis späten Königszeit wurden diese aus altorientalischer Rechtstradition stammenden profanrechtlichen Bestimmungen unter Rezeption prophetischer (vgl. Ex 22,22–26) und priesterlicher Überlieferungen (vgl. Ex 20,24–26) sowie durch redaktionelle Verknüpfung mit spezifisch religiösen Rechtssätzen (vgl. Ex 22,28–23,12) und mit der Exodustradition (vgl. Ex 20,22f.; 21,2–11; 23,31b–33) ‚theologisiert‘. Gott erscheint hier als der gnädige Rechtshelfer der Bedrängten. Seinen literarischen Ort im Pentateuch als Zentrum der Sinaiperikope und seine Verbindung mit dem Dekalog (Ex 20,2– 17) verdankt das Bundesbuch erst der nachexilischen Pentateuch-Redaktion. Das Deuteronomium13 erscheint als „Neuausgabe des Bundesbuches unter der Maßgabe der Forderung nach Kultzentralisation“. 14 Literarisch ist es als

9 Zur Vielfalt der entsprechenden Terminologie in der Septuaginta vgl. EMANUEL TOV, The Septuagint Translation of the Torah as a Source and Resource for the Post-Pentateuchal Translators, in: EBERHARD BONS/JAN JOOSTEN (Hg.), Die Sprache der Septuaginta/The Language of the Septuagint, LXX.H 3, Gütersloh 2016, 316–328. 10 Zur Einführung vgl. KONRAD SCHMID, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, 172–176; JAN CHRISTIAN GERTZ, Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments, UTB 2745, Göttingen 42010, 193–311. Weitere Literatur in WOLFGANG OSWALD, Art. Pentateuch, WiBiLex, sowie THOMAS RÖMER, Art. Pentateuchforschung, WiBiLex. Im Folgenden muss ich mich bei der Darstellung der Literaturgeschichte des Pentateuch auf wenige fachwissenschaftliche Lexikonartikel und eine enge Auswahl einschlägiger Monographien stützen, ohne ein eigenständiges Urteil beanspruchen zu können. 11 Zum Namen vgl. Ex 24,7. 12 Z.B. Tötungen: 21,12–17, Körperverletzungen: 21,18–32, Schadenersatz: 21,33– 22,14; zu Forschungsfragen vgl. SCHMID, Literaturgeschichte (Anm. 10), 102–104; ECKART OTTO, Art. Bundesbuch, RGG4 1, 1998, 1876–1877. 13 Zum Namen vgl. Dtn 17,18 LXX. 14 SCHMID, Literaturgeschichte (Anm. 10), 105; vgl. Dtn 12,13–27 mit Ex 20,24–26; Dtn 19,2–13 mit Ex 21,12–14.

1. Die Tora im Alten Testament

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Rede des Mose im Ostjordanland unmittelbar vor dem Einzug in das Land der Verheißung gestaltet (Dtn 1,1–5). Rechtsbestände des Bundesbuches, die für die exklusive Stellung des Zentralheiligtums relevant sind, werden im Sinne der Kultzentralisation umformuliert, andere beiseitegelassen.15 Das Familienrecht wird breit entfaltet (Dtn 21–25). Soziale Normen werden akzentuiert.16 Mit angesichts literarkritischer Unsicherheiten gebotener Vorsicht kann ein Grundbestand des Deuteronomiums in spätassyrische, somit josianische Zeit datiert werden (letztes Viertel des 7. Jh. v. Chr.), wenngleich die Historizität umfassender Kultreformen unter Josia (vgl. 2Kön 23) in der aktuellen Forschung umstritten ist. 17 Für eine solche Datierung spricht immerhin die stilistische Nähe zu so genannten assyrischen Treueeiden. 18 Konzeptionen neuassyrischer Vasallenvertragstheologie werden im Deuteronomium rezipiert und subversiv auf Israels Treue zu seinem Gott JHWH angewendet. 19 Darüber hinaus sind weisheitliche Überlieferungen, insbesondere der Tun-Ergehen-Zusammenhang, für die Theologie des Deuteronomiums prägend. Das Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26) verdankt sich einer Reformulierung (‚Fortschreibung‘) priesterschriftlicher Theologie in deuteronomistischem Sinn. Unkonditionierte Heilszusagen der Priesterschrift werden auf diese Weise gesetzestheologisch kommentiert und interpretiert.20 Das Heiligkeitsgesetz lässt sich daher als nachexilische schriftgelehrte Komposition verstehen, in der divergierende Gesetzeskorpora im Pentateuch miteinander vermittelt werden,21 wobei „das Bundesbuch hermeneutischer Schlüssel für die Fortschreibung des Dtn ist“.22 Blöcke innerhalb des Heiligkeitsgesetzes sind eine ‚Laientora‘ (Lev 18–20) mit den Schwerpunkten Sexualethik, Familienethik, Verhalten zum Nächsten und Fremden (darin das Nächsten- und Fremdenliebegebot Lev 19,18.34), Opfer- und Priestergebote (Lev 17; 21–22) sowie eine Fest- und Sabbatordnung (Lev 23–25). Den Schluss des Heiligkeitsgesetzes und zugleich einer vor-pentateuchischen Sinaiperikope (Ex 20–Lev 26) bilden Segen- und Fluchreihen, in denen die paränetisch konditionierende Tendenz priesterlicher Gesetzesinterpretation besonders deutlich hervortritt. 23 15

Etwa Körperverletzungs- oder Sachenrecht, vgl. Ex 21,13–22,14. Vgl. ECKART OTTO, Art. Deuteronomium, RGG 4 2, 1999, 693–696: 695: „Das Armenethos des Bundesbuches wird zu einem Programm des geschwisterlichen Sozialethos ausgebaut.“ 17 Vgl. dazu MICHAEL PIETSCH, Die Kultreform Josias. Studien zur Religionsgeschichte Israels in der späten Königszeit, FAT 86, Tübingen 2013. 18 Vgl. bes. Dtn 13,2–20; 28,20–44, dazu OTTO, Deuteronomium (Anm. 16), 694. 19 SCHMID, Literaturgeschichte (Anm. 10), 106. 20 A.a.O., 173. 21 Vgl. dazu CHRISTOPHE NIHAN, From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus, FAT II/25, Tübingen 2007. 22 ECKART OTTO, Art. Heiligkeitsgesetz, RGG4 3, 2000, 1570–1571: 1571. 23 Vgl. dazu MATTHIAS KÖCKERT, Leben in Gottes Gegenwart, JBTh 4, 1989, 29–61. 16

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Der Dekalog (Ex 20,2–17; Dtn 5,1–21) ist eine gegenüber dem Grundbestand des deuteronomischen Gesetzbuches jüngere Bildung;24 seine Vorschaltung vor das ‚Ur-Deuteronomium‘ belegt eine deuteronomistische Redaktion zur Zeit des babylonischen Exils. Gegenüber dem Sch ema Jisrael (Dtn 6,4) ist der Dekalog im Buch Deuteronomium literarisch wie theologiegeschichtlich sekundär: Während das Sch ema Jisrael für sich gesehen die unbedingte Loyalität Israels zu seinem Gott JHWH fordert, 25 akzentuiert der Dekalog mit dem Fremdgötter- und Bilderverbot bereits die identitätsgefährdende Lage Israels gegenüber anderen Völkern im Exil. Seine Position als Einleitung der Gesetzespromulgation sowohl für das Deuteronomium als auch für das Bundesbuch erhält der Dekalog erst im Zuge der nachexilischen Pentateuch-Redaktion. Eine literarisch kohärente ‚Großerzählung‘ des Pentateuch von Genesis bis Deuteronomium (unter Abtrennung der Bücher Josua bis 2. Könige), in welche die verschiedenen Rechtskorpora schrittweise integriert worden sind, wird erst in der Perserzeit im Zuge der ‚persischen Reichsautorisation der Tora‘ geschaffen. 26 Dtn 34,10–12 in Verbindung mit Dtn 18,15 autorisiert die Tora des Mose als Maßstab für alle folgende Auslegung. In diesem Rahmen wird künftig auch das Gesetz den Propheten vor- und übergeordnet. Die Landverheißung durchzieht als „pentateuchredaktionelles Thema“ 27 die Bücher Genesis bis Deuteronomium28 und verbindet so deuteronomistische und priesterschriftliche Elemente. Das Numeribuch wird zum Sammelbecken für Gesetze, die nicht mehr in die Bücher Exodus/Levitikus oder Deuteronomium Aufnahme gefunden haben; es reflektiert schon die Diasporaexistenz Israels außerhalb des Landes. 29 1.2 Zur Autorisierung der Tora im Pentateuch Im narrativen Zusammenhang des Pentateuch erscheint nur der Dekalog als direkte Gottesrede auf dem Berg Sinai,30 während die weiteren Gesetze ab Ex 20,22 bzw. Dtn 6,4 im Auftrag Gottes von Mose zum Volk Israel gesprochen 24 SCHMID, Literaturgeschichte (Anm. 10), 137: „schriftgelehrte, verdichtende Reflexion auf Rechtsthemen, nicht … rechtliches Urgestein“. 25 In diesem Sinne ist „lieben“ in Dtn 6,5 zu verstehen. 26 Vgl. Esr 7; dazu KONRAD SCHMID, Persische Reichsautorisation und Tora, ThR 71, 2006, 494–506; DERS., Literaturgeschichte (Anm. 10), 174–176; FRANK CRÜSEMANN, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, Gütersloh 32005, 381–393; ERICH ZENGER, Der Pentateuch als Tora und als Kanon, in: DERS. (Hg.), Die Tora als Kanon für Juden und Christen, HBS 10, Freiburg 1996, 5–34: 7–17; KYONG-JIN LEE, The Authority and Authorization of Torah in the Persian Period, CBET 64, Leuven 2011. 27 SCHMID, Literaturgeschichte (Anm. 10), 176. 28 Vgl. Gen 12,7; 50,24; Ex 32,13; 33,1; Num 32,11; Dtn 34,4. 29 Vgl. SCHMID, Literaturgeschichte (Anm. 10), 173f., sowie REINHARD ACHENBACH, Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch, BZAR 3, Wiesbaden 2003. 30 Ex 20,1.19; Dtn 5,5.22, vgl. 4,13.

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(bzw. für es aufgeschrieben) werden.31 Allerdings ist innerhalb der Sinai-Perikope im Buch Exodus (Ex 19–40) die erzählerische Verknüpfung der Gottesrede im Dekalog mit dem ihn umgebenden Gott-Mose-Dialog komplex, wie schon die narrative Bruchstelle zwischen Ex 19,25 und 20,1 zeigt. 32 Im Zusammenhang mit dem Bundesschluss am Sinai (Ex 24,1–18) wird nämlich erzählt, Mose habe alle Worte JHWHs und alle Rechtssatzungen dem Volk verkündet, anschließend aufgeschrieben und dann dem Volk als „Bundesbuch“ vorgelesen (24,4.7). Nach Ex 24,12 hat aber Gott auch „die Tora und das Gebot“ selbst auf Steintafeln aufgeschrieben und dann im Zuge des Bundesschlusses an Mose übergeben. Dass Gott seine Gebote selbst auf Steintafeln geschrieben habe, wird auch in Ex 31,18; 32,16; 34,27 gesagt.33 Nach Ex 34,2834 waren allerdings allein die „zehn Worte“ von JHWH auf die zwei steinernen Tafeln geschrieben und Mose übergeben worden, 35 während für die schriftliche Fixierung der weiteren Bestimmungen und Rechtssatzungen an Israel Mose verantwortlich zeichnete. Die Gesetze im Buch Numeri sind nach Num 1,1 überhaupt nicht am Sinai, sondern erst während des Wüstenzugs im Offenbarungszelt an Mose offenbart worden. Deuten lassen sich diese literarisch auffälligen Phänomene, wenn man die zweifache Wiedergabe des Dekalogs in Ex 20 und Dtn 5 nicht bloß als Dublette und die verschiedenen Aussagen über die Verschriftung des Dekalogs bzw. aller Gebote und Rechtssatzungen nicht als in sich widersprüchlich auffasst, sondern im Rahmen der pentateuchischen Großerzählung als Etappen einer stufenweisen Bekanntmachung der Tora Gottes an Israel narrativ deutet.36 Demnach ist der Wortlaut des Dekalogs im Zusammenhang von Ex 20 zunächst lediglich den Lesern des Pentateuch, nicht aber den in der Erzählung agierenden Personen bekannt gemacht worden (weder Mose noch den Israeliten). Auf der Erzählebene erhält nämlich Mose in der Bundesschlussszene Ex 24 zwar zwei steinerne Tafeln, auf die Gott selbst seine Gebote geschrieben hat (24,12); dass es sich dabei aber um den Dekalog handelt, ergibt sich erst nachträglich aus 34,28 in Verbindung mit 34,1 mit Blick auf deren Zweitschrift. Bevor Mose den Wortlaut des Dekalogs dem Volk bekannt machen konnte, hatte er ja angesichts der Sünde Israels mit dem Goldenen Kalb die Tafeln zerschlagen (32,15f.19). Nach 34,32 teilt Mose zwar Israel „alles, was JHWH auf dem Berg Sinai mit ihm gesprochen hatte“, mit. Aber dass dazu auch der Wortlaut des Dekalogs gehört habe, ergibt sich aus der Szene in Ex 20 gerade nicht, weil ja 31

Ex 21,1; 24,3; 31,12f.; vgl. Dtn 11,18–32; 27,1; 30,16. Vgl. CHRISTOPH DOHMEN, Exodus 19–40, HThKAT, Freiburg 2004, 88: „Der Dekalog von Ex 20,1–17 liegt im wahrsten Sinne des Wortes außerhalb der ihn umgebenden Erzählung.“ 33 Vgl. auch Dtn 9,10; 10,2; 31,9. 34 Vgl. Dtn 4,13f.; 5,22; 10,4. 35 Vgl. Dtn 5,22: „und sonst nichts“. 36 So DOHMEN, Exodus 19–40 (Anm. 32), 88–91. 32

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dort die Gottesrede nach 20,1 auf der Erzählebene eben keinen Adressaten hat, auch nicht Mose. Erst im Deuteronomium wird der Dekalog im Rückblick Moses auf die Ereignisse am Sinai eindeutig mit den zwei Tafeln identifiziert (4,13). Hier legt Mose das gesamte Gesetz Gottes Israel noch einmal vor (4,44f.; 5,1) und zitiert in diesem Zusammenhang nun auch den Dekalog im Wortlaut (5,6–21). Damit löst er auf der Erzählebene ein, wozu er nach Ex 20,19 bestimmt war, nämlich zwischen Gott und dem Volk zu stehen, um ihm die Worte JHWHs mitzuteilen (5,5.27). Wenn der Leser im Pentateuch demnach Differenzen im Wortlaut zwischen den beiden Dekalogen wahrnimmt, muss für ihn die Fassung von Dtn 5 gegenüber derjenigen von Ex 20 Vorrang haben. Denn als geschriebenes Wort Gottes, das durch Mose dem Volk im Wortlaut mündlich mitgeteilt wird, entspricht sie nach 5,22 genau dem, was Gott selbst einst am Sinai mit lauter Stimme gesprochen hatte. Demgegenüber hat in Ex 20,1 lediglich der Erzähler der Pentateucherzählung gegenüber seinen Lesern das Wort, um ihnen den Inhalt des Dekalogs gewissermaßen schon einmal vorab, also außerhalb der Erzählebene, mitzuteilen. 1.3 Tora und Prophetie Wenn der Pentateuch in seiner literarischen Endgestalt erst der persischen Epoche angehört, dann kann von einer innerbiblischen Wirkungsgeschichte des Mosegesetzes im Sinne einer Rezeption der Tora als abgeschlossenem literarischen Text bei der Entstehung anderer Schriften des Alten Testaments historisch noch nicht gesprochen werden. Die literarische Entstehung der Schriften Israels einschließlich des Pentateuch und die Wirkungsgeschichte der Tora im Frühjudentum lassen sich nicht scharf voneinander scheiden, sondern überlappen einander chronologisch in komplexen literaturgeschichtlichen Prozessen. Damit erübrigt sich auch die auf Wellhausen zurückgehende Debatte, ob der Prophetie oder dem Gesetz historisch der Primat zukomme, jedenfalls im Sinne alternativer Antworten. Vielmehr lassen sich Querverbindungen zwischen verschiedenen Schriftenteilen des Tanach aufweisen, die in ihre literarische Vorgeschichte hineinreichen und Anknüpfungspunkte für Rezeptionen und Interpretationen der Tora im Frühjudentum und im frühen Christentum bieten. Das Gesetz steht somit entstehungs- wie wirkungsgeschichtlich in einem inneren Zusammenhang mit der Gesamtheit der Glaubensüberlieferungen Israels und kann daher weder im Alten Testament, noch im Frühjudentum oder im Neuen Testament von den übrigen Schriften Israels isoliert werden. Exemplarisch lässt sich das an der prophetischen Forderung nach Recht und Gerechtigkeit zeigen. Sie wurzelt in der vorexilischen Prophetie, wo sie mit der Verurteilung konkreter Vergehen im Sozialleben der Gesellschaft verbunden war, und weist auf Rechtstraditionen zurück, die schon vor und unabhängig

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von der sinaitischen Kodifizierung israelitischer Rechtsüberlieferungen verbreitet waren. Dieselben Forderungen konnten im Zuge der literarischen Formung der prophetischen Überlieferungen dann immer wieder aktualisiert 37 und schließlich in frühjüdischer Rezeption, dort in ganz anderen Zusammenhängen und völlig verschiedener sprachlicher Gestalt, auch für die Einschärfung von Torageboten mit sozialethischer Zuspitzung herangezogen oder in eschatologischen Gerichtsandrohungen aktualisiert werden.38 Die sozialen Konkretionen einer durch Gott geforderten Gerechtigkeit zeigen sich besonders deutlich in der expliziten Benennung der gesellschaftlich Schwachen („Fremdlinge, Waisen und Witwen“) als Adressaten und Nutznießer gerechten Verhaltens. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte biblische Überlieferung 39 und findet auch im Neuen Testament ein starkes Echo. 40 Im Zuge der Zusammenführung von Rechts- und Geschichtsüberlieferungen im Sinne deuteronomistischer Geschichtstheologie wurden die Propheten in den Prophetenbüchern zu Umkehrpredigern und Mahnern zu Bundestreue im Sinne des Gehorsams gegenüber den Geboten Gottes. 41 Dazu trug zum einen bei, dass schon in der Tora selbst ein „Prophet wie Mose“ angekündigt wird, dem Gott seine Worte in den Mund legen wird,42 zum andern, dass Mose im Pentateuch auch schon als Prophet agiert, indem er Segen und Fluch über Israel ankündigt.43 Auf der Grundlage dieser Segens- und Fluch-Ankündigungen konnten auch die Geschichtserzählungen von der Landnahme bis zum Fall Jerusalems (also der gesamte Inhalt der Bücher Josua bis 2. Könige, die ‚Vorderen Propheten‘) am Maßstab der Treue Israels zur Tora gemessen und alle Katastrophen in der Geschichte des Gottesvolkes als Folge des Ungehorsams gegenüber dem Gesetz, insbesondere gegenüber dem ersten Gebot des Dekalogs, beurteilt werden. 44

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Vgl. Jes 1,17.21–26; Jer 7,1–15; Hos 4,1f.; Am 2,6–8; 5,7–12; 6,12; 8,4–6; Mi 6,9–12. Vgl. z.B. TestIss 3,8; Sib 3,235–245; 2Hen 10,4–6; 42,6–14; dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 112–116.175–177.187–192. 39 Ex 22,21; Dtn 10,18; Ps 146,9; Jes 1,17; Jer 7,6; Ez 22,7; 2Makk 3,10. 40 Mt 5,3–12; 25,21–46; Lk 1,51–55; 10,25–37; Jak 1,26f.; 2,14–17; 5,1–5. 41 Vgl. dazu OTTO KAISER, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments, Teil 1: Grundlegung, Göttingen 1993, 329–341 („Die Tora als Mitte der Schrift“). 42 Dtn 18,15–20. 43 Dtn 28–30; 33; vgl. Lev 26. 44 Vgl. dazu JOHANNES TASCHNER, Das Moselied als Verbindung zwischen Tora und Propheten, in: EGBERT BALLHORN/GEORG STEINS (Hg.), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007, 189–197. Diese Interpretationslinie wird in der frühjüdischen Literatur besonders im Liber Antiquitatum Biblicarum aufgegriffen, vgl. dazu u., 53f. 38

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Besonders profiliert als Umkehrprediger und Toralehrer erscheint Jeremia.45 Er wird im Zuge der deuteronomistischen Fortschreibung des Prophetenbuches zu einem „Lehrer der Tora“.46 Nach Jer 31,31–34 wird JHWH selbst den Israeliten seine Tora in ihr Inneres geben und auf ihr Herz schreiben. Die Ankündigung eines „neuen Bundes“ durch den Propheten setzt dabei voraus, dass gegenseitige Belehrung der Israeliten noch keine Treue des Volkes zum Bund garantieren kann, sondern JHWH selbst an Israel verwandelnd tätig werden muss.47 In Jer 9,11 ist bereits unverkennbar das katastrophale Ende davidischer Herrschaft vorausgesetzt, die Unheilsbotschaft der vorexilischen Prophetie also Realität geworden. Der von deuteronomistischer Theologie geprägte Prophetenspruch dient jetzt der Deutung dieses Geschehens und fordert dazu auf, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.48 Eine ganz eigenständige, durch priesterliche Traditionen (und Gruppen) in nachexilischer Zeit geprägte Rezeption von Tora-Überlieferungen stellt der ‚Verfassungsentwurf‘ im Ezechielbuch (Ez 40–48) dar.49 Im Zuge einer Entrückungsvision von Babylon nach Jerusalem erlebt der Prophet, wie Stadt und Tempelareal durch einen angelus interpres nach Art eines idealen Aufmaßes für die künftige Tempelstadt vermessen werden. Nachdem er geschaut hat, wie „die Herrlichkeit Gottes … von Osten her“ in den Tempel einzieht, 50 vernimmt er aus dem Munde Gottes die Verheißung seiner Gegenwart im Tempel auf ewig, sofern Israel sich künftig aller Abgötterei und Verunreinigung enthält. Anschließend erhält der Prophet den Auftrag, „die Gestalt des Hauses und seine Einrichtung und seine Ausgänge und seine Eingänge und alle es betreffenden Weisungen (‫ )תורות‬und Satzungen“ aufzuzeichnen, so dass die Israeliten „alle es betreffenden Weisungen (‫ )תורות‬und Satzungen beachten und sie tun“ (43,11).51 Es folgt unmittelbar eine „Weisung (‫ )תורה‬für den Tempel“ (V. 45 Vgl. Jer 7,1–8,3; 11,1–17; 17,19–27; 22,1–5; 34,8–22; zur Verwendung des Wortes ‫ תורה‬bei Jeremia vgl. auch 6,16–21; 9,11–15; 16,10–13; 26,4–6. 46 CHRISTL MAIER, Jeremia als Lehrer der Tora. Soziale Gebote des Deuteronomiums in Fortschreibungen des Jeremiabuches, FRLANT 196, Göttingen 2002, 371: Jeremia sei ein „Verfechter des sozialen Ausgleichs innerhalb der Gemeinschaft“. 47 Vgl. BERND U. SCHIPPER, Das Proverbienbuch und die Toratradition, ZThK 108, 2011, 381–404: 390–394; zum „Herz“ Israels in diesem Zusammenhang vgl. auch Ez 11,19f. 48 KAISER, Der Gott des Alten Testaments (Anm. 41), 339: „Der seine Wirkung bei den Zeitgenossen verfehlende Umkehrruf des dtr Jeremia soll bei deren Kindern und Kindeskindern die Umkehr zu Jahwe und damit zum Gehorsam gegen die Tora bewirken.“ 49 Vgl. dazu MICHAEL KONKEL, Architektonik des Heiligen. Studien zur zweiten Tempelvision Ezechiels (Ez 40–48), BBB 129, Berlin 2001; THILO A. RUDNIG, Heilig und Profan. Redaktionskritische Studien zu Ez 40–48, BZAW 287, Berlin 2000; STEVEN S. TUELL, The Law of the Temple in Ezekiel 40–48, HSM 49, Atlanta 1992. 50 Ez 43,1–4; am Ende seiner ersten Entrückung nach Jerusalem, Kapitel 8–11, hatte Ezechiel sie den Tempel verlassen sehen, vgl. 11,22–25. 51 Zu Text und Übersetzung vgl. WALTHER ZIMMERLI, Ezechiel, Teilbd. 2: Ezechiel 25– 48, BKAT 13/2, Neukirchen-Vluyn 1969, 1070–1073; die Septuaginta hat πάντα τὰ

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12), die dann in zahlreichen Einzelanweisungen über die Maße des Opferaltars, seine Weihe, die Priesterschaft, den Opferkult, die Abgaben und Feste sowie die Heiligkeitsbezirke von Stadt und Land entfaltet wird. Obwohl mit göttlicher, also unüberbietbarer Autorisierung versehen, konnte sich diese dezidiert priesterliche Version einer Tora für das heilige Gottesvolk offenbar gegenüber dem Pentateuch weder geschichtlich noch literarisch durchsetzen. Die Tempelrolle aus Qumran 52 belegt zwar Bemühungen in frühjüdischer Zeit, ihre Anordnungen mit denen des Pentateuch in Einklang zu bringen; vor allem aber bezeugt sie das Potential dieses Textes für die Herausbildung endzeitlicher Erwartungen an die Heiligkeit des Gottesvolkes im Frühjudentum. Die Verfasser bzw. Redaktoren der Prophetenbücher und diejenigen, die für ihre sukzessive Zusammenstellung zu einem eigenen Schriftenteil (nebiim) neben und nach der Tora zuständig waren, schufen zwecks Verklammerung beider Schriftkomplexe gezielte Verbindungen zu Grundsatzaussagen über Tora und Prophetie. So verweist Maleachi am Ende des Zwölfprophetenbuches programmatisch zurück auf „die Tora Moses, meines Knechtes, die ich ihm am Horeb gegeben habe über ganz Israel“ (Mal 3,22–24). In ihrer Schlussstellung innerhalb der Prophetensammlung knüpft diese prophetische Ermahnung zur Toratreue an die kommentierende Abschlussformulierung des Pentateuch in Dtn 34,10–12 an, wonach in Israel fortan kein Prophet wie Mose mehr aufgestanden sei. Diese grundlegende Selbstbindung der Prophetie an die Autorität der Mose-Tora wird auch schon in der Texteröffnung des Josua-Buches, also zu Beginn der Vorderen Propheten, programmatisch herausgestellt, wenn nach dem Tod des Mose JHWH selbst Josua, den „Diener Moses“, anweist, „nach dem ganzen Gesetz zu handeln, das mein Knecht Mose dir vorgeschrieben hat“, und das „Buch dieses Gesetzes“ zur Basis für den künftigen Weg Israels erklärt.53 Im Zuge endzeitlich orientierter Fortschreibungen der prophetischen Literatur wird schließlich nicht mehr allein Israel als Adressat der Tora angesprochen. Auch die Völker können jetzt in ihren Horizont treten, und zwar nicht mehr nur als dem göttlichen Gericht Unterworfene, sondern auch als solche, die am endzeitlichen Heil Israels Anteil bekommen. Im Jesajabuch ist die Vorstellung von einer Tora für die Völker mit der Verkündigung des Gottesknechts verbunden, der nach Jes 42,6; 49,6 zum „Licht der Völker“ bestellt ist. Er wird auf Erden das Recht verkünden, und die Inseln werden auf seine Tora warten προστάγματα … καὶ πάντα τὰ νόμιμα bzw. δικαιώματα. Ähnliche Wendungen mit ‫תורה‬ auch in 44,5.24. 52 S. dazu u., 39–41. 53 Vgl. dazu AARON SCHART, Tora und Tag YHWHs – Zu Mal 3,22–24, in: MARKUS TIWALD (Hg.), Kein Jota wird vergehen. Das Gesetzesverständnis der Logienquelle vor dem Hintergrund frühjüdischer Theologie, BWANT 200, Stuttgart 2013, 165–177; STEPHEN B. CHAPMAN, The Law and the Prophets. A Study in Old Testament Canon Formation, FAT 27, Tübingen 2000.

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(42,4).54 In Jes 51,4 ist es JHWH selbst, der den Völkern Weisung (‫ )תורה‬erteilt. Nach der Heilsverheißung in Jes 2,2–5 wird vom Zion in Jerusalem und von seinem Tempel her Weisung (‫ )תורה‬für die Völker ergehen, die in der Endzeit nach Jerusalem strömen. 55 1.4 Tora in den „Schriften“ Als Text in Gestalt eines Buches, aus dem verlesen wird, begegnet die Tora des Mose erstmals in den Büchern Esra/Nehemia. 56 Esra wird hier vorgestellt als „Schreiber, bewandert im Gesetz des Mose (‫ורת ֹמשֶׁ֔ ה‬ ֣ ַ ֹ‫)מָ הִ יר֙ בְּ ת‬, das JHWH, der Gott Israels, erlassen hatte“ (Esra 7,6). Er habe „seinen Sinn darauf gerichtet, das Gesetz JHWHs zu erforschen (‫ורת ְיהוָ ֖ה‬ ֥ ַ ‫ )לִ דְ ֛ ֹר ושׁ אֶ ת־ ֹתּ‬und zu erfüllen und in Israel Gesetz und Recht (‫וּמ ְשׁ ָ ֽפּט‬ ִ ‫ ) ֹ֥ח ק‬zu lehren“ (7,10).57 Welchen Wortlaut dieser von dem aaronitischen Priester, Schreiber und Gesetzesausleger Esra anlässlich des ersten nachexilischen Laubhüttenfestes außerhalb des Tempelbezirkes sieben Tage lang verlesene Text hatte (vgl. Neh 8,1–18), lässt sich nicht sagen, 58 abgesehen davon, dass in ihm Bestimmungen zum Laubhüttenfest enthalten waren, die zumindest nach Datierung, Dauer und Festbräuchen Geboten aus dem Pentateuch entsprechen, wenn auch nicht exakt mit ihnen übereinstimmen.59 Jedenfalls kann aus Neh 8 nicht auf einen bereits im Wortlaut fixierten Pentateuch als Tora des Mose geschlossen werden. 60 Immerhin deuten aber die betonte Charakterisierung, ja, Titulierung Esras ebenso wie die Herausstellung einer als „Gesetzbuch des Mose“61 bezeichneten Größe als Basis der Neuordnung der persischen Provinz Juda und Neukonstituierung der nachexilischen Gemeinde Israels nach dem Babylonischen Exil auf das Vor-

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Vgl. dazu IRMTRAUT FISCHER, Die Bedeutung der Tora Israels für die Völker nach dem Jesajabuch, in: ZENGER, Die Tora als Kanon für Juden und Christen (Anm. 26), 139– 167. 55 Vgl. Jes 56,1–8; 66,18–21; Sach 8,20–22; 14,16f. 56 Zur komplexen Literaturgeschichte vgl. GEORG STEINS, Die Bücher Esra und Nehemia, in: ERICH ZENGER u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 92004, 331–349: 335–344. 57 In Esr 7,11f. wird er „schriftgelehrter Priester“ (‫ )הַ ֹכּ ֵ ֖ה ן הַ ֹסּפֵ ֑ר‬und „Schreiber der Worte der Gebote Gottes (‫)מ צְ וֹת־ ְיהוָ ֛ה‬ ִ und seiner Gesetze (‫ )ח ָ ֻ֖קּ יו‬für Israel“ genannt und in seinem Brief von König Artaxerxes als „Schreiber des Gesetzes des Himmelsgottes“ (‫סָ ֨ ַפ ר דָּ ֜ ָתא ִ ֽדּ י־‬ ‫ ) ֱא לָ ֧הּ ְשׁמַ יָּ ֛א‬angeredet (vgl. auch 7,21). 58 Immerhin ist von einem „Gesetzbuch des Mose“ (‫ורת ֹמשֶׁ֔ ה‬ ֣ ַ ‫)ס ֶפר֙ ֹתּ‬ ֵ ֨ bzw. „Gesetzbuch Gottes“ (‫הים‬  ֖ ִ ‫ור הָ ֱא‬ ֥ ַ ֹ‫ )בַ ֵ ֛סּ ֶפר בְּ ת‬die Rede, das „JHWH Israel auferlegt habe“ (8,1.8). 59 Neh 8,1.14–17; vgl. Ex 23,14–16; Lev 23,33–36.39–43. 60 CRÜSEMANN, Die Tora (Anm. 26), 387–393. 61 Vgl. Neh 8,8: „Gesetzbuch Gottes“; Esr 6,18: „Buch des Mose“; 7,6: „Gesetz des Mose“; 7,10: „Gesetz JHWHs“.

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handensein eines Korpus von anerkannten religiösen und sozialen Bestimmungen, die der Autorität des Mose und über ihn der des Gottes Israels zugeschrieben wurden.62 Den Chronikbüchern kam bei der Formierung des dritten Teils des Tanach offenbar maßgebliche Bedeutung zu. In zahlreichen Wendungen wird hier (ähnlich wie in Esra/Nehemia) auf die Tora in einer Gestalt Bezug genommen, die bereits die Vermischung der unterschiedlichen Traditionsstränge gesetzlicher Überlieferungen im Spätstadium der Pentateuchentstehung voraussetzt. Das bedeutet aber nicht, dass mit Tora hier immer die literarisch überlieferte Endgestalt des Pentateuch oder gar der Wortlaut des masoretischen Textes gemeint sein muss. Vielmehr bleibt die Tora sowohl Buch der gesammelt überlieferten Weisungen Gottes für Israel als auch Ausdruck seines gegenwärtig aktuellen Willens. 63 Der biblische Psalter hat in seiner literarisch überlieferten Endgestalt die Struktur einer Fünf-Bücher-Sammlung, die implizit und explizit auf den Pentateuch, somit die Tora, verweist.64 Psalm 1 als Proömium des Psalters unterscheidet am Maßstab der Tora zwischen Gerechten und Frevlern (1,1f.). Psalm 1965 und 11966 entfalten für den Leser des Psalters, wie der fromme und gerechte Israelit an den kosmischen Ordnungen Gottes Herrschaft erkennen kann und sich in seinen persönlichen Lebensentscheidungen durch seinen Willen

62 CRÜSEMANN, Die Tora (Anm. 26), 129: „Das Esragesetz, was immer es umfaßt, hat seine Autorität als das alte Gesetz Israels und Moses.“ 63 GEORG STEINS, Torabindung und Kanonabschluß. Zur Entstehung und kanonischen Funktion der Chronikbücher, in: ZENGER, Die Tora als Kanon für Juden und Christen (Anm. 26), 213–256: 231: „Die Forderung und Betonung der Toragemäßheit hat programmatischen Charakter, bildet die Basis oder den Rahmen des Selbstverständnisses und Verhaltens, in den sich alle einzelnen Entscheidungen und Aktionen einfügen sollen. Der Inhalt der einzelnen Handlungsnormen richtet sich aber nicht zuerst nach der Tora, sondern nach den gegebenen alltäglichen Erfordernissen.“ Zur Bedeutung der Tora in der Septuaginta der Geschichtsbücher (sowohl der älteren [Josua bis Könige] als auch der jüngeren [Chronik/Esra/Nehemia]) vgl. den Überblick von MARTIN MEISER, Geschichtswerke, in: HANS AUSLOOS/BÉNEDICTE LEMMELIJN (Hg.), Die Theologie der Septuaginta/The Theology of the Septuagint, aus den Proverbien, LXX.H 5, Gütersloh 2020, 148–155. 64 Übergänge sind markiert durch Doxologien (vgl. Ps 41,14; 72,18f.; 89,53; 106,48; 150) sowie super- und subscriptiones. Vgl. dazu REINHARD GREGOR KRATZ, Die Tora Davids. Psalm 1 und die doxologische Fünfteilung des Psalters, in: DERS., Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels, FAT 42, Tübingen 1996, 280–311. Spuren alternativer Anordnungen finden sich in Qumran (vgl. 11QPs a). 65 ALEXANDRA GRUND-WARTENBERG, „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes“. Psalm 19 im Kontext der nachexilischen Toraweisheit, WMANT 103, Neukirchen-Vluyn 2004. 66 KENT AARON REYNOLDS, Torah as Teacher. The Exemplary Torah Student in Psalm 119, VT.S 137, Leiden 2010.

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leiten lassen soll.67 Wenn im Psalter ausdrücklich von der Tora JHWHs (‫ורת ְיה ֗ ָוה‬ ֥ ַ ֹ‫ת‬, Ps 1,2; 19,8; 94,12; 119,1) bzw. Gottes (‫ה֣יו‬ ֱ ָ ‫ורת א‬ ֣ ַ ‫ ֹתּ‬, Ps 37,31; 40,9; 78,10) und nicht des Mose gesprochen wird, ist damit angedeutet, dass die Tora im Sinne des Psalters nicht allein auf den Pentateuch eingegrenzt ist, sondern möglicherweise auch Geschichtsüberlieferungen einschließlich derer des chronistischen Werkes inkludiert. Die in den Tora-Psalmen 1 und 119 und im Psalter als Ganzem vorbereitete sachliche Identität der „Tora Gottes“, wie sie zum einen in der Mosetora des Pentateuch überliefert, zum anderen aber auch in der universalen Willensbekundung Gottes in seiner Schöpfung und gegenüber seinem Volk Israel zugänglich ist, bildet die theologische Voraussetzung für die explizite Identifikation von Weisheit und Tora in den biblischen Weisheitsschriften. Im Proverbienbuch haben sich unterschiedliche Modelle einer Verhältnisbestimmung zwischen Weisheits- und Toratraditionen niedergeschlagen.68 In den weisheitlichen Lehrreden (Spr 1–9) lassen sich insbesondere Bezüge zum Deuteronomium ausmachen.69 Die Unterweisung des Weisheitsschülers im Proverbienbuch kann von hier aus als Fortführung der Paränesen des Mose gegenüber Israel im Deuteronomium angesehen werden, als „Weitergabe der Tora von einer Generation an die nächste“. 70 Im Unterschied zu Spr 3, wo die Fähigkeit des Menschen, Gottes Tora zu erfüllen, kritischer beurteilt wird,71 knüpft Spr 2 bei dem Lehrkonzept des Deuteronomium an, nach welchem die Tora von Generation zu Generation weitergegeben wird. Für die Kompositionsgeschichte des Proverbienbuches können diese unterschiedlichen Akzentuierungen ebenso fruchtbar gemacht werden wie für die grundsätzliche hermeneutische Frage nach dem Verhältnis von Weisheit und Tora. Im apokryphen Baruchbuch hält der (fiktive72) Prophet in Babylon eine Mahnrede an die Israeliten (3,9–4,4) und fordert sie auf, die „Gebote des Lebens“ (ἐντολὰς ζωῆς, 3,9) zu hören. Israel sei von seinen Feinden besiegt worden, weil es die „Quelle der Weisheit“ (πηγὴ σοφίας, 3,12) verlassen habe, und müsse nun neu lernen, wo Einsicht (φρόνησις) und Klugheit (σύνεσις) sind (3,14), nämlich bei dem einen Gott Israels (3,36), der sie seinem Volk im „Buch der Satzungen Gottes“ (ἡ βίβλος τῶν προσταγμάτων τοῦ 67 KRATZ, Die Tora Davids (Anm. 64), 287: „Aus beiden Psalmen liest der Verfasser von Ps 1 vor allem die persönliche, intime Beziehung des Frommen zur Tora heraus“. 68 Vgl. dazu BERND U. SCHIPPER, Hermeneutik der Tora. Studien zur Traditionsgeschichte von Prov 2 und zur Komposition von Prov 1–9, BZAW 432, Berlin 2012. 69 Vgl. bes. Spr 3,1–5; 6,20–24; 7,1–5 mit Dtn 6; 11. 70 SCHIPPER, Hermeneutik der Tora (Anm. 68), 390. 71 Ähnlich wie in prophetischen Konzeptionen, wonach Gott selbst seine Tora neu in Kraft setzen muss, vgl. o., 24f., zu Jer 31,31–34; Ez 11,19f. 72 Die nur griechisch überlieferte Schrift stammt aus der Makkabäerzeit, vgl. dazu ODIL HANNES STECK, Das apokryphe Baruchbuch. Studien zu Rezeption und Konzentration „kanonischer“ Überlieferung, FRLANT 160, Göttingen 1993, 285–303.

1. Die Tora im Alten Testament

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θεοῦ) und „im Gesetz (ὁ νόμος), das für immer Bestand hat“ (4,1) zur Kenntnis gegeben hat. 73 Das Hiob-Buch skizziert insbesondere in den „Herausforderungsreden Hiobs“ (Hi 29–31) mit der exemplarischen Gegenüberstellung von Gerechten und Ungerechten und einer charakteristischen Auswahl von Vergehen der Frevler nach dem Modell des Dekalogs bereits die Konturen eines frühjüdischen Tora-Ethos.74 Möglicherweise ist die komplexe, mehrhundertjährige Literargeschichte des Hiob-Buches von einer „kritischen Auseinandersetzung über das deuteronomisch-deuteronomistische Segen-Fluch-Konzept … und über die Leistungsfähigkeit der Tora als göttlich offenbartem Weg zum Heil“ bestimmt. 75 Das vollständig nur griechisch überlieferte, aber auf eine zu erheblichen Teilen in hebräischer Ursprache erhaltene Vorlage zurückgehende Sirach-Buch76 setzt bereits eine dreiteilige autoritative Schriftensammlung voraus, an deren Spitze das Gesetz steht.77 Der Prolog des griechischen Übersetzers benennt als Intention des Werkes schon bei seinem Großvater, dass diejenigen, die nach Bildung streben, durch ein am Gesetz ausgerichtetes Leben (διὰ τῆς ἐννόμου βιώσεως) Fortschritte machen (Prolog, V. 13f.), und beabsichtigt mit seinem Übersetzungswerk, auch denen, die in der Fremde leben, zu einem gesetzestreuen Leben (ἐννόμως βιοτεύειν) zu verhelfen (Prolog, V. 34–36). Im Zentrum des Buches steht ein hymnisches Selbstlob der Weisheit (Sir 24), die als ursprünglich göttlich-himmlische Gestalt auf Befehl Gottes, des Schöpfers, in Israel heimisch geworden sei (24,8–12). Mitten in einer Einladungsrede dieser personifizierten Weisheitsfigur an ihre Nachfolger findet sich in Gestalt eines Kommentars des Verfassers der hermeneutische Schlüssel für das Kapitel wie für das gesamte Werk: „Dies alles betrifft das Buch des Bundes (βίβλος διαθήκης) des höchsten Gottes, das Gesetz, das Mose uns angeordnet hat (νόμον ὃν ἐνετείλατο ἡμῖν Μωυσῆς) als Erbteil für die Versammlungen

73 Der Prophet Baruch wird so nach STECK, Das apokryphe Baruchbuch (Anm. 72), 277, zum „exilische(n) Sachwalter Moses und aktiviert dessen Aussagen zu Situation und Aussicht der Exilslage Israels in der Tora“; vgl. bes. Dtn 4; 28–33. 74 Vgl. dazu DANIELA OPEL, Hiobs Anspruch und Widerspruch. Die Herausforderungsreden Hiobs (Hi 29–31) im Kontext frühjüdischer Ethik, WMANT 127, Neukirchen-Vluyn 2010; vgl. auch Hi 24. 75 MARKUS WITTE, „Weisheit“ in der alttestamentlichen Wissenschaft. Ausgewählte literatur- und theologiegeschichtliche Fragestellungen und Entwicklungen, ThLZ 137, 2012, 1159–1176: 1171. 76 Vgl. dazu FRANK UEBERSCHAER, Das Buch Ben Sira. Zur gegenwärtigen Forschung, ThLZ 145, 2020, 897–912. 77 Vgl. im Prolog 1f.8–10.24f. S. auch die Anordnung der Erzählstoffe nach biblischer Chronologie im „Lob der Väter“, Sir 44–50.

Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

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Jakobs“ (24,23).78 Mit dieser Identifizierung von universaler göttlicher Weisheit und speziell auf Israel ausgerichteter Tora sind die Weichen für die frühjüdische Rezeption des Mosegesetzes in einem durch die Kultur des Hellenismus geprägten Frühjudentum gestellt. 79

2. Tora und Nomos im Frühjudentum 2. Tora und Nomos im Frühjudentum

2.1 Qumran 2.1.1 Die Tora in den Textfunden von Qumran Die Textfunde von Qumran bieten einzigartige Einblicke in die Gestalt der Tora und den Umgang mit ihr im Frühjudentum. Sie lassen erkennen, dass zur Zeit des Zweiten Tempels die Tora weder dem Wortlaut nach noch in Bezug auf ihre Bewertung und Funktion schon eindeutig festgelegt war. Dies gilt zunächst einmal ganz allgemein für alle in den Höhlen von Qumran gefundenen Texte, unabhängig davon, ob es sich um schon vorher bekannte Werke handelt oder um hier erstmals auftauchende Texte, ob die betreffenden Schriften erst in der Qumran-Gemeinschaft verfasst worden sind oder dort nur rezipiert und tradiert wurden, auch unabhängig davon, ob sich in ihnen spezifische Eigenheiten des Jachad widerspiegeln oder ob sie allgemein für das Frühjudentum in aller seiner Vielfalt in Anspruch genommen werden können. 80 Die genannten Differenzierungen innerhalb der Textfunde aus Qumran sind in jüngeren Studien zu den Qumran-Texten sehr deutlich hervorgetreten und haben gegenüber

78

Vgl. OPEL, Hiobs Anspruch und Widerspruch (Anm. 74), 231–273; FRIEDRICH REITEDas Verhältnis der ‫ חכמה‬zur ‫ תורה‬im Buch Ben Sira. Kriterien zur gegenseitigen Bestimmung, in: GÉZA G. XERAVITS/JOZEF ZSENGELLÉR (Hg.), Studies in the Book of Ben Sira. Papers of the Third International Conference on the Deuterocanonical Books, Shime’on Centre, Pápa, Hungary, 18 – 20 May 2006, JSJ.S 127, Leiden 2008, 97–133. 79 Vgl. dazu ECKHARD J. SCHNABEL, Law and Wisdom from Ben Sira to Paul. A Tradition Historical Enquiry into the Relation of Law, Wisdom, and Ethics, WUNT II/16, Tübingen 1985. – Einen kurzen Überblick über das Thema „Weisheit und Gesetz“ in der Septuaginta gibt LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Weisheit und das Leben vor Gott, in: AUSLOOS/LEMMELIJN, Die Theologie der Septuaginta Anm. 63), 337–307: 353–357. Er nennt eine Reihe von Belegen aus Kohelet, den Proverbien und Sirach, an denen sich in der Septuaginta Tendenzen einer „Nomisierung der Weisheit“ (a.a.O., 353) beobachten lassen. Genauer auf die Übersetzungskonventionen in der Septuaginta der Bücher Proverbien, Hiob und Jesus Sirach geht ein FRANK UEBERSCHAER, Weisheit, in: AUSLOOS/LEMMELIJN, Die Theologie der Septuaginta (a.a.O.), 137–144. 80 Einen guten Einblick in die aktuelle Forschungslage zur Frage der Rezeption biblischer Schriften in Qumran bieten zwei Sammelwerke: MATTHIAS HENZE (Hg.), Biblical Interpretation at Qumran, Grand Rapids/Cambridge 2005; JAMES H. CHARLESWORTH (Hg.), The Bible and the Dead Sea Scrolls, 3 Bde., Waco 2006. RER,

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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der älteren Forschung zu einem stark veränderten Gesamtbild geführt. 81 Da es im vorliegenden Beitrag nicht darum geht, die spezielle Frage nach der Rolle der Tora in einzelnen Qumran-Schriften genauer zu klären, sondern eher darum, die Zeugnisse aus Qumran in ein Gesamtbild von der Tora im Frühjudentum einzubeziehen, brauchen die Befunde zu den jeweiligen Texten im Einzelnen hier nicht analysiert zu werden. Für unseren Untersuchungsansatz ermöglichen die Qumran-Funde vielmehr eine Art Momentaufnahme: Es wird sichtbar, welche Formen, Schwerpunkte, Eigenarten oder auch Übereinstimmungen im Verständnis des Gesetzes und im Umgang mit ihm an einem relativ genau lokalisierbaren Ort zu einer relativ präzise eingrenzbaren Zeit an datierbaren Quellen tatsächlich zu beobachten sind. Ich unterscheide deshalb bei der Behandlung der Quellen in diesem Kapitel lediglich zwischen solchen Texten, die dem Jachad im Besonderen zugewiesen werden können, und solchen, die ihren Ursprungskontext sicher nicht erst im Jachad haben. Aber selbst diese Unterscheidung ist im Einzelnen nicht immer sicher zu treffen und sauber durchzuhalten. Das gilt insbesondere, wenn ‚von außen‘ rezipierte Texte in Qumran bearbeitet, erweitert, gekürzt etc. worden sind, was sich in einigen Fällen aufgrund verschiedener Kopien derselben Werke auch mit Hilfe literarkritischer Analysen nachweisen lässt.82 In jedem Fall zeigt sich aber gerade angesichts der Vielfalt der Textfunde aus Qumran sehr deutlich, dass dem Schriftenkorpus des Pentateuch in seiner literarisch überlieferten Endgestalt als schriftlich fixierter Tora im Frühjudentum eine gegenüber allen übrigen religiösen Schriften herausgehobene Autorität zugemessen worden ist, auch wenn dessen Textbestand im Einzelnen (und erst recht der Wortlaut) noch eine gewisse Variabilität aufweist. Ausnahmen wie die Tempelrolle (11Q19.20) oder die „Worte des Mose“ (1Q22), die in Qumran zusammen mit dem Jubiläenbuch möglicherweise als alternative Ver-

81 Vgl. zur ersten Information auf der Basis des neuen Forschungsstandes DANIEL STÖKL BEN EZRA, Qumran. Die Texte vom Toten Meer und das antike Judentum, Jüdische Studien 3, Tübingen 2016; für Einblicke in die jüngere Qumran-Forschung und wichtige ihrer Ergebnisse vgl. die nunmehr gesammelt vorliegenden zahlreichen Forschungsberichte und Einzelstudien von JÖRG FREY, Qumran, Early Judaism, and New Testament Interpretation. Kleine Schriften III, WUNT 424, Tübingen 2019. 82 Vgl. zur aktuellen Debatte um 4QMMT, den so genannten ‚Halachischen Brief“, STÖKL BEN EZRA, Qumran (Anm. 81), 166–169, zu literarkritischen und theologischen Differenzierungen innerhalb der Gemeinderegel 1QS JÖRG FREY, Different Patterns of Dualistic Thought in the Qumran Library: Reflections on their Background and History, in: DERS., Qumran, Early Judaism, and New Testament Interpretation (Anm. 81), 243–299.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

schriftlichungen der Tora, auch im Gegenüber zum Pentateuch, angesehen werden konnten, 83 bestätigen diese Regel und belegen zugleich, dass Überlieferungen der Tora auch in anderen Texten als denen des Pentateuch weiterwirken konnten. So war „in der Zeit vor der Endtext-Fixierung die Tora eine Sammlung inhaltlicher Traditionen“, die „noch Offenheit in Bezug auf Addition, Subtraktion und Komposition im Blick auf aktuelle Notwendigkeiten“ zeigte. 84 In der grundsätzlichen Anerkennung des Pentateuch als Sammlung autoritativer mosaischer Schriften stimmten demnach offenbar alle Gruppen innerhalb des in sich vielfältigen Frühjudentums prinzipiell überein, so sehr sie sich hinsichtlich des Umgangs mit diesen Schriften und bei ihrer Auslegung unterscheiden und voneinander abgrenzen konnten. Für die Frage nach Umfang, Wortlaut und Geltung der Tora im Frühjudentum ergibt sich aus den Qumran-Funden85 demnach ein neues Gesamtbild: Die Tora kann nicht einfach mit dem Pentateuch im Wortlaut des masoretischen Textes identifiziert werden; vielmehr stellt dieser „möglicherweise nur den zu einer bestimmten Zeit erreichten weitgehend gemeinsamen Nenner innerhalb der frühjüdischen Parteienlandschaft“ dar. 86 Der Wortlaut der Tora wie derjenige der übrigen Schriften der späteren ‚Hebräischen Bibel‘ blieb pluriform und flexibel mindestens bis zum Jüdischen Krieg, möglicherweise sogar bis ins 2. Jh. n. Chr.87 Gleichwohl steht die herausgehobene Bedeutung der Schriften

83 GEORGE J. BROOKE, Torah in the Qumran Scrolls, in: Bibel in jüdischer und christlicher Tradition (FS J. Maier), hg. v. HELMUT MERKLEIN/KARLHEINZ MÜLLER/GÜNTER STEMBERGER, BBB 88, Frankfurt a. M. 1993, 97–120: 118. 84 HEINZ-JOSEF FABRY, Der Umgang mit der kanonisierten Tora in Qumran, in: ZENGER, Die Tora als Kanon für Juden und Christen (Anm. 26), 293–327: 302. 85 Dazu zusammenfassend LAWRENCE H. SCHIFFMAN, Second Temple Jewish Law in Light of the Dead Sea Scrolls: Widening the Paradigm, in: JUTTA JOKIRANTA/MOLLY ZAHN (Hg.), Law, Literature, and Society in Legal Texts from Qumran. Papers from the Ninth Meeting of the International Organization for Qumran Studies, Leuven 2016, STDJ 128, Leiden/Boston 2019, 1–26; vgl. auch GEORGE J. BROOKE, Moving Mountains: From Sinai to Jerusalem, in: DERS. u.a. (Hg.), The Significance of Sinai Traditions About Sinai and Divine Revelation in Judaism and Christianity, Themes in Biblical Narrative 12, Leiden/Boston 2008, 73–89; MARCUS TSO, The Giving of the Torah at Sinai and the Ethics of the Qumran Community, in: BROOKE, The Significance of Sinai Traditions, a.a.O., 117– 127. 86 JOHANN MAIER, Zur Frage des biblischen Kanons im Frühjudentum im Licht der Qumranfunde, JBTh 3, 1988, 135–146: 140; DERS., Early Jewish Biblical Interpretation in the Qumran Literature, in: MAGNE SÆBØ (Hg.), Hebrew Bible/Old Testament: The History of its Interpretation, Bd. I/1: From the Beginnings to the Middle Ages (until 1300), Göttingen 1996, 108–129. 87 EUGENE C. ULRICH, The Dead Sea Scrolls and the Hebrew Scriptural Texts, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 1: Scripture and the Scrolls, 77–99: 99.

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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Israels, und unter ihnen in besonderer Weise des Pentateuch, für das Selbstverständnis und die Organisation des Gruppenlebens im Jachad ebenso wie für zentrale seiner Auffassungen von Welt, Zeit und Ethos in Qumran außer Frage.88 Betrachtet man nun den Gebrauch und die Interpretation von Texten des Pentateuch in den Qumran-Schriften genauer, so lassen sich vorab verschiedene Umgangsweisen mit der Mose-Tora unterscheiden. An erster Stelle stehen Abschriften von Teilen des Pentateuch, deren Textgestalt z.T. deutlich von der masoretischen Fassung abweicht. Allein vom Buch Genesis haben sich in Qumran mindestens 18 hebräische Abschriften identifizieren lassen, von Exodus 17, von Levitikus 10, von Numeri 7 und von Deuteronomium 27.89 Darüber hinaus finden sich unkommentierte wörtliche Wiedergaben von Pentateuchtexten in Exzerpten verschiedenen Umfangs und unterschiedlicher Funktion, angefangen bei längeren Ausschnitten aus dem Gesamtbestand einer Pentateuchschrift (2Q03; 4Q38)90 über Zusammenstellungen thematisch verwandter Pentateuchabschnitte (4Q175)91 bis hin zu Einzelperikopen oder -versen aus dem Pentateuch auf Phylakterien und Mezuzot (4Q128–155).92 Des Weiteren begegnen so genannte Pentateuchparaphrasen, das sind im Wortlaut freie Wiedergaben von Textabschnitten aus dem Pentateuch oder auch nur inhaltliche

88

GEORGE J. BROOKE, Biblical Interpretation at Qumran, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 1: Scripture and the Scrolls, 287–319: 296–300. 89 Vgl. BROOKE, Torah in the Qumran Scrolls (Anm. 83), 97–109; etwas andere (höhere) Zahlen bei STÖKL BEN EZRA, Qumran (Anm. 81), 186. 90 Die Handschrift 2Q3 (= 2QExb) bietet Fragmente aus Ex 4; 12; 18; 21; 22; 27; 31; 34. 4Q38 (= 4QDeut k) enthält Textreste aus Dtn 5; 11; 19; 20; 23; 26; 32. In beiden Rollen wird das Tetragramm in palaeohebräischer Schrift geschrieben. Zu den Handschriften mit Pentateuch-Exzerpten insgesamt vgl. BRENT A. STRAWN, Excerpted Manuscripts at Qumran: Their Significance for the Textual History of the Hebrew Bible and the Socio-Religious History of the Qumran Community and its Literature, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 2: The Dead Sea Scrolls and the Qumran Community, 107– 167. 91 Bei dem als „4QTest(imonia)“ bekannt gewordenen Text (publiziert schon bei EDUARD LOHSE, Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, 2München 1971, 249–253) handelt es sich um eine in sich abgeschlossene Komposition von unkommentierten Zitaten aus Dtn 5,28f.; 18,18f.; Num 24,15–17; Dtn 33,8–11 sowie einem apokalyptisch gedeuteten Zitat aus Jos 6,26. Zu weiteren Beispielen der Auswahl von Textpassagen aus dem Pentateuch in Qumran-Texten vgl. GEORGE J. BROOKE, Thematic Commentaries on Prophetic Scriptures, in: HENZE, Biblical Interpretation at Qumran (Anm. 80), 134–157. 92 Die zitierten Verse stammen meistens aus Dtn 5–6; 10–11; Ex 10–13.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Bezüge auf sie, z.T. in abweichender Reihenfolge, die möglicherweise samaritanischer Pentateuchtradition entspricht (4Q25293; 4Q158 + 364–36794; 4Q374. 375.37695; 4Q42296), bisweilen mit ausführlichen erzählerischen Einschüben, wie im aramäischen „Genesis-Apokryphon“ (1Q20).97 Von dieser Gruppe der Gattung nach kaum abzugrenzen sind literarisch frei gestaltete Neufassungen von Pentateuchstoffen oder Textpassagen, die als ‚re-written Bible‘ bzw. ‚rewritten Torah‘ bezeichnet werden.98 Zu ihnen können in gewisser Weise auch

93 Zu diesem faszinierenden Text, der auch „4QCommentary on Genesis A“ genannt wird, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Bezüge auf die Schrift in einigen „neuen“ QumranTexten, Mitteilungen und Beiträge 8, Forschungsstelle Judentum, Theologische Fakultät Leipzig, 1994, 37–54: 41–45; IDA FRÖHLICH, „Narrative Exegesis“ in the Dead Sea Scrolls, in: MICHAEL E. STONE/ESTHER G. CHAZON (Hg.), Biblical Perspectives: Early Use and Interpretation of the Bible in Light of the Dead Sea Scrolls, STDJ 28, Leiden 1998, 81 –99; BROOKE, Thematic Commentaries on Prophetic Scriptures (Anm. 91), 153–155; DANIEL K. FALK, The Parabiblical Texts: Strategies for Extending the Scriptures in the Dead Sea Scrolls, Companion to the Qumran Scrolls 8, London/New York 2007, 120–139. 94 Dieses Werk wird meist als „4QReworked Pentateuch“ bezeichnet, so von den Editoren EMANUEL TOV/SIDNIE WHITE, Reworked Pentateuch, in: Qumran Cave 4. VIII: Parabiblical Texts, Part 1, DJD XIII, Oxford 1994, 187–351; vgl. dazu MOLLY M. ZAHN, Rethinking Written Scripture. Composition and Exegesis in the 4QReworked Pentateuch Manuscripts, STDJ 95, Leiden 2011. Zu der ganzen Textgruppe vgl. auch SIDNIE WHITE CRAWFORD, Rewriting Scripture in Second Temple Times, Grand Rapids/Cambridge 2008, 39–59; FALK, The Parabiblical Texts (Anm. 93), 107–119. 95 CAROL NEWSOM, 4QDiscourse on the Exodus/Conquest Tradition, in: Qumran Cave 4. XIV: Parabiblical Texts, Part 2, DJD XIX, Oxford 1995, 99–110; JOHN STRUGNELL, 4QApocryphon of Mosesa/4QApocryphon of Moses b?, in: Qumran Cave 4. XIV: Parabiblical Texts, Part 2, DJD XIX, Oxford 1995, 111–136. Vgl. aber die neue Textrekonstruktion mit englischer Übersetzung und ausführlichem Kommentar von LIORA GOLDMAN, Rewritten Scripture: Law and Liturgy, in: ARIEL FELDMAN/LIORA GOLDMAN, Scripture and Interpretation. Qumran Texts that Rework the Bible, hg. v. DEVORAH DIMANT, BZNW 449, Berlin/Boston 2014, 265–304. 96 TORLEIF ELGVIN/EMANUEL TOV, Paraphrase of Genesis and Exodus, in: Qumran Cave 4. VIII: Parabiblical Texts, Part 1, DJD XIII, Oxford 1994, 417–441; TORLEIF ELGVIN, The Genesis Section of 4Q422 (4QParaGenExod), DSD 1, 1994, 180–196; EMANUEL TOV, The Exodus Section of 4Q422 (4QParaGenExod), DSD 1, 1994, 197–209. 97 FALK, The Parabiblical Texts (Anm. 93), 26–106. Zahlreiche weitere bisher in der Forschung relativ wenig berücksichtigte Texte mit Bezug auf verschiedene Passagen aus dem Pentateuch sind jetzt mit neuer Textrekonstruktion, englischer Übersetzung und ausführlichen Kommentaren bequem zugänglich in FELDMAN/GOLDMAN, Scripture and Interpretation (Anm. 95); zur aktuellen Forschungsdiskussion über die ganze Frage der ‚re-written Bible‘ in Qumran vgl. die instruktive Einführung zu diesem Band von DEVORAH DIMANT, Introduction: Reworking of Scripture at Qumran, a.a.O., 1–11. 98 SIDNIE WHITE CRAWFORD, The Rewritten Bible at Qumran, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 1, 131–147.

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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die Tempelrolle,99 die „Worte des Mose“ (1Q22),100 das Jubiläenbuch (das durch zahlreiche Abschriften aus Qumran erstmals in seiner hebräischen Urfassung bekannt geworden ist) 101 und der Liber Antiquitatum Biblicarum 102 gerechnet werden. 2.1.2 Die Tora in den Jachad-Texten Im Blick auf die in Qumran geltende Tora muss noch weiter differenziert werden zwischen Texten und Überlieferungen aus dem Pentateuch, die für den Jachad normativen Charakter hatten, theologischen Deutungen der Tora als einem universal gültigem Schöpfungsprinzip und dem Selbstverständnis der Qumran-Gemeinschaft als endzeitlicher Bundesgemeinde Israels mit einem eschatologisch-charismatischen Leiter, dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ (‫ )מורה הצדק‬bzw. „Erteiler der Tora“ (‫)דורש התורה‬. Vorkommen und Gebrauch des Wortfeldes ‫ תורה‬allein können das Verständnis des Gesetzes in Qumran nicht ausreichend differenziert erfassen.103 Mit Bezug auf die schon in Dtn 29,28 vorausgesetzte Unterscheidung zwischen Verborgenem und Offenbartem in „allen Worten der Tora“ gewann die Qumran-Gemeinschaft zudem die Möglichkeit, auch gruppenspezifische Weisungen, die erst durch im Jachad wirkende Instanzen oder Persönlichkeiten erschlossen worden sind, in der umfassenden Tora Gottes für Israel zu verankern.104 Die herausgehobene Rolle der Tora gegenüber den übrigen Teilen der Schriften Israels (Prophetie, Weisheitsschriften, poetische Schriften) dürfte auch mit der kultischen Orientierung der Qumran-Gemeinschaft zusammenhängen.105 Die Zentralstellung rituell-kultischer Teile der Tora wird noch verstärkt durch ihr endzeitlich bestimmtes Selbstverständnis. So wendet sich eine auf „das Ende der Tage“ bezogene Deutung von Jes 5,5f. gegen „die Männer 99

S. dazu u., 39–41. S. dazu u., 41–43. 101 S. dazu u., 43–51. 102 S. dazu u., 51–57. 103 Zur Verwendung des Wortes vgl. den detaillierten Überblick von KARIN FINSTERBUSCH, Art. ‫ור ה‬ ֣ ָ ֹ‫ תּ‬tôrāh, in: HEINZ-JOSEF FABRY/ULRICH DAHMEN (Hg.), Theologisches Wörterbuch zu den Qumranschriften, Bd. 3, Stuttgart 2016, 1110–1118. Zum Ausdruck ‫דורש‬ ‫ התורה‬vgl. FABRY, Der Umgang mit der kanonisierten Tora in Qumran (Anm. 84), 321: „Der dôreš ist nicht derjenige, der in der Tora forscht, sondern der, der sie ex auctoritate und ex officio auslegt.“ Zum Selbstverständnis des Jachad mit Bezug auf den Bundesschluss am Sinai vgl. JAMES C. VANDERKAM, Sinai Revisited, in: HENZE, Biblical Interpretation at Qumran (Anm. 80), 44–60: 47f.; JACOB CHERIAN, The Moses at Qumran: The ‫ מורה הצדק‬as the Nursing-Father of the ‫יחד‬, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 2, 351–361; JOHANN MAIER, Torah und Normensysteme in den Qumranschriften, in: TIWALD, Kein Jota wird vergehen (Anm. 53), 35–59: 48–52. 104 MAIER, a.a.O., 47f. 105 FABRY, Der Umgang mit der kanonisierten Tora in Qumran (Anm. 84), 305. 100

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

des Spottes“; sie sind es, die „die Torah JHWHs verschmäht haben“ (4QpJes b [4Q162,] 2 I 7). Eschatologisches Selbstverständnis und Toraorientierung stehen sich also im Jachad nicht entgegen, sondern verstärken sich gegenseitig. 106 Ein für den Jachad spezifisches Gesetzesverständnis zeigt sich somit am deutlichsten in der Rezeption rituell-kultischer Vorschriften aus dem Pentateuch. Dies ist insofern auffällig als die Mitglieder der Qumran-Gemeinschaft von der Kultpraxis im Jerusalemer Tempel ja nicht nur räumlich getrennt lebten, sondern sich von ihr auch dezidiert abgrenzten. Gleichwohl lässt der „Halachische Brief“ (4QMMT) erkennen, dass die in Qumran lebende Absendergruppe gegenüber den für den Kultvollzug in Jerusalem verantwortlichen Autoritäten den Anspruch erhoben hat, über Kenntnis der sachgemäßen Halacha zu verfügen. 107 Wenn sie dabei explizit auf „das Buch des Mose“ verweist, 108 hebt sie ihre den Jerusalemer Priestern erteilten schriftlichen Weisungen als Interpretation von dem ab, was in der Tora des Mose „geschrieben ist“ (‫ כתוב‬mehrfach im unmittelbaren Kontext der Stelle). 109 Gleichwohl bezeichnet sie den Inhalt ihres Schreibens als „einiges von den Taten der Tora“ (C 27 [4Q398,14 II 3] ‫מעשה התורה מקצת‬, vgl. B 1 [4Q394,3 I 4]) und identifiziert ihn so mit der gegenwärtig gültigen Tora, welche zu kennen und zu verstehen sie freilich auch der Adressatengruppe zugesteht (C 28 [4Q398,14 II 3f.]).110 Darüber hinaus können auch spezifische Regelungen für die eigene Gemeinschaft in der Tora verankert werden, wobei Pentateuchtexte zur Begründung der jeweiligen Weisungen in unterschiedlichen Formen und mit verschiedenen Methoden herangezogen werden können, sei es als explizite Zitate (oft eingeführt mit ‫ )כאשר כתוב‬oder in aktualisierender Interpretation von Pentateuchgeboten,111 durch Kombination mehrerer Pentateuchzitate, 112 mit Hilfe impliziter

106 JOSEPH M. BAUMGARTEN, The Law and Spirit of Purity at Qumran, in: WORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 2, 93–105: 94–96.

CHARLES-

107 Wie realistisch ein solcher Anspruch und die Hoffnung auf seine Umsetzung am Jerusalemer Tempel gewesen sein mögen, steht auf einem anderen Blatt, zumal die Zuordnung des Textes zur Frühgeschichte des Jachad umstritten ist; vgl. STÖKL BEN EZRA, Qumran (Anm. 81), 166–169. 108 4QMMT C 10f. (4Q397,14–21 10) neben den „Büchern der Propheten und Davids und der Ereignisse der Generationen“. Ich zitiere den Text nach der Einteilung der Editoren in die drei Teile A, B und C. Eine Synopse dieser Gliederung mit den dazugehörigen Fragmenten 4Q394–399 findet sich bei JOHANN MAIER, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, 3 Bde., München/Basel 1995/1996, Bd. 2: Die Texte der Höhle 4, 362. 109 Vgl. dazu NIEBUHR, Bezüge auf die Schrift in einigen „neuen“ Qumran–Texten (Anm. 93), 45–50. 110 Dieser Befund ist für das Toraverständnis in Qumran aussagekräftig, auch wenn man mit STÖKL BEN EZRA, Qumran (Anm. 81), 169, davon ausgeht, 4QMMT sei „ein sadduzäischer Text in einer essenischen Sammlung“. 111 CD X,15–17; 11,17f. 112 CD IV,21–5,2, vgl. Gen 1,27; Dtn 17,17.

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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Schriftverweise,113 unter Heranziehung von biblischen Texten außerhalb des Pentateuch114 oder in Anwendung verschiedener, noch nicht formal klassifizierter Auslegungsregeln. 115 In der Gemeinschaftsregel (1QS)116 begegnet der Begriff ‫ תורה‬in Bezug auf Ordnungen des Gemeinschaftslebens in mannigfachen Varianten, die auch diachron voneinander abzuheben sind. 117 So soll, wer in die Gemeinschaft eintritt, „umkehren zur Tora des Mose“ (1QS V 8); man „untersucht sein Verständnis und seine Taten in der Tora nach Anweisung der Söhne Aarons“ (V 21). Das „Studium der Tora, durch Mose befohlen zu tun gemäß allem was offenbart ist Zeit um Zeit“ (VIII 15), liefert den Maßstab für das Leben in der Gemeinschaft, und wer „ein Wort aus der Tora des Mose übertritt“ (VIII 22), soll aus ihr ausgeschlossen werden. Ihre Mitglieder sollen „von keinem Ratschluss der Tora abweichen“, wenn sie nicht anhand der Disziplinarordnung der Gemeinschaft verurteilt werden wollen (IX 9f.).118 In theologischer Hinsicht wird die Tora als universal gültiges Schöpfungsprinzip angesehen, das sich im Jachad endzeitlich-ideal verkörpert, darüber hinaus als Urkunde und Maßstab für den Bund Gottes mit Israel. Das endzeitliche Selbstverständnis der Qumran-Gemeinschaft mit Blick auf die Tora ergibt sich aus ihrem Anspruch, die schon seit den Zeiten des Aaron-Sohnes Eleazar (Num 3,2; 1Chr 24,3) und Josuas in Israel verborgene (und deshalb immer wieder, selbst von David, übertretene) Tora des Mose wiederentdeckt und neu zur Geltung gebracht zu haben (CD V 2–5). Jetzt hat Gott seines Bundes gedacht und „aus Aaron Verständige und aus Israel Weise“ auftreten lassen, die (wie Num 21,16–18 verborgen ankündigt) „den Brunnen gegraben“, d.h., die Tora neu erschlossen haben. 119 Erst dadurch und mit Hilfe des ‫דורש‬ ‫„( התורה‬Erteiler der Tora“, bzw. mit dem Auftreten des „Lehrers der Gerechtigkeit am Ende der Tage“, CD VI 11) ist es möglich geworden, in Absonderung von allen und allem Profanen am Altar im Heiligtum den Kult nach der Norm der Tora zu vollziehen (CD VI 14).

113

4QMMT B 11–13 [4Q394,3 14–16]; vgl. Lev 22,16. CD XI 19f., vgl. Spr 15,8; CD IX 9, vgl. 1Sam 25,16; CD X 16–20, vgl. Jes 58,13. 115 MOSHE J. BERNSTEIN/SHLOMO A. KOYFMAN, The Interpretation of Biblical Law in the Dead Sea Scrolls: Forms and Methods, in: HENZE, Biblical Interpretation at Qumran (Anm. 80), 61–87: 71–87; BROOKE, Biblical Interpretation at Qumran (Anm. 88), 304–314. 116 Ich folge der Terminologie, die mit guten Gründen von STÖKL BEN EZRA, Qumran (Anm. 81), 248, gegenüber der früher verbreiten umgekehrten Benennung (1QS = Sektenoder Gemeinderegel, 1QSa = Gemeinschaftsregel) vorgeschlagen wurde. 117 FABRY, Der Umgang mit der kanonisierten Tora in Qumran (Anm. 84), 314f.; FREY, Different Patterns of Dualistic Thought in the Qumran Library (Anm. 82), 262–273. 118 Vgl. auch CD XX 25–34. 119 CD VI 4f.: „der Brunnen, das ist die Torah, und die ihn gegraben, sie sind die Bußfertigen Israels, die auszogen aus dem Land Judah und Wohnung nahmen im Lande Damaskus“. 114

Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

38

Geführt wird die Qumran-Gemeinschaft durch einen „Rat der Einung“, bestehend aus zwölf Männern und drei Priestern, die „vollkommen“ sind „in allem, was offenbart ist aus dem ganzen Gesetz“ (1QS VIII 1). Er kümmert sich um sie als „heiliges Haus für Israel“ und als „Fundament des Allerheiligsten“ (VIII 5), um „den Bund nach den ewigen Gesetzen aufzurichten“ (VIII 10). Jede verborgene Sünde soll vor den (‫ דורש )התורה‬gebracht werden, und die Gemeinschaft als ganze soll sich absondern von den Männern des Unrechts, um in der Wüste den Weg des „er“ zu bahnen (vgl. Jes 40,3). Dies ist „das Studium der Tora“ (‫ – מדרש התורה‬Maier: „die Niederschrift“), „welche er befohlen hat durch Mose, um danach zu handeln“ (VIII 15). In der Figur des ‫ דורש התורה‬schlägt sich ein Toraverständnis nieder, das ganz von der gegenwärtigen Geltung der endzeitlich erschlossenen Weisung Gottes für Israel bestimmt ist. Der Ausdruck ‫ מדרש התורה‬meint dementsprechend „die Niederschrift des jeweils als verbindlich fixierten ‚Offenbaren‘“.120 Der „ToraErteiler“ erhebt den Anspruch, aus seinem endzeitlich-exklusiven Torawissen heraus verbindliche Anweisungen für die Gemeinschaft geben zu können. In CD VII 18f. wird der ‫ דורש התורה‬sogar mit dem „Stern aus Jakob“ (nach Num 24,17) identifiziert und erhält so messianische Züge. Auch die Verankerung der Tora im Schöpferwillen Gottes dürfte mit der kultischen Grundorientierung der Qumran-Gemeinschaft in Verbindung stehen. Der Gedanke einer Entsprechung zwischen kosmischer Ordnung und Kultordnung spiegelt sich in einem herausgehobenen Interesse an kalendarischen121 und liturgischen Überlieferungen.122 Zugleich werden auch weisheitliche Traditionen aufgenommen und mit Hilfe der für den Jachad charakteristischen Terminologie und Denkweise ausgeformt. 123 Damit ist deutlich, dass die Tora für die Herausbildung der gruppenspezifischen Eigenarten der Qumran-Gemeinschaft konstitutive Bedeutung hatte. Umso bemerkenswerter erscheint der Tatbestand, dass unter den Texten, die in den Qumran-Höhlen gefunden wurden, sich auch Werke befinden, die ein deutlich anders gelagertes Toraverständnis belegen. 120

FABRY, Der Umgang mit der kanonisierten Tora in Qumran (Anm. 84), 321. SHEMARYAHU TALMON, What’s in a Calendar? Calendar Conformity and Calendar Controversy in Ancient Judaism: The Case of the „Community of the Renewed Covenant“, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 2, 25–58; HENRY W. MORISADA RIETZ, The Qumran Concept of Time, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 2, 203–234. 122 DENNIS T. OLSON, Daily and Festival Prayers at Qumran, in: CHARLESWORTH, The Bible and the Dead Sea Scrolls (Anm. 80), Bd. 2, 301–315; JOHANN MAIER, Torah und Pentateuch, Gesetz und Moral. Beobachtungen zum jüdischen und christlich-theologischen Befund, in: Biblische und judaistische Studien (FS P. Sacchi), hg. v. ANGELO VIVIAN, JudUm 29, Frankfurt a. M. 1990, 1–54. 123 ARMIN LANGE, Weisheit und Prädestination. Weisheitliche Urordnung und Prädestination in den Textfunden von Qumran, STDJ 18, Leiden 1995. 121

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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2.1.3 Die Tora in der Tempelrolle Die Tempelrolle (11Q19.20),124 die, obwohl vor-qumranisch entstanden, nur durch die Qumran-Funde überliefert ist,125 stellt sich als Tora aus dem Munde Gottes dar.126 Die Gesamtkomposition dieser umfangreichsten aller in Qumran gefundenen Werke (66 Kolumnen) lässt sich nach dem Prinzip von konzentrisch angeordneten Räumen abnehmender Heiligkeit gliedern, deren Zentrum der Brandopferaltar im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels bildet. Von ihm ausgehend werden in der Großkomposition Gebote zur Regelung des kultischen Betriebs und der rituellen Reinheit zusammengestellt, die nach und nach das Tempelareal, die Heilige Stadt, deren nähere Umgebung und schließlich das den Heiligkeitsforderungen der Tora entsprechende Leben im ganzen Land umfassen. 127 Der Textanfang ist nicht erhalten. Aus Kolumne II lässt sich aber für die Einleitung der Schrift eine Redesituation erschließen, die in etwa der von Ex 34 entspricht, also eine Anrede Gottes an Mose auf dem Sinai im Zusammenhang mit der Übergabe der Gesetzestafeln und des Bundesschlusses.128 Mit Kolumne 3 setzt eine lange Reihe von Einzelweisungen ein, beginnend mit Anordnungen zur Ausstattung des Tempels (III 3–13), die im ersten Teil (3–48) im wesentlichen Kult- und Festbestimmungen, Reinheitsgebote sowie Vorgaben für die baulichen Anlagen im Tempelbezirk enthält, im zweiten (48–66) weitere Reinheitsgebote und Speisevorschriften, Kultregelungen, religiöse

124

Vgl. SIDNIE WHITE CRAWFORD, The Temple Scroll and Related Texts, Companion to the Qumran Scrolls 2, Sheffield 2000; DIES., Rewriting Scripture in Second Temple Times (Anm. 94), 84–104. 125 Zu den Einleitungsfragen vgl. JOHANN MAIER, Die Tempelrolle vom Toten Meer, Bd. 1, München 1978, 9–13; SIMONE PAGANINI, „Nicht darfst du zu diesen Wörtern etwas hinzufügen“. Die Rezeption des Deuteronomiums in der Tempelrolle. Sprachen, Autoren und Hermeneutik, BZAR 11, Wiesbaden 2009, 3–30. 126 KARLHEINZ MÜLLER, Anmerkungen zum Verhältnis von Tora und Halacha im Frühjudentum, in: ZENGER, Die Tora als Kanon für Juden und Christen (Anm. 26), 257– 291: 263–265. 127 Zur Gesamtstruktur und den Anordnungsprinzipien der Tempelrolle vgl. MAIER, Die Tempelrolle vom Toten Meer (Anm. 125), Bd. 1, 12–24. 128 Ex 34,10–16. Vgl. zum Setting der Tempelrolle PAGANINI, „Nicht darfst du zu diesen Wörtern etwas hinzufügen“ (Anm. 125), 13–16. Demnach lässt sich aus dem narrativen Einsatz in Kolumne 3 erschließen, dass die Tempelrolle die Promulgation der Tora durch Mose vom Land Moab (vgl. Dtn 1,1–5; 32,48–52) auf den Sinai verschiebt, und zwar im Zusammenhang der biblischen Erzählfolge auf einen Zeitpunkt im Anschluss an die Episode mit dem Goldenen Kalb. Auf diese Weise werden „die Texte der Tempelrolle nach der Episode mit dem Goldenen Kalb und vor der Erneuerung des Bundes innerhalb der Geschehnisse am Gottesberg Sinai“ lokalisiert (a.a.O., 13). Theologisch bedeutet das: „Das Deuteronomium als die verschriftete Moab-Tora wird somit an den Sinai zurückversetzt und ohne das Zwischenglied Mose von Gott selbst promulgiert.“ (a.a.O., 14).

Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

40

Weisungen (Gelübde, Verbot des Götzendienstes), Rechtsordnungen und sexualethische Vorschriften.129 Auch der Abschluss des Werkes ist nicht erhalten, so dass sich von dort her keine weiteren Schlüsse auf dessen Intention ableiten lassen. In umfang- und detailreichen Reihen und Gruppen von Einzelanordnungen zu verschiedenen Themen der Tora sind in der Tempelrolle zahlreiche Gebote aus dem Pentateuch mit nicht in der Bibel überlieferten Geboten nach Sachgebieten zusammengestellt, systematisch angeordnet und (im Unterschied zu den biblischen Vorlagen) durchgängig in Ich-Rede Gottes neu formuliert. Auch die so genannte Kanonformel aus der Tora130 wird im Textfluss der Tempelrolle als wörtliche Rede Gottes zitiert: „Alle Worte, die ich euch heute befehle, sollt ihr beachten, um es auszuführen; du darfst zu ihnen nichts hinzufügen und nichts von ihnen wegnehmen“ (LIV 5–7). Dem entspricht es, wenn auch die Ankündigung von Israels Abfall und seiner Umkehr nach Lev 26 und Dtn 28 in der Tempelrolle in wörtlicher Rede Gottes (und nicht in der des Mose) gehalten ist und folglich auch in der eschatologischen Paränese nicht nur von „meinem Bund“ die Rede ist (LV 17; LIX 8), sondern auch von „meiner Tora“ (LIX 7).131 Andererseits kann freilich auch von „dieser Tora (der) Priester“ die Rede sein (LVII 1) und deren Weisung als Tora deklariert werden (LVI 3.7), ja sogar auf ein „Buch der Tora“ verwiesen werden, aus dem die Priester ihre Weisungen beziehen (LVI 4).132 Neben einer sprachlichen Vereinheitlichung ergibt sich damit aus der Umformung der Rede des Mose in Gottesrede und der Zusammenstellung von Einzelgeboten aus dem Pentateuch zu sachlich angeordneten Komplexen zugleich auch eine sachliche Harmonisierung, gegebenenfalls auch ein Ausgleich von Widersprüchen zwischen Einzelgeboten aus unterschiedlichen Textkomplexen der (biblischen) Tora. 133 Vor allem aber impliziert eine solche Redeform den Autoritätsanspruch dieses Textes gerade auch gegenüber dem in Qumran ja

129

Zum Umgang mit dem Text des Pentateuch in der Tempelrolle vgl. DWIGHT D. SWANThe Temple Scroll and the Bible. The Methodology of 11QT, STDJ 14, Leiden 1995. 130 Als Wort Moses z.B. in Dtn 4,2; 13,1. 131 Vgl. LVI 13f.: „meine Gebote“. 132 Hieran knüpft sich – in Verbindung mit weiteren vergleichenden Untersuchungen zu der spezifischen Halacha der Tempelrolle und des „Halachischen Briefs“ (4QMMT) – die Annahme einer sadduzäischen Tora, die in diesen Dokumenten ihren Niederschlag gefunden habe und möglicherweise in der Qumran-Gemeinschaft in Geltung stand; vgl. LAWRENCE H. SCHIFFMAN, The Temple Scroll and the Systems of Jewish Law of the Second Temple Period, in: GEORGE J. BROOKE, Temple Scroll Studies. Papers Presented at the International Symposium on the Temple Scroll, Manchester, December 1987, JSPE.S 7, Sheffield 1989, 239–255. 133 Vgl. BERNSTEIN/KOYFMAN, The Interpretation of Biblical Law in the Dead Sea Scrolls (Anm. 115), 66–70. SON,

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

41

ebenfalls durch zahlreiche Abschriften belegten „Bibeltext“ des Pentateuch. 134 Auch wenn die Tempelrolle nicht in Qumran verfasst, sondern ‚von außen‘ in den Jachad eingeführt wurde, muss sich ihren Lesern und Abschreibern (es sind mehrere Kopien belegt!) zwangsläufig die Frage gestellt haben, welche Fassung der Toragebote denn nun verbindlich sein soll. Offensichtlich war es ihnen aber erträglich und vielleicht sogar für sie anregend, genau solche Fragen zu stellen und zu diskutieren. 135 Jedenfalls gibt es keine Anzeichen für ein Bestreben, den eindeutig ‚richtigen‘ Text der Tora festzustellen. 136 2.1.4 Die Tora in den „Worten des Mose“ (1Q22, 4Q588) Während die Tempelrolle trotz Textverlust am Anfang wenigstens der Dimension nach in ihrer Gesamtkomposition erkennbar ist, gilt das nicht für die „Worte des Mose“ (1Q22). Der in nur zwei Kopien äußerst fragmentarisch erhaltene Text137 setzt mit einer Datierung nach Dtn 1,3 und der Aufforderung Gottes an Mose ein, sich an die ganze Volksversammlung Israels zu wenden: [Versammle d]ie ganze Gemeinde und steig au[f den Berg Nebo] und stelle dich [dor]t hin, du und Elea[zar der Soh]n Aar[ons]. … [mit den Häuptern der Vaterhäuser, den Leviten und allen den [Priestern] und befiehl [d]en Söhnen Israe[ls die W]orte der T[o]rah, die [ich dir]

134

Vgl. zur „divine fiction“ der Tempelrolle SWANSON, The Temple Scroll and the Bible (Anm. 129), 6f.; PAGANINI, „Nicht darfst du zu diesen Wörtern etwas hinzufügen“ (Anm. 125), 14f., schließt u.a. daraus, dass „die ‚Rückverortung‘ der deuteronomischen Gesetze – der Auslegung des Bundesbuches – an den Sinai den Autoren der Tempelrolle nicht genug war und sie vielmehr … eine Art ‚Anti-Deuteronomium‘ schufen … Die Basis für die Autorität der Tempelrolle… besteht darin, dass sie unmittelbar am Sinai mitgeteilt wurde und einen direkten ausschließlich durch Gott vermittelten Zugang zur sinaitischen Tora bietet“. 135 Vgl. HARTMUT STEGEMANN, The Literary Composition of the Temple Scroll and its Status at Qumran, in: BROOKE, Temple Scroll Studies (Anm. 132), 123–148, 144: „In my opinion, there may have been some members of the Qumran community who had scholarly interests … it may have been interesting for them to study how their ancestors had solved some of the riddles of the Torah, to see how they had combined divergent traditions, or to learn how they had answered specific questions concerning the religious life in their own time.“ Das scheint mir freilich eine etwas anachronistische Vorstellung. 136 SCHIFFMAN, The Temple Scroll and the System of Jewish Law of the Second Temple Period (Anm. 132), hat die These vertreten, in der Tempelrolle und im „Halachischen Brief“ (4QMMT) lassen sich Hinweise auf eine spezifisch sadduzäische Tradition der Toraauslegung (und damit auf einen entsprechenden Ursprung der Qumran-Gemeinschaft) vermuten. Eine solche Identifikation dürfte aber angesichts der Quellenlage kaum nachweisbar sein. 137 Textrekonstruktion mit englischer Übersetzung und ausführlichen Kommentaren bei FELDMAN/GOLDMAN, Scripture and Interpretation (Anm. 95), 225–261. Der Text war schon in DJD I, 91–97, publiziert worden. Ein weiteres Fragment einer zweiten Kopie, das mit einigen Zeilen aus Kolumne I, 1–4, übereinstimmt (4Q588), wurde im Jahr 2005 von EIBERT J. C. TIGCHELAAR, A Cave 4 Fragment of Divre Mosheh (4QDM) and the Text of 1Q22 1:7– 10 and Jubilees 1:9, 14, DSD 12, 2005, 303–312, publiziert und dem Werk zugewiesen.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

befohlen habe am Berg Sinai, [um sie ihnen] vernehmlich zu befehlen, (und zwar) das Ganze aufs beste, da ich es von ihnen … (1Q22 I 2–4)138

Offenbar ist hier eine Situation vorausgesetzt, in der Aaron schon tot und sein Sohn Eleasar an dessen Stelle neben Mose getreten ist (vgl. Dtn 10,6), womit sich der Verweis auf die Übergabe der Tora am Sinai als Rückblick aus einer der Redesituation des Buches Deuteronomium vergleichbaren Perspektive ergibt.139 Damit kann der Berg, auf den Mose steigen soll, nicht mehr der Sinai sein, sondern nur der Nebo, auf dem Gott nach Dtn 32,48–52 Mose den Tod ankündigt. Das Folgende ist demnach als testamentarische Abschiedsrede Moses zu verstehen. Doch zuvor wird die Gottesrede an Mose wiedergegeben. Sie besteht, ähnlich wie diejenige in der Texteröffnung des Jubiläenbuches, 140 aus einer Anklage gegen Israel wegen seiner künftigen Abkehr von Gott hin zum Götzendienst141 und aus einer Ankündigung der Strafe Gottes.142 Anschließend wird erzählt, wie „Mose den Eleazar, Sohn des [Aaron,] und den Josu[a, Sohn des Nun“ zu sich ruft 143 und ihnen befiehlt: „Sprecht [alle die Worte der Torah bis] zu ihrem Ende vor“ (I 11f.). 144 Unmittelbar daran schließt sich eine wörtliche Wiedergabe von Dtn 27,9: Schweig du, [I]srael, und höre: An diesem [Tag sollst du zu einem Vo]lk für deinen Gott […] werden, daher sollst du ein[halten meine Vorschriften] und meine Zeugnisse [und] meine [Gebot]e, [d]ie [ich] dir h[eute] befehle, damit [du sie ausführst …] (I 12–II 2)145

Mit neuer Redeeinleitung (II 5) setzt eine weitere Mahnrede Moses an die Israeliten ein, in der er sie an den Tag des Auszugs aus Ägypten vor vierzig Jahren erinnert und auf „[die]se [Wor]te aus [Seinem] Mund [alle die Ges]etze“ verweist (II 6f.). Nach Moses bevorstehendem Tod sollen die Israeliten sich Weise bestellen, „[damit] sie es besorgen, darzulegen [euch und] euren Söhnen alle [die]se Worte der T[orah.] Nehmt euch für euer Leben [seh]r wohl in acht, [sie zu erfül]len“ (II 8f.). Dann wird erneut explizit eine Moserede eingeleitet:

138 Übersetzungen nach JOHANN MAIER, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1: Die Texte der Höhlen 1–3 und 5–11, München 1995, 229–232. 139 1Q22 I 8f.: weil sie „übert[reten alle Festtermine des Heil]igtums und den Sabbat des Bundes und die […], die i[ch] dir heute befehle, um sie [auszu]führen“; vgl. Dtn 31,9–13. 140 Vgl. u., XXX; zum Verhältnis von 1Q22 zum Jubiläenbuch vgl. JAMES C. VANDERKAM, Jubilees. A Commentary on the Book of Jubilees, 2 Bde., Hermeneia, Minneapolis 2018, 101f. 141 Vgl. Dtn 31,16–18. 142 Vgl. Dtn 28,47–68. 143 Vgl. Dtn 31,7. 144 Der hebräische Text am Ende ist stark zerstört. FELDMAN/GOLDMAN, Scripture and Interpretation (Anm. 95), rekonstruieren und übersetzen „and he spo]ke the words [of the Law ]to complete t[hem“. Damit wird auch alles Folgende als Moserede qualifiziert. 145 Die zum Teil wörtliche, z.T. paraphrasierende Wiedergabe von Dtn 27,9–14 setzt sich noch fort.

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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„Und Mose [fuhr fort zu spre]chen zu den Söhn[en Israe]ls: ‚Das sind die Gebote, die euer Gott befohlen hat, zu erfüllen …‘“ (II 11). Darauf folgt eine Reihe von Vorschriften zum Sabbatjahr (vgl. Lev 25,5–7) und zum Großen Versöhnungstag (vgl. Lev 16). Die Zahl der zum Werk gehörenden Kolumnen (mindestens noch zwei weitere sowie zahlreiche unidentifizierte Fragmente) lässt sich nicht sicher bestimmen, damit auch nicht dessen literarische Gesamtgestalt und ihr Abschluss. Vom wenigstens bruchstückhaft erhaltenen Textanfang her geurteilt liegt eine mit dem Buch Deuteronomium vergleichbare literarische Struktur vor. 146 Allerdings werden nur wenige Sätze oder Wendungen wörtlich aus dem Pentateuch zitiert, während die Ausgestaltung des Textes in vielen Wendungen zwar sprachlich an das Deuteronomium anklingt, aber literarisch frei ist. Vergleicht man die Vorschriften zum Erlassjahr und zum Jom Kippur mit ihren Vorlagen im Pentateuch, ergeben sich ähnliche Befunde wie in der Tempelrolle: Sachlich zusammengehörige, aber im Pentateuch an verschiedenen Stellen überlieferte Gebote werden in den „Worten des Mose“ gesammelt, harmonisiert und durch außerbiblische Überlieferungen ergänzt. 147 Ihre entscheidende Autorisierung erlangen sämtliche Weisungen aber durch die fiktive Redesituation der Gottesoffenbarung an Mose und seine ausdrückliche Beauftragung, das von Gott Gesagte den Israeliten weiterzusagen. Diese bereits in manchen PentateuchSzenen vorgebildete Rede- bzw. „Offenbarungssituation“ wird in den „Worten des Mose“, ähnlich wie in der Tempelrolle, auf die Tora als Ganze und alle ihre Gebote ausgeweitet, wenngleich hier, anders als in der Tempelrolle, Mose das Wort führt, und nicht Gott selbst. 2.1.5 Die Tora im Jubiläenbuch Eine systematisch reflektierte und literarisch höchst komplex ausgestaltete Konzeption vom Gesetz Israels bietet das Jubiläenbuch, dessen Abfassung spätestens im 2. Jh. v. Chr. durch hebräische Fragmente unter den Qumran-Handschriften bewiesen ist. 148 Auch inhaltlich und sprachlich ist es mit den bisher behandelten, erst durch die Qumran-Funde bekannt gewordenen, aber nicht im

146

Vgl. FELDMAN/GOLDMAN, Scripture and Interpretation (Anm. 95), 259. FELDMAN/GOLDMAN, a.a.O., 260: „1Q22 appears to present a harmonistic exposition of a given legal topic, bringing together the relevant passages from the different books of the Torah, and not from Deuteronomy alone.“ 148 Zu den Einleitungsfragen vgl. VANDERKAM, Jubilees (Anm. 140), 1–121; GERBERN S. OEGEMA, Das Buch der Jubiläen (JSHRZ II/3), in: DERS., Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ VI/1,2, Gütersloh 2005, 78–96. Eine große Zahl von Einzelstudien zum Jubiläenbuch mit speziellem Interesse an den Beziehungen zur Henoch-Überlieferung enthält der Sammelband GABRIELE BOCCACCINI/GIOVANNI IBBA (Hg.), Enoch and the Mosaic Torah. The Evidence of Jubilees, Grand Rapids/Cambridge 2009. Übersetzungen im Folgenden nach KLAUS BERGER, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/3, Gütersloh 1981, 273–575. 147

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Jachad entstandenen Werken verwandt. Das Jubiläenbuch gibt sich in seinem Hauptteil (Jub 2,1–50,13) als wörtliche Rede des „Engels des Angesichts (Gottes)“ an Mose auf dem Berg Sinai, 149 also in dem Moment der Pentateuch-Erzählung, als Mose nach Ex 19,3 zu Gott hinaufsteigt 150 und dieser ihm vom Berg her zuruft: „So rede zum Hause Jakob und verkünde den Söhnen Israels!“ Damit ist in die unmittelbare Gottesanrede an Mose nach Exodus 19f.151 im Jubiläenbuch eine zweite Dialogebene eingezogen, nämlich die zwischen Mose und dem Angesichtsengel, der eigens dazu von Gott herbeizitiert wird (Jub 1,27f.). Gott beauftragt den Engel zunächst damit, alles für Mose aufzuschreiben, was vom Beginn der Schöpfung an bis zur Erbauung des Tempels geschehen ist bzw. (aus der Perspektive von Ex 19) bis „in die Ewigkeit der Ewigkeiten“ noch geschehen wird. Dementsprechend enthält das folgende Buch nicht nur einen Rückblick auf die biblische Ereignisfolge von Gen 1 bis Ex 19, in den umfangreiche Passagen mit Wiedergaben (z. T. erheblichen Erweiterungen) von Torageboten eingebaut sind, sondern darüber hinaus auch noch – und immer auch schon zwischendurch – Ausblicke in die Zukunft. Diese sind bestimmt von Gottes Weisungen an Israel, vom angekündigten Ungehorsam und Abfall des Volkes von seinem Gott und von der Verheißung des endzeitlichen und endgültigen Erbarmens Gottes über Israel. Aber die Torakonzeption des Jubiläenbuches ist noch komplexer, 152 denn bevor der Engel des Angesichts seinen Auftrag ausführen kann, wenn auch nicht schriftlich, sondern mündlich (ab 2,1), spricht Gott in der Eingangsszene des Buches erst einmal selbst mit Mose. Eingeführt durch den Erzähler, der überhaupt nur am Anfang zu Wort kommt (zum letzten Mal in 2,1), tritt Gott als erster Protagonist der Erzählung auf und ruft Mose zu sich auf den Berg, um ihm etwas Geschriebenes zu übergeben:

149 Diese biblische Schlüsselszene bildet die Basis für eine überaus reichhaltige Rezeption der Mosegestalt in der frühjüdischen Literatur; vgl. dazu ULRIKE MITTMANN, Mose in der antik-jüdischen Literatur, in: FLORIAN WILK (Hg.), Paul and Moses. The Exodus and Sinai Traditions in the Letters of Paul, Göttingen 2020, 7–52, zu Jub a.a.O., 18.24.44. 150 So explizit im Prolog und in 1,1f. Das in Qumran erhaltene Fragment 4QJub a (4Q216) beweist, dass der Prolog zur ursprünglichen Fassung des Jubiläenbuches gehörte, und zwar im Wesentlichen in dem äthiopisch überlieferten Wortlaut. Vgl. JAMES VANDERKAM/JOSZEF T. MILIK, Jubilees, in: Qumran Cave 4. VIII: Parabiblical Texts, Part 1, DJD XIII, Oxford 1994, 1–185: 5f. 151 S. dazu o., 20–22. Zur Erzählperspektive des Jubiläenbuches im Blick auf Mose vgl. HINDY NAJMAN, Seconding Sinai. The Development of Mosaic Discourse in Second Temple Judaism, JSJ.S 77, Leiden/Boston 2003, 53–56.63–68; BETSY HALPERN-AMARU, The Perspective from Mt. Sinai. The Book of Jubilees and Exodus, JAJSup 21, Göttingen 2015, 13– 23; BROOKE, Moving Mountains (Anm. 85), 73–75. 152 Vgl. zum Gesetzesverständnis im Jubiläenbuch VANDERKAM, Jubilees (Anm. 140), 71f.

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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Und ich werde dir geben die zwei steinernen Tafeln des Gesetzes und des Gebotes. Gemäß dem, was ich aufgeschrieben habe, sollst du sie lehren. (Jub 1,1)

Es folgt eine Epiphanie-Szene auf dem Sinai mit zahlreichen Motiven vorwiegend aus Ex 19; 24; 34 und dann eine längere Gottesrede an Mose (Jub 1,5– 18), die mit diesen Worten beginnt: Richte dein Herz auf jede Rede, die ich zu dir reden werde auf diesem Berg, und schreibe sie in ein Buch, damit ihre Nachkommen sehen, dass ich sie nicht verlassen habe wegen alles Bösen, das sie getan haben, indem sie die Ordnung auflösten, die ich heute verordnet habe zwischen mir und dir für ihre Geschlechter auf dem Berg Sinai. (Jub 1,5)

Inhaltlich enthält die Gottesrede zunächst eine Erinnerung an Gottes Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob (Jub 1,7). Daran schließt sich die Ankündigung der Abkehr Israels zu fremden Göttern an, „weil sie vergessen werden alle meine Gebote, die ich ihnen befehle“ (1,9). Weil Israel auch auf die von Gott gesandten Boten und Mahner nicht hören, diese vielmehr töten und „diejenigen, die das Gesetz suchen“, verfolgen wird (1,12), wird Gott „sie vertreiben aus dem Lande und sie zerstreuen inmitten der Völker“ (1,13), wo sie „vergessen (werden) mein ganzes Gesetz und mein ganzes Gebot und mein ganzes Recht“ (1,14). Aber dann werden die Israeliten sich wieder zu Gott bekehren, und er wird sie zurückführen aus allen Völkern. Und ich werde ihnen offenbaren viel Heil in Gerechtigkeit. Und ich werde sie umpflanzen als Pflanze der Gerechtigkeit mit meinem ganzen Herzen und mit meiner ganzen Seele. … Und ich werde erbauen mein Heiligtum in ihrer Mitte, und ich werde wohnen mit ihnen, und ich werde ihnen Gott sein, und sie werden mir mein Volk sein, welches in Wahrheit und welches in Gerechtigkeit. Und ich werde sie nicht verlassen, und ich werde sie nicht verstoßen, denn ich bin der Herr, ihr Gott. (Jub 1,15–18)

Mose antwortet auf diese nach dem Sünde-Exil-Rückkehr-Schema gestaltete göttliche Mahnrede153 mit einer Fürbitte für Israel und appelliert an Gottes Verheißung und sein Erbarmen (1,19–21), woraufhin Gott erneut Israels Abfall und Umkehr ankündigt und seine Heilszusage wiederholt: Und ich werde beschneiden die Vorhaut ihres Herzens und die Vorhaut des Herzens ihres Samens. Und ich werde ihnen schaffen einen heiligen Geist. Und ich werde sie rein machen, damit sie sich nicht von mir wenden von diesem Tag an bis in Ewigkeit. Und es werden anhängen ihre Seelen mir und allem meinem Gebot. Und sie werden [für sich] mein Gebot tun. Und ich werde ihnen Vater sein und sie werden meine Kinder sein. Und sie alle werden genannt werden Kinder des lebendigen Gottes. Und es werden sie kennen alle Engel und alle

153 Vgl. dazu grundlegend ODIL HANNES STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten. Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen Geschichtsbildes im Alten Testament, Spätjudentum und Urchristentum, WMANT 23, Neukirchen-Vluyn 1967. Zur frühjüdischen Rezeption dieses Schemas in den Testamenten der Zwölf Patriarchen vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 78f.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Geister. Und sie sollen sie kennen, dass sie meine Kinder sind und ich ihr Vater in Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit und dass ich sie liebe. (Jub 1,23–25)

Daraufhin erhält Mose schließlich von Gott den Auftrag: Und du, schreib dir auf für sie all diese Rede, die ich dir kundtue auf diesem Berge, die ersten und die späteren (Dinge), die kommen werden in allen Einteilungen der Tage, die im Gesetz und die im Zeugnis und die in ihren Wochen und Jubiläen bis in Ewigkeit, bis wenn ich herabsteigen werde und wohnen werde mit ihnen in alle Ewigkeit der Ewigkeit. (Jub 1,26)

Erst danach wird der Engel des Angesichts herbeigerufen und nun ebenfalls mit einem Schreibbefehl versehen: Schreibe auf für Mose vom Beginn der Schöpfung bis wann gebaut wird mein Heiligtum unter ihnen für die Ewigkeit der Ewigkeiten! Und der Herr wird erscheinen dem Auge eines jeden, und jeder wird erkennen, dass ich der Gott Israels bin und der Vater für alle Kinder Jakobs und der König auf dem Berge Sion in die Ewigkeit der Ewigkeit. Und es werden Sion und Jerusalem heilig sein. (Jub 1,27f.)

Das Jubiläenbuch ist von seiner Texteröffnung her Offenbarung Gottes auf dem Sinai für sein Volk Israel, und zwar doppelt ausgesprochen (von Gott und vom Engel seines Angesichts) und doppelt aufgeschrieben (durch den Engel des Angesichts und durch Mose).154 Sein Horizont erstreckt sich von der Erschaffung der Welt bis zur „Ewigkeit der Ewigkeiten“. Die beiden Brennpunkte innerhalb der so gebildeten Ellipse sind die Übergabe der Tora an Mose bzw. Israel auf dem Sinai und die Errichtung des Tempels in Jerusalem. Die Geschichte Gottes mit seinem Volk beginnt damit bereits bei der Schöpfung, signalisiert insbesondere dadurch, dass Gott selbst „Sabbat hielt am siebenten Tag und ihn heiligte für alle Ewigkeit und ihn zum Zeichen machte für all sein Werk“ (Jub 2,1),155 und sie endet erst, wenn Gott sein unter die Völker zerstreutes Volk am Ende der Zeiten wieder zu seinem Heiligtum zurückgeführt hat und dort mit ihm in ewiger Gemeinschaft wohnen wird. 156 Die Tora begleitet Israel also schon seit der Schöpfung und bis in die Heilszeit, wird aber durch 154 Vergleichbar wäre am ehesten die Tempelrolle aus Qumran, dazu o., 39f. Vgl. dazu ausführlich NAJMAN, Seconding Sinai (Anm. 151), 41–69. 155 Vgl. zur Bedeutung des Sabbatgebotes im Jubiläenbuch LUTZ DOERING, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999, 43–118; DERS., The Concept of the Sabbath in the Book of Jubilees, in: MATTHIAS ALBANI/JÖRG FREY/ARMIN LANGE (Hg.), Studies in the Book of Jubilees, TSAJ 65, Tübingen 1997, 179–205; HALPERN-AMARU, The Perspective from Mt. Sinai (Anm. 151), 129–147. Zur Verwurzelung weiterer Toragebote in der Schöpfungsgeschichte des Jubiläenbuches vgl. auch BEATE EGO, Heilige Zeit – heiliger Raum – heiliger Mensch. Beobachtungen zur Struktur der Gesetzesbegründung in der Schöpfungs- und Paradiesgeschichte des Jubiläenbuches, in: ALBANI/FREY/LANGE, a.a.O., 207–219. 156 Seit der Publikation der hebräischen Fragmente des Jubiläenbuches aus Qumran (VANDERKAM/MILIK, Jubilees [Anm. 150]) kann der Umgang mit Texten des Pentateuch

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die Gottesoffenbarung auf dem Sinai Mose gegenüber in exklusiver Weise autorisiert. In der Texteröffnung des Jubiläenbuches spiegelt sich damit eine höchst reflektierte Konzeption vom Gesetz Israels. In sie sind so ziemlich alle wesentlichen theologischen Konzeptionen und Motive integriert, die in den Schriften Israels (Tora, Propheten, Schriften) entwickelt worden sind: Die Tora vom Sinai ist narrativ und theologisch eingeordnet in die priesterliche Schöpfungstheologie der Genesis; sie wird in die Großerzählung von den Erzvätern integriert, auf deren Erwählung und Verheißung nun vom Sinai her schon zurückgeblickt werden kann; das Exodusgeschehen und der Bundesschluss am Sinai, und mit ihm der Moment der Übergabe der Tafeln des Gesetzes an Mose, bilden das Scharnier zwischen der zurückliegenden Heilsgeschichte Israels und seiner bis in die Endzeit reichenden Zukunftsgeschichte; diese Zukunft ist gegliedert durch eine (in deuteronomistischer Theologie verwurzelte) immer wiederkehrende Abfolge von Sünde, Exil und Rückkehr, Abfall zu den heidnischen Göttern, Umkehr zum Gott Israels und Wiederannahme zum Eigentumsvolk, ein Zirkel, der aber am Ende durch das endgültige Erbarmen Gottes zum Heilsziel geführt wird, wenn das Gesetz – nach dem Muster einer endzeitlich ausgerichteten prophetischen Theologie, die sich im Jeremia- und im Ezechielbuch abzeichnet – Israel und seinem Gott zur Herzenssache werden wird. Auch Jerusalemer Tempeltheologie ist in diese Konzeption integriert im Sinne der Erwartung der Rückkehr der in die Diaspora Zerstreuten zum Tempel und der Rückkehr Gottes in sein Heiligtum, so dass Gott und sein Volk beieinander wohnen werden. 157 All das wird zusammengehalten durch ständige Verweise auf das Gesetz, die Gebote, die Ordnungen und Weisungen Gottes. Literarisch auffällig an dieser Bucheinleitung ist darüber hinaus die Betonung sowohl des schriftlichen als auch des mündlichen Charakters der Anrede Gottes an Israel. Sowohl Mose als auch der Angesichtsengel erhalten von Gott Schreibbefehle, und was sie aufschreiben sollen, unterscheidet sich kaum wesentlich voneinander. Zugleich soll aber Mose auch auf das hören, was Gott ihm in seiner Rede ankündigt, ebenso wie ihn der Engel zum Hören auffordert, ihm zugleich aber auch einen Schreibauftrag erteilt (Jub 2,1). Der Buchschluss lässt diese komplexe Rede- bzw. Schreibsituation des Buchanfangs unaufgelöst. Auf den letzten Satz aus dem Diktat des Engels zur Sabbat-Tora folgt nur auch philologisch exakt untersucht werden. Eine entsprechende Analyse von GEORGE J. BROOKE, Exegetical Strategies in Jubilees 1–2. New Light from 4QJubileesa, in: ALBANI/FREY/LANGE, Studies in the Book of Jubilees (Anm. 155), 39–57, führt zu dem Ergebnis: „For the Book of Jubilees as a whole this study has pointed to how it may be presented as prophetic law, an understanding of the authority of what is written on the heavenly tablets which is consistent with the view of Moses as prophet.” (a.a.O., 55). Zum Umgang mit der Schrift im Jubiläenbuch vgl. auch WHITE CRAWFORD, Rewriting Scripture in Second Temple Times (Anm. 94), 60–83. 157 Vgl. Dtn 12; Ez 43.

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noch ein kurzer Rückverweis an Mose auf das, was „geschrieben ist auf den Tafeln, die er (sc. Gott) mir (sc. dem Engel) in meine Hände gegeben hat, damit ich dir aufschreibe die Gesetze der Zeit und dabei jedes einzelne nach der Einteilung seiner Tage“ (Jub 50,13).158 Eine besondere Rolle im Rahmen dieser Tora-Konzeption des Jubiläenbuches kommt den „himmlischen Tafeln“ zu. 159 Sie sind nicht identisch mit den „steinernen Tafeln des Gesetzes und Gebotes“, die Mose aus der Hand Gottes empfängt. 160 Gleichwohl werden im Laufe des Buches aber auch konkrete Einzelgebote der Tora als auf den Tafeln des Himmels verzeichnet benannt, z.T. mit erkennbarem Bezug zu Pentateuchgeboten,161 z.T. aber auch ohne unmittelbare Grundlage in der biblischen Tora.162 Darüber hinaus enthalten die himmlischen Tafeln häufig bestimmte Deutungen oder Bewertungen biblischer Erzählungen oder Gestalten.163 Öfter noch verzeichnen sie Taten der Menschen, die beim Endgericht der Strafe Gottes verfallen.164 Am häufigsten aber (und für die Gesamtkonzeption des Jubiläenbuches wohl auch am wichtigsten) sind Angaben zum Festkalender, die auf den himmlischen Tafeln festgehalten sind.165 158

Ein kurzer Epilog („Und beendet ist hier die Rede der Einteilung der Tage.“) mit Doxologie und Kolophon korrespondiert dem Prolog und dürfte wie dieser schon zur Erstfassung des Werkes gehören (vgl. o., Anm. 150). 159 Vgl. dazu VANDERKAM, Jubilees (Anm. 140), 68–71, sowie FLORENTINO GARCÍA MARTÍNEZ, The Heavenly Tablets in the Book of Jubilees, in: ALBANI/FREY/LANGE, Studies in the Book of Jubilees (Anm. 155), 243–260; CHRISTOPH MÜNCHOW, Ethik und Eschatologie. Ein Beitrag zum Verständnis der frühjüdischen Apokalyptik mit einem Ausblick auf das Neue Testament, Berlin 1981, 44–49. 160 Jub 1,1; vgl. 50,13; vgl. auch schon im Prolog: „Steintafeln des Gesetzes“. 161 So in Jub 3,9–11 das Gebot bezüglich der Reinheit der Wöchnerin nach Lev 12,2–5, in Jub 4,5 der Fluch über den Mörder nach Dtn 27,24, in Jub 15,25 das Beschneidungsgebot nach Gen 17,9–14, in Jub 30,9 das Verbot der Mischehe (das nach Lev 21,9 aber nur für Priestertöchter gilt und Verbrennung, nicht Steinigung nach sich zieht), in Jub 32,10–15 die Zehntleistungen für die Priesterschaft (vgl. Dtn 14,22–27), in Jub 33,10–12 das Verbot des Beischlafs mit der Frau des Vaters nach Lev 20,11. 162 So in Jub 3,31 (Bedeckung der Scham), Jub 4,32 (Hinrichtung mit demselben Gerät, mit dem ein Mord begangen wurde) und Jub 28,6 (das Verbot, die jüngere vor der älteren Tochter in die Ehe zu geben; vgl. aber Gen 29,26!). 163 Vgl. die Benennung Abrahams als „Freund des Herrn“ wegen seines Glaubens (Jub 19,9), die Festlegung des Namens Isaak schon vor seiner Geburt (Jub 16,4), die Verzeichnung Levis als Freund und Gerechter zum Lohn für die blutige Rache, die er zusammen mit Simeon an den Sichemiten wegen der Schändung ihrer Schwester Dina genommen hatte (Jub 30,20), der Segen Isaaks über Jakob, Rebekka und ihre Kinder (Jub 31,32), das künftige Geschick Jakobs und seiner Nachkommen (Jub 32,21f.). 164 So die Sünden der Generationen vor Noach (Jub 5,13–15), die Vergehen Lots und seiner Töchter (Jub 16,9), den Fluch Isaaks über die Philister (Jub 24,33), aber auch einmal eine Heilsansage über Israel, wenn es zu seinem Gott umgekehrt sein wird (Jub 23,32). 165 Vgl. Jub 6,17.28f.31; 16,28f.; 18,19; 32,27f.; 49,8.

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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Darüber hinaus ist noch auf z.T. recht umfangreiche, über das ganze Buch verteilte Passagen zu verweisen, in denen einzelne Gebote der Tora konkretisiert, erweitert, zusammengefasst, bisweilen auch geradezu ‚halachisch‘ definiert und theologisch interpretiert werden: 2,17–33; 50,1–13 3,8–14 4,31f. 6,6–14; 7,27–33 6,17–31 7,20f. 9,14f. 15,11–14.24–30 16,20–31 22,3–6 22,16–22 30,7–17 32,10–15 33,10–20 49,1–23

Sabbat Reinigung der Wöchnerin Talio Verbot des Blutgenusses Datum des Wochenfestes paränetische Gebotsreihe166 Verbot der Grenzverrückung (vgl. Dtn 27,17) Beschneidungsgebot Opfertora zum Laubhüttenfest Opfertora zum Wochenfest Absonderung von Nichtjuden und Verbot des Götzendienstes Verbot der Mischehen Zehntvorschriften Sexualgebote Pessach-Tora

Solche Passagen, die Toragebote aus dem Pentateuch erweitern und interpretieren, erscheinen in der Regel bruchlos eingebunden in den narrativen Verlauf des Gesamttextes, etwa im Zusammenhang einer erzählten biblischen Szene, wie die Talio nach dem Tod des Kain oder das Blutverbot nach dem Ende der Sintflut, das Beschneidungsgebot beim Bund mit Abraham nach Gen 17,1–14 oder das Mischehenverbot nach der Blutrache an den Sichemiten sowie die Pesach-Tora beim Exodus aus Ägypten. Sie können aber auch als testamentarische Mahnreden der Erzväter gestaltet werden167 oder als endzeitlich ausgerichtete Paränese eines Engels.168 Bisweilen sind konkrete Toragebote auch in die zurück- oder vorausblickenden Teile der Engelrede an Mose eingeschaltet, wobei auch ausdrücklich die Frage reflektiert werden kann, dass die Tora nach biblischer Chronologie zwar Mose und Israel erst auf dem Sinai übergeben wurde, aber dennoch schon seit der Schöpfung in Geltung steht. So wird z.B. das Problem diskutiert, dass der Sexualverkehr mit der Frau des Vaters nach der Tora mit dem Tode zu bestrafen ist, 169 Ruben aber nach seiner Sünde mit Bilha nach biblischer Überlieferung doch nicht getötet worden war (vgl. Gen 35,22; 49,4). Um einer falschen Interpretation dieser Erzählung vorzubeugen, heißt es deshalb: Und sie (sc. die Kinder Israels) sollen nicht sagen: Ruben hatte Leben und Sühne, nachdem er mit der Konkubine, der Frau seines Vaters, gelegen hatte, derweil sie ihren Mann hatte 166

S. dazu u., 50. Noach: Jub 7,20–39; Isaak: Jub 22,10–30. 168 So die Sexualgebote in Jub 33,10–20. 169 So Jub 33,13 in verschärfender Interpretation von Lev 18,8.29; Dtn 23,1; 27,20. 167

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und derweil ihr Mann lebte, Jakob, sein Vater. Denn die Ordnung und das Recht und das Gesetz waren nicht vollständig geoffenbart bis damals für alle. Denn in deinen Tagen ist es wie ein Gesetz der Zeit durch die Tage und ein Gesetz, das für die Ewigkeit ist, für die Nachkommen, die in Ewigkeit (sind). (Jub 33,15f.)

Schließlich zeigt sich beim Rekurs auf die Tora im Jubiläenbuch auch eine aktualisierend-paränetische Tendenz. Schon die Mahnreden der Erzväter an ihre Nachkommen haben paränetische Funktion, wenn der Ausblick auf das Gericht Gottes mit einer Ermahnung zum Halten seiner Gebote verbunden wird.170 Auch manche interpretativen Ergänzungen oder Veränderungen von Pentateuchgeboten lassen sich als aktualisierende Anwendung einzelner Toragebote auf die Gegebenheiten der Diaspora oder als Auseinandersetzung mit Hellenisierungstendenzen im Frühjudentum deuten. 171 Ein umfassendes frühjüdisches Ethos im Sinne der Tora spiegelt sich etwa in der Mahnrede Noachs an seine Kinder und Kindeskinder, wenn er sie auffordert, dass sie Gerechtigkeit täten und dass sie die Scham ihres Fleisches bedeckten und dass sie den segneten, der sie geschaffen, und dass sie Vater und Mutter ehrten und dass sie ein jeder den Nächsten liebten und dass er bewahre seine Seele vor Unzucht und Unreinheit und vor aller Ungerechtigkeit. Denn wegen dieser drei war die Sintflut über der Erde. (Jub 7,20f.)

Hier zeigt sich, wie im Jubiläenbuch ganz unterschiedliche Überlieferungen aus dem Pentateuch miteinander kombiniert, in eine straffe Form gebracht, mit einer erkennbar paränetischen Intention versehen und bruchlos in den narrativen Kontext des Werkes eingefügt werden. Die Aufforderung zur Gerechtigkeit und die Warnung vor Ungerechtigkeit rahmen die Weisungsreihe. Die Bedeckung der Scham spielt auf die Noach-Geschichte an. Die Ehrung des Schöpfers und der Eltern sowie das Nächstenliebegebot sind zentrale Weisungen der allgemeinen Toraparänese, ebenso die Warnung vor Unzucht und Unreinheit im sexualethischen Sinn. 172 Das Ganze endet in einem Rekurs auf die Ursachen der Sintflut. Man könnte nun fragen, was für ein Verständnis vom jüdischen Gesetz bei den Lesern des Jubiläenbuches im Sinne des Autors am Ende eigentlich ankommen soll. Ist die Tora ein Buch, oder gar mehrere Bücher? Ist sie mündlich überliefert oder schriftlich? Sind es die Tafeln Gottes vom Sinai, auf denen die Tora verzeichnet ist, oder handelt es sich bei ihr um eine erzählerisch ausgestaltete und festgehaltene Erinnerung an Mose am Sinai, durch die das Gesetz mehr oder weniger frei an Israel in der Gegenwart vermittelt werden soll? Ent-

170

Vgl. dazu MÜNCHOW, Ethik und Eschatologie (Anm. 159), 50–53. Zur Intention der Schrift vgl. JAMES C. VANDERKAM, The Origins and Purposes of the Book of Jubilees, in: ALBANI/FREY/LANGE, Studies in the Book of Jubilees (Anm. 155), 3–24; vgl. auch NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 208. 172 Vgl. NIEBUHR, a.a.O., 208–211. 171

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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halten die „himmlischen Tafeln“ die auf dem Sinai mündlich an Mose übergebene und seither von Generation zu Generation weitergegebene Tora Gottes?173 Will das Jubiläenbuch selbst als Tora verstanden werden und die Sinai-Tora ersetzen, oder will es die überlieferte Sinai-Tora in rechter Weise interpretieren, gegebenenfalls auch korrigieren? 174 Oder ist Tora das, was Israel einstmals von Mose gehört und seither im Gedächtnis behalten hat? Wahrscheinlich können und sollen die Leser der Schrift solche Unterscheidungen aber gar nicht vornehmen. Vielmehr sollen sie sich auf das Spiel der Texte einlassen, sich in sie einhören, um daraus die Stimme zu vernehmen, die sie auf ihre je aktuellen Lebensentscheidungen anspricht und sie lehrt und auffordert, diese im Sinne des Willens Gottes zu treffen. Dies ist grundsätzlich die Intention frühjüdischer Toraparänese, die sich im Jubiläenbuch wie wohl nirgendwo sonst im Frühjudentum eine ganz eigene literarische Gestalt geschaffen hat. 2.1.6 Die Tora im Liber Antiquitatum Biblicarum Der Liber Antiquitatum Biblicarum erzählt die biblische Menschheitsgeschichte von der Schöpfung bis zum Tod Sauls nach. Das Werk ist nur auf Latein in hochmittelalterlichen Handschriften erhalten. 175 Die lateinische Fassung beruht offenbar auf einer griechischen Vorlage, von der aber keinerlei Spuren erhalten sind. Ihre Existenz kann allein aus den Transkriptionen biblischer Namen erschlossen werden, die sich nur von den griechischen Namensformen her erklären lassen. Allerdings dürfte die griechische Fassung selbst Übersetzung aus einem hebräischen Original sein, was sich vor allem aus der Textform des Bibeltextes ergibt, der die ganze Schrift in Form von Paraphrasen, Anspielungen und nicht selten auch wörtlichen Wiedergaben z.T. ganzer Sätze durchzieht;176 sie folgen nämlich nicht der Septuaginta, sondern einer hebräischen Vorlage. Dass dieses einzigartige Werk in unserem Durchgang durch die frühjüdische Literatur an dieser Stelle eingeordnet wird, obwohl es nicht durch Textfunde aus den Qumran-Höhlen belegt ist, 177 hat seinen Grund

173 Nach GARCÍA MARTÍNEZ, The Heavenly Tablets in the Book of Jubilees (Anm. 159), 258, „the HT (sc. heavenly tablets) function in the same way as the Oral Torah … in Rabbinic Judaism“. 174 Diese Frage wird ausführlich diskutiert von NAJMAN, Seconding Sinai (Anm. 151), 43–50. 175 Textausgabe: DANIEL J. HARRINGTON/JACQUES CAZEAUX, Pseudo-Philon, Les Antiquités Bibliques, 2 Bde., SC 229/230, Paris 1976. 176 In dieser Häufigkeit von expliziten Zitaten aus den Schriften Israels liegt eine Besonderheit der Schrift, die allenfalls mit einigen der Texte aus Qumran (CD, 1QS, 4QMMT) und einigen neutestamentlichen Texten (Matthäusevangelium, Römerbrief, Galaterbrief, Hebräerbrief) vergleichbar ist. 177 Das wäre schon von der Datierung her höchst unwahrscheinlich. Das hebräische Original wird in der Regel in das 1. Jh. n. Chr. datiert, wobei nach wie vor umstritten ist, ob vor

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

in seiner literarischen Gestalt. Sie ist hinsichtlich der narrativen Gesamtstruktur,178 in der spezifischen Weise des Textbezugs auf die Schriften Israels und auch seiner Intention nach179 am ehesten mit Werken wie dem Jubiläenbuch, der Tempelrolle, dem Genesis-Apokryphon oder anderen Beispielen der so genannten re-written Bible (in gewisser Weise auch mit den Antiquitates des Josephus) vergleichbar, obwohl sie allen diesen Texten gegenüber auch charakteristische Eigenheiten aufweist. Die Schrift ist als anonyme, fortlaufende Erzählung vom „Anfang der Welt“ (LAB 1,1), beginnend bei Adam, bis zum Tod Sauls durch die Philister, endend mit einem letzten Wort des Königs, gestaltet. Ein Erzähler-Ich tritt nirgends in Erscheinung,180 ebenso wenig eine Offenbarungsszene, in der der Sprecher zu seiner Erzählung autorisiert würde. Rückblenden auf das aus der Erzählerperspektive zurückliegende oder auf das ihr vorausliegende künftige (endzeitliche) Geschehen kommen ausschließlich in wörtlicher Rede der Protagonisten oder als Erzählerkommentare vor. Es handelt sich also nicht um eine prophetische Schrift oder eine Offenbarungsschrift, sondern um eine aus der Zeit nach der Errichtung des Königtums in Israel im Rückblick konstruierte Nacherzählung der biblischen Geschichte. Das wird noch besonders unterstrichen durch zahlreiche in der Erzählung verankerte interpretierende Vor- und Rückverweise auf Ereignisse und Konstellationen, aus denen sich der Sinn des gerade erzählten Geschehens jeweils tiefer erschließen soll. 181

oder nach 70. Zu den Einleitungsfragen vgl. ausführlich HOWARD JACOBSON, A Commentary on Pseudo-Philo’s Liber antiquitatum biblicarum with Latin Text and English Translation, AGJU 31, Leiden 1996, 195–280; GERBERN S. OEGEMA, Pseudo-Philo: Antiquitates Biblicae (JSHRZ II/2), in: DERS., Unterweisung in erzählender Form (Anm. 148), 66–77; ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique. Avec le concours de JEAN-CLAUDE HAELEWYCK, Turnhout 2000, 405–425. 178 Die gründlichste Untersuchung dazu stammt von ECKART REINMUTH, Pseudo-Philo und Lukas. Studien zum Liber Antiquitatum Biblicarum und seiner Bedeutung für die Interpretation des lukanischen Doppelwerks, WUNT 74, Tübingen 1994, 3–127. 179 Vgl. dazu MANUEL VOGEL, Geschichtstheologie bei Pseudo-Philo, Liber Antiquitatum Biblicarum, in: FOLKER SIEGERT/JÜRGEN U. KALMS (Hg.), Internationales JosephusKolloquium Münster 1997, MJS 2, Münster 1998, 175–195; VOGEL, a.a.O., 175–177, ordnet das LAB theologiegeschichtlich in der geistigen Nähe des Jubiläenbuches und in der Nachfolge deuteronomistischer Geschichtstheologie ein, wobei aber gegenüber deren Betonung der Gerechtigkeit im Gottesverständnis des LAB seine Barmherzigkeit gegenüber Israel unterstrichen wird (a.a.O., 180f.). 180 Die einzige Ausnahme (LAB 10,5: ab inspiratione ire Domini mei) scheint auf eine Textkorruption zurückzugehen, vgl. REINMUTH, Pseudo-Philo und Lukas (Anm. 178), 4, Anm. 9. 181 Vgl. die Zusammenstellung solcher deutenden narrativen Querverweise bei VOGEL, Geschichtstheologie bei Pseudo-Philo (Anm. 179), 188–192.

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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In diesem narrativen Gerüst kommt der Nacherzählung der Sinai-Offenbarung eine wichtige, wenn auch nicht die entscheidende Rolle zu. 182 Sie umfasst die Kapitel 9–19, wobei die unmittelbar mit der Gesetzgebung am Sinai verbundenen Ereignisse auf die Kapitel 11–13 beschränkt sind. Die Szene wird eingeleitet mit einer Gottesrede, in der Gott sich seiner Zusage erinnert, die er Amram, dem Vater des Mose, schon vor dessen Geburt gegeben hatte: 183 Ich werde der Welt Licht geben (dabo lumen mundo) und ich werde erleuchten die bewohnten (Gegenden) und ich werde meinen Bund184 schließen (disponam testamentum meum) mit den Söhnen der Menschen und werde mein Volk verherrlichen über alle Völker; in ihm habe ich ewige Erhabenheit angeordnet, die ihm zum Licht 185 dienen wird, den Gottlosen indes zur Bestrafung. (LAB 11,1) 186

Dann kündigt Gott Mose die Übergabe der Tora mit folgenden Worten an: Ich werde meine Worte in deinen Mund geben, und du wirst mein Volk erleuchten darum, weil ich in deine Hände das ewige Gesetz legen werde (dedi in manus tuas legem sempiternam), und durch dieses werde ich den ganzen Kreis (der Erde) richten. Es wird nämlich dieses zum Zeugnis (testimonium) dienen. Wenn nämlich die Menschen sagen: „Wir haben dich nicht gekannt, und darum haben wir dir nicht gedient“, (so) werde ich mich deswegen an ihnen rächen, weil sie mein Gesetz (legem meam) nicht erkannt haben. (LAB 11,2)

Nach ausgiebiger Schilderung der kosmischen Erschütterungen vor der Erscheinung Gottes (vgl. Ex 19,16–19) leitet der Erzähler die folgende Gottesrede mit den Worten ein: „bis Gott festlegte das Gesetz des ewigen Bundes (legem testamenti sempiterni) für die Söhne Israel und ewige Vorschriften gab, die nicht vergehen werden“ (LAB 11,5). Darauf folgt eine ausführliche Wiedergabe des Dekalogs in Gottesrede an das Volk nach Ex 20,1–17, wobei wört-

182 Wichtiger ist, schon von der Textlänge her, aber auch wegen der Entfaltung der Geschichtstheologie der Schrift, die Richterzeit, LAB 25–48. Zur Rolle Moses im LAB vgl. MITTMANN, Mose in der antik-jüdischen Literatur (Anm. 149), 18f. 183 Vgl. LAB 9,8. Eine der zahlreichen Szenen der Erzählung, die ohne biblische Grundlage sind. 184 Dass Bund und Tora zusammengehören, ergibt sich aus dem weiteren Verlauf der Erzählung; vgl. dazu MANUEL VOGEL, Das Heil des Bundes. Bundestheologie im Frühjudentum und im frühen Christentum, TANZ 18, Tübingen/Basel 1996, 131–142. Zum Verhältnis von Bund und Tora in jüdisch-hellenistischen Schriften vgl. ANNA MARIA SCHWEMER, Zum Verhältnis von Diatheke und Nomos in den Schriften der jüdischen Diaspora Ägyptens in hellenistischer Zeit, in: FRIEDRICH AVEMARIE/HERMANN LICHTENBERGER (Hg.), Bund und Tora. Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition, WUNT 92, Tübingen 1996, 67–109; speziell zum LAB vgl. J OHN R. LEVISON, Torah and Covenant in Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum, a.a.O., 111– 127. 185 Zum Motiv der Tora als Licht vgl. LAB 11,2; 12,2; 15,6; 23,10. 186 Übersetzungen nach CHRISTIAN DIETZFELBINGER, Pseudo-Philo: Antiquitates Biblicae (Liber Antiquitatum Biblicarum), JSHRZ II/2, Gütersloh 21979, 89–271.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

liche Zitate nach dem hebräischen Bibeltext und freie Interpretationen, Ergänzungen, Ausschmückungen und auch Kürzungen einander ununterscheidbar durchdringen (LAB 11,6–13).187 Die Szene setzt sich fort wie in der biblischen Vorlage (vgl. Ex 20,18–21). Der Erzähler fasst dementsprechend zusammen, was Gott Mose während vierzig Tagen und vierzig Nächten (vgl. Ex 34,28) an „Rechtssatzungen und Urteilen“ (iusticias et iudicia sua) aufgetragen hat (LAB 11,15). Sehr ausführlich wird anschließend die Episode vom Goldenen Kalb nacherzählt (LAB 12,1–10), wobei zwischendrin schon einmal Aaron, wenn auch vergeblich, versucht, das Volk durch Ermahnung zum Warten auf Mose von seinem bösen Vorhaben abzuhalten, indem er sagt: Mose nämlich wird kommen und wird uns nahebringen das Urteil (iudicium), das größere Urteil, und das Gesetz wird er uns hellmachen (legem illuminabit nobis) und die Erhabenheit Gottes wird er erklären aus seinem Mund, indem er für unser Geschlecht Rechtssatzungen (iusticias) festsetzt. (LAB 12,2)

Am Ende lässt sich Gott durch ein langes Fürbittgebet Moses für das Volk zur Barmherzigkeit bewegen und erlaubt Mose, zwei neue Steintafeln auszuhauen, auf die er „die Rechtssatzungen (iusticias), die auf den ersten waren“, schreiben soll (LAB 12,10).188 Neben dieser umfangreichen, pointiert ausgestalteten Nacherzählung der Sinai-Szene in LAB 11–13 ist in der Schrift vom Gesetz noch an weiteren Stellen explizit die Rede.189 So erinnert Josua die Israeliten im Zusammenhang mit der Errichtung eines Tempels am Ufer des Jordan (vgl. Jos 22,9–11) an die Gabe der Tora: Siehe, der Herr hat alles getan, was er zu uns gesprochen hat, und jetzt wissen wir wahrhaftig, dass Gott festgesetzt hat jedes Wort seines Gesetzes (omne verbum legis sue), das er zu uns am Horeb gesprochen hat. Und es wird geschehen, wenn unser Herz seine Wege bewahrt, wird es gut für uns sein und für unsere Söhne nach uns. (LAB 21,9)

Daran schließt Josua einen Segensspruch über Israel mit Ausblick auf seine Zukunft, wenn „unter euch die Wohnung Gottes erbaut werde“, also auf den Tempelbau in Jerusalem. 190 Wenig später ermahnt er die Israeliten:

187 Vgl. REINMUTH, Pseudo-Philo und Lukas (Anm. 178), 52 (zu LAB 11,4f., aber dasselbe gilt für 11,6–13): „Von seiten des Rezipienten ist eine Unterscheidung zwischen dem Text Pseudo-Philos und dem Text der Bibel nicht ohne Kenntnis des Bibeltextes möglich.“ 188 Deren Inhalt, nämlich die Altar-, Priester und Reinheitsgesetze, wird in LAB 13 wiedergegeben, wieder in freier Paraphrase der entsprechenden Passagen aus der Tora. 189 Vgl. dazu ECKART REINMUTH, Beobachtungen zum Verständnis des Gesetzes im Liber Antiquitatum Biblicarum (Pseudo-Philo), JSJ 20, 1989, 151–170; LEVISON, Torah and Covenant in Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum (Anm. 184), 116–122; VOGEL, Das Heil des Bundes (Anm. 184), 133–135. 190 Vgl. dazu MANUEL VOGEL, Tempel und Tempelkult in Pseudo-Philos Liber Antiquitatum Biblicarum, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Hg.), Gemeinde ohne

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Ist der König, der Herr, nicht stärker als tausend Opfer? Und warum habt ihr eure Söhne nicht gelehrt die Worte des Herrn, die ihr von uns gehört habt? Denn wenn eure Söhne im Bedenken des Gesetzes des Herrn (in meditatione legis Domini) wären, würden ihre Sinne nicht verführt hinter einem von Hand verfertigten Altar her. 191 (LAB 22,5)

Es folgt eine erneute Erinnerung an die Geschichte vom Goldenen Kalb. In seiner Abschiedsrede in Schilo (nach Jos 24), die Josua mit dem Satz einleitet: „Höre, Israel. Siehe, ich schließe mit dir den Bund dieses Gesetzes (testamentum legis), das der Herr für unsere Väter auf dem Horeb angeordnet hat“ (LAB 23,2), lässt der Erzähler anschließend Gott selbst in einer langen Rede (23,4– 13) die Israeliten an ihre Geschichte erinnern, beginnend mit der Berufung Abrahams bis hin zum Exodus aus Ägypten und zur Übergabe der Tora am Sinai: Und ich führte sie an den Fuß des Berges Sinai und neigte die Himmel und stieg herab … und ich erlaubte nicht, dass mein Volk zerstreut wurde, sondern ich gab ihnen mein Gesetz (legem meam) und erleuchtete sie, damit sie es tun und leben und hochbetagt werden und nicht sterben. (LAB 23,10)

Nach Josuas Tod übernimmt Kenas192 die Führung des Volkes. In seiner ersten Rede verpflichtet er die Israeliten auf das „Wort des Herrn“ (verbum Domini): Wisst ihr, wieviel Mose, der Freund des Herrn, euch aufgetragen hat, damit ihr das Gesetz nicht übertretet (ut non transgrediamini legem) nach rechts oder links? (LAB 25,3).

Anschließend lässt er die zwölf Stämme antreten und Gott im Gebet um die Offenbarung seines Willens bitten (25,6). Auf den Befehl Gottes hin müssen Vertreter aus allen zwölf Stämmen ihre Sünden bekennen (25,7–14). Ganz am Schluss dieser langen Liste von Vergehen der Israeliten, die zum größten Teil aus verschiedenartigsten Formen von Götzendienst besteht, bekennen die Sünder aus dem Stamm Benjamin: Wir wollten in dieser Zeit das Buch des Gesetzes (liber legis) untersuchen und erkennen, ob tatsächlich Gott geschrieben hatte, was darin war, oder ob Mose diese (Dinge) von sich aus gelehrt hatte. (LAB 25,13)

Die Spitze aller Vergehen ist also das Misstrauen gegenüber der Tora. Gesetzesstudium193 dient der Untergrabung seiner Autorität! Die Problematik, wer in der Tora spricht, Gott selbst oder Mose, wird hier ausdrücklich thematisiert – ein wohl einzigartiges Zeugnis frühjüdischer Tora-Reflexion!

Tempel. Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 251–263: 260. 191 Zur ambivalenten Bewertung von Kult und Priesterschaft im LAB vgl. VOGEL, a.a.O., 252–258. 192 Diese Figur, die nur schwache biblische Wurzeln hat (vgl. DIETZFELBINGER , PseudoPhilo [Anm. 186], 169, Anm. 2 g), spielt im LAB eine zentrale Rolle. 193 Von einem „Buch des Gesetzes“ ist sonst nirgends in der Schrift die Rede.

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Schließlich kommt die Erinnerung an die Sinai-Offenbarung noch einmal im Debora-Lied in der Fassung des Liber Antiquitatum zur Sprache.194 Hier heißt es nach langen Rückblenden auf die Erwählung Abrahams und die Geburt und Opferung Isaaks, auf dessen beide Söhne, den Zug der Jakobssöhne nach Ägypten und den Exodus: Und als ihre Feinde böse gegen sie gehandelt hatten, schrie das Volk zu dem Herrn, und es wurde ihre Bitte erhört, und er führte sie von da heraus und führte sie zu dem Berg Sinai, und er machte ihnen bekannt die Grundlage der Einsicht, (die) vorbereitet (ist) seit der Geburt der Welt. (LAB 32,7)

Im Zuge einer ausführlichen Schilderung der Epiphanie Gottes auf dem Sinai kommt es schließlich zur Übergabe der Tora aus dem Munde Gottes an seine Söhne mit Mose als dem „Zeugen“ 195 der Tora: Da wurde der Abgrund aufgeweckt aus seinen Quellen, und alle Fluten des Meeres kamen zusammen an einem (Ort). Dann wurde das Paradies, nachdem es den Duft seiner Frucht wieder von sich gegeben hatte, und die Zedern des Libanon bewegt von ihren Wurzeln her, und die Tiere des Feldes erregten sich in der Behausung der Wälder, und alle seine Werke kamen zugleich zusammen, damit sie den Herrn sehen, der mit seinen Söhnen den Bund schließt. Und alles, was der Allmächtige gesagt hat, das hat er bewahrt, wobei er Mose, seinen Geliebten, als Zeugen hatte. (LAB 32,8)

Die Anklänge an die biblische Schöpfungsgeschichte sind hier unverkennbar, so dass man von einer Verankerung der Tora in der Erschaffung der Welt, nicht nur des Menschen, sprechen kann. 196 Dem entspricht es, wenn auch an anderen Stellen die universale Geltung des Gesetzes betont wird, ohne dass seine besondere Bedeutung für das auserwählte Volk Israel dadurch eingeschränkt würde.197 Damit kommt die außerordentlich vielfältige und reichhaltige narrative Reflexion über die Tora im Liber Antiquitatum Biblicarum zu ihrer theologischen Abrundung. Die Tora ist Ordnung Gottes für die ganze Schöpfung, ihr bei und mit ihrer Erschaffung eingestiftet, aber offenbart in einem exklusiven Epiphaniegeschehen Mose und dem Volk Israel am Sinai. Von diesem Geschehen her enthüllt sich der Sinn der Menschheitsgeschichte seit Adam bis

194

LAB 32, vgl. Ri 5. Inhaltlich haben beide Texte freilich faktisch nichts miteinander zu tun. Vgl. zur Analyse des ganzen Textzusammenhangs GERHARD DELLING, Von Morija zum Sinai (Pseudo-Philo Liber Antiquitatum Biblicarum 32,1–10), in: DERS., Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARLWILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000, 216–231. 195 Zu diesem Motiv im LAB vgl. VOGEL, Geschichtstheologie bei Pseudo-Philo (Anm. 179), 177. 196 DELLING, Von Morija zum Sinai (Anm. 194), 225f., sieht darin eine Übertragung der Aussagen über die Präexistenz der Weisheit nach Spr 8,22–31 auf die Tora. 197 Vgl. LAB 11,2: „durch dieses werde ich den ganzen Kreis (der Erde) richten“; darauf folgt eine Aussage über die Unentschuldbarkeit der Völker wegen Unkenntnis des Gesetzes, vgl. Röm 1,18–32.

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zum Endgericht über alle Völker, aber in einem noch signifikanteren Sinn die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel von der Berufung Abrahams über Israels immer wiederkehrenden Ungehorsam und Abfall und die Strafe und Barmherzigkeit Gottes bis zum Endgericht, bei dem Gottes Barmherzigkeit endgültig über seinen Zorn siegt. In diesem Sinne kann man im Blick auf das Geschichtsverständnis der Schrift mit Manuel Vogel von einer „Theologie der Gnade“ sprechen. 198 2.2 Die Septuaginta Nur knapp kann hier auf das Gesetzesverständnis in der Septuaginta eingegangen werden. 199 Zum einen wäre ein genauer und differenzierter Befund nur im detaillierten Vergleich zwischen der hebräischen und der griechischen Fassung der einzelnen Schriften des Alten Testaments an sämtlichen einschlägigen Stellen, nicht nur im Pentateuch, zu erheben. Zum anderen ist eine grundlegende Bedeutungsdifferenz zwischen dem hebräischen und dem griechischen Sinn der Hauptwörter ‫ תורה‬und νόμος keineswegs so eindeutig und pauschal feststellbar wie oft behauptet, 200 jedenfalls nicht, wenn es um die betreffenden Textkomplexe im Pentateuch und ihre Bedeutung für das frühjüdische Gesetzesverständnis geht. Grundlage für das Verständnis von Begriff und Sache des jüdischen Gesetzes im Griechisch sprechenden antiken Judentum ist die weitgehend konsequente Übersetzung von ‫ תורה‬mit νόμος in der Septuaginta, sofern damit die Tora als ganze oder Teile aus ihr gemeint sind. Die auffällige, wohl bewusste Differenzierung bei der Wiedergabe von ‫ תורה‬zwischen der Genesis einerseits und den Pentateuchschriften ab Exodus andererseits lässt zugleich aber auch eine reflektierte Wortwahl der Übersetzer erkennen: Während beim einzigen Beleg für ‫ תורה‬in der Genesis (Gen 26,5 Plur.) τὰ νόμιμα gewählt wird, ein Wort also, das ab dem Buch Exodus immer zur Wiedergabe von ‫ חק‬dient, steht vom Buch Exodus an für ‫ תורה‬im Sing. wie Plur. konsequent νόμος, offenbar,

198

VOGEL, Geschichtstheologie bei Pseudo-Philo (Anm. 179), 180. Vgl. dazu umfassend AUSLOOS/LEMMELIJN, Die Theologie der Septuaginta (Anm. 63), Teil III: Das Gesetz Gottes, 117–163; SIEGFRIED KREUZER (Hg.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H 1, Gütersloh 2016 (speziell zum Pentateuch in der neueren SeptuagintaForschung mit vielen Literaturangaben MARTIN RÖSEL, Von der Tora zum Nomos – Perspektiven der Forschung am griechischen Pentateuch, a.a.O., 97–106). Einführungen bieten JENNIFER M. DINES, The Septuagint, London/New York 2004; MICHAEL TILLY, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005. 200 Vgl. dazu die sehr differenzierten Darstellungen von CÉCILE DOGNIEZ, Le vocabulaire de la loi dans la Septante, in: BONS/JOOSTEN, Die Sprache der Septuaginta (Anm. 9), 350– 354, und INNOCENT HIMBAZA, Pentateuque, in: AUSLOOS/LEMMELIJN, Die Theologie der Septuaginta Anm. 63), 117–127. 199

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um dieses Wort „für die von Gott gegebenen Gebote vor(zu)behalten“. 201 Darüber hinaus kann im Griechischen der Septuaginta durch den gezielten Wechsel zwischen νόμος (Sing.) und νόμιμα (Plur.) die Differenzierung zwischen der Tora als ganzer und ihren Einzelgeboten hervorgehoben werden. Für den Septuaginta-Pentateuch insgesamt ergibt sich daraus: „Vom nomos wird ausschließlich im Singular gesprochen; es ist das eine Gesetz Gottes, das am Sinai offenbart wurde und aus einer Reihe von Einzelgeboten und Abschnitten besteht. … der nomos ist in der griechischen Bibel stärker noch als tora in der hebräischen als zusammenfassender Ausdruck für den Willen Gottes und integrierendes Element israelitischer Religion präsent.“ 202 Über die umfassende religiöse Bedeutung der Septuaginta für das Griechisch sprechende Judentum hinaus ist aber auch die spezifisch politische und juristische Funktion der Tora als Rechtsgrundlage für in der hellenistischen Diaspora lebende jüdische Gemeinwesen in Rechnung zu stellen. 203 Sie wird zumindest eines neben anderen Motiven für die weitgehend wörtliche Übertragung eines fremdsprachigen Rechtskorpus in das Griechische geliefert haben, was im antiken Kontext eher ungewöhnlich war. 204 Gefördert werden konnte ein solches Unternehmen zum einen durch Tora-interne Impulse wie die gelegentlich artikulierte Ausstrahlung der Tora auf die Völker der Welt (vgl. Dtn 4,6–8), zum andern durch hellenistische Einflüsse wie die Rezeption philosophischer (besonders platonischer) Überzeugungen von der Bedeutung des Rechts für ein funktionierendes Gemeinwesen. 205 Noch stärker als im Pentateuch bestimmt das Wortfeld νόμος κτλ. im Septuaginta-Psalter Sprachgestalt und Intentionen des biblischen Textes.206 Neben die konsequente Übersetzung von ‫( תורה‬Sing./Plur.) mit νόμος treten hier zahlreiche Ableitungen vom Stamm νόμ- (ἀνομία, ἄνομος, ἀνομέω, παράνομος, παρανομέω, νομοθέτης, νομοθετέομαι) bei der Wiedergabe verschiedenster hebräischer Ausdrücke für Toraübertretungen bzw. für die Mosetora als Gottesgesetz. Die durch diese Wortwahl angezeigte Tendenz wird

201

MARTIN RÖSEL, Nomothesie. Zum Gesetzesverständnis der Septuaginta, in: HEINZJOSEF FABRY/DIETER BÖHLER (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta, Bd. 3, BWANT 174, Stuttgart 2007, 132–150: 135. 202 RÖSEL, a.a.O., 139f. 203 GILLES DORIVAL, New light about the origin of the Septuagint?, in: WOLFGANG KRAUS/MARTIN KARRER, Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 36–47. 204 ADRIAN SCHENKER, Was führte zur Übersetzung der Tora ins Griechische? Dtn 4,2– 8 und Platon (Brief VII,326a–b), in: KRAUS/KARRER, Die Septuaginta (Anm. 203), 23–35. 205 Vgl. Platon, Ep. VII 326a–b. 206 ALISON SALVESEN, Psalter, in: AUSLOOS/LEMMELIJN, Die Theologie der Septuaginta (Anm. 63), 156–163; STAFFAN OLOFSSON, Law and Lawbreaking in the LXX Psalms – a Case of Theological Exegesis, in: ERICH ZENGER (Hg.), Der Septuaginta-Psalter. Sprachliche und theologische Aspekte, HBS 32, Freiburg 2001, 331–347.

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durch die schon in der Komposition des hebräischen Psalters angelegte Struktur von fünf „Büchern“ noch verstärkt, wobei Tora-Psalmen wie Psalm 1 und 119 kompositorisch zentrale Plätze einnehmen. Exemplarisch lässt sich an der Übersetzungsweise von Psalm 119 (118 LXX) zeigen, „daß PsLXX den Septuaginta-Pentateuch als Übersetzungsmodell und als Nomos versteht“. 207 Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch in der Septuaginta des Proverbienbuches, wo sie z.T. noch durch explizite Verweise auf den νόμος über die hebräische Textgrundlage hinaus unterstrichen werden. 208 Die hier sichtbar werdende normative Funktion des Pentateuch für die griechische Übersetzung der jüdischen Bibel entspricht der religiösen und theologischen Bedeutung der Tora als Nomos für das Griechisch sprechende Judentum. 209 2.3 Die Tora bei hellenistisch-jüdischen Autoren Philosophische Topoi zur Untermauerung oder Entfaltung von Torageboten oder der Tora als Ganzer finden sich in unterschiedlicher Weise bei Aristobulos, Philon von Alexandrien, Flavius Josephus, im Aristeasbrief, in der Sapientia Salomonis und im 4. Makkabäerbuch. 210 Verbindender Grundgedanke, der freilich meist nicht systematisch entfaltet wird, ist dabei die Überzeugung, dass in der Ordnung, die Gott seiner Schöpfung eingestiftet hat, ein für alle Menschen und Völker geltendes Naturgesetz verankert ist, das sachlich mit dem Mosegesetz übereinstimmt. 211 Entscheidende theologische Basis für die Akzeptanz eines solchen Naturgesetzes ist dabei für jüdische Autoren die Überzeugung, dass der Gott Israels Schöpfer des Universums und Gesetzgeber für alle Menschen ist.212

207 FRANK AUSTERMANN, Von der Tora zum Nomos. Untersuchungen zur Übersetzungsweise und Interpretation im Septuaginta-Psalter, MSU 27, Göttingen 2003, 207. 208 Vgl. Spr 9,10; 13,15. Dazu HANS-WINFRIED JÜNGLING, Der Mensch in Schöpfung und Zeit. Gedanken zur Anthropologie der Sprichwörter LXX, in: FABRY/BÖHLER, Im Brennpunkt: Die Septuaginta (Anm. 201), 203–225: 214–217. 209 Zu vergleichbaren Tendenzen in der Propheten-Septuaginta vgl. MICHAEL TILLY, Leben nach den Geboten Gottes. Betrachtungen zur griechischen Übersetzung von Mal 2,1– 9.10–16, in: WOLFGANG KRAUS/OLIVIER MUNNICH (Hg.), La Septante en Allemagne et en France – Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie, OBO 238, Fribourg/Göttingen 2009, 267–280. 210 Zur Rezeption philosophischer Topoi und Sprachformen in der jüdisch-hellenistischen Literatur vgl. ausführlicher KARL-WILHELM NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur [in diesem Band 101–148]. 211 Vgl. MARKUS BOCKMUEHL, Natural Law in Second Temple Judaism, in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches. Halakhah and the Beginning of Christian Public Ethics, Edinburgh 2000, 87–111; GREGORY E. STERLING, Universalizing the Particular: Natural Law in Second Temple Jewish Ethics, SPhiloA 15, 2003, 64–80: 73–80. 212 MEINRAD LIMBECK, Die Ordnung des Heils. Untersuchungen zum Gesetzesverständnis des Frühjudentums, Düsseldorf 1971.

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2.3.1 Aristobulos Von dem in der Mitte des 2. Jh. v. Chr. in Alexandria wirkenden Aristobulos sind nur wenige Fragmente eines offenbar umfangreicheren Auslegungswerkes zur Tora überliefert.213 Sie lassen erkennen, dass sich Aristobulos der in seinem alexandrinischen Umfeld bekannten, ursprünglich für die stoische Homerexegese entwickelten allegorischen Auslegungsmethode bediente, um die MoseTora für seine griechisch gebildeten (vorwiegend) jüdischen Zeitgenossen fruchtbar zu machen. 214 Textgrundlage seiner Auslegung ist die Septuaginta; Hebräisch hat er offenbar nicht gekonnt. Die besondere Wertschätzung des jüdischen Gesetzes bei den Griechen zeigt sich für Aristobulos zum einen darin, dass es schon lange vor der durch Ptolemaios Philadelphos II. (regierte 285–246 v. Chr.) veranstalteten Übersetzung in das Griechische solchen Geistesgrößen wie Platon und Pythagoras bekannt gewesen sei (Frgm. 3).215 Zum andern habe „Moses im Gesetz uns die ganze Entstehung der Welt als ‚Worte Gottes‘ dargestellt“, so dass selbst „Pythagoras, Sokrates und Platon, die sich um alle (Probleme) sehr gemüht haben, sich ihm (d.h.: dem Mose) angeschlossen haben, wenn sie sagen, dass sie Gottes Stimme hören, wenn sie die Beschaffenheit des Alls sorgfältig betrachten“ (Frgm. 4,4).216 Im Blick auf die angemessene Begrifflichkeit zur Erfassung des Göttlichen stellt Aristobulos heraus: Denn bei allen Philosophen herrscht Einigkeit darüber, dass man (bei Überlegungen) über Gott heilige (d.h.: dem heiligen Gegenstand angemessene) Begriffe verwenden muss, worauf ganz besonders unsere (philosophische) Schule mit Recht Wert legt. Die Anlage unseres Gesetzes ist nämlich ganz auf Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und die übrigen der Wahrheit gemäßen Güter ausgerichtet. 217

213 NIKOLAUS WALTER, Der Thoraausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, TU 86, Berlin 1964, 124–149; REINHARD WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora von Demetrios bis Pseudo-Phokylides, ARGU 10, Frankfurt a. M. 2000, 98–126. 214 Vgl. MAREN R. NIEHOFF, Jüdische Bibelinterpretation zwischen Homerforschung und Christentum, in: TOBIAS GEORGES/FELIX ALBRECHT/REINHARD FELDMEIER (Hg.), Alexandria, Tübingen 2013, 341–360: 344–347. 215 Vgl. MARKUS MÜLKE, Aristobulos in Alexandria. Jüdische Bibelexegese zwischen Griechen und Ägyptern unter Ptolemaios VI. Philometor, UALG 126, Berlin/Boston 2018, 263–311. Zur (Vor-) Geschichte der griechischen Bibelübersetzung nach Aristobulos vgl. auch MOGENS MÜLLER, Motive der Septuaginta bei Aristobul und ihre Intention, in: SIEGFRIED KREUZER /MARTIN MEISER/MARCUS SIGISMUND (Hg.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 717–730. 216 Zum Verständnis des Gesetzes bei Aristobulos vgl. MÜLKE, Aristobulos in Alexandria (Anm. 215), 209–261. 217 Frgm. 4,8. Übersetzungen nach NIKOLAUS WALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III/2, Gütersloh 1975, 257–299.

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Leitlinie für die Interpretation der Tora bei Aristobulos ist demnach nicht nur die Überzeugung, dass die ethischen Forderungen der Tora den klassischen Tugenden der philosophischen Tradition sachlich entsprechen, sondern dass der jüdische Nomos selbst mit der universal gültigen Weisheit und Vernunft der griechischen Philosophen identisch ist, weil diese gegenüber jenem sowohl chronologisch als auch literarisch sekundär sind. Am Sabbatgebot (Frgm. 5)218 macht Aristobulos klar, dass jede Welterkenntnis aus der Erkenntnis der Schöpfung Gottes abzuleiten ist. Gegen die biblische Vorlage identifiziert er den Sabbattag mit dem ersten Schöpfungstag, an dem Gott das Licht erschuf, das Aristobulos wiederum mit der Weisheit gleichsetzt. Erst durch das Licht der Weisheit kann die Schöpfung im Zusammenhang erkannt werden. Das zeigt sich insbesondere an der Einsicht in die Zeitstrukturen der Schöpfung, die auf dem Siebener-Prinzip beruhen: Wenn aber im Gesetz klar ausgesprochen wird, dass Gott am (siebenten Tage) geruht habe, dann bedeutet das nicht, wie einige annehmen, dass Gott (seither) nichts mehr tue, sondern dass er anlässlich des Abschlusses der Ordnung (aller Dinge) angeordnet hat, dass sie eben so für alle Zeit (bestehen bleiben solle). Denn dass er „in sechs Tagen den Himmel und die Erde und alles, was in ihnen ist, schuf“, hat (seine) Bedeutung; (das tat er nämlich,) damit er die Zeiteinteilung kundtäte und von vornherein die Ordnung festlegte, welches (Ding) vor welchem anderen den Vorrang hat. 219

In der Schöpfungstheologie findet Aristobulos somit den Grund für die Identifikation von Tora, Vernunft und Natur. 220 Im Mosegesetz liegt für ihn der Schlüssel zu aller Philosophie. 2.3.2 Philon von Alexandrien In den Werken Philons von Alexandrien tritt uns das umfangreichste Œuvre eines auch biographisch in Umrissen bekannten frühjüdischen Autors entgegen.221 Für die Bedeutung der Tora und die Umgangsweisen mit ihr im Frühjudentum ist es von einzigartiger Bedeutung, da sich Philon in seinen Werken ganz einseitig auf den Pentateuch konzentriert hat. Die meisten seiner in zahl-

Näheres zur Philosophie bei Aristobulos bei NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur (Anm. 210), 135–139. 218 Vgl. dazu DOERING, Schabbat (Anm. 155), 306–315. 219 Frgm. 5,11f. 220 WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 213), 105f. 221 Vgl. Philon, LegGai; Flacc; Prov 2,64; Josephus, Ant 18,259f.; zur aktuellen PhilonForschung vgl. MAREN R. NIEHOFF, Philon von Alexandria. Eine intellektuelle Biographie, Tübingen 2019; ADAM KAMESAR (Hg.), The Cambridge Companion to Philo, Cambridge 2009; PEDER BORGEN, Philo of Alexandria. An Exegete for His Time, NT.S 86, Leiden 1997; vgl. auch die Hinweise bei NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie (Anm. 210), 139f.

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reichen Einzeltraktaten überlieferten Schriften lassen sich drei großen Kommentarwerken zum Pentateuch zuordnen, die sich primär durch die in ihnen angewandte Darstellungs- und Auslegungsmethodik voneinander unterscheiden: einem fortlaufenden allegorischen Genesis-Kommentar, bestehend aus ausführlichen exegetischen Traktaten zu ausgewählten, dem Genesistext entnommenen Versen, einem weiteren, ebenfalls weitgehend allegorisch auslegenden Pentateuchkommentar, der nach dem Schema von Fragen und Antworten gestaltet ist, sowie einer umfassenden, systematisch aufgebauten Expositio legis, in welcher in thematischen Traktaten nach einer philosophischen Interpretation der biblischen Berichte von der Erschaffung der Welt zunächst an den Erzvätergestalten aus der Genesis exemplarische Tugenden dargestellt werden, bevor die Einzelgebote des Pentateuch, angeordnet nach den Geboten des Dekalogs, ausgelegt werden und das Werk schließlich entsprechend der Textfolge des Pentateuch mit einer Interpretation der Segens- und Fluchsprüche aus Dtn 28 abgerundet wird. Hinzu kommen noch eine umfangreiche Mose-Biographie sowie eine apologetische Zusammenfassung der Exodusgeschichte einschließlich der Sinai-Tora (genannt Hypothetika), die ebenfalls weitestgehend auf dem Pentateuch fußen. Selbst die philosophisch oder historisch ausgerichteten Traktate Philons basieren durchgängig auf der Tora. Ganz eigenständige Züge gewinnt die Torainterpretation bei Philon durch seine Identifikation des spezifisch mosaischen, im Pentateuchtext überlieferten jüdischen Gesetzes mit dem universal geltenden Naturgesetz.222 Explizit verankert Philon die Tora in der biblischen Schöpfungsgeschichte, indem er gleich zu Beginn der Expositio legis herausstellt, dass sowohl die Welt mit dem Gesetz als auch das Gesetz mit der Welt im Einklang steht (ὡς καὶ τοῦ κόσμου τῷ νόμῳ καὶ τοῦ νόμου τῷ κόσμῳ συνᾄδοντος) und dass der gesetzestreue Mann ohne weiteres ein Weltbürger (κοσμοπολίτης) ist, da er seine Handlungsweise nach dem Willen der Natur (πρὸς τὸ βούλημα τῆς φύσεως) regelt, nach dem auch die ganze Welt gelenkt wird. (Opif 3)223

Nicht allein aus der Schöpfung, sondern auch an den biblischen Patriarchen als Verkörperung der Tugend lässt sich nach Philon die Identität von Mosegesetz und Weltgesetz ablesen. Philon bezeichnet die Patriarchen, im Unterschied zu den im Pentateuch aufgeschriebenen Geboten, als „Ahnen unseres Volkes und gleichsam als Verkörperungen ungeschriebener Gesetze“ (ἀρχηγέτας τοῦ ἡμετέρου ἔθνους καὶ νόμους ἀγράφους, Decal 1), an anderer Stelle als „beseelte und vernünftige Gesetze“ (ἔμψυχοι καὶ λογικοὶ νόμοι, Abr 5; vgl. 222

Vgl. den Themenband von DAVID T. RUNIA (Hg.), Laws Stamped with the Seals of Nature. Law and Nature in Hellenistic Philosophy and Philo of Alexandria, SPhiloA 15, 2003, sowie NAJMAN, Seconding Sinai (Anm. 151), 70–107; DAVID WINSTON, Philo’s Ethical Theory, ANRW II 21,1, 1984, 372–416: 381–388; RICHARD A. HORSLEY, The Law of Nature in Philo and Cicero, HThR 71, 1978, 35–59. 223 Zum Leben gemäß der Natur bei Philon vgl. auch VitMos 2,48.

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275f.). Darüber hinaus kann er Mose, den idealen Gesetzgeber, auch als νόμος ἔμψυχος bezeichnen (VitMos 1,162) und als Verkörperung aller Tugenden charakterisieren (VitMos 2,8–11).224 Im Prolog zum zweiten Buch der MoseVita schreibt er ihm die Autorität eines Königs, Philosophen, Gesetzgebers, Priesters und Propheten zu (VitMos 2,2–6).225 In allegorischer Auslegung des Namens Joseph (κυρὶου πρόσθεσις = „Zusatz zum Herrn“) ordnet Philon die eine Verfassung des „Weltstaates“ (μεγαλόπολις … κόσμος), die er mit der universal geltenden Vernunft der Natur (λόγος φύσεως) identifiziert, den unterschiedlichen territorialen Staatsgesetzen kategorial über. Jene gebiete, was von allen Menschen getan oder unterlassen werden muss, diese dagegen seien lediglich wegen Habgier und Misstrauen der Völker gegeneinander als Zusätze zu der einen Naturverfassung hinzugetan worden (Jos 28–31).226 Vom Zusammenhang der Expositio legis her wird deutlich, dass mit „der einen Verfassung und dem einen Gesetz“ (Jos 29) nur die Tora gemeint sein kann, auch wenn der Grundgedanke von der Einheit des universalen Naturgesetzes aus der stoischen Philosophie übernommen ist. 227 Auch mit Kategorien wie den „ungeschriebenen Gesetzen“, dem Naturgesetz oder dem νόμος ἔμψυχος greift Philon Topoi auf, die in der philosophischen Ethik seiner Zeit populär waren. 228 Nach stoischer Auffassung ist der 224 Vgl. dazu CARL JOACHIM CLASSEN, Der platonisch-stoische Kanon der Kardinaltugenden bei Philon, Clemens Alexandrinus und Origenes, in: Kerygma und Logos. Beiträge zu den geistesgeschichtlichen Beziehungen zwischen Antike und Christentum (FS C. Andresen), hg. v. ADOLF MARTIN RITTER, Göttingen 1979, 68–88: 70–75. 225 Dass letztlich Gott selbst Gesetzgeber ist, wird dadurch nicht in Frage gestellt, vgl. VitMos 2,48; Opif 61; Sacr 131; SpecLeg 1,279. 226 Vgl. dazu INES POLLMANN, Gesetzeskritische Motive im Judentum und die Gesetzeskritik des Paulus, NTOA/StUNT 98, Göttingen 2012, 127–179. 227 Vgl. zum Verhältnis von Toraverständnis und Philosophie bei Philon JUTTA LEONHARDT-B ALZER, Synagogen als Schulen der Tugenden: Der Ort der Philosophie in der frühjüdischen Tradition, in: CHRISTOPH RIEDWEG (Hg.), PHILOSOPHIA in der Konkurrenz von Schulen, Wissenschaften und Religionen. Zur Pluralisierung des Philosophiebegriffs in Kaiserzeit und Spätantike, Berlin/Boston 2017, 127–145, 134: „Einerseits verortet er die jüdische Philosophie, wie Josephus nach ihm, ganz im Rahmen der griechisch-römischen Philosophenschulen … Das Ziel ist auch hier εὐδαιμονία (Mos. 2,212), die Thora zielt auf die Förderung von ‚Frömmigkeit‘ (εὐσέβεια) gegenüber Gott und Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) gegenüber den Mitmenschen‘ ab“ (Dekal. 52; Spec. 4,135). Andererseits stellt das Studium der Thora für Philon die höchste Stufe der Philosophie, die wahre Erkenntnis dar, und befindet sich somit auf einer anderen Ebene als die Praxis der anderen Schulen.“ 228 MATTHIAS KONRADT, Tora und Naturgesetz. Interpretatio graeca und universaler Geltungsanspruch der Mosetora bei Philo von Alexandrien, in: DERS./RAINER C. SCHWINGES (Hg.), Juden in ihrer Umwelt. Akkulturation des Judentuns in Antike und Mittelalter, Basel 2009, 87–112; REINHARD WEBER , Das „Gesetz“ bei Philon von Alexandrien und Flavius Josephus. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora bei den beiden Hauptzeugen des hellenistischen Judentums, ARGU 11, Frankfurt a. M. 2001, 78–114; HINDY NAJMAN, The Law of Nature and the Authority of Mosaic Law, SPhiloA 11, 1999, 55–73.

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Kosmos vom Logos durchwaltet. Der Mensch hat die Aufgabe, der Natur entsprechend zu leben, wobei er seine Vernunft zu gebrauchen hat, um die ungeschriebenen Gesetze der Natur zu erkennen. 229 Der von Philon vertretene Gedanke von der Natur als kosmischer Ordnung, die für das menschliche Denken und Verhalten normative Bedeutung hat, entwickelte sich aus einer Kombination von stoischer Ethik und platonischer Metaphysik. Er lässt sich über Cicero auf den Platoniker Antiochus von Askalon zurückführen, der als Wiederbegründer der platonischen Akademie zu Beginn des 1. Jh. v. Chr. gilt.230 Sie firmiert in der jüngeren Philosophiegeschichtsschreibung unter dem Begriff „Mittelplatonismus“.231 Philon ist angesichts des Umfangs der von ihm erhaltenen Werke der wichtigste Vertreter dieses Mittelplatonismus im 1. Jh. n. Chr.232 Im Unterschied zur griechisch-philosophischen Tradition stellt Philon die „ungeschriebenen Gesetze“ der Natur aber nicht in Gegensatz zu den geschriebenen Geboten der Tora, sondern betont die Harmonie zwischen beiden. Das Mosegesetz ist sozusagen Abschrift des Naturgesetzes und lässt sich zugleich ablesen am tugendhaften Leben der Patriarchen Israels. 233 Zudem hielt Philon bei aller universal-philosophischen Interpretation des Mosegesetzes auch an der Tora als politisch-ethischer Lebensordnung für Juden fest,234 was insbesondere unter den Bedingungen der jüdischen Diaspora eine Herausforderung darstellte. Hier bewährte sich Philon auch persönlich als Repräsentant der alexandrinischen Judenschaft bei einer diplomatischen Mission zum Kaiser Caligula. 235

229 WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 213), 410–449; MAXIMILIAN FORSCHNER, Die Philosophie der Stoa. Logik, Physik und Ethik, Darmstadt 2018, 183–192; DERS., Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System, Darmstadt 1981, 160–165; PAUL A. VANDER WAERDT, The Original Theory of Natural Law, SPhiloA 15, 2003, 17–34; BRAD INWOOD, Natural Law in Seneca, SPhiloA 15, 2003, 81–99. 230 HORSLEY, The Law of Nature (Anm. 222), 36. 231 Vgl. die klassische Monographie von JOHN DILLON, The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B.C. to A.D. 220. Revised edition with new afterword, London 1996. Weitere Literatur bei NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur (Anm. 210), 109–114. 232 DILLON, The Middle Platonists (Anm. 231), 139–183. 233 Näheres dazu bei NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur (Anm. 210), 141–144. Vgl. auch NAJMAN, The Law of Nature and the Authority of Mosaic Law (Anm. 228), 59.67f.; DIES., A Written Copy of the Law of Nature: An Unthinkable Paradox?, SPhiloA 15, 2003, 54–63; BOCKMUEHL, Natural Law in Second Temple Judaism (Anm. 211), 107–109. 234 Zur Auseinandersetzung in Migr 89–93 mit so genannten ‚radikalen Allegoristen‘, die allein die allegorische Deutung der Gesetze gelten lassen wollten, vgl. POLLMANN, Gesetzeskritische Motive im Judentum (Anm. 226), 99–126. 235 Vgl. dazu seine Schrift LegGai.

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In den Hypothetika, einer nur fragmentarisch bei Eusebius von Cäsarea überlieferten Schrift über Mose, den Exodus und die Gesetzgebung, erstellt Philon eine Epitome der Tora, in der er deren zentrale Weisungen zu einem dem Willen Gottes entsprechenden jüdischen Lebenswandel zusammenführt.236 Erkennbar werden hier Pentateuchgebote rezipiert, 237 wenn auch nicht zitiert, mit Schwerpunkten beim Sozial-, Besitz-, Sexual- und Familienethos (auch ein Abschnitt über den Sabbat gehörte offenbar zu der Schrift).238 Die nach Art einer Gnomensammlung zusammengestellten Weisungen lassen sich meist nicht exklusiv jüdischer Ethik zuweisen oder gar explizit mit Einzelgeboten der Tora identifizieren. Sie entsprechen vielmehr einem in hellenistischrömischer Zeit verbreiteten und in der Popularphilosophie propagierten Ethos, das sich häufig auch in Gnomologien niederschlug.239 Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass Philon in seiner Einleitung zu dieser Epitome das strenge, einfache und klare Mosegesetz ausdrücklich den komplizierten und weitaus laxeren heidnischen Gesetzen entgegenstellt und auch innerhalb der Zusammenstellung der Weisungen immer wieder auf Gott bzw. den Gesetzgeber (sc. Mose) verweist. Spezifisch jüdische Gebote reiht er dabei unterschiedslos unter allgemeingültige Verhaltensregeln ein. Gerade weil er auf die Übereinstimmung vieler Weisungen des Mosegesetzes mit verbreiteten nichtjüdischen ethischen Codes wie den „Ungeschriebenen Gesetzen“ oder den „Buzygischen Verwünschungen“ verweisen kann, will er seine Gesetzesepitome als jüdischen Nomos doch aus den allgemein geltenden ethischen Richtlinien herausheben. 2.3.3 Flavius Josephus Zwischen den verschiedenen Werken des Josephus kann man zwar hinsichtlich der Terminologie und der jeweiligen Intentionen bei der Bezugnahme auf das jüdische Gesetz differenzieren.240 Gemeinsam ist ihnen allen aber die ausnahms- und konkurrenzlos positive Bewertung der Tora als Lebensgrundlage Israels, Maßstab jüdischer Lebenspraxis und Vorbild einer lebensförderlichen Verfassung für jedes menschliche Gemeinwesen. 236 Euseb, PE VIII = Hypothetika 7; vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 32–38. 237 Neben Dekaloggeboten besonders solche aus Ex 21–23; Lev 18–20; Dtn 27. 238 Traditionsgeschichtliche Bezüge zu Josephus, Ap 2,190–219 und PseudPhok 3– 41.177–194 lassen erkennen, dass er dabei auf einen Fonds von Weisungen der frühjüdischen Toraparänese zurückgreift; vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 44– 72. 239 Vgl. dazu MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979, 240–261. 240 Zum Begriff „väterliche Gesetze“ bei Josephus vgl. BERND SCHRÖDER, Die ‚väterlichen Gesetze‘. Flavius Josephus als Vermittler von Halachah an Griechen und Römer, TSAJ 53, Tübingen 1996.

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Auch wenn Josephus in seinen Hauptwerken primär als Geschichtsschreiber hervortritt,241 zeigen sich in seiner Interpretation des Mosegesetzes doch bemerkenswerte Parallelen zu Philon. 242 So stellt er im Proömium zu den Antiquitates (Ant 1,1–26)243 seiner Darstellung der jüdischen „Altertumskunde und Staatsverfassung“ (ἀρχαιολογία καὶ διάταξις τοῦ πολιτεύματος, 1,5) grundsätzliche Erwägungen zum Verhältnis von Gott, Natur und Gesetz voran, mit denen er begründen will, warum er, dem biblischen Bericht folgend, seine Geschichtsdarstellung mit Ausführungen zur „Naturgeschichte“ (φυσιολογία, 18) beginnt. Er ermahnt seine Leser vorab, ihren Sinn auf Gott zu richten und darauf zu achten, „ob unser Gesetzgeber dessen Natur würdig betrachtet habe“ (τὴν φύσιν ἀξίως αὐτοῦ κατενόησε, 15); denn wer sein Leben selbst gut führen und andern Gesetze geben wolle, müsse (wie Mose zu Beginn der Genesis) zuerst Gottes Natur betrachten (θεοῦ πρῶτον φύσιν κατανοῆσαι, 19) und dann Gottes Werke für seinen eigenen Lebenswandel zum Vorbild nehmen. Die von Mose gegebenen Gesetze folgen somit denen der Natur, die wiederum in ihrer Ordnung der „Natur Gottes“ entspricht. Deshalb haben auch die Menschen ihren Sinn auf Gott und auf die Einrichtung seiner Schöpfung zu lenken, um zu erkennen, dass Gott die Tugend in Reinheit besitze, an der Anteil zu gewinnen sie in ihrem Leben versuchen sollen, „denn alles folgt dem Grundsatz der Harmonie mit der Natur des Universums“ (πάντα γὰρ τῇ τῶν ὅλων φύσει σύμφωνον ἔχει τὴν διάτεσιν, 24).244 Nach einer relativ kurzen Wiedergabe der biblischen Schöpfungserzählungen (Ant 1,27–51) und der Nacherzählung der Ur-, Väter- und Exodusgeschichten aus dem Pentateuch schließt Josephus seine Darstellung der Mose/

241 Zu Josephus im Rahmen jüdischer und nichtjüdischer Geschichtsschreibung vgl. jetzt SÖREN SWOBODA, Tod und Sterben im Krieg bei Josephus. Die Intentionen von Bellum und Antiquitates im Kontext griechisch-römischer Historiographie, TSAJ 158, Tübingen 2014. Zu Josephus insgesamt vgl. auch HONORA HOWELL CHAPMAN/ZULEIKA RODGERS (Hg.), A Companion to Josephus, Chicester 2016; STEVE MASON, Flavius Josephus und das Neue Testament, Tübingen/Basel 2000; HEINZ SCHRECKENBERG, Art. Josephus (Flavius Josephus), RAC 18, 1998, 761–801; PER BILDE, Flavius Josephus between Jerusalem and Rome. His Life, His Works and their Importance, JSPE 2, Sheffield 1988. 242 Zum Philosophiebegriff bei Josephus vgl. LEONHARDT-BALZER, Synagogen als Schulen der Tugenden (Anm. 227), 130–132; zur mit Philon verwandten Interpretation der SinaiTora bei Josephus vgl. ZULEIKA RODGERS, Josephus’ „Theokratia“ and Mosaic Discourse: The Actualization of the Revelation at Sinai, in: BROOKE, The Significance of Sinai Traditions (Anm. 85), 129–148. 243 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50: 42f. [in diesem Band 149–173]. 244 Zu Mose als Tugendvorbild s. auch den Abschluss des Mose-Teils, Ant 4,331.

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Exodus-Epoche245 mit einem Exkurs zu den Gesetzen der jüdischen Verfassung ab (Ant 4,196–301).246 Der biblischen Vorlage entsprechend 247 stellt er dem eine Abschiedsrede voran (Ant 4,177–195), in welcher Mose den Zusammenhang von Frömmigkeit, Tugend und Glückseligkeit herausstellt: Ursache der Teilhabe aller Menschen am Guten sei der gütige Gott (180); großer Lohn sei der Tugend ausgesetzt, wenn sie das ganze Leben hindurch bewahrt wird und die Gesetze gehalten werden (182f.); damit ihre Natur sich nicht durch Unkenntnis des Guten dem Schlechten zuneige, habe Mose den Israeliten Gesetze und eine Verfassung gegeben, die von Gott diktiert wurden; diejenigen, die deren Ordnung bewahren, werden die glücklichsten Menschen der Welt sein (193). Ähnlich wie bei Philon lässt sich somit auch bei Josephus die Interpretation des Mosegesetzes als spezifisch jüdisch geprägte Rezeption einer platonisch-stoisch gefärbten (mittelplatonischen) Ethik verstehen, in welcher der Grundsatz vom Leben gemäß der Natur dezidiert theologisch orientiert wird. In einem der literarischen Gattung nach anders gelagerten Werk hat Josephus sein philosophisch reflektiertes Toraverständnis noch einmal entfaltet und mit Blick auf nichtjüdische Gesetzgebungen vergleichend zu begründen versucht. Die in zwei Büchern nur zum Teil in griechischer Originalsprache erhaltene Schrift Contra Apionem248 dient vorwiegend der Widerlegung von Angriffen nichtjüdischer Literaten gegen das Judentum und seine Geschichte, geht aber dann etwa ab der Mitte des zweiten Buches in eine Selbstdarstellung des jüdischen Gemeinwesens und seiner Verfassung über (Ap 2,145–296). Nach Josephus war Mose nicht nur der älteste aller bekannten Gesetzgeber, sondern hat sich dem Volk auch als Führer und Ratgeber empfohlen, indem er es mit einem Gesetz ausstattete, welches das ganze Leben umschließt und auf Dauer zu halten ist, im Unterschied zu sonstigen Heerführern, die in der Regel die Menge gesetzlos lassen (154–160). Vor allem aber habe Mose erkannt, dass

245 Schon innerhalb dieses Teils heißt es in einer Rede des Mose am Sinai (3,84–88), Gott habe Israel mit seiner Tora den Weg zum glücklichen Leben (βίον εὐδαίμονα) und einer guten Verfassung (πολιτείας κόσμον) gewiesen. 246 Schon vorher findet sich in Ant 3,224–286 ein längerer Exkurs vorwiegend zu Opferund Reinheitsbestimmungen sowie in 4,67–75 ein kürzerer mit Bestimmungen über die Levitenstädte und die Abgaben an die Priester. Vgl. zur Einordnung der Einzelbestimmungen in die biblische, frühjüdische und rabbinische Überlieferung DAVID NAKMAN, Josephus and Halacha, in: CHAPMAN/RODGERS, A Companion to Josephus (Anm. 241), 282–292. 247 Vgl. Dtn 1,1–4; 31,9. 248 CHRISTINE GERBER, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden 1997, 64–121; DAGMAR LABOW, Flavius Josephus Contra Apionem, Buch I. Einleitung, Text, Textkritischer Apparat, Übersetzung und Kommentar, BWANT 167, Stuttgart 2005; FOLKER SIEGERT (Hg.), Flavius Josephus. Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), SJD 6, Göttingen 2008, Bd. 1, 11–62.

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er in all seinen guten Vorhaben und Taten Gott zum Führer und Ratgeber habe (ἡγεμόνα τε καὶ σύμβουλον θεὸν ἔχειν) und alles nach dessen Willen bewirke und plane, woraus er die Verpflichtung abgeleitet habe, diese Auffassung auch der Menge einzupflanzen. Im Folgenden entfaltet Josephus zunächst die theologische Grundlegung des Gesetzes (161–171):249 Mose habe alle davon überzeugt, auf Gott als Ursache aller Güter zu schauen (αἴτιον μὲν ἁπάντων ὄντα τῶν ἀγαθῶν), sowohl jener, die allen Menschen gemeinsam sind, als auch solcher, um die sie in Nöten bitten, und habe in sie alle den unabänderlichen Glauben eingepflanzt, dass Gott einer sei, eine Überzeugung, die bei den Griechen nur wenige Philosophen teilten. Anschließend stellt Josephus das Gesetz als „schönstes und notwendigstes Erziehungsgut“ (κάλλιστον καὶ ἀναγκαιότατον … παίδευμα) heraus und betont, dass bei den Juden schon von Kind auf die Kenntnis und das Halten der Gebote eingeübt werden (171– 178).250 Eintracht im Gottesverständnis und Einmütigkeit in der Lebensführung bewirkten so die schönste Übereinstimmung der Menschen im Ethos (179– 189). Welche Verfassung könne schöner und gerechter sein als die, die Gott zum Führer des Alls erkläre (τὸν θεὸν μὲν ἡγεμόνα τῶν ὅλων ἡγεῖσθαι). In der dann folgenden Wiedergabe der Gebote und Verbote des Mosegesetzes folgt Josephus einer systematischen Gliederung: Am Anfang stehen Gebote über Gott (190–198); es folgen solche zu Familie und Gesellschaft (199–208) und zu Fremden (209–214). Am Ende kommen noch Strafbestimmungen (215– 219). Der Abschnitt endet mit einer Würdigung der Treue zur Tora, woran sich kritische Beurteilungen von Gesetzesentwürfen bei den Griechen anschließen (220–235). Traditionsgeschichtlich ist diese katechismusartige Wiedergabe von Einzelweisungen der Tora mit derjenigen bei Philon, Hypothetika 7,251 und weiteren frühjüdischen Weisungsreihen verwandt. 252 Spezifisch jüdische Toragebote werden dort oft mit allgemeingültigen und weit verbreiteten ethischen Mahnungen aus der pagan-hellenistischen Moralphilosophie unterschiedslos kombiniert. Der Wortlaut der biblischen Gebote ist dabei keineswegs bestimmend, ebenso wenig ihre Anordnung oder ihr Kontext im Pentateuch. Vielmehr werden unter Heranziehung von jüdischen wie nichtjüdischen ethischen Traditionen neue thematische Zusammenhänge geschaffen, die als Ganze der Autorität des Mosegesetzes zu- und untergeordnet sind. 249 Hier fällt auch der Neologismus θεοκρατία (im Gegensatz zu μοναρχία und ὀλίγων δυναστεία) als Begriff für die jüdische Verfassung; vgl. dazu HUBERT CANCIK, Theokratie und Priesterherrschaft. Die mosaische Verfassung bei Flavius Josephus, c. Apionem 2,157– 198, in: JACOB TAUBES (Hg.), Religionstheorie und politische Theologie, Bd. 3: Theokratie, München 1987, 65–77. 250 Vgl. zu diesem Topos NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora (Anm. 243), 30f. 251 S. dazu o., 65. 252 Ausführlicher dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 39–53; KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 239), 207–235.

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Bei der Wiedergabe der Einzelgesetze der Tora in seinem Exkurs zum Mose-Gesetz in den Antiquitates (Ant 4,196–301) beschränkt sich Josephus zunächst auf die ‚politischen‘ Gesetze, die „Verfassung“ der Juden.253 Die übrigen Gebote – gemeint sind Reinheits- und Kultbestimmungen – behält er sich für ein anderes Werk vor,254 hatte sie aber teilweise auch schon in seine Wiedergabe der Exodusgeschichte eingebaut.255 Ausdrücklich behauptet Josephus, alles so aufgeschrieben zu haben, wie Mose es hinterlassen hat, und nichts hinzugefügt, sondern lediglich die Bestimmungen besser angeordnet zu haben (196f.).256 Ein Vergleich mit dem Wortlaut der entsprechenden Gebote im Pentateuch257 ergibt freilich, dass er auf ihm zugängliche bzw. seinen Vorstellungen entsprechende zeitgenössische Auslegungstraditionen der Tora zurückgreift, die keineswegs dem biblischen Wortlaut folgen und auch nicht auf dem Wege systematischer Exegese aus ihm gewonnen sind. Allerdings stellt Josephus solche Auslegungstraditionen nicht als „mündliche Tora“ der schriftlich überlieferten des Pentateuch gegenüber, sondern geht von der sachlichen Identität beider aus, ohne das Verhältnis zwischen ihnen explizit zu thematisieren.258 Dieser Befund hat grundsätzliche Bedeutung für den Umgang mit dem Gesetz im Frühjudentum: Die Autorität der Tora wird nicht aus dem Wortlaut des überlieferten Pentateuch-Textes hergeleitet oder begründet, sondern geht jedem Zugriff auf diesen voraus.259 Auslegung der Tora bedeutet demnach, im Toleranzbereich der Tora nach Analogien zu gegenwärtigen Lebenssituationen und Problemkonstellationen zu suchen, welche ihre aktuelle Berücksichtigung im Alltagsleben überhaupt erst möglich machen. Autorität erlangt die Tora also nicht unter Rekurs auf einen vorgegebenen Text aus dem Pentateuch, sondern im Vollzug ihrer aktualisierenden Auslegung. „Gesetz“ ist sie immer nur in der Gestalt, die sie als Lebensordnung Gottes für das Volk Israel in seiner jeweiligen Gegenwart gewinnt. Eine solche vergegenwärtigende Interpretation der Tora oder einzelner ihrer Gebote (bisweilen unter Absehung von oder gar im

253

Ant 1,196.198: πολιτεία. Zur Wiedergabe der Tora bei Josephus als „An Alternative Political Constitution“ vgl. LOUIS H. FELDMAN, Flavius Josephus. Judean Antiquities 1–4, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Leiden/Boston 2000, XXIV-XXIX. 254 Ant 4,197.302; vgl. 20,268. 255 Vgl. 3,91f.: Dekalog; 3,214–286: Priester- und Opfergesetze. 256 Zur so genannten Kanonformel vgl. auch 1,17; Ap 1,42. Vgl. dazu ÉTIENNE NODET, Josephus and the Pentateuch, JSJ 28, 1997, 154–194: 157. 257 Exemplarisch wurde er für Ant 4,271–274 durchgeführt von MÜLLER, Anmerkungen zum Verhältnis von Tora und Halacha im Frühjudentum (Anm. 126), 270–284; zur biblischen Textgrundlage bei Josephus in Ant 1–4 vgl. NODET, Josephus and the Pentateuch (Anm. 256). 258 Vgl. dazu SCHRÖDER, Die ‚väterlichen Gesetz‘ (Anm. 240), 129. 259 Vgl. MÜLLER, Anmerkungen zum Verhältnis von Tora und Halacha im Frühjudentum (Anm. 126), 282.

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Gegensatz zu deren Wortlaut im Pentateuch) im Sinne des in Geltung stehenden Gesetzes als Ganzem ist für die frühjüdische Toraparänese charakteristisch, wie sie sich in der frühjüdischen Literatur in großer Vielfalt niedergeschlagen hat. 2.4 Tora und Philosophie in der frühjüdischen Literatur Die bei Philon und Josephus mit apologetischen Tendenzen und philosophischen Argumenten untermauerte aktualisierende Interpretation des jüdischen Gesetzes lässt sich – in der Regel ohne solche intellektuellen Begründungen – auch in weiten Teilen der übrigen frühjüdischen Literatur nachweisen. 260 Dabei zeigt sich durchgängig, dass der inzwischen literarisch fixierte Pentateuch zwar die sachliche, textliche und ideelle Basis aller Bezugnahmen auf das jüdische Gesetz darstellt, die gegenwärtige Funktion und Bedeutung des Gesetzes aber nicht von seinem Wortlaut abhängig gemacht werden kann. Ebenso wenig lassen sich explizit entfaltete und reflektierte Konzeptionen einer ‚Tora-Lehre‘ mit einer Reichweite über einzelne Quellenzeugnisse hinaus erkennen, die den späteren (rabbinischen) Modellen der ‚doppelten (sc. schriftlichen und mündlichen) Tora‘ oder einer ‚Tora für die Völker‘261 an die Seite gestellt oder gar als deren Vorstufen angesehen werden könnten. 2.4.1 Der Aristeasbrief Im Aristeasbrief werden die für griechisch Gebildete besonders problematischen Teile des jüdischen Gesetzes thematisiert, also solche, in denen sich die Weisungen der Tora von dem allgemein geltenden Ethos unterscheiden, wie etwa Speise- und Reinheitsvorschriften.262 Dies geschieht insbesondere in einer ausgedehnten Apologie der Tora, die der Hohepriester Eleazar in Jerusalem der ptolemäischen Gesandtschaft gegenüber ablegt, bevor diese mit 72 ausgewählten jüdischen Abgesandten nach Alexandria abreist, um dort die Tora ins Griechische zu übersetzen (EpArist 128–171). Einleitend betont der Hohepriester:

260 Vgl. dazu insgesamt WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 213); KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 239); NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38). 261 Vgl. das Konzept der ‚Noachidischen Gebote‘; dazu DAVID NOVAK, The Image of the Non-Jew in Judaism. The Idea of Noahide Law, Oxford 1983; MARKUS BOCKMUEHL, The Noachide Commandments and the New Testament, in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches (Anm. 211), 145–173; KLAUS MÜLLER, Tora für die Völker. Die noachidischen Gebote und Ansätze zu ihrer Rezeption im Christentum, SKI 15, Berlin 1994. 262 Zur Intention der Schrift und den primär angeredeten Adressaten vgl. BENJAMIN G. WRIGHT III, The Letter of Aristeas. ‚Aristeas to Philocrates‘ or ‚On the Translation of the Law of the Jews‘, CEJL, Berlin/Boston 2015, 62–74.

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Unser Gesetzgeber hat nun zuerst Gebote erlassen, die Frömmigkeit und Gerechtigkeit betreffen, und er behandelte jeden einzelnen Punkt, indem er – nicht nur in der Form des Verbots, sondern auch in der der Belehrung – die schädlichen Folgen und göttlichen Heimsuchungen für die Schuldigen vorher zu erkennen gab. Zuallererst zeigte er, dass nur ein Gott ist und seine Kraft durch alle Dinge offenbar wird, da jeder Platz voll seiner Macht ist, und dass nichts, was die Menschen auf Erden heimlich tun, vor ihm verborgen ist, sondern was einer tut, und sogar das zukünftige Geschehen, ist ihm offenbar. (EpArist 131f.) 263

Die mit den Speise- und Reinheitsvorschriften verbundene Ab- und Ausgrenzung gegenüber der nichtjüdischen Gesellschaft wird von Eleazar als Schutz vor Verunreinigung von Leib und Seele, vor allem aber vor der Vermischung mit andern Völkern und ihrer polytheistischen Religion gedeutet (EpArist 139).264 Die darin offenbar werdende Spannung zwischen der vorausgesetzten universalen theologisch-ethischen Orientierung der Tora265 und ihren partikularen Bestimmungen löst der Verfasser (mit den Worten des Hohenpriesters Eleazar) mit Hilfe allegorischer Interpretation: Einerseits ist nämlich alles im ganzen genommen hinsichtlich des natürlichen Sinnes gleich (πρὸς τὸν φυσικὸν λόγον ὅμοια), da es ja durch eine Macht regiert wird, andererseits hat jedes für sich einen tiefen Sinn: sowohl das, was wir vermeiden, als auch, was wir benutzen. (EpArist 143)

Im Folgenden illustriert er dies an einer Reihe von Speisevorschriften, wobei er immer wieder auf die Gerechtigkeit als deren tieferen Sinn zurückkommt: Indem er sie (die als Speise verbotenen Vögel) unrein nannte, setzte er durch sie ein Zeichen, dass diejenigen, denen das Gesetz auferlegt ist, in ihrer Seele Gerechtigkeit üben und niemanden im Vertrauen auf die eigene Kraft unterdrücken und auch nichts wegnehmen, sondern ihr Leben in Gerechtigkeit führen sollen. (EpArist 147)

Weitere Toravorschriften zusammenfassend, die das Unterscheidungsvermögen (διαστολή) und das Gedenken (μνεία) zum tieferen Sinn haben (u.a. das Verbot von Zweihufern und Wiederkäuern sowie die Tefillin), resümiert er: Die Gesetze sind nämlich nicht unüberlegt und aus plötzlicher Eingebung formuliert worden, sondern wegen der Wahrheit und um auf die richtige Einstellung hinzuweisen (πρὸς δ’ ἀλήθειαν καὶ σημείωσιν ὀρθοῦ λόγου). (EpArist 161)

263 Übersetzungen nach NORBERT MEISNER, Aristeasbrief, JSHRZ II/1, Gütersloh 1973, 33–87. 264 Vgl. dazu STEWART MOORE, Jewish Ethnic Identity and Relations in Hellenistic Egypt. With Walls of Iron?, JSJ.S 171, Leiden/Boston 2015, 204–254; REINHARD FELDMEIER, Weise hinter „eisernen Mauern“. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief (1994), in: DERS., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 160–177. 265 Vgl. EpArist 16: „Als Bewahrer und Schöpfer des Alls verehren sie (sc. die Juden) nämlich Gott, und den (verehren) alle Menschen: wir nennen ihn nur anders ‚Zeus‘.“

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Und das „Wesen des Wiesels“ (165), der durch die Ohren empfängt, aber durch die Schnauze gebiert, erklärt er als Hinweis auf die Denunzianten und erläutert das dem Aristeas folgendermaßen: Denn das Lauern auf das Verderben anderer Menschen ist ruchlos. Unser Gesetz befiehlt uns dagegen, niemandem mit Wort oder Tat Böses anzutun. Auch hierüber haben wir dich also kurz informiert, dass alles zum Zwecke der Gerechtigkeit gesetzlich geregelt ist, und dass durch die Schrift nichts zufällig oder nur um des Erzählens willen angeordnet ist, sondern damit wir zeitlebens auch in unseren Taten gegen alle Menschen Gerechtigkeit üben, eingedenk Gottes des Herrschers. (EpArist 167f.)

Um den tieferen Sinn der Gebote der Tora zu erschließen, bedient sich der Autor im Aristeasbrief der allegorischen Erklärung und erläutert die rituellen Einzelgebote im Sinne allgemeingültiger ethischer Ideale wie Gerechtigkeit, Gedenken, Wahrheit und gerechtem Zusammenleben, woraus sich am Ende die „Erhabenheit“ (σεμνότης) und der „natürliche Sinn“ (φυσικὴ δάνοια) des Gesetzes ergeben soll (EpArist 171). Auch in Passagen, die nicht ausdrücklich auf Toragebote bezogen sind, bleibt die Grundanschauung bestimmend, nach welcher das jüdische Gesetz „nichts anderes lehrt, als was auch der heidnischen Vernunft plausibel erscheint, nämlich ein tugendhaftes Leben in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu führen“.266 Dies wird aber im Aristeasbrief nicht als philosophisch-ethischer Grundsatz proklamiert, sondern erscheint im Munde des Hohenpriesters als ὁ νόμος ἡμῶν (168), als Anordnungen „unseres Gesetzgebers“ (νομοθέτης, 131), als Tora also, die für Juden gilt und für Nichtjuden wenigstens intellektuell nachvollziehbar sein sollte.267 2.4.2 Die Sapientia Salomonis In der Sapientia Salomonis spielt das jüdische Gesetz explizit und terminologisch nur eine geringe Rolle. 268 Eher beiläufig, im Rahmen einer langen Reihe von allegorisierenden Auslegungen der ägyptischen Plagen nach Ex 7–10, fällt einmal der Ausdruck „das unvergängliche Licht des Gesetzes“ (τὸ ἄφθαρτον

266

WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 213), 137. Vgl. WRIGHT, The Letter of Aristeas (Anm. 262), 69: „In that sense, Ps.-Aristeas presents the Septuagint as revealing Moses’ reasons for giving the law. Thus, … this section participates in Mosaic discourse, which grants the interpretation (in this case both Eleazar’s allegorizing interpretation and the Septuagint) the status of Torah.“ 268 Vgl. Weish 2,11f.; 6,4.18; 9,5; 16,6; 18,4.9, wobei an einigen Stellen das Wort im Sinne allgemeiner Normen und Gesetze gebraucht ist, z.B. 2,11: „Es sei unsere Kraft das Gesetz der Gerechtigkeit.“ (νόμος τῆς δικαιοσύνης); vgl. auch 18,9: „und verpflichteten sich in Eintracht auf das Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit“ (τὸν τῆς θειότητος νόμον). Eine kritische Durchsicht der Belege mit Blick auf die Frage, ob und in wieweit damit die Tora gemeint ist, nimmt UEBERSCHAER, Weisheit (Anm. 79), 145–147, vor. 267

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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νόμου φῶς, 18,4), aber die Metapher verdankt sich hier vor allem dem Gegensatz zur Finsternis, die nach Ex 10,21–23 über Ägypten gekommen war. 269 Allerdings hängt das auch mit der Autorfiktion der Schrift als Rede des Königs Salomo an seine regierenden Kollegen aus den Völkern zusammen, so dass explizite Bezugnahmen auf die Bibel vermieden werden (obwohl sie implizit vor allem im letzten Teil der Schrift auf Schritt und Tritt begegnen). 270 Zudem nimmt die Sophia hier die Rolle ein, die sonst der Tora zukommt. 271 An ihr vor allem wird in der Sapientia Salomonis mit ganz ähnlichen Argumenten wie sonst an der Tora der Zusammenhang zwischen spezifisch jüdischer Glaubensüberlieferung und universal gültigem Ethos verdeutlicht. 272 Vor allem in der Preisrede Salomos auf die Weisheit (6,22–8,16) finden sich zahlreiche philosophische Topoi, die der Weisheit universale Züge verleihen, wie sie etwa bei Philon und Josephus die Tora trägt. Ziel aller Bemühung um Weisheit sind Gerechtigkeit, Tugend, verständiges Denken und Tapferkeit (8,7). Diese unverkennbar aus philosophischer Ethik rezipierten ‚Kardinaltugenden‘ erscheinen als Gaben Gottes. Von ihm hat Salomo auf sein Gebet hin φρόνησις und ein πνεῦμα σοφίας erhalten (7,7). Denn Gott ist „Führer der Weisheit und Verbesserer der Weisen“, und aus seiner Hand kommt „alles verständige Denken und Wissen der Tätigkeiten“ (7,15f.). Dass diese universale Weisheit Gottes jedoch der Sache nach mit seinem Gesetz für Israel identisch ist, kann wegen der literarisch-fiktionalen Gestalt der Schrift zwar so nicht explizit gesagt werden, ergibt sich aber aus ihrem letzten Teil, in welchem, für jüdische Leser offensichtlich, Traditionen der Bücher Genesis und Exodus aufgenommen sind, anhand derer den Lastern der Ägypter die Tugenden der Israeliten gegenübergestellt werden. Ein in diesen Zusammenhang eingeschobener Exkurs zu Ursprung, Praxis und Folgen des Götzendienstes (14,12–31) trägt unverkennbar die Züge frühjüdischer Toraparänese. Als Folge verfehlter Gotteserkenntnis und ihr entsprechender verfehlter Religion werden hier neben verschiedenen Formen heidnischer Gottesverehrung auch eine Reihe von unsittlichen Verhaltensweisen angeführt, die der Strafe Gottes anheimgegeben werden: 269

Vgl. dazu LUCA MAZZINGHI, Law of Nature and Light of the Law in the Book of Wisdom (Wis 18:4c), in: GÉZA G. XERAVITS/JÓZSEF ZSENGELLÉR (Hg.), Studies in the Book of Wisdom, JSJ.S 142, Leiden/Boston 2010, 37–59. 270 Vgl. dazu Näheres bei KARL-WILHELM NIEBUHR, Einführung in die Schrift, in: DERS. (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015, 3–37. 271 WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 213), 182–194; zum Verständnis des Gesetzes im Verhältnis zum „Gesetz der Natur“ in der Tradition hellenistischrömischer Philosophie vgl. MAZZINGHI, Law of Nature and Light of the Law (Anm. 269), 42–45. 272 Zur Identifikation von Weisheit und Gesetz in frühjüdischer Tradition vgl. KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 239), 5–61.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Sodann war es nicht genug, in Hinsicht auf die Erkenntnis Gottes fehlzugehen, sondern sie leben auch noch in einem großen Krieg der Unwissenheit und nennen so gewaltige Übel Frieden. Entweder führen sie nämlich kindermordende Riten durch oder geheime Mysterien oder wahnwitzige Festgelage mit fremdartigen Gebräuchen und bewahren weder ihr Leben noch ihre Ehe rein, sondern der eine lauert entweder dem anderen auf und tötet ihn, oder er bricht seine Ehe und fügt ihm auf diese Weise Schmerzen zu. Alles aber miteinander vermengt beherrschen Blut und Mord, Diebstahl und Hinterlist, Verderbnis, Misstrauen, Aufruhr, Meineid, Erschütterung der Werte, Vergessen der Dankespflicht, Besudelung der Seelen, Verkehrung der Sexualität, Zerrüttung der Ehen, Ehebruch und Zügellosigkeit. Die Verehrung der unsäglichen Götzenbilder ist ja allen Übels Anfang und Ursache und Extrem. (Weish 14,22–27)273

Polemik gegen den Götzendienst rahmt die Reihe sittlicher Verfehlungen, die ganz den Inhalten vergleichbarer paränetischer Reihen in der frühjüdischen Literatur entsprechen. 274 Beides zusammen lässt ein umfassendes Bild vom Willen Gottes entstehen, wie er in der Tora den Gliedern des Volkes Israel vorgegeben und von ihnen zu befolgen ist, wo auch immer sie sich in der weiten hellenistischen Welt, der sich die Sapientia Salomonis verdankt, befinden. 2.4.3 Das 4. Makkabäerbuch Das Vierte Makkabäerbuch gibt vor, ein philosophisches Lehrstück (φιλοσοφώτατον λόγον, 1,1) vorzutragen,275 fordert aber in Wirklichkeit anhand der Schilderung der vorbildlichen Gesetzestreue der Märtyrer während der Religionsverfolgung durch Antiochus IV. von seinen Lesern Gehorsam gegenüber der Tora in Situationen der Gefährdung jüdischer Identität ein.276 Im Gesetz zu wandeln (πολιτεύεσθαι ἐν τῷ νόμῳ bzw. κατὰ νόμον) ist die geradezu pausenlos wiederholte zentrale Forderung der Schrift.277 Dabei tritt eine erzieherische und zugleich traditionswahrende Intention in den Vordergrund. So kann Weisheit definiert werden als „Erkenntnis der göttlichen und der menschlichen 273 Übersetzungen nach HANS-GÜNTHER NESSELRATH, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 270), 40–111. 274 Vgl. die Einzelnachweise bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 213–216. 275 Zu den geistigen Kontexten des Werkes vgl. TESSA RAJAK, Paideia in the Fourth Book of Maccabees, in: Jewish Education from Antiquity to the Middle Ages (FS P. S. Alexander), hg. v. GEORGE J. BROOKE/RENATE SMITHUIS, AGJU 100, Leiden/Boston 2017, 63–84; zur Bedeutung und zum Verständnis von „Philosophie“ im 4. Makkabäerbuch vgl. auch NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur (Anm. 210), 132–134. 276 Vgl. DAVID A. DESILVA, 4 Maccabees. Introduction and Commentary on the Greek Text in Codex Sinaiticus, Septuagint Commentary Series, Leiden/Boston 2006, xxvi: „The fundamental purpose of 4 Maccabees is to stimulate commitment to the Jewish way of life, especially the covenant stipulations of Torah“; vgl. auch NIEBUHR , Gesetz und Paränese (Anm. 38), 216–222. 277 Vgl. 4Makk 2,8.23; 4,23 u.ö.; νόμος kommt in der Schrift 38 Mal vor! Weitere Belegstellen bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 217, Anm. 242.

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Dinge samt ihrer jeweiligen Ursachen“, was dann sofort auf die Tora bezogen wird: Sie besteht näherhin in der Erziehung, die uns das Gesetz angedeihen lässt (ἡ τοῦ νόμου παιδεία), durch die wir voll Ehrfurcht die göttlichen Dinge erlernen und zu unserem Nutzen die menschlichen. (4Makk 1,17f.)278

Solches Bildungsgut wird erlangt und weitergegeben „aufgrund der gemeinsamen Erziehung und des täglichen Umgangs und der übrigen Ausbildung, insbesondere der bei uns praktizierten Einübung in das Gesetz Gottes“ (ἐν νόμῳ θεοῦ ἀσκήσεως, 13,22), die vor allem zu Bruderliebe erzieht: Im selben Gesetz erzogen (νόμῳ γὰρ τῷ αὐτῷ παιδευθέντες), in dieselben Tugenden eingeübt und miteinander für ein Leben in Gerechtigkeit bestimmt, liebten sie sich um so mehr. (4Makk 13,24)

Wie solche Erziehung im Gesetz praktisch funktioniert, geht sehr anschaulich aus den Erinnerungen der Mutter der sieben Märtyrer an deren Vater hervor: Als er noch unter uns weilte, lehrte er euch das Gesetz und die Propheten (ἐδίδασκεν ὑμᾶς … τὸν νόμον καὶ τοὺς προφήτας). Er las euch (die biblischen Geschichten) vor: Abels Ermordung durch Kain, Isaaks Opferung, Josef im Gefängnis. Er sprach zu euch über den Eiferer Pinhas, er belehrte euch über die (Jünglinge) im Feuer … Er rühmte auch den Daniel in der Löwengrube und pries ihn glücklich … (4Makk 18,10–13)

Damit ist der geistige Hintergrund bezeichnet, in dem der Verfasser auch seine philosophische These entwickelt, dass die gottesfürchtige Urteilskraft (ὁ εὐσεβὴς λογισμός) souveräne Herrscherin über die Leidenschaften sei (1,1). In einem ersten, argumentativen Teil erörtert er sie zunächst unter Verweis auf die Kardinaltugenden (1,2–6) und untermauert sie mit grundsätzlichen Definitionen und Argumentationen (1,13–3,18), bevor er sie dann im zweiten Teil am Beispiel der jüdischen Märtyrer illustriert. So definiert er z.B. die Besonnenheit als Kontrolle der Begierden, expliziert das anhand der Speisevorschriften der Tora (1,30–35) und illustriert es sodann am Beispiel Josefs, der „durch Denkkraft die Wollust unter Kontrolle bekam“ (διανοίᾳ περιεκράτησεν τῆς ἡδυπαθείας, 2,2). In diesem ‚philosophischen‘ Teil der Schrift verweist der Verfasser immer wieder explizit auf das Gesetz und einzelne seiner Gebote, zitiert sogar einmal aus ihm, und zwar eines der Dekaloggebote (2,5, vgl. Ex 20,17). In einem längeren Abschnitt benennt er anschließend typische Verhaltensweisen, die einem Leben nach dem Willen Gottes ent- oder widersprechen (2,7–16). Inhaltlich folgen die konkreten Weisungen ganz dem, was aus frühjüdischer Toraparänese bekannt und weit verbreitet ist.279 In für solche Wei-

278 Übersetzungen nach HANS-JOSEF KLAUCK, 4. Makkabäerbuch, JSHRZ III/6, Gütersloh 1989, 645–763. 279 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 220f.

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sungsreihen typischer Weise verweist der Autor am Ende dieses Argumentationsgangs auf Gott als Gesetzgeber und verankert die Übergabe des Gesetzes an die Menschen in der Schöpfung: Am Tag nämlich, als Gott den Menschen schuf, hat er ihm auch seine Leidenschaften und Charaktereigenschaften mit eingepflanzt (περιεφύτευσεν). Gleichzeitig hat er als heiligen Gebieter über sie alle durch die Sinneswerkzeuge den Verstand (νοῦς) inthronisiert und diesem ein Gesetz gegeben (νόμον ἔδωκεν). Wer danach lebt, wird König sein über ein Königreich, das besteht aus Besonnenheit und Gerechtigkeit und Güte und Tapferkeit. (4Makk 2,21–23)

Dass mit diesem dem Menschen schon bei der Schöpfung „eingepflanzten“ Gesetz, das mit Verstand und Tugenden identifiziert wird, nur die Tora gemeint sein kann, ist offenkundig. 280 2.5 Toraparänese in weiteren frühjüdischen Schriften In der hellenistisch-römischen Antike verbreitete ethische Topoi und Traditionen, die auf das jüdische Gesetz bezogen und so der paränetischen Unterweisung nutzbar gemacht werden, lassen sich auch in weniger philosophisch klingenden frühjüdischen Schriften nachweisen. Die literarischen Gattungen, die dabei adaptiert und z.T. eigenständig kreativ weiterentwickelt werden, sind außerordentlich vielfältig. Sie reichen von novellarischen Erzählungen in der Tradition biblischer narrativer Schriften (Tobit, Joseph und Aseneth, Leben Adams und Evas) über die eschatologisch-apokalyptisch ausgerichtete Testaments- bzw. Offenbarungsliteratur (Testamente der Zwölf Patriarchen, 2. Henochbuch) bis hin zu pagan-pseudepigraphischen Orakel- oder Gnomensammlungen in Hexametern (Sibyllinen, Pseudo-Phokylides, Pseudo-Menander, gefälschte Dichter-Zitate). Im Blick auf die spezifischen Ursprungsmilieus und die genauere Datierung dieser Schriften herrscht in der Forschung große Unsicherheit, und vermutlich werden sich entsprechende Fragen kaum je präzise beantworten lassen. Das hängt zum erheblichen Teil mit der Überlieferungslage zusammen, die in nicht wenigen Fällen dazu führt, dass eine ‚vorchristliche‘, ursprünglich-jüdische Textentstehung und -überlieferung überhaupt in Frage gestellt wird. 281 Unabhängig von den Antworten auf solche Fragen im Einzelfall ist das Spektrum der Rezeption biblisch-frühjüdischer Toratraditionen in den im Folgenden besprochenen Schriften derart breit, dass allein dieser Tatbestand schon aussagekräftig für die Frage nach der Bedeutung der Tora im Frühjudentum ist, selbst

280

WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 213), 212–277. Vgl. zur Diskussion KARL-WILHELM NIEBUHR, Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung, ThLZ 144, 2019, 662–687 [in diesem Band 423–455]: 673, mit Bezug auf JAMES R. DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha. Jewish, Christian, or other?, JSJ.S 105, Leiden/Boston 2005. 281

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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wenn die ursprünglich jüdische Herkunft einzelner Texte nicht in jedem Fall zweifelsfrei erwiesen werden kann. Allerdings verbietet sich angesichts der Unsicherheiten in den Einleitungsfragen eine chronologisch oder geographisch trennscharfe Gliederung bei der Behandlung dieser Texte, so dass sich die Reihenfolge der Darstellung im Folgenden rein pragmatisch ergibt. 2.5.1 Tobit Tobit, der Israelit aus dem Stamm Naftali, Idealbild eines frommen und gerechten Juden, unter den Assyrern in die Verbannung nach Ninive geschickt, beschreibt einleitend in dem unter seinem Namen überlieferten Buch 282 in einer Art Ideal-Autobiographie seinen Lebenswandel (Tob 1,3–3,6).283 Der Standort, von dem aus er zurückblickt auf alle Tage seines Lebens, an denen er auf den Wegen der Wahrheit und Gerechtigkeit gewandelt ist (1,3), ist die „assyrische“ Verbannung, also ein Ort außerhalb des Landes Israel. Im Rückblick spricht Tobit zunächst von seiner Jugend vor der Deportation. In dieser Zeit bestand seine vorbildliche Toratreue darin, nur im Jerusalemer Tempel zu opfern, 284 häufig zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem zu pilgern, um dort genau die in der Tora vorgeschriebenen Erstlings- und Zehntabgaben zu leisten, und schließlich eine Frau aus väterlichem Geschlecht zu nehmen und mit ihr einen Sohn zu zeugen (1,4–9). Dann folgt die Beschreibung seines Lebenswandels in der Verbannung (1,10–3,6). Hier ist nicht mehr vom Tempel oder von Abgaben die Rede, sondern davon, das „Brot der Heiden“ zu meiden (1,10f.), den Brüdern reichlich Almosen zu spenden (1,16, vgl. 1,3), sein Brot den Hungernden und den Nackten seine Kleider zu geben (1,17) und tote Stammesgenossen zu begraben, selbst bei Gefahr für Leib und Leben (1,17–20; 2,3–7). Zur Toratreue in der Diaspora gehört auch das Feiern der Jahresfeste (2,1–3), sich nach einer Totenbestattung bzw. vor dem Essen zu waschen (2,5.9)285 und das

282

Literarkritische Differenzierungen können hier außer Betracht bleiben, da die Endgestalt des Buches spätestens seit dem letzten Drittel des 2. Jh. v. Chr. vorlag. Auch JOSEPH A. FITZMYER, Tobit, CEJL, Berlin/New York 2003, 42–45, spricht sich gegen literarkritische Hypothesen aus. Die Textüberlieferung des Buches ist außerordentlich vielschichtig, vgl. zu den aktuellen Editionen NIEBUHR, Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung (Anm. 281), 680–682. 283 Vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: EGO/LANGE/PILHOFER, Gemeinde ohne Tempel (Anm. 190), 427–460: 438f. [in diesem Band 175–207]. 284 Im Unterschied zu seinen Stammesgenossen aus dem Stamm Naftali, die abgefallen waren zum „Baal-Kalb“ (BA) bzw. zum „Kalb, das Jerobeam in Dan errichtet hatte“ (S), Tob 1,4f. 285 Inwieweit hier rituelle Reinheit im Blick ist, wird – nicht zuletzt wegen der problematischen Textüberlieferung in 2,9 – nicht ganz klar.

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Verbot, Gestohlenes zu essen (2,13). Es gibt also deutliche Unterschiede zwischen dem, was Toratreue im Land Israel einerseits und in der Diaspora andererseits bedeutet. Die folgende Erzählung spielt dann bis zum Schluss ganz in der Diaspora.286 Dementsprechend werden hier auch nur noch diejenigen Bereiche der Toratreue angesprochen, die für die Diasporasituation relevant sind, insbesondere die Solidarität mit den eigenen Volksgenossen, die Barmherzigkeit gegenüber Bedürftigen,287 aber auch die Heirat einer Frau aus dem eigenen Volk, 288 die Ermahnung zur Bruderliebe,289 die Ehrung der Eltern290 oder die Bestattung der Toten.291 Grundforderungen wie Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit rahmen die Erzählung und qualifizieren die umfassende Treue zur Tora ethisch-theologisch. 292 Eine wichtige Rolle spielen konkrete Weisungen zum zwischenmenschlichen Umgang, zum Sozial- und zum Sexualleben. Sie sind im Tobitbuch, ähnlich wie in anderen frühjüdischen Schriften, in einer testamentarischen Mahnrede des Vaters an seinen Sohn zusammengestellt, die folgendermaßen eingeleitet und abgeschlossen wird: Alle Tage, Kind, gedenke des Herrn, unseres Gottes, und du wollest nicht sündigen und seine Gebote übertreten (παραβῆναι τὰς ἐντολὰς αὐτοῦ). Tue Gerechtigkeit alle Tage deines Lebens und wandle nicht auf den Wegen der Ungerechtigkeit. Denn wenn du die Wahrheit tust, wird gutes Gelingen in deinen Werken sein. (Tob 4,5f.) Und zu aller Zeit preise den Herrn, deinen Gott, und erbitte von ihm, dass deine Wege gerecht seien und alle Pfade und Ratschläge gelingen mögen. Denn kein Volk hat (guten) Rat, sondern der Herr gibt selbst alles Gute. Und wen er will, den erniedrigt er, wie er es will. Und nun, Kind, gedenke meiner Gebote (μνημόνευε τῶν ἐντολῶν μου), sie sollen nicht getilgt werden aus deinem Herzen. (Tob 4,19 B/A)

Die Gebote des Herrn (4,5) für sein Volk Israel in der Diaspora und die Gebote des Vaters an seinen Sohn (4,19) gehen unmerklich ineinander über und ineinander auf. Die Weisungen der Tora dienen dazu, einem jungen Menschen Wegzehrung auf seinen Lebensweg mitzugeben, der ihn in Gegenden führt, die nicht schon von vornherein und für jeden erkennbar unter der unmittelbaren Herrschaft des Gottes Israels stehen. Gerade deshalb können die „Gebote des 286 Nach Kapitel 14 darf Tobits Sohn zwar noch die Zerstörung Ninives erleben, nicht aber die in 14,5–7 angekündigte Rückkehr in das Land Abrahams und zum („zweiten“) Tempel nach Jerusalem. 287 Tob 4,7–11.16f.; 7,6; 9,6; 12,8f.; 14,2.9.11. In 4,10f. wird die Barmherzigkeit als „gute Opfergabe“ (δῶρον ἀγαθόν) bezeichnet, die „vom Tode errettet“ (ἐκ θανάτου ῥύεται). 288 Tob 1,9; 3,17; 4,12f.; 6,12.16; 7,13. 289 Tob 4,13. 290 Tob 3,10; 5,1; 6,15; 11,17. 291 Tob 4,3f.; 12,12f.; 14,12f. 292 Vgl. Tob 1,3; 14,9.

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Herrn“ auch nicht einfach aus der Tora abgelesen werden, sondern müssen lebensnah und persönlich vermittelt werden, wie es in der Tobit-Erzählung sehr plastisch und farbig geschieht. Damit wird im Tobit-Buch exemplarisch der Sitz im Leben frühjüdischer Toraparänese sichtbar. 293 Sie dient dazu, ein dem Willen Gottes entsprechendes Ethos vor Augen zu führen, das im Alltag jüdischen Lebens unter den Bedingungen der Diaspora je individuell umgesetzt werden kann. 2.5.2 Die frühjüdischen Henoch-Schriften Auf das 1. Henochbuch braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. In keinem der fünf ursprünglich selbständigen Teile des Werkes spielt die Tora eine wesentliche Rolle, was zweifellos auch mit der Autorfiktion zusammenhängt (dass das nicht zwangsläufig so sein muss, zeigt das gleich zu besprechende 2. Henochbuch). So ist im Buch der Traumvisionen (1Hen 83–91) im Zusammenhang der zweiten Vision die Sinai-Offenbarung geradezu auffällig beiläufig erwähnt (1Hen 89,29–34). Der paränetische Schluss dieses Teilwerkes (1Hen 91,1–10.18f.) ist als Testament Henochs an Methusala und seine Verwandten gestaltet, ermahnt aber nur ganz allgemein zur Gerechtigkeit und warnt vor Ungerechtigkeit, ohne jeden erkennbaren Bezug zur Tora. Allein im paränetischen Buch (1Hen 92–105), auch „Brief“ oder „Epistel“ Henochs genannt, steht die Ermahnung der Adressaten im Mittelpunkt. 294 Aber auch hier wird das Gesetz nur ein einziges Mal explizit erwähnt, ebenfalls eingeordnet in eine Visionsreihe, und zwar an denkbar unbetonter Stelle in der vierten Woche der Zehn-Wochen-Apokalypse: „… und ein Gesetz für alle Generationen und ein umfriedeter Raum wird für sie geschaffen werden“ (93,6). Danach, in der fünften Woche, wird noch kurz auf den Tempelbau angespielt (93,7). Die weiteren Paränesen dieses Teilwerkes sind durchweg vom Gegensatz zwischen den Gerechten und den Ungerechten bestimmt, ohne dass ein Bezug zum Gesetz hergestellt würde; implizit entsprechen natürlich die hier angeführten Verhaltensweisen der Gerechten dem, was die Tora fordert, und die der Ungerechten dem, was sie verbietet. Ganz anders verhält es sich mit dem 2. Henochbuch.295 Das ursprünglich griechisch verfasste, nur slavisch (in zwei sehr verschieden langen Fassungen) überlieferte Werk schreibt der Gestalt der biblischen Urgeschichte ethische 293

Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 203–206. Vgl. zu den hier interessierenden Teilen die Kommentare von LOREN T. STUCKENBRUCK, 1 Enoch 91–108, CEJL, Berlin/New York 2007; GEORGE W. E. NICKELSBURG, 1 Enoch. A Commentary on the Books of Enoch, Chapters 1–36, 81–108, Hermeneia, Minneapolis 2001, sowie die kommentierte Übersetzung von SIEGBERT UHLIG, Das äthiopische Henochbuch, JSHRZ V/6, Gütersloh 1984, 461–780. 295 Deutsche Übersetzung mit ausführlicher Einleitung und Kommentar von CHRISTFRIED BÖTTRICH, Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/7, Gütersloh 1996, 781–1040. 294

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Mahnungen ein, die sachlich ganz den Formen und Inhalten paränetischer Vergegenwärtigung der Tora in der frühjüdischen Literatur entsprechen.296 Der Begriff „Gesetz“ fällt allerdings im 2. Henochbuch nicht, und von „Gebot“ ist auch nur fünfmal die Rede, und zwar in einer Weise, die erkennen lässt, dass der Autor bewusst einen Anachronismus zur Sinai-Tora vermeiden will. Stattdessen verwendet er allgemeinere Ausdrücke, die auf die Forderungen Gottes für ein Leben nach seinem Willen verweisen: das Joch, das Gott dem Menschen auferlegt hat (34,1), das, was wohlgefällig ist vor dem Herrn (55,3), „die Fundamente seiner Väter (sc. des Menschen), die von Anbeginn an sind“, und „die Festsetzungen seiner Vorfahren und Väter“ (52,9f.) oder ganz allgemein die Gottesfurcht (43,3; 48,7f.; 66,2). Weitere Wendungen betonen die Einheit und Ganzheit der Forderung Gottes, die für die frühjüdischen Leser der Schrift nirgendwo anders als in der Tora zugänglich ist. 297 Die Ermahnungen Henochs haben damit insgesamt „die Funktion der Tora für die Zeit, in der es noch keine Tora gibt“.298 Da der Autor also wegen der durchweg gewahrten Fiktion die Weisungen Henochs nicht explizit auf die Tora des Mose zurückführen kann, 299 lässt er Henoch im Zuge seiner Entrückung bis in den zehnten Himmel im Angesicht Gottes auf dessen Befehl und nach dem Diktat des Erzengels Vrevoil300 zweimal 30 Tage und Nächte lang insgesamt 366 himmlische Bücher schreiben (22,1–23,6), die neben den himmlischen und irdischen Schöpfungswerken Gottes auch „die Leben der Menschen, und Gebote und Belehrungen, und süßtönenden Gesang, und alles, was sich zu lernen gebührt“ (23,2), enthalten.301 Auch in der Gerichtsankündigung der Kapitel 33–35 wird das Gesetz nicht explizit genannt. 302 Seine Forderungen sind aber gemeint, wenn es heißt, „dass sie meine Gebote verwerfen und das Joch nicht tragen, das ich ihnen auferlegt 296 CHRISTFRIED BÖTTRICH, Weltweisheit, Menschheitsethik, Urkult. Studien zum slavischen Henochbuch, WUNT II/50, Tübingen 1992, 176–196; NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 185–194; DERS., Tora ohne Tempel (Anm. 283), 443–446. 297 Vgl. 2Hen 2,2: „Fallt nicht ab von Gott. Wandelt vor dem Angesicht des Herrn und befolgt seine Urteilssprüche.“; 9,1: „die untadlig vor dem Angesicht des Herrn wandeln und ihm allein dienen“; 10,4: „die Gott verunehren; die Böses tun auf Erden“. 298 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 193. In diesen Rahmen gehören auch die zahlreichen Verweise auf die himmlischen Bücher bzw. Tafeln, die im 2. Henochbuch, ähnlich wie im Jubiläenbuch, wichtige textpragmatische Funktionen haben, ohne dass sich dafür literarische Abhängigkeiten aufweisen ließen (vgl. NIEBUHR, a.a.O., 193f.). 299 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 192. 300 Zur Deutung des Namens vgl. BÖTTRICH, Das slavische Henochbuch (Anm. 295), 894f., Anm. 10 e). 301 Vgl. zur strukturell ähnlichen Redesituation im Jubiläenbuch, allerdings mit MoseFiktion, o., 44. 302 Der literarischen Fiktion nach blickt der Sprecher voraus auf die Sünde der Menschen als Ursache für die Sintflut. Deshalb kann auch hier das Sinai-Gesetz nicht explizit genannt werden.

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habe“ (34,1). Anschließend erhält Henoch den Auftrag, seinen Söhnen das im Himmel Erfahrene zu verkünden, „damit sie alle deine (sic!) Gebote halten, und die Bücher deiner Handschrift anfangen zu ehren und auf sie zu achten“ (36,1).303 In einer testamentartigen Mahnrede (48,6–9) übergibt er seinen Kindern die aus dem Himmel herabgebrachten Bücher und ermahnt sie, diese an ihre Nachkommen weiterzugeben, damit sie „Gott fürchten und sie annehmen, … sie lesen und sich ihnen anschließen“ (48,7).304 An mehreren Stellen im Buch werden konkrete ethische Weisungen zusammengestellt, die erkennbar in der Tradition frühjüdischer katechismusartiger Toraparänese stehen. 305 Dabei kommen neben typischen Vergehen aus dem Bereich der Sexualethik, Besitzvergehen, so genannten ‚Zungensünden‘ oder Mord und Totschlag306 auch positive Ermahnungen zu sozialer Barmherzigkeit sowie Warnungen vor Götzendienst zur Sprache,307 gelegentlich auch religiöse Handlungen im engeren Sinne wie Gebet, Gaben oder Opfer.308 Ein besonderes kultisches oder priesterliches Interesse zeigt die Schrift aber, anders als etwa das Jubiläenbuch, nicht. 309 Die Schöpfungswerke Gottes, das ethische Verhalten der Menschen und Gottes endzeitliches Gericht sind im 2. Henochbuch Teil der umfassenden, universalen göttlichen Ordnung, die im täglichen Leben durch Halten der Gebote der Tora gewahrt wird. Ein Gegensatz zwischen Apokalyptik und Gesetz lässt sich aus dem Werk ebenso wenig ableiten wie ein Konflikt zwischen Ritus und Ethos. 2.5.3 Die Testamente der Zwölf Patriarchen Die nur griechisch überlieferten Testamente der Zwölf Patriarchen, die zumindest partiell auf aramäische Vorstufen zurückgehen, 310 verwenden paränetische Modelle wie das Zwei-Wege-Schema oder eine breit entfaltete ‚Geisterlehre‘, aber auch herausgehobene Einzelforderungen der Tora wie das Liebesgebot aus Lev 19,18, um ihre endzeitlich ausgerichtete Toraparänese zu untermauern. Narrativ ist allerdings auch diese Toraparänese in vor-sinaitischer Zeit verortet, 303 Nach 2Hen 39,1 erfüllt Henoch diesen Auftrag, indem er seine Kinder mahnt: „Hört die Ermahnung eures Vaters, soviel nach dem Willen des Herrn ist.“ 304 2Hen 48,7. Ähnliche Bezugnahmen auf die himmlischen Bücher finden sich in 33,8f.; 35,3; 47,2. 305 Vgl. 2Hen 10,4–6; 42,6–14. 306 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 187–192. 307 Vgl. 2Hen 2,2; 10,6; 34,1f.; 66,2.5. 308 Vgl. 2Hen 2,2; 42,6; 45,1; 59,2. 309 Zur Frage, inwiefern hier eine Kenntnis des Jerusalemer Tempelkults vorausgesetzt ist, vgl. NIEBUHR, Tora ohne Tempel (Anm. 283), 444f. 310 Zu den Einleitungsfragen vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 73–86, sowie HARM W. HOLLANDER/MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Commentary, SVTP 8, Leiden 1985, 1–85.

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nämlich jeweils in der Situation des unmittelbar bevorstehenden Todes der zwölf Jakobssöhne. Daraus erklärt sich auch die literarische Form des Werkes als Sammlung von zwölf Abschiedsreden, in die allerdings Teiltexte sehr verschiedener Gattungen eingebaut sind. Neben autobiographischen Rückblicken und endzeitlichen Ausblicken gehören dazu auch paränetische Reihen, in denen katechismusartig zusammengestellt ist, was zu einem Leben nach dem Willen Gottes gehört. 311 Zwischen den Weisungen der Väter an ihre Nachkommen im Rahmen der narrativen Fiktion und den Weisungen der Tora für die Adressaten der Schrift im Sinne ihrer textpragmatischen Funktion lässt sich dabei nicht unterscheiden. Die Patriarchensöhne erscheinen als vorbildliche Fromme oder als Negativbeispiele, die jeweils das verkörpern, was die Mosetora von jedem Israeliten, wo immer er auch lebt, verlangt oder verurteilt. 312 Hier kann nur ein exemplarischer Beleg dafür vorgeführt werden. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel bietet das Testament Issachars, des vorbildlichen Ackermanns nach Gen 49,15 (LXX). Im Anschluss an ein „Unschuldsbekenntnis“ des fünften Jakobssohns in Gestalt einer paränetischen Reihe313 heißt es in der Ermahnung an seine Nachkommen: Bewahrt nun das Gesetz Gottes (νόμον θεοῦ), meine Kinder, und erwerbt euch die Lauterkeit und wandelt in Arglosigkeit (ἀκακία), seid nicht vorwitzig hinsichtlich der Gebote des Herrn (ἐντολὰς κυρίου) und hinsichtlich der Taten des Nächsten, sondern liebt den Herrn und den Nächsten und erbarmt euch des Armen und Schwachen. Beugt euren Rücken zum Ackerbau und arbeitet in Feldarbeiten nach jeglicher Landwirtschaft und bringt dem Herrn Gaben dar mit Danken. (TestIss 5,1–4)314

Explizite Aufforderungen, das Gesetz Gottes zu halten, durchziehen auch sonst die Schrift. Die Terminologie, die für die Tora verwendet wird, ist außerordentlich reichhaltig und breit gestreut. 315 Mit νόμος kann die Tora als Ganze 311 Vgl. dazu ausführlich NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 86–166; mit besonderem Blick auf Gebote aus dem Bereich des Tempelkults, der Abgaben- und Reinheitsbestimmungen DERS., Tora ohne Tempel (Anm. 283), 439–441; speziell zum Liebesgebot MATTHIAS KONRADT, Menschen- oder Bruderliebe? Beobachtungen zum Liebesgebot in den Testamenten der Zwölf Patriarchen, ZNW 88, 1997, 296–310. 312 Zum Zusammenhang von Ethik und Anthropologie in den Zwölfertestamenten vgl. die Monographie von STEFAN OPFERKUCH, Der handelnde Mensch. Untersuchungen zum Verhältnis von Ethik und Anthropologie in den Testamenten der Zwölf Patriarchen, BZNW 232, Berlin/Boston 2018. 313 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 116–118; zur Paränese im TestIss vgl. jetzt auch OPFERKUCH, Der handelnde Mensch (Anm. 312), 188–209. 314 Übersetzung im Anschluss an JÜRGEN BECKER, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1974, 13–163, allerdings korrigiert nach der Textausgabe von MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Edition of the Greek Text, PVTG I/2, Leiden 1978. Zur Interpretation vgl. den Kommentar von HOLLANDER/DEJONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs (Anm. 310). 315 Vgl. die Übersicht sämtlicher Belgestellen für νόμος und ἐντολή bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 104–106.

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ebenso wie ihre Einzelgebote bezeichnet werden. Auch „die Gebote“ (αἱ ἐντολαί) können sich auf die Tora als Ganze beziehen. Der genaue Sinn muss jeweils aus dem Kontext ermittelt werden. Die pauschale Ermahnung, „das ganze Gesetz“ bzw. „alle Gebote“ zu halten, durchzieht die Schrift in vielfältiger Formulierung. 316 Wenn auch die Forderung zum Gehorsam gegenüber der Tora als Ganzer in den Zwölfertestamenten mit Nachdruck erhoben wird, werden bei ihrer paränetischen Entfaltung doch nur bestimmte Teile aus ihr rezipiert und in charakteristischer Weise interpretiert. Weisungen aus dem Bereich des Tempelkults oder auf das Land Israel bezogene Gebote spielen dagegen so gut wie keine Rolle. Das ist allerdings nicht Ausdruck prinzipieller Kultkritik und ebenso wenig ein Hinweis auf eine angeblich erst christliche Entstehung der Testamente, sondern verweist vielmehr auf die Lebensverhältnisse bei den Adressaten der Schrift. Die für sie relevanten Weisungen, die ihr Alltagsleben und ihre individuelle Frömmigkeit betreffen und die Gruppenidentität in einer hellenistisch geprägten Umwelt stärken können, werden akzentuiert und entfaltet, ohne dass damit die Einheit der Tora grundsätzlich in Frage gestellt wird. 2.5.4 Joseph und Aseneth Die romanhafte Nacherzählung und Ausgestaltung der biblischen Episode der Eheschließung Josefs (Gen 41,45) behandelt ein Thema, das unter den Bedingungen der jüdischen Diaspora in einer hellenistischen Kultur und Gesellschaft, vermutlich im ptolemäischen Ägypten, unmittelbar naheliegende Bezüge zum Umgang mit der Tora im täglichen Leben hatte: die Frage von Ehen zwischen Juden und Nichtjuden. In narrativer Form werden in der Schrift von diesem Erzähltopos ausgehend eine ganze Reihe weiterer Lebensbereiche und Anwendungsfelder vor Augen geführt, in denen konkrete Fragen der Treue zur Tora relevant waren und täglich neu Lösungen für Alltagsprobleme zu finden waren, die dem Leben nach dem Willen Gottes entsprechen. Einen Schwerpunkt der Schrift bilden dabei Gebote, die der Abgrenzung von nichtjüdischen Lebens- und Verhaltensweisen, insbesondere von heidnischer religiöser Praxis, und damit der Stärkung der Gruppenidentität jüdischer Diasporagemeinschaften dienen.317 Angesichts des Settings der biblischen Erzählung sind auch in Joseph und Aseneth explizite Bezugnahmen auf Mose und die Sinai-Tora nicht möglich, wenn die biblische Erzählfiktion gewahrt bleiben soll. Sie werden in dieser 316 Vgl. TestLev 13,1; TestJud 23,5; 26,1; TestGad 3,1. Wendungen mit πᾶς oder ὅλον auch in TestLev 14,1; TestDan 5,5; TestAss 2,1–10; 4,2–5. Vgl. auch TestLev 13,2f. zur Unterweisung der Kinder im Lesen der Tora. Weitere Belege bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 164f. mit Anm. 405–411. 317 Ausführlicher habe ich das dargestellt in KARL-WILHELM NIEBUHR, Ethik und Tora. Zum Toraverständnis in Joseph und Aseneth, in: ECKART REINMUTH (Hg.), Joseph und Aseneth, SAPERE 15, Tübingen 2009, 187–202 [in diesem Band 493–509].

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Schrift aber auch nicht über visionäre Szenen, Offenbarungsreden oder narrative Vorausblicke imaginiert. Dementsprechend fehlen direkte Aufforderungen zum Gehorsam gegenüber der Tora als ganzer oder zum Halten ihrer Gebote. Das Stichwort νόμος kommt überhaupt nicht vor und das damit verbundene Wortfeld relativ selten. Von „Gesetzlosigkeiten“ (ἀνομίαι) wird nur zweimal gesprochen, ohne dass ein spezifischer Bezug auf die Tora erkennbar ist. 318 Auch von „Geboten“ (ἐντολαί) ist nur unspezifisch im Sinne von Weisungen die Rede, die von verschiedenen Sprechern gegeben werden können. 319 Dennoch ist die ganze Erzählung durchzogen von ethischen Weisungen, die oft ganz eindeutige, bisweilen auch spezifische Bezüge zu Forderungen der Tora aufweisen, vermittelt über Inhalte und Formen, die für die frühjüdische Toraparänese typisch sind. Sie werden in der Schrift proklamiert, indem sie den Erzählfiguren in den Mund gelegt oder an ihrem Verhalten exemplarisch aufgezeigt werden. So werden vor allem die beiden Hauptfiguren ethisch profiliert, indem an ihrem Verhalten positive wie negative Grundzüge herausgearbeitet werden, die einem Leben nach Gottes Willen ent- oder widersprechen.320 Dieses Mittel der charakterisierenden Beschreibung biblischer Gestalten als Verkörperungen ethischer Topoi finden wir z.B. auch in den Zwölfertestamenten, wo jedem Patriarchen eine Tugend bzw. ein Laster zugewiesen werden, die in dem betreffenden Testament exemplarisch entfaltet werden. 321 Philon hat es in philosophisch-ethischer Reflexion zu einem der Grundmodelle seiner Rezeption der Tora gemacht. 322 Darüber hinaus wird aber die Tora in Joseph und Aseneth noch in einer weiteren, besonders auffälligen, weil so weit zu sehen in der frühjüdischen Literatur einzigartigen Weise vergegenwärtigt. In einer Reihe von prägnant formulierten Sätzen, die über die Erzählung verteilt Handlungsträgern in den Mund gelegt werden,323 also in den Erzählverlauf integriert sind, fasst die Schrift zusammen, was sich für einen frommen Menschen gehört und was nicht. Eingeleitet werden diese Sätze mit der Wendung οὐκ ἔστι προσῆκον bzw. οὐ προσήκει. Anschließend benennen sie, durchweg in Negation, das nicht geziemende Verhalten: Es geziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann … eine fremde Frau zu küssen. Ebenso wenig ziemt es sich für eine gottverehrende Frau, einen fremden Mann zu küssen.

318

In einer Selbstreflexion Aseneths (JosAs 11,10.17) und in ihrem Sündenbekenntnis (12,3f.). 319 Vgl. JosAs 7,5; 12,2; 18,5. 320 Vgl. dazu näher NIEBUHR, Ethik und Tora (Anm. 317), 190–192. 321 Zu Joseph als paränetischem Modellcharakter in den TestXII vgl. HARM W. HOLLANDER, Joseph as an Ethical Model in the Testaments of the Twelve Patriarchs, SVTP 6, Leiden 1981. 322 Vgl. dazu o., 62. 323 Allerdings nur Joseph und Levi!

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Es ziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann, vor seiner Hochzeit mit seiner Braut zu schlafen. Auch wir sind gottverehrende Männer, und es geziemt sich nicht für uns, Böses mit Bösem zu vergelten. Es geziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann, einem Menschen auf irgendeine Weise Unrecht zu tun. Denn wir sind gottverehrende Männer, und es geziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann, Böses mit Bösem zu vergelten. 324

Nimmt man diese Sätze zusammen (die allerdings in der Erzählung auf unterschiedliche Szenen und Sprecher verteilt sind!), ergibt sich eine Reihe von charakteristischen vorbildlich-jüdischen Verhaltensweisen, die so etwas wie ein Ethos jüdischen Lebens in der Diaspora umschreiben. Sie entsprechen den Inhalten und Traditionen, die in anderen frühjüdischen Schriften ausdrücklich der Tora zugeordnet und paränetisch vergegenwärtigt werden. Dass sich dieses Ethos nicht grundlegend von demjenigen unterscheidet, das auch in popularphilosophischen Traktaten der hellenistisch-römischen Geisteswelt propagiert wird, deutet schon die Einleitungswendung οὐκ ἔστι προσῆκον an, in der ein Grundbegriff stoischer Ethik anklingt (τὸ καθῆκον).325 Das gilt ebenso für die beschreibende Charakterisierung Josephs als eines „gottverehrenden Mannes“ (ἀνὴρ θεοσεβής). Gerade solche sachliche Nähe, ja, weitgehende Übereinstimmung des in Joseph und Aseneth propagierten Ethos mit Idealen und Werten der nichtjüdischen Umgebung macht es ja attraktiv für jüdische Minderheitengruppen, die nach Wegen der Teilhabe an und Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft suchen, ohne ihre religiöse Identität aufgeben zu müssen. 326 2.5.5 Das Griechische Leben Adams und Evas Das Griechische Leben Adams und Evas gibt sich zwar in seiner Überschrift als Offenbarung „von Gott an Mose, seinen Diener, als er aus seinen Händen die Tafeln des Gesetzes des Bundes (τὰς πλάκας τοῦ νόμου τῆς διαθήκης) 324

JosAs 8,5.7; 21,1; 23,9.12; 29,3. Übersetzungen nach REINMUTH, Joseph und Aseneth (Anm. 316); Texteditionen: CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth, PVTG 5, Leiden/Boston 2003; UTA BARBARA FINK, Joseph und Aseneth. Revision des griechischen Textes und Edition der zweiten lateinischen Übersetzung, FoSub 5, Berlin/New York 2008. Vgl. dazu auch NIEBUHR, Ethik und Tora (Anm. 317), 192–194. 325 Vgl. dazu FORSCHNER, Die stoische Ethik (Anm. 229), 184–196; DERS., Die Philosophie der Stoa (Anm. 229), 206–217; GERHARD DELLING, Die Kunst des Gestaltens in „Joseph und Aseneth“, in: DERS., Studien zum Frühjudentum (Anm. 194), 257–294: 285f. 326 Systematisch analysiert hat solche Interaktions- und Abgrenzungsvorgänge JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996 (zu JosAs: 181–228). Vgl. auch meinen eigenen, von Paulus ausgehenden Versuch: KARL-WILHELM NIEBUHR, Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359.

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empfangen hatte, belehrt vom Erzengel Michael“ (Superscriptio), lässt aber in der folgenden Erzählung von dieser initialen Redesituation nichts mehr erkennen.327 Vielmehr setzt die Erzählung ein als „Geschichte (διήγησις) von Adam und Eva“ (grLAE 1,1) und wechselt diese Erzählperspektive bis zum Ende nicht mehr.328 Von der Vertreibung des Urelternpaares aus dem Paradies ausgehend (mit erzählerischen Rückblicken auf die Ereignisse im Paradies) reicht der Erzählbogen bis zu deren Tod und Begräbnis. Sogar die Schlussdoxologie nach Evas Beerdigung ist dem Erzengel Michael in den Mund gelegt (grLAE 43,4), so dass sich ein geschlossener Erzählfaden ergibt, der nur durch einige Ausblicke in die jenseits der Erzählebene liegende eschatologische Zukunft durchbrochen wird. Dieser Erzählstrategie entspricht es, wenn von der Tora innerhalb der Erzählung überhaupt nicht 329 und von Geboten nur in einem sehr spezifischen Sinn die Rede ist, nämlich immer in Bezug auf das Vergehen Evas gegenüber dem göttlichen Verbot, vom Baum im Paradies zu essen.330 Freilich ist mit diesem Verweis auf Evas (und in deren Folge Adams) Sünde durchaus ein paränetisches Interesse verbunden, das sich wiederum besonders deutlich in den eschatologischen Ausblicken zeigt.331 Dort wird nämlich Evas Sünde als exemplarisch dargestellt, was sie auf der Erzählebene zur Buße führt und auch den Lesern der Schrift eine endzeitliche Rettungsperspektive eröffnet, wenn sie wie Eva Buße tun: Es weinte aber Eva und sprach: „Wehe, wehe, denn wenn ich komme zum Tag der Auferstehung, werden mich alle, die gesündigt haben, verfluchen und sprechen: ‚Eva hat das Gebot Gottes nicht gehalten (οὐκ ἐφύλαξεν τὴν ἐντολὴν τοῦ θεοῦ)‘“. (grLAE 10,2)332

Der Erzengel Michael verkündigt Adams Sohn Seth, der zusammen mit Eva aus dem Paradies heilsames Öl für den sterbenden Adam holen will, um dessen Unsterblichkeit zu bewahren:

327 Text nach JAN DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose: Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005; vgl. auch JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PVTG 6, Leiden 2005. 328 Deshalb ist auch der oft (auch von Dochhorn) gebrauchte Name „Apokalypse des Mose“ irreführend. 329 Der einzige Beleg für νόμος (abgesehen von der Überschrift) bezieht sich auf konkrete Anweisungen des Erzengels Michael an Seth zur Bestattungspraxis (43,3). 330 GrLAE 10,2; 23,3; 24,1.3; 25,1; 39,1; 42,7. 331 In diesem Zusammenhang wird Adam und seinen bußfertigen Nachkommen die Auferstehung der Toten verheißen (grLAE 10,2; 13,3f.; 28,4; 41,2; 43,2); vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR , Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im griechischen „Leben Adams und Evas“ auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob, in diesem Band 547–570, 558. 332 Übersetzungen nach OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas, JSHRZ II/5, Gütersloh 1998, 737–870.

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Nicht wird es dir jetzt geschehen. Sondern in den letzten Zeiten dann wird auferstehen alles Fleisch, von Adam an bis zu jenem großen Tage, alle die heiliges Volk sein werden. Dann wird ihnen gegeben werden alle Freude des Paradieses. Und es wird sein Gott in ihrer Mitte. Und nicht mehr werden sie sündigen gegen ihn. Denn es wird von ihnen das böse Herz weggenommen. Und es wird ihnen gegeben ein Herz, welches verständig ist im Hinblick auf das Gute, und Gott allein zu dienen. (grLAE 13,3–5)333

In solchen offenkundig an die Leser gerichteten Paränesen kommen durchaus tiefreichende anthropologisch-theologische Reflexionen in narrativer Gestalt zur Sprache. Mit einer Aufforderung zum Gehorsam gegenüber der Tora bzw. der Warnung vor der Übertretung ihrer Gebote werden sie aber in dieser Schrift weder explizit noch implizit verbunden. 334 2.5.6 Die Psalmen Salomos Für die in der Tradition des biblischen Psalters stehende, aber wahrscheinlich ursprünglich auf Griechisch konzipierte und verfasste Sammlung 335 von 18 Psalmen bildet die Tora nicht den Mittelpunkt des Interesses. Wichtiger sind hier zeitgeschichtlich aktuelle Anspielungen, die eine relativ präzise Einordung

333

Vgl. der Sache nach ähnlich 28,4, wo Gott zu Adam spricht: „Du aber hast den Kampf, den der Feind in dir gesetzt hat. Aber wenn du dich nach deinem Weggang aus dem Paradies selbst bewahrst vor allem Bösen, in der Bereitschaft zu sterben, werde ich dich wieder auferwecken in der Zeit der Auferstehung. Und es wird dir vom Baum des Lebens gegeben werden, und du wirst unsterblich sein in Ewigkeit.“ 334 Das ist in ‚apokalyptischen‘ Texten wie der 4. Esraapokalypse und dem 2. Baruchbuch, die vergleichbare Reflexionen über die Verfallenheit der Nachkommen Adams an die Sünde enthalten, etwas anders, da dort mehrfach ausdrücklich auf das Gesetz verwiesen wird, das sie übertreten haben, weshalb sie im Gericht gestraft werden (vgl. 4Esr 3,5–7; 7,48.116–119; 2Bar 17,1–3; 48,40–43; 54,14f.). Aber auch in diesen Schriften bleiben die Verweise auf die Tora eher ‚theologisch-grundsätzlich‘, ohne dass sie in paränetischer Absicht im Blick auf das Alltagsleben der Adressaten konkretisiert würden. Nicht die Tora steht hier im Mittelpunkt des Interesses, sondern das Geschick des Gottesvolkes und seiner Glieder angesichts einer katastrophalen Wende ihres Geschicks (offensichtlich steht die Erfahrung der Tempelzerstörung im Jüdischen Krieg im Hintergrund). Deshalb werden diese Texte hier nicht näher behandelt. 335 So EBERHARD BONS, Philosophical Vocabulary in the Psalms of Solomon: The Case of Ps. Sol. 9:4, in: DERS./PATRICK POUCHELLE (Hg.), The Psalms of Solomon: Language, History, Theology, EJIL 40, Atlanta 2015, 49–58; JAN JOOSTEN, Reflections on the Original Language of the Psalms of Solomon, a.a.O., 31–47.

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des Werkes nach Ort und Zeit 336 und ein darin begründetes endzeitlich orientiertes ‚Weltbild‘337 ermöglichen.338 Auch von der Autorfiktion339 und der literarischen Gattung her legen sich explizite Verweise auf Mose oder die SinaiOffenbarung nicht nahe. Salomo ist hier Psalmenbeter, nicht Offenbarungsempfänger oder Prophet. Dennoch kann auch diese Schrift in den Zusammenhang frühjüdischer Tora-Vergegenwärtigung gerückt und ihre Intention von einer solchen Zuordnung her verstanden werden. Zwar spricht der König nur selten ausdrücklich von der Tora, 340 aber Gerechtigkeit (δικαιοσύνη), Barmherzigkeit (ἔλεος), Heiligkeit (ὅσιος) und Wahrheit (ἀλήθεια) als positive Werte durchziehen die Psalmen ebenso wie die Verurteilung von Sünde (ἁμαρτία), Ungerechtigkeit (δικαιοσύνη) und Gesetzlosigkeit (παρανομία). Prägnant kommt die paränetische Intention der Sammlung in einigen eschatologischen Ausblicken zur Sprache. So verheißt der Psalmbeter den Gerechten, die in ihrem Leben Züchtigungen zu ertragen haben: Denn durch Züchtigung will er (sc. der Herr) die Wege der Gerechten gerade machen und nicht verdrehen, und die Barmherzigkeit des Herrn ist über denen, die ihn lieben in Wahrheit, Und der Herr wird gedenken seiner Knechte in Barmherzigkeit, denn das Zeugnis des Herrn (ist) im Gesetz eines ewigen Bundes (ἐν νόμῳ διαθήκης αἰωνίου), das Zeugnis des Herrn (ist) auf den Wegen der Menschen in Heimsuchung. (PsSal 10,3f.)341

In ganz und gar biblischer Psalmensprache redet Salomo den Frommen zu: Treu ist der Herr denen, die ihn lieben in Wahrheit, die seine Züchtigung aushalten, die in der Gerechtigkeit seiner Gebote (ἐν δικαιοσύνῃ προσταγμάτων αὐτοῦ) wandeln, 336 In PsSal 8 spiegeln sich Ereignisse um die Eroberung Jerusalems durch Pompejus im Jahr 63 v. Chr. wider, in PsSal 2 ist seine Ermordung 48 v. Chr. als bekannt vorausgesetzt. Zu den Einleitungsfragen vgl. GERBERN S. OEGEMA, Die Psalmen Salomos (JSHRZ IV/2), in: DERS., Poetische Schriften, JSHRZ Supplementa VI/1,4, Gütersloh 2002, 22–33. 337 Hervorstechend sind ‚messianische‘ Erwartungen in PsSal 17 und 18. Vgl. dazu zusammenfassend OEGEMA, a.a.O., 28–30. Ein spezifisch pharisäischer Ursprung der Sammlung lässt sich dagegen nicht erweisen. 338 Maßgeblich war bisher die Textausgabe von OSCAR VON GEBHARDT, ΨΑΛΜΟΙ ΣΟΛΟΜΩΝΤΟΣ / Die Psalmen Salomos, TU 13/2, Leipzig 1895; dort auch ein griechisches Wortregister. Kürzlich ist eine Neuedition in der „Göttinger Septuaginta“ erschienen: FELIX ALBRECHT (Hg.), Psalmi Salomonis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum 12,3, Göttingen 2020. 339 Sprecher der Psalmen ist nach den Überschriften durchweg Salomo; nur in PsSal 1 fehlt eine entsprechende Überschrift, was vermutlich mit dem unmittelbar vorangehenden Titel des Werkes ΨΑΛΜΟΙ ΣΟΛΟΜΩΝΤΟΣ zusammenhängt. 340 Der Ausdruck νόμος für die Tora kommt nur PsSal 10,4; 14,2 vor, ἐντολή gar nicht. Nur παρανομία/παράνομος begegnet häufiger. 341 Übersetzungen nach SVEND HOLM-NIELSEN, Die Psalmen Salomos, JSHZR IV/2, Gütersloh 1977, 49–112.

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in dem Gesetz, das er uns auferlegte (ἐν νόμῳ, ᾧ ἐνετείλατο ἡμῖν) zu unserem Leben. Die Frommen des Herrn werden durch das (Gesetz) (ἐν αὐτῷ) ewig leben, der Lustgarten des Herrn, die Bäume des Lebens (sind) seine Frommen. (PsSal 14,1–3)

Implizit bringen die Psalmen Salomos aber auch konkretere Weisungen der Tora zur Geltung, die aus Zusammenhängen frühjüdischer Toraparänese wohl bekannt sind, so etwa in PsSal 8, wo im Rahmen einer Gerichtsankündigung gegen Jerusalem die Sünden ihrer Bewohner aufgezählt und als Ursache für Gottes Gericht benannt werden. 342 Auch in PsSal 4,4f. und 12,1 finden sich vergleichbare Reihungen negativer Verhaltensweisen, die als Ausdruck gesetzlosen Verhaltens bewertet werden.343 So kommt in den Psalmen Salomos ein Toraverständnis zum Ausdruck, das im großen Ganzen wie in der Benennung einzelner Verhaltensweisen den Lebenswandel umschreibt, der dem in der Tora niedergelegten Willen Gottes entspricht. 344 2.5.7 Die Sibyllinischen Orakel Selbst in der klassisch-griechischen poetischen Sprachform des Hexameters können Inhalte der Tora in frühjüdischen Schriften zeitgemäß eingekleidet an den jüdischen Mann und die jüdische Frau gebracht werden. 345 Das belegen neben den Sentenzen des (Pseudo-)Phokylides und den gefälschten DichterZitaten, die Clemens von Alexandrien überliefert,346 auch die Sibyllinischen Orakel, deren Bücher 3, 4 und 5 auf eine jüdische Grundlage zurückgehen. 347 Dabei muss nicht immer explizit auf die Tora verwiesen werden.348 Dem steht bisweilen die Autorfiktion entgegen. Allein schon die Zusammenstellung einer prägnanten Auswahl von geforderten oder zu meidenden Verhaltensweisen und ihre Unterstellung unter den Willen Gottes macht aber im hellenistischjüdischen Rezeptionsmilieu solcher Texte die Identifikation mit den Forderungen der Tora unumgänglich.

342

Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 223–225. Vgl. παρανομία in PsSal 4,1.12 und παράνομος in PsSal 12,1.3.4. 344 Vgl. zur Bedeutung der Tora in den Psalmen Salomos zusammenfassend NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 226f. 345 Josephus, Ant 4,303, behauptet sogar, Mose habe nach der Übergabe der Tora die Israeliten ein Gedicht in Hexametern gelehrt (vgl. Dtn 32). 346 S.u., 96f. 347 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 169–185; DERS., Tora ohne Tempel (Anm. 283), 441–443. Grundlegend waren die Untersuchungen von JOHN J. COLLINS, The Sibylline Oracles of Egyptian Judaism, SBL.DS 13, Missoula 1974. Nach OLAF WASSMUTH, Sibyllinische Orakel 1–2. Studien und Kommentar, AGJU 76, Leiden 2011, 41–86, gehen auch Buch 1 und 2 auf eine jüdische Grundschrift zurück. 348 Nur in Buch 3 wird explizit das Mosegesetz thematisiert (s.u., 90). Die „Rechtsordnung“ (εὐνομία, 3,373, neben εὐδικία, ὁμόνοια, πίστις, φιλία) ist dagegen kaum als Hinweis auf die Tora zu verstehen. 343

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Die jüdischen Teile der sibyllinischen Orakel lassen jedenfalls deutlich eine solche paränetische Intention erkennen. Schilderungen gerechten und ungerechten Verhaltens, sei es bei Juden oder bei Heiden, dienen dazu, die von Gott geforderte oder eine sein Gericht herbeiziehende Lebensweise exemplarisch vor Augen zu führen. In Gerichtsankündigungen aufgezählte konkrete Vergehen (Sexualverhalten, Besitzvergehen, Hass, Gewalt, Mord) oder positive Werte (soziale Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Wahrhaftigkeit) entsprechen denen paränetischer Reihen der frühjüdischen Toraparänese. 349 Gerahmt sind solche Reihen durch umfassende Ermahnungen zur Gerechtigkeit 350 bzw. zum Willen Gottes und dem „Gesetz des Höchsten“ 351 oder Warnungen vor dem Götzendienst.352 Nur im dritten Buch der Sibyllinen 353 spielt auch die Konzeption der Tora und die mit ihr verbundene Terminologie eine wesentliche Rolle. In einer längeren Passage, die die biblische Heilsgeschichte rekapituliert, wird auch die Übergabe der Tora an Mose auf dem Sinai in Erinnerung gerufen. Sie ist Teil einer prophetischen Unheilsankündigung, die bei den Erzvätern als „gerechten Männern“ einsetzt, deren Nachkommen die „frommen Männer“ sind, die um den „großen salomonischen Tempel wohnen“ (213–215), sich fortsetzt über die Berufung Abrahams aus dem Land der Chaldäer (218f.), von deren Astrologie und Götzendienst 354 er und seine Nachkommen sich gelöst haben,355 und zunächst bis zum Exodus aus Ägypten führt, den das „Zwölfstämmevolk (λαὸς ὁ δωδεκάφυλος) mit gottgesandten Führern“ vollzogen hat, unter denen dann Mose eigens hervortritt: Diesem (Volk) wird er als Führer geben den großen Mann Moses, welchen eine Königin am Rand eines Sumpfes fand und ihn zu sich nahm, ihn aufzog und ihren Sohn nannte. Als er 349 Vgl. zu Sib 3,36–45 NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 172–175, zu 3,185– 191 NIEBUHR, a.a.O., 177–178, zu 3,235–245 NIEBUHR, a.a.O., 175–177, zu 3,377–380 NIEBUHR, a.a.O., 178f., zu 3,594–596 NIEBUHR , a.a.O., 182f., zu 3, 762–766 NIEBUHR, a.a.O., 181f., zu 4,31–34 NIEBUHR, a.a.O., 183f., zu 5,165–167 NIEBUHR, a.a.O., 180f., zu 5,386– 393 NIEBUHR, a.a.O., 179f., zu 5,430f. NIEBUHR, a.a.O., 184f. 350 Vgl. Sib 3,33.233.374. 351 Sib 3,580; 4,25. Sib 3,571–623 enthält eine Heilsverheißung über „ein heiliges Geschlecht frommer Männer“ (573), die „in Gerechtigkeit … das Gesetz des Höchsten erlangt“ haben (ἐν δὲ δικαιοσύνῃ νόμου ὑψίστοιο λαχόντες, 580), im Unterschied zu den heidnischen Völkern, die „das heilige Gesetz des großen Gottes“ übertreten haben (παραβάντες ἀθανάτοιο θεοῦ ἁγνὸν νόμον, 600; vgl. 686). 352 Sib 3,763; 4,27–30; 5,395f. 353 Vgl. dazu die Monographie von RIEUWERD BUITENWERF, Book III of the Sibylline Oracles and its Social Setting. With an Introduction, Translation, and Commentary, SVTP 17, Leiden/Boston 2003. 354 Die Ablehnung aller Arten von Götzendienst und Magie sowie die Einzigkeit des wahren Gottes werden auch sonst im dritten Buch stark betont, vgl. Sib 3,11–16.29–38.220– 230.584–590.760–763. 355 Hier folgt ein längeres Enkomion auf die Gesetzestreue der Israeliten (Sib 3,219–247).

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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aber als Führer des Volkes, das Gott aus Ägypten führte, zum Berg Sinai kam, da gab ihm Gott vom Himmel herab das Gesetz (τὸν νόμον), nachdem er auf zwei Tafeln alles Gerechte geschrieben hatte, und befahl, es zu tun; wenn jemand ungehorsam wäre, solle er durch das Gesetz (νόμῳ) Strafe erleiden oder durch sterbliche Hände, oder, falls er von Sterblichen nicht entdeckt würde, so solle er nach allem Recht zugrunde gehen. Denn der Himmlische hat die Erde als gemeinsames Gut für alle gemacht und Treue und besten Sinn in der Brust. (Sib 3,252–262)356

Hier spricht prophetisch die (bzw. eine) Sibylle,357 also eine heidnische Orakelprophetin, die allerdings nach Sib 1,283–291 und 3,809–829 als Schwiegertochter Noachs nach der Flut zunächst im assyrischen Babylon lebte und von dort aus als Gerichtsprophetin nach Griechenland gesandt wurde. Von dort her, aber aus der Generation nach der Sintflut und noch vor Beginn der biblischen Vätergeschichte, spricht sie nun als „Prophetin Gottes“, denn: was am Uranfang geschah, das hat Gott mir gezeigt und das, was darauf folgt, hat Gott alles in meinen Sinn gegeben, so dass ich das Künftige und das vormals Gewesene weissagen und den Sterblichen künden kann. (Sib 3,820–823)

Aus dieser Perspektive der Sibylle schließen sich an die Vorhersage von Exodus und Sinai-Offenbarung Ankündigungen der Deportation „zu den Assyriern“ und der Zerstreuung in alle Länder (265–272), der Tempelzerstörung und der Verödung des Landes (273–281) an. Grund dafür ist, ganz in der Manier deuteronomistischer Theologie, die mangelnde Gesetzestreue: weil du in deinem Herzen nicht gehorcht hast dem heiligen Gesetz (ἁγνῷ νόμῳ) des unsterblichen Gottes, sondern abirrend schändliche Götzen verehrt hast und nicht ehrfürchtig den unsterblichen Vater aller Götter und Menschen 358 ehren wolltest, sondern die Bilder von Sterblichen ehrtest. (Sib 3,275–279)

Das Ganze mündet in eine Verheißung über die Sendung eines Heilskönigs und die Errichtung eines neuen Tempels (282–294), zu der eine explizite Ermahnung zum Halten der Tora gehört: Du aber bleibe treu den heiligen Gesetzen des großen Gottes (πιστεύων μεγάλοιο θεοῦ ἁγνοῖσι νόμοισιν), bis er dein ermattetes Knie zum Licht hin aufrichtet. (Sib 3,283–285)

356 Übersetzungen nach HELMUT MERKEL, Sibyllinen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998, 1041–1140. 357 Zu dieser Gestalt vgl. WASSMUTH, Sibyllinische Orakel 1–2 (Anm. 347), 25–31, sowie ausführlicher BUITENWERF, Book III of the Sibylline Oracles (Anm. 353), 92–123. 358 Hier greift die jüdische Sibylle eine homerische Wendung auf, die in der platonischen Philosophie und auch im Frühjudentum relativ breit rezipiert worden ist, vgl. Platon, Timaios 28c3–5; Philon, SpecLeg 2,165; Josephus, Ant 7,380. Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gott als „Vater der Lichter“ (Jak 1,17). Das Vaterprädikat im Jakobusbrief im Kontext von Platonismus und Frühjudentum, in: Gott – exegetische, theologische und religionswissenschaftliche Perspektiven (FS R. Feldmeier), hg. v. JAN DOCHHORN/ILINCA TANASEANUDÖBLER/RAINER HIRSCH-LUIPOLD, Tübingen (im Druck).

Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

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Damit ist der Standpunkt der Sibylle als einer Prophetin des Gottes Israels und Verkündigerin der Mose-Tora klar markiert, 359 auch wenn die Adressatenschaft entsprechend der sibyllinischen Fiktion universal gedacht ist, was auch in ihrer allgemeinen Benennung als „die Sterblichen“360 zum Ausdruck kommt (Israel/Israelit kommt in den Sibyllinen nicht vor). Für das Toraverständnis hat diese Redeweise und die hinter ihr stehende Autorfiktion durchaus Bedeutung, denn sie ermöglicht es, das Mosegesetz als universales Menschheitsgesetz zu propagieren. So geschieht es auch ausdrücklich in Sib 3,741–795 im Rahmen einer eschatologischen Heilsankündigung, wenn die Sibylle prophezeit, dass ein gemeinsames Gesetz auf der ganzen Erde (κοινόν τε νόμον κατὰ γαῖαν ἅπασαν) … der Unsterbliche im gestirnten Himmel festlegen (wird) für all das, was armselige Sterbliche tun. Denn er allein ist Gott, und es gibt keinen anderen daneben. (Sib 3,757–760)361

Schon vorher hat sie den „Söhnen des großen Gottes“ verheißen, dass sie künftig wieder „um den Tempel herum in Ruhe leben und sich am dem erfreuen, was der Schöpfer, gerechte Richter und Alleinherrscher geben wird“ (3,702– 704). Dann werden auch alle Völker auf den Inseln und in den Städten Gottes Liebe zu seinem Volk anerkennen und sagen: Lasst uns (Gaben) schicken zum Tempel; denn er allein ist Herrscher, und lasst uns alle das Gesetz des höchsten Gottes (νόμον ὑψίστοιο θεοῦ) bedenken, welches das gerechteste aller (Gesetze) auf Erden ist. (Sib 3,718–720)

2.5.8 Pseudo-Phokylides, Pseudo-Menander und gefälschte Dichter-Zitate Noch konsequenter als in den Sibyllinischen Orakeln ist die heidnische Pseudepigraphie in dem Lehrgedicht des Phokylides durchgehalten, das nach einhelligem Urteil der modernen Forschung einem jüdischen Autor zugeschrieben werden muss. 362 Hier erscheint an keiner Stelle ein expliziter Bezug auf die Tora, auf das Volk Israel und seine Geschichte oder auf spezifische Gebote, die der Abgrenzung zwischen Juden und Nichtjuden dienen. Kein einziges der biblischen Gebote wird wörtlich zitiert, und Hinweise auf Mose, David, Salomo oder Abraham fehlen völlig. Vielmehr will der Autor im Namen des berühmten milesischen Gnomendichters Phokylides aus dem 6. Jahrhundert 359

Vgl. dazu BUITENWERF, Book III of the Sibylline Oracles (Anm. 353), 370–381. Zum Terminus θνητοί vgl. Sib 3,17.103.204.260.279.811.823; βροτοί kommt dutzende Male vor (sonst in der frühjüdischen Literatur fast nie). 361 Vgl. ähnlich Sib 3,767f.: „Und dann wird er ein Königreich errichten für alle Zeiten über alle Menschen, er, der einst das heilige Gesetz (ἅγιον νόμον) gab.“ 362 Vgl. zur Einführung KARL-WILHELM NIEBUHR, Pseudo-Phokylides: Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht aus Alexandria [in diesem Band 571–584]. Durch wissenschaftliche Kommentare ist das Werk bestens erschlossen, vgl. WALTER T. WILSON, The Sentences of Pseudo-Phocylides, CEJL, Berlin/New York 2005; PIETER W. VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides. With Introduction and Commentary, SVTP 4, Leiden 1978. 360

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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v. Chr. ganz umfassend die für alle Menschen gültigen „Ratschlüsse Gottes in frommen Satzungen“ kundtun (1f.) und fasst seine Intention gegenüber seinen Lesern am Ende des Gedichts folgendermaßen zusammen: 229 230

Dies sind die Geheimnisse rechter Lebensweise – wenn ihr ihnen folgt, könnt ihr ein gutes Leben vollführen bis zur Schwelle des Greisenalters. 363

Auch die literarische Form und die sprachliche Gestaltung des Gedichts lassen keinerlei Differenzen zur griechischen Gnomendichtung ins Auge fallen. Der Text lässt sich ohne weiteres antiken Gnomologien wie den Hypothekai des Chiron, den Gnomai des Axiopistos oder des Chares, den Praecepta Delphica und vergleichbaren Sammlungen zuordnen. 364 Erst eine moderne, ‚kritische‘ traditionsgeschichtliche Analyse der in dem Gedicht versammelten Mahnsprüche ergibt, dass viele von ihnen erkennbar und einige wenige sogar exklusiv mit Mahnungen aus der biblisch-frühjüdischen Überlieferung übereinstimmen, wie sie insbesondere in der frühjüdischen Toraparänese verbreitet waren. 365 So gibt es z.B. für das Verbot, alle Vögel aus einem Nest zu entnehmen (PseudPhok 84f.), oder für die Forderung, sich auch um das Vieh der Feinde zu kümmern (PseudPhok140), ausschließlich biblische Parallelen. 366 Besonders auffällig aus moderner Perspektive sind auch einige der Mahnungen zur Sexualethik (vgl. PseudPhok 179–185), die offenbar auf Lev 18/20 zurückgehen, einen Textkomplex der Tora, der in ihrer frühjüdischen Rezeption eine wichtige Rolle spielte. 367 Einmal auf dieser Spur, zeigen sich dem modernen Forscher derartig viele Zusammenhänge mit der frühjüdischen Rezeption und Aktualisierung der Tora für die Lebensverhältnisse in der hellenistisch-römischen Diaspora, dass die Zuweisung von Autor und Adressaten zu diesem Milieu unabweisbar wird. So ergibt für PseudPhok 3–8 und 9–41 der Vergleich mit zeitgenössischen hellenistisch-jüdischen Texten bei Philon und Josephus,368 dass der Autor auf einen Fonds frühjüdischer Mahnungen zurückgreift, der zentrale Gegenstände der Tora für eine zeitgemäße ethische Unterweisung von Juden in der griechischsprachigen Diaspora adaptiert.369 Näherhin lässt sich zeigen, dass V. 3–8 eine traditionelle Reihe von Weisungen zum zwischenmenschlichen 363 Zitate aus Pseudo-Phokylides folgen NIKOLAUS WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 173–278. 364 Vgl. zu derartigen Gnomologien KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 239), 236–261. 365 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 5–31; WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 213), 278–307. 366 Vgl. Dtn 22,6f.; Ex 23,5. 367 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 26–31. 368 Vgl. Philon, Hypothetika 7,1–9; Josephus, Contra Apionem 2,190–219. 369 NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 32–44.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Verhalten bildet, die auf den Dekalog zurückgehen.370 In V. 9–41 finden sich enge Verbindungen zu Lev 19, einem Kapitel der Tora, das auch in anderen Werken der frühjüdischen paränetischen Literatur zur ethischen Unterweisung im Sinne der Tora Verwendung gefunden hat.371 Solche erkennbaren, wenn auch impliziten Bindungen an ein Ethos, das sich aus der frühjüdischen Rezeption der Tora speist, ändern aber nichts daran, dass die Schrift ihrer Intention nach auf die Formung einer Lebensweise ausgerichtet ist, die ganz den Werten und Richtlinien folgt, die auch außerhalb jüdischer Gemeinschaften in städtischen Milieus der hellenistisch-römischen Mittelmeerwelt populär waren und propagiert wurden. 372 Auch die (relativ wenigen) ausdrücklich religiös begründeten Weisungen 373 lassen kaum Spezifika eines jüdischen Gottesverständnisses erkennen, sondern entsprechen ganz den Tendenzen philosophischer Ethik in hellenistisch-römischer Zeit. Im Lehrgedicht des Pseudo-Phokylides haben wir also nicht bloß ein Beispiel jüdischer mimicry vor uns, hinter dem sich, ähnlich wie hinter der jüdischen Sibylle, ein nur um so schärferer Propagandist jüdischer Separation gegenüber der heidnischen religiösen Umwelt und der hellenistisch-römischen Kultur, Philosophie und Ethik versteckt. Der reale Autor dürfte sich vielmehr tatsächlich und ehrlich mit dem klassischen Gnomendichter zumindest in einer gemeinsamen Intention identifiziert haben, um sein religiös begründetes und universal gültiges Ethos zu propagieren, das für ihn freilich ohne jeden Zweifel in der Tora des Mose seinen höchsten Ausdruck gefunden hat. Ein weiteres Beispiel für jüdische Gnomologien im Gewand eines bekannten griechischen Dichters sind die nur in syrischer Überlieferung erhaltenen Sentenzen des (Pseudo-)Menander. Die ethischen Themen der Sentenzensammlung sind vielfältig und breit gestreut, wie es bei antiken weisheitlichen Spruchsammlungen häufig der Fall ist. Die verschiedenen Mahnungen werden entlang der Lebenslinie eines Menschen aufgereiht, beginnend mit der Geburt über Kindheit, Pubertät, Jugend, Ehe, Familie, Reife bis ins Alter und zum Tod.374 Die Lebenshaltung, die hier exemplarisch vor Augen geführt wird, soll 370 Ex 20,12–17; Dtn 5,16–21; vgl. dazu J. CORNELIS DE VOS, Rezeption und Wirkung des Dekalogs in jüdischen und christlichen Schriften bis 200 n. Chr., AGJU 95, Leiden/Boston 2016, 184–196. 371 NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 20–26. 372 WILSON, The Sentences of Pseudo-Phocylides (Anm. 362), 23–30, konnte z.B. wahrscheinlich machen, dass der größte Teil des Gedichts (V. 9–131) nach dem in der hellenistisch-römischen Ethik populären ‚Kanon‘ der Kardinaltugenden aufgebaut ist. 373 Vgl. z.B. PseudPhok 8: Gott ist „vor allen Dingen“ zu ehren; 54: „Der Eine Gott (allein) ist weise zugleich und mächtig und reich an Segen.“; 111: „über die Seelen herrscht Gott“. 374 Vgl. dazu Näheres bei KARL-WILHELM NIEBUHR, Art.: Menander, Sentences of the Syriac, in: DANIEL M. GURTNER/LOREN T. STUCKENBRUCK (Hg.), T&T Clark Encyclopedia of Second Temple Judaism, Bd. 1, London/New York 2019, 367f.; DERS., Außerkanonische

2. Tora und Nomos im Frühjudentum

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durch Gottesfurcht geleitet sein, wie gleich zu Anfang der Sammlung und dann noch mehrfach betont herausgestellt wird: Vor allem sollst du Gott fürchten, und Vater und Mutter ehren, und das Alter nicht verlachen, denn auf ihm gehst und stehst du. 375 Fürchte Gott allezeit, damit du ihn in deiner Not anrufen kannst und er auf deine Stimme hört.376 Der Urquell aller Güter ist die Gottesfurcht, und sie befreit aus allen Übeln, und sie ist ein Kapital.377

An einer Stelle taucht als Instanz des geforderten Verhaltens „das Gesetz“ auf: Halte den Knaben vom Bösen ab. Die Schule hält vom Tode fern, Handwerk errettet vom Bösen; ein göttlicher Berater ist das Gesetz. 378

Ansonsten werden die Ermahnungen gelegentlich allgemein durch Verweise auf Gott moti viert,379 aber irgendwelche spezifisch jüdischen Gebote oder Vorschriften kommen nicht vor. Die syrischen Sentenzen des Menander können aufgrund ihrer Überlieferungsgeschichte der Rezeption griechischer Erziehung in der frühjüdischen paränetischen Literatur zugewiesen werden, die in spätantiken christlichen Klöstern tradiert wurde. Dafür sprechen das Pseudonym und die Verwandtschaft mit Gnomologien wie den Sentenzen des Pseudo-Phokylides. Zugleich gehören sie in ein Milieu spätantiker religiöser Literatur, in dem die Kategorien ‚jüdisch‘, ‚pagan‘ oder ‚christlich‘ keinerlei Trennschärfe haben. Moralische Werte, die in der orientalischen Weisheitsüberlieferung wie in der griechischrömischen Popularphilosophie verbreitet waren, bilden mit biblisch-jüdischer, weisheitlich geprägter Toraparänese eine Symbiose und werden in dieser Gestalt in christlichen (vor allem klösterlichen) Kreisen rezipiert, um über mittelalterliche kirchliche Institutionen, nicht selten auf arabisch-muslimischen Überlieferungswegen, bis in die neuzeitlichen europäischen Gesellschaften überliefert zu werden. Indizien für spezifisch christliche Einflüsse oder Inhalte

Schriften im antiken Christentum: Das Beispiel syrischer Menander, in: Neutestamentliche Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Studien im Anschluss an Eckart Reinmuth (FS E. Reinmuth), hg. v. STEFAN ALKIER/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leipzig 2017, 377–401: 387–395 [in diesem Band 601–623]. 375 PseudMenand 2; Textedition und englische Übersetzung bei DAVID G. MONACO, The Sentences of the Syriac Menander. Introduction, Text and Translation, and Commentary, Piscataway 2013; deutsche Übersetzung nach FRIEDRICH SCHULTHESS, Die Sprüche des Menander, aus dem Syrischen übersetzt, ZAW 32, 1912, 199–224. Zur Überlieferungsgeschichte der Sammlung vgl. YURY ARZHANOV, Archäologie eines Textes: Die MenanderSentenzen in syrischen Spruchsammlungen, ZAC 19, 2015, 69–88. 376 PseudMenand 21 = Monaco II 11. 377 PseudMenand 68 = Monaco VII 30. 378 PseudMenand 51 = Monaco VII 10–12. 379 Vgl. PseudMenand 3.5.19.29.32.67.

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

finden sich in den syrischen Sentenzen des Menander nirgends. Aber auch die Tora erscheint hier nicht mehr als ein Identitätsmerkmal jüdischer Paränese. Sie wird gewissermaßen incognito über die gemeinsamen ethischen Werte und Weisungen ihrer Trägerkreise in die modernen europäischen Gesellschaften transportiert und ist in ihnen bis heute präsent, ob bemerkt oder unbemerkt. Ganz hinter den Pseudonymen verschiedener griechischer Dichter verschwindet auch der jüdische Autor bzw. Redaktor der Gnomologie, die sich aus Zitaten bei Kirchenschriftstellern, näherhin in den Stromateis und im Protreptikos des Clemens von Alexandrien sowie bei Pseudo-Justin, De Monarchia, rekonstruieren lässt.380 Unmittelbare Verweise auf Mose und das jüdische Gesetz sind hier natürlich von vornherein ausgeschlossen. Trotzdem finden sich in der Zitatensammlung charakteristische Aussagen, die traditionsgeschichtlich eindeutig der biblisch-jüdischen Überlieferung zuzuweisen sind. So schildert etwa das zweite Sophokles-Zitat das endzeitliche Feuergericht Gottes über Erde und Meer,381 nach dem schließlich so glauben wir – (wandern) zwei Stämme zum Hades, ein (Stamm) der Gerechten, der andere der Ungerechten. Und dann wird (Gott) alles neuerschaffen, was er zuvor vernichtet hat. 382

Natürlich gibt es auch in der stoischen Philosophie die Vorstellung vom Weltenbrand, aber die Entgegenstellung von Gerechten und Ungerechten beim Weltgericht weist hier doch eindeutig in die frühjüdische, endzeitlich ausgerichtete Paränese.383 Ganz der Alltagsparänese gewidmet ist das „Zitat“ aus Menander (nach Pseudo-Justin aus Philemon).384 Es setzt ein mit dem Gedanken, dass Opfer ohne rechte Gesinnung des Opfernden dem Gott (V. 2: „beim Zeus!“) nicht wohlgefällig sind. Dann folgt eine Reihe von Verhaltensweisen, die einen gerechten Mann auszeichnen (V. 8–17): Rechtschaffen muss der Mann sich (stets) erweisen, 380 Die grundlegende Quellenarbeit dazu ist von NIKOLAUS WALTER, Der Thoraausleger Aristobulos (Anm. 213), 172–201, geleistet worden und hat Eingang in seine kommentierte Übersetzung in JSHRZ gefunden, s. in: DERS., Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung (Anm. 363), 244–270. 381 Schon wegen dieser erkennbar jüdischen Prägung ist eine nichtjüdische Leserschaft als Zielgruppe ausgeschlossen, denn einigermaßen gebildete griechische Leser (die immerhin Hexameter konsumieren müssen), die nicht schon vorher von der Wahrheit jüdischer Glaubensgüter überzeugt sind, würden die Fälschungen sofort entlarven. Daran ändern auch immer wieder eingeschobene „echte“ Wendungen oder Verse der griechischen Dichter nichts. Zum Gottesverständnis in Abgrenzung von heidnischem Götzendienst vgl. das erste Sophokles-Zitat, WALTER, JSHRZ IV/3 (Anm. 363), 262f., zu Gott als „Vater“ und „Urheber und Schöpfer vieler Güter“ das Menander/Diphilos-Zitat, a.a.O., 270. 382 Übersetzungen nach WALTER, a.a.O., 265. 383 Vgl. zur Endgerichtserwartung auch das zweite Philemon-Fragment, WALTER, a.a.O., 266f. 384 WALTER, a.a.O., 268.

3. Die Tora im rabbinischen Judentum

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darf Jungfrauen nicht schänden oder ehebrechen, (nicht) stehlen oder morden um Besitzes willen, (nicht) nach fremdem (Gut) schielen und (nicht) begehren nach einer prunksüchtigen Frau oder nach (fremdem) Haus, nach (fremdem) Besitz oder Sklaven oder Magd geradezu, nach Pferden, Rindern überhaupt oder Kleinvieh. – Was aber dann? Nicht eine einzige Schlinge einer Nadel sollst du begehren, o Pamphilos! Denn Gott, der dir ganz nah ist, sieht dich doch, er, der an guten Werken sich erfreut, (doch) nicht an ungerechten.

Hier versteckt sich die frühjüdische Toraparänese vollständig hinter einer wohl als überlegen empfundenen griechischen Dichtung und Philosophie. Zugleich muss der biblisch belesene Rezipient den Eindruck gewinnen, dass in den Dichterworten nichts anderes als der Dekalog aus der Tora des Mose wiedergegeben wird. Dass Gott ganz nah ist und alles sieht, 385 sich an guten Werken freut und die ungerechten straft, wird seinen Glaubensüberzeugungen ebenso entsprechen wie die konkreten Weisungen zum Sexualverhalten und zum Besitz seinen in der Tora begründeten ethischen Ansichten. 386 Auch diese Form von Pseudepigraphie hat ihren Grund also in den als gemeinsames Gut betrachteten Werten, Weisungen und Überzeugungen, bei denen sich Juden und Nichtjuden in hellenistisch-römischer Zeit – und später ebenso spätantike und mittelalterliche Christen – trafen.

3. Die Tora im rabbinischen Judentum 3. Die Tora im rabbinischen Judentum

Wenigstens anhangsweise sei kurz auf die Tora in der rabbinischen Literatur eingegangen, ohne dass dieser Themenbereich hier eigens behandelt werden kann. Rabbinisches Toraverständnis systematisch darzustellen verbietet sich von vornherein angesichts der überaus vielfältigen und weiträumigen Überlieferung, die in der einschlägigen jüdischen Traditionsliteratur gesammelt ist; wie weit sie im Einzelnen bis in die frühjüdische Epoche zurückführt, müsste in jedem Einzelfall diskutiert werden. Es widerspräche aber auch deren Selbstverständnis. Die Wendung „Tora des Mose vom Sinai“ (Abot 1,1) besagt ja gerade, dass das Gesetz seinen Ursprung bei Gott hat und in ununterbrochener Traditionskette bis in die jeweilige Gegenwart vermittelt wird.387 Wortlaut und Auslegung der Tora können nicht getrennt werden, sondern begründen in ihrer Spannung zueinander den Lebensbezug der Weisungen Gottes für Israel.

385

Vgl. Dtn 30,14. Zum sachlichen Zusammenhang mit den frühjüdischen Weisungsreihen vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 38), 227–231. 387 Zum „Mosaic discourse“ in der rabbinischen Literatur vgl. NAJMAN, Seconding Sinai (Anm. 151), 108–117. 386

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Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

Wie im Frühjudentum, so kann auch in der rabbinischen Literatur mit Tora sowohl der schriftlich fixierte Wortlaut des Pentateuch 388 bzw. im weiteren Sinn der des Tanach gemeint sein als auch dessen prinzipiell mündliche Auslegung in Halacha und Haggada als auch beides zusammen. 389 Auch hinsichtlich einer ‚Ontologie‘ der Tora lassen sich antithetische Aussagen treffen, die jeweils zutreffende Aspekte rabbinischen Toraverständnisses benennen: Die Tora ist als Gottes Plan für seine Schöpfung präexistent und universal (vgl. Sifre Dtn § 37), und doch ist sie Mose und dem Volk Israel am Sinai exklusiv zum Erbbesitz übergeben worden. Sie ist göttlichen Ursprungs (vgl. Sanh 10,1: „vom Himmel“) und daher bis in die letzten Details ihres Wortlauts hinein unveränderlich und sinnvoll, und doch ist sie als in menschlicher Sprache verfasst seit ihrer Übergabe an Mose „nicht (mehr) im Himmel“, sondern dem Mehrheitsurteil der rabbinischen Lehrer unterworfen (vgl. pMoed Qatan 3,1,81d).390 Sie ist als unmittelbare Offenbarung Gottes eine Einheit ohne Vorher und Nachher (vgl. bPesachim 6b), und doch können in ihr Differenzierungen und Abstufungen, etwa zwischen dem Dekalog (oder gar nur dessen erstem Gebot, dem Götzendienstverbot, und den folgenden) und den übrigen Geboten des Pentateuch bzw. zwischen den ersten (nach Ex 24,12; 31,18; 32,15) und den zweiten Tafeln (nach Ex 34,1.27f.), vorgenommen werden. 391 Auch im Blick auf eine Soteriologie der Tora lassen sich keine systematischen Prinzipien erschließen, wohl aber gewisse Konturen nachzeichnen, in denen rabbinisches Toraverständnis aufscheint. Entscheidend sind dabei die Relationen, in denen die Tora steht: „In Relation zu Gott erscheint die Tora als dessen unbedingtes Befehlswort, das allein deshalb zu befolgen ist, weil er es geboten hat … Bezogen auf Israel ist die Tora Gottes Gnaden- und Heilsgabe … Israel auf das Weltganze hin transzendierend, zugleich aber seine Sonderstellung in diesem Rahmen wahrend, übernimmt die Tora die Funktion sowohl einer Schöpfungsmittlerin … als auch einer Garantin für die Erhaltung der Welt … Im Blick auf das menschliche Individuum und die menschliche Gemeinschaft … schützt (sie) das Leben, schafft vorteilhafte Regelungen im sozialen, ökonomischen und rechtlichen Bereich …, gestaltet die Beziehungen der Menschen zu Gott … und stiftet Freude“.392

388 Auch seine Übersetzung in das Griechische, vgl. dazu GIUSEPPE VELTRI, Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur, TSAJ 41, Tübingen 1994. 389 GÜNTER STEMBERGER, Zum Verständnis der Tora im rabbinischen Judentum, in: ZENGER, Die Tora als Kanon für Juden und Christen (Anm. 26), 329–343: 329–332. 390 S. auch bBaba Metsia 59b, nach Dtn 30,12. 391 Vgl. STEMBERGER, Zum Verständnis der Tora im rabbinischen Judentum (Anm. 389), 339–343. 392 FRIEDRICH AVEMARIE, Tora und Leben. Untersuchungen zur Heilsbedeutung der Tora in der frühen rabbinischen Literatur, TSAJ 55, Tübingen 1996, 576.

Schluss

99

Schluss Schluss

Eine systematisierende Zusammenfassung der Ergebnisse des Durchgangs durch die biblischen und frühjüdischen Quellen verbietet sich nicht nur angesichts ihrer literarischen Vielfalt und ihrer einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrhunderten umfassenden Entstehungsgeschichte. Für unsere Untersuchungen beginnt er mit der literarischen Ausgestaltung der Tora für Israel in den Schriften des Pentateuch in der Perserzeit und der frühhellenistischen Epoche und endet mit den Zeugnissen des griechischsprachigen Diasporajudentums in der römischen Kaiserzeit. Berücksichtigt man noch die traditionsgeschichtlichen Vorstufen und die literarische Überlieferung der hier untersuchten Quellen, dann erweitert sich der historisch relevante Zeitraum nach vorn mindestens bis in die Exilszeit und nach hinten bis in die Spätantike und z.T. in das Hohe Mittelalter. Auch geographisch lässt sich der Raum, aus dem die Quellen stammen und für den sie zeugen, nicht auf einen Nenner bringen. Ganz bewusst wurde in den voranstehenden Untersuchungen nicht nach ‚palästinischen‘ Quellen und solchen aus der Diaspora unterschieden, obwohl es gerade hinsichtlich des Umgangs mit der Tora gravierende Unterschiede zwischen der Diaspora und dem Land Israel gab. 393 Es wäre völlig anachronistisch, angesichts dieser Breite der Überlieferung nach Zeit und Raum von ‚einem‘ frühjüdischen Gesetzesverständnis zu sprechen. Aber auch aus einem methodischen Grund wäre ein solcher Versuch unsachgemäß. Dass die Kategorie ‚einer‘ ‚Theologie des Neuen Testaments‘ (oder gar des Alten) in historischer Hinsicht zumindest problematisch ist (in theologischer Hinsicht bleibt sie m.E. freilich der christlichen neutestamentlichen Wissenschaft aufgegeben!), wird heute in der Fachwissenschaft weitgehend akzeptiert. Aber warum sollte das dann nicht erst recht für das Verständnis des Gesetzes im Frühjudentum gelten? Nicht ‚das Judentum‘ gibt vor, was von der Tora zu halten ist, innerhalb ihrer Grenzen noch als möglich gelten kann oder diese ‚sprengt‘, sondern jüdische Gruppen oder Einzelne hatten zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten in der Epoche des Frühjudentums immer wieder neu zu bestimmen, zu verhandeln, sich darüber zu streiten, was es bedeutet, den in der Tora niedergelegten Willen Gottes für sein Volk Israel in ihrem persönlichen Lebensalltag umzusetzen. Dass die Antworten auf solche Herausforderungen denkbar unterschiedlich, ja, nicht selten widersprüchlich ausfielen, darf nicht verwundern. Solcher Streit ist aber kein Beleg dafür, dass irgendwann oder irgendwo oder durch irgendwen im antiken Judentum die Grenzen dessen festgelegt worden wären, was als ‚Judentum‘ anzusehen sei

393 Vgl. dazu NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Anm. 6), 16–22; DERS., Identität und Interaktion (Anm. 326), 341–350.

100

Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum

und was nicht, weder von innen noch von außen. 394 Dieser Befund hat maßgebliche Relevanz auch für die gegenwärtig heiß debattierte Frage nach dem ‚Auseinandergehen‘ der Wege zwischen Judentum und Christentum in der Antike.395 Auch im Blick auf Aussagen zum jüdischen Gesetz in neutestamentlichen Schriften ist deshalb ganz grundsätzlich festzuhalten, dass allein schon dadurch, dass sie überhaupt getroffen worden sind, die wurzelhafte Einbindung ihrer Autoren und der Bewegung, für die sie sprechen, in die ihnen zeitgenössischen jüdischen Gruppen, Überzeugungen, Überlieferungen und Intentionen unabweisbar ist. Dass die Bedeutung des Gesetzes für jüdische Gemeinschaften in hellenistisch-römischer Zeit nicht am Vorkommen von bestimmten Begriffen (auch nicht solchen aus dem Wortfeld νόμος), an fixierten Auslegungsmethoden oder -institutionen, an expliziten Deutungskonzepten der Tora oder gar an Zitaten aus ihr gemessen werden kann, ist zur Genüge deutlich geworden. Eine flächendeckende, allgemein anerkannte ‚Tora-Lehre‘ und mit ihr verbundene zentrale oder wenigstens überregional bestehende Institutionen hat es in der ganzen Zeit des Zweiten Tempels nirgendwo gegeben, und auch die Bindung an den überlieferten Wortlaut des Pentateuch war in den Quellen, die wir hier untersucht haben, kein Leitbild für die Vergegenwärtigung der Tora. Gleichwohl war das Gesetz im Frühjudentum offenbar geradezu allgegenwärtig. Die Formen, Inhalte und Schwerpunkte solcher Toravergegenwärtigung konnten je nach Situation, Intention, Potenzen und Kompetenzen überaus vielfältig sein. Dass eine von allen uns bekannten Gruppen im Frühjudentum grundsätzlich akzeptierte Relevanz der Tora auch zu Konflikten um ihre Auslegung führen konnte, ergab sich damit zwangsläufig, aber eine übergreifende Kategorie für solche Konflikte, wie sie der in christlicher Theologie immer noch beliebte Begriff ‚Gesetzeskritik‘ impliziert, stand dafür niemandem zur Verfügung, auch nicht den Autoren des Neuen Testaments.

394

KNUT BACKHAUS, Entgrenzte Himmelsherrschaft. Zur Entdeckung der paganen Welt im Matthäusevangelium, in: „Das ist das Buch …“. Das Matthäusevangelium: Interpretation – Rezeption – Rezeptionsgeschichte (FS H. Frankemölle), hg. v. RAINER KAMPLING, Paderborn 2004, 75–103: 79, hat mit Blick auf die Stellung des Matthäusevangeliums zum zeitgenössischen Judentum anstelle der Diskussion, ob es noch innerhalb oder schon außerhalb von dessen „Mauern“ stünde, die schöne Metapher von der „kognitiven Wanderdüne“ eingeführt. Sie passt sehr gut auch für die Frage nach den „Grenzen“ dessen, was als ‚jüdisch‘ angesehen werden kann. 395 Vgl. dazu einerseits TOBIAS NICKLAS, Jews and Christians? Second Century ‚Christian‘ Perspectives on the ‚Parting of the Ways‘, Tübingen 2014, andererseits UDO SCHNELLE, Die getrennten Wege von Römern, Juden und Christen. Religionspolitik im 1. Jahrhundert n. Chr., Tübingen 2019. Zur aktuellen Debatte vgl. auch das Themenheft EvTh 80-6, 2020 (mit Beiträgen von Angela Standhartinger, Manuel Vogel, Udo Schnelle, Tobias Nicklas, Kathy Ehrensperger und Adele Reinhartz).

Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur Einleitung Seit die ursprünglich auf Hebräisch zur Schrift gewordene biblische Überlieferung den Überschritt in die griechischsprachige Welt des antiken Mittelmeerraums vollzog, waren jüdische Gemeinschaften der Begegnung mit Kultur, Religion und Philosophie des Hellenismus ausgesetzt. Deutlichstes Signal dieser Begegnung ist „die Septuaginta“, wobei sich hinter diesem Begriff nicht ein Buch, sondern ein über mehrere Generationen, ja, Jahrhunderte andauernder Prozess der Transformation ursprünglich hebräischer oder aramäischer autoritativer religiöser Texte in die griechische Koine verbirgt, der erst im spätantiken Christentum die Gestalt eines ‚Kanons‘ im Sinne einer abgegrenzten und maßgeblichen Schriftensammlung als Teil der christlichen Bibel zusammen mit dem Neuen Testament gewann. Aber schon vor den Anfängen des frühen Christentums waren zumindest große Teile der in der Septuaginta gesammelten Schriften ins Griechische übersetzt und von jüdischen Gemeinschaften als religiöse Grundlage gebraucht worden, und zwar nicht allein in der jüdischen Diaspora, sondern z.T. auch im Mutterland, insbesondere in Jerusalem. Die hinter diesem Tatbestand stehenden historischen und kulturellen Entwicklungen werden seit der so betitelten Monographie von Martin Hengel aus dem Jahr 1969 mit dem Stichwort „Judentum und Hellenismus“ erfasst. Ein Aspekt dieser Begegnung zweier antiker Religionskulturen betrifft die Ebene der intellektuellen und reflektierenden Auseinandersetzung mit den geistigen Grundlagen der je eigenen Überlieferung und die daraus abgeleiteten Orientierungen für Lebensweisen und Werte der auf ihnen fußendenden gesellschaftlichen Gruppen und ihrer einzelnen Mitglieder. Im Rahmen der griechisch-römischen Kultur war dies die Aufgabe der Philosophie, im Alten Israel und dem darauf aufbauenden nachexilischen Frühjudentum die der Weisheit. Die literarischen Zeugnisse des griechischsprachigen Frühjudentums, z.T. in der Septuaginta überliefert, z.T. außerhalb ihrer, belegen, dass im Blick auf das Frühjudentum Weisheit und Philosophie, wie sich schon etymologisch nahelegt, nicht getrennt voneinander oder gar im Gegensatz zueinander erfasst werden können, sondern nur in ihrer Begegnung miteinander. Dem soll in den folgenden Untersuchungen näher nachgegangen werden.

102

Biblische Weisheit und griechische Philosophie

1. Philosophiegeschichtliche Orientierungen 1. Philosophiegeschichtliche Orientierungen

Orientierungen über Schulen und Denksysteme der griechischen Philosophie in der klassischen und hellenistischen Periode können nicht ohne weiteres als bekannt vorausgesetzt werden und sollen deshalb einleitend kurz skizziert werden.1 Als Ausgangspunkt dafür dient eine grobe Periodisierung und Differenzierung der klassischen Philosophenschulen seit dem 4. Jh. v. Chr. Von den vorsokratischen Naturphilosophen (Thales, Anaximander, Heraklit, Pythagoras, Parmenides, Demokrit u.a.)2 lassen sich diese Schulen im weitesten (auch chronologischen) Sinne als Nachfolger des Sokrates abheben. Dessen philosophisches Lehren hat allerdings erst in Platons Dialogen literarische und damit tradierbare Gestalt gefunden. 3 Die Akademie des Platon und das Lykeion, wo Aristoteles lehrte, bildeten zunächst die beiden Hauptorte und -strömungen der

1

Die folgende Darstellung ist zu wesentlichen Teilen zusammengesetzt aus zwei Aufsätzen, die aufeinander aufbauend entstanden sind und unabhängig voneinander publiziert wurden bzw. werden. Kapitel 1 und 2 folgen meinem Essay: Die Sapientia Salomonis im Kontext hellenistisch-römischer Philosophie, in: KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015, 219–256: 220–231, und wurden weitgehend identisch in den Beitrag: Griechische Philosophie und die weisheitlichen Bücher in der Septuaginta, in: WALTER AMELING (Hg.), Handbuch zur Septuaginta III (im Druck), übernommen. Kapitel 3 setzt sich zusammen aus dem dritten Teil des Essays zum SAPERE-Band (a.a.O., 232– 256) und Kapitel 3 des genannten Aufsatzes zur griechischen Philosophie in der Septuaginta. Alle Teile wurden für die erneute Publikation überarbeitet und ergänzt. – Weiterführende Literatur zur Philosophiegeschichte findet sich in: CRISTOPH RIEDWEG/CHRISTOPH HORN/DIETMAR WYRWA (Hg.), Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike, Ueberweg.Antike 5/1, Basel 2018; KEIMPE ALGRA u.a. (Hg.), The Cambridge History of Hellenistic Philosophy, Cambridge 1999; MICHAEL ERLER (Hg.), Die hellenistische Philosophie, Ueberweg.Antike 4, Basel 1994; MALTE HOSSENFELDER, Stoa, Epikureismus und Skepsis, Die Philosophie der Antike, Bd. 3, hg. v. WOLFGANG RÖD, München 21995; instruktive Überblicke auch bei HARTMUT ROSENAU, Hellenistisch-römische Philosophie, in: JÜRGEN ZANGENBERG (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 3: Weltauffassung – Kult – Ethos, Neukirchen-Vluyn 2005, 1–21; HANS-JOSEF KLAUCK, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis, Stuttgart 1996, 75–143; ARTHUR A. LONG/DAVID N. SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare, Stuttgart 1999, 1–10. 2 GEOFFRY S. KIRK/JOHN E. RAVEN/MALCOLM SCHOFIELD, Die vorsokratischen Philosophen. Einführung, Texte und Kommentare, Stuttgart/Weimar 1994; FRITZ JÜRSS/REIMAR MÜLLER/ERNST GÜNTHER SCHMIDT (Hg.), Griechische Atomisten. Texte und Kommentare zum materialistischen Denken in der Antike, RUB 409, Leipzig 1977. 3 Zur Geschichte des Platonismus vgl. den Überblick bei HEINRICH DÖRRIE, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus, Der Platonismus in der Antike. Grundlagen – System – Entwicklung, Bd. 1, Stuttgart 1987, 16–47.

1. Philosophiegeschichtliche Orientierungen

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athenischen Philosophie in der Nachfolge des Sokrates. Als Antipode der sokratischen Philosophie galt, wie schon beim Gründervater selbst, die Sophistik, also die professionelle rhetorische Tradition. Zwei Generationen später, nun schon in hellenistischer Zeit, traten der platonischen (‚akademischen’) und aristotelischen (‚peripatetischen‘) Schule mit der stoischen und der epikureischen Philosophie starke Konkurrenten entgegen, die ihnen in Kreativität und Popularität bald den Rang abliefen.4 Gegründet durch Zenon von Kition, eroberte die Stoa im 3. Jh. v. Chr. durch herausragende Gelehrte wie Kleanthes und Chrysipp eine intellektuelle Führungsrolle. Die für die Polis und ihre Bürger konzipierten Philosophien des Platon und Aristoteles verloren dagegen an Einfluss. Ihre Nachfolger blieben zwar weiterhin produktiv, zogen sich aber hinsichtlich ihrer Breitenwirkung durch Vereinseitigungen in Methodik und Thematik in gewisser Weise selbst aus dem Verkehr, die Akademie durch Rückwendung zur radikalen Dialektik (‚Skepsis‘), der Peripatos durch Aufsplitterung und Spezialisierung der Lehrgegenstände auf der Grundlage der aristotelischen Enzyklopädik. 5 Seit dem 1. Jh. v. Chr. gewann die platonische Philosophie aber dort wieder Gewicht, wo sie sich produktiv mit dem Stoizismus auseinandersetzte und Elemente dieser philosophischen Richtung in die eigene Tradition integrierte.6 Zugleich suchte sie in Rückbesinnung auf ‚dogmatische‘ Traditionen Platons (‚Platon-Renaissance‘) auch selbst zu existentiellen Fragen wie Tod und Unsterblichkeit religiös-philosophisch Stellung zu nehmen. 7 Die Stoa hatte schon mit ihren Gründungsgestalten Zenon und Chrysipp wesentliche Elemente des 4 Vgl. zur Stoa die Überblicksdarstellungen von MAXIMILIAN FORSCHNER, Die Philosophie der Stoa. Logik, Physik und Ethik, Darmstadt 2018; DERS., Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System, Darmstadt 1981. Die klassische Edition der erhaltenen Stoiker-Fragmente stammt von HANS VON ARNIM , Stoicorum veterum Fragmenta, 4 Bde., Leipzig 1903–1905 (= SVF). 5 Zur visuellen Orientierung über die Philosophenschulen kann auf die fiktive Wanderung des Geistes des Aristoteles durch Athen 60 Jahre nach dessen Tod verwiesen werden, wie sie LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 1–6, beschreiben. Zur platonischen Akademie im 2. und 1. Jh. v. Chr. vgl. WOLDEMAR GÖRLER, Älterer Pyrrhonismus. Jüngere Akademie. Antiochos aus Askalon, in: ERLER, Die hellenistische Philosophie (Anm. 1), 717–989. 6 Zum so genannten Mittelplatonismus s.u., 109–114; grundlegend dazu JOHN DILLON, The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B.C. to A.D. 220. Revised edition with new afterword, London 1996. Eine differenzierte Darstellung der Entwicklung der antiken Philosophie von der Kaiserzeit bis zur ausgehenden Antike gibt MATTHIAS PERKAMS, Einheit und Vielfalt der Philosophie von der Kaiserzeit zur ausgehenden Antike, in: CHRISTOPH RIEDWEG (Hg.), PHILOSOPHIA in der Konkurrenz von Schulen, Wissenschaften und Religionen. Zur Pluralisierung des Philosophiebegriffs in Kaiserzeit und Spätantike, Boston/Berlin 2017, 3–31. 7 Ein Beispiel dafür ist der Axiochos des (Ps.-)Platon, vgl. IRMGARD MÄNNLEIN-ROBERT u.a., Ps.-Platon. Über den Tod, SAPERE 20, Tübingen 2012.

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Biblische Weisheit und griechische Philosophie

Platonismus übernommen und dem eigenen Denksystem integriert, so dass die klassischen Schulrichtungen spätestens seit dieser Zeit nicht mehr anhand von Einzellehren und -argumenten voneinander unterschieden werden können, sondern allenfalls noch aufgrund ihrer jeweils vorausgesetzten ontologischen und metaphysischen Prämissen. Deshalb ist auch darüber eine gewisse Orientierung nötig. Der Stoizismus, für sein Streben nach Systematik berühmt, unterscheidet in der Philosophie die Hauptgebiete Logik, Physik und Ethik. Ihnen vorangestellt sind Grundsatzfragen der Ontologie; alles Philosophieren wird reflektiert durch die Epistemologie.8 Diese Aufteilung der Philosophie wurde zwar erst in der Stoa systematisiert, hatte sich aber schon in der Akademie herausgebildet. Auch ontologische Unterscheidungen wie die zwischen dem „Etwas“, dem „Seienden“ und den Gattungen des (körperlich) „Existierenden“ wurden in der Auseinandersetzung stoischer Philosophen mit platonischen Vorgaben entwickelt und systematisiert. 9 Dabei gaben Platon und der Platonismus dem Intelligiblen in der Regel den Vorrang vor dem sinnlich Wahrnehmbaren, während der Stoizismus die Körperlichkeit als konstitutives Merkmal alles Existierenden ausgab, wobei zu „Körpern“ allerdings neben der Materie als ganzer und den aus ihr geformten Einzelgegenständen auch die Eigenschaften solcher Gegenstände und ihre Relationen zueinander sowie die Prinzipien, nach denen alles Existierende entsteht, gerechnet wurden. Diese Grundunterscheidung in der Bewertung von Idee und Materie blieb im Wesentlichen auch im Hellenismus für beide Schulrichtungen bestimmend, obwohl sie sich in vielen Einzelfragen auf allen Feldern der Philosophie immer stärker durchdrangen. In der Erkenntnistheorie entspricht bei den Stoikern (ähnlich wie im Epikureismus) dem Vorrang des sinnlich Wahrnehmbaren vor dem rational Erfassten die Bevorzugung der Vorstellungen gegenüber den Begriffen. Begriffe entstehen dadurch, dass durch Wahrnehmung gewonnene Vorstellungen von der Wirklichkeit mittels der Vernunft bearbeitet werden („erkenntnistaugliche Vorstellungen“). Vermöge ihrer Seele können nach stoischer Auffassung vernunftbegabte Wesen Vorstellungen von der existierenden Welt so aufnehmen, dass sie der Natur entsprechen. Aus der Fähigkeit, die Natur in aller ihrer Differenziertheit angemessen wahrzunehmen, entwickeln sich durch einen Akt der Zustimmung zu ihr die Begriffe. Dieser Akt der Zustimmung kann „Erkenntnis“ genannt werden. 10 Dem primär empirischen Ansatz der Stoiker setzten die 8 Vgl. den Aufbau des Kapitels zum Stoizismus bei LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 183–522: Ontologie – Logik und Semantik – Epistemologie – Naturphilosophie – Ethik. Zur Stoa vgl. umfassend PETER STEINMETZ, Die Stoa, in: ERLER, Die hellenistische Philosophie (Anm. 1), 491–716. Zur Weiterentwicklung des Schemas in der Kaiserzeit vgl. PERKAMS, Einheit und Vielfalt der Philosophie (Anm. 6), 13f. 9 Vgl. das Schema der ontologischen Unterscheidungen bei LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 190. 10 LONG/SEDLEY, a.a.O., 296–301.

1. Philosophiegeschichtliche Orientierungen

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Akademiker die skeptische Argumentation entgegen, wonach es zu jeder Vorstellung von etwas Wahrem auch eine entsprechend denkbare Vorstellung von etwas Falschem gibt. Im frühen 1. Jh. v. Chr. kam es durch Antiochus von Askalon zu einem Bruch innerhalb der platonischen Tradition. Antiochus setzte der bisher vorherrschenden und auch von seinem Lehrer Philon von Larisa11 noch vertretenen skeptischen Richtung der so genannten ‚Neuen Akademie‘ seine eigene (bzw. nach seinem Selbstverständnis die von ihm wiederbegründete) ‚Alte Akademie‘ entgegen, indem er wesentliche Züge der stoischen Epistemologie übernahm und sie als mit der wahren platonischen Philosophie für übereinstimmend erklärte.12 In ihrer Naturphilosophie gingen die Stoiker von dem Grundgedanken einer einheitlichen Weltordnung aus, die durch zwei Prinzipien bestimmt wird, das passive der Materie (ὕλη) und das aktive der Vernunft (λόγος).13 Die passive, eigenschaftslose, unbewegte und undifferenzierte Materie wird vom aktiven Prinzip der Vernunft immerwährend durchdrungen und gewinnt dadurch Form und bestimmte Gestalt. Das aktive, schöpferische, die Welt gestaltende Prinzip kann auch als Feuer angesehen und mit dem die Materie belebenden Geist bzw. „Atemstrom“ (πνεῦμα) gleichgesetzt werden. Während die Materie für sich genommen keinerlei Zusammenhalt und Bewegung aufweist, gewinnt sie durch das Pneuma Halt und Form.14 Das aktive Prinzip, der Logos, kann dann auch mit Gott identifiziert, als selbstbeweglich („unbewegt“), ewig und als universale Wirkursache angesehen werden. Da nach stoischer Auffassung das Göttliche (der Logos bzw. die Seele) in der bewegten Materie immer gegenwärtig, eine immaterielle Wirklichkeit also ebenso undenkbar ist wie eine geformte Materie ohne Gott, muss auch die Materie als ewig gedacht werden. Freilich wird solche Ewigkeit nicht der gegenwärtigen Weltordnung zugesprochen, sondern lediglich der immerwährenden Zusammengehörigkeit von aktivem und passivem Prinzip. Die gegenwärtige Welt wird vielmehr wie alle ihr vorangehenden und folgenden in einem Weltenbrand (ἐκπύρωσις) vergehen, aus dem dann eine neue, wiederum durch die gleichen Prinzipien bestimmte Welt hervorgeht. In ihren naturphilosophischen Lehren haben die Stoiker sowohl vorsokratische als auch platonische Gedanken aufgenommen. Spezifisch stoisch ist aber der Gedanke eines die Materie durchdringenden göttlichen Logos. Gott ist 11

Zu Philon von Larisa vgl. GÖRLER, Älterer Pyrrhonismus (Anm. 5), 915–937. Näheres zu Antiochus u., 111f. 13 Zenon, SVF I 24,12–14; Diogenes Laertius 7,134; Seneca, Epistulae morales 65,2; vgl. dazu LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 319–323; FORSCHNER, Die Philosophie der Stoa (Anm. 4), 104–108; DERS., Die stoische Ethik (Anm. 4), 25–29. 14 Chrysipp, SVF II 154,7–9; Plutarch, Moralia 1085C–D; Galen, De plenitudine 7,525,9–14; vgl. LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 335–345; FORSCHNER, Die Philosophie der Stoa (Anm. 4), 117–122; DERS., Die stoische Ethik (Anm. 4), 54–56. 12

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Biblische Weisheit und griechische Philosophie

„Atemstrom“ (πνεῦμα), der durch die Welt zieht.15 Damit ist der zentrale Unterschied zwischen stoischer und platonischer Philosophie auch in der Theologie (als Teilgebiet der Physik) berührt. Für Stoiker ist Gott ein immanentes, aktives Prinzip, das die passive Materie durchdringt. Demgegenüber sehen Platoniker in Gott den Grund der Welt, der ihr als Transzendentes gegenübersteht. Gott ist nach platonischer Lehre Ursache aller Bewegungen im Himmel und auf Erden. Die Welt entsteht, indem sich Gott eines Schöpfers (δημιουργός), der Materie sowie eines ideellen Vorbildes bedient.16 Weil Gott nach diesem ‚Dreiprinzipienmodell‘ streng genommen aber nicht mehr allein wirksame Ursache sein könnte, da er bei der Erschaffung der Welt von der Materie und dem Vorbild als etwas ihm Äußerlichen abhängig wäre, wird in der platonischen Tradition ein weitergehendes Modell entwickelt, nach welchem Gott aus sich selbst heraus zunächst ein Wesen hervorbringt (den „Demiurgen“ oder die „Weltseele“), das dann seinerseits die Welt erschafft und durchdringt. 17 Gott bildet sich so in der Weltseele ab, die wiederum der erschaffenen Welt immanent ist. Jeder Mensch hat durch seine Einzelseele Anteil an der Weltseele. Er kann daher aus den beseelten Geschöpfen auf den Schöpfer zurückschließen und so Gott erkennen. Somit besteht eine unauflösliche ‚Seelenverwandtschaft‘ des Menschen mit Gott. Dank der ihm verliehenen Vernunft (λόγος) kann er sie erkennen und sich so Gott angleichen. Die Weltseele kann nach platonischem Denken als Bindeglied zwischen dem transzendenten Gott und der geschaffenen Welt angesehen werden. Der Logos als das Sinn und Ordnung stiftende aktive Prinzip, gewissermaßen als Werkzeug der Weltseele bei der Erschaffung der Welt, ist zugleich Erkenntnismittel des Menschen, und zwar sowohl für die Erkenntnis von Sinn und Ordnung in der Welt als auch für die Erkenntnis Gottes. Durch Erkenntnis von Sinn und Ordnung im Kosmos kommt der Mensch sozusagen Gott auf die Spur, der ja mittels der Weltseele dem Kosmos sein Wesen eingestiftet hat. Mit Hilfe seiner Vernunft (λόγος) bzw. seines Denkvermögens (νοῦς) kann der Mensch so die Zusammenhänge im Kosmos aufspüren, die ihm als immaterielle Ideen zugrunde liegen. Zugleich liegt im Gedanken der Weltseele auch ein wichtiges Bindeglied der platonischen zur stoischen Philosophie. 18 Auch diese konnte, wohl unter dem Einfluss von Gedanken Platons, von einer Weltseele und vom Logos sprechen, freilich mit dem entscheidenden Unterschied, dass nach stoischer Anschauung die Weltseele und der Logos als körperlich und materiell anzusehen

15

Aëtios 1.7.33 (SVF II 1027) bei LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 327; die Stelle auch bei Plutarch, Moralia 881F–882A (SVF I 532). 16 DILLON, The Middle Platonists (Anm. 6), 45–49. 17 Vgl. Platon, Timaios 27c–29d; DÖRRIE, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus (Anm. 3), 20–23. 18 DÖRRIE, a.a.O., 24–32.

1. Philosophiegeschichtliche Orientierungen

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sind, also dem Kosmos innewohnen und nicht von ihm unterschieden vorgestellt werden. Diese Mixtur aus Stoa und Platonismus in den Vorstellungen von Welt (κόσμος), Denkvermögen (νοῦς), Vernunft (λόγος) und Seele (ψυχή) ist ein Ergebnis der philosophiegeschichtlichen Entwicklungen in der Zeit des Hellenismus. In der Ethik hatte in hellenistischer und römischer Zeit die stoische Philosophie unumstritten die Führungsrolle übernommen. Deren theoretische Grundlagen,19 über die noch am ehesten zwischen Stoikern und Akademikern gestritten wurde,20 können wir hier ausblenden, da sie in der frühjüdischen Literatur kaum rezipiert wurden. Dagegen hat der stoische Begriff der Tugend (ἀρετή) dort Spuren hinterlassen, und auch die stoische Einteilung der Menschheit in (extrem wenige) Weise und (die übergroße Mehrheit von) Toren hat gewisse Analogien zur Gegenüberstellung von Gerechten und Gottlosen in der frühjüdischen Ethik. Mit der sokratischen Tradition gingen die Stoiker davon aus, dass Tugend praktisches Wissen sei und somit lehrbar.21 Aus ihr übernahmen sie auch die vier „ersten“ Tugenden (so genannten Kardinaltugenden) Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit, die sie als Gesamtheit ihrem Lebensideal zuordnen konnten, „der Natur gemäß zu leben“. Die theoretischen Erwägungen der Stoa zur Tugend im Rahmen ihrer Lehre von den Affekten (πάθη), von der Aneignung (οἰκείωσις), vom Habitus (ἕξις) oder vom Geziemenden (καθῆκον) müssen hier übergangen werden. 22 In der angewandten Ethik wandten sich die Stoiker vornehmlich der Aufgabe der moralischen Erziehung der Menschen zu und griffen dabei variabel auf das aus dem Platonismus stammende Schema der vier Haupttugenden zurück. 23 Darüber hinaus entwickelten sie Kataloge moralisch-ethischer Verhaltensregeln (‚Tugend‘- bzw. ‚Lasterkataloge‘) und entfalteten diese in moralphilosophischen Traktaten (z.B. Seneca, Musonius Rufus und Epiktet). Auch in dieser Hinsicht wurden stoische Impulse dann auch von nichtstoischen Denkern wie Philon von Alexandria oder Plutarch gern aufgegriffen.

19

Vgl. dazu BRAD INWOOD/PIERLUIGI DONINI, Stoic Ethics, in: ALGRA, The Cambridge History of Hellenistic Philosophy (Anm. 1), 675–738; FORSCHNER, Die Philosophie der Stoa (Anm. 4), 163–245; DERS., Die stoische Ethik (Anm. 4), 54–66; LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 410–449. 20 LONG/SEDLEY, a.a.O., 479–489. 21 FORSCHNER, Die Philosophie der Stoa (Anm. 4), 197–224; DERS., Die stoische Ethik (Anm. 4), 123–134. 22 Umfassend dazu FORSCHNER, Die Philosophie der Stoa (Anm. 4), 163–197; DERS., Die stoische Ethik (Anm. 4), 183–226. 23 Platon, Politeia 427e; Phaidon 69c; Leges 631c. Nach Plutarch hat schon Zenon dieses Schema aufgegriffen, vgl. Moralia 441A; 1034C. Vgl. zur Tugend im Rahmen der platonischen Ethik TERENCE IRVIN, Plato’s Ethics, New York/Oxford 1995, 31–51.223–243.

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Biblische Weisheit und griechische Philosophie

Nur kurz kann auf den Epikureismus eingegangen werden.24 Die Philosophie Epikurs und seiner Schüler folgte am wenigsten den Spuren sokratischen Denkens, wie es in Platons Dialogen fixiert worden war. Vielmehr knüpfte Epikur direkt bei den vorsokratischen Naturphilosophen an, insbesondere bei Demokrit und seiner Atomtheorie, und übernahm deren prinzipiell auf die Materie und die Wahrnehmung ihrer Erscheinungen konzentrierte Erkenntnislehre. Demnach besteht das Sein aus materiellen Körpern und aus leerem Raum, in dem sich diese bewegen. Wahrnehmung entsteht dadurch, dass die Körper Teilchen absondern (Atome), die von den menschlichen Sinnen empfangen werden und in der Seele Vorstellungen bzw. „Vorbegriffe“ (προλήψεις) hervorrufen. Einerseits führt diese Erkenntnislehre zu der Konsequenz, dass alles Seiende wieder vergehen muss, da es durch ständige Absonderung von Teilchen zwangsläufig in seiner Existenz gemindert wird. Andererseits folgt aus dem Vorhandensein von Vorstellungen der Götter bei den Menschen aber zwingend deren Existenz, da Vorstellungen ja nur durch Empfang entsprechender von den Göttern herrührender Teilchen entstanden sein können. Daraus ergibt sich die Frage, ob denn auch die Götter, sofern sie immer wieder Teilchen von sich absondern, vergänglich sind, was von den Epikuräern aber verneint wird. Vielmehr bewegen sich die Götter nicht in der Welt der Menschen, sondern in so genannten Zwischenwelten (Intermundien), in denen sie sich durch Austausch von göttlichen Materieteilchen ständig gegenseitig ergänzen. So leben sie in zeitloser Glückseligkeit und gehen den Menschen letztlich nichts an, ebenso wenig wie sie durch Gebete, Opferhandlungen oder magische Verrichtungen erreicht werden können. Gebete können aber dazu dienen, Menschen auf das Göttliche auszurichten, und bewirken so eine angemessene Lebenshaltung der Betenden.25 Für die Ethik hat die epikureische Erkenntnistheorie wesentliche Konsequenzen, die allerdings nicht anhand der antiken Polemik gegen die Epikureer erschlossen werden dürfen, sondern nach deren Selbstverständnis erhoben werden müssen. 26 Demnach richtet sich alles menschliche Streben – darin stimmen die Epikureer mit allen philosophischen Richtungen überein – auf Glückseligkeit (εὐδαιμονία). Epikur identifiziert dieses Streben mit dem Prinzip der Lust 24 Vgl. dazu MICHAEL ERLER, Epikur, in: DERS., Die hellenistische Philosophie (Anm. 1), 29–202; DERS., Die Schule Epikurs, a.a.O., 203–490; zur Kaiserzeit DERS., Epikureismus in der Kaiserzeit, in: RIEDWEG/HORN/WYRWA, Philosophie der Kaiserzeit (Anm. 1), 194– 211; weiterhin KLAUCK, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II (Anm. 1), 113–123; MAXIMILIAN FORSCHNER, Epikur. Aufklärung und Gelassenheit, in: MICHAEL ERLER (Hg.), Philosophen des Altertums. Vom Hellenismus bis zur Spätantike. Eine Einführung, Darmstadt 2000, 16–38 (weitere Literatur a.a.O., 37f.). 25 Epikur kann daher das Gebet durchaus für wichtig halten, vgl. Philodem, De pietate 110 (= Frgm. 33 Usener). 26 Vgl. dazu MICHAEL ERLER/MALCOLM SCHOFIELD, Epicurean Ethics, in: ALGRA, The Cambridge History of Hellenistic Philosophy (Anm. 1), 642–674.

2. Philosophische Schultraditionen in Alexandria

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(ἡδονή). Höchstes Ziel aller Philosophie sei der Lustgewinn und die Vermeidung von Schmerz. Entscheidend ist nun, wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist, nämlich nicht etwa durch besinnungsloses Jagen nach kurzlebigen Vergnügungen, sondern durch sorgfältiges Wählen und Vermeiden von Entscheidungen. Nicht kurzfristige Lustempfindungen sind erstrebenswert, denn aus ihnen könnten ja länger andauernde Unannehmlichkeiten erwachsen. Demgegenüber kann das Aushalten von Schmerz zu umso höherem Lustgewinn führen, wenn dieser nachlässt oder ganz schwindet. Die höchste Lebenskunst besteht darin, ganz von solchen Empfindungen frei zu werden und den Zustand eines schmerzfreien, ungestörten Lebens zu erlangen (ἀταραξία), das allein dem Nachsinnen über philosophische Fragen mit Hilfe von nüchternem Nachdenken (λογισμός) und kluger Einsicht (φρόνησις) gewidmet ist. Der Tod bringt zwar solchem philosophischen Leben das Ende, und über ihn hinaus gibt es nichts zu denken. Das ist aber kein Übel, denn mit dem Ende des Lebens endet auch jegliche Wahrnehmung: „Solange wir noch da sind, ist der Tod nicht da; stellt sich aber der Tod ein, so sind wir nicht mehr da.“27 Die Auseinandersetzung mit dem Epikureismus war schon in der Antike stark von einer polemisch verzerrten Darstellung seiner ethischen Konsequenzen bestimmt, wobei neben angeblichem Libertinismus auch die von den Epikureern gelehrte politische Enthaltsamkeit kritisiert wurde. 28 Allerdings widersprach das ‚Lustprinzip‘ der Epikureer ihrem Selbstverständnis nach einer libertinistischen Ethik, und politischer Betriebsamkeit stellten sie ihr Ideal einer Freundschaft entgegen, in der sich Sozialität und Altruismus des Menschen bewähren sollten. Demgegenüber war die grundsätzliche Religionskritik, die Lukrez in seinem philosophischen Lehrgedicht „Vom Wesen des Weltalls“ (De rerum natura) übte, für die Epikureer insgesamt weniger zentral.

2. Philosophische Schultraditionen in Alexandria – der so genannte Mittelplatonismus 2. Philosophische Schultraditionen in Alexandria

Der Begriff ‚Mittelplatonismus‘ hat in die Philosophiegeschichtsschreibung Eingang gefunden, „um die Gesamtheit der platonisch ausgerichteten Autoren der ersten Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit, d.h. vom 1. Jahrhundert

27

Brief an Menoikeus, bei Diogenes Laertius X 125. Vgl. vor allem Plutarch, De latenter vivendo. Zur Auseinandersetzung Plutarchs mit dem Epikureismus seiner Zeit vgl. BERNHARD HEININGER/REINHARD FELDMEIER, Einleitung, in: ULRICH BERNER u.a., Plutarch. Ist „Lebe im Verborgenen“ eine gute Lebensregel?, SAPERE 1, Darmstadt 2000, 33–48: 41–47. 28

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v. Chr. bis zu Plotin, zu bezeichnen“.29 Er ist eher ein Notbehelf, um die philosophiegeschichtlichen Entwicklungen zu erfassen, die sich in späthellenistischer und römischer Zeit im Zuge der produktiven Begegnung und Durchdringung unterschiedlicher Schultraditionen vollzogen haben. Näherhin wird mit Mittelplatonismus die sich von der Neue(re)n Akademie abgrenzende platonische Tradition zwischen Antiochus von Askalon (geb. ca. 130 v. Chr.), dem Wiederbegründer der so genannten Alten Akademie im Jahr 87 v. Chr. in Athen (s.o.), und Plotin (ca. 205–270 n. Chr.), dem Begründer des ‚Neuplatonismus‘, bezeichnet. Die Schwierigkeit, für den Mittelplatonismus spezifische Lehren abzugrenzen, hat ihre Ursache zum einen in der geradezu programmatischen Integration stoischer Gedanken in die platonische Schultradition seit Antiochus von Askalon, zum anderen in der Quellenlage. Vollständig erhaltene und datierbare Werke von Philosophen, die dem Mittelplatonismus zuzurechnen sind, gibt es, abgesehen von Philon von Alexandrien, erst seit Plutarch (ca. 50 – ca. 120 n. Chr.), also der hohen römischen Kaiserzeit. Aus dem Jahrhundert vor Plutarch sind nur wenige Platoniker dem Namen nach bekannt, neben Antiochus von Askalon vor allem Eudoros von Alexandria und Ammonios, der Lehrer Plutarchs. Deren Lehren sind ausschließlich, wenn überhaupt, durch ihre Schüler (für Antiochus durch Cicero, für Ammonios durch Plutarch), Gegner oder in kaiserzeitlichen und spätantiken Doxographien überliefert. Ohnehin war für den Platonismus die Überlieferung der Schultradition (διαδοχή) wichtiger als die Profilierung einzelner Lehrergestalten. Jedoch erstreckt sich die Wirkung platonischer Philosophie auch auf nichtphilosophische Gattungen wie Rhetorik oder Roman und auf die Religion, so dass platonische Einflüsse in späthellenistischer und römischer Zeit weit stärker wirkten, als es die Philosophiegeschichte im engeren Sinn zeigen kann. 30 Die Grenzen des Arbeitsfeldes der Philosophie waren in der Antike zu keiner Zeit klar abgesteckt. In hellenistischer Zeit standen die klassischen philo-

29 FRANCO FERRARI, Der Begriff ‚Mittelplatonismus‘ und die Forschungsgeschichte, in: RIEDWEG/HORN/WYRWA, Philosophie der Kaiserzeit (Anm. 1), 547–555: 547. Zur Terminologie vgl. auch DÖRRIE, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus (Anm. 3), 42–47. Grundlegend für den Mittelplatonismus ist DILLON, The Middle Platonists (Anm. 6); FRANCO FERRARI, Plutarch. Platonismus und Tradition, in: ERLER, Philosophen des Altertums (Anm. 24), 109–127, sowie KLAUCK, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II (Anm. 1), 124–142 (Plutarch). Vgl. auch PERKAMS, Einheit und Vielfalt der Philosophie (Anm. 6), 10–17. 30 DÖRRIE, Die geschichtlichen Wurzeln des Platonismus (Anm. 3), 46f., spricht von „Vulgärplatonismus“ bzw. „diffundierendem Platonismus“ (vgl. a.a.O., 39–41). Hier wären auch Namen von Literaten wie Terentius Varro (116–27 v. Chr.), Apuleius von Madaura (geb. 125 n. Chr.) oder Kelsos (2. Jh. n. Chr.) einzuordnen. Zahlreiche weitere werden in RIEDWEG/ HORN/WYRWA, Philosophie der Kaiserzeit (Anm. 1), 555–705, behandelt.

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sophischen Schulen mit ihren spezifischen Arbeitsformen, literarischen Gattungen und Lehrmeinungen weiter in Blüte. Darüber hinaus aber durchdrangen nunmehr philosophische Themen und Fragestellungen zunehmend alle Lebensbereiche und Kulturräume der Gesellschaft, wenn auch weitgehend begrenzt auf die gebildeten städtischen Oberschichten. Insbesondere das weite Feld der Religion bot schulmäßig ausgebildeten Philosophen und Literaten Raum, ihre Überzeugungen und Intentionen zu verbreiten. 31 So konnten sich philosophische Topoi auch in nicht aus dem philosophischen Lehrbetrieb stammenden literarischen Gattungen verbreiten, so in der religiösen Literatur, und auf diesem Wege fanden philosophische Begriffe, Thesen und Argumente auch in ursprünglich ‚unphilosophische‘ Gattungen Eingang. Der Mittelplatonismus hat die Götter von Anfang an in seine philosophische Systematik integriert, in der Regel im Rahmen der Theologie als Teilgebiet der Naturphilosophie.32 Die Zuwendung der Philosophie zu Lebens- und Orientierungsfragen des Einzelnen in einer immer komplexer werdenden Welt kam so der Ausweitung des Arbeitsfeldes der Philosophie entgegen. Interessanterweise werden nun zwei der namentlich bekannten Platoniker vor Plutarch mit Alexandria in Verbindung gebracht: Antiochus und Eudoros. Das muss nicht bedeuten, dass Alexandria in ptolemäischer und frührömischer Zeit als Hort des Platonismus zu gelten hätte oder gar über längere Zeit dort eine platonische Schule bestanden habe.33 Es belegt lediglich, dass die ägyptische Metropole zu dieser Zeit in engstem Austausch mit anderen geistigen Zentren der Mittelmeerwelt stand, zu denen neben Athen insbesondere auch Syrien gehörte. Antiochus stammte zwar aus Askalon im nichtjüdisch besiedelten palästinischen Küstengebiet, trat aber schon als junger Mann der Akademie in 31 Das ist exemplarisch für die frührömische Kaiserzeit herausgearbeitet worden in dem Sammelband von RAINER HIRSCH-LUIPOLD/HERWIG GÖRGEMANNS/MICHAEL VON ALBRECHT (Hg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven, Ratio Religionis Studien 1, Tübingen 2009, vgl. bes. den Überblick von HERWIG GÖRGEMANNS, Religiöse Philosophie und philosophische Religion in der griechischen Literatur der Kaiserzeit, a.a.O., 47–66. Vgl. auch JOHAN C. THOM, Popular Philosophy in the Hellenistic-Roman World, Early Christianity 3, 2012, 279–295. 32 Die Zuwendung zu religiösen Fragen im Mittelplatonismus betont RAINER HIRSCHLUIPOLD, Die religiös-philosophische Literatur der frühen Kaiserzeit und das Neue Testament, in: DERS./ GÖRGEMANNS/VON ALBRECHT, Religiöse Philosophie und philosophische Religion (Anm. 31), 117–146: 124–128. Vgl. auch PERKAMS, Einheit und Vielfalt der Philosophie (Anm. 6), 14, der von einem „zunehmend religiös-transzendenzbezogenen Verständnis des Philosophie-Ideals“ dieser Zeit spricht. 33 Skeptisch gegenüber dieser These ist GÖRLER, Älterer Pyrrhonismus (Anm. 5), 943.986f. Eine etwas spätere Phase platonischer Philosophie in Alexandria, die durch Ammonios Sakkas und seine beiden berühmtesten Schüler Plotin und Origenes repräsentiert wird, nimmt in den Blick ILINCA TANASEANU-DÖBLER, Philosophie in Alexandria – der Kreis um Ammonios Sakkas, in: TOBIAS GEORGES/FELIX ALBRECHT/REINHARD FELDMEIER (Hg.), Alexandria, COMES 1, Tübingen 2013, 109–126.

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Athen bei, wo er bei deren Haupt Philon von Larisa studierte und zwanzig Jahre lang wirkte. 34 Nachdem im Zuge des mithridatischen Krieges im Jahr 88 v. Chr. die Akademie geschlossen werden musste und ihre Philosophen nach Rom geflohen waren, verließ Antiochus seinen Lehrer Philon, um im Gefolge des Quaestors der Asia L. Lucullus u.a. auch in Alexandria zu lehren. Offenbar kam es hier im Jahr 87/86 v. Chr. zum Bruch mit Philon und der Neuen Akademie. Zehn Jahre später lehrte Antiochus allerdings wieder in Athen, wo ihn Cicero hörte, dem wir so gut wie alles verdanken, was wir von Antiochus wissen. Inwiefern man von einer durch Antiochus begründeten platonischen Schule in Alexandria sprechen kann, muss offenbleiben. Immerhin begegnet dort mit Eudoros in der zweiten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. erneut ein platonischer Philosoph, dessen Lehren wenigstens in Grundzügen erkennbar werden, obgleich von seinen Schriften nichts erhalten ist.35 Offenbar hat Eudoros sich auch mit Platons Timaios beschäftigt, was sich aus entsprechenden Bezugnahmen bei Plutarch erschließen lässt. 36 Hier deutet sich nun eine geistige Brücke an, die von der durch Antiochus begründeten Wende in der platonischen Akademie über Cicero und Eudoros bis hin zu Philon von Alexandrien reicht. Cicero hatte nämlich den Timaios des Platon übersetzt37 und dabei ausdrücklich auch auf pythagoreische Traditionen verwiesen, die er mit dem sonst weitgehend unbekannten pythago-

34 Zu Antiochus vgl. MARTIN NEHER, Wesen und Wirken der Weisheit in der Sapientia Salomonis, BZAW 333, Berlin/New York 2004, 203–217; GÖRLER, Älterer Pyrrhonismus (Anm. 5), 938–967; LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 535–537; DILLON, The Middle Platonists (Anm. 6), 52–62. 35 Zur Überlieferung vgl. DILLON, a.a.O., 115–117. Demnach kannte Strabo Eudoros, und Areius Didymus, der Lehrer und Freund des Augustus, nutzte ihn als Quelle für seine Darstellung der platonischen Philosophie, die wiederum in Auszügen durch Stobaios überliefert ist. Zu Eudoros vgl. noch NEHER, Wesen und Wirken der Weisheit (Anm. 34), 218–225; CLEMENS ZINTZEN, Einleitung, in: DERS. (Hg.), Der Mittelplatonismus, WdF 70, Darmstadt 1981, IX–XXV: XV; JOHN M. DILLON, Eudoros und die Anfänge des Mittelplatonismus, in: ZINTZEN, Mittelplatonismus, a.a.O., 3–32 (entspricht DERS., The Middle Platonists [Anm. 6], 114–135). 36 DILLON, The Middle Platonists (Anm. 6), 116. Zur Rezeption des Timaios bei Plutarch vgl. CHARLOTTE KÖCKERT, Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie. Die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen, STAC 56, Tübingen 2009, 8–52. Zu Kommentaren zu Platons Timaios insgesamt vgl. GREGORY E. STERLING, Philo’s School. The Social Setting of Ancient Commentaries, in: BEATRICE WYSS/RAINER HIRSCH-LUIPOLD/SOMENG-JONAS HIRSCHI (Hg.), Sophisten in Hellenismus und Kaiserzeit. Orte, Methoden und Personen der Bildungsvermittlung, STAC 101, Tübingen 2017, 123 –142: 131–135. 37 Vgl. dazu CARLOS LÉVY, Cicero and the Timaeus, in: GRETCHEN J. REYDAMS-SCHILS (Hg.), Plato’s Timaeus as Cultural Icon, Notre Dame 2003, 95–110.

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reischen Naturforscher Publius Nigidius Figulus (98–45 v. Chr.) verband.38 Eudoros wiederum kann als derjenige gelten, der pythagoreische Traditionen in die platonische Philosophie integriert hat. Die Reintegration des Pythagoreismus in den Platonismus kann damit als ein weiteres Kennzeichen des Mittelplatonismus angesehen werden. Auch bei Philon von Alexandrien lassen sich Spuren davon erkennen, insbesondere in seinem Traktat De opificio mundi, der wiederum seinerseits offenkundig von Platons Timaios beeinflusst ist. 39 Wenn auch angesichts der dargestellten ‚Traditionsmischungen‘ an den Mittelplatonismus Kriterien angelegt werden können, die nicht exklusiv auf Platon zurückgehen, so bleiben doch charakteristisch platonische Prägungen unübersehbar. So wurde auf dem Gebiet der Ethik die aus der Stoa übernommene Maxime des „Lebens gemäß der Natur“ (κατὰ φύσιν ζῆν) im Mittelplatonismus mit dem platonischen Ideal der „Angleichung an Gott“ (ὁμοίωσις θεῷ) verbunden.40 Eine solche Bestimmung des Ziels (τέλος) ethischer Lebensgestaltung konnte sich, eher als die zitierte stoische Maxime, unmittelbar auf platonisches Denken berufen, da sie den Maßstab für das menschliche Handeln bei einer transzendenten Größe ansetzte. Auch in der Physik lässt sich eine Tendenz beobachten, die in der Akademie rezipierten stoischen Einflüsse in einer wieder deutlicher platonischen Richtung weiterzuentwickeln. So wird der stoischen Anschauung von den zwei Prinzipien (aktiv vs. passiv) die Frage nach einem beiden übergeordneten Einen entgegengestellt, bisweilen verbunden mit mathematischen Diskussionen, die vom Pythagoreismus angeregt sind. In der Schöpfungslehre werden der platonische Gedanke der Weltseele sowie die Unterscheidung zwischen einem transzendenten Gott und dem von ihm zwecks Erschaffung der Welt eingesetzten aktiven Demiurgen aufgegriffen. Der stoische Logos-Gedanke kann dem platonischen Modell integriert werden, indem der Logos mit dem Demiurgen identifiziert wird, während ihm ein transzendenter Gott als höchstes, immaterielles Prinzip übergeordnet wird, so dass dieser von der geschaffenen Welt unberührt bleiben kann. So zeigt sich, dass im Mittelplatonismus bei aller Integration stoischer (und darüber hinaus pythagoreischer und peripatetischer) Elemente die für den Platonismus charakteristische Bevorzugung des Intelligiblen gegenüber der Materie, des Immateriellen gegenüber dem sinnlich Wahrnehmbaren, der Transzendenz des Göttlichen gegenüber der die Materie durchdringenden Weltseele erkennbar bleibt, und zwar in wachsendem Grade. 41 Dies gilt vor allem für die 38

DILLON, The Middle Platonists (Anm. 6), 117f.; zu Cicero vgl. auch JUTTA LEONCicero. Philosophie zwischen Skepsis und Bekenntnis, in: ERLER, Philosophen des Altertums (Anm. 24), 55–69. 39 Vgl. dazu u., 142f. 40 Platon, Theaitetos 176b; zum Folgenden vgl. DILLON, The Middle Platonists (Anm. 6), 9f.43–51.114.122.192–198. 41 DILLON, a.a.O., 51: „We shall see throughout our period the philosophers of Middle Platonism oscillating between the two poles of attraction constituted by Peripateticism and

HARDT,

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Physik und mit ihr für die Theologie, weniger für die Logik und am wenigsten für die angewandte Ethik. Dieser Tatbestand zeigt sich auch bei der Rezeption philosophischer Traditionen in der Septuaginta und der frühjüdischen Literatur.

3. Die Rezeption philosophischer Traditionen in der frühjüdischen Literatur 3. Die Rezeption philosophischer Traditionen

Wenn wir uns nun ausgewählten Schriften der Septuaginta und der hellenistisch-jüdischen Literatur zuwenden, muss vorab klargestellt werden, dass wir damit den Bereich philosophischer Schulliteratur verlassen. Das gilt auch für Philon von Alexandrien, der explizit philosophische Fragestellungen behandelt und auf doxographische Traditionen und Mittel philosophischer Argumentation zurückgreift.42 Zwar kann Philon gelegentlich philosophische Gattungen wie Traktat (Aet, Prob) oder Dialog (Prov, Anim) aufgreifen, seinem Selbstverständnis nach dürfte er sich jedoch kaum als Philosoph verstanden haben, sondern eher als Exeget, als Ausleger der Tora des Mose.43 Ebenso lässt sich für die Fragmente des Aristobulos oder das ethische Lehrgedicht des PseudoPhokylides festhalten, dass bei allen Anklängen an philosophische Topoi und Wendungen die Hauptintentionen dieser Werke doch nicht bei philosophischen Lehrdiskussionen liegen, sondern in der religiös motivierten Rezeption und Aktualisierung biblischer Überlieferungen zwecks Ermahnung zu einem toratreuen Leben unter den Bedingungen der hellenistisch-römischen Diaspora.44

Stoicism, but adding to the mixture of these influences a strong commitment … to a transcendent supreme principle, and a non-material, intelligible world above and beyond this one, which stands as a paradigm for it.“ Vgl. auch MAURO BONAZZI, Towards Transcendence. Philo and the Renewal of Platonism in the Early Imperial Age, in: FRANCESCA ALESSE (Hg.), Philo of Alexandria and Post-Aristotelian Philosophy, Leiden/Boston 2008, 233–251. 42 Vgl. DAVID T. RUNIA, Philo and Hellenistic Doxography, in: ALESSE, Philo of Alexandria and Post-Aristotelian Philosophy (Anm. 41), 13–54; JOHN DILLON, Philo and Hellenistic Platonism, a.a.O., 223–232. Zu Philon s.u., 139–144. 43 Vgl. GREGORY E. STERLING, „The Jewish Philosophy“: Reading Moses via Hellenistic Philosophy according to Philo, in: TORREY SELAND (Hg.), Reading Philo. A Handbook to Philo of Alexandria, Grand Rapids/Cambridge 2014, 129–154. Zu Sterlings These von einer philosophischen Schule des Philon in Alexandria s.u., Anm. 127 und 128. 44 Vgl. EKATERINA MATUSOVA, Allegorical Interpretation of the Pentateuch in Alexandria: Inscribing Aristobulus and Philo in a Wider Literary Context, SPhiloA 22, 2010, 1–51.

3. Die Rezeption philosophischer Traditionen

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Darauf deutet schon die Terminologie. So ist die Wortgruppe φιλοσοφ- in der Septuaginta weitgehend auf Belege aus dem 4. Makkabäerbuch beschränkt. 45 Auch in der übrigen jüdisch-hellenistischen Literatur ist sie im Vergleich zu σοφία κτλ. nur selten belegt.46 Eine charakteristische Ausnahme bildet lediglich der Aristeasbrief. Im Rahmen der Schilderung eines Symposiums, das König Ptolemaios mit aus Jerusalem angereisten Priestern abhält, bietet er auf eine entsprechende Frage des Königs aus dem Munde eines der Priester eine regelrechte Definition zur Frage „Was ist Philosophie?“: In jeder Situation vernünftig überlegen und sich nicht durch Leidenschaften fortreißen lassen, … sondern die schädlichen Folgen der Begierden bedenken und maßvoll das jeweils Erforderliche tun.

Bezeichnenderweise fügt der jüdische Priester dem sogleich hinzu: Damit wir aber darauf achten, müssen wir Gott bitten. (EpArist 256)47

Schon im Rahmen der vorangehenden Erzählung von der Verbringung eines Exemplars der Tora in die Bibliothek von Alexandria war diese als „eine philosophische und reine, weil göttliche Gesetzgebung“ bezeichnet worden (EpArist 31), allerdings nicht durch einen Juden, sondern durch den Hofbibliothekar Demetrios in seiner Eingabe an den König. Der Aristeasbrief belegt damit, wie ein Interesse an popularphilosophischen Themen mit erkennbar jüdischen Positionen verbunden werden konnte, ohne dass die Tora dabei mit der Philosophie der Griechen einfach identifiziert wurde. Freilich sollte man ohnehin zwischen philosophischer Reflexion und paränetischer Ermahnung keinen Gegensatz aufrichten, denn auch für antike Philosophen war letztlich die ‚philosophische Lebensführung‘ Ziel allen Philosophierens. Die hier herausgestellte Unterscheidung zwischen Gattungen und Methoden der hellenistischrömischen philosophischen Schulliteratur und den Werken der jüdisch-hellenistischen Literatur darf jedenfalls nicht im Sinne einer Dichotomie zwischen

45

Einzige Ausnahme ist Dan 1,20, wo herausgestellt wird, dass die vier israelitischen Knaben am Hof des Königs Nebukadnezar in ihrer Weisheit (ἐν παντὶ λόγῳ καὶ συνέσει καὶ παιδείᾳ) den Sophisten und Philosophen (ὑπὲρ τοὺς σοφιστὰς καὶ τοὺς φιλοσόφους) des Königs weit überlegen sind; vgl. auch 1,17: „der Herr gab ihnen Wissen und Verstand und Einsicht und Klugheit in jeglicher Kunst der Schriftauslegung“ ( ἔδωκεν ὁ κύριος ἐπιστήμην καὶ σύνεσιν καὶ φρόνησιν ἐν πάσῃ γραμματικῇ τέχνῃ). 46 Philon und Josephus verwenden die Wortgruppe φιλοσοφ- etwas häufiger, aber Philon bezeichnet weder sich selbst noch Mose explizit als Philosophen. Vgl. zum Ganzen JUTTA LEONHARDT-BALZER, Synagogen als Schulen der Tugenden: Der Ort der Philosophie in der frühjüdischen Tradition, in: RIEDWEG, PHILOSOPHIA (Anm. 6), 127–145. 47 Übersetzung nach NORBERT MEISNER, Aristeasbrief, JSHRZ II/1, Gütersloh 1973, 33– 87: 78.

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Philosophie und Religion verstanden werden, eine begriffliche Entgegensetzung, die antikem Denken fremd ist. 48 Indirekte Einflüsse aus der griechischen philosophischen Tradition können jedenfalls schon in hebräischen und griechischen Schriften Israels beobachtet werden, die der so genannten späteren Weisheit zugeordnet werden. In (christlichen) Septuaginta-Handschriften wurden sie zu einer eigenen Gruppe zusammengestellt. Unter ihnen kommen dem Prediger Salomo (hebr. Kohelet), der Weisheit Jesu, des Sohnes Sirachs (hebr. Ben Sira), der Weisheit Salomos und dem 4. Makkabäerbuch besondere Bedeutung zu. Ohne chronologische Implikationen, lediglich in Anbetracht ihrer Textüberlieferung, sollen zunächst diese Septuaginta-Schriften und daran anschließend einige Beispiele aus der hellenistisch-jüdischen Literatur behandelt werden. 3.1 Griechische Philosophie in Septuaginta-Schriften 3.1.1 Der Prediger Salomo (Ekklesiastes) Auch wenn die geistige Heimat des „Predigers“ 49 im weiten Feld der altorientalischen Weisheit zu verorten ist, so weist seine überlieferte literarische und sprachliche Endgestalt auf eine im Kontext der alttestamentlichen Literatur sehr späte Entstehungszeit. Schon die hebräische Originalfassung des Kohelet ist wohl erst in hellenistischer Zeit entstanden. 50 Damit ist aus chronologischen Gründen die Frage nach Beeinflussungen durch die griechische Philosophie zweifellos berechtigt. Ob sie sich auch aus inhaltlichen Gründen nahelegt, ist

48 Das hat zu Recht herausgestellt ANDERS KLOSTERGAARD PETERSEN, Dissolving the Philosophy-Religion Dichotomy in the Context of Jewish Paideia: Wisdom of Solomon, 4 Maccabees, and Philo, in: GABRIELE BOCCACCINI/JASON M. ZURAWSKI (Hg.), Second Temple Jewish ‚Paideia‘ in Context, BZNW 228, Berlin/Boston 2017, 185–204. 49 Das im griechischen Text überlieferte ἐκκλησιάστης verweist auf hebr. ‫ קהל‬und bezeichnet eher eine Funktion (den Einberufer einer Versammlung) als einen Namen. In der Überschrift wird dieser mit König Salomo, dem Sohn Davids, identifiziert. Im Folgenden gehe ich auf diejenigen Texte ein, die in der Septuaginta-Ausgabe von RAHLFS/HANHART enthalten sind. Einen differenzierten Überblick zum Thema gibt MARTIN KARRER, Septuaginta und antike Philosophie, in: SIEGFRIED KREUZER/MARIN MEISER/MARCUS SIGISMUND (Hg.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 3–35. Vgl. zum Folgenden auch GREGORY E. STERLING, Philosophy as the Handmaid of Wisdom: Philosophy in the Exegetical Traditions of Alexandrian Jews, in: HIRSCH-LUIPOLD/GÖRGEMANNS/VON ALBRECHT, Religiöse Philosophie und philosophische Religion (Anm. 31), 67– 98. 50 Zu den Einleitungsfragen vgl. LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Das Buch Kohelet, in: ERICH ZENGER u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 92016, 467– 476; KONRAD SCHMID, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, 183–185.

3. Die Rezeption philosophischer Traditionen

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nach wie vor ein kontrovers diskutierter Gegenstand der Forschung. 51 Jedoch ist von vornherein festzuhalten, dass weder von der literarischen Form der Schrift noch von der Gesamtthematik und ihrer Durchführung in einzelnen Argumentationsgängen her eine unmittelbare Zuordnung zur oder gar Ableitung aus der griechischen Schulphilosophie möglich ist. Berührungen und gegebenenfalls auch Beeinflussungen von daher ergeben sich allein aus dem ‚Zeitgeist‘ der hellenistischen Welt, der die Entstehungsregion der Schrift, das urbane Judäa mit seinem geistigen Zentrum Jerusalem, im 3. Jh. v. Chr. schon stark durchdrungen hatte. 52 Was den Prediger von der älteren Weisheit unterscheidet und mit bestimmten Tendenzen skeptischer Philosophie verbindet, ist seine scharfe Kritik an einer „theistischen Aufklärung“53 in der traditionellen biblischen Weisheitslehre. Gleichwohl stellt er den biblischen Gottesglauben nicht grundsätzlich in Frage, schon gar nicht mit philosophischen Argumenten. Vielmehr setzt er ihn ungeschützt den existentiellen Anfragen aus, die sich aus tieferem Nachdenken über individuelle und kollektive Lebenserfahrungen in der hellenistischen Welt ergeben (bes. 6,10–8,17). Zugespitzt werden solche Anfragen mit Blick auf den Tod des Menschen, gerade desjenigen Einzelnen, der über ihn zu reflektieren gelernt hat (bes. 9,1–6; 10,1–7). Darin liegt das Neue der Weisheit Kohelets gegenüber der älteren Weisheit, aber das ist noch nicht Philosophie im Sinne des Skeptizismus oder Epikureismus.54

51 Vgl. dazu LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, „Nicht im Menschen gründet das Glück“ (Koh 2,24). Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie, HBS 2, Freiburg u.a. 22004, 233–250; ALEXANDER A. FISCHER, Skepsis oder Furcht Gottes? Studien zur Komposition und Theologie des Buches Kohelet, BZAW 247, Berlin/New York 1997, 226–250; OSWALD LORETZ, Jüdischer Gott und griechische Philosophie (ḥokmat yevanit) im Qohelet-Buch, MARG 8, 1993, 151–176. 52 Wie stark griechische Literatur und Philosophie in Palästina bereits im 3. Jh. v. Chr. verbreitet war, hat MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., WUNT 10, Tübingen 31988, 152–161, reich belegt. 53 Das Stichwort stammt von Kurt Galling, vgl. dazu HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 52), 222–232, mit zahlreichen Verweisen auf zeitgenössische kritische Stimmen zu den Göttern vorwiegend aus Dichtung und Epigraphik. 54 Vgl. HENGEL, a.a.O., 232: „Qohelet begegnete auf diese Weise nicht den Schulmeinungen der Philosophen, sondern den volkstümlichen Anschauungen ders griechischen ‚Bürgertums‘.“ Wenn SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Das Buch Kohelet (Anm. 50), 382, mit Blick auf den ersten Teil des Buches (1,3–3,22) von einer „Philosophie des Glücks“ spricht, dann kann das nur im uneigentlichen Begriffsgebrauch gemeint sein, denn auch in diesem Abschnitt wird nicht philosophisch, sondern mit den Mitteln traditioneller Weisheit argumentiert. Vgl. auch SCHMID, Literaturgeschichte (Anm. 50), 184: „Qohelet betont die engen Grenzen menschlicher Erkenntnis, zieht daraus aber keineswegs die Folgerung der Urteilsenthaltung. Vielmehr kann Qohelet die Leistung und Begrenztheit menschlicher Erkenntnis zur elementaren Begründung seiner praktischen Philosophie heranziehen“.

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Biblische Weisheit und griechische Philosophie

Dass die Einsicht in das Unerklärliche, die der Prediger propagiert, nicht eine Erkenntnis philosophischer Skepsis oder Ausdruck epikureischer Ataraxie ist, sondern eine religiöse Lebenshaltung auf der Grundlage biblischen Gottesglaubens, den der Autor propagieren will, zeigt der Abschnitt 1,3–3,22, der prüfen soll, „was das Gute für die Menschenkinder ist“ (2,3). 55 Nachdem seine kritische Prüfung aller denkbaren menschlichen Werke und Werte ihn zu der Erkenntnis geführt hat: „Es gibt nichts Gutes im Menschen.“, führt der Prediger seine Gedanken sofort über den Menschen auf Gott hinaus: Was er essen und was er trinken und was er seiner Seele zeigen wird, (das) ist etwas Gutes in seiner Mühe. Auch dies, ich habe gesehen, dass es aus der Hand Gottes ist. (2,24)

So führt die Erkenntnis der Grenzen des Menschen letztlich zum Vertrauen in die Güte des Schöpfers und zum Appell, das Gute zu tun: Ich sah die Beschäftigung (περισπασμός), die Gott gegeben hat den Menschenkindern … Das alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit, auch die Ewigkeit hat er in ihr Herz gelegt, damit der Mensch nicht herausfinde das Werk, das Gott gemacht hat, von Anfang und bis zum Ende. Ich erkannte, dass es nichts Gutes in ihnen gibt, außer sich zu freuen und Gutes zu tun in seinem Leben. (3,10–12)

3.1.2 Das Buch Jesus Sirach (Ben Sira) Auch bei der Sammlung der Weisheitslehren des Ben Sira handelt es sich um ein Werk des schon stark vom Hellenismus durchdrungenen, aber immer noch hebräisch schreibenden Judentums im Land Israel des frühen 2. Jh. v. Chr. 56 Erst der Enkel des Verfassers hat es zwei Generationen später in Ägypten ins Griechische übersetzt (so der Prolog der in der Septuaginta überlieferten Version). Nicht Philosophie wollte er damit freilich treiben, sondern eher Bildung und Erziehung vermitteln (παιδεία καὶ σοφία),57 die wiederum darauf ausgerichtet sein sollte, dass sich „die Lernbegierigen auch dafür einbinden ließen

55

Der Ausdruck τὸ ἀγαθόν begegnet in Koh sonst nicht mehr, das Wort ἀγαθός im absoluten Gebrauch aber besonders häufig. 56 Zu den Einleitungsfragen vgl. FOLKER SIEGERT, Einleitung in die hellenistisch-jüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin/Boston 2016, 141–156; JOHANNES MARBÖCK, Das Buch Jesus Sirach, in: ZENGER, Einleitung in das Alte Testament (Anm. 50), 502–512. Zur aktuellen Forschung mit Schwerpunkt auf der Rekonstruktion der Textbasis und neueren Kommentarprojekten vgl. FRANK UEBERSCHAER, Das Buch Ben Sira. Zur gegenwärtigen Forschung, ThLZ 145, 2020, 897– 912. 57 Nach SIEGERT, Einleitung (Anm. 56), 142, wird bei Ben Sira gar „die philosophia der Griechen dem Anspruch nach überboten von der sophia der Israeliten“. Zu Erziehung und Bildung bei Ben Sira vgl. ODA WISCHMEYER, Die Kultur des Buches Jesus Sirach, BZNW 77, Berlin/New York 1995, 174–200; zur Kenntnis griechischer Literatur bei Ben Sira vgl. BENJAMIN G. WRIGHT III, Ben Sira and Hellenistic Literature in Greek, in: HINDY NAJMAN/

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und desto mehr hinzufügen könnten durch das gesetzmäßige Leben“ (ἐπιπροσθῶσιν διὰ τῆς ἐννόμου βιώσεως).58 Dies entspricht ganz den Intentionen seines Großvaters, der im Buchschluss seines Werkes festhielt: Erziehung zu Verständnis und Wissen (παιδεία συνέσεως καὶ ἐπιστήμη) habe ich in diesem Buch aufgeschrieben, Jesus, der Sohn des Sirach, … der die Weisheit von seinem Herzen hat hervorsprudeln lassen. Selig, der nach diesen Dingen leben wird. (50,27f.)

Hatte sich Kohelet auf die kritischen Reflexionen zur Erkenntnisfähigkeit des Menschen gegenüber Gott und gegenüber seiner eigenen Willenskraft, die auch in der hellenistischen Philosophie traktiert wurden, wenigstens eingelassen, ohne damit seinen Gottesglauben grundsätzlich in Frage zu stellen, so scheint Ben Sira sich mit solchen Positionen direkt auseinanderzusetzen. 59 Sag nicht: „Durch den Herrn bin ich abgefallen“; denn was er hasst, wird er nicht tun. Sag nicht: „Er selbst hat mich getäuscht“; denn er hat kein Verlangen nach einem sündigen Mann. … Vor den Menschen (stehen) das Leben und der Tod, und das, woran er Gefallen findet, wird ihm gegeben werden. (15,11f.17) Sage nicht: „Vor dem Herrn werde ich mich verbergen, wer aus der Höhe wird sich an mich erinnern?“ … Wem am Herzen etwas fehlt, der denkt so etwas, und ein unverständiger und irrender Mann denkt Törichtes. (16,17.23)

Daraus ergibt sich für ihn als Hauptanliegen seines Werkes die Aufforderung und Anleitung zu einem vor Gott verantworteten Lebenswandel nach den Maßstäben der Tora.60 Steht Ben Sira damit klar in der Traditionslinie der älteren biblischen Weisheit, wie sie im Proverbienbuch ausformuliert worden ist, so bringt er aus seinem eigenen geistesgeschichtlichen Kontext auch neue Impulse in diese ein.61 Im Blick auf die Ethik betrifft das vor allem den Gedanken, dass mit der Erkenntnis der Welt auch die Einsicht in das richtige Handeln verbunden ist, demnach Orientierung und Verhalten des Menschen den Gesetzen der Natur zu

JEAN-SÉBASTIEN REY/EIBERT J. C. TIGCHELAAR (Hg.), Tracing Sapiential Traditions in Ancient Judaism JSJ.S 174, Leiden/Boston 2016, 71–88. 58 Prolog Z. 13f. Die Wendung παιδεία καὶ σοφία im Prolog in Z. 3.12, vgl. auch die Verbindung beider Elemente in 1,27; 4,24; 6,18; 22,6; 23,2; 41,14. 59 Vgl. dazu HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 52), 252–260, nach dem bei Ben Sira in einer „fast philosophischen Weise von der Unfreiheit bzw. Freiheit des menschlichen Willens gesprochen wird“ (255) und „Ben Sira einer Gottesvorstellung widersprechen (musste), die in fast ‚epikuräischer‘ Weise behauptete, daß sich Gott um das Schicksal des einzelnen Menschen nicht kümmere“ (256). 60 Vgl. bes. 1,26; 6,37; 15,15; 17,11f.; 19,20; 24,23. Zum Verhältnis von Weisheit und Gesetz bei Ben Sira vgl. WISCHMEYER, Die Kultur des Buches Jesus Sirach (Anm. 57), 198– 200. 61 Vgl. dazu URSEL WICKE-REUTER , Göttliche Providenz und menschliche Verantwortung bei Ben Sira und in der Frühen Stoa, BZAW 298, Berlin/New York 2000, 275–285.

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entsprechen haben, wie es die stoische Ethik lehrt.62 In der Sprache biblischer Schöpfungsfrömmigkeit heißt das: Früher als alle (Dinge) ist die Weisheit geschaffen worden, und die Einsicht der Vernunft (σύνεσις φρονήσεως) (ist) von Ewigkeit her. (1,4)

Allerdings löst diese allen Menschen zugängliche Einsicht und die daraus für sie abgeleitete Verantwortung vor Gott für Ben Sira keineswegs die besondere, ja einzigartige Beziehung auf, in der sich dieser Gott an sein erwähltes Volk Israel gebunden hat. Sie zeigt sich in der Gabe der Tora an Israel, auf die letztlich die Einstiftung der präexistenten und transzendenten Weisheit durch Gott in die von ihm erschaffene Welt hinausläuft. Nach Sir 24 tritt die personalisiert vorgestellte Weisheit in der Versammlung des Höchsten auf und lobt sich selbst. Aus dem Mund des Höchsten hervorgegangen durchdringt sie seine Schöpfung auf ewig. Aber in Jakob soll sie nach dem Willen des Schöpfers ihr Zelt aufschlagen und Israel ein stetiges Erbe haben (24,8). So ruft sie allen zu, die nach ihr suchen: Wer auf mich hört, wird nicht beschämt werden, und diejenigen, die durch mich wirken, werden nicht sündigen. (24,22)

Und der Weisheitslehrer kommentiert: Diese alle: Das Buch des Bundes des höchsten Gottes, das Gesetz, das uns Mose geboten hat, ein Erbe für die Gemeinden Jakobs. (24,23)63

Am weitesten vielleicht geht Ben Sira auf stoische Anschauungen zu Gott und Natur ein. Sein großartiges Lehrgedicht von der Herrlichkeit der Schöpfung Gottes (42,15–43,33) mündet in die Einsicht: Vieles werden wir sagen, und nicht können wir an ein Ende kommen, und die Summe der Worte (ist): „Das All ist er selbst.“ (τὸ πᾶν ἐστιν αὐτός) (43,27)64

Bei aller positiven Anknüpfung und gegenseitigen Befruchtung zwischen dem Denken Ben Siras und der stoischen Philosophie 65 bleibt aber die Grenze zwischen biblischem Schöpfungs- und Gottesverständnis und stoischem Pantheismus auch hier klar markiert, wie Ben Sira unmittelbar anschließend betont: 62 Zum Vergleich der Ethik bei Ben Sira mit der stoischen Ethik vgl. OTTO KAISER, Des Menschen Glück und Gottes Gerechtigkeit. Studien zur biblischen Überlieferung im Kontext hellenistischer Philosophie, Tria Corda 1, Tübingen 2007, 1–51. 63 Vgl. KAISER, a.a.O., 49: „So setzt der biblische Erwählungsglaube für Ben Sira eine Grenze, die ihn hindert, die stoische Logoslehre in ihrer ganzen Konsequenz zu übernehmen.“ 64 Vgl. HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 52), 266: „Der Zeushymnus des Kleanthes hätte mit kleinen Änderungen auch aus der Hand des Siraciden stammen können.“ 65 HENGEL, a.a.O., 268, verweist darauf, dass die Stoa selbst ihren Ursprung in einem semitischen Milieu hatte und demnach „die jüdische Aufnahme stoischer Gedanken von Ben Sira und Aristobul … bis Philo eine orientalische Rück-interpretation“ darstelle.

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Fürwahr, er selbst ist der Größere im Vergleich mit allen seinen Werken. Furchterregend ist der Herr und sehr groß, und wunderbar ist seine Herrschaft. (43,28f.)66

3.1.3 Die Sapientia Salomonis Urteilt man anhand der Formen, Themen und Argumentationsweisen der Schulphilosophie, dann kann die Sapientia Salomonis nicht als philosophische Schrift bezeichnet werden. Literarische Gattung und poetische Form verbinden sie demgegenüber eng mit der biblisch-jüdischen Weisheitsliteratur.67 Anstelle von ausgeführten philosophischen Argumentationen dominieren weisheitliche Argumentationsformen wie Mahn- und Lehrreden, Spruchgruppen, Bildworte oder kleine Beispielerzählungen. Auch das Philosophieverständnis der Schrift deutet eher auf eine implizite Distanzierung von der philosophischen Tradition. Die Wortgruppe φιλοσοφ- fehlt in der Sapientia. An ihrer Stelle steht eine vielfältig variierte Weisheitsterminologie, die freilich Begriffe in sich integriert, die auch in der zeitgenössischen Philosophie verbreitet sind. Damit sind die positiven Verbindungen zur philosophischen Tradition der Zeit berührt. Sowohl in der Begrifflichkeit als auch bei der Auswahl von Themen und ihrer Entfaltung zeigt sich der Autor intellektuell auf der Höhe seiner Zeit.68 Zwar sind die Stoffe, die er seinem Werk zugrunde legt, aus biblischer

66

Weitere Berührungen zwischen Ben Sira und der stoischen Philosophie behandelt KAIDes Menschen Glück (Anm. 62), 96–112 (zu Sir 39,12–35 und dem Gedanken der göttlichen Vorsehung), 146–167 (zu Sir 36,7–15; 40,1–17; 42,15–43,33 zu göttlicher Freiheit und menschlicher Verantwortung). 67 Zu den Einleitungsfragen vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Einführung in die Schrift, in: DERS., Sapientia Salomonis (Anm. 1), 3–37 [in diesem Band 457–491] (dort weitere Literatur); vgl. auch SIEGERT, Einleitung (Anm. 56), 544–560, sowie den neuesten Kommentar von LUCA MAZZINGHI, Weisheit, IEKAT, Stuttgart 2018, 19–44. 68 Zur Frage philosophischer Einflüsse in der Sapientia vgl. den instruktiven Forschungsbericht von NEHER, Wesen und Wirken der Weisheit (Anm. 34), 164–180, mit Verweis auf die wichtigsten Stationen: PAUL HEINISCH, Die griechische Philosophie im Buche der Weisheit, ATA I/4, Münster 1908; JOHANNES FICHTNER, Weisheit Salomos, HAT 6, Tübingen 1938; CHRYSOSTOME LARCHER, Études sur le livre de la Sagesse, Paris 1969; JAMES M. REESE, Hellenistic Influence on the Book of Wisdom and its Consequences, AnBib 41, Rome 1970. Grundsätzlich gegen eine Dichotomie von Philosophie und Religion auch mit Blick auf die Sapientia argumentiert zu Recht KLOSTERGAARD PETERSEN, Dissolving the Philosophy-Religion Dichotomy (Anm. 48), 194–197, aber auch er hält diese Schrift im Vergleich mit 4Makk und Philon für „the least ‚philosophical‘ book“ (194). Zum Logos-Konzept der Sapientia im Vergleich mit Stoa und Mittelplatonismus vgl. JOHAN C. THOM, Sophia as Second Principle in Wisdom of Solomon, in: JOHANN COOK/MARTIN RÖSEL (Hg.), Towards a Theology of the Septuagint: Stellenbosch Congress on the Septuagint, 2018, SBLSCS 74, Atlanta 2020, 263–275. Zum Verhältnis von philosophischer Tradition und jüdischer Tora in der Sapientia vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum, in diesem Band 15–100: 72–74. SER,

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Tradition entnommen, angefangen bei der Salomo-Überlieferung über die Rezeption der Genesis bis hin zur ausführlichen Interpretation der Exodus-Geschichte. Aber ihre Reflexion und sprachliche Ausgestaltung erfolgt z.T. mit Hilfe dezidiert philosophischer Begrifflichkeit, die durchaus kundig und wendig philosophische Topoi aufgreift, um sie der Aussageabsicht der Schrift dienstbar zu machen. Wenn man den erweiterten Philosophiebegriff der späthellenistischen und römischen Zeit in Rechnung stellt, nach welchem zunehmend religiöse Themen und Fragen in die Philosophie integriert und die klassischen Gattungen philosophischer Literatur aufgebrochen worden sind, wird man ihr auch die Sapientia Salomonis mit guten Gründen zuordnen können. An einigen Beispielen soll die Rezeption philosophischer Terminologie etwas ausführlicher illustriert werden. Weish 1,16–2,24: Die Gottlosen und der Gerechte Gleich in der ersten Rede an seine Herrscherkollegen verankert König Salomo, der fiktive Sprecher, seine Mahnungen in zentralen theologischen, erkennbar biblisch kolorierten Grundaussagen: Gott hat das All geschaffen, hält es zusammen und sucht es heim mit seiner überführenden Gerechtigkeit (1,7– 10.14). Den Tod dagegen hat er nicht geschaffen und auch nicht gewollt (1,13); er kam vielmehr durch den Neid des Teufels in die Welt (2,24), und die Menschen ziehen ihn sich selbst zu (1,12.16), wenn sie den Plänen der Gottlosen folgen und „Gesetzesverstöße“ (ἀνομήματα) begehen, die dem „eifersüchtigen Ohr“ (οὖς ζηλώσεως) Gottes nicht verborgen bleiben können (1,9f.). Gegen dieses „Gift des Verderbens“ (φάρμακον ὀλέθρου) gibt es nur ein Mittel, um nach dem Willen Gottes zum Heil zu gelangen, die Gerechtigkeit nämlich, die unsterblich ist und zur Unsterblichkeit führt (1,14f.).69 Die Gegenposition zu dieser durchaus jüdischen Grundhaltung der Treue zu Gottes Willen entwickelt der Verfasser anschließend in einer Rede über Gottlose und Gerechte, in der er zunächst die Position der Gottlosen ausgiebig wiedergibt (2,1–20). Sie wissen, dass ihr irdisches Leben kurz und vergänglich ist und nach dem Tod nichts von ihnen bleibt (2,1–5). Daraus ziehen sie den Schluss, es in vollen Zügen zu genießen (2,6–9) und dabei keinerlei Rücksicht zu nehmen auf sozial Bedürftige, sondern ungehemmt dem Gesetz des Stärkeren zu folgen (2,10f.). Den daraus resultierenden Konflikt mit dem Gerechten (2,12), der ihnen unter Berufung auf Gott ihr Fehlverhalten vorhält (2,12. 14.16), meinen sie nur durch dessen Beseitigung bestehen zu können (2,19f.). Dann dürfte sich nämlich erweisen, dass dessen Selbstverständnis als Knecht Gottes (παῖς κυρίου, 2,13), der Gott seinen Vater nennt (2,16), nur fromme Einbildung war (2,17f.).

69

Gerechtigkeit bildet eine inclusio um die erste Mahnrede, vgl. δικαιοσύνη in 1,1.15.

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Vergleicht man die hier polemisch überzeichnete Position der Gottlosen mit zeitgenössischen Lebenseinstellungen und ethischen Grundsätzen, 70 wie sie in philosophischen Diskursen zur Sprache kommen, dann werden partielle Übereinstimmungen, aber auch wesentliche Differenzen sichtbar. Aussagen zur Vergänglichkeit menschlichen Lebens und zur Endgültigkeit des Todes könnten an Positionen epikureischer Philosophie erinnern, ebenso wie die offenbar von den Gottlosen vertretene Überzeugung, dass das Vertrauen auf Gottes Vorsehung und Heimsuchung nur fromme Illusion sei. Das Motiv von der Seele, die nach dem Tod wie ein Hauch oder Rauch verfliegt (2,3f.), verwendet schon Platon, an den Lukrez in De rerum natura mit ähnlichen Bildern anknüpft. 71 Von der Zufälligkeit und Perspektivlosigkeit alles Gewordenen (2,2) und der menschlichen Existenz geht der Epikureismus aus: … Vergängliches darf im Wechsel nur leben. Hintereinander steigen und sinken die Menschengeschlechter. Innerhalb kurzer Fristen wechseln die Generationen, reichen, wie Staffelläufer, die Fackeln des Lebens stets weiter. (2,76–79)72

Epikur selbst lehrte ja schon, dass der Mensch sich um den Tod keine Sorgen zu machen braucht, da er ihn nicht erlebt. 73 Die ethischen Konsequenzen, die im Epikureismus aus einer solchen Lehre von der Natur des Alls und der Menschen gezogen wurden, sind freilich geradezu das Gegenteil von dem Hedonismus, der nach Weish 2,6–9 den Gottlosen zugeschrieben wird. Wenn auch Lukrez etwa durchaus anschaulich und farbig die Freuden des Lebens schildern kann, mit üppigen nächtlichen Mahlzeiten im goldenen Schloss und Saitenspiel, mit Ausflügen im Freundeskreis zu schattigen Ufern am Bach, mit vergnüglichen Erholungen der Jugend auf blühenden Wiesen im Frühling, so führt ihn dieses geradezu schwärmerische Idyll am Ende doch nur zu der nüchternen Feststellung: Dörrende Fieberglut auch verlässt nicht früher den Körper, wenn man auf purpurnen Pfühlen ruht und bestickten Geweben, statt mit der Decke des einfachen Manns sich begnügen zu müssen. (2,34–36)

Denn nur eines fordert die Natur und ganz grundsätzlich gilt:

70

Vgl. dazu ausführlicher OTTO KAISER, Anweisungen zum gelingenden, gesegneten und ewigen Leben. Eine Einführung in die spätbiblischen Weisheitsbücher, ThLZ.F 9, Leipzig 2003, 102–109. 71 Platon, Phaidon 70a.77b; Lukrez, De rerum natura 3,421–439. 72 Übersetzung nach DIETRICH EBENER, Lukrez. Vom Wesen des Weltalls, Berlin 1994. 73 Epikur, Brief an Menoikeus, bei Diogenes Laertius X 125 (s.o., 109).

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Völliges Freisein des Körpers von Schmerzen und angenehm-heitre, frohe Empfindung des Geistes, fern jeglicher Furcht und Besorgnis. Weniges folglich benötigt im ganzen, wir sehen es, unser Körper: Nur jenes, was ihn zu befreien vermag von den Schmerzen. (2,18–21)74

Offenbar setzt sich die Sapientia in ihrer Polemik gegen den hedonistischen Lebensstil der Gottlosen also nicht mit dem Epikureismus selbst auseinander, sondern folgt eher stoisch oder platonisch gefärbter antiepikuräischer Polemik. Damit wird deutlich, dass sie sich nicht in einem philosophischen Diskurs mit abweichenden Lehrmeinungen positioniert, sondern zu einer Lebenshaltung ermahnen will, deren Grundlage die jüdische Religion bietet. Natürlich schließt das nicht aus, sich auch bei philosophischen Motiven und Argumenten zu bedienen, wenn diese für die eigene Intention geeignet erscheinen. Aber das religiöse Anliegen der schroffen Gegenüberstellung von Gerechten und Gottlosen wird bestimmt und gelenkt durch die Glaubensperspektive auf „Gottes Hand“, in der die Seelen der Gerechten ruhen (3,1), auf die „Unsterblichkeit“, auf die sie ihre Hoffnung setzen (3,4), und auf Gottes Willen, dem sie in ihrem irdischen Lebenswandel treu bleiben sollen (3,9). Weish 2,23–3,9: Leib – Seele – Geist – Unsterblichkeit Ebenfalls noch zur Gegenüberstellung von Gottlosen und Gerechten im Rahmen der ersten Mahnrede der Schrift gehören Aussagen über die Erschaffung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes und über seine Unvergänglichkeit bzw. Unsterblichkeit: Denn Gott hat den Menschen geschaffen zur Unvergänglichkeit, und zum Bild seiner eigenen Ewigkeit gemacht. (2,23)75

Deutlich schwingen hier Bezugnahmen auf biblische Aussagen zur Gottebenbildlichkeit des Menschen mit, die im Frühjudentum breit rezipiert worden sind.76 Frühjüdische Endzeiterwartungen, wie sie im Blick auf das Völkerge-

74

EBENER, Lukrez (Anm. 72), 55f. Übersetzungen aus der Sapientia Salomonis hier und im Folgenden nach HEINZ-GÜNTHER NESSELRATH, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 1), 40–111. 76 Vgl. Gen 1,27; Ps 8,6f.; Sir 17,3. Umfassende Nachweise zur Rezeption der Schöpfungsaussagen aus Gen 1f. bietet die leider unveröffentlicht gebliebene Dissertation von BERNDT SCHALLER, Gen.1.2 im antiken Judentum (Untersuchungen über Verwendung und Deutung der Schöpfungsaussagen von Gen.1.2 im antiken Judentum), Diss. Theol. Göttingen 1961; vgl. auch STEFANIE LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept. Semantische Analysen zur Sapientia Salomonis, zu Philo und den Paulusbriefen, WUNT II/250, Tübingen 2008, 21–137. 75

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richt und die Herrschaft der Gerechten über die Nationen (3,8) ebenso laut werden wie in der Hoffnung über den Tod hinaus (3,1.4f.7), finden sich besonders im Danielbuch und in den Makkabäerbüchern. 77 Gleichzeitig taucht aber in der Sapientia eine anthropologische Terminologie auf, die nicht mehr allein von biblischen Texten gespeist ist, sondern griechische philosophische Konzeptionen zumindest anklingen lässt. Das zeigt sich schon am Vokabular. Typisch sind Abstrakta mit α-privativum und der Endung -ία wie ἀθανασία und ἀφθαρσία, die außerhalb der Sapientia Salomonis in der Septuaginta nur in den Makkabäerbüchern und dem griechischen Sirach vorkommen, umso häufiger aber bei Philon. Darüber hinaus haben die Aussagen über den Menschen durchaus reflektierenden, wenn auch nicht im engeren Sinne philosophisch argumentierenden Charakter. Wenn in Weish 2,23 der Mensch nach dem Bild von „Gottes eigener Ewigkeit“ bzw. „seinem eigenen Wesen gemacht“ ist (εἰκόνα τῆς ἰδίας ἀϊδιότητος ἐποίησεν αὐτόν), dann wird damit eine abstrakte Feststellung getroffen, die deutlich über den Wortlaut der Schrift hinausgeht. Der Hauptakzent des Verses liegt hier, wie der Vergleich mit Gen 1,26 zeigt, nicht mehr auf der biblisch vorgegebenen Gottebenbildlichkeit des Menschen, sondern auf seiner Erschaffung zur Unvergänglichkeit. Es ist dieser Gedanke, der im Folgenden entfaltet wird, wenn den Seelen der Gerechten Bewahrung in Gottes Hand (3,1), Frieden (3,3) und Unsterblichkeit (3,4) zugesprochen wird, die der „Ewigkeit“ bzw. „Eigenheit“ (ἀϊδιότης) Gottes entspricht. 78 Offenbar ist hier nicht, wie in Dan 12,2, an eine leibliche Auferstehung der Toten gedacht, sondern an das unsterblich Bleiben ihrer Seelen über den leiblichen Tod hinaus, allerdings nur der Seelen der Gerechten. Die Gottlosen dagegen werden, „wenn sie jäh sterben … keine Hoffnung haben“ (3,18), genau wie es ihrem eigenen Denken entspricht (3,10). 79 Bevor hinter solchen Aussa-

77 Vgl. Dan 7,27; 12,3. Zu ἀθανασία in der frühjüdischen Literatur vgl. 4Makk 14,5; 16,13; 18,23 (ἀθάνατοι); Philo passim; Josephus, Ant 12,282; in Weish noch 4,1; 8,13.17; 15,3. 78 Zum textkritischen Problem in 2,23 vgl. HEINZ-GÜNTHER NESSELRATH, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 1), 114, Anm. 40. Vgl. auch 5,15: „Die Gerechten aber leben in Ewigkeit.“ Zum Thema Unvergänglichkeit und Unsterblichkeit in der Sapientia vgl. noch MAREIKE V. BLISCHKE, Die Eschatologie in der Sapientia Salomonis, FAT II/26, Tübingen 2007, 107–114; JOHN J. COLLINS, Wisdom and Immortality, in: DERS., Jewish Wisdom in the Hellenistic Age, Louisville 1997, 178–195. 79 Vgl. 2,1–5; 4,8–13. Ein schönes Beispiel, wie etwa zu gleicher Zeit mit Hilfe explizit platonischer Argumente das Problem des Todes im Blick auf die Unsterblichkeit der Seele bewältigt werden konnte, bietet der Axiochos des Pseudo-Platon, vgl. MÄNNLEIN-ROBERT, Ps.-Platon: Über den Tod (Anm. 7), 3–41, bes. Axiochus 365e–366a (a.a.O., 47): „Wir sind nämlich Seele, ein unsterbliches Lebewesen eingeschlossen im sterblichen Gefängnis; diese Hülle hier hat die Natur zu unserem Nachteil rings um uns herum gelegt …“.

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gen philosophisch reflektierte Lehrmeinungen über den Tod und die Unsterblichkeit der Seele vermutet werden, ist aber zunächst festzuhalten, dass der Sprachgebrauch der Sapientia in dieser Hinsicht außerordentlich vielfältig und wenig präzise ist.80 So kommen schon in 1,4–6 zwar Seele, Leib und Geist in unmittelbarem Zusammenhang miteinander vor. Allerdings lässt sich daraus keine auch nur ansatzweise systematisierte Anthropologie oder Seelenlehre ableiten. Die Seele ist genauso wie der Leib (parallelismus membrorum!) derjenige Ort im Menschen, wo Weisheit abwesend ist, wenn der Mensch Böses plant (1,4). Der von Bildung bestimmte heilige Geist (ἅγιον πνεῦμα παιδείας) des Menschen folgt dagegen der Tugend, geleitet von der Weisheit als menschenfreundlichem Geist (φιλάνθρωπον πνεῦμα, 1,5f.).81 Ganz entsprechend wird in der Sapientia auch nicht bloß den Seelen der Gerechten Unsterblichkeit zugesprochen (3,4), sondern ebenso ihrer Tugend (4,1), und in 1,15 wird, nachdem allen Geschöpfen eine Heilsperspektive eröffnet wurde, behauptet: „die Gerechtigkeit ist ja unsterblich“. 82 Andererseits heißt es in 1,11: „ein Mund aber, der Lügen verbreitet, tötet die Seele“ (ἀναιρεῖ ψυχήν), und in 16,14: „ein Mensch aber kann zwar töten durch seine Schlechtigkeit, den ausgefahrenen Geist (ἐξελθὸν πνεῦμα) aber nicht zurückbringen und nicht befreien die (von der Unterwelt) übernommene Seele“ (ψυχὴν παραλημφθεῖσαν). Nach 7,1 ist jeder auf Erden geborene Mensch als Nachkomme „des aus Erde Entstandenen, des Erstgeformten“ sterblich (θνητός), der König ebenso wie jedes hilflose Neugeborene. 83 Sehr plastisch, geradezu ‚biologisch‘, wird in 7,1–6 die Entstehung des Fötus im Mutterleib beschrieben, bevor das Neugeborene beim ersten Atemzug auf die Erde fallend „als ersten Laut … ein Weinen“ ausstößt. Von einer Seele, die ihm bei der Geburt eingehaucht worden

80

Vgl. zum Seelenverständnis der Sapientia auch BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 78), 65–67. 81 Vgl. Weish 7,7: „Deswegen betete ich, und verständiges Denken wurde mir gegeben; ich rief (Gott) an, und es kam mir der Geist der Weisheit (πνεῦμα σοφίας).“ 82 Vgl. dazu LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept (Anm. 75), 36: „Die Gottebenbildlichkeit ist … ethisch fundiert. … Unsterblichkeit, ἀθανασία, und Unvergänglichkeit, ἀφθαρσία, lassen sich also beide semantisch beschreiben als ‚schöpfungsgemäße Anteilhabe des gottebenbildlichen Menschen an der unvergänglichen Gerechtigkeit Gottes, die sich nach dem körperlichen Tod im ewigen, friedvollen Sein bei Gott und der Teilhabe an seiner eschatologischen Herrschaft erweist‘.“ 83 Vgl. dazu EBERHARD BONS, Beobachtungen zum anthropologischen Vokabular von Weish 7,1–6 (θνητὸς ἄνθρωπος, εἴσοδος und ἔξοδος), in: SIEGFRIED KREUZER/MARTIN MEISER/MARCUS SIGISMUND (Hg.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 144–154.

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ist, was im Rahmen biblisch-anthropologischer Vorstellungen ja durchaus naheliegend wäre, 84 ist hier keine Rede, vielmehr nur von der „(allen) gemeinsame(n) Luft“ (κοινὸν ἀέρα, 7,3).85 In 8,19f. bekennt dagegen der König: Ein Kind aber war ich mit guter Anlage und hatte eine gute Seele erhalten (ψυχῆς τε ἔλαχον ἀγαθῆς), vielmehr aber: als guter war ich in einen unbefleckten Leib (σῶμα ἀμίαντον) gekommen.

Und in 9,15 heißt es: Ein vergänglicher Körper beschwert ja die Seele (φθαρτὸν γὰρ σῶμα βαρύνει ψυχήν), und es drückt die Behausung aus Erde (τὸ γεῶδες σκῆνος) nieder den Geist (νοῦς), der vieles sinnt.86

An keiner dieser Stellen in der Sapientia wird auch nur ansatzweise etwas von einer philosophisch reflektierten Anthropologie oder Psychologie sichtbar, wie sie sich überaus differenziert in der platonischen ebenso wie in der stoischen Tradition entwickelt hatte und etwa auch von Philon rezipiert werden konnte. 87 Ebenso wenig können ihre Aussagen freilich mit der epikureischen Philosophie verbunden werden, nach welcher die Seele als Organ der Sinneswahrnehmungen an den Organismus gebunden ist und sich mit dessen Tod auflöst. 88 Auch von einer „Krankheit der Seele“ oder gar von ihrem Tod, wie es von Stoikern gelehrt und ebenfalls von Philon gelegentlich aufgenommen werden konnte, 89

84 Vgl. Gen 2,7 LXX: „Und Gott formte den Menschen als Aufwurf von der Erde (χοῦν ἀπὸ τῆς γῆς) und blies in sein Angesicht Lebensatem (πνοὴν ζωῆς), und der Mensch wurde eine lebende Seele (εἰς ψυχὴν ζῶσαν).“ 85 Anders dagegen 15,11: „denn er (sc. der törichte Götzenbildner) hat den nicht erkannt, der ihn formte und der ihm einhauchte eine tätige Seele (ψυχὴν ἐνεργοῦσαν) und der (ihm) einblies lebendigen Geist (πνεῦμα ζωτικόν)“. 86 Vgl. dazu WOLFGANG WERNER, „Denn Gerechtigkeit ist unsterblich.“ Schöpfung, Tod und Unvergänglichkeit nach Weish 1,11–15 und 2,21–24, in: GEORG HENTSCHEL/ERICH ZENGER (Hg.), Lehrerin der Gerechtigkeit. Studien zum Buch der Weisheit, EThS 19, Leipzig 1990, 26–61: 38–50. 87 Zur stoischen und platonischen Seelenlehre vgl. LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 373–385; FORSCHNER, Die stoische Ethik (Anm. 4), 123–141; FRIEDO RICKEN, Art. Seele, HWP 9, 1995, 1–11; DERS., Art. Unsterblichkeit, HWP 11, 2001, 276–281. 88 Epikur, Epistula ad Herodotum 63–67; Lukrez, De rerum natura 3,624–633; vgl. dazu LONG/SEDLEY, Die hellenistischen Philosophen (Anm. 1), 76–84. Nach Josephus, Bell 2,163–165, wurde die Unsterblichkeit der Seelen, verbunden mit der Seelenwanderungsvorstellung, auch von den Pharisäern vertreten, während die Sadduzäer der epikureischen Lehre von der Vergänglichkeit der Seelen mit dem Tod folgten. 89 Zenon nach Diogenes Laertius 7,115; Chrysipp nach Cicero, Tusculanae disputationes 4,23–29; Seneca, Epistulae morales 75,10–15; vgl. dazu DIETER ZELLER, Leben und Tod der Seele in der allegorischen Exegese Philo’s. Gebrauch und Ursprung einer Metapher, in: DERS., Studien zu Philo und Paulus, BBB 165, Göttingen 2011, 55–99: 89f.

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findet sich in der Sapientia keine Spur. Stattdessen lassen sich viele der zitierten Wendungen eher auf Formulierungen der Septuaginta zurückführen, ohne dass damit die Aussagen der Sapientia über den Menschen, seine Seele, seinen Geist oder die Unsterblichkeit dezidiert von nichtjüdischen philosophischen Vorstellungen oder Ausdrucksweisen abgegrenzt würden. Was die Sapientia über den Menschen und seine Seele zu sagen hat, kann daher vielleicht am besten als „Wiedergabe eines biblischen Sachverhaltes mit platonisch-philosophischen Termini“ charakterisiert werden. 90 Weish 7,15–30: Gottes Schöpfung und die Weisheit In größter Dichte lassen sich philosophische Anklänge und Stichwörter innerhalb der Sapientia zweifellos in der Lobrede Salomos auf die Weisheit identifizieren (6,22–8,16), näherhin in einer zwischen zwei eher autobiographische Abschnitte über die Begegnung des Königs mit der Weisheit eingeschalteten Passage, die Züge eines Enkomions auf die Weisheit trägt (7,22–8,1). Bevor allerdings diese Sätze in den Zusammenhang zeitgenössischer philosophischer Diskurse gerückt werden, ist ihre literarische Einbindung in den Kontext der Sapientia und ihre damit verbundene Aussageintention zu beleuchten. Thema der Lehrrede Salomos an seine Herrscherkollegen sind, wie die formvollendete Redeeinleitung in 6,22–25 klar zu erkennen gibt, Ursprung und Wesen der Weisheit als Grundlage verständiger und erfolgreicher Königsherrschaft. 91 In einem Rückblick auf seine persönliche Bekanntschaft mit der Weisheit von Jugend auf stellt der König sich selbst als vorbildlich dar (7,1–14), insbesondere darin, dass er Weisheit von Gott erbeten und allem irdischen Wohlstand vorgezogen hat (7,7f.15f.). Die erste und wichtigste Erkenntnis Salomos, die er seinen Mitherrschern weitergeben will, besteht also darin, dass die Weisheit Gabe Gottes ist, der als „der Weisheit Weggeleiter und der Weisen Verbesserer“ zu gelten hat (7,15). Wenn also in den folgenden Sätzen (7,16–21) von der untrüglichen Erkenntnis der seienden Dinge (τῶν ὄντων γνῶσιν ἀψευδῆ) und von der Zusammensetzung der Welt und dem Wirken der Elemente (σύστασιν κόσμου καὶ ἐνέργειαν στοιχείων), von Anfang, Mitte und Ende der Zeiten und vom Wechsel der Sonnenwenden und den Änderungen der Jahreszeiten die Rede ist, dann handelt es sich dabei nicht um ein philosophisches Lehrstück De natura, sondern der Text besagt zunächst einmal nicht mehr, als dass Erkenntnis der Schöpfung bei dem zu suchen ist, der sie 90 So WERNER, „Denn Gerechtigkeit ist unsterblich.“ (Anm. 86), 40, im Blick auf Weish 8,19f. Bezüge der Sapientia zur platonischen Philosophie betont auch KLOSTERGAARD PETERSEN, Dissolving the Philosophy-Religion Dichotomy (Anm. 48), 196f. 91 Zu Weish 7,1–9,18 auf dem Hintergrund hellenistischer Königsideologie mit besonderem Blick auf Platons Politeia vgl. MOYNA MCGLYNN, Solomon, Wisdom and the Philosopher-Kings, in: GÉZA G. XERAVITS/JÓZSEF ZSENGELLÉR (Hg.), Studies in the Book of Wisdom, JSJ.S 142, Leiden/Boston 2010, 61–81: 72–77.

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gemacht hat, und zwar in der Grundhaltung des erwartungsvollen Gebets. 92 Dafür sprechen nicht nur die zahlreichen Motive, die an den beschreibenden Lobpreis der Schöpfung in der biblischen Weisheitsliteratur erinnern, 93 sondern vor allem der Verweis am Ende des Abschnitts auf die kunstvolle Gestalterin (τεχνῖτις) der Schöpfung Gottes, die Weisheit (7,21). Auch der Schlussabschnitt der Rede (7,28–8,1) lässt sich am besten als biblisch geprägter Lobpreis der Weisheit aus der Betrachtung der Schöpfung verstehen – oder auch umgekehrt als Lobpreis der Schöpfung aus dem Geist der biblischen Weisheit. Jedenfalls herrschen hier Motive vor, die in biblischen und frühjüdischen Schöpfungstexten weit verbreitet sind: Gott liebt die Weisheit, die schöner ist als die Sonne und strahlender als jedes Licht (7,29), die sich von Ende zu Ende voller Kraft erstreckt und das All in guter Weise verwaltet (8,1). Anders verhält es sich allerdings mit dem Redeabschnitt 7,22–8,1. Hier wechselt nicht nur die Redeform von der eines autobiographischen Rückblicks zu einer Aretalogie auf die Weisheit. In dem rhetorisch und stilistisch sorgfältig durchgestalteten Katalog von Prädikaten der Weisheit sind auch dezidiert philosophische Begriffe zusammengestellt, die sich in solcher Dichte und Anzahl nirgendwo sonst in der frühjüdischen Literatur finden. Nun lässt allerdings schon die Form der katalogartigen Aufzählung von Prädikaten der Weisheit erkennen, dass die Hauptintention der Passage nicht bei der philosophischen Argumentation liegt, sondern eher bei einer meditativ-reflexiven Besinnung auf das Wesen der Weisheit. Das gilt insbesondere für die unverbundene Aneinanderreihung von Einzelwörtern in V. 22b–23a („einzig-artig, viel-teilig, fein, leicht beweglich, durchdringend, unbefleckt, klar, unverletzlich, das Gute liebend, scharf, unbehindert, wohltätig, menschenfreundlich, fest, sicher, unbekümmert“).94 Zwar ließen sich für die meisten der hier fallenden Begriffe auch Parallelen aus der philosophischen Literatur heranziehen, 95 aber der Text als ganzer lebt nicht von genau definierten Begriffen, sondern eher von ihrer Anhäufung nach Art eines Clusters. Immerhin erinnern die Wendungen in V. 23b, die (immer noch) auf den denkenden Geist (πνεῦμα νοερόν, V. 22a) zurückverweisen, unverkennbar an 92 Zu den Schöpfungsaussagen in der Sapientia auf dem Hintergrund von kosmologischen Konzepten in der hellenistischen Philosophie mit besonderem Blick auf Weish 11,17 und 19,18 vgl. ANGELO PASSARO, Cosmology and Music. Wis 19:18 and the Concept of Creation in the Book of Wisdom, in: XERAVITS/ZSENGELLÉR, Studies in the Book of Wisdom (Anm. 91), 101–123: 105–115. 93 Vgl. Ps 104; Jes 40,12–26; Hiob 36,22–37,24; 38. 94 Der „Geist, der denkt“ (πνεῦμα νοερόν), der in der σοφία gegenwärtig ist, wird mit 7 x 3 = 21 Prädikaten beschrieben. 95 Nachweise bei DAVID WINSTON, The Wisdom of Solomon, AncB 43, New York 21981, 178–183; OTTO KAISER, Die Weisheit Salomos. Übersetzt, eingeleitet und durch biblische und außerbiblische Parallelen erläutert, Stuttgart 2010, 102–107.

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stoische πνεῦμα-Vorstellungen: „und durch alle Geister sich bewegend“ (διὰ πάντων χωροῦν πνευμάτων), „die denkenden, reinen, überaus feinen“ (λεπτοτάτων). Mit dem Subjektwechsel in V. 24 tritt die Weisheit dann unmittelbar in den Blick, ohne dass sich zunächst die stoisch klingende Terminologie ändert: Beweglicher als jede Bewegung (πάσης κινήσεως κινητικώτερον) ist ja die Weisheit, sie dringt und geht durch alles (διήκει δὲ καὶ χωρεῖ διὰ πάντων) aufgrund ihrer Reinheit.

Die folgenden Sätze in V. 25f. sind aber von einem transzendenten Gottesverständnis geprägt, das sich mit stoischen Vorstellungen von der Natur kaum noch in Einklang bringen lässt: ein Hauch ja ist sie der Macht Gottes (ἀτμὶς τῆς τοῦ θεοῦ δυνάμεως) und ein Ausfluss der Herrlichkeit des Allherrschers (ἀπόρροια τῆς τοῦ παντοκράτορος δόξης), ein reiner; deshalb fällt nichts Beflecktes auf sie. Ein Abglanz ist sie ja des ewigen Lichtes (ἀπαύγασμα ἐστιν φωτὸς ἀιδίου) und ein makelloser Spiegel des Wirkens Gottes und ein Bild seiner Güte (εἰκὼν τῆς ἀγαθότητος αὐτοῦ).

Schließlich geht der Gedankengang am Ende wieder in biblisch klingende Wendungen über, wenn es heißt, die Weisheit gehe auf heilige Seelen über und rüste Freunde Gottes und Propheten aus (V. 27). Um die Beziehungen der hier zitierten Wendungen und Aussagen zu philosophischen Strömungen der Zeit ist eine umfangreiche Debatte geführt worden, die hier nicht nachgezeichnet werden soll. 96 Sie läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass philosophische Einflüsse auf den Autor unserer Schrift unverkennbar sind, dass gleichwohl sein Anliegen in erster Linie darin bestand, die Adressaten seiner Schrift auf der geistigen Höhe der Zeit für ein Leben nach den Grundsätzen jüdischer Überlieferung und den Maßstäben der Tora zu gewinnen. Sein biblisch begründetes Gottesverständnis, seine aus der Tora hergeleiteten Lebensmaximen und seine auf das Endgericht ausgerichteten Zukunftserwartungen erweisen sich durchweg als bestimmend für die theologische Orientierung und die literarische Gestaltung des Werkes. Dem sind auch die philosophischen Einschläge untergeordnet.

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Ausführlicher dazu NEHER, Wesen und Wirken der Weisheit (Anm. 34), 107– 121.164–240. Vgl. auch HELMUT ENGEL, „Was Weisheit ist und wie sie entstand, will ich verkünden.“ Weish 7,22–8,1 innerhalb des ἐγκώμιον τῆς σοφίας (6,22–11,1) als Stärkung der Plausibilität des Judentums angesichts hellenistischer Philosophie und Religiosität, in: HENTSCHEL/ZENGER, Lehrerin der Gerechtigkeit (Anm. 86), 67–102; HANS HÜBNER, Die Sapientia Salomonis und die antike Philosophie, in: DERS. (Hg.), Die Weisheit Salomos im Horizont Biblischer Theologie, BThSt 22, Neukirchen-Vluyn 1993, 55–81; JOHN J. COLLINS, Wisdom and the Cosmos, in: DERS., Jewish Wisdom in the Hellenistic Age (Anm. 77), 196–221.

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Damit kann die Stellung der Sapientia im Kontext hellenistisch-römischer Philosophie zusammenfassend gewürdigt werden. Geht man von den Formen, Themen und Argumentationsweisen der Schulphilosophie aus, ist die Sapientia keine philosophische Schrift. Ihre literarische Gattung und ihre poetische Form verbindet sie mit der biblisch-jüdischen Weisheitsliteratur. Verglichen mit jüdisch-hellenistischen Autoren bzw. Werken wie Aristobulos, Philon oder dem 4. Makkabäerbuch ist die Sapientia weder Dialog noch Lehrrede noch philosophischer Traktat. Ebenso wenig lassen sich ausgeführte philosophische Argumentationen in ihr nachweisen. Es dominieren weisheitliche Argumentationsformen wie Mahn- und Lehrsprüche oder -spruchgruppen, Bildworte, kleine Beispielerzählungen gegenüber der argumentativen Darlegung von Thesen, wie sie für Philon oder das 4. Makkabäerbuch typisch sind. Andererseits sind Verbindungen zur philosophischen Tradition der Zeit unübersehbar. Das Bildungsniveau des jüdischen Autors ermöglichte es ihm, philosophische Diskurse wenigstens rezeptiv wahrzunehmen und Begriffe, Motive und argumentative Elemente daraus zu übernehmen, die seinen Intentionen entsprachen. Weder sprachlich noch gedanklich waren ihm dafür unüberwindliche Grenzen gesetzt. Vielmehr gelang es ihm in kreativer Weise, besonders solche geistigen Strömungen zu rezipieren, die auch in der Philosophie seiner Zeit aktuell waren. Wir bezeichnen sie heute mit dem Begriff Mittelplatonismus und meinen damit die Zusammenführung stoischer und platonischer Traditionen (teilweise unter Einbeziehung von Elementen des Pythagoreismus) seit dem 1. Jh. v. Chr. Die Sympathien des Verfassers der Sapientia haben dabei wohl eher bei der platonischen Philosophie gelegen, sofern es ihm um ein auch philosophisch nachvollziehbares Gottesverständnis ging, das ja nach biblischer Vorgabe ebenfalls streng transzendent zu denken ist. Das schloss aber, wie im Mittelplatonismus, nicht aus, auch stoische Leitgedanken darin zu integrieren, die sogar gelegentlich unbemerkt die Führung übernehmen konnten, wenn es darum ging, die Erfahrbarkeit Gottes in den Lebensbezügen der hellenistisch-römischen Gesellschaft und die Nachvollziehbarkeit seiner Weisungen im Rahmen ihres Ethos zu vergegenwärtigen. Mit dieser Integration philosophischer Denkweisen, Begriffsprägungen und Themensetzungen in die biblisch-jüdische Überlieferung ist der Autor der Sapientia Salomonis in kaum zu überschätzender Weise prägend geworden für die Rezeption alttestamentlich-biblischer Traditionen im spätantiken Christentum.97 In der Sapientia Salomonis zeigt sich eindrücklich, wie die geistige Integration von „Judentum und Hellenismus“ (M. Hengel) vollzogen werden konnte, ohne dabei die religiösen und ethischen Grundsätze der biblischen Überlieferung zu verlieren. 97 Vgl. dazu exemplarisch ALFONS FÜRST, Die Weisheit als Prinzip des Seins und der Erkenntnis. Zur Rezeption der Sapientia Salomonis im antiken Christentum und zu ihrer Auslegung bei Origenes, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 1), 293–316.

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3.1.4 Das 4. Makkabäerbuch Der erst in spätantiken Septuaginta-Kodizes als „Viertes Makkabäerbuch“ überlieferte Traktat98 ist als philosophische Lehrrede gestaltet, wie schon die Texteröffnung zeigt: Ein zentrales philosophisches Lehrstück vorzutragen schicke ich mich an (φιλοσοφώτατον λόγον ἐπιδείκνυσθαι μέλλων). … Dazu erlaube ich mir, euch den guten Rat zu geben, eure Aufmerksamkeit doch entschlossen der folgenden philosophischen Erörterung (τῇ φιλοσοφίᾳ) zuzuwenden.99

Die Schrift entwickelt in schulmäßigem Aufbau den im Exordium (1,1–12) aufgestellten und später oft wiederholten Lehrsatz, dass „die gottesfürchtige Urteilskraft souveräne Herrscherin ist über die Leidenschaften“.100 Der rhetorischen Disposition des Gesamttextes sind formal und thematisch verschieden gestaltete Einzelabschnitte untergeordnet, im ersten Teil (1,13–3,18) vorwiegend Lehrsätze und Definitionen, argumentative Abwehr von Einwänden, paränetische Aufzählungen und Gebotsreihen sowie eine Beispielerzählung aus dem Leben Davids, im zweiten Teil (3,19–17,6) zwei exemplarische Erzählungen vom Martyrium des Eleazar und der sieben Brüder unter Antiochus IV., die wiederum mit verschiedenen sprachlichen Mitteln gestaltet sind (Rededuelle, Martyriumsberichte, Abschiedsworte, philosophische Reflexionen und Argumentationen, Lobreden, Paradigmenreihen).101 Gleich im Exordium der Rede zieht der Verfasser die ganze Palette philosophischer Begrifflichkeit heran, um seinem Anliegen Überzeugungskraft zu verleihen. Dabei scheint das Schema der vier ‚Kardinaltugenden‘ nicht bloß begrifflich durch, sondern wird in 1,6 auch (fast) komplett wiedergegeben:

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Näheres zur Textüberlieferung bei SIEGERT, Einleitung (Anm. 56), 564–566. Übersetzungen hier und im Folgenden nach HANS-JOSEF KLAUCK, 4. Makkabäerbuch, JSHRZ III/6, Gütersloh 1989, 645–763; zu den Einleitungsfragen a.a.O., 647–685, sowie DAVID A. DESILVA, 4 Maccabees. Introduction and Commentary on the Greek Text in Codex Sinaiticus, Septuagint Commentary Series, Leiden/Boston 2006, xi–xliv; zur genaueren gattungsgeschichtlichen Bestimmung als epideiktische Rede vgl. KLAUCK, a.a.O., 659–662; DESILVA, a.a.O., xxi–xxv. Zum Verhältnis von Philosophie und Religion im 4. Makkabäerbuch vgl. ANDERS KLOSTERGAARD PETERSEN, Philosophy and Religion and Their Interactions in 4 Maccabees, in: DERS./GEORGE VAN KOOTEN (Hg.), Religio-Philosophical Discourses in the Mediterranean World. From Plato, through Jesus, to Late Antiquity, Leiden/Boston 2017, 126–158; TESSA RAJAK, Paideia in the Fourth Book of Maccabees, in: Jewish Education from Antiquity to the Middle Ages (FS P. S. Alexander), hg. v. GEORGE J. BROOKE/RENATE SMITHUIS, AGJU 100, Leiden/Boston 2017, 63–84. Vgl. zum Ganzen auch REINHARD WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora von Demetrios bis Pseudo-Phokylides, ARGU 10, Frankfurt a. M. 2000, 212–277. 100 Vgl. 1,1.13.15.29f.33.35; 2,4.6.15.24 u.ö. 101 Zu Aufbau und Gliederung vgl. KLAUCK, 4. Makkabäerbuch (Anm. 99), 648–653. 99

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Das Denken überwindet doch nicht die ihm eigenen Unzulänglichkeiten, sondern nur jene Leidenschaften, die der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη), der Tapferkeit (ἀνδρεία) und der Besonnenheit (σωφροσύνη) entgegenstehen. (4Makk 1,6)102

Das Argument richtet sich gegen den Einwand, die Urteilskraft könne ja Phänomene wie das Vergessen (λήθη) und die Unwissenheit (ἄγνοια) gar nicht überwinden. Demgegenüber betont der Verfasser, dass die Urteilskraft zwar die Leidenschaften nicht vernichtet, ihnen aber auch nicht weicht (οὐχ ὥστε αὐτὰ καταλῦσαι, ἀλλʼ ὥστε αὐτοῖς μὴ εἶξαι). Nach 1,28–30 soll die Urteilskraft Lust und Schmerz als die beiden Auswüchse (φυτά) des Leibes und der Seele nicht ausrotten, sondern wie eine Gärtnerin säubern, beschneiden, begießen und veredeln, da sie ja „Führerin für die Tugenden und souveräne Herrscherin über die Leidenschaften“ ist. 103 Die zu Beginn eingeführte philosophische Terminologie bleibt auch in den narrativen Teilen der Schrift bestimmend. 104 So will der Religionsverfolger Antiochus den greisen jüdischen Priester Eleasar mit spöttischen Worten von dessen „absurder Philosophie“ (φλυάρα φιλοσοφία) abbringen. 105 Dieser lehnt das mit dem Hinweis ab, dass gerade „unsere Philosophie“ (ἡμῶν ἡ φιλοσοφία) Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit lehre (5,22–24). Nach seinem Martyrium wird Eleasar in einem Enkomion als „Philosoph eines göttlichen Lebens“ (φιλόσοφος θείου βίου) gepriesen, der „mit dem Gesetz harmonisch zusammenklingt“ (7,7). Er habe „durch Taten den Worten über (s)eine göttliche Philosophie (τῆς θείας φιλοσοφίας σου λόγους) Glaubwürdigkeit verliehen“ (7,9). Der Autor zieht daraus den Schluss: Wer immer aber unter Berücksichtigung des gesamten Regelwerks der Philosophie sich philosophisch betätigt (τὸν τῆς φιλοσοφίας κανόνα φιλοσοφῶν), … wird der nicht mit Hilfe der Gottesfurcht die Leidenschaften völlig beherrschen? (4Makk 7,21)

Daran knüpft er dann das Beispiel der sieben Brüder, die bereits im Knabenalter „mit Hilfe der frommen Urteilskraft eine philosophische Einstellung“ an den Tag legten (τῷ τῆς εὐσεβείας λογισμῷ φιλοσοφοῦντες, 8,1). Sehr deutlich wird in all diesen Formulierungen, dass unter der „göttlichen Philosophie“ der Juden nicht irgendwelche Lehrmeinungen zu verstehen sind, sondern in 102 Dass die Klugheit (φρόνησις) hier fehlt, könnte textkritische Gründe haben; in 1,2.18 ist sie jedenfalls genannt. 103 4Makk 1,30. KLAUCK, 4. Makkabäerbuch (Anm. 99), 688, Anm. 6 b (s. auch 693, Anm. 29 c), findet hier einen Hinweis auf die peripatetische Affektenlehre, die sich von der Hauptströmung der Stoa unterscheide. Nach dieser gehe es darum, solche Leidenschaften samt ihren Wurzeln völlig auszureißen und auszurotten. 104 Zwölf Belege für die Wortgruppe φιλοσοφ-, die sonst in der gesamten Septuaginta nur noch ein einziges Mal vorkommt (Dan 1,20)! 105 4Makk 5,11, vgl. 5,7: „nicht scheinst du mir zu philosophieren, solange du an der Gottesverehrung der Juden festhältst“ (οὔ μοι δοκεῖς φιλοσοφεῖν τῇ Ιουδαίων χρώμενος θρησκείᾳ, eigene Übersetzung).

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erster Linie die Haltung der Toratreue, die auch das Martyrium in Kauf zu nehmen bereit ist. Die literarische Gestalt der philosophischen Lehr- und Mahnrede verdeckt also ebenso wenig wie die in ihr verwendete Terminologie ihr Hauptanliegen: Die Leser sollen zur Treue gegenüber der Tora angesichts von inneren und äußeren Bedrängnissen aufgerufen und in diesem Bestreben bestärkt werden.106 Zu diesem Zweck bedient sich der Verfasser verschiedener Elemente aus unterschiedlichen philosophischen Schulrichtungen, ohne sich einer von ihnen zuordnen zu lassen. 107 Auch die biblischen Überlieferungen und die geschichtlichen Stoffe aus der Makkabäerzeit gestaltet er so, dass sie als Paradigmata für ein ‚philosophisches Leben‘ nach jüdischen Maßstäben gelten können. „Der der Thora gehorsame Jude soll als der wahre Philosoph von göttlicher Einsicht erwiesen werden dadurch, daß es ihm gelingt, mittels des θεῖος λογισμός die Herrschaft über die Triebe zu erringen. Der Nomos befindet sich in Übereinstimmung mit der Vernunft und führt diese zum Ziel der Autokratie.“108 Das Beispiel des 4. Makkabäerbuches belegt, wie ein gebildeter jüdischer Autor im besten Griechisch seiner Zeit philosophische Topoi aufgreifen (ohne freilich seine Lehrmeister oder seine Schule beim Namen zu nennen), sie differenziert diskutieren und schließlich seiner erkennbar religiösen Zielsetzung dienstbar machen kann.109

106 Zur Intention der Schrift vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 216–218. Eine ganz andere These zur literarischen Entstehung und Intention der Schrift vertritt SIEGERT, Einleitung (Anm. 56), 564–583. Er datiert sie frühestens in das 2. Jh. n. Chr. und sieht in ihr eine jüdische Antwort auf die Entstehung der christlichen Märtyrerverehrung. „Hier antwortet das antiochenische Judentum dem dortigen Christentum in jener Konkurrenzsituation, auf die seinerseits dann wieder Chrysostomos … antwortet.“ (a.a.O., 565). 107 Das hat ihm in der Forschung den Vorwurf des Eklektizismus eingetragen, vgl. WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 99), 213 mit Anm. 17. Nach KLAUCK, 4. Makkabäerbuch (Anm. 99), 666, „scheinen die Anleihen bei der Stoa vorzuherrschen, doch gibt es in der Affektenlehre eher peripatetische Züge, daneben auch Aussagen, die antiepikureisch wirken. Anderes klingt mehr platonisch oder gar pythagoreisch“. 108 WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 99), 213. 109 Zum Verhältnis von Gesetz, Weisheit und Philosophie im Zusammenhang frühjüdischer Toraparänese vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn u.a. 2002, 27–50 [in diesem Band 149–173].

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3.2 Griechische Philosophie in frühjüdischen Schriften außerhalb der Septuaginta 3.2.1 Aristobulos Dafür, dass eine spezifisch religiöse Intention und eine mit ihr verbundene äußerst enge Anbindung an ein im antiken Horizont eher partikulares Traditionskonvolut wie die Mosetora die Rezeption griechisch-philosophischer Traditionen keineswegs ausschließen muss, steht der alexandrinisch-jüdische Toraausleger Aristobulos.110 Mit ihm gehen wir in die ptolemäische Zeit zurück. Von dem in der Mitte des 2. Jh. v. Chr. in Alexandria wirkenden jüdischen, hellenistisch gebildeten Gelehrten sind nur wenige Fragmente eines offenbar umfangreicheren Auslegungswerkes zur Tora erhalten. Soweit die überlieferten Fragmente erkennen lassen, bediente sich Aristobulos der ursprünglich für die Homerexegese entwickelten, in seinem alexandrinischen philosophischen Umfeld geübten allegorischen Auslegungsmethode, 111 um die Tora des Mose für seine griechisch gebildeten, aber wohl vorwiegend jüdischen Zeitgenossen geistig fruchtbar zu machen. Textgrundlage seiner Auslegung ist durchweg die Septuaginta. Hebräisch hat er offenbar nicht gekonnt. Aber nicht nur implizit nutzte Aristobulos literaturwissenschaftliche Methoden und philosophische Argumente aus seinem hellenistischen Umfeld. Ausdrücklich stellt er sich mit Anhängern anderer Philosophenschulen auf eine Ebene, wenn er behauptet: Denn bei allen Philosophen herrscht Einigkeit darüber, dass man (bei Überlegungen) über Gott heilige (d.h.: dem heiligen Gegenstand angemessene) Begriffe verwenden muss, worauf ganz besonders unsere (philosophische) Schule (αἵρεσις) mit Recht Wert legt.112

Unmittelbar anschließend belegt er dies mit der Ausrichtung der jüdischen Tora auf klassische Tugenden wie „Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und die übrigen der Wahrheit gemäßen Güter“. Klar wird auch an anderen 110 Grundlegend zu ihm NIKOLAUS WALTER, Der Thorausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, TU 86, Berlin 1964, 7–171; DERS., Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III/2, Gütersloh 1975, 257–299; griechischer Text mit englischer Übersetzung bei CARL R. HOLLADAY, Fragments from Hellenistic Jewish Authors, Bd. 3: Aristobulos, SBL.TT 39, Atlanta 1995; vgl. auch HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 52), 295–307; WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum Anm. 99), 98–126; STERLING, Philosophy as the Handmaid of Wisdom (Anm. 49), 72–78, sowie zuletzt sehr ausführlich MARKUS MÜLKE, Aristobulos in Alexandria. Jüdische Bibelexegese zwischen Griechen und Ägyptern unter Ptolemaios VI. Philometor, UALG 126, Berlin/Boston 2018. 111 Genauer dazu WALTER, Der Thorausleger Aristobulos (Anm. 110), 124–129. Vgl. jetzt auch MAREN R. NIEHOFF, Jüdische Bibelinterpretation zwischen Homerforschung und Christentum, in: GEORGES/ALBRECHT/FELDMEIER, Alexandria (Anm. 33), 341–360: 346f. 112 Aristobul, Frgm. 4,8 (WALTER, JSHRZ III/2, 275f.).

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Stellen, dass diejenige Philosophenschule, zu der sich Aristobulos selbst rechnet, eben die des Mose ist, dem er nicht zögert, namentlich genannte Größen wie Pythagoras, Sokrates, Platon und die peripatetische Schule zeitlich nachund sachlich unterzuordnen. 113 Allerdings vermeidet er es offenbar bewusst, Mose selbst als Philosophen zu bezeichnen. Vielmehr unterscheidet er ausdrücklich zwischen dem Gesetzgeber (νομοθέτης) Mose und den heidnischen Philosophen (φιλόσοφοι) und Dichtern (ποιηταί), die jenem wegen seiner Weisheit und des in ihm wirkenden göttlichen Geistes den Ehrennamen προφήτης zuerkennen. 114 Dass solche Zuweisungen nicht bloß rhetorisch zu verstehen sind, sondern, jedenfalls nach dem Selbstverständnis des Aristobulos, auch auf philosophischer Argumentation beruhen, zeigt das umfangreichste überlieferte Fragment des Aristobulos, in dem es um die rechte Interpretation der biblischen Ausdrücke für Gottes Handeln an und in der Welt geht. Ausgangspunkt für die Interpretation sind Aussagen im Bibeltext über Gott, die als anthropomorph verstanden werden könnten, etwa die Rede von der „Hand Gottes“, seinem „Stehen“ oder seinem „Herabsteigen“ auf den Berg Sinai. Nach einigen methodologischen Vorbemerkungen kommt Aristobulos zum seiner Meinung nach eigentlichen (nämlich philosophischen) Sinn der biblischen Wendungen vom „Stehen“ und „Herabsteigen“ Gottes, den er mit grundsätzlichen Aussagen zum Verhältnis von Gott und Welt beschreibt: Als göttliches ‚Stehen‘ aber dürfte dem erhabenen Sinne nach wohl mit Recht der Bestand der Welt bezeichnet sein. Denn über allem (steht) Gott, und alles ist (ihm) untergeordnet und hat (von ihm her) Bestand (στάσις) bekommen; daher haben die Menschen den Eindruck, dass (all) dieses unwandelbar (ἀκίνητα) sei.

Diesen Gedanken von der στάσις des Alls illustriert Aristobulos anschließend, indem er auf die Unwandelbarkeit seiner Bestandteile verweist: Nie kann der Himmel zur Erde werden oder die Erde zum Himmel, nie die Sonne zum Mond noch umgekehrt, nie ein Mensch zum Tier usw. Denn sie sind unauswechselbar, doch erfahren sie je für sich (immer) gleichartig Wandlung und Vergehen (τροπᾶς καὶ φθορᾶς). Das göttliche ‚Stehen‘ nun (ἡ στάσις οὖν ἡ θεία) könnte wohl in diesem Sinne gemeint sein, da ja alle Dinge Gott untergeordnet sind. 115

Der Bestand alles Geschaffenen wird somit, auch wenn er als etwas Göttliches bezeichnet wird, doch sorgfältig von Gott als dem ihm als Transzendentes gegenüberstehenden abgehoben.

113 Vgl. Frgm. 2,4 (a.a.O., 270); Frgm. 3 (a.a.O., 273f.); Frgm. 4,4 (a.a.O., 274f.); Frgm. 5,10 (a.a.O., 276). 114 Frgm. 2,3f. (a.a.O., 270f.). Auch in Frgm. 3,1 und Frgm. 4,8 bezieht sich φιλόσοφος eindeutig auf heidnische Philosophen. 115 Frgm. 2,10–12 (a.a.O., 272).

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Auch das Herabsteigen Gottes auf den Berg bei seiner Theophanie am Sinai und die sich nach Ex 19f. dabei vollziehenden sicht- und hörbaren Ereignisse deutet Aristobulos philosophisch. Weil die riesige Volksmenge Feuer und Trompetentöne in einem Gebiet von fünf Tagesreisen um den Berg vernehmen konnte, kann Gottes Herabsteigen nicht räumlich begrenzt gedacht werden, sondern „Gott ist überall“ (πάντη). Daraus, dass das Feuer loderte, ohne irgendwelchen Brennstoff zu verzehren (ἀνυποστάτως), und dass auch die Trompetenstöße ohne menschliche Bläser oder Instrumente blitzartig zusammen mit dem Feuer auftraten, ergibt sich, dass „Gott ohne irgendwelche (Vermittlung) seine alldurchwaltende Majestät offenbart hat“ (δεικνύναι τὴν ἑαυτοῦ διὰ πάντων μεγαλειότητα).116 In Fragment 4 interpretiert Aristobulos Gottes „Stimme“ bzw. sein „Wort“ bei der Erschaffung der Welt, indem er ausdrücklich Pythagoras, Sokrates und Platon heranzieht, die sich Mose angeschlossen hätten, wenn sie sagen, dass sie Gottes Stimme hören, wenn sie die Beschaffenheit des Alls sorgfältig betrachten (und zu dem Ergebnis kommen), dass (es) von Gott her geworden ist und von ihm ununterbrochen erhalten wird. 117

Wenig später zitiert er einen längeren Abschnitt aus dem Prolog der Phainomena des stoisch geprägten Dichters Aratos von Soloi (310–245 v. Chr.), das er mit der Bemerkung zusammenfasst: Ich glaube, dass hier klar und deutlich gezeigt ist, dass in allem die Macht Gottes wirkt ( διὰ πάντων ἐστίν ἡ δύναμις τοῦ θεοῦ).118

Fragment 5 behandelt den Sabbat. Der siebte Schöpfungstag wird zum einen (wie in der Bibel) als Ruhetag für Gott und Menschen interpretiert, zugleich aber zum anderen (gegen die biblische Vorlage) mit dem ersten Schöpfungstag identifiziert, an dem Gott das Licht erschuf, das von Aristobulos mit der Weisheit gleichgesetzt wird. Gott erschuf also das Licht, mit dessen Hilfe die Schöpfung überhaupt erst im Zusammenhang erkannt werden kann. Eine solche Welterkenntnis im Licht der Schöpfung kann nach Aristobulos wiederum mit der Weisheit identifiziert werden, denn alles Licht stammt von ihr her. Diese kühne Gedankenkombination findet Aristobulos auch in der peripatetischen Schule wieder, nach welcher die Weisheit als Fackel für einen Lebensweg in

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Frgm. 2,12–17 (a.a.O., 272f.). Frgm. 4,4 (a.a.O., 274). HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 52), 300, hält mit der Nennung von Pythagoras, Sokrates und Platon eine Anspielung auf den Timaios des Platon für möglich, da in diesem Dialog ein Pythagoräer (Timaios von Lokris) dem Sokrates die platonische Schöpfungslehre vorträgt. 118 Frgm. 4,7 (WALTER, JSHRZ III/2, 275). 117

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Ataraxie bezeichnet werde. 119 Aber besser noch habe König Salomo von der Weisheit gesprochen, die eher als Himmel und Erde da gewesen sei. Anschließend wendet sich Aristobulos in pythagoreisch klingenden Ausführungen der Siebenzahl zu.120 Als die Schöpfung durchwaltendes Ordnungsprinzip sei sie zugleich Erkenntnisprinzip für den Menschen und somit auch ethisch relevant: Er hat uns aber den (siebenten Tag) klar als gesetzlich geboten(en Ruhetag) bezeichnet zum Zeichen für die über uns waltende Siebenergesetzmäßigkeit (ἕβδομος λόγος), gemäß derer wir Erkenntnis (aller) menschlichen und göttlichen Dinge haben (können). 121

Fragt man nun, welcher philosophischen Schule Aristobulos nicht nach seinem eigenen Urteil, sondern nach dem seiner philosophisch gebildeten nichtjüdischen Zeitgenossen zuzuordnen wäre, so macht sich eine gewisse Ratlosigkeit breit. Vermutlich hätte man ihn wegen seiner philosophisch ganz und gar uneinsichtigen Bindung an die Autorität der Mose-Tora überhaupt keiner philosophischen διαδοχή zugewiesen, sondern bestenfalls als ‚barbarischen‘ Philosophen betrachtet.122 Seine Einzelargumente mag man nachvollzogen, aber kaum als originell angesehen haben. Seine Berufung auf Pythagoras, Sokrates, Platon oder die Peripatetiker betraf immer nur Einzelnes, während deren Deutungshorizonte offenkundig von woanders her, nämlich aus der jüdischen Glaubensüberlieferung und ihrer autoritativen Grundlage, der Mosetora, bezogen wurden. Hinzu kommt, dass Aristobulos seine philosophischen Anleihen mit ebensolchen aus der griechischen Dichtung (Orpheus) vermischte, aus deren zeitgenössischer Interpretation er auch seine allegorischen Auslegungsprinzipien abgeleitet hatte. 123 Demgegenüber sind stoische oder platonische Züge im Gottesverständnis des Aristobulos für seine Aussageabsichten eher sekundär und jedenfalls kaum einer spezifischen Schultradition einzuordnen. Einerseits stellt er Gottes Ma-

119 WALTER, a.a.O., Anm. 10b, weist darauf hin, dass eine solche Aussage bei Peripatetikern nirgends zu finden sei, während sie eher epikureischen oder stoischen Lehren entspreche. 120 Vgl. dazu HENGEL, Judentum und Hellenismus (Anm. 52), 301–305; WALTER, Der Thorausleger Aristobulos (Anm. 110), 166–171. 121 Frgm. 5,12 (WALTER, JSHRZ III/2, 277). 122 Megasthenes (4./3. Jh. v. Chr.) rechnet neben indischen Brahmanen und anderen Syrern, die Aussagen zur Naturphilosophie machten, auch Juden zu den „Philosophen außerhalb Griechenlands“ (ἔξω τῆς Ἑλλάδος φιλοσοφοῦντες); vgl. MENAHEM STERN, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, Bd. 1, Jerusalem 1974, 45f. 123 CHRISTOPH RIEDWEG, Jüdisch-hellenistische Imitation eines orphischen Hieros Logos. Beobachtungen zu OF 245 und 247 (sog. Testament des Orpheus), Classica Monacensia 7, Tübingen 1993, 73–106, hat in einer detaillierten Analyse nachgewiesen, dass Aristobulos ein ursprünglich stoisch geprägtes pseudo-orphisches Gedicht im platonisch-aristotelischen Sinn umgearbeitet hat (zustimmend STERLING, Philosophy as the Handmaid of Wisdom [Anm. 49], 77f.).

3. Die Rezeption philosophischer Traditionen

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jestät dem Kosmos klar gegenüber und betont die Unmittelbarkeit seines Handelns an der Welt. Andererseits (bzw. zugleich) bekennt er, Gott sei überall, und zitiert ausführlich den stoisch geprägten Dichter Aratos: … erfüllt sind von Gott ja die Straßen der Städte und auch der Menschen sämtliche Märkte, erfüllt ist das Meer auch und seine Häfen; in allem ist uns Gottes Hilfe vonnöten – sind wir doch seines Geschlechts! …124

Wenn Aristobulos die Siebenzahl als Erkenntnisprinzip für Göttliches und Menschliches bezeichnet, könnte das an den stoischen Logos ebenso wie an die platonische Weltseele erinnern, wobei zugleich auch pythagoreische Einflüsse denkbar sind. Für die Interpretationsrichtungen und -ziele des Aristobulos sind aber nicht solche philosophischen Lehrmeinungen leitend, die er allenfalls als argumentative Hilfsmittel heranzieht, und auch nicht allein der Wortlaut der seiner Auslegung zugrunde liegenden biblischen Einzeltexte, wohl aber das biblische Gottesverständnis insgesamt, nach welchem Gott als Schöpfer den Menschen, die sich ihm anvertrauen, insbesondere dem Volk Israel, das er unter Führung des Mose aus Ägypten herausgeführt hat, als lebendiges Gegenüber begegnet. Diese theologische Basis ist für Aristobulos in erheblich stärkerem Grade maßgeblich, als es philosophische Topoi welcher Schulrichtung auch immer je sein könnten. 125 3.2 Philon von Alexandrien Auf Philon kann nur kurz eingegangen werden. Eine gründlichere Würdigung seines Werkes unter dem Gesichtspunkt der Rezeption philosophischer Traditionen würde nicht nur den Rahmen dieses Überblicks sprengen. Sie setzte auch eine gründlichere Auseinandersetzung mit der ständig wachsenden Spezialliteratur zu Philon voraus, die ich hier nicht leisten kann. 126 Es soll lediglich 124 Frgm. 4,6 (WALTER, JSHRZ III/2, 275). Vgl. auch Apg 17,28. Vgl. zum Aratos-Zitat auch MÜLKE, Aristobulos in Alexandria (Anm. 110), 7–52. 125 So auch WALTER, Der Thorausleger Aristobulos (Anm. 110), 130: „Gott war für ihn nicht wie für die Stoa ein Wechselbegriff für Natur und Kosmos, sondern Gott war der Schöpfer, der der Natur und dem Kosmos unbedingt überlegen war.“; vgl. zum Ganzen a.a.O., 129–141. Mit umgekehrter Akzentsetzung sagt RIEDWEG, Jüdisch-hellenistische Imitation eines orphischen Hieros Logos (Anm. 123), 97f., nicht wesentlich anderes: „Dass Aristobulos in erster Linie Jude ist und sich zum Judentum bzw. zur jüdisch-alexandrinischen Philosophie als seiner eigentlichen philosophischen Schule (ἡ καθ’ ἡμᾶς αἵρεσις) bekennt, schliesst nicht aus, dass er in seinem Denken einer bestimmten nichtjüdischen Philosophenschule besonders nahestand.“ 126 Zur aktuellen Philon-Forschung vgl. die Sammelbände von ALESSE, Philo of Alexandria and Post-Aristotelian Philosophy (Anm. 41), und SELAND, Reading Philo (Anm. 43), sowie MAREN NIEHOFF, Philon von Alexandria. Eine intellektuelle Biographie, Tübingen 2019. Grundlegend für die Rezeption platonischer Philosophie bei Philon ist DAVID T. RUNIA, Philo of Alexandria and the Timaeus of Plato, Philosophia Antiqua 44, Leiden 1986.

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ein einziger Punkt herausgegriffen werden, der allerdings für den philosophischen Kontext in Alexandria von besonderer Bedeutung ist, die Rezeption des platonischen Dialogs Timaios in Philons Traktat De opificio mundi. Der größte Teil der Einzelschriften Philons lässt sich drei großen Kommentarwerken zum Pentateuch zuweisen, dessen Text allen seinen philosophischen Argumentationen als autoritative Basis zugrunde liegt. 127 De opificio mundi gehört zu der so genannten Expositio legis, einer umfassenden, systematisch aufgebauten Auslegung des Pentateuch, in welcher nach einer philosophischen Interpretation der biblischen Berichte von der Erschaffung der Welt (Opif) an den Erzvätergestalten der Genesis exemplarische Tugenden dargestellt werden (erhalten nur Abr, Jos), bevor die Einzelgebote des Pentateuch, angeordnet nach den Geboten des Dekalogs, in thematischen Traktaten ausgelegt werden (Decal, SpecLeg, Virt). Das Werk wird entsprechend der Textfolge des Pentateuch mit einer Interpretation der Segens- und Fluchsprüche aus Dtn 28 abgerundet (Praem). 128

Zur Verarbeitung philosophischer Traditionen in De Opificio Mundi vgl. THOMAS H. TOBIN, The Creation of Man: Philo and the History of Interpretation, CBQMS 14, Washington 1983. Zu Gottesverständnis, Menschenbild und Ethik Philons auf dem Hintergrund platonischer Philosophie und im Vergleich mit Paulus vgl. GEORGE H. VAN KOOTEN, Paul’s Anthropology in Context. The Image of God, Assimilation to God, and Tripartite Man in Ancient Judaism, Ancient Philosophy and Early Christianity, WUNT 232, Tübingen 2008. 127 Zur Struktur des Auslegungswerkes Philons vgl. STERLING, Philo’s School (Anm. 36), 124–128; DERS., The Structure of Philo’s Allegorical Commentary, ThLZ 143, 2018, 1225– 1238. Ausführlicher entfaltet der Autor seine These von einer privaten Philosophieschule Philons in Alexandria in GREGORY E. STERLING, The School of Moses in Alexandria: An Attempt to Reconstruct the School of Philo, in: BOCCACCINI/ZURAWSKI, Second Temple Jewish ‚Paideia‘ in Context (Anm. 48), 141–166; vgl. DERS., ‚The School of Sacred Laws‘: The Social Setting of Philo’s Treatises, VC 53, 1999, 148–164; speziell zum Schulkontext von QueastGen und QuaestEx vgl. auch SEAN A. ADAMS, Philo’s Questions and the Adaptation of Greek Philosophical Curriculum, in: BOCCACCINI/ZURAWSKI, Second Temple Jewish ‚Paideia‘ in Context, a.a.O., 167–184. 128 Nach MAREN R. NIEHOFF, Philo’s Exposition in a Roman Context, SPhiloA 23, 2011, 1–21; vgl. DIES., Philon von Alexandria (Anm. 126), 109–200, gehört die Expositio legis zum Spätwerk Philons, das sich – im Unterschied zum allegorischen Genesis-Kommentar und den Quaestiones in genesim et exodum – primär an Nichtjuden wendet und während seines mehrjährigen Rom-Aufenthalts im Zuge der Gesandtschaft zum Kaiser Caligula entstanden ist. Niehoff meint, dass Philon sich erst im Zuge dieses Rom-Aufenthaltes mit dort aktuellen stoischen Positionen auseinandergesetzt und sie in De opificio mundi rezipiert habe, während er bis dahin, also während seiner alexandrinischen Wirkungszeit, primär platonisch gedacht habe. Eine andere Differenzierung zwischen den Kommentarwerken je nach intendierter Leserschaft im Rahmen philosophischer Ausbildung in einer Schule Philons in Alexandria nimmt STERLING, Philo’s School (Anm. 36), 139, vor. Demnach waren die Quaestiones „for beginning students or as reference work to provide reading options for a text“ bestimmt. Der allegorische Kommentar wendete sich dagegen an „advanced students“, während die Expositio legis „may have been an effort to reach beyond the school, perhaps

3. Die Rezeption philosophischer Traditionen

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Die Torainterpretation bei Philon hat ihr philosophisches Profil darin, dass er das jüdische, im Pentateuchtext überlieferte Gesetz mit dem universal geltenden Naturgesetz identifiziert, 129 was mit stoischen ebenso wie mit platonischen Konzeptionen vereinbar wäre. Explizit verankert Philon die Tora aber zugleich auch in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Gleich zu Beginn der Expositio legis stellt er heraus, dass sowohl die Welt mit dem Gesetze als auch das Gesetz mit der Welt im Einklang steht ( ὡς καὶ τοῦ κόσμου τῷ νόμῳ καὶ τοῦ νόμου τῷ κόσμῳ συνᾴδοντος) und dass der gesetzestreue Mann ohne weiteres ein Weltbürger (κοσμοπολίτης) ist, da er seine Handlungsweise nach dem Willen der Natur (πρὸς τὸ βούλημα τῆς φύσεως) regelt, nach dem auch die ganze Welt gelenkt wird. (Opif 3)130

In allegorischer Auslegung des Namens Joseph ordnet Philon die eine Verfassung des „Weltstaates“, die er mit der universal geltenden Vernunft der Natur (λόγος φύσεως) identifiziert, den verschiedenen Staatsgesetzen kategorial über. Jene gebiete, was von allen Menschen getan oder unterlassen werden muss, diese seien lediglich der Naturverfassung hinzugefügt worden, 131 um Habgier und Eigennutz der Völker zu begrenzen. Vom Zusammenhang der Expositio legis her wird deutlich, dass Philon mit der einen Verfassung und dem einen Gesetz (Jos 29) den mosaischen Nomos meint, auch wenn er den Grundgedanken eines universalen Naturgesetzes aus der stoischen Philosophie übernimmt. Das Mosegesetz kann demnach gewissermaßen als ‚Abschrift‘ des Naturgesetzes verstanden werden. Es lässt sich auch am tugendhaften Lebenswandel der Patriarchen Israels ablesen. 132 Auch mit Kategorien wie den „Ungeschriebenen Gesetzen“ (Decal 1; vgl. Abr 275f.; Hyp 7) oder dem νόμος ἔμψυχος (Abr 5; vgl. VitMos 1,162) greift Philon Topoi der philosophischen Ethik auf. Nach stoischer Auffassung ist der ganze Kosmos vom Logos durchwaltet. Der Mensch hat der Natur entsprechend zu leben, wobei er seine Vernunft gebrauchen soll, um die ungeschriebenen Gesetze der Natur zu erkennen. 133 even to the world outside Judaism – whether directly or indirectly through Jewish readers who could explain their ancestral Scriptures based on their reading of the Exposition.“ 129 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Art. Nomos. B. Jüdisch, C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1006–1061: 1025–1028, sowie DERS., Tora und Nomos im Alten Testament und im Frühjudentum [in diesem Band 15–100], 62f. 130 Übersetzung hier und im Folgenden nach: Die Werke Philos von Alexandrien. In deutscher Übersetzung hg. v. LEOPOLD COHN, ab Bd. 4 fortgeführt v. ISAAK HEINEMANN, 6 Bde., Breslau 1909–1938. 131 Jos 28–31; dahinter steht die schon im Hebräischen und in der Septuaginta explizierte Etymologie ‫וסף‬ ֖ ֵ ‫ ֹי‬von ‫„ = יסף‬hinzufügen“ (griech. προστίθημι), vgl. Gen 30,24. 132 Vgl. dazu HINDY NAJMAN, A Written Copy of the Law of Nature: An Unthinkable Paradox?, SPhiloA 15, 2003, 54–63. 133 Vgl. dazu REINHARD WEBER, Das „Gesetz“ bei Philon von Alexandrien und Flavius Josephus. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora bei den beiden Hauptzeugen

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In seiner Interpretation der biblischen Schöpfungstexte in De opificio mundi greift Philon unmittelbar auf Platons Timaios zurück.134 In einer umfassenden philosophischen Vorbemerkung (Opif 7–12) setzt er sich zunächst mit denjenigen auseinander, die die Welt für unerschaffen und ewig erklären. 135 Demgegenüber habe Mose erkannt, dass in den existierenden Dingen das eine die wirkende Ursache, das andere ein Leidendes sein muss und dass jenes Wirkende der Geist des Weltganzen ist … dass das Leidende dagegen an und für sich unbeseelt und unbeweglich ist, nachdem es aber von dem Geiste bewegt und gestaltet und beseelt worden, in das vollendetste Werk, in diese (sichtbare) Welt sich verwandelte.136

Hauptargument für Philons eigene Sicht der Dinge ist zunächst der Verweis auf Gottes Vorsehung. Schon die Vernunft lehre, dass der Schöpfer sich um das von ihm Geschaffene kümmert, wie ein Vater sich um die Erhaltung seiner Kinder sorgt, während sich um eine unerschaffene Welt niemand kümmern würde.137 Als zweites Argument führt Philon den kategorialen Gegensatz zwischen dem Ungewordenen, Intelligiblen und dem sinnlich Wahrnehmbaren, Geschaffenen an: Der große Mose dagegen erkannte, dass das Ungewordene (Ewige) zu dem Sichtbaren ganz und gar nicht passt; denn alles mit den Sinnen Wahrnehmbare ist im Werden und in Veränderung und bleibt niemals in demselben Zustand; er schrieb daher dem Unsichtbaren und nur Gedachten als verwandte Eigenschaft die Ewigkeit zu, während er dem sinnlich Wahrnehmbaren den ihm zukommenden Namen Genesis (Werden, Schöpfung) zuerteilte. Da nun diese Welt sichtbar und sinnlich wahrnehmbar ist, so ist sie notwendigerweise auch geschaffen.138

Wie David Runia überzeugend nachgewiesen hat, folgt Philon hier im Wesentlichen platonischen, nicht stoischen Gedankengängen, was sich insbesondere an der Paraphrase von Argumenten zur Erschaffung der Welt nach Tim 27c– des hellenistischen Judentums, ARGU 11, Frankfurt a. M. 2001, 78–114; DERS., Das Gesetz im hellenistischen Judentum (Anm. 99), 410–449; MATTHIAS KONRADT, Tora und Naturgesetz. Interpretatio graeca und universaler Geltungsanspruch der Mosetora bei Philo von Alexandrien, in: DERS./RAINER C. SCHWINGES (Hg.), Juden in ihrer Umwelt. Akkulturation des Judentums in Antike und Mittelalter, Basel 2009, 87–112. 134 Vgl. dazu umfassend RUNIA, Philo of Alexandria and the Timaeus of Plato (Anm. 126), sowie WILLY THEILER, Philo von Alexandria und der hellenisierte Timaeus, in: ZINTZEN, Der Mittelplatonismus (Anm. 35), 52–63; JOHN DILLON, Cosmic Gods and Primordial Chaos in Hellenistic and Roman Philosophy: The Context of Philo’s Interpretation of Plato’s Timaeus and the Book of Genesis, in: GEORGE H. VAN KOOTEN (Hg.), The Creation of Heaven and Earth. Re-interpretations of Genesis 1 in the Context of Judaism, Ancient Philosophy, Christianity, and Modern Physics, Leiden/Boston 2005, 97–107. 135 Das könnte gegen stoische Positionen gerichtet sein. 136 Opif 8f. 137 Hier könnte als Gegenposition an den Epikureismus gedacht sein. 138 Opif 12.

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28b in Opif 12 zeigt.139 Auch das Stichwort γένεσις, das Philon aus der biblischen Überlieferung vertraut war, fand er im Timaios an dieser Stelle wieder,140 was ihn zu der Überzeugung geführt haben dürfte, dass Platon als der Jüngere es wohl von Mose übernommen hatte. Im Folgenden verwendet Philon zur Erklärung der Weltschöpfung das Bild von einem Architekten, der die Bauformen der von ihm geplanten Stadt zunächst in seinem Geist entstehen lässt, sich also das Bild einer gedachten Stadt ausmalt, bevor er, das Auge stets auf dieses Musterbild gerichtet, den Bau ausführt. Ähnlich habe Gott zunächst in seinem Geist die Formen der Welt gebildet und aus ihnen das Muster einer gedachten Welt zusammengefügt, nach welchem er dann anschließend die sinnlich wahrnehmbare, materielle Welt erschuf. 141 Schließlich verweist Philon ausdrücklich auf „einen der Alten“, der schon gesagt habe: gütig sei der Vater und Schöpfer; deshalb hat er seine vollkommene Natur nicht der Materie vorenthalten, die aus sich selbst nichts Edles hat, aber die Fähigkeit besitzt alles zu werden.142

Die Anspielungen auf Platons Timaios sind auch hier nicht zu übersehen und von Philon offenbar bewusst gesetzt, um die Übereinstimmung der biblischen, speziell mosaischen Schöpfungsvorstellung mit der philosophischen, speziell platonischen Tradition über die Entstehung der Welt in Einklang zu bringen. 143 Philons Vorstellung von der Natur als kosmischer Ordnung und göttlichem Gesetz lässt sich auch mit stoischen Konzeptionen gut in Einklang bringen. Sein Verständnis der Schöpfung, seine klare Unterscheidung von intelligibler und sinnlich wahrnehmbarer Welt und seine strenge Trennung zwischen dem transzendenten Gott und der von ihm geschaffenen und erhaltenen Welt folgen aber eindeutig platonischen Prämissen. Sein philosophisches Profil (wenn man von einem solchen sprechen will) ergibt sich somit aus einer Kombination von stoischer Ethik und platonischer Metaphysik. Darin folgt Philon der mittelpla-

139 Vgl. DAVID T. RUNIA, On the Creation of the Cosmos According to Moses. Introduction, Translation, and Commentary, Philo of Alexandria Commentary Series 1, Leiden 2001, 119–123. 140 Platon, Timaios 27d. 141 Opif 17–20. 142 Opif 21, vgl. Platon, Timaios 29e: „Er war gut und in einem Guten erwächst niemals in irgendeiner Hinsicht Missgunst. Frei von diesem Gefühl wollte er, dass alles ihm so ähnlich wie möglich würde.“ (Übersetzung nach THOMAS PAULSEN/RUDOLF REHN, Platon. Timaios. Griechisch/Deutsch, RUB 18285, Stuttgart 2003, 39). 143 Vgl. zum Einzelnen Runias Kommentar zu Opif sowie seine folgenden Studien: DAVID T. RUNIA, Plato’s Timaeus, First Principle(s), and Creation in Philo and Early Christian Thought, in: GRETCHEN J. REYDAMS-SCHILS (Hg.), Plato’s Timaeus as Cultural Icon, Notre Dame 2003, 133–151; DERS., The King, the Architect, and the Craftsmen. A Philosophical Image in Philo of Alexandria, in: ROBERT W. SHARPLES/ANNE D. R. SHEPPARD (Hg.), Ancient Approaches to Plato’s Timaeus, London 2003, 89–106.

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tonischen Linie, die sich über Cicero bis auf den Platoniker Antiochus von Askalon zurückführen lässt. 144 Im Unterschied zu dieser philosophischen Tradition stellt Philon aber die ungeschriebenen Gesetze der Natur nicht in einen Gegensatz zu den geschriebenen der Tora, sondern betont die Harmonie zwischen beiden, und den transzendenten Urheber des Alls identifiziert er mit dem biblischen Schöpfergott, von dem Mose Zeugnis gibt. 3.7 Pseudo-Phokylides Neben Aristobulos und Philon von Alexandrien, die beide explizit Namen und Werke der griechischen Philosophie heranziehen, obwohl sie selbst nicht in erster Linie als Philosophen schreiben, lassen sich philosophische Überlieferungen noch in weiteren jüdisch-hellenistischen Schriften identifizieren, ohne dort freilich ausdrücklich als solche namhaft gemacht zu werden. Als Beispiel dafür soll hier abschließend das jüdische Lehr- und Mahngedicht des PseudoPhokylides betrachtet werden. Das in Hexametern abgefasste Sentenzengedicht, das Phokylides zugeschrieben wurde,145 hat nicht nur sein Pseudonym und seine literarische Gestalt, sondern auch einen erheblichen Teil seiner Vorstellungswelt und seiner ethischen Überzeugungen der hellenistischen Kultur entlehnt, in die sein zweifellos jüdischer Verfasser offenbar gut integriert war. 146 Ein solches Milieu wird in der Regel in Alexandria im ersten Jahrhundert vor oder nach Christus gesucht, ohne dass sich im Lehrgedicht des Pseudo-Phokylides eindeutige Belege dafür ausmachen ließen. Die Sentenzensammlung besteht aus zahlreichen Einzelsprüchen und Spruchgruppen vorwiegend ethischen Inhalts, von denen nicht wenige sich erkennbar auf biblische Vorlagen (im Wesentlichen aus bestimmten Schwerpunktbereichen im Pentateuch) stützen, ohne diese explizit anzugeben oder gar zu zitieren. Deutlich ist das insbesondere im Einleitungsteil, der erkennbar auf Formen und Inhalte frühjüdischer paränetisch ausgerichteter Torarezeption zurückgreift, wie sie auch in anderen Texten der hellenistisch-jüdischen Weisheitsliteratur verbreitet ist. 147 144

S.o., 109–114. Vgl. zur Einführung KARL-WILHELM NIEBUHR, Pseudo-Phokylides: Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht aus Alexandria [in diesem Band 571–584]. 146 Vgl. PIETER W. VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides. With Introduction and Commentary, SVTP 4, Leiden 1978; NIKOLAUS WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 173–278. 147 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 106), 5–31; JOHANNES THOMAS, Der jüdische Phokylides. Formgeschichtliche Zugänge zu Pseudo-Phokylides und Vergleich mit der neutestamentlichen Paränese, NTOA 23, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1992, 57 –102. V. 3–8 greifen schwerpunktmäßig Dekaloggebote auf, V. 9–41 stärker Gebote aus Lev 19; weitere Schwerpunkte der Torarezeption finden sich in V. 177–194 (vgl. bes. Lev 18/20) und am Schluss des Gedichts in V. 220–228 (Ehrung der Alten). 145

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Das Gedicht als Ganzes ist aber derart wenig explizit jüdisch markiert, dass sein tatsächlicher Ursprung bis in die neuzeitliche philologische Forschung hinein umstritten blieb. 148 Dies gilt auch für den offenbar bewusst gestalteten Gesamtaufbau der Sentenzensammlung, der weder irgendwelchen biblischen Vorlagen folgt, noch anderen im Frühjudentum verbreiteten literarischen Mustern. Gattungsmäßig lässt sich das Gedicht als Gnomologion einordnen,149 was aber die Frage nach seinem Aufbau noch nicht beantwortet. Folgt man einer These von Walter Wilson, so ist der ganze erste Hauptteil des Gedichts (V. 9– 131) nach dem Schema der vier Kardinaltugenden angeordnet: Der Gerechtigkeit lassen sich demnach die Verse 9–54 zuordnen, der Besonnenheit die Verse 55–96, der Tapferkeit die Verse 97–121 und der Weisheit die Verse 122– 131.150 Der jüdische Autor stellt sich damit in einen breiteren Strom gnomologischer Literatur, die sich des philosophisch-ethischen Schemas der Kardinaltugenden bedienen konnte, ohne damit immer gleich philosophische Schuldebatten verbinden zu müssen. Viel wichtiger sind ihm die zahlreichen konkreten ethischen Mahnungen und Weisungen, die er in diesem Rahmen anbringen und seinen Adressaten umso eindrucksvoller vermitteln kann. Dass er sich dabei nicht an einem Gegensatz zwischen spezifisch jüdischen und allgemein hellenistischen ethischen Werten orientiert, zeigt sein Gedicht praktisch mit jedem Vers, zu dem sich (mit wenigen Ausnahmen) Parallelen in Fülle aus der frühjüdischen ebenso wie der hellenistisch-römischen Literatur finden lassen. 151 Ähnlich ungrundsätzlich scheinen auch die anthropologischen Vorstellungen zu sein, die das Gedicht durchziehen. So kann der Autor in einem Abschnitt, der sich mit dem Tod des Menschen und seiner Hoffnung auf Auferstehung beschäftigt (V. 99–108), also durchaus erkennbar jüdisches Kolorit

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Im Grunde konnte die jüdische Herkunft erst dank der detaillierten Einzeluntersuchungen in den Kommentaren von Walter und van der Horst endgültig nachgewiesen werden. Zur Forschungsgeschichte vgl. VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides (Anm. 146), 3–54. 149 MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979, 261–302. 150 WALTER T. WILSON, The Mysteries of Righteousness. The Literary Composition and Genre of the Sentences of Pseudo-Phocylides, TSAJ 40, Tübingen 1994, 63–118; DERS., The Sentences of Pseudo-Phocylides, Commentaries on Early Jewish Literature, Berlin/New York 2005, 23–30. 151 Vgl. die Kommentare von WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung (Anm. 146), VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides (Anm. 146) und WILSON, The Sentences of Pseudo-Phocylides (Anm. 150).

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trägt, relativ unausgeglichen sowohl bipolare als auch tripolare anthropologische Vorstellungen miteinander verbinden.152 Zunächst betont er, dass der Leichnam eines Verstorbenen unversehrt bleiben sollte, denn „wir hoffen ja doch, dass bald aus der Erde ans Licht kommen die Reste der Dahingeschiedenen“ (102–104). Dann aber heißt es: Denn die Seelen (ψυχαί) bleiben unversehrt in den Verblichenen. Denn der Geist (πνεῦμα) ist Gottes Leihgabe für die Sterblichen und sein Abbild. Denn den Leib (σῶμα) haben wir von der Erde, und sofern wir uns hernach wieder zu Erde auflösen, sind wir Staub; das Luftreich aber hat (unseren) Geist (πνεῦμα) aufgenommen. (PseudPhok 105–108)153

Man wird in diesen Versen kaum philosophisch präzise Definitionen von Seele, Geist und Leib erwarten. 154 Vielmehr sind die verwendeten Termini ganz der paränetischen Intention untergeordnet, im Leben Erfahrungen mit dem Tod zu bewältigen. Der vorangehende und der folgende Kontext der Verse machen die alltagspraktischen Bedürfnisse deutlich, in die hinein sie sprechen: Es geht um einen angemessenen Umgang mit Verstorbenen und um die rechte Bereitung zum eigenen Sterben. Hier zählen nicht philosophische Distinktionen, sondern allein der menschenwürdige Umgang mit Toten wie Lebenden. Er soll dem biblischen Menschenbild entsprechen, das sich in dem ganzen Gedicht niederschlägt. Die Aussagen über das Leben nach dem Tod und die verschiedenen anthropologischen Vorstellungen, die dabei zur Sprache kommen, sind der Intention untergeordnet, zum rechten Leben angesichts des Todes zu ermahnen. Inkonsistenzen hinsichtlich mancher Begriffe und Vorstellungen können in Kauf genommen werden, wenn nur diese Aussageabsicht konsistent bleibt und überzeugend wirkt.

152 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides, in: Empsychoi Logoi – Religious Innovations in Antiquity (FS P. W. van der Horst), hg. v. ALBERDINA HOUTMAN/A LBERT DE JONG/MAGDA MISSET-VAN DE WEG, AGJU 73, Leiden/Boston 2008, 469–483 [deutsch in diesem Band 585–599]. 153 Übersetzung nach WALTER, JSHRZ IV/3, 207. 154 M.E. ergibt sich die Struktur des ganzen Aussagezusammenhangs aus der Verknüpfung von zwei in sich stimmigen, jeweils bipolaren anthropologischen Mustern („Leib – Seele“ versus „Leib – Geist“), die im vom Dichter geschaffenen Textzusammenhang zu einem dichotomischen Modell „Leib“ versus „Seele/Geist“ verbunden werden, was dann auf eine Identifizierung von Seele(n) und Geist hinausläuft; vgl. dazu NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides (Anm. 152), 473.

Schluss

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Schluss Schluss

Der Durchgang durch eine Reihe von ausgewählten Schriften aus der Fülle der jüdisch-hellenistischen Literatur 155 hat gezeigt, dass Topoi, Themen und literarische Formen der griechisch-römischen Philosophie in sehr unterschiedlichem Grade und auf durchaus verschiedenem fachlichem Niveau in literarischen Werken des griechischsprachigen Frühjudentums rezipiert worden sind. Am nächsten kommt den zeitgenössischen fachphilosophischen Diskursen zweifellos (und wenig überraschend) Philon von Alexandrien, aber die leider nur wenigen und noch dazu unsicher überlieferten Fragmente des Aristobulos beweisen immerhin, dass Philon in dieser Hinsicht im hellenistischen Judentum keineswegs allein, sondern vielmehr auf starken Schultern stand (Josephus wäre wohl ein weiterer Kandidat für die Bestätigung dieses Urteils). Hinsichtlich der Sprache, mancher Stilmittel und Argumentationsformen und einer wenigstens partiell philosophisch klingenden Begrifflichkeit sind die Sapientia Salomonis und das 4. Makkabäerbuch die nächsten Verwandten Philons. Aber in der intellektuellen Durchdringung der biblischen Überlieferung mit den Mitteln griechischer Philosophie können sie ihm nicht das Wasser reichen, und anders als Philon und Aristobulos verzichten beide auf die explizite Benennung griechischer philosophischer Autoritäten. Noch weiter entfernt von der philosophischen Tradition der Griechen sind die religiös-ethischen Dichtungen (in Hexametern!) des Pseudo-Phokylides, obwohl auch er durchaus in der Lage ist, philosophische Topoi und Begriffe einfließen zu lassen, sofern sie seiner Aussageabsicht nützen.156 Das Buch Jesus Sirach und der Ecclesiastes (Kohelet) implizieren demgegenüber eine durchaus vertiefte (frühe) Auseinandersetzung mit griechischer Philosophie, die aber auf der Textoberfläche ganz hinter der Sprache und den Formen der biblischen Weisheit verborgen bleibt. Insgesamt haben wir also ein breites Spektrum von Möglichkeiten der Begegnung zwischen biblischer Weisheit und griechischer Philosophie vor Augen. Was aber alle hier untersuchten frühjüdischen Schriften miteinander 155 Er müsste mindestens durch die Einbeziehung der Werke des Josephus erweitert werden, für die es aber bisher weit weniger Vorarbeiten zur Rezeption hellenistisch-römischer Philosophie gibt als für Philon. Vgl. dazu mit ersten Hinweisen LEONHARDT-BALZER, Synagogen als Schulen der Tugenden (Anm. 46), 130–132; STEVE MASON, PHILOSOPHIAI. Graeco-Roman, Judean and Christian, in: JOHN S. KLOPPENBORG /STEPHEN G. WILSON (Hg.), Voluntary Associations in the Graeco-Roman World, London 1996, 31–58: 44–46. 156 Die hier nicht eigens untersuchten Fragmente des Pseudo-Orpheus (bzw. Testament des Orpheus) und der so genannte Syrische Menander (vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Außerkanonische Schriften im antiken Christentum. Das Beispiel syrischer Menander, in: Neutestamentliche Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Studien im Anschluss an Eckart Reinmuth [FS E. Reinmuth], hg. v. STEFAN ALKIER/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leipzig 2017, 377–401 [in diesem Band 601–623]), belegen, dass auch der hellenistischjüdischen Dichtung durchaus philosophische Kenntnisse zur Verfügung stehen konnten.

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Biblische Weisheit und griechische Philosophie

verbindet, ist ihre religiöse und geistige Bindung an das Gottesverständnis Israels und an die religiösen und ethischen Normen des Mosegesetzes. Das gilt auch für den am ehesten seinen zeitgenössischen philosophischen ‚Kollegen‘ nahestehenden Philon, dessen Werk (wie wohl auch das des Aristobulos) ganz einseitig auf dem (griechischen) Pentateuch basiert – welcher griechische Philosoph hätte so eine Engführung je akzeptieren können? Erst recht ist die Bindung an die Tora für das 4. Makkabäerbuch (explizit und sogar mit wörtlichen Zitaten aus dem Dekalog untermauert) und die Sapientia Salomonis (hier wegen der literarischen Fiktion der Salomo-Rede nur implizit, aber durch die scharfe Polemik gegen jegliche ‚heidnische‘ Religion unübersehbar) maßgeblich, und selbst in dem mit paganem Pseudonym versehenen Mahngedicht des Phokylides ist der Bezug auf die ihm zugrundeliegende frühjüdische ToraParänese unverkennbar. Auch die chronologisch am Beginn der Begegnung von Judentum und Hellenismus einzuordnenden Weisheitsschriften des Sirach und des Predigers Salomo stellen ihre Weisheit nicht dem Gesetz Gottes entgegen, sondern unterstellen sie der Gottesfurcht. So bilden Weisheit und Philosophie im Frühjudentum keinen Gegensatz zur Tora, weder sachlich noch traditionsgeschichtlich, sondern formen, wie es Philon und Josephus als Ideal beschreiben, mit dem Gesetz eine Harmonie, für die der Glaube an den Gott Israels den Grundton abgibt.

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora Einführung: Wahrung der Identität im Frühjudentum Einführung Wenn mit Michael Wolter Ethos definiert werden kann als „Kanon von habitualisierten Handlungen, der innerhalb eines sozialen Systems in Geltung steht“ und wenn darüber hinaus nach ihm ein solches Ethos die Funktion hat, „soziale Kohäsion“ zu stiften, indem es „den einzelnen die Zugehörigkeit zur überindividuellen Gemeinschaft“ bestätigt, 1 dann stellen sich sofort Anschlussfragen: Wie kommt es zu einem solchen „Kanon von habitualisierten Handlungen“? Auf welche Weise wird er in Geltung gesetzt, und mit welchen Mitteln wird er aufrechterhalten? Inwiefern dienen habitualisierte Handlungen dazu, Identitäten zu stärken? Oder haben sie eher die Aufgabe, unterschiedliche Identitäten innerhalb eines sozialen Systems abzuschleifen, um auf diese Weise soziale Kohäsion zu verstärken? Im Blick auf die Lebensverhältnisse jüdischer Gemeinschaften in der hellenistisch-römischen Diaspora hat sich Gerhard Delling mit solcherart Fragen grundlegend und belegreich auseinandergesetzt. In seiner Untersuchung „Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum“ 2 charakterisierte er das Problem der Identitätswahrung, vor das die hellenistischjüdische Diaspora gestellt war, durch eine Folge von Kapiteln, die einen großen Bogen schlagen von der in der Bindung an die Tora begründeten Absonderung über die geistig-kulturelle Öffnung für die hellenistische Lebenswirklichkeit bis hin zum Auftrag des Judentums gegenüber der es umgebenden Zivilisation und der Erprobung jüdischen Lebens im Alltag einer weitgehend ablehnenden bis feindlichen Umwelt. Fragen wir, die Ansätze von Wolter und Delling verbindend, danach, wie jüdische Identität unter den Bedingungen der hellenistisch-römischen Diaspora bewahrt werden konnte, so lassen sich vorweg vier Wege dazu relativ deutlich erkennen: Identität kann bewahrt werden (1) durch sozial-religiöse Abgrenzung von der Umwelt. Mittel dazu sind z.B. die Endogamie, die Begrenzung 1

MICHAEL WOLTER, Ethos und Identität in paulinischen Gemeinden, NTS 43, 1997, 430– 444: 430f. 2 Berlin 1987. Diese und weitere einschlägige Arbeiten Dellings liegen jetzt in einer Neuausgabe gesammelt und durch Register erschlossen vor, auf die sich die folgenden Nachweise beziehen: GERHARD DELLING, Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000.

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Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

der Teilhabe an Privilegien auf die Gruppenmitglieder bis hin zu dem Versuch, der eigenen Gemeinschaft einen metaphorisch verstandenen Reinheitsstatus zuzuschreiben und durch Abgrenzung nach außen zu sichern. Identität kann auch bewahrt werden (2) durch unterscheidbare gruppenspezifische religiöse Handlungen. Auch hier liegen die entsprechenden Hinweise zur identitätsstiftenden Bedeutung von Beschneidung, Speisegeboten und Sabbatruhe für die Diasporagemeinden auf der Hand. Natürlich können sozial-religiöse Abgrenzung (1) und gruppenspezifische Handlungen (2) ihrerseits wiederum für die Außenwelt auch durchaus attraktiv wirken. Besonders beim Sabbat zeigt sich solche Ambivalenz: Einerseits wird er als Kennzeichen jüdischer Identität von der Außenwelt kritisch wahrgenommen, andererseits übt er nach Ausweis mancher Quellen in der Diaspora gerade auch auf Nichtjuden eine gewisse Anziehungskraft aus. 3 Identität kann weiterhin bewahrt werden (3) durch Berufung auf unterscheidbare ‚stories‘, die den geistigen Mutterboden der aktuell praktizierten Lebensweisen der Gemeinschaft bilden. Offensichtlich sind die vielfältigen literarischen Aktivitäten im Frühjudentum, angefangen schon bei der Übersetzung der religiös autoritativen Schriften ins Griechische, Hinweise darauf, dass man die überkommenen Glaubensüberlieferungen Israels als grundlegend für die eigene Identität verstand und daher darum bemüht war, sie mit den geistigen und literarischen Mitteln der eigenen Zeit neu zur Sprache zu bringen und so lebendig zu halten. 4 Die ganz einseitige Konzentration auf biblische Stoffe und Themen, besonders auf die Erzväter- und Exodus-Überlieferung, die Mose-Tradition, aber auch die Prophetie und die Überlieferungen vom babylonischen Exil (bei gleichzeitig sehr weitreichender Freiheit in der Übernahme hellenistischer Literaturformen bis hin zu Orakelsprüchen und Pseudonymen

3

Diesen Hinweis verdanke ich, wie zahlreiche weitere im Folgenden, meinem Assistenten Dr. Lutz Doering, der die einschlägigen Belege in seiner Dissertation umfassend aufgearbeitet hat (LUTZ DOERING, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999, 283–306). – Zur kritischen Außenperspektive auf die jüdischen Diasporagemeinschaften vgl. im übrigen GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, in: DERS., Studien zum Frühjudentum (Anm. 2), 23–121: 32–36. Der Aspekt positiver Außenwahrnehmung wird stärker betont von LOUIS H. FELDMAN, Pro-Jewish Intimations in Anti-Jewish Remarks Cited in Josephus’ Against Apion, in: DERS., Studies in Hellenistic Judaism, AGJU 30, Leiden u.a. 1996, 177–236; DERS., Pro-Jewish Intimations in Tacitus’ Account of Jewish Origins, a.a.O., 377–407. Vgl. auch JOHN J. COLLINS, Between Athens and Jerusalem. Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora. Second Edition, Grand Rapids/Cambridge 2000, 6–13; SHAYE J. D. COHEN, Respect for Judaism by Gentiles According to Josephus, HThR 80, 1987, 409–430. 4 MARIE SIMON, Das Problem der jüdischen Identität in der Literatur des jüdischen Hellenismus, Kairos 30, 1988, 41–52; ROBERT HANHART, Die Bedeutung der Septuaginta für die Definition des „hellenistischen Judentums“, in: DERS., Studien zur Septuaginta und zum hellenistischen Judentum, hg. v. REINHARD G. KRATZ, FAT 24, Tübingen 1999, 67–79.

Einführung

151

aus der paganen Mythologie!) ist ein deutliches Signal für das Ziel solcher literarischer Versuche, die Gruppenidentität jüdischer Gemeinschaften in der Diaspora zu bewahren und zu stärken. Identität kann schließlich bewahrt werden (4) durch unterscheidbare Institutionen und Organisationsstrukturen. Im Blick darauf sind wir freilich über die hellenistisch-römische Diaspora nur sehr unzureichend informiert. Möglicherweise kam z.B. Priestern eine herausgehobene Funktion im Rahmen von Synagogenversammlungen zu. 5 Aber die sogenannten ‚Synagogenämter‘ entsprechen zumindest hinsichtlich der Terminologie weitgehend dem, was wir von antiken Vereinen oder städtischen Ämtern kennen, und bilden somit gerade kein Identitätsmerkmal. 6 Zwar haben wir zahllose epigraphische Hinweise auf jüdische Grabstätten, 7 aber sie finden sich nicht etwa nur auf jüdischen Friedhöfen, sondern breit gestreut (und oft gar nicht eindeutig als jüdisch identifizierbar) zwischen anderen Gräbern. 8 Gelegentlich, besonders in rabbinischen Zeugnissen, wird die Pracht von Synagogenbauwerken beschrieben, so insbesondere für Alexandria. 9 Aber die Versammlungsräume der Gemeinden in der

5 Belege aus Inschriften, in denen dem Namen die priesterliche Abstammung zugefügt wurde, nennt DELLING, Bewältigung der Diasporasituation (Anm. 3), 70. Nach Philo, Hypothetika (bei Euseb, Praeparatio Evangelica VIII) 7,13, liest einer der Priester oder Ältesten in der sabbatlichen Synagogenversammlung die „heiligen Gesetze“ vor und legt sie anschließend Stück für Stück aus. 6 HERMANN LICHTENBERGER, Organisationsformen und Ämter in den jüdischen Gemeinden im antiken Griechenland und Italien, in: ROBERT JÜTTE/ABRAHAM P. KUSTERMANN (Hg.), Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1998, 11–27; WALTER AMELING, Die jüdischen Gemeinden in Kleinasien, a.a.O., 29–55; TESSA RAJAK/DAVID NOY, Archisynagogoi. Office, Title and Social Status in the Greco-Jewish Synagogue, JRS 83, 1993, 75–93; JAMES T. BURTCHAELL, From Synagogue to Church. Public services and offices in the earliest Christian communities, Cambridge 1992, 228–271; PETER WICK, Die urchristlichen Gottesdienste. Entstehung und Entwicklung im Rahmen der frühjüdischen Tempel-, Synagogen- und Hausfrömmigkeit, BWANT 150, Stuttgart 2002, 100– 102; DONALD D. BINDER, Into the Temple Courts. The Place of the Synagogues in the Second Temple Period, SBL.DS 169, Atlanta 1999, 343–371. 7 PIETER W. VAN DER HORST, Ancient Jewish Epitaphs. An introductory survey of a millennium of Jewish funerary epigraphy (300 BCE – 700 CE), Kampen 1991. 8 PAUL R. TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge 1991, 60–84; MARGARET H. WILLIAMS, The Organisation of Jewish Burials in Ancient Rome in the Light of Evidence from Palestine and the Diaspora, ZPE 101, 1994, 165–182: 173f.; DIES., The Jews of Corycus – A Neglected Diaspora Community from Roman Times, JSJ 25, 1994, 274– 286: 275–279. 9 Vgl. tSuk 4,6 (hg. v. Zuckermandel, 198); Parallelen in ySuk 5,1 (55a, 72–74); bSuk 51b Bar.; Übers. in: Die Tosefta II/3, übers. und erkl. v. HANS BORNHÄUSER/GÜNTER MAYER, Stuttgart u.a. 1993, 48f. (vgl. auch STRACK-BILLERBECK IV 122).

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Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

Diaspora werden in der Regel weder architektonisch noch etwa durch eine besondere Lage von den Wohnquartieren ihrer unmittelbaren Umgebung unterscheidbar gewesen sein. 10 Wie verhält es sich nun mit einem unterscheidbaren Ethos der jüdisch-hellenistischen Diaspora als Mittel zur Identitätsfindung, -stärkung und -bewahrung? Dies ist die Frage, der wir uns im folgenden Beitrag widmen wollen.

1. Die Tora als Kristallisationskern jüdischer Identität 1. Die Tora als Kristallisationskern jüdischer Identität Bevor wir bei der Suche nach einem unterscheidbaren hellenistisch-jüdischen Ethos konkrete „habitualisierte Handlungen“ in den jüdischen Diasporagemeinschaften in den Blick nehmen, müssen wir zunächst auf die Tora als ganze eingehen. Sie wurde nach dem sich in den frühjüdischen Quellen niederschlagenden Selbstverständnis auch in der Diaspora als Verstehens- und Deutungszusammenhang jüdischer Existenz angesehen, wenngleich sich die daraus resultierenden konkreten Forderungen für ein der Tora entsprechendes Leben durchaus den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend unterscheiden konnten. Die Tora kann jedenfalls als Kristallisationskern angesehen werden, an welchem sich jüdische Identität herausbildete und auf den sie bezogen blieb, selbst wenn die aktuellen Anforderungen jüdischen Lebens in der Diaspora kaum noch mit ihrem Wortlaut in Einklang zu bringen waren. Der Begriff Tora muss dabei allerdings weit gefasst und in einem mehrfachen Sinn gefüllt werden. 11

10

Nach Philo, LegGai 134, waren die Synagogen Alexandrias, unter ihnen auch „die größte und berühmteste“, baulich so in die Wohnquartiere integriert, dass man sie nicht anzünden oder niederreißen konnte. Auch die nach den Ausgrabungsbefunden ebenfalls bedeutende Synagoge von Sardes war wohl ursprünglich ein Privathaus, vgl. ANDREW R. SEAGER/A. THOMAS KRAABEL, The Synagogue and the Jewish Community, in: GEORGE M. A. HANFMANN (Hg.), Sardis from Prehistoric to Roman Times. Results of the Archaeological Exploration of Sardis 1958– 1975, Cambridge/London 1983, 168–190. Zur aktuellen Diskussion über die Synagogen in der Diaspora vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität (VWGTh 8), Gütersloh 1995, 339–359: 344–346, sowie seither ARYEH KASHER, Synagogues as ‚Houses of Prayer‘ and ‚Holy Places‘ in the Jewish Communities of Hellenistic and Roman Egypt, in: DAN URMAN/PAUL V. M. FLESHER (Hg.), Ancient Synagogues. Historical Analysis and Archaeological Discovery, StPB 47, Leiden u.a. 1995, Bd. 1, 205–220; LOUIS H. FELDMAN, Diaspora Synagogues. New Light from Inscriptions and Papyri, in: DERS., Studies in Hellenistic Judaism (Anm. 3), 577–602; BINDER, Temple Courts (Anm. 6), 227–342. 11 Vgl. zum im Folgenden vorausgesetzten differenzierten Toraverständnis im Frühjudentum KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Hg.), Gemeinde ohne Tempel/Community without Temple. Zur Substituierung und

1. Die Tora als Kristallisationskern jüdischer Identität

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Er umfasst zum einen den der Erwählung Israels zugrunde liegenden Willen Gottes, wie er durch Mose am Sinai empfangen und dem Volk mit dem Auftrag, in rechter Weise seiner Erwählung durch Gott zu antworten, übergeben worden ist. Er bezeichnet darüber hinaus die schriftlich fixierte Urkunde dieses Gotteswillens vom Sinai her, also das als autoritatives Schriftenkorpus überlieferte und zu studierende „Buch des Gesetzes“, den Pentateuch. Und er umfasst schließlich ebenso die aus solchem Studium erwachsende aktuell gültige Forderung, die Gebote Gottes vom Sinai der gegenwärtigen Situation entsprechend zu befolgen. Unter drei Aspekten möchte ich die grundlegende Funktion der Tora für jüdische Identität in der Diaspora noch etwas vertiefen: Die Tora erschließt sich beim Lernen (1.1). Treue zur Tora ist Leitlinie jüdischer Existenz (1.2). Weltwahrnehmung geschieht mit den geistigen Mitteln und nach den Regeln der Tora (1.3). 1.1 Lernen der Tora Lernen der Tora als Grundlage eines ihr entsprechenden Lebens vollzog sich in der Diaspora wie im Mutterland vorwiegend in den Familien und in den Synagogen. 12 Nach Josephus ist die Erziehung der Kinder zum Beachten der Gebote und einer ihrer Überlieferung entsprechenden Frömmigkeit vornehmste Aufgabe und geradezu ein Unterscheidungsmerkmal der Juden von anderen Völkern. 13 Allen soll die Kenntnis der Gesetze von früh an eingeprägt werden, um sie vom Sündigen abzuhalten oder ihnen wenigstens eine Ausflucht unter Berufung auf Unkenntnis zu nehmen. 14 Schon die Kinder sollen die wichtigsten der Gesetze lernen, da diese „schönster Lehrgegenstand und Grundlage des Glücks“ seien. 15 Wenn Platon den Bürgern seines idealen Staates keine höhere Erziehungsaufgabe als die des genauen Lernens der Gesetze aufgegeben habe, so tat er das nach Josephus lediglich als Nachahmer des Mose. 16 Wenn Paulus

Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460: 430–437 [in diesem Band 175–207]; DERS., Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption, in: Gedenkt an das Wort, (FS W. Vogler), hg. v. CHRISTOPH KÄHLER/MARTINA BÖHM/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leipzig 1999, 175–200: 177–181 [in diesem Band 299–323], und die dort angegebene Literatur. 12 Vgl. dazu NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 10), 346. 13 Josephus, Ap 1,60. 14 Josephus, Ant 4,210; das gleiche Argument Ap 2,175.178.204. 15 Josephus, Ant 4,211:   Ž  ‘’“ “”•–—!  

!  ‘˜ ™  š , vgl. Ap 2,175. 16 Josephus, Ap 2,257.

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Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

im Rückblick auf seine Erziehung und Prägung davon spricht, dass er ein „eifriger Anhänger der väterlichen Überlieferung“ gewesen sei (Gal 1,14), klingt darin offenbar seine eigene familiäre Unterweisung in der Tora an. 17 Im 4. Makkabäerbuch begegnet gleich am Beginn unter den Begriffsbestimmungen die „Erziehung, die uns das Gesetz angedeihen lässt, durch die wir voll Ehrfurcht die göttlichen Dinge erlernen und zu unserem Nutzen die menschlichen“ (1,17). 18 Plastisch wird die familiäre Toraunterweisung sichtbar im Verweis des Autors auf die Bruderliebe. Die (jüdischen) Brüder „gedeihen prächtig aufgrund der gemeinsamen Erziehung und des täglichen Umgangs und der übrigen Ausbildung, insbesondere der bei uns praktizierten Einübung in das Gesetz Gottes“ (13,22). Die Mutter der sieben Märtyrerbrüder erinnert diese an ihre Kindheit, als der Vater sie „das Gesetz und die Propheten lehrte“ (18,10). Auch Philon gibt ein schönes Beispiel dafür, wie Toraunterweisung in der Synagoge und in der Familie zusammengehören. In Hyp 7,12–14 beschreibt er zunächst eine sabbatliche Synagogenversammlung, bei der die Tora vorgelesen und Stück für Stück ausgelegt wird. Gleich anschließend betont er, dass jeder Jude, auf diese Weise unterwiesen, gleichermaßen dazu in der Lage ist, kritische Anfragen von außen zu beantworten wie auch die erfahrene Gesetzesunterweisung in seinem Hause weiterzugeben, der Mann seiner Frau, der Vater seinen Kindern, der Herr seinen Sklaven. Dass Synagogen in besonderer Weise dem Studium und der Unterweisung in der Tora dienen, wird von Philon mehrfach herausgestellt. So bezeichnet er sie als „Lehrhäuser“ (    ), in denen die vier Kardinaltugenden sowie die Pflichten gegenüber Gott und den Menschen gelehrt werden. 19 Einige epigraphische Belege dokumentieren den Erfolg solcher Unterweisung, wenn etwa auf Grabinschriften Prädikate wie „gebotliebend“ (› œ), „gesetzliebend“ (› ) oder auch der Name „Gesetzesfreund“ (›  ) begegnen. Auch „Gesetzesgelehrte“ ( ) und „Lehrer“ (  ) sind inschriftlich belegt. 20

17

Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 26–35. 18 Übersetzung hier und im Folgenden nach HANS-JOSEF KLAUCK, 4. Makkabäerbuch, JSHRZ III/6, Gütersloh 1989, 645–763. 19 Philo, VitMos 2,216; SpecLeg 2,62. Vgl. dazu CARL JOACHIM CLASSEN, Der platonischstoische Kanon der Kardinaltugenden bei Philon, Clemens Alexandrinus und Origenes, in: Kerygma und Logos (FS C. Andresen), hg. v. ADOLF MARTIN RITTER, Göttingen 1979, 68– 88: 69–75. 20 Vgl. DELLING, Bewältigung der Diasporasituation (Anm. 3), 69f.; die von Delling angeführten Inschriften CIJ I 132 und CIJ I 111 sind jetzt zugänglich bei DAVID NOY, Jewish Inscriptions of Western Europe, Bd. 2: The City of Rome, Cambridge 1995, Nr. 281 (S. 244) und Nr. 212 (S. 190). Zu ›   und weiteren Belegen vgl. MARGARET H. WILLIAMS,

1. Die Tora als Kristallisationskern jüdischer Identität

155

1.2 Treue zur Tora Treue zur Tora im Alltag ist weder messbar, noch hat sie sich in der Regel unmittelbar in den erhaltenen Quellen niedergeschlagen. 21 Zudem sind bei der Interpretation von Aussagen über die Toratreue jeweils die literarische Gattung und die Aussageabsichten der Autoren zu berücksichtigen. Wenn etwa Josephus behauptet, jeder Jude „könnte die Gesetze alle leichter hersagen als seinen eigenen Namen, … und selten gibt es einen Übertreter“, 22 dann handelt es sich textpragmatisch gesprochen um einen Appell, keine Beschreibung. Auch die Zeichnung von Idealgestalten der Toratreue wie Mose, 23 Josef 24 oder manche der Jakobsöhne in den Zwölfertestamenten 25 hat primär paränetische Funktion. Ablesbar wird gelebte Treue zur Tora aber dort, wo sie zu Konflikten führt oder wenigstens kritische oder manchmal auch bewundernde Aufmerksamkeit bei außenstehenden Beobachtern weckt. Wir brauchen die Befunde hier nicht im Einzelnen darzustellen. Hinsichtlich der Außenperspektive sind sie in jüngerer Zeit eindrucksvoll durch Louis H. Feldman zusammengetragen worden. 26 Konflikte haben sich besonders an solchen Forderungen der Tora entzündet, die sich von religiösen oder sozialen Konventionen der Umwelt auffällig abhoben. Natürlich ist hier vor allem an die sogenannten „identity marker“, Beschneidung, Sabbat und Speisegebote, zu denken. Auch sie sind in zahlreichen neueren Untersuchungen ausreichend dargestellt worden. 27

The Jewish Community of Corycus. Two More Inscriptions, ZPE 92, 1992, 248–252: 249; zu den Gesetzeslehrern vgl. VAN DER HORST, Epitaphs (Anm. 7), 95.99. 21 Eine Ausnahme, welche die Regel bestätigt, ist CPJ 10, wo in einer Liste über tägliche Lehmziegellieferungen für den siebenten Tag anstelle der Angaben über Lieferanten und Anzahl der gelieferten Ziegel schlicht ž  steht (vgl. DOERING, Schabbat [Anm. 3], 289– 291; der Beleg ist auch schon bei DELLING, Bewältigung der Diasporasituation [Anm. 3], 72, ausgewertet). 22 Josephus, Ap 2,178 (Übersetzungen aus Ap 2,145–296 hier und im Folgenden nach CHRISTINE GERBER, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden u.a. 1997, 395–419). 23 Vgl. Philo, VitMos passim; Josephus, Ant 2,201–4,331, bes. 4,328; Ap 2,154.161.168 (vgl. dazu LOUIS H. FELDMAN, Jew and Gentile in the Ancient World. Attitudes and Interactions from Alexander to Justinian, Princeton 1993, 243–287. 24 Vgl. Philo, Jos; TestJos; JosAs. 25 Besonders Issachar, Benjamin (dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 109–137) und Josef (dazu HARM W. HOLLANDER, Joseph as an Ethical Model in the Testaments of the Twelve Patriarchs, SVTP 6, Leiden 1981). 26 S.o., Anm. 3. 27 S. jetzt die zusammenfassende Würdigung bei JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996, 428– 442. Vgl. auch NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 10), 348–350.

156

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

Schließlich kann hier auch lediglich hingewiesen werden auf den interessanten Versuch von John Barclay, verschiedene Grade sozialer Integration von Juden in ihre hellenistisch-römische Umgebung zu unterscheiden. 28 Hierbei stand insbesondere die Abgrenzung gegenüber allen Vollzügen heidnischer Religion als Forderung der Tora im Zentrum, wobei je nach Grad der „assimilation“ durchaus unterschiedliche Lösungswege gefunden werden konnten. Da wir uns aber in unserem Beitrag auf das jüdisch-hellenistische Ethos konzentrieren wollen, wie es primär in konkreten Verhaltensweisen ‚normaler‘ Juden im Alltag zum Ausdruck kam, brauchen wir auf die von Barclay entwickelte sehr differenzierte Quellenanalyse nicht weiter einzugehen und können uns mit dem allgemeinen Urteil begnügen, dass die prinzipielle Forderung der Treue zur Tora einen relativ breiten Spielraum eröffnete, der durch im Einzelnen immer wieder neu zu treffende Entscheidungen mit Leben zu erfüllen war und dessen Grenzen immer wieder neu aufzusuchen und zu markieren waren. 1.3 Die Tora als Maßstab der Weltwahrnehmung Auch in geistig-intellektueller Hinsicht war die Tora Grundlage für die jüdische Existenz in der Diaspora. Wenngleich wir dies hier nicht weiter entfalten können, müssen wir doch wenigstens darauf hinweisen, da bei der Bestimmung der Konturen des jüdisch-hellenistischen Ethos dessen geistig-religiöse Grundlagen nicht beiseitegelassen werden dürfen. 29 In charakteristischer Weise bringt Josephus am Schluss seiner Schrift gegen Apion (Ap 2,280–286) den Zusammenhang zwischen dem spezifischen Gottesglauben Israels und der universalen Bedeutung der Tora zur Geltung. Da die Tora der Juden das erste, ursprüngliche Gesetz der Menschheit überhaupt ist, ihre Gebote auch erstmals von den Juden erprobt worden sind, können alle Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten zwischen ihr und den Gesetzen und Lehren der Griechen oder Barbaren nur als (durchaus zu lobende) Nachahmung derselben angesehen werden. 30 Ganz von sich aus habe sich das jüdische Gesetz auf diese Weise als stark erwiesen, „und wie Gott durch das ganze All sich verbreitet hat, so findet das Gesetz durch alle Menschen seinen Weg“ (284).

28

BARCLAY, Jews (Anm. 27), 82–124.320–335. Vgl. hierzu die grundlegende Arbeit von MEINRAD LIMBECK, Die Ordnung des Heils. Untersuchungen zum Gesetzesverständnis des Frühjudentums, Düsseldorf 1971, sowie zuletzt HEINRICH HOFFMANN, Das Gesetz in der frühjüdischen Apokalyptik, StUNT 23, Göttingen 1999. 30 Josephus, Ap 2,281: „Als erste haben nämlich die Philosophen bei den Griechen zwar dem Scheine nach das Heimatliche bewahrt, in den Taten aber und beim Philosophieren folgten sie jenem (dem Gesetzgeber), so wie sie einerseits über Gott dachten, andererseits Einfachheit des Lebens und die Gemeinschaft miteinander lehrten.“ 29

2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese

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Auch für Philon besteht die Tora nicht aus partikularen Bestimmungen für Israel. Vielmehr erlangen diejenigen, die an jedem Sabbat in der Synagoge die Tora studieren und sich aus ihr zur Besserung ihrer Lebensweise unterweisen lassen, Wissen und Anschauung von der Natur. 31 Was die Philosophen der Griechen durch ihre Gelehrtheit erstreben, erlangen die Juden aus der Kenntnis ihrer Gesetze: das Wissen von der höchsten und ursprünglichsten Ursache des Alls. 32

2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese: Themen, Formen, Begründungen 2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese Hermann von Lips hat in seiner umfassenden Untersuchung von weisheitlichen Traditionen im Neuen Testament versucht nachzuweisen, dass im Frühjudentum Weisheit und Gesetz als zwei voneinander abhebbare Überlieferungsbereiche nebeneinander bestanden haben oder wenigstens, vorsichtiger gesagt, „eine differenzierte Entwicklung in der Zuordnung von Weisheit und Gesetz vorliegt“. 33 Es könne immerhin „sehr wohl noch von eigenständiger weisheitlicher Tradition gesprochen werden“. 34 Zeugnisse dafür findet er in den Zwölfertestamenten, dem Aristeasbrief, der Sapientia Salomonis, dem 4. Makkabäerbuch, Joseph und Aseneth, Pseudo-Phokylides, Aristobulos und bei Philon. Zu berücksichtigen wären in diesem Zusammenhang wenigstens auch noch die fragmentarischen Zeugnisse jüdisch-hellenistischer Historiker und Dichter, das slavische Henochbuch, das Leben Adams und Evas und die Schriften des Josephus, insbesondere der Schlussteil seiner Schrift gegen Apion (Ap 2,145– 296).

31 Philo, VitMos 2,216: › ›  Ÿ    ¡“” › › ¢£”   œ“  ¤ ‘ ”¥•“”‘›¦ . 32 Philo, Virt 65: “    ‘“”“ §. Als Ausdruck der kosmischen Ordnungsfunktion der Tora kann wiederum insbesondere der Sabbat gelten. Schon für Aristobulos ist die „Siebenergesetzmäßigkeit“ in der Schöpfung begründet (Frgm. 5: CARL R. HOLLADAY, Fragments from Hellenistic Jewish Authors, Bd. 3: Aristobulos, SBL.TT 39, Atlanta 1995, 176–197; NIKOLAUS WALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III/2, Gütersloh 1975, 257–299: 276–279; vgl. dazu auch ausführlich DERS., Der Thoraausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, TU 86, Berlin 1964, 68–81). Für Philon ist der Sabbat „Geburtstag des Kosmos“ (Belege bei DOERING, Schabbat [Anm. 3], 366–374; vgl. schon DELLING, Bewältigung der Diasporasituation [Anm. 3], 42–44). 33 HERMANN VON LIPS, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990, 59. 34 A.a.O., 62.

158

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

Dass Weisheitstraditionen in den genannten Werken nachweisbar sind, z.T. bis hin zu terminologischen Verbindungen, ist natürlich überhaupt nicht von der Hand zu weisen. In großer Dichte finden sie sich etwa im Zusammenhang der Begriffsbestimmungen am Beginn des 4. Makkabäerbuches. 35 In der Sapientia Salomonis wird (der implizite Autor) Salomo als Weisheitslehrer gezeichnet. 36 Bei Eupolemos erscheint schon Mose als genialer „erster Weiser“. 37 Auch Philon kann in ähnlicher Weise wie das 4. Makkabäerbuch die Philosophie an die Weisheit binden, welche als „Erkenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge und ihrer Ursachen“ definiert wird. 38 Diese Definition entspricht bis in die Formulierung hinein popularphilosophischen Bestimmungen der Weisheit. 39 Philon kann Gott selbst „Mann der Weisheit“ nennen. 40 Nun ist allerdings bereits bei solchen ausdrücklichen Aufnahmen weisheitlicher Terminologie und Überlieferung deutlich, dass sie in ihrem literarischen Kontext jeweils mit Überlieferungen verknüpft sind, die ausdrücklich oder zumindest implizit die spezifischen „Identitätsgüter“ Israels zur Sprache bringen. Wenn etwa Abraham, Josef, Salomo oder gar Mose als ideale Weise erscheinen, dann kann ihre spezifische Rolle in den Geschichtsüberlieferungen des Gottesvolkes ja nicht einfach ausgeblendet werden. Dies gilt zumal, wenn das Verhältnis von Weisheit und Tora ausdrücklich thematisiert wird. So hat schon die Identifikation beider Größen in Sir 24 ja einen spezifischen „Richtungssinn“: Die Weisheit, die aus dem Munde Gottes hervorgehend den Himmel, den Abgrund und den Erdkreis durchschritten hat, hat in Jakob ihr Zelt aufzuschlagen (V. 8), wird auf dem Zion fest eingesetzt (V. 10) und schlägt Wurzeln

35

Vgl. 4Makk 1,15–18: „Die Urteilskraft also ist der Verstand, der mit klarer Überlegung das Leben der Weisheit wählt. Weisheit wiederum ist Erkenntnis der göttlichen und der menschlichen Dinge samt ihrer jeweiligen Ursachen. … An einzelnen Ausprägungen der Weisheit haben wir Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit.“ 36 Vgl. bes. 4Makk 6,12–19; 7,22–8,1; 9,13–18. Zu Salomo in der frühjüdischen Weisheitsüberlieferung vgl. MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979, 128–139. 37 EupolHist, Frgm. 1,4: ¢¨› “”•›¢©œ , CARL R. HOLLADAY, Fragments from Hellenistic Jewish Authors, Bd. 1: Historians, SBL.TT 20, Chico 1983, 112f.; NIKOLAUS WALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, JSHRZ I/2, Gütersloh 1976, 93–108: 99. 38 Philo, Congr 79: ª ©«”› › “   › ¬› “   

‘  ”“ ‘•¦ §. 39 Vgl. z.B. Seneca, Epistulae morales 89,5: „Weisheit besteht darin, zu kennen göttliche und menschliche Dinge und deren Ursachen.“ (zit. nach Lucius Annaeus Seneca, Philosophische Schriften lat. und dt., hg. v. MANFRED ROSENBACH, Darmstadt 1995, Bd. 4, 328f.). 40 Philo, Cher 49: §• ­ £­” ¬ ‘•““  ”¬® ©© ¯ ˜¬ ‘ ›  ¡” “œ”  ° ° ©œ     ˜  § © ¡ ‘“ ” œ©.

2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese

159

in einem gepriesenen Volk (V. 12), wird also als Tora für Israel definiert, nicht etwa wird umgekehrt die Tora Israels als Weisheit für alle Völker verallgemeinert. Dieser Richtungssinn ist auch im Prolog der griechischen Fassung des Sirachbuches nachdrücklich unterstrichen, wenn das Ziel aller Bemühungen um Weisheit darin bestimmt wird, dem Gesetz entsprechend zu leben (V. 35:  ¦ ). Von hier aus sind auch die Aussagen der hellenistisch-jüdischen Literatur zu verstehen, nach welchen alle kulturellen Werte der Griechen und Römer ursprünglich von den Juden oder wenigstens von ihren heilsgeschichtlichen Ahnen herrühren. Mose hat die Buchstaben erfunden, 41 dazu noch allerhand Rüstungstechnik, den Schiffbau, die Bewässerungstechnik und die Philosophie, 42 Josef den Ackerbau, 43 Abraham gar die Astrologie! 44 Aristobulos macht die griechischen Philosophen zu unmittelbaren Schülern des Mose. 45 Für Philon ist Mose gerade darin vorbildlicher Weiser, dass er als Gesetzgeber alle übrigen bei Griechen und Barbaren überragt. 46 Auch bei Josephus wird Mose gleich am Beginn der Antiquitates als Lehrmeister der griechischen Philosophen und Gesetzgeber eingeführt. 47 Dem entspricht es, wenn der Verfasser am Ende seines großen Werkes resümierend schreibt: „Bei uns sind nämlich diejenigen nicht besonders angesehen, die in vielen Sprachen bewandert sind und auf Schönheit im Ausdruck Wert legen … Vielmehr genießen nur diejenigen bei uns den Ruf von Weisen, die eine gründliche Kenntnis des Gesetzes verraten und die Bedeutung der heiligen Bücher nach Wort und Inhalt zu erklären vermögen.“ 48 Die Verankerung universaler Weisheit in den exklusiv auf Israel bezogenen Glaubensüberlieferungen schlägt sich nicht nur in solch vollmundigen Behauptungen jüdischer Literaten nieder, über deren angezielte Adressaten man eigens

41 EupolHist, Frgm. 1 (HOLLADAY, Fragments 1 [Anm. 37], 112f.; WALTER, Historiker [Anm. 37], 99). 42 Artapanos, Frgm. 3,4 (HOLLADAY, Fragments 1 208f.; WALTER, Historiker 129). 43 Artapanos, Frgm. 2,2f. (HOLLADAY, Fragments 1 206f.; WALTER, Historiker 128). 44 PseudEupolHist, Frgm. 1,3 (HOLLADAY, Fragments 1 170–173; WALTER, Historiker 141); vgl. zu Abraham als Lehrer der Astrologie auch PseudEupolHist, Frgm. 1,8 (HOLLADAY, Fragments 1 174f.; WALTER, Historiker 142 [neben Henoch als deren Erfinder]); Artapanos, Frgm. 1 (HOLLADAY, Fragments 1 204f.; WALTER, Historiker 127); Josephus, Ant 1,166–168. 45 Aristobulos, Frgm. 3,1 (HOLLADAY, Fragments 3 [Anm. 32], 152–155; WALTER, Exegeten [Anm. 32], 273f.). Vgl. auch KÜCHLER, Weisheitstraditionen (Anm. 36), 119–127. 46 Philo, VitMos 2,12:  • ±”  • “  £ “¬ ²  “ ”³ ´ µ ”” ©œ. Vgl. auch Arist 139:›¢¶· œ“¢ 

  œ§“© •¸“. 47 Josephus, Ant 1,18–26; vgl. Ap 2,154–156. 48 Josephus, Ant 20,264 (Übers. Clementz).

160

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

noch einmal nachzudenken hätte. 49 Vielmehr zeigt sie sich auch bei einer genaueren Analyse der materialen ethischen Weisungen in der jüdisch-hellenistischen paränetischen Literatur. Offenkundig gibt es eine ganze Reihe von Topoi, Themen und Begriffen, welche der frühjüdischen Toraparänese und der hellenistisch-römischen Popularphilosophie gemeinsam sind. Zum Zwecke einer ersten Illustration solcher Gemeinsamkeiten und Differenzen mag man sich nur die Titel einiger beliebig ausgewählter Schriften aus den sogenannten Moralia des Plutarch vergegenwärtigen 50 und sie neben die paränetischen Themen der Testamente der Zwölf Patriarchen stellen, wie sie in den Überschriften der einzelnen Testamente (vermutlich sekundär) formuliert sind: Plutarch Über den Fortschritt in der Tugend Über Vorschriften zum Schutz der Gesundheit Über die tugendsame Ehefrau Über die sittliche Tugend Über die Beherrschung des Zorns Über den Seelenfrieden Über die Bruderliebe Über die Geschwätzigkeit Über das Begehren des Reichtums Über Missgunst und Hass Über das Selbstlob Trostschrift an die Gattin Von der Vielzahl der Freunde

49

TestXII Über die Gesinnung (TestRub) Über den Neid (TestSim) Über Priestertum und Hochmut (TestLev) Über Tapferkeit, Geldgier und Hurerei (TestJud) Über die Lauterkeit (TestIss) Über Erbarmen und Barmherzigkeit (TestSeb) Über Zorn und Lüge (TestDan) Über die natürliche Güte (TestNaph) Über den Hass (TestGad) Über die zwei Gesichter der Bosheit und der Tugend (TestAss) Über die Enthaltsamkeit (TestJos) Über die reine Gesinnung (TestBenj)

Zur neueren Debatte dieser Frage vgl. GERBER, Judentum (Anm. 22), 89–93; STEVE MA-

SON, The Contra Apionem in Social and Literary Context. An Invitation to Judean Philosophy,

in: LOUIS H. FELDMAN/JOHN R. LEVISON (Hg.), Josephus’ Contra Apionem. Studies in its Character and Context with a Latin Concordance to the Portion Missing in Greek, AGJU 34, Leiden u.a. 1996, 187–228: 208–216.222–224; ARYEH KASHER, Polemic and Apologetic Methods of Writing in Contra Apionem, a.a.O., 143–186: 150–157; BERND SCHRÖDER, Die ‚väterlichen Gesetze‘. Flavius Josephus als Vermittler von Halachah an Griechen und Römer, TSAJ 53, Tübingen 1996, 138–141. 50 Zu Plutarch vgl. jetzt die schöne Einführung von RAINER HIRSCH-LUIPOLD in: Plutarch, ¹§ • š” ¢  ­ . Ist „Lebe im Verborgenen“ eine gute Lebensregel? Eingel., übers. und mit interpretierenden Essays versehen v. ULRICH BERNER u.a., SAPERE 1, Darmstadt 2000, 11–30. Einen Einblick in Titel und Themen der moralischen Schriften vermittelt HANS-DIETER BETZ (Hg.), Plutarch’s Ethical Writings and Early Christian Literature, SCHNT 4, Leiden 1978. Eine kleine Auswahl ist leicht zugänglich über: Plutarch von Chaironeia. Moralphilosophische Schriften, ausgew., übers. und hg. v. HANS-JOSEF KLAUCK, Stuttgart 1997.

2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese

161

Deutlich lassen sich eine ganze Anzahl von verwandten Topoi und Themen erkennen wie etwa sittliche Tugend, Enthaltsamkeit, Güte, Reichtum, Ruhmsucht, Hass, Neid, Zorn etc. 51 Sieht man freilich näher hin, so fallen auch die Unterschiede sofort ins Auge. Differenzen zeigen sich insbesondere im Blick auf die literarischen Rahmengattungen, in welche die gemeinsamen ethischen Topoi eingeordnet sind, darüber hinaus aber auch hinsichtlich der Aussageabsicht und des Adressatenkreises der genannten Schriften. Diese Differenzen wiederum beruhen letztlich auf einer grundlegend verschiedenen theologischphilosophischen Verwurzelung der Paränese. Ein kurzer Blick auf das so schwer überschaubare Werk des Philon mag in diesem Zusammenhang helfen, die geistige Verwurzelung der frühjüdischen paränetischen Tradition etwas genauer zu erkennen. Die Fülle der überlieferten Einzelschriften lässt sich bekanntlich zu großen Teilen auf drei große, zusammenhängende Auslegungswerke zum Pentateuch verteilen, die sich vor allem durch die vorwiegend angewandte Auslegungsmethode voneinander unterscheiden. 52 Das eine Werk (bestehend aus Op, Abr, Jos, Decal, SpecLeg, Virt, Praem sowie VitMos) will eine systematische Gesamtdarstellung des Mosegesetzes bieten. Es schildert die Persönlichkeiten der Erzväter und des Mose als ideale Verkörperungen der Tora und ordnet die Vielzahl ihrer Einzelbestimmungen den Geboten des Dekalogs zu. Die Tora ist somit nicht ein „Sammelsurium“ diffiziler Einzelvorschriften für ein ethnisch und territorial abgegrenztes Gemeinwesen, sondern wohlgeordnetes „Natur-“ bzw. „Weltgesetz“ nach dem Vorbild stoischer philosophischer Tradition. Auch im zweiten exegetischen Werk des Philon, dem groß angelegten allegorischen Kommentar zur Genesis (bestehend aus All, Cher, Sacr, Det, Post, Gig/Imm, Agr/Plant, Ebr, Sobr, Conf, Migr, Her, Congr, Fug, Mut, Som), interpretiert Philon die Überlieferungen des Pentateuch im Sinne einer „Philosophie des Mose“. Ausgehend von ausgewählten Passagen der Genesis, manchmal lediglich einzelnen Versen oder Wendungen, entwickelt Philon seine Deutung mit Hilfe der allegorischen Methode in breit ausgeführten, thematisch in sich geschlossenen philosophischen Traktaten. So regt etwa die kurze Bemerkung in Gen 9,20, Noach, der Bauer, fing an Wein anzubauen, Philon zu einer 51 Vergleichbar wären etwa auch Topoi der Paränese bei Lukian von Samosata wie z.B. Reichtum, Sexualverhalten, Ruhmsucht, Zorn, Giftmischerei, Putzsucht. Vgl. dazu HANS DIETER BETZ, Lukian von Samosata und das Neue Testament. Religionsgeschichtliche und paränetische Parallelen. Ein Beitrag zum Corpus Hellenisticum Novi Testamenti, TU 76, Berlin 1961, 185–211. 52 Vgl. die einführenden Überblicke bei MICHAEL MACH, Art.: Philo von Alexandrien, TRE 26, 1996, 523–531: 524f.; SAMUEL SANDMEL, Philo Judaeus. An Introduction to the Man, his Writings, and his Significance, ANRW II 21,1, 1984, 3–46: 6–13; PEDER BORGEN, Philo of Alexandria. A critical and synthetical survey of research since World War II, ANRW II 21,1, 1984, 98–154: 117–121. S. auch DERS., Philo of Alexandria. An Exegete for His Time, NT.S 86, Leiden u.a. 1997, 46–62.

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Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

langen Abhandlung über die Landwirtschaft an (Agr/Plant). Der Bibeltext scheint hier nur noch assoziativer, geradezu willkürlich gewählter Aufhänger für das eigentliche philosophische Anliegen zu sein. Allerdings ist er dennoch ständig in seinem Wortlaut präsent und wird bis in seine Details ausgedeutet, so dass diese Traktate ohne seine genaue Kenntnis gar nicht verstehbar sind. Das dritte exegetische Hauptwerk des Philon, offenbar ein weiterer allegorischer Kommentar zum Pentateuch, ist nur fragmentarisch erhalten (Quaest in Gen, Quaest in Ex). Hier wendet Philon, wie schon vor ihm der Exeget Demetrios, das Schema von Fragen und Antworten an, um den Text des Pentateuch fortlaufend ohne größere philosophische Abschweifungen auszulegen. Dabei interpretiert er den Bibeltext doppelt, zunächst im buchstäblichen Sinn und anschließend allegorisch. Damit folgt er selbst dem Maßstab, den er an anderer Stelle kritisch gegenüber manchen seiner jüdischen Zeitgenossen ins Feld führt, die auf das wörtliche Verständnis und eine darauf aufbauende Praxis der Gebote der Tora zugunsten ihrer allegorischen Interpretation ganz verzichten wollen. 53 Philon selbst hat sich offenbar der Treue zur Tora auch im alltäglichen Leben seiner hellenistisch geprägten Umwelt verpflichtet gefühlt, wenngleich gerade an den Quaestiones deutlich wird, dass sein intellektuelles Hauptinteresse bei der philosophischen Deutung der Tora mit Hilfe der allegorischen Auslegungsmethode liegt. Die ganz einseitige Konzentration seines philosophisch-exegetischen Werkes auf den Pentateuch und die Hinordnung aller aus der hellenistischen philosophischen Überlieferung übernommenen methodischen und inhaltlichen Hilfsmittel auf dessen Interpretation zeigen, dass Philon, wenn denn als Philosoph, dann als ein solcher aus der „Schule des Mose“ verstanden werden wollte. 54 Was bei Philon an der schriftstellerischen Eigenart seiner Auslegungswerke zum Pentateuch unmittelbar ablesbar ist, lässt sich im Grundsatz auch auf die weniger literarisch ambitionierten frühjüdischen Schriften übertragen, die eher erbaulich-ermahnenden Charakter haben. Dabei zeigt sich, dass sie durchaus nicht weniger offen sind als Philon für Sprachmuster und Konventionen, wie sie sich breit gestreut in hellenistisch-römischer Popularphilosophie finden. Was diese primär paränetischen Texte als jüdisch erkennen lässt, sind weder die konkreten Inhalte ihrer Mahnungen noch ihre sprachliche Gestaltung oder die Motive zu ihrer Illustration und Explikation, sondern allein ihre Einordnung in das Anliegen einer umfassenden Ermahnung zum Tun des Gotteswillens, wie er in der Tora zugänglich und normativ gültig ist.

53

Philo, Migr 88–93. JOHN PETER KENNEY (Hg.), The School of Moses. Studies in Philo and Hellenistic Religion, BJS 304, Atlanta 1995. 54

2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese

163

Zum Beleg für diese These gehe ich auf drei Beispiele näher ein, bei denen offenbar Kategorien popularphilosophischer Paränese für die Ermahnung zum Gehorsam gegenüber der Tora herangezogen werden. In der Erzählung Joseph und Aseneth 55 begegnen an mehreren Stellen prägnant formulierte Sätze, die ausdrücken, was sich für einen frommen Juden gehört und was nicht. Sie sind jeweils eingeleitet mit der Wendung ˜ ª “”  bzw. ˜“”  . Nimmt man diese Sätze zusammen, dann ergibt sich zwar nicht schon ein umfassender ‚Katechismus‘ vorbildlich-jüdischen Verhaltens, wohl aber eine Reihe von charakteristischen Verhaltensweisen, die durchaus so etwas wie ein Ethos 56 erkennen lassen: Ein frommer Jude küsst keine fremde Frau bzw. eine Jüdin keinen fremden Mann (8,5.7), er schläft nicht mit seiner Braut vor der Hochzeit (21,1), er vergilt nicht Böses mit Bösem (23,9; 29,3), er vermeidet körperliche Schädigungen seiner Mitmenschen (23,12) und versetzt einem am Boden liegenden Feind nicht den Todesstoß (29,3). Nimmt man noch einige in der Schrift als vorbildlich charakterisierte Verhaltensweisen hinzu, die nicht ausdrücklich mit der zitierten charakteristischen Wendung eingeleitet werden, dann wird das Bild des so gezeichneten frommen Juden noch plastischer: Er (bzw. sie) hat nicht Tischgemeinschaft mit Götzendienern, 57 hütet sich vor fremden Frauen, 58 widmet sich der sozialen Fürsorge für Bedürftige, 59 beherrscht seinen Zorn, 60 ist großmütig und versöhnungsbereit 61 und redet Gutes selbst über Feinde. 62 Mit der Einführungswendung der betreffenden Sätze (˜ “”  o.ä.) klingt vernehmbar ein Grundbegriff stoischer Ethik an, der Verweis auf das

 , das geziemende Tun, wie es der Natur entspricht. 63 Zwar finden sich für die zitierte Wendung keine exakten Parallelen, aber „der Ausdruck entspricht fixierter Redeweise im philosophischen Bereich mit ˜   bzw.

55

Text nach UTA BARBARA FINK, Joseph und Aseneth. Revision des griechischen Textes und Edition der zweiten lateinischen Übersetzung, FoSub 3, Berlin/New York 2008. 56 Vgl. GERHARD DELLING, Die Kunst des Gestaltens in „Joseph und Aseneth“, in: DERS., Studien zum Frühjudentum (Anm. 2), 257–294: 285f.; CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, Gütersloh 1983, , 577–735: 611–613. 57 JosAs 7,1:  ¡›˜  º«•»§©“² œ©º ¼ ˜°. 58 JosAs 7,5: ›½  œ  ¾º¿§£”• “¢© ¢ ”     ˜ÀÁ©«”    ˜ “­   ‘ › ”. 59 JosAs 4,7: ‘   “ ¡© ‘­  ˜¡ “”£ºœ  º. Vgl. 26,3. 60 JosAs 23,8–10: “ ¦   “¢Ô© ˜ … ‘Ô©¡˜ ¼ ˜°. Vgl. 28,15–17. 61 Vgl. Kap. 28f. 62 JosAs 28,12:   © «“”•£ ”• ˜. 63 Vgl. dazu MAXIMILIAN FORSCHNER, Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System, 2., durchges. und um ein Nachwort und einen Literaturnachtr. erw. Aufl., Darmstadt 1995, 184–196.

164

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

˜  .“ 64 Nun macht die hier zitierte Schrift als ganze freilich alles andere als den Eindruck eines popularphilosophischen Traktats. Vielmehr ist sie auf der Ebene des erzählten Geschehens ganz darauf ausgerichtet, die Grenzen zwischen jüdischer Lebensweise und den religiösen und sozialen Konventionen der nichtjüdischen Umgebung möglichst hoch aufzurichten. 65 Gegenüber dem Verfasser des Aristeasbriefes 66 erscheint der Autor von Joseph und Aseneth geradezu als Hardliner. Man vergleiche nur die unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der Tischgemeinschaft von Juden und Nichtjuden in der Diaspora: Während nach JosAs 7,1 jede solche Tischgemeinschaft prinzipiell ausgeschlossen scheint, 67 schildert der Aristeasbrief ausführlich ein Symposium, bei dem Jerusalemer Priester mit dem Pharao an einer Tafel liegen (180– 186), freilich unter peinlicher Wahrung ihrer „eigenen Gebräuche in bezug auf Getränke, Speisen und Lager“. 68 Man wird also kaum behaupten können, dass mit den Sätzen über das, was sich für einen frommen Juden gehört, die Ideale eines universalen philosophischen Ethos der hellenistischen Kultur und Zivilisation propagiert werden sollen. Vielmehr dienen die stoisch klingenden Begriffe der Charakteristik eines „Gott fürchtenden Mannes“ ( ¡”  ) bzw. einer ebensolchen Frau. Und um zu einem solchen oder einer solchen werden zu können, bedarf es erst einmal der expliziten Absage an jede Form von „Götzendienst“ und des in aller Form vollzogenen Übertritts zur jüdischen Glaubensgemeinschaft. „Gottesfurcht“ 69 ist hier also keineswegs ein popularphilosophischer Allgemeinplatz, sondern in Gefährdungen der Identität gelebter Glaube. Dieser herausgeforderte Glaube wird eingewurzelt und bestärkt durch die aktualisierende Rezeption gerade solcher biblischer Überlieferungen, in denen die Eigenart des Gottesvolkes exemplarisch zum Ausdruck gebracht werden kann.

64

DELLING, Die Kunst des Gestaltens (Anm. 56), 286. Vgl. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 27), 204–216: 211: „the sense of cultural antagonism which is the predominant tone of this document“. 66 Vgl. dazu BARCLAY, a.a.O.,138–150, sowie REINHARD FELDMEIER, Weise hinter „eisernen Mauern“. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief, in: MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 20–37. 67 Weitere Belege nennt BURCHARD, Joseph und Aseneth (Anm. 56), 646f. (Anm. d zu 7,1). 68 EpArist 182: ª   §  ©£”•  “”¢ « “« ‘ ”« ‘ ” (Text nach ANDRÉ PELLETIER, Lettre d’Aristée à Philocrate. Introduction, texte critique, traduction, et notes, SC 89, Paris 1962). 69 Vgl. zu Josef als Vorbild der Gottesfurcht JosAs 4,7: ‘ª  ¡› ¡”  , 8,8: ¼ ¡›“” Ä ‘ º ‘›¦º¢ . 65

2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese

165

Als zweites Beispiel verweise ich auf eine Passage aus dem Mahngedicht des (Pseudo-) Phokylides. 70 Man hat versucht, dem Schlussabschnitt 175–230 unter dem Stichwort „Haustafel“ einen inneren Zusammenhang zuzusprechen. 71 Aber dieser Begriff, der auf Luthers Kleinen Katechismus zurückgeht und dort auf eine Auswahl von Stellenangaben aus der neutestamentlichen Briefliteratur bezogen ist, entspricht schwerlich den Anordnungsprinzipien des betreffenden Abschnitts bei Pseudo-Phokylides. Treffender bezeichnet ihn Johannes Thomas als „Pflichtenliste nach stoischem Muster“. In solchen Pflichtenlisten „geht es darum, dass der einzelne verschiedene Situationen wahrnimmt und das erkennt, was jeweils das  , was die vernunftgemäße Bewährung der einen, immer gleichbleibenden Tugend für diesen Fall ist“. 72 Nach Art eines solchen Katalogs von Familienpflichten lassen sich in PseudPhok 175–227 Abschnitte über die Familiengründung (175f.), das Sexualverhalten (177–194), das Verhalten zwischen den Ehepartnern (195–197), die Auswahl der rechten Ehefrau (198–206), die Kindererziehung (207–217), das Verhalten gegenüber den Alten (218–222) und das gegenüber Sklaven (223–227) erkennen. Freilich gibt schon die quantitative Unausgewogenheit der einzelnen Abschnitte einen Hinweis darauf, dass die verdeckte Quelle solcher Ermahnungen nicht in der popularphilosophischen Reflexion zu suchen ist, sondern in einer lebendigen, aktualisierenden Interpretation von Geboten der Tora. So lässt sich bis ins Detail nachweisen, dass in der langen Reihe von im Wesentlichen negativ formulierten Mahnungen zum Sexualverhalten (177–194) die entsprechenden Gebote aus Lev 18 rezipiert und zeitgemäß paränetisch umformuliert worden sind. 73 Auch zu Torageboten aus anderen Textzusammenhängen gibt es deutliche Anklänge. 74 Demgegenüber fehlen Reflexionen über allgemeingültige Grundsätze von Moral und Tugend hier gänzlich, und auch die gelegentlichen Begründungen verwenden konventionelle Motive und beziehen sich jeweils nur auf einzelne Mahnungen, nicht auf ein in sich zusammenhängendes Ethos. 75 Dies alles deutet m.E., zumal wenn man den Gesamtzusammenhang 70 Text nach DOUGLAS YOUNG, Theognis. Ps.-Pythagoras. Ps.-Phocylides. Chares. Anonymi Avlodia. Fragmentum Teliambicum, Leipzig 21971, 95–112. 71 Vgl. zur Diskussion JOHANNES THOMAS, Der jüdische Phokylides. Formgeschichtliche Zugänge zu Pseudo-Phokylides und Vergleich mit der neutestamentlichen Paränese, NTOA 23, Freiburg Schweiz/Göttingen 1992, 57–59. 72 THOMAS, a.a.O., 58; WALTER T. WILSON, The Mysteries of Righteousness. The Literary Composition and Genre of the Sentences of Pseudo-Phocylides, TSAJ 40, Tübingen 1994, 134– 145. 73 NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 25), 26–31; THOMAS, Der jüdische Phokylides (Anm. 71), 64–71. 74 Vgl. PseudPhok 186 mit Ex 21,22–25; 198 mit Ex 22,16 (THOMAS, Der jüdische Phokylides [Anm. 71], 71–77). 75 THOMAS, a.a.O., 85–87.120–130.

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Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

des Mahngedichtes mit in Betracht zieht, klar darauf hin, dass hier unter dem Pseudonym eines berühmten Weisen der Vorzeit gezielt ein Ethos propagiert wird, das den Forderungen der Tora für jüdisches Leben in der hellenistischen Diaspora zeitgemäße und praktikable Geltung verschaffen soll. 76 Eine stärker reflektierte Weise der Aneignung von Topoi der hellenistischrömischen Popularphilosophie stellt die Rezeption des Tugendgedankens für die Toraparänese dar. Explizite Belege dafür finden sich freilich nur in solchen Werken, die ein gewisses Maß an philosophischer Bildung erkennen lassen. 77 Und selbst dort, wo die vier Kardinaltugenden explizit angeführt werden, ist ihre Hinordnung auf die Tora unübersehbar. 78 Besonders deutlich ist das an den schon erwähnten Stellen VitMos 2,216 und SpecLeg 2,62, wo die Kardinaltugenden ausdrücklich als Gegenstand der Toraunterweisung in den Synagogen erscheinen. 79 Ich beschränke mich hier auf einen kurzen Blick auf das 4. Makkabäerbuch. Es gibt sich der Form nach als philosophischer Traktat, der dem Lehrstück gewidmet ist, dass „die gottesfürchtige Urteilskraft souveräne Herrscherin ist über die Leidenschaften“. 80 Dargestellt wird dieses Lehrstück zunächst in einer rhetorisch durchgestalteten Argumentation (1,13–3,18) und anschließend in einer exemplarischen Erzählung vom Martyrium des greisen Eleazar sowie von sieben Brüdern und ihrer Mutter (3,19–17,6). Im Rahmen der philosophischen Argumentation wird die These von der Herrschaft der frommen Urteilskraft zunächst anhand einer Reihe von Beispielen aus der Tora aufgewiesen. Die Einhaltung der Speisevorschriften ist Ausdruck der Beherrschung der Leidenschaften durch den besonnenen Verstand (1,33–35). Die sexuelle Enthaltsamkeit Josefs ist Musterbeispiel für die Tugend der Besonnenheit (2,1–3). Das Verbot des Begehrens im Dekalog ist vollkommener Ausdruck der Herrschaft der Urteilskraft (2,4–6). Im Folgenden nennt der Autor einige Beispiele für „Leidenschaften, die der Gerechtigkeit

76

Dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese Anm. 25), 66–72. Nicht z.B. in JosAs, Arist, PseudPhok und TestXII. 78 S. z.B. Weish 8,7; 4Makk 1,3f. u.ö; Philo, LegAll 1,63–72; Prob 70.159 u.ö. (weitere Stellen bei WILSON, Mysteries of Righteousness [Anm. 72], 56, Anm. 39). Von den philosophischen Grundlagen und Zusammenhängen der stoischen Ethik (vgl. dazu FORSCHNER, Die stoische Ethik [Anm. 63]), 61–66) ist auch in diesen frühjüdischen Schriften nur wenig wiederzufinden. 79 S.o., 154. Zu Philon, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann, vgl. WILSON, Mysteries of Righteousness (Anm. 72), 56–59; DAVID WINSTON, Philo’s Ethical Theory, ANRW II 21,1, 1984, 372–416. 80 4Makk 1,1: § ˜œ“ •“ •·˜¡© . Eine ausführliche Analyse des Eingangsabschnitts bietet HANS-JOSEF KLAUCK, Das Exordium des vierten Makkabäerbuchs (4 Makk 1,1–12), in: DERS., Alte Welt und neuer Glaube. Beiträge zur Religionsgeschichte, Forschungsgeschichte und Theologie des Neuen Testaments, NTOA 29, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1994, 99–113. 77

2. Jüdisch-hellenistische Toraparänese

167

hinderlich im Wege stehen“: 81 Völlerei und Trunksucht, Habgier, Zinswucher und Geiz (2,7–9). Schließlich folgen noch einige Beispiele aus den Bereichen von Ehe und Familie sowie zum Verhalten gegenüber Freund und Feind (2,10– 14). Nun werden zwar alle diese Fälle als Beispiele für die eingangs genannte philosophische These ins Feld geführt. Berücksichtigt man aber die Intention der Schrift als ganzer, dann ist offenkundig, dass das Verhältnis zwischen philosophischer These und Begründung aus der Tora textpragmatisch gesehen genau umgekehrt zu bestimmen ist: Nicht die Wahrheit eines philosophischen Gedankens wird durch Beweise aus der Tora argumentativ aufgewiesen, sondern die Weisung der Tora wird mit Hilfe popularphilosophischer Topoi und Argumente unterstrichen. Die ausdrücklichen Verweise auf das Gesetz unterstützen diese Intention ebenso wie die anschließend herangezogenen Beispiele aus der biblischen Erzählüberlieferung (Mose: 2,17f.; Jakob: 2,19f.; Schöpfung: 2,21–23). Und die für die philosophische Argumentation als Beispiele herangezogenen paränetischen Stoffe stimmen weitgehend überein mit Mahnungen der Toraparänese in jüdischen Schriften ganz anderer literarischer Gattung und Herkunft wie z.B. den Zwölfertestamenten, dem Slavischen Henochbuch oder den Sibyllinischen Orakeln. 82 Auch die exemplarischen Martyriumserzählungen sind durchsetzt mit expliziten und impliziten Hinweisen auf die Tora. 83 Toratreue ist ja schon die Ursache der Martyrien, und wenngleich sie zunächst auf der narrativen Ebene dargestellt und damit formal der Ebene der philosophischen Argumentation untergeordnet erscheint, so ist doch deutlich, dass mit der Beschreibung der Martyrien den Lesern eine Gesamthaltung der Treue zur Tora nahegebracht werden soll. Solche Treue zur Tora soll auch dort, wo es nicht unmittelbar um Leben und Tod geht, die Lebensweise frommer Juden prägen. 84 Im Rahmen dieser Hauptintention der Schrift haben auch die popularphilosophischen Begriffe und Topoi ihre Funktion. Sie bieten in ihrer Allgemeingültigkeit, die bisweilen an Banalität grenzt, keineswegs schon konkrete Lösungsvorschläge für Lebenssituationen von Juden in einer hellenistisch geprägten Welt. Sie sollen vielmehr durch Verweis auf allgemein akzeptierte ethische Grundsätze dazu anspornen, den jeweils eigenen konkreten Weg der Treue zur Tora zu suchen. Exemplarisch ließe sich das etwa an dem Ideal der Bruderliebe aufweisen. Wie Hans-Josef Klauck durch eine Zusammenstellung der entsprechenden Aussagen in der Schrift De fratro amore von Plutarch (Moralia 478A–

81

4Makk 2,6b: •  • ¦“ •. Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 25), 216–222. 83 Vgl. 4Makk 5,16.29.33f.36; 6,27.30; 7,8.15; 9,2.15; 11,27; 13,9.13; 15,9f.29; 16,16. 84 Dazu umfassend JAN WILLEM VAN HENTEN, The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People. A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJ.S 57, Leiden u.a. 1997, 270–294. 82

168

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

492D) 85 und im 4. Makkabäerbuch (4Makk 13,19–14,1) zeigen konnte, dient der Topos, der bei Plutarch ganz auf die Beziehung zwischen leiblichen Brüdern (und Schwestern) bezogen ist, im 4. Makkabäerbuch zur Illustration des Ideals der Eintracht des Gottesvolkes Israel. „Die Bruderliebe läßt sich auf dieser Ebene über den Kreis der sieben leiblichen Brüder der Erzählung hinaus ausweiten. Alle Kinder Israels sollen sie untereinander üben, allerdings nicht als frei schwebendes sittliches Ideal, sondern auf der Basis und im Rahmen der Tora.“ 86 Jüdisch-hellenistisches Ethos bildet sich somit aus in der Verbindung von Verhaltensanweisungen der Tora mit popularphilosophischen Grundsätzen der hellenistischen ethischen Tradition. Es dient der Wahrung jüdischer Identität angesichts konkreter Herausforderungen im Alltag der hellenistischen Diaspora und entfaltet sich im Rückbezug auf die eigene religiöse Überlieferung unter Heranziehung kultureller und philosophischer Traditionen der hellenistisch-römischen Welt.

3. Rekurs auf popularphilosophische Topoi 3. Rekurs auf popularphilosophische Topoi Nur kurz kann noch eingegangen werden auf einige Topoi der Popularphilosophie, die auch in der hellenistisch-jüdischen Toraparänese wiederbegegnen. So stellt Josephus gleich im Proömium der Antiquitates denen, die Gottes Willen befolgen und seine guten Gesetze nicht übertreten, als Lohn Glückseligkeit (˜ ™ ) in Aussicht (Ant 1,18–23). 87 Die von Mose gegebenen Gesetze folgen denen der Natur, die wiederum in ihrer Ordnung der „Natur Gottes“ ( ›Å ) entspricht. Deshalb sollen die Menschen ihren Sinn auf Gott und auf die Einrichtung der Schöpfung lenken und erkennen, dass Gott die Tugend in Reinheit eigne, die zu erlangen auch sie versuchen sollen. Der Zusammenhang von Frömmigkeit und Tugend, der zur Glückseligkeit führt, bestimmt auch die Abschiedsrede des Mose, die die ausführliche Darstellung seiner Gesetzgebung eindrucksvoll abschließt (Ant 4,177–193). Die eine Ursache der Teilhabe aller Menschen am Guten ist der gütige Gott (180). Großer Lohn ist der Tugend ausgesetzt, die das ganze Leben hindurch bewahrt wird. Zu erlangen ist er, wenn die Gesetze bewahrt werden (182f.). Dann werden die Gesetzestreuen die glücklichsten (˜ œ  ) Menschen der Welt sein (193).

85

Dt. Übers. in Plutarch (Anm. 50), 83–122. HANS-JOSEF KLAUCK, Die Bruderliebe bei Plutarch und im vierten Makkabäerbuch, in: DERS., Alte Welt (Anm. 80), 83–98: 97. 87 ˜ ™  . auch Ant 1,20; 3,84; 4,178f.193; das Wort fehlt in der Septuaginta. 86

3. Rekurs auf popularphilosophische Topoi

169

Ein weiterer Topos, den Josephus mit der Toraparänese verbindet, ist die Eintracht (· ). 88 Er leitet sie unmittelbar aus der einheitlichen Meinung der Juden über Gott ab, die sich von den bei anderen Völkern und unter Philosophen verbreiteten, sich widersprechenden Ansichten wohltuend abhebe (Ap 2,179–181). Diese „schönste Einstimmigkeit in der Sinnesart“ ( ™  Æ    ”Ç“ ›™ ) führt zur gleichen Lebensweise aller, denn „eine einzige ist die Lehre, die mit dem Gesetz in Einklang steht, welches über Gott sagt, dass jener auf alles schaut“. 89 Auch am Schluss der Schrift wird die vorbildliche Eintracht der Juden im Verhalten untereinander herausgestellt (Ap 2,280–286). Sie steht zunächst in einer Reihe mit weiteren auch von den Griechen als nachahmenswert angesehenen Zügen, welche die Grundthese untermauern sollen, dass die jüdischen Gesetze der Frömmigkeit aller übrigen Völker als Vorbild dienen. „Nachzuahmen aber versuchen sie auch unseren Gemeinsinn gegeneinander und … das geduldige Ertragen in Bedrängnis um des Gesetzes willen.“ 90 Schließlich begegnet die Eintracht nochmals in der rhetorisch herausgehobenen Peroratio zum gesamten Werk, die die Gesetzgebung der Juden als vollkommensten Ausdruck von Frömmigkeit und Gerechtigkeit preist (Ap 2,291–294). Auch Philon findet die Wurzel für die Stärke und Eintracht der Juden in ihrem Gottesglauben: „Höchste und größte Ursache ihrer Eintracht ist ihre Meinung über den einen Gott, aus welcher wie aus einer Quelle sie untereinander vereinigende und unzerstörbare Liebe üben.“ 91 An anderer Stelle derselben Schrift bezeichnet Philon als höchstes Ziel der Gesetzgebung des Mose „Eintracht, Gemeinschaft, Einmütigkeit, Einheit in den Gebräuchen (· ,

 ™ , ·›”¦, ”  È •), aus welchen Häuser und Städte, Völker und Länder und das ganze Menschengeschlecht zur höchsten Glückseligkeit gelangen mögen.“ 92 Selbst in der Exklusivität des Jerusalemer Tempelkults findet Philon einen Grund für die Eintracht der Juden. Für die Wallfahrer, die aus allen Himmelsrichtungen zu seinen Festen herbeiströmen, wird er zum Zufluchtsort, um sich dem Gottesdienst und der Verehrung Gottes widmen zu können, wobei „auch bisher einander Unbekannte Freundschaft schließen und

88

Nach DELLING, Bewältigung der Diasporasituation (Anm. 3), 103, Anm. 536, ist · „ein ausgesprochen hellenistisches Ideal“. 89 Josephus, Ap 2,181 (eigene Übers.): ɏ—©·°—Ê›•“”‘  “! Ž© ›”Â, ähnlich 281.294. 90 Josephus, Ap 2,283f.:     “ ”•  ‘ ¡ “”¢ Ë • ·— Ì¢ ”” ¢ “”•— !© . 91 Philo, Virt 35: š · ¢  ‘œ© “”‘Ÿ¢ ½ . 92 Philo, Virt 119.

170

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

bei Opfern und Libationen Einheit in den Gebräuchen ( ”Â È •) zum festesten Beweis der Eintracht praktizieren (§  “ ·™  “ ¦ )“. 93 Im 4. Makkabäerbuch wird der Gedanke der Eintracht vor allem an der Bruderliebe zwischen den sieben Märtyrerbrüdern entfaltet (13,19–14,1). Diese wiederum wird ausdrücklich auf die gemeinsame Erziehung im Gesetz zurückgeführt (13,22.24). 94 Auch der Topos der Einheit von Wort und Tat kann zur höheren Ehre der mosaischen Gesetzgebung herangezogen werden. Wie Josephus betont, habe Mose nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch künftige Generationen überzeugt, „weil er ja Taten vollbrachte, die mit den Worten übereinstimmten“. 95 Als Gesetzgeber habe er im Unterschied zu Spartanern und Griechen beides, nämlich die Belehrung durch das Wort und die praktische Einübung der Sitten, mit viel Bedacht ineinandergefügt. „Weder ließ er nämlich stumpfsinnig die Einübung der Sitten (¡•È •±  ), noch ließ er die Lehre aus dem Gesetz (¢ ——©) unausgeübt“. 96 Wieder finden wir denselben Topos bei Philon und im 4. Makkabäerbuch. Nach VitMos 1,29 stimmten bei Mose Taten und Worte, Leben und Reden in idealer Harmonie überein. Dasselbe gilt freilich nach Prob 96 auch für den von Philon als Vorbild herangezogenen indischen Philosophen Kalanos. Im 4. Makkabäerbuch ist die Tat, die den Worten über die Gesetzestreue zu folgen hat, natürlich das Martyrium. Am Beispiel des greisen Priesters Eleazar wird aber der Zusammenhang von Wort und Tat auch ganz grundsätzlich entfaltet. Er wird als ¦› und als „Philosoph eines göttlichen Lebens“ angeredet: „Du, Vater, hast durch geduldiges Ausharren unsere Gesetzestreue aufs glänzendste bestätigt, hast den heiligen Dienst durch dein respektvolles Reden vor dem Verfall bewahrt und hast durch Taten den Worten über deine göttliche Philosophie Glaubwürdigkeit verliehen“ ( «•ª”©“ “ –  › ›  ©, 7,7–9).

93

Philo, SpecLeg 1,70. S.o., 154. Vgl. dazu VAN HENTEN, Martyrs (Anm. 84), 284–286. 95 Josephus, Ap 2,169: «ª”© “ ”Ž£Å› —© . 96 Josephus, Ap 2,173. Vgl. zum Topos bei Josephus CHRISTOPH SCHÄUBLIN, Josephus und die Griechen, Hermes 110, 1982, 316–341: 334f. mit Anm. 123. 94

4. Das Spannungsfeld von Weisheit und Tora

171

4. Das Spannungsfeld von Weisheit und Tora, jüdischer Identität und popularphilosophischem Universalismus 4. Das Spannungsfeld von Weisheit und Tora Bei unserem knappen Durchgang durch einige Texte der jüdisch-hellenistischen Literatur haben wir charakteristische Formen und Inhalte ethischer Ermahnungen vorgefunden, die offenbar den Lesern der betreffenden Schriften nahegebracht werden sollten. Dabei sollten wenigstens die grundlegenden Konturen eines Ethos erkennbar geworden sein, das für jüdische Diasporagemeinschaften in der hellenistisch-römischen Zeit und Umwelt prägend gewesen ist. Natürlich wäre für jede Schrift noch im Einzelnen zu prüfen, welche Adressatengruppe von welchem Autor bzw. welcher Trägergruppe in welchem spezifischen Milieu mit welchen rhetorischen und argumentativen Mitteln zu welchen Verhaltensweisen bewegt werden sollte. Aber hier ging es nicht um die spezifischen Abfassungs- und Rezeptionsvorgänge der einzelnen Texte, sondern um den Versuch, dasjenige herauszuarbeiten, was über den Einzelfall einer konkreten literarischen Äußerung hinaus von Autoren wie Adressaten als gemeinsamer Fundus von Grundüberzeugungen vertreten wurde, ohne jeweils erst im Einzelnen neu begründet werden zu müssen. Gerade das von sich aus für gültig Gehaltene, das allgemein Akzeptierte, nicht wirklich Hinterfragte und Hinterfragbare bildet ja den „Kanon habitualisierter Handlungen“, den man Ethos nennen kann. Dabei darf man sich freilich nicht von den literarischen Formen täuschen lassen, in die ein solches Ethos sich kleidet. Bekanntlich sind Argumentationen und Begründungen gerade dann besonders wortreich, wenn die Entscheidung längst gefallen ist oder gar von vornherein feststeht. Das literarische bzw. rhetorische Mittel der Argumentation dient dann lediglich dazu, die längst getroffene Entscheidung zu unterstreichen, abzusichern, zu verteidigen und durchzusetzen. Ein Ethos wirkt nicht in erster Linie durch die Überzeugungskraft von Argumenten, sondern durch den Druck von Konventionen und von Gruppen, die sie vertreten. An literarischen Formen, in denen das jüdisch-hellenistische Ethos einherkommt, haben wir beobachten können: eine philosophische Lehrrede (4. Makkabäerbuch), ein episches Mahngedicht (Pseudo-Phokylides), eine Apologie (Josephus, Contra Apionem), eine Reihe von exegetisch-philosophischen Traktaten (Philon), ein Geschichtswerk (Josephus, Antiquitates), eine romanhafte Lehr-Erzählung (Joseph und Aseneth). Angesichts derartig unterschiedlicher literarischer Gattungen ist es umso bemerkenswerter, dass sich durchaus gemeinsame Konturen des in diesen Werken vorausgesetzten und implizit wie explizit propagierten Ethos erkennen lassen. Nicht einmal die Autorenfiktion des berühmten griechischen Gnomendichters Phokylides kann etwas daran ändern, dass seine Verse in der Gestalt, wie sie in seinem Mahngedicht begegnen, als Ausdruck eines spezifisch jüdischen Ethos verstanden werden!

172

Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld

Offenbar ist gerade das Mittel der Pseudonymität oder Anonymität textpragmatisch betrachtet besonders geeignet für die Propagierung des in der Tora wurzelnden jüdischen Ethos. Es ist ja auffällig, dass etwa in der Sapientia Salomonis der Name des implizit als Autor vorausgesetzten Salomo nie fällt, wie überhaupt sämtliche identifizierbaren Namen oder sonstige konkrete Situationsangaben gezielt vermieden werden. 97 Auch das anonym verfasste 4. Makkabäerbuch verzichtet in seinem ersten, rhetorisch-argumentativen Teil offenbar gezielt darauf, den Autor bzw. Redner und seine Leser bzw. Hörer ausdrücklich als Juden zu erkennen zu geben. 98 Dabei sind die Bezugnahmen auf einzelne Gebote der Tora ganz offensichtlich; z.T. handelt es sich sogar um wörtliche Zitate. Dasselbe gilt für weite Passagen bei Pseudo-Phokylides, insbesondere den ersten Teil des Gedichts, der eine freie Umgestaltung und Erweiterung des Dekalogs und weiterer Toragebote, vor allem aus Lev 19, bietet. 99 Und die Sapientia Salomonis schreibt in den Kapiteln 10–18 über weite Strecken die Exodusgeschichte aus, ohne dies freilich auch nur an einer einzigen Stelle beim Namen zu nennen. Die sich namentlich zu erkennen gebenden Autoren Philon und Josephus scheinen einen ähnlichen Effekt dadurch erzielen zu wollen, dass sie immer wieder die Übereinstimmung der jüdischen Werte und Weisungen mit denen der klassischen griechischen Überlieferungen herausstreichen, und zwar so, dass letztere von ersteren für abhängig erklärt werden. 100 Auf diese Weise kann eben auch den Geistesgrößen der hellenistischrömischen Umgebung das eigene Ethos untergeschoben werden und damit die Identität der Gruppe, die sich darauf stützt, gestärkt werden. Dass ein solches jüdisch-hellenistisches Ethos auf die Tora bezogen ist und aus ihr gespeist wird auch dort, wo dies nicht ausdrücklich gesagt wird, sollte deutlich geworden sein. Die Tora hatte im Frühjudentum eine bemerkenswert integrative Kraft. Ihrer Rezeption und Interpretation konnten Überlieferungen, Topoi und literarische Gattungen dienstbar gemacht werden, die offenkundig nichtjüdische Ursprünge und philosophische Hintergründe haben. Dies gilt keineswegs nur für philosophisch gebildete Autoren wie Philon oder den Verfas-

97 Vgl. HANS HÜBNER, Zur Ethik der Sapientia Salomonis, in: Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments (FS H. Greeven), hg. v. WOLFGANG SCHRAGE, BZNW 47, Berlin/New York 1986, 166–187: 174–176. 98 Einzige Ausnahme ist das „wir“ in 2,19: ·“›•“ ¡”Í

. Ansonsten ist zwar ständig die Kenntnis von Namen, Inhalten und Themen der biblisch-jüdischen Überlieferung ebenso vorausgesetzt wie eine positive Haltung zu ihnen bei Autor und Adressaten. Aber eine explizite Identifikation erfolgt nicht. 99 Vgl. zur Funktion des Pseudonyms bei dieser Schrift NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 25), 67–70. 100 Vgl. NIEBUHR, a.a.O., 53–57.

4. Das Spannungsfeld von Weisheit und Tora

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ser des 4. Makkabäerbuches. Auch die eher volkstümlich wirkende Romanerzählung Josef und Asenet benutzt stoische Terminologie, um das von der Tora geprägte Ethos zu proklamieren. Demgegenüber lassen sich Konturen einer eigenständigen Weisheitstradition, die neben der Toraüberlieferung gepflegt wurde, nicht ausmachen. Vielmehr hat sich immer wieder gezeigt, dass weisheitliche Motive bis hin zur entsprechenden Terminologie dazu herangezogen werden, die Autorität der Tora zu unterstreichen und ihre Weisungen situationsbezogen zu vergegenwärtigen.

Tora ohne Tempel Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora Paulus und der Jakobusbrief stimmen in ihrem Toraverständnis bei aller Distanz und Differenz zumindest darin überein, dass die Tora bei ihnen als Einheit und Ganzheit erscheint, der gegenüber ungeteilter Gehorsam gefordert ist (Röm 2,12f.25–29; 13,8–10; Gal 5,3.14; Jak 2,8–11). Fragt man nach den Entfaltungen dieser grundsätzlichen Gehorsamsforderung in konkretem Tun („Torapraxis“),1 so zeigen sich weitere Gemeinsamkeiten: Beide zählen eine Reihe von Verhaltensweisen im zwischenmenschlichen Zusammenleben auf; beide berufen sich dabei exemplarisch auf Dekaloggebote und das Liebesgebot aus Lev 19,18; bei beiden fehlen konkrete Weisungen der Tora, die mit dem Tempel, seinem Kult und den spezifischen Gegebenheiten des Lebens im Land Israel zu tun haben (Reinheitsvorschriften, Zehntbestimmungen, Opfervorschriften). Die Spannung zwischen der Forderung zu umfassendem Toragehorsam einerseits und einer charakteristischen Auswahl aus der Tora bei der Entfaltung dieser Forderung andererseits wird bei keinem von beiden ausdrücklich thematisiert. In der Exegese wird dieser Befund häufig beschrieben mit der Gegenüberstellung von ‚religiösen‘ und ‚moralischen‘ Geboten, der ‚rituellen‘ und der ‚ethischen‘ Tora, oder mit dem Gegensatz von ‚Soteriologie‘ und ‚Paränese‘. Für solche Begriffe und Kategorien gibt es freilich in zeitgenössischen frühjüdischen oder frühchristlichen Quellen zur Torapraxis keine Entsprechungen. Deshalb soll im Folgenden versucht werden, das Toraverständnis, das sich bei Paulus und im Jakobusbrief je spezifisch niederschlägt, im Zusammenhang von Texten frühjüdischer Torarezeption zu betrachten. Dabei wird eine weitere Gemeinsamkeit der Paulusbriefe und des Jakobusbriefes erkennbar: Die Situation ihrer Textrezipienten entspricht in wesentlichen Zügen derjenigen frühjüdischer Diasporagemeinschaften, die in ihrem Lebensalltag der Forderung zum Gehorsam gegenüber der Tora gerecht zu werden suchten.

1 Einen genau entgegengesetzten Ansatz, das Ethos paulinischer Gemeinden als identitätsstiftendes Merkmal auf dem Hintergrund frühjüdischer Diasporagemeinschaften zu erfassen, verfolgt MICHAEL WOLTER, Ethos und Identität in paulinischen Gemeinden, NTS 43, 1997, 430–444; vgl. 431f. mit Anm. 11.

176

Tora ohne Tempel

1. Die Fragestellung: Torapraxis bei Paulus und im Jakobusbrief 1. Die Fragestellung: Torapraxis bei Paulus und im Jakobusbrief Tragen wir zunächst im Überblick und unabhängig von den jeweiligen Argumentationszusammenhängen und Begründungen zusammen, welche torarelevanten Lebensbereiche bei Paulus und im Jakobusbrief berührt werden. Bei Paulus ist das Verhalten, das er von den Adressaten seiner Briefe erwartet, negativ charakterisiert durch Enthaltung von Unzucht, Habgier und Götzendienst. Diese Trias steht in verschiedenen Aussagezusammenhängen im Hintergrund und kann mit unterschiedlichen rhetorischen Mitteln zur Sprache gebracht werden: als argumentativer Aufweis der Sündhaftigkeit der Heiden (Röm 1,24– 32), als polemische Kritik am Verhalten eines exemplarischen Juden (Röm 2,21f.), als eschatologisch begründete Mahnung an die Glaubenden (Röm 13,13; 1Kor 6,9f.), zur Abgrenzung der im Christusgeschehen begründeten neuen Identität der Gemeinde von ‚typisch heidnischem‘ Verhalten (1Kor 5,10f.; vgl. 6,11; Gal 5,19–23) oder als umfassender Ausdruck des Wandels nach dem Willen Gottes (Röm 13,9; 1Thess 4,1–8). Auch der Ausschließlichkeitsanspruch der Verehrung des einen Gottes Israels als zentrale Forderung der Tora kommt bei Paulus mehrfach zur Sprache (1Kor 8,4–6; 10,7.14; 12,2; 1Thess 1,9). Die Aufforderung zum Wandel nach dem Willen Gottes kann Paulus aber auch positiv entfalten. In Röm 12,9–212 bringt er in einer weisheitlich geprägten Weisungsreihe 3 Verhaltensweisen zur Sprache, die sich den Lebensbereichen des zwischenmenschlichen Umgangs, der sozialen Fürsorge und der Wahrhaftigkeit zuordnen lassen. Auch in 1Kor 13 entfaltet er die hymnisch geformte Ermahnung zur Liebe u.a. durch zwischenmenschliche Verhaltensweisen (V. 4–7). In Gal 5,14 zitiert er das Liebesgebot aus Lev 19,18 als Forderung der Tora für das Verhalten der Briefadressaten zueinander, und im Tugendkatalog von Gal 5,22f. führt die ἀγάπη eine Reihe von Haltungen bzw. Verhaltensweisen an, von denen sich einige ebenfalls torarelevanten Lebensbereichen zuordnen lassen. 4 Fragen wir nach spezifisch jüdischen Bereichen der Tora wie Sabbat-, Speise- und Reinheitsvorschriften und der Beschneidung (sog. ‚identity marker‘), dann stellt sich der Befund bei Paulus komplizierter dar. Jedenfalls finden wir keine expliziten Ausführungen, nach denen solche Bereiche aus dem auch für seine Gemeinden gültigen Gotteswillen, wie er umfassend in der Tora

2

Der mit 12,1 einsetzende Gedankengang führt hin zur eschatologisch ausgerichteten Mahnung in 13,11–14, umfasst also die Weisungen zur ἀγάπη (12,9), die in 13,8–10 auf die Tora bezogen sind. 3 Typisch dafür ist der Gegensatz τὸ πονηρόν bzw. τὸ κακόν – τὸ ἀγαθόν. Zum Ganzen vgl. WALTER T. WILSON, Love without Pretense. Romans 12.9–21 and Hellenistic-Jewish Wisdom Literature, WUNT II/46, Tübingen 1991. 4 Vgl. den expliziten Verweis auf den νόμος in V. 23.

1. Die Fragestellung: Torapraxis bei Paulus und im Jakobusbrief

177

niedergelegt ist, auszuschließen wären. Während Paulus die Beschneidung für nichtjüdische Glieder seiner Gemeinden konsequent und prinzipiell ablehnt, setzt er sie bei geborenen Juden voraus, ohne sie zu problematisieren. 5 Zu Fragen der Speisepraxis nimmt er eine sehr differenzierte, jeweils auf die konkrete Gemeindesituation bezogene Haltung ein (vgl. Gal 2,11–14; 1Kor 8–10; Röm 14f.). Über die Sabbatpraxis, die er von sich selbst oder von seinen Gemeinden erwartet, lassen sich in seinen Briefen keine eindeutigen Aussagen ermitteln. Deutlich ist immerhin, dass in den paulinischen Gemeinden offenbar der jüdische Kalender in Geltung steht. 6 Der Tempel und sein Opferkult, Festriten und -gebräuche, Abgaben- sowie Reinheitsbestimmungen klingen bei Paulus nur in metaphorischen Aussagen bzw. als Mittel der Argumentation an, dies allerdings in großer Vielfalt. 7 Im Jakobusbrief begegnen als Zitate aus der Tora Teile des Dekalogs sowie das Liebesgebot (2,8–11; vgl. auch 4,2.4). An zwei Stellen klingt das Bekenntnis zu dem einen Gott Israels an (2,19; 4,12). Ihm korrespondiert die Aufforderung zu Gebet und Lobpreis (vgl. 1,5–8; 3,9f.). Im Zentrum der materialen Weisungen und Mahnungen des Briefes stehen aber Taten der sozialen Barmherzigkeit (1,27; 2,15f.; vgl. 5,1–6), sodann sogenannte ‚Zungensünden‘ (3,1– 12.14; 4,11f.) sowie die Warnung vor Streit und Zwietracht in der Gemeinde (3,13–18; 4,1–4). Ausdrückliche Warnungen vor dem Götzendienst finden sich dagegen ebenso wenig wie etwa die Warnung vor sexuellen Vergehen. Auch Gebote aus dem Bereich des Tempelkults, der Feste, der Reinheits- und Speisebestimmungen sowie die Beschneidung kommen im Jakobusbrief nicht vor. Lediglich an drei Stellen klingen in metaphorischer Verwendung Erstlingsab-

5 Vgl. Röm 2,25–29; 1Kor 7,18f.; Gal 3,28; 5,6; 6,15. Zur Beschneidung von Kindern getaufter Juden finden sich bei Paulus keine Aussagen (vgl. aber Apg 16,1–3!). 6 Vgl. 1Kor 16,2 (Sabbat); 1Kor 16,8 (Wochenfest). 7 Vgl. zum Sühnopfer Röm 3,25; 4,25; 5,8f.; 8,3f.32; 2Kor 5,21; Gal 3,13, zu Priesterdienst und Opfer Röm 12,1; 15,16; 1Kor 9,13; 10,18; Phil 2,17; 4,18, zum Tempel 1Kor 3,16f.; 6,19; 2Kor 6,16 (vgl. dazu CHRISTFRIED BÖTTRICH, „Ihr seid der Tempel Gottes“. Tempelmetaphorik und Gemeinde bei Paulus, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER [Hg.], Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 411–425), zum Passaritus 1Kor 5,6–8, zum Erstlingsopfer Röm 8,23; 11,16; 16,5; 1Kor 15,20.23; 16,15, zur Reinheit/Heiligkeit Röm 6,19; 11,16; 12,1; 15,16; 1Kor 3,17; 5,7; 6,19; 7,14; 2Kor 6,17; 7,1; Phil 1,10. Das letztgenannte Wortfeld deckt bei Paulus natürlich noch viel weiter reichende Bezugsfelder ab. Vgl. zur Tempelmetaphorik bei Paulus, die nicht Gegenstand unserer Untersuchung ist, noch JAMES D. G. DUNN, The Partings of the Ways Between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London/Philadelphia 1991, 75–86; MICHAEL NEWTON, The Concept of Purity at Qumran and in the Letters of Paul, MSSNTS 53, Cambridge 1985, 52–114.

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Tora ohne Tempel

gaben und der Reinheitsgedanke an (1,18.27; 4,8). Aber eine explizite Ausgrenzung und Außerkraftsetzung bestimmter Teile der Tora für die Adressaten finden wir im Jakobusbrief ebenso wenig wie bei Paulus. Hinsichtlich der Auswahl von Teilen der Tora, die sie je auf ihre Weise zur Sprache bringen, stimmen somit Paulus und der Jakobusbrief wenigstens in gewissen Grundzügen überein. Wir fragen nun, ob sich für eine solche spezifische Auswahl Anhaltspunkte in der Tora selbst bzw. in Formen und Inhalten ihrer Rezeption im Frühjudentum finden lassen.

2. Differenzierungen in der Tora und ihrer frühjüdischen Rezeption 2. Differenzierungen in der Tora und ihrer frühjüdischen Rezeption Differenzierungen hinsichtlich des Geltungsbereiches und der Anwendbarkeit von Teilen der Tora sind offensichtlich schon im Pentateuch signalisiert. Innerhalb der Bundesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk gilt die Tora prinzipiell nur für Israel. 8 Allerdings werden bei einer Reihe von Geboten ausdrücklich die „im Lande wohnenden Fremden“ einbezogen, z.B. im Rechtswesen, bei der Sabbatruhe und bei manchen Festen (vgl. Ex 20,10; 23,12; Lev 16,29–31; Dtn 1,16; 5,14; 16,11.14; 26,11). In Lev 17–20; 24 und Num 15; 19 werden auch eine Reihe von Einzelgeboten für die „Fremden im Lande“ verbindlich gemacht. 9 Auswahlkriterium für solche auch von Nichtisraeliten zu beachtenden Einzelgebote ist offenkundig nicht eine Unterscheidung zwischen ethischen und kultischen Weisungen. Vielmehr liegt der Sinn der Ausweitung der Geltung von Torageboten auf die Fremden darin, die Heiligkeit des Landes Israel zu wahren. Im Blick sind ja nur die innerhalb seiner Grenzen lebenden Fremden, nicht die Völker der Welt. 10 Erst später wurde die rabbinische Konzeption einer „Tora für die Völker“, die sogenannten noachidischen Gebote,

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So schon die Adressierung zahlreicher Einzelgebote und Gebotsreihen, z.B. Ex 12,3.47: „die ganze Gemeinde Israels“; Ex 20,22 (Bundesbuch): „Söhne Israels“; 25,2; Lev 1,2; 11,2 (Priesterschrift): „Söhne Israels“; Lev 17,3 (Heiligkeitsgesetz): „jedermann vom Haus Israel“. Vgl. auch Sir 24,6–8.23. 9 Z.B. das Verbot, Blut und Aas zu genießen (Lev 17,10–16), verbotene Ehen und sexuelle Entartungen (18,6–30), Götzendienstpraktiken (20,2–6), Blasphemie (24,16), aber auch die Ersatzleistung (24,17–22), Opfer- und Sühnebestimmungen (Num 15,13–16.22–26) sowie Reinigungsriten bei Leichenberührung (19,10b–22). Vgl. die Zusammenstellungen bei MATTHIAS KLINGHARDT, Gesetz und Volk Gottes. Das lukanische Verständnis des Gesetzes nach Herkunft, Funktion und seinem Ort in der Geschichte des Urchristentums, WUNT II/ 32, Tübingen 1988, 185, und CHRISTOPH HEIL, Die Ablehnung der Speisegebote durch Paulus. Zur Frage nach der Stellung des Apostels zum Gesetz, BBB 96, Weinheim 1994, 29–31. 10 Folgerichtig wurde diese Kategorie von Geboten im Frühjudentum auch nicht aufgegriffen, um den universalen Maßstab und Anspruch der Tora gegenüber Nichtjuden zu vertreten. Dazu dienten vielmehr katechismusartige Torazusammenfassungen mit Schwerpunkt

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entwickelt.11 Zusammenstellungen von Grundgeboten, die schon in frühjüdischen Quellen begegnen (z.B. das Verbot von Götzendienst, Unzucht und Blutvergießen), wurden hier schrittweise erweitert und ausdrücklich für Israel und die Völker verbindlich gemacht. Jetzt ging es nicht mehr um die Wahrung der Heiligkeit des Landes Israel, sondern um Grundprinzipien des Verhaltens und der Religion, die Juden und Heiden bei aller Wahrung der Eigenart Israels gemeinsam haben. Ein erheblicher Teil der Tora steht unmittelbar in Verbindung mit dem Opferkult im Tempel von Jerusalem. 12 Das betrifft nicht nur Opfervorschriften und Gebote für die Priester, sondern auch bestimmte Reinheitsgebote und Riten, Abgabenbestimmungen und, mit letzteren zusammenhängend, manche Speisevorschriften. Zwingend vorgeschrieben waren in der Tora die meisten dieser Gebote nur für den Heiligkeitsbereich des Tempels, dessen Grenzen allerdings nicht eindeutig und für alle Zeit fixiert waren. Zehnt- und Erstlingsabgaben durften jedenfalls prinzipiell nur vom Ertrag des Landes erhoben werden. 13 Außerhalb des Tempelbereiches bzw. des Landes konnten solche Gebote natürlich beachtet werden, wenn dies durch Interpretation ermöglicht wurde. Aber hier taten sich durchaus verschiedene Interpretationsmöglichkeiten auf. Für die Gegebenheiten jüdischer Torapraxis in der Diaspora 14 sind somit unter den verschiedenen Kategorien von Speisevorschriften der Tora allein die-

auf ethischen und sozialen Weisungen. Diese waren freilich weder in der Tora noch in ihrer frühjüdischen Rezeption ausdrücklich auf Nichtjuden ausgerichtet. 11 Vgl. dazu DAVID NOVAK, The Image of the Non-Jew in Judaism. An Historical and Constructive Study of the Noachide Laws, TST 14, New York 1983; MARKUS BOCKMUEHL, The Noachide Commandments and New Testament Ethics. With Special Reference to Acts 15 and Pauline Halakhah, RB 102, 1995, 72–101; ALAN F. SEGAL, Universalism in Judaism and Christianity, in: TROELS ENGBERG-PEDERSEN (Hg.), Paul in His Hellenistic Context, Minneapolis 1995, 1–29: 7–12; KLAUS MÜLLER, Tora für die Völker. Die noachidischen Gebote und Ansätze zu ihrer Rezeption im Christentum, SKI 15, Berlin 1994, 25–64; JOHANN MAIER, Torah und Pentateuch, Gesetz und Moral. Beobachtungen zum jüdischen und christlich-theologischen Befund in: Biblische und judaistische Studien (FS P. Sacchi), hg. v. ANGELO VIVIAN, JudUm 29, Frankfurt 1990, 1–54: 36–39; JOHANNES THOMAS, Der jüdische Phokylides. Formgeschichtliche Zugänge zu Pseudo-Phokylides und Vergleich mit der neutestamentlichen Paränese, NTOA 23, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1992, 228–235. 12 Umfassend zusammengestellt bei ED P. SANDERS, Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992, 45–314. 13 Vgl. Lev 27,30; Num 18,8–32; Dtn 14,28f.; 26,1–15; Neh 10,36; Tob 1,6–8 (dazu ED P. SANDERS, Jewish Law from Jesus to the Mishnah. Five Studies, London/Philadelphia 1990, 43–48). Davon zu unterscheiden ist die Tempelsteuer nach Neh 10,33f., die von allen Juden unabhängig von ihrem Wohnsitz zu zahlen war und der materiellen Aufrechterhaltung des Tempelkultes diente. Sie hat aber mit ritueller Reinheit nichts zu tun. 14 Vgl. dazu insgesamt SANDERS, a.a.O., 255–308; JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996, 399–444.

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jenigen relevant, die unabhängig vom Tempelkult und vom Land Israel praktikabel sind, also natürlich die expliziten Verbote von Blut und Aas (Lev 7,26f.; 17,10–16; 19,26; Dtn 14,21), der Vermengung von Milch- und Fleischspeisen (Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21) sowie bestimmter Tierarten (Lev 11,1–23; Dtn 14,3–20), im Unterschied zu denjenigen Speisegeboten, die aus Opfer- und Abgabenbestimmungen resultieren (Lev 3,17; 7,16–25; Dtn 12,13–27; 14,22–29; Num 18,8–32). Das bedeutet: In der Diaspora ging es prinzipiell nicht um rituelle Reinheit der Speisen im Sinne der Kultfähigkeit, sondern um ihre Auswahl unter Berücksichtigung der expliziten Verbote der Tora. 15 Ein in der Diaspora lebender Jude konnte wohl versuchen, der Intention auch der übrigen Speisegebote nachzukommen, etwa durch Vermeidung unnötiger Verunreinigungen, durch religiöse Waschungen oder freiwillige Gaben für den Tempel. Aber dies war Ausdruck seiner individuellen Frömmigkeit, nicht des Gehorsams gegenüber speziellen Torageboten. 16 Hinzu kamen freilich in frühjüdischer Zeit Gesichtspunkte, die sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Tora ergaben, sondern aus der alltäglichen Begegnung mit heidnischer Religion. 17 So können die Verbote von heidnischem Wein (Dan 1,8; Jdt 10,5; 12,13; Est 4,17x = C 28), Olivenöl (Josephus, Ant 12,119f.; Bell 2,591f.; Vit 74–76) oder gar Brot (Tob 1,10f.; Jdt 10,5) aus keinem der Speisegebote der Tora abgeleitet werden. Sie dienten vielmehr offenkundig der Vermeidung von Speisen, die möglicherweise mit Götzendienst in Berührung gekommen sind. 18 Im Extremfall konnte die Sorge vor dem Kontakt mit Götzendienst in der Diaspora zum Vegetarismus oder zu konsequenter Selbstversorgung führen (Dan 1,8–16; Josephus, Vit 13f.). Dass die Tischgemeinschaft mit Nichtjuden Einschränkungen unterlag, wird vielfach sichtbar.

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Diese Differenzierung bleibt bei HEIL, Ablehnung (Anm. 9), 39–123, der die Speisegebote zusammenstellt, die im Frühjudentum zur Zeit des Paulus in Geltung standen, weitgehend außerhalb des Blickfeldes, obwohl sie sich gerade auch aus den von ihm zusammengetragenen Belegen implizit ergibt. 16 Verunreinigungen nach Lev 11–15 und Num 19 (Totenunreinheit) waren z.T. unvermeidlich und konnten durch relativ einfache Riten (Waschen, Warten bis zum Abend) beseitigt werden. Entscheidend war, dass sie nicht mit dem Heiligkeitsbereich des Tempels in Berührung kamen. Für einen Juden aus der Diaspora bedeutete dies, dass er, wenn er als Pilger zu einem der Wallfahrtsfeste im Tempel opfern wollte, sich ‚dem Reinigungsritus von Num 19 zu unterziehen hatte. Ansonsten waren die Reinheitsbestimmungen für seine Existenz als Jude in der Diaspora weitgehend irrelevant. Vgl. zum Ganzen SANDERS, Jewish Law (Anm. 13), 258–271. 17 Vgl. die differenzierte Darstellung bei PEDER BORGEN, ‚Yes,‘ ‚No,‘ ‚How Far?‘: The Participation of Jews and Christians in Pagan Cults, in: ENGBERG-PEDERSEN, Paul in His Hellenistic Context (Anm. 11), 30–59. 18 Vgl. 4Makk 5,2. Zu Öl und Wein SANDERS, Jewish Law (Anm. 13), 272–276; DERS., Judaism (Anm. 12), 215f. mit 520, Anm. 12; MARTIN GOODMAN, Kosher Olive Oil in Antiquity, in: A Tribute to Geza Vermes. Essays on Jewish and Christian Literature and History, hg. v. PHILIP R. DAVIES/RICHARD T. WHITE, JSOT.S 100, Sheffield 1990, 227–245.

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Allerdings zeigen die dafür angeführten Belege, dass auch hier nicht der rituelle Status der Speisen (oder gar der Heiden) problematisch war, sondern die Gefahr der Berührung mit dem Götzendienst. 19 Selbst das Verbot des Götzendienstes gilt freilich nach dem Wortlaut der Tora nur für Israeliten. Nichtjuden kommen dabei nur insoweit in den Blick, als sie Israeliten zum Götzendienst verführen könnten, wodurch das Land entheiligt würde (Ex 34,10–17; Lev 20,2–7; Dtn 13,2–19). Heidnische Religion außerhalb des Landes ist kein Gegenstand der Tora.20 Freilich war in frühjüdischer Zeit heidnische Religion für Juden im Verkehr mit Nichtjuden zu einer ständigen Herausforderung geworden. Besonders in der Diaspora, aber keineswegs allein dort, hatten sie durch Meiden des Götzendienstes ihre Identität zu wahren und ihre Treue zur Tora zu bewähren. Zum Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden außerhalb des Landes Israel sagt aber die Tora streng genommen gar nichts. Für die konkreten Entscheidungen im Umgang mit Nichtjuden bot ihr Wortlaut allenfalls Anknüpfungspunkte. 21

19 Dies kann hier nicht entfaltet werden. Vgl. die Diskussion der entsprechenden Belege bei BARCLAY, Jews (Anm. 14), 434–437; ED P. SANDERS, Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11–14, in: The Conversation Continues. Studies in Paul and John (FS J. L. Martyn), hg. v. ROBERT T. FORTNA/BEVERLY R. GAVENTA, Nashville 1990, 170–188: 176– 180; ALAN F. SEGAL, Paul the Convert. The Apostolate and Apostasy of Saul the Pharisee, New Haven/London 1990, 224–236; PETER J. TOMSON, Paul and the Jewish Law: Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, CRI III.1, Assen/Maastricht/Minnea-polis 1990, 230–236; BORGEN, Yes (Anm. 17), 42–44; PHILIP F. ESLER, Galatians, London/New York 1998, 93–116. Durchaus unterschiedliche Regelungen scheinen sich in Arist 180–186 einerseits, in JosAs 7,1; 8,5 andererseits niederzuschlagen: Während beim Symposion des Königs die aus Jerusalem angereisten Juden, unter ihnen der Hohepriester Eleazar, an einer Tafel mit dem König speisen (Arist 183), freilich von einem zuverlässigen Koch ihren Gebräuchen entsprechend zubereitete und unter Beachtung ihrer Gebräuche servierte Getränke und Speisen, wird für Josef im Hause des ägyptischen Oberpriesters ein eigener Tisch aufgestellt (vgl. aber JosAs 21,8!), wobei über die Art der Speisen nichts verlautet. 20 Götzendienst von Nichtjuden außerhalb Israels konnte gelegentlich sogar unter Verweis auf Dtn 4,19 und Ex 22,27 (LXX) unter den Schutz der Tora gestellt werden (vgl. MARTIN GOODMAN, Mission and Conversion. Proselytizing in the Religious History of the Roman Empire, Oxford 1994, 52; PIETER W. VAN DER HORST, „Thou shalt not revile the gods“. The LXX translation of Ex. 22:28 [27], its background and influence, in: DERS., Hellenism – Judaism – Christianity. Essays on Their Interaction, CBET 8, Kampen 1994, 112– 121 = SPhiloA 5 [1993] 1–8). Dem entspricht es, wenn der jüdisch-hellenistische Historiker Artapanos zusammen mit anderen Kulturleistungen selbst den Tierkult der Ägypter auf Mose zurückführen kann (Frgm. 3,4.12, vgl. NIKOLAUS WALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, JSHRZ I/2, Gütersloh 1976, 89–163: 129.131f.) oder wenn nach PseudEupolHist (samaritanischer Anonymus) Abraham als Erfinder und Lehrer der Astrologie gilt (Frgm. 1,3f., vgl. WALTER, a.a.O., 141). 21 So konnte man die Gebote zur Absonderung von den kanaanäischen Völkern auf die Situation der Diaspora übertragen; vgl. GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, Berlin 1987 (= in: DERS., Studien zum Frühju-

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Anhand der frühjüdischen Rezeption eines zentralen Teils der Tora, der Gebotsreihe in Lev 19, lassen sich exemplarisch Tendenzen einer solchen Übertragung auf die Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in der Diaspora aufzeigen. In seinem biblischen Kontext bringt Lev 19 umfassend die exklusive Heiligkeitsforderung Gottes für sein Volk Israel zur Sprache. 22 Zwar sind in Lev 19 vorwiegend Weisungen aus dem Bereich des Alltagslebens zusammengestellt. Sie sind aber eng und ohne erkennbare Unterscheidung verbunden mit dem Sabbatgebot (V. 3.30), dem Verbot des Götzendienstes (V. 4), der Heiligung des Gottesnamens (V. 12) und des Tempels (V. 30) sowie dem Verbot des Blutgenusses (V. 26). Auch spezielle Opferbestimmungen (V. 5–8.20–22), das Verbot der Artenmischung (V. 19), das Verbot verschiedener magischer Praktiken (V. 26–28) oder die Weihung der ersten Fruchternte (V. 23–25) begegnen in diesem Zusammenhang. Das Verbot, die Tochter zur Unzucht zu treiben, wird ausdrücklich mit der Reinheit des Landes begründet (V. 29), das von Wahrsagerei und Totenbeschwörung mit der des Volkes (V. 31). In frühjüdischen Texten, die offenkundig Gebote aus Lev 19 rezipieren, sind nun solche auf die Heiligkeit des Volkes und des Landes ausgerichteten Weisungen entweder ausgelassen oder in charakteristischer Weise interpretiert worden. So bringt die Gesetzesepitome bei Josephus in Ap 2,190–21923 fast

dentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILNIEBUHR, Göttingen 1998, 23–121: 9–18). Dabei blieb freilich ihre Begründung, die Wahrung der Heiligkeit des Landes, auf der Strecke. Ebenso konnte das Verbot der Mischehe, das in der Tora nur im Blick auf die kanaanäischen Nationen ausgesprochen worden war (Ex 34,15f.; Dtn 7,3f.; vgl. auch Neh 10,31), auf alle nichtjüdischen Völker ausgedehnt werden. Aber dies waren mögliche, keineswegs zwingende und exklusiv gültige Interpretationen. Eine andere, ebenfalls von der Tora her zu begründende Entscheidung konnte etwa dahin gehen, Mischehen durch Eintritt des nichtjüdischen Partners in das Volk Israel zu ermöglichen. Dass es in der Praxis auch andere Möglichkeiten gab, die nicht von vornherein im Gegensatz zur Tora stehen mussten, ist anzunehmen. Zum Mischehenproblem vgl. BARCLAY, Jews (Anm. 14), 410–412; MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER , Paul Between Damascus and Antioch. The Unknown Years, London 1997, 69f. mit Anm. 365–370; LOUIS H. FELDMAN, Jew and Gentile in the Ancient World. Attitudes and Interactions from Alexander to Justinian, Princeton 1993, 77–79, sowie KARL-WILHELM NIEBUHR, Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diaspora judentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359: 348 mit Anm. 41 (dort weitere Lit.). 22 Vgl. die Rahmung in V. 1f.36f. (V. 37 LXX: φυλάξεσθε πάντα τὸν νόμον μου καὶ πάντα τὰ προστάγματά μου καὶ ποιήσετε αὐτά [„beachtet mein ganzes Gesetz und alle meine Anordnungen und tut sie“]); ähnlich die Rahmungen der unmittelbar benachbarten Kapitel 18 und 20 (vergleichbare Mahnungen zu umfassendem Toragehorsam finden sich bes. oft im Deuteronomium, vgl. 4,8; 27,3.8.26 u.ö.). 23 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 32–72. Zu Contra Apionem insgesamt Louis H. FELDMAN/JOHN R. LEVISON (Hg.), Josephus’ Contra Apionem. Studies in its Character and Context with a Latin Concordance to the Portion Missing HELM

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alle Gebote aus Lev 19 zur Sprache, die das Alltagsleben in Familie, Gemeinschaft und Rechtspflege und den sozialen Schutz der Schwachen betreffen. 24 Ausgelassen sind aber alle Opferbestimmungen, das Verbot der Nachlese, das Verbot der Artenmischung, das Verbot des Blutgenusses und die verschiedenen Verbote magischer Bräuche. Vom Sabbat ist nur im Kontext die Rede, und zwar insbesondere von seiner Funktion, in den Synagogenversammlungen Belehrung im Gesetz zu ermöglichen (175). Vom Tempel, seinem Opferkult und den Reinigungsriten spricht Josephus allerdings ausführlich gleich zu Beginn in Entfaltung des „ersten Gebotes“ (190). Er setzt ein mit der bemerkenswerten Losung: „Ein (einziger) Tempel für einen (einzigen) Gott, denn immer gehört gleiches zu gleichem, Gemeingut aller (ist der Tempel) wie auch Gott Gemeingut aller ist.“25 Es schließt sich ein Abschnitt über den Opfergottesdienst der Priester an. Sie haben nicht nur Opfer

in Greek, AGJU 34, Leiden 1996; CHRISTINE GERBER, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden 1997; BERND SCHRÖDER, Die ‚väterlichen Gesetze‘. Flavius Josephus als Vermittler von Halachah an Griechen und Römer, TSAJ 53, Tübingen 1996, 137–151. Die Frage nach den intendierten und den tatsächlichen Lesern dieser Schrift wird sich kaum alternativ beantworten lassen (vgl. zur anhaltenden Diskussion GERBER, a.a.O., 89–93; SCHRÖDER, a.a.O., 138–141; ARYEH KASHER, Polemic and Apologetic Methods of Writing in Contra Apionem, in: FELDMAN/LEVISON, a.a.O., 143–186: 150–157; STEVE MASON, The Contra Apionem in Social and Literary Context: An Invitation to Judean Philosophy, in: FELDMAN/LEVISON , a.a.O., 187–228: 208–216.222–224; FELDMAN, Jew [Anm. 21], 142–149). Hier geht es lediglich um die spezifische Weise der Torarezeption unter den Lebensbedingungen der hellenistisch-römischen Welt außerhalb Israels, welche in jedem Fall sowohl für den Autor als auch für seine Adressaten, ob jüdische oder nichtjüdische, vorauszusetzen sind. 24 Eine Neuübersetzung von Ap 2,145–296, die wir im Folgenden in der Regel zitieren, bietet auf der Basis der textkritischen Untersuchungen von HEINZ SCHRECKENBERG, Rezeptionsgeschichtliche und textkritische Untersuchungen zu Flavius Josephus, ALGHJ 10, Leiden 1977; DERS., Text, Überlieferung und Textkritik von Contra Apionem, in: FELDMAN/LEVISON, Josephus’ Contra Apionem [Anm. 23], 49–82, GERBER, Bild (Anm. 23), 395–419 (als Textgrundlage muss bis auf weiteres BENEDIKT NIESE [Hg.], Flavii Iosephi Opera, Bd. 5: De Iudaeorum vetustate sive contra Apionem libri II, Berlin 1889, ausreichen). Auch zur folgenden skizzenhaften Interpretation der Gesetzesepitome sei hier summarisch auf ihre Analyse der Passage verwiesen (a.a.O., 183–203). 25 Ap 2,193: εἷς ναὸς ἑνὸς θεοῦ, φίλον γὰρ ἀεὶ παντὶ τὸ ὅμοιον, κοινὸς ἁπάντων κοινοῦ θεοῦ ἁπάντων (eigene Übersetzung). Zur Darstellung von Tempel und Priesterschaft in Contra Apionem vgl. RICHARD BAUCKHAM, Account of the Temple in Contra Apionem 2.102–109, in: FELDMAN/LEVISON, Josephus’ Contra Apionem (Anm. 23), 327–347. Zur „Theokratie“ (Ap 2,165) als verfassungsrechtlichem Begriff auf dem Hintergrund griechischer politischer Terminologie vgl. HUBERT CANCIK, Theokratie und Priesterherrschaft. Die mosaische Verfassung bei Flavius Josephus, c. Apionem 2, 157–198, in: JACOB TAUBES (Hg.), Religionstheorie und politische Theologie, Bd. 3: Theokratie, München u.a. 1987, 65– 77: 65f.72f.

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zu vollziehen, sondern auch „über die Gesetze zu wachen“, Streitende zu richten und die Überführten zu strafen (194). Die Opfervollzüge sollen dem Ideal der „Besonnenheit/Nüchternheit“ (σωφροσύνη) folgen, im Gegensatz zum „Rausch“ (μέθη, 195) heidnischer Opfer. 26 Sie sind begleitet von Gebeten, zuerst für das Gemeinwohl, sodann für den rechten Empfang des von Gott gnädig Zugeteilten (196f.).27 Nachdem Josephus in diesem Zusammenhang schon kurz Reinigungsriten erwähnt hat (198), 28 kommt er auf sie noch einmal zurück bei der Darstellung des toratreuen Familienlebens. Waschungen sind erforderlich nach sexuellem Verkehr (202f.; vgl. Lev 15,18) und nach Kontakt mit einer Leiche (205; vgl. Num 19,11–20). Charakteristisch sind nun die Begründungen, die Josephus dafür anführt. Beim sexuellen Verkehr erleide nämlich die Seele Schaden, weshalb der Gesetzgeber nach ihm Reinigungen angeordnet habe (203).29 Die Reinigung des Hauses und seiner Bewohner bei einem Trauerfall diene dazu, einen potentiellen Mörder daran zu erinnern, dass er nicht meinen dürfe, rein zu sein (205). 30 Der Schutz der Proselyten, der in Lev 19,34 mit der Erinnerung an die Fremdlingschaft der Israeliten in Ägypten begründet ist, wird bei Josephus darauf zurückgeführt, „daß nicht allein durch die Abstammung, sondern durch die Wahl der Lebensform die Verwandtschaft entsteht“ (209f.). Der Schutz der Sklavin vor Vergewaltigung, der in Lev 19,20–22 im Zusammenhang einer Schuldopferbestimmung steht, wird bei Josephus eingereiht in verschiedene todeswürdige Sexualvergehen, also aus dem Bereich des Opferkults gelöst (215). 31 Ähnliche Tendenzen lassen sich auch in einer Gesetzeszusammenfassung bei Philon beobachten. In Hyp 7,1–9 bringt er von den Geboten aus Lev 19 die Ehrung Gottes und der Eltern, das Verbot von Diebstahl und Betrug, besonders vor Gericht und im Wirtschaftsleben, sowie die Vergewaltigung von Sklaven zur Sprache.32 Wie bei Josephus fehlen alle auf kultische Reinheit bezogenen

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Zum Text vgl. GERBER, Bild (Anm. 23), 403, Anm. 24. Ap 2,197: δέδωκεν γὰρ αὐτὸς ἑκὼν καὶ πᾶσιν εἰς μέσον κατατέθεικεν („denn er hat es selbst von sich aus gegeben und für alle erreichbar niedergelegt“); vgl. Jak 1,5! 28 Reinigungen bei den (bzw. auf Grund der) Opferhandlungen (ἁγνείας ἐπὶ ταῖς θυσίαις) sind vorgeschrieben ἀπὸ κήδους ἀπὸ λέχους ἀπὸ κοινωνίας τῆς πρὸς γυναῖκα καὶ πολλῶν ἄλλων („von Bestattung, von Wochenbett, von Verkehr mit einer Frau und vielem anderen“). Vgl. zur Übersetzung GERBER, a.a.O., 403, Anm. 26, zum Textproblem 403f., Anm. 27. 29 Zu den Textproblemen s. GERBER , a.a.O., 405, Anm. 31. 30 Entscheidend ist freilich nach Josephus eine bescheidene, im engsten Familienkreis zu vollziehende Trauerfeier, wenngleich auch die Vorübergehenden herzukommen und mitklagen sollen. 31 Das steht im expliziten Gegensatz zu Lev 19,20! 32 Text bei Euseb, Praeparatio Evangelica VIII 7 (KARL MRAS [Hg.], Eusebius Werke. Bd. 8: Die Praeparatio Evangelica, Erster Teil: Einleitung, Die Bücher I bis X, GCS 43,1, Berlin 1954, 429–433). Zu den Beziehungen zwischen Philo, Hyp 7, Josephus, Ap 2,145– 27

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Gebote und Begründungen aus Lev 19, ebenso Hinweise auf die in seiner Geschichte begründete exklusive Identität Israels. Auf den Sabbat geht auch Philon nur im Kontext ein, um herauszustellen, dass er dazu da ist, in der Synagoge die väterlichen Gesetze und Gebräuche zu erlernen (7,10–14). Der ganze Bereich des Tempelkults und der Reinheitsbestimmungen fehlt bei Philon völlig. Gewissermaßen an seine Stelle tritt ein ausführlicher Passus über Gelübde (7,3–5).33 Wie Josephus bringt auch Philon einen Abschnitt über die Bestattung Verstorbener (7,7). Von Reinigungsriten ist in diesem Zusammenhang bei ihm aber gar nicht mehr die Rede, sondern allein von der Sicherung eines angemessenen Begräbnisses34 und der Wahrung der Totenruhe. Auch die weisheitliche Spruchsammlung des Pseudo-Phokylides basiert zu erheblichen Teilen auf Gebotsreihen der Tora, im Besonderen aus Lev 18–20.35 Dabei können wir ähnliche Interpretationstendenzen wie in den Gesetzeszusammenfassungen bei Josephus und Philon beobachten. So fehlen auch hier alle rituellen Vollzüge und Begründungen aus Lev 19, ebenso das Sabbatgebot. Von Reinigungen ist erst ganz am Schluss die Rede, in der charakteristischen Sentenz: „(Rituelle) Reinigungen bedeuten die Heiligung der Seele, nicht des Körpers.“36 Dagegen bringt Pseudo-Phokylides so gut wie alle das Privatleben

296 und Pseudo-Phokylides vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 42–44; GEORGE P. CARRAS, Dependence or Common Tradition in Philo Hypothetica VIII 6.10–7.20 and Josephus Contra Apionem 2.190–219, SPhiloA 5, 1993, 24–47, sowie zuletzt umfassend GERBER, Bild (Anm. 23), 100–118. 33 Vgl. Lev 27; Num 30,2–17; Dtn 23,22–24 (s.a. u. zu 2Hen). Von der in diesem Zusammenhang von Philon genannten Möglichkeit, dass die Priester Gelübde lösen können, weiß die biblische Tora nichts. 34 Vgl. Josephus, Ap 2,211. 35 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 5–31. Neuere Lit. zu PseudoPhokylides: PIETER W. VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides Revisited, JSPE 3, 1988, 3–30; THOMAS, Phokylides (Anm. 11); WALTER T. WILSON, The Mysteries of Righteousness. The Literary Composition and Genre of the Sentences of Pseudo-Phocylides, TSAJ 40, Tübingen 1994. Text nach DOUGLAS YOUNG (Hg.), Theognis. Ps.-Pythagoras. Ps.-Phocylides. Chares. Anonymi Avlodia. Fragmentum teliambicum, BSGRT, Leipzig 21971, 95–112; Übersetzungen in der Regel nach NIKOLAUS WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 173–278: 182–216. 36 PseudPhok228: ἁγνείη ψυχῆς, οὐ σώματος εἰσὶ καθαρμοί. Vgl. zum Text und zur Interpretation PIETER W. VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides and the New Testament, ZNW 69, 1978, 187–202: 200–202; DERS., Pseudo-Phocylides Revisited (Anm. 35), 27–29; DERS., Sentences, 258–260; THOMAS, Phokylides (Anm. 11), 195–199. Hier handelt es sich ebenso wenig um prinzipielle Ablehnung ritueller Teile der Tora wie in den vergleichbaren Aussagen des Tobitbuches (s.u., bei Anm. 46), der Sibyllinen (s.u., bei Anm. 58), des 2Hen (s.u., bei Anm. 71), des Aristeasbriefes (Arist 234: „Was ist der höchste Ruhm? … Gott zu ehren! Dies geschieht aber nicht durch Gaben und Opfer, sondern durch die Reinheit der Seele und der frommen Auffassung, wie von Gott alles nach seinem Willen bereitet und

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und die Gemeinschaft betreffenden Gebote des Kapitels auf seine Weise zur Sprache. Das Verbot des Meineides wird nicht wie in Lev 19,12 mit der Entweihung des Gottesnamens begründet, sondern damit, dass „der unsterbliche Gott“ jeden haßt, „der meineidig geschworen hat“ (PseudPhok 17). Wie Josephus unterstreicht auch Phokylides den Schutz der Proselyten, ersetzt aber den Verweis auf Israels Erfahrung der Fremdheit in Ägypten durch den Hinweis auf eine allgemein-menschliche Erfahrung: „Wir alle haben doch Erfahrung mit der Not, die unstet macht, und nirgends gibt es einen sicheren Platz auf Erden für die Menschen.“ (PseudPhok 40f.) Während Lev 19,29 verbietet, die Tochter zur Unzucht zu treiben, weil dadurch das Land entweiht würde, mahnt Phokylides: „Verkuppele nicht deine Ehefrau – damit befleckst du die Kinder; denn aus einem außerehelichen Beilager gehen nicht ebenbürtige Kinder hervor.“ (PseudPhok 177f.)37 Das Verbot, die Ackergrenze zu verletzen, das in der Tora auf den zugeteilten Erbanteil am JHWH gehörenden Land Israel bezogen ist (Dtn 19,14; 27,17), steht bei ihm im Zusammenhang von Besitzvergehen und wird mit der Sentenz begründet: „Maß(halten) ist das Beste von allem, Überschreitungen bringen nur Ärger!“ (PseudPhok 35f.)38 Trotz solcher klar erkennbaren Auslassungen und Modifizierungen wird die umfassende Forderung zum Gehorsam gegenüber der ganzen Tora auch in diesen frühjüdischen Texten keineswegs in Frage gestellt. Sie kommt vielmehr in vielfältiger Weise zur Sprache. Josephus etwa identifiziert Klugheit und Tugend mit den Forderungen der Tora: „Wir sind aber gerade im Gegenteil der Meinung, daß das Denken ein einziges und die Tugend eine einzige sei: gar nichts Gegenteiliges zu dem von Anfang an im Gesetz Festgelegten zu tun noch auch zu erdenken.“ (Ap 2,183)39 Philon stellt im Vergleich mit heidnischen

verwaltet wird.“ [NORBERT MEISNER, Aristeasbrief, JSHRZ II/1, 1973, 75]; vgl. demgegenüber das „Lob des Priesterdienstes“, Arist 92–99!) oder im Dramatiker-Gnomologion (Pseudo-Men-ander [Philemon] 1.6–8: „Wenn einer Opfer darbringt … und glaubt, er könne Gott [auf diese Weise] wohlgesonnen machen, dann irrt sich der und zeigt nur oberflächliche Gedanken. Rechtschaffen muß der Mann sich [stets] erweisen …“ [WALTER, Dichtung (Anm. 35), 268]). 37 Im Zusammenhang mit verschiedenen Weisungen zum Sexualleben weitgehend auf der Basis von Lev 18 und 20, vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 26–31. 38 Zur Textüberlieferung und Interpretation auf dem Hintergrund reicher Parallelen aus der pagan-hellenistischen Literatur vgl. PIETER W. VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides with Introduction and Commentary, SVTP 4, Leiden 1978, 137f. Vgl. auch Philo, SpecLeg 4,149f., der das Gebot auf die „ungeschriebenen Gesetze“ bezieht (dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 23], 53f.; NAOMI COHEN, Philo Judaeus. His Universe of Discourse, BEAT 24, Frankfurt 1995, 250–261), sowie TestIss 7,5; Sib 3,240; 2Hen 52,9f.; 1Hen 99,14. 39 Vgl. auch Ap 2,181.184.192.217f.

2. Differenzierungen in der Tora und ihrer frühjüdischen Rezeption

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Gesetzessammlungen die Überlegenheit des jüdischen Gesetzes heraus 40 und betont gerade hinsichtlich solch unbedeutend scheinender Gebote wie dem Vogelschutz (Dtn 22,6), dass „Gott selbst über sie wacht und ihre Einhaltung allenthalben verlangt“ (Hyp 7,9). Selbst bei Pseudo-Phokylides, der jeden expliziten Bezug auf das jüdische Gesetz wegen der Wahrung der literarischen Fiktion vermeiden muss, scheint die umfassende Ermahnung zum Toragehorsam am Anfang und am Schluss des Gedichtes deutlich durch, wenn er seine Sprüche als „Ratschlüsse Gottes in frommen Satzungen“ und „glückbringende Gaben“ (PseudPhok 1f.) bzw. als „Geheimnisse rechter Lebensweise“ (229) bezeichnet. Angesichts der Differenzierungen innerhalb der Tora und der Tendenzen bei ihrer frühjüdischen Rezeption erscheinen moderne Kategorien und Unterscheidungen wie die zwischen ‚ethischen‘ und ‚kultischen‘, ‚religiösen‘ und ‚moralischen‘ oder ‚sittlichen‘ und ‚rituellen‘ Geboten fragwürdig. Das Sabbatgebot z.B. ist ja keineswegs rituell, sondern nach Ex 23,12; Dtn 5,12–15 primär sozial ausgerichtet bzw. nach Ex 20,10f. Ausdruck des Danks an den Schöpfer. Übertretungen mancher ethischer Gebote, z.B. sexuelle Vergehen oder Mord, können dagegen nach der Tora durchaus rituelle Verunreinigung zur Folge haben (vgl. Lev 18,19–23; Num 35,30–34). Solche Verunreinigung wiederum kann im Frühjudentum von Kategorien und Leitvorstellungen her interpretiert werden, die in der hellenistisch-römischen Popularphilosophie auf die sittliche Ordnung des Alltagslebens bezogen werden. 41 Bei der Beurteilung frühjüdischer Torapraxis in ihrem Verhältnis zur geschriebenen Tora ist daher vielmehr jeweils genau zu prüfen: Für wen gilt ein bestimmtes Gebot der Tora und für wen nicht? An welchem Ort ist die Erfüllung spezieller Gebote zwingend vorgeschrieben, wo ist sie optional, und wo kann lediglich versucht werden, ihren Intentionen gerecht zu werden? In welche Lebenszusammenhänge gehören die betreffenden Gebote, und wo sind sie nicht relevant? Solche Differenzierungen werden auch im Blick auf Paulus und den Jakobusbrief noch zu selten beachtet.

40

Hyp 7,8: „Wozu, um Gottes Willen, braucht ihr überhaupt jene Buzygien?“ Dazu NIEGesetz und Paränese (Anm. 23), 53–56. Vgl. zur frühjüdischen Rezeption des Gedankens eines universalen „Naturrechts“ MARKUS BOCKMUEHL, Natural Law in Second Temple Judaism, VT 45, 1995, 28–44. 41 Zu analogen Interpretationstendenzen bei der Darstellung von Beschneidung, Sabbat und Speisevorschriften durch Josephus in den Antiquitates und in Contra Apionem vgl. PAUL SPILSBURY, Contra Apionem and Antiquitates Judaicae: Points of Contact, in: FELDMAN/LEVISON , Josephus’ Contra Apionem (Anm. 23), 348–368: 359–362. Zur Differenzierung zwischen ritueller und moralischer Unreinheit im Frühjudentum vgl. JONATHAN KLAWANS, The Impurity of Immorality in Ancient Judaism, JJS 48, 1997, 1–16. BUHR,

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3. Formen und Inhalte der Torarezeption in der Diasporaliteratur 3. Formen und Inhalte der Torarezeption in der Diasporaliteratur Als wesentliche Beobachtungen haben sich bisher ergeben: In frühjüdischen Texten, die die Tora als Ausdruck des Gotteswillens für das Gottesvolk der Gegenwart zusammenfassend zur Sprache bringen, verbindet sich die Aufforderung zu umfassendem, ganzheitlichem Toragehorsam mit einer spezifischen Auswahl von einzelnen Torageboten, die rezipiert und aktualisiert werden. In solcher Auswahl können einerseits Differenzierungen hinsichtlich des Geltungsbereiches und der Relevanz von Torageboten aufgegriffen werden, die schon im Wortlaut der Tora selbst Anknüpfungspunkte haben. Die Neuformulierung von Einzelgeboten lässt andererseits darüber hinaus aber auch die Tendenz erkennen, in der Tora vorgegebene Zusammenhänge zum Tempelkult, zu Opfer- und Reinigungsvorgängen oder zur Heiligkeit des Landes Israel zu übergehen, aufzulösen oder mit den sprachlichen und geistigen Mitteln und entsprechend den Lebensbedingungen des Frühjudentums in hellenistischrömischer Zeit umzuinterpretieren. Diese Beobachtungen sollen im Folgenden vertieft werden durch einen Blick auf weitere frühjüdische Texte, die speziell die Situation der frühjüdischen Diaspora widerspiegeln. Dass Toragehorsam in der Diaspora nicht identisch ist, nicht identisch sein kann mit Toragehorsam im Land Israel, hat sich schon beim Blick auf die Differenzierungen innerhalb der Tora selbst ergeben. Es wird schön illustriert durch den Beginn des TobitBuches. Tobit Tobit, das Idealbild des frommen und gerechten Juden, beschreibt einleitend in einer Art Idealbiographie seinen Lebenswandel (1,3–3,6).42 Der Standort, von dem aus er zurückblickt auf alle Tage seines Lebens, die er auf den Wegen der Wahrheit und Gerechtigkeit gewandelt ist (1,3), ist die „assyrische“ Verbannung, also jedenfalls ein Ort außerhalb des Landes Israel. Im Rückblick spricht Tobit aber zunächst von seiner Jugend vor der Deportation (1,4–9). In dieser Zeit bestand seine vorbildliche Toratreue darin, nur im Jerusalemer Tempel zu opfern (1,4f.),43 häufig nach Jerusalem zu den Festen zu pilgern, um dort genau die in der Tora vorgeschriebenen Erstlings- und Zehntabgaben zu leisten (1,6–

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Literarkritische Differenzierungen (vgl. PAUL DESELAERS, Das Buch Tobit: Studien zu seiner Entstehung, Komposition und Theologie, OBO 43, Freiburg, Scheiz/Göttingen 1982; MERTEN RABENAU, Studien zum Buch Tobit, BZAW 220, Berlin/New York 1994) können hier außer Betracht bleiben, da in jedem Fall die Endgestalt des Buches spätestens seit dem letzten Drittel des 2. Jh. v. Chr. vorlag (vgl. RABENAU, a.a.O., 175–190) und mit ihr die Akzentuierung der Toratreue (die RABENAU, a.a.O., 148.167f.170–174, im Wesentlichen den Bearbeitungsschichten zuordnet). 43 Im Unterschied zu seinen Stammesgenossen aus dem Stamm Naftali, die abgefallen waren zum „Baal-Kalb“ (BA) bzw. zum „Kalb, das Jerobeam in Dan errichtet hatte“ (S).

3. Formen und Inhalte der Torarezeption in der Diasporaliteratur

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8), und schließlich eine Frau aus väterlichem Geschlecht zu nehmen und mit ihr einen Sohn zu zeugen (1,9). Dann folgt die Beschreibung des Lebenswandels in der Verbannung (1,10–3,6). Hier ist nicht mehr vom Tempel oder von Abgaben die Rede, sondern davon, das „Brot der Heiden“ zu meiden (1,10f.), den Brüdern reichlich Almosen zu spenden (1,16; vgl. 1,3), sein Brot den Hungernden und den Nackten seine Kleider zu geben (1,17) sowie tote Stammesgenossen zu begraben, selbst bei Gefahr um Leib und Leben (1,17–20; 2,3–7). Zu solcher Toratreue in der Fremde gehört weiterhin das Feiern der Jahresfeste, wozu Arme von der Straße einzuladen sind (2,1–3), das Waschen nach einer Totenbestattung bzw. vor dem Essen (2,5.9) 44 und das Verbot, Gestohlenes zu essen (2,13). Natürlich ist eine solche ideale Erzählung nicht auf Vollständigkeit bei der Aufzählung von Geboten angelegt. Dennoch sind die unterschiedlichen Entfaltungen der Toratreue im Land Israel einerseits und in der Diaspora andererseits ganz deutlich zu erkennen. Für die folgende Erzählung bleibt freilich allein die Diasporasituation bestimmend.45 Entsprechend werden im ganzen Buch vorwiegend solche Grundelemente der Toratreue entfaltet, und zwar teils als Ermahnungen, teils in narrativer Form, die schon am Anfang als für die Diasporasituation maßgeblich erschienen sind, so vor allem die Barmherzigkeit mit den Bedürftigen (4,7–11. 16f.; 7,6; 9,6; 12,8f.; 14,2.9.11)46 und die Bestattung der Toten (4,3f.; 12,12f.; 14,12f.), darüber hinaus aber auch die Heirat einer Frau aus dem eigenen Volk (1,9; 3,17; 4,12f.; 6,12.16; 7,13), die Ermahnung zur Bruderliebe (4,13) und die Ehrung der Eltern (3,10; 5,1; 6,15; 11,17). Die drei Grundforderungen zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit rahmen die ganze Erzählung und sind Ausdruck ihrer Ermahnung zu umfassender Treue zur Tora unter den Bedingungen der Diaspora (vgl. 1,3; 14,9). Hinzu kommen Weisungen zum zwischenmenschlichen Umgang, zum Sozial- und zum Sexualleben, die in traditionell geprägter Form in weiten Teilen der frühjüdischen Literatur für die Toraparänese zur Verfügung standen. Sie sind im Tobitbuch als testamentarische Mahnrede des Vaters an seinen Sohn gestaltet und in 4,3–19 in einer katechismusartigen Reihe zusammengestellt. 47 Auch diese Weisungsreihe ist nochmals eingerahmt durch Aufforderungen zu umfassendem Gehorsam gegenüber Gott und seinen Geboten (vgl. 4,5f.19).

44

Inwieweit hier rituelle Reinheit im Blick ist, wird – nicht zuletzt wegen der problematischen Textüberlieferung in 2,9 – nicht ganz klar. 45 Bis zum Schluss (vgl. RABENAU , Studien [Anm. 42], 94–174, bes. 116–126: „Die Grunderzählung als Beispiel jüdischen Lebens in der Diaspora“)! Nach Kapitel 14 darf zwar Tobits Sohn noch die Zerstörung Ninives erleben, nicht aber die in 14,5–7 angekündigte Rückkehr in das Land Abrahams und zum („zweiten“) Tempel nach Jerusalem. 46 In Tob 4,10f. wird die Barmherzigkeit als „gute Opfergabe“ (δῶρον ἀγαθόν) bezeichnet, die „vom Tode errettet“ (ἐκ θανάτου ῥύεται). 47 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 203–206.

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Testamente der Zwölf Patriarchen In den Zwölfertestamenten begegnet die katechismusartige Toraparänese in besonders vielfältiger Gestalt. 48 Hier soll uns nur die Frage beschäftigen, in welcher Weise im Rahmen der Aufforderung zu umfassendem Toragehorsam der Bereich des Tempelkults, der Reinheitsgebote und der Abgabenbestimmungen zur Sprache kommt. Die Mahnung, „das ganze Gesetz“ bzw. „alle Gebote“ zu halten, durchzieht in vielfältiger Formulierung die ganze Schrift. 49 Spezifisch kultische Weisungen sind, der literarischen Fiktion entsprechend, weitgehend auf das Testament des Levi begrenzt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die in TestLev auf das Verhalten der Priester bezogenen Gebote und Verhaltensweisen (vgl. bes. 14,4–8; 16,1f.; 17,11) der Sache nach weitgehend mit denen übereinstimmen, die in den übrigen Testamenten ganz unabhängig von Priesterschaft und Tempel begegnen. 50 Wie in den TestXII insgesamt ist auch in TestLev die Toraparänese zentriert um die ‚Kardinalsünden‘ Unzucht und Habgier, also sexuelle Verfehlungen und Besitzvergehen, ergänzt durch Weisungen zum zwischenmenschlichen Umgang und zur sozialen Fürsorge für die Schwachen. 51 Die Zuordnung solcher Verhaltensweisen zum Tempel und seiner Priesterschaft verdankt sich in TestLev also offenbar weitgehend der literarisch-narrativen Fiktion der Schrift. Außerhalb von TestLev kommen auf den Tempel bezogene Weisungen nur noch an wenigen Stellen vor. In TestJud 18,5 werden im Zusammenhang einer beschreibenden Aufzählung der Folgen von Unzucht und Habgier u.a. Opferhandlungen erwähnt. Schon ihre Zusammenstellung mit „Lobpreisungen“ und „Prophetenrede“ deutet aber darauf hin, dass hier weniger spezifische Vorgänge des Tempelkults im Blick sind als vielmehr Formen eines Wortgottesdienstes in der Synagoge. 52 Im Unschuldsbekenntnis des Issachar (TestIss 3,3–

48 Vgl. NIEBUHR, a.a.O., 73–166 (dort war mir noch nicht zugänglich HARM W. HOLLANDER/MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Commentary, SVTP 8, Leiden 1985). Text nach MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs.

A Critical Edition of the Greek Text, PVTG I/2, Leiden 1978. 49 Vgl. TestLev 13,1; TestJud 23,5; 26,1; TestGad 3,1. Wendungen mit πᾶς oder ὅλον auch in TestLev 14,1; TestDan 5,5; TestAss 2,1–10; 4,2–5. Weitere Belege bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 164f. mit Anm. 405–411; s.a. den Exkurs, a.a.O., 104–106. Vgl. auch TestLev 13,2f. zur Unterweisung der Kinder im Lesen der Tora. 50 Spezifisch priesterliche Weisungen finden sich im Wesentlichen nur in 9,7–14. Vgl. andererseits die ganz umfassend-allgemeine Ermahnung der Levi-Söhne zur Toratreue in 13,1–9; 19,1f. 51 Der Götzendienst kommt in den paränetischen Reihen der TestXII nicht vor, wohl aber im Lasterkatalog TestLev 17,11, in traditioneller Verbindung mit Unzucht in TestRub 4,6; TestBenj 10,10, sowie in TestJud 19,1; 23,1f.; TestNaph 3,3. 52 Beachte den doppelten Parallelismus: Opfer – Lobpreis, Prophetenrede – frommes Wort (zu προσοχθίζειν im Blick auf die Tora vgl. Lev 26,14f.43)! Vgl. auch TestBenj 4,4

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8) berichtet der Patriarch u.a.: „Alle Erstlingsfrucht von jeder Ernte habe ich zuerst durch den Priester dem Herrn dargebracht, danach meinem Vater und dann ich.“ (3,6) Auch hier weist der Blick auf den Kontext den Weg für die Interpretation. Die Schilderung der Abgaben gehört zur literarischen Fiktion, nach welcher Issachar als vorbildlich frommer Ackerbauer im Land Israel gezeichnet wird. 53 Ihre Fortsetzung mit der Erwähnung des Vaters zeigt, dass in solcher fiktiven Gestaltung nicht spezielle Abgabenbestimmungen der Tora zur Sprache gebracht werden sollen, sondern vielmehr im Blick auf die Textadressaten das Elterngebot im Zusammenhang mit dem der Gottesverehrung aktualisiert wird!54 Obgleich also in den TestXII die Forderung zum Gehorsam gegenüber der ganzen Tora mit besonderem Nachdruck erhoben wird, werden bei ihrer paränetischen Entfaltung doch nur bestimmte Teile aus ihr rezipiert und in charakteristischer Weise interpretiert. Dass dabei Weisungen aus dem Bereich des Tempelkults und der auf das Land Israel bezogenen Gebote für die paränetische Intention der Schrift so gut wie keine Rolle spielen, ist freilich nicht Ausdruck prinzipieller Kult- oder partieller Torakritik, sondern vielmehr Hinweis auf die Lebenssituation der Adressaten solcher Toraparänese. Die für sie besonders relevanten Weisungen aus dem Bereich des Alltagslebens, aber auch der persönlichen Frömmigkeit und möglicherweise des Gottesdienstes in den Synagogen, werden akzentuiert und entfaltet, ohne dass dadurch die Einheit der Tora einschließlich ihrer auf den Tempel und das Land bezogenen Teile in Frage gestellt wäre. Sibyllinen Auch die jüdischen Bestandteile der sibyllinischen Orakel lassen eine deutlich paränetische Intention erkennen. Die Schilderungen gerechten und ungerechten Verhaltens, sei es bei Juden oder bei Heiden, dienen letztlich dazu, eine von Gott geforderte bzw. seinem eschatologischen Gericht unterworfene Lebensweise vor Augen zu führen. Diese Intention kommt zum einen in der Auf-

von dem „guten Mann“: τὸν θεὸν ἀνυμνεῖ („Gott lobsingt er“). Auf den hellenistisch-popularphilosophischen Gedanken, dass die Leidenschaften den Menschen daran hindern, Gutes zu tun, verweisen HOLLANDER /DE JONGE, Testaments (Anm. 48), 217. 53 Zum Ideal der ἁπλότης vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 113, sowie u., Anm. 96. Der narrative Kontext ist auch für die Erwähnung des Tempels, seiner Priesterschaft und der Erstlingsabgaben in TestIss 2,5 und 5,3–6 verantwortlich. Das paränetische Ziel solcher Bezugnahme kommt in 5,3f. in der Zeichnung des Ideals des Ackerbauern zum Ausdruck. Vgl. dazu auch Jak 5,7, dort freilich ohne Bezug auf die Erstlingsabgaben, vielmehr der Diasporasituation entsprechend als Vorbild der μακροθυμία. 54 Vgl. die Reihenfolge πρῶτον – ἔπειτα. Zum Elterngebot als Teil paränetischer Reihen s. NIEBUHR, a.a.O., 18f. und 182, Anm. 75.

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zählung konkreter Vergehen, gelegentlich auch rechten Verhaltens, zum Ausdruck, die in der Tradition katechismusartiger Toraparänese stehen. 55 Zentrale Themen sind dabei wiederum das Sexualverhalten, der Umgang mit fremdem und eigenem Besitz, soziale Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Wahrhaftigkeit im Umgang miteinander, Ablehnung von Hass, Gewalt und Mord. Zum anderen werden diese Reihen immer wieder von Aussagen gerahmt oder durchsetzt, die das geschilderte Verhalten in Beziehung stellen zum umfassenden, in der Tora niedergelegten Gotteswillen.56 Im Kontext solcher Reihen ist gelegentlich auch von den Spezifika Israels die Rede, etwa vom „großen Salomonischen Tempel“ (Sib 3,214), von den Erzvätern (215f.), vom Ursprung des Gottesvolkes in Ur in Chaldäa (218f.), dem Exodusgeschehen (248–260), dem „assyrischen“ Exil (268–270), der Tempelzerstörung (273–275) sowie der Hoffnung auf Wiedererrichtung des davidischen Königtums und Wiederherstellung des Tempels (286–294). Häufiger noch werden die Ablehnung aller Arten von Götzendienst und Magie sowie die Einzigkeit des wahren Gottes betont. 57 Spezifische Toragebote zum Tempelkult, den Reinheitsvorschriften oder Speisegeboten kommen aber in den Reihen selbst nicht vor. Auffällig ist allerdings im Zusammenhang der paränetischen Reihe Sib 3,234–247, welche die gerechten Taten des (idealen) Gottesvolkes beschreibt, die letzte der Aussagen zur Fürsorge für die Bedürftigen: Immer sendet der Begüterte im Volk denen, die nichts haben und bedürftig sind, einen Ernteanteil (als Opfergabe), erfüllend den Spruch des großen Gottes, den gesetzesgemäßen Lobgesang, denn allen gemeinsam hat der Himmlische die Erde erschaffen. (Sib 3,244–247)

Hier klingt ganz offensichtlich der Drittjahreszehnt für die Leviten, die Fremden im Lande und die Waisen und Witwen an. In der Tora ist der Zehnte der Leviten Ausgleich dafür, dass sie selbst keinen Erbanteil am Land besitzen dürfen (Num 18,20–24; Dtn 14,28f.). Hier nun wird diese Begründung ersetzt durch den gut stoischen Gedanken der Gleichheit aller Menschen auf Erden vor Gott! Eine ähnliche Interpretationsrichtung wird erkennbar, wenn im Rahmen einer eschatologischen Heilsansage (Sib 3,741–795), die auch eine kleine parä-

55 Wir beschränken uns hier auf das dritte Buch (Text nach JOHANNES GEFFCKEN, Die Oracula Sibyllina, GCS 8, Leipzig 1902). Vergleichbare Belege aus Buch 4 und 5 in dieser Hinsicht (trotz aller Unterschiede bezüglich Herkunft und Datierung) bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 169–185. 56 Vgl. z.B. Sib 3,33: τηρεῖτε (Konj. GEFFCKEN: οὐ τρέμετε) τὸν ἐόντα θεὸν ὃς πάντα φυλάσσει („beachtet [nicht fürchtet ihr] den seienden Gott, der alles bewahrt“); 580: ἐν δὲ δικαιοσύνη νόμου ὑψίστου λαχόντες („an der Gerechtigkeit des Gesetzes des Höchsten Anteil gewinnend“); Sib 3,763: φεύγετε λατρείας ἀνόμους τῷ ζῶντι λάτρευε („flieht gesetzlose Götzendienste, dem Lebendigen diene“). 57 Vgl. z.B. Sib 3,11–16.29–38.220–230.584–590.760–763.

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netische Reihe enthält (762–766), verheißen wird, dass „ein allgemeines Gesetz für die ganze Erde den Menschen einsetzen wird der Unsterbliche“ (757– 759; vgl. ähnlich 768f.). Charakteristisch für die in den Sibyllinen vorausgesetzte religiöse Praxis ist der Abschnitt 3,570–600, eine Heilsverheißung über das ideale Gottesvolk der Endzeit. Am Beginn steht ein scharfes Verbot, Gott Opfer darzubringen, bevor er seine Verheißung wahrgemacht hat (570f.).58 Erst dann werde ein „heiliges Volk frommer Männer“ den rechten Tempelkult vollziehen (573–579). Sie werden Städte bevölkern und fruchtbare Ländereien und in prophetischer Vollmacht allen Menschen frohe Kunde bringen (581–583). Schließlich werden ihr alltäglicher Gottesdienst und ihre geheiligte Lebensweise beschrieben: Denn vielmehr erheben sie zum Himmel reine Arme, im Morgengrauen aus dem Bett steigend, reinigen immer die Haut mit Wasser59 und verehren (zunächst) allein den immer sorgenden Unsterblichen, sodann ihre Eltern … (Sib 3,591–594)60

Dass hier ein Idealbild toratreuen Lebens und Glaubens in der Diaspora vor Augen gemalt wird, lässt sich durch Verweise auf die Diasporasituation im Kontext untermauern. So heißt es in dem großen Geschichtsrückblick Sib 3,218–294 (der entsprechend der Orakelform als Vorblick auf die assyrische Verbannung formuliert ist): „Die ganze Erde und jedes Meer wird erfüllt werden von dir, jeder aber wird dir zürnen wegen deiner Gebräuche.“ (271f.) Und wenig später folgt die Mahnung: „Aber du erinnere dich vertrauensvoll der heiligen Gesetze des großen Gottes.“ (283f.) Der Tempelkult ist Hoffnungsgut für die Zukunft, in der literarischen Fiktion des Orakels zeitlich entrückt, in der historischen Erfahrung geographisch entfernt. Aber tägliches Gebet, religiöse Gesten und Gebräuche sowie eine Lebensweise, die den Intentionen der Tora entspricht, sind auch in der Diaspora möglich und nötig, um dem Willen Gottes zu entsprechen.

58 Dass hier keine prinzipielle Kultkritik geäußert wird, zeigt schon die zeitliche Begrenzung „bis alles geschieht, was Gott allein will“. Vgl. die Zusammenstellung der Aussagen zum Tempel in Sib 3 bei ANDREW CHESTER, The Sibyl and the Temple, in: Templum Amicitiae. Essays on the Second Temple (FS E. Bammel), hg. v. WILLIAM HORBURY, JSNT.S 48, Sheffield 1991, 37–69: 38. Sib 4,27–30 (vgl. 4,8–11) wendet sich gegen heidnische Tempel, nicht prinzipiell gegen jeden (und damit auch den Jerusalemer) Tempelkult; vgl. dazu WILLIAM HORBURY, Der Tempel bei Vergil und im herodianischen Judentum, in: EGO/ LANGE/PILHOFER, Gemeinde ohne Tempel (Anm. 7), 149–168; CHESTER, The Sibyl and the Temple, a.a.O., 62–64. 59 Zu religiösen Waschungen in der Diaspora vgl. SANDERS, Jewish Law (Anm. 13), 260– 263. 60 Es folgt mit Hilfe einer kleinen paränetischen Reihe die Beschreibung ihres vorbildlichen Ehe- und Sexuallebens (Sib 3,594–596). Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 182f.

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Slavischer Henoch Das slavische Henochbuch bringt die frühjüdische Henochtradition im geistigen Horizont und mit den sprachlichen Mitteln des hellenistischen Diasporajudentums neu zur Sprache. 61 Wir konzentrieren uns hier darauf herauszuarbeiten, in welcher Weise Gegenstände der „Torapraxis“ im slavischen Henoch begegnen und in welchem Verhältnis dazu die Ermahnung zu umfassendem Toragehorsam steht. Obgleich der literarisch fiktive Standort des Offenbarungsempfängers Henoch chronologisch der Sinai-Tora vorangeht, kommt in der Schrift in vielfältiger Weise die paränetische Intention zur Geltung, die Adressaten zum Leben nach dem Willen Gottes zu ermahnen. Mit zahlreichen Wendungen wird auf die Einheit und Ganzheit der Forderung Gottes verwiesen, die für die frühjüdischen Leser der Schrift nirgendwo anders als in der Tora zugänglich ist. 62 So wird in der Gerichtsankündigung Kapitel 33–35 zwar das Gesetz nicht explizit genannt, seine Forderungen sind aber offenbar im Blick, wenn es heißt, „daß sie meine Gebote verwerfen und das Joch nicht tragen, das ich ihnen auferlegt habe“ (2Hen 34,1).63 Anschließend erhält Henoch den Auftrag, seinen Söhnen das im Himmel Erfahrene zu verkünden, „damit sie alle deine (sic!) Gebote halten, und die Bücher deiner Handschrift anfangen zu ehren und auf sie zu achten“ (36,1).64 In der testamentartigen Mahnrede 48,6–9 übergibt Henoch seinen Kindern die aus dem Himmel herabgebrachten Bücher und ermahnt sie, diese an ihre Nachkommen weiterzugeben, damit sie „Gott fürchten und sie annehmen, … sie lesen und sich ihnen anschließen“. 65 Auch in den stärker auf die Zukunft ausgerichteten Redeteilen bleibt diese paränetische Intention bestimmend, wenn auf das künftige „große Gericht des Herrn“ und „alle seine Gebote“ verwiesen wird (65,5f.; vgl. 61,1; 66,1).

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Das hat CHRISTFRIED BÖTTRICH, Weltweisheit, Menschheitsethik, Urkult. Studien zum slavischen Henochbuch, WUNT II/50, Tübingen 1992, 145–215, überzeugend nachgewiesen; als Textgrundlage dient im Folgenden DERS., Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/7, Gütersloh 1996. 62 Schon bevor er in den Himmel entrückt wird, mahnt Henoch seine Kinder: „Fallt nicht ab von Gott. Wandelt vor dem Angesicht des Herrn und befolgt seine Urteilssprüche.“ (2Hen 2,2) Im dritten Himmel bekommt er den Ort der Gerechten zu sehen, „die untadlig vor dem Angesicht des Herrn wandeln und ihm allein dienen“ (9,1). Ein „überaus furchtbar(er)“ Ort in demselben Himmel ist dagegen den Ungerechten bereitet, „die Gott verunehren; die Böses tun auf Erden“ (10,4). Zur auf die Tora bezogenen Terminologie unter Wahrung der „vorsinaitischen“ Fiktion des Werkes vgl. BÖTTRICH, Weltweisheit (Anm. 61), 178–180; NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 192–194. 63 Der literarischen Fiktion nach blickt der Sprecher voraus auf die Sünde der Menschen als Ursache für die Sintflut. Deshalb kann das Sinai-Gesetz nicht explizit genannt werden. 64 Henoch erfüllt nach 2Hen 39,1 diesen Auftrag, indem er seine Kinder mahnt: „Hört die Ermahnung eures Vaters, soviel nach dem Willen des Herrn ist.“ 65 Ähnliche Bezüge auf Bücher in 2Hen 33,8f.; 35,3; 47,2.

3. Formen und Inhalte der Torarezeption in der Diasporaliteratur

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Manche dieser umfassenden Aufforderungen zum Tun des Gotteswillens werden entfaltet durch konkrete Weisungen in der Tradition katechismusartiger Toraparänese.66 Dabei kommen neben den typischen Themen frühjüdischer Weisungsreihen (Sexualverhalten, Barmherzigkeitstaten, Besitzvergehen, ‚Zungensünden‘, Mord und Totschlag) und der Warnung vor dem Götzendienst (vgl. 2Hen 2,2; 10,6; 34,1f.; 66,2.5) auch einige im engeren Sinne religiöse Handlungen zur Sprache. So mahnt Henoch seine Kinder: Befleckt nicht die Gebete zu eurem Heil, damit der Herr nicht das Werk eurer Hände verkürze. Und lasst es dem Herrn nicht an Gaben fehlen, so wird es auch der Herr seinen Erwählten und die Gaben Liebenden an nichts fehlen lassen in euren Vorratskammern. Segnet den Herrn sowohl mit den Erstlingen der Herden als auch mit den Erstlingen eurer Jünglinge, und es wird Segen auf euch sein in Ewigkeit. (2Hen 2,2)

Von Gaben ist auch im Zusammenhang einer Makarismenreihe die Rede: Selig ist, wer den Namen des Herrn fürchtet, und immer vor seinem Angesicht dient, und die Gaben aufrichtig ordnet mit Furcht in diesem Leben, und in diesem Leben gerecht lebt und stirbt. (2Hen 42,6)

Mit Blick auf das göttliche Gericht heißt es: Wenn einer eilt und Opfer vor dem Angesicht des Herrn darbringt, so wird auch der Herr die Entlohnung seiner Werke beschleunigen und wird ihm ein gerechtes Gericht halten. (2Hen 45,1)

Ähnlich klingt die konditional formulierte Mahnung: Denn ein Mensch führt von den reinen Tieren herbei und vollbringt ein Opfer der Sünde wegen, damit er Heilung für seine Seele erlange. Und wenn er zum Opfer darbringt von den reinen Vögeln, dann hat er auch Nachkommen, er heilt seine Seele. (2Hen 59,2)67

Es ist deutlich, dass solche Formulierungen von Kenntnis des Sühnopferkultes im Jerusalemer Tempel zeugen. Die Frage ist nur, in welcher Beziehung diese Kenntnis zu der von den Adressaten geforderten oder in ihrem Lebensalltag geübten Torapraxis steht. Die genauere Betrachtung des Kontextes der zitierten Opferaussagen deutet die Richtung einer Antwort an. So dienen etwa die relativ detaillierten Aussagen über Tieropfer in 2Hen 59,2f. bezeichnenderweise nicht

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Vgl. bes. 2Hen 10,4–6; 42,6–14 (dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 23], 187– 192), aber etwa auch 2,2; 9,1; 18,4–6; 44,1–5; 50,6–51,2; 52,1–15. 67 Vgl. noch 2Hen 61,4: „Wenn ein Mensch in seinem Herzen sein Wort gibt, Gaben von seiner Arbeit vor dem Angesicht des Herrn darzubringen …“; 62,1: „Selig ist der Mensch, der in seiner Geduld seine Gaben mit Glauben vor dem Angesicht des Herrn darbringt, um sie dort zuzubereiten – dieser wird Vergebung der Sünden finden.“; 66,2: „Und bringt jede gerechte Gabe dar vor dem Angesicht des Herrn, aber eine ungerechte haßt der Herr.“

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der Darstellung und Interpretation des Opferkults im Jerusalemer Tempel, sondern der Entfaltung von Mahnungen zum Tierschutz! 68 Auch die Ermahnungen, vor dem Angesicht des Herrn Gaben darzubringen, stehen meist in Zusammenhängen, die eher auf Gottesdienstformen und die religiöse Praxis der Diasporasynagogen verweisen als auf die Teilnahme am Jerusalemer Tempelkult.69 Besonders deutlich ist das in 2Hen 45,1–3, wo neben dem Darbringen von Opfern auch vom Vermehren der Lampen vor dem Angesicht des Herrn die Rede ist.70 Die ganze Aussage führt hin zu der Mahnung: „Begehrt der Herr etwa das Brot oder die Lampen oder die Schafe oder die Rinder oder irgendwelche anderen Opfer? Das ist nicht so, sondern der Herr begehrt ein reines Herz.“ (45,3)71 In ähnlicher Weise wird in 66,2f. die Aufforderung, jede ge-

68 Vgl. im Kontext 2Hen 58,1–59,5 (in der Tora Ex 23,4f.; Dtn 22,1–4; zum Thema in den Gesetzeszusammenfassungen bei Philon und Josephus vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 23], Reg. s.v. Tierschutz). Es folgen in 2Hen 60 eine Reihe von „Schädigungen“ von Mitmenschen, die freilich nicht wie in der Tora nach dem Prinzip der Ersatzleistung geahndet werden (vgl. Ex 21,12–22,16; Dtn 19,1–13), sondern im paränetischen Sinne entsprechend dem weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang. Dass zudem die Bindung der Opfertiere zur Schlachtung an ihren vier Beinen auf ägyptische, nicht Jerusalemer Opferpraxis verweist, zeigt BÖTTRICH, Henochbuch (Anm. 61), 987, Anm. 3a; vgl. DERS., Weltweisheit (Anm. 61), 201f. Böttrich meint zwar, „alle Aussagen zum Tieropfer müssen somit als eine Verpflichtung zur Teilnahme am Jerusalemer Kult verstanden werden“, und verweist auf das Pseudonym „Achuzan“ für Jerusalem als Ort des exklusiven Opferkults (a.a.O., 199). Allerdings sind die Belege mit einer Ausnahme, bei der vom Tempel gerade nicht die Rede ist (64,2), aus dem m.E. für sich zu betrachtenden dritten Teil der Schrift genommen (68,5; 69,3; 70,17), der sich eben gerade hinsichtlich der vorausgesetzten Beziehung auf das Priestertum, den Jerusalemer Tempel und den Opferkult charakteristisch von den vorangehenden Teilen der Schrift unterscheidet. 69 So auch BÖTTRICH, a.a.O., 200. Vgl. etwa 2Hen 2,2 (o. zitiert). Die „Erstlinge der Herden“ stehen parallel zu den „Erstlingen eurer Jünglinge“. Wenn letztere metaphorischer Ausdruck sind für die Auslösung der Erstgeborenen durch die Leviten (Ex 13,2.13; Num 3,12f.40–51; 18,15f.; vgl. Neh 10,37), dann können auch erstere in übertragenem Sinn gedeutet werden, sei es auf „nicht eingelöste Gelübde hinsichtlich einer Wallfahrt“ (BÖTTRICH, Henochbuch [Anm. 61], 838, Anm. g; vgl. zu freiwilligen Spenden aus der Diaspora für den Tempelkult auch SANDERS, Jewish Law [Anm. 13], 283–308) oder auf „Stiftung von Ausstattungsgegenständen für die Synagoge“ (BÖTTRICH, ebd.). Die Bindung an den Tempel auf dem Zion blieb also in der Diaspora keineswegs auf die Teilnahme an einer Wallfahrt nach Jerusalem beschränkt, sondern konnte sich auch in den Synagogen vor Ort Ausdruck verschaffen. 70 Zu Lampen als Votivgaben für die Synagoge vgl. BÖTTRICH, Weltweisheit (Anm. 61), 200 mit Anm. 235. 71 Vgl. auch 2Hen 46,1: „Wenn jemand einem irdischen König irgendeine Gabe bringt, während er in seinem Herzen Untreue sinnt – wird nicht der König, wenn er [das] erkennt, sich über seine Gabe erzürnen und ihn dem Gericht übergeben?“ Auch in 61,4; 62,1 legt sich aus dem Kontext die Deutung auf Gelübde bzw. Votivgaben nahe. Zu Recht betont BÖTTRICH, Henochbuch (Anm. 61), 962, Anm. 3d, dass hier keine prinzipielle Kultkritik zum

4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus

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rechte Gabe darzubringen vor dem Angesicht des Herrn, weitergeführt und begründet: „Denn der Herr sieht alles. Was ein Mensch im Herzen denkt, das rät ihm der Verstand, denn ein jeder Gedanke ist eine Darbringung vor dem Herrn.“ (66,3)72 Dass sich die Synagoge als der Ort anbot, wo man sich Tag für Tag „vor dem Angesicht des Herrn“ versammeln konnte, um ihm die Opfer darzubringen, die in der Diaspora allein möglich waren, zeigt sehr schön die Mahnung: „Am Morgen des Tages und in der Mitte des Tages und am Abend des Tages ist es gut, in das Haus des Herrn zu gehen, um den Schöpfer von allem zu verherrlichen.“ (2Hen 51,4)73 Sie mündet in die Aufforderung zum Gotteslob in Form eines Makarismus: „Selig ist der Mensch, der seinen Mund öffnet zum Lob des Gottes Sabaoth und den Herrn lobt mit seinem ganzen Herzen.“ (52,1) Eingerahmt ist sie durch Reihen von Ermahnungen zu Ausdauer und Vergeltungsverzicht (50,2–5), Barmherzigkeit mit den Schwachen (50,6–51,2) und gegenseitiger Glaubensstärkung (51,2f.) sowie die Warnung vor Vergehen der Zunge (52,2–15). Solche Aussagen sind nicht im Sinne einer Spiritualisierung oder gar prinzipiellen Kritik des Opferkultes zu werten, sondern stellen den Versuch dar, wenigstens der Intention derjenigen Teile der Tora gerecht zu werden, die man unter den Gegebenheiten der Diaspora praktisch nicht erfüllen konnte.

4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus 4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus Bei der Einordnung und Bewertung des Umgangs mit der Tora bei Paulus und im Jakobusbrief sind damit anhand der gesammelten Beobachtungen zur frühjüdischen Torarezeption folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Die Mahnung zu umfassendem, die ganze Tora und alle ihre Gebote einbeziehenden Toragehorsam steht im Frühjudentum in enger Verbindung mit einer Auswahl charakteristischer Einzelforderungen aus ihr. Beides bildet keinen Widerspruch, sondern ist paränetisch einander zugeordnet: Die umfassende Mahnung

Ausdruck kommt. Vielmehr geht es in der Tradition prophetischer Opferkritik (vgl. dazu ARMIN LANGE, Gebotsobservanz statt Opferkult. Zur Kultpolemik in Jer 7,1–8,3, in: EGO/ LANGE/PILHOFER, Gemeinde ohne Tempel [Anm. 7], 19–35; MATTHIAS ALBANI, „Wo sollte ein Haus sein, das ihr mir bauen könntet?“ [Jes 66,1]. Schöpfung als Tempel JHWHs?, in: EGO/LANGE/PILHOFER, a.a.O., 37–56), die zur Zeit des „Zweiten Tempels“ in klassischer Weise etwa in Sir 35,1–10 zur Sprache kommt, um Aufrichtigkeit im Gottesdienst, in welchen Formen auch immer er geübt wird (Anm. 36). 72 Im Kontext geht es wie in 2Hen 2,2 um das rechte Gebet im Gegensatz zum Götzendienst. Vgl. 66,2.5. 73 Zur Wendung „Haus des Herrn“ vgl. BÖTTRICH, Henochbuch (Anm. 61), 975, Anm. 4b.c.

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richtet das geforderte Verhalten grundsätzlich am Willen Gottes aus, die zusammengestellten Einzelweisungen entfalten und konkretisieren diese Forderung unter Berücksichtigung der Voraussetzungen der Adressatensituation und entsprechend der spezifischen Aussageabsicht der Autoren. Wenn bestimmte Einzelgebote oder ganze Teile der Tora dabei nicht zur Sprache kommen, impliziert das nicht ihre prinzipielle Ablehnung oder auch nur eingeschränkte Geltung. Vielmehr ist jeweils zu fragen, inwieweit solche Teile der Tora für die Adressatensituation relevant oder für die spezifische Aussageabsicht der Autoren von Bedeutung waren. Zudem ist die jeweils gewählte Gattung, gegebenenfalls die literarische Fiktion zu berücksichtigen, die Auswirkungen auf die Art und Weise haben kann, in welcher Toraforderungen zur Sprache kommen. Hinsichtlich der Teile der Tora, die auf den Tempelkult, die rituelle Reinheit, die vorgeschriebenen Abgaben und bestimmte Speisevorschriften bezogen sind, zeigt sich, dass den frühjüdischen Autoren solche Differenzierungen durchaus bewusst sind. Um der Intention solcher Gebote, die als Teil der einen, ganzen Tora Geltung beanspruchen, unter den Bedingungen des Lebens in der Diaspora gerecht werden zu können, werden sie oft in paränetische Ermahnungen umgeformt, die ethischen und popularphilosophischen Konzeptionen in hellenistisch-römischer Zeit sehr nahekommen. Dennoch bleibt die Beziehung solcher allgemein geltenden Normen und Weisungen auf die Tora als Ausdruck des Willens Gottes für Israel deutlich erkennbar. Man sollte deshalb nicht von einer Spiritualisierung der Tora oder von Teilen aus ihr sprechen, sondern vielmehr von dem Bemühen, ihre Forderungen unter den Gegebenheiten der Diasporasituation und mit den geistigen Mitteln, die sie anbot, der Intention nach zu erfüllen. Von hier aus können auch die Aussagen über die Tora bei Paulus und im Jakobusbrief als Zeugnisse eines je spezifischen Toraverständnisses unter den Bedingungen der Diaspora verständlich werden. Dass die Diasporasituation frühjüdischer Gemeinschaften das Leben der jeweiligen Briefadressaten prägt, ergibt sich hinsichtlich der Paulusbriefe aus unserem Wissen über die paulinische Mission und Paulus selbst,74 hinsichtlich des Jakobusbriefes schon aus seiner literarischen Gestalt. 75 Dass bei beiden spezifische Toraweisungen zum

74 Vgl. JOHN M. G. BARCLAY, Paul among Diaspora Jews: Anomaly or Apostate?, JSNT 60, 1995, 89–120; DERS., Jews (Anm. 14), 381–395; MARIUS REISER, Hat Paulus Heiden bekehrt?, BZ 39, 1995, 76–91; NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 21), 350–359; DERS., Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 95–97, sowie jetzt umfassend HENGEL/SCHWEMER, Paul (Anm. 21). 75 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe, NTS 44, 1998, 420–443: 421–424.

4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus

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Opferkult, zu Reinheitsbestimmungen und solchen Speise- und Abgabenbestimmungen, die an das Leben im Land Israel gebunden sind, fehlen, ist auf diesem Hintergrund nicht verwunderlich, sondern geradezu folgerichtig. Ebenso entspricht es frühjüdischer Torarezeption und -praxis in der Diaspora, wenn solche Bereiche der Tora in metaphorischer Weise zur Geltung gebracht werden, wie es bei Paulus etwa hinsichtlich des Sühnopferkults, des Passafestritus und des Reinheitsgedankens, bei Jakobus hinsichtlich der Erstlingsabgaben und der Reinheit geschieht. Über die weitgehende sachliche Identität der materialen Forderungen paulinischer und jakobäischer Paränese mit denen frühjüdischer Toraparänese kann m.E. kein Zweifel bestehen. 76 Paulus Die charakteristische Weise, in der Paulus auf spezifische Gebote wie die Beschneidung, den Sabbat oder Speisevorschriften der Tora Bezug nimmt, lässt sich in dieses Gesamtbild durchaus einordnen. Dabei ist hinsichtlich der Beschneidung zunächst zu berücksichtigen, dass sie in der Tora selbst nur für männliche Nachkommen von Juden vorgeschrieben ist, nirgendwo in der Schrift aber gefordert wird, sie gegenüber Nichtjuden durchzusetzen. 77 Auch im Frühjudentum wird zwar in aller Regel die Annahme der Beschneidung als Vorbedingung für den Eintritt von Nichtjuden in das Gottesvolk gefordert. Daraus kann aber keineswegs auf eine organisierte Bewegung zur Gewinnung von Proselyten nach Analogie der paulinischen Mission geschlossen werden. 78 In der Toraparänese spielt die Beschneidung zudem so gut wie keine Rolle.

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S. dazu ECKART REINMUTH, Geist und Gesetz. Studien zu Voraussetzungen und Inhalt der paulinischen Paränese, ThA 44, Berlin 1985; BRIAN S. ROSNER, Paul, Scripture and Ethics. A Study of 1 Corinthians 5–7, AGJU 22, Leiden 1994; PETER J. TOMSON, Paul’s Jewish Background in View of His Law Teaching in 1Cor 7, in: JAMES D. G. DUNN (Hg.), Paul and the Mosaic Law, WUNT 89, Tübingen 1996, 251–270. Solch Zweifel kann auch durch die in der Überlieferung des Urchristentums zweifellos herausgehobene Bedeutung des Liebesgebotes, die wohl ihre Wurzeln in der Jesusüberlieferung hat, nicht genährt werden, wie die breite Rezeption von Lev 19,18 im Frühjudentum zeigt (vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 23], 122–124 und Reg. s.v. Liebe, sowie THOMAS SÖDING, Das Liebesgebot bei Paulus. Die Mahnung zur Agape im Rahmen der paulinischen Ethik, NTA 26, Münster 1995, 56–66; zum Liebesgebot in den TestXII s. jetzt auch MATTHIAS KONRADT, Menschen- oder Bruderliebe? Beobachtungen zum Liebesgebot in den Testamenten der Zwölf Patriarchen, ZNW 88, 1997, 296–310). 77 Ausnahmen betreffen die Beschneidung nichtjüdischer Haussklaven (Gen 17,12f.) und die von „Fremden im Lande“, die am Passamahl teilnehmen wollen (Ex 12,44.48). Auch die Zwangsbeschneidung von Nichtjuden, von der Josephus berichtet (Ant 12,254), steht im Zusammenhang der Ausweitung des Landes im Zuge militärischer Eroberungen durch die Hasmonäer und folgt somit der Konzeption der Einheit von Bundesvolk und Erbbesitz des Landes, die schon Gen 17 bestimmt (vgl. 17,8). 78 Zur Diskussion um eine jüdische „Proselytenmission“ vgl. die bei NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 21), 346–349 mit Anm. 35–45, angeführte Lit. sowie DAVID ROKÉAH,

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Zum anderen lassen gerade die Auseinandersetzungen um die Beschneidung im Zusammenhang der paulinischen Mission erkennen, dass die Beschneidungsforderung gegenüber Nichtjuden tief umstritten war, sofern sie nicht mehr von den Voraussetzungen des Übertritts einzelner Proselyten zum Judentum her verständlich gemacht werden konnte. 79 Genau dies war aber im Rahmen der paulinischen Missionskonzeption der Fall. 80 Denn für Paulus ist der Eintritt von Heiden in das durch Gott im Christusgeschehen neu und endgültig definierte eschatologische Gottesvolk eben gerade nicht mehr nach dem Modell des Eintritts von Proselyten in das Gottesvolk der Geschichte zu verstehen und zu vollziehen, sondern als ein eschatologisches Rettungsgeschehen, in das Juden wie Nichtjuden durch Glauben an den gekreuzigten und auferweckten Christus einbezogen und dessen sie in der Erfahrung des Geistes gewiss werden (vgl. Röm 1,16f.; 3,21–31; Gal 1,15f.; 2,7.15–21; 3,1–5). Diesen grundlegenden Aussagezusammenhang seines Evangeliums kann Paulus gar nicht von der Tora aus einsichtig werden lassen, und schon gar nicht von ihrer Beschneidungsforderung her, wohl aber vom Zeugnis der Schrift aus, wie er sie im Licht seiner eigenen Christuserfahrung zu lesen gelernt hat. Hier hat seine Argumentation über den in Abraham gründenden Verheißungszusammenhang ihren Ort (vgl. Röm 4,9–17; Gal 3,6–4,31; auch Röm 15,7–13). Sie kann Israel und die Völker in eine gemeinsame Heilsperspektive stellen, indem und gerade weil sie die Differenzierung zwischen dem beschnittenen und dem unbeschnittenen Gottesvolk der Endzeit wahrt. Erst auf einer solchen Basis, von der gemeinsamen Heilsperspektive für Juden und Nichtjuden in der göttlichen Verheißung her und im Hinblick auf das endzeitliche Gericht Gottes, dem

Ancient Jewish Proselytism in Theory and Practice, ThZ 52, 1996, 206–224; FELDMAN, Jew (Anm. 21), 288–382; GOODMAN, Mission (Anm. 20), 60–90; HENGEL/SCHWEMER, Paul (Anm. 21), 61–76; TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 54–65. 79 Zur durchaus nicht einlinigen Bewertung des gegenwärtigen Status und des endzeitlichen Geschicks von Nichtjuden aus jüdischer Perspektive vgl. WOLFGANG KRAUS, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996, 12–110; TERENCE L. DONALDSON , Proselytes or ‚Righteous Gentiles‘? The Status of Gentiles in Eschatological Pilgrimage Patterns of Thought, JSPE 7, 1990, 3–27; DERS., Paul (Anm. 78), 51–78; PAULA FREDRIKSEN, Judaism, the Circumcision of Gentiles, and Apocalyptic Hope: Another Look at Galatians 1 and 2, JThS 42, 1991, 532–564: 533–548; SEGAL, Universalism (Anm. 11), 2–12. 80 Wenn andererseits eine solche Forderung dennoch vonseiten der Paulusgegner in seinen Gemeinden erhoben worden ist, dann zeigt dies zwar zum einen, dass sie offenbar ein anderes Missionsverständnis vertraten, lässt zum anderen aber eben auch erkennen, dass sie sich dafür keineswegs auf eine traditionelle oder gar von der Tora her gebotene Position berufen konnten. Vgl. dazu vorläufig NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 21), 353– 356, sowie FRIEDRICH WILHELM HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung im frühen Christentum, NTS 42, 1996, 479–505.

4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus

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beide unterworfen sind, richtet Paulus seine Forderung zu umfassendem Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes an Juden und Nichtjuden, „Beschneidung“ und „Unbeschnittenheit“.81 Dass mit einer solchen Neubewertung der Beschneidung im Aussagezusammenhang des paulinischen Christusevangeliums aber keineswegs die Außerkraftsetzung der Tora als ganzer oder auch nur ihrer rituellen Teile einhergeht, zeigen die Aussagen des Paulus zu Speisevorschriften in Gal 2,11–14, 1Kor 8– 10 und Röm 14f. Die Konflikte, die sich an diesen Stellen widerspiegeln, lassen sich keineswegs einfach gleichsetzen, weisen aber jeweils für sich in den Bereich frühjüdischer Lebensweise unter den Bedingungen der Diaspora. Beim Konflikt in Antiochia ging es nach Gal 2,11–14 nicht um den rituellen Status der Speisen oder gar der beteiligten Menschen, sondern um das miteinander Essen von Juden und Heiden (vgl. 2,12). 82 Da die Tora für diese in Antiochia gegebene spezielle Situation keine expliziten Weisungen enthält, kann

81 Ich folge insofern der durch ED P. SANDERS, Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977 (dt.: Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstrukturen, StUNT 17, Göttingen 1985), begründeten Sicht, nach der die Rechtfertigungsargumentation des Paulus, insbesondere die mit ihr verbundenen grundsätzlichen Urteile über die Tora (vgl. bes. Gal 3,10–13.17.21; Phil 3,7f.), in den Auseinandersetzungen um die Heidenmission wurzelt, sehe aber im Unterschied zu Sanders deren theologische Basis im Berufungsgeschehen vor Damaskus (vgl. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel [Anm. 74], 66–78; zur jüngeren auf Sanders aufbauenden und seine Sicht z.T. modifizierenden Diskussion vgl. SEGAL, Paul [Anm. 19], 117–149, sowie zuletzt DONALDSON, Paul [Anm. 78], 293–305). 82 Wichtig sind in unserem Zusammenhang diejenigen der zahlreichen Untersuchungen zum „antiochenischen Zwischenfall“, welche die mit der vorauszusetzenden Situation in Antiochia verbundenen „halachischen“ Fragen diskutieren (vgl. bes. SANDERS, Association [Anm. 19]; JAMES D. G. DUNN, The Incident at Antioch (Gal. 2:11–18), JSNT 18, 1983, 3– 57; DERS., Partings [Anm. 7], 130–135; TOMSON, Paul [Anm. 19], 222–236; SEGAL, Paul [Anm. 19], 230–233). ANDREAS FELDTKELLER, Identitätssuche des syrischen Urchristentums. Mission, Inkulturation und Pluralität im ältesten Heidenchristentum, NTOA 25, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1993, 141–149, lässt, trotz aller Bemühung um Differenzierung, bei seiner Unterscheidung zwischen „Torah-Kriterium“ und „Gottesfürchtigen-Kriterium“ (vgl. a.a.O., 123–141) die Differenzierung zwischen dem Land Israel und der Diaspora unberücksichtigt (vgl. etwa seine Vermutung hinsichtlich der „Benutzung ‚unreinen‘ Geschirrs“ nach Lev 11,32–35; 15,12 [a.a.O., 146f.], die in Antiochia irrelevant war). Die gegenwärtige Diskussion um die so genannten Gottesfürchtigen wird von Feldtkeller nur sehr fragmentarisch rezipiert (weitere Lit. bei NIEBUHR, Identität und Interaktion [Anm. 21], 347f., Anm. 36–39, sowie zusätzlich FELDMAN, Jew [Anm. 21], 342–415; JUDITH M. LIEU, The Race of the God-Fearers, JThS 46, 1995, 483–501; HENGEL/SCHWEMER, Paul [Anm. 21], 61–90; BERND WANDER, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidnischen Umfeld von Diasporasynagogen, WUNT 104, Tübingen 1998). Begriffe wie „Status“ oder „Kriterium“ suggerieren eine Klarheit der Verhältnisse, die, wie Feldtkeller selbst sieht, aus den frühjüdischen Belegen nicht abzulesen ist. Wie kann man aber dann „aus einer im Fluß befindlichen innerjüdischen Diskussion“ ein „Kriterium des Christ-Seins im vollen Sinne“ entnehmen (a.a.O., 131)? Auch KLINGHARDT, Gesetz (Anm. 9), 156–224, und HEIL,

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weder die Haltung der Jakobus-Leute als von ihr zwingend gefordert noch die des Paulus als explizit im Widerspruch zu ihr angesehen werden. 83 Sowohl die zunächst in der Gemeinde geübte Praxis (συνεσθίειν) als auch ihre Änderung auf Betreiben der Jakobus-Leute (ἀφορίζεν) lassen sich somit in das Spektrum jüdischer Möglichkeiten der Treue zur Tora unter den Bedingungen der Diaspora einordnen. 84 Dies wäre freilich kaum vorstellbar, wenn zu den gemeinsam genossenen Speisen etwa Blut oder verbotene Tiere gehört hätten. 85 Offenbar verlangten die Jakobus-Leute jedoch mehr als lediglich das Meiden solcher Speisen. Über ihre Begründungen dafür ist nicht zu spekulieren. Rituelle Verunreinigung war jedenfalls für das Leben in der Diaspora irrelevant, und auf unmittelbare Gefährdungen durch heidnische Religion deutet nichts hin. Das wird verständlich, wenn die antiochenische Gemeinde im Umfeld der Synagogengemeinschaft Antiochias, die zu den bedeutendsten der Griechisch sprechenden Diaspora gehörte, entstand und immer noch lebte. 86 In Korinth ging es dagegen nach 1Kor 8–10 um die Gefahr des Götzendienstes beim Essen außerhalb der Gemeindezusammenkünfte. 87 Die Auswahl der Speisen spielt hier ebenso wenig eine Rolle wie ihr ritueller Status, der für das Leben in der Diaspora irrelevant ist. Kriterium dafür, ob bestimmte Speisen in bestimmten Situationen zu meiden sind, ist vielmehr das Wissen, ob, bzw. der

Ablehnung (Anm. 9), 124–169, lassen bei ihren ansonsten sehr detaillierten Untersuchungen (etwa zu den Forderungen des „Aposteldekrets“, Apg 15,20.29; 21,25) die Differenzierung zwischen dem Land Israel und der Diaspora ganz außer Betracht. – Zum Aposteldekret vgl. noch JÜRGEN WEHNERT, Die Reinheit des „christlichen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden. Studien zum historischen Hintergrund des sogenannten Aposteldekrets, FRLANT 173, Göttingen 1997. 83 Vgl. SEGAL, Paul (Anm. 19), 231: „there is no law in rabbinic literature that prevents a Jew from eating with a gentile … It is quite likely that Jewish practice of the time encompassed every strategy from total abstinence to virtual commensality.“ 84 Ähnlich TOMSON, Paul (Anm. 19), 227f.; SEGAL, Paul (Anm. 19), 230f. 85 Ebenso mögen die für die „Fremden im Lande“ geltenden Speisegebote der Tora (vgl. Lev 17,10–16) von allen Beteiligten eingehalten worden sein (anders offenbar HEIL, Ablehnung [Anm. 9], 137, aber ohne Begründung; seine Aussagen zu konkreten Fragen der Speisepraxis in Antiochia bleiben leider oft unscharf). Das „Aposteldekret“ wäre in diesem Fall praktisch eingehalten worden, ob nun wissentlich oder unwissentlich (vgl. zur Diskussion die bei HEIL, a.a.O., 150–160, aufgeführte Lit.). 86 Vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233: 226–229. 87 Vgl. NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 21), 357–359, und die dort angeführte Literatur, sowie zuletzt BORGEN, Yes (Anm. 17), 47–57; HEIL, Ablehnung (Anm. 9), 177– 235; DIETRICH-ALEX KOCH, „Seid unanstößig für Juden und für Griechen und für die Gemeinde Gottes“ (1Kor 10,32). Christliche Identität im μακέλλον in Korinth und bei Privateinladungen, in: Paulus, Apostel Jesu Christi (FS G. Klein), hg. v. MICHAEL TROWITZSCH, Tübingen 1998, 35–54.

4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus

203

ausdrückliche Hinweis, dass es sich um Götzenopferfleisch handelt. Entscheidend dafür ist die Intention dessen, der die heidnische Religion praktiziert bzw. sich ihr aussetzt. 88 Die Abgrenzung gegenüber heidnischer Religion, die Paulus in 10,25–30 in seiner Gemeinde durchzusetzen bemüht ist, 89 erscheint insofern schärfer und eindeutiger als die mancher frühjüdischer Autoren, als sie auch von den nichtjüdischen Gliedern der Gemeinde erwartet wird. Gerade für sie war ja offenbar die Teilnahme an Mahlzeiten mit Nichtjuden problematisch geworden (vgl. 8,7!).90 Nach Röm 14f.91 haben sich innergemeindliche Spannungen daran entzündet, dass manche meinten, alles essen zu können, andere dagegen, auf Fleisch und Wein verzichten zu müssen (vgl. 14,2.21). Dies deutet darauf hin, dass mit der Unterscheidung von reinen und unreinen Speisen (vgl. V. 14.20) nicht ihr ritueller Status im Sinne der Kultfähigkeit gemeint ist, sondern auf solche Speisen verwiesen wird, deren Genuss Juden durch die Tora explizit verboten ist. 92 Dass auch Wein erwähnt wird (14,21), ließe sich am besten verstehen, wenn

88

So die Interpretation von TOMSON, Paul (Anm. 19), 195f.208–216, zu συνείδησις in 8,7; 10,27–29 aufgrund tannaitischer Halacha für den Verkehr mit Nichtjuden in der Diaspora (im Wesentlichen zustimmend: BORGEN, Yes [Anm. 17], 49–54). Dagegen freilich jetzt KOCH, Seid unanstößig (Anm. 87), 44f., Anm. 27f. Aber entgegen dem Eindruck, den Koch erweckt, geht es, wenn ich recht sehe, auch Tomson keineswegs um „Substanzen“ (ein m.E. im Blick auf jüdischen Umgang mit Speisen völlig unbrauchbarer Begriff!), sondern um die Intentionen und Situationen, unter denen Glieder der Gemeinde mit „Götzenopferfleisch“ in Berührung kommen können. 89 Dass die konkrete Handlungsanweisung erst in 10,25–30 steht, sieht auch KOCH, a.a.O., 43. 90 Die Handlungsanweisungen in 10,27–30 schränken den Entscheidungsspielraum der „Wissenden“ (vgl. 8,1f.7.10f.), zu denen Paulus auch sich selbst rechnet, im Blick auf ihren Umgang mit „Götzenopferfleisch“ ein, während die „Schwachen“ (vgl. 8,7.9f.) „bei ihrer bisherigen Praxis einer sehr restriktiven Haltung gegenüber Opferfleisch … bleiben“ können (KOCH, a.a.O., 46). Zu beiden Gruppen mögen sich gegenwärtig Juden wie Nichtjuden in der Gemeinde halten (vgl. dazu ausführlich HEIL, Ablehnung [Anm. 9], 212–234). Entscheidend ist aber, dass die Einschränkung des Entscheidungsspielraums für beide der allein aus jüdischen Prämissen abgeleiteten Warnung vor dem Götzendienst folgt (zu KOCH, a.a.O., 51, Anm. 49). Vgl. zum Problem JACK T. SANDERS, Paul Between Jews and Gentiles in Corinth, JSNT 65, 1997, 67–83. 91 Vgl. JOHN M. G. BARCLAY, ‚Do we undermine the Law?‘ A Study of Romans 14.1– 15.6, in: DUNN, Paul and the Mosaic Law (Anm. 76), 287–308; TOMSON, Paul (Anm. 19), 236–245; HEIL, Ablehnung (Anm. 9), 243–265. 92 Also Blut, bestimmte Tierarten und „Vermischtes“. Zu entscheidenden Unterschieden zwischen den Kategorien „Speisegebote“ und „Reinheitsgebote“ (im Sinne übertragbarer ritueller Unreinheit) vgl. TOMSON, Paul (Anm. 19), 240–242. Völlig undifferenziert urteilt dagegen wieder HEIL, Ablehnung (Anm. 9), 265: „Die rituell-kultischen Unterschiede (‚rein‘ – ‚unrein‘) sind als Heilsparadigma ein für allemal beseitigt. Die Speisegebote und damit die ‫ תורה‬werden in Christus bzw. in bezug auf das Reich Gottes ‚aufgehoben‘.“

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durch entsprechende Abstinenz eine mögliche Verbindung zu heidnischer Religion (Libation) ausgeschlossen werden sollte. Aber weder Probleme der Tischgemeinschaft von Juden und Nichtjuden noch eine Gefährdung durch Götzendienst sind erkennbar. Essen und Trinken wird jedenfalls dadurch zum Problem, dass unterschiedliche Haltungen zu bestimmten Speiseverboten in der Gemeinde gegeneinander ausgespielt werden. Die Haltung des Paulus läuft praktisch darauf hinaus, verschiedene Praktiken nebeneinander zu akzeptieren, sofern sie nicht die Einheit der Gemeinde und damit ihre Identität als endzeitliche Heilsgemeinschaft zerstören. Zwar folgt die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Speisen Kriterien jüdischer Speisepraxis. Nicht sicher ist aber, ob unreine Speisen nur von Juden gemieden wurden, während nur Nichtjuden sich die Freiheit nahmen, alles zu essen.93 Wie sich schon in 1Kor 8–10 zeigte, können die paulinischen Gemeinden, die sich aus Juden und Nichtjuden zusammensetzten, nicht einfach mit jüdischen Diasporagemeinschaften gleichgesetzt werden. Die paulinischen Stellungnahmen zu Fragen der Speisepraxis lassen sich insgesamt also durchaus einordnen in das Spektrum frühjüdischer Fragestellungen und Entscheidungen im Sinne der Treue zur Tora unter den Bedingungen der Diaspora. Die Zusammensetzung der paulinischen Gemeinden aus Juden und Nichtjuden, die ihrem Selbstverständnis als Teil des endzeitlichen Gottesvolkes aus Israel und den Völkern entspricht, lässt sie auch gegenüber den Voraussetzungen frühjüdischer Torapraxis als eine Einheit sui generis erscheinen, für deren konkrete Lebensentscheidungen die Tora gar keine eindeutigen Richtlinien vorsah. Angesichts der Bindung der Tora an das Bundesverhältnis zwischen Gott und seinem Volk konnten ihre Weisungen nur bedingt für deren konkrete Lebensentscheidungen als verbindlich gelten. Gerade auf diesem Hintergrund ist es umso bedeutsamer, dass die Handlungsanweisungen des Paulus seinen Gemeinden gegenüber weitgehend ähnlichen Tendenzen folgen, wie sie sich auch innerhalb der Vielfalt von Ausprägungen frühjüdischer Torapraxis aufweisen lassen. Jakobusbrief Nimmt man die sprachliche Gestaltung des Jakobusbriefes als Brief in die Diaspora ernst (vgl. Jak 1,1!), dann erschließt sich seine Aussageabsicht, die Identität der Adressaten als Glieder des Gottesvolkes in der Diaspora in Treue

93

Der Jude Paulus jedenfalls rechnet sich zu den „Starken“ (Röm 15,1), die meinen, alles essen zu können, (14,2, vgl. 14,14)! Vgl. zur Diskussion HEIL, Ablehnung (Anm. 9), 260– 265.

4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus

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zum in der Tora niedergelegten Willen Gottes zu stärken. 94 Diesem Ziel sind nicht nur die konkreten Handlungsanweisungen untergeordnet, die ganz den Forderungen frühjüdischer Toraparänese entsprechen. Ebenso lassen sich auch die umfassenden Mahnungen zum vollkommenen Wandel (1,4), zum Tun des Wortes (1,22–25), zu einem Gottesdienst, der in Wahrhaftigkeit und Barmherzigkeit besteht (1,26f.), zum Glauben, der sich in Werken der Gerechtigkeit vollendet (2,14–26), als Ermahnung zum Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes verstehen.95 Dem Idealbild des „vollkommenen Mannes“ (τέλειος ἀνήρ, 3,2)96 korrespondiert als Gegenbild der „zwiespältige Mann“ (ἀνὴρ δίψυχος, 1,8).97 Der „schöne Wandel“98 des Weisen erweist sich in „Werken weiser Freundlichkeit“, während ein von Eifersucht und Streit gesteuertes Herz „gegen die Wahrheit lügt“ (3,13f.).99 „Weisheit von oben“ (ἡ σοφία ἄνωθεν)

94 S. dazu NIEBUHR, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe (Anm. 75), unter Verweis auf die Tradition frühjüdischer Diasporabriefe. Das gilt zunächst unabhängig davon, wie man die Frage nach dem Autor beantwortet. 95 Vgl. NIEBUHR, a.a.O., 440f. In diesem Sinne zuletzt auch DONALD J. VERSEPUT, Reworking the Puzzle of Faith and Deeds in James 2.14–26, NTS 43, 1997, 97–115: 115: „In urging consistency of behaviour, the author of the epistle appears to revive the critique of the OT prophets against cultic abuse, insisting in accordance with the traditional pattern that piety without righteousness is vain and ineffectual, unable to achieve the recognition of God, whereas deeds of obedience to the divine will can be said to constitute the proper and valid religion of which God approves.“ 96 Zum Ideal des „vollkommenen Mannes“ vgl. den ἀγαθὸς ἀνήρ bzw. ἄνθρωπος, TestBenj 4,1f.; 6,1, im Zusammenhang paränetischer Reihen (dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 23], 127–134); zu Josef als Modell des „vollkommenen Mannes“ vgl. noch TestSim 4,4; TestDan 1,4; TestBenj 3,1. Ein Idealbild von Toratreue stellt ebenso Issachar dar, gestaltet unter dem Leitwort der ἁπλότης (dazu NIEBUHR, a.a.O., 113); dies im Jakobusbrief nur von Gott, vgl. Jak 1,5: αἰτείτω παρὰ τοῦ διδόντος θεοῦ πᾶσιν ἁπλῶς …, s. aber Röm 12,8: ὁ μεταδιδοὺς ἐν ἁπλότητι. Aber auch das Stichwort τέλειος begegnet in ähnlichem Zusammenhang und ähnlicher Intention in den TestXII, vgl. TestJud 23,5; TestGad 7,1. 97 Vgl. dazu die Schilderung des „Zwiegesichtigen“ (διπρόσωπος) in den paränetischen Reihen TestAss 2; 4 (vgl. TestDan 4,7), im Gegensatz zum „Eingesichtigen“ (μονοπρόσωπος, TestAss 4,1; 5,4; 6,1, die beiden letzten Stellen jeweils in Bezug auf τὰς ἐντολὰς τοῦ ὑψίστου bzw. κυρίου); dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 144– 152. 98 Jak 3,13: καλὴ ἀναστροφή (vgl. auch 2,8: καλῶς ποιεῖτε, 4,17: καλὸν ποιεῖν). Zu ἀναστροφή als Ausdruck für toratreuen Lebenswandel vgl. 2Makk 6,23; Tob 4,14 (paränetische Reihe); Gal 1,13; Eph 4,22. 99 Jak 3,14: ψεύδεσθε κατὰ τῆς ἀληθείας. Vgl. auch 5,19: πλανᾶσθαι ἀπὸ τῆς ἀληθείας. Dass auch die Wendung λόγος ἀληθείας (1,18) in den Zusammenhang von Toratraditionen gehört, weist MARTINA LUDWIG, Wort als Gesetz. Eine Untersuchung zum Verständnis von „Wort“ und „Gesetz“ in israelitisch-frühjüdischen und neutestamentlichen Schriften. Gleichzeitig ein Beitrag zur Theologie des Jakobusbriefes, EHS XXIII.502, Frankfurt 1994, 151–157, nach; vgl. auch MARTIN KLEIN, „Ein vollkommenes Werk“. Vollkommenheit, Gesetz und Gericht als theologische Themen des Jakobusbriefes, BWANT

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steht im Gegensatz zu Zank, Streit und „jeder bösen Tat“ (πᾶν φαῦλον πρᾶγμα); „Frucht der Gerechtigkeit“ (καρπὸς δικαιοσύνης) kommt hingegen denen zu, die Frieden tun (3,15–18). Viele dieser umfassenden Leitbegriffe und Wendungen begegnen auch in der katechismusartigen Toraparänese der frühjüdischen Literatur, 100 besonders häufig im Zusammenhang paränetischer Reihen, die konkrete Verhaltensweisen aus dem Alltagsleben als exemplarischen Ausdruck für die Forderungen der Tora zusammenstellen. 101 Über solche traditionsgeschichtlichen Brücken hinaus kommt aber im Jakobusbrief der Bezug auf die Tora auch explizit zur Geltung. Der „Täter des Wortes“ (Jak 1,22f.) ist derjenige, der „hineingeschaut hat in das vollkommene Gesetz der Freiheit und darin verharrt“ (1,25).102 Wer „das königliche Gesetz gemäß der Schrift erfüllt“, wie es im Liebesgebot seinen charakteristischen Ausdruck und in den Dekaloggeboten seine Konkretion gefunden hat, „handelt gut“, während Entehrung der Armen und Bevorzugung der Reichen als Übertretung der Tora bewertet werden (2,1–11).103 Das „ganze Gesetz“ erfordert Gehorsam, weil es Gott zum Urheber hat (2,10f.).104 Das Verleumden und Richten des Bruders ist Ausdruck einer grundsätzlich gegen das ganze Gesetz und damit gegen Gott gerichteten Haltung, denn „ein einziger ist Gesetzgeber und Richter, welcher retten und verderben kann“ (4,11f.).105

139, Stuttgart 1995, 129–134. Zu ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμῶν vgl. noch 1,26: ἀπατῶν καρδίαν αὐτοῦ, 4,8: ἁγνίσατε καρδίας, δίψυχοι. 100 Zu entsprechenden Beziehungen zur Toraparänese in frühjüdischen Diasporabriefen vgl. NIEBUHR, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe (Anm. 75), 21–24. 101 Belege zu „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“, „Güte“, „Barmherzigkeit“, „Herz“, „Weisheit“ etc. bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), Indizes. 102 Von hier aus stehen auch die Wendungen λόγος ἀληθείας in Jak 1,18 und ἔμφυτος λόγος in 1,21 zumindest in sachlich enger Beziehung zur Tora, von der dann in 2,8–13 erneut explizit die Rede ist. Zum Zusammenhang von ἔμφυτος λόγος und νόμος τέλειος vgl. CHRISTOPH BURCHARD, Nächstenliebegebot, Dekalog und Gesetz in Jak 2,8–11, in: Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte (FS R. Rendtorff), hg. v. ERHARD BLUM u.a., Neukirchen-Vluyn 1990, 517–533: 522f. mit Anm. 10f., sowie ausführlich LUDWIG, Wort (Anm. 99), 159–170. Vgl. zur Interpretation der genannten Stellen noch KLEIN, Werk (Anm. 99), 119–154; MANABU TSUJI, Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung. Eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des Jakobusbriefes, WUNT II/93, Tübingen 1997, 108–115; MATTHIAS KONRADT, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, StUNT 22, Göttingen 1998, 41–100.171–206. 103 Vgl. dazu BURCHARD, Nächstenliebegebot (Anm. 102); LUDWIG, Wort (Anm. 99), 171–175; KLEIN, Werk (Anm. 99), 145–152. 104 ὁ γὰρ εἰπών, Jak 2,11, entsprechend der biblischen Formulierung der anschließend zitierten Dekaloggebote als Gottesrede. Zur Wendung ὅλον τὸν νόμον τηρεῖν vgl. die o. unter 3. besprochenen Mahnungen zu umfassendem Toragehorsam in frühjüdischen Texten. 105 Vgl. Jak 2,12f. Dazu BURCHARD, Nächstenliebegebot (Anm. 102), 531f. Zur καταλαλία in der frühjüdischen Toraparänese vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 23), 115.188f. mit Anm. 114.

4. Tora für die Diaspora bei Paulus und Jakobus

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Auf dem Hintergrund dieser umfassenden Mahnung zum Toragehorsam und im Lichte der frühjüdischen Toraparänese für die Diaspora ist auch das Verhältnis von Glaube und Werken im Jakobusbrief zu bewerten. Bezeichnenderweise finden wir ja auch im Jakobusbrief die Argumentation mit dem Glauben Abrahams in einer zugleich an Paulus erinnernden wie sich von ihm charakteristisch unterscheidenden Weise wieder. 106 Während bei Paulus Auseinandersetzungen um die Beschneidung im Zusammenhang seiner Mission den entscheidenden Anlass für die Argumentation mit dem Glauben Abrahams bilden und seine Argumentationsrichtung bestimmen, fehlt im Jakobusbrief das Thema Beschneidung völlig. Hier ist der Glaube durchgängig eingeordnet in Aussagezusammenhänge, die den umfassenden Willen Gottes für sein Volk zur Sprache bringen. Der Glaube der Adressaten an den einen Gott Israels (Jak 2,19; 4,12) bewährt sich im Erdulden von Bedrängnissen (1,2–4.12f.; vgl. 5,7– 11). Er kommt zur Sprache im Gebet zu Gott (1,5f.; vgl. 3,9f.; 4,3; 5,15f.) und hat sich in Taten der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zu entfalten und zu vollenden (2,14–26). Dies sind Konkretionsformen des Gehorsams gegenüber dem Gotteswillen, die der Diasporasituation der Briefadressaten, wie sie schon im Präskript und im Briefeingang zur Sprache gebracht worden ist, entsprechen. Dass die Beschneidung in diesem Zusammenhang ebenso wenig thematisiert wird wie Tempelkult und rituelle Reinheit, Sabbat, Speisegebote oder Abgabenbestimmungen, schränkt den von den Adressaten geforderten umfassenden Toragehorsam nicht ein. 107 Vielmehr spiegelt sich auch darin die spezifische Situation der Briefadressaten, die als „zwölf Stämme in der Diaspora“ ihren Glauben an Gott und den Herrn Jesus Christus zu bewähren haben (Jak 1,1; 2,1).108

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Die Frage nach möglichen Beziehungen zwischen Paulus und dem Jakobusbrief kann hier nicht mehr aufgegriffen werden. Vgl. dazu zuletzt LUDWIG, Wort (Anm. 99), 184–192; KLEIN, Werk (Anm. 99), 197–204; TSUJI, Glaube (Anm. 102), 187–199; TODD C. PENNER, The Epistle of James and Eschatology. Re-reading an Ancient Christian Letter, JSNT.S 121, Sheffield 1996, 47–74. 107 Krass (m. E. fehl-)urteilt dagegen TSUJI, Glaube (Anm. 102), 110–115, wenn er von „Abschaffung“, „Aufhebung“ bzw. davon spricht, „dass für Jakobus die kultischen Gebote völlig abrogiert worden sind und deshalb nicht mehr erwähnt werden mussten“ (112), und νόμος ἐλευθερίας schließlich (mit Vollenweider) als „Freiheit vom (Kult-) Gesetz“ deutet (115), alles ohne Textbasis! Vorsichtiger dagegen KLEIN, Werk (Anm. 99), 153: „Inhaltlich steht das ‚Gesetz‘ des Jakobusbriefes in voller Kontinuität zum hellenistischen Judentum: Es handelt sich um die – bewusst oder unbewusst – auf ihre ethischen Bestandteile reduzierte Tora.“ 108 Zum Zusammenhang zwischen Jak 2,1 und 2,8–11 vgl. BURCHARD, Nächstenliebegebot (Anm. 102), 520–528.

Juden in Rom unter Nero Intellektuelle Netzwerke, religiöse Praxis, geistige Horizonte Angesichts der begrenzten Quellenlage ist man bei der Rekonstruktion synagogalen Lebens in der jüdischen Diaspora in hellenistisch-römischer Zeit darauf angewiesen, Befunde aus verschiedenen Zeiten und unterschiedlichen Orten zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, um ein einigermaßen kohärentes Bild zu gewinnen, angefangen bei literarischen Zeugnissen der frühjüdischen Literatur und des Neuen Testaments über sporadische Hinweise bei paganen Autoren bis zu epigraphischen Belegen, oft aus der Spätantike. Grundsätzlich ist gegen dieses Verfahren auch nichts einzuwenden, so lange ausreichende methodische Vorsicht bei Rückschlüssen auf konkrete Situationen oder Konstellationen für bestimmte Orte oder Zeiten waltet. Das ist auch zu beachten, wenn Hintergründe von Ereignissen oder Texten aus der frühesten Geschichte der Jesus-Bewegung erhellt werden, wie in unserer folgenden Untersuchung die Situation der ersten Jesus-Anhänger in Rom zur Zeit der Abfassung des Römerbriefes. Zur Klärung dieser spezifischen Konstellation wird man nicht einfach alles zusammentragen können, was wir sonst so über Juden und Nichtjuden in der antiken Mittelmeerwelt wissen, 1 sondern wird sehr genau fragen müssen, was denn für die Hauptstadt des Imperium Romanum zur Zeit Neros und allenfalls seiner unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger im Blick auf Juden und jüdisches Leben nachweislich gelten kann. Dies ist der methodische Ansatz des folgenden Beitrags. Anders als derjenige von Christian Eberhart in diesem Band, 2 der von einem Überblick über antike Synagogen insgesamt und von im Neuen Testament als Ganzem belegten Befunden ausgeht, um die stadtrömischen jüdischen Gemeinschaften und 1

Die Literatur dazu ist inzwischen sehr umfangreich. Einen aktuellen Einblick mit besonderem Interesse an den rechtlichen Verhältnissen gibt jetzt der Sammelband von GÜNTER STEMBERGER/CHARLOTTE FONROBERT/ALEXANDER SAMELY (Hg.), Religio licita? – Rom und die Juden, Studia Judaica 84, Berlin/Boston 2017, darin insbesondere die Beiträge von GÖRKE K. HASSELHOFF/MERET STROTHMANN, Religio licita – Rom und die Juden, 1–12; BENEDIKT ECKHARDT, Rom und die Juden – ein Kategorienfehler? Zur römischen Sicht auf die Iudaei in später Republik und frühem Prinzipat, 13–53; KARL LEO NOETHLICHS, Der rechtliche Status der Juden im römischen Reich. Tradition und Wandel in der römischen Judengesetzgebung vom 2. Jahrhundert v.u.Z. bis zum 6. Jahrhundert u.Z., 55–83. 2 Vgl. CHRISTIAN EBERHART, Synagogengemeinden im antiken Rom. Eine Bestandsaufnahme, in: Tempel, Lehrhaus, Synagoge. Orte jüdischen Lernens und Lebens (FS W. Kraus), hg. v. DEMS. u.a., Paderborn 2020, 119–137.

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ihre Geschichte in dieses Bild einzuordnen, gehen wir methodisch den umgekehrten Weg. Ausgehend von Daten zu einzelnen namentlich bekannten Juden, die nachweislich unter Nero in Rom lebten bzw. sich wenigstens einige Zeit dort aufhielten, beschränken wir uns beim Entwurf eines Gesamtbildes von ihrer Lebensweise, ihren geistigen Horizonten und ihrer religiösen Praxis ausschließlich auf solche Zeugnisse, die sich entweder eindeutig auf diese Zeit und diesen Ort fixieren lassen oder von denen sich wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen lässt, dass sie die konkreten Verhältnisse zu genau dieser Zeit an genau diesem Ort widerspiegeln. Dafür ziehen wir dann aber auch möglichst alle Quellengattungen heran, die sich in der genannten Weise lokalisieren und datieren lassen, nicht zuletzt Darstellungen von Juden bei zeitgenössischen paganen Autoren, die eine wichtige Außenperspektive auf Juden in Rom unter Nero zu erkennen geben. Insgesamt wird sich zeigen, dass wir auf diesem Weg ein erstaunlich dicht belegbares und äußerst vielseitiges Bild gewinnen, das auch bei der Frage nach den konkreten Hintergründen und Zielen des paulinischen Römerbriefes und bei der Interpretation seiner theologischen Argumentation Beachtung verdient. 3 Auch wenn der letzte Abschnitt der Apostelgeschichte über den Aufenthalt des Paulus in Rom (Apg 28,17–31) nicht einfach historisch in die Zeit zurückdatiert werden kann, die Paulus im Römerbrief vor Augen hat, wenn er den Adressaten seine Reisepläne mitteilt (Röm 15,22–33), wird doch aus beiden Texten hinreichend deutlich, dass den Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Jesus-Anhängern und darüber hinaus zwischen Juden und Nichtjuden insgesamt bedeutendes Gewicht auch für das Verhältnis zwischen dem Apostel, seinen Adressaten in Rom und den jüdischen Gemeinschaften vor Ort zukommt. Diese Konstellation sollte bei der Auslegung des Römerbriefes stärker berücksichtigt werden. Ich beginne mit einem prosopographischen Zugang (1.), an den sich der Versuch einer Rekonstruktion von Grundzügen jüdischen religiösen Lebens in Rom unter Nero anschließt (2.), bevor ich einige theologische Aussagezusammenhänge im Römerbrief von dieser Konstellation aus beleuchte (3.).

3 Der folgende Beitrag gibt in seinem Hauptteil im Wesentlichen die Befunde und Ergebnisse wieder, die zunächst auf Englisch publiziert wurden (vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Roman Jews under Nero: Personal, Religious, and Ideological Networks in Mid-First Century Rome, in: ARMAND PUIG I TÀRRECH/JOHN M. G. BARCLAY/JÖRG FREY [Hg.], The Last Years of Paul. Essays from the Tarragona Conference, June 2013, WUNT 352, Tübingen 2015, 67–89). Mit der deutschen Fassung, in die eine Reihe von bibliographischen Nachträgen und Ergänzungen eingegangen ist, grüße ich den Kollegen Wolfgang Kraus, mit dem mich ein langer gemeinsamer beruflicher Weg und das starke Interesse am antiken Judentum als dem maßgeblichen theologischen und historischen Kontext und Horizont des Neuen Testaments verbindet.

1. Prosopographische Zugänge

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1. Prosopographische Zugänge 1. Prosopographische Zugänge 1.1 Römer 16 Die ersten Jesus-Anhänger in Rom waren ethnisch, religiös und kulturell jüdisch geprägt. 4 Das ergibt sich schon aus der Nachricht über die Vertreibung von Juden unter Claudius. 5 Die übliche Rekonstruktion der hinter ihr stehenden Ereignisse setzt voraus, dass es in den Synagogen der Stadt Auseinanderset²³´´³µ¶´´·¶¸¸´¹º»¼¸½³¸“ gegeben habe, was als Verschreibung des Namens „Christus“ zu verstehen sei. 6 Jüdische Anhänger dieses Christus hätten demnach wie die übrigen Juden am synagogalen Leben der Hauptstadt teilgenommen. Ob in dieser frühen Zeit schon Nichtjuden unter den Jesus-Anhängern waren, lässt sich nicht belegen. Angesichts der Offenheit von Synagogen gegenüber Nichtjuden an anderen Orten im Mittelmeerraum lässt es sich 4 Ich gebrauche weiterhin die übliche Terminologie „Juden“, „jüdisch“, „Christen“, „christlich“, wohl wissend, dass damit Probleme und Missverständnisse verbunden sind und dass sie natürlich für Rom zur Zeit Neros anachronistisch ist. Zur jüngsten Diskussion um diese Terminologie vgl. ECKHARDT, Rom und die Juden (Anm. 1), 13–16; DIETER SÄNGER,   Ï – § ÐÑ  – § Ï •. Sprachliche und semantische Überlegungen im Blick auf Gal 1,13f. und 2,14, ZNW 108, 2017, 150–185; MARKUS ÖHLER, Geschichte des frühen Christentums, Göttingen 2018, 15–17. Vgl. zu dem überaus komplexen Prozess der Identitätsfindung von „Juden“ und „Christen“ in den ersten drei Jahrhunderten jetzt auch die sehr differenzierte Darstellung des Althistorikers HARTMUT LEPPIN, Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin, München 2018, 33–133. 5 SILVIA CAPPELLETTI, The Jewish Community of Rome. From the Second Century B.C. to the Third Century C.E., Leiden/Boston 2006, 69–90; HELGA BOTERMANN, Das Judenedikt des Kaisers Claudius. Römischer Staat und „Christiani“ im 1. Jahrhundert, Hermes.E 71, Stuttgart 1996; JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE)), Edinburgh 1996, 301–306; RAINER RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, 79–95.139–180; DIETRICH-ALEX KOCH, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 22014, 403f.; UDO SCHNELLE, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 194–197. 6 Vgl. STEFAN KRAUTER, Studien zu Röm 13,1–7. Paulus und der politische Diskurs der neronischen Zeit, WUNT 243, Tübingen 2009, 125–136; LEONARD V. RUTGERS, Roman Policy towards the Jews. Expulsions from the City of Rome during the First Century C.E., in: DERS., The Hidden Heritage of Diaspora Judaism, CBET 20, Leuven 1998, 171–197: 181f.; MIKAEL TELLBE, Paul between Synagogue and State. Christians, Jews, and Civic Authorities in 1 Thessalonians, Romans, and Philippians, CB.NT 34, Stockholm 2001, 152– 156. Vorsichtiger hinsichtlich einer Beteiligung von Christen ist ERICH S. GRUEN, Diaspora Jews amidst Greeks and Romans, Cambridge 2002, 36–41. Gruen ordnet das Ereignis in die Religionspolitik des Claudius ein: „The emperor evidently wished to demonstrate his commitment to a thorough and systematic refurbishing of Roman religion in every regard. In this connection, he also fingered certain sects and cults which did not suit the program. … Expulsion of the Jews must be understood in this context“ (a.a.O., 40f.).

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auch nicht ausschließen. Andererseits gibt es aber auch keinerlei Hinweise, dass Nichtjuden an den Konflikten beteiligt waren, die zur Ausweisung von Juden unter Claudius führten. Der früheste Beleg für eine andere Gruppe von Jesusanhängern in Rom, von denen wir eine ganze Reihe sogar mit Namen kennen, datiert etwa ein Jahrzehnt später. Es ist der Römerbrief des Paulus, geschrieben spätestens gegen Ende der fünfziger Jahre und demnach unter Nero. Das letzte Kapitel dieses Briefes, das weitgehend aus Grüßen an die und von den römischen „Christen“ besteht, nennt mehr als 30 Personennamen und erwähnt noch verschiedene andere, die mit ihnen in Beziehung stehen. 7 Mindestens fünf der zwanzig dieser Personen waren offenbar jüdischer Herkunft: Andronikus and Junia, offenbar ein Ehepaar, sowie Herodion werden von Paulus explizit als mit ihm „stammesverwandt“ bezeichnet (©© , Röm 16,7.11). Ein weiteres jüdisches Ehepaar, Aquila and Priska, hatte früher in Rom gelebt und (schon als „Christen“?) die Vertreibung von Juden unter Claudius miterlebt. Offenbar waren sie dann nach Korinth gekommen, wo Paulus sie antraf, und später (zusammen mit Paulus?) nach Syrien und Kleinasien weitergezogen, dann aber ohne ihn in Ephesus geblieben. Dort hatte Paulus zuvor noch einen Brief nach Korinth geschrieben und darin Grüße dieses Ehepaars an die korinthische Gemeinde übermittelt. Als er schließlich von Korinth aus den Römerbrief schrieb, lebte das Paar wieder in der Hauptstadt, wohin Paulus ihm seine Grüße schickt. 8 Vier weitere namentlich genannte Juden (Timotheus, Lukius, Jason und Sosipater) sind bei Paulus in Korinth, als er den Römerbrief schreibt, und lassen die römischen Gemeinden grüßen. Paulus identifiziert auch sie als „stammesverwandt“ (’ ©© , 16,21). Daraus können wir schließen, dass sie entweder als Juden, die zur „christlichen“ Gemeinde gehören, in Rom schon bekannt waren oder dass Paulus sie als solche dort einführen möchte. Über diese eindeutig hinsichtlich ihrer jüdischen Herkunft identifizierten Personen hinaus werden einige weitere in der Grußliste erwähnt, deren Namen eine solche Herkunft als möglich erscheinen lassen. Natürlich lassen Personennamen immer einen gewissen Spielraum hinsichtlich der Identifikation der Namensträger mit Blick auf religiöse oder ethnische Zuordnungen. Am klarsten scheint der Fall bei  ”  zu liegen (16,6), aber selbst bei ihr sind alternative Interpretationen denkbar, etwa wenn der Name als femininum des sehr verbreiteten

7 Zu Einzelheiten vgl. MICHAEL WOLTER, Der Brief an die Römer, Teilbd. 2: Röm 9–16, EKK VI/2, Ostfildern/Göttingen 2019, 463–484; ROBERT JEWETT, Romans. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007, 941–996; PETER LAMPE, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, WUNT II/18, Tübingen 2 1989, 124–153. 8 Vgl. Apg 18,2.18.26; 1Kor 16,9; Röm 16,3. Zur Geschichte des Paars vgl. LAMPE, a.a.O., 156–164.

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männlichen römischen Namens Marius angesehen wird. 9 Eine ähnliche Erklärung könnte für den Namen Junia gegeben werden, wenn wir ihn als von Junius abgeleitet verstehen, aber in diesem Fall ist die jüdische Identität der Person explizit benannt. Daher könnten beide Namen gleichermaßen – Maria wie Junia (oder auch Julia, vgl. 16,15) – auf jüdischen Ursprung ihrer Trägerinnen verweisen oder auch nicht. Wichtiger noch sind die qualitativen Bemerkungen des Paulus über Herkunft und Stellung von Andronikus and Junia: „Sie sind herausragend unter den Aposteln und sind schon vor mir ‚in Christus‘ gewesen.“ 10 Die Erwähnung ihrer Bekehrung vor Paulus impliziert, dass sie zu den ersten Jesus-Anhängern in Jerusalem gehört haben, denn für eine andere „christliche“ Gemeinschaft aus dieser frühen Zeit, also in den maximal drei Jahren zwischen der Kreuzigung Jesu und der Berufung des Paulus, gibt es keine Belege. 11 In diesem Fall müsste das Ehepaar einige Zeit später nach Rom gekommen sein und könnte in den vierziger Jahren dort möglicherweise zu den Gründern und ersten Gliedern der „judenchristlichen“ Gemeinden in der Hauptstadt gehört haben. Wenn solche Lebenswege für Paulus möglich waren, warum sollten sie für Andronikus und Junia ausgeschlossen sein? Man könnte dann weiter vermuten, dass sie, wie Aquila und Priska, durch das Claudius-Edikt vertrieben worden, aber später zurückgekehrt waren. In diesem Falll bildeten beide Ehepaare ein Bindeglied zwischen den ersten römischen „Christen“ vor dem Claudius-Edikt und der zweiten Gruppe, an die Paulus schreibt. Zugleich würden Andronikus und Junia als Bindeglied zwischen den römischen „Christen“ und der Jerusalemer „Urgemeinde“ angesehen werden können. Ihre Bezeichnung als „herausragend unter den Aposteln“ (16,7) könnte dann als Versuch des Paulus verstanden werden, die römischen Adressaten an die gemeinsamen Ursprünge der Jesus-Bewegung in Jerusalem zu erinnern, was seinen Zielen bei der Abfassung des Römerbriefes durchaus zugute käme (vgl. 15,14–33!). Die Wendung „vor mir in Christus“ wäre dann eine Anspielung auf die Jerusalemer Autoritäten, die Paulus im Galaterbrief „Apostel vor mir“ nennt (’ “”¢  “ , Gal 1,17). 9

Vgl. LAMPE, a.a.O., 58, Anm. 153. Zu Problemen bei der Interpretation der onomastischen Belege für Rom vgl. LEONARD V. RUTGERS, The Jews in Late Ancient Rome. Evidence of Cultural Interaction in the Roman Diaspora, Religions in the Graeco-Roman World 126, Leiden 1995, 139–175. 10 Röm 16,7: Ò œ§ “  “ ¬Ó ‘ “”¢  ©œ©  Ԕ °. Zur jüngeren Diskussion über den Status der Junia „unter den Aposteln“ vgl. ELDON J. EPP, Junia. The First Woman Apostle, Minneapolis 2005, 69–81. 11 Das Paar unter den Jesus-Anhängern in Damaskus vor der Berufung des Paulus zu vermuten (vgl. Apg 9,10–25), scheint mir noch spekulativer zu sein, als anzunehmen, sie gehörten zu den ersten Jesusnachfolgern in Jerusalem. JEWETT, Romans (Anm. 7), 964, erwägt die Möglichkeit, dass beide schon unter den „Besuchern aus Rom“ zu Pfingsten waren (Apg 2,10) und später zu den ‚Hellenisten‘ in Jerusalem gehörten (Apg 6,1).

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Die andere Person, die Paulus ausdrücklich als Jude identifiziert, ist Herodion (16,11). Der Name verweist auf eine bekannte jüdische Familie, deren Mitglieder verschiedentlich und über Generationen hinweg auch in Rom aktiv waren. 12 Die wahrscheinlichste Erklärung des Namens verweist auf einen Freigelassenen aus dem kaiserlichen Haushalt. 13 Inschriftlich belegt ist auch eine „Synagoge der Herodianer“ in Rom. 14 Ein weiterer Name der Grußliste, der auf jüdische Geschichte und Politik verweisen könnte, ist Aristobulos. Allerdings wird nicht Aristobulos selbst gegrüßt, sondern die zu seinem Haushalt Gehörenden (’  • Ք ¦, 16,10). Josephus erwähnt in den Antiquitates drei Personen dieses Namens aus hasmonäischer Familie sowie vier aus der Familie Herodes des Großen, von denen wenigstens einer auch längere Zeit in Rom lebte. 15 Wenn dieser Aristobulos oder einer seiner Verwandten Patron des in Röm 16,10 erwähnten Haushalts wäre, hätten wir eine weitere (wenn auch indirekte) Verbindung zu Juden in Rom vor uns. 16 Wie schon gesagt, ist der Gebrauch von Personenamen noch kein eindeutiges Indiz für die religiöse oder ethnische Identität der Namensträger, was sich an den Korpora jüdischer Namen in der Antike vielfältig belegen lässt. 17 Namen von ausdrücklich als jüdisch identifizierten Personen in Röm 16, wie etwa Priska (nur einmal in Ilan III 607) oder Aquila (nur einmal in der Cyrenaika), sind für stadtrömische Juden in den Korpora nur selten, wenn überhaupt, belegt. Andererseits wurden Namen wie Rufus (16,13; 16 Mal in Ilan III), Julia (16,15; 29 Mal in Ilan III) oder Tryphaina (15,12; 4 mal in Ilan III) durchaus häufig von Juden gebraucht, wenn auch nicht immer in Rom. Auch Namen mit heidnisch-mythischen Anklängen wie Phöbe (16,1) müssen nicht von vornherein jüdische Herkunft ausschließen, wie jüdische Frauen namens Ammonia (Ilan III 403), Appollonia (Ilan III 404), Artemidora (Ilan III 406), Demetria (Ilan III 412), Dionysia (Ilan III 413) oder Männer namens Herakles/Heraklas

12 Zu Nachfolgern Herodes des Großen, die nach dessen Tod an Machtkämpfen in Rom beteiligt waren, Josephus, Bell 2,1–100; Ant 12,206–355; vgl. GRUEN, Diaspora Jews (Anm. 6), 26–28. 13 So LAMPE, Die stadtrömischen Christen (Anm. 7), 148. 14 CIJ I 173; dazu LAMPE, a.a.O., 148; eine eher zurückhaltende Interpretation bei HARRY J. LEON, The Jews of Ancient Rome, Peabody 1995, 159–161; DAVID NOY, Jewish Inscriptions of Western Europe, Bd. 2: The City of Rome, Cambridge 1995, 253. So ziemlich alle epigraphischen Zeugnisse für Juden in Rom stammen aus späterer Zeit (meist ab dem 3. bis zum 5. Jh.). 15 Josephus, Ant 15,342; 18,273–278; vgl. JEWETT, Romans (Anm. 7), 966–968. Zu den Nachfahren von Aristobul I., Sohn Herodes des Großen und seiner zweiten Frau Mariamne vgl. NIKOS KOKKINOS, The Herodian Dynasty. Origins, Role in Society and Eclipse, JSPE.S 30, Sheffield 1998, 264–341. 16 Über die religiöse oder ethnische Identität „derer des Aristobulos“ wird nichts gesagt. 17 Zum Folgenden vgl. TAL ILAN, Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity. Part III: The Western Diaspora 330 BCE – 650 CE, TSAJ 126, Tübingen 2008.

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oder Hera (Ilan III 287–289), Hermes/Hermas/Hermias (Ilan III 263–265), Dionysios und viele andere mit theophoren Elementen (Ilan III 244–247) bezeugen. 1.2 Apostelgeschichte 28 Als Paulus als Gefangener in Rom ankam (Apg 28,16–31), 18 traf er dort nicht nur auf seine „christlichen Brüder“, sondern wurde auch von Repräsentanten der jüdischen Gemeinden der Hauptstadt besucht. 19 Nach einem ersten persönlichen Kontakt mit Paulus kamen römische Juden am nächsten Tag in größerer Zahl erneut in seine Unterkunft (½ ), um seine Verkündigung des Evangeliums zu hören. Im Ergebnis zeigten sich einige von ihnen überzeugt, andere aber blieben ungläubig. Folgt man der üblichen paulinischen Chronologie, geschah das anfangs der sechziger Jahre. Der Autor der Apostelgeschichte setzt demnach nicht nur offene Gesprächskontakte zwischen jüdischen Autoritäten und „Christen“ in Rom voraus, 20 sondern seine Darstellung impliziert darüber hinaus auch Möglichkeiten des Informationsaustauschs mit Blick auf Aktivitäten des Paulus durch Briefe oder Boten zwischen Judäa und Rom, wenngleich die jüdischen Besucher des Paulus bestreiten, solche Informationen erhalten zu haben (28,21). 21 Die römischen Juden waren demnach zwar bisher noch nicht über die Ankunft des Paulus in Rom informiert, wussten aber immerhin schon einiges über die „christliche Häresie“, dass nämlich diese Gruppe überall auf Widerstand gestoßen sei (28,22: “  £  œ© ). Diese Darstellung der Verhältnisse der Judenschaft unter Nero in Rom erweckt den Eindruck einer relativ direkten Beziehung zwischen „christlichen“ und „nichtchristlichen“ Juden in der Hauptstadt. Hier zeigt sich keinerlei Unruhe mit Blick auf „einen gewissen Christus“, wie es rund 15 Jahre zuvor der Fall war. Stattdessen ist es Paulus, der eine polemische Strafpredigt gegen 18 Vgl. BRIAN RAPSKE, The Book of Acts and Paul in Roman Custody, The Book of Acts in its First Century Setting, Bd. 5, Carlisle 1994, 313–367 (Kap. 13: „The Prisoner’s Life“), 381–385 (Kap. 14/II: „Access to the Prisoner“); HEIKE OMERZU, Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte, BZNW 115, Berlin 2002, 497–501; DIES., Das Schweigen des Lukas. Überlegungen zum offenen Ende der Apostelgeschichte, in: FRIEDRICH WILHELM HORN (Hg.), Das Ende des Paulus. Historische, theologische und literaturgeschichtliche Aspekte, BZNW 106, Berlin 2001, 127–156: 144–151. 19 Apg 28,17: – Ö  •    “”­. Vgl. HERMANN LICHTENBERGER, Jews and Christians in Rome in the Time of Nero: Josephus and Paul in Rome, ANRW II 26.3, 1996, 2142–2176: 2149–2154. 20 Vgl. RICHARD I. PERVO, Acts. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2008, 681: „Paul functions like a philosopher who accepts any and all who care to attend his lectures.“ 21 Zur Interpretation der Ziele des Autors der Apostelgeschichte in dieser Hinsicht vgl. PERVO, a.a.O., 683f.

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einige seiner jüdischen Stammverwandten hält, die das Evangelium ablehnen (28,25). 22 Dennoch bleibt sein Quartier (  , 28,30) offen für jeden, der ihn sehen möchte, und obwohl sich Gottes Heilswille nunmehr den Heiden zugewendet hat (28,28), fährt er fort, allen ungehindert das Evangelium zu verkündigen (28,30f.). 23 Die zweite Beobachtung bezieht sich auf die Interaktion zwischen (stadt-)römischen und judäischen Juden: Es gibt offenbar einen kontinuierlichen Austausch von Nachrichten durch schriftliche Botschaften oder Gesandte ( ›), die beide Seiten übereinander auf dem Laufenden halten und Informationen über Angelegenheiten wie den Prozess des Paulus in Jerusalem oder über Aktivitäten der Jesusbewegung „überall“ einschließen. Natürlich ist es das lukanische Bild, das wir hier vor Augen haben, aber es muss zumindest für seine Leser plausibel gewesen sein, wo auch immer im Imperium Romanum sie am Ende des 1. Jh. gelebt haben mögen. 1.3 Philon, Legatio ad Gaium Obwohl Philon nur bis kurz vor der Herrschaft Neros lebte und schrieb, bietet seine Legatio ad Gaium doch Informationen, die wenigstens indirekt auch für in Rom lebende Juden unter Nero ausgewertet werden können. 24 Jedenfalls wurde Philon, als er während der Herrschaft des Gaius Caligula als Leiter der 22

Zur Diskussion der komplizierten Frage nach den mit der Szene der Ankunft des Paulus in Rom verbundenen Aussageintentionen der Apostelgeschichte im Blick auf eine noch aktuelle oder bereits abgeschlossene Mission gegenüber Juden vgl. JACOB JERVELL, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 1998, 626–630; PERVO, Acts (Anm. 20), 684f.; MARTIN BAUSPIESS, Geschichte und Erkenntnis im lukanischen Doppelwerk. Eine exegetische Untersuchung zu einer christlichen Perspektive auf Geschichte, ABIG 42, Leipzig 2012, 492– 501; MICHAEL WOLTER, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung (FS E. Plümacher), hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/JENS SCHRÖTER, AGJU 57, Leiden/Boston 2008, 253–284; VOLKER A. LEHNERT, Die Provokation Israels. Die paradoxe Funktion von Jes 6,9–10 bei Markus und Lukas. Ein textpragmatischer Versuch im Kontext gegenwärtiger Rezeptionsästhetik und Lesetheorie, NThDH 25, Neukirchen-Vluyn 1999, 203–272; JOSEPH B. TYSON, Images of Judaism in Luke-Acts, South Carolina 1992, 174–178; JACK T. SANDERS, The Jews in Luke-Acts, London 1987, 296–299; ROBERT L. BRAWLEY, Luke-Acts and the Jews. Conflict, Apology, and Conciliation, SBLMS 33, Atlanta 1987, 141–144. 23 Zum Ende der Apostelgeschichte, wie es der Autor darstellt, vgl. PERVO, Acts (Anm. 20), 688–690. 24 Zu den Ereignissen in Alexandria, die zur Gesandtschaft an Caligula führten, vgl. GRUEN, Diaspora Jews (Anm. 6), 54–83; PER BILDE, Philo as a Polemist and a Political Apologist. An Investigation of his Two Historical Treatises Against Flaccus and The Embassy to Gaius, in: GEORGE HINGE/JENS A. KRASILNIKOFF (Hg.), Alexandria: A Cultural and Religious Melting Pot, Aarhus 2009, 97–114: 99–103; WALTER AMELING, ‚MarketPlace‘ und Gewalt. Die Juden in Alexandria 38 n. Chr., in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft, Neue Folge 27, Würzburg 2003, 71–123; E. MARY SMALLWOOD, The Jews under Roman Rule. From Pompey to Diocletian, SJLA 20, Leiden 1976, 242–255.

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alexandrinisch-jüdischen Delegation in die Hauptstadt kam, Augenzeuge der Lebensbedingungen, unter denen auch noch unter Nero Juden in Rom lebten. Leider erwähnt er allerdings in seinem Bericht nirgends permanent in Rom lebende Juden, und wir erfahren bei ihm nichts über deren Zusammenkünfte, Organisationsformen, Leitungsstrukturen oder auch nur ihren Lebenswandel. Der größte Teil des Traktats widmet sich der Situation der Juden in Alexandria und Jerusalem bzw. Judäa, aber nicht in Rom. Das Hauptaugenmerk des Autors liegt auf dem Charakter und den Handlungsweisen des Kaisers gegenüber der alexandrinischen Delegation, insbesondere der darin zum Ausdruck kommenden Verachtung ihr gegenüber. Immerhin erwähnt Philon wenigstens dort, wo er die Schreckensherrschaft des Caligula mit der seiner zu lobenden Vorgänger Augustus und Tiberius vergleicht, kurz auch deren Umgang mit Juden in Rom. 25 So war Augustus z.B. darüber im Bilde, dass Juden meistens als Freigelassene oder Bürger in der Hauptstadt lebten. Er wusste, dass sie im Distrikt Trastevere wohnten und Synagogen besaßen, wo sie sich regelmäßig an Sabbaten trafen, um in der Philosophie ihrer Vorväter erzogen zu werden. Römischen Juden war es erlaubt, Opfergaben nach Jerusalem zu senden, und sie wurden in die monatliche Verteilung von Geld und Getreide einbezogen (was voraussetzt, dass sie Bürgerrecht besaßen), wobei von den Beamten, die für die Verteilung zuständig waren, sogar die jüdische Sabbatgesetzgebung zu respektieren war. Augustus hatte die Rechte der römischen Juden, sich in Synagogen zu treffen und Geldsammlungen zu veranstalten, ausdrücklich anerkannt. Auch Tiberius hatte die jüdischen Sonderrechte weiterhin respektiert und die negativen Ansichten des Sejan über die Juden nicht geteilt. 26

25 LegGai 155–158. Zu den Intentionen von Philons Legatio im Vergleich mit denen der Vita des Josephus vgl. JUTTA LEONHARDT, Vergleich der Vita des Josephus mit Philos Legatio ad Gaium, in: FOLKER SIEGERT/JÜRGEN U. KALMS (Hg.), Internationales JosephusKolloquium Münster 1997. Vorträge aus dem Institutum Judaicum Delitzschianum, MJSt 2, Münster 1998, 106–135. 26 LegGai 159–161. Überblicke zu Juden in der Stadt Rom bei GRUEN, Diaspora Jews (Anm. 6), 15–53; BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 5), 282–319; MARTIN GOODMAN, Rome and Jerusalem. The Clash of Ancient Civilizations, London 2008, 383–394; DIETER MITTERNACHT, Current Views on the Synagogue of Ostia Antica and the Jews of Rome and Ostia, in: BIRGER OLSSON/MAGNUS ZETTERHOLM (Hg.), The Ancient Synagogue From Its Origins until 200 C.E., CBNT 39, Stockholm 2003, 521–571: 522–533; IRINA LEVINSKAYA, The Book of Acts in Its Diaspora Setting, The Book of Acts in Its First Century Setting 5, Grand Rapids 1996, 167–193; LEONARD V. RUTGERS, The Jews in Late Ancient Rome (Anm. 9); WOLFGANG WIEFEL, The Jewish Community in Ancient Rome and the Origins of Roman Christianity, in: KARL P. DONFRIED (Hg.), The Romans Debate. Revised and Expanded Edition, Edinburgh 1991, 85–101; HARTMUT WOLFF, Die Juden im antiken Rom, in: KLAUS ROTHER (Hg.), Minderheiten im Mittelmeerraum, Passauer Mittelmeerstudien 2, Passau 1989, 35–62; ROMANO PENNA, Les Juifs à Rome au temps de l’Apôtre

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Abgesehen von der Charakterisierung der nichtjüdischen (römischen oder alexandrinischen) Feinde, die in Rom gegen sie agitierten, bieten Philons eher knappe Bemerkungen über den Empfang der Gesandtschaft durch Caligula wenig Einblick in die Situation der römischen Juden. 27 Ein Detail scheint aber doch wichtig: Als die Gesandtschaft verzweifelt und hilflos in Puteoli auf die Entscheidung ihres Anliegens wartet, erhält sie plötzlich Nachrichten von einem Abgesandten aus Jerusalem über die Anordnung Caligulas, seine Statue im dortigen Tempel zu errichten. 28 Dieser Vorgang impliziert, dass es Kommunikationskanäle zwischen Rom und Jerusalem gab, mit deren Hilfe Juden übereinander informiert bleiben konnten, wo auch immer im Römischen Reich sie lebten. Details über die Mittel und Wege solcher Kommunikation bleiben freilich im Dunkeln. Eine weitere Implikation aus dem Dialog zwischen dem Kaiser und der alexandrinischen Delegation (die eher wie eine Parodie diplomatischer Empfänge wirkt) betrifft die Kenntnisse über spezifisch jüdische Bräuche und Gesetze, die auch von Nichtjuden zu beobachten waren. In seinem Bemühen, die Juden zu demütigen, erwähnt der Kaiser verschiedene Anordnungen des jüdischen Gesetzes wie etwa das Verbot, den Gottesnamen auszusprechen oder Fleisch zu essen. 29 Insgesamt aber trägt der Bericht Philons über sein römisches Abenteuer doch relativ wenig für unsere Untersuchung aus. Die wichtigste Information dürfte seine Erwähnung des Nachrichtenaustauschs zwischen Rom und Jerusalem bezüglich der Pläne des Kaisers, durch Errichtung seiner Statue den Tempel zu entweihen, sein. Auch wenn es Teil einer literarischen Inszenierung der verzweifelten Lage der jüdischen Delegation vor Caligula ist, impliziert dieses Detail doch die Möglichkeit lebendigen Austauschs von Informationen zwischen den Juden der Hauptstadt und denen, die im Mutterland lebten – ein Informationsaustausch, der sicher auch noch für unter Nero in Rom lebende Juden von Bedeutung war. 1.4 Josephus Flavius Josephus, der einige Jahrzehnte nach Philon und Paulus schrieb, ist aus verschiedenen Gründen von besonderer Bedeutung für unsere Untersuchung. Er hatte schon mehr als zwanzig Jahre in der Hauptstadt gelebt, bevor er in den späten neunziger Jahren sein Hauptwerk, die Antiquitates (und als Anhang

Paul, NTS 28, 1982, 321–347; TELLBE, Paul between Synogogue and State (Anm. 6), 141– 156; SMALLWOOD, Jews under Roman Rule (Anm. 24), 201–219. 27 Zur politischen Situation von Juden in Rom in der ersten Hälfte des 1. Jh. vgl. GRUEN, Diaspora Jews (Anm. 6), 35f. 28 LegGai 185–189. 29 LegGai 353.361–363.

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dazu seine Vita) verfasste. 30 In den Antiquitates erwähnt er mehrere Juden, vorwiegend aus der Herodes-Familie, die nach Rom gekommen und dort mehr oder weniger erfolgreich gewesen waren, aber nur aus der Zeit des Augustus, Tiberius, Caligula und Claudius. 31 Auch Josephus berichtet über zwei alexandrinische Gesandtschaften, die wegen der gewaltsamen Unruhen zwischen Juden und Alexandrinern zu Caligula geschickt worden waren. 32 In diesem Zusammenhang nennt er auch Philon, 33 aber sein Bericht bietet noch weniger Informationen zu Juden, die in Rom leben, als der Philons. Im Blick auf die Regierungszeit Neros 34 berichtet Josephus allerdings mehrfach über jüdische Gesandtschaften, die aus verschiedenen, in der Regel politischen, Gründen aus Israel nach Rom kamen. 35 Sein ausführlichster Bericht betrifft eine jüdische Gesandtschaft, die mit Erlaubnis des Festus (daher nach dem Jahr 58) zu Nero kam. Anlass dafür waren Unruhen in Jerusalem wegen der Errichtung einer Sichtschutzmauer im Tempel, die den Kultvollzug vor Beobachtung von außen schützen sollte. 36 Die Gesandtschaft bestand aus zehn „Führern“ (“”• ) sowie dem Hohepriester Ischmael und Helkias, dem Schatzmeister des Tempels. Nach Josephus empfing Nero sie freundlich und entschied die Angelegenheit in ihrem Sinne, und zwar aufgrund des Einflusses seiner Frau Poppea, die, wie Josephus kommentiert, eine „gottesfürchtige“ ( ) Person und den Juden freundlich gesonnen war. Nichtsdestotrotz beschloss Poppea, die zehn Führer zu entlassen, aber den Hohenpriester und den Schatzmeister in Rom als Geiseln festzuhalten. Auch in diesem Bericht findet sich nichts über ständig in Rom lebende Juden.

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Zur intellektuellen und religiösen Entwicklung des Josephus in Rom „from a Roman apologist to a religious nationalist“ vgl. SHAYE J. D. COHEN, Josephus in Galilee and Rome. His Vita and Development as a Historian, Leiden 2002, 232–242 (Zitat 240); vgl. auch MARTIN GOODMAN, Josephus as Roman Citizen, in: FAUSTO PARENTE/JOSEPH SIEVERS (Hg.), Josephus and the History of the Greco-Roman Period. Essays in Memory of Morton Smith, SPB 41, Leiden 1994, 329–338; STEVE MASON, Flavius Josephus in Flavian Rome: Reading on and Between the Lines, in: ANTHONY J. BOYLE/WILLIAM J. DOMINIK (Hg.), Flavian Rome. Culture, Image, Text, Leiden 2003, 559–589. 31 Vgl. Ant 17,9.11; 18,6; 19,4f.; 20,6. 32 Ant 18,257–309. 33 Ant 18,259. 34 Eine sorgfältige Skizze der Zeit Neros mit kritischem Blick auf zeitgenössische literarische Porträts des Kaisers bietet KRAUTER, Studien zu Röm 13,1–7 (Anm. 6), 55–88. 35 Zu jüdischen Gesandtschaften an den Kaiser und Prozessen von Juden in Rom vor dem Kaiser vgl. PAUL MCKECHNIE, Judaean Embassies and Cases before Romans Emperors, AD 44–66, JTS 56, 2005, 339–361. 36 Ant 20,193–195. Vgl. MCKECHNIE, a.a.O.,, 356–358.

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Der für unsere Fragestellung wichtigste Text bei Josephus stammt aus der Vita, wo er über seine eigene Romreise unter Nero berichtet. 37 Er datiert das Ereignis in sein 26. Lebensjahr, also zwischen Frühling 63 und 64. 38 Absicht und Ziel des Besuchs war es, mehrere Priester frei zu bekommen, mit denen er aus Jerusalem bekannt war und die Felix schon einige Jahre zuvor zur Aburteilung durch den Kaiser nach Rom geschickt hatte. Josephus preist ihre Treue zur Tora während all der Jahre ihrer Gefangenschaft, insbesondere, dass sie die Speisegebote eingehalten und ausschließlich von Feigen und Nüssen gelebt hätten. Gleich als Josephus in Puteoli angekommen war, habe er die Bekanntschaft eines gewissen Aliturus gesucht, eines geborenen Juden (oder Judäers?), der als Schauspieler und Favorit Neros ihn dessen Frau Poppea vorgestellt habe. 39 Nachdem er sich dank der Unterstützung durch Poppea mit Erfolg für die Freilassung der Priester eingesetzt hatte, kehrte Josephus, von Poppea mit reichen Gaben beschenkt, nach Jerusalem zurück. Leider versäumt es Josephus, sein eigenes Verhalten während des Aufenthalts in Rom zu schildern. Wir wissen nicht einmal, wie lange er sich dort aufgehalten hat und wen er dort noch traf. Was besagten Aliturus betrifft, so ist keineswegs sicher, ob und wie er in Rom als (ehemaliger?) Jude/Judäer lebte. Nur die jüdischen Gefangenen werden hinsichtlich ihrer Haltung zur Tora charakterisiert, aber sie waren Priester und zudem unfreiwillig nach Rom gelangt. Merkwürdigerweise erwähnt Josephus in seinem ganzen Werk auch mit keiner Silbe den Brand Roms unter Nero im Juli des Jahres 64, der spätestens in seiner Wirkungsgeschichte seit Tacitus zu einem maßgeblichen Element der Beschreibung der Situation der stadtrömischen Christen unter Nero geworden ist. Nach seinen chronologischen Angaben müsste Josephus Augenzeuge dieses Ereignisses gewesen sein. 40 Meines Erachtens muss man zwar nicht die Historizität des Ereignisses bestreiten, aber aus der betreffenden Stelle bei Tacitus (Annales XV 44,2–5) lässt sich bei kritischer Lektüre jedenfalls nicht sicher erschließen, dass bereits zur Zeit Neros Gruppen von Jesus-Anhängern in Rom von anderen jüdischen Gruppen von außen her gesehen unterscheidbar waren oder gar bereits einen eigenen Gruppennamen trugen. 41 37

Vit 13–16. Vgl. MCKECHNIE, a.a.O., 350–353; MONETTE BOHRMANN, Le voyage à Rome de Flavius Josèphe (Vita 13–16), in: JÜRGEN U. KALMS/ FOLKER SIEGERT (Hg.), Internationales Josephus-Kolloquium Brüssel 1998, MJSt 4, Münster 1999, 222–229; LICHTENBERGER, Jews and Christians in Rome in the Time of Nero (Anm. 19), 2145–2149. 38 Vgl. zu der ganzen Passage STEVE MASON, Life of Josephus. Translation and Commentary, Flavius Josephus Translation and Commentary 9, Leiden 2001, 21–27. 39 Zu Aliturus und Poppaea vgl. MASON, Life of Josephus (Anm. 38), 25–27; B ARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 5), 306–309. 40 Zur Diskussion vgl. MASON, a.a.O., 27f., der freilich wie auch alle übrigen Autoren, die ich konsultiert habe, dieses chronologische Problem nicht behandelt. 41 Zur jüngsten Debatte um die Unterscheidbarkeit und Benennbarkeit von „Christen“ für den Zeitraum von Nero bis zur Mitte des 2. Jh. im Zusammenhang mit der Überlieferung

1. Prosopographische Zugänge

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1.5 Ergebnis Was erfahren wir aus zeitgenössischen literarischen Quellen über in Rom unter Nero lebende Juden? Nicht sehr viel auf den ersten Blick. Offensichtlich gab es verschiedene jüdische Gruppen und einzelne Juden, die dauerhaft in der Hauptstadt lebten, darunter auch gemischte Gruppen von Juden und Nichtjuden, die zu den Anhängern „eines gewissen Chr¼stos“ gehörten. Wichtiger noch: In Rom lebende Juden verfügten über Kommunikationslinien zu Juden in anderen Teilen des Römischen Reiches, insbesondere solchen in Jerusalem/Judäa und Alexandria/Ägypten. Einige jüdische Personen, vor allem aus der Herodes-Familie, waren auch mit mehr oder weniger Erfolg in Rom politisch aktiv. Wir können aber nicht sagen, wie sich ihre Kontakte mit dauerhaft in Rom lebenden Juden oder mit den jüdischen Synagogengemeinschaften der Hauptstadt gestalteten. Dasselbe gilt für Josephus, der im Jahr 63 nach Rom kann (und später nach dem Jüdischen Krieg dann selbst dauerhaft in Rom lebte). Wenn wir dem lukanischen Bild in der Apostelgeschichte folgen, so organisierten die römischen Juden ihre Angelegenheiten in einer Weise, die es ihnen möglich machte, Führungskräfte (“”• ) zu bestimmen, die sich mit Paulus treffen sollten. Wenn Philon dagegen auf jüdische Lebensweisen oder auf die Art und Weise, die Gebote der Tora zu beachten, verweist, dann lässt er keinerlei für Rom spezifische Gegebenheiten erkennen. Was Josephus über die Beachtung der Speisevorschriften durch die in Rom gefangenen jüdischen Priester schreibt, kann nicht auf alle dort lebenden Juden übertragen werden. Personennamen von in Rom lebenden Juden zeigen eine große Vielfalt, zu der biblische wie auch griechisch-mythologische Namen mit theophoren Elementen gehören. Damit stellt sich aus prosopographischer Sicht die Frage, wie bzw. ob in Rom lebende und öffentlich agierende Juden überhaupt als solche erkennbar waren. Sicher waren Kenntnisse über Juden und ihre Gebräuche wohl auch in nichtjüdischen Kreisen in allen Schichten der römischen Gesellschaft verbreitet, und viele Stimmen aus der paganen Literatur zeichnen ein eher negatives Bild davon. Auf der anderen Seite waren Juden in Rom zur Zeit Neros keine newcomer, sondern gehörten seit Jahrhunderten zur römischen Gesellschaft. Darin unterschieden sie sich zweifellos von ihren ansonsten engsten Verwandten, den Nachfolgern des „gewissen º»¼¸½¾¸“. vom Brand Roms vgl. detailliert BIRGIT VAN DER LANS/JAN N. BREMMER, Tacitus and the Persecution of the Christians. An Invention of Tradition, Eirene 53, 2017, 299–331; ÖHLER, Geschichte des frühen Christentums (Anm. 4), 286–288; anders noch KOCH, Geschichte des Urchristentums (Anm. 5), 464–467; SCHNELLE, Die ersten 100 Jahre (Anm. 5), 436–443; DERS., Die getrennten Wege von Römern, Juden und Christen. Religionspolitik im 1. Jahrhundert n. Chr., Tübingen 2019, 24–29; sehr vorsichtig dagegen LEPPIN, Die frühen Christen (Anm. 4), 361–365.

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Juden in Rom unter Nero

2. Spuren jüdischen religiösen Lebens in Rom unter Nero 2. Spuren jüdischen religiösen Lebens in Rom unter Nero 2.1 Synagogen und Katakomben Keiner der archäologischen Überreste von jüdischen Versammlungs- und Begräbnisplätzen in Rom kann sicher in die neronische Zeit datiert werden. 42 Andererseits gibt es keinen Grund anzunehmen, dass es solche Plätze zu dieser Zeit dort noch nicht oder nicht mehr gegeben haben sollte, wenngleich es eindeutige literarische Belege nur für die Zeit vor oder nach Nero gibt. Philon erwähnt Trastevere als das Stadtviertel, das zur Zeit des Augustus von vielen Juden bewohnt wurde. Wenn er betont, dass die Juden in Rom Häuser hatten, in denen sie sich regelmäßig an Sabbaten zum Gebet und zur Unterweisung in ihrer angestammten Philosophie versammeln konnten, 43 können wir daraus ziemlich sicher erschließen, dass es auch unter Nero vergleichbare Möglichkeiten gegeben hat. Dasselbe gilt für Juvenals satirische Schilderung von Wohnplätzen armer römischer Juden in der Nähe der Porta Capena, 44 auch wenn Juvenal erst einige Jahrzehnte später schreibt. Die literarischen Zeugnisse berühren sich hier relativ eng mit den archäologischen Befunden im Blick auf jüdische Katakomben in Trastevere und entlang der Via Appia, auch wenn sie nicht sicher schon in das erste Jahrhundert zu datieren sind. Eindeutige archäologische Befunde zu antiken Synagogengebäuden in Rom gibt es nicht. Allerdings erwähnen verschiedene Inschriften aus Katakomben Namen von Synagogen, 45 wenngleich, wie gesagt, keine von ihnen sicher in das 1. Jh. n. Chr. datiert werden kann. 46 Jedenfalls können wir annehmen, dass

42

Einen Überblick über die archäologischen Befunde zu jüdischem Leben in der Stadt Rom bietet RUTGERS, The Jews in Late Ancient Rome (Anm. 9), 50–99. Zur Datierung der Katakomben vgl. LEONARD V. RUTGERS, Dating the Jewish Catacombs of Ancient Rome, in: DERS., The Hidden Heritage of Diaspora Judaism (Anm. 6), 45–71; aber s.u., Anm. 46. 43 LegGai 155–157. Das ist offenbar der einzige explizite literarische Beleg für eine Synagoge in der Stadt, abgesehen von Ambrosius und Cassiodor in der Spätantike; vgl. auch die Check list of Diaspora Synagogues bei LEONARD V. RUTGERS, The Diaspora Synagogue: Notes on Distribution and Methodology, in: DERS., The Hidden Heritage of Diaspora Judaism (Anm. 6), 125–135: 129. Es gibt nur einen weiteren Beleg für eine Proseuche in Rom in einer lateinischen nichtjüdischen Inschrift, wahrscheinlich vom Ende des 1. Jh. n. Chr., CIJ 531. 44 Juvenal, Sat. 3,10–18: „Hier … haben den Tempel und Hain mit der heiligen Quelle die Juden jetzo gepachtet, die Heu und den Tragkorb führen im Hausrat.“ (Übers. Eduard C. J. von Siebold/Werner Krenkel); Text bei MENAHEM STERN, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism. Edited with Introductions, Translations and Commentary, 3 Bde., Jerusalem 1974, II 97. 45 LEON, The Jews of Ancient Rome (Anm. 14), 140–166. 46 Zur Neubewertung der Datierung jüdischer Katakomben mit Hilfe von RadiokarbonAnalysen, die ergeben, dass die Katakombe in der Villa Torlonia möglicherweise schon seit dem 1. Jh. n. Chr. in Gebrauch war, vgl. jetzt LEONARD V. RUTGERS/ARIE F. M. DE JONG/

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es auch zur Zeit Neros in Rom Synagogen (bzw. „Proseuchen“) gegeben hat, und wir können aus Rückschlüssen von Synagogen an anderen Orten oder zu naheliegenden Zeiten auch zumindest gewisse Eindrücke über das Gemeinschaftsleben und das religiöse Leben in ihnen gewinnen. 2.2 Versammlungen und gottesdienstliches Leben Ohne hier ins Detail gehen zu können, 47 lässt sich aufgrund der Zeugnisse bei Philon und Josephus sagen, dass Synagogen der jüdischen Gemeinschaft nicht nur als Versammlungs- und Gottesdienstplätze dienten. Sicher war eine ihrer wichtigsten Funktionen der Versammlungsort für gemeinsame Gebete am Sabbat, wie schon der Name proseuch nahelegt. 48 Allerdings reichen die Belege nicht aus, eine regelrechte Liturgie für einen Sabbatgottesdienst zu rekonstruieren, schon gar nicht für Rom im 1. Jh. n. Chr. Alles was wir über regelmäßige Lesezyklen aus Tora und Propheten wissen, stammt aus rabbinischen Quellen. Wenn wir der Analogie antiker religiöser Vereine folgen, können wir wohl annehmen, dass religiöse Feste und Gemeinschaftsmahlzeiten in Synagogen regelmäßig stattfanden. Nach Josephus hatte schon Caesar Juden in Rom das Privileg verliehen, Versammlungen und Gemeinschaftsmähler abzuhalten und Geldsammlungen für den Tempel in Jerusalem zu veranstalten. 49 Sowohl Philon als auch Josephus stellen die Funktion der Synagogen als Stätten zum Lesen und Studieren der Tora heraus. Philon nennt sie „Schulen für Bildung, Mut, Selbstbeherrschung und Gerechtigkeit“ sowie „sämtlicher Tugenden, durch welche die Pflichten gegenüber Gott und Menschen erkannt

KLAAS VAN DER BORG, Radiocarbon Dates from the Jewish Catacombs of Rome, Radiocarbon 44, 2002, 541–547; LEONARD V. RUTGERS/KLAAS VAN DER BORG/ARIE F. M. DE JONG/IMOGEN POOLE, Jewish inspiration of Christian catacombs, Nature 436, 2005, 339. Zur Diskussion der Datierung der Synagoge in Ostia in das 1. Jh. vgl. MITTERNACHT, Current views on the Synagogue of Ostia Antica (Anm. 26), 533–544. 47 Zum Folgenden vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50 [in diesem Band 149–173]; DERS., Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359. 48 Zur jüngeren Diskussion zu Synagogengottesdiensten in der Diaspora vgl. MITTERNACHT, Current views on the Synagogue of Ostia Antica (Anm. 26), 559–563; PIETER W. VAN DER HORST, Was the Synagogue a Place of Sabbath Worship before 70 CE?, in: STEVEN FINE (Hg.), Jews, Christians, and Polytheists in the Ancient Synagogue. Cultural Interaction during the Greco-Roman Period, London 1999, 18–43. 49 Josephus, Ant 14,216. Zum Rechtsstatus von Diasporasynagogen unter römischer Herrschaft vgl. TELLBE, Paul between Synogogue and State (Anm. 6), 26–63, sowie die in Anm. 1 angegebene Literatur.

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und in rechter Weise eingeübt werden“. 50 Wie schon in seiner Erwähnung von Synagogen in Rom unter Augustus (s.o.) verweist Philon auch hier darauf, dass am Sabbat die Juden, die sich in den Synagogen treffen, in der ‚Philosophie ihrer Väter‘ unterrichtet werden. 51 In den Hypothetica findet sich die detaillierteste zeitgenössische Beschreibung einer synagogalen Versammlung. 52 Aber Synagogen waren Versammlungsplätze nicht nur für Juden, sondern offen für alle, wie Philon ebenfalls bezeugt. 53 Auch Josephus stellt fest, dass jüdische Feste auch Nichtjuden anziehen. 54 Für die Kaiserzeit gibt es zahlreiche epigraphische Belege zur Interaktion von Juden und Nichtjuden, ganz zu schweigen von den so genannten „Gottesfürchtigen“. Zugehörigkeit zur Synagoge darf man sich in der Antike nicht nach dem Muster modernen Mitgliedschaftsrechts vorstellen. Natürlich gab es auch Kontaktmöglichkeiten zwischen Juden und Nichtjuden, aber nicht immer waren sie friedlich und angenehm. Gerade die literarischen Zeugnisse aus Rom unter Nero zeigen plastisch beide Seiten der Medaille. 2.3 Interaktion mit Nichtjuden (Seneca, Persius, Petronius) Im Blick auf nichtjüdische Autoren, die über Juden in Rom schreiben, können wir uns auf Quellen aus der Zeit Neros beschränken. 55 Im Werk Senecas, 56 der wohl schon während seines Aufenthalts in Ägypten mit Juden und jüdischer Religion in Berührung gekommen war, finden sich äußerst negative Charakterisierungen von Juden und jüdischen Institutionen. In De Superstitione, einem verlorengegangenen Werk, das nur fragmentarisch durch Augustin überliefert worden ist, kritisiert Seneca vor allem das Sabbatgebot, weil es Juden an jedem siebenten Tag ihres Lebens zur Faulheit verleite, und fügt kommentierend hinzu: Indessen hat die Lebensweise dieses schändlichen Volkes solchen Einfluss gewonnen, dass sie in fast allen Ländern Eingang gefunden hat. Die Besiegten haben den Siegern Gesetze gegeben. 57

50

VitMos 2,216; vgl. SpecLeg 2,62. VitMos 2,216; vgl. LegGai 155–158. 52 Hyp 7,12f. 53 SpecLeg 2,62. 54 Josephus, Bell 7,44f.; vgl. Philo, VitMos 2,41, zu Pharos bei Alexandria. 55 Die im Folgenden zitierten Belege stammen aus STERN, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism (Anm. 44) = GLAJJ. 56 Vgl. zu ihm GREGOR MAURACH, Seneca. Leben und Werk, Darmstadt 62013. 57 Seneca, De Superstitione, bei Augustinus, civ. VI.11, GLAJJ I 431; Übers. nach JENS SCHRÖTER/JÜRGEN K. ZANGENBERG (Hg.), Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, UTB 3663, Tübingen 2013, 105f. 51

2. Spuren jüdischen religiösen Lebens in Rom unter Nero

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Auch wenn diese Polemik sich nicht ausschließlich gegen Juden in der Hauptstadt richtet, vermittelt sie doch einen Eindruck darüber, wie ein führender Repräsentant der stadtrömischen Elite jüdische religiöse Riten und Gebräuche der Toratreue verstanden und beurteilt hat. Das ist die einzige Stelle in Senecas Werk, wo er ausdrücklich von jüdischer Religion als solcher handelt. Die weiteren Beispiele, die Stern in seiner Sammlung anführt, erwähnen verschiedene religiöse Praktiken, die nur indirekt als jüdisch oder auch nichtjüdisch identifiziert werden können. Am klarsten liegt der Fall beim Anzünden von Sabbatlichtern, das als Negativbeispiel in einer Reihe von religiösen Bräuchen erwähnt wird, die Senecas eigenes Verständnis von rechter Religion verdeutlichen sollen. Die anderen in diesem Zusammenhang genannten Bräuche sind eindeutig nichtjüdisch. 58 Daraus können wir erschließen, dass Seneca keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen jüdischer religiöser Praxis und derjenigen in anderen Religionen sieht, einschließlich der traditionellen griechisch-römischen seiner Zeit, und ihnen allen sein eigenes, philosophisch begründetes Verständnis des Göttlichen entgegenstellt. Weniger eindeutig lässt sich Senecas Erinnerung an seine eigene Enthaltung von Fleischgenuss in seiner Jugend beurteilen, die er mit dem Eindringen fremder religiöser Bräuche nach Rom in der frühen Regierungszeit des Tiberius in Verbindung bringt: Ausländische Kulte wurden damals entfernt, aber zu den Beweisen des Aberglaubens wurde auch gerechnet, sich des Genusses gewisser Tiere zu enthalten. 59

Ob die Wendungen „ausländische Kulte“ und „Genuss gewisser Tiere“ auf jüdische Speisevorschriften verweisen sollen, im Unterschied zu dem konsequenten Vegetarismus aus philosophischen Gründen, wie ihn Seneca im Pythagoreismus vorgefunden und seinerzeit zunächst selbst praktiziert hatte, muss offenbleiben. Persius, ein weiterer zeitgenössischer stadtrömischer Autor, 60 vertritt ganz ähnliche Wertungen über jüdische religiöse Praxis. Um seine These zu begründen, dass alle Menschen Sklaven ihrer Begierden sind, wählt er als erstes Beispiel den Sabbat und seine Riten. Erst am Schluss seiner satirischen Beschreibung der Dämmerung an einem der „Tage des Herodes“ wird explizit klar, dass er hier jüdische Bräuche verspottet: Aber sind des Herodes Tage genaht, wo am triefenden Fenster öligen Qualm ausspein die in Reihen geordneten Lampen, wenn auch, mit Veilchen bekränzt, auf rötlicher Schüssel des

58

Seneca, Epistulae morales 95,47, GLAJJ I 432f.: „die Morgenaufwartung zu machen und an Tempeltoren zu sitzen … Leinengewänder und Striegel dem Iuppiter darzubringen und der Juno einen Spiegel zu halten“ (Übers. Manfred Rosenbach). 59 Epistulae morales 108,22: quorundam animalium abstinentia, GLAJJ I 433f. (Übers. Manfred Rosenbach). 60 Vgl. zu ihm DNP 9, 2003, 617–620.

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Juden in Rom unter Nero

Thunfischs Schwanz, breit streckend sich, schwimmt und in glänzendem Humpen der Wein schäumt, regest du leise den Mund und verehrst den beschnittenen Sabbat. 61

Davor hatte der Autor lediglich in witzigen Anspielungen einige Elemente jüdischer Sabbatpraxis anklingen lassen: die abendliche häusliche Feier, Öllampen in den Fenstern, mit Veilchen bekränzte Schalen mit Thunfisch, vor Wein überfließende weiße Kelche. Der verächtliche Ton dieser lebendigen Beschreibung jüdischer Sabbatbräuche zeigt dem Leser unmissverständlich, wie Persius die jüdische Religion beurteilt: Sie ist lediglich einer von vielen fremdartigen Kulten, die Roms untere Bevölkerungsschichten geradezu überschwemmt haben (der dafür betriebene Aufwand lässt freilich auf einen gewissen Wohlstand in diesen Schichten schließen). Als nächstes Beispiel behandelt Persius den Isis-Kult. Im Satyricon des Petronius sind Beschneidung und Sabbat die am deutlichsten identifizierbaren Praktiken jüdischer Religion. Der Autor wirkte als Senator Anfang der 60er Jahre im unmittelbaren Umfeld Neros, 62 und sein Werk scheint geradezu ein Spiegelbild des Lebensstils der high society in der Hauptstadt zu bieten. Dreimal kommt er in der Cena Trimalchionis auf Juden zu sprechen. Die ersten beiden Stellen berühren nur kurz die Beschneidung als typisches Kennzeichen eines Juden. Ein sehr talentierter Sklave des Habinnas habe nach dem Urteil seines Herren nur zwei Fehler: er sei beschnitten und er schnarche. 63 Nach der zweiten Stelle hätten Eumolpos und Giton, um sich vor ihren Verfolgern zu verbergen, ihre Haut gefärbt, um als äthiopische Sklaven zu erscheinen. Giton aber wollte darüber hinaus auch noch, dass sie sich beschneiden lassen, damit sie wie Juden aussähen. 64 An beiden Stellen ist demnach die Beschneidung das entscheidende Erkennungszeichen von (männlichen) Juden. Die dritte Stelle bei Petronius, die hier zu diskutieren ist, gehört zu den Gedichten, die in das Satyricon eingestreut sind. Das Gedicht, das sich mit den Juden beschäftigt, ist als Fragment überliefert. Deshalb können wir nicht sicher sagen, ob und an welcher Stelle es zur Cena gehörte. In sechs Hexametern wird hier „der“ Jude durch seine religiöse Praxis beschrieben. Sie besteht in der Verehrung einer „Schweinegottheit“ (porcinum numen), Gebeten zu den „Ohren des höchsten Himmels“ (caeli summas auriculas) sowie Beschneidung und Sabbatruhe. 65 Auch hier ist der verächtliche Ton der Verse unüberhörbar. Darüber hinaus erscheint die Beschneidung als möglicher Grund, ein solches Volk aus dem populus Romanus auszustoßen und zur Emigration in Griechenstädte

61

Persius, Satiren 5,176–184, GLAJJ I 436f. (Übers. Werner Binder/Werner Krenkel). Vgl. zu Petronius DNP 9, 2003, 672–676. 63 Petronius, Satiren 68.8, GLAJJ I 442f. 64 Petronius, Satiren 102.14, GLAJJ I 443f. 65 Petronius, Frgm. 37, GLAJJ I 444. 62

2. Spuren jüdischen religiösen Lebens in Rom unter Nero

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zu zwingen (exemptus populo Graias migravit ad urbes). Der letzte Vers erwähnt das Fasten am Sabbat als jüdisches Gesetz, das offenbar von nichtjüdischen Autoren als Kennzeichen der Juden angesehen wurde, obwohl es dafür in jüdischen Quellen keine Belege gibt. Hier wird deutlich, wie auch Missverständnisse zu Identitätsmerkmalen werden können. 2.4 Ergebnisse Zusammengenommen ist die Bezeugung für Juden in Rom unter Nero und für ihr religiöses und gemeinschaftliches Leben gar nicht so spärlich. Hinsichtlich der Bekanntheit von Juden in der stadtrömischen Gesellschaft ergänzen sich jüdische und nichtjüdische Zeugnisse bemerkenswert. Der wichtigste Beweis der Präsenz von Juden scheint die Wahrnehmung des Sabbats als Zeitpunkt regelmäßiger Zusammenkünfte zu Hause oder in Synagogen. Damit im Zusammenhang stehend fanden Sabbatgebote und -bräuche offenbar nicht nur bei Juden besondere Aufmerksamkeit, sondern oftmals auch bei feindlich gesinnten Nichtjuden. Auch Speisevorschriften und die Beschneidung kommen häufig sowohl aus jüdischer als auch aus nichtjüdischer Sicht als typische Erkennungszeichen jüdischen Lebens zur Sprache. Die Interaktion von Juden und Nichtjuden wird sowohl bei jüdischen als auch bei paganen Autoren thematisiert. Allerdings ist in diesem Fall die Bewertung sehr unterschiedlich. Während Philon und Josephus die Offenheit der Synagogen und der jüdischen Gemeinschaften für ihre nichtjüdische Umgebung positiv herausstellen, scheinen Autoren wie Seneca oder Petronius jüdische Präsenz in Rom und ihre Anziehungskraft für Nichtjuden eher als Fremdkörper und Gefahr für die römische Gesellschaft anzusehen. Die einzelnen Eindrücke, die wir aus den zeitgenössischen Quellen über jüdisches Leben und Glauben in Rom unter Nero gewinnen, hängen sehr stark von den literarischen Aussageabsichten und Zielen ihrer Autoren ab. Man sollte aber auch vermeiden, durch Zusammenfügung aller erreichbaren Zeugnisse eine Art Durchschnittsbild der römischen Juden zur Zeit Neros zu konstruieren. Stattdessen gilt es, die vielfältigen (und oft sehr farbigen) Beschreibungen jüdischen Lebens in der Hauptstadt des Imperium Romanum je für sich genau zu betrachten. Sie reichen von idealisierten Portraits der jüdischen Gemeinschaft als einer Art vorbildlicher Philosophenschule, die sich um die ethische Unterweisung und philosophische Bildung ihrer Mitglieder bemüht, bis zur höhnischen Verachtung heimatloser und hungernder jüdischer Familien, die an der Porta Capena vegetieren. Vielleicht sind beide Bilder zutreffend, aber auch dazwischen wird es die unterschiedlichsten Ausprägungen jüdischen Lebens gegeben haben.

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3. Geistige Netzwerke in Rom (Juden, Christen, Römer) 3. Geistige Netzwerke in Rom (Juden, Christen, Römer) Nach Rom zu kommen konnte für Juden zur Zeit Neros eine riskante Angelegenheit sein. Als Josephus in den frühen sechziger Jahren die Hauptstadt erreichte, war sein Ziel, ein paar jüdische Priester frei zu bekommen, die einige Jahre zuvor als Gefangene nach Rom gebracht worden waren. Philon, der als Leiter einer jüdischen Gesandtschaft Alexandrias an Caligula nach Rom kam, erweckt angesichts des Verhaltens des Kaisers ihm gegenüber und des Hohnes seiner Feinde den Eindruck, schon mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Auch Paulus kam als Gefangener nach Rom, um dort Jahre lang darauf zu warten, vom Kaiser abgeurteilt zu werden. 66 Andererseits konnten sich alle drei genannten Juden offenbar für längere Zeit weitgehend ungehindert 67 in der Hauptstadt aufhalten. 68 Die Frage, wann und wo Philon gestorben ist, muss unbeantwortet bleiben. Ebenso wenig lässt sich sagen, wie lange Josephus dazu brauchte, mit Hilfe der Poppea die Priester frei zu bekommen. Wenn man seine Bemerkung ernst nimmt, dass zum Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Jerusalem gerade der antirömische Aufstand im Begriff war auszubrechen, muss er sich ebenfalls mehrere Jahre in Rom aufgehalten haben. 69 Der Autor der Apostelgeschichte folgt sicherlich seinen eigenen literarischen und theologischen Absichten, wenn er erzählt, wie Paulus ungehindert im Gefängnis das Evangelium verkündigt und fast wie ein philosophischer Lehrer auftritt, der in seinem Haus seine Schüler empfängt und unterrichtet. Immerhin müssen wir auch hier schon aus chronologischen Gründen von einer längeren Dauer zwischen der Ankunft des Paulus in Rom und seinem (wahrscheinlich gewaltsamen) Ende unter Nero ausgehen. 70 Man gewinnt jedenfalls aus der lukanischen Darstellung den Eindruck, dass ein Gefängnis in

66

Zum juristischen Vorgehen bei Prozessen gegen römische Bürger unter Nero vgl. OMDer Prozeß des Paulus (Anm. 18), 17–109. 67 Vgl. zu Paulus Apg 28,31: ¦. 68 Nach Maren Niehoff blieb Philon, nachdem seine Gesandtschaft zum Kaiser gescheitert war, noch Jahre lang in Rom und entwickelte dort ein neues, stoisch bestimmtes Verständnis der Tora, das sich in seiner Expositio legis niedergeschlagen habe; vgl. MAREN R. NIEHOFF, Philo of Alexandria. An Intellectual Biography, New Haven/London 2018, 23– 170; DIES., Philo’s Exposition in a Roman Context, SPhiloA 23, 2011, 1–21; DIES., Philo and Plutarch as Biographers: Parallel Responses to Roman Stoicism, GRBS 52, 2012, 361– 392. 69 Vgl. Vita 17. Zur genauen Chronologie der Ereignisse im Vorfeld des Jüdischen Krieges vgl. KOKKINOS, The Herodian Dynasty (Anm. 15), 385–395. 70 Zur neueren Debatte über Petrus und Paulus in Rom vgl. OTTO ZWIERLEIN, Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse, UALG 96, Berlin 2009; ERNST DASSMANN, Petrus in Rom? Zu den Hintergründen eines alten Streites, in: STEFAN HEID (Hg.), Petrus und Paulus in Rom. Eine interdisziplinäre Debatte, Freiburg 2011, 13–31; RAINER RIESNER, Apostelgeschichte, Pastoralbriefe, 1. Clemens-Brief und die Martyrien der Apostel in Rom, in: HEID, ERZU,

3. Geistige Netzwerke in Rom (Juden, Christen, Römer)

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Rom nicht der schlechteste Platz sein musste, über das rechte Verständnis der Schriften Israels zu diskutieren und über den Sinn des Evangeliums weiter nachzudenken. Für den abschließenden Teil unserer Untersuchung wollen wir ein solches fiktives Gespräch zwischen Paulus, der in leichter Haft gehalten wurde, und seinen Brüdern in Rom, den Anhängern eines gewissen Christus, imaginieren. Darüber hinaus mögen wir uns auch noch einen fiktiven Meinungsaustausch zwischen Paulus, Philon, Josephus und Seneca hinzudenken. Als Ausgangspunkt dafür wählen wir den Römerbrief. Wie schon die Leser des 2. Petrusbriefes (wo auch immer sie gelebt haben mögen) zu lesen bekamen, enthielten ja die Paulusbriefe manches, das schwer verständlich war (2Petr 3,16). Es konnte also durchaus schon ein paar Jahrzehnte früher Anlass geben, bei Paulus nachzufragen, was er denn mit seinem Brief an die römischen Christen wohl genau gemeint hatte. 3.1 Naturgesetz und Tora des Mose Ein Anlass zur Nachfrage mag in dem bestanden haben, was Paulus in den ersten beiden Kapiteln des Römerbriefes zu „allen Menschen“ geschrieben hatte, die angesichts der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen unter seinem Zorn stünden. 71 Für Paulus als Juden bestand das, was wir heute ‚die Menschheit‘ nennen, immer aus zwei sehr ungleichen Hälften:

a.a.O., 153–179; TIMOTHY BARNES, Early Christian Hagiography and Roman History, Tria Corda 5, Tübingen 2010, 1–41. Zu neueren Untersuchungen zur Neronischen „Christenverfolgung“ (Anm. 41) sowie ZWIERLEIN, Petrus in Rom, a.a.O., 113–127; TASSILO SCHMITT, Die Christenverfolgung unter Nero, in: HEID, a.a.O., 517–537. 71 Für die im Folgenden vorausgesetzte Interpretation der paulinischen Aussagen im Römerbrief kann ich nur pauschal auf meine Habilitationsschrift sowie einige seither publizierte Aufsätze verweisen, ohne meine Urteile hier noch einmal exegetisch zu begründen; vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992; DERS., „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462; DERS., Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30), in: MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, WUNT 322, Tübingen 2014, 139–161; DERS., Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive. Zum theologischen Werk von Eduard Lohse, ZThK 115, 2018, 1–26; DERS., Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur. Röm 1,19–23 als Testfall, in: GYÖRGY BENYIK (Hg.), The Hellenistic and Judaic Background to the New Testament. 29th International Biblical Conference Szeged 27–29 August, 2018, Szeged 2019, 327–342. Ebenso pauschal muss ich für alle weitergehenden Diskussionen auf den aktuellen Kommentar zum Römerbrief von WOLTER, Römer (Anm. 7), verweisen.

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auf der einen Seite Israel, auf der anderen alle übrigen Menschen, die so genannten Heiden (« ª ). Auch wenn Paulus auf der Grundlage des Christusglaubens argumentiert, dass „alle Menschen“ unter Gottes Zorn stehen, hält er an dieser Unterscheidung fest. 72 Wenn er seine Leser davon zu überzeugen sucht, dass nach dem Maßstab der Tora alle gesündigt haben, spricht er bezeichnender Weise von „dem offenbaren Juden“ (·  ° › ”°   ) und „dem verborgenen Juden“ (·  ° ”“°   ). 73 Mit dieser Terminologie platziert er beide Gruppen, die möglicherweise beide aus geborenen Juden und Nichtjuden bestanden haben werden, auf derselben Ebene vor Gott und bezeichnet sie beide mit dem Begriff „Jude“. In Röm 2,14 spricht er von „Heiden, die das Gesetz nicht haben“ (ª  « ¡  ª£ ), aber „von Natur aus tun, was das Gesetz verlangt“ (›¦ «   “ • ), und in 2,25–27 spielt er mit der Vorstellung von der „Beschneidung“ im Blick auf Juden und Heiden, indem er solche Heiden, die den Regeln der Tora folgen, „die Vorhaut von Natur aus“ (  ›¦ ” ¢   ) nennt, im Unterschied zu demjenigen, der, obwohl beschnitten, das Gesetz übertritt. 74 Was würden wohl Philon und Josephus dazu gesagt haben, wenn sie zusammen mit anderen jüdischen Führern Paulus in Rom in seinem Gefängnis aufgesucht und diese Argumentation von ihm zu hören bekommen hätten? 75 Als jüdische Glaubensgenossen würden sie wohl zunächst einmal der Meinung des Paulus zugestimmt haben, dass die jüdische Tora dazu geeignet ist, die Taten aller Menschen zu beurteilen, ob Juden oder Nichtjuden. 76 Darüber hinaus dürften Philon und Josephus als in griechischer und römischer Popularphilosophie hoch gebildete Zeitgenossen Paulus wohl auch darin Recht gegeben haben, dass die Tora als „Naturgesetz“ die Basis für alles rechte menschliche Verhalten bildet. 77 Auch bei ihnen lässt sich ja nachlesen, dass das jüdische Gesetz mit dem Naturgesetz im Sinne der stoischen wie auch der platonischen Philosophie identifiziert werden kann. In seiner Expositio legis verbindet Philon ausdrücklich die Mose-Tora mit der Schöpfung der ganzen Welt und stellt fest, dass „sowohl die Welt mit dem Gesetze als auch das Gesetz mit der Welt im Einklang steht und dass der gesetzestreue Mann ohne weiteres ein Weltbürger ist, da er seine Handlungsweise nach dem Willen der Natur regelt, nach

72

Vgl. Röm 1,16: “ ‘ ° “ ¦ ¬   Ê  “”• ‘ ´ . Röm 2,28f. 74 Vgl. NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik (Anm. 71), 147–149. 75 Vgl. Apg 28,17–28. 76 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 66–72. 77 Zum Verständnis des jüdischen Gesetzes bei Philon und Josephus vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Art. Nomos. B. Jüdisch, C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1006–1061: 1025– 1031. 73

3. Geistige Netzwerke in Rom (Juden, Christen, Römer)

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dem auch die gesamte Welt gelenkt wird“. 78 Im Proömium zu den Antiquitates setzt Josephus mit grundsätzlichen Reflexionen über das Verhältnis zwischen Gott, Natur und Gesetz ein. 79 Wer gut handeln will, hat zunächst die Natur zu beobachten und sein eigenes Verhalten nach dem Vorbild der Werke Gottes zu gestalten. Deshalb habe der Gesetzgeber Mose die „Archäologie und die Verfassung“ ( ”£ © ‘   ½   “ ¦ ) des jüdischen Gemeinwesens erst diskutiert, nachdem er zuvor die „natürliche Geschichte“ (› © ) dargestellt habe. Auch Josephus will in seinem Geschichtswerk dieser Reihenfolge entsprechen. 80 Selbst der stoische Philosoph Seneca würde wahrscheinlich bis hierhin zugestimmt haben, wenn er das Gespräch zwischen Paulus und seinen beiden jüdischen Zeit- und Geistesgenossen im römischen Gefängnis hätte verfolgen können (wenngleich das eine etwas absurde Vorstellung sein mag). 81 Solange es um alle Menschen geht, dürften jedenfalls Paulus, Philon und Josephus ihrerseits die in einem römischen philosophischen Kontext geäußerte Meinung akzeptiert haben, nach welcher ethische Maßstäbe aus dem Verstehen der Natur und ihrer Gesetze hergeleitet werden können, ob nun in stoischer oder platonischer Terminologie und Argumentation, 82 auch wenn sie entsprechend ihrer biblischen Verstehensvoraussetzungen wohl den Begriff „Natur“ mit ihrer Anschauung von der Welt als „Schöpfung Gottes“ verknüpft haben dürften. Auch wenn sie über die Menschheit als ganze und die Gesellschaft nachgedacht haben, werden sie wohl eher an Überlieferungen über die Geschichte der Menschen und Völker seit den Tagen der Schöpfung und bis in die Zeit Abrahams gedacht haben, wie sie in den biblischen Überlieferungen vergegenwärtigt wurde und auch in Röm 1 von Paulus herangezogen wird. 83 Sicher würde Paulus wohl weiterhin gegen jede Art von ‚Götzendienst‘ polemisiert haben, einschließlich der Verehrung von Tieren (vgl. Röm 1,23), und ebenso gegen alle ethischen Abirrungen vom Gesetz der Natur wie z.B. homosexuelle Praktiken (vgl. Röm 1,26f.). Philon und Josephus würden ihm darin sicher emphatisch zugestimmt haben, und auch Seneca würde wohl den kritischen Blick auf religiöse Praktiken unterstützt haben, den seine drei jüdischen Gesprächspartner als Götzendienst bezeichneten und verurteilten. Auch ihren ethischen Grund-

78

Philo, Opif 3 (Übers. Cohn/Heinemann), vgl. auch VitMos 2,48. Josephus, Ant 1,1–26. 80 Ant 1,5.18f. 81 Vgl. o., 225, zu Epistulae morales 95,47. 82 Zum so genannten Mittelplatonismus als dem wichtigsten philosophischen Kontext frühjüdischer ethischer und naturphilosophischer Reflexionen vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur, in diesem Band 101–148: 109–114. 83 Vgl. NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik (Anm. 71), 148; DERS., Röm 1,19–23 als Testfall (Anm. 71). 79

232

Juden in Rom unter Nero

sätzen wird er weitgehend zugestimmt haben, sofern sie Ausdruck der rechten Religion weiser Männer seien, die von keinerlei Ritualen abhängig ist. 84 3.2 Geist und Gesetz im Licht des Christusgeschehens Im Blick auf die Argumentation in Römer 8 würde es wohl weit schwieriger sein, jüdische Zeitgenossen des Paulus zu finden (geschweige denn einen heidnischen Philosophen wie Seneca), die die Überzeugungen des Apostels über die an Christus Glaubenden, die vom Geist erfüllt auf die endzeitliche Vollendung und Erlösung hoffen, geteilt oder auch nur verstanden hätten. Natürlich gibt es manche Parallelen in der zeitgenössischen Popularphilosophie zur anthropologischen Terminologie, die Paulus gebraucht, wie insbesondere in jüngeren Untersuchungen mit Blick auf die stoische Philosophie diskutiert worden ist. 85 Aber wenn wir dem paulinischen Gedankengang in Röm 7 und 8 folgen und die These und das Anliegen seiner Argumentation in Betracht ziehen, tritt doch ein ganz neues und einzigartiges Bild der Menschheit vor Augen. 86 Diese Einzigartigkeit des paulinischen Menschenbildes entspringt aus der theologischen Reflexion des Handelns Gottes im Christusgeschehen. Ausgangspunkt der Argumentation in Röm 8 ist die endzeitliche Rettung der Glaubenden durch den Tod Christi und seine Auferweckung aus der Not der Versklavung unter die Macht der Sünde. Wenn Paulus hier vom Gesetz spricht, dann ist es nicht mehr das „Gesetz der Natur“, sondern „das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus“ (8,2). Jedes einzelne Wort in dieser Genitivverbindung (Gesetz, Geist, Leben) mag Parallelen in philosophischen Kontexten haben, aber der Satz als ganzer passt zu keiner der philosophischen Konzeptionen. Er ist viel mehr ganz und gar abhängig von dem entscheidenden Marker „Christus Jesus“. Ob Paulus hier immer noch die jüdische Tora im Blick hat (was ich für

84 Zur Ethik Senecas vgl. BRAD INWOOD, Natural Law in Seneca, SPhiloA 15, 2003, 81– 99; RUNAR M. THORSTEINSSON, Roman Christianity and Roman Stoicism. A Comparative Study of Ancient Morality, Oxford 2010, 22–39, zu Paulus im Römerbrief a.a.O., 89–104. 85 Vgl. TROELS ENGBERG-PEDERSEN, Cosmology and Self in the Apostle Paul. The Material Spirit, Oxford 2010, 39–138: 164–169; NIKO HUTTUNEN, Paul and Epictetus on Law. A Comparison, London 2009, 101–153. Kritisch dazu VOLKER RABENS, Pneuma and the Beholding of God: Reading Paul in the Context of Philonic Mystical Traditions, in: JÖRG FREY/JOHN R. LEVISON (Hg.), The Holy Spirit, Inspiration, and the Cultures of Antiquity: Multidisciplinary Perspectives, Ekstasis 5, Berlin/New York 2014, 293–329; DERS., GeistesGeschichte. Die Rede vom Geist im Horizont der griechisch-römischen und jüdisch-hellenistischen Literatur, ZNT 25, 2010, 46–55. 86 Vgl. dazu aber meinen Vergleich des paulinischen Menschenbildes nach Röm 7 mit dem der Sapientia Salomonis, des Jakobusbriefes und bei Epiktet: KARL-WILHELM NIEBUHR, Jakobus und Paulus über das Innere des Menschen und den Ursprung seiner ethischen Entscheidungen, NTS 62, 2016, 1–30.

3. Geistige Netzwerke in Rom (Juden, Christen, Römer)

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wahrscheinlich halte), kann man diskutieren. 87 Auf jeden Fall aber wird sein Verständnis von  entscheidend modifiziert durch das Geschehen von Tod und Auferstehung Christi, worin sich Gottes Handeln an der ganzen Menschheit – Juden wie Heiden – endzeitlich verwirklicht hat. Dasselbe gilt für das paulinische Verständnis von Geist, Seele und Leib, wie es in Röm 8 zur Sprache kommt. 88 Wenn Paulus von “ spricht (21 Mal in Röm 8!), kann man sein christologisch bestimmtes Verständnis des Geistes nicht ausblenden. Die meisten der Belege für “ in diesem Kapitel sind entweder direkt mit Christus oder mit denen verbunden, die sich dem Glauben zugewandt haben und mit dem Geist erfüllt worden sind. Jeder Versuch, die paulinischen Aussagen über den Geist in dieser Passage von popularphilosophischen Ideen her zu verstehen, ohne den spezifisch christologischen Kontext der paulinischen Argumentation zu berücksichtigen, wird den Standards biblischer und philologischer Exegese nicht ausreichend gerecht. In unserer fiktiven Debatte zwischen Paulus, Philon, Josephus und Seneca würde es jedenfalls wohl weitaus mehr Missverständnis als Einvernehmen geben und vermutlich auf Seiten vor allem Senecas wohl auch erhebliches Stirnrunzeln. 89 3.3 Israels Geschick Abschließend wenden wir uns noch kurz der Argumentation des Paulus in Röm 9–11 zu, die sich Israels Geschick angesichts der Berufung von Juden und Heiden in die eschatologische Gemeinschaft widmet. Paulus unterstreicht in diesem Zusammenhang seine eigene Identität als Israelit stärker als irgendwo sonst, obwohl er zugleich herausstellt, dass er sich schon seit langem in erster Linie als Apostel der Völker versteht (vgl. 11,1.13). 90 Von Anfang bis Ende seiner Argumentation in Röm 9–11 hält Paulus daran fest, dass Gott sein Volk niemals verstoßen wird. 91 Offenbar wendet er sich mit dieser Argumentation 87 Vgl. zur Diskussion WOLTER, Römer (Anm. 7), Teilbd. 1: Röm 1–8, NeukirchenVluyn/Ostfildern 2014, 473–475. 88 Vgl. dazu NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik (Anm. 71), 154–158, sowie VOLKER RABENS, The Holy Spirit and Ethics in Paul. Transformation and Empowering for Religious-Ethical Life, WUNT II/283, Tübingen 22013, 203–237. 89 Vgl. dazu auch NIEBUHR, Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive (Anm. 71), 12–17. 90 Vgl. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 71), 167–175. 91 Vgl. zum gesamten Argumentationsgang WOLTER, Röm 2 (Anm. 7), 21–242, der etwas anders akzentuiert: Erst ab 11,11 suche Paulus „nach Argumenten, denen er die Gewissheit entnehmen kann, dass die nichtchristliche Mehrheit Israels wieder aus ihrer gegenwärtigen Situation der Heilsferne … entlassen und in Gottes Heil einbezogen wird“ (158); „Trotzdem entwickelt Paulus in diesen Versen nicht so etwas wie einen in sich geschlossenen theologischen Begründungszusammenhang. Seine Darstellung zerfällt vielmehr in eine Vielzahl von Argumentationsfragmenten …“ (159). Demgegenüber habe ich in Heidenapostel aus Israel (Anm. 71), 142–158, versucht, den m.E. von Anfang bis Ende kohärenten Gedankengang

234

Juden in Rom unter Nero

implizit gegen zwei gegenläufige Tendenzen, die möglicherweise aktuell in Rom vertreten wurden. Auf der einen Seite gab es die, die alle historischen Bindungen mit diesem fremdartigen und manchmal verstörenden Volk am Rande des Imperium Romanum hinter sich lassen wollten, auf der anderen solche, die vielleicht an bestimmten jüdischen Bräuchen festhalten wollten, 92 und sei es nur, um gewisse Privilegien weiter in Anspruch nehmen zu können, die z.B. einst unter Cäsar den Juden verliehen worden waren. Im Rahmen jüngerer Debatten um den ‚politischen‘ Paulus in seinem römischen Kontext hat seine Argumentation in Röm 9–11 bisher weit weniger Aufmerksamkeit gefunden als z.B. seine Ermahnungen in Röm 13. 93 Wenn wir die politische Lage in den frühen und mittleren sechziger Jahren des 1. Jh. in Betracht ziehen und dazu die hoch entwickelten Kommunikationsnetzwerke zwischen der Hauptstadt und den Provinzen in Rechnung stellen, speziell mit Blick auf Ägypten/Alexandria und Syria-Judäa/Jerusalem, dann sollten wir ernsthaft fragen, ob nicht auch die paulinische Argumentation in Röm 9–11 politische Konnotationen wecken konnte. Wenn Paulus seinen tief empfundenen Schmerz über die Stammverwandten aus seinem Volk zur Sprache bringt (Röm 9,1–5), könnte das nicht nur Ausdruck seiner Verbundenheit mit Israel als dem Volk der Verheißung sein, sondern von seinen Adressaten in Rom zugleich auch als Stellungnahme zur gegenwärtigen religiös-politischen Lage der Juden im Imperium Romanum verstanden werden. Und wenn Paulus dann auch noch am Ende (11,25–31), wenngleich als  ” , die „Rettung ganz Israels“ ankündigt (“Â  ” ¡   ), indem er jemanden ausruft, der „vom Zion her“ Jakob „erretten“ (×½  ž ¯ · Ø) und einen heilsamen „Bund“ mit ihm schließen wird ( “ ”’   ), dann mögen wohl so manche Römer ein weiteres Mal mit Stirnrunzeln reagiert haben. Philon jedenfalls könnte nur wenige Jahre zuvor von einer solchen Heilsperspektive geträumt haben, als er in Rom für seine alexandrinische Heimatgemeinde gegen seine antijüdischen Feinde zu kämpfen hatte, die ihn und sein Volk vor Kaiser Caligula verächtlich gemacht hatten. Eines seiner Hauptargumente war seinerzeit die politische Lage in Jerusalem und der Einsatz von Agrippa I. dort zugunsten des jüdischen Volkes gewesen. 94 Leider wissen wir

von Röm 9–11 vom Grundgedanken der Souveränität Gottes bei der Durchsetzung seiner Heilszusage gegenüber Israel und den Völkern zu erschließen. 92 Solche unterschiedlichen Ansichten zu jüdischer religiöser Praxis und jüdischen religiösen Vorstellungen in „christlichen“ Gruppen in Rom könnten einiges von den Konflikten erklären, die in Röm 14,1–15,6 reflektiert werden, vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51: 31–41. 93 Vgl. dazu KRAUTER, Studien zu Röm 13,1–7 (Anm. 6), 137–160. 94 Vgl. LegGai 261–329.

3. Geistige Netzwerke in Rom (Juden, Christen, Römer)

235

nichts über die Argumente, die Josephus einige Jahre später in Rom vorgebracht hat, als er sich um die Freilassung der jüdischen Priester bemühte. Politische Argumente könnten dabei durchaus eine Rolle gespielt haben. Zwar spielt Josephus alle politischen Konnotationen seiner früheren Karriere in den sechziger Jahren herunter, wenn er in den neunziger Jahren in Rom seine Geschichtswerke verfasst. Aber die Inhalte und Ziele seiner Historiographie scheinen doch deutlich darauf ausgerichtet zu sein, Israel, dem von Gott erwählten Volk, auch für die Zukunft noch eine Perspektive zu geben. 95 Was mögen also die „jüdischen Führer“ mit Paulus und seinen „christlichen Brüdern“ im römischen Gefängnis diskutiert und was mögen sie sich dabei gedacht haben, wenn solche politischen Themen berührt wurden oder zumindest die entsprechenden Stichwörter fielen? Vielleicht haben sie Paulus gefragt, wie denn nun sein Rat, sich überall den politischen Autoritäten unterzuordnen (“ £¡ ½  “”£¦  “ œ , Röm 13,1), konkret und gerade jetzt in Rom zu verstehen ist. Vielleicht haben sie auch über Israel diskutiert, die Verheißungen der biblischen Heilsgeschichte und die Erwartungen in der Gegenwart wie für die Zukunft. Sicher werden sie versucht haben, aus der biblischen Überlieferung Antworten auf die Frage nach der gegenwärtigen Notlage Israels und Hoffnungen für das Gottesvolk in der Zukunft zu gewinnen, und die christlichen Brüder unter ihnen werden wohl auch dafür auf das paulinische Evangelium verwiesen haben. Aber was würde Seneca zu solchen religiös-politischen Debatten gesagt haben? Als höchstrangiger Repräsentant der politischen Szene in Rom mit größter Nähe zum Kaiserhaushalt wird er vermutlich niemals daran gedacht haben, mit solchen fremden und bisweilen politisch unzuverlässigen jüdischen Zirkeln in nähere Bekanntschaft zu treten. Ob er jemals von „einem gewissen Christus“ gehört hat, wissen wir nicht. 96 Umgekehrt wussten sicher einige von denen, die Paulus im römischen Gefängnis trafen, von Seneca und seiner Position beim Kaiser, und sie dürften auch einige von seinen philosophischen und politischen Überzeugungen gekannt haben. Vielleicht konnten sie sogar manche ihrer Argumente in der Diskussion mit Paulus mit Verweis auf Gedanken Senecas entfalten … – es könnte durchaus anregend sein, solche Spekulationen ein wenig sprießen zu lassen.

95

Vgl. SÖREN SWOBODA, Tod und Sterben im Krieg bei Josephus. Die Intentionen von Bellum und Antiquitates im Kontext griechisch-römischer Historiographie, TSAJ 158, Tübingen 2014, 392–464. 96 Vgl. dazu o., 220.

Juden in Rom unter Nero

236

4. Zusammenfassung 4. Zusammenfassung Auch wenn wir dem Urteil von Erich Gruen folgen, wonach Juden in Rom wie auch andere religiöse Gemeinschaften in der Kaiserzeit sich im allgemeinen weitgehender Indifferenz der politischen Autoritäten erfreuen konnten, 97 so gibt es in den von uns herangezogenen Quellen doch auch Indizien dafür, dass den Juden eine gewisse Sonderrolle in der Hauptstadt des Imperium Romanum zukam. Freilich war das in der Kaiserzeit in Rom nicht die Rolle des prinzipiellen Außenseiters oder gar des Sündenbocks, sondern diejenige einer speziellen Gruppe von Ausländern, die ihre angestammten religiösen Überzeugungen und Überlieferungen schon vor langer Zeit mit in die Hauptstadt gebracht hatten – und darin unterschieden sie sich wiederum nicht grundsätzlich von anderen ausländischen religiösen und ethnischen Gruppen in Rom. Wir konnten eine bemerkenswert lebendige Kommunikation und Interaktion zwischen stadtrömischen Juden und solchen aus anderen urbanen Zentren des Mittelmeerraumes wie etwa Alexandria und Jerusalem beobachten. Juden verfügten in der Kaiserzeit über ein überregionales Netzwerk, um sich untereinander auf dem Laufenden zu halten. Dieses reichsweite Kommunikationsnetzwerk stärkte den Zusammenhalt zwischen jüdischen Gemeinschaften, die unter sehr verschiedenen politischen, kulturellen und religiösen Verhältnissen lebten. Die Mittel der Kommunikation und die Strukturen solcher Netzwerke können wir nur partiell rekonstruieren – Reisen spielte sicher eine große Rolle, aber wir müssen davon ausgehen, dass jüdische Gruppen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelten, wo auch immer im Imperium Romanum sie lebten. Auch wenn Juden für Politik und Gesellschaft im Imperium Romanum nicht die entscheidende Rolle spielten, waren sie doch zumindest eine wahrnehmbare, von anderen unterscheidbare und identifizierbare religiöse Gruppe mit spezifischen Merkmalen, die bisweilen als fremdartig oder auch abseitig angesehen werden konnten, bisweilen aber auch als respektabel oder auch als komisch. Für römische Literaten war es ein Zeichen von Bildung und Witz, wenigstens so viel von Juden zu wissen, um sich geistvoll über sie lustig machen zu können, aber sie konnten ihr Wissen über Juden und Jüdisches auch nutzen, um ihre philosophischen Überzeugungen mit kritischen Argumenten zu entfalten. „Christen“ hatten zur Zeit des Paulus in Rom unter Nero als solche, das heißt, als von jüdischen Gruppen unterscheidbare eigenständige religiöse Gruppe mit eigenem Namen, noch nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Von außen wurden sie aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn überhaupt, als jüdische Untergruppe wahrgenommen. Im Rahmen solcher jüdischen Gruppen

97

Vgl. ERICH S. GRUEN, The Jews of Rome under Nero, in: PUIG I TÀRRECH/BARThe Last Years of Paul (Anm. 3), 91–109: 93–95.

CLAY/FREY,

4. Zusammenfassung

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konnten freilich auch diese „Christen“, und mit ihnen Paulus, grundsätzlich mit intellektuellen Netzwerken der stadtrömischen Gesellschaft in Verbindung treten, die sowohl aus in der Stadt geborenen Mitgliedern als auch aus anderen zugewanderten Gruppen mit unterschiedlichen ethnischen und religiösen Hintergründen bestanden. Auch Paulus dürfte demnach während der Jahre seiner Gefangenschaft in Rom von denen, die ihn besuchten, als Jude angesehen worden sein, und er betrachtete sich, so wie er sich schon im Römerbrief mit Emphase als Israelit bezeichnet hatte (Röm 11,1), selbst als einen solchen – unbeschadet seiner Überzeugung (und der einiger seiner Besucher), dass der einzige wirkliche Richter, dem er am Ende gegenüberzutreten hatte, nicht der Kaiser war, sondern Jesus Christus.

Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum Inschriften als Zeugnisse für Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte im kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien am Beispiel des Jakobusbriefes Einführung „Für die Frage nach der Wirkung des Evangeliums auf die Menschen, denen es zuerst verkündet wurde, ist das Verständnis der religiösen Eigenart der neutestamentlichen Umwelt von Bedeutung.“ 1 Mit dieser nüchternen, zugleich aber durchaus theologisch verstandenen Begründung religionsgeschichtlicher Arbeit am Neuen Testament hatte sich einst Gerhard Delling, einer der „Urväter“ des Corpus Hellenisticum, dem Studium jüdischer Inschriften der römischen Antike zugewandt. Der in der zitierten Formulierung enthaltene Gedanke der Rezeption neutestamentlicher Texte, Konventionen und Überzeugungen in der kaiserzeitlichen und spätantiken Mittelmeerwelt gehört auch zu den aktuellen Anliegen des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, zu dem die folgenden Ausführungen einen Beitrag leisten möchten. 2 Gerade an nichtliterarischen Texten und Zeugnissen kann dieser Aspekt der tatsächlichen Wirkung neutestamentlicher Texte vielleicht besonders gut analysiert werden, sind sie doch stärker als literarische Zeugnisse kulturell geprägt und verankert in der hellenistisch-römischen Alltagskultur und in den Konventionen gesellschaftlichen und religiösen Lebens der Antike. Im Rahmen der Zielstellungen des CJHNT kommt dem Judentum in hellenistisch-römischer Zeit zweifellos eine besondere Rolle zu. Das Projekt geht ja von der Grundannahme aus, dass die Entstehung und Ausbreitung des antiken Christentums nicht denkbar gewesen wäre ohne seine spezifische, wurzelhafte Einbindung in das in sich vielfältige Judentum der hellenistisch-römischen

1 GERHARD DELLING, SPERANDA FVTVRA. Jüdische Grabinschriften Italiens über das Geschick nach dem Tode, in: DERS., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum. Gesammelte Aufsätze 1950–1968, hg. v. FERDINAND HAHN/TRAUGOTT HOLTZ/ NIKOLAUS WALTER, Berlin 1970, 39–44: 39. 2 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Das Corpus Hellenisticum. Anmerkungen zur Geschichte eines Problems, in: WOLFGANG KRAUS/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 361–382.

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

Zeit. Diese Basishypothese hat eine theologische und eine religionsgeschichtliche Seite. Über die theologische Seite will ich hier keine weiteren Aussagen machen. Religionsgeschichtlich betrachtet aber lassen sich auf wohl jeder Seite des Neuen Testaments Belege für die Einbindung des Urchristentums in die Welt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit finden. Da dieses Urteil immer noch gelegentlich in dem Sinne missverstanden wird, hier werde einseitig eine jüdische gegenüber einer „hellenistischen“ Prägung des Neuen Testaments und des Urchristentums vertreten, 3 sei lediglich angemerkt, dass eine solche Entgegensetzung wohl keiner einzigen der zeitgenössischen Quellen des antiken Judentums, sei es literarischen oder nichtliterarischen, solchen aus Palästina oder aus anderen Teilen der hellenistisch-römischen Welt, angemessen wäre. Wie aber kamen frühchristliche Impulse an in der römischen Welt der ersten Jahrhunderte nach Christus? Diese Frage lässt sich vielleicht etwas besser beantworten, wenn beide Seiten, das frühe Christentum und die hellenistisch-römische Alltagskultur, in wechselseitiger Wahrnehmung erfasst werden. Das jedenfalls war die Grundidee des Leipziger CJHNT-Symposiums, die anknüpft an die beiden vorangehenden, bei denen jeweils ein literarischer Zeuge des hellenistischen Judentums, Philon und Josephus, im Mittelpunkt des Interesses standen. Gerade im Vergleich zu den beiden Vorgängersymposien liegen aber auch die besonderen Herausforderungen einer solchen Konferenz zur Alltagskultur auf der Hand: Das Quellenmaterial, dem wir uns hier widmen, ist im Gegensatz zu den überlieferten Werken Philons und des Josephus äußerst disparat. Es umfasst textliche und materiale (nonverbale) Zeugnisse, Quellen, die geographisch und chronologisch weit auseinanderliegen, ebenso wie Belege, deren lokale, politische, soziale und zeitgeschichtliche Kontexte oft nur ganz unzureichend erkennbar sind. Für die Analyse und Interpretation dieser Zeugnisse sind unterschiedliche wissenschaftliche Methoden und Kompetenzen erforderlich, über die Neutestamentler ihrer Ausbildung und Profession nach in der Regel nicht verfügen. Wenn wir es dennoch gewagt haben, diese vielfältigen und verschiedenartigen Quellen auf einem einzigen Symposium zu bearbeiten, so war das nur dadurch gerechtfertigt, dass Fachkollegen aus den relevanten Arbeitsgebieten zur Mitarbeit bereit waren und ihre spezifischen Kompetenzen in die gemeinsame Arbeit eingebracht haben. 4 Nur die Zusammenar-

3 Vgl. nur die Kritik an Martin Hengel bei UDO SCHNELLE, Paulus und Epiktet – zwei ethische Modelle, in: FRIEDRICH WILHELM HORN/RUBEN ZIMMERMANN (Hg.), Jenseits von Indikativ und Imperativ. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament Ethics, Bd. 1, WUNT 238, Tübingen 2009, 137–158: 138, Anm. 4. 4 Für den folgenden Beitrag war von besonderem Gewicht, dass in Walter Ameling einer der Herausgeber der Inscriptiones Judaicae Orientis zu den Teilnehmern und Vortragenden des dritten CJHNT-Symposiums 2009 in Leipzig gehörte. Vgl. WALTER AMELING, Paränese und Ethik in den kleinasiatischen Beichtinschriften. Zu den Voraussetzungen christlicher

Einführung

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beit mit allen an der hellenistisch-römischen Antike arbeitenden Fachdisziplinen kann diejenige Welt erschließen, in der das Christus-Evangelium seine ersten Adressaten und Anhänger fand. Der folgende Beitrag möchte im Rahmen der genannten Konzeption an einem Beispiel zeigen (bzw. wenigstens die Frage stellen), wie in christlichen Gemeinden Kleinasiens, die sich in einem religiösen Milieu entfalteten, das durch pagane ebenso wie durch frühjüdische Traditionen beeinflusst war, Impulse des frühen Christentums rezipiert werden konnten. Dazu wähle ich als neutestamentlichen Bezugspunkt den Jakobusbrief, der ja selbst offenkundig Prägungen durch frühjüdische wie hellenistisch-römische Traditionen aufweist. Für das hellenistisch-jüdische Milieu Kleinasiens ziehe ich jüdische Inschriften aus der Kaiserzeit und der Spätantike zum Vergleich heran, ohne damit den Jakobusbrief selbst (oder auch nur seine Rezeption) speziell in dieser Region ansiedeln zu wollen – angesichts der Quellenlage sind wir ja immer darauf angewiesen, mit entsprechender methodischer Vorsicht Analogieschlüsse zu ziehen. Die pagane hellenistisch-römische Welt Kleinasiens soll – auch hier wieder ganz exemplarisch – durch ein Inschriftenkorpus repräsentiert werden, das wenigstens punktuell einen Bereich religiösen Alltagslebens illustrieren kann, die so genannten „Beichtinschriften“. Das Themenfeld, auf dem sich die folgenden Beobachtungen ansiedeln, betrifft das Ethos frühchristlicher Gemeinden im Rezeptionsmilieu des kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasiens. Auch dafür scheint der Jakobusbrief ein geeignetes Exempel, gilt er doch innerhalb des Neuen Testaments als ein vorwiegend paränetisch-ethisch bzw. „weisheitlich“ ausgerichteter Text. Dass damit sein spezifisches theologisches Potential möglicherweise unterschätzt wird, ist in jüngeren Arbeiten zum Jakobusbrief zunehmend deutlich geworden. 5 Hier soll aber der Brief in erster Linie mit Blick auf die ethischen Vorgaben für seine Rezeption im frühen Christentum Kleinasiens herangezogen werden.

Mission in Kleinasien, in: ROLAND DEINES/JENS HERZER/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo–Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 274, Tübingen 2011, 241–249. 5 KARL-WILHELM NIEBUHR, „A New Perspective on James“? Neuere Forschungen zum Jakobusbrief, ThLZ 129, 2004, 1019–1044; DERS., James in the Minds of the Recipients. A Letter from Jerusalem, in: DERS./ROBERT W. WALL (Hg.), The Catholic Epistles and Apostolic Tradition, Waco 2009, 43–54; DERS., Ethik und Anthropologie nach dem Jakobusbrief. Eine Skizze, in: HORN/ZIMMERMANN, Jenseits von Indikativ und Imperativ (Anm. 3), 329– 346, engl. Übers.: Ethics and Anthropology in the Letter of James: An Outline, in: JAN WILLEM VAN HENTEN/JOSEPH VERHEYDEN (Hg.), Early Christian Ethics in Interaction with Jewish and Greco-Roman Contexts, STAR 17, Leiden 2013, 223–242. Zum Zusammenhang zwischen ethischer Orientierung und theologischer Begründung im Jakobusbrief vgl. jetzt auch MATTHIAS KONRADT, Werke als Handlungsdimension des Glaubens. Erwägungen

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

Mit dem Begriff „Ethos“ greife ich dabei eine Kategorie auf, die in jüngerer Zeit mehrfach bei der Beschreibung von Identitätsbildungsprozessen im frühen Christentum und im antiken Judentum herangezogen worden ist. 6 Ohne diese spezifische Fragerichtung hier weiterführen zu wollen, übernehme ich mit ihm lediglich seine Funktion, habitualisierte Verhaltensweisen und religiöse Überzeugungen, also kulturell und religiös vorgeprägte Lebens- und Glaubensweisen zu beschreiben, die nicht jeweils im Einzelfall ihrer Anwendung noch weiterer eigenständiger Begründungen bedürfen, sondern unhinterfragt und in der Regel auch unreflektiert zur Geltung kommen. 7 Gerade im Blick auf nichtliterarische Zeugnisse für den Kontext, in dem neutestamentliche Texte entstanden sind und verstanden wurden, scheint mir diese Kategorie besonders geeignet, da in dieser Quellengattung in aller Regel keine expliziten Begründungen für das geforderte oder beschriebene Verhalten bzw. die ausgedrückten Überzeugungen gegeben werden. Leitfrage eines solchen Ansatzes, die freilich in den folgenden Ausführungen allenfalls ansatzweise beantwortet werden kann, ist eine möglichst differenzierte Erfassung des Zusammenhangs zwischen habitualisierten kulturellen und religiösen Traditionen und spezifischen religiösen Neuprägungen, wie er etwa bei der Herausbildung und Durchsetzung einer neuen Religion wie des Christentums in der römischen Kaiserzeit und der Spätantike zu beobachten sein könnte. Nichtliterarische, in diesem Fall epigraphische Zeugnisse, und neutestamentliche Texte, in diesem Fall der Jakobusbrief, können möglicherweise in wechselseitiger Wahrnehmung zur Erhellung solcher Prozesse beitragen.

1. Jesuanisches Ethos im Jakobusbrief 1. Jesuanisches Ethos im Jakobusbrief Für die Frage nach der Herausbildung und den Konturen eines christlichen Ethos hat der Jakobusbrief insofern herausgehobene Bedeutung, als hier das Verhältnis zwischen einem nachösterlichen Textzeugnis des Neuen Testaments und dem vorösterlichen Wirken Jesu exemplarisch bedacht werden kann. Das zum Verhältnis von Theologie und Ethik im Jakobusbrief, in: HORN/ZIMMERMANN, a.a.O., 309–327. 6 Vgl. MICHAEL WOLTER, Ethos und Identität in paulinischen Gemeinden, NTS 43, 1997, 430–444; DERS., Die ethische Identität christlicher Gemeinden in neutestamentlicher Zeit, in: WILFRIED HÄRLE/REINER PREUL (Hg.), Woran orientiert sich Ethik?, MJTh 13, Marburg 2001, 61–90. Für den Bereich des antiken Judentums verweise ich hier summarisch auf den Band: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn u.a. 2002. 7 Vgl. dazu Näheres mit Blick auf das Frühjudentum bei KARL-WILHELM NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: KONRADT/STEINERT, Ethos und Identität (Anm. 6), 27–50: 27–29 [in diesem Band 149–173].

1. Jesuanisches Ethos im Jakobusbrief

243

ergibt sich schon aus der impliziten Kommunikationssituation des Textes als eines Briefes des Herrenbruders an die „zwölf Stämme in der Diaspora“. 8 Wenn man die Konturen des Gottesverständnisses, des Menschenbildes und der Ethik des Jakobusbriefes mit dem Wirken Jesu in Beziehung setzt, treten Kontinuitäten in den Blick, die auch im Sinne von Grundimpulsen Jesu für das Ethos des Neuen Testaments entfaltet und interpretiert werden können. Dies gilt ganz unabhängig von der Beantwortung der Frage nach dem „historischen“ Autor des Briefes 9 oder auch vom Nachweis traditionsgeschichtlicher Verbindungen zwischen einzelnen Textstücken im Jakobusbrief und Teilen der Jesusüberlieferung. 10 Maßgebliche Koordinaten für ein „Ethos Jesu“, wie es hier vorausgesetzt wird, ohne im Einzelnen aufgewiesen werden zu können, 11 lassen sich herleiten vom Gottesverständnis Israels in Gestalt der in sich vielfältigen Ausprägungen frühjüdischer Religion, von der Tora als Gottes heilsamem Willen für Israel, wie sie insbesondere in den wiederum in sich vielfältigen Formen frühjüdischer Toraparänese rezipiert wurde, sowie von einem Menschenbild, das durch die Horizonte der Schöpfung Gottes, der Zugehörigkeit zum Gottesvolk Israel sowie der endzeitlichen Gegenwart der Gottesherrschaft im Wirken Jesu bestimmt ist. Die Verkündigung dieser endzeitlichen Gegenwart der Gottesherrschaft in seiner eigenen Gegenwart bildete den Kern und das eschatologisch und soteriologisch Neue des Wirkens Jesu in Wort und Tat und damit die Basis für ein spezifisch jesuanisches Ethos. Wenn sich der Autor des Jakobusbriefes – wer immer es historisch gewesen sein mag – im Präskript als „Gottes und des Herrn Jesu Christi Sklave“ vorstellt, dann unterstellt er damit implizit sämtliche im Brief folgenden Mahnungen, Weisungen und Zusagen „an die zwölf Stämme in der Diaspora“ der 8

Zur im Brief selbst vorausgesetzten Rezeption des Schreibens vgl. Näheres bei NIEin the Minds of the Recipients (Anm. 5), 44–48. 9 Ich greife im folgenden Abschnitt auf Überlegungen zurück, die ich im Rahmen einer in Arbeit befindlichen neutestamentlichen Anthropologie entwickelt und bereits in zwei Aufsätze zum Jakobusbrief einfließen lassen habe, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Seligpreisungen in der Bergpredigt nach Matthäus und im Brief des Jakobus. Zugänge zum Menschenbild Jesu?, in: Neutestamentliche Exegese im Dialog. Hermeneutik – Wirkungsgeschichte – Matthäusevangelium (FS U. Luz), hg. v. PETER LAMPE/MOISES MAYORDOMO/ MIGAKU SATO, Neukirchen-Vluyn 2008, 275–296; DERS., Ethik und Anthropologie nach dem Jakobusbrief (Anm. 5). 10 Vgl. dazu zuletzt JOHN S. KLOPPENBORG, The Reception of the Jesus Tradition in James, in: NIEBUHR/WALL, The Catholic Epistles and Apostolic Tradition (Anm. 5), 71– 100. 11 Etwas näher entfaltet habe ich dies in KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus’ „Conception of Man“ as an Expression of his „Ethics“, in: RUBEN ZIMMERMANN/JAN VAN DER WATT (Hg.), Moral Language in the New Testament. The Interrelatedness of Language and Ethics in Early Christian Writings. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament Ethics, Bd. 2, WUNT II/296, Tübingen 2010, 89–104. BUHR, James

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

Autorität Jesu, als dessen leiblicher Bruder er sich allein durch seinen Namen den Briefadressaten zweifelsfrei zu erkennen gibt. Das Ethos, das sich aus dem Jakobusbrief erheben lässt, muss also im Sinne der Autorintention als „jesuanisch“ angesehen werden, womit natürlich nicht ein nach neuzeitlichen Kriterien historisch rekonstruiertes Jesusbild gemeint sein kann, sondern allein dasjenige, was sich den Adressaten aus dem Brieftext und aus ihrem Vorwissen über Jesus nahelegt. Demnach kann Jesus für sie nicht allein als leiblicher Bruder des Briefschreibers verstanden werden, sondern muss zugleich als ¦”  (Jak 1,1) im Sinne der Gottesaussagen des Alten Testaments geglaubt und bekannt werden, dem sogar die göttliche ½ zugesprochen wird (2,1). Die Aussagen über den Glauben (¿Á , vgl. 1,3f.6f.; 2,1.5.14–26; 5,15) und über das Heil schaffende Wort Gottes (©   , 1,18; vgl. 2,7), dem sich das neue Leben der (zweifellos christlichen) Briefadressaten verdankt, sind offenbar vom Christusgeschehen her zu verstehen, ohne dass dessen theologische, christologische und soteriologische Grundzüge nach dem Verständnis des Autors und der Adressaten genau rekonstruiert werden könnten. Sie werden eben im Brief nirgends näher expliziert. 12 Insofern gehören sie eher zum „Ethos“, das im Brief bei Autor und Adressaten vorausgesetzt ist, als zu seiner explizit entwickelten theologischen Lehre. Auch Grundzüge des Gottesverständnisses, des Menschenbildes, der Ethik und der Endzeiterwartungen im Jakobusbrief können im Sinne einer österlichen Transformation von Grundimpulsen Jesu verstanden werden. Zentral für das Gottesverständnis des Briefes ist nicht bloß die Einheit des Gottes Israels, 13 sondern mehr noch seine schenkende und helfende Zuwendung zu dem, der Gutes von ihm erwartet, 14 freilich ebenso sein heimsuchendes Gericht über die Sünde der Menschen. 15 Menschsein nach den Maßstäben des Jakobusbriefes realisiert sich in erster Linie in einer Haltung des Bittens und Empfangens guter Gaben von Gott, freilich zugleich auch, daraus entspringend, im Ausleben dessen, was der Mensch von Gott empfangen hat. 16 Richtlinie für das in diesem Sinne vom Menschen geforderte Tun ist der Wille Gottes, wie er in der Tora grundsätzlich fixiert ist, freilich auf dieser Basis in konkreten Alltagsentscheidungen jeweils eigenständig aufgefunden und ins tägliche Leben umgesetzt werden muss. Dazu dient die ethische Unter-

12

Das bedeutet nicht, dass die Suche nach solchen theologischen, christologischen und soteriologischen Grundzügen im Jakobusbrief aussichtslos wäre, wie man eindrücklich an der Monographie von MATTHIAS KONRADT, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, StUNT 22, Göttingen 1998, lernen kann. 13 2,19; 4,12. 14 1,5f.12.17.21; 2,5. 15 1,15; 2,9–11; 4,4f.9f.12; 5,1–6. 16 1,22–27; 2,8–13.

1. Jesuanisches Ethos im Jakobusbrief

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weisung und Ermahnung im Brief, die im Wesentlichen den Bahnen frühjüdischer Toraparänese folgt. Die Tora bietet dort wie hier die Israel von Gott gegebene Grundlage und Ermöglichung für ein Tun und eine Haltung in Verantwortung vor ihm und gegenüber den Mitmenschen. In diesem Sinne sind Hören und Tun, „Glaube und Werke“ auch im Jakobusbrief einander zugeordnet und im vorlaufenden heilsamen Handeln Gottes an den Menschen verwurzelt. Konkretisiert wird das Tun des Menschen im Jakobusbrief, ebenfalls ganz frühjüdischer Toraparänese entsprechend, hinsichtlich bestimmter Anwendungsfelder wie der Sozialethik, 17 der Sexualethik 18 und, besonders akzentuiert, der so genannten „Zungensünden“. 19 Für das Gottes- und das Menschenbild des Jakobusbriefes ebenso wie für seine Ethik und seine Endzeiterwartungen sind darüber hinaus Motive, Sprachformen, Vorstellungen und bisweilen sogar wörtliche Zitate aus der biblischjüdischen Überlieferung erkennbar prägend. 20 Von daher hat man den Brief bisweilen sogar als ein jüdisches Werk mit lediglich oberflächlichen, vielleicht sogar sekundären christlichen Einschlägen ansehen wollen. 21 Wenn eine solche Sicht auch angesichts der oben benannten eindeutig christlichen Grundaussagen dem Brief unangemessen ist, so bleibt doch seine Zuordnung zu Texten der hellenistisch-frühjüdischen Literatur berechtigt, insbesondere mit Blick auf frühjüdische Diasporabriefe. 22 Das schließt natürlich Beziehungen zu paganen Konventionen und Konzeptionen keineswegs aus, lässt sie vielmehr gerade in diesem Kontext umso prägnanter hervortreten. Mit dem Gesagten kann man

17

1,9f.27; 2,1–7.15–17; 5,1–6. Im Jakobusbrief eher am Rande, vgl. 2,11. 19 1,26; 3,1–12.14; 4,11f.; 5,12. Dass in der frühjüdischen Toraparänese bestimmte Anwendungsfelder gelegentlich besonders ausgeweitet werden können, die im Wortlaut der Tora selbst nur relativ geringes Gewicht haben, zeigen z.B. das Beschneidungs- oder das Sabbatgebot, im Bereich des Ethos etwa auch das Verbot von Mischehen. Vgl. zum Ganzen KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987. 20 Vgl. nur 2,8.11.23.25; 4,6; 5,2.4.5.11. 21 Klassischer Vertreter dieser heute weitgehend aufgegebenen These war ARNOLD MEYER, Das Rätsel des Jacobusbriefes, BZNW 10, Gießen 1930. 22 Vgl. dazu MANABO TSUJI, Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung. Eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des Jakobusbriefes, WUNT II/93, Tübingen 1997, 5–50; KARL-WILHELM NIEBUHR, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe, NTS 44, 1998, 420–443; DONALD J. VERSEPUT, Genre and Story: The Community Setting of the Epistle of James, CBQ 62, 2000, 96–110, sowie zuletzt LUTZ DOERING, First Peter as Early Christian Diaspora Letter, in: NIEBUHR/WALL, Catholic Epistles and Apostolic Tradition (Anm. 5), 215–236; DERS., Jeremiah and the „Diaspora Letters“ in Ancient Judaism: Epistolary Communication with the Golah as Medium for Dealing with the Present, in: KRISTIN DE TROYER/ARMIN LANGE (Hg.), Reading the Present in the Qumran Library. The Perception of the Contemporary by Means of Scriptural Interpretations, SymS 30, Atlanta 2005, 43–72. 18

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

den Jakobusbrief also geradezu als Paradebeispiel für Möglichkeiten, Ziele und Herausforderungen des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti ansehen. Im Folgenden sollen dazu unter Verweis auf nichtliterarische, speziell epigraphische Zeugnisse aus römischer Zeit ein paar weiterführende Anregungen gegeben werden.

2. Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos 2. Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos Die Funktion der folgenden Hinweise auf Inschriften aus Kleinasien ist begrenzt. Es kann nicht darum gehen, traditionsgeschichtliche oder gar historische Linien zwischen einzelnen Aussagen im Jakobusbrief und den hier herangezogenen epigraphischen Zeugnissen aufzuweisen. Dazu fehlen sowohl mit Blick auf die Entstehungsverhältnisse des Jakobusbriefes als auch hinsichtlich der verwendeten Inschriftenkorpora ausreichend gesicherte Informationen. Weder nehme ich an, dass die Auftraggeber oder Hersteller der Inschriften den Jakobusbrief kannten, noch, dass der Briefautor mit Konventionen und Intentionen der Erstellung solcher Inschriften vertraut war. Mir geht es lediglich darum, anhand von ausgewählten Inschriften aus Kleinasien ein Rezeptionsmilieu zu erschließen, in dem der Jakobusbrief ebenso wie andere neutestamentliche Texte ihre Leser finden konnten. Den äußeren Anknüpfungspunkt für eine solche Fragestellung bildet allein die Benennung der Adressaten im Präskript des Briefes als „die zwölf Stämme in der Diaspora“. Ich befrage die Inschriften also lediglich daraufhin, was sie bezüglich einer möglichen Rezeption und Interpretation solcher neutestamentlichen Aussagen wie derjenigen des Jakobusbriefes im religiösen Kontext von Judentum, Christentum und paganer Religion in Kleinasien zu erkennen geben. Für die im Folgenden herangezogenen jüdischen Inschriften stütze ich mich auf den einschlägigen Band des Korpus der Inscriptiones Judaicae Orientis von Walter Ameling, 23 darüber hinaus für die christlichen Inschriften auf die Sammlung Early-Christian Epitaphs from Anatolia von Gary J. Johnson 24 sowie für die kleinasiatischen Beichtinschriften auf die Edition von Georg Petzl, 25 ergänzt durch einzelne weitere von Peter Herrmann und Hasan Malay

23

WALTER AMELING (Hg.), Inscriptiones Judaicae Orientis, Bd. 2: Kleinasien, TSAJ 99, Tübingen 2004 (= IJO II). 24 GARY J. JOHNSON, Early-Christian Epitaphs from Anatolia, SBL.TT 35, Atlanta 1995 (= ECEA). 25 GEORG PETZL (Hg.), Die Beichtinschriften Westkleinasiens, EpAn 22, Bonn 1994 (= BWK).

2. Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos

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publizierte Inschriften aus derselben Region. 26 Diese Auswahl dokumentiert nicht bloß meine begrenzte epigraphische Kompetenz, sondern hat zugleich auch heuristische Funktion. Es wird sich nämlich zeigen, dass bei vielen Inschriften eine sichere Identifikation als jüdisch, christlich oder pagan gar nicht möglich ist. Genau dieser Befund scheint mir aber hinsichtlich der hier ins Auge gefassten Rezeptionsmilieus für neutestamentliche Texte aufschlussreich und lässt sich vielleicht auch mit Blick auf die Funktion nichtliterarischer Quellen im Rahmen des CJHNT verallgemeinern. Offenkundig spiegeln die Inschriften ein Milieu, das durch allgemeine epigraphische Konventionen der hellenistisch-römischen Zeit, speziell der römischen Kaiserzeit, weit stärker geprägt ist als durch spezifische religiöse Traditionen, sei es jüdische, christliche oder pagane. Gleichwohl wird zu fragen sein, ob nicht angesichts einer solchen ‚epigraphischen koine‘ bestimmte Aussagen neutestamentlicher Texte, im speziellen Fall des Jakobusbriefes, doch von den Inschriften her noch einmal in einem neuen Licht erscheinen, wenigstens was ihre zu vermutende Rezeption von der römischen Kaiserzeit an bis in die Spätantike betrifft. Natürlich muss zugleich auch diese Auswahl der herangezogenen Inschriftenkorpora in ihrer Relevanz wieder eingegrenzt werden. Zwar stammen alle hier betrachteten Inschriften aus Kleinasien, aber weder chronologisch noch lokal lassen sie sich spezifischen Milieus zuweisen. Die Datierungen reichen im Wesentlichen vom 2. bis ins 5. Jh. Die Regionen, aus denen die Inschriften stammen, umfassen hauptsächlich das westliche Kleinasien mit Schwerpunkten in Karien, Lydien und Phrygien, lassen sich aber (abgesehen von den Beichtinschriften) nicht auf einzelne Ortslagen oder auch nur Regionen eingrenzen. Inhaltlich konzentriere ich mich im Folgenden auf Belege für das in den Inschriften hervortretende Ethos. Besonderes Gewicht kommt dabei einerseits im engeren Sinne ethischen Aussagen, also Verhaltensweisen, Mahnungen und Wertbegriffen, zu, darüber hinaus Verweisen auf (einen) Gott (in der Regel als Richter und Rächer für Vergehen) sowie Hinweisen auf religiöse Überzeugungen oder Autoritäten, die dem betreffenden Ethos zugrunde liegen. Als Inschriftengattungen kommen angesichts der herangezogenen Korpora in erster Linie Epitaphien, darüber hinaus Votiv- und Stifterinschriften in Frage. 2.1 Jüdische Inschriften aus Kleinasien Beginnen wir bei den jüdischen Inschriften mit den recht zahlreichen Epitaphien aus Hierapolis in Phrygien. 27 Ihre Identifizierung als jüdisch hängt, wie bei den Inschriften allgemein, meist allein an entsprechenden ausdrücklichen

26 PETER HERRMANN/HASAN MALAY, New Documents from Lydia. With 103 Figures and a Map, Ergänzungsbände zu den Tituli Asiae Minoris 24, Wien 2007 (= NDFL). 27 IJO II, Nr. 187–209.

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

Zusätzen zum Namen des Begrabenen oder dem seiner Verwandten. 28 Hinweise auf die Tora als jüdisches Erkennungszeichen gibt es, sehr selten und z.T. nur schwer sicher identifizierbar, allenfalls im Zusammenhang mit Berufsbezeichnungen oder bestimmten biographischen Merkmalen. 29 Darüber hinaus lassen sich gelegentlich Inschriften anhand spezifischer Symbole wie der Menora oder des Lulav als jüdisch identifizieren. Nur bei sehr späten Inschriften finden sich manchmal auch hebräische Wörter oder Schriftzeichen. 30 Ansonsten folgen die jüdischen Grabinschriften weitgehend den üblichen Mustern für Epitaphien: Bezeichnung der Grabstelle und ihres Eigentümers, Namen der dort schon und/oder künftig noch Begrabenen, gegebenenfalls deren nähere persönliche Merkmale (Verwandtschaftsverhältnisse, Herkunft, Berufe, Ehrentitel), das Verbot fremder Nutzung oder Schändung der Grabstelle, die Festlegung einer Grabmult bei Zuwiderhandlung und eine Benennung der Adressaten für entsprechende Zahlungen sowie gelegentlich Verweise auf Abschriften in Archiven. 31 Spezifisch jüdische Merkmale können, müssen aber keineswegs immer in die genannten Formelemente der Epitaphien einfließen, etwa wenn als Aufbewahrungsort der Kopie der Inschrift ein „Archiv der Juden“ genannt wird 32 oder als Empfänger der Grabmult „das Volk der Juden“ 33 bzw. „die allerheiligste Synagoge“ erscheint. 34 Irgendwelche religiösen Aussagen, etwa über Zukunftserwartungen bzw. -hoffnungen, fehlen hier, offenbar gattungsbedingt, völlig. 35

28 Vgl. den Index „3. Geographica und Ethnica“ in IJO II, 596–598, s.v. Ù” ,   , Ú”. Eindeutig jüdisch (oder vielleicht christlich?) zu identifizieren sind wohl auch die unter „1. Personennamen“, IJO II, 582–596, s.v. ¹˜  ,  

­,  ¦ ,   ,  ,   ›,  ¦ ,  ­›,  ,   ,   , ­, Ûœ , Û , ž  , ž , ž  , ž” , ž­, Aufgeführten (Orthographie jeweils nach der Schreibung im Index bei Ameling). 29 Vgl. z.B. IJO II, Nr. 63 (dazu AMELING, a.a.O., 238f.); Nr. 14 (AMELING, a.a.O., 87f.). 30 Vgl. z.B. für Akmoneia IJO II, Nr. 170 (4. Jh.). Zu den Kriterien für die Aufnahme in ein Korpus jüdischer Inschriften vgl. insgesamt AMELING, a.a.O., 8–21. 31 Vgl. zur Einführung auch PIETER W. VAN DER HORST, Ancient Jewish Epitaphs. An introductory survey of a millennium of Jewish funerary epigraphy, 300 BCE – 700 CE, CBET 2, Kampen 1991. 32 IJO II, Nr. 205. 33 IJO II, Nr. 206. 34 IJO II, Nr. 191. 35 Zu den Zukunftserwartungen in jüdischen Grabinschriften insgesamt vgl. JOSEPH S. PARK, Conceptions of Afterlife in Jewish Inscriptions. With Special Reference to Pauline Literature, WUNT II/121, Tübingen 2000; s. dazu aber auch die ausführliche kritische Rezension von ROLAND DEINES, ZDPV 120, 2004, 86–96.

2. Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos

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Bezeichnend für die Benennung der religiösen Identität des Urhebers der Inschrift und damit für sein Ethos ist eine besonders ausführlich gehaltene Inschrift auf dem Sarkophag eines Glykon. 36 Nach einer Beschreibung des Grabbauwerks, der konventionellen Benennung des Grabeigentümers, seiner Frau und seiner künftig dort zu begrabenden Kinder sowie dem Verbot von Fremdbestattungen werden hier mehrere Stiftungen von „Kranzgeldern“ aus seinem Nachlass genannt, aus deren Zinsertrag jährlich zu bestimmten Tagen das Grab geschmückt werden soll: Er hinterließ auch dem ehrwürdigsten Vorstand der Purpurfärber an Kranzgeld (›  [] [” ]) 200 Denare, damit jedem von den Zinsen sein Anteil gegeben werde im 7. Monat, am Fest der ungesäuerten Brote ( À Ÿ”À • Ѧ). Ebenso hinterließ er dem Verein der Teppichweber (?) an Kranzgeld 150 Denare, wovon sie selbst die Zinsen ausgeben werden, indem sie die Hälfte am Fest der Kalenden ( À Ÿ”À •  •) verteilen, im vierten Monat, am achten Tag, und die Hälfte am Fest des 50. Tages ( À Ÿ”À  “ ).

Die größte (im Vergleich zum Üblichen aber eher kleine) Summe ist für den Grabschmuck zum Passafest bestimmt, eine etwas kleinere zu gleichen Teilen für das „Fest der Kalenden“ und das „Fest des 50. Tages“, also das jüdische Wochenfest. Zwischen zwei spezifisch jüdischen Jahresfesten – über deren Begehung in der Diaspora wir freilich recht wenig wissen 37 – steht hier ein paganes. Ob der Bestattete und seine Angehörigen neben den jüdischen Festen auch selbst die Kalenden des Januar festlich begangen haben oder ob durch den Grabschmuck zu diesem Fest lediglich deren öffentliche Bedeutung in der Stadt herausgestellt werden sollte, vielleicht sogar die Empfänger der betreffenden Stiftung selbst gar keine Juden waren, muss und kann hier offenbleiben. Für das Ethos, das aus der Inschrift spricht, ist jedenfalls die unterschiedslose Aneinanderreihung der drei Feste bezeichnend. Vergleichbar erscheint eine Inschrift auf einem kleinen Grabaltar aus Akmonia in Phrygien, die eine Stiftung von Gartenwerkzeug (zwei Hacken, eine Schaufel und ein Spaten) bezeugt, versehen mit der Auflage, daß sie jedes Jahr (das Grab) meiner Gattin Aurelia … mit Rosen schmücken. Wenn sie es nicht jedes Jahr mit Rosen schmücken wollen, sollen sie sich vor der Gerechtigkeit Gottes verantworten ([ª] ˜  “”¢[] [¡]  ¦[]  ). 38

36

IJO II, Nr. 196 (nach 212 n. Chr). Vgl. GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, in: DERS., Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000, 23–121: 63– 70. 38 IJO II, Nr. 171 (nach 212 bzw. 215 n. Chr.); AMELING, IJO II, 359, begründet gegen Ramsay u.a. den jüdischen Ursprung der Inschrift. 37

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

Offenbar steht hier das ursprünglich römische Fest der rosalia im Hintergrund, das schon früh auch von den Christen aufgenommen und beibehalten wurde. 39 Die Inschrift endet mit einer Fluchformel gegen Zuwiderhandlungen, einer Variante der sogenannten „Eumeneian Formula“, 40 die hier speziell auf die „Gerechtigkeit Gottes“ verweist. Eine Grabinschrift aus Nikomedeia in Bithynien 41 unterstellt denjenigen, der das Grab fremdnutzt, dem Gericht Gottes und schließt mit einer Segensformel: Und ich will, daß nach meinem Hineinlegen kein anderer hineingelegt wird, wenn nicht mein Kind. Wer aber dagegen etwas tun wird, der soll sich vor dem Gericht Gottes verantworten (Þ½¤ ” “”¢¢ ). Segen für alle (˜© “Âß à). 42

Auch in einer Inschrift auf einem Familiengrab in Eumeneia begegnet ein theologisch untermauerter Fluch über denjenigen, der unbefugt das Grab nutzen sollte: In ihm wird auch seine Ziehschwester Philete begraben werden, und wenn er es zu Lebzeiten einem anderen gestatten wird. Wer aber versuchen sollte, einen anderen zusätzlich hineinzulegen, der wird vom unsterblichen Gott die ewige Geißel erhalten (  “ ”«     © §­ ). 43

In einer Grabinschrift aus Akmonia werden bei Fremdnutzung des Grabes gar die „Flüche, die im Deuteronomium aufgeschrieben sind“, angedroht ( ’ ” ‘  ©©” œ  ° á”Ê). 44 Bei aller Konventionalität, die mit solchen Fluchformeln einhergeht, sollte man die Ernsthaftigkeit der religiös

39

So AMELING, a.a.O., 361. S. dazu u., 252f. 41 IJO II, Nr. 155 (Mitte 3. Jh.). 42 Nach AMELING, a.a.O., 329, beweist diese Segensformel den jüdischen Charakter der Inschrift. 43 IJO II, Nr. 186 (nach 212 n. Chr.). Auch hier ist wieder mit Blick auf die Fluchformel jüdischer oder christlicher Ursprung zumindest diskutabel, vgl. AMELING, a.a.O., 397f. 44 IJO II, Nr. 173 (datiert 248/9), vgl. auch IJO II, Nr. 172: ” ² ©©” œ §, am ausführlichsten IJO II, Nr. 174: “ ”  ·  ( ‘) ² ” ‘  ° á”Ê §‘ ©©” œ ˜°  ( ‘) œ   ( ‘) ©©  ( ‘) “ ‘ ° ©œ ˜ ©œ . Eine Inschrift aus Apameia (IJO II, Nr. 179) verweist pauschal auf „das Gesetz der Juden“ (¢  []• ¹§œ). Gemeint sind offenkundig die Fluchreihen in Dtn 27f. Zu deren Bedeutung im Rahmen frühjüdischer Toraparänese vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 19), 12–15. Der Name ÂÃÅÃÇÈÊËÈ für das fünfte Buch des Pentateuch geht zurück auf eine missverständliche Übersetzung der hebräischen Wendung mishneh-hattora in Dtn 17,18 LXX, wo eine „Abschrift des Gesetzes“ erwähnt wird, die der König Israels nach seiner Thronbesteigung anfertigen lassen soll. Als Buchtitel ist die griechische Bezeichnung freilich nur in (christlichen!) Septuagintahandschriften und in der Vulgata belegt. 40

2. Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos

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begründeten Gerichtsdrohungen nicht unterschätzen. Andernfalls verlören die Formeln ja wohl ihre Funktion! 45 Besonders zahlreich und daher in vieler Hinsicht aufschlussreich sind die Stifterinschriften in der Synagoge von Sardeis in Lydien. 46 Sie betreffen zumeist Stiftungen zur Ausstattung bzw. Renovierung der Synagoge und werden in das 4. Jh., bei Renovierungen sogar noch später datiert. Ich greife hier nur einen Aspekt auf, der im Blick auf das sich darin spiegelnde Ethos gerade im Vergleich mit dem Jakobusbrief interessant erscheint. Viele der Inschriften verweisen neben dem Stifter und dem Gegenstand der Stiftung formelhaft auch auf die Herkunft der dazu verwendeten finanziellen Mittel. Häufig begegnet dabei (im Unterschied zu der in Stifterinschriften üblichen Wendung  • §) die Formulierung „aus den Gaben der Vorsehung“ ( •  “”  ). 47 Gelegentlich wird diese Formel noch variierend erweitert. 48 Einmal erscheinen freilich bezeichnenderweise als Quellen des Vermögens, aus dem die Stiftung finanziert werden soll, neben der Vorsehung auch „die Mühen unserer Eltern“ (• © • • ); hier handelt es sich also offenbar um eine Erbschaft. 49 Wieweit solche Abwandlungen und Erweiterungen schon als gezielte theologische Vertiefungen zu verstehen sind, kann man natürlich fragen. Vermutlich darf man aber in dem Hinweis auf die himmlischen Quellen des Wohlstands, der offenbar bei jüdischen Auftraggebern von Inschriften besonders beliebt war, einen schönen Beleg für ihr religiös geprägtes Ethos bezüglich des Umgangs mit irdischem Vermögen sehen. Der inschriftlich ebenso belegte Verweis auf das eigene Vermögen bzw. die eigenen Mühen, mit denen es erworben wurde, 50 verleiht dieser epigraphischen Konvention ihr spezielles Pro-

45 Zur Frage, in welcher Hinsicht die Inschrift als jüdisch zu bezeichnen ist und inwiefern die „Flüche des Deuteronomium“ für Juden, Heiden und Christen in Kleinasien Bedeutung haben konnten, vgl. AMELING, IJO II, 367f.; VAN DER HORST, Ancient Jewish Epitaphs (Anm. 31), 56–58; PAUL R. TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge 1991, 60–69. TREBILCO, a.a.O., 67f., urteilt: „The inscriptions presume an amount of knowledge on the part of any reader and a great deal of respect for this Book, or perhaps for the God whose curses were written in the Book. The mere mention of ‚Deuteronomy‘ is presumed to be a sufficient deterrent.“ Zu Fluchformeln auf griechischen Inschriften Kleinasiens vgl. umfassend JOHAN STUBBE, Arai Epitymbioi. Imprecations against desecrators of the grave in the Greek epitaphs of Asia Minor. A Catalogue, IGSK 52, Bonn 1997. 46 IJO II, Nr. 60–145. 47 So (oder ähnlich) IJO II, Nr. 77, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 132. 48 IJO II, Nr. 90:  • ”•  “  ”” (); IJO II, Nr. 91: Ì[ •  ?] [”• …]; vgl. auch IJO II, Nr. 19 (Aphrodisias, 4. Jh.):  •   . 49 IJO II, Nr. 124. 50 Vgl. dazu AMELING, IJO II, 282f.

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

fil. Natürlich kann das schwerlich als Unterscheidungskriterium zwischen jüdischen, christlichen und paganen Inschriften dienen. 51 Gleichwohl belegt es ein geistiges Milieu, in dem ein Satz wie der aus Jak 1,17 auf offene Ohren treffen konnte: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben“ (“   © ¡ ‘ “ ­” œ  ± œ  ). 2.2 Christliche Inschriften aus Kleinasien Ob die oben genannten Epitaphien mit Fluchformeln gegen Fremdnutzer von Grabstellen jüdische oder christliche Urheber hatten, muss im Einzelfall offenbleiben. Wenigstens zeigt sich zumindest darin eine gewisse theologische Verwandtschaft von Juden und Christen, dass der Verweis auf den Gott, der im „Deuteronomium“ spricht, für beide Geltung haben konnte, unabhängig davon, welche weiteren spezifischen religiösen Vorstellungen sie mit ihrem Glauben an diesen Gott verbanden. Dass Gott Geber guter Gaben, aber auch strenger Richter ist, war wohl ebenfalls gemeinsame Glaubensüberzeugung von Juden und Christen, und auch auf die Flüche, „die im Deuteronomium aufgeschrieben sind“, konnten sich beide berufen. Wieweit auch Heiden solche Drohungen ernst nahmen, die mit einem Verweis auf das „Deuteronomium“ bzw. das „Gesetz der Juden“ ausgesprochen wurden, ist eine Frage, die kaum zu beantworten sein dürfte. Immerhin werden die Auftraggeber der zitierten Inschriften vermutlich davon ausgegangen sein, dass sie bei jedem in Frage kommenden Leser ihre Wirkung erzielen würden. Sicherstes Kennzeichen für christliche Auftraggeber von Inschriften ist zweifellos die, freilich nur in nordwestphrygischen Inschriften belegte, Formel Christianoi Christianois, ein christliches Erkennungsmerkmal, das öfters noch durch spezifische Symbole bzw. Kürzel wie das Christus-Monogramm, das Alpha/Omega oder das Kreuzeszeichen bestätigt wird. 52 Darüber hinaus gibt es natürlich weitere Erkennungszeichen für christliche Epitaphien wie etwa den Verweis auf das Martyrium 53 oder die aramäische Wendung marana than (in griechischen Buchstaben!). 54 Dagegen lässt sich die so genannte „Eumeneian Formula“ Þ½ (ª ˜°) “”¢ ¢  nicht eindeutig jüdischem oder

51 Vgl. AMELING, a.a.O., 121f., zur Wendung  •   in einer Weiheinschrift aus Aphrodisias (IJO II, Nr. 19): „Im Hintergrund der Formel steht die Vorstellung, daß alle Dinge Gott gehören, und daß das, was der Mensch Gott gibt, ohnehin aus Gottes Hand stammt … Auch wenn die ‚Geschenke Gottes‘ in unserem Text eher dem jüdischen Formular zu entsprechen scheinen, ist es letztlich doch nicht zu beweisen, daß es sich wirklich um eine jüdische Inschrift handelt, denn die Formel wird auch in christlichen Inschriften häufig benutzt … Selbst die Verwendung durch Heiden ist nicht ausgeschlossen …“. 52 Vgl. dazu JOHNSON, ECEA, 39ff. 53 ECEA, Nr. 4.2, 4.3, 4.4, 4.7. 54 ECEA, Nr. 4.1.

2. Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos

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christlichem Ursprung zuweisen, 55 und selbst pagane Epitaphien scheinen vergleichbare Fluchformeln tragen zu können, wie die Sarkophaginschrift eines Aurelios Chrysogonos, Sohn des Aurelios Hermaios, und seiner Frau Aurelia Artemis aus Termessos zeigt, die als Empfänger der Grabmult „Zeus Solymos“ nennt. 56 Oder wollte der Steinmetz mit dieser Bezeichnung in ihm vertrauter Weise den Gott Israels benennen? Jedenfalls erscheint in einer anderen Grabinschrift vom selben Ort offenbar dieselbe Aurelia Artemis, Tochter des Aurelios Hermaios, des Vaters des Aurelios Chrysogonos, ausdrücklich als Jüdin. 57 Bei zwei Inschriften aus Eumeneia wird angenommen, dass es sich um christlich verarbeitete bzw. erweiterte Formulierungen mit jüdischem Einfluss handelt. Einmal lautet die Formel hier ª ˜° “”¢ ¢ œ© Ö  , 58 das andere Mal ª ˜° “”¢ ¢ ѕ ¢ ‘  ‘  À ” Ê œ”¥. 59 Aber auch eine wegen der Formel „Christen für Christen“ eindeutig christliche Inschrift aus Kotiaeion in Phrygien endet mit einem unspezifischen Verweis auf das göttliche Gericht: ¢    ©[]– ¡    („Bei Gott, der du dies liest, tu kein Unrecht!“). 60 Auf einer Grabstele aus Nikaia in Bithynien wird der Grabschänder folgendermaßen dem göttlichen Gericht unterstellt: ·  ­ ©[] °  œ”¥

”. 61 Weder die Konventionen der Formulierung noch auch theologisch derart ‚aufgeladene‘ Wendungen wie die Fluchandrohungen für Grabschänder bieten somit ausreichende Kriterien für die sichere Unterscheidung zwischen jüdischen, griechischen oder paganen Grabinschriften. Auch darin zeigt sich ein charakteristischer Zug des Ethos, das sich in diesen inschriftlichen Zeugnissen 55

Vgl. dazu JOHNSON, ECEA, 41–43; AMELING, IJO II, 393ff., der eine erweiterte Fassung zitiert: ª ˜° “”¢ ¢ œ© Ö  . Die ganze Inschrift bei JOHNSON, ECEA, Nr. 1.24. JOHNSON, a.a.O., 42, urteilt: „The major danger in categorizing monuments which bear the Eumeneian Formula is (again) the danger of confusing Christians and Jews. Indeed, such confusion may well be unavoidable, since there is general agreement that both groups probably used the formula. However, Jewish use appears (given our present stage of knowledge) to be the exception, and Christian use appears to be the rule.“ 56 ECEA, Nr. 1.16: ‘ ª ˜° [‘] “”¢ –  £œ. 57 IJO II, Nr. 216; AMELING, a.a.O., 453f., erwähnt und zitiert noch eine weitere Inschrift aus derselben Familie mit einer an Zeus Solymos zu zahlenden Grabmult (nach TAM III 1, 612). Darüber hinaus verweist er darauf, dass „Zeus Solymeus … der große Gott von Termessos“ war, „dem die Grabmult in zahlreichen Inschriften zugewiesen wird“, und dass die Solymoi als Ureinwohner Lykiens galten (ebd., Anm. 21). 58 ECEA, Nr. 1.24; vgl. dazu AMELING, IJO II, 394, Anm. 150. 59 Zitiert bei AMELING, IJO II, 394f.; weitere Belege für die Formel bei JOHNSON, ECEA, Nr. 2.16–2.19. 60 ECEA, Nr. 2.7; JOHNSON, a.a.O., 52, verweist auf „explicitly non-Christian dedications in northwestern Phrygia“ mit denselben Fluchformeln. 61 ECEA, Nr. 2.20 (Übers. JOHNSON: „the lawbreaker will give account to God on Judgement Day“).

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

spiegelt, dass die Glieder christlicher und jüdischer Gemeinschaften in Kleinasien offenbar wesentliche Auffassungen im Blick auf ein göttliches Gericht nicht nur miteinander, sondern sogar mit ihrer paganen Umwelt teilten. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Juden und Christen darüber hinaus auch noch andere, sehr viel spezifischer in ihrem Glauben verwurzelte Überzeugungen über Gott als Richter und über ihr individuelles Geschick im Endgericht vertreten haben mögen. Immerhin mag es doch aber zu denken geben, dass solche Auffassungen offenbar in ihren Grabinschriften keinen Ausdruck gefunden haben. 2.3 Pagane Beichtinschriften aus Kleinasien Dieser letzte Aspekt tritt nun auch deutlich in den eindeutig paganen so genannten „Beichtinschriften“ („confessions“) aus Kleinasien vor Augen. Es handelt sich dabei um in Stein gemeißelte öffentliche Sündenbekenntnisse, oft mit bildlichen Darstellungen versehen, die sämtlich aus dem westlichen Kleinasien, vor allem aus ländlichen Gebieten in Lydien und Phrygien stammen und auf die Zeit zwischen 50 bis 250 n. Chr. datiert werden. Sie sind in der Regel so aufgebaut, dass nach Anrufung einer Gottheit 62 die Vergehen des Auftraggebers der Inschrift bzw. seiner Vorfahren oder Angehörigen benannt werden, anschließend die von dem Gott als Strafe hervorgerufenen negativen Folgen, die er bzw. sie deswegen zu erleiden hatte(n) (meist Krankheiten oder Tod, der eigene oder der von Angehörigen). Es folgen die Sanktionen der Gottheit, meist die Errichtung der betreffenden Stele, aber auch materielle Leistungen an den Gott, sc. das Tempelpersonal, oder Ausgleichszahlungen an Geschädigte, und schließlich Aussagen über Gnadenerweise des Gottes (z.B. Heilungen) und Dankesbezeugungen an ihn. 63 Die Vergehen, die hier gebeichtet werden, sind zum großen Teil kultischer Art: das Betreten des Tempels eines Gottes oder seines Bezirks im unreinen

62 Häufig begegnet der Gott Men/Meis, der offenbar in dieser Region in verschiedenen lokalen Ausprägungen besondere Verehrung genoss. Oft wird er auf den Stelen auch bildlich dargestellt, entweder aufrechtstehend mit Skeptron und phrygischer Kappe sowie über den Schultern mit einer nach oben offenen schmalen Mondsichel (Abbildungen bei PETZL, BWK, Nr. 3, 51, 52, 58, 61, 67; HERRMANN/MALAY, NDFL, Nr. 72) oder allein durch das Symbol der nach oben offenen Mondsichel (Abbildungen bei PETZL, BWK, Nr. 4, 5, 6, 18, 57, 59, 62, 63; HERRMANN/MALAY, NDFL, Nr. 51, 52, 70). 63 Vgl. dazu ausführlich PETZL, BWK, VII–XVIII. Zahlreiche der im Folgenden herangezogenen Inschriften werden auch behandelt bei GEORG PETZL, Die Beichtinschriften im römischen Kleinasien und der Fromme und Gerechte Gott, Opladen/Wiesbaden 1998.

2. Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos

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Zustand, 64 der Verzehr von Speisen, von denen nicht zuvor die vorgeschriebenen Opferanteile dargebracht worden waren, 65 mangelhafte oder unreine Kultteilnahme, 66 Nichteinlösung von Gelübden, 67 wissentliche oder unwissentliche Nutzung von Erträgen aus Tempelgrundstücken, 68 das Weiden von Vieh im Tempelhain. 69 Manchmal werden die Vergehen nicht konkret benannt, entweder weil sie dem Auftraggeber und seinem Umfeld ohnehin bekannt waren, oder weil es sich um unwissentliche Sünden handelt, die nicht einmal dem Sünder selbst bekannt waren, deren Folgen, etwa Krankheit, er aber spürbar zu tragen hatte. 70 In einem Fall besteht das Vergehen einer Kranken darin, Ärzte konsultiert zu haben, ohne zuvor den Gott anzurufen. 71 Öfters handelt es sich bei den gebeichteten Vergehen freilich auch um konkrete Verhaltensweisen aus dem zwischenmenschlichen Bereich wie etwa Meineid, 72 Betrug im Geschäftsleben, 73 Diebstahl, 74 Verleumdung, 75 Verfluchung, 76 sexuelle Verfehlungen und Eheangelegenheiten 77 bis hin zur Missachtung der Schwiegermutter. 78

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BWK, Nr. 19: „Da ich, Marcia, Tochter des Arios (oder -es), hineinging (ins Heiligtum?), wobei ein Tag fehlte …“; vgl. auch NDFL, Nr. 83. 65 BWK, Nr. 1: „Meidon, Sohn des Menandros, veranstaltete im Heiligtum des Zeus Trosu ein Trinkgelage, und (seine) Diener aßen Fleisch, das (noch) nicht geopfert war …“. Den besonders dramatischen Fall einer gewaltsamen Tempelschändung durch eine von einem Fest kommende bewaffnete Meute schildert ausführlich und plastisch NDFL, Nr. 84. 66 BWK, Nr. 16: „weil (er [?]fünf / bei) Tage weggeblieben war …“; Nr. 36: „Die Elpis hat den Men Labana(s) verachtet und sein Podium ohne (vorherige) Waschung bestiegen und sein Podium und seine Tabletts untersucht.“; Nr. 43: „… weil ich mich auf dem Platz in unreinem Gewand befunden habe“. 67 BWK, Nr. 45: „Nachdem Diogenes dem Zeus Peizenos für sein Rind ein Gelübde getan und (es) nicht eingelöst hatte …“; vgl. auch NDFL, Nr. 55. 68 BWK, Nr. 9: „Da Menophilos heiliges Gehölz gekauft hatte, wurde er deswegen von dem Gott bestraft …“; Nr. 10: „Stratonikos, Sohn des Euangelos, hatte aus Unwissenheit eine Eiche des Zeus Didymeites gefällt …“; vgl. auch NDFL, Nr. 70. 69 BWK, Nr. 7: „Da die Götter der Perkenoi Zeus Oreites gewarnt hatten, man solle kein Vieh im Hain weiden lassen, sie (d.h. die Leute) nicht gehorchten, bestraften sie (d.h. die Götter) den Eumenes Junior …“. 70 So BWK, Nr. 11, 12, 24, 38. 71 NDFL, Nr. 46. 72 Vgl. BWK, Nr. 2, 15, 27, 105, 120. 73 Vgl. BWK, Nr. 17, 18, 34. 74 BWK, Nr. 3; vgl. auch Nr. 22, 35; NDFL, Nr. 55, 66. 75 Vgl. BWK, Nr. 25. 76 BWK, Nr. 44: „Theodote [hatte dem] Glykon, ihrem Zögling, [geflucht], als [er] die Hände gegen sie erhoben und sie [mißhandelt] hatte …“. 77 BWK, Nr. 5; NDFL, Nr. 52. 78 BWK, Nr. 21: „Trophimos, der … Sohn des Apollonios, mißachtete seine Schwiegermutter Ammia …“. Innerfamiliäre Konflikte spiegelt auch NDFL, Nr. 85 (vgl. dazu die ausführlichen Erläuterungen bei HERRMANN/MALAY, a.a.O., 113–116).

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

Einige wenige Beispiele seien hier im Wortlaut präsentiert. So bringt etwa eine Inschrift aus dem Territorium von Silandos eine ganze Reihe von sexuellen Verfehlungen des Theodoros zur Sprache, für die er vom Gott mit einer Augenkrankheit bestraft wurde. Die Inschrift insgesamt beleuchtet mit ihrer Wechselrede zwischen dem Gott, dem Übeltäter und dem „Erzähler“ sehr schön den ganzen Vorgang, der sich hinter den Beichtinschriften verbirgt: (Ich – d.h. der Delinquent – habe die Aussöhnung mit der göttlichen Macht in die Wege geleitet) entsprechend ich von den Göttern, (d.h.?) von Zeus und dem großen Men Artemidoru zur Einsicht gebracht worden bin. – Ich habe den Theodoros an seinen Augen bestraft entsprechend den Sünden, die er begangen hat ( « « ¸ ” , ä “¦). – Ich bin zusammengekommen mit der Trophime, der Sklavin des Haplokomas, der Frau des Eutyches, im Praetorium (?). – Er nimmt die erste Verfehlung hinweg ( “ ” ¡ “”­ ¸ ” ) mit einem Schaf (bzw. Ziege), einem Rebhuhn und einem Maulwurf. – Zweite Verfehlung (œ” ¸ ” ): obwohl ich ein Sklave der Götter in Nonu war, kam ich mit der unverheirateten Ariagne zusammen. – Er nimmt (die Verfehlung) hinweg mit einem Ferkel (und) einem Thunfisch. – Bei der dritten Verfehlung kam ich zusammen mit der unverheirateten Arethusa. – Er nimmt (die Verfehlung) hinweg mit einem Huhn (oder einem Hahn), einem Spatz und einer Taube; mit einer Kypros Gersten-Weizen-Gemisch und mit einer Prochos Wein. Eine Kypros Weizen (hat er) als Reiner (ÐÑÇÊ ) den Funktionären des Heiligtums (abgeliefert, des weiteren an Wein) eine Prochos. – Als Rechtsbeistand (“ ” ) erhielt ich den Zeus. – (Dieser spricht:) ‚Siehe! Ich hatte ihn entsprechend seinen Taten geblendet, jetzt aber hat er die Fehler getilgt / wiedergutgemacht ( ”¦ « ¸ ” ), indem er die Götter gnädig gestimmt und (den gesamten Vorgang) auf einer Stele aufgezeichnet hat.‘ – (Der Gott [etwa Men Artemidoru?] verkündet) von dem Rat gefragt: ‚Ich bin gnädig (Ò å ), da meine Stele aufgestellt wird an dem Tag, den ich festgesetzt hatte. Du magst das Gefängnis öffnen, ich entlasse den Delinquenten (½ › ¢  ), da ein Jahr und zehn Monate herumgehen (?).‘ 79

Einen wohl nicht selten vorkommenden, da schwer nachweisbaren Diebstahl in der Therme belegt die folgende Inschrift: Da das Skeptron 80 für den Fall aufgestellt worden war, daß jemand aus dem Badehaus etwas entwendet, bestrafte der Gott, als nun ein Hemd gestohlen worden war, den Dieb (· ¢ œ ¢ œ“) und bewirkte, daß er nach einiger Zeit das Hemd zum Gott brachte, und er tat ein Geständnis. Der Gott nun befahl durch einen Engel, das Hemd zu verkaufen und die Manifestationen seiner Macht («  ) auf einer Stele niederzuschreiben. 81

Gemeinsam ist den hier bekannten Verfehlungen zum einen, dass sie in der Regel zwar justiziabel, aber oft nur schwer nachweisbar und daher nicht unmittelbar juristisch sanktionierbar waren. Erst dadurch, dass dem Übeltäter offenkundig Unheil widerfahren war, das er als Strafe des Gottes annahm, fühlte 79

BWK, Nr. 5 (235/6 n. Chr.; Übersetzung mit allen Ergänzungen hier wie im Folgenden nach Petzl). 80 Zum Zeichen dafür, dass man die Ahndung einer im Verborgenen begangenen Straftat dem Gott überließ, konnte im Heiligtum auch schon vorsorglich ein Skeptron, das Zeichen des Gottes Men, aufgestellt werden. Vgl. dazu PETZL, Beichtinschriften (Anm. 63), 11. 81 BWK, Nr. 3 (Territorium von Sittai, 164/5 n. Chr.).

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er sich zum öffentlichen Bekenntnis seiner Verfehlungen bewogen. Mit Hilfe seiner am Heiligtum deklarierten Beichte und der damit verbundenen religiösen und materiellen Leistungen suchte er Befreiung von den göttlichen Sanktionen. Auf diese Weise konnte zugleich die öffentliche und die kultische Rechtsordnung wiederhergestellt werden. Damit belegt das uns hier begegnende Verfahren zugleich auch, dass zwischen „ethischen“ und „kultischen“ Vergehen in den kleinasiatischen Gesellschaften der römischen Kaiserzeit und der Spätantike kein kategorialer Unterschied gemacht wurde. Besonders aufschlussreich sind diejenigen Beichtinschriften, bei denen etwa Meineid und kultische Verunreinigung explizit in ein ursächliches Verhältnis miteinander gesetzt werden. So heißt es in einer Inschrift aus dem Heiligtum des Apollon Lairbenos in Phrygien: Ich, Sosandros aus Hierapolis, bin nach einem Meineid (bzw. Bruch eines Eides) in unreinem Zustand in den gemeinsamen Tempel hereingegangen (“ ”   ‘± ©§  §¢¦); mich traf die Strafe; ich verkünde, daß niemand dem Lairmenos Verachtung entgegenbringen darf, da ihm meine Stele als warnendes Beispiel dienen wird. 82

Auch Vergehen im zwischenmenschlichen Bereich bedeuteten eine Versündigung gegenüber dem Gott, der darauf mit empfindlichen Strafen reagieren konnte. Ob Ärger mit der Schwiegermutter oder Tempelraub, jedes Mal ist offenbar auch das Gottesverhältnis berührt, das nur durch die öffentlich in Stein gemeißelte Beichte und entsprechende materielle und religiöse Zusatzleistungen wieder geheilt werden kann. Mit Blick auf die Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte in einem solchen religiösen Kontext sind Bezüge sowohl hinsichtlich der konkreten Vergehen als auch hinsichtlich der Benennung der Gottheiten, an welche die Beichten gerichtet sind, von Gewicht. Die genannten Vergehen aus dem zwischenmenschlichen Bereich weisen ja durchaus enge Verbindungen zu Mahnungen aus den Anwendungsfeldern frühjüdischer Toraparänese auf. Diese wiederum waren offenkundig auch für den Jakobusbrief prägend. 83 Und wenn in den Beichtinschriften immer wieder die göttliche ¦   angerufen wird, 84 dann konnten dadurch natürlich ebenfalls biblisch klingende Assoziationen geweckt werden. Dasselbe gilt für abstrakte Gottesprädikate wie „heilig“ (² ) und „gerecht“ ( ), die zwar nicht in Beichtinschriften, aber in zahlreichen Dedikationen aus derselben Region belegt sind. 85 82

BWK, Nr. 120. Vgl. dazu o., 245. 84 Vgl. die zahlreichen Belege in den Indices bei PETZL, BWK, und HERRMANN/MALAY, NDFL, s.v. ¦  . 85 Vgl. dazu ausführlich PETZL, Beichtinschriften (Anm. 63), 13–23. Petzl konstatiert unter Berufung auf Louis Robert eine „Tendenz zur Abstraktion, zu einer gegenüber früher spiritualisierteren Religiosität“ und meint: „Ausweislich der Inschriften zeichnen sich besonders die ländlichen Kulte Lydiens und Phrygiens durch Hinwendung zur namenlosen 83

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Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum

Besonders die Richterfunktion der Gottheit, die für die Beichtinschriften zentral ist, konnte mit entsprechenden biblisch-jüdischen Zügen des Gottesbildes in Beziehung treten, das mit den neutestamentlichen Texten an die Glieder christlicher Gemeinden in Kleinasien vermittelt wurde, zumal wenn auch die Vergehen, denen das göttliche Gericht angedroht wurde, sich nicht prinzipiell von denen unterschieden, die auch in der Tora unter göttliche Strafe gestellt waren. So wird etwa in einer Dedikation an den in der Region besonders häufig verehrten Gott Men/Meis dieser als „Richter im Himmel, dem nichts verborgen ist“ ( ”[ ]¡    ˜” °) bezeichnet. 86 Auf diesem Hintergrund erscheint auch die Paränese im Jakobusbrief mit ihrem Verweis auf den einen göttlichen Gesetzgeber und Richter noch einmal in einem besonderen Licht. 87 Maßstab für das Alltagsleben im ländlichen Kleinasien ist somit ausweislich der hier herangezogenen Inschriften ein Ethos, das die zwischenmenschlichen Beziehungen mit Hilfe religiöser Verrichtungen ordnet und allfällige offene oder verdeckte Vergehen unter Verweis auf die strafende und vergebende ¦   der Gottheit(en) regelt. Ethische Grundsätze, die für die Aufrechterhaltung des Gemeinschaftslebens unumgänglich sind, werden in einer göttlich begründeten Rechtsordnung verankert, ohne dass damit die zivile Rechtspflege gegenstandslos zu werden brauchte. Vielmehr konnten gerade Fälle, die von den Institutionen „irdischer“ Rechtspflege nicht oder nicht ausreichend bewältigt werden konnten, der „himmlischen Rechtspflege“ anvertraut werden, um die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten – offenbar mit einem gewissen Erfolg, wie die Inschriften beweisen. Das Ethos einfacher Menschen in ländlichen Gebieten Kleinasiens im zweiten und dritten Jahrhundert erscheint damit als in einer Weise religiös basiert, die Anknüpfungsmöglichkeiten auch für die christliche, ihrerseits jüdisch geprägte Paränese bot. Wenn man von einem „moralischen Rigorismus“ sprechen kann, unter dessen Vorgaben sich das Leben in den ländlichen Gebieten Kleinasiens weitgehend vollzogen haben muss, 88 so wird man diesen Befund bei der

Gottheit aus, für die moralische Qualitäten charakteristisch sind“ (a.a.O., 17). Seine diesbezüglichen Untersuchungen fasst er schließlich folgendermaßen zusammen: „Fromm und gerecht ist derjenige, der in Übereinstimmung mit dem göttlichen sowohl als auch mit dem von den Menschen festgeschriebenen Gesetz lebt. Es ist klar, daß Gottheiten, die in dieser Weise unmittelbar über die Lebensgestaltung der Menschen wachten, als Boten höherer Götter … oder – abstrakter – als Züge ihres Wesens angesehen wurden.“ (a.a.O., 21). 86 NDFL, Nr. 51 (Gegend von Maionia, 102/3 n. Chr.). Das in der Inschrift erwähnte Vergehen besteht im Diebstahl von 4 Denaren durch Ammion, Frau des Diogas, zusammen mit ihrer Tochter Meltine, von ihrem Schwager, in Verbindung mit Meineid. Eine weitere Inschrift aus derselben Gegend (NDFL, Nr. 52) belegt einen Konflikt um einen Ehevertrag, möglicherweise in Verbindung mit Ehebruch. 87 Vgl. Jak 4,12: É    œ ‘ ”  , ·  • ‘ “œ . 88 So PETZL, Beichtinschriften (Anm. 63), 23.

3. Ergebnisse

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Frage nach der Rezeption frühchristlicher Texte, Vorstellungen und Überzeugungen kaum außer Acht lassen können.

3. Ergebnisse 3. Ergebnisse Das Ethos, das sich anhand der kleinasiatischen Inschriften erheben lässt, seien sie jüdisch, christlich oder pagan, ist religiös bestimmt und ethisch orientiert. Alltägliches Tun und Lassen vollzieht sich vor dem Angesicht Gottes bzw. der Götter und hat seiner bzw. ihrer Allgegenwart gerecht zu werden. Dieser Befund hängt zum einen sicher mit den Funktionen und dem „Sitz im Leben“ der hier herangezogenen Inschriftengattungen zusammen. Beichtinschriften gehören in den lokalen und religiösen Kontext von paganen Heiligtümern, Epitaphien sind Ausdrucksformen menschlichen Glaubens und Verhaltens angesichts des Todes und Stifterinschriften in Synagogen beziehen sich auf den religiösen Begegnungsraum zwischen der Gemeinde und ihrem Gott. Immerhin ist die Präsenz des Religiösen im öffentlichen Raum in Kleinasien ausweislich der Inschriften insgesamt als beträchtlich anzusehen. Hinsichtlich der religiösen Grundüberzeugungen und der Begründungen für gefordertes oder inkriminiertes Verhalten spielt der Verweis auf ein göttliches Gericht und auf göttliche Strafen eine wesentliche Rolle, ohne dass dabei spezifische Glaubensüberzeugungen jüdischer, christlicher oder paganer Provenienz explizit hervortreten. Vielmehr zeigt sich eine gewisse Tendenz zur Abstraktion im Gottesverständnis, die zumindest in ländlichen Milieus eine breitere Rezeption divergierender religiöser Überlieferungen fördern konnte. Dies ist auch im Blick auf die Wirkungsgeschichte neutestamentlicher Texte in der Kaiserzeit und der Spätantike in Rechnung zu stellen. Relativ breite Übereinstimmung besteht, abgesehen von spezifisch kultischen Pflichten und Vergehen, hinsichtlich der in den Inschriften positiv oder negativ bewerteten ethischen Verhaltensweisen. Unterschiede zwischen jüdischen, christlichen und paganen Inschriften lassen sich in dieser Hinsicht im Grunde nicht feststellen. Im Alltagsleben und für die Ordnung und Gestaltung der Mikrogesellschaft, die sich an den Inschriften besonders gut ablesen lässt, spielten offenbar die Konventionen eines allgemein akzeptierten, religiös und ethisch geprägten Ethos eine weitaus größere Rolle als spezifische Glaubensüberzeugungen einzelner Religionsgemeinschaften, was freilich nicht ausschließt, dass auch diese gelegentlich begegnen können. Dies belegen bei den Inschriften etwa jüdische oder christliche Symbole, einzelne hebräische Wörter, Hinweise auf christliche Märtyrer oder der Ausruf marana tha. In einer Hinsicht freilich zeigt sich auch eine charakteristische Differenz zwischen jüdischen und christlichen Inschriften einerseits und den eindeutig paganen Zeugnissen andererseits: Für die außerordentlich große Bedeutung, die rituell-kultische Vergehen in den Beichtinschriften haben, gibt es weder in

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den jüdischen noch in den christlichen Zeugnissen Parallelen. 89 Hier setzt sich offenkundig ein spezifisch biblisch-jüdisch bestimmtes Gottesverständnis bis in den Alltag jüdischer und christlicher Gemeinschaften in Kleinasien hinein durch. Ob das für die Ausbreitungsbemühungen des frühen Christentums eher von Vorteil oder von Nachteil war, ist freilich nicht leicht zu sagen. In Kreisen, die in ihren religiösen Anschauungen und Praktiken gewisse Sympathien für das hellenistisch-römisch umgeformte Frühjudentum entwickelten, 90 mag eine solche Reduktion religiös-kultischer Verrichtungen im Alltag eine gewisse Attraktion ausgeübt haben. Von daher könnte auch ein neutestamentlicher Text wie der Jakobusbrief, der ja ebenfalls durch das klar akzentuierte Bekenntnis zu dem einen Gott wie durch das weitgehende Fehlen spezifisch ritueller Züge religiöser Praxis charakterisiert ist, vielleicht in einem solchen Milieu besonders günstige Rezeptionsbedingungen vorfinden. Andererseits zeugen aber gerade die kleinasiatischen Beichtinschriften nicht bloß von grundsätzlicher Akzeptanz, sondern geradezu von einer gewissen Leidenschaft in ländlichen Bevölkerungsschichten dafür, ihre zwischenmenschlichen bis hin zu ihren geschäftlichen Angelegenheiten durch Formen religiöskultischer Praxis zu regeln und zu sichern. Auf diesem Hintergrund könnten Gruppen, die sich solchen Formen aus Gründen ihrer Religion prinzipiell entzogen, eher auf Misstrauen und Ausgrenzung gestoßen sein, wovon sich in den inschriftlichen Zeugnissen freilich keinerlei Spuren finden. Vielmehr lassen sich mit Blick auf ebenfalls religiös konnotierte Gegebenheiten wie etwa den Alltag gliedernde Feste im Jahreslauf wenigstens gewisse Indizien für deren Akzeptanz selbst bei Juden und Christen in Kleinasien aufweisen. Die üblicherweise mit Blick auf die öffentliche Religion städtischer Gemeinwesen wie etwa den Kaiserkult schon häufig untersuchte Problematik einer religiösen Sonderstellung des frühen Christentums (wie des Diasporajudentums) in römischer Zeit könnte immerhin von den hier untersuchten Zeugnissen einer eher 89 Auf diese Differenz, die für die christlichen Zeugnisse schon im Neuen Testament wurzelt, hat mich Roland Deines aufmerksam gemacht. Freilich gilt sie in der Diaspora offenkundig ebenso für die jüdischen Zeugnisse, im Unterschied zu frühjüdischen Lebensbereichen innerhalb des (biblisch definierten) „Landes“, wie man etwa an Texten aus Qumran oder im Jubiläenbuch einerseits, solchen aus der Diaspora wie dem slawischen Henochbuch oder den jüdischen Sibyllinenbüchern andererseits im Einzelnen zeigen könnte; vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Hg.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460 [in diesem Band 175–207]; DERS., Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora (Anm. 7). 90 Zeugnisse dafür sind durchaus nicht selten, vgl. nur die in den betreffenden Abschnitten bei DELLING, Bewältigung der Diasporasituation (Anm. 37), 78–109, aufgeführten Belege.

3. Ergebnisse

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ländlichen Religionspraxis in Kleinasien her noch einmal in einem etwas anderen Licht erscheinen. Besonders auffällig schließlich ist aber, welch geringe Rolle die jeweils spezifischen Glaubensüberzeugungen von Juden und Christen in den epigraphischen Quellen aus Kleinasien spielen. Dass das implizit oder explizit geforderte Ethos bei Juden in der Tora biblisch verwurzelt und bei Christen in ihrem Christusglauben verankert war, kann man aus den epigraphischen Quellen in den seltensten Fällen ablesen. Natürlich ist davon auszugehen, dass das Frühjudentum und das frühe Christentum in Kleinasien mehr zu bieten hatten als die stillschweigende oder ausdrückliche Übernahme von ethischen Grundsätzen und allgemeinreligiösen Überzeugungen ihrer Umwelt. Nur fand dieses „mehr“ so gut wie nie Ausdruck auf ihren Inschriften, selbst wenn es um derart religiös konnotierte Lebensbereiche wie die Ausschmückung ihrer religiösen Räumlichkeiten oder die Gestaltung ihrer Grabmähler ging. Und selbst wenn einmal spezifisch jüdische oder christliche Symbole wie die Menora oder der Lulav einerseits, das Kreuz oder das Christusmonogramm andererseits, in Inschriften begegnen, dann hat das keinerlei Folgen für deren Inhalte, Formen und Konventionen, somit im Grunde auch keinen Einfluss auf die Ausprägung ihres Ethos. Man wird somit wohl nicht umhinkönnen, die Impulse, Wege und Methoden der christlichen Mission anderswo zu suchen als in den Ausdrucksformen ihres Ethos. Allerdings dürften die nichtliterarischen Texte und Zeugnisse in dieser Hinsicht überfragt sein.

Weisheit als Thema biblischer Theologie Vorbemerkung Die folgenden Ausführungen enthalten den weitgehend unveränderten Text der Antrittsvorlesung, die ich am 10. Januar 1995 an der Technischen Universität Dresden gehalten habe. Der Titel verweist auf den Ort und die spezifische Aufgabe meiner seinerzeitigen Lehrtätigkeit am Institut für Evangelische Theologie innerhalb der Philosophischen Fakultät. In diesem Zusammenhang ging es mir nicht darum, den inzwischen zahlreichen Versuchen, von einem biblischen Stichwort oder Aussagezusammenhang her ein neues Konzept biblischer Theologie zu entwerfen, einen weiteren hinzuzufügen. 1 Vielmehr sollten die für meine Arbeit in Dresden vorgegebenen spezifischen Rahmenbedingungen miteinander in Beziehung gebracht und theologisch reflektiert werden: akademische Lehre des Alten und Neuen Testaments, theologische Ausbildung von Religionslehrern für die Schulen im heutigen Osten Deutschlands, wissenschaftliche Kommunikation im Zusammenhang einer Philosophischen Fakultät. Das hat dazu geführt, dass im Interesse der disziplinübergreifenden Gesprächsfähigkeit und der Verständlichkeit für nicht speziell qualifizierte Studierende manches gesagt und erklärt worden ist, was den Lesern einer theologischen Fachzeitschrift als selbstverständlich erscheinen mag. Indem ich diese Textgestalt für den Druck beibehalte, verstehe ich meinen Beitrag auch als eine methodische Anregung aus dem und für den akademischen Betrieb der Theologie, sich auf eine künftig wohl verstärkt zu erwartende Gesprächssituation einzulassen.

1. Biblische Weisheit und christliche Ethik 1. Biblische Weisheit und christliche Ethik Milan Machovec, der Prager Philosophieprofessor, der in den siebziger Jahren vor allem durch sein Buch „Jesus für Atheisten“ (Stuttgart 1972) bekannt geworden ist, hat vor einigen Jahren ein weiteres Buch veröffentlicht unter dem Titel „Die Rückkehr zur Weisheit. Philosophie angesichts des Abgrunds“. In diesem Buch setzt er sich mit den Herausforderungen der weltweiten ökologischen Krise auseinander. Am Ende kommt er zu dem Schluss:

1 Vgl. dazu die Dokumentation gegenwärtiger Entwürfe bei CHRISTOPH DOHMEN/ THOMAS SÖDING (Hg.), Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen Biblischer Theologie, UTB 1893, Paderborn u.a. 1995.

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Weisheit als Thema biblischer Theologie

… man muß im eigenen Interesse mit allen biophilen Kräften der Natur und des Seins den Dialog aufnehmen. … Soll das dialogische Denken ein ‚neues Denken‘ sein, ein wirksames Mittel werden, um die sonst vernichtenden Konsequenzen des herrschenden Individuozentrismus zu bewältigen, muß sich der zeitgenössische Mensch nicht nur die Horizonte der Zukunft erschließen, sondern auch der Vergangenheit mit ihren weisen Erfahrungen. … Das ‚Sich-selbst-Wiederfinden‘ des Menschen kann nicht nur in einem blinden Lauf nach vorwärts erfolgen, sondern muß sich den Quellen der Vergangenheit öffnen, bedeutet also in gewissem Sinn auch eine ‚Rückkehr zur Weisheit‘. 2

Diese Stellungnahme eines engagierten und informierten Zeitgenossen ist ein Hinweis auf Chancen und Aufgaben einer Besinnung auf die Schätze der Weisheit, die auch in der Bibel gesammelt und in der christlichen Überlieferung bis in unsere Zeit vermittelt worden sind. Eine ganze Reihe von Gründen sprechen dafür, gerade diesen Teilbereich der christlichen Tradition in das gegenwärtige Gespräch über die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens einzubringen. Man muss wohl ohne weiteres eingestehen, dass christliche Theologie und Kirche kaum noch die Führungsrolle in der ethischen Grundlagendiskussion unserer Zeit beanspruchen können. Wer die christliche Überlieferung als eigenständigen Beitrag in diese Diskussion einbringen will, kann daher deren Plausibilität nicht einfach voraussetzen, sondern muss sie in einer Sprache begründen, die auch außerhalb des Bereiches christlicher Tradition verständlich ist. Gerade eine solche Sprache aber zeichnet die Weisheit aus. Sie ist prinzipiell inklusiv, nicht exklusiv. Sie strebt Einverständnis an, nicht Auseinandersetzung. Sie richtet sich auf das Verbindende, nicht auf das Trennende. Sie ist universal. In dieser Universalität der Weisheit liegt allerdings ihre Stärke wie auch ihre Schwäche. In einer vom Pluralismus gekennzeichneten, unübersichtlichen Welt kann die Weisheit kaum dazu dienen, spezifische Identitäten zu finden und zu begründen. Ich halte ein unterscheidbares Wert- und Sinnangebot der kirchlichen Verkündigung gerade heute für unerlässlich und bin auch überzeugt davon, dass die christliche Botschaft auf dem Markt heutiger Sinnangebote durchaus konkurrenzfähig ist. Aber diese Verkündigung kann nicht Gegenstand weisheitlicher Verständigung sein. Sie ist vielmehr Auftrag kirchlicher Mission. Sie gehört deshalb nicht unmittelbar zu unserem Thema, obwohl es natürlich Querverbindungen zwischen beiden Überlieferungsbereichen gibt. Wenn ich also im Folgenden aus der biblischen Überlieferung den Faden der Weisheit aufgreife, bin ich mir bewusst, dass ich damit nur einen Teilbereich der christlichen Tradition und gerade nicht ihren spezifischen, von anderen Traditionen unterscheidbaren Beitrag in den Blick nehme. 3 Ich halte dieses

2

MILAN MACHOVEC, Die Rückkehr zur Weisheit. Philosophie angesichts des Abgrunds, Stuttgart 1988, 238f. 3 RÜDIGER LUX, „Die ungepredigte Bibel“. Überlegungen zum theologischen Ort der Weisheit Israels in der christlichen Verkündigung, PTh 79, 1990, 524–544, hat sich dafür

1. Biblische Weisheit und christliche Ethik

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Verfahren aber aus drei Gründen für gerechtfertigt. 1. Schon von ihrem Ursprung her stand die biblische Weisheitsüberlieferung in Abhängigkeit und dauerhafter Begegnung mit außerbiblischen Überlieferungen. Ich werde zu zeigen versuchen, wie die Weisheitslehrer der Bibel Erkenntnisse und Erfahrungen aus ihrer Umwelt für ihren Gottesglauben geradezu okkupierten, gleichzeitig dabei aber auch die Sprache solcher Überlieferungen erlernten und so für ihre Zeitgenossen gesprächsfähig wurden. 2. Auf dem Gebiet der Ethik ist es nicht erst heute unsachgemäß, das biblische Ethos in prinzipieller Differenz zu einem „weltlichen“ Ethos zu definieren. Mein Dresdener Kollege Klaus Tanner hat in seiner Habilitationsschrift die fundamentalen Begründungen christlicher Ethik in der Theologie der Neuzeit untersucht und dabei nachgewiesen, dass protestantische Ethik, ob sie will oder nicht, im „langen Schatten des Naturrechts“ steht. 4 Ich werde versuchen, diese Beziehung anhand biblischer Überlieferungen zu untermauern und zu rechtfertigen. 3. Die Suche nach Weisheit erfordert zwei Denkvorgänge: die Analyse ethischer und intellektueller Herausforderungen der Gegenwart und die Reflexion überlieferter Wertvorstellungen und Lösungsansätze der Vergangenheit. Aus der Verbindung beider Denkvorgänge ergeben sich die Handlungsorientierungen der Weisheit. Beide Denkvorgänge sind, wie das Zitat von Milan Machovec am Anfang belegt, heute „angesichts des Abgrunds“ dringend nötig. Beide Denkvorgänge sind aber ebenso erforderlich, um die christliche Überlieferung heute lebendig und verstehbar zur Sprache zu bringen. Insofern kommt der Weisheit durchaus eine vorbereitende Funktion im Blick auf die Verkündigung des spezifisch Christlichen zu. Ich werde anhand ausgewählter Inhalte biblischer Weisheit versuchen, ihre Aktualität und Lebendigkeit aufzuweisen. Weisheit hat von alters her ihren Ort in der Schule. Über die Grenzen von Völkern und Kulturen, Religionen und Philosophien hinweg lässt sich durch alle Epochen der Geschichte ein gewisser Grundbestand an gemeinsamen Weisungen und Erfahrungen aufweisen, die auch auf dem Wege der schulischen Bildung und Erziehung weitergegeben wurden. Schule war in der gesamten Antike zentrale Instanz der Wertevermittlung und hatte daher immer den Ruf des Konservativen. Mir scheint, dass erst in den letzten Jahrzehnten hier ent-

stark gemacht, der biblischen Weisheit einen Platz in der Predigtpraxis der Kirche einzuräumen. Seinen exegetischen und hermeneutischen Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit der Weisheit kann ich weitgehend zustimmen. Im Unterschied zu Lux habe ich aber im Folgenden als Zielfeld meiner Überlegungen nicht den Bereich der kirchlichen Homiletik vor Augen, sondern den der Ethik und ihrer Didaktik in einer weitgehend entkirchlichten Gesellschaft. Zudem wähle ich als neutestamentlichen Bezugspunkt nicht wie Lux die Auseinandersetzung mit der Weisheit bei Paulus (1Kor 1f., vgl. dazu LUX, a.a.O., 540–544), sondern einen zentralen Bereich der Jesusüberlieferung. 4 KLAUS TANNER, Der lange Schatten des Naturrechts. Eine fundamentalethische Untersuchung, Stuttgart 1993.

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scheidende Brüche vollzogen wurden, im Osten wie im Westen. Ob diese Abkehr von tradierten Inhalten und Methoden der Erziehung wirklich der besseren Ausrüstung zur Lebensbewältigung dient, wird sich zeigen müssen. Jedenfalls darf m.E. die Rückbindung an den angesammelten Schatz von Menschheitserfahrungen nicht verlorengehen. Lehrer, gerade Religionslehrer in Ostdeutschland, haben hier eine große Aufgabe. Ich werde mein Thema in drei Schritten behandeln. Zuerst werde ich ein Grundmodell weisheitlichen Denkens darstellen, das den gesamten Vorderen Orient und damit auch die alttestamentliche Weisheit bestimmt: den Zusammenhang von Tun und Ergehen. Dann werde ich der Traditionsgeschichte einer klassischen weisheitlichen Mahnung nachgehen, der sogenannten Goldenen Regel. Schließlich werde ich eine zentrale Weisung Jesu, das Liebesgebot, in den Zusammenhang der biblischen Überlieferung einordnen.

2. Tun und Ergehen in der biblischen Weisheit 2. Tun und Ergehen in der biblischen Weisheit Zur alttestamentlichen Weisheitsliteratur 5 rechnet man gewöhnlich das Buch der Sprüche Salomos, das Buch Hiob, den Prediger Salomo, die Weisheit Salomos und das Buch Jesus Sirach. Anhand der Entstehungszeit unterscheidet man zwischen der älteren Weisheit, vertreten durch die Teile des Sprüchebuches aus der Zeit vor dem babylonischen Exil (Spr 10–29), der jüngeren Weisheit aus der exilisch-nachexilischen Zeit (Spr 1–9; Hi; Koh; Sir) sowie der Weiterführung der weisheitlichen Überlieferung im Frühjudentum (bes. Tob, Weish). 6 Aus der Fülle der in dieser Literatur vertretenen Themen und Vorstellungen soll hier allein der Bereich der fundamentalen Weisungen für das menschliche Zusammenleben herausgegriffen werden, und auch aus diesem Bereich können nur ganz wenige Gedanken und Konzeptionen zur Sprache kommen. Schon immer ist die besonders enge Verbindung dieses Teils der alttestamentlichen Literatur zur Kultur und Literatur des Vorderen Orients gesehen

5 Summarisch sei hier auf ein klassisches und zwei neuere einführende Werke verwiesen: GERHARD VON RAD, Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1970 (31985, Nachdruck Gütersloh 1992 [GTBS 1437]); HORST D. PREUSS, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Stuttgart 1987; RÜDIGER LUX, Die Weisen Israels: Meister der Sprache – Lehrer des Volkes – Quelle des Lebens, Leipzig 1992. 6 Zu weiteren thematischen, formalen und chronologischen Differenzierungen vgl. den Überblick bei HERMANN VON LIPS, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990, 11–190.

2. Tun und Ergehen in der biblischen Weisheit

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worden. 7 Analogien und Parallelen lassen sich nicht allein aus den gemeinorientalischen Lebensverhältnissen erklären, die natürlich gerade auf dem Gebiet der Alltagsmahnungen zu analogen Weisungen führen müssten, sondern verweisen darüber hinaus auch auf einen unmittelbaren Austausch weisheitlicher Überlieferungen zwischen den vorderorientalischen Kulturen, der in erster Linie an den höfischen Weisheitsschulen vor sich ging. 8 Nicht gemeinorientalische weisheitliche Einzelmahnungen sollen uns jetzt interessieren, sondern vielmehr eine gemeinsame Grundauffassung, die sich in immer neuen Konkretionen niederschlägt: der kausale Zusammenhang zwischen dem Tun des Einzelnen und seinem Ergehen. In geradezu verblüffender Schlichtheit wird die Gewissheit zur Sprache gebracht, dass gerechtes Tun belohnt, Bosheit dagegen bestraft wird: „Was der Gottlose fürchtet, das wird ihm begegnen; und was die Gerechten begehren, wird ihnen gegeben.“ (Spr 10,24), „Der Gerechte wird nimmermehr wanken; aber die Gottlosen werden nicht im Lande bleiben.“ (Spr 10,30), „Die Gottlosen werden gestürzt und nicht mehr sein; aber das Haus der Gerechten bleibt stehen.“ (Spr 12,7) oder, in sprichwörtlich gewordener Formulierung, „Wer eine Grube macht, der wird hineinfallen.“ (Spr 26,27) Dass die erfahrbare Wirklichkeit sich oft keineswegs nach diesem einfachen Grundsatz richtet, konnte auch den Verfassern solcher Sentenzen nicht verborgen bleiben. In der jüngeren Weisheit, vor allem bei Kohelet und im Hiobbuch, wurde dieses Problem auch ausdrücklich thematisiert und reflektiert. Aber schon die Lehrer der älteren Weisheit wollten mit ihren prägnanten Merksätzen offenbar nicht den Ist-Zustand eines individuellen Geschicks abbilden, sondern vielmehr die kollektive Erfahrung der sozialen Gemeinschaft zur Sprache bringen. Für die Gemeinschaft wäre es in der Tat von Übel, wenn das Böse ungehindert seinen Lauf nähme. Dagegen wirkt sich gerechtes Verhalten untereinander aller Erfahrung nach tatsächlich gemeinschaftsfördernd aus. Die kausale Verknüpfung von Tun und Ergehen ist also, obwohl oft im Singular und als Erfahrungssatz formuliert, Beschreibung einer typischen sozialen Gegebenheit und hat normierende Funktion für die Gemeinschaft. In der alttestamentlichen Forschung hat man sich besonders um das Verständnis der theologischen Seite des Zusammenhangs von Tun und Ergehen bemüht. Die christliche Auslegungstradition des Alten Testaments hatte hier

7 Auch hierfür kann nur ein exemplarischer Literaturhinweis gegeben werden: HANSJOACHIM KLIMKEIT (Hg.), Biblische und außerbiblische Spruchweisheit, StOR 20, Wiesbaden 1991. 8 Zur Diskussion um diesen „Sitz im Leben“ vgl. die Forschungsberichte von HOLGER DELKURT, Grundprobleme alttestamentlicher Weisheit, VuF 36, 1991, 38–71, und CLAUS WESTERMANN, Forschungsgeschichte zur Weisheitsliteratur: 1950–1990, AzTh 71, Stuttgart 1991.

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lange Zeit einen klassischen Ausdruck des alttestamentlichen Vergeltungsglaubens gesehen, von dem der neutestamentliche Gottesglaube prinzipiell abzuheben sei. Gegenüber diesem Deutungsschema hat man in jüngerer Zeit versucht, den Zusammenhang von Tun und Ergehen aus inneralttestamentlichen Voraussetzungen zu erklären. Dabei stieß man auf eine dem abendländischen Denken fremde orientalische Vorstellung von der „schicksalwirkenden Tatsphäre“. 9 Jede Tat bildet nach dieser Vorstellung „eine unsichtbare Sphäre um den Täter, durch die eines Tages das entsprechende Geschick bewirkt wird“. 10 Die Tat bleibt unsichtbar mit dem Täter verbunden und schlägt mit Gewissheit irgendwann einmal auf ihn zurück, bei einer gerechten Tat als Lohn, bei einer bösen als Strafe. Gott hat in diesem Kausalzusammenhang nicht die Funktion des abseits stehenden, gerechten Richters, der die Taten der Menschen bewertet und entsprechend Lohn oder Strafe zuteilt, sondern er setzt lediglich den Zusammenhang von Tun und Ergehen in Kraft und hält ihn in Geltung. „Die Tat selbst ist es, aus der das Ergehen als entsprechende Folge entspringt, nicht eine heteronome, von außen auf den Täter zukommende Norm.“ 11 Der Nachweis der Vorstellung einer „schicksalwirkenden Tatsphäre“ verhalf dazu, das Gottesverständnis des Alten Testaments von der unsachgemäßen Verengung auf ein Vergeltungsdogma zu befreien. Dass allerdings dabei wichtige Fragen offengeblieben sind, hat kürzlich der Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski betont. Er kritisiert vor allem, dass „die soziale Dimension der alttestamentlichen Rede von ‚Vergeltung‘ nicht (genügend) in den Blick gekommen“ ist. 12 Janowski bemüht sich deshalb um ein positives Verständnis des Vergeltungsbegriffs als Ausdruck der Idee der Gegenseitigkeit (Reziprozität). Sie sei etwa in der modernen (außertheologischen) sozialethischen Diskussion „bis heute ein unstrittiges Prinzip der Sozialmoral, der Tauschgerechtigkeit“ 13 und dürfe nicht auf die negative Bedeutung der Rache reduziert werden. Ihre reinste Form habe sie in der Goldenen Regel gefunden: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Eine solche Auffassung reziproker Gerechtigkeit sei schon für altägyptische Weisheitskonzeptionen bestimmend. Eine Sentenz aus der Zeit des Mittleren 9

Grundlegend war der Aufsatz von KLAUS KOCH, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?, ZThK 52, 1955, 1–42, wieder abgedruckt in: DERS. (Hg.), Um das Prinzip der Vergeltung in Religion und Recht des Alten Testaments, WdF 125, Darmstadt 1972, 130–180, sowie in DERS., Spuren des hebräischen Denkens. Ges. Aufs., Bd. 1, hg. v. BERND JANOWSKI/MARTIN KRAUSE, Neukirchen-Vluyn 1991, 65–103. Die von Koch maßgeblich angestoßene Diskussion wird in ihrer Entwicklung und Differenzierung dargestellt bei BERND JANOWSKI, Die Tat kehrt zum Täter zurück. Offene Fragen im Umkreis des „TunErgehen-Zusammenhangs“, ZThK 91, 1994, 247–271. 10 KOCH, Prinzip der Vergeltung (Anm. 9), XI. 11 JANOWSKI, Die Tat kehrt zum Täter zurück (Anm. 9), 252. 12 JANOWSKI, a.a.O., 256. 13 OTFRIED HÖFFE, zit. bei JANOWSKI, a.a.O., 257.

2. Tun und Ergehen in der biblischen Weisheit

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Reiches (um 1700 v. Chr.) lautet: „Der Lohn eines, der handelt, besteht darin, dass für ihn gehandelt wird. Das hält Gott für Ma’at [Weisheit].“ 14 Auch nach dieser Konzeption hat also die Tat Auswirkungen auf das Geschick des Täters. Sie fällt aber nicht gewissermaßen automatisch auf ihn zurück, sondern vermittelt über das Handeln der anderen. Vergeltende Gerechtigkeit stehe im Dienst des Aufbaus einer solidarischen Gesellschaft, für die das füreinander Handeln, aufeinander Hören und aneinander Denken kennzeichnend sei. Über den Bereich der sozialen Interaktion hinaus wendet Janowski den so bestimmten Vergeltungsbegriff nun auch auf das Handeln Gottes an. Unter den weisheitlichen Mahnsprüchen gibt es auch solche, in denen „das Ergehen des Menschen … nicht mehr allein an sein Sozialverhalten gebunden, sondern zum Handeln JHWHs in Beziehung gesetzt (wird), der neben dem Gegensatzpaar Gerechter/Frevler u.a. als ‚dritte Instanz‘ auftritt“. 15 Als Beispiel nennt Janowski Spr 25,21f.: „Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser, denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen, und der HERR wird dir’s vergelten.“ Diese alttestamentliche Weisung beschreibt ja ein Verhalten dem Feind gegenüber, das man gemeinhin allenfalls im Zusammenhang mit Jesu Aufforderung zur Nächsten- und Feindesliebe erwarten würde. Der Verzicht auf Vergeltung des bösen Tuns überwindet Feindschaft. Die „feurigen Kohlen auf dem Haupt“ des Feindes sind nicht Ausdruck seiner Beschämung, sondern Zeichen seiner Läuterung, also der schon vollzogenen Abkehr von der Feindschaft. 16 Ein solches Handeln am Feind wird von Gott in einer ihm entsprechenden Weise vergolten. Gott tritt hier an die Stelle des anderen, der für den handelt, welcher für ihn gehandelt hat. Dort, wo der Mensch darauf verzichtet, das Ethos gegen das Böse vergeltend durchzusetzen, tritt Gott als Garant der Ordnung ein. „Gottes Handeln folgt demnach demselben Prinzip der Gegenseitigkeit, wie es dem Handlungsmodell der sozialen In-

14 Zit. bei JANOWSKI, a.a.O., 258. Janowski stützt sich vor allem auf die Interpretation der ägyptischen Ma’at-Konzeption im Sinne einer „konnektiven Gerechtigkeit“ durch JAN ASSMANN, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 21995, bes. 58–91. Sie wird jetzt auch bei ECKART OTTO, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3,2, Stuttgart 1994, 123–133, rezipiert. 15 JANOWSKI, Die Tat kehrt zum Täter zurück (Anm. 9), 267f., unter Verweis auf JUTTA HAUSMANN, Studien zum Menschenbild der älteren Weisheit (Spr 10ff.), FAT 7, Tübingen 1995 (vgl. dort bes. § 18, 3.: „Tun-Ergehen-Zusammenhang und JHWH“, 237–243). 16 Zugrunde liegt ein ägyptischer Bußritus, bei dem das Tragen eines Kohlebeckens auf dem Kopf Zeichen der Sinnesänderung ist. So interpretiert unter Berufung auf SIEGFRIED MORENZ/ARNDT MEINHOLD, Der Umgang mit dem Feind nach Spr 25,21f. als Maßstab für das Menschsein, in: Alttestamentlicher Glaube und biblische Theologie (FS H. D. Preuß), hg. v. JUTTA HAUSMANN/HANS-JÜRGEN ZOBEL, Stuttgart 1992, 244–252. Zustimmend HAUSMANN, Studien zum Menschenbild (Anm. 15), 239f.; JANOWSKI, Die Tat kehrt zum Täter zurück (Anm. 9), 269.

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teraktion zugrunde liegt – mit dem entscheidenden Unterschied, daß sein Eingreifen zwar erwartbar ist, aber unverfügbar bleibt, also gleichsam ein Akt der ‚Gnade‘ ist.“ 17 Die Überlegungen Janowskis und deren zuletzt angesprochene theologische Konsequenzen zeigen, dass die Besinnung auf biblische Weisheitsüberlieferungen Rückfragen an herkömmliche Verstehensmuster innerhalb der eigenen theologischen Tradition auslösen kann. Für die Anwendung des zwischenmenschlichen Gegenseitigkeitsprinzips auf das Gottesverständnis scheint mir jedenfalls gegenwärtig außerhalb der Tradition protestantischer Theologie mehr Plausibilität zu erwarten zu sein als innerhalb ihrer. Vielleicht liegt aber gerade darin auch eine Chance. Jedenfalls sollte bei der kritischen Überprüfung aller Theologie an der Schrift, wie sie ein reformatorischer Grundsatz fordert, die Weisheitsliteratur der Bibel nicht ausgespart werden!

3. Die Goldene Regel 3. Die Goldene Regel Am Beispiel einer typischen weisheitlichen Mahnung, der Goldenen Regel, soll nun die Überschneidung biblischer und außerbiblischer ethischer Reflexion im Rahmen der Weisheit illustriert werden. Eine positive Formulierung dieser Regel begegnet bekanntlich auch in der Jesusüberlieferung: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch.“ (Lk 6,31; vgl. Mt 7,12) Welche Konsequenzen dies für das Verständnis des Wirkens Jesu hat, soll zunächst anhand der Traditionsgeschichte der Goldenen Regel angedeutet und dann im dritten Teil entfaltet werden. 3.1 Goldene Regel und Tora im Frühjudentum Der Ursprung der Goldenen Regel lässt sich nicht ermitteln. Sie ist universal und weltweit verbreitet. 18 Im Alten Testament freilich begegnet sie als Formulierung nicht, wenngleich das ihr zugrunde liegende Gegenseitigkeitsprinzip wie gezeigt auch die biblischen weisheitlichen Mahnungen prägt. Formulierungen der Goldenen Regel finden wir innerhalb der jüdischen Überlieferung erst in solchen Schriften, die deutlich von hellenistischer Kultur beeinflusst sind. Die jüdische Weisheit hat also die Goldene Regel erst in ihrer dritten Entwicklungsphase, in der frühjüdischen Epoche, übernommen, und zwar aus der hellenistischen philosophischen Tradition.

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Ebd. ALBRECHT DIHLE, Die Goldene Regel. Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vulgärethik, SAW 7, Göttingen 1962; DERS., Art. Goldene Regel, RAC 11, 1981, 930–940; HANS-PETER MATHYS/ROMAN HEILIGENTHAL/HEINZ-HORST SCHREY, Art. Goldene Regel, TRE 13, 1984, 570–583. 18

3. Die Goldene Regel

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Schon während des 3. Jh. v. Chr. hatte die Judenschaft Alexandrias mit der Übersetzung der Tora ins Griechische die Voraussetzung dafür geschaffen, sowohl Inhalte der eigenen Überlieferung in der Sprache der führenden Kultur der Zeit zum Ausdruck zu bringen, als auch deren Inhalte in die eigene Überlieferung einzubeziehen. Ein Ausdruck des auf diese Weise sich herausbildenden jüdisch-hellenistischen Selbstbewusstseins 19 ist der Aristeasbrief. 20 Diese Schrift ist im 2. Jh. v. Chr. in Alexandria entstanden. Sie erzählt die Legende von der Übersetzung der Mosetora unter dem König Ptolemaios II. Philadelphos (283–247 v. Chr.). Mehr als ein Drittel der Schrift nehmen dabei Tischgespräche zwischen dem Ptolemäerkönig und den extra aus Jerusalem herbeigeholten jüdischen Übersetzern ein (EpArist 187–294). Diese zentrale Passage ist ganz nach hellenistischem Muster als Symposion gestaltet. Nach dem Schema von Frage und Antwort werden dabei popularphilosophische Themen abgehandelt, die sich zum großen Teil in vergleichbarer hellenistischer Literatur der Gattung “”‘     (über das Königtum) wiederfinden. Daneben stehen Sentenzen der Spruchweisheit, die ebenfalls aus hellenistischen Sammlungen bekannt sind, unter ihnen eben auch die Goldene Regel. Sie wird als „Lehre der Weisheit“ bezeichnet und lautet hier in Anwendung auf den Herrscher: „Wie du selbst nicht Schlechtes haben willst, sondern alles Gute, (so sollst) du dies auch an deinen Untergebenen tun.“ (EpArist 207) Weitergeführt wird die Goldene Regel durch die Mahnung zur milden Behandlung von Übeltätern, die der Milde Gottes gegenüber den Menschen entspricht. Dieser abschließende Verweis auf Gott ist typisch für die Interpretation des hellenistischen Weisheitsgutes durch den jüdischen Verfasser der Schrift. 21 In ihm kommt deutlicher noch als im Inhalt der Mahnungen selbst sein besonderes theologisches Interesse zur Geltung. So kann er letztlich den gesamten Bereich der hellenistisch-popularphilosophischen Moral dem Willen des Gottes Israels unterordnen und auf diese Weise der Tora einverleiben. Denn die jüdischen Weisen, die dem Ptolemäerkönig Rede und Antwort stehen, beziehen natürlich

19

Vgl. dazu umfassend GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, Berlin 1987. 20 NORBERT MEISNER, Aristeasbrief, JSHRZ II/1, Gütersloh 1973, 35–87; KARLHEINZ MÜLLER, Art. Aristeasbrief, TRE 3, 1978, 719–725; STEPHEN O. MURRAY, Art. Aristeasbrief, RAC.S, Lfg. 4, 1986, 573–587. 21 Entsprechend der fiktionalen Erzählung loben der heidnische König und seine Hofphilosophen die jüdischen Weisen vor allem dafür, dass sie „alle ihre Rede mit Gott beginnen … Denn da die Vorsehung das All regiert und sie der richtigen Auffassung sind, daß der Mensch ein Geschöpf Gottes ist, folgt, daß alle Macht und Schönheit der Rede mit Gott einsetzt.“ (200f.) Vgl. auch 235: „Denn sowohl in der Lebensführung als auch in der Redekunst waren sie ihnen weit voraus, da sie (stets) Gott an den Anfang setzten.“ (Übers. nach MEISNER).

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nach Auskunft des Verfassers ihre Weisheit nirgendwo anders her als aus dem Gesetz des Mose. 22 Noch klarer ist diese Identifikation von hellenistischem Bildungsgut und dem Inhalt der Tora bei Philon von Alexandrien ausgesprochen. Dieser herausragende Vertreter des alexandrinischen Judentums im 1. Jh. n. Chr. beherrschte problemlos Sprache, Inhalte und Interpretationsmethoden der hellenistischen Philosophie. Er wandte sie aber in seinem eigenen Schrifttum ausschließlich zur Auslegung der jüdischen Überlieferung an. Insofern kann man ihn gleichzeitig als hellenistischen Philosophen und als Bibelexegeten ansehen. Seinem Selbstverständnis nach könnte man ihn als Philosophen aus der Schule des Mose bezeichnen. 23 In einer Schrift, die nur fragmentarisch erhalten geblieben ist, hat Philon auch eine Kurzzusammenfassung des jüdischen Gesetzes gegeben. 24 Innerhalb dieser Torazusammenfassung begegnet auch die Goldene Regel: „Was man hasst zu erleiden, soll man andern nicht antun.“ (Hyp 7,6) Zusammen mit den folgenden Mahnungen, in denen es um den Schutz anvertrauten Gutes und die Hilfeleistung gegenüber Bedürftigen geht, setzt Philon die Goldene Regel in Beziehung zu den „Ungeschriebenen Gesetzen“ und den „Buzygischen Verwünschungen“. Das sind Bezeichnungen für verbreitete Sammlungen hellenistischer Morallehren, die Philon offenbar bekannt waren. Er verweist aber auf diese Sammlungen nicht etwa, um die Herkunft seiner Mahnungen zu belegen, sondern vielmehr, um durch Vergleich der entsprechenden Einzelmahnungen die Überlegenheit der Tora des Mose nachzuweisen. Obwohl die Goldene Regel und die anderen eben genannten Mahnungen sich nirgendwo im Text der fünf Bücher Mose finden, vielmehr für uns offenkundig aus hellenistischer Popularethik übernommen worden sind, behandelt Philon sie, als wären sie Gebote der Tora. Ja, er stellt sie sogar als Beweis für die Überlegenheit des jüdischen Gesetzes über die Philosophie der Griechen heraus! Nichtbiblische hellenistische Weisungen erlangen auf diese Weise bei Philon theologische Qualität. Sie sind Ausdruck des in der Tora verbindlich niedergelegten Willens des Gottes Israels. Verschiedene Formulierungen der Goldenen Regel begegnen noch in einer ganzen Reihe weiterer frühjüdischer Schriften. 25 Mehrfach sind sie erst im

22

Ihre besondere Qualifikation im Umgang mit der Tora ist Voraussetzung für ihre Funktion innerhalb der Erzählung und wird ausdrücklich betont (vgl. 39.122). 23 Einen Überblick über die Werke Philons bietet JOHANN MAIER, Zwischen den Testamenten. Geschichte und Religion in der Zeit des Zweiten Tempels, NEchtB AT Erg.-Bd. 3, Würzburg 1990, 83–88. 24 Vgl. zum folgenden KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 31–72. 25 Tob 4,15; 2Hen 61,2 (dt. Übers. in: CHRISTFRIED BÖTTRICH, Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/7, Gütersloh 1996, 781–1040); syrischer (Pseudo-)Menander 250f. (engl.

3. Die Goldene Regel

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Laufe des Überlieferungsprozesses nachträglich eingefügt worden. 26 Offenbar wurde die Goldene Regel nicht nur von den Verfassern frühjüdischer Literatur, sondern auch von ihren Tradenten und Lesern als gültiger Ausdruck des Gotteswillens angesehen. 27 Dies ist im Neuen Testament 28 und der darauf aufbauenden frühchristlichen Literatur 29 nicht anders. 3.2 Die Goldene Regel in der Jesusüberlieferung Blicken wir deshalb nun auf die Verwendung der Goldenen Regel in der Jesusüberlieferung. Sie begegnet dort sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas (Mt 7,12; Lk 6,31), und zwar jeweils im Zusammenhang einer Redekomposition (Berg- bzw. Feldrede), nicht aber im Markusevangelium. Das heißt nach der heute überwiegend vertretenen Auffassung von der Entstehung der synoptischen Evangelien: Die Goldene Regel gehörte bereits zur sogenannten Redequelle („Q“), deren Inhalt Matthäus und Lukas, nicht aber Markus in ihre Evangelien aufgenommen haben. Die Überlieferungen der Redequelle stehen demnach der ursprünglichen Redesituation Jesu zumindest chronologisch und literarisch näher als die Evangelienschriften. Die Redequelle als ganze oder wenigstens wesentliche Überlieferungs- bzw. Redaktionsschichten werden häufig der Weisheitstradition zugeordnet. 30 So wie in der biblisch-jüdischen oder auch der hellenistischen Weisheit einprägsame Worte unter den Namen berühmter Weisheitslehrer gesammelt und überliefert wurden, so haben auch die Anhänger Jesu in den nachösterlichen Ge-

Übers. in: JAMES H. CHARLESWORTH (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, Bd. 2, Garden City/New York 1985, 583–606). 26 Sir 31,15 (LXX); Achikar armenische Überlieferung 2,88 (engl. Übers. in: ROBERT H. CHARLES [Hg.], The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament in English, Oxford 1913, Bd. 2, 715–784); TestNaph hebr. 1,6 (dt. Übers. in: JÜRGEN BECKER, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1974, 1–163: 152–158). 27 Einige Belege aus der rabbinischen Literatur nennt MATHYS, Art. Goldene Regel (Anm. 18), 571f. 28 Neben den gleich zu besprechenden Texten der Jesusüberlieferung hat die Goldene Regel im Neuen Testament noch Eingang in die „westliche“ Textüberlieferung des sogenannten Aposteldekrets gefunden, vgl. Apg 15,20.29. 29 Belege bei MATHYS/HEILIGENTHAL/SCHREY, Goldene Regel (Anm. 18), 573. 30 Repräsentativ für diese Sicht sind gegenwärtig etwa JOHN S. KLOPPENBORG, The Formation of Q. Trajectories in Ancient Wisdom Collections, Philadelphia 1987; RONALD A. PIPER, Wisdom in the Q-tradition. The Aphoristic Teaching of Jesus, MSSNTS 61, Cambridge 1989. Wichtige Gegenargumente und Modifikationen finden sich bei MIGAKU SATO, Wisdom Statements in the Sphere of Prophecy, in: RONALD A. PIPER (Hg.), The Gospel behind the Gospels. Current Studies on Q, NT.S 75, Leiden u.a. 1995, 139–158; CHRISTOPHER M. TUCKETT, A Cynic Q?, Bib. 70, 1989, 349–376.

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Weisheit als Thema biblischer Theologie

meinden unter seinem Namen Worte zusammengestellt, die sie von ihm in Erinnerung behalten hatten oder die ihrer Meinung nach seiner Intention entsprachen. Sie sahen also auch in Jesus einen Lehrer der Weisheit. Dass sich Jesus selbst als ein solcher Weisheitslehrer verstanden habe, dies ist eine Forschungsposition, die vor allem in der jüngsten englischsprachigen Jesusforschung mit großem Nachdruck vertreten wird. Sie ist auch in deutscher Sprache durch die Übersetzung des Jesusbuches von John Dominic Crossan zugänglich geworden. 31 Nach Crossan war Jesus kein asketischer Endzeitprophet wie etwa Johannes der Täufer, sondern vielmehr „ein bäuerlicher jüdischer Kyniker“, 32 einer, der in der Nachfolge des berühmten Diogenes „in der Tonne“ vor allem durch mündliche philosophische Praxis und einen provozierenden Lebensstil wirken wollte. Typisch für seine Verkündigung seien weniger die Worte über das bevorstehende Ende der Geschichte und das Hereinbrechen des Gottesreiches als vielmehr volkstümliche Lebensregeln und provokant radikale Kulturkritik. Die nächstliegende Analogie dazu finde man in der Lehre und Lebensweise kynisch-stoischer Wanderprediger. Jesus unterscheide sich von diesen vorwiegend in Städten auftretenden Individualisten lediglich durch seinen ländlichen Wirkungskreis und durch die Gemeinschaftsdisziplin seines Anhängerkreises. Ein solches Jesusbild wird freilich meines Erachtens dem, was wir von Jesus insgesamt wissen, kaum gerecht. Es vernachlässigt nicht nur die klar erkennbare eschatologische Ausrichtung seiner Verkündigung, sondern auch deren inhaltliche Prägung durch die biblisch-jüdische Überlieferung. Bei aller Einseitigkeit kann es aber doch dazu anregen, neben diesem eben genannten, m.E. zentralen Bereich des Wirkens Jesu auch die Elemente seiner Verkündigung zu beachten, die ihn als „Kind seiner Zeit“, als Repräsentanten eines tief hellenistisch beeinflussten Judentums in Palästina erkennen lassen. Die hellenistische Kultur und Philosophie hat ja um das jüdische Kernland keineswegs einen Bogen gemacht. 33 Ganz in der Nähe von Jesu galiläischer Heimat gab es aufblühende hellenistische Städte wie Sepphoris oder Tiberias und sogar ein Zentrum philosophischer Bildung wie Gadara im Ostjordanland, Heimatstadt einer ganzen Reihe berühmter kynischer und epikureischer Philosophen! Mag auch Jesus kaum direkt mit solchen heidnischen Philosophen verkehrt haben, so war ihm deren Gedankengut doch zumindest in hellenistisch-jüdischer Umprägung 31

JOHN D. CROSSAN, Der historische Jesus, München 1994 (engl. Originalausg.: The Historical Jesus: The Life of a Mediterranean Jewish Peasant, San Francisco 1991). 32 A.a.O., 553. Beziehungen zwischen der Jesusbewegung und dem Kynismus in Galiläa hatte vorher schon herausgestellt‘ F. GERALD DOWNING, Jesus and the Threat of Freedom, London 1987; DERS., Christ and the Cynics. Jesus and Other Radical Preachers in FirstCentury Tradition, JSOTM 4, Sheffield 1988; DERS., Cynics and Christian Origins, Edinburgh 1992, 115–168. 33 Vgl. MARTIN HENGEL, The ‚Hellenization‘ of Judaea in the First Century after Christ, London/Philadelphia 1989.

4. Das Liebesgebot

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nicht fremd. Zumindest eine solche indirekte Verbindung Jesu zur hellenistischen Popularphilosophie ist daher durchaus wahrscheinlich. 34 Auch die Goldene Regel innerhalb der Jesusüberlieferung kann somit als ein Indiz für die Begegnung von Judentum und Hellenismus in der Verkündigung Jesu und ihrer Überlieferung angesehen werden, 35 selbst wenn sie erst durch hellenistisch-jüdische Vermittlung Eingang in sie gefunden hat. Freilich steht diese universale weisheitliche Mahnung in der Jesusüberlieferung nicht für sich, sondern im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Mahnung, die häufig als analogieloses Eigengut Jesu angesehen wird, dem Liebesgebot in seiner radikalen Zuspitzung auf die Feindesliebe. Diesem Zusammenhang haben wir uns nun zuzuwenden.

4. Das Liebesgebot 4. Das Liebesgebot 4.1 Das Liebesgebot in den Evangelien 36 Während die Goldene Regel im Matthäusevangelium die lange Reihe von Einzelmahnungen der Bergpredigt abschließt (Mt 7,12), also gewissermaßen die Summe aus ihnen zieht, ist sie innerhalb der Feldrede bei Lukas eingerahmt durch das zweimal ausgesprochene Gebot der Feindesliebe (Lk 6,31; vgl. 6,27– 36). 37 Dieses Gebot finden wir auch in der Bergpredigt bei Matthäus (Mt 5,43– 34 HENGEL, a.a.O., 44, meint unter Hinweis auf die Arbeiten von Downing: „affinities between Gospel tradition and Cynic religious and social criticism go right back to Jesus himself“. 35 DOWNING, Cynics and Christian Origins (Anm. 32), 129, verweist auf Parallelen zu ihr in der paganen hellenistischen philosophischen Tradition. 36 Vgl. zum Verhältnis von Liebesgebot und Goldener Regel in der Jesusüberlieferung J. IAN H. MCDONALD, The Great Commandment and the Golden Rule, in: Understanding Poets and Prophets (FS G. W. Anderson), hg. v. ALAN G. AULD, JSOT.S 123, Sheffield 1993, 213–226, der interessante Konsequenzen des exegetischen Befundes für eine Gruppengrenzen überschreitende Ethik einerseits, für den jüdisch-christlichen Dialog andererseits zieht. Auch ULRICH LUZ, Selbstverwirklichung? Nachdenkliche Überlegungen eines Neutestamentlers, in: FRIEDRICH DE BOOR (Hg.), Selbstverwirklichung als theologisches und anthropologisches Problem, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Wissenschaftliche Beiträge 1988/7, A 104, Halle 1988, 132–152, kommt im Zusammenhang mit Überlegungen zu Selbstverwirklichung und Selbstverleugnung auf die Nächsten- und Feindesliebe in der frühjüdischen Tradition und in der Jesusüberlieferung zu sprechen und reflektiert dabei das Verhältnis von Binnenmoral und universalem Ethos (a.a.O., 141–145). 37 Zum ursprünglichen Zusammenhang beider in der Redequelle vgl. ULRICH LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, Teilbd. 1: Mt 1–7, EKK I/1, Zürich u.a. 1985, 387f. Zur Feindesliebe in der Verkündigung Jesu vgl. HELMUT MERKLEIN, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft. Eine Skizze, SBS 111, Stuttgart 21989, 132–142. Zu Motivationen sowie traditions- und sozialgeschichtlichen Hintergründen der Feindesliebe auf den Ebenen der Evangelisten, der Redequelle und der Jesusbewegung vgl. GERD THEISSEN, Gewaltverzicht und

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Weisheit als Thema biblischer Theologie

48). Es ist also der Überlieferung der Redequelle zuzuordnen. 38 Allerdings steht es bei Matthäus im Zusammenhang der „Antithesen“ (5,21–48), einer sorgfältig komponierten Zusammenstellung von Mahnungen, die das Proprium der Lehre Jesu im Gegenüber zur Lehre der „Alten“, offenbar der jüdischen Gegner der Jesusanhänger, zum Ausdruck bringen sollen. Darüber hinaus steht das Gebot der Feindesliebe in sachlicher Beziehung zum Gebot der Nächstenliebe, das Jesus nach allen drei synoptischen Evangelien in einem ganz anderen Zusammenhang ausgesprochen hat, nämlich in Jerusalem während der letzten Tage vor seiner Passion (Mk 12,28–34; Mt 22,34– 40; Lk 10,25–28). 39 Hier wird Jesus von einem schriftkundigen Juden nach dem größten aller Gebote gefragt, nach der Mitte der Tora. Er antwortet, indem er nicht eines, sondern zwei zentrale Toragebote zitiert, die durch das gemeinsame Stichwort „lieben“ miteinander verbunden sind: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.“ und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Das erste dieser Gebote steht im 5. Buch Mose und ist Teil des Grundbekenntnisses Israels, des Schema Jisrael (Dtn 6,4f.), das Jesus bei Mk an der genannten Stelle auch mitzitiert: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein.“ Das zweite stammt aus dem 3. Buch Mose und gehört dort zu einer Reihe der wichtigsten ethischen Weisungen der Tora (Lev 19,18; vgl. V. 34). Das Liebesgebot ist also alles andere als etwas Neues im Munde Jesu. Es ist Zitat aus Mose, dem Gesetzgeber Israels! Indem Jesus dieses Grundgebot zitiert, bekennt er sich ausdrücklich zu der Einzigartigkeit des Gottes Israels im Gegensatz zu allen andern Völkern und ihren Göttern. Feindesliebe (Mt 5,38–48/Lk 6,27–38) und deren sozialgeschichtlicher Hintergrund, in: DERS., Studien zur Soziologie des Urchristentums, WUNT 19, Tübingen 31989, 160–197. 38 Vgl. zum Gebot der Feindesliebe in der Jesusüberlieferung JOHN PIPER, „Love Your Enemies“. Jesus’ Love Command in the Synoptic Gospels and in the Early Christian Paraenesis. A History of the Tradition and Interpretation of Its Uses, MSSNTS 38, Cambridge 1979; PAUL HOFFMANN, Tradition und Situation. Zur ‚Verbindlichkeit‘ des Gebotes der Feindesliebe in der synoptischen Überlieferung und in der gegenwärtigen Friedensdiskussion, in: KARL KERTELGE (Hg.), Ethik im Neuen Testament, QD 102, Freiburg u.a. 1984, 50–118; MIGAKU SATO, Q und Prophetie. Studien zur Gattungs- und Traditionsgeschichte der Quelle Q, WUNT II/29, Tübingen 1988, 222–224: DANIEL KOSCH, Die eschatologische Tora des Menschensohnes. Untersuchungen zur Rezeption der Stellung Jesu zur Tora in Q, NTOA 12, Freiburg/Göttingen 1989, 213–426; ELISABETH SEVENICH-BAX, Israels Konfrontation mit den letzten Boten der Weisheit. Form, Funktion und Interdependenz der Weisheitselemente in der Logienquelle, MThA 21, Altenberge 1993, 104–127.412–425. 39 Vgl. dazu GERHARD DAUTZENBERG, Gesetzeskritik und Gesetzesgehorsam in der Jesustradition, in: KARL KERTELGE (Hg.), Das Gesetz im Neuen Testament, QD 108, Freiburg u.a. 1986, 46–70: 54–70; DIETER SÄNGER, Recht und Gerechtigkeit in der Verkündigung Jesu. Erwägungen zu Mk 10,17–22 und 12,28–34, BZ 36, 1992, 179–194; WOLFGANG WEISS, „Eine neue Lehre in Vollmacht“. Die Streit- und Schulgespräche des Markus-Evangeliums, BZNW 52, Berlin/New York 1989, 249–266.

4. Das Liebesgebot

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Matthäus hat, über die beiden anderen Evangelisten hinaus, diese Bindung Jesu an die biblisch-jüdische Überlieferung noch unterstrichen. Er bezeichnet das doppelte Liebesgebot ebenso wie die Goldene Regel und die Antithesen Jesu zur Lehre der „Alten“ als Zusammenfassung von „Gesetz und Propheten“. Dreimal verwendet Matthäus diesen Ausdruck (5,17; 7,12; 11,13). Dreimal verweist Jesus auf die spezifische Glaubensüberlieferung Israels, jedes Mal positiv, jedes Mal, um seine eigene Verkündigung zu charakterisieren. Das allein wäre freilich nicht weiter auffällig, sofern Jesus als Jude sich auf die Tora bezieht, auch aus ihr zitiert, um seine Haltung zu ihr im Streit mit seinen jüdischen Gegnern zu erläutern. Auffällig ist allerdings, dass Jesus auch eine so umfassende Weisung wie die Goldene Regel, die keineswegs für die Tora allein typisch ist, ja, nicht einmal in ihr vorkommt, mit „Gesetz und Propheten“ identifiziert. Das erinnert an den Umgang Philons mit Mahnungen aus der hellenistischen Weisheit. Offenbar nicht nur bei diesem griechisch gebildeten alexandrinischen Juden können „torafremde“, weisheitliche Überlieferungen in den Rang von Torageboten aufsteigen, sondern selbst bei dem „Palästinajuden“ Jesus! Und zumindest in der Sicht des Matthäus hat eine solche weisheitliche Sentenz innerhalb der Verkündigung Jesu die gleiche Würde wie das Liebesgebot! 40 Nun hat man in der wissenschaftlichen Exegese allerdings genau diese Gleichrangigkeit von Goldener Regel und Liebesgebot für die Verkündigung Jesu in Frage gestellt und behauptet, allein das Liebesgebot in der radikalen Zuspitzung auf die Feindesliebe sei für Jesus selbst typisch. 41 Die Goldene Regel dagegen sei erst in der nachösterlichen Jesusüberlieferung Jesus untergeschoben worden, und erst die Evangelisten Lukas und Matthäus haben schließlich beide auf eine Stufe gestellt. Man hat sich dafür u.a. auf Lukas berufen, bei dem ja die Goldene Regel im Zusammenhang mit dem Gebot der Feindesliebe steht. Die Feindesliebe widerspricht aber gerade dem Prinzip der Gegenseitigkeit, das in der Goldenen Regel so klassisch formuliert ist. Wird nicht die ursprüngliche Eindeutigkeit und Radikalität der Forderung Jesu aufgeweicht

40

Nach LUZ, Matthäus (Anm. 37), 186.387.391, bildet die Goldene Regel zusammen mit dem Einleitungsabschnitt zu den Antithesen (5,17–20) eine Klammer um den Hauptteil der Bergpredigt. Das wird kompositorisch durch den Verweis auf „Gesetz und Propheten“ an beiden Stellen hervorgehoben. 41 FRANÇOIS BOVON, Das Evangelium nach Lukas, Teilbd. 1: Lk 1,1–9,50, EKK III/1, Zürich u.a. 1989, 309–312.321f.; HOFFMANN, Tradition und Situation (Anm. 38), 72: „Der Doppelspruch vom Geben und Leihen, die Goldene Regel, die Barmherzigkeitsforderung können – schon wegen ihrer Nähe zur jüdischen Weisheitsüberlieferung – nur mit einigem Vorbehalt als jesuanisch angesehen werden, wenngleich sie sich seiner Verkündigung gut einfügen.“; LUZ, Matthäus (Anm. 37), 388f.: „eine nicht unproblematische ‚Pädagogisierung‘ von Jesu Gebot der Feindesliebe. Wenn Jesus sie wirklich selbst aufgenommen haben sollte, ist er damit hinter seiner eigenen Radikalität zurückgeblieben.“; vgl. 393f.

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Weisheit als Thema biblischer Theologie

und „verweltlicht“, wenn ihr eine so allgemeine Lebensregel nach dem Prinzip des gegenseitigen Vorteils an die Seite gestellt wird? M.E. zwingt die zweifellos vorhandene inhaltliche Spannung zwischen dem Gebot der Feindesliebe und der Goldenen Regel aber keineswegs dazu, die letztere Jesus abzusprechen. Vielmehr scheint mir diese Spannung gerade auf einen wesentlichen Zug der Begründung ethischer Weisungen bei Jesus selbst hinzuweisen, der für unser Thema von Bedeutung ist. Dazu haben wir erneut einen Blick auf die Traditionsgeschichte zu werfen. 4.2 Liebesgebot und Goldene Regel in der frühjüdischen Torarezeption Auf den ersten Blick scheinen das Liebesgebot einerseits und die Goldene Regel andererseits ganz unterschiedlicher Herkunft zu sein. Die Goldene Regel gehört wie gezeigt in den Bereich der internationalen antiken Weisheit, während das Liebesgebot wörtliches Zitat einer Stelle aus der Tora ist. Toratradition und Weisheitstradition scheinen unverbunden nebeneinander zu stehen. Freilich weist uns schon der Anlass, aus dem Jesus die Tora zitiert, die Frage nach ihrem größten Gebot, hin auf eine traditionsgeschichtliche Verbindung zwischen dem Liebesgebot in Jesu Mund einerseits und in seinem ursprünglichen Zusammenhang innerhalb der Tora andererseits. Gerade das Liebesgebot hatte nämlich im Frühjudentum eine wichtige Funktion erlangt bei der Suche nach einprägsamen, knappen und dennoch umfassenden Zusammenfassungen des wichtigsten Inhalts der Tora. 42 Die Frage nach der Mitte der Tora und ihre Beantwortung durch Verweis auf das Liebesgebot lagen also durchaus in der Luft. Solche Besinnung auf den Inhalt der Tora war im Frühjudentum nicht lediglich eine intellektuelle Beschäftigung für schriftgelehrte Fachleute. Die Tora als ganze wurde vielmehr als gültige Weisung Gottes für die Lebensführung angesehen. Jeder, der als Jude seinen Glauben ernst nahm, musste wissen, was in der Tora steht, um ihre Forderungen im Lebensalltag erfüllen zu können. Natürlich machte man sich auch im Frühjudentum keine Illusionen über die Fähigkeit einfacher, gutwilliger Menschen, alle der insgesamt 613 Gebote der Tora immer gegenwärtig zu haben. Vor allem kam es ja nicht darauf an, mechanisch ihren Wortlaut zu kennen, sondern vielmehr darauf, den Willen Gottes, der aus ihnen zu erschließen ist, im täglichen Leben zu erfüllen. Und dies erforderte immer neue Besinnung auf die Intention der Tora angesichts sich 42 Vgl. zur Bedeutung des Liebesgebotes in der Bibel und im Frühjudentum HANS-PETER MATHYS, Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Untersuchungen zum alttestamentlichen Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18), OBO 71, Freiburg/Göttingen 21990; ANDREAS NISSEN, Gott und der Nächste im antiken Judentum. Untersuchungen zum Doppelgebot der Liebe, WUNT 15, Tübingen 1974; KLAUS BERGER, Die Gesetzesauslegung Jesu. Ihr historischer Hintergrund im Judentum und im Alten Testament, Teil 1: Markus und Parallelen, WMANT 40, Neukirchen-Vluyn 1972, 80–136.

4. Das Liebesgebot

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wandelnder Lebensbedingungen und Herausforderungen des Alltags. Die Überlieferungen der Vergangenheit, zu denen in frühjüdischer Zeit eben auch schon die Gebote der Tora gehörten, konnten nur lebendig und in Geltung bleiben, wenn sie immer neu anhand der Situation der Gegenwart aktualisiert wurden. 43 Das Gebot der Nächstenliebe diente dabei als eine Art Richtschnur für die aktuelle Auslegung der zahlreichen ethischen Weisungen der Tora. Es konnte z.B. kurze, einprägsame Zusammenstellungen wichtiger Verhaltensregeln rahmen oder abschließen und dadurch die Gesamtintention der Bemühung um Treue zur Tora zum Ausdruck bringen. 44 Nun beschränkte man sich bei der aktualisierenden Interpretation der Tora im Frühjudentum aber nicht auf Weisungen und Wendungen der Bibel, sondern bezog passendes Überlieferungsgut aus der Umwelt ohne weiteres ein, wenn es dazu verhalf, der Intention der biblischen Gebote Geltung zu verschaffen. Die oben besprochene Aufnahme der Goldenen Regel in die Torazusammenfassung der Hypothetika des Philon ist nur ein Beispiel für viele. Offenbar war also diese aktualisierende Interpretation der Tora der traditionsgeschichtliche Ort, wo sich Gesetz und Weisheit begegneten. Und unter der Haube des Liebesgebotes wurde sozusagen ihre Ehe besiegelt. Nicht erst in der nachösterlichen Jesusgemeinde und auch nicht zuerst bei Jesus kommen also exklusiv theologisch begründete Forderung und allgemein menschliche Erfahrung bzw. Ermahnung zueinander. Dies ist schon charakteristisch für den Umgang mit der Tora, der verbindlichen Weisung Gottes, im Frühjudentum. Es kann somit als eine gesamtbiblische Art ethischer Urteilsfindung gelten! Dass auch Jesu Weisung zur Feindesliebe aus der Verbindung von weisheitlicher Überlieferung und exklusiv theologischem Anspruch heraus zu verstehen ist, von daher also keinen Gegensatz zur Goldenen Regel bildet, möchte ich abschließend zeigen. 4.3 Liebesgebot und Goldene Regel als Weisungen Jesu Die Forderung der Feindesliebe wird oft gerade deshalb zum Kernbestand der Verkündigung Jesu gerechnet, weil sie in seiner Umwelt analogielos ist. 45 43

Vgl. KARLHEINZ MÜLLER, Beobachtungen zum Verhältnis von Tora und Halacha in frühjüdischen Quellen, in: INGO BROER (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart 1992, 105–134. 44 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 24), 122–124.157f. 45 Dies ist zunächst ein traditionsgeschichtlicher Befund, kein Werturteil! Die Auslegungstradition, die von diesem Befund aus andere Überlieferungsbereiche, im Besonderen den frühjüdischen und rabbinischen, abzuwerten versuchte, ist sicher korrekturbedürftig. Vgl. dazu KOSCH, Die eschatologische Tora des Menschensohnes (Anm. 38), 329–340; SEVENICH-BAX, Israels Konfrontation mit den letzten Boten der Weisheit (Anm. 38), 412–425. Man sollte dabei aber die Differenzierungen im Einzelnen und das besondere Profil der Verkündigung Jesu nicht übertünchen. Vgl. die vorbildlich abgewogene Stellungnahme bei LUZ, Matthäus (Anm. 37), 307–309.

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Weisheit als Thema biblischer Theologie

Schon die Kirchenschriftsteller des 2. Jh. haben in ihr ein Novum christlicher Ethik gesehen, das von der nichtchristlichen Umwelt entweder bewundernd oder aber verständnislos wahrgenommen wurde. Und in der Tat lässt sich Jesu Gebot der Liebe zum Feind nicht direkt aus irgendwelchen zeitgenössischen Zeugnissen herleiten. Allerdings steht es ebenso wenig im luftleeren Raum. Als ein spezieller Fall der Nächstenliebe gehört es wie eben gesehen ohne Zweifel in den Bereich der Wirkungsgeschichte des Liebesgebotes der Tora. Auch für das barmherzige Verhalten gegenüber dem Feind finden sich in der Tora schon gewisse Ansätze (vgl. Ex 23,4f.), wenngleich weder dort noch sonst irgendwo in der jüdischen Überlieferung die Liebe zum Feind gefordert wird. Andererseits ist nun aber die uneingeschränkte Menschenliebe (›   ”“ ) auch ein klassischer Topos der griechischen Philosophie, insbesondere ihrer Ausprägung in der hellenistischen Ethik. 46 Da nach Auffassung der stoischen Philosophie jeder Mensch Anteil an derselben, göttlichen Abstammung hat, entspricht die universale Menschenliebe geradezu der Natur. Sie gilt durchaus auch dem unsympathischen Mitmenschen gegenüber. Denn der wahrhaft Weise lässt sich in seinem Verhalten nicht durch äußerlich erfahrenes Unrecht beeinflussen. Auch hier ist deutlich, dass solche Gedanken weder die Formulierung noch den geistigen Hintergrund für Jesu Gebot der Feindesliebe im Sinne einer Ableitung erklären können. Sie bieten aber immerhin einen gewissen Verständnishorizont für diese einmalige Weisung. 47 Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch einmal auf den schon im ersten Teil zitierten Spruch aus dem biblischen Sprüchebuch zum Verhalten gegenüber dem Feind zurückzukommen: „Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser, denn du wirst feurige Kohlen auf sein Haupt häufen, und der HERR wird dir’s vergelten.“ (Spr 25,21f.) Auch hier ist nicht von der Liebe zum Feind die Rede, sondern vielmehr vom barmherzigen Verhalten ihm gegenüber. Wir hatten gesehen, dass diese Mahnung ganz dem weisheitlichen Prinzip der Gegenseitigkeit entspricht, wobei hier dieses Prinzip sogar auf das vergeltende Handeln Gottes ausgeweitet worden ist. Insofern führt sie gerade nicht hin zu Jesu Gebot der Feindesliebe, sondern eher auf die Goldene Regel. Denn die Liebe zum Feind soll ja nach Jesu Weisung

46

Vgl. HANS DIETER BETZ (Hg.), Plutarch’s Ethical Writings and Early Christian Literature, SCHNT 4, Leiden 1978, 88.123.420f.450f.490f.; ULRICH LUCK, Art. ›   ”“ , ›  ”“, ThWNT 9, 1973, 107–111; THEISSEN, Gewaltverzicht und Feindesliebe (Anm. 37), 171–174; LUZ, Matthäus (Anm. 37), 308, sowie zuletzt HANS-JOSEF KLAUCK, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis, KStTh 9,2, Stuttgart u.a. 1996, 111. 47 Für die Rezeption dieser Konzeption hellenistischer philosophischer Ethik im Judentum stehen wieder der Aristeasbrief (EpArist 208.257.265.290) und Philon von Alexandrien (vgl. Abr 107–118.208; Decal 108–110; Virt 109–118; SpecLeg 4,72).

4. Das Liebesgebot

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gerade nicht in der Hoffnung auf entsprechende Vergeltung praktiziert werden. 48 Allerdings gibt es m.E. auch hier in der Mahnung des Sprüchebuches einen Ansatzpunkt, der für das Verständnis der Feindesliebe im Sinne Jesu von Bedeutung ist. Wenn das Verhalten von Mensch zu Mensch, das durch die Goldene Regel bestimmt ist, zum Verhalten Gottes in Beziehung gesetzt wird, dann tritt damit eine dritte Instanz ins Spiel. Das zwischenmenschliche Verhalten gerät so in eine neue Perspektive. Zwar verhält sich Gott in der zitierten weisheitlichen Mahnung dem menschlichen Tun entsprechend und damit nach den Regeln des Prinzips der Gegenseitigkeit. Dies bedeutet aber nicht, dass sich Gott immer so verhalten muss. Die Mahnung des Sprüchebuches redet in ihrem biblischen Gesamtzusammenhang von keinem anderen Gott als dem Gott Israels. Dieser Gott aber verhält sich seinem Volk gegenüber keineswegs immer nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit, sondern vielmehr nach dem Prinzip einer ganz unverhältnismäßigen Liebe und Vergebungsbereitschaft. 49 Dass derselbe Gott auch menschlichem Verhalten entsprechend handeln kann, und zwar sowohl strafend als auch belohnend, ist damit keineswegs ausgeschlossen. Es gehört ebenso in den Bereich der Gotteserfahrung Israels. 50 Dieses Gottesverständnis ist auch für Jesu Wirken bestimmend. Ihm lässt sich m.E. das Gebot der Feindesliebe ebenso einordnen wie die Goldene Regel. Nicht nur durch die Verwendung der Goldenen Regel, sondern durch eine Fülle weiterer Worte und Geschichten gab sich Jesus seinen Zeitgenossen als eindrucksvoller, außergewöhnlicher Lehrer der Weisheit zu erkennen. 51 Denken wir nur an seine Gleichnisse und daran, welche Bedeutung der Verweis auf Naturvorgänge in ihnen hat! So wie für die jüdischen Weisheitslehrer vor ihm 48

Vgl. Lk 6,32–34; Mt 5,46f. Dies hat aus frühjüdischen Zeugnissen schön herausgearbeitet ANGELIKA STROTMANN, „Mein Vater bist du!“ (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Schriften, FTS 39, Frankfurt a. M. 1991. Vgl. jetzt auch den Überblick von THOMAS SÖDING, „Gott ist Liebe“. 1Joh 4,8.16 als Spitzensatz Biblischer Theologie, in: Der lebendige Gott. Studien zur Theologie des Neuen Testaments (FS W. Thüsing), hg. v. THOMAS SÖDING, Münster 1996, 306–357 (zu AT und Frühjudentum 309–331). 50 Eine abgewogene Auseinandersetzung mit der Konzeption des weisheitlichen Weltordnungsdenkens und seinen Konsequenzen für das Gottesverständnis im Rahmen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs findet sich bei HORST D. PREUSS, Theologie des Alten Testaments, Bd.1: JHWHs erwählendes und verpflichtendes Handeln, Stuttgart 1991, 209–220. Vgl. auch die von Preuss herausgearbeiteten „Grundstrukturen des atl. Gottesglaubens“, a.a.O., 283– 285. 51 Vgl. MARTIN HENGEL, Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit und die Anfänge der Christologie, in: Sagesse et Religion, Colloque de Strasbourg (octobre 1976), Bibliothèque d’Études Supérieures spécialisés d’Histoire des Religions de Strasbourg, Paris 1979, 147–188 (bes. 163ff.: „Der weisheitliche Grundzug der Verkündigung Jesu“). 49

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Weisheit als Thema biblischer Theologie

sind auch für Jesus Gegebenheiten der Natur Erweis für die gute, dem Menschen heilsame Ordnung, die Gott seiner Schöpfung gegeben hat. Darüber hinaus kann er aber gerade auch mit weisheitlichen Mitteln wie antithetisch formulierten Mahnworten oder Metaphern aus der erfahrbaren Natur in provozierender, z.T. paradoxer Argumentation seine Verkündigung vom Anbruch der Gottesherrschaft und von seiner eigenen Funktion in diesem Geschehen zur Sprache bringen. 52 Jesu Verkündigung lässt sich also nicht auf die Kategorie der jüdischen Weisheitslehre reduzieren. Nicht nur sein Gebot der Feindesliebe sprengt diese Kategorie, sondern ebenso die Aufforderung zu absolutem Gewaltverzicht oder das Verbot jedes Eides. Solche Forderungen vermitteln nicht Orientierung in universell erfahrbaren Situationen, sondern bringen den prinzipiellen Kontrast zwischen der gegenwärtig erfahrenen und der von Gott gewollten Welt zur Sprache. 53 Vor allem aber lässt sich Jesu Auftreten und Wirken insgesamt, das letztlich sein irdisches Geschick besiegelt hat und zum Grund des christlichen Glaubens geworden ist, nicht allein vom Modell des Auftretens eines Weisheitslehrers her verstehen. In ihm wird vielmehr das charakteristische Handeln Gottes sichtbar, das sich schon in den Überlieferungen der alttestamentlichen Weisheit nicht in die Kategorien des Gegenseitigkeitsprinzips einfangen ließ. Die neutestamentlichen Zeugen haben dieses Wirken und Geschick Jesu im Licht biblischer Vorstellungen und Verheißungen als das Kommen und die Gegenwart des endzeitlichen Repräsentanten Gottes gedeutet, des Gesalbten, der den Geist Gottes trägt wie der Freudenbote, der in Jes 61,1f. für die Endzeit verheißen wird (vgl. Mt 11,2–6 par. Lk 7,18–23; Lk 4,16–21). 54 So wie in dem Spruch vom Verhalten gegenüber dem Feind der Gott Israels als „dritte Instanz“ hinzutritt, die dem Menschen seinem Tun entsprechend zwar vergelten kann aber nicht muss, so begegnet uns in den Forderungen Jesu er selbst als „dritte Instanz“. Er kann sehr wohl dazu auffordern, genau das zu

52 HENGEL, a.a.O., 152, urteilt: „Jesu Anspruch als ‚Weisheitslehrer‘ und ‚prophetischer‘ Prediger ist nicht zu verstehen, ohne daß man den endzeitlich motivierten Bruch mit der traditionellen, man könnte auch sagen institutionalisierten Weisheit des zeitgenössischen Judentums und ihren anerkannten Vertretern beachtet.“ Vgl. auch HARTMUT GESE, Die Weisheit, der Menschensohn und die Ursprünge der Christologie als konsequente Entfaltung der biblischen Theologie, SEÅ 44, 1979, 77–114 (= in: DERS., Alttestamentliche Studien, Tübingen 1991, 218–248); RAINER RIESNER, Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung, WUNT II/7, Tübingen 31988, 330–344. 53 Vgl. JOACHIM GNILKA, Jesus von Nazaret. Botschaft und Geschichte, Freiburg u.a. 2 1993, 233: „Die Demonstration der Gewaltlosigkeit ist die Demonstration einer von Gott gestifteten neuen Ordnung, die der ‚Welt‘ um so verrückter und wahnwitziger erscheinen muß, als sie sich auf sich selbst und ihre alte Ordnung festlegt.“ 54 Dass dabei auch traditionsgeschichtliche Zusammenhänge wirksam waren, die mit der frühjüdischen Weisheitsüberlieferung in Verbindung stehen, hat HENGEL, Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit (Anm. 51), 180–188, gezeigt.

5. Schluss

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tun, was offenkundig und aller Erfahrung nach nottut und für den Einzelnen wie für die Sozialgemeinschaft heilsam ist. Und ebenso kann er eine Wirklichkeit zur Sprache bringen und zur Forderung erheben, die jenseits aller Erfahrungen der Vergangenheit liegt. Diese letzte Wirklichkeit und Forderung richtet sich freilich zu allererst an diejenigen, die in der Bindung an Jesus ihren neuen Lebenshalt gewonnen haben. Sie ist also denkbar ungeeignet für christliche Moralpredigten an Außenstehende. Dagegen kann die Besinnung auf Jesus als Weisheitslehrer m.E. durchaus beitragen zum gesellschaftlichen Dialog über fundamentalethische Begründungen für das heute nottuende Verhalten.

5. Schluss 5. Schluss Die Besinnung auf Weisheit als Thema der biblischen Theologie hat uns am Ende nun doch zur Frage nach dem spezifischen Ethos Jesu geführt. Dabei hatten wir ursprünglich vor, gerade nicht nach dem unterscheidend Christlichen, sondern nach dem verbindend Universalen der Begründung ethischen Handelns zu suchen. Offenbar ist es aber, wenn man aus dem Vorverständnis des christlichen Glaubens biblische Theologie treibt, gar nicht möglich, von dem Besonderen des Anspruchs und der Weisung Jesu abzusehen. Ich bekenne mich ausdrücklich zu diesem Vorverständnis meiner biblisch-theologischen Arbeit. Dennoch hoffe ich gezeigt zu haben, dass die Frage nach Weisheit in der Bibel nicht nur für den christlichen Bibelausleger fruchtbar sein kann, sondern auf Zusammenhänge und auf eine Sprache führt, die in einem sehr viel weiteren Kommunikationsfeld verstehbar ist. Denn das eben benannte Dilemma gilt ja auch umgekehrt: Auch wer von vornherein nach dem Ethos Jesu fragt, kommt gar nicht umhin, die Zusammenhänge zwischen dem exklusiven Offenbarungsanspruch Jesu und seiner Einbindung in den Überlieferungshorizont inklusiver Weisheit zur Kenntnis zu nehmen. Das bedeutet aber hermeneutisch: Protestantische Theologie und Kirche, die sich darauf beschränkt, in das heutige Gespräch über ethische Fundamentalprobleme und Konkretionen allein den exklusiven Anspruch der Kontrastforderungen Jesu einzubringen, sich aber nicht darum bemüht, diesen Anspruch mit kommunikationsfähigen Entfaltungen im Sinne eines Ethos der Gegenseitigkeit und der universal zugänglichen Menschheitserfahrung zu vermitteln, kann nicht beanspruchen, biblisches Ethos zu vertreten. Von dem besonderen Anspruch Jesu kann sie sicher niemals absehen, vor allem, sofern sie ihn an sich selbst richtet. Die Bedeutung des weisheitlichen Ethos darf aber dabei nicht außer Acht gelassen werden. Sie liegt vor allem darin, dass es weisheitlichem Ethos gelingt, überlieferte Werte, Erfahrungen und Prinzipien mit jeweils neuen, aktuellen Herausforderungen zu verbinden. In dieser Hinsicht kann auch Jesu Ethos als weisheitlich bezeichnet werden, sofern es die frühjüdische Praxis weiterführt, den in der Tora niedergelegten umfassenden Willen

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Weisheit als Thema biblischer Theologie

Gottes situationsbezogen in die Gegenwart zu vermitteln. Und auf diese Weise kann es auch wegweisend sein „angesichts des Abgrunds“.

Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit Eine Problemskizze Jürgen Roloff zum 70. Geburtstag

1. Jesus als Lehrer in der Überlieferung 1. Jesus als Lehrer in der Überlieferung Das Bild von Jesus als einem weisen Lehrer ist seit der Antike fest in der Überlieferung verankert. Schon im ältesten nichtchristlichen Jesus-Zeugnis, dem sogenannte Testimonium Flavianum (Josephus, Antiquitates 18,63f.), wird Jesus als „weiser Mann“, „Vollbringer unglaublicher Taten“ und „Lehrer der Menschen, die mit Freuden die Wahrheit annahmen“, bezeichnet. 1 In ungleich stärkerer Weise prägten freilich die neutestamentlichen Evangelien das Bild von Jesus als Lehrer. Insbesondere das Matthäus-Evangelium schildert sein Auftreten in Galiläa und Jerusalem als das eines Wanderlehrers, dessen öffentliche Lehrtätigkeit zunächst sehr erfolgreich verläuft, zur Bildung eines Schülerkreises mit exklusiver Unterweisung und gemeinsamer Lebensweise führt, ihn freilich zunehmend auch in Konflikte führt, so dass er schließlich, von allen Schülern und Anhängern verlassen, in Jerusalem eines gewaltsamen Todes stirbt. Ansätze zu diesem Bild finden wir schon in der vorliterarischen JesusÜberlieferung. So ist die Anrede Jesu als Lehrer („Rabbi“ bzw.   ) wie auch die Bezeichnung „Schüler“ (  ) für seine engsten Anhänger fest in der Überlieferung verankert. Darüber hinaus bestand die von Matthäus und Lukas verarbeitete sogenannte „Logienquelle“ (Q) zum überwiegenden Teil aus Einzelsprüchen oder kurzen Spruchkompositionen, die an Spruchsammlungen antiker Weiser, sogenannte „Logoi Sophon“, erinnern konnten. 2

1

Vgl. zu neueren Analysen des Testimonium Flavianum GERD THEISSEN/ANNETTE MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 21997, 74–82. – Jürgen Roloff hat schon in einer ganz anders orientierten forschungsgeschichtlichen Situation die Frage nach dem Weg, den Taten und den spezifischen Gemeinschaftsformen Jesu in das Zentrum seines Forschens und in die Mitte der Theologie des Neuen Testaments gerückt: JÜRGEN ROLOFF, Das Kerygma und der irdische Jesus, Göttingen 1970; vgl. DERS., Jesus, München 2000. 2 Vgl. dazu MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/ Göttingen 1979, 157–175; ELISABETH SEVENICH-BAX, Israels Konfrontation mit den letzten

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Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit

Allerdings darf bei solchen Indizien für eine Lehrtätigkeit Jesu nicht übersehen werden, dass alle diese Texte erst in den nachösterlichen Gemeinden entsprechend ihren aktuellen Bedürfnissen zusammengestellt worden sind. Das Bild von Jesus als Lehrer wurde also aus dem Wissen um den Ausgang seines Wirkens am Kreuz und im Lichte der Erfahrung seiner Auferweckung von den Toten gezeichnet.

2. Probleme der Rekonstruktion des Wirkens Jesu 2. Probleme der Rekonstruktion des Wirkens Jesu Den maßgeblichen Interpretationszusammenhang für Jesu Wirken und seine Verkündigung bildete das Judentum im Land Israel vor dem Jüdischen Krieg. In dem Maße, wie die Vielfalt jüdischen Lebens in hellenistisch-römischer Zeit vor Augen tritt, verringert sich die Überzeugungskraft religionsgeschichtlicher Konstruktionen, nach welchen Jesus in einen prinzipiellen Gegensatz zu ‚dem Judentum‘ gerückt wird. 3 Die Tora nimmt in der Jesus-Überlieferung relativ wenig Raum ein. Dass Jesus sich mit seiner Verkündigung von der Gottesherrschaft grundsätzlich gegen sie gewandt haben sollte, ist nicht zu belegen. 4 Bei der Rekonstruktion der auf Jesus selbst zurückführbaren Überlieferung geht die Exegese fast durchgängig von der sogenannten Zwei-Quellen-Hypothese aus. Über Charakter, Entstehungsgeschichte und Gestalt der „Logienquelle“ (Q) herrscht allerdings in der Spezialforschung wenig Einigkeit. Die Q-Forschung unterscheidet heute mehrere Redaktionsschichten mit jeweils unterschiedlichen Akzenten und theologischen Interessen, insbesondere eine prophetisch-eschatologische Schicht, welcher die Gerichts- und die Menschensohnworte zugeordnet werden, von einer weisheitlichen, zu welcher Mahnsprüche und ethische Sentenzen gerechnet werden. Die Frage nach weisheitlichen und lehrhaften Aspekten in der Verkündigung Jesu hat folgerichtig besonders dieses Spruchgut zu berücksichtigen. Allerdings wäre es irreführend, allein auf Grund der Logienquelle ein Bild von Jesus als Lehrer zu entwerfen. Auch der Redestoff der Logienquelle ist nie isoliert vom Wissen um Wirken, Weg und Geschick Jesu tradiert worden. Deshalb wird man den Zusammenhang von weisheitlichen und eschatologischen Aspekten auch in dem ‚JesusPhänomen‘, das der Überlieferung zu Grunde liegt, aufweisen müssen. Auf der

Boten der Weisheit. Form, Funktion und Interdependenz der Weisheitselemente in der Logienquelle, MThA 21, Altenberge 1993; DIETER ZELLER, Die weisheitlichen Mahnsprüche bei den Synoptikern, fzb 17, Würzburg 21983. 3 Vgl. zur forschungsgeschichtlichen Reflexion KARLHEINZ MÜLLER, Das Judentum in der religionsgeschichtlichen Arbeit am Neuen Testament, JudUm 6, Frankfurt a. M. 1983. 4 Zur neueren Diskussion dieses Themas vgl. INGO BROER (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart u.a. 1992.

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Grundlage einer differenzierten Zuordnung Jesu zum Judentum muss der innere Zusammenhang zwischen seiner Verkündigung, den Grundzügen seines Auftretens und der Eigenart der Konflikte, in die er dadurch geführt wurde, aufgezeigt werden. Stichwortartig sei dieser Zusammenhang skizziert: Grunddatum der Verkündigung Jesu ist die Ankündigung der in seinem Wirken unmittelbar nahe gekommenen Gottesherrschaft. Sie steht im Horizont der eschatologischen Erwartungen Israels in frühjüdischer Zeit, gleichzeitig aber auch in Verbindung mit dem Autoritätsanspruch, den Jesus für seine Person erhob. Dieser Selbstanspruch lässt sich nicht durch vorgegebene messianische Kategorien oder Titel erfassen. Vielmehr ergibt er sich aus dem Gesamtzusammenhang seines Wirkens, das im Lichte der Endzeiterwartungen Israels als Verkörperung des heilvollen Handelns Gottes an seinem Volk wahrgenommen werden konnte. In diesem Horizont konnten die Heilungen Jesu verstanden werden, ebenso wie die Tischgemeinschaft mit den Randsiedlern innerhalb der Sozialgemeinschaft Israels. 5 Auch die Gründung des Zwölferkreises und die Tempelaktion Jesu lassen sich als prophetische Zeichenhandlungen zur Wiederherstellung des Zwölf-Stämme-Volkes und seiner eschatologischen Vollendung deuten. Nur im Zusammenhang mit diesen Grunddaten lässt sich m.E. auch das Lehren Jesu sachgemäß erfassen. Es ist ein spezifischer Ausdruck seiner Verkündigung der Gottesherrschaft, es zielt auf den Ruf in die Nachfolge, es weist ein in ein Leben nach dem Willen Gottes.

3. Jesus und die Weisheit 3. Jesus und die Weisheit 3.1 Frühjüdische Weisheitstraditionen Die biblische Spruchweisheit entsprang dem Kontext altorientalischer Kulturen, hatte sich aber im Zusammenhang mit dem spezifischen Gottesglauben Israels eigenständig entfaltet. In frühjüdischer Zeit hatte sie längst Niederschlag in literarischen Werken gefunden, die sich ihrerseits auf dem Wege der Zusammenfügung zu einem dritten Komplex von Schriften Israels neben Tora

5 All dies entsprach prophetischen Ankündigungen der Beseitigung aller Krankheit und Not in Israel durch Gott am Ende der Zeit. Exemplarisch kommt dieser Zusammenhang in Q 7,18–23 (= Lk 7,18–23 par. Mt 11,2–5; ich folge der Konvention, Texte aus der Logienquelle nach Lukas, aber mit dem Kürzel Q nachzuweisen) zum Ausdruck, wenn die Heilungen Jesu zusammenfassend mit Wendungen beschrieben werden, die aus verschiedenen Heilsansagen des Jesajabuches zusammengesetzt sind (vgl. bes. Jes 26,19; 29,18f.; 35,5f.; 61,1).

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und Propheten befanden. 6 Zu ihnen waren weitere weisheitlich geprägte Schriften gekommen, von denen einige noch Aufnahme in die autoritativen Schriftensammlungen Israels fanden. 7 Die Weisheit mit ihren charakteristischen Redeformen, Motiven sowie theologischen und ethischen Vorstellungen gehörte im Frühjudentum somit zu den Überlieferungen, die dem Einzelnen wie der Gemeinschaft des Gottesvolkes bei der Suche nach Orientierung und Lebensbewältigung aus den Quellen des Glaubens vorgegeben waren. Die vielfältigen Stränge frühjüdischer Überlieferungen können nicht säuberlich voneinander getrennt werden. Man kann geradezu von Traditionsmischung als ihrem Kennzeichen sprechen. Elemente der Weisheitstradition finden wir in Schriften ganz unterschiedlicher Herkunft, Thematik und literarischer Gattung, ebenso wie umgekehrt Schriften weisheitlicher Prägung auch prophetisch-apokalyptische Vorstellungen oder Toratraditionen vermitteln. Will man die weisheitlichen Schriften, Stoffe und literarischen Gattungen ordnen, so kann man drei Hauptströme unterscheiden: 8 - die schriftgelehrte Weisheit, nach welcher alle Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen der Schöpfung, der Geschichte und des menschlichen Zusammenlebens in der Tora fixiert sind bzw. aus ihr hergeleitet werden können (exemplarisch für sie kann Sirach stehen), - die apokalyptische Weisheit, für welche Einsicht in die Geheimnisse göttlicher Weisheit nur einem auserwählten Kreis von religiösen Spezialisten zugänglich ist (exemplarisch repräsentiert durch die Henoch-Tradition), sowie - die popularphilosophische Weisheit, welche die Bemühung um Einsicht in Natur- und Lebensvorgänge mit Hilfe religionsphilosophischer Reflexion und universalethischer Ermahnung betreibt (Beispiel dafür ist die jüdisch-hellenistische Spruchsammlung Pseudo-Phokylides). 3.2 Träger der Weisheitstradition Ist schon im Blick auf die ältere Weisheit Israels umstritten, ob sie ihren Sitz im Leben bei Hofe, am Tempel oder in der volkstümlichen häuslichen Unterweisung hatte, so können wir über Institutionen der Vermittlung von Weisheit im Frühjudentum noch weniger Sicheres sagen. Natürlich ist damit zu rechnen, dass es auch in Israel zur Zeit Jesu Strukturen und Institutionen einer Volksbildung gab. 9 Allerdings war reguläre Schulbildung in der Antike immer nur

6 So die biblischen Bücher Sprüche, Ijob, Prediger. Auch in den Psalter haben Weisheitslieder Eingang gefunden, vgl. bes. Ps 1; 19; 73; 119. 7 So die zur griechischen Bibel gehörenden Bücher Sirach, Tobit, Weisheit und die Zusätze zu Daniel und Ester. 8 In Anlehnung an KÜCHLER, Weisheitstraditionen (Anm. 2). 9 Vgl. dazu ausführlich RAINER RIESNER, Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung, WUNT II/7, Tübingen 41993, 97–245.

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einem begrenzten Segment der Bevölkerung zugänglich. Eher kann man die örtlichen Synagogen als Bildungsinstitutionen in Betracht ziehen. Allerdings deuten die Belege für synagogales Leben im Frühjudentum neben gottesdienstlichen Vollzügen und der Regelung öffentlicher Gemeindeangelegenheiten vor allem auf die Toraunterweisung. 10 Man kann auch auf das elterliche Haus, familiäre Institutionen und lokale Kleingruppen als Orte des Lernens und der Weitergabe von Weisheit verweisen. Freilich ist dieser Lebensbereich noch schlechter in den Quellen repräsentiert. Die neutestamentlichen Schriften erwähnen gelegentlich Lehrer. 11 Es bleibt aber offen, welche Art von Lehrtätigkeit bzw. Lehrinhalten dabei im Blick ist. In Anbetracht der urchristlichen Gemeindestrukturen dürften diese Lehrer gemeindebezogene Aufgaben gehabt haben. Möglicherweise trugen sie auch zur Pflege und Vermittlung von Jesus-Überlieferung bei. 12 Eine besondere Nähe zur Weisheitsüberlieferung lässt sich aber nicht erkennen. Für die Frage nach Jesus als Lehrer ergibt sich damit vor allem die Mahnung zur Vorsicht vor kurzschlüssigen und anachronistischen Zuordnungen. Besonders problematisch sind Rückschlüsse aus dem rabbinischen Lehrbetrieb, der grundlegend veränderte soziologische, historische und theologische Gegebenheiten voraussetzt. Jesus hatte weder ein Lehrhaus, noch diente seine Lehre primär dazu, die Tora in spezifischen Anwendungsfällen praktikabel zu interpretieren. Ebenso wenig aber war er ein jüdischer Wanderphilosoph, der nach Art der Kyniker vor allem durch provokante Sprüche und Verhaltensweisen auffallen wollte. 13 Das Lehren Jesu und die Bedeutung der Weisheit für seine Lehre können nur auf der Basis der Jesus-Überlieferung entfaltet werden. Bei einer solchen Untersuchung zeigen sich immerhin eine Reihe von weisheitlichen Aspekten in der Verkündigung Jesu.

10 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 66–72.235–240. 11 1Kor 12,28; Apg 13,1; Jak 3,1; Eph 4,11; vgl. Röm 12,7. 12 So die These von ALFRED F. ZIMMERMANN, Die urchristlichen Lehrer. Studien zum Tradentenkreis der    im frühen Christentum, WUNT II/12, Tübingen 21988. 13 Ein solches in Teilen der neueren englischsprachigen Jesus-Forschung vertretenes Bild ist hierzulande durch das Jesus-Buch von JOHN D. CROSSAN, Der historische Jesus, München 1994, zugänglich geworden. Kritisch dazu MARTIN EBNER, Jesus – ein Weisheitslehrer? Synoptische Weisheitslogien im Traditionsprozeß, HBS 15, Freiburg u.a. 1998, 399– 403.

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3.3 Weisheitliche Aspekte in der Verkündigung Jesu Die engsten Beziehungen der Jesus-Überlieferung zur Weisheitstradition betreffen weisheitliche Redeformen und Motive innerhalb des Redestoffs. 14 Das weisheitliche Material begegnet allerdings nicht in Gestalt geschlossener literarischer Einheiten (ausgeführte Lehr- und Mahnreden, Gnomologien, Paradigmenreihen), sondern in Form von Einzelsprüchen oder kleineren Spruchkompositionen. Deren Kontexte in der vorliterarischen wie in der literarischen Überlieferung sind durchweg sekundär. Schon die Zusammenstellung zu Spruchkompositionen spiegelt oft ein sekundäres Stadium der Tradition. Will man zu der Gestalt vorstoßen, die weisheitliche Lehre im Munde Jesu gehabt hat, muss man versuchen, die ursprünglichen Gebrauchssituationen einzelner Weisheitsworte im Zusammenhang des Wirkens Jesu zu ermitteln. Dass dies ein notwendig hypothetisches Verfahren ist, sollte im Bewusstsein bleiben. 3.3.1 Die Alltagsweisheit Jesu Eine neue Analyse der weisheitlichen Logien in der Jesus-Überlieferung führt zu dem Ergebnis, dass ihnen ursprünglich situationsbezogen eingesetzte provokativ-subversive Einzelsprüche mit Motiven aus dem Bereich der alltäglichen Erfahrung zu Grunde lagen. 15 Betrachten wir zunächst das betreffende Spruchgut: Q 6,39 Q 6,44 Q 9,58 Q 11,11f. Q 11,17/Mk 3,24f. par. Q 11,21f./Mk 3,27 par. Q 12,6f. Q 12,24.27f. Mk 2,17 par. Mk 2,19a par. Mk 2,21f. par. Mk 4,21 par./Q 11,33

blinder Blindenführer Disteln tragen keine Feigen und Dornsträucher keine Trauben Füchse und Vögel haben keine Wohnung Schlange statt Fisch und Skorpion statt Ei gespaltene Herrschaft hat keinen Bestand der Stärkere kann plündern und Beute verteilen Spatzen und Haare sind bei Gott wertgeachtet Raben und Lilien brauchen nicht zu arbeiten Kranke brauchen den Arzt, nicht Gesunde auf einer Hochzeit kann man nicht fasten ungewalkter Flicken und neuer Wein die Lampe gehört auf den Leuchter, nicht unter den Scheffel

Martin Ebner hat mit Hilfe von Erkenntnissen aus der Sprichwortforschung versucht, den charakteristischen Klang jesuanischer Weisheit zu ermitteln. Demnach funktionieren Sprichwörter, indem sie den thematischen Zusammen-

14

Katalogartige Zusammenstellungen der betreffenden Texte finden sich bei HERMANN Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990, 205–214 (Q-Überlieferung) und 228–232 (Markus und synoptisches Sondergut). 15 Vgl. EBNER, Weisheitslehrer (Anm. 13), 373–392.

VON LIPS,

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hang eines Gesprächs sprengen und gerade dadurch zu einer neuen, überraschenden Erkenntnis über diesen Zusammenhang führen. 16 Die oft drastischen und provokativen Einzelsprüche Jesu lassen sich nicht zu einer Weisheitslehre in Sinne altorientalischer oder biblischer Schulweisheit zusammenfassen. Am Beginn der weisheitlichen Spruchüberlieferung, die später in erweiterter Gestalt Eingang in die Logienquelle gefunden hat, standen vielmehr Spruchpaare, die einen Sachverhalt oder ein Verhalten aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Besonders auffällig ist die paritätische Heranziehung der Männer- und der Frauenwelt in der Bildwelt solcher Doppelsprüche. 17 Rahmungen der Einzelsprichwörter oder Spruchpaare durch Mahnworte oder verallgemeinernde weisheitliche Interpretationen, etwa den Verweis auf die Gottesfurcht oder die Aufforderung zur Sorglosigkeit, gehören schon zum sekundären Prozess der Tradition. Charakteristisch für die Weisheitssprüche Jesu ist demnach: - die Realien werden aus dem Alltagsleben einer agrarischen Gesellschaft gegriffen (Natur, bäuerlicher Alltag in Feld, Haus und Dorf); - rationale Denkmuster bestimmen das Funktionieren der Sprichwörter (Beschreibung eines alltäglichen Vorgangs von seiner Kehrseite her, Verbalisierung einsichtiger Folgen menschlichen Verhaltens); - manchmal wird unkonventionelles, geradezu gemeinschaftsstörendes Verhalten propagiert (Faulheit von Raben und Lilien, unbehauste Existenzweise Jesu, „Fressen und Saufen“). 3.3.2 Schöpfungsbezüge als weisheitliche Elemente in Gleichnissen und anderen Redestoffen Neben Einzelsprüchen und Spruchpaaren sind die Gleichnisse Jesu ein zweiter Schwerpunkt für die Aufnahme von Weisheitstraditionen. Nach einer Regel, die Hermann von Lips formuliert hat, wird „das Wesen der Herrschaft Gottes in Entsprechung zum Geschehen in der Natur, dagegen im Kontrast zu dem im zwischenmenschlichen Bereich Üblichen gesehen“. 18 Wir wollen uns zunächst auf die Naturbezüge konzentrieren: Naturbeispiele zur Illustration der Gottesherrschaft in Gleichnissen: Mk 4,3–9 par. Mk 4,26–29 Mk 4,30–32 par. Lk 13,6–9 Mt 13,24–30

16

Sämann selbstwachsende Saat Senfkorn unfruchtbarer Feigenbaum Unkraut unter dem Weizen

EBNER, a.a.O., 35f. Z.B. Landwirtschaft und Heimarbeit in Q 12,24.27f. und Mk 2,21f. 18 VON LIPS, Traditionen (Anm. 14), 236. 17

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Naturbeispiele in Sprich- und Mahnworten: Q 6,43f. Q 12,6f. Q 12,24–28 Mt 5,45

Baum und Früchte Sperlinge und Haare Raben und Lilien Sonne über Böse und Gute

Die hier anklingenden Motive erinnern an biblische Schöpfungstexte als Bildspender, 19 spiegeln zugleich aber die Alltagserfahrung der galiläischen Landbevölkerung. Allerdings finden wir in der Jesus-Überlieferung weder ausdrückliche Hinweise auf Gott als Schöpfer oder den Schöpfungsvorgang, noch hat die Schöpfung hier, wie z.B. in den Schöpfungspsalmen, die Aufgabe, den Schöpfer zu preisen. Ebenso wenig zeigt sich ein Bestreben zu Systematisierung, Allegorisierung oder apokalyptisch begründeter Spekulation über die geheimnisvolle, nur durch spezielle Offenbarung erkennbare Ordnung der Schöpfung. 20 In der Regel wird auf Einzelvorgänge der Natur Bezug genommen, nicht auf die Schöpfung als Ganze. Zudem kommt die Schöpfung in der Regel nicht als unberührte Natur in den Blick, sondern im Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten (Familie, Ackerbau, Viehzucht) oder in ihren Auswirkungen auf den Menschen (bedrohliche Naturgewalten, das Altern). Eine Schöpfungslehre Jesu lässt sich hieraus ebenso wenig ableiten wie eine Lehre vom Schöpfer als Teil der Gotteslehre. Daneben dienen Verweise auf die Schöpfung häufig der Motivierung weisheitlicher Mahnungen. Auch subversive Momente in den Schöpfungsbezügen dürfen nicht übersehen werden. 21 Bei manchen Stellungnahmen Jesu zu Gegenständen und Forderungen der Tora scheint der Verweis auf den Willen des Schöpfers im Hintergrund zu stehen. 22 Schöpfungskonzeptionen und Toratraditionen lassen sich jedenfalls bei Jesus wie schon im Frühjudentum nicht sauber scheiden und schon gar nicht einander antithetisch gegenüberstellen.

19

Vgl. bes. Gen 1f.; Ps 8; 104; 147; Jes 40,12–26; Hi 38–40. Anders in manchen frühjüdischen Schriften wie dem Jubiläenbuch dem 1. und 2. Henochbuch oder der 4. Esra-Apokalypse. 21 Vgl. die faulen Raben und Lilien (Q 12,24–28) oder den Bauern, der sich schlafen legt, anstatt zu arbeiten (Mk 4,26–29). 22 Vgl. zum Sabbatgebot Mk 2,27 par., zum Verbot der Ehescheidung Mk 10,6–8 par., zur Reinheit Mk 7,15 par. 20

3. Jesus und die Weisheit

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3.3.3 Weisheitliches Ethos in den Mahnsprüchen im Verhältnis zu Toratraditionen Weisheitliche Aspekte können in verschiedenen Gattungen des Redestoffs ihren Niederschlag finden (Aussagesätze/Sentenzen, Mahnsprüche, Bildworte). Blicken wir wieder zuerst auf eine Auswahl charakteristischer Texte: 23 Q 6,27f.32f.35 Q 6,29f. Q 6,31 Q 6,36 Q 6,37f. Q 6,41f. Q 11,9f. Q 12,22f.25.29f. Q 12,33f. Q 12,58 Mk 4,24f. par. Mk 10,42–44 par. Mk 11,22–24 par. Mk 12,17 par. Mt 5,23f. Mt 6,1–18 Mt 10,16

Feindesliebe Vergeltungsverzicht Goldene Regel Barmherzigkeit nicht richten Splitter und Balken im Auge bitten, suchen, anklopfen sich sorgen Schätze sammeln rechtzeitige Versöhnung rechtes Maß; wer hat, dem wird gegeben dienen statt herrschen Glaube und Gottvertrauen dem Kaiser geben und Gott geben Versöhnung geht dem Opfer voran Almosen geben, beten, fasten klug wie die Schlangen, ohne Falsch wie die Tauben

Bei den weisheitlichen Mahnsprüchen ist die Verwandtschaft mit der biblischen und frühjüdischen Spruchweisheit besonders augenfällig. Weitgehend entsprechen sich Redeformen (unbegründete Mahnungen, begründete weisheitliche Mahnsprüche, antithetische Parallelismen, Makarismen, Weherufe), Begründungen (innerweltlich-rational, Tun-Ergehen-Zusammenhang, schöpfungstheologisch, eschatologisch), Motive (Schöpfung/Natur, Landwirtschaft), Themen (zwischenmenschliches Verhalten, Familie, Besitz, Prozesswesen, Frömmigkeit) und Argumentationsstrategien (Imperativ, Vetitiv, Gnome, Bildwort/Gleichnis, Paradigma, Paradoxon). Sichere Kriterien für eine traditionsgeschichtliche Scheidung zwischen Jesus und der sekundären Überlieferung gibt es kaum. Man kann lediglich im Blick auf die Gesamtheit der weisheitlichen Mahnsprüche bestimmte charakteristische Merkmale herausarbeiten. Ein hilfreiches Instrument ist dabei die Unterscheidung zwischen Sprichwort, Mahnwort und Halacha. Demnach ist das Sprichwort für eine bestimmte

23 Ausführliche Zusammenstellungen bietet wiederum VON LIPS, Traditionen (Anm. 14), 210–214.231f. Auch wenn man mit Ebner die weisheitlich begründeten Mahnsprüche oder Gleichnisse gegenüber den situationsbezogenen Einzelsprichwörtern aus der Alltagsweisheit als traditionsgeschichtlich sekundär beurteilt, spricht grundsätzlich nichts dagegen, sie auf Jesus zurückzuführen.

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Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit

Situation gesprochen, in der es einen spezifischen Denk- oder Handlungsanstoß geben soll. Das Mahnwort formuliert dagegen allgemeine Ratschläge, die in entsprechenden Einzelfällen zu befolgen sind. Die Halacha schließlich hat die Funktion, mögliche Fälle präzise zu beschreiben, ohne direkte Handlungsimpulse zu geben. 24 Wendet man diese Differenzierung auf das Spruchgut der Jesus-Überlieferung an, dann zeigt sich, dass es durchweg den Sprich- und Mahnwörtern zuzuordnen ist, nicht aber der Halacha. Zwar können einzelne Mahnungen oder Sprichwörter auf Tora-Gegenstände bezogen sein, aber nie dienen sie dazu, Anwendungsfälle eines Toragebotes verbindlich zu regeln. Die Fallschilderungen im Spruchgut der Antithesen der Bergpredigt (Mt 5,21– 48) gelten nicht halachisch zu definierenden Einzelfällen, sondern sind „weisheitliche Charakterisierungen“ (Ebner). Sie umschreiben juristisch nicht einklagbare Situationen, geben also exemplarische Beispiele für eine geforderte oder verurteilte Haltung. 25 Das Wort, mit dem Jesus die Debatte mit Pharisäern und Schriftgelehrten um rein und unrein beendet (Mk 7,15 par.), ist kein halachisches Argument, sondern Quintessenz seiner offensiv vertretenen Haltung gegenüber religiösen Ausgrenzungsmechanismen. Selbst die literarische Ausgestaltung der Sabbatkonflikte Jesu in den synoptischen Evangelien (vgl. Mt 12,1–14; Lk 13,10–17; 14,1–6) lässt sich nicht mit halachischen Maßstäben erfassen, sondern dient der Betonung der einzigartigen Autorität Jesu als endzeitlichem Repräsentanten des Willens Gottes. Dies hat Konsequenzen für die Frage nach der Haltung Jesu zur Tora. Jesus kann kaum als schriftgelehrter Weiser wie Ben Sira oder später die Rabbinen angesehen werden. 26 Seiner Weisheit fehlt alles Institutionalisierte und Konventionelle. Nichts deutet auf einen regelmäßigen weisheitlichen Schulbetrieb in der Jesus-Bewegung, aber ebenso wenig auf geregelte Formen des Torastudiums bzw. der Torainterpretation. Andererseits kann man aber aus den weisheitlichen Sprichwörtern und Mahnsprüchen Jesu auch keine prinzipielle und reflektierte Torakritik ableiten. Die Mahnworte zeichnen vielmehr umfassend ein Ethos des Lebens nach dem Willen Gottes. Damit steht Jesus in der Tradition frühjüdischer weisheitlich geprägter Toraparänese. Allerdings sind Jesu

24

Nach EBNER, Weisheitslehrer (Anm. 13), 387f. „Die Weisheit springt für die machtlose Justiz in die Bresche.“, EBNER, Weisheitslehrer Anm. 13, 407. Im Blick auf das weisheitliche Spruchgut in den Antithesen habe ich in ähnlicher Richtung argumentiert, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption, in: Gedenkt an das Wort (FS W. Vogler), hg. v. CHRISTOPH KÄHLER u.a., Leipzig 1999, 175–200 [in diesem Band 299–323]. 26 Auch die Toralehrer, deren Entscheidungen sich in der Tempelrolle oder dem „halachischen Brief“ (4QMMT) aus den Qumranfunden niedergeschlagen haben, geben ein völlig anderes Bild ab. 25

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Weisheitssprüche im Laufe ihrer Traditionsgeschichte nie zu literarisch selbständigen Spruchsammlungen zusammengestellt worden. Seine Worte wurden nicht als ‚Logoi des weisen Jesus‘ tradiert, 27 sondern im Kontext des ‚Gesamtphänomens Jesus‘, d.h. im Zusammenhang mit seinem Wirken, Weg und Geschick! 3.3.4 Jesu Worte über die Weisheit Nur kurz können wir noch auf Überlieferungsstücke blicken, in welchen die Weisheit und die Beziehung Jesu zu ihr direkt thematisiert werden. Es handelt sich um folgende Texte: Q 7,31–35 Q 10,21f. Q 11,31f. Q 11,49–51 Q 13,34f. Mt 11,28–30

spielende Kinder Jubelruf Königin des Südens und Niniviten Verfolgung der Propheten und Boten Gerichtswort über Jerusalem Einladungsruf

Deutlich erkennbar sind die christologischen und eschatologisch-apokalyptischen Akzente. Jesus ist teils Sprecher, teils Gegenstand der Worte über die Weisheit. 28 Zumindest implizit geht es immer um die Bedeutung Jesu, seine Stellung zu Gott und die Haltung von Menschen zu ihm. Auftreten und Wirken Jesu werden dabei ins Licht der Tradition vom gewaltsamen Geschick der Boten Gottes gestellt. Es ist daher naheliegend, dass in diesem Rezeptionsbereich weisheitlicher Überlieferung die Gerichtsverkündigung im Vordergrund steht. Darüber hinaus finden sich Ansätze zu einer Identifizierung Jesu mit der Weisheit selbst. Von einer entwickelten Weisheitschristologie kann freilich hier noch keine Rede sein. Bezeichnenderweise lassen sich kaum inhaltliche Bezüge zwischen diesen Worten über die Weisheit und den weisheitlichen Sprüchen der Jesus-Überlieferung feststellen. Erst Matthäus identifiziert Jesus deutlicher mit der personifiziert vorgestellten Weisheit. 29

27

Man wird auch die Logienquelle, soweit sie in den überlieferten Texten erkennbar wird, kaum in dieser Weise verstehen können. Das Thomas-Evangelium wiederum bestätigt gerade als ein deutlich späteres Werk diesen Befund. 28 Manchmal sogar in verschiedenen Varianten desselben Traditionsstücks, vgl. Lk 7,35 mit Mt 11,19b. 29 Vgl. Mt 11,19b.28–30.

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3.3.5 Zum Verhältnis von Weisheit und Gottesherrschaft in der Verkündigung Jesu Die hier im Überblick dargestellten weisheitlichen Züge in der Verkündigung Jesu bilden auch zusammengenommen lediglich einen Teilbereich des Gesamtphänomens von Wirken, Weg und Geschick Jesu. Selbst für die Verkündigung Jesu kann man nur von weisheitlichen Aspekten sprechen, nicht von einer durchgängig weisheitlichen Prägung. Bestimmte Motive der frühjüdischen Weisheitsüberlieferung werden von Jesus aufgenommen, etwa der Verweis auf Vorgänge in der Natur bzw. Schöpfung, Begründungen für ethische Mahnungen aus alltäglicher Erfahrung oder das Reden in Bildern und Gleichnissen. Eine eigenständige Weisheitskonzeption oder gar -lehre Jesu wird aber nicht erkennbar. Die charakteristische Eigenart weisheitlicher Verkündigung Jesu scheint sich am ehesten dort anzudeuten, wo Redeformen und Themen der Weisheit in provozierender Weise eingesetzt werden, um bei den Hörern Aufmerksamkeit für den Anspruch Jesu zu wecken, Gott in seinem heilsamen Wirken an seinem Volk zu repräsentieren. Wenn man den Ursprung der weisheitlichen Logienüberlieferung bei solchen situativ eingesetzten Sprichwörtern aus der Alltagserfahrung ansetzt, kann man die Funktion der Weisheit darin sehen, der Verkündigung Jesu von der Gottesherrschaft Aufmerksamkeit, Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Reihe von Eigenschaften der frühjüdischen Weisheitstradition kam solcher Funktion zugute. So bot das biblisch-frühjüdische Verständnis von Welt und Natur als Schöpfung Gottes Ansätze für die auf die eschatologisch-heilschaffende Herrschaft desselben Gottes ausgerichtete Verkündigung Jesu. Weisheitliche Mahnungen im Rahmen der Toraparänese konnten bei der Zeichnung eines Ethos nach dem Willen Gottes aufgenommen werden. Die Nähe der Weisheit zu Gott, ihr Ursprung bei Gott, ihre Sendung zu den Menschen bzw. zu Israel zum Zweck der lebensdienlichen Ordnung des Erkennens und Handelns, freilich auch die Abweisung der Weisheit und die Verfolgung ihrer Boten, all dies sind Grundzüge frühjüdischen weisheitlichen Denkens, die kompatibel waren mit Erfahrungen im Zusammenhang von Wirken, Weg und Geschick Jesu.

4. Impulse zur Rezeption 4. Impulse zur Rezeption Eine Besinnung auf Lehren und Lernen im Neuen Testament kann die hermeneutischen Grundprobleme nicht umgehen, die sich bei jedem reflektierten Umgang mit der Bibel stellen. Das Bild, das sich bei kritischer Rückfrage an

4. Impulse zur Rezeption

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die Überlieferung von Jesus als Lehrer ergibt, ist nicht sehr ergiebig für unmittelbare religionspädagogische Impulse. Weder hatte Jesus mit religiöser Unterweisung zu tun, noch bestand das Ziel seiner Verkündigung darin, methodisch und didaktisch reflektiert Orientierungs- und Problembewältigungsstrategien zu vermitteln. In religionsgeschichtlicher Hinsicht hat sich ergeben, dass die weisheitlichen Aspekte innerhalb der Jesus-Überlieferung in unlösbarem Zusammenhang stehen mit der maßgeblichen Prägung Jesu durch den biblisch-frühjüdischen Gottesglauben und die Überlieferungen Israels. 30 Es wäre eine grundlegende Verkennung dieser Einbindung Jesu in das Frühjudentum, wollte man seine Weisheitslehre als Basis für eine universalistische Pädagogik der Torabezogenen frühjüdischen oder rabbinischen Unterweisung und deren Inhalten entgegensetzen. Gerade der Zusammenhang von Weisheits- und Toratraditionen hat sich als charakteristisch für die Jesus-Überlieferung wie schon für die frühjüdische Weisheit herausgestellt. Die weisheitlichen Aspekte, die sich innerhalb der Jesus-Überlieferung ausmachen lassen, sind der Vergegenwärtigung der Gottesherrschaft zugeordnet, die durch sein Wirken, seinen Weg und sein Geschick repräsentiert wird. Hermeneutisch ergibt sich daraus die Frage nach dem Verhältnis von Lernen und Nachfolge. Sie kann einen religionspädagogischen Impuls geben, wenn der Hinweischarakter der Weisheitsworte Jesu wahrgenommen und fruchtbar gemacht wird. Eine religionspädagogische Funktion der Weisheit Jesu könnte gerade darin liegen, durch überraschende Kontextdurchbrechungen den Blick freizugeben auf die von Gott dem Menschen zugedachte Gegenwart und Zukunft seiner Herrschaft. Ziel einer Besinnung auf Jesus als Lehrer wäre es dann, Zugang zu Jesus, der Quelle für gelingendes Leben, zu vermitteln.

30 Vgl. die klassischen Werke von GERHARD VON RAD, Weisheit in Israel, NeukirchenVluyn 1970 (Nachdruck Gütersloh 1992), und CLAUS WESTERMANN, Wurzeln der Weisheit. Die ältesten Sprüche Israels und anderer Völker, Göttingen 1990.

Die Antithesen des Matthäus Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption Im Zusammenhang des ersten Hauptteils seiner Jesuserzählung (4,23–11,1) ist Matthäus dabei, Jesus als Lehrer darzustellen (vgl. 4,23; 5,2; 7,28f.). Das „Lehren in ihren Synagogen“ bildet zusammen mit dem „Verkünden des Evangeliums von der Gottesherrschaft“ und dem „Heilen aller Krankheit und Schwachheit im Volk“ das Wesen des Wirkens Jesu, des Gottessohnes (4,23). 1 Seine Identität als ein solcher ist den Lesern schon im Prolog deutlich geworden: Der Davids- und Abrahamssohn (1,1–17) ist, gerade als Mariensohn, der Gottessohn (1,18–25). Gerade als gefährdetes „Kind Israels“ ist er der wahre Repräsentant des Gottesvolkes, von Gott selbst vor dessen falschen Repräsentanten geschützt (2,1–23). Gerade als der Gottessohn ist er gehorsamer Sohn, insbesondere gegenüber dem ersten Gebot (vgl. 3,15; 4,1–11). Im ersten Teil der Lehrrede hat Matthäus bereits den durch die Lehre Jesu vermittelten Zuspruch der nahen Gottesherrschaft zur Sprache gebracht (5,3– 12). Dieser Zuspruch zielt auf den Anspruch an die Hörer, der Gottesherrschaft in ihrer Haltung und ihrem Verhalten gerecht zu werden. Dieser Anspruch ist in dem Abschnitt, der den Antithesen unmittelbar vorausgeht, als Anspruch des Gotteswillens, wie er in der Tora zugänglich ist, definiert worden (5,17–20). Die „bessere Gerechtigkeit“, die unter dem Vorzeichen des Bekenntnisses Jesu zur Tora als ganzer steht, wird somit zur Einlassbedingung in die Gottesherrschaft.

1. Die Form der Antithesen bei Matthäus 1. Die Form der Antithesen bei Matthäus Namengebendes Formmerkmal des Abschnitts Mt 5,21–48 ist die sechsmal wiederkehrende Einleitungsformel, bestehend aus den zwei Elementen È ¦  ² ””œ   ”£   (z.T. verkürzt bis auf die Wendung ””œ  1 Das Imperfekt “” © unterbricht die Handlungsfolge (vgl. die Aoristformen in 4,17– 22 und 4,24f.) und beschreibt, sozusagen von innen, den Handlungsraum. Es erfasst somit das Wesen des Geschehens. Die beiden nächsten Imperfektformen rahmen die Lehrrede (5,2   , 7,29 ¼ ….   : Imperfekt der Rede). Die nächste Imperfektform findet sich, in fast wörtlicher Wiederaufnahme von 4,23, in 9,35.

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Die Antithesen des Matthäus

œ) und ©¯  œ© . Die gemeinsamen Strukturmerkmale der so entstehenden sechs Unterabschnitte gehen aber noch weiter. Die am Beginn stehenden Thesen enthalten zum überwiegenden Teil Torazitate (Ausnahmen: V. 31.33). Die folgenden Antithesen nehmen jeweils sachlich, meist auch durch gemeinsame Stichwörter, Bezug auf die Thesen. Sie sind diesen gegenüber stark erweitert und untereinander formal wenig einheitlich. Zusammengehalten ist der ganze Abschnitt zusätzlich durch eine inclusio (gemeinsames Stichwort mit “” - in V. 20.47). Verstärkt wird die Kohärenz auch durch den Gedanken vollkommener Gerechtigkeit und den Verweis auf den Vater im Himmel (V. 48, vgl. V. 16). In Vers 33 setzen das “  und die vollständig wiederholte Einleitungsformel eine kleine Zäsur, so dass zwei Dreiergruppen entstehen: 21–32 und 33–48. Der erste Antithesenabschnitt (V. 21–26) und der letzte (V. 43–48) sind am längsten. Der Blick in die Synopse zeigt, dass Matthäus weder die Komposition der Antithesenreihe noch die Antithesenform aus dem Markusevangelium oder der Spruchüberlieferung übernehmen konnte. Ob die Antithesenform durch sein Sondergut vorgegeben war oder ob er selbst sie den Überlieferungsstoffen erst aufgeprägt hat, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt. 2 Wir können die Frage hier offen lassen, weil die Reihe als ganze ebenso wie die antithetische Gestaltung der einzelnen Überlieferungsstücke zeigen, dass Matthäus an der Antithesenform maßgebliches Interesse hatte, ob er sie nun ‚erfunden‘ hat oder nicht.

Aus dem Zusammenhang der Antithesenreihe mit der ihr vorangestellten Spruchgruppe Vers 17–20 3 ergibt sich die Spannung, die für das hier gezeichnete Bild von Jesus als Lehrer charakteristisch ist: Zwar bringen die Antithesen Teile der Tora im (griechischen!) Wortlaut zur Sprache. Sie können aber offenkundig weder ihrer Form nach noch in Inhalt und Wortlaut einfach mit der Tora gleichgesetzt werden, wie es besonders nach Vers 18f. doch zu erwarten wäre. Schon die Antithesenform impliziert jedenfalls eine semantische Opposition (œ): Was Jesus sagt (œ©), steht dem entgegen, was zu den Alten, der Sinaigeneration des Gottesvolkes, gesagt worden ist (””œ ). 4 Die textpragmatische Funktion dieser semantischen Opposition muss sich freilich erst noch 2 Vgl. zur Diskussion INGO BROER, Freiheit vom Gesetz und Radikalisierung des Gesetzes. Ein Beitrag zur Theologie des Evangelisten Matthäus, SBS 98, 1980, 102–107; GEORG STRECKER, Die Bergpredigt. Ein exegetischer Kommentar, Göttingen 1984, 64–67; ULRICH LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, Teilbd. 1: Mt 1–7, EKK I/1, Düsseldorf, Zürich/NeukirchenVluyn 52002, 324–333. 3 Vgl. dazu umfassend BROER, Freiheit (Anm. 2), 11–74. 4 Die Einleitungswendung der These bezieht sich auf die Gegenwart der Sinaigeneration, nicht auf nachfolgende Toraauslegungen. So mit LUZ, Matthäus (Anm. 2), 325; BROER, Freiheit (Anm. 2), 75–81; DIETER SÄNGER, Schriftauslegung im Horizont der Gottesherrschaft. Die Antithesen der Bergpredigt (Mt 5,21–48) und die Verkündigung Jesu, in: Christlicher Glaube und religiöse Bildung (FS F. Kriechbaum), hg. v. HERMANN DEUSER/GERHARD SCHMALENBERG, GSTR 11, Gießen 1995, 75–109: 83; anders z.B. HEINZ-WOLFGANG KUHN, Das Liebesgebot Jesu als Tora und als Evangelium. Zur Feindesliebe und zur christlichen und

2. Zum Umgang mit der Tora im Frühjudentum

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aus den jeweils folgenden Aussagen erschließen. Es stellt sich somit die Frage nach der Haltung Jesu in seiner vollmächtig-eschatologischen Lehre (vgl. 7,28f.) zur Israel am Sinai von Gott durch Mose übergebenen Tora. Sie stellt sich grob gesagt in folgender Alternative: Wird der in Vers 17–20 vorangestellte Grundsatz vollkommener Toratreue Jesu durch die folgenden Antithesen in der Sache aufgehoben oder christologisch interpretiert? Ist also – immer im Sinne des Matthäus! – Jesu Lehre eschatologische Entfaltung der Tora unter den Bedingungen der Gottesherrschaft, oder ist sie ihr eschatologischer Ersatz. 5 Vorgaben für das Verständnis der Antithesen bei Matthäus liefern somit zum einen die Antithesenform, zum anderen der Erzählkontext seiner Jesusgeschichte. Daraus ergeben sich zwei Leitfragen für die Einzelauslegung: Worin besteht nach dem Zeugnis der Antithesen die „bessere Gerechtigkeit“, zu der Jesus seine Hörer auffordert (vgl. 5,20)? Und worin besteht ihnen zufolge das Wesen Jesu als eines „Lehrers der Gerechtigkeit“? Beiden Fragen wollen wir nachgehen, indem wir vorwiegend die traditionsgeschichtlichen Hintergründe und die matthäischen Akzente bedenken.

2. Zum Umgang mit der Tora im Frühjudentum 2. Zum Umgang mit der Tora im Frühjudentum Ohne die Terminologie hier im Einzelnen darstellen zu können, müssen wir mehrere Bezugsebenen im Blick haben, wenn wir von der Tora im Frühjudentum sprechen. 6 Zum einen begegnet die Tora gegenwärtig als schriftlich überlieferte, verbindliche Weisung Gottes für Israel (Schrift). Zum anderen meint Tora die Weisung, mit der Gott einst am Sinai den Bund mit Israel begründet hat (Bundesurkunde). Zum dritten schließlich, und dies verbindet die beiden ersten Aspekte, ergeht die Tora in aktuellen Regelungen des Rechtslebens und der paränetischen Ermahnung, und zwar in situationsbezogener Interpretation der am Sinai gegebenen und schriftlich überlieferten Tora (Wille Gottes). Erst die aktualisierende Interpretation der überlieferten Tora macht es möglich, ihre Forderungen unter den jeweils gegenwärtigen Bedingungen zu erfüllen.

jüdischen Auslegung der Bergpredigt, in: Vom Urchristentum zu Jesus (FS J. Gnilka), hg. v. HUBERT FRANKEMÖLLE/KARL KERTELGE, Freiburg u.a. 1989, 194–230: 213f.; WILHELM EGGER, Handlungsorientierte Auslegung der Antithesen Mt 5,21–48, in: KARL KERTELGE (Hg.), Ethik im Neuen Testament, QD 102, Freiburg u.a. 1984, 119–144: 122. 5 Dabei geht es vor allem um den präzisen semantischen Gehalt von “”• in 5,17 und um den der Zeitbegrenzungen in 5,18 (Þ æ “ ”œ ¤ · ˜” ¢ ‘  © bzw. Þ æ “ ©œ ). Vgl. dazu KUHN, Liebesgebot (Anm. 4), 211–222. 6 Vgl. dazu KARLHEINZ MÜLLER, Beobachtungen zum Verhältnis von Tora und Halacha in frühjüdischen Quellen, in: INGO BROER (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart 1992, 105–134.

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Die Antithesen des Matthäus

Blickt man von diesem mehrschichtigen Toraverständnis aus auf frühjüdische Texte, in denen Tora zur Sprache kommt, dann fällt die außerordentliche Flexibilität im Umgang mit dem Wortlaut der Schrift auf, bei gleichzeitiger expliziter Bindung an ihre bleibende, unverrückbare Autorität. Drei Beispiele dafür: Die Tempelrolle aus Qumran 7 besteht weitgehend aus Wiedergaben von Geboten des Pentateuch. Sie sind in der Ichform der Gottesrede gehalten und werden gelegentlich durch einführende Wendungen ausdrücklich als Gebote Gottes an Mose gekennzeichnet. Im Vergleich zum überlieferten Wortlaut des Pentateuch sind die Gebote der Tempelrolle durchgängig stilistisch vereinheitlicht und thematisch neu geordnet. Gebote zum gleichen Gegenstand werden zusammengeordnet und einander angeglichen, Wiederholungen werden vermieden und Widersprüche beseitigt. Auch völlig neue Gebote, die keinerlei Anhalt am Wortlaut der Tora haben, werden eingefügt. Manche Gebote der Tempelrolle stehen klar im Widerspruch zu solchen des Pentateuch. Die Schrift als ganze erhebt aber offenbar den Anspruch, gültige Tora Gottes durch Mose für das Israel der Gegenwart zu sein. Das Jubiläenbuch 8 gibt sich als Offenbarungsrede Gottes an Mose auf dem Sinai zu erkennen. In Kapitel 2 „redet der Engel des Angesichts zu Mose mit dem Wort des Herrn“ (2,1). Nachdem er Mose den Schöpfungsbericht diktiert hat (in erheblicher Erweiterung und Veränderung der biblischen Vorlage aus Gen 1!), kommt er am Ende (wie ansatzweise auch die Bibel, vgl. Gen 2,2f.) auf den Sabbat zu sprechen (2,17–33). Er ist Gabe Gottes, zunächst für die Engel im Himmel, sodann für Israel, dessen künftige Erwählung den Engeln schon bei der Schöpfung mitgeteilt wurde. Deshalb kann nun der Engel des Angesichts auf dem Sinai Mose u.a. eine umfassende Sabbathalacha mitteilen, die detaillierte Regelungen etwa zum Verbot der Speisenzubereitung oder zu Transporten außer Haus enthält (2,29f.). In 50,7–9 kommen noch Beischlaf und Reisen, Kauf und Verkauf hinzu. Nichts davon steht im Pentateuch, aber für den Autor wie für die Adressaten ist es nichtsdestoweniger Tora von Gott für Israel vom Sinai her. Auch Josephus bietet in seinen Antiquitates an mehreren Stellen Zusammenstellungen von Geboten der Tora. Im Zusammenhang seiner Darstellung des Wüstenzuges führt er z.B. die Gesetze der Verfassung (“  ) auf, die Mose für Israel hinterlassen hat (Ant 4,196–301). Biblischer Grundtext für diesen Teil der Darstellung des Josephus ist das Deuteronomium, also auch die dort vorausgesetzte Situation des Volkes unmittelbar vor dem Eintritt in das verheißene Land und der Abschiedsrede des Mose vor seinem Tod (vgl. Dtn 7 JOHANN MAIER, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1: Die Texte der Höhlen 1–3 und 5–11, UTB 1862, München/Basel 1995, 370–440. Belege für die im Folgenden nur summarisch erfassten Befunde in der Tempelrolle bei MÜLLER, Beobachtungen (Anm. 6), 106–110. 8 KLAUS BERGER, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/3, Gütersloh 1981, 273–575.

2. Zum Umgang mit der Tora im Frühjudentum

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1,1–5; 29–34). Bei seiner Zusammenstellung der Gesetze behauptet Josephus ausdrücklich, alles so aufgeschrieben zu haben, wie Mose es hinterlassen hat (©Ž©” “ “! ³ç  Ž “, 196). Im Folgenden bietet er aber alles andere als eine wort- oder auch nur sachgetreue Wiedergabe der Tora. Er ordnet nicht nur, ähnlich wie die Tempelrolle, die Gebote nach sachlichen Gesichtspunkten neu an und lässt viele aus, sondern weicht in Wortlaut und Sache ganz erheblich vom Pentateuch ab. 9 Es ist deutlich: Treue zur Tora kann im Frühjudentum nicht an der Treue zu ihrem Wortlaut gemessen werden, sondern allein daran, ob die im gegenwärtigen Alltag gültige und praktizierte Lebens- und Glaubensweise bewusst der Autorität der Tora vom Sinai, der Weisung Gottes für Israel unterstellt wird. Was aus moderner Perspektive als willkürlicher Umgang mit Überlieferungsgut erscheinen mag, entspringt im Zusammenhang des im Frühjudentum gelebten Selbstverständnisses Israels dem Bemühen, der Intention des Gotteswillens, wie er in der schriftlich fixierten Mosetora zum Ausdruck kommt, unter den Bedingungen einer völlig veränderten Gegenwart im Alltag gerecht zu werden. Für die Antithesen bei Matthäus ist zunächst festzuhalten: Sachliche und sprachliche Differenzen zwischen Weisungen Jesu und dem Wortlaut der Tora brauchen angesichts des äußerst flexiblen Umgangs mit der Tora im Frühjudentum keineswegs der grundsätzlichen Aussage von 5,17 (und nicht einmal den Sentenzen von 5,18f.!) zu widersprechen. Freilich ist damit noch nicht die Antithesenform erklärt. Alle bisher herangezogenen Texte stellen ja nicht eine Position frühjüdischer Toraauslegung der Tora vom Sinai entgegen, sondern identifizieren gerade beide miteinander, trotz aller erkennbaren Differenzen in Wortlaut und Inhalt. Auch gewisse formelartige Wendungen aus der rabbinischen Schuldiskussion, die gelegentlich als Parallele zu der Wendung ©¯  œ©  herangezogen werden, unterscheiden sich hierin grundsätzlich von der Form der matthäischen Antithesen. Hier wird ein Wort Jesu einem Wort der Tora entgegengestellt, dort eine Lehrmeinung über die Interpretation der Tora einer anderen, wobei beide der Begründung aus der Schrift bedürfen. 10 Den matthäischen Antithesen näherstehend sind dagegen bestimmte Wendungen aus dem erst seit kurzem zugänglichen Qumrantext Miqsat Ma'ase ha9 Vgl. die Zusammenstellung von Divergenzen in der Wiedergabe von Torageboten im Pentateuch, bei Josephus und in der rabbinischen Literatur bei LOUIS H. FELDMAN, Use, Authority and Exegesis of Mikra in the Writings of Josephus, in: MARTIN J. MULDER (Hg.), Mikra. Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity, CRI II/1, Assen/Philadelphia 1988, 455–518: 507–510. In der apologetisch und paränetisch ausgerichteten Schrift Contra Apionem bietet Josephus ebenfalls eine äußerst freie Wiedergabe der „Gesetzgebung“ (  ) des Mose (Ap 2,190–219). 10 Vgl. dazu SÄNGER, Schriftauslegung (Anm. 4), 83f.; STRECKER, Bergpredigt (Anm. 2), 65, sowie EDUARD LOHSE, „Ich aber sage euch“, in: DERS., Die Einheit des Neuen Testaments. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 21973, 73–87.

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Die Antithesen des Matthäus

Torah (4QMMT [= 4Q394–399]). 11 Es handelt sich dabei vermutlich um den Brief einer priesterlich geprägten Sondergruppe an die Führung der Jerusalemer Tempelpriesterschaft (bzw. den auch für die Ordnung des Tempelkults verantwortlichen hasmonäischen Herrscher). Die Absendergruppe erhebt den Anspruch, den Adressaten in Jerusalem unter Berufung auf die Tora Weisungen zu verschiedenen Fragen des Kults und der Reinheit des Tempels und der heiligen Stadt erteilen zu können. Die Tora erscheint dabei zunächst als umfassende Lebensordnung Gottes für die Gegenwart, speziell für den gegenwärtig praktizierten Tempelkult, so vor allem im „halachischen“ Hauptteil des Werkes. Sie ermöglicht und fordert die Wahrung der Heiligkeit Israels. Darüber hinaus soll sie aber auch bekannt gemacht und durchgesetzt werden, damit Israel umkehren kann „am Ende der Tage“. In solcher Funktion erscheint die Tora als „Buch des Mose“, 12 z.T. auch neben den „Bücher(n) der Propheten“ und „David(s Psalmen?)“. 13 In dieses Buch (bzw. diese Bücher) soll man Einblick nehmen, um anhand des Eintreffens der dort verheißenen Dinge (nämlich Segen und Fluch über Israel entsprechend seiner Treue gegenüber den Geboten der Tora, vgl. Dtn 27f.) zu erkennen, dass das „Ende der Tage“, also die Zeit der Umkehr, da ist. Das „Buch des Mose“ ist hier ein Buch, das für die Endzeit geschrieben ist, um Israel zur Umkehr zu führen. Die meisten Stellungnahmen zu Fragen der Torapraxis im Tempel folgen einem klaren Strukturmuster. Zunächst wird das halachische Thema genannt. Dann wird ein diesbezüglicher Missstand in der Praxis der Adressaten beschrieben. Darauf folgt die halachische Weisung der Absender, eingeführt durch die Wendung „wir meinen/sagen ...“ (×Ù Ú Û / ×Ùâã Þ ÝÞÝÛ). Am Ende steht oft eine theologische Begründung und/oder eine eschatologische Warnung. In diesem „halachischen“ Hauptteil des Briefes wird mehrfach auf das verwiesen, was „geschrieben ist“ (â å). 14 Die Berufung auf die Schrift findet sich meistens im Zusammenhang der halachischen Weisung der Autorengruppe oder in ihrer theologischen Begründung. Vergleicht man die mit der Wendung â å eingeführten Sätze mit dem Wortlaut des (masoretischen) Pentateuch, dann zeigt sich, dass dieser nie wörtlich zitiert wird, gelegentlich Ausdrücke aus verschiedenen Bibelstellen zu einer neuen Aussage zusammengesetzt sind, in der Regel biblische Gebote oder Aussagen nur summarisch oder

11 Text: ELISHA QIMRON/JOHN STRUGNELL, Qumran Cave 4, V. Miqsat Ma’ase ha-Torah, DJD X, Leiden 1994; dt. Übers. bei JOHANN MAIER, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 2: Die Texte der Höhle 4, UTB 1863, München/Basel 1995, 362–376. 12 4Q398,11–13 4. 13 4Q397,14–21 10f., vgl. 15. 14 Zum Umgang mit der Schrift in 4QMMT vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Bezüge auf die Schrift in einigen „neuen“ Qumran-Texten, Mitteilungen und Beiträge 8, Forschungsstelle Judentum, Theologische Fakultät Leipzig, 1994, 37–54.

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

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in Anspielungen begegnen und manchmal überhaupt keine Beziehung zu biblischen Geboten herzustellen ist. Die eschatologische Ausrichtung der Weisungen und sein sehr komplexes Tora- und Schriftverständnis verbinden diesen Text mit den Antithesen bei Matthäus und unterscheiden ihn gleichzeitig von rabbinischen Diskussionen um die Halacha. Der Autoritätsanspruch der Autorengruppe wurzelt in ihrer Gewissheit, die für die Endzeit gültige Weisung Gottes für Israel zu kennen und deshalb Israel zur Umkehr rufen zu müssen. Eine gewisse antithetische Struktur ergibt sich in 4QMMT dadurch, dass der gegenwärtigen Praxis der Jerusalemer Tempelführung das eigene Urteil der Absendergruppe entgegengesetzt wird („wir meinen/sagen ...“), freilich hier unter Berufung auf das, was „geschrieben ist“. Darin liegt, abgesehen von den konkreten Gegenständen der Auseinandersetzung, der wichtigste Unterschied zu den matthäischen Antithesen. In ihnen ist der Bezug auf die Tora Teil der These. Ihr steht das „ich aber sage euch“ Jesu gegenüber. 15 Im „halachischen Brief“ dagegen gehört der Bezug auf die Schrift in der Regel zur Weisung der Autoren bzw. zu ihrer Begründung, nie aber zu der von ihnen kritisierten Praxis der Adressaten. Wir werden von hier aus anhand der einzelnen Antithesen zu überprüfen haben, wo Matthäus den entscheidenden Akzent setzt, bei der antithetischen Grundstruktur, die einen Gegensatz zwischen der Lehre Jesu und der Tora impliziert, oder bei den Entfaltungen und Begründungen der Stellungnahmen Jesu, die möglicherweise innerhalb der vielfältigen Möglichkeiten freier Interpretation von Torageboten im Frühjudentum Raum finden können.

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen 3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen 5,21–26 Vers 21f. bilden die der Antithesenreihe entsprechende Struktur von These und Antithese. Die These besteht, abgesehen von der Einführungsformel, aus zwei Gliedern: einem apodiktisch formulierten Dekaloggebot (Ex 20,13; Dtn 5,17) und einer kasuistisch geformten Strafbestimmung (ohne biblische Vorlage). Die Antithese knüpft formal an das zweite Glied der These an (Formulierung in der 3. Pers., Differenzierung von ‚Fällen‘, eingeführt durch Bedingungssätze mit “ · bzw.  ’ ±, Strafbestimmungen mit ª£ ª ). Sie besteht, abgesehen von der Einleitungsformel, aus drei koordinierten, parallel gebauten Gliedern. Vers 23–26 sind weiterführende Entfaltung der Antithese in Vers 22. Thema ist nicht mehr das Töten, sondern das zwischenmenschliche Zusammenleben, insbesondere in Auseinandersetzungen. Auch die Form der Sätze

15

Vgl. aber immerhin die Schriftbezüge in der vierten Antithese (s.u., 314 mit Anm. 39).

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Die Antithesen des Matthäus

(konditionale Fügungen, vgl. V. 23 « è, V. 26 Þ ±) knüpft an die Antithese (und das zweite Glied der These) an, nicht an die apodiktische Redeweise des Dekaloggebotes in der These. Lediglich die Anrede in der 2. Pers. Sing. wird aus dem Dekaloggebot in Vers 21 übernommen. Sie wird jetzt aber nicht als apodiktisches Gebot, sondern in Form einer Mahnrede entfaltet. Redeformen innerhalb dieser Entfaltung sind konditionale Mahnrede (V. 23f.), begründeter Imperativ (V. 25) und eschatologische Drohrede (V. 26). All dies sind typische Redeformen der Weisheitslehre in der biblisch-frühjüdischen Überlieferung. Persönliche Anrede der Hörer/Leser, Differenzierung von typischen, wiederholt begegnenden ‚Fällen‘, begründete Mahnungen, kurze Reflexionen über Tun und Ergehen, Ausrichtung auf die göttliche Vergeltung finden sich häufig schon im Sprüchebuch und bei Ben Sira, ebenso in der außerbiblischen Weisheit. 16 Man kann demnach den ersten Antithesenabschnitt formgeschichtlich der frühjüdischen Weisheitsüberlieferung zuordnen, die in diesem Fall der Rezeption und Interpretation eines Toragebotes dienstbar gemacht worden ist. Damit bekommt auch das Material, das Matthäus aus der mit Lukas gemeinsamen Spruchüberlieferung übernommen hat und das dort wohl in einem primär eschatologisch ausgerichteten Zusammenhang stand, 17 einen neuen Kontext. Im Rahmen der Bergpredigt dient es der eschatologisch orientierten und weisheitlich entfalteten Toraparänese. Für unsere Leitfrage nach dem Verhältnis zwischen der Weisung Jesu nach Matthäus und der Forderung der Tora sind semantische Beobachtungen ausschlaggebend. Schon in These und Antithese zeigt sich, dass das Tötungsverbot des Dekalogs (natürlich!) nicht aufgehoben, sondern radikal verschärft wird, indem es auf verschiedene minder schwere Formen zwischenmenschlicher Auseinandersetzungen ausgeweitet wird. Die präzise Bestimmung der Vergehen in den drei parallel gebauten Sätzen der Antithese (Ô©Ñ – ØÐæ – ”) ist umstritten und schwer zu fixieren. Geht man von den Strafbestimmungen aus, dann kann man am ehesten eine Steigerung (Klimax) von der untersten zur obersten Gerichtsinstanz annehmen ( ”  – œ”  – ©œ  “”). é”  wäre dann ein örtlicher Gerichtshof, œ”  die jüdische Zentralbehörde als oberste irdische Instanz. Jedenfalls steht mit dem eschatologischen Feuergericht sicher die eindrücklichste Strafandrohung am Ende. Der Klimax der Strafen mag eine Antiklimax der

16

Vgl. dazu umfassend MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979; JOHANNES THOMAS, Der jüdische Phokylides. Formgeschichtliche Zugänge zu Pseudo-Phokylides und Vergleich mit der neutestamentlichen Paränese, NTOA 23, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1992; HERMANN VON LIPS, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990. 17 Vgl. Lk 12,57–59 im Zusammenhang endzeitlicher Unterweisung und Umkehrforderung zwischen den Spruchgruppen über das Kommen des Herrn bzw. des Menschensohnes (12,35– 53) und über die Zeichen der Endzeit (12,54–56).

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

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jeweiligen Vergehen entsprechen. Zürnen (“Â · Ô© Ñ) wäre demnach die umfassendste negative Haltung gegenüber dem Bruder. Die Schimpfwörter ØÐæ und ”, die kaum voneinander abzugrenzen sind (beide bedeuten so viel wie „Dummkopf“, „Idiot“, das erste im Aramäischen, das zweite im Griechischen), bezeichneten dann relativ geringfügige Vergehen, denen doch die schärfsten Strafen zugeordnet sind. Eine solche Klimax und Antiklimax hätte besonderes rhetorisches Gewicht im Sinne der Radikalisierung der Toraforderung durch die Weisung Jesu.

Die Tendenz, Strafbestimmungen der Tora in paränetischer Absicht zu verschärfen, lässt sich auch in der frühjüdischen Toraparänese beobachten. So stellt Philon in einer paränetischen Zusammenfassung der Tora besonders die Strenge des jüdischen Gesetzes im Unterschied zur Laxheit heidnischer Gesetze heraus (Hyp 7,1–9 bei Euseb, Praeparatio Evangelica VIII). Er betont, dass der Gesetzgeber Mose nicht nur Kapitalverbrechen, sondern auch verschiedene Sexualdelikte wie Homosexualität, Ehebruch, Vergewaltigung, Eigentumsvergehen wie Diebstahl und Tempelraub, Gewalttätigkeiten gegenüber Sklaven, ja, sogar unehrerbietiges Reden gegenüber Eltern und Wohltätern mit dem Tode bestraft (7,1f.). Ein ähnlicher Befund zeigt sich in der Torazusammenfassung bei Josephus, Ap 2,215–219 (Todesstrafe bei Ehebruch, Vergewaltigung, Homosexualität, Frevel gegen Eltern oder Gott). 18 Auch die Strafbestimmungen, die das Jubiläenbuch bei Übertretung des Sabbatgebotes vorsieht, gehen nach Strafmaß und detaillierter Entfaltung der Straftatbestände weit über den Wortlaut der Tora hinaus (vgl. Jub 50,8.12f.). Alle diese Texte sind nicht „Halacha“ im rabbinischen Sinne, verbindliche und detaillierte Rechtsprechung für konkrete Straftatbestände im Alltag jüdischer Gemeinschaften, sondern Paränese, nachdrückliche Ermahnung zu einer umfassenden Lebenshaltung im Alltag, die dem Willen Gottes entspricht. Die zusammengestellten Einzelfälle bzw. Tatbestände wollen nicht je für sich betrachtet und behandelt werden, sondern bilden exemplarische Konkretionen eines Ganzen, um das es eigentlich geht: das Leben nach dem Willen Gottes. Differenzen zum Wortlaut der Tora im Einzelnen, etwa in den Strafbestimmungen oder bei der Beschreibung von Tatbeständen, sind nicht Indizien für einen bewussten oder unbewussten Widerspruch gegen die Tora („Torakritik“), sondern dienen gerade der Unterstreichung und Entfaltung ihrer Grundforderung. In diese Tendenz frühjüdischer Toraparänese lässt sich die verschärfende Interpretation des Tötungsverbotes durch Jesus in der ersten Antithese einordnen. Auch die Weisungen und Ermahnungen der Entfaltung der Antithese in Vers 23–26 sind von diesem Zusammenhang her zu verstehen. Die Intention des Tötungsverbotes der Tora wird hier auf weitere Lebensbereiche des zwischenmenschlichen Zusammenlebens übertragen, die mit dem Töten gar nichts mehr 18 Zu den Torazusammenfassungen bei Philon und Josephus vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur,

WUNT II/28, Tübingen 1987, 31–72.

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Die Antithesen des Matthäus

zu tun haben. Der Lebenszusammenhang, von dem jetzt die Rede ist, betrifft zunächst den Opferkult im Tempel, im Besonderen die Einstellung und das Verhalten der Teilnehmer am Gottesdienst zueinander (V. 23f.). In Vers 25f. kommt schon das Verhalten gegenüber dem Widersacher (  ) in den Blick, von dem in den beiden letzten Antithesen ausführlicher die Rede sein wird. 19 Die Mahnung, gerade ihm wohlzutun (Imperativ š ˜•), bildet den positiven Abschluss der kleinen Weisungsreihe, die von dem negierten Imperativ des Dekaloggebotes (˜ ›¦ ) ausgegangen war. In dieser paränetischen Entfaltung der ersten Antithese wird weder das Ethos gegen den Kultus ausgespielt noch der Opferkult spiritualisiert, sondern vielmehr eine Grundhaltung eingefordert, die dem ganzen Willen Gottes, wie er in den Torageboten zum Gottesdienst ebenso wie in denen zur zwischenmenschlichen Gerechtigkeit niedergelegt ist, zu folgen sucht. Dies entspricht einer breit belegten Tradition frühjüdischer Toraparänese, die die prophetische Kritik am Auseinanderfallen von Barmherzigkeit und Opfer (vgl. Hos 6,6; 20 Am 5,21–27; Jes 1,10–17) rezipiert. Sie hat ihren klassischen Ausdruck schon in Sir 34f. gefunden. Auch das slavische Henochbuch 21 fordert immer wieder beides: rechten Opferdienst und gerechtes Tun im Alltag, so in der Makarismenreihe 2Hen 42,6–14: Selig ist, wer den Namen des Herrn fürchtet, und immer vor seinem Angesicht dient, und die Gaben aufrichtig ordnet mit Furcht in diesem Leben, und in diesem Leben gerecht lebt und stirbt. Selig ist, wer ein gerechtes Gericht hält … Selig ist, wer die Nackten mit einem Gewand bekleidet und dem Hungrigen sein Brot gibt ….

Kurz und bündig heißt es in 61,2: Wie nun ein Mensch von Gott für seine Seele bittet, so soll er [auch] jeder lebenden Seele tun. 22

In einer jüdisch-hellenistischen Sentenzensammlung unter dem Dichternamen Menandros ist eine Spruchreihe zum Thema Gerechtigkeit und Opfer zusammengestellt, die einen ganzen Katalog von gerechten (bzw. abzulehnenden ungerechten) Verhaltensweisen enthält. Er mündet in die Forderung: Opfere Gott, indem du beständig gerecht bist. 23

19

Zu Vergleichstexten aus der frühjüdischen Toraparänese s.u., 318–320. Bei Mt zweimal zitiert, vgl. 9,13; 12,7. 21 CHRISTFRIED BÖTTRICH, Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/7, Gütersloh 1996, 781– 1040. 22 Zum Zusammenhang von Opferdienst und gerechtem Verhalten gegenüber den Mitmenschen, insbesondere den Schwachen, vgl. noch 45,1–3; 59f.; 62f.; 66,1f. 23 NIKOLAUS WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: PseudoPhokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 173–276: 268f. 20

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

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In solchen Texten schlägt sich offensichtlich die biblisch-prophetische Tradition der Kritik am Widerspruch zwischen Opferkult und Gerechtigkeit im Alltag nieder. Sie kann im Frühjudentum zur Verschärfung der Toraparänese (einschließlich der Mahnung zum rechten Opferdienst) rezipiert werden, ohne dem Opferkult oder gar der Tora selbst prinzipiell entgegengestellt zu werden. 24 Der innere Zusammenhang zwischen der Gemeinschaft mit Gott im Kultus und der Gemeinschaft im gerechten Verhalten untereinander ist somit zentrales Anliegen und charakteristisches Merkmal frühjüdischer Toraparänese. In ihr werden unterschiedliche (weisheitliche, prophetische, gesetzliche) biblische Überlieferungen und Texte aufgegriffen und einer einheitlichen Intention dienstbar gemacht: der umfassenden Mahnung zum Leben nach dem Willen Gottes. Die Forderungen Jesu im ersten Antithesenabschnitt des Matthäus lassen sich als paränetische Entfaltungen des Tötungsverbotes der Tora bruchlos in diese Intention einordnen. 25 5,27–32 Verschiedene formale Beobachtungen lassen den zweiten und den dritten Antithesenabschnitt als zusammenhängende Texteinheit erkennen. Zunächst fällt auf, dass die Einführungswendungen der Thesen immer kürzer werden (im dritten Antithesenabschnitt nur noch ””œ  œ). Sodann fehlt der dritten Antithese als einziger eine Entfaltung. Schließlich sind der zweite und der dritte Antithesenabschnitt semantisch eng miteinander verbunden (Stichwortverbindung und inclusio mit  £¦ , V. 27.32b). Unbeschadet der Struktur der Reihe aus sechs Antithesenabschnitten haben wir also in Vers 27–32 eine Doppel-Antithese vor uns. Das wird bei der Auslegung zu berücksichtigen sein. Der zweite Antithesenabschnitt ist ganz wie der erste gebaut: Auf die These in Form eines apodiktischen Dekaloggebotes (V. 27) 26 folgt eine kasuistisch formulierte Antithese (V. 28 “ · wie V. 22), die durch angehängte Weisungen in der 2. Pers. Sing. entfaltet wird (V. 29f.). Die Perspektive auf das Endgericht verbindet die ersten beiden Antithesen miteinander (vgl. ©œ , V. 22.

24

Weitere Belege bei KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Hg.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460 [in diesem Band 175–207]. 25 Zur Vorgeschichte des im ersten Antithesenabschnitt aufgenommenen weisheitlichen Spruchgutes innerhalb der Jesusüberlieferung vgl. DIETER ZELLER, Die weisheitlichen Mahnsprüche bei den Synoptikern, fzb 17, Würzburg 21983, 62–77. 26 Verbot des Ehebruchs, das auch in den Dekalogen der hebräischen Bibel auf das Tötungsverbot folgt; anders aber Ex 20; Dtn 5 LXX, vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 18), 16 mit Anm. 35f.

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Die Antithesen des Matthäus

29.30;   , V. 25.29). Der dritte Antithesenabschnitt weicht dagegen stark von diesem Muster ab. Die These besteht nicht aus einem Dekaloggebot, überhaupt nicht aus einem Gebot der Tora, sondern ist freie Wiedergabe einer spezifischen Bestimmung aus dem biblischen Scheidungsrecht, nämlich des Verbotes der Wiederheirat der eigenen geschiedenen Frau nach deren zweiter Ehe und Scheidung (Dtn 24,1–4). Sie ist folglich auch nicht als Gebot formuliert, sondern als konditionale Bestimmung. Die Antithese ist wie die vorangehenden fallbezogen formuliert 27 und semantisch eng mit der These verbunden (gemeinsames Stichwort “¦  ¡ ©  ˜). Entfaltende Weisungen fehlen hier wie gesagt. Ein Blick auf die synoptischen Parallelen zeigt, dass für die Entfaltung zur zweiten Antithese Spruchgut herangezogen worden ist, das auch bei Markus überliefert ist, allerdings in einem anderen Zusammenhang. 28 Die Reihenfolge der Sprüche bei Matthäus (Auge – Hand, diff. Mk: Hand – Fuß – Auge) verdankt sich offenbar dem Zusammenhang der matthäischen Antithese, die das Ansehen einer Frau als ersten Schritt hin zu Begierde und Ehebruch wertet (V. 28: œ“ ©  ). Ähnlich wie bei der ersten Antithese sind also auch hier eschatologisch ausgerichtete Mahnsprüche der Paränese zu- und untergeordnet. Sie erhalten die Funktion, die paränetische Absicht der Antithese eschatologisch zu verstärken und den in der Antithese angesprochenen konkreten Bereich des Verhaltens (Ehebruch) in eine ganzheitliche Haltung gegenüber dem Willen Gottes einzuordnen. 29 Komplizierter ist der synoptische Befund bei der dritten Antithese. 30 Hier handelt es sich offensichtlich um eine Doppelüberlieferung (vgl. einerseits Mk 10,2–12 par. Mt 19,3–9, andererseits Lk 16,18). Die Markus-Überlieferung ist gestaltet als Streitgespräch mit den Pharisäern zur Frage, ob es nach der Tora dem Mann erlaubt ist, seine Frau zu entlassen. Sie wird von Jesus auf der Grundlage von Gen 1,27 prinzipiell verneint. In der Tradition der Spruchüberlieferung, die sich auch in Mk 10,10–12 niedergeschlagen hat, geht es um die Wiederheirat Geschiedener. Die These in Mt 5,31 nimmt ein zentrales Stichwort der MarkusÜberlieferung auf ( “ , vgl. Mk 10,4; Mt 19,7:   “ ). Die Antithese in Vers 32 entspricht dagegen in Gegenstand und Wortlaut weitgehend dem Wort aus der Spruchüberlieferung. Wie in Mt 19,9 ist auch in 5,32 im Unterschied zu allen synoptischen Parallelen die “” als Ausnahmegrund für die Möglichkeit der Scheidung angeführt. Wir brauchen hier freilich nicht den Überlieferungsprozess der Worte Jesu von Ehescheidung und Wiederheirat zu rekonstruieren, sondern fragen lediglich nach dem Sinn der dritten Antithese bei Matthäus im Zusammenhang der Bergpredigt.

27 “ ·, im zweiten Glied   ähnlich wie im zweiten und dritten Glied der ersten Antithese, Vers 22bc  ’ ±. 28 Vgl. Mk 9,42–48 und die Dublette Mt 18,6–9 (jeweils im Zusammenhang einer Jüngerbzw. Nachfolgeunterweisung). Wenn man mit LUZ, Matthäus (Anm. 2), 347f., für Mt 5,29f. die Spruchüberlieferung als Quelle annimmt, handelt es sich um eine Doppelüberlieferung. 29 Auge und Hand stehen pars pro toto für den ganzen Menschen, das rechte Auge bzw. die rechte Hand insbesondere für seine wichtigsten Glieder. 30 Vgl. TRAUGOTT HOLTZ, „Ich aber sage euch“. Bemerkungen zum Verhältnis Jesu zur Tora, in: BROER, Jesus (Anm. 6), 135–145; GERHARD DAUTZENBERG, Jesus und die Tora, in: ERICH ZENGER (Hg.), Die Tora als Kanon für Juden und Christen, HBibSt 10, Freiburg u.a. 1996, 345–378: 362–367.

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

311

Unsere Leitfrage, ob die Weisungen Jesu in den Antithesen im Gegensatz zur Tora stehen oder als eine Möglichkeit ihrer weiterführenden Auslegung verstanden werden können, lässt sich für die zweite Antithese des Matthäus relativ eindeutig beantworten. Schon im Frühjudentum lässt sich die Tendenz beobachten, das sechste (Ehebruch) und das zehnte Dekaloggebot (Begehren) miteinander in Verbindung zu bringen (vgl. V. 28 “”¢ ¢ “ 

˜ !). In der paränetischen Torarezeption und -interpretation kommt der Sexualethik neben der Sozialethik (Besitzvergehen, Wahrhaftigkeit im Umgang mit dem Nächsten, Barmherzigkeitswerke) und der Warnung vor Götzendienst zentrale Bedeutung zu. Auch die Verbindung von Anblicken einer Frau und Gefährdung durch Unzucht bzw. Ehebruch ist hier breit belegt. Schon Ben Sira findet “” © ¢  ”  Û • (26,9; vgl. 23,4f.). Verführung durch Frauenschönheit ist eines der Hauptthemen der Testamente der zwölf Patriarchen. 31 Dass die Weisung der Antithese in Vers 28 trotz ihrer kasuistischen Formulierung eine ganzheitliche Haltung fordert ( À ”¥ ˜), ist offenkundig und auch immer in der Exegese betont worden. Dass auch dies frühjüdischer Toraparänese entspricht, ist weniger oft hervorgehoben worden. Die innere Ausrichtung der Haltung des Menschen am Willen Gottes, fern von jeder „kasuistischen Gesetzlichkeit“, ist aber keineswegs spezifisch nur für die Ethik Jesu. Für sie bieten auch die Zwölfertestamente zahlreiche eindrucksvolle Belege. Sie preisen etwa am Beispiel des Patriarchen Issachar die „Lauterkeit des Herzens“ (¸“ ” ), die sich darin zeigt, dass er außer seiner eigenen Frau keine andere „erkannte“, nicht Unzucht trieb durch „Aufheben der Augen“, nicht Wein trank bis zur Verwirrung, nicht begehrte, was der Nächste Begehrenswertes besaß, List in seinem Herzen nicht aufkommen und Trug nicht über seine Lippen kommen ließ (TestIss 7,2–4). Als Resümee heißt es am Ende dieser Reihe: „Den Herrn liebte ich mit aller meiner Kraft, und gleichermaßen liebte ich auch jeden Menschen wie meine Kinder.“ (7,6) Hier wird eine umfassende Gesinnung dargestellt, die ihr Ziel in der Liebe Gottes und des Nächsten sucht. Charakteristisch für das Ethos, das in den Zwölfertestamenten zur Sprache gebracht wird, ist also zum einen die Bindung der in solchen Weisungsreihen beschriebenen und geforderten Haltung an den in der Tora nieder-

31 Text: MARINUS DE JONGE u.a., The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Edition of the Greek Text, PVTG I/2, Leiden 1978; Übers.: JÜRGEN BECKER, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1974, 1–163. Vgl. die Wendung “”¦   ”  Û •, TestIss 7,2; ähnlich TestBenj 6,3; s.a. Ö  © , TestRub 3,10; ·” ©  § “” , TestBenj 8,2.

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Die Antithesen des Matthäus

gelegten Gotteswillen, zum anderen der Verweis auf die inneren, die Gesinnung des Menschen bestimmenden Regungen (immer wieder ” , £ ,  ¦ , ). 32 Schließlich deutet auch die Ausrichtung der in der Weisung Jesu geforderten Haltung und Lebensweise am eschatologischen Urteil Gottes (vgl. bes. die Entfaltung in V. 29f.) in den Zusammenhang frühjüdischer Toraparänese, wie sich exemplarisch an den Zwölfertestamenten belegen lässt. So mahnt der Patriarch Ruben seine Nachkommen: Ein Verderben der Seele (Ö ” £) nämlich ist die Unzucht; sie trennt von Gott und führt zu den Götzen, denn sie ist es, die den Sinn und Verstand in die Irre führt und junge Männer in den Hades treibt vor ihrer Zeit … Wenn aber die Unzucht den Sinn nicht überwältigt, kann auch Beliar euch nicht überwältigen. (TestRub 4,6.11)

Dass gerade die Hand zum Anlass eschatologischer Verurteilung werden kann, 33 wird plastisch daran gezeigt, dass Gott die Hand des Patriarchen Simeon verdorren ließ, um ihn am Brudermord zu hindern, und sie erst auf Grund seiner Buße und Abkehr von aller bösen Gesinnung wieder gesunden ließ (TestSim 2,12f.). Damit ist deutlich, dass sich der zweite Antithesenabschnitt ganz und gar in den Kontext frühjüdischer Toraparänese und -interpretation einordnen lässt. Schwieriger verhält es sich mit dem dritten. Hier wird nicht ein einzelnes Toragebot in Richtung auf eine daran anknüpfende Gesamthaltung entfaltet. Vielmehr wird eine durch die Tora gegebene spezifische Rechtspraxis auf einen genau definierten Fall eingegrenzt, ohne jede paränetische Entfaltung. Die Tora regelt explizit nur den Fall der (verbotenen) Wiederheirat der eigenen geschiedenen Frau nach deren Scheidung von ihrem zweiten Mann (Dtn 24,1–4). Dies setzt die Möglichkeit einer Scheidung voraus, ist aber natürlich kein Scheidungsgebot. Schon deshalb kann die dritte Antithese bei Matthäus kaum im Sinne eines Gegensatzes der Weisung Jesu zur Tora interpretiert werden. 34 Diese in der Tora gegebene Scheidungsmöglichkeit wird nun in der matthäischen Antithese Jesu eingeschränkt auf den „Fall Unzucht“ (“ ” ¢ © “” ) und zusätzlich erschwert durch das Verbot der Wiederheirat einer aus diesem Grunde Geschiedenen (also einer Ehebrecherin). In dieser Fassung des Jesuswortes innerhalb der Antithesen haben wir es somit (im Unterschied zu den übrigen synoptischen Logien zum Thema einschließlich Mt 19,6–8!) der Sache nach gerade nicht mit einem prinzipiellen Scheidungsverbot zu tun, sondern mit einer genau definierten Scheidungserlaubnis. Insofern könnte man 32

Für ein solches frühjüdisches Ethos lassen sich viele weitere Beispiele aus den TestXII und anderen frühjüdischen Schriften anführen; vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 18), passim. 33 Vgl. Mt 5,30: §  ½   £‘”   Ñ  (zum Auge s.o., 310). 34 Dies geschieht freilich immer wieder, meist aber mit Bezug auf das Scheidungsverbot Jesu nach Mk 10,9.

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

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die dritte Antithese auch im Kontext frühjüdischer „halachischer“ Toraauslegung interpretieren, der es darum geht, die Intention der Gebote der Tora auf aktuelle, in der Tora noch nicht explizit geregelte Einzelfälle zu übertragen. Die Unzuchtsklausel wäre dann Interpretation der unbestimmten Wendung âç ê (LXX: ±£ “”© ), die in Dtn 24,1 den Scheidungsgrund benennt. 35 Allerdings lässt sich dieses Verständnis nur schwer mit dem Kontext der matthäischen Antithesen in Einklang bringen. Eine solche halachische Umgangsweise mit der Tora wäre hier völlig isoliert. Vielmehr muss man die auffällig enge Verbindung mit der vorangehenden Antithese (V. 27–30) stärker berücksichtigen. Sie zeigt sich ja gerade in Vers 32 besonders deutlich. 36 Wie in der zweiten, so wird auch in der dritten Antithese ein Verhalten als Ehebruch charakterisiert, das in der Tora nicht explizit als solcher definiert ist. Positiv gewendet: Erhaltung und Schutz der Ehe erfordern mehr als buchstäblichen Toragehorsam (der – das sei eigens betont – für die frühjüdische Umgangsweise mit der Tora keineswegs charakteristisch ist!). Im Zusammenhang mit der zweiten handelt also auch die dritte Antithese nicht lediglich von der Ehescheidung, sondern von der Zerstörung der Ehe, vom Ehe-Bruch, der dem Willen Gottes entgegensteht und durch eine Gesamthaltung ihm gegenüber vermieden werden soll. Die dritte Antithese hat somit als ganze gegenüber der zweiten die Funktion einer paränetischen Entfaltung, auch wenn sie für sich noch einmal nach dem Modell einer Antithese formuliert ist. 34F

5,33–37 Die ausführliche Einführungsformel in Vers 33 leitet die zweite Dreierreihe von Antithesenabschnitten ein. Die These besteht hier aus zwei Gliedern, einem negativen Gebot, das in seiner apodiktischen Kurzform wie die erste und zweite These (V. 21.27) an die Dekaloggebote der zweiten Tafel erinnert, obwohl es dort nicht steht, und einer positiven Mahnung zum Erfüllen der Gelübde, die sich in dieser Form ebenfalls nicht in der Tora findet. 37 Der Formulierung nach steht die vierte These also den ersten beiden nahe, dem Inhalt nach (kein Torazitat) eher der dritten. Die Antithese besteht aus einem eingliedrigen apodiktischen Mahnwort (imperativischer Infinitiv ¡ Ã ²), das innerhalb desselben Satzes ent-

35

So argumentiert z.B. SÄNGER, Schriftauslegung (Anm. 4), 95f.; vgl. ähnlich DAUTZENTora (Anm. 30), 365. 36 “ · “¦ ¡ ©  ˜ “ ” ¢ © “”  korrespondiert “ · œ“ ©  “”¢ ¢ “  ˜¡, Vers 28; “  ˜¡  £  nimmt Æ £ ˜¡, Vers 28, auf; dazu noch einmal  £Â in Vers 32. 37 Vgl. aber Ps 50(49),14: “°Ê«˜£, sowie die Toragebote zu Gelübden in Dtn 23,22–24; Num 30,2–17.

BERG,

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Die Antithesen des Matthäus

faltet wird durch eine lange Reihe von Näherbestimmungen (V. 34b–36 viermal  ). Die aneinandergereihten  -Aussagen benennen Berufungsinstanzen möglicher Eide. 38 Sie bekommen eigenes Gewicht durch jeweils angehängte Begründungen, durch die das Schwören bei diesen Instanzen ausgeschlossen werden soll. Hier, also in der Antithese Jesu, nicht in der These, die „den Alten gesagt“ ist, werden jeweils Wendungen der Schrift verwendet. 39 In Vers 36 wird der negierte Imperativ der Antithese wiederholt 40 und mit einer weiteren Begründung versehen, die sich nicht aus der Schrift herleiten lässt. Am Schluss steht erneut ein positives imperativisches Mahnwort (V. 37). Traditions- und literarkritische Rückfragen an die Vorgeschichte dieser kleinen Spruchkomposition 41 können neben den genannten formalen Besonderheiten vor allem bei dem paränetischen Mahnwort aus Jak 5,12 ansetzen. Auffällig verwandt sind das sonst selten belegbare absolute Schwurverbot, die Aufzählung der auszuschließenden Berufungsinstanzen und die positive Mahnung zur wahrhaftigen Rede. Allerdings ist Jak 5,12 weder als Jesuswort formuliert noch als Antithese. Bei der Frage nach der Aussageabsicht des Matthäus hilft die Stelle kaum weiter. Entscheidend für die Interpretation ist wiederum der Blick auf die traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen im Frühjudentum. Schon die apodiktische Formulierung der These (˜ “ ”  ) weist sprachlich und inhaltlich auf den Überlieferungsbereich der Dekalogrezeption im Frühjudentum. Gerade in neutestamentlichen Bezugnahmen auf den Dekalog ist die Aneinanderreihung der Prohibitive ohne die jeweiligen Ergänzungen der biblischen Dekalogfassungen charakteristisch. 42 Besonders auffällig ist in unserem Zusammenhang die Erweiterung der Prohibitivreihe in Mk 10,19 durch das nicht durch den Pentateuch vorgegebene ¡ “” ¤ („du sollst nicht berauben“; vgl. aber Sir 4,1!), das vermutlich das neunte und zehnte Dekaloggebot (˜ “    …) umfassend wiedergeben soll. Das bedeutet: Die Wendung ˜ “ ”   steht im vierten Antithesenabschnitt bei Matthäus textpragmatisch für ein Gebot der Tora, auch wenn sich ein solches im Pentateuch gar nicht findet! Hinzu kommt, dass in frühjüdischen paränetischen Texten das Verbot des Meineides zusammen mit anderen Vergehen gegen die Wahrhaftigkeit dem

38

Vers 34b: °˜” °, Vers 35a: À©À, Vers 35b: §Ú” , Vers 36a: À › À. 39 Vgl. Jes 66,1 LXX: ·˜”   ”¬©““ •“•, Ps 47,3: ֔ž Ì“   œ©. 40 Diesmal auch grammatisch als Imperativ:   … ä. 41 Vgl. dazu ZELLER, Mahnsprüche (Anm. 25), 124–126. 42 Vgl. Röm 13,9: ˜  £¦ , ˜ ›¦ , ˜ œ , ˜ “   , Jak 2,1:1 ¡  £¦¤, ¡ ›¦¤, Mk 10,19: par. ¡ ›¦¤, ¡  £¦¤, ¡

œ¤, ¡  ”” ¤, ¡ “” ¤.

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

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achten Dekaloggebot (Zählung nach Luther, also: ˜  ””  ) zugeordnet werden kann. 43 Von hier aus wird verständlich, dass die Warnung vor dem Meineid zu den wichtigsten Bestandteilen frühjüdischer paränetischer Weisungsreihen gehört. 44 Daneben kann sie aber auch dem zweiten (bzw. dritten) Dekaloggebot (Heiligung des Gottesnamens) zugeordnet werden, so vor allem bei Philon. 45 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Philon in denselben Zusammenhängen auch die Anordnungen der Tora zu Gelübden behandelt. 46 Das wiederum entspricht dem zweiten Glied der These in Vers 33. Es zeigt sich also, dass auch der vierte Antithesenabschnitt traditionsgeschichtlich dem Überlieferungsbereich der frühjüdischen Torarezeption und -paränese zuzuordnen ist. Was ihn von den herangezogenen frühjüdischen Texten unterscheidet, ist zum einen die antithetische Sprachform, zum anderen die absolute Formulierung des Eidverbotes im ersten Teil der Weisung Jesu. Lässt sich das erste nur im Zusammenhang der Gesamtinterpretation der matthäischen Antithesen abschließend beurteilen, so ist das zweite hinsichtlich seiner Beweiskraft für eine prinzipielle Torakritik deutlich zu relativieren. Belege für ein absolutes Schwurverbot finden sich durchaus auch im Frühjudentum. So bezeugt etwa Josephus, dass die Essener jeden Eid ablehnen (Bell 2,135). Wenig später berichtet er freilich, dass zumindest die neu in die Gemeinschaft Eintretenden nach langjähriger Vorbereitungszeit vor ihrer Zulassung zu den Gemeinschaftsmahlzeiten „furchtbare Eide“ zu schwören haben (139). Es wäre nach allem, was wir von den Essenern wissen, jedenfalls absurd, aus ihrer Ablehnung von Eiden zu schließen, dass sie sich mit ihrer Haltung in einen prinzipiellen Gegensatz zur Tora stellen wollten! 47 Das Eidverbot der vierten Antithese steht wie die zitierten frühjüdischen Texte in einem paränetischen Kontext und ist von ihm her zu interpretieren. Es ist weder eine prinzipielle Stellungnahme zur Tora als ganzer noch eine halachische Interpretation zur Klärung bestimmter Einzelfälle, die von der Tora nicht explizit geregelt worden sind. Vielmehr dient es der Ermahnung zur Wahrhaftigkeit im Reden, die dem Willen Gottes entspricht. Genau darauf läuft auch die vierte Antithese als Ganze zu: „Euer Wort sei ein klares Ja oder ein klares Nein! Alles, was darüber hinausgeht, ist von Übel.“ (V. 37)

43 Ein schönes Beispiel bietet PseudPhok 16f.: ¡ ’ “ ”   … ¦”  ©œ . Vgl. auch PseudPhok 12:  ”” ¡ ›¦© . 44 Vgl. schon Sir 23,9–11; in Reihen oder Katalogen: Weish 14,25.28; PsSal 4,4; TestAss 2,6; grBar 4,17. 45 SpecLeg 2,224; vgl. Decal 82–95; SpecLeg 2,9–38. 46 Vgl. dazu noch Hyp 7,3–5; TestJud 18,5. 47 Aus ihren eigenen Texten erfahren wir, dass die Essener bei verschiedenen Gelegenheiten sehr wohl Eide gebrauchten (Belege bei BROER, Freiheit [Anm. 2], 91–94). Dieselbe Spannung wäre übrigens auch im Blick auf die Rezeption des Eidverbotes Jesu im Urchristentum zu bedenken!

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Die Antithesen des Matthäus

5,38–48 Die beiden letzten Antithesenabschnitte stimmen formal darin überein, dass ihre Einleitungsformeln identisch sind (im thetischen Teil verkürzt gegenüber der ersten und vierten Antithese, aber länger als bei der dritten). Beide Thesen zitieren zudem wörtlich aus der Tora (wie die erste und zweite, aber anders als die dritte und vierte). Beide Antithesen Jesu bestehen aus kurzen Mahnworten, 48 die anschließend entfaltet werden. Die Entfaltung der fünften Antithese (V. 39b–42) ist wie die der ersten, zweiten und vierten in der 2. Pers. Sing. formuliert und streng parallel aufgebaut. Die negative Mahnung Jesu wird durch vier positive Weisungen (Imperative) entfaltet. Die vier kurzen Sätze konstruieren exemplarische Fälle, die die grundsätzliche Mahnung Jesu illustrieren. 49 Die Entfaltung der sechsten Antithese (V. 45–48) ist in der 2. Pers. Plur. gehalten. 50 Vers 45 gibt eine Begründung für die Weisung Jesu mit finalem Sinn (²“). In Vers 46f. folgt eine weitere Begründung (©”), bestehend aus zwei parallel gebauten Satzgefügen. 51 Am Schluss (V. 48) steht eine umfassende Mahnung, in der die Adressaten noch einmal betont angesprochen werden (ª  è  …). Der Verweis auf den himmlischen Vater rahmt den Begründungszusammenhang der Vers 45–48 (inclusio). Begründungen im Zusammenhang der Entfaltung der Antithesen Jesu sind für die Antithesenreihe insgesamt eher untypisch. 52 Der Vergleich der Spruchgruppen in Vers 39b–42 und Vers 44b–48 mit der Feldrede zeigt, dass die Einzelsprüche bei Lukas eine Einheit bilden, während Matthäus sie auf die letzten beiden Antithesen verteilt hat. 53 Bei Lukas folgt auf Seligpreisungen und Weherufe (6,20b– 26) eine Spruchgruppe zum Thema Verhalten gegenüber dem Widersacher (6,27–36). Die Einzellogien sind bei ihm durch das Gebot der Feindesliebe gerahmt (inclusio © “– £ ”–•, V. 27.35). Die Spruchgruppe wird zusammengefasst durch eine umfassende Ermahnung zur Barmherzigkeit, die der des (himmlischen) Vaters entspricht. Matthäus hat den Sprüchen zur Wiedervergeltung (Lk 6,29f.) die Antithese zum ius talionis vorangestellt. Das Gebot der Feindesliebe bildet bei ihm anschließend die Antithese zum Nächstenliebegebot der Tora, zusammen mit den bei Lukas auf die Goldene Regel folgenden Mahnungen

48 In der fünften Antithese ein eingliedriges im Infinitiv (¡   ° “”°), in der sechsten ein zweigliedriges im Imperativ ( © “ – £ ”– • ‘ “”¦£  “” •    Â). 49 Jeweils abwechselnd sind zwei als konditionale Relativsätze formuliert (²   …) und zwei mit Partizip im Dativ des personalen Objekts (° œ  ”  …, °

§  …). Das letzte Glied der kleinen Viererreihe (V. 42) ist durch Verdoppelung von Partizip und Imperativ zusätzlich hervorgehoben. 50 So vorher nur der letzte Satz der Entfaltung in der vierten (V. 37). 51 Jeweils -Satz + zwei rhetorische Fragen, zweimal ¢ ˜¢ “  . 52 Sonst nur in der ersten Antithese als Negation ( “) zur Unterstreichung der vorangehenden positiven Mahnung Jesu sowie in der vierten bezüglich der Schwurinstanzen. 53 Zur Vorgeschichte der Spruchgruppen innerhalb der synoptischen Überlieferung vgl. ZELLER, Mahnsprüche (Anm. 25), 55–60 und 101–110.

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

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zum positiven Verhalten gegenüber Widersachern (Lk 6,27f.32–34). 54 Die Goldene Regel (Lk 6,31) bringt Matthäus erst später (vgl. 7,12). Einen matthäischen Akzent kann man zudem darin finden, dass das Verhalten gegenüber dem Widersacher auf die Situation der Verfolgung zugespitzt wird (vgl. Mt 5,44b mit Lk 6,27b.28). 55 Das dürfte bewusst im Blick auf den Kontext der Bergpredigt geschehen sein (vgl. die letzten beiden Seligpreisungen!). Darüber hinaus hat Matthäus die ihm vorgegebene Spruchgruppe wohl auch gekürzt, um den Rahmen seiner Antithesenkomposition nicht zu sprengen. Das alles deutet darauf hin, dass das Material der beiden letzten Antithesen ursprünglich und der Sache nach zusammengehört und erst durch Matthäus bei der Gestaltung der Antithesenreihe auf zwei Abschnitte verteilt worden ist. Bei der Auslegung ist dieser Zusammenhang zu berücksichtigen. 56

Betrachten wir nun unter unserer Leitfrage „Toraauslegung oder -kritik?“ die argumentativen Funktionen und die semantischen Beziehungen in den beiden letzten Antithesenabschnitten! Die These in Vers 38b besteht aus einem wörtlichen Torazitat (Ex 21,24; vgl. Lev 24,20; Dtn 19,21). Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein Einzelgebot der Tora, sondern um einen Rechtsgrundsatz, nach welchem verschiedene (kasuistische) Einzelgebote im Rahmen der Rechtsprechung gemäß der Tora gestaltet sind, das sogenannte ius talionis (Prinzip der gleichwertigen Ersatzleistung). 57 Die Antithese dazu ist frei formuliert, nach dem gleichen Muster wie die in Vers 34 ( + Inf.). Sie nimmt nicht explizit Stichwörter der These auf. Immerhin kann man aber Stichwortbezüge zum Kontext von Dtn 19,21 ausmachen. 58 Einem Rechtsgrundsatz der Tora stellt Jesus somit eine grundlegende Mahnung zum zwischenmenschlichen Verhalten entgegen. 59 Dies ist am besten wieder als paränetische Auslegung zu verstehen. Die These in Vers 43 ist als antithetischer parallelismus membrorum gestaltet. Das aus der Tora zitierte Liebesgebot 60 wird somit durch die antithetische Wendung ( ‘     ¢ £ ” ) präzisiert und unterstrichen. Das Stichwort   konnte dafür aus dem unmittelbaren Kontext des Toragebotes übernommen werden (vgl. Lev 19,17: ˜     ¢ ›  À  ¥ ). Das Gebot, den Feind zu hassen, hat also in der von Jesus wiedergegebenen Gestalt nicht den Charakter eines selbständigen Einzelgebotes 54

Matthäus vermeidet die Wiederholung des Feindesliebegebotes. ’  ­  nur bei Matthäus, dazu Kürzung von drei parallel gebauten Gliedern nach Lukas auf dieses eine. 56 Vgl. den Befund bei der zweiten und dritten Antithese (s.o., 313f.). 57 Vgl. die in den jeweiligen biblischen Kontexten genannten Fälle von Körperverletzungen und Schädigungen bzw. den Bereich des Prozessrechts. 58 Vgl. 19,18 œ, 19,19f. zweimal ¢ “”. SÄNGER, Schriftauslegung (Anm. 4), 98f., begründet von daher die These, Mt 5,39 könne im Rahmen der Torainterpretation als Exegese der biblischen talio im Sinne des Rechtsverzichts angesehen werden. 59 ° “”° dürfte wegen der mit ²  angehängten Entfaltungen als masculinum zu lesen sein; vgl. auch die eindeutig personalen Ausdrücke in Vers 45: “‘ “”– ‘ © ¦ … “‘   ‘  . 60 Lev 19,18, verkürzt um ç  . 55

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Die Antithesen des Matthäus

(ein solches findet sich weder im Pentateuch noch sonst irgendwo im Frühjudentum). Es dient vielmehr im Rahmen der Antithesen des Matthäus der Unterstreichung des Liebesgebotes der Tora, freilich gleichzeitig auch der Eingrenzung von dessen Geltungsbereich. Die Antithese (V. 44) knüpft durch gemeinsame Stichwörter an beide Glieder der These an ( © “Â, £ ”¦), entfaltet aber im synonymen parallelismus membrorum nur die positive Seite des in ihr geforderten Verhaltens ( © “Â, “”¦£ “œ”). Das bedeutet: Die in der These herausgestellte Eingrenzung des Geltungsbereichs des Liebesgebotes wird durch Jesu Antithese aufgehoben und, rhetorisch zugespitzt, in ihr Gegenteil gewendet (nicht natürlich das Liebesgebot selbst!). Jesu Gebot der Feindesliebe hat somit bei Matthäus die Funktion einer Entgrenzung (und damit Radikalisierung) des Toragebotes, nicht die seiner Aufhebung. 61 Dies wird noch unterstrichen durch die Entfaltung in Vers 46f., in der nur das Stichwort © “Â, nicht aber das   aufgegriffen und nach Inhalt und Ausrichtung interpretiert wird. 62 Die vier konstruierten Fälle der Entfaltung zur fünften Antithese (V. 39b– 42) dienen der Darstellung einer Gesamthaltung gegenüber dem Widersacher (bzw. in V. 42 gegenüber jedem Bedürftigen). Form (Weisungsreihe, bestehend aus Mahnsprüchen in der 2. Pers. Sing.) und Inhalt weisen wiederum auf den Überlieferungsbereich frühjüdischer, weisheitlich geprägter Toraparänese. Die Forderung, auf Vergeltung zu verzichten, ist keineswegs originell für die Jesusüberlieferung, sondern sowohl in biblisch-frühjüdischen als auch in paganen Texten breit belegt. 63 Besonders eindrücklich ist die umfassende Mahnung zum Vergeltungsverzicht im Zusammenhang ihrer narrativen Ausgestaltung in „Joseph und Aseneth“ (vgl. JosAs 29,3: ˜ “”  ”‘  “

¢ ‘

). 64 Dasselbe gilt erst recht für die Aufforderung zur Barmherzigkeit gegenüber Bedürftigen. 65 So urteilt Sänger völlig zu Recht: „Traditionsgeschichtlich spricht wenig dagegen, die Intention der fünften Antithese – wie die der ersten und zweiten – im breiten Spektrum frühjüdischer Weisheitsüberlieferung präformiert zu sehen“. 66 Das bedeutet: Auch hier kann die antithetische Struktur der Aussage nicht als Ausdruck expliziter und grundsätzlicher Torakritik Jesu verstanden werden. 61

Ähnlich wie die erste, zweite und nach unserer Interpretation auch die vierte Antithese. “  nimmt © “ und “”¦£ “œ” auf, ’ © “• und ’ › sind die positiven, hier aber sachlich negierten Gegenstücke zu £ ” bzw. ’  ­ . 63 Eine Fülle von Belegen bei SÄNGER, Schriftauslegung (Anm. 4), 96f., auch im sachlichen Gegenüber zum ius talionis der Tora. Vgl. auch BROER, Freiheit (Anm. 2), 85–91. 64 Text: UTA BARBARA FINK, Joseph und Aseneth. Revision des griechischen Textes und Edition der zweiten lateinischen Übersetzung, FoSub 5, Berlin/New York 2008; Übers.: CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, 1983, 577–735. 65 Belege dazu bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 18), Reg. s.v. Barmherzigkeit. 66 SÄNGER, Schriftauslegung (Anm. 4), 97. 62

3. Lehre Jesu und Tora in den einzelnen Antithesen

319

Dies gilt nun aber auch für die sechste Antithese, das Gebot der Feindesliebe. Die Weisung Jesu richtet sich, wie wir gesehen haben, gegen die Eingrenzung des Geltungsbereiches des Liebesgebotes der Tora. An den Bezug des Gebotes in Lev 19,18 auf den Nächsten als den Israeliten konnte freilich im Frühjudentum auch eine Auslegungstradition anknüpfen, die Nicht-Israeliten oder andere, innerjüdische Widersacher explizit aus der Nächstenliebe ausschloss. 67 Dies kann aber keineswegs als die einzige, für das Judentum insgesamt repräsentative Auslegung gelten und schon gar nicht als ursprünglicher Sinn des Gebotes der Tora selbst verstanden werden. Schon in Lev 19,34 wird der im Lande wohnende Fremde ausdrücklich in das Liebesgebot einbezogen (vgl. auch Dtn 10,19). Hieran konnte wiederum eine frühjüdische Auslegungstradition anknüpfen, nach der generell dem bedürftigen Fremden und sogar dem Feind, etwa dem Kriegsgegner bzw. -gefangenen, der soziale Schutz der Tora zukommen soll. 68 So kommt etwa der stark durch hellenistisches Gedankengut beeinflusste Verfasser des 4. Makkabäerbuches bei seiner paränetischen Zusammenfassung der Tora zu der grundsätzlichen Aussage, dass „die Urteilskraft mit Hilfe des Gesetzes selbst die Feindschaft zu überwinden vermag“ (2,14). Er expliziert das anschließend im Blick auf das Verhalten gegenüber dem Kriegsgegner (“œ ) und dem persönlichen Feind (£ ”). Darüber hinaus spielt das positive Verhalten gegenüber dem Feind auch in der biblischen und frühjüdischen Weisheitsüberlieferung eine gewisse Rolle. Exemplarisch hierfür steht Spr 25,21f.: „Hungert deinen Feind (£ ”), so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser …“. 69 Die weisheitlich geprägte Torarezeption, -interpretation und -paränese im Frühjudentum bildet somit auch für Jesu Gebot der Feindesliebe nach Matthäus den maßgeblichen traditionsgeschichtlichen Hintergrund, 70 obwohl ein explizites Gebot, den Feind zu lieben, nur in der Jesusüberlieferung belegt ist. 71 Wir können diese Ausprägung des Verhaltens gegenüber dem Feind also durchaus als für Jesus spezifisch und originell ansehen, dürfen sie aber nicht anderen frühjüdischen Rezeptionsweisen der Tora prinzipiell entgegensetzen. Sie erscheint auf dem gezeichneten Hintergrund vielmehr als eine von verschiedenen

67 Rabbinische Belege bei SÄNGER, a.a.O., 99, qumranische bei STRECKER, Bergpredigt (Anm. 2), 90f. 68 Ex 23,4f.; Dtn 20,19f.; vgl. dazu Philo, Virt 116–120; Josephus, Ap 2,209–212; 4Makk 2,13f. 69 Zum Liebesgebot im Zusammenhang weisheitlicher Überlieferung im Frühjudentum und in der Jesusüberlieferung vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Weisheit als Thema biblischer Theologie, KuD 44, 1998, 40–60 [in diesem Band 263–284]: 51–59 (weitere Lit. dort in Anm. 37f.). 70 Typisch weisheitlich sind übrigens auch die Motive in Vers 45–47. 71 Zu Vergleichstexten aus der frühchristlichen Literatur vgl. KUHN, Liebesgebot (Anm. 4), 196–204.

320

Die Antithesen des Matthäus

möglichen Interpretationsweisen des Liebesgebotes der Tora, freilich als eine besonders radikale. Dieser gemeinsame traditionsgeschichtliche Hintergrund der Mahnungen in der fünften und sechsten Antithese gibt nun, zusammen mit ihrer gemeinsamen Überlieferungsgeschichte innerhalb der Jesusüberlieferung, auch die Richtung für ihre Gesamtinterpretation im Rahmen der Antithesenreihe vor: Beide Antithesenabschnitte müssen nämlich in ähnlicher Weise aufeinander bezogen werden wie der zweite und der dritte. Die traditions- und überlieferungsgeschichtlich aufgewiesene Verwandtschaft der letzten beiden Antithesen prägt schon ihren Wortlaut bei Matthäus. So korrespondiert der negativen Mahnung der fünften Antithese (¡   ° “”°) eine entsprechend positive der sechsten ( © “ – £ ”– •). Durch die eindeutig personalen Wendungen in Vers 44f. (– £ ”– •, “” •    Â, “‘ “”– ‘ © ¦, “‘   ‘  ) wird der relativ unbestimmte Ausdruck ·/¢ “”/- in Vers 39 präzisiert, personalisiert und radikalisiert. Die schon für sich gesehen provozierenden Weisungen zum Verhalten gegenüber dem Widersacher in Vers 39b–41 werden in Vers 44–47 geradezu auf die Spitze getrieben. 72 Die sechste Antithese kann somit insgesamt als radikalisierende Weiterführung der fünften angesehen werden. Wird in der fünften die talio der Tora auf den prinzipiellen Vergeltungsverzicht hin interpretiert, so führt die sechste diese Interpretationslinie weiter zum grenzenlosen, auch den Widersacher einschließenden Liebesgebot. Im dritten Antithesenabschnitt fehlt, wie wir gesehen haben, eine entfaltende Weiterführung der Antithese Jesu. Daraus haben wir geschlossen, dass er zusammen mit dem zweiten als eine Doppel-Antithese aufgefasst werden kann. Dies kann man modifiziert auch für die letzten beiden Antithesenabschnitte sagen, wenn man berücksichtigt, dass die Entfaltung der sechsten Antithese schon sprachlich eine Sonderstellung einnimmt. Die Formulierungen in der 2. Pers. Plur. ab Vers 45 73 führen nämlich schon zum Rededuktus der Bergpredigt als ganzer zurück, der auch die Einleitung der Antithesenreihe in 5,17– 20 bestimmt hatte. 74 Die beiden Begründungen in Vers 46f. und die abschließende umfassende Mahnung zur Vollkommenheit in Vers 48 knüpfen zwar an die beiden letzten Antithesen an, gehen aber nach Funktion und Inhalt weit über diese hinaus. Sie bilden den Höhepunkt und Abschluss der Antithesenreihe als ganzer und korrespondieren somit ihrer Einleitung.

72 Nimmt man den zweiten Teil der sechsten Antithese im Kontext der Bergpredigt wörtlich, dann steht der Seligpreisung der Verfolgten und der Zusage der Gottesherrschaft und himmlischen Lohnes an sie (5,10–12) hier geradezu eine „Seligpreisung“ der Verfolger gegenüber! 73 Sonst in den Entfaltungen in aller Regel 2. Pers. Sing. wie auch in der fünften Antithese. Eine Ausnahme bildet lediglich Vers 37 innerhalb der vierten Antithese. 74 Die gleiche Reihenfolge von grundlegender Mahnung in der 2. Pers. Plur. und anschließender Entfaltung in der 2. Pers. Sing. findet sich übrigens auch in 6,1f.5f.16f.

4. „Ich aber sage euch …“

321

Der Verweis auf den himmlischen Vater und die Sohnschaft der Angeredeten gilt also nicht nur im Blick auf das Verhalten gegenüber den Widersachern, von denen in den letzten beiden Antithesen die Rede war. Er wendet sich vielmehr ganz umfassend an alle diejenigen, die dem Gotteswillen folgen, wie ihn Jesus in den Antithesen aus der Tora abgeleitet hat. Damit wird die textpragmatische Tendenz der beiden kurzen Bildworte wieder aufgenommen, die den Antithesen und ihrer Einleitung vorangehen (5,13–16). Wie die Aussagenfolge dort, 75 so mündet auch die Antithesenreihe hier am Ende in eine umfassende Weisung. Sie spricht den Angeredeten die Identität von Gottessöhnen zu (V. 45.48; vgl. 5,16: · “ ¡” • ·   ˜” ), die sie in ihrem Verhalten vor allen Menschen, guten wie bösen, gerechten wie ungerechten, Zöllnern wie Heiden, an den Tag legen sollen (vgl. 5,16: ª“”  •  ”­“). Nur dann haben sie Lohn zu erwarten (  ¢ ª£, vgl. 5,12; 6,1.2.5.16), nur dann erfüllen sie die Forderung der „besseren Gerechtigkeit“ (“” ¢ “ , vgl. 5,20). Seinen umfassenden Ausdruck findet solches Verhalten in der Vollkommenheit nach dem Vorbild des himmlischen Vaters (V. 48). Die in den vorangehenden Antithesen von Jesus zugespitzt zur Sprache und zur Geltung gebrachten Weisungen der Tora werden hier sozusagen in Gott selbst personalisiert. Nicht nur ist die Tora, in der spezifischen Gestalt, die Jesus ihr gibt, Ausdruck des Gotteswillens, nach dem sich die Lebensgestaltung der Angeredeten auszurichten hat. Vielmehr verkörpert Gott selbst das Urbild und Vorbild einer Gesamthaltung, die für die Haltung der Adressaten der Lehre Jesu bestimmend sein soll.

4. „Ich aber sage euch …“ 4. „Ich aber sage euch …“ Maßstab für die Haltung und das Tun der Angeredeten ist nach der Gesamtaussage der Antithesenreihe und ihrer Einleitung der in der Tora niedergelegte Gotteswille in seiner durch Jesus aktuell zur Sprache gebrachten Gestalt. Beim Vergleich mit frühjüdischen Texten aus dem Bereich weisheitlich geprägter Toraparänese hat sich eine tiefe Verwandtschaft in Redeformen, Motiven und Intentionen ergeben. An keiner Stelle konnten wir einen prinzipiellen Widerspruch zwischen den Weisungen Jesu in den Antithesen und den Forderungen der Tora als ganzer oder einzelner ihrer Gebote aufweisen, sofern diese entsprechend den Konventionen ihrer Rezeption im Frühjudentum wahrgenommen werden. 76

75

Indikativ „ihr seid“ (das Salz, das Licht) – Imperativ „so seid nun auch“ (Licht etc.). Ob dieses Urteil auch für die Ebene(n) vormatthäischer Überlieferung zutrifft, wollen wir hier offenlassen. Wenigstens für die Sprüche zur Ehescheidung kann man m.E. mit HOLTZ, Ich aber sage euch (Anm. 30), gute Gründe für eine antithetische Ausrichtung der vormatthäischen 76

322

Die Antithesen des Matthäus

Durch eine solche Zu- und Einordnung wird die spezifische Gestalt der Toraparänese Jesu nach den matthäischen Antithesen, ihre durchaus einmalige Eigenart, keineswegs in Abrede gestellt. Sie schlägt sich in einzelnen Weisungen wie z.B. dem Gebot der Feindesliebe, dem prinzipiellen Schwurverbot oder dem Verbot der Heirat Geschiedener ebenso nieder wie in der antithetischen Struktur der Aussagen. Diese Eigenart kann aber, selbst wenn sie z.T. ohne belegbare Analogien in der frühjüdischen Literatur bleibt, nicht als Ausdruck eines prinzipiellen Gegensatzes zwischen der Weisung Jesu und der Tora bzw. ihrer Auslegung im Frühjudentum angesehen werden. Wie ist dann aber die Redeform der Antithesen, die doch in jedem Fall eine semantische Opposition zwischen der Weisung Jesu und der Tora impliziert, zu verstehen? Der antithetische Charakter der Antithesen ergibt sich offenbar nicht aus dem in ihnen verarbeiteten Spruchgut, jedenfalls nicht aus seiner matthäischen Gestalt, sondern erst aus dessen Interpretation im Rahmen eines theologischen und literarischen Konzepts der Darstellung Jesu. Dieses Konzept kommt zum einen in dem erzählerischen Gesamtentwurf des Matthäusevangeliums zur Sprache, in den die Bergpredigt und mit ihr die Antithesenreihe eingeordnet ist. 77 In der Bergpredigt erweist sich Jesus, der messianische Gottessohn, das Kind Israels, der Bote und Repräsentant der Gottesherrschaft, derjenige, der in seinem heilenden Wirken Gottes endzeitliche Heilstaten vergegenwärtigt, der in Auseinandersetzungen mit den Repräsentanten Israels und darin ins Leiden geführte Gerechte, der zu Gott erhöhte Menschensohn und Weltenrichter, erweist sich dieser Jesus als mit einzigartiger Vollmacht ausgestatteter Toralehrer (vgl. 5,1f.; 7,28f.). Zum anderen zeigt sich das matthäische Darstellungskonzept in der betonten Herausstellung des Ichs Jesu am Beginn der Antithesenreihe (Verdoppelung des ¼  in Vers 17 und des œ©  in V. 18 und V. 20). Von dort her erhält auch das ©¯  œ©  in den Antithesen seinen Sinn. 78 Mit ihnen erweist sich Jesus als derjenige, der Autorität hat, den Gotteswillen in eschatologischer Vollmacht zur Sprache zu bringen, der selbst im Namen Gottes, des Gesetzgebers spricht. 79 Jesusüberlieferung ins Feld führen. Damit wäre freilich noch nicht gesagt, dass eine ihr zugrundeliegende entsprechende Weisung Jesu prinzipiell gesetzeskritische Intention hatte. Vgl. zur weiteren Differenzierung DAUTZENBERG, Tora (Anm. 30). 77 Vgl. EDUARD SCHWEIZER, Die Bergpredigt im Kontext des Matthäusevangeliums, in: Nach den Anfängen fragen (FS G. Dautzenberg), hg. v. CORNELIUS MAYER u.a., GSTR 8, Gießen 1994, 607–617. 78 Vgl. LUZ, Matthäus (Anm. 2), 249f.: „(Die Antithesen) stellen die christologische Dimension der Gebote Jesu heraus und verdeutlichen das ‚ich bin gekommen‘ von V 17 und das ‚ich sage euch‘ von V 18.20.“ Ähnlich EGGER, Auslegung (Anm. 4), 126f. 79 GEORG STRECKER, Das Gesetz in der Bergpredigt – die Bergpredigt als Gesetz, in: TIMO VEIJOLA (Hg.), The Law in the Bible and in its Environment, Göttingen 1990, 109–125: 121f.; DIETER ZELLER, Jesus als vollmächtiger Lehrer (Mt 5–7) und der hellenistische Gesetzgeber,

4. „Ich aber sage euch …“

323

Nicht die Neuheit der Lehre Jesu im Gegensatz zur Tora oder ihrer nachfolgenden Auslegung kommt in den matthäischen Antithesen zur Sprache, sondern die Neuheit des eschatologisch-weisheitlichen Lehrers Jesus. Die Tora ist Wille Gottes immer nur als lebendiges, gegenwärtiges, anredendes Wort. Ihre Identität beruht nicht auf einem fixierten Wortlaut, schon gar nicht darauf, diesen Wortlaut auf seinen geschichtlichen Ursprung zurückzuführen oder an ihm zu messen, sondern auf der Identität ihres Sprechers. In der Toralehre Jesu aber kommt Gottes ‚letzter Wille‘, seine endzeitliche Weisung für die Gemeinde in der Gottesherrschaft zur Sprache. Derjenige, der sie zur Sprache bringt, ist der Gottessohn. Er spricht keine andere Sprache als der Vater, der seinem Volk am Sinai die Tora als Urkunde seines Bundes übergeben hat. 80

in: Studien zum Matthäusevangelium (FS W. Pesch), hg. v. LUDGER SCHENKE, SBS, Stuttgart 1988, 301–317. 80 Die hier anhand der Antithesen angedeutete „jüdische“ Jesusinterpretation des Matthäus mag bei einem Exegeten Interesse finden, der sich intensiv mit jüdischen Jesusinterpretationen in unserem Jahrhundert auseinandergesetzt hat. Vgl. WERNER VOGLER, Jüdische Jesusinterpretationen in christlicher Sicht, AKG(W) 11, Weimar 1988.

II Eschatologische Schriftauslegung im Frühjudentum

Ein Eschatologischer Psalm – 4Q521,2 II Das Qumran-Fragment 4Q521,2 hat bisher vor allem Aufsehen erregt, weil in ihm explizite Aussagen über den oder die Gesalbten sowie über die Auferweckung der Toten begegnen. 1 Aufgrund solcher Einzelaussagen hat es Namen wie „On Resurrection“, 2 „The Messiah of Heaven and Earth“ 3 oder „Apocalypse Messianique“ 4 bekommen. Durch E. Puech sind inzwischen alle 16 Fragmente der einzigen Kopie des betreffenden Werkes veröffentlicht und durch Fotografien, Transliteration, Rekonstruktion und Kommentar der Forschung vorbildlich zugänglich gemacht worden. Damit ist auch Nichtspezialisten die Möglichkeit gegeben, diesen wichtigen frühjüdischen Text bei der Interpretation der biblischen Überlieferung zu berücksichtigen. 5

1

ROBERT H. EISENMAN/MICHAEL WISE, The Dead Sea Scrolls Uncovered. The First Complete Translation and Interpretation of 50 Key Documents Withheld for Over 35 Years, Shaftesbury 1992, 19–23; MICHAEL O. WISE/JAMES D. TABOR, The Messiah at Qumran, BAR 18, 1992, 60–65; GEZA VERMES, Qumran Forum Miscellanea I, JJS 43, 1992, 299– 305: 303f.; KLAUS BERGER, Qumran und Jesus. Wahrheit unter Verschluß?, Stuttgart 1993, 99–102; OTTO BETZ/RAINER RIESNER, Jesus, Qumran und der Vatikan. Klarstellungen, Gießen u.a. 1993, 111–115; HEINZ-JOSEF FABRY, Neue Texte aus Qumran, BiKi 48, 1993, 24– 27: 25; FLORENTINO GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften, JBTh 8, 1993, 171–208: 182–185; HARTMUT STEGEMANN, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Ein Sachbuch, Freiburg 1993, 49–51.290–291; OTTO BETZ, Messias-Lieder aus der Wüste, in: GEORG MOLIN, Das Geheimnis von Qumran. Wiederentdeckte Lieder und Gebete, neu hg. u. erw. v. OTTO BETZ/RAINER RIESNER, Freiburg u.a. 1994, 87–128: 109.120–124; JOHN J. COLLINS, The Works of the Messiah, DSD 1, 1994, 98–112; HANS-JOSEF FABRY, Qumran – Judentum – Urchristentum. Fragen und Klärungen, „heilen“ 3/4, 1994, 72–95: 92–94; HERMANN LICHTENBERGER, Die Texte von Qumran und das Urchristentum, Jud. 50, 1994, 68–82: 78–80; ALWIN RENKER, Qumran – neuer Einblick in leicht zugänglich gemachte Texte, FrRu 2, 1995, 108–118: 114–117. 2 EMANUEL TOV, The Unpublished Qumran Texts from Caves 4 and 11, JJS 43, 1992, 101–136: 126. 3 EISENMAN/WISE, The Dead Sea Scrolls Uncovered (Anm. 1), 19. 4 EMILE PUECH, Une apocalypse messianique (4Q521), RdQ 15, 1992, 475–522; vgl. DERS., La croyance des Esséniens en la vie future: immortalité, résurrection, vie éternelle, Bd. 2, Paris 1994, 627–692. 5 Eine deutsche Übersetzung ist jetzt leicht zugänglich bei JOHANN MAIER, Die QumranEssener: Die Texte vom Toten Meer. Bd. 1: Die Texte der Höhlen 1–3 und 5–11, Bd. 2: Die Texte der Höhle 4, UTB 1862/1863, München, Basel 1995, Bd. 2, 683–687; vgl. auch MICHAEL KRUPP, Qumran-Texte zum Streit um Jesus und das Urchristentum, Gütersloh 1993, 115–116.

328

Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

Die nun beginnende exegetische Beschäftigung mit ihm sollte sich allerdings nicht von vornherein auf die eben genannten Einzelaussagen beschränken, sondern zunächst einmal versuchen, die Textgestalt und den Aussagegehalt des durch 4Q521 repräsentierten Werkes möglichst umfassend wahrzunehmen, soweit das bei den äußerst fragmentarischen Resten möglich ist. Als Ausgangspunkt dafür bietet sich das größte der Fragmente (Frgm. 2) an, von dessen Kol. II immerhin etwa sieben Zeilen so gut wie vollständig und weitere sieben Zeilen zu erheblichen Teilen zusammenhängend erhalten sind. Keines der übrigen Fragmente enthält auch nur eine vollständige Zeile, und die erhaltenen Zeilenreste lassen sich fast nie zu vollständigen Sätzen verbinden.

1. Zur Textrekonstruktion und Übersetzung 1. Zur Textrekonstruktion und Übersetzung Neben der offiziellen Publikation von Puech liegen gegenwärtig die Textrekonstruktionen von Eisenman/Wise 6 und Wise/Tabor 7 vor, die sich an einigen wichtigen Stellen von Puech unterscheiden: In Zeile 2 ergänzen Wise/Tabor am Zeilenanfang zusätzlich ×Ù (nach Ps 146,6). Aus ihrer Übersetzung geht hervor, dass sie mit ë ìÙ Û í einen neuen Satz mit Subjektwechsel beginnen lassen. Die Rekonstruktion von Puech berücksichtigt dagegen den Parallelismus von Zeile 1f. und ist daher vorzuziehen. Die Lakune in Zeile 9 (Mitte) füllen Wise/Tabor durch ×Ùíã[Ú íê â]. Daraus ergibt sich die Übersetzung „For[ev]er I will cleave [to Him aga]inst the [po]werful …“. Puech verkleinert aufgrund genauester Untersuchung der Handschrift die Lakune und ergänzt bei seiner Rekonstruktion zu ×ÙíÞÙ[Úâ] lediglich zwei Buchstaben. Für diesen Vorschlag kann Puech auch auf Zeile 4 (×ÙíÞÙÚ ) verweisen. Es ergibt sich daraus eine inclusio, die der poetischen Struktur des Textes entspricht. Die äußerst fragmentarische Zeile 10 wird von Wise/Tabor u.a. durch die Wörter ãçî  ÞÙãÚ und Û âí aufgefüllt. Nach Auskunft von Puech scheint allerdings sowohl ãçî als auch Û âí paläographisch ausgeschlossen zu sein, und  ÞÙãÚist eine ganz und gar unbegründete Konjektur. Die Lesungen und Ergänzungen von Wise/Tabor in Zeile 11 ( ãêÚ statt Puech ãêÙ, sowie Û âÙ statt Puech âç) sind offenbar von dieser Konjektur abhängig und führen zu der kaum noch durch den erhaltenen hebräischen Text gestützten und auch sachlich überaus problematischen Übersetzung: „His] holy [Messiah] will not be slow [in coming.] And as for the wonders that are not the work of the Lord, when he (i.e., the Messiah) [come]s …“. 8 6

EISENMAN/WISE, The Dead Sea Scrolls Uncovered (Anm. 1), 21–23. EISENMAN/WISE, a.a.O., 62. 8 Für Puechs Textrekonstruktion entscheiden sich auch COLLINS, The Works of the Messiah (Anm. 1), 99f.; MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 684; GARCÍA MARTÍNEZ, 7

1. Zur Textrekonstruktion und Übersetzung

329

Am Beginn von Zeile 12 lesen Wise/Tabor ïÛ („then“). 9 Puech erkennt dagegen „légères traces de kaf-yod“ 10 und versteht von daher Zeile 12f. als Explikation von Zeile 11. Ich folge bei meiner Übersetzung in allen diskutierten Fällen der Rekonstruktion von Puech, die offenbar dem erhaltenen hebräischen Buchstabenbestand am nächsten kommt. Die Ergänzungen von Wise/Tabor sind dagegen z.T. paläographisch unmöglich, z.T. textkritisch unbegründet und sachlich problematisch. Folgende interpretativen Voraussetzungen gehen darüber hinaus in meine Übersetzung ein: Zeile 1f. fasse ich grammatisch als zwei Sätze im parallelismus membrorum auf (jeweils Subjekt – Prädikat – Objekt). Damit ist ein neuer Satzbeginn mit Subjektwechsel in ë ìÙ abgewiesen. Vom eindeutig pluralischen Objekt in Zeile 2 her (×Ùãçî) legt sich für ÞÙãÚí in Zeile 1 die Lesung ÙÞÙãÚí nahe, eine Konjektur, die auch an den vergleichbaren Stellen CD II 12; VI 1 allgemein für wahrscheinlich angesehen wird. Für die Übersetzung von Zeile 9–11 ist das textlich eindeutige ÙÝçÛ in Zeile 11 als Subjekt entscheidend. Zwischen Zeile 11 und 12 ist kein Subjektwechsel signalisiert. Das Ùå leitet folglich die poetisch geformten Einzelaussagen über das künftige Tun des Herrn ein, das in Zeile 11 angekündigt wird. 11 10F

1 Denn der Hi]mmel und die Erde werden hören (auf) seine(n) Gesalbten, 2 und alles, w]as in ihnen ist, wird nicht weichen von den Geboten der Heiligen. 3 Seid stark, die ihr den Herrn sucht in seinem Dienst. 4 Werdet ihr nicht finden darin den Herrn, alle die harren in ihrem Herzen? 5 Denn der Herr wird Fromme besuchen und Gerechte beim Namen rufen. 6 Und über Armen wird sein Geist schweben und Getreue wird er erneuen mit seiner Kraft. 7 Denn zu Ehren bringen wird er Fromme auf einem Thron ewiger Herrschaft, 8 der da los macht Gefangene, öffnet Blinde, aufrichtet Ge[beugte.] 9 Und auf [ew]ig werde ich mich halten [zu den H]arrenden. Und in seiner Güte wi[rd er (mir) vergelten. (?)] 10 Und Fruch[t] guten [Werk]es wird sich dem Manne nicht verzögern. 11 Und Machttaten, welche nicht da waren, wird tun der Herr, wie er ges[agt hat.] 12 Denn er wird heilen Durchbohrte und Tote lebendig machen, Arme durch Frohbotschaft erfreuen 13 und [Schwach]e sät[tigen, Vertriebene (Ausgerissene) versorgen (weiden) und Hungernde reich machen. 14 Und K[luge …………………..] und sie alle, wie He[ilige (?)] Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 185. Mit WISE/TABOR, The Messiah at Qumran (Anm. 1), liest dagegen offenbar BETZ, Messias-Lieder aus der Wüste (Anm. 1), 121. 9 BETZ/RIESNER, Jesus, Qumran und der Vatikan (Anm. 1), 112, interpretieren dies eschatologisch-messianisch: „Hier wird doch wohl das erlösende Handeln des Messias beschrieben, der zu dem von Gott vorherbestimmten Zeitpunkt, dem großen ‚Dann‘, auftreten wird.“ 10 PUECH, Une apocalypse aessianique (Anm. 4), 486. 11 Mit PUECH, a.a.O., 493.

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Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

2. Biblische Wendungen in 4Q521,2 II 2. Biblische Wendungen in 4Q 521,2 II Die in der Übersetzung getroffenen Entscheidungen sollen im Folgenden durch Verweis auf vergleichbare Aussagen biblischer und frühjüdischer Texte untermauert werden. Dabei soll die biblisch geprägte Sprache des Textes im Einzelnen nachgewiesen und ein genaueres Verständnis der Einzelaussagen erreicht werden. Schon Puech hat in seinem Kommentar auf eine Fülle von Bibelstellen und Belegen aus der frühjüdischen und rabbinischen Literatur hingewiesen. Das von ihm herangezogene Material soll im Folgenden partiell erweitert, vor allem aber auf solche Aussagezusammenhänge zugeschnitten werden, zu denen sich mehrfach Bezüge von 4Q521 aus herstellen lassen. Folgende Interpretationsfragen, die sich aus der Übersetzung ergeben, sollen so einer Antwort nähergebracht werden: Wer ist mit dem oder den Gesalbten in Zeile 1 gemeint? Wer sind die Heiligen in Zeile 2 und welches sind ihre Gebote? Wie ist der Gehorsam von Himmel und Erde gegenüber dem/den Gesalbten zu verstehen? Wer sind die Frommen, Gerechten, Armen und Getreuen in Zeile 5– 7? Wer vollbringt die in Zeile 12–14 aufgezählten Taten, insbesondere die Auferweckung der Toten und die Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen? Zeile 1f. Mit „Himmel und Erde“ wird offenkundig wie in der Bibel umfassend die Schöpfung bezeichnet (vgl. z.B. Ps 146,6; Jes 40,12.22; 42,5; 49,13). Durch die Verben êÚã und ë ì wird die Schöpfung personifiziert und in Beziehung zu dem bzw. den Gesalbten gesetzt. Personifiziert und als Zeugen des Gerichts JHWHs zum Hören aufgerufen werden Himmel und Erde auch in Jes 1,2 und Ps 50,4. 12 Dass sie dem Ruf JHWHs zu gehorchen haben, sagt Jes 48,13. Weder biblisch noch in der frühjüdischen Literatur ist dagegen der Gehorsam der Schöpfung gegenüber dem Messias belegt. In Dan 7,14 wird dem eschatologischen Menschensohn zwar die Königsherrschaft über alle Völker, Nationen und Sprachen übergeben, nicht aber über die Schöpfung. Auch im Blick auf den endzeitlich-davidischen 13 oder endzeitlich-prophetischen 14 Gesalbten wird dies nie behauptet. Von daher ist auch die Identifikation des Gesalbten (Sing.) von 1F

12

Vgl. auch den Aufruf zum Hören auf Mose am Beginn des Moseliedes Dtn 32,1. So interpretieren Zeile 1 WISE/TABOR, The Messiah at Qumran (Anm. 1), 60f., und EISENMAN/WISE, The Dead Sea Scrolls Uncovered (Anm. 1), 20f.; dagegen auch BETZ/RIESNER, Jesus, Qumran und der Vatikan (Anm. 1), 111f. 14 So COLLINS, The Works of the Messiah (Anm. 1), 101f. Die von Collins angeführten Belege zu Elija sind entweder nicht endzeitlich ausgerichtet oder enthalten nicht die Gesalbten-Prädikation (s. dazu u.). 13

2. Biblische Wendungen in 4Q 521,2 II

331

Zeile 1 mit dem endzeitlichen „Fürst der Gemeinde“ nach 1QSb V 20–29 (vgl. 4Q285,5) 15 eher fraglich. Sucht man nach biblischen Wendungen über Gesalbte im Plural, dann kommen dafür Aussagen über geschichtliche Könige, Propheten oder Priester sowie über endzeitliche Gestalten (Davididen, Priester, Propheten) in Betracht. 16 Freilich kann von einer Autorität geschichtlicher Könige über die Schöpfung in unserem Text von vornherein nicht die Rede sein. Geschichtliche Propheten werden gelegentlich in der Bibel als Gesalbte bezeichnet. So steht in 1Kön 19,16 Elischa als gesalbter Prophet neben dem ebenfalls gesalbten König Jehu. Beider Auftrag richtet sich aber nicht an Himmel und Erde, sondern an das dem Gericht verfallene Israel. Nach Sir 48,1–14 dagegen hatte der Prophet Elija zwar Macht über den Himmel (V. 3), wird aber nicht als Gesalbter bezeichnet, während der gesalbte Elischa (vgl. V. 8) zwar mit Elijas Geist erfüllt war, aber von Wundertaten gegenüber den Kräften der Schöpfung wird hier nichts erzählt. Das Wort JHWHs in Ps 105,15: „Meine Gesalbten rührt nicht an, tut nicht Böses meinen Propheten.“, ist an Könige gerichtet und dem Kontext nach auf die Erzväter bezogen. 17 Von einem endzeitlichen gesalbten Propheten ist lediglich in Jes 61,1 die Rede. Seine Aktivität richtet sich aber nicht auf die Schöpfung, sondern auf Menschen. Zudem wird in 4Q521,2 diese Stelle in charakteristisch anderer Weise rezipiert. Der Geist Gottes ruht hier nicht auf einem Gesalbten, sondern schwebt über den Armen (Z. 6), und die Verkündigung der Freudenbotschaft (Z. 12) ist, wie noch zu begründen sein wird, Werk des Herrn. Der endzeitliche Bote in Mal 3,1, der in 3,23 als der Prophet Elija identifiziert wird, ist wiederum kein Gesalbter. Auch in 1QM XI 7f. werden Propheten als Gesalbte bezeichnet. Das vorangehende Zitat aus Num 24,17b–19 lässt an Bileam und weitere Seher denken. Auch hier ist kein Bezug zur Schöpfung hergestellt. 18 Schließlich ist in LibAnt 51,7; 57,3 der Prophet Samuel Gesalbter (anstelle von Saul nach dem biblischen Bericht in 1 Sam 12!). Aber auch dieser Beleg kann die Wendung in 4Q521,2 II (1) kaum erhellen. 19

15

So GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 183f.; BETZ/RIESNER, Jesus, Qumran und der Vatikan (Anm. 1), 113. 16 Zur Gesalbtenvorstellung in der Bibel und im Frühjudentum vgl. umfassend MARTIN KARRER, Der Gesalbte. Die Grundlagen des Christustitels, FRLANT 151, Göttingen 1991. 17 Vgl. die Verse 9f.14. Hintergrund ist offenbar die Dreifachüberlieferung von der Gefährdung der Ahnfrau in Gen 12,10–20; 20; 26,1–11. In Gen 20,7 wird übrigens Abraham als Prophet bezeichnet! 18 Zu CD II 12; VI 1 s.u. 19 Zu Propheten als Gesalbten vgl. KARRER, Der Gesalbte (Anm. 16), 222–228.351–363.

332

Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

Sehr viel breiter gestreut sind die biblischen Belege für priesterliche Gesalbte. 20 Die „Priesterschrift“, die die nachexilisch vorherrschende Salbungstradition repräsentiert, führt die Priestersalbung auf die Einsetzung Aarons zum Priester durch Mose zurück und stellt sie immer wieder als Charakteristikum der Priesterschaft insgesamt heraus (Ex 28,41; 29,7; 30,30f.; 40,14f.; Lev 4,3.5.16; 7,36; 8,12; 21,10; Num 3,3; 35,25). Auch Sir 45,15 und Ps 133,2 nehmen auf die Salbung Aarons Bezug. In Sach 4,14 wird der Hohepriester Jeschua neben dem Davididen Serubbabel als „Ölsohn“ bezeichnet, und 1Chr 29,22 stellt den gesalbten Zadok neben Salomo. Schließlich ist mit dem Gesalbten in Dan 9,26 wahrscheinlich der Hohepriester Onias III. gemeint. 21 Auch in der frühjüdischen Literatur ist dieses Salbungsverständnis häufig belegt. 2Makk 1,10–18 gibt einen Brief an den in Ägypten wirkenden „Aristobul … aus dem Geschlecht der gesalbten Priester“ (V. 10) wieder. TestLev 8,4; 17,2f. erwähnt die Salbung Levis und weiterer Priester der Vergangenheit. Philon (VitMos 2,142–146) und Josephus (Ant 3,197f.205f.) stellen innerhalb ihrer Schilderung der Einsetzung Aarons auch seine Salbung heraus. Nach LibAnt 48,2 wurde Pinchas sogar von Gott selbst zum Priester gesalbt. Der bzw. die in CD II 12 und VI 1 begegnenden „Gesalbten seines heiligen Geistes“ (Þ  ÞÙãÚ) bzw. „Gesalbten der Heiligkeit“ (ãç î  ÞÙãÚ) werden meist wegen der in II 12f. daneben genannten „Seher der Wahrheit“ ( ÚÛÙï Þ) als Propheten angesehen. 22 Allerdings ist an beiden Stellen der Kontext stark priesterlich geprägt. In II 9 ist in kultischer Terminologie von „Dienstjahren“ (çÚêÚÙÝã) und der „Anzahl und Darlegung ihrer Zeiten“ (× Ùðîã ñ  ñìÚ) die Rede. Nach II 12f. haben die Gesalbten und die Seher die Funktion, den namentlich berufenen Gliedern der Gemeinschaft die „Auflistung ihrer Namen“ bekannt zu geben. Hier sind offenbar Priestergenealogien im Blick. 23 CD V 17–19 erzählt von der Erhebung des Jannes und seiner Brüder gegen Mose und Aaron. Dieses biblische Ereignis wird in V 20 – VI 1 durch Verweis auf diejenigen aktualisiert, die „zur Zeit der Verwüstung des Landes … Israel in die Irre führten“ und „Befremdliches gesprochen hatten gegen Gottes Gebote durch Mose und auch gegen die Gesalbten der Heiligkeit“. Später aber ließ Gott „auftreten aus Aaron Verständige und 2F

20

Vgl. dazu KARRER, a.a.O., 147–172.337–351. KARRER, a.a.O., 159f. 22 KARRER, a.a.O., 223f.; GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 204f.; STEGEMANN, Die Essener (Anm. 1), 286; MARINUS DE JONGE, The Role of Intermediaries in God’s Final Intervention in the Future According to the Qumran Scrolls, in: OTTO MICHEL u.a. (Hg.), Studies on the Jewish Background of the New Testament, Assen 1969, 44–63: 45f. (= in: MARINUS DE JONGE, Jewish Eschatology, Early Christian Christology and the Testaments of the Twelve Patriarchs. Collected Essays [NT.S 63], Leiden u.a. 1991, 28–47: 29f.). 23 Vgl. MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 1, 9f., unter Berufung auf das CDFragment 4Q266,2. 21

2. Biblische Wendungen in 4Q 521,2 II

333

aus Israel Weise und gab ihnen bekannt, was Mose gesagt hatte“ (VI 2f.). 24 Von daher könnte man ãçî  ÞÙãÚ in VI 1 auch als Singular lesen und auf Aaron beziehen. Gesalbte Priester, die nicht als endzeitliche Heilsgestalten erkennbar werden, kommen jedenfalls mehrfach in anderen Qumran-Texten vor. Nach 1QM IX 6– 9 sollen die Priester im endzeitlichen Krieg nicht „das Salböl ihrer Priesterschaft“ mit dem Blut der Gefallenen entweihen. 4Q375,1 (apocrMoses B) 25 erwähnt einen „gesalbten Priester, auf dessen Haupt das Salböl gegossen worden ist“, der im Folgenden einen Sühneritus vollzieht. 26 Nach 4Q287,10 13 (Berb) ruht „auf Seinen/m Gesalbten ein Geist von Heili[gkeit –“ ( ã]ç î Þ ÙÞÙãÚ íê). 27 Soweit hier überhaupt ein Kontext erkennbar ist, erinnert er an stark priesterlich geprägte liturgisch-agendarische Texte wie ShirShab. Vor allem aber ist auf Frgm. 8 unseres Textes zu verweisen, wo nach der Rekonstruktion von Puech in Zeile 8f. im Zusammenhang mit den „Geräten seines Heiligtums“ die „[Priestersch]aft und alle ihre Gesalbten“ (ÞÙãÚíå [Ý å]) begegnen. 28 Klare Belege für eine gesalbte priesterlich-eschatologische Heilsgestalt sind demgegenüber insgesamt relativ selten. Der Hohepriester Jeschua wird in Sach 6,9–14 zwar in endzeitlichen Farben gezeichnet, erscheint hier aber nicht als Gesalbter, sondern wird gekrönt. Auch der offenkundig endzeitliche (Hohe-?) Pries27F

24

Übersetzung nach MAIER, a.a.O., 15f., der wieder die CD-Fragmente aus 4Qund 6Q einbezieht. 25 JOHN STRUGNELL, Moses-Pseudepigrapha at Qumran: 4Q375, 4Q376, and Similar Works, in: LAWRENCE H. SCHIFFMAN (Hg.), Archaeology and History in the Dead Sea Scrolls, JSPE.S 8, Sheffield 1990, 221–256: 224–234; vgl. MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 324f. Für nicht-eschatologisches Verständnis spricht sich GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 198f., aus. 26 Vgl. auch 4Q376,1 I: ÞÙãÚÞ òÞ« »â . Nach STRUGNELL, Moses-Pseudepigrapha at Qumran (Anm. 25), 239, gehört 4Q376,1 I in die Lakune nach 4Q375,1 I. 27 BILHAH NITZAN, Berakhot, in: Qumran Cave 4. VI: Poetical and Liturgical Texts, Part 1, DJD 11, Oxford 1998, 1–74: 60; DIES., 4QBerakhot, 4Q286–290: A Preliminary Report, in: GEORGE J. BROOKE (Hg.), New Qumran Texts and Studies, STDJ 15, Leiden u.a. 1994, 53–71; EISENMAN/WISE, The Dead Sea Scrolls Uncovered (Anm. 1), 228; MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 249; GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 207, der freilich auf Propheten deutet. Ein Gesalbter spricht in 4Q381,15 7 (Non-Canonical Psalms B): „Und ich, dein Gesalbter, bedachte“ (vgl. MAIER, a.a.O., 334). Ist der Beter dieses Psalms ein Priester? 28 PUECH, Une apocalypse messianique (Anm. 4), 507–509, vgl. auch Frgm. 9,3, a. a. O., 509f., wo erneut ÷ÞÙãÚ vorkommt, allerdings in derart fragmentarischem Kontext, dass nicht einmal zu erkennen ist, ob das Wort im Singular oder Plural steht.

334

Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

ter, der in 4Q541,9 I (TestLevdar = AhA) geschildert wird, trägt nicht das Prädikat Gesalbter. 29 Lediglich in TestRub 6,8 30 sowie an den „klassischen“ Stellen 1QS IX 11 (vgl. 1QSa II 11–22) und CD XII 23–XIII 1; XIV 19; XIX 10f.; XX 1 begegnet eindeutig ein priesterlicher Messias. 31 Angesichts dieser breit belegten priesterlichen Salbungstradition, die sich offenbar auch in 4Q521,8 (9) niedergeschlagen hat, ist ernsthaft zu erwägen, ob nicht auch in 2 II 1 mit den „Gesalbten“ Priester gemeint sind. Diese Vermutung lässt sich durch den Verweis auf die „Heiligen“ untermauern, die in Zeile 2 in Parallele zu den Gesalbten von Zeile 1 stehen. Heiligkeit begegnet als priesterliches Prädikat in denselben biblischen und frühjüdischen Aussagezusammenhängen wie die Priestersalbung. 32 In der „Priesterschrift“ soll die aaronitische Priesterschaft nicht nur gesalbt, sondern auch ge-

29 EMILE PUECH, Fragments d’un apocryphe de Lévi et le personnage eschatologique. 4QTestLévic–d(?) et 4QAJa, in: JULIO TREBOLLE BARRERA/LUIS VEGAS MONTANER (Hg.), The Madrid Qumran Congress. Proceedings of the International Congress on the Dead Sea Scrolls – Madrid, 18–21, March 1991, STDJ 11, Leiden u.a. 1992, 449–501: 466–470; KLAUS BEYER, Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften aus Palästina, dem Testament Levis aus der Kairoer Genisa, der Fastenrolle und den alten talmudischen Zitaten. Aramaistische Einleitung, Text, Übersetzung, Deutung, Grammatik/Wörterbuch, Deutsch-aramäische Wortliste, Register. Ergänzungsband, Göttingen 1994, 78–82; GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 186–188. 30 Vgl. auch TestLev 18,1–4 (ohne Gesalbtentitel). Zu den messianischen Erwartungen in den TestXII vgl. ausführlich MARINUS DE JONGE, Two Messiahs in the Testaments of the Twelve Patriarchs?, in: Tradition and Re-Interpretation in Jewish and Early Christian Literature (FS J. C. H. Lebram), hg. v. JAN W. VAN HENTEN u.a., StPB 36, Leiden u.a. 1986, 150–162 (= in: DE JONGE, Jewish Eschatology, [Anm. 22], 191–203); GERBERN S. OEGEMA, Der Gesalbte und sein Volk. Untersuchungen zum Konzeptualisierungsprozeß der messianischen Erwartungen von den Makkabäern bis Bar Koziba, SIJD 2, Göttingen 1994, 76–81; KARRER, Der Gesalbte (Anm. 16), 340–344. 31 Vgl. dazu sowie zu den messianischen Anschauungen in Qumran insgesamt GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 193–199.203– 207; KARRER, Der Gesalbte (Anm. 16), 245–248.338–342; DE JONGE, The Role of Intermediaries (Anm. 22), 46–49.57f. (30–33.41f.); OEGEMA, Der Gesalbte und sein Volk (Anm. 30), 86–99.108–115; SHEMARYAHU TALMON, Waiting for the Messiah: The Spiritual Universe of the Qumran Covenanters, in: JACOB NEUSNER/WILLIAM S. GREEN/ERNEST S. FRERICHS (Hg.), Judaisms and their Messiahs at the Turn of the Christian Era, Cambridge/New York 1987, 111–137: 122f.128–131; LAWRENCE H. SCHIFFMAN, Messianic Figures and Ideas in the Qumran Scrolls, in: JAMES H. CHARLESWORTH (Hg.), The Messiah. Developments in Earliest Judaism and Christianity, Minneapolis 1992, 116–129: 117–121; HERMANN LICHTENBERGER, Messianische Erwartungen und messianische Gestalten in der Zeit des Zweiten Tempels, in: EKKEHARD STEGEMANN (Hg.), Messiasvorstellungen bei Juden und Christen, Stuttgart 1993, 9–20: 9–14. 32 Vgl. zum alttestamentlichen Gebrauch der Wurzel ãçî den Überblick in ThWAT VI, 1989, 1179–1204 (bes. HELMER RINGGREN, a.a.O., 1190–1193, zu P und ChrGW).

2. Biblische Wendungen in 4Q 521,2 II

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heiligt werden ( ãçî, Ex 28,41). Die Priester sollen in besonderer Weise der Heiligkeitsforderung Gottes entsprechen ( Ù×Ùãçî, Lev 21,6). 33 Aaron wird in Ps 106,16 „Heiliger JHWHs“ ( Ùãçî) genannt. Nach 2Chr 23,6 darf niemand das Haus JHWHs betreten außer den Priestern und den Leviten, denn „diese sind heilig“ ( Ú ãçîÙå). 34 Die Einsetzung Levis zum Priestertum findet auch in der frühjüdischen Literatur ihren Widerhall, wobei seine Heiligkeit besonders herausgestellt wird. In Jub 31,14 segnet Isaak seinen Enkel Levi mit den Worten: „Dich und deinen Samen bringe er nahe zu sich aus allem, was Fleisch ist, dass er diene in seinem Heiligtum wie die Engel des Angesichts und wie die Heiligen.“ Jub 32,9 stellt von Levi zusammenfassend fest: „Und er heiligte, und er wurde heilig.“ 35 Auf dieselbe Situation nimmt TestLev ar 17 [Bodleian Frgm. b Z. 19f.] Bezug, wo Isaak innerhalb einer langen „Abschiedsrede“ zu Levi sagt: „Denn du bist ein heiliger Same, und heilig ist dein Same wie der heilige Ort. Denn ein heiliger Priester wirst du genannt (Ù î Ú ÝÛãÙçîò î) unter dem ganzen Samen Abrahams.“ 36 Unter den Qumran-Texten ist hier auf 1QM IX 8f. zu verweisen, wo die Priester ermahnt werden, sich nicht am Blut der Gefallenen zu verunreinigen, „denn sie sind heilig“ ( Ú ×Ùã çîÛÙå). In 4QMMT 396,2 II 8 wird das Verbot der Vermischung von zweierlei Gewebe und Saatgut damit begründet, dass die Angesprochenen „Heilige sind und die Söhne Aarons Hoch[heilige]“ (Ùã çîò ÛÙÝâ ×Ùã çî Ú ã). 37 In hochliturgischen Texten wie den „Sabbatliedern“ und dem „Lied des Weisen“ werden mehrfach Heilige in priesterlicher Funktion erwähnt, wobei freilich nicht klar ist, ob es sich um irdische oder himmlische Priester handelt, z.B. 4QShirShab 400,1 I 19: ×Ùã çîÙã çîâ îÙÝ å, 38 vgl. 4Q400,1 I 3f.10.17; 4QShirb 511,35: 39 3F

35F

33

Vgl. auch Lev 21,8 sowie Esr 8,28. Vgl. auch 1Chr 23,13 in Bezug auf Aaron und seine Söhne. 35 Übersetzung nach KLAUS BERGER, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/3, Gütersloh 1981, 273–575: 477f.482. 36 ROBERT H. CHARLES, The Greek Versions of the Testaments of the Twelve Patriarchs. Edited from nine MSS together with The Variants of the Armenian and Slavonic Versions and some Hebrew Fragments, Oxford 1908 (Nachdruck Hildesheim 21960), Appendix III, 245–256: 247; Übersetzung bei JÜRGEN BECKER, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1974, 1–163: 143; s.a. HARM W. HOLLANDER/MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Commentary, SVTP 8, Leiden u.a. 1985, 457– 469: 462. 37 ELISHA QIMRON/JOHN STRUGNELL, Qumran Cave 4. V: Miqsat Ma’aseh Ha-Torah, DJD X, Oxford 1994, 1–2 iv; vgl. MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 369. 38 CAROL NEWSOM, Songs of the Sabbath Sacrifice: A Critical Edition, HSS 27, Atlanta 1985, 89. 39 MAURICE BAILLET, Qumrân Grotte 4. III: 4Q482–4Q520, DJD VII, Oxford 1982, 237; vgl. BILHAH NITZAN, Qumran Prayer and Religious Poetry, STDJ 12, Leiden u.a. 1994, 238– 34

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Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

×ÙÝ å Ù  ×Ù âÝâ ç

 ×ÙÚí ê ãçîÚí í ×Ù íÛ ùã÷ÙçîÙ ×Ùã çîâ . In den PsSal scheint ein ähnlicher Sprachgebrauch im Hintergrund zu stehen. 40 Damit ist die absolute Benennung der Priester als „Heilige“ zumindest terminologisch vorbereitet, wenn auch, abgesehen von Jub 31,14, nicht eindeutig belegt. Wenn sich aufgrund der angeführten biblischen und frühjüdischen Belege wahrscheinlich machen lässt, dass in 4Q521,2 II 1f. sowohl mit den Gesalbten als auch mit den Heiligen die Priesterschaft bezeichnet ist, 41 so bleibt zu fragen, ob sich auch für deren Autorität gegenüber der Schöpfung ein entsprechender biblisch-frühjüdischer Hintergrund nachweisen lässt. Hier wäre zunächst auf die ursprüngliche Funktion des Priestertums, die Erteilung von (kultischer) Tora, zu verweisen (Dtn 24,8; 33,10; Lev 10,11; 14,57). 42 Sie ist offenbar dauerhaft im Bewusstsein geblieben und wird noch bei Maleachi rezipiert, wenn unter Verweis auf den „Bund mit Levi“ gesagt wird: „Die Lippen des Priesters sollen die Erkenntnis bewahren, und Weisung sucht man aus seinem Munde, denn Botschafter JHWHs der Heerscharen ist er.“ (Mal 2,7, vgl. V. 4.8) 43 Solche Weisungsbefugnis der Priester begegnet uns auch in den Qumran-Texten. 4Q175,14–20 (Test) gibt den Mosesegen über Levi, Dtn 33,8–11, wieder und mit ihm die Wendung „sie (sc. die Priester) lassen scheinen ( ÙÛÙ, supralinear nach MT korrigiert: Ù „weisen an“) deine Gesetze für Jakob und deine Tora für Israel“ (Z. 17; vgl. 4Q174,9 I 11 [Flor]). 44 4QShirShab 400,1 I 17 spricht 43F

244; DIES., Hymns from Qumran – 4Q510–4Q511, in: DEVORAH DIMANT/URIEL RAPPAPORT, The Dead Sea Scrolls. Forty Years of Research, STDJ 10, Leiden u.a. 1992, 53–63. MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 650, übersetzt: „… unter Heiligen be[ruft(/heiligt] Gott für sich zu einem ewigen Heiligtum und (als) Reinheit unter [M]ännern, dass [s]ie Priester werden, das Volk seiner Gerechtigkeit, sein Heer, und (als) Kultdiener Engel seiner Herrlichkeit“. 40 Vgl. ®©  in PsSal 11,1; 17,43. 41 STEGEMANN, Die Essener (Anm. 1), 50f., möchte in den Gesalbten Propheten und in den Geboten der Heiligen die durch Engel offenbarte Tora erkennen. Aber seine Belege (Jub 1,27–29; 2,1; Gal 3,19) sind weder terminologisch noch sachlich überzeugend. Eine Funktion bei der Erteilung der Tora an Mose hat in Jub 1,27; 2,1 allein der Engel des Angesichts (Singular!). Von den Engeln der Heiligung neben den Engeln des Angesichts (Plural!) ist einzig in 2,2 die Rede. Dort geht es freilich nicht mehr um die Tora, sondern um den Dienst der Engel vor Gott im Himmel. Dies verweist auf 31,14, wo im Zusammenhang der Segnung Levis durch Isaak auf den Priesterdienst Levis und seiner Söhne in seinem Heiligtum wie die Engel des Angesichts und wie die Heiligen vorausgeblickt wird! 42 Vgl. GERHARD LIEDKE/CARL PETERSEN, Art. ò tr Weisung, THAT II, 1976, 1032–1043 (bes. 1035–1038). 43 Von daher erhält auch der Bote von 3,1 priesterliches Ansehen, wenngleich er in 3,23 mit dem Propheten Elija identifiziert wird. Die priesterlich-kultische Prägung Maleachis ist jedenfalls unübersehbar, vgl. nur 1,7f.12–14; 3,3f.7–10. 44 ANNETTE STEUDEL, Der Midrasch zur Eschatologie aus der Qumrangemeinde (4QMidrEschata.b). Materielle Rekonstruktion, Textbestand, Gattung und traditionsge-

2. Biblische Wendungen in 4Q 521,2 II

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von „Erkenntnis unter Nah-Priestern und aus ihrem Mund Anweisung aller Heiligen mit Gesetzen“ (Ù ñãÚ×ê×Ùã çîí í × ÙñÚ). 45 Ist unsere Interpretation von CD VI 1 richtig, dann sind auch hier die „Gebote Gottes (íÛ ðÚ) durch Mose und auch durch die heiligen Gesalbten“, nämlich durch Priester bzw. Aaron, vermittelt. 46 Diese Weisungsautorität der Priester kann in eschatologisch geprägten Texten derart überhöht werden, dass sie geradezu kosmische Bedeutung gewinnt, ohne dass man dabei an einen (einzelnen) „Messias“ denken muss. So sagt 4Q541,9 I 3–5 (TestLevdar) von dem endzeitlichen (Hohen-?) Priester: „Sein Wort ist wie Himmelswort und seine Belehrung entspricht Gottes Willen. Als Sonne erleuchtet er seine Welt (/als ewige Sonne) und sein Feuerschein sprüht in alle Enden der Erde“ 47 (vgl. auch TestLev 4,2f.; 14,3; 18,2–14; Jub 31,13–17; 32,1–15). Können wir auch aus diesen Textzusammenhängen keine unmittelbaren Parallelen zu der Aussage über den Gehorsam von Himmel und Erde gegenüber der Priesterschaft beibringen, so scheinen sie doch von dort her am ehesten verständlich zu werden. 4Q521 erweist sich somit als ein stark eschatologisch geprägter Text. Zeile 1 bildet mit Zeile 2 einen synonymen parallelismus membrorum und verweist weder auf den davidischen noch auf den prophetischen oder priesterlichen Messias, sondern vielmehr auf die endzeitliche Autorität des Priestertums. Eine solche herausragende Rolle der Priesterschaft im Endzeitgeschehen lässt sich auch in anderen Qumran-Texten erkennen, ist aber offenbar keineswegs eine isolierte Vorstellung der Qumran-Gemeinschaft. Vielmehr begegnen wir hier einer Konzeption, die auf priesterlichen Überlieferungen der Bibel fußt und als einer neben anderen Vorstellungskomplexen im Frühjudentum lebendig war. 45F

schichtliche Einordnung des durch 4Q174 („Florilegium“) und 4Q177 („Catena A“) repräsentierten Werkes aus den Qumranfunden, STDJ 13, Leiden u.a. 1994, 23.30.33f.179f.; MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 102.109. 45 NEWSOM, Songs of the Sabbath Sacrifice (Anm. 38), 89; Übers. nach MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 378; vgl. auch Zeile 12: „Pr[iester … sie ]sind Befehlshaber (Ù ã) von“. 46 So jedenfalls der Text der Geniza-Handschrift (nach EDUARD LOHSE [Hg.], Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch mit masoretischer Punktation, Übersetzung, Einführung und Anmerkungen, München 21971, 76). MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 1, 15f., rekonstruiert unter Verweis auf 4Q-Fragmente etwas anders. Zur priesterlichen Tora in Qumran vgl. aber JOHANN MAIER, Von Eleazar bis Zadok: CD V, 2–5, RdQ 15, 1991, 231–241. 47 PUECH, Fragments d’un apocryphe (Anm. 29), 466; BEYER, Die aramäischen Texte vom Toten Meer (Anm. 29), 79; Übersetzung hier nach MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 714.

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Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

Zeile 3–9 In den Zeile 4–9 und 12f. lässt sich ein geradezu mosaikartiger Gebrauch biblischer Wendungen beobachten. 48 Schon Puech hat dafür zahlreiche Hinweise gegeben. Sie brauchen im Folgenden nur ergänzt und auf bestimmte biblische Textzusammenhänge zugespitzt zu werden. Allerdings hat Puech darüber hinaus versucht, in der Art der Verwendung und Neuformulierung biblischer Wendungen in 4Q521 Qumran-spezifische Züge zu erkennen und den Text von daher als Werk der Qumran-Gemeinschaft zu erweisen. Diese Zuordnung soll hier kritisch überprüft werden. Zeile 8 gibt im Partizipialstil fast wörtlich Ps 146,7c–8b wieder. Lediglich die dreimalige Nennung JHWHs ist ausgelassen. Dies hat seinen Grund aber primär in der poetischen Neuformulierung der Aussagen von Zeile 5 an, die alle auf das dort am Anfang stehende Subjekt ÙÝçÛ zurückverweisen. Man braucht hier also keine Qumran-spezifische Praxis im Umgang mit dem JHWH-Namen in biblischen Texten zu vermuten. 49 Anklänge an Ps 146 finden sich auch an anderen Stellen unseres Textes, so die Wendung „Himmel und Erde“ (V. 6) in Zeile 1f. (vgl. auch Frgm. 7, Z. 2f.) und der Verweis auf die ×ÙîÙçð (V. 8c) in Zeile 5. 50 Darüber hinaus ist aber auch auf andere Bibeltexte hinzuweisen, die ebenfalls mehrfach in 4Q521 anklingen, vor allem Jes 35,5; 42,7; 29,18; 49,8f. sowie Ps 105,20; 145,14. Wenn auch in Zeile 8 ganz offenkundig Ps 146,7f. aufgenommen ist, so ist diese eindeutige Identifikation in unserem Text die Ausnahme. Vielmehr werden sonst immer wieder Wörter oder Wendungen gebraucht, die an verschiedenen, aber nicht beliebigen Stellen der Bibel begegnen. So kann man für Zeile 3f. zunächst auf Ps 31,25 verweisen: „Seid stark und tapferen Mutes (úÚÛÙ  îïÞ), alle die ihr hofft auf JHWH!“, wo komprimiert die Stichwörter úÚÛ (Hi.), âí und ×Ùí ÙÚ begegnen (vgl. auch 27,14). Die gleiche Aufforderung zum stark Sein kommt aber auch in Dtn 31 dreimal (31,6.7.23) und im Josuabuch fünfmal (1,6.7.9.18; 10,25) sowie in den Chronikbüchern dreimal vor (1Chr 22,13; 28,20; 2Chr 32,7). Die vier Stellen in Jos 1 und 1Chr 22,13 sind mit einer Mahnung zum Toragehorsam verbunden. Um das Suchen und Finden JHWHs geht es vor allem in den Psalmen (Ps 40,17; 70,5; 105,3) sowie – im Blick auf das „Ende der Tage“ – in Dtn 4,29–31 (vgl. auch Jes 51,1–3!). Der Anruf Û í , verbunden mit einem Verweis auf JHWH, findet sich u.a. fünfmal in Jes 40,21.28. Auch im Zusammenhang der Heilsverheißung Jes 35 werden die 48F

49F

48

DANIEL FALK, 4Q393: A Communal Confession, JJS 45, 1994, 184–207: 200, sieht das als typisch für Psalmen aus persisch-hellenistischer Zeit an. 49 So aber PUECH, Une Apocalypse Messianique (Anm. 4), 516f. 50 PUECH, a.a.O., 495f., interpretiert Frgm. 2 III 1 Û als Hi. von Ý „losmachen“. Dann wäre auch hierzu Ps 146,7c zu vergleichen. Dagegen aber MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 684, der von „auskundschaften“ ableitet.

2. Biblische Wendungen in 4Q 521,2 II

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Angesprochenen in Vers 3f. – in unmittelbarer Nähe von Aussagen über die Heilung aller Gebrechen (V. 5, vgl. Z. 8 in unserem Text!) – ermutigt und zum Vertrauen auf Gott ermahnt (Stichwörter úÚÛ, âí und zweimal îïÞ). Dies wiederum entspricht dem vertrauensvollen Grundton von Ps 31, in dem allein dreimal von Gottes Güte (çìÞ, V. 8.17.22) die Rede ist. In 4Q521,2 II werden nun in Zeile 9 erneut die ×Ùí ÙÚ genannt, zu denen sich der Sprecher/Beter halten will, um an der Güte Gottes (çìÞ) Anteil zu haben. Damit hat sich der Kreis geschlossen. Verschiedene Heilsverheißungen des Jesajabuches klingen auch in Zeile 5f. an. Das Kommen Gottes verkündet Jes 35,4; 40,9–11 Dass er Israel beim Namen ruft, sagt 43,1. Dass der Geist über den Armen schweben wird, erinnert an Jes 61,1, wenngleich dort der Geist dem gesalbten Freudenboten verliehen ist (vgl. auch Z. 12). Jes 40,31 verheißt: „Die auf JHWH hoffen, schöpfen neue Kraft“ (Þå ñÙíÞÙ). In Zeile 7 scheinen ähnliche Heilshoffnungen wie in Dan 7 rezipiert zu sein (vgl. V. 9–11.13f.18), wenngleich von dem visionär-apokalyptischen Charakter der Menschensohn-Vision in unserem Text nichts zu spüren ist. Dass JHWH den Armen erhöht und ihm einen Platz neben Fürsten gibt, sagt im Übrigen schon 1Sam 2,7f. Dass die Adressaten solcher Heilsverheißungen in unserem Text dichter als in biblischen Zusammenhängen mit Prädikaten wie ×ÙçÙìÞ, ×ÙîÙçð, ×Ù Ýê und ×ÙÝ ÚÛ versehen werden, verbindet ihn zwar mit verschiedenen Qumran-Texten, 51 aber keineswegs mit ihnen allein. Bekanntlich werden schon im Psalter die Frommen häufig in ähnlicher Weise tituliert. In unserem Zusammenhang könnte man erneut auf Ps 31 (V. 24 ×ÙçÙìÞ neben ×ÙÝ ÚÛ, dazu V. 19 îÙçð) sowie darüber hinaus besonders auf Ps 37 (V. 11 ×Ù Ýê; vgl. V. 14 ÙÝê; V. 28 ×ÙçÙìÞ; V. 29.39 ×ÙîÙçð; dazu noch viermal îÙçð) verweisen. ×Ù Ýê und ×ÙîÙçð begegnen aber auch im hebräischen Sir (3,19; 43,33, vgl. 37,13 òÙÚÛÙ; 44,1 çìÞÙãÝÛ), die griechischen Äquivalente in den PsSal. 52 Zudem scheint ×ÙçÙìÞ gerade nicht zu den Selbstbezeichnungen der Qumran-Gemeinschaft gehört zu haben. Es ist jedenfalls in den Qumran-Funden – abgesehen von 4Q521 – nur in den vor-qumranischen Psalmen aus 11QPsa und vergleichbaren Texten belegt. 53 Somit lässt sich aus der Art des Umgangs mit biblischen Texten und Wendungen ebenso wie aus dem eigenständigen Vokabular und der Komposition unseres Textes sein Ursprung in Qumran weder nachweisen noch ausschließen. Die freie Verwendung von Wendungen aus zentralen Textzusammenhängen der Schrift und ihr Gebrauch zur prägnanten Zusammenfassung der überlieferten Heilsverheißungen zeugen vielmehr von einem ausgesprochen lebendigen Umgang mit der biblischen Überlieferung im Frühjudentum insgesamt. Dabei führt allerdings 52F

51

Belege bei PUECH, Une apocalypse messianique (Anm. 4), 488f. S.u., 346f. 53 Alle bei PUECH, Une apocalypse messianique (Anm. 4), 488, (Anm. 17), aufgeführten Belege stammen aus Texten, die offenbar ihren Ursprung nicht in der Qumrangemeinschaft hatten! 52

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Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

in unserem Text die Konzentration auf futurische Heilsaussagen und ihre poetisch dichte Neuformulierung zu einer Verstärkung seiner eschatologischen Ausrichtung. Zeile 10–14 In Zeile 10f. lassen sich Bezüge zu den schon mehrfach erwähnten biblischen Aussagezusammenhängen aufweisen. So wäre zu Zeile 10 nach der Rekonstruktion von Puech etwa Ps 37,27 zu vergleichen: „Tu Gutes (â û ãê), und bleiben wirst du auf ewig.“ Zu Zeile 11 könnte man auf die Ankündigung des künftigen „wunderlichen“ Gotteshandelns in Jes 29,14 hinweisen. Auch in Zeile 12f. sind für die Einzelaussagen ohne Schwierigkeiten biblische Anknüpfungspunkte zu finden. Dtn 32,39 und Hos 6,1f. verbinden die Aussage über das Lebendigmachen der Toten mit einer weiteren über Gottes heilendes Handeln. 1Sam 2,4–9 nennt zusätzlich noch eine ganze Reihe weiterer heilsamer Taten Gottes (Kräftigung der Strauchelnden, Sättigung der Hungernden, reich Machen und Erhebung der Armen, Bewahrung der Frommen). Zu ihnen lassen sich auch in den schon mehrfach herangezogenen Psalmen Sachparallelen finden (vgl. Ps 31,4; 37,19; 107,9; 146,9). Das Hauptproblem liegt aber in der Frage nach dem Subjekt der in Zeile 12 aufgeführten Werke. Die biblischen Aussagen, die vom Lebendigmachen ( ÙÞ Pi.) der Toten reden (Dtn 32,39; 1Sam 2,6; Hos 6,2; Jes 26,14.19), haben immer Gott zum Subjekt. Dies entspricht auch dem grammatischen Befund in 4Q521,2 II, nach dem ÙÝçÛ in Zeile 11 Subjekt aller Aussagen von Zeile 12–14 ist. Auch in Frgm. 7, Zeile 6, wo erneut von der Belebung der Toten gesprochen wird, ist offenbar Gott der Handelnde. 54 Dagegen ist die Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen ebenso wie das Heilen gebrochener Herzen und die Befreiung und Erlösung Gefangener nach Jes 61,1 Werk des endzeitlichen gesalbten Propheten. Dem entspricht, dass in der Bibel das Verbum ãâ nirgends mit Gott als grammatischem Subjekt verwendet wird. Nun sollte man freilich zwischen dem Verkünden des Freudenboten und dem Urheber der Freudenbotschaft keine Alternative aufrichten. Auch in Jes 61,1 (vgl. 40,9; 41,27; 52,7) geht es natürlich um das endzeitliche Handeln JHWHs, das im Ankommen der Botschaft geschieht. 55 In Ps 107,20 ist dies unmittelbar mit Blick auf Gottes heilendes und belebendes Handeln ausgedrückt: „Er sandte sein Wort und heilte sie und entriss ihr Leben der Grube.“ Übrigens lassen sich gerade zu diesem Psalm wieder zahlreiche Verbindungen von unserem Text aus 54

Ebenso bei der Rezeption der Totenfeldvision aus Ez 37 in 4Q385,2 Zeile 5–8 (PsEza), vgl. JOHN STRUGNELL/DEVORAH DIMANT, 4Q Second Ezekiel, RdQ 13, 1988, 45–58; MENAHEM KISTER/ELISHA QIMRON, Observations on 4QSecond Ezekiel, 4Q385 2–3, RdQ 15, 1992, 595–602; MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 348f. 55 Vgl. OTHMAR SCHILLING, Art. ãâ, ThWAT I, 1973, 845–849: 849; Jahwe selbst ist in seinem Wort gegenwärtig und wirksam.

3. Gattung und Einordnung in die frühjüdische Literatur

341

herstellen (vgl. bes. V. 5f.9f.14.18.41). Nach Ps 147,18f. hat JHWH sein Wort nicht bloß gesandt (ÞíãÙ wie in 107,20), sondern auch selbst verkündet (çÙëÚ). In PsSal 11 schließlich, einem Mosaik aus den Freudenboten-Stellen in DeuteroJesaja, sollen die vom Beter Angeredeten (nach V. 1 offenbar Priester!) selbst in Jerusalem die Botschaft des Freudenboten verkünden, dass nämlich „Gott sich Israels erbarmt und sie besucht hat“ (V. 1). In V. 7 heißt es dann: „Gott hat Israels Glück für immer und ewig ausgesprochen“ (), und Vers 8 bittet: „Der Herr führe aus, was er gesagt hat (), über Israel und Jerusalem.“ Mit diesem Text befinden wir uns, wie noch zu zeigen sein wird, gattungsmäßig im unmittelbaren Umfeld von 4Q521. Eine individuelle eschatologische Heilsgestalt tritt in diesem Psalm ebenso wenig hervor wie in unserem Fragment. 56 Überblicken wir die hier zusammengestellten biblischen und frühjüdischen Belege, dann können wir feststellen, dass kaum eine Wendung unseres Textes ohne Parallele bleibt. Geradezu mosaikartig setzt er sich aus Stichwörtern und Satzteilen zusammen, die uns an verschiedenen Stellen der Bibel oder der frühjüdischen Literatur begegnen. Allerdings wird an keiner Stelle irgendein Bibeltext wörtlich zitiert, geschweige denn ausdrücklich benannt. Vielmehr gibt es Querverbindungen meist zu verschiedenen Bibeltexten gleichzeitig. Dabei lassen sich einige biblische Textkomplexe feststellen, die offenbar immer wieder in unserem Text durchscheinen. Dies sind jeweils Texte mit Heilscharakter aus den Psalmen (31; 105; 107; 146), dem Jesajabuch (29; 35; 40; 42; 49) und dem Deuteronomium (4; 31; 32). Im Vergleich zu den biblischen „Vorlagen“ wird in 4Q521 der endzeitliche Charakter der biblischen Aussagen verstärkt und komprimiert. Als apokalyptisch oder messianisch kann man den Text allerdings nicht bezeichnen. Auch für eine Herkunft aus der Qumran-Gemeinschaft finden sich keine Anzeichen. 5F

3. Gattung und Einordnung in die frühjüdische Literatur 3. Gattung und Einordnung in die frühjüdische Literatur Hat sich aus der bisherigen Untersuchung keine spezifische Nähe zu den Werken ergeben, die wir als Produkte der Qumran-Gemeinschaft ansehen dürfen, so ist bei der Frage nach einer präziseren Einordnung unseres Textes in die Literatur des Frühjudentums von seinen erkennbaren Gattungsmerkmalen auszugehen. Dabei tritt als wichtigstes Merkmal sofort seine poetische Gestaltung in den Blick. Parallelismus membrorum und rhythmische Sprache sind vor allem in den Zeile 1f., 5–7, 8 und 12–14 zu beobachten. 57 Der mehrfache Wechsel des Subjekts nimmt der Komposition nichts von ihrer Einheitlichkeit. Vorherrschend 56

Die messianische Interpretation von Zeile 12f., für die sich BETZ/RIESNER, Jesus, Qumran und der Vatikan (Anm. 1), 112f., aussprechen, ist von daher keineswegs zwingend. 57 Vgl. PUECH, Une apocalypse messianique (Anm. 4), 487.490.494f. BETZ, MessiasLieder aus der Wüste (Anm. 1), 120f., und BETZ/RIESNER, Jesus, Qumran und der Vatikan

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Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

sind Aussagen in der 3. Pers. Sing. mit Gott als Subjekt (Z. 5–8.11–13). Dazu kommen Aussagen in der 3. Pers. Plur. (Z. 1f.) und Anreden der Adressaten in der 2. Pers. Plur- (Z. 3f.) sowie ein Satz im Sprecher-Ich (Z. 9). Ein solcher mehrfacher Subjektwechsel bei einheitlicher Gesamtkomposition kann auch bei vielen biblischen Psalmen festgestellt werden. So wechseln sich z.B. Aufforderungen an die Gemeinde (2. Pers. Plur.) und Verweise auf das Tun Gottes (3. Pers. Sing.) auch in Ps 146 und 147 ab, ebenso Ich-Aussagen des Beters und Er-Aussagen über Gott in Ps 145 und 146. Auch der Wechsel zwischen partizipialen Gottesaussagen und solchen im Imperfekt findet sich mehrfach in Ps 146, 147 und 149. Die Einheitlichkeit unseres Textes verdankt sich vor allem seiner durchgängig futurischen Ausrichtung. Sie wird dadurch erreicht, dass die verarbeiteten biblischen Wendungen und Aussagen, die ihrerseits oft schon aus Textzusammenhängen mit Verheißungscharakter entstammen, in 4Q521 zusammenhängend poetisch neuformuliert werden. Daraus ergibt sich für die neu geschaffene Komposition eine gewisse Gedankenführung, wobei freilich der fragmentarische Charakter des Textes immer im Blick zu behalten ist: In Zeile 1f. wird das Autoritätsgefüge der erwarteten Heilszeit konstatiert. Zeile 3f. fordert die Angeredeten angesichts gegenwärtiger Bedrängnis zur Ausrichtung auf diese Zukunft auf. Zeile 5–8 verkündet das bevorstehende heilsame Handeln Gottes besonders an den Schwachen und Bedrängten. Zeile 9 gibt das persönliche Bekenntnis des Sprechers zu der Haltung wieder, zu der er in Zeile 3f. die Angeredeten aufgefordert hat (inclusio). 58 Zeile 10 enthält eine Lohnverheißung für den Gerechten. Zeile 11–13 entfalten erneut das göttliche Heilshandeln an den Schwachen. Will man aufgrund dieser formalen und inhaltlichen Merkmale eine vorläufige Gattungsbestimmung vornehmen, so kann man unseren Text als einen eschatologisch ausgerichteten Psalm bezeichnen. Eine solche Zuordnung muss freilich durch Vergleich mit weiteren frühjüdischen Texten abgesichert werden. In den bisherigen Untersuchungen zu 4Q521 ist dabei vor allem auf 11Q13 (Melch) hingewiesen worden. 59 Dort wird Melchisedek als eschatologischer Rächer und Retter angekündigt, und unter Aufnahme von Jes 61,1–3 und Dan 9,25f. wird ein Gesalbter verheißen, der die Trauernden trösten soll (II 13–20). 60 Doch

(Anm. 1), 111f., bezeichnen den Text daher zu Recht als Lied bzw. Loblied. Vgl. auch VERMES, Qumran Forum Miscellanea (Anm. 1), 303: „a verse composition belonging to the poetry of the late biblical period“. 58 PUECH, Une apocalypse messianique (Anm. 4), 490. 59 COLLINS, The Works of the Messiah (Anm. 1), 100f.; LICHTENBERGER, Die Texte von Qumran (Anm. 1), 79; BETZ, Messias-Lieder aus der Wüste (Anm. 1), 121; DERS./RIESNER, Jesus, Qumran und der Vatikan (Anm. 1), 113. 60 EMILE PUECH, Notes sur le manuscrit de XIQMelkîsédeq, RdQ 12, 1987, 483–513; Übersetzung bei MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 1, 361–363; vgl. GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften (Anm. 1), 202f.

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was diesen Text mit 4Q521 verbindet, ist allein der Bezug auf Jes 61,1 in Kombination mit weiteren Stellen aus Jesaja und den Psalmen. 61 Die Methode der Pescher-Auslegung, die in 11QMelch klar erkennbar ist, 62 wird dagegen in 4Q521 nirgends angewendet. Sprachliche oder inhaltliche Berührungen zwischen beiden Texten, die über die Wendungen aus Jes 61,1 hinausgehen, gibt es nicht. Von einer poetischen Gestaltung ist in 11QMelch nichts zu spüren. In 4Q521 fehlen wiederum alle Aussagen, die den eschatologisch-apokalyptischen Charakter von 11QMelch bestimmen: das bevorstehende Gericht, die Zeitrechnung nach Jahrwochen und Jubiläen, endzeitliche Kämpfe und das in sie verwickelte himmlische und irdische Personal (Melchisedek, Belial, Rebellen, Geister, Söhne Gottes). 4Q521 ist zwar ein eschatologischer, aber kein apokalyptischer oder messianischer Text! 63 Aus ähnlichen Gründen ist eine Verbindung unseres Textes mit 4Q541 (TestLevdar) abzuweisen. 64 Zwar ist die Beschreibung des eschatologischen Priesters in 4Q541,9 I hymnisch-poetisch geformt, aber der Kontext der übrigen Fragmente deutet eher auf eine Nähe zur Gattung „Testament“. 65 In 4Q521 fehlen dagegen weisheitliche und visionäre Züge völlig. Zudem ist das genannte Fragment von 4Q541 im Unterschied zu 4Q521 ganz der Darstellung einer individuellen Endzeitgestalt gewidmet. Schließlich ist auch auf die Differenz der Sprache hinzuweisen. Gerade im Vergleich mit den eben erwähnten Beispielen zeigt sich der erhebliche gattungsmäßige Abstand unseres Textes zu den spezifisch messianischen oder apokalyptischen Qumran-Texten. In 4Q521 gibt es weder dualistische Tendenzen noch dämonologische Züge, weder ein Epochenschema noch einen Endzeitkampf, ja nicht einmal Aussagen über ein künftiges Gericht! Natürlich können manche dieser „Fehlanzeigen“ mit dem fragmentarischen Erhaltungszustand des Textes zusammenhängen, aber auch in den übrigen Fragmenten lässt sich nichts von den genannten Merkmalen erkennen. Ebenso wenig können wir Qumran-spezifische Züge wie die Pescher-Auslegung, die Verwendung spezifischer Selbstbezeichnungen, die Betonung exklusiver ritueller Reinheit oder Hinweise auf Gestalten der Gemeindegeschichte erkennen. Sucht man unter den poetisch geformten Qumran-Texten nach Analogien, dann könnte man zunächst an liturgische Werke wie die Sabbatopferlieder 61 Keine der übrigen in 11QMelch zitierten Stellen (Lev 25,9.13; Dtn 15,2; Ps 7,8f.; 82,1f.; Jes 52,7; Dan 9,25) hat sich aber in 4Q521 erkennbar niedergeschlagen! 62 Betont auch von TIMOTHY H. LIM, 11QMelch, Luke 4 and the Dying Messiah, JJS 43, 1992, 90–92; MARTIN G. ABEGG, Messianic Hope and 4Q 285: A Reassessment, JBL 113, 1994, 81–91: 89f. 63 Vgl. COLLINS, The Works of the Messiah (Anm. 1), 98: „The extant fragments show none of the formal marks of apocalyptic revelation, but, like many apocalypses, they deal with eschatological expectations …“. 64 So aber WISE/TABOR, The Messiah at Qumran (Anm. 1), 61. 65 Vgl. PUECH, Fragments d’un apocryphe (Anm. 29), 487f.

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(ShirShab), die Tagesgebete (4Q503 [papPrQuot]), die Lichtsprüche (4Q504– 506 [DibHam]), die Festgebete (4Q507–509 [PrFêtesa.b.c]) oder die Lieder des Weisen (4Q510.511 [Shir]) denken. 66 Aber abgesehen von einigen terminologischen Übereinstimmungen 67 fallen die Unterschiede sofort ins Auge. So verwenden die Lichtsprüche konsequent die Gebetsanrede (1. Pers. Plur. + 2. Pers. Sing.). Es handelt sich vermutlich um Buß- und Sühnegebete (vgl. 4Q504,2 VI 3–5). Auch die Festgebete verwenden mit wenigen Ausnahmen die Gebetsanrede. Aussagen über Gott in der 3. Pers. Sing. sind offenbar auf den Refrain „Gepriesen sei der Herr, der …“ beschränkt. Wortfeldübereinstimmungen mit 4Q521 finden sich in etwas größerer Dichte nur in 4Q509,13, aber hier haben wir es offenbar mit einer Art Klagelied zu tun. Bei den „Liedern des Weisen“ handelt es sich z.T. wohl, ähnlich wie bei den Sabbatopferliedern und den Tagesgebeten, eher um liturgisch-agendarische Texte als um die gesungenen Kultpsalmen selbst. 68 Thematisch lassen sie sich vielleicht als Buß- oder Rüstgebete charakterisieren. Eher kann man die Gebete Barkhi nafshi (4Q434.434a.436) zum Vergleich heranziehen. 69 In 4Q434 folgt auf eine Benediktion in Form der Selbstaufforderung des Beters eine lange Reihe von Aussagen über Gottes heilsames Handeln an den Schwachen. Allerdings stehen sie alle im Vergangenheitstempus („berichtender Lobpreis“). Der „Tischsegen“ 4Q434a scheint formal und thematisch vielfältiger und zudem stärker eschatologisch geprägt zu sein. In 4Q436 folgen dagegen auf eine Überschrift mit Angabe des Gebetsziels nur noch Gebetsanreden in der 2. Pers. Sing. in Form des „berichtenden Lobpreises“. Einige interessante Übereinstimmungen ergeben sich auch zu den psalmenartigen Lobgesängen, die an mehreren Stellen in 1QM zitiert werden (1QM XIV 4–8; XVIII 6–8; vgl. XIII 2–6). Sie unterscheiden sich formal und inhaltlich von den zahlreichen übrigen Gebeten in 1QM und lassen sich schon durch ihre ausdrückliche erzählerische Einführung und Rahmung gut aus dem Kontext heraus-

66

Vgl. dazu insgesamt NITZAN, Qumran Prayer (Anm. 39); ADAM S. VAN DER WOUDE, Fünfzehn Jahre Qumranforschung (1974–1988), ThR 55, 1990, 245–307: 245–251 (zu ShirShab), 258–262 (zu 4Q503–512); JOHANN MAIER, Zu Kult und Liturgie der Qumrangemeinde, RdQ 14, 1990, 543–586: 579f.; MOSHE WEINFELD, Prayer and Liturgical Practice in the Qumran Sect, in: DIMANT/RAPPAPORT, The Dead Sea Scrolls (Anm. 39), 241–258, sowie die Übersetzungen bei MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 588–661. Die Hodayot kommen aufgrund ihrer spezifischen inhaltlichen und formalen Prägung (z.B. durchgängig im Sprecher-Ich und mit Gottesanrede formuliert) weniger in Betracht. 67 S.o., 335f. 68 MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 1, 39. Vgl. zum Gebrauch solcher Texte in der Qumrangemeinschaft die Überlegungen bei DEMS., Zu Kult und Liturgie der Qumrangemeinde (Anm. 66), 570–574. 69 MOSHE WEINFELD, Grace After Meals in Qumran, JBL 111, 1992, 427–440; DERS., Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 519–523.

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lösen. Vermutlich fußen sie zumindest partiell auf vor-qumranischen Dichtungen. 70 So hebt sich der Psalm 1QM XIV 4–8 durch Formulierungen über Gottes Handeln in der 3. Pers. Sing. deutlich von den ihn umgebenden Gebeten in der Anredeform ab. Der Inhalt des Psalms wird geprägt durch Aussagen über Gottes Gnade (çìÞ, Z. 4), seine Machttaten ( âë, Z. 6; vgl. Z. 5) sowie vor allem sein heilsames Handeln gegenüber Schwachen und Bedrängten: „Er beruft Strauchelnde zu wunderbaren [Krafttat]en … zu erheben durch Gericht ein zerflossenes Herz und Verstummten den Mund zu öffnen, dass sie jubeln … und er gibt Knieweichen festen Stand und Hüftenstärke (×ÙÝ Úú ÚÛ) einem wunden Rücken, und durch demütig Gesinnte (Þ Ù Ýê) […] ein hartes Herz …“. 71 Insgesamt können aber die bisher herangezogenen Vergleichstexte Form und Inhalt von 4Q521 nicht befriedigend erklären. Immerhin haben sie für die Frage nach dem „Sitz im Leben“ insofern Bedeutung, als es sich bei den meisten von ihnen offenbar um Dichtungen handelt, die nicht erst in Qumran entstanden, sondern in die Gemeinschaft übernommen worden sind. Dies verbindet sie nicht nur mit 4Q521, sondern auch mit weiteren frühjüdischen Gebeten, die in verschiedene literarische Werke aufgenommen worden sind. 72 Aber auch bei ihnen handelt es sich, ähnlich wie bei einigen der genannten Gebete aus den Qumran-Texten, aber im Unterschied zu 4Q521, meist um Buß- oder Fürbittgebete. Die meisten und engsten Parallelen zu 4Q521 könnte man vermutlich in den sogenannten Non-canonical Psalms finden (4Q380.381), 73 – wären sie nur nicht so furchtbar bruchstückhaft erhalten! Aus den zahlreichen, aber größtenteils winzigen Fragmenten ergibt sich wenigstens, dass wir es mit einer Sammlung von Psalmen unterschiedlicher Gattungen zu tun haben. Es begegnen wechselnd ErAussagen, Ich-Aussagen, Du-Aussagen oder Ihr-Aussagen. Auch die thematische Vielfalt scheint angesichts der vorkommenden Stichwörter beträchtlich gewesen zu sein. Von der Schöpfung ist die Rede, von Wundertaten Gottes, seiner Gnade und Barmherzigkeit und seiner Einzigartigkeit, aber auch von der Totenwelt, vom Gericht über die Frevler, von der Erwählung Israels und vom Zion sowie vom Wort, vom Gesetz, von den Geboten und Vorschriften Gottes und 70F

70 So MAIER, Zu Kult und Liturgie der Qumrangemeinde (Anm. 66), 575f.; vgl. MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 1, 125. 71 Rekonstruktion unter Berücksichtigung von 4Q491 und Übersetzung nach MAIER, a.a.O., 146f. Nach VAN DER WOUDE, Fünfzehn Jahre Qumranforschung (Anm. 66), 255– 257, ist das Verhältnis zwischen 1QM und den Fragmenten von 4Q491 eher traditionsgeschichtlich als literarkritisch zu beurteilen (256). 72 Vgl. das Gebet Mordechais in ZusEst C 1–11 und das Gebet Esters in ZusEst C 12–30 (LXX zu 4,17), das Gebet Asarjas in ZusDan 26–45 (LXX zu 3,23), das Gebet des Hohenpriesters Simon in 3Makk 2,2–20, die Gebete der Aseneth in JosAs 8,10; 12–13; 21,11–21. 73 EILEEN M. SCHULLER, Non-Canonical Psalms from Qumran. A Pseudepigraphic Collection, HSS 28, Atlanta 1986; DIES., 4Q380 and 4Q381: Non-Canonical Psalms from Qumran, in: DIMANT/RAPPAPORT, The Dead Sea Scrolls (Anm. 39), 90–99; MAIER, Die QumranEssener (Anm. 5), Bd. 2, 329–346.

Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II

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von seinem Geist (vgl. nur die etwas größeren Fragmente 380,1; 381,1.10. 15.33.48.69 und 77). Einen ähnlichen Charakter hat vielleicht auch der Psalm 4Q448,1 I gehabt, der offenbar nur deshalb erhalten geblieben (und in jüngster Zeit berühmt geworden) ist, weil ihn vermutlich ein Verehrer Alexander Jannais auf dessen Sieg über Demetrios III. gedeutet hatte und dem Hasmonäer-König zusammen mit einem Gratulationsschreiben überreichen wollte. 74 In dem Psalm scheint u.a. die Rettung der Elenden aus der Hand von Bedrängern vorgekommen zu sein. Wie die Non-canonical Psalms dürfte auch er nicht erst in Qumran gedichtet worden sein. Sicher anzunehmen ist dies für die nichtkanonischen Psalmen aus 11QPsa. 75 Drei von ihnen waren schon immer aufgrund ihrer syrischen Überlieferung (dort zusammen mit drei weiteren, nicht in der Psalmenrolle von Qumran enthaltenen) bekannt. 76 Hier begegnen konzentriert Heilsaussagen über die Frommen (×ÙçÙìÞ, XVIII 12; XIX 7f.; XXII 3.6), Armen (ÙÝê, XVIII 18) und Gerechten (×ÙîÙçð, XVIII 11f.), über JHWHs Gnade (çìÞ, XVIII 17; XIX 3.6.8f.13; XXII 6), Güte (XIX 5), Stärke (XVIII 7.14; XIX 12) und Gerechtigkeit (XIX 3.5–7.11), über die Sättigung (êâã, XVIII 13) und die Rettung der Armen (ÙÝê) aus der Gewalt der Fremden (XVIII 18) sowie über die Rettung aus Todesnot (XIX 1–4.9–11). Ganz ähnliche Aussagen und Wendungen prägen auch die syrPs 152 und 153 (vgl. „die Frommen“, 152,4; 153,2, sowie die Themen Rettung aus Todesnot, 152,2.5f.; 153,2f., und Erlösung vom Gefangensein, 152,5). In ähnlicher Dichte begegnen solche Wendungen auch in dem Lobpsalm Sir 51,1–12: Rettung aus Todesnot (çìÞ, V. 2.6; V. 3.8.12 a–o), Rettung derer, die auf Gott hoffen (×ÙçÙìÞ, V. 8; V. 12 o). Schließlich ist auf die nur griechisch und syrisch erhaltenen, aber sicher ursprünglich hebräisch verfassten Psalmen Salomos zu verweisen. 77 Auch sie stellen die Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Frommen und Gerechten und seine Hilfe für die Armen heraus (PsSal 2,36; 5,2.11–15; 9,5–7; 10,6f.; 15,1; 16,13–15; 18,2). In PsSal 3,12 wird die Erwartung der Auferstehung der Gottesfürchtigen zu ewigem Leben ausgesprochen (vgl. 76F

74 ESTHER ESHEL/HANAN ESHEL/ADA YARDENI, A Qumran Composition Containing Part of Ps. 154 and a Prayer for the Welfare of King Jonathan and his Kingdom, IEJ 42, 1992, 199–229; Übersetzung: MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 2, 525f.; vgl. DANIEL J. HARRINGTON/JOHN STRUGNELL, Qumran Cave 4 Texts: A New Publication, JBL 112, 1993, 491–499: 498f.; GEZA VERMES, Brother James’s heirs? The community at Qumran and its relations to the first Christians, Times Literary Supplement 4 December [1992], 6–7; DERS., The So-Called King Jonathan Fragment, 4Q448, JJS 44, 1993, 294–300; STEGEMANN, Die Essener (Anm. 1), 187f. 75 JAMES A. SANDERS, The Psalms Scroll of Qumran Cave 11. 11QPsa, DJD IV, Oxford 1965; MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 5), Bd. 1, 332–342. 76 ADAM S. VAN DER WOUDE, Die fünf syrischen Psalmen (einschließlich Psalm 151), JSHRZ IV/1, Gütersloh 1974, 29–47 (zur vor-qumranischen Herkunft der Psalmen a.a.O., 31.35). 77 OSCAR VON GEBHARDT, Die Psalmen Salomos, Leipzig 1895; SVEND HOLM-NIELSEN, Die Psalmen Salomos, JSHRZ IV/2, Gütersloh 1977, 49–112.

3. Gattung und Einordnung in die frühjüdische Literatur

347

13,11; 14,10). PsSal 17,44f. und 18,5–7 enthalten, im Zusammenhang der Ankündigung des eschatologischen, davidisch-königlichen Gesalbten, auch Ausblicke auf die Werke Gottes am Ende der Tage. PsSal 11 kündet in Aufnahme der biblischen Verheißungen über den eschatologischen Freudenboten die bevorstehende endgültige Rettung Israels an. Innerhalb der nachbiblischen poetischen Literatur steht unser Text den zuletzt besprochenen Psalmendichtungen inhaltlich und formal am nächsten. Mit ihnen verbindet ihn nicht nur die poetische Gestalt, sondern ebenso das Vokabular und die Vorstellungswelt. Wie sie bezieht er die entscheidenden Wendungen und Motive aus der biblischen Überlieferung. Stärker und konsequenter noch als die meisten herangezogenen frühjüdischen Texte wendet er aber den Blick auf die bevorstehende, durch Gott heraufgeführte und bewirkte Heilszeit. Gott selbst wird es sein, der all die überlieferten Verheißungen erfüllen und die angesammelten Hoffnungen der Frommen wahrmachen wird. Dies werden vor allem die Schwachen, Behinderten und Bedrängten erfahren. So ist unser Text vor allem ein Hoffnungslied, ein frühjüdischer eschatologischer Psalm. 78

78 Die Bezüge, die sich von 4Q521 her zum Neuen Testament hin aufweisen lassen, werden in einer eigenen Untersuchung dargestellt, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Werke des eschatologischen Freudenboten. 4Q521 und die Jesusüberlieferung, in: CHRISTOPHER M. TUCKETT (Hg.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 637–646 [in diesem Band 349–357].

Die Werke des eschatologischen Freudenboten 4Q521 und die Jesusüberlieferung I I Das durch Émile Puech der Forschung zugänglich gemachte Fragment 4Q521,2 1 lässt sich aufgrund sprachlicher, formaler und inhaltlicher Kriterien als ein frühjüdischer eschatologischer Psalm verstehen. 2 Charakteristisch für diesen Text ist die poetische Neuformulierung biblischer Vorstellungen und Wendungen und ihre konsequente Umgestaltung zu futurischen Endzeitaussagen. Geradezu mosaikartig setzt er sich aus Stichwörtern und Satzteilen zusammen, die an verschiedenen Stellen der Bibel oder der frühjüdischen Literatur begegnen, ohne dass ein einziger Bibeltext wörtlich zitiert, geschweige denn ausdrücklich benannt wird. Bei den Textkomplexen, die mehrfach im Hintergrund stehen, handelt es sich jeweils um Texte mit Heilscharakter aus den Psalmen (Ps 31; 105; 107; 146), dem Jesajabuch (Jes 29; 35; 40; 42; 49; 61) und dem Deuteronomium (Dtn 4; 31; 32). Im Blick auf die anschließend zu besprechenden Texte aus der Jesusüberlieferung verdienen vor allem folgende Aussagen Beachtung: Zeile 8 gibt im Partizipialstil fast wörtlich Ps 146,7c–8b wieder. Lediglich die dreimalige Nennung JHWHs ist ausgelassen. Dies hat seinen Grund in der poetischen Neuformulierung der Aussagen von Zeile 5 an, die alle auf das dort am Anfang stehende Subjekt ÙÝçÛ zurückverweisen. Darüber hinaus kann man noch auf andere Bibeltexte hinweisen, vor allem Jes 35,5; 42,7; 29,18; 49,8f.; 61,1 sowie Ps 105,20; 145,14. 1 ÉMILE PUECH, Une apocalypse messianique (4Q521), RdQ 15, 1992, 475–522; DERS., La croyance des Esséniens en la vie future: immortalité, résurrection, vie éternelle, Bd. 2, Paris, 1994, 627–692. Literaturergänzung: CONSTANTIN POGOR, Seux expressions portant sur la résurrection des morts. Ètude de cas sur 4Q521 2 II 5–8; 12–13 et Mt 11,5 par. Lc 7,22, in: GEERT VAN OYEN/TOM SHEPHERD (Hg.), Resurrection of the Dead. Biblical Traditions in Dialogue, BEThL 249, Leuven 2012, 345–359. 2 Eine ausführliche Untersuchung von mir zu Text, biblischen Wendungen, Gattung und Ort innerhalb der frühjüdischen Literatur dieses Fragments erschien unter dem Titel 4Q 521,2 II – Ein eschatologischer Psalm, in: ZDZISLAW J. KAPERA (Hg.), Mogilany 1995. Papers on the Dead Sea Scrolls offered in memory of Aleksy Klawek, QM 15, Kraków 1998, 151–168 [in diesem Band 327–347]; vgl. auch QC 5, 1995, 93–96). Zusätzlich zu der dort genannten Lit. vgl. jetzt noch ROLAND BERGMEIER, Beobachtungen zu 4 Q 521 f 2, II, 1– 13, ZDMG 145, 1995, 38–48.

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Die Werke des eschatologischen Freudenboten

Verschiedene Heilsverheißungen des Jesajabuches klingen auch in Zeile 5f. an. Das Kommen Gottes verkündet Jes 35,4; 40,9–11 Dass er Israel beim Namen ruft, sagt 43,1. Dass der Geist über den Armen schweben wird, erinnert an Jes 61,1, wenngleich dort der Geist dem gesalbten Freudenboten verliehen ist. Jes 40,31 verheißt: „Die auf JHWH hoffen, schöpfen neue Kraft“ (ÞåñÙ   í  ÞÙ ). Auch für die Einzelaussagen in Zeile 12f. finden sich biblische Anknüpfungspunkte. Das Lebendigmachen der Toten gehört nach Dtn 32,39, 1Sam 2,6 und Hos 6,1f. zu Gottes heilendem Handeln (vgl. auch Jes 26,19). 1Sam 2,4–9 nennt daneben eine Reihe weiterer heilsamer Taten Gottes (Kräftigung der Strauchelnden, Sättigung der Hungernden, Reichmachen und Erhebung der Armen, Bewahrung der Frommen). Sachparallelen dazu finden sich wieder in den Psalmen (Ps 31,4; 37,19; 107,9; 146,9). Subjekt des heilvollen Handelns ist in 4Q521,2 II 12f. wie in allen biblischen Aussagen über das Lebendigmachen ( ÙÞ Pi.) der Toten Gott (ÙÝçÛ, Z. 11; vgl. auch Frgm. 7, Z. 6). Im Unterschied dazu ist die Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen nach Jes 61,1 ebenso wie das Heilen gebrochener Herzen und die Befreiung und Erlösung Gefangener Werk des endzeitlichen gesalbten Boten. Dem entspricht, dass in der Bibel das Verbum ãâ nirgends mit Gott als grammatischem Subjekt verwendet wird. Freilich geht es auch in Jes 61,1 um das endzeitliche Handeln JHWHs, das im Ankommen der Botschaft geschieht (vgl. Jes 40,9; 41,27; 52,7; Ps 107,20; 147,18f.; PsSal 11,7f.). Für die Interpretation von Zeile 1f. ist der parallelismus membrorum entscheidend. Er legt es nahe, das Wort ÞÙãÚí als Plural zu lesen. 3 Beide Zeilen beschreiben ein Gehorsamsverhältnis, zunächst den Gesalbten, dann den Geboten der Heiligen gegenüber. Vom Gehorsam der Schöpfung gegenüber dem Messias ist weder in der Bibel noch in der frühjüdischen Literatur die Rede. Eine Identifikation des Gesalbten von Zeile 1 mit dem endzeitlichen davidischen, prophetischen oder priesterlichen Messias ist daher m.E. fragwürdig. 4 Vom biblisch-jüdischen Sprachgebrauch her 5 ist die messianische Interpretation jedenfalls ebenso wenig nahegelegt wie vom Kontext unseres Fragments. In Jes 61,1 ist zwar von einem endzeitlichen gesalbten Propheten die Rede. Seine Aktivität richtet sich aber nicht auf die Schöpfung, sondern auf Men2F

3F

4F

3 BERGMEIER, Beobachtungen zu 4 Q 521 (Anm. 2), 39, möchte wegen des Parallelismus umgekehrt ×ã çî in Z. 2 singularisch verstehen als Ausdruck für Gott („der Hochheilige“). 4 Ausführliche Begründung dafür bei NIEBUHR, Ein eschatologischer Psalm (Anm. 2), 154–160. Zur weiterhin lebhaften Diskussion dieser Frage vgl. BERGMEIER, Beobachtungen zu 4 Q 521 (Anm. 2), 39.43f. Auch sein Verweis auf Jes 1,2a, Ps 2 und äthHen 90,37 löst nicht die genannte Schwierigkeit, denn eine Herrschaft des Gesalbten über „Himmel und Erde“ wird auch an diesen Stellen keineswegs behauptet. 5 Die Mehrzahl der Belege für ÞÙãÚ bezieht sich auf gesalbte Könige, Priester oder Propheten, sei es in der Geschichte oder in der Endzeit. Vgl. MARTIN KARRER, Der Gesalbte. Die Grundlagen des Christustitels, FRLANT 151, Göttingen 1991.

I

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schen. Zudem ruht nach 4Q521,2 II 6 der Geist Gottes nicht auf einem Gesalbten, sondern schwebt über den Armen, und die Verkündigung der Freudenbotschaft ist hier Werk des Herrn (vgl. Z. 12). Der endzeitliche Bote in Mal 3,1, der in 3,23 als der Prophet Elija identifiziert wird, ist wiederum kein Gesalbter. In 4Q521,2 II 1 scheint mir ein priesterliches Gesalbtenverständnis am wahrscheinlichsten. 6 Demnach stehen die Gesalbten von Zeile 1 im synonymen Parallelismus zu den Heiligen von Zeile 2. Mit beiden Aussagen wird die gesamte Schöpfung der Autorität der Tora unterstellt, die in der Endzeit wie ursprünglich durch priesterliche Gestalten erteilt werden wird. Ein solches die Schöpfung umfassendes priesterlich-endzeitliches Toraverständnis lässt sich gut in frühjüdische Endzeiterwartungen einordnen. 7 Im Vergleich zu den biblischen „Vorlagen“ wird in 4Q521 der endzeitliche Charakter der biblischen Aussagen zwar verstärkt und komprimiert. Als apokalyptisch oder messianisch kann man den Text allerdings nicht bezeichnen. 8 Wir finden weder dualistische Tendenzen noch dämonologische Züge, weder ein Epochenschema noch einen Endzeitkampf, nicht einmal Aussagen über ein künftiges Gericht. Auch Qumran-spezifische Züge wie die Pescher-Auslegung, die Verwendung spezifischer Selbstbezeichnungen, die Betonung exklusiver Reinheit oder Hinweise auf Gestalten der Gemeindegeschichte fehlen. 9 Innerhalb der nachbiblischen poetischen Literatur steht unser Text den frühjüdischen Psalmendichtungen inhaltlich und formal am nächsten. 10 Mit ihnen verbindet ihn nicht nur die poetische Gestalt, sondern ebenso das Vokabular und die Vorstellungswelt. Wie sie bezieht er die entscheidenden Wendungen und Motive aus der biblischen Überlieferung. Stärker und konsequenter noch als die meisten vergleichbaren frühjüdischen Texte wendet er aber den Blick auf die bevorstehende, durch Gott heraufgeführte und durch sein Wirken bestimmte Heilszeit. Gott selbst wird die überlieferten Verheißungen erfüllen und die angesammelten Hoffnungen der Frommen wahrmachen. Dies werden vor allem die Schwachen, Behinderten und Bedrängten erfahren.

6

Vgl. NIEBUHR, Ein eschatologischer Psalm (Anm. 2), 155–157. Vgl. 4Q541,9 I 3–5 (TestLevdar); TestLev 4,2f.; 14,3; 18,2–14; Jub 31,13–17; 32,1–15. 8 Das zeigt besonders der Vergleich mit 11 Q13 (Melch); vgl. dazu u., 355. 9 So auch BERGMEIER, Beobachtungen zu 4 Q 521 (Anm. 2), 44–46. Die Auslassung des JHWH-Namens dient der Straffung und poetischen Gestaltung der Aussage, hat also nichts mit der Vermeidung des Tetragramms in den Qumran-spezifischen Handschriften zu tun. 10 Vgl. Sir 51,1–12, PsSal sowie die nichtkanonischen Psalmen aus 11QPsa (vgl. syrPs 152 und 153), die ebenso wie die „Non-canonical Psalms“, 4Q380.381, vgl. 4Q448,1 I, offenbar nicht erst in der Qumran-Gemeinschaft entstanden sind. 7

Die Werke des eschatologischen Freudenboten

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II II Nach Mt 11,5; Lk 7,22 beantwortet Jesus die Frage des Täufers nach seiner Person mit dem Verweis auf sein Tun: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Auch dieses Wort Jesu 11 ist ein Mosaik biblischer Wendungen, vor allem aus den Heilsverheißungen des Jesajabuches (Jes 26,19; 29,18f.; 35,5f.; 61,1 LXX). Die in der Gegenwart Jesu wahrnehmbaren Geschehnisse entsprechen dem, was in der Bibel und im Frühjudentum von Gott für die eschatologische Heilszeit zu erwarten ist. Aber nur in 4 Q521 stehen wie in der Antwort Jesu Krankenheilungen, Totenauferweckung und Frohbotschaft für die Armen in einer Reihe. Während in 4 Q521,2 II 8.12f. die partizipialen Aussagen von dem Subjekt ÙÝçÛ (Z. 5.11) und den mit ihm verbundenen Verben in der 3. Pers. Sing. masc. Impf. abhängig sind, also Gottes zukünftiges Handeln benennen, bezieht sich das Jesuswort auf ein gegenwärtiges Geschehen. Das Subjekt der Verben bleibt hier ungenannt. Die Aussagen über das Reinwerden Aussätziger, die Erweckung Toter und die Verkündigung an die Armen stehen im passivum divinum. Erst durch den Kontext werden sie explizit als Bezeichnungen für das Handeln Jesu erkennbar. Aber weder die Wendung « ª”©  Ԕ  (Mt 11,2) 12 noch die Prädikation Jesu als · ”£ (Lk 7,19f. par. Mt 11,3; vgl. Mt 3,11) 13 sind in der Bibel oder der frühjüdischen Literatur im Sinne eines messianischen Titels vorgeprägt. Die Vorstellung, dass der Messias als Wundertäter auftreten werde, ist im Frühjudentum unbekannt 14 und kann auch, wie ge12F

13F

11 Die Frage nach der Herkunft des Logions kann hier offenbleiben. Zur traditionsgeschichtlichen Analyse vgl. WERNER G. KÜMMEL, Jesu Antwort an Johannes den Täufer. Ein Beispiel zum Methodenproblem in der Jesusforschung, SbWGF 9, 1974, 129–159 (= DERS., Heilsgeschehen und Geschichte II. Gesammelte Aufsätze 1965–1977, hg. v. ERICH GRÄSSER/OTTO MERK, MThSt 16, Marburg 1978, 177–200); MIGAKU SATO, Q und Prophetie. Studien zur Gattungs- und Traditionsgeschichte der Quelle Q, WUNT II/29, Tübingen 1988, 140–144; ELISABETH SEVENICH-BAX, Israels Konfrontation mit den letzten Boten der Weisheit. Form, Funktion und Interdependenz der Weisheitselemente in der Logienquelle (MThA 21), Altenberge 1993, 320–332. 12 Sie ist aus dem matthäischen Erzählzusammenhang heraus zu verstehen, vgl. ULRICH LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, Teilbd. 2: Mt 8–17, EKK, I/2, Zürich/NeukirchenVluyn, 1990, 167. 13 Vgl. PIERRE GRELOT, „Celui qui vient“ (Mt 11, 3 et Lc 7, 19), in: Ce Dieu qui vient. (FS B. Renaud), LD 159, Paris 1995, 275–290. Die Möglichkeit, den Ausdruck „der Kommende“ auf das Kommen eines endzeitlichen Repräsentanten Gottes, sei es, der Messias oder der Menschensohn, zu beziehen, ist allerdings durch verschiedene frühjüdische Texte und Vorstellungen vorbereitet, vgl. die Belege bei PETER STUHLMACHER , Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 1: Grundlegung. Von Jesus zu Paulus, Göttingen 1992, 61f. 14 Vgl. KARRER, Der Gesalbte (Anm. 5), 323; Luz, Matthäus (Anm. 12), 169.

III

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zeigt, durch 4Q521,2 II nicht belegt werden. Dass der vom Täufer angekündigte endzeitliche Repräsentant Gottes gerade der Wundertäter Jesus aus Nazaret ist und dass die vom Täufer angekündigte Endzeit gerade so aussieht wie das Geschehen mit Jesus, ist somit eine unerwartete, erklärungsbedürftige Antwort. Jesus wird also von den Evangelisten nicht mit einer vorgegebenen messianischen Gestalt identifiziert. Vielmehr wird sein geschichtlich wahrnehmbares Auftreten in Galiläa identifiziert mit den endzeitlichen Heilserwartungen vom Handeln Gottes. Dadurch wird ein geradezu unmessianischer Zug Jesu, der durch die Jesusgeschichte vorgegeben war, nämlich sein Wirken als Wundertäter, zum Erweis seiner Funktion als endzeitlicher Repräsentant Gottes. Voraussetzung für dieses neue Messiasbild ist zum einen das Bekenntnis zu der endzeitlichen Qualität des Kommens Jesu, in den Evangelien repräsentiert durch die Verkündigung des Täufers vom Kommenden, Stärkeren, und zum anderen das Wissen um das Wirken Jesu als Wundertäter. Die biblisch verwurzelten und im Frühjudentum lebendigen Erwartungen vom endzeitlichen Handeln Gottes werden von diesen beiden Voraussetzungen aus aufgenommen und auf das Jesusgeschehen bezogen. Wir haben damit eine charakteristische Gestalt des aktualisierenden Umgangs mit der Schrift im Urchristentum vor uns.

III III Das Zitat aus Jes 61,1f., das nach Lk 4,18f. Jesu „Antrittspredigt“ in Nazaret zugrunde liegt, 15 entspricht im Wesentlichen dem Wortlaut der Septuaginta. Ihr folgend ist die schwierige Wendung Þ î Þ î ×Ù ì

 Ûí („für die Gefesselten Öffnung“) ersetzt durch die Aussage ›   („für die Blinden das Wieder-Sehen“). Ausgelassen ist die Zeile §  – ” œ À ”¥ („zu heilen die mit zerschlagenem Herzen“), eingefügt eine Wendung aus Jes 58,6: “  ” œ  ›œ („Gebrochene frei zu entlassen“). Vor der Ankündigung des Tages der Vergeltung in Jes 61,2 bricht das Zitat ab. Dadurch wird es zu einer uneingeschränkten Heilszusage.

15

Zur Bedeutung der Perikope für die lukanische Jesusdarstellung mit jeweils umfassenden Literaturhinweisen vgl. FRANCOIS BOVON, Das Evangelium nach Lukas, Teilbd. 1: Lk 1,1–9,50, EKK III/1, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989, 204–216; MANFRED KORN, Die Geschichte Jesu in veränderter Zeit. Studien zur bleibenden Bedeutung Jesu im lukanischen Doppelwerk, WUNT II/51, Tübingen 1993, 56–85; ROBERT F. O’TOOLE, Does Luke also Portray Jesus as the Christ in Luke 4,16–30?, Bib. 76, 1995, 498–522.

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Wie diese Textfassung entstanden ist, kann man schwer erklären. 16 Dass sie kaum frei vom Evangelisten gebildet wurde, zeigt die Auslassung der Zeile über das Heilen der zerschlagenen Herzen, die gut in den lukanischen Zusammenhang gepasst hätte. 17 Auch die Einfügung der Zeile über die Freilassung der Gebrochenen lässt sich schwerlich auf Lukas zurückführen, denn sie hat keinerlei inhaltlichen Bezug zum lukanischen Erzählzusammenhang. Nun zeigt allerdings schon der Vergleich zwischen dem hebräischen Text und der Septuaginta, dass in der Überlieferung des Jesajatextes ganze Sätze umformuliert werden konnten (bzw. wegen Unverständlichkeit der Vorlage mussten). Die LXX-Wiedergabe der Wendung Þ î Þ î ×Ù ì

 Û í kann geradezu als Beispiel innerbiblischer Exegese angesehen werden, denn sie deutet offenbar den schwierigen hebräischen Wortlaut von vergleichbaren Aussagen des Jesajabuches her (vgl. Jes 35,5; 42,7). 18 Aber auch die Aussagenreihe in Ps 146,7f. ist als Anregung für die interpretierende Übersetzung von Jes 61,1 in  î Þ î Betracht zu ziehen. Sie bietet nicht nur eine Deutungsmöglichkeit für Þ im Sinne des Öffnens der Augen der Blinden, 19 sondern verkündet zugleich die Befreiung der Gefangenen (×Ù ì

 Û). Damit aber rückt erneut die Aussagenreihe 4Q521,2 II 8 in den Blick, die ja offenkundig sowohl Ps 146,7f. als auch (neben anderen Stellen) Jes 61,1 rezipiert. Könnten nicht solche frühjüdischen Aussagenreihen, die durch Kombination verschiedener biblischer Wendungen entstanden sind, auch umgekehrt wieder Eingang in die Überlieferung des Bibeltextes gefunden haben? Es ist jedenfalls auffällig, dass die Wendungen über die Befreiung Gefangener und die Heilung Blinder in 4Q521,2 II 8 einerseits offensichtlich aus Ps 146,7f. übernommen worden sind, andererseits aber auch Übereinstimmungen mit dem LXX-Text von Jes 61,1 aufweisen, im Unterschied zu dessen hebräischer Vorlage. R. Albertz hat nun unter Rückgriff auf die ursprünglichen Aussagezusammenhänge des Tritojesajabuches versucht, die Zitatgestalt in Lk 4,18f. als bewusste Uminterpretation durch den Evangelisten zu erweisen. 20 Durch Auslassung aller heilsgeschichtlichen Bezüge auf Israel und den Zion wolle Lukas „die alttestamentliche Verheißung aus ihrer partikularen Beschränkung befreien, er will sie öffnen über das alte Gottesvolk hinaus“. 21 In der Einfügung 16 Vgl. TRAUGOTT HOLTZ, Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas, TU 104, Berlin 1968, 39–41; BOVON, Lukas (Anm. 15), 211f. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. umfassend JAMES A. SANDERS, From Isaiah 61 to Luke 4, in: Christianity, Judaism and Other Greco-Roman Cults (FS M. Smith), hg. v. JACOB NEUSNER, SJLA 12, Bd. 1, Leiden 1975, 75–106. 17 Vgl. Lk 4,23:   ”œ, ”“  . 18 Vgl. SANDERS, From Isaiah 61 to Luke 4 (Anm. 16), 82f. 19 Anders dann wieder Ps 145,8 LXX: ¦” ››¦. 20 RAINER ALBERTZ, Die „Antrittspredigt“ Jesu im Lukasevangelium auf ihrem alttestamentlichen Hintergrund, ZAW 74, 1983, 182–206. 21 A.a.O., 190.

III

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von Jes 58,6 sieht Albertz, der sozialen Ausrichtung des Textzusammenhangs von Jes 58 entsprechend, einen Hinweis des Evangelisten darauf, „daß die Sendung Jesu auch und gerade diesen sozialen Aspekt umgreift“. Damit habe Lukas durch Streichungen und Einfügungen die schwebende, übertragene Sprache von Jes 61,1f. in soziale Richtung konkretisiert. 22 Versucht man, 4Q521,2 II in die Traditionsgeschichte zwischen Jes 61,1f. und Lk 4,18f. einzuordnen, dann lassen sich einige Aspekte der These von Albertz untermauern, andere modifizieren. In 4Q521,2 II fehlen wie im Jesajazitat in Lk 4,18f. alle auf die Heilsgeschichte Israels und sein endzeitliches Geschick bezogenen Aussagen. 23 Dies zeigt ein Vergleich mit der Rezeption von Jes 61,1 im Zusammenhang mit weiteren Bibelstellen in 11Q13 (Melch). 24 Dort wird zunächst mit Hilfe von Jes 61,1f. die Anordnung der Tora über das Jobeljahr (Lev 25,13; Dtn 15,2) auf die Freilassung der Gefangenen am „Ende der Tage“ gedeutet (II 1–4). Melchisedek wird sodann mit dem Boten identifiziert, der nach Jes 61,1f. den Gefangenen die Freilassung auszurufen hat, und erscheint als eschatologischer Rächer und Retter im Völkergericht, der den Entscheidungskampf der „Heiligen Gottes“ gegen Belial und die „Geister seines Loses“ anführt und mit Unterstützung der „Göttlichen“ bzw. „Söhne Gottes“ den Tag des Friedens für Zion heraufführt (II 5–17). Unter Rückgriff auf Jes 52,7; Dan 9,25f. und erneut Jes 61,2f. wird schließlich ein „Bote“ und „Gesalbter des Geistes“ verheißen, der die Trauernden trösten soll (II 18–20). 25 Eine Verbindung von 4Q521 zu diesem Text könnte man allenfalls im Bezug auf Jes 61,1 in Kombination mit weiteren Stellen aus Jesaja und den Psalmen finden. 26 Weitere sprachliche oder inhaltliche Berührungen zwischen beiden Texten gibt es aber nicht, und die Methode der Pescher-Auslegung, die in 11QMelch klar erkennbar ist, wird in 4Q521 nirgends angewendet. In 4Q521 fehlen zudem alle Aussagen, die den eschatologisch-apokalyptischen Charakter von 11QMelch bestimmen. Auch die Erwartung eines individuellen endzeitlichen Gesalbten finden wir, wie gesehen, in 4Q521 nicht. Gegenüber dem hebräischen Text von Jes 61,1f., der durchgängig das Reden des Freudenboten entfaltet, legt die Fassung des Zitates bei Lukas mit LXX und Jes 58,6 einen stärkeren Akzent auf sein Tun, nach Albertz vor allem auf 22

A.a.O., 198. Die christologisch-messianische Interpretation ergibt sich erst aus dem lukanischen Kontext, vgl. die Verse 21.31.41.43 (s. dazu u.)! 24 Maßgeblich ist jetzt die Edition und Rekonstruktion von ÉMILE PUECH, Notes sur le manuscrit de XIQMelkîsédeq, RdQ 12, 1987, 483–513. 25 Die Identifikation Melchisedeks mit diesem Gesalbten ist aber fraglich. Eher könnte man an den endzeitlichen Propheten aus 1QS IX 11 denken, vgl. FLORENTINO GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften, JBTh 8, 1993, 171–208: 202f.; TIMOTHY H. LIM, 11QMelch, Luke 4 and the Dying Messiah, JJS 43, 1992, 90–92. 26 Keine der übrigen in 11QMelch zitierten Stellen (Lev 25,9.13; Dtn 15,2; Ps 7,8f.; 82,1f.; Jes 52,7; Dan 9,25) hat sich aber in 4Q521 erkennbar niedergeschlagen! 23

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Die Werke des eschatologischen Freudenboten

dessen soziale Konkretion. Schon in 4Q521,2 II tritt aber diese konkrete Ausrichtung des Tuns auf die Kranken, Hilfsbedürftigen und sozial Schwachen noch sehr viel deutlicher hervor. Dass dabei Interpretationslinien wirksam werden, die Jes 61,1f. von Texten wie Jes 58,1–12 her verstehen, lässt sich besonders in den Zeilen 8 27 und 13 28 beobachten. Dass im Dienste einer klar profilierten Aussage Wendungen aus verschiedenen Bibelstellen zusammengezogen werden können, zeigt gerade 4Q521,2 II. Die ganz unterschiedlichen Satzstrukturen der ursprünglichen Textzusammenhänge bilden dabei kein Hindernis. So werden die beschriebenen Taten kaum dadurch verändert, dass das Subjekt des Handelns nach dem jeweiligen Kontext in Jes 61,1f. der Freudenbote, in Jes 58,6 der gerecht handelnde Mensch, in 4Q521,2 II 8.12f. Gott und in Lk 4,18f. Jesus ist. 4Q521,2 II belegt somit, dass die Befunde, die sich bei der Untersuchung der Textgestalt des Jesajazitates in Lk 4,18f. ergeben, ganz ähnlich schon für den Umgang mit der Schrift im Frühjudentum geltend gemacht werden können. Zwischen die ursprünglichen biblischen Aussagezusammenhänge und die Aufnahme von Schriftzitaten im Neuen Testament tritt damit als dritte zu berücksichtigende Größe die freie, mosaikartige Rezeption biblischer Wendungen in frühjüdischen Texten. Sie kann zwar nicht unmittelbar den Wortlaut des Jesajazitates in Lk 4,18f. erklären, aber doch vielleicht das Milieu erhellen, in dem er zustande gekommen sein mag. Dass Lukas selbst ihn erst gebildet haben sollte, scheint mir demgegenüber weniger wahrscheinlich. 29 Das Prophetenwort von dem endzeitlichen Freudenboten entsprach gerade in der durch 4Q521,2 II repräsentierten Gestalt seiner frühjüdischen Rezeption der Darstellungsabsicht des Lukas. Indem der Evangelist den Auftritt Jesu im Synagogengottesdienst und seine Auslegung des Jesajawortes an den Beginn seiner Erzählung stellt, rückt er das gesamte Wirken Jesu in Wort und Tat unter dieses Leitwort der Schrift. Erst aus diesem erzählerischen Zusammenhang wird die Bedeutung der Kurzpredigt Jesu zu Jes 61,1f. deutlich: „Heute ist diese Schrift erfüllt worden vor euren Ohren.“ Eine christologische Deutung dieses Geschehens und damit eine messianische Prädikation Jesu ist aber zunächst weder durch das Zitat und die mit ihm verbundenen Vorstellungen traditionell vorgegeben noch durch Jesu Deutung auf die Gegenwart schon explizit ausgesprochen. Sie erfolgt erst im Rückblick auf den Anfang des Wirkens Jesu in Galiläa am Ende des gesamten Erzählzusammenhangs Lk 4,14–44 (vgl. V. 41.43).

27

Vgl. Jes 58,6. Vgl. Jes 58,7.10.11; vgl. auch zu Zeile 10 Jes 58,8 und zu Zeile 4 Jes 58,9. 29 Verschiedene, wenig überzeugende Erklärungsversuche für die Gestaltung des Zitats bei Lukas diskutiert KORN, Die Geschichte Jesu in veränderter Zeit (Anm. 15), 68–78. 28

IV

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IV IV Die Petrusrede im Haus des Kornelius (Apg 10,34–43), die die entscheidenden Inhalte der urchristlichen Jesusverkündigung zusammenfasst, mündet in der Berufung auf „alle Propheten“, die „bezeugen, … dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen“ (V. 43). 30 Dieser generelle Anspruch auf die Propheten als Zeugen für das Christusgeschehen wird implizit auch dadurch erhoben, dass die Aussagen über den Weg Jesu durchsetzt sind mit biblischen Wendungen. Ohne dass dies durch Zitate nachgewiesen werden müsste, erscheint so Jesus als der von den Propheten verheißene Heilsbote der Endzeit. Ein solcher Umgang mit der Schrift, bei dem verschiedene Wendungen und Vorstellungen aus verschiedenen Teilen und Texten der Bibel zu einem neuen, bewusst gestalteten Text verbunden werden, steht in Analogie zum Schriftgebrauch in 4Q521,2 II und anderen frühjüdischen Texten. Im Einzelnen ergibt die Untersuchung der biblischen Wendungen in Apg 10,34–43 zahlreiche Querverbindungen sowohl zu 4Q521,2 II als auch zu 11QMelch. Alle Bibelstellen, die in Apg 10,34–43 durchscheinen, stehen auch in 4Q521,2 II und 11QMelch im Hintergrund. Von fast allen biblischen Wendungen der Petruspredigt her lassen sich Beziehungen zu beiden Texten herstellen. Die zwei Ausnahmen betreffen jeweils charakteristische Ausprägungen der betreffenden frühjüdischen Texte: In 11QMelch gibt es keine Aussagen zu endzeitlichen Heilungswundern, und in 4Q521,2 II fehlt die Ankündigung eines endzeitlichen (messianischen) Richters. In Apg 10,34–43 finden wir beides. Das muss nicht bedeuten, dass die beiden hier herangezogenen frühjüdischen Texte traditionsgeschichtliche Vorstufen für den neutestamentlichen darstellen. Man könnte aber vielleicht sagen: In der Deutung des Christusgeschehens in Apg 10,34–43 werden zwei verschiedene frühjüdische Interpretationslinien biblischer Endzeiterwartungen zusammengeführt, die Hoffnung auf Gottes eschatologische Heilstaten, die u.a. durch 4Q521,2 II repräsentiert wird, und die Erwartung eines endzeitlich-messianischen Richters, wie wir sie z.B. in 11QMelch II finden. Mit einem solchen Urteil würde erneut zum Ausdruck gebracht, dass die Aussagen der Schrift über ihre Rezeption im Frühjudentum Eingang in das neutestamentliche Christuszeugnis gefunden haben. 31

30

Auf Querverbindungen zwischen Apg 10,36–38, Lk 4,18f. und 7,22 auf der Ebene lukanischer Theologie verweist KORN, a.a.O., 236–238. 31 Von hier aus wäre m. E. ein Urteil wie das von RUDOLF PESCH, Die Apostelgeschichte, Teilbd. 1: Apg 1–12, EKK V/1, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1986, 342f. („Der Vers basiert auf einer Auslegung von Ps 107,20 …, die in 37–38 fortgeführt wird, und Jes 52,7“), zu modifizieren und zu präzisieren.

Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte Überlegungen in Anknüpfung an Herder 1 1. Im Mittelpunkt (der Geschichte) steht der Mensch 1. Im Mittelpunkt (der Geschichte) steht der Mensch „Ist nicht der Mensch der eigentliche Gegenstand der Geschichte?“ Der so fragt und seine eigene „Frage nach dem Menschen in der Geschichte“ in einem großen Durchblick von den Griechen über das biblische Menschenbild, das des Idealismus und der Romantik bis in die Romanliteratur des 20. Jahrhunderts hinein zu beantworten sucht, ist Rudolf Bultmann. 2 In einer Vorlesungsreihe, als „Gifford Lectures“ im Jahre 1955 in Edinburgh gehalten, hatte Bultmann Grundfragen von Geschichte und Eschatologie reflektiert und dabei einen bemerkenswert weiten Horizont abendländischer Geistesgeschichte durchschritten. Am Ende dieses Durchgangs kommt Bultmann wieder bei seinem Ausgangspunkt an, der Erfahrung, „daß heute dem Menschen seine Geschichtlichkeit besonders empfindlich zum Bewußtsein gebracht worden ist; seine Geschichtlichkeit in dem Sinne, daß er sich als an den Gang der Geschichte ausgeliefert weiß“. 3 Den Abschluss seiner Reflexionen stellt Bultmann unter die Überschrift „Christlicher Glaube und Geschichte“. 4 Die „Frage nach dem Sinn der Geschichte“, „nach dem eigentlichen Wesen der Geschichte“, meint er jetzt klar beantworten zu können: „Was ist der Kern der Geschichte? Was ist das eigentliche Subjekt der Geschichte? Die Antwortet lautet: Der Mensch.“ 5 Das Eigentümliche des christlichen Glaubens liege darin, ein radikales Verständnis der Geschichtlichkeit entwickelt zu haben. 6 Der Mensch erfahre sich als geschichtlich, indem er sich im Spannungsfeld von Freiheit, Verantwortung und Entscheidung vorfinde. Christliche Existenz sei dadurch bestimmt, „daß der Glaubende der Welt entnommen ist, als gleichsam Entweltlichter existiert, und daß er zugleich innerhalb der Welt, innerhalb seiner Geschichtlichkeit bleibt … Grundsätzlich bietet die Zukunft dem Menschen stets das Geschenk seiner

1 Der Beitrag ist entstanden im Zusammenhang einer Ringvorlesung der Theologischen Fakultät Jena zum Herder-Jahr im Wintersemester 2003/04. 2 RUDOLF BULTMANN, Geschichte und Eschatologie, Tübingen 31979, 102. 3 A.a.O., 1. 4 A.a.O., 164–184. 5 A.a.O., 164f. 6 A.a.O., 178.

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Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte

Freiheit an. Christlicher Glaube ist die Kraft, dieses Geschenk jeweils zu ergreifen. Die Freiheit des Menschen von sich selbst, die die göttliche Gnade schenkt, realisiert sich stets in der Freiheit der geschichtlichen Entscheidung.“ 7 „Die Paradoxie, daß die christliche Existenz gleichzeitig eine eschatologische, unweltliche, und eine geschichtliche ist, ist gleichbedeutend mit dem lutherischen Satz: Simul iustus simul peccator. Im Glauben hat der Christ den Standpunkt jenseits der Geschichte gewonnen, den Jaspers und andere zu finden versuchen, aber nicht als einer, der der Geschichte entnommen ist.“ 8 Und am Ende appelliert Bultmann an den Leser, der nach dem Sinn der Geschichte sucht, wie ein Erweckungsprediger: „Schau nicht um dich in die Universalgeschichte; vielmehr mußt du in deine eigene persönliche Geschichte blicken. Je in deiner Gegenwart liegt der Sinn der Geschichte, und du kannst ihn nicht als Zuschauer sehen, sondern nur in deinen verantwortlichen Entscheidungen. In jedem Augenblick schlummert die Möglichkeit, der eschatologische Augenblick zu sein. Du mußt ihn erwecken.“ 9 Warum dieser Einsatz mit Bultmann? Warum Bultmann, wenn es um biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte gehen soll? Warum Bultmann, wenn es im Zusammenhang dieses Themas um Herder gehen soll? Nun, mir sind bei meiner zugegebenermaßen rudimentären Lektüre zu Herders Geschichtsphilosophie einige Parallelen zwischen Herder und Bultmann aufgefallen, die den Ausgangspunkt für meine eigenen Überlegungen abgeben sollen. Bultmann selbst geht übrigens in seinen Vorlesungen auf Herder mehrmals explizit ein, zuerst nur kurz, wenn er bei seinem Überblick über „Das Problem von Geschichte und Geschichtlichkeit“ Herder als denjenigen nennt, der „die menschliche Geschichte als Naturgeschichte verstanden“ habe, 10 etwas ausführlicher dann bei der Darstellung neuzeitlicher Geschichtsverständnisse; 11 aber auch hier beschränkt sich Bultmann darauf festzustellen, Herder habe die Menschheitsgeschichte auf die Naturgeschichte reduziert. Sehr viel eingehender und differenzierter hat Hans-Joachim Kraus in seinen beiden Monographien zur Forschungsgeschichte des Alten Testaments die Geschichtsauffassungen Herders dargestellt und im Zusammenhang mit seiner Sicht von Offenbarung und Heiliger Schrift beurteilt. 12 Demnach habe Herder 7

A.a.O., 181f. A.a.O., 183f. 9 A.a.O., 184. 10 A.a.O., 11. 11 A.a.O., 91–94. 12 HANS-JOACHIM KRAUS, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments von der Reformation bis zur Gegenwart, Neukirchen 1956, 103–119; DERS., Die Biblische Theologie. Ihre Geschichte und Problematik, Neukirchen-Vluyn 1970 (= Berlin 1973), 203–207. Im Wesentlichen auf seine Bedeutung für die Evangelienexegese begrenzt ist die Würdigung Herders bei WERNER G. KÜMMEL, Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, Freiburg/München 1958 (21970), 94–99. Eine umfassende 8

1. Im Mittelpunkt (der Geschichte) steht der Mensch

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in der Bibel vor allem das Menschliche gesucht, das sich in der biblischen Geschichte offenbare. Wenn die Vernunft dem Schöpfungs- und Geschichtsplan Gottes nachgehe, könne sie der Geschichte des menschlichen Geschlechts auf die Spur kommen. Die biblische Heilsökonomie sei „in dieses geschichtsphilosophisch eröffnete Universum und seine Geschichte … eingebettet“. 13 Universalgeschichte und Menschheitsgeschichte seien also die geschichtsphilosophischen Hauptinteressen Herders und lassen ihn letztlich doch in den Spuren der Aufklärung denken. Immerhin habe er, wie Kraus besonders in seiner zweiten Monographie herausarbeitet, offenbar unter dem Einfluss von Hamann im Unterschied zu Lessing „die biblische Heilsgeschichte nicht als übersehbares, abrogiertes oder gar abgeschlossenes Phänomen“ betrachtet. Vielmehr habe er als Theologe die Unabgeschlossenheit der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel sehr wohl gewürdigt. Unerfindlich und unvergleichlich sei die Geschichte des Gottesvolkes. „Wie ein erratischer Block liegt sie in der Weltgeschichte – rätselhaft und unüberschaubar in ihren Wegen, unabsehbar in ihren Zielen.“ 14 Auch Eilert Herms hat sich zu den Zusammenhängen von Menschheitsgeschichte, Universalgeschichte und biblischer Geschichte bei Herder geäußert, wobei er, seinen eigenen Reflexionsinteressen folgend, besonders auf das Problem von Erkenntnistheorie und Offenbarung näher eingeht. 15 Offenbarung sei für Herder so etwas wie die „Erziehung des Menschengeschlechts“, aber eben nicht, wie in der Aufklärung, allein nach den Kriterien der erkennenden Vernunft, die sich, wenn nötig, auch gegenüber der Offenbarung in der Heiligen Schrift durchzusetzen habe, sondern im Zusammenspiel von Offenbarung und Vernunft: „Die Sprache der Tatsachen der Natur und des Gewissens und die Sprache der Tatsachen des Traditionsgeschehens sind aufeinander angewiesen; das Buch der Natur wird erst durch die Tradition erschlossen“, 16 wobei Darstellung zu Herder als Ausleger des Neuen Testaments, insbesondere der Evangelien, bietet jetzt JÖRG FREY, Herder und die Evangelien, in: MARTIN KESSLER/VOLKER LEPPIN (Hg.), Johann Gottfried Herder. Aspekte seines Lebenswerkes, Berlin/New York 2005, 47– 91. Vgl. auch die weiteren einschlägigen Beiträge in diesem Band, die freilich für unsere Darstellung nicht mehr berücksichtigt werden konnten: RUDOLF SMEND, Herder und die Bibel, a.a.O., 1–14; CHRISTOPH BULTMANN, Bewunderung oder Entzauberung? Johann Gottfried Herders Blick auf Mose, a.a.O., 15–28; GERHARD SAUDER, Altes Testament – neue Literatur der siebziger Jahre, a.a.O., 29–45. 13 KRAUS, Biblische Theologie (Anm. 12), 205. 14 A.a.O., 206. 15 EILERT HERMS, Art. Herder, Johann Gottfried von (1744–1803), TRE 15, 1985, 70– 95. Instruktiv, aber für unser Thema nicht näher relevant sind auch die folgenden neueren Lexikonartikel: HANS D. IRMSCHER, Art. Herder, Johann Gottfried, RGG4 3, 2000, 1641– 1645; GERHARD SAUDER, Art. Herder, Johann Gottfried v., LThK3 4, 1995, 1436–1437; FRIEDRICH W. BAUTZ, Art. Herder, Johann Gottfried, BBKL 2, 1990, 738–745 (Lit.!); vgl. auch noch MARTIN REDEKER, Art. Herder, Johann Gottfried, RGG3 3, 1959, 235–239. 16 HERMS, Herder (Anm. 15), 83.

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Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte

Tradition hier für die biblisch überlieferte Geschichte der Menschheit steht. Nicht aus der Natur allein also kann mit den Mitteln der Vernunft Wesen und Ziel der Menschheitsgeschichte erkannt werden. Vielmehr sei für Herder die Heilige Schrift urkundliches Zeugnis geschehener Offenbarung. „Ihre Autorität gründet für Herder darin, daß sie ‚menschlich‘ verstanden ist als zum menschlichen Herzen sprechende ‚Geschichte‘ … der im Leben Jesu vollendet auftretenden ‚Humanität‘ …“. Insofern sei Herders Dogmatik „‚Philosophie aus … der Bibel‘“, „eine sich im historisch-philologischen Studium der biblischen Tradition und der Dogmengeschichte … entzündende freie Einsicht … in die ‚edelsten Wahrheiten des Menschengeschlechts, seine Geistes- und ewige Glückseligkeit betreffend‘“. 17 Der Verweis auf den Menschen als Gegenstand und Kriterium der Geschichte hat sich somit bisher als verbindendes Element der Gedanken zur Geschichte mit Blick auf Herder herausgeschält. Bei Bultmann ging es um den Einzelnen im Moment der Entscheidung angesichts der Gegenwart des Eschaton. Aus der Frage nach dem Menschen in der Geschichte wird beim ihm das Existential der Geschichtlichkeit. Hans-Joachim Kraus hat darauf hingewiesen, dass sich Herders Blickwinkel von der biblischen Heilsökonomie zur Universalgeschichte des Menschengeschlechts weitet. Für Eilert Herms erschließt sich nach Herder im Zusammenspiel von biblischer Tradition und freier Einsicht des Menschen die Offenbarung des Menschlichen, der höchsten Stufe der Humanität, im Leben Jesu. Damit haben wir diejenigen Gesichtspunkte eingeführt, die uns im Folgenden beim Blick auf ganz andere Text- und Denkwelten, biblische nämlich, begleiten sollen, wenngleich die Begriffe Geschichte, Geschichtlichkeit, Existenz, Natur, Vernunft in diesen Textwelten nicht beheimatet sind und auch nur schwer heimisch gemacht werden könnten. Wir wollen im zweiten Teil unserer Überlegungen eine Reihe von alttestamentlichen, frühjüdischen und neutestamentlichen Texten in den Blick nehmen, in denen je auf verschiedene Weise biblische Geschichte geschrieben, ja, geradezu konstruiert wird. Dabei fragen wir, ob es Merkmale einer Rede von Geschichte gibt, die als spezifisch ‚biblisch‘ bezeichnet werden kann in dem Sinne, dass daraus Konturen des biblischen Zeugnisses von Offenbarung und Geschichte abgeleitet werden können. Im letzten Teil werden wir dann an einem populären Beispiel aus dem 18. Jh. zeigen, wie dieses biblische Zeugnis in einer Weise neu zur Sprache gebracht wurde, die bis in unsere Tage wirksam geblieben ist.

17

HERMS, a.a.O., 89f.

2. Gott und sein Volk

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2. Gott und sein Volk 2. Gott und sein Volk In überaus vielfältiger Weise kommt in Texten der biblisch-jüdischen Überlieferung der Antike die Geschichte Israels zur Sprache. 18 Auch das Neue Testament partizipiert an dieser breit belegten Tradition. Eine relativ umfassend angelegte neuere Untersuchung von Joachim Jeska zu den Rekursen auf die Geschichte Israels in der Apostelgeschichte 19 konnte sich hinsichtlich der frühjüdischen Belege ganz auf so genannte Geschichtssummarien beschränken und brauchte weitere einschlägige Texte wie die ebenfalls zahlreich belegten Reihen biblischer Paradigmen oder die frühjüdischen Nacherzählungen biblischer Geschichte nur zu erwähnen. Selbst aus den von Jeska behandelten Texten wollen wir hier wiederum nur ein paar charakteristische Beispiele herausgreifen. 2.1 Biblische und frühjüdische Geschichtssummarien Der Geschichtspsalm Ps 78,5–72, eine lehrhafte Dichtung, umfasst die Zeit vom Exodus bis zu David und dem Bau des Tempels unter Salomo. Erwähnt werden der Auszug aus Ägypten, das Schilfmeerwunder, der Wüstenzug, der Einzug in das gelobte Land, die Richterzeit und schließlich die Erwählung des Zion und Davids. Zur zentralen Intention dieses Geschichtssummariums meint Jeska: „Im Mittelpunkt stehen die guten Taten und Gaben Gottes zugunsten des Volkes Israel sowie die Treulosigkeit des Volkes.“ 20 In Jdt 5,6–19 wird die Ansprache des assyrischen Heerführers Achior wiedergegeben, die als Lehrrede gestaltet ist. Der hier erfasste Zeitraum reicht von den Ursprüngen Israels in Chaldäa bis zu seiner Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Der Auszug Abrahams aus Chaldäa und sein Einzug in Kanaan stehen am Beginn der Reihe. Es folgen der Zug nach Ägypten wegen einer Hungersnot, die Unterdrückung in Ägypten, der Exodus und das Schilfmeerwunder, die Wanderung Israels zum Sinai und durch die Wüste, die Landnahme, schließlich das babylonische Exil und die Zerstörung des Tempels sowie die Rückkehr der Verbannten nach Jerusalem. Als Schwerpunkt dieses Summariums stellt Jeska heraus: „Die Geschichtsdarstellung … ist durch den wechselhaften Prozeß von Erwerb und Verlust des Landes Kanaan durch das Volk Israel strukturiert, und das zentrale Thema ist der Aufweis der Macht des Volkes Israel durch Hinwendung zum ‚Gott des Himmels‘.“ 21

18 Vgl. dazu ROBERT G. HALL, Revealed Histories. Techniques for Ancient Jewish and Christian Historiography, JSPE.S 6, Sheffield 1991. 19 JOACHIM JESKA, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas. Apg 7,2b–53 und 13,17–25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels, FRLANT 195, Göttingen 2001. 20 A.a.O., 47. 21 A.a.O., 48.

Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte

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1Makk 2,52–60 gibt die Abschiedsrede des Mattatias vor seinen Söhnen wieder, gehört also zur Gattung der testamentarischen Mahnrede. Die hier dargestellte Zeit der Geschichte Israels reicht von Abraham bis zu Daniel und erwähnt nacheinander die Prüfung Abrahams, Josefs Geschick in Ägypten, die Erzählung vom Eifer des Pinhas, weiter Josua, Kaleb, David und Elija sowie schließlich die drei Freunde Hananja, Asarja, Mischael und Daniel. Zu den Auswahlkriterien dieser Reihe stellt Jeska fest: „Nur solche Beispiele werden ausgewählt, die mit Gesetzeseifer oder Hingabe für den Bund verknüpft werden können (z.B. Isaak, Jakob, Saul und Salomo werden ausgelassen) … Sie sind Beispiel für eigenes Tun bzw. eine bestimmte Haltung und Beispiel für den Empfang von Gottes Gaben.“ 22 In CD II,17b–IV,12a findet sich die anonyme Lehrrede eines Lehrers an die Bundesmitglieder, die bei der biblischen Urgeschichte vom Fall der Engel anhebt und bis zur eschatologisch gedeuteten Gegenwart der Gemeinde des Bundes „im Lande Damaskus“ reicht. Nach dem Fall der Wächterengel nach Gen 6,1–4 werden die Söhne Noachs erwähnt, danach Abraham, Isaak, Jakob, Jakobs Söhne, Israel in Ägypten, das Ende des Wüstenzuges in Kadesch (vgl. Num 32,8) sowie am Ende summarisch die Könige und „Helden“ und implizit das Gericht Gottes über sie durch Ausrottung der Königsgeschlechter und Verwüstung des Landes, wohl eine implizite Bezugnahme auf die Zerstörung Jerusalems und das babylonische Exil. Hier ist nach Jeska eine deutlich paränetische Tendenz erkennbar: „Das falsche Verhalten und dessen Konsequenzen sind … Thema des ersten Teils … Im zweiten Teil … steht das Geschick derer im Mittelpunkt, ‚die an den Geboten Gottes festhalten‘ … und mit denen Gott den ewigen Bund aufrichtet … Ziel des SGI ist es folglich, Beispiele für das Abirren von Gottes Willen und das Verlassen des Bundes ebenso aufzuzeigen wie Beispiele für das gottgemäße Verhalten durch die Bewahrung von Gesetz und Tempel. Zugleich wird damit eine Distanzierung von den ‚zuerst in den Bund Eingetretenen‘ deutlich, und die Legitimität der Bundeszugehörigkeit der Gesetzestreuen erwiesen, die als Nachfahren von Abraham, Isaak und Jakob dargestellt werden.“ 23 Josephus gibt in Bell 5,379–412 seine eigene Rede auf den Mauern des belagerten Jerusalem wieder. Auch dieser Text lässt sich der Gattung testamentarische Lehr- und Mahnrede zuordnen. Der Inhalt der Rede reicht von der Zeit Abrahams bis zu Herodes dem Großen. Erwähnt werden der Reihe nach die Gefährdung Saras, die Unterdrückung Israels in Ägypten und die ägyptischen Plagen, der Raub der Bundeslade, die Rettung Israels vor Sanherib, das babylonische Exil und die Rückkehr der Israeliten auf Befehl des Kyros. Als negative Ereignisse nennt Josephus dann das Geschick Jeremias in den letzten Tagen Jerusalems, die Eroberung und Zerstörung Jerusalems unter Antiochus IV. 22 23

A.a.O., 50. A.a.O., 52f.

2. Gott und sein Volk

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Epiphanes, die Niederlage von Aristobul und Hyrkanos gegen Pompejus, das Ende des Antigonos sowie Herodes und den römischen Feldherrn Sossius. Jeska resümiert: „Im ersten Teil werden Beispiele für Gottes rettendes Handeln bei Waffenlosigkeit aufgezeigt … im zweiten Teil Beispiele für das Verderben des Volkes Israel bei Waffenanwendung“. 24 Das „Lob der Väter“ in Sir 44,3–50,21, ein Geschichtssummarium in hymnischer Gestalt, erfasst den Zeitraum von Henoch bis zum Hohenpriester Simon II. Zur Sprache kommen Henoch, Noach, Abraham, Isaak und Jakob, Mose, Aaron, Pinhas, Josua, Kaleb, die Richter, Samuel, Natan, David, Salomo, Rehabeam, Jerobeam, Elija, Elischa, Hiskija, Jesaja, Josija, Serubbabel und der Hohepriester Josua sowie, als Höhe- und Zielpunkt, Simon der Gerechte. „Nur sekundär ist der Verfasser am Volk Israel und an anderen Völkern interessiert, im Mittelpunkt stehen positiv und negativ skizzierte Personen … Sie sind ausgezeichnet durch Gottwohlgefälligkeit, (Gesetzes)Treue, Bundespartnerschaft sowie Heldenhaftigkeit und fungieren als Vorbilder für solches Verhalten.“ 25 Die Tierapokalypse 1Hen 85,3–90,38 bringt in Gestalt eines Visionsberichtes den Zeitraum von Adam bis zum Eschaton zur Sprache. Sie beginnt mit den biblischen Urgeschichten, Adam und Eva, dem Engelfall, der Sintflut und Noach, setzt sich fort im Exodus, der Wüstenwanderung, der Gesetzgebung am Sinai und der Landnahme, umfasst die Richter- und Königszeit bis zum Tempelbau und die Reichsteilung bis zur Zerstörung Jerusalems, das Exil und die Rückkehr der Verbannten, die Zeit von Kyros bis zu Alexander dem Großen und von Alexander bis zur Seleukidenherrschaft, dann die Makkabäerzeit, schließlich den letzten Angriff der Heiden, das Endgericht und die messianische Zeit. „Die Geschichte Israels wird dabei nicht als Teil der Weltgeschichte dargestellt, sondern die Weltgeschichte wird aus der Perspektive Israels erzählt … Die Beschreibung der eschatologischen Ereignisse zielt schließlich auf ein positives Ende für die gerechten, mißhandelten und zerstreuten Juden und die nicht im Gericht umgekommenen Heiden.“ 26 Die Wolkenvision des Baruch erfährt in 2Bar 56,2–74,4 ihre Deutung durch einen angelus interpres, die den Zeitraum von der Schöpfung bis in die eschatologische Zeit umfasst. Zur Sprache kommen die Schöpfung, Adam, der Fall der Wächter, die Sintflut, die Erzväter, Israels Unterdrückung in Ägypten, der Exodus mit Mose, Aaron, Mirjam, Josua und Kaleb, die Richterzeit, die Könige David und Salomo, der Tempelbau, Jerobeam, Isebel, das Ende des Nordreiches, Hiskija und die Rettung vor Sanherib, Manasse, Josija, die Zerstörung und Wiederherstellung Jerusalems und am Ende das Völkergericht und das

24

A.a.O., 54. A.a.O., 71. 26 A.a.O., 76. 25

Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte

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Weltende. Jeska stellt dazu heraus: „Charakteristisch ist die göttliche Festlegung der Gesamtdauer der Weltzeit … und der stete Wechsel zwischen einer guten und einer negativen Periode …, wobei weniger Geschichtsetappen im Vordergrund stehen als vielmehr Personen. Der Wechsel von Gut und Böse bestimmt die Stoffauswahl und die Darstellung“. 27 Schon an dieser begrenzten Auswahl von Belegen ist deutlich geworden, dass der Rückgriff auf die Geschichte Israels im Frühjudentum sich nicht auf ein vorgegebenes, in seinen Bestandteilen festgelegtes Schema oder gar auf eine literarisch fixierte Vorlage stützen konnte oder wollte. Vielmehr wird die Vergangenheit des Gottesvolkes in immer neuen Varianten, nach immer wieder anderen Ordnungsprinzipien, mit stets verschiedenen Schwerpunkten und in jeweils eigenständiger Auswahl dargestellt. Auch Anfang und Ende dieser Geschichte werden kaum einmal in zwei Texten durch dieselben Ereignisse bezeichnet. Dies ist nun gerade deshalb auffällig, weil der Stoff der Geschichtssummarien offenkundig so gut wie ausschließlich aus den biblischen Schriften entnommen werden musste. Selbst der Geschichtsschreiber Flavius Josephus verfügte ja für die weitaus größte Spanne der jüdischen Geschichte über keinerlei von der Bibel unabhängige Quellen. So kommt die große Variabilität der Geschichtsrückblicke in erster Linie durch die Stoffauswahl aus vorgegebenen biblischen Überlieferungen zustande, darüber hinaus dann auch durch verschiedene Prinzipien der Anordnung und Verknüpfung der erwähnten Geschichtsphasen bzw. Ereignisse, schließlich noch durch die gewählte Textgattung und die stilistischen Gestaltungsmittel. Ebenso wenig wie die Inhalte sind die sprachlichen Formen und literarischen Gattungen der Geschichtsrückblicke festgelegt. Wir finden poetische und prosaische Texte, Lieder und Erzählungen, Gebete und Mahnreden. Die sprachliche Gestaltung richtet sich also nicht in erster Linie nach dem Thema, der Wiedergabe der Geschichte Israels, sondern viel stärker nach der jeweiligen Aussageintention der Schrift. Die Suche nach einer aus den jeweiligen literarischen Kontexten isolierbaren oder formgeschichtlich rekonstruierbaren Idealgestalt der Gattung ‚Geschichtssummarium‘ wäre also nicht nur aussichtslos, sondern auch methodisch verfehlt, erst recht der Versuch, auf diese Weise zu einem ‚historischen Kern‘ dieser Geschichte vorzudringen. Geschichte wird hier vielmehr jeweils neu konstruiert. „Die Vergangenheit wird ‚nicht um ihrer selbst willen‘ erinnert. Geschichte wird … in Dienst genommen und soll nicht einfach dokumentiert oder archiviert werden.“ 28 Auch die Konzeptionen, Intentionen und Kriterien der Deutung der Geschichte Israels in den frühjüdischen Geschichtssummarien lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Eine Geschichtstheologie des Frühjudentums gibt es 27 28

A.a.O., 79. A.a.O., 255.

2. Gott und sein Volk

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ebenso wenig wie ein frühjüdisches Gesetzesverständnis! Da finden wir Deutungsmodelle nach dem Muster des deuteronomistischen Geschichtsbildes neben Texten, die der Toraparänese zuzurechnen sind, apokalyptische Schemata neben enkomienartigen Schilderungen der Heilsgeschichte Israels, Gebetsparänesen neben hymnischen Geschichtsrückblicken, Klagelieder neben Lobgesängen. Schließlich lässt sich auch die Art des Gegenwartsbezuges der Geschichtsdarstellungen nicht auf eine Formel bringen. Manche Texte wählen einen fiktiven Blickwinkel in irgendeiner vergangenen Phase der Geschichte Israels, z.B. der biblischen Urgeschichte (Henoch) oder der exilisch-nachexilischen Zeit (Baruch, Esra). Die Autoren solcher Texte verwenden in der Regel biblische Pseudonyme und konstruieren auf diese Weise biblisch überlieferte Geschichte auf zwei Ebenen gleichzeitig, einer erzählten und einer fiktiv gegenwärtigen Zeitebene, zu der die reale Gegenwart von Autoren und Adressaten als dritte Referenzebene tritt. Andere Texte führen den Geschichtsrückblick bis in die reale Gegenwart ihrer Verfasser bzw. darüber hinaus bis in die unmittelbar bevorstehende Endzeit hinein, können ihn aber zugleich durchaus entweder in der biblisch erzählten Volksgeschichte Israels einsetzen lassen oder aber in einer mythisch-urzeitlichen Kosmologie. Trotz all dieser Vielfalt gibt es nun aber auch einige Merkmale, die sich, wenn auch in unterschiedlichster sprachlicher Gestaltung, immer wieder finden. Eines habe ich bereits erwähnt: Die völlige Abhängigkeit von den biblisch überlieferten Erzählinhalten der Geschichte Israels. Mit ihr hängen bestimmte Grundlinien der Deutung biblischer Geschichte zusammen. So bleibt es etwa bis in die radikalsten Aussagen apokalyptischer Geschichtsschemata hinein unbestritten, dass der Gott Israels Herr der Geschichte ist, selbst wenn es bisweilen den Anschein hat, als herrsche von Adam her ein Verhängnis der Sünde über der Menschheit. Ein wirklicher Dualismus von Gut und Böse, Geistern des Lichts und der Finsternis, himmlischen und irdischen Kräften ist im Rahmen biblischen Glaubens an den einen Gott Israels, der Schöpfer der Welt und Richter der Völker ist, nicht zu denken. Ebenso wenig kann biblische Geschichte im Frühjudentum unter Absehung von der besonderen Beziehung zwischen Gott und seinem Volk Israel dargestellt werden. Auch hier sind die Vorgaben aus der Schrift eindeutig. Die Freiheit zur Konstruktion von Geschichte findet ihre Grenze an der exklusiven Bindung des Gottes Israels an sein Volk. Der Rekurs vom biblischen Gottesglauben her auf die Schöpfung der Welt und ihre Vollendung im Eschaton kann zwar sehr wohl alle Völker auf Erden und jede für den Menschen denkbare Zeit in sich einschließen, nicht aber die einzigartige Bundesbeziehung zwischen Gott und Israel aufheben. Eine ‚Universalgeschichte‘ in diesem Sinne wäre schlicht unbiblisch! Schließlich muss der Geschichtsbezug der frühjüdischen Geschichtssummarien noch in einem präziseren Sinn beleuchtet werden. Es fällt auf, dass bei

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Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte

aller Variabilität die Prinzipien einer fortlaufenden Abfolge der Geschichte Israels gewahrt bleiben. Die biblische Geschichte Israels hat prinzipiell linearfortlaufenden, nicht punktuell-existentiellen Charakter, auch wenn sie als fiktionale Geschichte konstruiert wird. Von den Vorgaben der biblischen Überlieferung her ist das keineswegs selbstverständlich. Die Gestalt der Schriften Israels in frühjüdischer Zeit legte einen kontinuierlichen, linearen Verlauf der Geschichte nicht unbedingt nahe. Die Kontinuität von biblischer Urgeschichte und Volksgeschichte Israels muss in der Genesis erst durch Genealogien künstlich hergestellt werden. Diskontinuitäten zwischen den Erzvätergeschichten und der Exodusüberlieferung ließen sich im narrativen Gerüst des Pentateuch nur mühsam verdecken und konnten dem biblischen Leser auch in frühjüdischer Zeit nicht verborgen bleiben. Auch die Sammlung der Prophetenbücher war offenbar nicht von Anfang an chronologisch angelegt, und neben den in der Tora überlieferten Geschichtsentwurf trat ein weiterer in den „Schriften“, der durchaus nicht deckungsgleich mit dem ersten war. Offenbar entspricht gleichwohl dem linearen Verlauf des ‚Weltverständnisses‘ im Glauben Israels von der Schöpfung bis zur eschatologischen Vollendung auch ein lineares Verständnis des Verlaufs der biblischen Geschichte. Die innere Bindung von Glaube und Geschichte scheint mir von daher ein spezifisches Merkmal biblischen Gottes- und Geschichtsverständnisses zu sein. 2.2 Geschichte Israels und Jesus-Christus-Geschichte im Neuen Testament Mit diesen zuletzt herausgearbeiteten Merkmalen biblischen Geschichtsverständnisses treten wir nun an einige neutestamentliche Texte heran, die ebenfalls biblische Geschichte zur Sprache bringen. Auch hier können wir nur eine enge Auswahl von Texten in den Blick nehmen, wobei wir uns auf solche konzentrieren, die auf die Jesus-Christus-Geschichte zugespitzt sind. Beginnen wir mit einem Blick auf die beiden Stammbäume Jesu, Mt 1,2–17 und Lk 3,23–38. 29 Dass Genealogien langweilig sind, kann nur behaupten, wer keinen Sinn für die Spannungen und Untiefen biblischer Geschichtsschreibung hat. Beide neutestamentlichen Stammbäume Jesu jedenfalls knistern geradezu von solcher Spannung. Da behauptet Matthäus, das „Buch vom Ursprung Jesu Christi, des Davidssohnes, des Abrahamssohnes“ (Mt 1,1) zu schreiben, und dann schreibt er in diese Ursprungsgeschichte des Messias gleich eine ganze

29 Vgl. dazu als Überblick ROBERT OBERFORCHER, Die jüdische Wurzel des Messias Jesus aus Nazaret. Die Genealogien Jesu im biblischen Horizont, in: MARKUS ÖHLER (Hg.), Alttestamentliche Gestalten im Neuen Testament. Beiträge zur Biblischen Theologie, Darmstadt 1999, 5–26, sowie im Einzelnen die Kommentare von ULRICH LUZ, Das Evangelium nach Matthäus, Teilbd. 1: Mt 1–7, EKK I/1, Düsseldorf, Zürich/Neukirchen-Vluyn 52002, 127–140; FRANCOIS BOVON, Das Evangelium nach Lukas, Teilbd. 1: Lk 1,1–9,50, EKK III/1, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989, 185–191.

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Serie von Ungereimtheiten hinein. Mehrfach weicht er ab von dem genealogisch-monotonen „A. zeugte B., B. zeugte C.“ usw. Auffällig sind vor allem die Frauen, deren Namen gezielt an bestimmten Stellen eingestreut werden. Nicht die berühmten Stammmütter Israels, Sara, Rahel oder Rebekka, kommen so im Stammbaum Jesu zu Ehren, sondern die unfreiwillige Prostituierte Tamar (1,3) und die freiwillige „Hure Rahab“ (1,5). Von Rut (1,5), der erst nach Israel eingeheirateten Urgroßmutter Davids, ist ebenso die Rede wie von der Frau des Hetiters Urija (1,6), die von David vergewaltigt wurde, nicht aber von seiner rechtmäßigen Ehefrau Michal, die doch immerhin den künftigen König Israels vor dem Zorn ihres Vaters Saul gerettet hatte (vgl. 1Sam 19,8–17). Ganz auffällig wird es am Schluss der langen Reihe: Josef, der Vater Jesu, wird schlicht als Mann seiner Frau Maria vorgestellt, „aus der gezeugt wurde Jesus, der so genannte Christus“ (1,16). Gerade wo es auf Eindeutigkeit ankommen sollte, ist der Stammbaum Jesu höchst unpräzise! Schließlich wird noch die Summe gezogen aus der Ahnenreihe Jesu: Jeweils vierzehn Generationen sollen es gewesen sein von Abraham bis zu David, von David bis zur babylonischen Gefangenschaft und von dieser bis zu Christus (1,17). Aber wehe dem, der nachrechnet! Nicht das utopisch hohe Lebensalter der Ahnen Jesu ist das rechnerische Problem der Genealogie, sondern die Schwierigkeit, bei den aufgezählten Generationen auf 3 x 14 zu kommen. Die Abstammung Jesu soll offenbar weder biologisch sicher noch mathematisch exakt rekonstruiert, sondern vielmehr heilsgeschichtlich sachgemäß konstruiert werden. Entscheidend sind die Eckpunkte und Einschnitte: Abraham und die Erzväter als Ausgangspunkt (1,2), König David als Höhepunkt (1,6), die babylonische Gefangenschaft als Tiefpunkt (1,11f.) und die „Genesis Jesu Christi“ als Zielpunkt der biblischen Geschichte Israels (1,16). Bei Lukas geht es im Stammbaum Jesu bekanntlich andersherum, aber kaum weniger merkwürdig zu. Nachdem Jesus seine Familie und seine Kindheit längst hinter sich gelassen hat und im Alter von etwa dreißig Jahren öffentlich aufzutreten beginnt, wird plötzlich noch einmal in geradezu zwielichtiger Weise seine Abstammung zum Thema gemacht: Man „hielt ihn für einen Sohn Josefs“ (Lk 3,23). Dass Josef selbst ein Sohn Elis war, und dieser ein Sohn Mattats usw. usf., das mag ja sein, und dass Lukas einen anderen Großvater Jesu nennt als Matthäus, mag für dessen Leser auch kein Problem gewesen sein. Aber wozu überhaupt eine Genealogie, wenn schon das erste Glied der Generationenfolge so zweifelhaft ist? Unter den Vorfahren bis hinauf zum babylonischen Exil begegnen bei Lukas nicht nur erheblich mehr Namen als bei Matthäus, sondern auch fast immer andere. 30 Hervorgehoben werden weder der Einschnitt des Exils noch die Bedeutung Davids oder der Erzväter. Stattdessen wird Natan zum Sohn Davids gemacht (3,31), und Levi, Simeon, Juda und Josef bilden eine Generationenfolge zwischen David und dem babylonischen Exil 30

Vgl. die bequeme Übersicht bei OBERFORCHER, Wurzel (Anm. 29), 8.

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(3,29f.)! Die übrigen Namen sind weitestgehend aus der Bibel zusammengesucht, aber nur in den höheren Stufen der Genealogie, zwischen Abraham und Sem sowie zwischen Sem und Adam, entsprechen sie den biblischen Vorgaben aus Gen 5 und 11. Offenbar soll die Ahnenreihe Jesu insgesamt möglichst biblisch klingen, ohne dass bestimmte Phasen der biblischen Geschichte eigens akzentuiert werden. Zielpunkt des Stammbaums Jesu ist schließlich, als letzter nach Adam, Gott (Lk 3,37). Wer von allen Erdengeborenen wollte wohl behaupten, einen anderen Ursprung zu haben? Sinnvoll kann eine solche Genealogie nur sein, wenn mit ihrem Abschluss eine Pointe verbunden ist. Dass Jesus Sohn Gottes ist, war ebenso wie seine davidische Abstammung von Lukas den Lesern schon früher mitgeteilt worden, zunächst durch den Engel Gabriel (1,32.35), dann bei seiner Taufe durch die Stimme vom Himmel her (3,22), und wenig später wird selbst der Teufel Anlass haben, die Gottessohnschaft Jesu zur Sprache zu bringen (4,3). Dass nun auch die Schrift nichts anderes sagt, dient somit der Bestätigung der Gottessohnschaft Jesu, und die – im Vergleich zu Matthäus wenig ambitionierte – Konstruktion der Geschichte Israels in Gestalt einer ununterbrochenen Reihe biblischer Namen soll dieses Zeugnis der Schrift von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus in der Geschichte des Gottesvolkes verankern. Solche Konstruktionen der biblischen Vorgeschichte Jesu sind nun im Neuen Testament keineswegs auf die Form der Genealogie festgelegt und ebenso wenig auf die erzählenden Jesusschriften beschränkt. Zwei weitere Beispiele mögen das illustrieren. Die längste Reihe biblischer Paradigmata im Neuen Testament bietet bekanntlich der Hebräerbrief, Hebr 11,1–12,2. 31 Die jeweils reich illustrierten Beispiele für den Glauben als „Aufweis von Dingen, die man nicht sieht“ (“” © ª©£ ˜ “œ, 11,1) reichen von der Erschaffung der Welt durch Gottes Wort über Abel, Henoch, Noach, Abraham und Sara, die Erzväter und Josef, Mose und den Exodus bis hin zur Eroberung Jerichos und erreichen schließlich ihren Höhepunkt mit – der Hure Rahab (11,31)! Alles was danach noch kommt in der biblischen Geschichte, immerhin Gideon und Barak, Simson und Jeftach, ja, sogar David und Samuel und all die Propheten, deren gewaltsames Geschick den Lesern noch kurz und drastisch vor Augen gestellt wird, dies alles zu erzählen reicht dem Verfasser die Zeit nicht mehr (11,32). Von der Hure Rahab führt also der Glaubensweg sozusagen direkt zu „uns“ und über unsern Glauben schließlich bis zu Jesus. Der biblische Nachweis erreicht sein Ziel in der Gegenwart der Glaubenden. „Darum auch wir: … Lasst uns mit aller Kraft spurten in der letzten Runde des

31 Vgl. dazu umfassend ERICH GRÄSSER, An die Hebräer, Teilbd. 3: Hebr 10,19–13,25, EKK XVII/3, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1997, 85–224; HANS-FRIEDRICH WEISS, Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 1991, 553–629.

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Glaubenswettlaufs und nur auf den blicken, der in Führung liegt und gerade ins Ziel einläuft, Jesus!“ (12,1f.) 32 Die chronologische Linie der Glaubensgeschichte Israels ist unübersehbar, trotz aller Lücken und merkwürdigen Akzentsetzungen. Ebenso klar bestimmt sind Anfang und Ziel der Geschichte: die Schöpfung der Welt und die Vollendung Christi zur Rechten des Thrones Gottes (12,2). Auffällig ist allerdings der Ort der Gegenwart in dieser biblischen Geschichtskonstruktion. Die Gegenwart der Glaubenden ist weder Ausgangspunkt noch Ziel für die Reihe der Glaubensbeispiele. Vielmehr steht sie kurz vor dem Ende. Das gilt offenbar für die Konstruktion der Reihe ebenso wie für den heilsgeschichtlichen Standort der Glaubenden. Die Jesus-Geschichte übergreift also die Gegenwart der glaubenden Gemeinde nach beiden Richtungen hin. Als Glaubensgeschichte beginnt sie schon bei der Schöpfung der Welt und verläuft dann durch die ganze Geschichte Israels bis in die Gegenwart. Beim Glauben der Gemeinde aber ist sie noch keineswegs am Ziel. Vielmehr überholt die Glaubensgeschichte Jesu, welche die ganze Glaubensgeschichte Israels in sich umfasst, den Glauben der Gemeinde und läuft ihm voraus bis zu ihrem wirklichen Ziel beim Thron Gottes. Darin liegt offenbar ein specificum Christianum der neutestamentlichen Rezeption biblischer Geschichte gegenüber all ihren frühjüdischen Reproduktionen bzw. Konstruktionen. Schließlich der Jakobusbrief: Merkwürdigerweise stellt ja auch er den Vater Abraham als Glaubenszeugen in eine Reihe mit der Hure Rahab, die noch dazu wie er durch Werke als Zeichen ihres Glaubens gerechtfertigt worden sein soll (Jak 2,21–25). Und wie im Hebräerbrief so wird auch bei Jakobus der Glaube der biblischen Vorbilder auf den Glauben der Gemeinde in der Gegenwart hingeführt: „So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein … Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot.“ (2,24.26) Der Glaube ist bekanntlich im Jakobusbrief ein überaus hochgeschätztes Gut. Statistisch betrachtet ist von ihm bei Jakobus sogar weitaus mehr die Rede als bei Paulus. Der Glaube wird in Geduld bewährt (1,3), macht Gebete gewiss (1,6), überwindet soziale Schranken (2,1), lässt Arme reich werden (2,5), wird in Werken wirksam und lebendig (2,14– 26), und das Gebet des Glaubens rettet Leben (5,15). Dass der Glaube bei Jakobus keineswegs mit den Werken verwechselt wird, die aus ihm entspringen und ihn erweisen, 33 zeigt sich exemplarisch an den

32

Gewohnter ist die Übersetzung Luthers: „Laßt uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens“. 33 Gegenüber einer langen Auslegungstradition besonders in der deutschen protestantischen Exegese, die den Jakobusbrief und insbesondere seine Aussagen über den Glauben einseitig an der paulinischen Rechtfertigungsterminologie und -theologie gemessen (und damit in der Regel abgeurteilt) hat, setzt sich zunehmend eine neue Perspektive auf den Brief

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Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte

Ausdrücken für die glaubende Erwartung: Ausdauer (“ , Jak 1,3f.; 5,11), Langmut (

”  , 5,10), Standhalten (

“  , 5,10). Alle drei Ausdrücke tragen das Bedeutungsmoment zeitlicher Dauer in sich. Sie bezeichnen nicht primär menschliche Aktivitäten, sondern Haltungen des Ertragens und der Beständigkeit. Auch hierzu werden von Jakobus biblische Vorbilder ins Feld geführt: die Standhaftigkeit und Langmut der Propheten (5,10), die Ausdauer Hiobs (5,11). Und schließlich erinnert der Autor die Gemeinden an Elija, den schwachen Menschen und starken Beter (5,17). Seine Glaubenshaltung ist ebenso vorbildlich wie die des Bauern, der ganz und gar dem Wechsel der Jahreszeiten ausgesetzt ist. Es ist die Haltung des Erwartens und Empfangens, die aus dem Vertrauen zu Gott erwächst, der den Beter erhört. Darüber hinaus aber hat die zeitliche Erstreckung des Glaubens nach dem Jakobusbrief auch Anfang und Ziel. Er kommt wie ein Schöpfungswort als Gabe Gottes von oben herab und entspringt dem verkündigten Wort der Wahrheit wie ein Neugeborenes dem Mutterleib (Jak 1,17f.). Und er richtet sich beharrlich auf die Erwartung der Parusie des Herrn, die nun schon „nahe herbeigekommen ist“ (5,7f.). Auch für den Glauben im Jakobusbrief ist also eine zeitliche Erstreckung charakteristisch, die den Verlauf biblischer Heilsgeschichte in sich umfasst. Und ähnlich wie im Hebräerbrief liegt auch bei Jakobus der chronologische Ort der Gegenwart des Glaubens vor dem Ende, aber nach der Glaubensgeschichte Israels. Diese wird so konstruiert, dass sie genau auf jenen Ort des Glaubens zuläuft, ihn gewissermaßen überholt und so die Glaubenden an das wahre Ziel und Ende der biblischen Heilsgeschichte führt.

3. „Der Messias“ – Eine biblische Jesus-Christus-Geschichte der Neuzeit 3. „Der Messias“ – Eine biblische Jesus-Christus-Geschichte der Neuzeit Ob Herder musikalisch war, weiß ich nicht. Ob er schon von Bückeburg aus die deutschen Erstaufführungen von Händels „Messias“ in Hamburg in der Saison 1771/72 unter Leitung von M. Arne und 1775 unter Leitung von Carl Philipp Emanuel Bach, hier erstmals nach der deutschen Übersetzung von Klopstock, besucht hat, ist ebenfalls unsicher. 34 Jedenfalls hat er später unab-

des Herrenbruders durch; vgl. dazu meinen Forschungsüberblick: KARL-WILHELM NIE„A New Perspective on James“? Neuere Forschungen zum Jakobusbrief, ThLZ 129, 2004, 1019–1044. 34 Zur Rezeptionsgeschichte von Händels „Messias“ in Deutschland vgl. HANS J. MARX, Art. Händel, MGG2 Personenteil 8, 2002, 509–638: 612f. Nach MARX wurden „seit den frühen 1770er Jahren … einige der großen oratorischen Kompositionen Händels in der Fastenzeit auch in Braunschweig und Hannover aufgeführt, deren Musikleben sich traditionell an dem des in London regierenden Hauses Hannover orientierte“ (a.a.O., 613).

BUHR,

3. „Der Messias“ – Eine biblische Jesus-Christus-Geschichte der Neuzeit

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hängig von Klopstock eine eigene Übersetzung erarbeitet, die einigen Aufführungen des Werkes in Weimar in den Jahren 1780 bis 1782 zu Grunde lag, welche keinen Geringeren als Goethe beeindruckten. Auch später beschäftigte sich Herder im regen Austausch mit Carl Friedrich Zelter intensiv mit der Analyse des Werkes. Viel beachtete Aufführungen durch Hiller in Berlin, Leipzig und Breslau machten Händels „Messias“ in den achtziger Jahren des 18. Jh. zu einem der wichtigsten Werke des öffentlichen Musiklebens in Deutschland. In Händels Messias lag Herder nun eine Gestalt der biblischen Überlieferung vor, die auf charakteristische Weise die Jesus-Geschichte in den Zusammenhang der biblischen Geschichte Israels einordnete. Das Libretto des dreiteiligen Werkes besteht ausschließlich aus biblischen, vorwiegend alttestamentlichen Zitaten, die nur ganz selten im Wortlaut ihrem neuen Zusammenhang leicht angepasst wurden. 35 Seine Dramaturgie bezieht der Text aus der Grundstruktur einer Jesus-Christus-Geschichte, die mit der Ankündigung der Rückkehr aus dem babylonischen Exil durch Jesaja einsetzt (Nr. 2–4: „Comfort ye my people …“, „Ev’ry valley shall be exalted …“, „And the glory of the Lord shall be revealed …“, Jes 40,1–5), mit Worten der Propheten Haggai und Maleachi das Kommen des Herrn zu seinem Tempel ankündigt (Nr. 5–7: „Thus saith the Lord of Hosts …“, Hag 2,6f.; „The Lord, whom ye seek …“, Mal 3,1; „But who may abide …“, Mal 3,2; „And He shall purify …“, Mal 3,3) und über die Weissagungen Jesajas von der Geburt eines Nachfolgers auf dem Thron Davids (Nr. 7: „Behold, a virgin shall conceive …“, Jes 7,14) und weitere Heilsverheißungen aus dem Jesajabuch (Nr. 8–11: Jes 40,9; 60,1–3; 9,1.5) hinführt zur Weihnachtsgeschichte nach Lukas. 36 Noch am Ende des ersten Teils wird dann das Wirken Jesu in Grundzügen nachgezeichnet, aber nicht mit Hilfe von Auszügen oder Zusammenfassungen der Evangelien, sondern durchweg mit alttestamentlichen Zitaten. Auf diese Weise wird Sach 9,9f. zum Bericht über die Verkündigung Jesu (Nr. 16: „Rejoice greatly …“): „Frohlocke, o Tochter Zions, juble, o Tochter Jerusalems, siehe, dein König kommt zu dir. Er ist der rechte Heiland und er wird den Heiden den Frieden verkündigen.“ Jesu Heilungen werden mit Worten aus Jes 35

Zur Begründung des alttestamentlichen Schwerpunktes bei Händels Oratorientexten vgl. MARX, a.a.O., 587f.: „Neutestamentliche Texte kommen (mit Ausnahme einiger Passagen in Israel in Egypt und Messiah) nicht vor, weil die anglikanische Kirche es verboten hatte, liturgische Texte außerhalb der Kirche öffentlich vorzutragen. Viele der alttestamentlichen Oratoriensujets waren dem Publikum vertraut, zumal sich das englische Staatsvolk mit dem Schicksal des israelitischen Volkes in besonderer Weise verbunden fühlte …“. Für die Vertiefung solcher Überlegungen verweist Marx auf RUTH SMITH, Handel’s Oratorios and Eighteenth-century Thought, Cambridge 1995; weiterhin wäre heranzuziehen: PAULGERHARD NOHL, Der Messias, in: DERS., Geistliche Oratorientexte. Entstehung, Kommentar, Interpretation, Kassel 2001, 20–134. 36 Nr. 12–15: „There were shepherds abiding in the field …“, Lk 2,8–14, die einzige längere Passage aus den Evangelien, eingeleitet durch die Sinfonia Pastorale.

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Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte

35,5f. angedeutet (Nr. 16: „Then shall the eyes of the blind be open’d …“): „Dann werden die Augen des Blinden geöffnet, und die Ohren der Tauben werden frei, der Lahme wird wie ein Hirsch springen und des Stummen Zunge wird singen.“ Im den ersten Teil abschließenden Duett von Sopran und Alt erscheinen die Anhänger Jesu im prophetischen Bild von den Lämmern, die er mit seinen beiden Armen sammeln und an seiner Brust tragen wird, während mit den in die 3. Pers. Sing. umgesetzten Worten des „Heilandsrufes“ aus dem Matthäusevangelium die Heilsbotschaft Jesu an die Mühseligen und Beladenen zusammengefasst wird (Nr. 17: „He shall feed His flock like a shepherd …“, Jes 40,11; „Come unto Him all ye that labour …“, Mt 11,28–30). Der ganze zweite Teil ist der Passion Jesu gewidmet, aber neutestamentliche Zitate dazu stehen nur am Anfang und am Schluss (Nr. 19: „Behold the Lamb of God …“, Joh 1,29; Nr. 39: „Halleluja …“, Offb 19,6; 11,15; 19,16). Dazwischen wird die Jesus-Geschichte wieder durch alttestamentliche Zitate in Erinnerung gerufen, insbesondere aus Jes 53 und Ps 22. 37 Im dritten Teil schließlich geht es um die Auferstehung und das ewige Leben. Aber auch hier fehlen die Osterberichte der Evangelien. Ausgehend von dem Wort Hiobs: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und dass er am letzten Tag erscheinen wird …“ (Nr. 40: „I know that my redeemer liveth …“, Hi 19,25f.) bildet vielmehr die paulinische Argumentation in 1Kor 15 das Grundgerüst der Handlung (Nr. 41–45). Über das Glaubensbekenntnis aus dem Römerbrief: „Wenn Gott für uns ist, wer kann gegen uns sein …“ (Nr. 46: „If God be for us …“, Röm 8,33f.) wird die andächtige Hörergemeinde am Ende in die JesusChristus-Geschichte einbezogen und mit Worten aus der Johannesoffenbarung zum abschließenden Lobgesang an das Lamm vor den Thron Gottes geführt (Nr. 47: „Worthy is the Lamb …“, Offb 5,12–14). Eine Jesus-Christus-Geschichte aus Worten des Alten Testaments, eine Geschichte, die anhebt mit der Bundeszusage Gottes an Israel und hinführt zum preisenden Bekenntnis der unverbrüchlichen kultischen Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk, wiederhergestellt durch das ein für alle Mal sühnende Opferlamm. Einbegriffen in diese Geschichte Gottes mit Israel ist der Lebensweg Jesu, sind sein Kommen in die Welt und seine Erhöhung aus dem Tod zu Gott. Einbegriffen in diese Geschichte sind darüber hinaus die Erschaffung der Welt und ihre Vollendung ebenso wie das Bestehen und Vergehen der Völker der Erde. Einbegriffen sind schließlich auch die Glaubenden, die sich mit dieser Geschichte identifizieren, so sehr, dass sie, im Medium des Gotteslobs, selbst zu handelnden Personen in ihr werden. Die Grundstruktur dieser 37 Die wenigen neutestamentlichen Texte in Nr. 30 („Unto which the angels said He at any time …, Hebr 1,5, vgl. Ps 2,7 LXX), Nr. 31 („Let all the angels of God …, Hebr 1,6, vgl. Dtn 32,43; Ps 96,7 LXX) und Nr. 35a („Their sound is gone out …, Röm 10,18, vgl. Ps 18,5 LXX) beziehen sich durchweg auf Stellen, in denen alttestamentliche Texte zitiert werden.

3. „Der Messias“ – Eine biblische Jesus-Christus-Geschichte der Neuzeit

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Geschichte wird nicht abgeleitet aus der Erkenntnis der Gesetze der Natur oder der Geschichte. Sie wird ebenso wenig erhoben aus der Besinnung auf die inneren oder äußeren Konstitutionsbedingungen menschlicher Existenz. Sie wird aufgefunden in den Überlieferungen der Bibel von der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, vom ersten Buch Mose bis zur Offenbarung des Johannes. Herder kannte diese Geschichte, nicht bloß als ‚Tradition‘, sondern auch in Gestalt des „Messias“ von Händel, auch als Ausdruck aktueller geistiger Beschäftigung auf dem Reflexionsniveau seiner Zeit. Warum nur hat er in seinen zur gleichen Zeit entstandenen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ so wenig davon erkennen lassen? 38

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Wenn es erlaubt ist, dem Jubilar mit diesem theologisch-musikalischen Gruß zu seinem 75. Geburtstag auch eine Empfehlung zu geben, so sei ihm die Einspielung des „Messiah“ aus dem Jahr 1982 unter John Elliott Gardiner mit dem Monteverdi Choir und den English Barock Soloists zum besinnlichem Hörerlebnis nahegelegt.

„Auferstehung“ im Frühjudentum Das Nomen !   in der Septuaginta, in der frühjüdischen Literatur und im Neuen Testament Vorbemerkung Vorbemerkung Der folgende Beitrag möchte eine terminologische Frage klären, die zugleich theologische Relevanz hat. Der Begriff „Auferstehung“ wird zurecht mit dem Kern der christlichen Botschaft verbunden und ist in den neutestamentlichen Schriften weit verbreitet. Die Vorstellung von der Auferstehung der Toten und einem Leben über den Tod hinaus ist aber schon in der alttestamentlichen Überlieferung verwurzelt, wie sie den neutestamentlichen Glaubensaussagen vorgegeben ist, und hat in zeitgenössischen frühjüdischen Quellen reichen Niederschlag gefunden. Das griechische Substantiv !   als Terminus für die Auferstehungsvorstellung ist dagegen in Quellen aus vorneutestamentlicher Zeit fast nie belegt. Erst in der handschriftlichen Überlieferung von Septuaginta-Schriften taucht es gelegentlich sekundär auf, und in einigen frühjüdischen Schriften, die nur in christlicher Überlieferung erhalten sind, wird es auch als Begriff für die Totenauferstehung verwendet. Es stellt sich damit die Frage, ob der Gebrauch des Nomens !   Indiz oder gar Beweis für eine christliche Überarbeitungsstufe dieser frühjüdischen bzw. Septuaginta-Schriften ist. Demgegenüber versuche ich zu zeigen, dass der terminologische Befund eher in ein gemeinsames Milieu frühjüdischer und frühchristlicher Glaubensüberlieferungen verweist, das über die Entstehungszeit der neutestamentlichen Schriften weit hinaus reicht. Auch wenn die Ansicht verbreitet ist, die Vorstellung von der Totenauferstehung sei der alttestamentlichen Überlieferung ursprünglich fremd und erst durch nachexilisch-persische oder jüdisch-hellenistische geistige Strömungen, gewissermaßen wie ein Fremdkörper, in die biblische Religion eingedrungen, so ist sie doch in vieler Hinsicht falsch. Zum einen kann man von einer ‚ursprünglichen‘ alttestamentlichen Überlieferung oder gar einer ‚alttestamentlichen Religion‘ in vorneutestamentlicher Zeit aus historischen wie hermeneutischen Gründen nicht sprechen. Ein „Altes Testament“ kann es schließlich erst geben, wenn es ein „Neues“ gibt. 1 Zum andern stammt die literarische Gestalt, 1 Deshalb ist auch die Rede von einem ‚alttestamentlichen Glauben‘ oder einer ‚Anthropologie des Alten Testaments‘, im Grunde auch von einer ‚Theologie des Alten Testaments‘,

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„Auferstehung“ im Frühjudentum

in der uns die alttestamentlichen Schriften überliefert sind, durchweg frühestens aus nachexilischer, in aller Regel erst aus hellenistischer Zeit, also aus der Zeit, in der nach der benannten Auffassung die Auferstehungsvorstellungen angeblich als Fremdkörper in sie eingedrungen sein sollen. 2 Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine alttestamentliche Überlieferung ohne Auferstehung hat es nie gegeben, und wichtige Schriften des Alten Testaments sind uns überhaupt nur in einer Gestalt zugänglich, die schon deutlich von der Hoffnung auf ein Leben über die Grenzen der kreatürlichen Existenz hinaus geprägt sind. 3 Das gilt für den Psalter 4 und andere Teile der „Schriften“ 5 ebenso wie für die großen Prophetenbücher 6 und das Zwölfprophetenbuch 7 und hat auch im Pentateuch 8 und im Textbereich der so genannten „Vorderen Propheten“ 9 seinen Niederschlag gefunden. Schließlich ist die Annahme, es habe einmal eine ursprüngliche Epoche oder Phase der israelitischen Religion ohne jede Vorstellung von einer Wiederkehr von Toten gegeben, auch in religionsgeschichtlicher Perspektive höchst zweifelhaft. 10 Dass es Phasen in der Religionsgeschichte Israels gegeben hat, in denen solche Vorstellungen noch nicht in der Weise entwickelt waren, wie sie in den später literarisch fixierten Schriften des Alten Testaments ihren Niederschlag gefunden haben, soll damit nicht in Abrede gestellt werden, aber die autoritativen Schriften, die in je eigener Weise für das antike Judentum und das entstehende Christentum verbindlich geworden und bis heute geblieben sind, können als Vorstellungs- und Verständnis-

sofern diese programmatisch von neutestamentlichen Texten absehen, theologisch-hermeneutisch fragwürdig, auch wenn es zahlreiche berühmte Werke von Alttestamentlern mit entsprechenden Titeln gibt. Zu den biblisch-theologischen und hermeneutischen Hintergründen meiner Sicht der Dinge vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Schriftauslegung in der Begegnung mit dem Evangelium, in: FRIEDERIKE NÜSSEL (Hg.), Schriftauslegung, Themen der Theologie 8, Tübingen 2014, 43–103. 2 Als erste Einführung in die literaturgeschichtlichen Zusammenhänge geeignet ist KONRAD SCHMID, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008. 3 Einen hervorragenden Ein- und Überblick zu den einschlägigen Textzusammenhängen in der Hebräischen Bibel, den frühjüdischen und den frühchristlichen Quellen bietet ANDREW CHESTER, Messiah and Exaltation. Jewish Messianic and Visionary Traditions and New Testament Christology, WUNT 207, Tübingen 2007, 123–190 (Chapter 3: Resurrection, Transformation and Christology). 4 Ps 49,16; 73,24–26; 107,20. 5 Hiob 19,25–27. 6 Jes 24–27 (bes. 26,14.19); Ez 37; Dan 12,1–3. 7 Hos 6,2. 8 Dtn 32,39. 9 1Sam 2,6. 10 Vgl. als orientierende Gesamtdarstellung ALEXANDER A. FISCHER, Tod und Jenseits im Alten Orient und im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 2005.

1. Vorstellungen von Totenauferstehung

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horizont für das Bild des Menschen in Gottes Schöpfung ohne die Auferstehungsvorstellung in ihren mannigfachen Ausprägungen nicht sachgemäß interpretiert werden.

1. Vorstellungen von Totenauferstehung im Frühjudentum und im frühen Christentum 1. Vorstellungen von Totenauferstehung 1.1 Frühjudentum Dafür sprechen auch die überaus reich entwickelten Vorstellungen von Totenauferweckung und Leben über den Tod hinaus in frühjüdischen Quellen. Sie im Einzelnen darzustellen, ist hier nicht der Platz und angesichts einer breit zugänglichen Forschungsliteratur auch nicht notwendig. 11 Es genügt für unsere 11 Vgl. JAN A. SIGVARTSEN, Afterlife and Resurrection Beliefs in the Apocrypha and Apocalyptic Literature, London 2019; DERS., Afterlife and Resurrection Beliefs in the Pseudepigrapha, London 2019; JOHN GRANGER COOK, Empty Tomb, Resurrection, Apotheosis, WUNT 410, Tübingen 2018; CASEY D. ELLEDGE, Resurrection of the Dead in Early Judaism 200 BCE – CE 200, Oxford 2017; OUTI LEHTIPUU, Debates over the Resurrection of the Dead. Constructing Early Christian Identity, Oxford 2015; GEORGE W. E. NICKELSBURG, Resurrection, Immortality, and Eternal Life in Intertestamental Judaism and Early Christianity. Expanded Edition, HThS 56, Cambridge, Mass. 2006; ALAN F. SEGAL, Life After Death. A History of the Afterlife in the Religions of the West, New York 2004; ULRICH KELLERMANN, Das Gotteslob der Auferweckten. Motivgeschichtliche Beobachtungen in Texten des Alten Testaments, des frühen Judentums und Urchristentums, BThSt 46, Neukirchen-Vluyn 2001; FRIEDRICH AVEMARIE/HERMANN LICHTENBERGER (Hg.), Auferstehung – Resurrection, WUNT 135, Tübingen 2001; RICHARD BAUCKHAM, The Fate of the Dead. Studies on the Jewish and Christian Apocalypses, NT.S 93, Leiden 1998; HARRY SYSLING, Tehiyyat Ha-Metim. The Resurrection of the Dead in the Palestinian Targum of the Pentateuch and Parallel Traditions in Classical Rabbinic Literature, TSAJ 57, Tübingen 1996; HORACIO E. LONA, Über die Auferstehung des Fleisches. Studien zur frühchristlichen Eschatologie, BZNW 66, Berlin/New York 1993; ÉMILE PUECH, La Croyance des Esséniens en la Vie Future. Immortalité, Résurrection, Vie Éternelle. Histoire d’une Croyance dans le Judaïsme ancien, 2 Bde., EtB 21/22, Paris 1993; HANS C. CAVALLIN, Leben nach dem Tode im Spätjudentum und im frühen Christentum. I. Spätjudentum, ANRW II 19,1, 1979, 240– 345; ULRICH FISCHER, Eschatologie und Jenseitserwartung im hellenistischen Diasporajudentum, BZNW 44, Berlin/New York 1978; GÜNTER STEMBERGER, Der Leib der Auferstehung. Studien zur Anthropologie und Eschatologie des palästinischen Judentums im neutestamentlichen Zeitalter (ca. 170 v. Chr. – 100 n. Chr.), AnBib 56, Rom 1972. Speziell zu Josephus vgl. zuletzt SÖREN SWOBODA, Leben nach dem Tod. Josephus im Kontext antiker Geschichtsschreibung, SBS 245, Stuttgart 2019, 47–74, sowie KARL-WILHELM NIEBUHR, Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung, in: CHRISTFRIED BÖTTRICH/JENS HERZER (Hg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 25.–28. Mai 2006, Greifswald, WUNT 209, Tübingen 2007, 49–70 [in diesem Band 399–419].

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„Auferstehung“ im Frühjudentum

Zwecke, die wichtigsten Belegstellen nach Themen geordnet zusammenzustellen, ohne die zweifellos vorhandenen Differenzierungen im Einzelnen näher darstellen zu können. Auch Vollständigkeit bezüglich der genannten Texte kann nicht in Anspruch genommen werden. 12 Die Auferstehungsvorstellung oder den Glauben an die Auferweckung der Toten hat es im Frühjudentum ohnehin nie gegeben, ebenso wenig wie sonst in der Geschichte der Menschheit und nicht zuletzt des Christentums, sondern immer nur Menschen, die ihre je eigenen, wenn auch oft traditionell gefüllten und gemeinschaftlich vertretenen Überzeugungen und Hoffnungen sprachlich zum Ausdruck gebracht haben. Von einer Auferweckung aller Menschen zum eschatologischen Gericht sprechen Weish 2,21–24/3,10; 4,7–5,23; LibAnt 3,10; TestBenj 10,6–11; TestJud 25; 4Esr 7,31–42; 2Bar 30,2–5; 49–51. Auferweckung bzw. ewiges Leben (nur) für die Gerechten bezeugen Sir 49,10; Weish 3,1–9; 4Q 385,2 (Pseudo-Ezechiel); 4Q 416,2 III 5–8; 417,1 I 8–12 (Sapiential Work A); 4Q 521,2 II 12 (eschatologischer Psalm); 1Hen 51 (Bilderreden); 91,10 (Traumvisionen); 1Hen 92,3f. (Brief Henochs); PsSal 3,12; grLAE 41,2; Sib 4,179–184; 18-Bitten-Gebet (2. Bitte, palästinische Rezension), allgemein eine Auferstehung der Toten auch die neutestamentlichen Belege zu den Pharisäern im Gegensatz zu den Sadduzäern (Mk 12,18–27 par.; Apg 23,6–8). Eine individuelle Hoffnung auf Auferweckung vertreten Hi 42,17a (LXX); Dan 12,1–3 (LXX); TestSim 6,7; TestHi 4,9; 40,4. Die Auferweckung der Märtyrer propagieren 2Makk 7,9.11.14.23.29.36; 12,43–45; 14,46; Josephus, Ap 2,218. Entrückung in den Himmel wird in Sir 48,9–11; 40,3; 43,14; 1Hen 70,1–4 (Bilderreden); 4Makk 9,22; 17,18; 2Hen 67f.; TestHi 39,12f. vorausgesetzt. Die Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele bzw. ihrer Himmelfahrt nach dem Tod lässt sich in 4Makk 18,23; TestHi 52,10; PseudPhok 103–115; TestAbr A 20/B 14, sowie bei Josephus (Bell 1,650; 2,154–157 [Essener und Griechen]; 2,163 [Pharisäer]; 3,372.374; Ap 2,203) und bei Philon (z.B. VitMos 2,288) erkennen. 1.2 Neues Testament Auch die zahlreichen neutestamentlichen Zeugnisse für eine Hoffnung auf Auferstehung der Toten und ein Leben nach dem Tod lassen sich sachlich nicht auf einen Nenner bringen oder gar systematisieren, sondern hier nur thematisch geordnet auflisten. Sie wurzeln grundsätzlich im biblisch-jüdischen Gottesverständnis, nach welchem Gott der ist, der die Toten lebendig macht (Röm 4,17; 8,11; 2Kor 1,9; Mk 12,27; Hebr 11,19). Auf dieser Basis wird die Auferweckung aller zum eschatologischen Gericht erwartet (Mk 12,18–27 par.; Mt 27,52f.; Joh 5,28f.; 11,24; Apg 24,15; 26,6–8; Röm 2,1–16; 1Kor 4,14; 6,14;

12 Tabellarische Übersichten zu den in Frage kommenden Texten bietet SIGVARTSEN, Afterlife and Resurrection Beliefs in the Pseudepigrapha (Anm. 11), 228–283.

1. Vorstellungen von Totenauferstehung

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2Kor 5,9f.; 2Tim 4,1.8; 1Petr 4,5f.; Offb 20,13). Von der Auferweckung bzw. Verwandlung der an Christus Glaubenden bei der Parusie ist Paulus überzeugt (1Thess 4,16f.; 1Kor 15,23.35–58; 2Kor 5,1–10; Phil 3,20f.; 2Thess 2,1), aber auch der 1. Petrusbrief (1Petr 4,13). Eine bei der Taufe bzw. beim zum Glauben Kommen schon geschehene „Auferweckung“ der an Christus Glaubenden lässt sich aus Kol 2,12f.; 3,1; Eph 2,5f.; 2Thess 2,2; 2Tim 2,18 herauslesen (vgl. auch Joh 5,24f.; 11,25f.). Vom Todesschlaf der Glaubenden bis zum Tag ihrer Begegnung mit dem auferstandenen Christus spricht Paulus (1Thess 4,13f.; 1Kor 15,51; vgl. auch Offb 14,13). Die Auferweckung der Märtyrer wird in 1Petr 4,12f.; Offb 3,21; 20,4 thematisiert. Ihre Entrückung bzw. allgemein die der Toten bezeugen Phil 1,23; Lk 16,22; Offb 7,9–17; 14,1–5; 15,2f. Eine Art „Zwischenzustand“ nach dem Tod und vor dem Endgericht setzen Lk 16,19– 31; Jud 6–9; 2Petr 2,4–10; Offb 20,1–6 voraus. In großer Zahl und Vielfalt sind also Vorstellungen und Erwartungen im Blick auf die Zukunft der Verstorbenen im Frühjudentum wie im Neuen Testament verbreitet. Die Belege ließen sich vervielfachen, wenn man frühchristliche Texte außerhalb des Neuen Testaments 13 oder die überaus zahlreichen epigraphischen Zeugnisse berücksichtigen würde. 14 Wer also im religiösen und geistigen Umfeld der entstehenden Jesusbewegung mit der Behauptung aufgetreten wäre, mit dem Tod sei alles aus, der wäre auf wenig Verständnis getroffen, es sei denn, er hätte sich auf philosophische Diskussionen mit Epikureern eingelassen (vgl. 1Kor 15,32). 15 Aber was da zu erwarten ist, wie man es sich vorzustellen hat und was das für Leben und Glauben bedeuten könnte, das war damals nicht weniger offen als heute. Angesichts dieser Fülle von Zeugnissen über ein Leben nach dem Tod und des Reichtums ihrer Vorstellungen im zeitgenössischen antiken Judentum wie im Neuen Testament gibt es nun aber eine terminologische Besonderheit, der allein im Folgenden näher nachgegangen werden soll: Das Nomen !  , 13 Ich muss mich hier mit einigen Hinweisen auf neuere Sekundärliteratur begnügen: TIMOTHY D. MCGLOTHLIN, Resurrection as Salvation: Development and Conflict in PreNicene Paulinism, Cambridge 2018; JOSEPH VERHEYDEN/ANDREAS MERKT/TOBIAS NICKLAS (Hg.), „If Christ has not been raised …“. Studies on the Reception of the Resurrection Stories and the Belief in the Resurrection in the Early Church, NTOA/StUNT 115, Göttingen 2016; MARCUS VINZENT, Die Auferstehung Christi im frühen Christentum, Freiburg 2014. 14 PIETER W. VAN DER HORST, Early Jewish Epigraphy, in: MATTHIAS HENZE/RODNEY WERLINE (Hg.), Early Judaism and Its Modern Interpreters, Second Edition, Atlanta 2020, 183–203; DERS., Ancient Jewish Epitaphs. An Introductory Survey of a Millennium of Jewish Funerary Epigraphy (300 BCE – 700 CE), CBET 2, Kampen 1991; JOSEPH S. PARK, Conceptions of Afterlife in Jewish Inscriptions. With Special Reference to Pauline Literature, WUNT II/121, Tübingen 2000; IMRE PERES, Griechische Grabinschriften und neutestamentliche Eschatologie, WUNT 157, Tübingen 2003. 15 Vgl. zur Orientierung MICHAEL ERLER, Epikureismus in der Kaiserzeit, in: CHRISTOPH RIEDWEG/CHRISTOPH HORN/DIETMAR WYRWA (Hg.), Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike, Ueberweg.Antike 5/1, Basel 2018, 197–211.

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das durch das ganze Neue Testament hindurch am häufigsten mit dem Gedanken an die Auferstehung verbunden wird (42 Mal) und auch in den späteren frühchristlichen Schriften dafür bestimmend bleibt, 16 kommt in der Literatur vor dem Neuen Testament in diesem Sinne so gut wie nie vor! Diesen Befund möchte ich im Folgenden genauer dokumentieren. 17

2. Belege für !   in paganen, frühjüdischen und frühchristlichen Quellen 2. Belege für !   2.1 Das Nomen !   in der paganen Literatur Das Nomen !   ist außerhalb des Neuen Testaments insgesamt relativ selten belegt, zumal als Ausdruck für die Auferstehung von den Toten. Der meist als einziger in den Wörterbüchern herangezogene Beleg aus der paganen Literatur bei Aischylos bestreitet die Möglichkeit einer solchen sogar ausdrücklich: „Doch wenn des Mannes Blut der Staub getrunken hat, einmal gestorben, und es kommt kein Auferstehn.“ 18 Lukian spricht sie immerhin dem mythischen Spartanerkönig Tyndareos zu, den Asklepios aus dem Totenreich zurückgebracht habe. 19 Das Verbum  20 begegnet dagegen häufiger in Kontexten, in denen von einer Totenerweckung die Rede ist. 21 Es hat aber nicht die Funktion eines terminus technicus, sondern eignet sich lediglich für einen

16

Vgl. in Bezug auf die Auferweckung Jesu 1Clem 42,3; IgnEph 20,1; IgnMagn 11,1; IgnPhld 8,2; in Bezug auf die allgemeine endzeitliche Auferstehung Did 16,6; Barn 5,6f.; 21,1; 1Clem 24,1–3; 26,1; 2Clem 19,3; IgnTrall inscr.; IgnSm 5,3; PolycPhil 7,1. 17 Ich stütze mich im Folgenden im Wesentlichen auf die Belege, die in meinem Artikel:  , !  , Historical and Theological Lexicon of the Septuagint, Bd. I: Alpha – Gamma, hg. v. EBERHARD BONS, Tübingen 2020, 769–790, gesammelt und ausgewertet sind. 18 Aischylos, Eumeniden 648: ”¢³“ « ɳ  “!¤ — ®“ ½ —¬ê ª³ !  . LIDDELL-SCOTT nennt für diese Bedeutung außerdem nur noch Lukian, Salt. 45. 19 Lukian, De saltatione 45: ‘ ¡ ë!” !   ‘ ¡ á ¢ “‘ ÅÊ

³ Õ- “  Ô©¡ ª („den von Äskulap aus dem Totenreich zurückgebrachten Tyndarus und Jupiters Zorn gegen den verwegenen Arzt“); vgl. Apollodor, Bibliotheke 3.10.3. 20 Zum Gebrauch des Verbs in der griechischen Literatur vgl. ROMINA VERGARI, Art.  , !  , Historical and Theological Lexicon of the Septuagint (Anm. 17), 769–771. 21 Eine große Zahl von Belegen für die Totenauferweckung in der ganzen Breite der griechischen Literatur von der klassischen Epoche bis in die Spätantike unter Verwendung verschiedener Wörter und Vorstellungen hat JOHN GRANGER COOK, The Greek Vocabulary for Resurrection in Paganism, in: In mari via tua (FS A. Piñero), hg. v. ISRAEL M. GALLARTE/JESÚS PELÁEZ, EFN 11, Cordoba 2016, 197–216, gesammelt. Darunter findet sich aber kein weiterer für das Nomen !  .

2.     

383

solchen Gebrauch aufgrund seiner Polyvalenz und seines semantischen Gehalts im Sinne der Aufrichtung von etwas, was am Boden liegt. Auch mit dem Verb wird in der paganen Literatur die Möglichkeit einer Wiederbelebung Toter eher ausgeschlossen. 22 Auf Inschriften bezeichnen Substantiv wie Verb oft die Errichtung von Statuen oder Grabsteinen. Auf eindeutig jüdischen Inschriften ist das Nomen !   nur einmal belegt. 23 2.2 Das Nomen !   in frühjüdischen Schriften Während das Verbum in der Septuaginta häufig vorkommt und unspezifisch verteilt ist, 24 gibt es für das Nomen nur insgesamt sechs Belege, davon einen nur in sekundärer Überlieferung. 25 Daneben stehen ein Verweis auf den Gerichtstag, an dem der Herr aufstehen wird zum Zeugnis gegen die Völker, 26 sowie eine Klage über das Aufstehen der Feinde des Beters, die ihn offenbar Tag und Nacht angreifen. 27 Schließlich wird beim Propheten Daniel das Auftreten eines Usurpators der seleukidischen Königswürde als „Aufstand“ bezeichnet. 28 Nur das ursprünglich griechisch verfasste 2. Makkabäerbuch bietet das Nomen !   an zwei Stellen im Sinne der Auferweckung der Toten. 29 Ein konventioneller Ausdruck ist das Wort in der Septuaginta dafür also nicht. Das Verb  zeigt im Bedeutungsspektrum in der Septuaginta ähnlich wie in der paganen Literatur keinerlei Auffälligkeiten. Nur an wenigen Stellen wird es im Zusammenhang mit Aussagen über die Totenauferweckung gebraucht. Bei Jesaja steht es an einer Stelle parallel zu ©™” . 30 Auch bei Daniel kann es einmal die zu erwartende endzeitliche Auferstehung benennen. 31 22

Homer, Ilias 24,551.756, vgl. 15,287; 21,56; Herodot, Historien 3,62; Euripides, Hercules 719; Aischylos, Agamemnon 1360f.; behauptet wird sie dagegen von Asklepios: Xenophon, Cynegeticus 1,6; Pausanias, Descriptio 2,26.5; 2,27.4. 23 S. zur Inschrift aus Bet Schearim u., 389f. 24 Ca. 530 Belege, davon mehr als 300 als Äquivalent zu . 25 Ps 65 Überschrift, s. dazu u., 395–397. 26 Zef 3,8: „darum warte auf mich, spricht der Herr, bis zum Tag meines Aufstehens (§ œ”   ­) zum Zeugnis“. 27 Klgl 3,63: „schaue ihren Sitz und ihr Aufstehen (    ˜•) an“. 28 Dan 11,20: „Und aus seiner Wurzel wird ein Gewächs des Königtums aufstehen zum Aufstand (§    [diff. Th: “‘¡Ÿ   ]), ein Mann, der die Herrlichkeit des Königs verletzt.“ 29 2Makk 7,14; 12,43; s. dazu u., 387f. 30 Jes 26,19: „Die Toten werden auferstehen (  Ë ’ ”™), und die in den Gräbern werden auferweckt werden, und freuen werden sich die auf der Erde.“ 31 Dan 12,2: „und viele von denen, die in der Weite der Erde schlafen, werden aufstehen (    ), die einen zu ewigem Leben, die andern zu Spott, die anderen zu ewiger Zerstreuung und Schande“. Dieselbe Bedeutung hat das Verb auch in PsSal 3,12: „die aber den Herrn fürchten, werden auferstehen (  Ë ) zum ewigen Leben, und ihr Leben wird im Licht des Herrn sein und nicht mehr vergehen“.

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„Auferstehung“ im Frühjudentum

Noch deutlicher ist der Befund bei Philon und Josephus. Philon hat insgesamt nur sieben Belege für !  , davon drei in unsicherer Rückübertragung aus dem Armenischen an derselben Stelle der Quaestiones in Genesim. 32 Die übrigen vier Belege bezeichnen als Hendiadyoin in stehender Verbindung mit ” “  eine Vernichtung bzw. Vertreibung. 33 Josephus gebraucht das Nomen insgesamt 14 Mal in unterschiedlichem Sinn, 34 aber nie für die Totenauferstehung. Zwar weiß Josephus manches über Endzeiterwartungen bei den Pharisäern und deren Vorstellungen von einem Leben über den Tod hinaus zu berichten, 35 verwendet dafür aber nie die Wortgruppe !  /  . 2.3 Das Nomen !   in frühchristlichen Schriften Umso auffälliger erscheint auf diesem Hintergrund der breite und dichte Sprachgebrauch im Neuen Testament. Die insgesamt 42 Belege für !   beziehen sich mit einer Ausnahme 36 sämtlich auf die Totenerweckung. Freilich zeigen sich bei näherem Hinsehen durchaus Eigenheiten und Schwerpunkte. So ist bei den Synoptikern der Gebrauch des Nomens    weitgehend auf die Perikope von der Sadduzäerfrage beschränkt (Mk 12,18–27) 37 und bezieht sich auf die allgemeine Totenerweckung am Ende der Zeit. Markus und Matthäus verwenden es überhaupt nur an dieser Stelle. Der Ausdruck  À   wird hier wie eine eschatologische Zeitangabe gebraucht (Mk 12,23), die Wendung   • ”• wie ein geprägter Begriff (Mt 22,31; Lk 20,35   ”•). Nimmt man die betreffenden Stellen in der Apostelgeschichte hinzu, 38 dann haben allein 16 der 42 neutestamentlichen Belege die pharisäische Auffassung von der Auferstehung im Blick. Hier klingt die auch von Josephus berichtete Debatte zwischen Pharisäern und Sadduzäern an. 39

32 QuaestGen 2,15 nach Gen 7,4, wo schon ein Teil der Septuaginta-Überlieferung für ! „Aufrichtung“ ½ !   liest. 33 Post 185; Agr 151; Mos 1,164; LegGai 330. 34 Errichtung von Gebäuden (Bell 6,410; Ant 14,473), Gebäudeteilen oder Statuen (Bell 5,205; Ant 17,151; 18,301), Wiedererrichtung Jerusalems und des Tempels (Ant 11,19), Aufruhr/Umsturz (Bell 6,339; Ant 17,212; 18,275), Vernichtung/Vertreibung (Ant 2,248; 10,185; 11,112), Aufrichtung einer Herrschaft (Ant 16,278). 35 Z.B. Bell 2,163; Ant 18,14; vgl. dazu CASEY D. ELLEDGE, Life after Death in Early Judaism. The Evidence of Josephus, WUNT II/208, Tübingen 2006, 57–63. 36 Lk 2,34: ì  § “•  ‘    “•. 37 Vgl. dazu OTTO SCHWANKL, Die Sadduzäerfrage (Mk 12,18–27 parr). Eine exegetisch-theologische Studie zur Auferstehungserwartung, BBB 66, Frankfurt a. M. 1987. 38 Apg 23,6.8; 24,15.21. 39 Josephus, Bell 2,162–166; Ant 18,12–17, bei Josephus aber eben ohne das Nomen   .

2.     

385

Stärker profiliert ist der Sprachgebrauch unter den Synoptikern nur bei Lukas, vor allem, wenn man die elf Belege der Apostelgeschichte hinzunimmt. Lukas verwendet außerhalb der Perikope von der Sadduzäerfrage in seinem Evangelium noch die Wendung „bei der Auferstehung der Gerechten“ (À   • , Lk 14,14) und in der Apostelgeschichte „Auferstehung der Gerechten und Ungerechten“ (    Ì    ‘  , Apg 24,15). Lediglich zweimal in der Apostelgeschichte geht es um die allgemeine Totenerweckung. 40 Die Mehrzahl der Belege (sechs von elf) bezieht sich hier (aber nie im Evangelium) explizit auf die Auferstehung Jesu von den Toten; 41 an drei weiteren Stellen steht diese im Hintergrund. 42 Nicht häufig, aber prägnant und reflektiert wird das Nomen    an zwei Stellen im Johannesevangelium verwendet (nie dagegen in den Johannesbriefen). Unmittelbar nachdem Jesus dem, der sein Wort hört und an ihn glaubt, jetzt schon ewiges Leben und Rettung aus dem Gericht zugesprochen hat (Joh 5,24), kündigt er die künftige Auferstehung der Toten an (5,25) und meint damit die endzeitliche Auferstehung aller zum Gericht. 43 In der Perikope von der Auferweckung des Lazarus wird Martha in der Begegnung mit Jesus vom „Missverständnis“ einer künftigen Auferstehung am letzten Tag 44 zu der Erkenntnis geführt, dass Jesus selbst „die Auferstehung und das Leben“ ist. 45 Nie aber wird bei Johannes    für das Ereignis der Auferweckung Jesu am Tag nach dem Sabbat gebraucht. Paulus verwendet das Nomen außer in 1Kor 15 (viermal) nur noch in Röm 1,4; 6,5 und Phil 3,10, 46 jeweils ausdrücklich mit Blick auf die Auferstehung Jesu. In seiner Argumentation in 1Kor 15 geht es um den Zusammenhang dieser mit der endzeitlichen Totenerweckung vice versa. Darüber hinaus redet Paulus aber natürlich viel öfter von der Auferstehung Jesu, nur eben nicht unter Verwendung von   . Dasselbe gilt für das übrige Corpus Paulinum und die weiteren Schriften des Neuen Testaments. In den Pastoralbriefen wird als Irrlehre referiert, dass die Auferstehung schon geschehen sei. 47 Der 1. Petrusbrief redet zweimal von der Auferstehung Jesu. 48 Im Hebräerbrief kommt die endzeitliche Totenauferstehung an zwei Stellen in den Blick: Zu den

40

Apg 23,8 mit Blick auf die Pharisäer sowie 24,15. Apg 1,22; 2,31; 4,2.33; 17,18; 24,21. 42 Apg 17,32; 23,6; 26,23. 43 Joh 5,29. 44 Joh 11,24. 45 Joh 11,25. 46 Dazu noch Phil 3,11: ½    …   ”•. 47 2Tim 2,18. 48 1Petr 1,3; 3,21. 41

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Grundlehren der Christen gehören „Auferstehung der Toten und ewiges Gericht“. 49 Das andere Mal werden die Auferweckung des Sohnes der Wirtin Elijas durch den Propheten und die Auferstehungshoffnung der makkabäischen Märtyrer in kühnem Bogen in einen Topf geworfen, verbunden durch das Nomen   . 50 Die Johannesoffenbarung spricht von der „ersten Auferstehung“ der Märtyrer zur Herrschaft mit Christus im tausendjährigen Reich, 51 verwendet die Wortgruppe aber sonst nicht. Der Gesamtbefund aus den neutestamentlichen Belegen lässt sich nicht ganz einfach zusammenfassen. Einerseits ist im Vergleich zur paganen und frühjüdischen Literatur die Häufigkeit im Gebrauch des Nomens    für die Totenauferstehung offenkundig. Das ist umso auffälliger, wenn man sieht, dass bei den Apostolischen Vätern, aber im Gegensatz zu Philon und Josephus, das Wort ausschließlich in diesem Sinne verwendet wird, und zwar entweder für die Auferstehung Jesu oder für die allgemeine Totenauferstehung. Der neutestamentliche Sprachgebrauch ist also im frühchristlichen Milieu sehr schnell prägend geworden, während er außerhalb dieses Bereiches offenbar weder vor noch nach der Entstehung der neutestamentlichen Schriften unmittelbar naheliegend schien. Gleichwohl kann man mit Blick auf die neutestamentliche Verwendung des Wortes    nicht von einem festen terminus technicus für die Totenauferstehung sprechen. Dazu sind die Verwendungen im Einzelnen zu vielfältig und zu wenig fixiert. Auch wenn der spezifische Bezug auf die endzeitliche Auferweckung der Toten bei fast allen neutestamentlichen Belegen bestimmend ist, so ermöglicht doch die semantische Polyvalenz des griechischen Verbums  und seiner Derivate auch im Neuen Testament immer wieder neue Wendungen und Formulierungen, die jeweils eigenständige Verständnis- und Interpretationsmöglichkeiten für das Gemeinte bieten. 52

49

Hebr 6,2. Hebr 11,35 nach 1Kön 17,17–24. 51 Offb 20,5f. 52 Ein Beispiel für die weitergehende Rezeptionsgeschichte ist der –erst in ‚gnostischen‘ Gruppen belegte – Gebrauch der Verben  und ©” für die „Auferstehung der Seele“; vgl. dazu JOHN GRANGER COOK, The use of  and ©” and the „Resurrection of a Soul“, ZNW 108, 2017, 259–280. 50

3.    !" # $% 

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3. Die Begriffsentwicklung von !   im Überschneidungsfeld von Frühjudentum und frühem Christentum 3. Die Begriffsentwicklung von !   3.1 Frühjüdische Belege für !   zur Bezeichnung der endzeitlichen Totenerweckung Blicken wir nun von dem spezifischen Verständnis des Nomens !   im Neuen Testament her noch einmal auf die Verwendung des Wortes in frühjüdischen Quellen. Von den wenigen Belegen in der Septuaginta ist der in Dan 11,20 LXX 53 in unserem Zusammenhang nur insofern von Interesse, als im weiteren Kontext der Stelle auch der früheste frühjüdische Beleg für eine individuelle Totenauferweckung zum Gericht begegnet, wobei immerhin das Verb  verwendet wird. Im Rahmen einer ausladenden Schlussvision über die künftigen Herrschaften bis zum Ende der Zeit, die dem Propheten durch einen Engel als Wahrheit vermittelt wird (11,2; deshalb in der Forschung „angelic discourse“ genannt), 54 heißt es gegen Ende: „Und viele von denen, die in der Weite der Erde schlafen, werden aufstehen (    ), die einen zum ewigen Leben, die andern zu Spott, die andern zu ewiger Zerstreuung [und Schande].“ (12,2) 55 Demgegenüber war in 11,20 mit dem Nomen !   das Auftreten eines Usurpators der seleukidischen Königswürde bezeichnet worden (gemeint ist offenbar Seleukos IV.). Mit der Erwartung der endzeitlichen Totenerweckung nach Dan 12,2 steht das in keinerlei Zusammenhang. Damit verbleibt innerhalb der Septuaginta nur eine einzige Schrift, in der das Nomen !   an zwei Stellen eindeutig auf die endzeitliche Totenerweckung bezogen wird, das 2. Makkabäerbuch. Beide Stellen nehmen hier das künftige Geschick der Märtyrer in den Blick, die von dem heidnischen Seleukidenkönig Antiochus IV. Epiphanes wegen ihrer Treue zur Tora auf grausamste Weise umgebracht werden. 56 Bei der Schilderung des Martyriums der sieben Söhne und ihrer Mutter (2Makk 7) bekennt sich der vierte der Söhne im Angesicht des Todes zu den Verheißungen Gottes, „von ihm wieder auferweckt

53

S.o., 383. Vgl. dazu JOHN J. COLLINS, Daniel. A Commentary on the Book of Daniel, Hermeneia, Minneapolis 1993, 394–398. Zu den Auferstehungsaussagen in der Vision im Zusammenhang mit dem Danielbuch vgl. JAQUES B. DOUKHAN, From Dust to Stars. The Vision of Resurrection(s) in Daniel 12,1–3 and its Resonance in the Book of Daniel, in: GEERT VAN OYEN/TOM SHEPHERD (Hg.), Resurrection of the Dead. Biblical Traditions in Dialogue, BEThL 249, Leuven 2012, 85–98. 55 Vgl. dazu ANDREW CHESTER, Future Hope and Present Reality, Bd. 1: Eschatology and Transformation in the Hebrew Bible, WUNT 293, Tübingen 2012, 291–295. 56 Siehe hierzu die grundlegende Studie von J AN WILLEM VAN HENTEN, The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People. A Study of 2 and 4 Maccabees, JSJ.S 57, Leiden 1997, zu den Passagen mit Auferstehungsaussagen a.a.O., 85–124.163–186. 54

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zu werden“ (“     ), und spricht ein solche Hoffnung dem König ab: „Für dich aber wird es eine Auferstehung ins Leben (   § Ñ ) nicht geben.“ (2Makk 7,14) Schon der zweite der Söhne hatte mit ähnlichen Worten seine Hoffnung über den Tod hinaus ausgedrückt: „Der König der Welt wird uns, die wir für seine Gesetze gestorben sind, in ein ewiges Wiederaufleben des Lebens auferstehen lassen“ (§ §­     Ñ Â    , 7,9). Der dritte Sohn hält dem Folterer freiwillig seine Hände hin in der Hoffnung, sie vom Himmel, dem er sie ja verdankt, wieder empfangen zu werden (7,11). Die Mutter schließlich bringt vor dem Martyrium ihres letzten Sohnes ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass „der Schöpfer der Welt, der den Menschen geschaffen hat … euch Geist und Leben wieder barmherzig erstatten wird“, so dass sie ihre Söhne in der Zeit der Barmherzigkeit zurückerhalten werde (7,23; vgl. 7,29). Deutlich ist, dass hier in verschiedenen Wendungen die Hoffnung auf ausgleichende Gerechtigkeit nach dem Tod und auf Wiedererlangung des Lebens nach dem Martyrium für die Tora zur Sprache gebracht werden kann. Das Wort !   stellt dabei nur eine von verschiedenen sprachlichen Möglichkeiten dar, diese Hoffnung auszudrücken. Ein konventioneller Gebrauch liegt auch hier nicht vor. Man kann an allen Stellen von der Grundbedeutung des Verbums „aufstehen“ ausgehen. Erst durch den Kontext wird sie semantisch mit Hoffnungen über den Tod hinaus gefüllt. Das ist an der zweiten Stelle im 2. Makkabäerbuch anders. In 2Makk 12,43 wird die Wendung “”   wie eine Kurzformel für eine bekannte, klar konturierte Vorstellung gebraucht. Der Makkabäer Judas sorgte dafür, dass für die Gefallenen in Jerusalem ein Sündopfer (“”‘¸ ”   ) dargebracht werden kann. Darin „handelte er gut, indem er die Auferstehung bedachte“ (“”    © Ñ). Aber auch hier wird die knappe Wendung im Folgenden näher erläutert und in weitere Überlegungen eingeordnet, wie Opfer und Gebete für die Toten begründet werden sollen (12,44f.). In frühjüdischen Zeugnissen außerhalb der Septuaginta wird das Nomen !   nur sehr selten gebraucht, mit einer Ausnahme, die wir unten näher besprechen werden (grLAE). Der deutlichste Beleg steht im Testament Hiobs (TestHi 4,9), in einer Reihe von Zusagen, die ein Engel Gottes für den Fall macht, dass Hiob sich vom Götzendienst abkehrt. 57 Zwar werde er den Anschlägen Satans ausgesetzt sein und all seinen Besitz und seine Kinder verlieren, doch wenn er standhaft bleibe, werde er nicht nur alles doppelt wiedererlangen, sondern, wie ihm der Engel verspricht: „du wirst auferweckt werden bei der Auferstehung“ (©” ¤  À   ). Bezeichnend ist, dass

57 Vgl. dazu SIGVARTSEN, Afterlife and Resurrection Beliefs in the Pseudepigrapha (Anm. 11), 27–36.

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diese Ankündigung in keiner Weise mit den weiteren Zusagen an Hiob im Kontext der Stelle ausgeglichen wird, die auf seine Standhaftigkeit im Kampf gegen Satan und auf die Wiederherstellung seines irdischen Wohlstands ausgerichtet sind. Die Auferstehungshoffnung erscheint hier eher wie ein Nebenmotiv, was wohl auf den narrativen Zusammenhang zurückzuführen ist. Insgesamt sind die Heilserwartungen im Testament Hiobs jedenfalls überaus vielfältig und werden in keiner Weise miteinander ausgeglichen. 58 Neben der Erwartung einer individuellen künftigen Totenerweckung in 4,9 gibt es Vorstellungen der leiblichen Entrückung nach dem Tod (39,12f.) oder der Trennung von Leib und Seele beim Tod bzw. der Aufnahme (nur) der Seele in den Himmel bzw. ins Paradies im Osten (52,10), vielleicht auch vom Seelenschlaf in der himmlischen Stadt vor dem Endgericht (40,4). 59 In den Vitae Prophetarum kommt das Nomen !   an zwei Stellen vor, deren Kontext allerdings deutlich christlich gefärbt ist. In der Jeremia-Vita ist von der Auferstehung der Lade des Gesetzes die Rede, die der Prophet vor der Zerstörung des Tempels entnommen und in einem Felsen verborgen hatte. 60 Die hier verwendete Wendung À   wirkt wie ein eschatologisches Datum für die von den Heiligen auf dem Berg Sinai erwartete Wiederkunft des Herrn. Das deutet auf eine christliche Interpolation. Unter den vielfältigen endzeitlichen Vorstellungen an dieser Stelle ist jedenfalls von einer endzeitlichen Totenerweckung keine Rede, sondern von der Versammlung der Heiligen bei dem Felsen, wo sie den Herrn erwarten. Die zweite Stelle in der Jona-Vita ist noch deutlicher als christlicher Zusatz zu erkennen, wenn dort Jona als „Typos der Auferstehung des Herrn“ (œ ”™  ) bezeichnet wird (VitProph 10,8B). Schließlich ist mir nur ein einziger Beleg für das Nomen !   auf einer eindeutig jüdischen Inschrift bekannt. 61 An einer Wand des Korridors, der zu einer der Katakomben der Nekropole von Bet Schearim führt, steht kurz

58 Vgl. CEES HAAS, Job’s Perseverance in the Testament of Job, in: MICHAEL A. KNIBB/ PIETER W. VAN DER HORST (Hg.), Studies on the Testament of Job, Cambridge 1989, 117– 154. 59 An der zuletzt genannten Stelle begegnet auch das Verb    . 60 VitProph 2,12:  À   “”­  ¢    . In den Testamenten der Zwölf Patriarchen wird nur das Verb verwendet, sofern von der endzeitlichen Totenerweckung die Rede ist in offenkundig christlich geprägten Zusammenhängen (TestSim 6,7; TestLev 17,2; TestJud 24,1; 25,1.4; TestSeb 10,2; TestBenj 10,6.7.8; 11,2). Zu den Vitae Prophetarum insgesamt vgl. ANNA MARIA SCHWEMER, Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden. Vitae Prophetarum, Bd. 1: Die Viten der großen Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel. Einleitung, Übersetzung und Kommentar, TSAJ 49, Tübingen 1995, zu VitProph 2,12 a.a.O., 221–223. 61 Die häufig herangezogene Inschrift aus Eumeneia, IGR IV 743/SEG VI 210, ist christlich, vgl. ANTHONY R. R. SHEPPARD, Jews, Christians and Heretics in Acmonia and Eumeneia, AnSt 29, 1979, 169–180.

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und bündig: „Alles Gute zu eurer Auferstehung!“ (¹˜£•À•   ). 62 Andere Vorstellungen vom Leben nach dem Tod begegnen auf jüdischen Grabinschriften natürlich sehr viel häufiger. 63 Es zeigt sich somit, dass in frühjüdischen Quellen zwar vielfältige Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod begegnen und auch die Erwartung einer endzeitlichen Totenerweckung breit bezeugt ist. Das Nomen !   wird aber nur sehr selten zum Ausdruck solcher Vorstellungen in Anspruch genommen. Das dazugehörige Verbum begegnet etwas häufiger in Kontexten, in denen von der endzeitlichen Totenerweckung die Rede ist, hat aber keineswegs die Funktion eines terminus technicus, sondern eignet sich lediglich aufgrund seiner Polyvalenz und seines semantischen Gehalts im Sinne der Aufrichtung von etwas, was am Boden liegt, auch für einen solchen Gebrauch. 3.2. Das Nomen !   im Griechischen Lebens Adams und Evas Das ist im Griechischen Leben Adams und Evas (grLAE) 64 ganz anders, wo das Nomen !   für die endzeitliche Totenauferstehung am häufigsten vorkommt. 65 Diese frühjüdische Erzählung (auch bekannt unter dem Namen „Apokalypse des Mose“ 66) entfaltet die biblische Geschichte von Adam und Eva mit ihren Nachkommen Kain, Abel und Set. 67 Ausgehend von der Vertreibung des Urelternpaares aus dem Paradies reicht der Erzählbogen bis zu deren

62 MOSHE SCHWABE/BARUCH LIFSHITZ, Beth She’arim, Bd. 2: The Greek Inscriptions, Jerusalem 1967, Nr. 194; RICHARD N. LONGENECKER, „Good Luck on your Resurrection“: Beth She’arim and Paul on the Resurrection of the Dead, in: Text and Artifact in the Religions of Mediterranean Antiquity (FS P. Richardson), SCJud 9, hg. v. STEPHEN G. WILSON/ MICHEL DESJARDINS, Waterloo 2000, 249–270. 63 S.o., 381, Anm. 14. 64 Auf die Einleitungsfragen gehe ich in den Anm. 67 genannten Aufsätzen näher ein; dort auch weitere Sekundärliteratur. Zur ersten Orientierung vgl. OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas (JSHRZ II/5), in: GERBERN S. OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ VI/1,2, Gütersloh 2005, 151–194; ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, Turnhout 2000, 3–58; FOLKER SIEGERT, Einleitung in die hellenistisch-jüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin/Boston 2016, 600–606. Eine knappe Einführung bieten MARINUS DE JONGE/JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve and Related Literature, Sheffield 1997. 65 Zu den Zukunftserwartungen insgesamt in grLAE vgl. jetzt SIGVARTSEN, Afterlife and Resurrection Beliefs in the Pseudepigrapha (Anm. 11), 71–84. 66 Dieser Name leitet sich aus der Überschrift in griechischen Handschriften her („Geschichte und Wandel Adams und Evas, der Ersterschaffenen, die Mose, seinem Diener, von Gott offenbart wurde [¨ÀÌ “ ›  ]“), die allerdings keinen Anhalt am Inhalt der Schrift hat. 67 Die folgenden Ausführungen überschneiden sich z.T. mit Passagen aus drei weiteren Aufsätzen zum grLAE: KARL-WILHELM NIEBUHR, Wohin mit den Toten? Begräbnispraxis

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Tod und Begräbnis. Der Schwerpunkt des Erzählinteresses der Schrift liegt beim Tod des Menschen und seiner Bewältigung. Durch Dialoge und Monologe, Bußgebete und Mahnreden sowie verbindende Bemerkungen des Erzählers werden die Erzählstoffe und -motive zu einer neuen literarischen Komposition verbunden, die gegenüber den biblischen Vorlagen eine eigenständige Intention erkennen lässt. 68 Im Mittelpunkt stehen Belehrungen über den Umgang mit Krankheit, Tod und Begräbnis, darüber hinaus aber auch explizit die Auferstehungshoffnung. Durch Rückblicke des Erzählers auf das Paradiesgeschehen und Ausblicke auf eine jenseits der Erzählgrenze liegende Zukunft erhält das erzählte Geschehen eine kommentierende Deutung. In diesem Rahmen stehen auch die expliziten Ausblicke auf die Auferstehung der Toten. Im ersten Teil der Erzählung wird eine Reise Evas und Sets zum Paradies geschildert, wo sie heilsames Öl für den sterbenskranken Adam holen wollen (10,1–12,2). Gleich zu Beginn dieser Reise blickt Eva angesichts des durch ihre Sünde zerstörten Schöpfungsfriedens mit einem Weheruf auf ihre Auferstehung voraus und bekennt weinend: š  š ¬ ²  « ª  § ¡ Ž”    !¬ “! ’ ¸ ”Ë   ”! ™  Ž© “ !”   ¹ê ¬ ²  ˜  ›Å ½ ¡ ¡  . 69 Wehe, wehe, denn wenn ich komme zum Tag der Auferstehung, werden mich alle, die gesündigt haben, verfluchen und sprechen: „Verflucht sei Eva, denn sie hat nicht das Gebot Gottes gehalten.“ (LAE 10,2) 70

In der Nähe des Paradieses angekommen, begegnet ihnen der Erzengel Michael, der ihnen zwar die Hoffnung auf Adams Heilung nimmt, sie aber dann mit einer Verheißung entlässt: und Auferstehungshoffnung in der Spätantike, in: Sitzungsberichte der Akademie für Gemeinnützige Wissenschaften zu Erfurt, Vorträge der Geisteswissenschaftlichen Klasse 7, Erfurt 2013, 45–59 [in diesem Band 533–545]; DERS., Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im griechischen Leben Adams und Evas, in: WALTER AMELING (Hg.), Topographie des Jenseits. Studien zur Geschichte des Todes in Kaiserzeit und Spätantike, Altertumswissenschaftliches Kolloquium 21, Würzburg 2011, 49–67 [in diesem Band 511–531]; DERS., Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im Griechischen Leben Adams und Evas auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob [in diesem Band 547–570]). 68 Vgl. dazu die umfassenden Analysen von JAN DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005, 105–172; THOMAS KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘. Studien zu einer narrativen Anthropologie im frühen Judentum, TSAJ 88, Tübingen 2002, 84–100. 69 Im griechischen Text folge ich DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose (Anm. 68), unter Berücksichtigung der kritischen Edition von JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PVTG 6, Leiden 2005. 70 Die deutschen Übersetzungen folgen in der Regel OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas, JSHRZ II/5, Gütersloh 1998, 737–870.

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˜•· Nicht wird es dir jetzt geschehen. Sondern in den letzten Zeiten dann wird auferstehen alles Fleisch, von Adam an bis zu jenem großen Tage, alle die heiliges Volk sein werden. Dann wird ihnen gegeben werden alle Freude des Paradieses. Und es wird Gott sein in ihrer Mitte. (LAE 13,3f.)

Schon bevor die Erzählung sich endgültig Adams und Evas Tod und Bestattung zuwendet, kommt bei ihrer Vertreibung aus dem Paradies die Auferstehung noch ein drittes Mal in den Blick. Zwar wird auch hier Adams Bitte um Barmherzigkeit nicht sofort entsprochen, aber Gott stellt ihm in Aussicht: « ›!½¤ Ÿ ¢ “¢ “ ¢

 ç — “ ¬  ! “!  ©Ž  Ë ¬ ‘  Ë ™      ½Å  Ѭ ‘ ! ª¤§¢ §• Á Wenn du dich … selbst bewahrst vor allem Bösen, in der Bereitschaft zu sterben, werde ich dich wieder auferwecken in der Zeit der Auferstehung. Und es wird dir vom Baum des Lebens gegeben werden, und du wirst unsterblich sein in Ewigkeit. (LAE 28,4)

Besonders komprimiert begegnet der Ausblick auf die endzeitliche Auferweckung naturgemäß angesichts des Todes und der Bestattung von Adam und Eva. Bei der Versiegelung seines Grabes spricht Gott den toten Adam unmittelbar an und verspricht ihm: “!  ¡ !   “ ©©Ž ™  ·  Ë   À £!¤ Ž”¥  À  ! «“ ¢  ”Ç“ “Ž” —Á Wiederum verheiße ich dir die Auferstehung. Ich werde dich auferstehen lassen bei der Auferstehung mit dem ganzen Menschengeschlecht, das aus deinem Samen stammt. (LAE 41,2)

Doppelt wird hier die Grenze der erzählten Zeit durchbrochen, indem der Gesamtheit der noch nicht einmal geborenen Nachkommenschaft Adams eine Zukunft zugesagt wird, die auch ihre Lebenszeit noch überschreiten wird, und diese Zukunft wird auf den Begriff „Auferstehung“ gebracht. 71 Bei Evas Tod und Begräbnis, womit die Erzählung schließt, kommt die Auferstehung noch einmal in den Blick. Die Anweisungen Michaels an Set zur Bestattung seiner Mutter werden mit der Mahnung verbunden: î Ë“! ± ”“ “ Ë  ÞŽ”   !Á So bereite alle Menschen, die sterben, zur Bestattung bis zum Tage der Auferstehung! (LAE 43,2)

Auch hier wird also wieder der Zeitraum der Erzählung überschritten hin zum „Tag der Auferstehung“. 71

Vgl. die Stichwortwiederholung in 41,2!

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Besonders auffällig ist also jeweils die narrative und textpragmatische Stellung der Auferstehungsaussagen innerhalb der Gesamterzählung. Angesichts der sonst sehr geschlossenen Zeitstruktur der Erzählung, die mit Tod und Begräbnis der Erzeltern endet, stechen die expliziten Verweise auf die Auferstehung hervor. Sie lenken den Blick auf eine außerhalb der erzählten Zeit liegende Zukunft, die selbst für Adams Nachkommenschaft, die ja ihrerseits schon jenseits der Erzählgrenze lebt, noch in der Zukunft liegt. Im Blick ist also für die zu erwartende Auferstehung eine eschatologische Zukunft, die auch der Zeit der Leser der Schrift noch voraus liegt. Die Universalisierung der Auferstehungsankündigungen unterstreicht diese Ausrichtung noch. „Alles Fleisch (“ !”½) von Adam bis zu jenem großen Tag“ wird „ein heiliges Volk sein.“ (LAE 13,3) „Alle, die gesündigt haben“ (“! ’ ¸ ”Ë ), werden Eva wegen ihrer Übertretung des göttlichen Gebotes verfluchen (10,2). Von daher gilt die Verheißung der Auferstehung und der Unsterblichkeit auch nicht allein Adam, sondern allen seinen Nachkommen – und damit insbesondere den Lesern, sofern sie „sich hüten vor allem Schlechten“ und in dieser Weise sich zum Sterben bereiten (28,4). Es zeigt sich damit, dass die Aussagen über die Auferstehung für die Aussageabsicht der Schrift entscheidendes Gewicht besitzen. Immer und nur beim Ausblick auf die Auferstehung wird die Ebene des erzählten Geschehens durchbrochen und auf die Lebenszeit der Leser und ihre eschatologische Zukunft hin geöffnet. Damit sind textpragmatisch entscheidende Signale gesetzt. Stärker als alle noch so farbigen Schilderungen himmlischer oder paradiesischer Welten, die jenseits der Todesgrenze auf den Menschen warten, soll der Ausblick auf die Auferstehung die Leser in besonderer Weise ansprechen. Auch die Ankündigung des eschatologischen Gerichts ist im Griechischen Lebens Adams und Evas textpragmatisch dieser Zusage der Auferstehung untergeordnet. Das zeigt sich daran, dass Adam schon innerhalb der erzählten Zeit göttliches Erbarmen widerfährt (freilich erst nach seinem Tod, aber eben vor seiner Erdbestattung, 37,2–4), während seine Auferstehung jenseits dieser Zeit in der Zukunft liegt. Es würde die textpragmatische Logik der Erzählung empfindlich stören, würde die Entscheidung für oder wider die Barmherzigkeit Gottes über Adam und seine Nachkommen bis zum künftigen Gericht bei der Auferstehung offengehalten. So wird die Verkündigung der Sündenvergebung, die frühjüdisch-traditionell eher in einen Vorstellungszusammenhang des göttlichen Endgerichts gehört, im Griechischen Lebens Adams und Evas gewissermaßen schon im Rahmen der Erzählung von deren Tod und Begräbnis vorweggenommen. Das dürfte textpragmatisch mit dem Akzent der Schrift auf dem Tod und dem Umgang mit Toten zusammenhängen. 72 Die Auferstehungsverheißung als Heilsgeschehen wird jedoch gleichzeitig durchaus betont an den Schluss der Erzählung gestellt, gleichsam als Fenster in eine Zukunft, von der 72

Vgl. dazu NIEBUHR, Wohin mit den Toten (Anm. 67), 51–57.

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noch nicht zu erzählen, die aber auf der geistigen Grundlage des erzählten Geschehens schon zu erhoffen ist. Nun könnte natürlich gerade hieran sich eine spezifisch christliche Endzeitvorstellung bestens anschließen. Auferstehung, eschatologisches Gericht und Sündenvergebung bilden in der frühchristlichen Eschatologie einen durchaus engen Zusammenhang, der freilich dort in aller Regel dezidiert christologisch fundiert und soteriologisch entfaltet wird. 73 Allerdings finden sich im überlieferten Text des Griechischen Lebens Adams und Evas solche erkennbar christlich konnotierten Auferstehungsvorstellungen an keiner Stelle. Das allein wäre sicher noch kein Beweis für eine vorchristlich-frühjüdische Entstehung der Schrift. 74 Es gibt aber weitere Argumente und Beobachtungen, die für eine solche sprechen. So ist die Gestaltung der Schlussszenen in ihrer Funktion als Krönung des ganzen Erzählgebäudes unter auffälliger Betonung der Siebenzahl bei einem christlichen Autor kaum vorstellbar. Dort erklärt nämlich der Erzengel Michael dem Set nach Evas Beerdigung: “!”½Ž”•ï½¡“ Ë· ÀŸ—¤Ž”¥ !“  ‘˜›”!  “í

˜À¬ ²   ˜À ‘ · ¢ ‘ ’ ±©©   ˜›” —  «   ™  £¬ ! “¢©. Mehr als sechs Tage lang sollt ihr nicht trauern. Am siebten Tag aber sollst du ruhen und dich freuen an ihm. Denn an ihm freuen sich Gott und wir Engel mit der gerechten Seele ihrer Wanderung (ihres Hinscheidens) von der Erde weg. (LAE 43,3)

Die Propagierung einer solchen endzeitlich ausgerichteten Feier des siebten Tages als Auferstehungsfest, ohne auch nur im Geringsten von der Auferweckung Christi am achten Tage und ihrer Relevanz für die Auferstehungshoffnung der Verstorbenen Notiz zu nehmen, scheint bei antik-christlichen Verfassern kaum vorstellbar. Dass es genügend christliche Leser für eine derartige jüdische Schrift gab, belegt immerhin die handschriftliche Überlieferung. Sie waren offenbar nicht darauf angewiesen, dass die Tradenten und Abschreiber solcher frühjüdischen Schriften immer auch explizit Spuren christlichen Glaubens im Text ihrer Kopien hinterließen (bei anderen Schriften wie den Testamenten der Zwölf Patriarchen, den Paralipomena Jeremiou oder den Vitae Prophetarum konnten sie es durchaus tun). Jedenfalls sollten die Grenzen zwischen einem frühjüdischen Milieu, in dem Schriften wie das Griechische Leben Adams und Evas entstanden sind, und demjenigen frühchristlichen, in dem sie bis in die Spätantike gelesen und tradiert wurden, nicht zu eng gefasst und zu dicht gehalten werden. ‚Judentum‘

73

Vgl. z.B. 1Kor 15,12–34. Zur Diskussion um jüdischen oder christlichen Ursprung der Schrift vgl. NIEBUHR, Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum (Anm. 67), 562f.; DERS., Auf der Suche nach dem Paradies (Anm. 67), 64–67. 74

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und ‚Christentum‘ sind eben in der Zeit, in der die Schrift wahrscheinlich verfasst wurde, noch nicht zwei Religionen, die sich eindeutig voneinander und von ihrer religiös-kulturellen Welt ab- und ausgrenzen lassen. Gerade bei Schriften wie dem Griechischen Leben Adams und Evas wäre es daher anachronistisch und im Grunde für eine sachgemäße Erfassung ihres Entstehungsund Überlieferungsmilieus fatal, die Frage nach ‚jüdischem‘ oder ‚christlichem‘ Ursprung alternativ zu beantworten. Eine christliche Auferstehungshoffnung, so spezifisch theologische und vor allem christologische Wurzeln sie auch haben mag, hätte überhaupt nicht aufkommen und sich in der altkirchlichen Lehrbildung und Frömmigkeitspraxis entfalten können, wäre sie nicht in einem Milieu verwurzelt gewesen und genährt worden, das sich der Begegnung biblisch-jüdischen Glaubens mit der hellenistisch-römischen Zivilisation und Kultur verdankt. Erneut erweist sich damit das hellenistische Frühjudentum als Mutterboden der frühchristlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte. 75 3.3 Das Nomen !   in der sekundären Septuaginta-Überlieferung Über die schon genannten Belege bei Daniel und im 2. Makkabäerbuch hinaus findet sich !   zur Bezeichnung der endzeitlichen Totenerweckung in der Septuaginta nur noch an einer weiteren Stelle, in offenkundig sekundärer Textüberlieferung, in der Erweiterung der Überschrift zu Ps 65. Gegenüber der Annahme, es handele sich dabei um eine christliche Hinzufügung aus liturgischem Gebrauch, hat Martin Karrer zu bedenken gegeben, ob die Überschrift nicht bereits auf der jüdischen Überlieferungsstufe der Psalmen-Septuaginta mit einem Verweis auf die endzeitliche Totenauferstehung versehen worden sein könnte. 76 Da die Zufügung von allen Hauptzeugen außer dem Codex Sinaiticus und der Rezension des Origenes geboten wird, muss sie früh datiert werden, ins 2. oder gar 1. Jh. n. Chr. Für diese frühe Zeit ist ein fixierter liturgischer Gebrauch des Ausdrucks zur Bezeichnung des christlichen Herrentags noch nicht belegt. Dagegen lassen sich in der Textgeschichte der Septuaginta auch an anderen Stellen Tendenzen zu einer Eschatologisierung feststellen, wo

75 Vgl. dazu NIKOLAUS WALTER, Hellenistische Diaspora-Juden an der Wiege des Urchristentums, in: DERS., Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, hg. v. WOLFGANG KRAUS/FLORIAN WILK, WUNT 98, Tübingen 1997, 383–404. 76 MARTIN KARRER/WOLFGANG KRAUS, Umfang und Text der Septuaginta. Erwägungen nach dem Abschluss der deutschen Übersetzung, in: DIES. (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.–23. Juli 2006, WUNT 219, Tübingen 2008, 8–63: 51–53.

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die ursprünglichen Übersetzer noch keine eschatologische Interpretation ihrer hebräischen Vorlage vorgenommen hatten. 77 Einer solchen Tendenz lässt sich auch die sekundäre Überschrift zu Ps 65 zuordnen, wenn man sie in den Kontext weiterer Septuaginta-Stellen rückt, in deren Textüberlieferung sich zumindest Ansatzpunkte für die Herausbildung einer Vorstellung von der Totenauferstehung erkennen lassen. Dazu zählen im „Lob der Väter“ (Sir 46–49) der Makarismus in 48,11 an diejenigen, die den (nach Mal 3,23f. wiederkommenden) Propheten Elija sehen, die Verheißung in 49,10, dass „die Gebeine der zwölf Propheten aufblühen mögen von ihrem Ort“, eine ähnliche Erwartung in 46,11f. im Blick auf die Zukunft der Richter Israels sowie das Lob Josefs in 49,15, wo aus der Hinzufügung der Septuaginta, dass sich seine Brüder „um seine Gebeine … sorgfältig gekümmert“ hätten, in der lateinischen Übersetzung noch die zusätzliche Idee herausgesponnen wurde, Josefs Gebeine hätten „nach dem Tod prophezeit“ (et post mortem prophetaverunt). Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Schluss des Hiob-Buches in der Septuaginta zu, der Spuren einer individuellen Auferstehungserwartung aufweist, die offenbar nicht erst in christlichen Kreisen aufgekommen ist. Der griechische Zusatz zum Buchschluss kommentiert die Todesnotiz am Ende des hebräischen Textes mit der Verheißung, dass Hiob „wiederum auferstehen wird mit denen, die der Herr auferstehen lassen wird.“ (“      ³ð· ¦”   , Hi 42,17a) Von hier aus wird die Rezeption der Hiob-Gestalt als exemplum im Frühjudentum wie im frühen Christentum verständlich. So kann der Jakobusbrief die „Geduld Hiobs“ als Paradigma für die Erwartung des „Endes des Herrn“ verwenden (Jak 5,11), und im Testament Hiobs begegnet schließlich auch die explizite Erwartung seiner Auferstehung (unter Verwendung des Nomens   , TestHi 4,9). 78 Zieht man neben den Tendenzen zur Eschatologisierung in der SeptuagintaÜberlieferung auch die Herausbildung von Auferstehungshoffnungen im Frühjudentum in Betracht, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Zusatz   in der Überschrift von Ps 65 auf ein bereits vor- bzw. nebenchristliches Milieu der Entwicklung von Vorstellungen von einer Auferstehung der Toten verweist. Möglicherweise konnten die Tradenten der Psalmen-Septuaginta damit bei einem eschatologischen Verständnis im Psalm selbst anknüpfen. In 65,9 hat schon die Übersetzung der hebräischen Vorlage eine kollektiv formulierte Lebenszusage im Gotteslob in eine individuelle, zukunftsoffene Wendung transformiert: Gott ist der, „der meine Seele zum Leben bringt“ ( œ ¡ £   § Ñ ). Mit dem Stichwort -

77 Diese Texte habe ich in meinem Aufsatz Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum (Anm. 67), 564–568, ausführlicher behandelt. 78 S.o., 388f.

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   in der Überschrift könnte diese eschatologische Lebensperspektive des Beters dann auf die endzeitliche Totenauferstehung bezogen worden sein. Die frühe Bezeugung dieser Textvariante könnte auf ein ähnliches Milieu hinweisen, aus dem auch das Griechische Leben Adams und Evas stammt, wo das Wort    massiert begegnet. Ehe man dies als Indiz für den christlichen Ursprung des grLAE wertet oder in der Überschrift von Ps 65 einen christlich-liturgischen Zusatz sieht, sollte man die frühe Textüberlieferung der Septuaginta ebenso wie die frühjüdische Erzählung vom Tod Adams und Evas als Hinweise auf ein geistig-religiöses Milieu interpretieren, das den jüdischhellenistischen und den frühchristlichen religiösen Texten gemeinsam ist. Damit wäre ein Milieu frühjüdischer Theologiegeschichte identifiziert, in dem Vorstellungen von der Auferstehung der Toten beheimatet waren und weiterentwickelt worden sind. Gerade die Verwendung eines derart ‚christlich‘ klingenden Wortes wie „Auferstehung“ beleuchtet somit das Überschneidungsfeld von Frühjudentum und frühem Christentum, dem die Kirche ihre gesamte biblische Überlieferung, bestehend aus Altem und Neuem Testament, verdankt. Die terminologische Untersuchung zum Substantiv    führt damit zu einem theologisch relevanten Befund: Vom neutestamentlichen Zeugnis her kann von Auferstehung der Toten nicht ohne das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu von den Toten gesprochen werden. Dieses Bekenntnis und die damit verbundenen endzeitlich orientierten Vorstellungen sind aber nicht ohne die Glaubensüberlieferungen Israels in der biblisch-frühjüdischen Tradition denk- und nachvollziehbar. Das frühchristliche Bekenntnis zur Auferstehung Jesu und derer, die an ihn glauben, hat wiederum offenbar auch terminologische Folgen gehabt, deren Spuren sich in griechisch-jüdischen Schriften und Überlieferungsstufen aus der Zeit nach Entstehung der neutestamentlichen Texte nachweisen lassen, ohne dass sie auf das Wirken christlicher Autoren oder Tradenten zurückgeführt werden können. Weniger komplex sollten wir uns die Beziehungen zwischen ‚Juden‘ und ‚Christen‘ in den ersten drei Jahrhunderten nach Christi Geburt möglichst nicht vorstellen.

Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.“ 1 Diesen Satz Jesu dürfte Josephus wohl ohne Mühe haben nachsprechen können, hätte er ihn gekannt, zumal Jesus ihn noch mit der Selbstvorstellung Gottes gegenüber Mose, einem Zitat aus der Tora, eingeleitet hatte: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ 2 In diesem Gottesglauben, dem Glauben an den Gott Israels, für den der Tod nicht die Grenze bildet, der vielmehr, wie es ein berühmter Pharisäer seiner Zeit ausgedrückt hatte, „die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei“, 3 in diesem Glauben dürfte Josephus mit Jesus ebenso wie mit den Autoren des Neuen Testaments übereingestimmt haben. Interessanter ist schon die Frage, wie Josephus wohl das Gespräch Jesu mit den Sadduzäern im Jerusalemer Tempel, aus dem dieser Satz stammt, 4 verfolgt und beurteilt hätte, wäre er dabei gewesen. Jedenfalls gebraucht Josephus das Wort    nicht in dem Sinne, wie es nach den Synoptikern die Sadduzäer meinen und ablehnen. 5 Das tut eher der Verfasser der Apostelgeschichte, ein Zeitgenosse des Josephus, der mit Blick auf den Pharisäer und ChristusMissionar Paulus genau an diesem Begriff die Unterscheidungslehre zwischen Sadduzäern und Pharisäern festmacht. 6 Nach der Darstellung des Josephus dagegen lehnen die Sadduzäer „die Fortdauer der Seele und die Strafen und Belohnungen im Hades“ ab 7 und lehren stattdessen, „dass die Seelen zusammen mit den Leibern verschwinden“. 8 Das ist nicht dasselbe!

1

Mk 12,27: ˜ ª  ¢ ”• «ÑÇ. Ex 3,6.15. 3 Röm 4,17: “™ ÑÊ“ – ”– ‘ « ¡Ö çÖ Á 4 Vgl. dazu umfassend OTTO SCHWANKL, Die Sadduzäerfrage (Mk 12,18–27 parr). Eine exegetisch-theologische Studie zur Auferstehungserwartung, BBB 66, Frankfurt a. M. 1987. 5 Vgl. Mk 12,18: Ò Ž©  !  ¡å . 6 Vgl. Apg 23,8: ž   ©«”Ž© ¡å  !  ˱©© Ë“ ¬ñ ”   ·© « ›—” . 7 Bell 2,165: £¡ ¡ ‘« íò ”™  ‘ «  ” . 8 Ant 18,16: ž  ™ «£«·—© › ™Ñ Ç  Á 2

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Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

Adolf Schlatter, der große Josephus-Kenner, meinte zur Frage der Sadduzäer an Jesus: „Damit schoben die Saddukäer Jesus die pharisäische Vorstellung von der Auferstehung zu, nach der sie die Rückkehr zur alten Lebensform bedeutet. Sie soll zunächst das wiederherstellen, was durch den Tod zerstört worden ist. Folgerichtig besteht alles, was im Lauf der Geschichte nacheinander entstand, nun gleichzeitig, und das gab der saddukäischen Kritik Stoff in Menge. Es ist kein günstiges Zeichen für die Theologie Gamaliels und seiner Mitarbeiter, daß sie auf diesen Beweis keine Antwort hatten. Diese Geschichte wird Jesus offenbar in der Meinung vorgetragen, diese Beweisführung sei nicht zu widerlegen; denn was geschrieben ist, läßt sich nicht auslöschen.“ 9 So weit Schlatter. Aber woher kannte Schlatter „die pharisäische Vorstellung von der Auferstehung … nach der sie die Rückkehr zur alten Lebensform bedeutet“? Jedenfalls offenbar nicht aus Josephus. Nach dessen Darstellung jedenfalls lehren die Pharisäer vielmehr: „Zwar sei jede Seele unsterblich, es gehen aber nur die der Guten in einen anderen Leib über, die der Schlechten jedoch würden durch ewige Bestrafung gezüchtigt.“ 10 Die Pharisäer, so Josephus an anderer Stelle, „sind gewiss, dass den Seelen unsterbliche Kraft eignet und dass ihnen unter der Erde Verurteilungen oder Würden zukommen, jeweils entsprechend tugendhafter oder schlechter Lebensweise, wobei den einen immerwährendes Gefängnis, den anderen Behaglichkeit des Wiederauflebens“ blühe. 11 Das ist etwas deutlich anderes als die Auffassung, dass „die Auferstehung die sämtlichen gegenwärtigen Zustände wiederbringt“, eine Meinung, die Schlatter zudem als „die Meinung des Rabbinats“ wiedergibt und offenbar auch für die „Theologie Gamaliels“ hält und die er sogleich belegt mit einem Satz aus dem Jerusalemer Talmud und dem Midrasch Tanchuma, den er natürlich auch gleich noch ins Griechische übersetzt. 12

1. Methodische und sachliche Grundfragen zum Thema 1. Methodische und sachliche Grundfragen zum Thema Wir sind mit diesem einleitenden Beispiel sofort mitten hinein geführt worden in ein ganzes Bündel von methodischen und sachlichen Problemen, die sich uns in den Weg stellen, wenn wir Josephus und das Neue Testament, das Neue 9 ADOLF SCHLATTER, Der Evangelist Matthäus. Seine Sprache, sein Ziel, seine Selbständigkeit. Ein Kommentar zum ersten Evangelium, Stuttgart 1929, 652 (Hervorhebung Niebuhr). 10 Josephus, Bell 2,163: £Ë“ ±› ”¬  ™ §Þ” • ¡• © •—¬«•› Å ™Ê ”™¥ !Ñ Á 11 Jospehus, Ant 18,14: ! —§£– £ “™  ˜å  ‘“¢ £ ¢ Ç  ‘ «É ”µ

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‘ ’”©¢ ™ “”™  ¬ Ø¥Ç   Á 12 SCHLATTER, Matthäus (Anm. 9), 652: yKet 35c (= Tan 9.208): „Wie ein Mensch vergeht, so kommt er wieder.“, ç·± ”““© ¬ª”£ .

1. Methodische und sachliche Grundfragen zum Thema

401

Testament und Josephus in wechselseitiger Wahrnehmung betrachten wollen: Wofür stehen die Aussagen, die wir bei Josephus lesen? Für ein repräsentatives Bild des „normativen Judentums“ zur Zeit Jesu (in der Begrifflichkeit Schlatters: „die Meinung des Rabbinats“)? Für spezifische Anschauungen bestimmter jüdischer Gruppen, die uns auch im Neuen Testament begegnen (in unserem Beispiel: die Pharisäer)? Oder für die ganz persönlichen und konkret zielgerichteten Äußerungen eines sehr individuellen jüdischen „Charakters“ in Rom am Ende des 1. Jh. n. Chr., nämlich des Josephus selbst? Und welche Funktion haben die Aussagen des Neuen Testaments, wenn sie mit solchen bei Josephus in Beziehung gesetzt werden? Stehen sich die beiden Quellenbereiche als Repräsentationen grundsätzlich oder auch nur wesentlich verschiedener Lebens-, Glaubens- und Denkweisen gegenüber, oder tragen sie beide je für sich und in gegenseitiger Ergänzung zum Bild des vielfältigen Judentums in hellenistisch-römischer Zeit bei? Besonders mit Blick auf die neuere Pharisäerforschung tritt diese Frage ja in aller Deutlichkeit hervor und wird in ihrer Komplexität noch verstärkt, wenn die in der rabbinischen Literatur überlieferten Zeugnisse in die Betrachtung mit einbezogen werden. 13

13 Vgl. zur neueren Pharisäerforschung ROLAND DEINES, The Pharisees Between „Judaisms“ and „Common Judaism“, in: DONALD A. CARSON/PETER T. O’BRIEN/MARK A. SEIFRIED (Hg.), Justification and Variegated Nomism, Bd. 1: The Complexities of Second Temple Judaism, WUNT II/140, Tübingen 2001, 443–504; DERS., Die Pharisäer. Ihr Verständnis im Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz, WUNT 101, Tübingen 1997; DERS., Jüdische Steingefäße und pharisäische Frömmigkeit, WUNT II/52, Tübingen 1993; JOACHIM SCHAPER, The Pharisees, CHJud 3, 1999, 402–427; STEVE MASON, Flavius Josephus on the Pharisees. A Composition-Critical Study, SPB 39, Leiden 1991; DERS., Revisiting Josephus’s Pharisees, in: JACOB NEUSNER/ALAN J. AVERY-PECK (Hg.), Judaism in Late Antiquity. Part Three: Where We Stand: Issues and Debates in Ancient Judaism, Bd. 2, HO I/43, Leiden 1999, 23–56; ELLIS RIVKIN, Who were the Pharisees?, in: JACOB NEUSNER/ALAN J. AVERY-PECK (Hg.), Judaism in Late Antiquity. Part Three: Where We Stand: Issues and Debates in Ancient Judaism, Bd. 3, HO I/53, Leiden 2000, 1– 33; LESTER L. GRABBE, Sadducees and Pharisees, in: JACOB NEUSNER/ALAN J. AVERYPECK (Hg.), Judaism in Late Antiquity. Part Three: Where We Stand: Issues and Debates in Ancient Judaism, Bd. 1, HO I/40, Leiden 1999, 35–62; DERS., The Pharisees: A Response to Steve Mason, in: NEUSNER/AVERY-PECK, Judaism in Late Antiquity. Part Three, a.a.O., 35– 47; HANS-GÜNTHER WAUBKE, Die Pharisäer in der protestantischen Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts, BHTh 107, Tübingen 1998; GÜNTHER BAUMBACH, Die Pharisäerdarstellung des Josephus – propharisäisch oder antipharisäisch?, FDV 6, Münster 1997; HANSFRIEDRICH WEISS, Art. Pharisäer, TRE 26, 1996, 473–485; JACOB NEUSNER/CLEMENS THOMA, Die Pharisäer vor und nach der Tempelzerstörung des Jahres 70 n. Chr., in: Tempelkult und Tempelzerstörung (70 n. Chr.) (FS C. Thoma), hg. v. SIMON LAUER/HANSPETER ERNST, JudChr 15, Bern 1995, 189–230; PETER SCHÄFER, Der vorrabbinische Pharisäismus, in: MARTIN HENGEL/ULRICH HECKEL (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 125–175; GÜNTER STEMBERGER, Pharisäer, Saddu-

402

Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

Schließlich lässt sich die Frage nach Josephus und dem Neuen Testament in gegenseitiger Wahrnehmung gar nicht trennen von der nach ihrer beider Einbindung in die und ihrer unlöslichen Verquickung mit den Lebens-, Glaubensund Denkweisen hellenistisch-römischer Kultur und Zivilisation insgesamt. Im Blick auf diese Einbindung wäre die Frage „wechselseitiger Wahrnehmungen“ ja noch einmal ebenso sorgfältig zu reflektieren. Ist es denn überhaupt sachgemäß, Josephus und das Neue Testament lediglich für sich zu betrachten, wenn auch in wechselseitiger Wahrnehmung, so doch aber zugleich gewissermaßen aus ihrer Zeit herausgehoben? Ich verstehe meinen folgenden Beitrag als eine Gelegenheit, die Schwierigkeiten und die Komplexität der Fragestellung aufzugreifen und an einem freilich zentralen Themenfeld exemplarisch zu illustrieren: dem Themenfeld von Tod und Leben. Was für ein Thema könnte schlichter, und doch zugleich grundlegender, umfassender, und doch zugleich diffiziler sein? M.E. lässt sich gerade an einem solch grundlegenden Themenfeld besonders gut zeigen, welchen methodischen und sachlichen Problemen wir begegnen, wenn wir Josephus und das Neue Testament in wechselseitiger Wahrnehmung zu verstehen versuchen. Die Frage nach Tod und Leben im Neuen Testament und bei Josephus eignet sich auch deshalb besonders gut für eine problemorientierte Darstellung, weil auf diesem Gebiet nicht nur zentrale Aussageinteressen und -schwerpunkte in beiden Quellenbereichen auszumachen sind, sondern die entsprechenden z.T. umfangreichen Textfelder auch bereits in einem beeindruckenden Maße von der Forschung aufgegriffen und untersucht worden sind. Gleichwohl sind dabei aber doch nach meinem Eindruck wesentliche Fragestellungen und Themenbereiche noch offengeblieben, und vor allem ist es bisher der Forschung nur unzureichend gelungen, die Querverbindungen zu würdigen, die sich bei einem solchen Thema auf verschiedenen Ebenen ergeben. Dies gilt nicht allein für Josephus und das Neue Testament, sondern auch in einem weiteren Sinn für die Erforschung des Neuen Testaments und des antiken Judentums im Kontext der hellenistisch-römischen Zeit insgesamt. So gibt es auf der einen Seite eine reiche Forschungsliteratur zu Todes- und Nachtodvorstellungen im Zusammenhang der frühjüdischen Eschatologie und

zäer, Essener, SBS 144, Stuttgart 1991; ANTHONY J. SALDARINI, Pharisees, Scribes and Sadducees. A Sociological Approach, Wilmington 1988 (Neuausgabe mit einem Vorwort von JAMES C. VANDERKAM [xi–xxv] Grand Rapids/Cambridge 2001).

1. Methodische und sachliche Grundfragen zum Thema

403

Apokalyptik, 14 die schon zu Beginn des 20. Jh. in der „Religionsgeschichtlichen Schule“ einen ersten Höhepunkt erreichte 15 und bis in die Gegenwart hinein fortgeschrieben wird. 16 Ebenso sind die epigraphischen und archäologi-

14 Vgl. nur exemplarisch GÜNTER STEMBERGER, Der Leib der Auferstehung. Studien zur Anthropologie und Eschatologie des palästinischen Judentums im neutestamentlichen Zeitalter (ca. 170 v. Chr. – 100 n. Chr.), AnBib 56, Rom 1972; GEORGE W. E. NICKELSBURG, Resurrection, Immortality and Eternal Life in Intertestamental Judaism, HThS 26, Cambridge 1972; ULRICH FISCHER, Eschatologie und Jenseitserwartung im hellenistischen Diasporajudentum, BZNW 44, Berlin/New York 1978; HANS C. CAVALLIN, Leben nach dem Tode im Spätjudentum und im frühen Christentum. I. Spätjudentum, ANRW II 19,1, 1979, 240–345; DAVID HELLHOLM (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East. Proceedings of the International Colloquium on Apocalypticism, Uppsala, August 12–17, 1979, Tübingen 1983 (21989); HORACIO E. LONA, Über die Auferstehung des Fleisches. Studien zur frühchristlichen Eschatologie, BZNW 66, Berlin/New York 1993; ÉMILE PUECH, La Croyance des Esséniens en la Vie Future. Immortalité, Résurrection, Vie Éternelle. Histoire d’une Croyance dans le Judaïsme ancien, 2 Bde., EtB 21/22, Paris 1993; HARRY SYSLING, Tehiyyat Ha-Metim. The Resurrection of the Dead in the Palestinian Targum of the Pentateuch and Parallel Traditions in Classical Rabbinic Literature, TSAJ 57, Tübingen 1996; RICHARD BAUCKHAM, The Fate of the Dead. Studies on the Jewish and Christian Apocalypses, NT.S 93, Leiden 1998; FERDINAND HAHN, Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik. Eine Einführung, BThSt 36, Stuttgart 1998; GERBERN S. OEGEMA, Zwischen Hoffnung und Gericht. Untersuchungen zur Rezeption der Apokalyptik im frühen Christentum und Judentum, WMANT 82, Neukirchen-Vluyn 1999; ANDREAS BEDENBENDER, Der Gott der Welt tritt auf den Sinai. Entstehung, Entwicklung und Funktionsweise der frühjüdischen Apokalyptik, ANTZ 8, Berlin 2000. 15 Klassisch zusammengefasst bei PAUL VOLZ, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter. Nach den Quellen der rabbinischen, apokalyptischen und apokryphen Literatur, Tübingen 21934 (Nachdruck Hildesheim 1966, zuerst erschienen unter dem Titel: Jüdische Eschatologie von Daniel bis Akiba, Tübingen 1903). 16 CASEY D. ELLEDGE, Life After Death in Early Judaism. The Evidence of Josephus, WUNT II/208, Tübingen 2006; N. T. WRIGHT, Christian Origins and the Question of God, Bd. 3: The Resurrection of the Son of God, Minneapolis 2005; CLAUDIA J. SETZER, Resurrection of the Body in Early Judaism and Early Christianity: Doctrine, Community, and Selfdefinition, Boston 2004; SHANNON BURKES, God, Self, and Death. The Shape of Religious Transformation in the Second Temple Period, JSJ.S 79, Leiden/Boston 2003; JAN W. VAN HENTEN/FRIEDRICH AVEMARIE (Hg.), Martyrdom and Noble Death. Selected Texts from Graeco-Roman, Jewish and Christian Antiquity, London/New York 2002; FRIEDRICH AVEMARIE/HERMANN LICHTENBERGER (Hg.), Auferstehung – Resurrection / The Fourth Durham-Tübingen Research Symposium Resurrection, Transfiguration and Exaltation in Old Testament, Ancient Judaism and Early Christianity (Tübingen, September, 1999), WUNT 135, Tübingen 2001; ALAN J. AVERY-PECK/JACOB NEUSNER (Hg.), Judaism in Late Antiquity. Part Four: Death, Life-After-Death, Resurrection and the World-to-Come in the Judaisms of Antiquity, HO I 49, Leiden 2000.

404

Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

schen Quellen des antiken Judentums inzwischen gut erschlossen und zu großen Teilen in handlichen Sammelausgaben ediert worden. 17 Einige neuere Monographien widmen sich auch schon der systematischen Erhebung und Auswertung solcher nichtliterarischen Zeugnisse zum Thema. 18 Dazu kommen noch die zahlreichen Untersuchungen zu eschatologischen Vorstellungen im Neuen Testament, etwa im Rahmen der paulinischen Theologie, die jeweils häufig ausführliche Kapitel zu den entsprechenden frühjüdischen Texten und Vorstellungen bieten. 19 Allerdings stehen in den Arbeiten von Neutestamentlern zum Thema in aller Regel einseitig die theologisch relevanten ideellen Konzeptionen und Vorstellungen vom Leben im Angesicht des Todes bzw. über den Tod hinaus im Zentrum des Interesses. Dagegen sind Fragen des alltagspraktischen Umgangs mit Sterben, Tod und Begräbnis bisher nur wenig untersucht worden. 20 So sind in

17 WALTER AMELING u.a. (Hg.), Inscriptiones Judaicae Orientis, 3 Bde., TSAJ 99, 101, 102, Tübingen 2004; WILLIAM HORBURY/DAVID NOY, Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt, Cambridge 1992; DAVID NOY, Jewish Inscriptions of Western Europe, Cambridge1993/1995; GERT LÜDERITZ, Corpus jüdischer Zeugnisse aus der Cyrenaika, Wiesbaden 1983. 18 JÜRGEN ZANGENBERG, Haus der Ewigkeit. Archäologische und literarische Studien zur jüdischen und frühchristlichen Bestattungskultur in Palästina, Hab.-Schr., Wuppertal 2002 (unveröff.); RACHEL HACHLILI, Jewish Funerary Customs, Practices and Rites in the Second Temple Period, JSJ.S 94, Leiden/Boston 2005; PETER RICHARDSON, Building Jewish in the Roman East, JSJ.S 92, Leiden u.a./Waco 2005; LOTHAR TRIEBEL, Jenseitshoffnung in Wort und Stein. Nefesch und pyramidales Grabmal als Phänomene antiken jüdischen Bestattungswesens im Kontext der Nachbarkulturen, AGJU 56, Leiden/Boston 2004; IMRE PERES, Griechische Grabinschriften und neutestamentliche Eschatologie, WUNT 157, Tübingen 2003; JOSEPH S. PARK, Conceptions of Afterlife in Jewish Inscriptions. With Special Reference to Pauline Literature, WUNT II/121, Tübingen 2000. 19 MANUEL VOGEL, Commentatio mortis. 2. Kor 5,1–10 auf dem Hintergrund antiker ars moriendi, FRLANT 214, Göttingen 2006; FREDRIK LINDGÅRD, Paul’s Line of Thought in 2 Corinthians 4,16–5,10, WUNT II/189, Tübingen 2005; JOOST HOLLEMAN, Resurrection and Parousia. A Traditio-Historical Study of Paul’s Eschatology in 1 Corinthians 15, NT.S 84, Leiden u.a. 1996; MARTINUS C. DE BOER, The Defeat of Death. Apocalyptic Eschatology in 1 Corinthians 15 and Romans 5, JSNT.S 22, Sheffield 1988; ALEXANDER J. M. WEDDERBURN, Baptism and Resurrection. Studies in Pauline Theology against Its Graeco-Roman Background, WUNT 44, Tübingen 1987; GERHARD SELLIN, Der Streit um die Auferstehung der Toten. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung von 1 Korinther 15, FRLANT 138, Göttingen 1986; HANS-JOSEF KLAUCK, Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief, NTA 15, Münster 1982; HANS C. C. CAVALLIN, Life After Death. Paul’s Argument for the Resurrection of the Dead in I Cor 15. Part I: An Enquiry into the Jewish Background, CB.NT 7/1, Lund 1974. 20 Einen Überblick zum Thema im antiken Judentum, im klassischen Griechenland und in der römischen Republik und frühen Kaiserzeit gibt ULRICH VOLP, Tod und Ritual in den christlichen Gemeinden der Antike, SVigChr 65, Leiden 2002, 29–95.

1. Methodische und sachliche Grundfragen zum Thema

405

den einschlägigen Monographien zwar Zeugnisse zu Auferstehungs- und Endzeitvorstellungen bei Philon, Josephus und anderen frühjüdischen Schriften gesammelt und ausgewertet worden. Aber Belege zum Umgang mit Leichen, zu Begräbnis- und Trauerpraktiken, zur Graberrichtung und Grabpflege, zu sozialen Problemen und Strategien der Bewältigung von Todesfällen in der Familie, der Gruppe, der Gesellschaft, zur Gegenwart des Todes im Zusammenhang militärischer Auseinandersetzungen usw. sind noch nicht einmal systematisch erfasst, geschweige denn schon interpretierend ausgewertet worden. 21 Eine Interpretation der literarischen Überlieferungen des hellenistischen Frühjudentums im Zusammenhang mit den epigraphischen bzw. archäologischen Zeugnissen fehlt zudem bisher noch weitgehend. In den primär archäologisch oder epigraphisch ausgerichteten Untersuchungen zum Thema werden die literarischen Zeugnisse meist nur unzureichend berücksichtigt. 22 In religionsgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten von Neutestamentlern, die jüdischhellenistische Texte ausführlich berücksichtigen, bleiben dagegen die nichtliterarischen Zeugnisse weitgehend außerhalb des Blickfeldes. 23 In Untersuchungen zu Todes- und Jenseitsvorstellungen im Frühjudentum schließlich, speziell bei Philon und Josephus, wurden die jüdisch-hellenistischen Zeugnisse bisher kaum mit nichtjüdischen literarischen oder nichtliterarischen Quellen zum Thema Tod und Todesbewältigung in Beziehung gesetzt. 24 Die Untersuchung solcher Querverbindungen sollte somit ein Hauptziel wechselseitiger Wahrnehmungen im Blick auf Josephus und das Neue Testament sein, Querverbindungen nicht bloß zwischen den beiden Textkorpora, sondern zugleich auch zwischen den religiösen Gruppen und kulturellen Milieus, denen sie sich verdanken, und darüber hinaus auch zwischen den jeweiligen Wissenschaftskulturen und Forschungsperspektiven, die sich bei ihrer Erforschung herausgebildet haben und sich heute im günstigsten Falle begegnen. Nicht nur das Josephus-Symposium hat sich, wie das vorangegangene PhilonSymposium, 25 solchen Forschungsaufgaben gestellt, sondern auch das Projekt

21

Ganz wenig findet sich zu dem ganzen Problemkreis leider auch nur bei KURT ERLEu.a. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, 4 Bde., Neukirchen-Vluyn 2004ff., vgl. lediglich ULRICH VOLP, Tod, a.a.O., Bd. 2 (2005), 62–64. 22 So etwa bei HACHLILI, Jewish Funerary Customs (Anm. 18); TRIEBEL, Jenseitshoffnung in Wort und Stein (Anm. 18); PARK, Conceptions of Afterlife (Anm. 18). 23 So z.B. WEDDERBURN, Baptism and Resurrection (Anm. 19); SELLIN, Der Streit um die Auferstehung der Toten (Anm. 19); KLAUCK, Herrenmahl und hellenistischer Kult (Anm. 19). 24 Ansätze dazu jetzt mit Blick auf Josephus bei JOSEPH SIEVERS, Aussagen des Josephus zu Unsterblichkeit und Leben nach dem Tod, in: FOLKER SIEGERT/JÜRGEN U. KALMS (Hg.), Internationales Josephus-Kolloquium Münster 1997. Vorträge aus dem Institutum Judaicum Delitzschianum, MJSt 2, Münster 1998, 78–92, und ELLEDGE, Life After Death (Anm. 16). 25 Vgl. ROLAND DEINES/KARL-WILHELM NIEBUHR, Philo und das Neue Testament – das Neue Testament und Philo. Wechselseitige Wahrnehmungen, in: DIES. (Hg.), Philo und das MANN

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Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, aus dem beide Konferenzen erwachsen sind, sieht sich ihnen gegenüber. 26

2. Anwendungsfelder der Fragestellung 2. Anwendungsfelder der Fragestellung Mit Blick auf das Thema „Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament“ sehe ich wenigstens vier Anwendungsfelder für die bisher skizzierte methodische und thematisch-sachliche Fragestellung: Die Thematik kann aufgegriffen und entfaltet werden, indem zunächst nicht nach den Abstraktbegriffen Tod und Leben gefragt wird, sondern sozusagen nach den Personalsubstantiven Tote und Lebende, nach den Menschen also, die sich als Lebende und Tote begegnen. Wie gehen Lebende mit „ihren“ Toten um, und was bedeuten sie ihnen? Wie wird es bewertet und gegebenenfalls sanktioniert, wenn Lebende andere Lebende zu Tode bringen, z.B. durch Mord oder durch die Vollstreckung der Todesstrafe, durch Tötung im Krieg oder im Rahmen gewaltsamer Auseinandersetzungen? Welche Bewertung kommt dem Selbstmord zu? Welchen Stellenwert haben Lebensrettung und Lebenserhaltung, z.B. durch Ärzte und Medizin in ihren verschiedensten Ausprägungen bis hin zu Heilungen und Magie? Natürlich fallen in diesen Bereich der Themenstellung auch Fragen des Umgangs mit Leichen, der Totenunreinheit, der Bestattungskultur und des Totengedenkens. Ein zweites Anwendungsfeld der Thematik betrifft die Darstellung und Bewertung von Tod und Leben als Phänomenen der Lebenswirklichkeit. Der Tod ebenso wie das Leben können idealisiert oder perhorresziert werden. Beide können als Anfangs- oder Endzustand menschlicher Wirklichkeit betrachtet und entsprechend beurteilt werden. Ein möglicher Ansatz für solche Fragestellungen könnte es z.B. sein, einmal zu untersuchen, ob und in welcher Weise in unseren Texten der Tod und das Leben als Personifikationen begegnen. Welche Vorstellungen sind mit solchen Personifikationen verbunden? Welche Beziehungen lassen sich zwischen ihnen und realen Todeserfahrungen ermitteln? Für manche neutestamentlichen Aussagezusammenhänge scheint jedenfalls das Gegensatzpaar Tod versus Leben sprachlich und sachlich prägende Bedeutung zu haben. 27 Lässt sich Vergleichbares bei Josephus ausmachen? Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. I. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 1.–4. Mai 2003, Eisenach/Jena, WUNT 172, Tübingen 2004, 3– 18. 26 Zu Ansatz und Ziel dieses Projekts vgl. einstweilen DEINES/NIEBUHR, a.a.O., 12–16; KARL-WILHELM NIEBUHR, Das Corpus Hellenisticum. Anmerkungen zur Geschichte eines Problems, in: WOLFGANG KRAUS/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus JudaeoHellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 361–382. 27 Vgl. z.B. Mt 7,13f.; 18,8f.; 25,46; Joh 3,16; Röm 5,21.

2. Anwendungsfelder der Fragestellung

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Ein drittes Anwendungsfeld unserer Fragestellung betrifft Haltungen von Lebenden gegenüber dem Tod. Hier gibt es ein breites Spektrum möglicher Haltungen, vom Selbstmord als Verzweiflungstat bis hin zum Bekenntnis des Paulus: „Christus ist mir Leben und Sterben Gewinn.“ 28 Dazwischen stehen so verschiedene Haltungen wie die Todesverachtung und das carpe diem, nicht zuletzt in der Variante des Paulus: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ 29 Innerhalb dieses weiten Spektrums sind auch Texte wie die berühmte „Feldherrenregel“ aus der Jesus-Überlieferung einzuordnen: „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.“ 30 Wie weit dieses Spektrum von möglichen Haltungen dem Tod gegenüber reicht, wird deutlich, wenn man von hier ausgehend den ganzen Vorstellungskomplex vom „Sterben für die Freunde“ in die Betrachtung einbezieht und dabei paulinische 31 und johanneische 32 Gedankengänge zur Deutung des Todes Jesu berücksichtigt. Auch bei Josephus finden sich vergleichbare Gedankengänge von der Lebenshingabe für andere, und zwar bemerkenswerter Weise gerade im Munde des römischen Heerführers Titus und seiner Soldaten. So ist es etwa einem römischen Soldaten mit Namen Sabinus vorbehalten, vor der Erstürmung der Burg Antonia seinem Kaiser das folgende Treuebekenntnis auszusprechen: Für dich, Caesar, gebe ich mich willig hin (“ ™™  ¬ é  ”¬ ª›¬ “” Å  —). Ich steige zuerst auf die Mauer, und ich wünsche, daß dein Glück meine Stärke und Bereitschaft begleiten möge. Sollte mir aber der erfolgreiche Ausgang des Anschlages vom Schicksal mißgönnt sein, so wisse, daß ich nicht gegen meine Erwartungen untergegangen bin, sondern aus eigenem Entschluß den Tod für dich gewählt habe (“” ”™  ¢ ! ó”Ž). 33

Offenbar sieht Josephus in solcher Haltung eine vorbildliche Reaktion auf die Ermunterung zum Kampf mit Hilfe der Hoffnung auf Unsterblichkeit, die er zuvor dem Titus höchstpersönlich in den Mund gelegt hat: Ich will es jetzt auch lassen, ein Loblied auf das Sterben im Kriege zu singen und auf die Unsterblichkeit (  ), die denen zuteil wird, die vom kriegerischen Mut erfüllt fallen … Wer von den braven Männern weiß denn nicht, daß die Seelen, die in offener Feldschlacht durch den Stahl vom Fleisch gelöst worden sind, vom reinsten Element, dem Äther, aufgenommen und zu den Gestirnen versetzt werden und als gute Geister und freundliche Heroen ihren Nachfahren erscheinen (£«  ˔Ê •  ” • “ ™  ¢

”Ç  £ § ¡”½£•±” © ”Å ¬ ™í © ‘ 28

Vgl. Phil 1,21: ‘©«”¢ÑԔ ¢ ‘¢ “  Ž”Á 1Kor 15,32: ›!© ‘“™¬ ê” ©«” “ ô ¬ vgl. Jes 22,13. 30 Mk 8,35, vgl. Joh 12,25. 31 Vgl. Röm 5,7f. 32 Vgl. Joh 15,13. 33 Josephus, Bell 6,56f. Übersetzungen aus Bell hier und im Folgenden nach MICHEL/BAUERNFEIND. 29

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Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

‘ה˜§™ ©©— › ™Ñ ); daß jene Seelen aber, die in dahinwankenden Leibern sich verzehren, mögen sie auch noch so rein von Flecken und schmutzigen Taten sein, von der unterirdischen Nacht vertilgt und von tiefem Vergessen aufgenommen werden, wobei sie zugleich mit dem Ende von Leben und Leib auch das des Andenkens hinnehmen müssen. 34

Dieselbe Tugend des Sterbens im Kampf für Freunde, Volk und Vaterland schreibt Josephus natürlich ebenso seinen eigenen Volks- und Glaubensgenossen zu, wie es sich exemplarisch an den Makkabäern zeigt. 35 Sehr viel häufiger noch stellt er das Sterben für das (jüdische) Gesetz als vorbildlich heraus. 36 Schließlich geht es bei der Frage nach Tod und Leben natürlich auch um Vorstellungen und Erwartungen in Bezug auf ein Leben über den Tod hinaus, die wir bereits mit unserem einleitenden Beispiel berührt haben. Auch und vielleicht gerade hier eröffnet sich ein überaus breites Spektrum von Texten und Vorstellungen, bei Josephus ebenso wie im Neuen Testament und über beide hinaus auf dem weiten Feld der biblischen und frühjüdischen Literatur, die zunächst einmal sorgfältig voneinander zu unterscheiden und in ihrer spezifischen Eigenart wahrzunehmen sind. 37 Das Spektrum 38 reicht von kollektiven Endzeiterwartungen in Israel, wie sie schon für manche alttestamentlichen Schriften charakteristisch sind, 39 über Tendenzen hin zu einer stärker individuellen Gerichtserwartung, 40 über die verschiedenen Entfaltungen von Auferweckungshoffnungen, sei es in stärker kollektiver 41 oder eher individueller Prägung, 42 über Vorstellungen von der Entrückung der Gerechten und Märtyrer

34

Bell 6,46–48. Vgl. zum ganzen Zusammenhang Bell 6,33–67 ELLEDGE, Life after Death (Anm. 16), 73f. 35 Vgl. nur Ant 18,5f. 36 Vgl. Bell 1,653; 2,174; 4,191; Ant 12,267.281; 13,199; 15,248.288; 17,159f.; 18,59; 20,116; Ap 1,42.191. Zum Gedanken des „noble death“ im Frühjudentum und zu dessen Hintergrund in hellenistisch-römischen Traditionen vgl. ELLEDGE, Life after Death (Anm. 16), 117–127, und die dort breit herangezogene Literatur. 37 Da dieses Anwendungsfeld in der Josephusforschung bisher schon am weitesten erschlossen worden ist, zuletzt insbesondere durch die Monographie von Elledge, werde ich es in meiner folgenden Darstellung ganz ausklammern. 38 Vgl. zum Folgenden neben der o., Anm. 19, genannten Literatur die umfassende Erschließung des alttestamentlichen und frühjüdischen Materials bei SCHWANKL, Sadduzäerfrage (Anm. 4), 142–292. 39 Vgl. Ez 37; Jes 24–27 (bes. 26,14.19). 40 Vgl. Dan 12,1–3. 41 Vgl. Weish 2,21–24; 3,10; 4,7–5,23; LibAnt 3,10; TestBenj 10,6–11; TestJud 25; 4Esr 7,31–42; 2Bar 30,2–5; 49–51. 42 Vgl. Hi 42,17a (LXX); Dan 12,13 (LXX); TestSim 6,7; TestHi 4,9; 40,4; CIJ 476 (Regina-Inschrift aus Rom). Zu verweisen wäre in diesem Zusammenhang auch auf die in und um Jerusalem gefundenen zahlreichen Ossuarien mit Namenaufschriften, vgl. dazu HACHLILI, Jewish Funerary Customs (Anm. 18), 163–233; ROLAND DEINES, Catalogue of the Jewish Ossuaries in the German Protestant Institute of Archaeology, IEJ 49, 1999, 222–241.

3. Textbeispiele

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aus dem irdischen Leiden in die himmlische Welt, 43 über die Himmelsreise der Seele nach dem Tod und ihre Unsterblichkeit 44 bis hin zur Vorstellung von der „Seelenwandlung“, also dem Eingehen der Seele eines Verstorbenen in den Leib eines anderen, 45 und dem Weiterleben der Verstorbenen in der Memoria der Lebenden. 46 Damit haben wir vier Anwendungsfelder unseres Themas angesprochen, die je für sich genügend Stoff bieten für weitergehende Untersuchungen zum Verständnis von und zum Umgang mit Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Die methodischen und thematischen Implikationen, die sich bei ihrer Bearbeitung ergeben, sind mit meinen Überlegungen noch längst nicht ausreichend erfasst, und schon gar nicht ist es möglich, hier in eine ausgeführte Darstellung auch nur eines einzigen der skizzierten Themenfelder einzutreten. Im zweiten Teil meines Beitrags muss ich mich darauf beschränken, einige ausgewählte Textbeispiele aus den Werken des Josephus zu den ersten beiden der genannten vier Anwendungsfelder anzuführen, die illustrieren können, dass es sich lohnt, seine Aussagen zum Thema Tod und Leben in wechselseitiger Wahrnehmung mit solchen aus dem Neuen Testament zu betrachten. 47

3. Textbeispiele 3. Textbeispiele 3.1 Tote und Lebende Welche Bedeutung Tote für die Lebenden haben, zeigt sich besonders deutlich an Verhaltensweisen und Bräuchen im Zusammenhang mit der Bestattung und der Bewahrung des Andenkens der Verstorbenen. Die neutestamentlichen Schriften sind relativ sparsam mit Zeugnissen und Hinweisen auf solche Umgangsweisen der Lebenden mit den Toten. 48 Die Schriften des Josephus bieten

43 Vgl. Sir 48,9–11; 40,3; 44,16; 1Hen 70,1–4 (Bilderreden); 4Makk 9,22; 17,18; 2Hen 67f.; TestHiob 39,12f. 44 Vgl. 4Makk 18,23; TestHi 52,10; PseudPhok 103–115; TestAbr A 20/B 14; Josephus, Bell 1,650; 2,154–157 (Essener und Griechen); 2,163 (Pharisäer); 3,372.374; Ap 2,203; Philo, VitMos 2,288; hellenistische Synagogengebete (Apostolische Konstitutionen) VII 38,5; VIII 41,4. 45 S.o. zu Josephus, Bell 2,163. 46 S.u. zu Josephus, Bell 1,417.419 u.a.; Ant 15,380. 47 Ich stütze mich im Folgenden auf eine umfassende Materialsammlung, die der Mitarbeiter an meinem Jenaer Lehrstuhl Dr. Titus Nagel als Materialbasis für weitergehende Studien zusammengestellt hat. 48 Vgl. abgesehen vom Begräbnis Jesu nur Lk 9,59f. par. Mt 8,21f. (vgl. dazu MARKUS BOCKMUEHL, ‚Let the Dead Bury Their Dead‘. Jesus and the Law Revisited, in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches. Halakhah and the Beginnings of Christian Public Ethics, Edinburgh 2000, 23–48 [= JThS 49, 1998, 553–581]); Apg 5,1–11.

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Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

uns hier ein sehr viel plastischeres und farbigeres Bild, insbesondere mit Blick auf die herodianische Familie. Mehrfach lässt Josephus erkennen, dass Angehörige der Oberschicht ihre verstorbenen Angehörigen durch Bauwerke ehrten, um so ihr Andenken ( ) zu bewahren. Zu den bewundernswürdigen Bauleistungen des Herodes zählt er die Gründung einer ganzen Stadt zum Andenken seines Vaters. 49 Um „seinen leidenschaftlichen Gefühlen für Menschen, die ihm besonders nahestanden, Ausdruck (zu) verleihen“, stiftete Herodes „eine Erinnerung (¡   œ  ) an die drei Personen, die er am meisten liebte, indem er nach ihnen Türme benannte: Bruder, Freund und Frau“, wobei Josephus keineswegs unerwähnt lässt, dass er die Frau zuvor „aus eifersüchtiger Liebe umgebracht“ hatte. 50 Nicht erst Herodes, sondern schon der Makkabäer Simon hatte die Gebeine seines ermordeten Bruders Jonathan in seinen Heimatort Modeïn überführt und in einer prächtigen Begräbnis- und Gedenkstätte bestatten lassen, die Josephus mit fühlbarer Begeisterung beschreibt: Simon erbaute jedoch auch für seinen Vater und die Brüder ein großes Grabmal aus poliertem Marmor. Nachdem er dieses auf eine gewaltige und weit sichtbare Höhe gebracht hatte, umgab er es mit einer Halle und stellte monolithische Säulen auf, die einen prächtigen Anblick boten. Des weiteren erbaute er sieben Pyramiden für seine Eltern und Brüder, für jeden eine, die wegen ihrer Größe und Schönheit Bewunderung auslösen und die bis heute überdauert haben. Wir wissen, welchen Eifer man dem Begräbnis des Jonathan und dem Bau der Grabmale der Familie des Simon widmete. 51

Aber auch sein eigenes Andenken über seinen Tod hinaus versuchte Herodes durch Bauwerke zu sichern, so etwa durch den Tempelausbau, 52 vor allem aber durch Errichtung des Herodeion als seiner eigenen Grabstätte: Nachdem er so die Verwandten und Freunde verewigt hatte (õ ” –í §• Å § ™ ‘›™), 53 vernachlässigte er auch nicht das Gedächtnis seiner selbst (˜   Ë ÈŽ), sondern baute im Gebirge nach Arabien zu eine Festung und nannte sie nach sich Herodeion. 54

49 Antipatris, vgl. Bell 1,417: ° “ ”‘  Ž   “— . Darüber hinaus nennt Josephus hier noch die Burg über Jericho zu Ehren seiner Mutter und den seinem Bruder Phasael geweihten Turm in Jerusalem, Bell 1,417f. 50 Bell 5,162; vgl. Ant 16,142–145. 51 Ant 13,210–212; vgl. 1Makk 13,27–30. 52 Vgl. Ant 15,380: “”¢ §Ç Ë ” Ž , Ant 15,330:   ”£. 53 Vgl. o. zu Bell 1,417f. 54 Bell 1,419. Vgl. zu den herodianischen Palastbauten EHUD NETZER, The Palaces Built by Herod – A Research Update, in: KLAUS FITTSCHEN/GIDEON FOERSTER (Hg.), Judaea and the Greco-Roman World in the Time of Herod in the Light of Archaeological Evidence. Acts of a Symposium, Organized by the Institute of Archaeology, The Hebrew University of Jerusalem and the Archaeological Institute, Georg-August-University of Göttingen at Jerusalem November 3rd – 4th 1988, AAWG.PH 215, Göttingen 1996, 27–54.

3. Textbeispiele

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Sein Sohn Philippus folgte darin dem Beispiel seines Vaters. Nach seinem Tod in Julias wurde er mit einem prächtigen Begräbnis ( › ‘ ©™  “) in dem Grab beigesetzt, das er sich schon zu Lebzeiten erbauen ließ. 55 Wie man sich ein solches „prächtiges Begräbnis“ in der Königsfamilie vorzustellen hat, schildert Josephus am ausführlichsten mit Blick auf den Leichenzug des Herodes. 56 Schon zum Begräbnis seines ermordeten Vaters Antipater hatte jener einen prächtigen Leichenzug ( “”«““Ë) ausgerichtet, 57 ebenso anlässlich des Todes seines Bruders Pheroras, wohl auch um das Gerücht zu zerstreuen, er habe ihn vergiftet. Jedenfalls schreibt Josephus: Tatsache ist, daß er den Leichnam nach Jerusalem überführen ließ, allgemeine Trauer im Volk ansetzte (“Ž Ž© ²Ê°ª   Ë©© ) und ihn durch eine besonders feierliche Bestattung ehrte ( ™ Ƚ™ “”!). 58

Am prächtigsten aber ging es nach Josephus beim Begräbnis des Herodes selbst zu: Archelaos sah darauf, daß es an äußerem Glanz nicht fehle; er ließ vielmehr die ganze königliche Pracht bei dem Leichenzug mit in Erscheinung treten (“!  ¢    ¢

—“”Ë© ““Å ° ”°). Die Bahre ( ™) war von massivem Gold, mit Edelsteinen besetzt, die Decke (”¡) aus Meerpurpur und bunt bestickt, auch der Leichnam (• ) darauf war in Purpur gehüllt; das königliche Stirnband ruhte auf seinem Haupte, darüber die goldene Krone, das Szepter hielt er in seiner Rechten. Die Bahre war von den Söhnen und der großen Schar der Verwandten umgeben (“”‘¡ ™Ò ’ ‘¢“ •©©•), ihnen folgten die königlichen Lanzenträger, die thrakische Truppe, die Germanen und die Gallier, alle in voller Kriegsrüstung. Voran zog das übrige Heer in Wehr und Waffen und guter Ordnung (   —Ê), geführt von den Obersten und Hauptleuten; auf sie folgten 500 Sklaven und Freigelassene, die wohlriechende Spezereien trugen ( ” ›—” ). Der Leichnam wurde 70 Stadien weit zum Herodeion geleitet ( ™ ¢• ) und dort nach ausdrücklicher Verfügung beigesetzt ( «««!›). So fand die Herrschaft des Herodes ein Ende. 59

Freilich verschweigt Josephus auch hier wieder nicht, dass Herodes selbst schon auf für ihn bezeichnende Weise dafür Sorge getragen hatte, nach seinem Tod „von anderen betrauert zu werden und dadurch selbst eine prächtige Totenfeier zu erhalten (“    í ŸŽ” ‘  “”¢ “ !›  ª£ )“; er hätte nämlich beim Herannahen seines Todes veranlasst, dass die Vornehmen aus allen jüdischen Ortschaften im Hippodrom gefangen gesetzt worden waren, um sie im Augenblick seines Todes dort umzubringen, „damit ganz Judäa und jede Familie wider ihren Willen über mich weine“. 60

55

Ant 18,108. Ant 17,196–199; Bell 1,670–673. 57 Bell 1,228. 58 Bell 1,581. 59 Bell 1,670–673; vgl. Ant 17,196–199. 60 Bell 1,660. 56

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Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

Nachdem Josephus das erste Buch seines „Jüdischen Krieges“ in dieser Weise mit dem Begräbnis des Herodes eindrucksvoll abgeschlossen hat, setzt er zu Beginn des zweiten noch einmal bei der Trauerfeier für den König ein: Sieben Tage trauerte er (Archelaos) um den Vater, auch veranstaltete er für das Volk einen kostspieligen Leichenschmaus (¡“ !› Ÿ™  “); so will es eine jüdische Sitte, die schon viele in Armut gestürzt hat, weil man notwendigerweise das Volk bewirten muß und als ehrfurchtlos gilt, wenn man dies unterläßt. 61

Genau diesen Luxus der Begräbnissitten kritisiert Josephus allerdings an anderer Stelle und bezeichnet ihn geradezu als unjüdisch. Das Gesetz nämlich sorgte im voraus für die Ehrfurcht den Verstorbenen gegenüber, nicht durch verschwenderische Pracht der Beerdigungsfeier (˜ “™   ›™) oder durch künstlerische Gestaltung der sichtbaren Grabmäler (˜    ™“ › •), sondern verordnete betreffs der Bestattung (“”‘ ¡ ™ ) einerseits den nächsten Angehörigen, sie zu vollziehen, andererseits machte es für alle, die vorbeikommen, während jemand beerdigt wird, zum Gesetz, hinzuzukommen und mitzuklagen ( “Ŕ  ). 62

Natürlich kann das Schlaglicht auf Begräbnissitten der herodianischen Familie, wie es Josephus uns darbietet, in keiner Weise verallgemeinert und auf den Umgang mit Verstorbenen im Judentum zur Zeit des Neuen Testaments übertragen werden. 63 Freilich bietet das Neue Testament für sich genommen noch sehr viel weniger Anschauungsmaterial für den Umgang der Lebenden mit den Toten. Natürlich gibt es manche Implikationen und einzelne Hinweise wie z.B. den, dass das Begräbnis unmittelbar nach Eintreten des Todes erfolgte, besonders eindrücklich vorausgesetzt in der Geschichte von Hananias und Saphira (Apg 5,1–11). An einigen wenigen Stellen können wir auch etwas von Trauerriten erkennen, etwa wenn bei der Auferweckung der Tochter des Jairus die Flötenspieler (Mt 9,23) und Klageweiber (Mk 5,38; Lk 8,52; vgl. Apg 9,39)

61 Bell 2,1: ª “ ”«  ™ ““™  š  «¢“  Ÿ ˜ ± !© §©«”“ ” ™“  ¬˜£² , vgl. Ant 17,200. Dies ist die einzige Josephus-Stelle, die VOLP, Tod und Ritual (Anm. 20), in seinem ansonsten leider ganz unzureichenden Überblick zu „Tod und Trauer im antiken Judentum“ heranzieht (a.a.O., 29–46: hier 38). 62 Ap 2,205 (Übers. CHRISTINE GERBER, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden u.a. 1997, 405). 63 Vgl. dazu die instruktive, wenngleich knappe und stark auf die archäologischen Befunde abhebende Problemanzeige bei LOTHAR TRIEBEL/JÜRGEN ZANGENBERG, Hinter Fels und unter Erde. Beobachtungen zur Archäologie und zum kulturellen Kontext jüdischer Gräber im hellenistisch-römischen Palästina, in: STEFAN ALKIER/JÜRGEN ZANGENBERG (Hg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments, TANZ 42, Tübingen/Basel 2003, 447–487 (bes. 450–458.473–478). Auffällig ist z.B., dass die archäologisch besonders breit bezeugte Sekundärbestattung bei Josephus überhaupt keine Rolle spielt.

3. Textbeispiele

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auftauchen. Und einmal wird sogar in Ansätzen ein richtiger Leichenzug geschildert. 64 Aber insgesamt erfahren wir über den alltäglichen Umgang mit Toten und mit dem Tod im Neuen Testament nur sehr wenig. Hier verhilft uns der Blick auf Josephus auf jeden Fall zu einer sehr viel deutlicheren Vorstellung. In neueren archäologischen Untersuchungen zu Tod und Begräbnis im antiken Judentum fanden besonders die Beschreibungen des Makkabäergrabes in Modeïn und die Gedächtnistürme des Herodes besondere Aufmerksamkeit, ohne dass dabei nach meinem Eindruck die Aussagekraft der Texte bei Josephus schon ausgeschöpft worden wäre. 65 In einer der ganz wenigen Studien zu unserem Thema hat John Levison z.B. nachweisen können, dass Josephus insbesondere den römischen Charakter der Begräbnisse in der herodianischen Familie herausstellt. 66 Auch die Trauerriten und -sitten, zu denen sich bei Josephus weit mehr Hinweise finden als die hier kurz angesprochenen, müssten noch systematisch erhoben und interpretiert werden. Die Materialsammlung von Titus Nagel kann dafür einen guten Ausgangspunkt bilden. Ein ganz auffälliger Befund, der einer Erklärung bedürfte, ist z.B. der, dass offenbar die seit der zweiten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. in Jerusalem und Umgebung archäologisch so breit bezeugte Sekundärbestattung in Ossuarien 67 in den literarischen Zeugnissen des Josephus (wie übrigens auch im Neuen Testament!) überhaupt keinen Niederschlag gefunden hat. Darüber hinaus wird man etwa auch fragen können, welches Licht aus der Wahrnehmung des Gedenkens an Verstorbene aus der herodianischen Familie oder bei den Makkabäern bei Josephus auf das Gedenken des Todes Jesu nach den Zeugnissen des Neuen Testaments fallen kann. Natürlich kann es auch hier nicht um oberflächliche Textvergleiche gehen und schon gar nicht um implizite oder explizite theologische Wertungen. Wichtiger wäre die Frage, ob und wie die Wahrnehmung und das Verständnis des Geschehens und der Bedeutung des Todes Jesu bei den Rezipienten der neutestamentlichen Texte durch ihre unbewussten Prägungen aufgrund ihrer Alltagskultur, speziell mit Blick auf den Umgang mit Toten, vorgeprägt war und in welcher Weise dadurch ihre Wahrnehmung der zentralen Botschaft des frühesten Christentums beeinflusst wurde. Immerhin gehört die Erwähnung der Grablegung Jesu zu den zentralen Elementen der Erinnerung an den Tod Jesu. 68 Darüber hinaus zeigen Texte wie 64 Lk 7,11–15: ½ ™Ñ  ¯Ì ‘Ö£“—’ ¢¼– ˜À Ì ‘“” ¯× ”. 65 Vgl. HACHLILI, Jewish Funerary Customs (Anm. 18), 131.339; TRIEBEL, Jenseitshoffnung in Wort und Stein (Anm. 18), 76f.286f. 66 JOHN R. LEVISON, The Roman Funerals in the Writings of Josephus, JSJ 33, 2002, 245–277. 67 Vgl. dazu ROLAND DEINES, Art. Ossuar, CBL6 2, 2003, 995f. 68 Vgl. nur 1Kor 15,4; Mk 15,42–47 par.; Joh 19,38–42. Vgl. auch mit Blick auf den toten Johannes, den Täufer, Mk 6,29 (¼” ¢“•  ˜ ‘ª   ˜¢™Êö par. Mt 14,12 (¼” ¢“•  ‘ª   ˜—).

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Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

die Geschichte von der Heilung des Besessenen von Gadara, 69 von der Auferweckung des Lazarus 70 oder die Weherufe Jesu gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten, 71 dass der Umgang mit Toten und die Begegnung mit Gräbern und Grabmählern zu den geradezu unumgänglichen Gegebenheiten des Lebens in der Welt Jesu und des Neuen Testaments gehörten. Für das Verständnis solcher Texte dürfte die möglichst genaue Erschließung der entsprechenden Zeugnisse bei Josephus durchaus hilfreich sein. 3.2 Darstellung und Bewertung von Tod und Leben „Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“, so jubelt Paulus am Schluss seiner langen Argumentation zur Auferstehung Jesu und der Toten, 72 offenbar wenigstens teilweise in Worten der Propheten Jesaja und Hosea. 73 An anderen Stellen beschreibt und beklagt Paulus, wie der Tod als Subjekt durch die Sünde Adams in die Welt kam und über den Menschen herrschte. 74 Könnte Josephus so oder ähnlich reden? Und wenn nein, warum nicht? Nach meinem Eindruck fehlen jedenfalls solche personifizierten Todesvorstellungen bei Josephus völlig. Wenn Josephus demgegenüber im Jüdischen Krieg die Grausamkeiten militärischer Auseinandersetzungen beschreibt, dann kann man fragen, welchen Stellenwert für ihn eigentlich der Tod hatte, sei es, derjenige der römischen Soldaten auf der einen Seite oder derjenige der Aufständischen und der jüdischen Zivilbevölkerung auf der anderen. Mit kaum erträglicher Detailgenauigkeit schildert er jedenfalls immer wieder die Greuel des Krieges. Außerordentlich brutal ist z.B. seine Darstellung einer Schlacht auf dem See Genezareth bei Tarichea, bei der die römischen Soldaten tausende von fliehenden jüdischen Aufständischen aufrieben. Unmittelbar auf einen Exkurs über die idyllische Landschaft des Sees und seiner Umgebung 75 folgt eine detaillierte Schilderung des Gemetzels, an dessen Ende der ganze See wie von Blut gerötet und wie von Leichen angefüllt aussah. 76

69

Mk 5,1–20 par. Joh 11,1–45; vgl. 12,17. 71 Mt 23,27–33 par. Lk 11,47f. Vgl. dazu die unüberholte Studie von JOACHIM JEREMIAS, Heiligengräber in Jesu Umwelt (Mt. 23,29; Lk. 11,47). Eine Untersuchung zur Volksreligion der Zeit Jesu, Göttingen 1958. 72 1Kor 15,54–56; vgl. 2Kor 5,4. 73 Vgl. Jes 25,8; Hos 13,14. Vgl. zur Exegese von 1Kor 15,54–56 WOLFGANG SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther, Teilbd. 4: 1Kor 15,1–16,24, EKK VII/4, Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn 2001, 363–365.378–383. 74 Vgl. Röm 5,12–21; 6,9; 7,7–13. 75 Bell 3,506–521. 76 Bell 3,522–531. 70

3. Textbeispiele

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Die ganze Gegend litt an den folgenden Tagen unter einem fürchterlichen Gestank und bot ein gräßliches Bild. Denn die Ufer waren von Schiffstrümmern und außerdem von aufgedunsenen Leichen bedeckt; in der sommerlichen Hitze verpesteten die verwesenden Toten die ganze Luft …. 77

Umgekehrt schildert Josephus nicht weniger plastisch, wie die römischen Soldaten beim Versuch, die Stadt Gamala zu erobern (die übrigens von einem gewissen Josephus verteidigt wurde), zunächst scheitern, und eine Menge Römer ihr Leben lassen, als die Dächer der Häuser, auf die sie geflohen waren, einstürzten. 78 So fand ein großer Teil unter den Trümmern sein Grab, viele andere wurden auf der Flucht verstümmelt, die meisten erstickten im Staub … Die Trümmer der Häuser lieferten ihnen Wurfsteine in Menge, und die erschlagenen Feinde boten ihnen Waffen. Man zog nämlich den Gefallenen die Schwerter aus der Scheide und gebrauchte sie gegen die mit dem Tode ringenden Römer. 79

Besonders grässlich sind die Schilderungen der Kämpfe in Jerusalem und ihrer Folgen in der Endphase des Krieges. Die in der Stadt wütenden Idumäer (= Zeloten) stellten sich zum Hohn auf die Leichen der ermordeten Oberpriester. 80 Sie trieben ihren Frevel damit auf die Spitze, dass sie deren Leichen unbeerdigt hinauswarfen. Selbst die Leichen des Ananos und der übrigen Priester wurden geschändet, indem sie nackt den Hunden und den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen wurden. 81 In diesem Frevel und dem grausamen Geschick des Hohenpriesters Ananos sieht Josephus den Anfang vom Ende Jerusalems, 82 da doch an sich „die Juden für die Beerdigung der Toten so sehr besorgt sind, daß sie sogar die Leichen der zum Kreuzestod Verurteilten vor Sonnenuntergang herunternehmen und beerdigen.“ 83 Es folgt eine Schilderung der Mordorgie der Idumäer (= Zeloten) an den Jerusalemern, 84 während derer die Leichen der am Tage Verhafteten nachts auf die Straßen geworfen wurden, um Platz für neue Gefangene zu schaffen. So sehr war das Volk vom Schrecken gelähmt, daß niemand es wagte, einen ihm nahe stehenden Toten öffentlich zu beweinen oder zu begraben; nur hinter verschlossenen Türen vergoß man für sie heimliche Tränen, und wenn man sie beseufzte, sah man sich vorher um, ob keiner der Gegner es höre. Denn wer trauerte, erlitt sofort das gleiche Schicksal wie der Betrauerte selbst. Nachts nahm man mit beiden Händen ein wenig Staub und warf ihn über

77

Bell 3,530f. Bell 4,20–29. 79 Bell 4,25.27. 80 Bell 4,316. 81 Bell 4,324. 82 Vgl. dazu seinen ausführlichen Kommentar zu dem Geschilderten, Bell 4,318–325. 83 Bell 4,317. 84 Bell 4,326–333. 78

416

Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

die Leichen; bei Tag trauten sich dies nur die Verwegenen zu. 12 000 junge Männer gingen auf diese Weise zugrunde. 85

Besonderes Gewicht misst Josephus auch in den folgenden Schilderungen der Verweigerung des Begräbnisses und der Schändung der Leichen zu. So erbittet z.B. der tapfere jüdische Kämpfer Niger von Peräa von den Zeloten wenigstens ein Begräbnis, aber seine Mörder kündigen ihm schon im Voraus an, ihm die so sehnlich begehrte Erde zu verweigern. 86 Die Zeloten aber ließen sich zu einer solchen Grausamkeit hinreißen, daß sie weder den in der Stadt noch den auf den Landstraßen Umgekommenen die Erde gönnten. Im Gegenteil: als hätten sie sich förmlich verschworen, zusammen mit den Gesetzen ihrer Heimat auch die der Natur aufzulösen und abgesehen von ihren Greueln an den Menschen auch die Gottheit zu beflecken, ließen sie die Toten unter Gottes Sonne verwesen. 87

Die Leiche des Dolesos, der Gadara an Vespasian übergeben wollte, wurde im Zorn von seinen Gegnern geschändet. 88 Die Belagerten in Jerusalem waren so verzweifelt, dass sie sich nicht einmal mehr um die Bestattung ihrer Toten kümmerten. 89 Die Aufständischen traten über die aufeinander gehäuften Leichen, „als ob sie die Kraft der Raserei gleichsam aus den Körpern unter ihren Füßen in sich hineinzogen“. 90 Auch während der Belagerung Jerusalems durch Titus wurden die Toten nicht mehr begraben, teils aus Erschöpfung, teils aus Ungewissheit über das eigene Schicksal. Die Dächer lagen voll von entkräfteten Frauen und Kindern, die Gassen voller toter Greise; Knaben und Jünglinge, unförmig aufgedunsen, wankten Gespenstern gleich über die Straßen und sanken hin, wo sie das Unheil ereilte … Keine Träne wurde bei diesen Todesfällen vergossen, kein Klage erhoben, der Hunger brachte alle anderen Gefühle zum Schweigen. Mit trockenen Augen und schmerzverzerrtem Mund starrten die Sterbenden in ihrem Todeskampf auf die schon Erlösten. Tiefes Schweigen umfing die Stadt wie undurchdringliche Todesnacht, doch entsetzlicher noch als dieses Grauen waren die Räuber, welche gleich wie Grabschänder in die Häuser einbrachen, die Toten ausraubten und sich dann, wenn sie die Hüllen von den Toten gerissen hatten, lachend davonmachten. 91

Anfangs ließen die Aufständischen die Leichen noch wegen des Gestanks auf Staatskosten begraben; als es aber zu viele wurden, ließen sie sie einfach von der Mauer herab in die Schluchten werfen. 92

85

Bell 4,331–333. Bell 4,360. 87 Bell 4,381f. 88 Bell 4,416. 89 Bell 5,33. 90 Bell 5,34. 91 Bell 5,513–516. 92 Bell 5,518. 86

3. Textbeispiele

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Als Titus dann auf seinem Rundgang diese Schluchten voller Toten und die tiefen Lachen von fauligen Ausflüssen sehen mußte, die unter den verwesenden Leichen hervorsickerten, seufzte er, hob seine Hände zum Himmel und rief Gott zum Zeugen an, daß dies nicht sein Werk sei. 93

Seinen ganzen Abscheu gegen die Zeloten lässt Josephus schließlich erkennen, wenn er berichtet, dass sie die Verhungerten und die von ihnen Ermordeten den Hunden zum Fraß vorwarfen, 94 und behauptet: Ich glaube fest, daß sie aus übermäßiger Rohheit das Fleisch von Leichen verzehrt hätten, wenn die Stadt nicht vorher eingenommen worden wäre. 95

Man fragt sich, welche Funktion diese Gewaltschilderungen innerhalb des literarischen Werkes des Josephus haben. Handelt es sich bei diesen und vielen weiteren oft nur schwer erträglichen, überaus blutrünstigen und bisweilen bestialischen Schilderungen der Greuel des Krieges 96 bloß um literarische Darstellungsmittel zur Unterstreichung seiner Ambitionen als Geschichtsschreiber? Will er damit seine speziellen Kompetenzen als militärischer Kommandeur und seine Erinnerungen aus seiner Zeit als Aufstandsführer anklingen lassen? Sollen die Schilderungen übermäßiger Grausamkeiten das Pathos seiner theologischen Geschichtsdeutung unterstreichen? Will er durch Beschreibung der Verrohung der Sitten bei den Aufständischen diese moralisch disqualifizieren und als Abtrünnige vom jüdischen Gesetz charakterisieren? Mit Blick auf das Neue Testament wäre zu fragen, was es für die sozialgeschichtlichen und kulturellen Hintergründe der neutestamentlichen Autoren bedeutet, wenn wir im ganzen Neuen Testament nichts Vergleichbares an detaillierter Schilderung von militärischer Gewalt finden. Die Bezugnahmen der „Synoptischen Apokalypse“ (Mk 13 par.) und der Johannesoffenbarung (vgl. Offb 11) auf die Eroberung und Zerstörung Jerusalems sind unvergleichlich weniger durchsetzt von Gewaltschilderungen, obwohl sie doch im Wesentlichen auf vergleichbaren biblischen Vorlagen und geschichtlichen Voraussetzungen beruhen. Stattdessen scheinen Todeserfahrungen und -begegnungen im Neuen Testament sehr viel öfter in Situationen durch, wo sich das verbale Zeugnis der Boten und Anhänger Jesu und die institutionellen Gewalten über Leben und Tod in einem sehr ungleichen Kräfteverhältnis gegenüberstehen. 97 Wenn bei Paulus solche Konfrontationen der Christuszeugen mit Leiden und 93

Bell 5,519. Bell 6,368. 95 Bell 6,373. 96 Vgl. zum Motiv des Kannibalismus aus Hunger bei Josephus auch die grausige Episode von einer Mutter, die ihren eigenen Sohn verspeiste, Bell 6,193–219. Zur Rezeption dieser Szene in der christlichen Geschichtsdeutung bei Melito von Sardes, Origenes und Euseb vgl. STEVE MASON, Flavius Josephus und das Neue Testament. Aus dem Amerikanischen von Manuel Vogel, Tübingen/Basel 2000, 24–27. 97 Vgl. nur Mk 13,9–13 par. 94

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Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament

Tod ausdrücklich in einen Bezug zum Leidens- und Todesgeschick Jesu gesetzt werden, wird die theologische Bedeutung solcher Darstellungen von Tod und Leben im Neuen Testament unmittelbar sichtbar. 98

4. Abschließende Erwägungen 4. Abschließende Erwägungen Wir haben gesehen, dass bei Josephus in seiner Darstellung von Tod und Begräbnis, militärischer Gewalt und menschenverachtendem Umgang mit deren Opfern darstellerische Intentionen („Rhetorik“), theologische Deutungen und geschichtliche Erfahrungen eng miteinander verknüpft sind. Einseitige Interpretationsansätze, sei es, allein auf die historischen Fakten konzentrierte oder „rein rhetorische“, dürften der Komplexität der Texte und ihrer Intentionen nicht gerecht werden. Mit Blick auf das Neue Testament bedeutet das, dass wir auch hier die rhetorischen, die geschichtlichen und die theologischen Aussageintentionen der Aussagen über Tod und Leben in ihren jeweiligen Aussagezusammenhängen sorgfältig zu beachten haben. Der Vergleich mit Josephus kann dazu dienen, die konventionellen Züge solcher Textpassagen ebenso zu erkennen wie die spezifischen, innovativen oder auch kontrastiven Züge. Und beide Quellenbereiche, Josephus ebenso wie die neutestamentlichen Autoren, sind unter derselben doppelten Blickrichtung einzuordnen in die Konventionen hellenistisch-römischen Umgangs mit Tod und Leben, wie wir sie bei den paganen Autoren und in den archäologischen Zeugnissen erkennen können. Der Blick auf Texte des Josephus zu Tod und Leben lässt nach sozialgeschichtlichen Differenzierungen fragen. Offenbar macht es einen Unterschied aus, ob literarische Texte von einem Militärkommandeur verfasst werden oder von einem pharisäischen Schriftgelehrten! Natürlich bestimmt auch das jeweilige Lesepublikum massiv die Gestaltung der Texte. Der rhetorische Interpretationsansatz kann seine Stärken noch deutlicher entwickeln, wenn er gezielt nach den Rezipienten der Texte fragt und sucht. Das gilt für die Josephus-Interpretation ebenso wie für die neutestamentliche Exegese. Hier scheinen mir aufs Ganze gesehen massive Unterschiede zwischen beiden Textbereichen und ihren impliziten Lesern zu bestehen. Interessant und auffällig sind auch die Unterschiede zwischen Josephus und dem Neuen Testament hinsichtlich der Bedeutung und des Gebrauchs der „Schriften Israels“. Gerade angesichts dessen, dass beide doch weitgehend von denselben Quellen ausgehen und ihnen auch in einer grundsätzlich vergleichbaren positiven Haltung gegenüberstehen, fällt umso mehr der unterschiedliche Stellenwert und die grundlegend verschiedene Methodik bei der Heranziehung der Schrift für die jeweils eigenen Aussageintentionen auf. Josephus scheint,

98

Vgl. z.B. 1Kor 15,30–32; 2Kor 4,10f.; 11,24–27; 13,4.

4. Abschließende Erwägungen

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das zeigen auch die hier herangezogenen Textbeispiele zu Tod und Leben, ungleich stärker von hellenistisch-römischen Konzeptionen und „Leitbildern“ bestimmt zu sein als die allermeisten Schriften des Neuen Testaments. Mir scheint, dass dies nicht erst auf die Lebensjahrzehnte in Rom zurückgeführt werden kann, in denen er seine Werke verfasst hat, sondern dass auch hier sozialgeschichtliche Hintergründe in Anschlag zu bringen sind. Offenbar waren die aristokratischen Kreise Jerusalems in erheblich stärkerem Maße romanisiert als die Gruppen, in denen das frühe Christentum entstand. Das gilt offenbar auch für solche neutestamentlichen Zeugnisse wie das Markusevangelium oder die Paulusbriefe. Schließlich wäre zu fragen, welchen Stellenwert die Kategorie „Israel“ (als Bezeichnung für das Gottesvolk) für Josephus einerseits und für die neutestamentlichen Autoren andererseits hat. Dass beide Textbereiche eine Art theologischer Geschichtsdeutung mit Blick auf Israel vertreten, scheint mir evident. Aber ebenso deutlich sind die Unterschiede. Während für die meisten neutestamentlichen Konzeptionen doch eine deutlich wahrnehmbare theologisch definierte Grenze zwischen Israel, dem Gottesvolk, und „den Völkern“, eben den „Heiden“, kategorial bestimmend bleibt, gerade wo und weil sie aus theologischen Gründen im Christusgeschehen überschritten wird, so scheint mir bei Josephus die Identität des unaufgebbar an Gott gebundenen und von ihm getragenen Gottesvolkes viel weniger bestimmend zu sein. Anknüpfend an bestimmte biblische Denkmodelle sieht er gerade in heidnischen Völkern und ihren Führern Werkzeuge Gottes in seinem Strafgericht über Israel. Umso klarer erscheint demgegenüber die das Neue Testament durchgängig bestimmende Sicht, wonach Gott in der Endzeit an seinem Volk und seiner ganzen Schöpfung durch einen Spross aus Israel eschatologisch gehandelt hat und so die Herrschaft von Gewalt und Tod besiegt hat.

III Studien zur frühjüdischen Literatur

Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung Ein Literaturbericht 1. Einleitung 1. Einleitung Vor 50 Jahren erschien in erster Auflage die „Bibliographie zur jüdisch-hellenistischen und intertestamentarischen Literatur“ von Gerhard Delling. 1 Sie umfasste neben den literarischen Werken des Frühjudentums (einschließlich Septuaginta, Philon und Josephus) auch einführende Literatur zu Geschichte, Kultur und Religion der jüdischen Diaspora, nichtliterarische Quellen wie Inschriften, Papyri und Zeugnisse bildender Kunst sowie Belege zu Juden in der paganen antiken Literatur. Die erste Auflage dieses Werkes zählte 2.230 Nummern, die zweite gut fünf Jahre später schon 3.650. Zwei rund 25 Jahre später erschienene, gleich näher zu besprechende Bibliographien bieten, obwohl deutlich weniger umfassend angelegt, ein Vielfaches an Titeln. Heute ist die Zeit für gedruckte Bibliographien zur frühjüdischen Literatur endgültig vorbei, und angesichts elektronischer Suchmaschinen sind sie auch überflüssig geworden. Die geradezu explosionsartige Zunahme an wissenschaftlichen Publikationen zur jüdisch-hellenistischen Literatur entspricht aber nicht bloß proportional dem Anstieg akademischer Publikationen auf dem Gebiet der Bibelwissenschaften insgesamt, sondern spiegelt darüber hinaus auch ein deutlich gewachsenes Interesse am antiken vorrabbinischen Judentum, nicht zuletzt, wenn auch nicht allein, aus Sicht der christlichen Bibelexegese und der ältesten Kirchengeschichte. Der folgende Literaturbericht kann weder einen ausgewogenen Überblick über die jüngere Forschung zum Frühjudentum bieten noch die angezeigten Werke inhaltlich und im Blick auf ihren Forschungsertrag ausreichend würdigen. Es soll lediglich versucht werden, einige aktuelle Orientierungen über wichtige Hilfsmittel, Publikationsreihen und Sammelwerke zu vermitteln sowie anhand einzelner Publikationen ausgewählte Problemstellungen anzuspre-

1 GERHARD DELLING/GERHARD ZACHHUBER/HEINZ BERTHOLD, Bibliographie zur jüdisch-hellenistischen und intertestamentarischen Literatur 1900–1965, TU 106, Berlin 1969 (2. überarb. u. bis 1970 fortgeführte Aufl. in Verb. mit MALWINE MASER 1975).

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

chen. Nicht behandelt werden hier Arbeiten aus den schnell wachsenden Forschungsgebieten zur Septuaginta, 2 zur Qumran-Literatur 3 und zu den nichtliterarischen Quellen des Frühjudentums (Papyri, Inschriften, Münzen, Archäologie, Ikonographie). 4 Auch übergreifende Darstellungen zu Geschichte, 5 Religions- und Kulturgeschichte 6 oder zu theologischen Themen 7 können nicht berücksichtigt werden. Zur Philon- und Josephus-Forschung sind in der ThLZ schon eigene Beiträge erschienen. 8

2

S. dazu die in regelmäßiger Folge erscheinenden Sammelbände der Fachtagungen von „Septuaginta Deutsch“ (vgl. ThLZ 134, 2009, 437f.; 136, 2011, 276f.; 138, 2013, 301f.; 141, 2016, 33). Zu diesem Übersetzungsprojekt vgl. auch WOLFGANG KRAUS, Hebräische Wahrheit und Griechische Übersetzung. Überlegungen zum Übersetzungsprojekt Septuagintadeutsch (LXX.D), ThLZ 129, 2004, 989–1007; MOGENS MÜLLER, A German Translation of the Septuagint. A reminder of an unsolved canonical problem, ThLZ 137, 2012, 1276–1287. Ein Handbuch zur Septuaginta hat 2016 mit der Einleitung in die Septuaginta zu erscheinen begonnen: KREUZER, SIEGFRIED (Hg.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H 1, Gütersloh 2016 (vgl. die Besprechung von FOLKER SIEGERT in ThLZ 142, 2017, 37–39). Einen Überblick über die Septuaginta-Forschung bietet KRISTIN DE TROYER, The Seventy-two and their Many Grandchildren: A Review of Septuagint Studies from 1997 Onward, CBR 11, 2012, 8–64. Eine fortlaufend aktualisierte Bibliographie zur Septuaginta-Forschung findet sich unter http://www.septuagintaforschung.de/content/bibliographie (Stand: 08/2016, Abruf: 25.8.2018). 3 Vgl. dazu die elektronische „Orion Dead Sea Scrolls Bibliography“ unter http:// orion.mscc.huji.ac.il/resources/bib/bibliosearch.shtml (Stand: 08/2018, Abruf: 25.8.2018); vgl. auch CHARLOTTE HEMPEL, Recent Research in the „Dead Sea Scrolls“, ThLZ 139, 2014, 650–665. 4 Vgl. dazu ROLAND DEINES/JENS HERZER/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 274, Tübingen 2011, sowie JÜRGEN K. ZANGENBERG, Archäologie Palästinas. Ein Forschungsbericht zur hellenistisch-römischen Zeit, ThLZ 138, 2013, 258–274. 5 Vgl. dazu zuletzt BENEDIKT ECKHARDT, Die „hellenistische Krise“ und der Makkabäeraufstand in der neueren Diskussion, ThLZ 143, 2018, 983–998. 6 Vgl. dazu DORON MENDELS, Phases of Inscribed Memory Concerning the Land of Israel in Palestinian Judaism of the Second Century BCE, ThLZ 138, 2013, 151–164; BEATE EGO, Der Gottesdienst der Engel – Von den biblischen Psalmen zur jüdischen Mystik. Traditionskritische Überlegungen zu den Sabbatopferliedern von Qumran, ThLZ 140, 2015, 886–901. 7 Vgl. dazu ULRIKE MITTMANN, Die theologische Bedeutung der jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit. Eine Problemanzeige, ThLZ 138, 2013, 1301–1314. 8 JOSEPH SIEVERS, Ein neuer Blick auf Josephus und seinen Umgang mit biblischen Quellen, ThLZ 144, 2019, 556–569; GREGORY E. STERLING, The Structure of Philo’s Allegorical Commentary, ThLZ 143, 2018, 1225–1238.

2. Bibliographien, Hilfsmittel, Einleitungen, Überblicke

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2. Bibliographien, Hilfsmittel, Einleitungen, Überblicke 2. Bibliographien, Hilfsmittel, Einleitungen, Überblicke Das ursprünglich von Otto Kaiser und Werner Georg Kümmel angeregte, seit 1973 unter der Hauptherausgeberschaft von Kümmel erscheinende und seit 1987 von Hermann Lichtenberger fortgeführte Sammelwerk „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“ 9 hat unter seinen „Supplementa“ im Jahr 1999 eine von Andreas Lehnardt verantwortete Bibliographie herausgebracht. 10 Sie ergänzt die Teilbibliographien zu den einzelnen Faszikeln des Gesamtwerkes und führt sie bis zum Jahr 1998 fort. Gezielt erweitert wurde sie vor allem durch Nachweise von Forschungsbeiträgen in modernem Hebräisch und in slavischen Sprachen. Die Bibliographie ist auf den Schriftenkreis der JSHRZ beschränkt, schließt also Philon 11 und Josephus 12 aus und behandelt nur diejenigen Teile der Septuaginta, die als eigenständige literarische Werke der frühjüdischen Literatur gelten können (also Sir, Weish, 1/2Makk, Jdt, Tob, Bar, aber auch OrMan, ZusDan, ZusEst, EpJer). Während sie in ihrem Hauptteil den Rubriken der JSHRZ folgt (Historiographische und legendarische Erzählungen, Unterweisung in erzählender Form, Unterweisung in lehrhafter Form, Poetische Schriften, Apokalypsen, innerhalb der Rubriken der Textfolge der JSHRZ-Bände) und auch die Gliederung im Wesentlichen aus deren Teilbibliographien übernimmt (Textausgaben, Übersetzungen und Kommentare, Aufsätze – Artikel – Monographien), bietet sie zu Beginn zusätzliche Abschnitte zum wissenschaftlichen Umgang mit der frühjüdischen Literatur (u.a. Bibliographien und Hilfsmittel, Einleitungen, Sammelwerke, methodische und forschungsgeschichtliche Probleme) und zu übergreifenden Themen (u.a. Apokalyptik und Eschatologie, Messias, Tora, Weisheit, Frauen, Engel). Besonders hilfreich ist die „Bibliographie der Bibliographien“ (Nr. 1–88), während die 9

Zu seiner Vorgeschichte vgl. HERMANN LICHTENBERGER, Einführung, in: DERS./GER-

BERN S. OEGEMA (Hg.), Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kon-

text, JSHRZ Studien 1, Gütersloh 2002, 1–8. Zu den letzten Faszikeln des Gesamtwerks und seiner „Neuen Folge“ s.u. unter 3. 10 ANDREAS LEHNARDT, Bibliographie zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, JSHRZ VI/2, Gütersloh 1999. 11 Zu Philon gibt es eine fortwährend aktualisierte Spezialbibliographie in Studia Philonica Annual (SPhiloA), die von DAVID T. RUNIA verantwortet wird und drei als Buch gedruckte Ausgaben fortführt: ROBERTO RADICE/DAVID T. RUNIA u.a., Philo of Alexandria. An Annotated Bibliography 1937 – 1986, SVigChr 8, Leiden 1988 (21992); DAVID T. RUNIA, Philo of Alexandria. An Annotated Bibliography 1987 – 1996, SVigChr 57, Leiden 2000; DERS., Philo of Alexandria. An Annotated Bibliography 1997 – 2006 with Addenda for 1987 – 1996, SVigChr 109, Leiden 2012. 12 Für Josephus sind HEINZ SCHRECKENBERG, Bibliographie zu Flavius Josephus, ALGHJ 1, Leiden 1968; DERS., Supplementband mit Gesamtregister, ALGHJ 14, Leiden 1979, sowie LOUIS H. FELDMAN, Josephus and Modern Scholarship (1937 – 1980), Berlin/New York 1984, bisher nicht ersetzt; vgl. aber jetzt HONORA CHAPMAN/ZULEIKA RODGERS (Hg.), A Companion to Josephus, Oxford 2016.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

ca. jeweils 25 bis 30 Einträge zu Themen wie „Messias“, „Geschichte Israels“ oder „Weisheit“ eher wie zufällig ausgewählt wirken und kaum als Zugang zur aktuellen Forschungsdiskussion ausreichen („Apokalyptik“ hat immerhin knapp 300 Titel). Obwohl alle Titel durchnummeriert sind, wurde auf Querverweise verzichtet, so dass viele Werke mehrfach komplett bibliographiert werden. Ein Autorenregister ermöglicht aber leicht die gezielte Durchsicht auf besonders wichtige und quellenübergreifend einschlägige Werke. Die Bibliographie von Lorenzo DiTommaso 13 beruht auf einer älteren Zusammenstellung von J. H. Charlesworth, 14 dem Herausgeber der „Old Testament Pseudepigrapha“. 15 Auch sie beschränkt sich auf die in diesem Sammelwerk enthaltenen frühjüdischen Schriften, die freilich von den JSHRZ charakteristisch abweichen. Einerseits fehlen die Apokryphen (also die nur in der Septuaginta, nicht in der hebräischen Bibel überlieferten Schriften), andererseits wurden in OTP erheblich mehr Texte aufgenommen, deren Ursprünge freilich oft kaum über ihre Textüberlieferung in der (christlichen!) Spätantike und z.T. erst im Mittelalter hinaus zurückverfolgt werden können. Ausgeschlossen bleiben bei DiTommaso neben der Septuaginta auch Philon und Josephus. Ähnlich wie bei Lehnardt gibt es auch bei DiTommaso eine vorangestellte Rubrik zu übergreifenden Fragestellungen und Themen (ca. 600 Einträge). Angeordnet sind die folgenden Einzelbibliographien nach dem Alphabet der Eigennamen, unter denen die Texte traditionell überliefert sind bzw. denen sie zugewiesen werden, sei es als (pseudepigraphen) Autoren oder als Gestalten, von denen in den betreffenden Texten die Rede ist. Das führt bisweilen zu merkwürdigen Nachbarschaften. So steht der Aristeasbrief hinter verschiedenen Adam-Schriften sowie Achiqar und vor den Baruch-Schriften, und die Sibyllinischen Orakel folgen auf die Schrift des Sem und gehen verschiedenen Salomo-Schriften (OdSal, PsSal, TestSal) voraus. Ganz aus dem Anordnungsschema fallen Texte wie die hellenistischen Synagogengebete (unter H), das Jubiläenbuch (unter J), die Vitae Prophetarum (unter P), die syrisch überlieferten apokryphen Psalmen (unter S) und die Fragmente pseudepigrapher paganer Autoren (ganz am Schluss, aber Pseudo-Phokylides steht unter P nach PseudoPhilo [= Liber Antiquitatum Biblicarum]). Auch wenn jede Anordnung der überaus vielfältigen und aus weit voneinander entfernten Orten und Zeiten 13

LORENZO DITOMMASO, A Bibliography of Pseudepigrapha Research 1850–1999, JSPE.S 39, Sheffield 2001. 14 JAMES H. CHARLESWORTH, The Pseudepigrapha and Modern Research, SCSt 7, Missoula 1976 (21981). 15 JAMES H. CHARLESWORTH (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, 2 Bde., New York/London 1983–1985. Als weitere englische Textsammlung der frühjüdischen Pseudepigraphen erschien vor einigen Jahren: LOUIS H. FELDMAN/JAMES L. KUGEL/LAWRENCE H. SCHIFFMAN (Hg.), Outside the Bible. Ancient Jewish Writings Related to Scripture, 3 Bde., Lincoln 2013; vgl. dazu MICHAEL TILLY, ThLZ 140, 2015, 187–189.

2. Bibliographien, Hilfsmittel, Einleitungen, Überblicke

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stammenden Quellen mit Schwierigkeiten behaftet ist: die mechanisch-alphabetische Reihenfolge der Bibliographie von DiTommaso trennt Zusammengehöriges und stellt radikal Verschiedenes nebeneinander (so etwa unter der Überschrift „The Primary Adam Literature“ Texte, die möglicherweise noch aus der Zeit vor 70 n. Chr. stammen [ApkMos = grLAE], mit dem syrischen „Testament Adams“, einem mandäischen „Buch Adams“ und der koptisch überlieferten Apokalypse Adams sowie weiteren aus den Nag-Hammadi-Funden stammenden Texten, die auf die Weltschöpfung Bezug nehmen). Weder literarisch noch entstehungsgeschichtlich haben diese Texte irgendetwas miteinander zu tun. Innerhalb der Abschnitte zu den einzelnen Quellen stehen in der Regel Textausgaben und Übersetzungen am Beginn, gefolgt von weiter untergliederten allgemeineren und speziellen Studien. Gelegentlich gibt es auch Zusammenstellungen von Literatur zu speziellen Themen, etwa bei den Sibyllinischen Orakeln zur antiken paganen und christlichen Sibyllen-Tradition, zum Orakel des Hystaspes und zum Töpfer-Orakel. Leider fehlen Register jeglicher Art, und die Titel sind nicht durchnummeriert. Das verstärkt die schon mit der Anordnung gegebenen Orientierungsschwierigkeiten. Das relativ detailliert gegliederte Inhaltsverzeichnis hilft kaum weiter, da es keine quellenübergreifende Suche ermöglicht. Am Beginn werden gut 100 übergreifende Werke und Lexika in einem Abkürzungsverzeichnis angeführt, auf die später verwiesen wird. Weitere Querverweise gibt es nicht, so dass ein Teil des gewaltigen Umfangs (über 1000 Seiten) auf mehrfachen Nachweis derselben Titel zurückgeht. Von Albert-Marie Denis stammt eine voluminöse zweibändige wissenschaftliche Einleitung in die jüdisch-hellenistische religiöse Literatur. 16 Mit diesem Werk hat der 1999 verstorbene französische Gelehrte, der zuvor schon mit seiner Einleitung in die griechischen Pseudepigraphen zum Alten Testament 17 und einer Konkordanz 18 zwei Standardwerke zu dieser Literatur vorgelegt hatte, sein Opus magnum abgeschlossen und gekrönt (das Vorwort ist am 1. Dezember 1998 datiert). Es umfasst in etwa den Schriftenkreis der JSHRZ, allerdings ohne Apokryphen; Philon und Josephus sind auch hier beiseitegelassen. Die Anordnung der Werke folgt im Wesentlichen dem dreiteiligen alttestamentlichen Bibelkanon. Dem ersten Teil sind Schriften zugewiesen, die sich irgendwie auf biblische Gestalten aus dem Pentateuch und den Geschichtsbüchern beziehen (von Adam bis zu den Makkabäern), dem zweiten Werke mit

16 ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique. Avec le concours de JEAN-CLAUDE HAELEWYCK, 2 Bde., Turnhout 2000. 17 ALBERT-MARIE DENIS, Introduction aux pseudépigraphes Grecs d’Ancien Testament, SVTP 1, Leiden 1970. 18 ALBERT-MARIE DENIS, avec la collaboration d’ YVONNE JANSSENS, Concordance grecque des pseudépigraphes d’Ancien Testament. Concordance. Corpus des textes. Indices, Louvain-la-Neuve 1987.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

Bezug zur prophetischen Literatur (darunter die meisten so genannten „Apokalypsen“) und dem dritten Texte, die den „Schriften“ zugeordnet werden können (wie in der Bibel ist auch hier der dritte Teil am wenigsten kohärent). Auch zu dieser Anordnung kann man Bedenken äußern, etwa wenn die Psalmen Salomos (zusammen mit weiteren Salomo-Schriften) bei den Geschichtsbüchern stehen und nicht bei den „Schriften“ oder die Henoch-Bücher (äthiopisch und slavisch) nicht bei den apokalyptischen Texten, sondern zusammen mit dem Leben Adams und Evas, dem Jubiläenbuch und der Novelle „Joseph und Aseneth“ im ersten Teil. Aber jede Aufteilung der Quellen hat ihre Probleme, und die von Denis gewählte lässt sich wenigstens einigermaßen gut überblicken. Zudem erschließen umfangreiche Register hervorragend das Werk. Sein entscheidender Wert liegt aber in der ausführlichen Darstellung und Diskussion der klassischen Einleitungsfragen zu den aufgenommenen Schriften. Behandelt werden u.a. Titel und Inhalt, antike Bezeugung und Textgeschichte mit Nachweis der handschriftlichen Überlieferung in der Originalsprache (soweit erhalten) und den Versionen, Ursprungsmilieu, Verfasser und Datierung, religiöse Eigenart und Gattung. Der flüssig geschriebene Text ist unterlegt mit einem detaillierten Anmerkungsapparat, der oft mehr als die Hälfte der Seite einnimmt und einen immensen Vorrat an jüngerer, oft auch älterer Sekundärliteratur auswertet. Die Urteile zu den zahllosen, oft extrem komplizierten Fragen der Textentstehung und -überlieferung der hellenistischjüdischen Literatur sind immer klar und nachvollziehbar begründet, zugleich mit dem notwendigen Maß an Vorsicht und Zurückhaltung versehen, wo keine klaren Antworten möglich sind. Als Werk eines einzelnen Gelehrten (der sich gleichwohl im Vorwort bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedankt) sucht das Buch seinesgleichen und dürfte es wohl kaum mehr finden. 19 Am ehesten nach Aufbau, Aktualität und wissenschaftlicher Gründlichkeit mit ihm vergleichbar sind die vier Lieferungen der „Einführung zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“, die als Supplementa zu den JSHRZ bisher erschienen sind. Sie folgen der Aufteilung der in dieser Sammlung gebotenen Texte nach den schon genannten Rubriken. Über die Darstellung der klassischen Einleitungsfragen hinaus wollen die Einführungen besonders die historische Bedeutung und den theologischen Gehalt der frühjüdischen Texte erschließen. Während die Einleitungsfragen auf der Basis der Einleitungen in den JSHRZ-Lieferungen nur relativ knapp zusammengefasst und je nach Bedarf aktualisiert wurden, tragen die historische Einordnung der Schriften und die Herausarbeitung ihrer theologischen Bedeutung in den Einführungsbänden den Hauptakzent.

19 S. aber FOLKER SIEGERT, Einleitung in die hellenistisch-jüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin/Boston 2016; vgl. dazu meine ausführliche Besprechung in ThLZ 143, 2018, 201–204.

2. Bibliographien, Hilfsmittel, Einleitungen, Überblicke

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Der ersten Abteilung der JSHRZ (Historische und legendarische Erzählungen) ist auch der als erster erschienene Band von Ulrike Mittmann-Richert gewidmet. 20 Hier findet sich ein „Vorwort der Herausgeber“, 21 das die Intention des Einführungswerkes und den geplanten Aufbau der Artikel erläutert. Demnach sollen die Schriften in der Regel nach fünf Aspekten erschlossen werden: 1. Inhalt, 2. Textentstehung, 3. Historische Bedeutung, 4. Theologische Bedeutung, 5. Wirkungsgeschichte. Angestrebt wird für alle Artikel eine gemeinsame Gliederung (mit Untergliederungen vor allem bei 2. bis 4.), die der schnellen Orientierung dient, aber auch den Besonderheiten der einzelnen Werke gerecht wird. Auch für die historischen und theologischen Hauptteile sind Stichworte vorgegeben, die in den Artikeln aufgegriffen werden können (z.B. unter Historische Bedeutung: Chronologie, Politische Situation, Wirtschaftliche Situation, Soziale Verhältnisse; unter Theologische Bedeutung: Gott und sein Volk, Der Mensch vor Gott, Urzeit und Endzeit, Engel und Dämonen, Geschichtsbild). Der Schwerpunkt bei der theologischen Interpretation der Schriften in ihrem historischen Zusammenhang tritt besonders im Band von Ulrike Mittmann-Richert hervor, wie sich schon in der kurzen Einführung zeigt. 22 Bei einem Großteil der Schriften aus ihrer Rubrik identifiziert sie als gemeinsames theologisches Thema die Bewältigung der religiösen Katastrophe der Religionsverfolgung unter Antiochus IV., also den Kampf um die Hellenisierung des Judentums. Die geistige Sammlung um den Jerusalemer Tempel und die Tora bilden seither eine „innere Einheit“, in der Juden Palästinas mit denen in der Diaspora verbunden sind. Die meisten der „historischen und legendarischen Erzählungen“ spiegeln einen Prozess der „Traditionsneubildung“, der maßgeblich durch die Zweisprachigkeit jüdischen Lebens in hellenistischer Zeit beeinflusst wird. Die Übersetzung der hebräischen biblischen Traditionsliteratur in das Griechische, aber auch die sprachliche und inhaltliche Neufassung der biblischen Überlieferungen in griechischer Sprache, ist mehr als ein äußerlich-kultureller Faktor. Zweisprachigkeit wird als theologisches Identitätsmerkmal verstanden, das die Geschichte des Volkes Israel in frühjüdischer Zeit auszeichnet. Vergleicht man die einzelnen Artikel von Mittmann-Richert mit den Einleitungen zu den betreffenden Schriften im Textband, so findet man nicht selten Positionen, die von den Urteilen der ursprünglichen Bearbeiter abweichen. Auch sind die Artikel öfter (besonders bei älteren Faszikeln der JSHRZ) deutlich länger als die Einleitungen in den Textausgaben (besonders ausführlich: ZusEst [97–113], ZusDan [114–138]), und zwar nicht nur wegen der Schwerpunkte bei der theologischen und historischen Einordnung, sondern oft auch 20

ULRIKE MITTMANN-RICHERT, Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ VI/1,1, Gütersloh 2000. 21 A.a.O., IX–XI. 22 A.a.O., 1–3.

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bei den klassischen Einleitungsfragen. Im Grunde handelt es sich um eigenständige Darstellungen. Besonders hilfreich sind die sorgfältig gegliederten Inhaltsübersichten zu den behandelten Schriften. Auf weiterführende Literatur wird jeweils unter Verwendung der Nummern der Bibliographie von Lehnardt verwiesen. Ein detailliert gegliedertes Namen- und Sachregister und ein Stellenregister beschließen diesen Band, der als eigenständige Monographie zur frühjüdischen Geschichtsschreibung (abgesehen von Josephus) angesehen werden kann. Die drei weiteren bereits erschienenen Einführungen (Unterweisung in erzählender Form, 23 Poetische Schriften, 24 Apokalypsen 25 ) stammen von Gerbern Oegema, wobei allerdings ein Teil der Beiträge zu Lieferung 1,2 von anderen Autoren verfasst wurde. Der Band zu den Apokalypsen, im gleichen Jahr erschienen wie der von Mittmann-Richert, setzt ein mit einem forschungsgeschichtlichen Überblick zur Apokalyptik-Forschung (im Wesentlichen nach J. M. Schmidt und J. J. Collins). 26 Gegenüber den oft sehr knappen Einleitungen in den früheren Lieferungen der JSHRZ aus den siebziger Jahren bringen die Artikel im Band von Oegema die Forschung auf einen neuen Stand. Über die Aktualisierung der Einleitungsfragen hinaus werden hier z.T. recht ausführliche Darstellungen zur historischen und theologischen Bedeutung der Texte geboten. Besonderes Gewicht kommt neben der Analyse des apokalyptischen Geschichtsbildes dem Bezug auf die biblischen Schriften zu (oft in einem eigenen Paragraphen „Bibelauslegung“). Im Fall der nur koptisch überlieferten ElijaApokalypse ist allerdings die sehr ausführliche und differenzierte Darstellung von W. Schrage (JSHRZ V/3, 1980, 195–225) durch Oegema nicht überholt. Auch die umfangreichen Aufstellungen zur Textgeschichte des 1. Henoch-Buches (= äthHen) von S. Uhlig (JSHRZ V/6, 1984, 470–491) sind weiterhin unverzichtbar, ganz abgesehen von der gerade bei diesem Text nicht abreißenden Welle neuer Spezialpublikationen. Bei den neueren Faszikeln von JSHRZ V wird man ohnehin auf die ausführlicheren Darstellungen in deren Einleitungen zurückgreifen (bes. C. Böttrich, 1996, zum 2. Henoch-Buch [= slHen]; H. Merkel, 1998, zu den Sibyllinen), und Oegema konnte sich hier entsprechend kürzer fassen. Deutlich knapper fällt Supplement 1,4 zu den Poetischen Schriften aus, und zwar nicht nur, weil der entsprechende JSHRZ-Band der schmalste ist. Obwohl alle Faszikel schon zwischen 1974 und 1983 erschienen und die Einleitungen darin oft recht kurz sind, gehen die Informationen im Band von Oegema kaum über diesen Forschungsstand hinaus, bleiben z.T. sogar dahinter zurück (vor 23 GERBERN S. OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form. Mit Beiträgen von Jan Dochhorn, Beate Ego, Martin Meiser und Otto Merk, JSHRZ VI/1,2, Gütersloh 2005. 24 GERBERN S. OEGEMA, Poetische Schriften, JSHRZ VI/1,4, Gütersloh 2002. 25 GERBERN S. OEGEMA, Apokalypsen, JSHRZ VI/1,5, Gütersloh 2001. 26 A.a.O., 1–8.

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allem bei den von N. Walter in JSHRZ IV/3 bearbeiteten Zeugnissen pseudepigrapher hellenistischer Dichtung). Der bisher letzte Band der Einführungen 27 erschien 2005 und behandelt sehr verschiedene Werke, die in JSHRZ unter der Überschrift „Unterweisung in erzählender Form“ zusammengestellt sind (JSHRZ VI 1,2). Neben Oegema (zum Aristeasbrief, dem Liber Antiquitatum Biblicarum, dem Jubiläenbuch und Joseph und Aseneth) haben dazu Jan Dochhorn (zur Ascensio Isaiae), Beate Ego (zu Tobit) und Otto Merk/Martin Meiser (zum Leben Adams und Evas) beigetragen, in den beiden letzten Fällen also dieselben Autoren, die auch die wenige Jahre zuvor erschienenen Faszikel verfasst hatten. Die vollständig nur auf Äthiopisch überlieferte, aber auf ein griechisches Original zurückgehende Ascensio Isaiae (in JSHRZ II/1, 1973, von Erling Hammershaimb noch unter „Martyrium Jesajas“ [= AscJes 1–5] bearbeitet) wird jetzt von Jan Dochhorn sehr ausführlich, geradezu monographisch und auf einem völlig veränderten Forschungsstand analysiert. Demnach lässt sich aus dem überlieferten (christlichen) Gesamttext literarkritisch keine vorchristlich-jüdische Martyriumserzählung (= MartJes) herausoperieren, sondern die ganze Schrift ist „von Anfang an als Einheit geplant und gewissermaßen auf die Visionserzählung in Asc Isa 6,1–11,40 als Höhepunkt hinzukomponiert“ worden und somit „eine originär christliche Schrift“. 28 Demgegenüber ist der umfangreiche Artikel zu Tobit über weite Strecken textidentisch mit der Einleitung zu dem Faszikel in JSHRZ II/6 (1999), nur entsprechend der Gliederung der Einführungsbände anders angeordnet. Dasselbe gilt für die ebenfalls sehr ausführliche Einleitung zum Leben Adams und Evas (vgl. JSHRZ II/5, 1998), so dass rund 80 der knapp 200 Textseiten des Bandes inhaltlich eine Sekundärpublikation darstellen. Die übrigen Artikel bieten im Vergleich zu den schon recht lang zurückliegenden Einleitungen der Textausgabe kaum neue Forschungserträge und haben ihren Wert vor allem in den Abschnitten zur historischen und theologischen Bedeutung der jeweiligen Schrift. Das gesamte Werk macht damit einen etwas unausgewogenen Eindruck. Teile sind nicht viel mehr als aktualisierte Nachdrucke, andere bringen gegenüber den Textbänden neueste Forschungsergebnisse ein, wieder andere (insbesondere der Band von Ulrike Mittmann) bieten eine systematisierende, vor allem theologische Gesamtinterpretation zu einer ganzen Schriftengruppe. Eine der größten Herausforderungen für jeden, der sich wissenschaftlich mit der jüdisch-hellenistischen Literatur beschäftigt, bildet die äußerst komplizierte Überlieferungsgeschichte der Texte. Abgesehen von den mit der Septu-

27 Es fehlt noch die Einführung zur Abteilung III „Unterweisung in lehrhafter Form“, die von Jan Dochhorn in seinem Band zum Testament Jakobs in der Neuen Folge der JSHRZ angekündigt wird (Anm. 49). 28 JAN DOCHHORN, Die Ascensio Isaiae, in: OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form (Anm. 23), 1–48: 19.23.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

aginta überlieferten Schriften sind sie vollständig oft nur in Versionen in orientalischen und mittelalterlichen Kirchensprachen erhalten, wobei in der aktuellen Forschung die Existenz literarisch eigenständiger ursprünglich jüdischer Fassungen in solchen Fällen zunehmend in Frage gestellt wird. Exemplarisch soll hierfür auf den kaum überschaubaren Bereich der altslavischen Überlieferung hingewiesen werden. 29 Einen Einblick in diese Welt ermöglicht der Sammelband von Lorenzo DiTommaso und Christfried Böttrich. 30 Böttrich, einer der wenigen deutschsprachigen Spezialisten auf diesem Gebiet, hat in JSHRZ das 2. Henochbuch und in der Neuen Folge die „Geschichte Melchisedeks“ 31 sowie gemeinsam mit Sabine Fahl die „Leiter Jakobs“ 32 bearbeitet. Neben der Einführung hat er für den vorliegenden Band auch noch einen umfangreichen Beitrag zur Geschichte Melchisedeks im slavischen Kulturkreis verfasst. 33 Außer den genannten nur kirchenslavisch überlieferten Schriften (hinzu kommt noch die Apokalypse Abrahams) gibt es weitere, bei denen die slavischen Versionen für die Textgeschichte und -rekonstruktion der vorausliegenden Sprachstufen wichtig sind. So bietet der Band Beiträge zu den Testamenten der Zwölf Patriarchen und den Sibyllinischen Orakeln sowie mehrere zur Apokalypse Abrahams; erwähnt werden noch das Testament Abrahams, Joseph und Aseneth, das 3. (= grBar) und 4. Baruch-Buch (= Paralipomena Ieremiae) und die Ascensio Isaiae. Wichtig ist besonders der letzte Beitrag von Evgenij Vodolazkin zur so genannten Paleja 34 und ihren verschiedenen Redaktionen, einer in sich vielschichtigen Textsammlung von Apokryphen in der altrussischen Literatur. 35 Stellenregister erschließen den Band. 36 Im Blick auf die in diesem Bericht behandelte jüdisch-hellenistische Literatur steht das Buch von Arkady Kovelman 37 etwas am Rande, soll aber hier als 29 Vgl. aus diesem Bereich jüngst auch die Monographie von JULIAN PETKOV, Altslavische Eschatologie. Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung, TANZ 59, Tübingen 2016 (Rez. CHRISTFRIED BÖTTRICH, ThLZ 142, 2017, 485–487). 30 LORENZO DITOMMASO/CHRISTFRIED BÖTTRICH (Hg.), The Old Testament Apocrypha in the Slavonic Tradition. Continuity and Diversity, TSAJ 140, Tübingen 2011. 31 CHRISTFRIED BÖTTRICH, Geschichte Melchisedeks, JSHRZ Neue Folge II/1, Gütersloh 2010. 32 SABINE FAHL/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leiter Jakobs, JSHRZ Neue Folge I/6, Gütersloh 2015. 33 A.a.O., 159–200. 34 A.a.O., 453–470. 35 Vgl. dazu CHRISTFRIED BÖTTRICH, Die „Leiter Jakobs“ und die Erforschung der slavischen Apokryphen, ThLZ 144, 2019, 840–853. 36 Speziell zu 2Hen vgl. auch den Sammelband von ANDREI A. ORLOV/GABRIELE BOCCACCINI (Hg.), New Perspectives on 2 Enoch: No Longer Slavonic Only, Studia Judaeoslavica 4, Leiden 2012. 37 ARKADY KOVELMAN, Between Alexandria and Jerusalem. The Dynamic of Jewish and Hellenistic Culture, Leiden 2005.

3. „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“

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hoch anregender Beitrag aus der aktuellen russischen Forschung zum antiken Judentum gewürdigt werden. Der Autor ist Professor an der Staatlichen Universität Moskau und Leiter des dortigen Zentrums für Jüdische Studien. In fünf Kapiteln, die auf jeweils verschiedenen Quellengattungen beruhen (römische und byzantinische Papyri aus Ägypten, Ester-Rolle und Midrasch Ester, Philon und haggadische Midraschim, Aristeasbrief und Midraschim, Popularphilosophie und -literatur), behandelt er die für das mittelalterliche und neuzeitliche, also im Wesentlichen rabbinische Judentum formative Phase vom Hellenismus bis zur Spätantike. Gegenüber herkömmlichen Modellen eines Mutter-TochterVerhältnisses zwischen Judentum und Christentum wird deutlich, dass paganhellenistische, jüdisch-hellenistische und rabbinische Kultur und Religion viel enger, ja, geradezu wurzelhaft miteinander in Verbindung stehen, weil erst aus ihrer Begegnung die klassischen Religionsformen entstanden sind, die heute als Judentum und Christentum einander gegenüberstehen. Den Übergang von der hellenistisch-römischen zur byzantinischen Periode der Geschichte des antiken Judentums hat auch der vierte Band der Cambridge History of Judaism 38 zum Gegenstand. Themen der frühjüdischen Literatur begegnen hier aber nur am Rande; sie sind in den beiden Vorgängerbänden ausführlich behandelt worden. 39

3. „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“ 3. „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“ Das schon mehrfach angesprochene Sammelwerk „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“ ist in seiner Hauptreihe mit dem Band zum 3. Makkabäerbuch zum Abschluss gekommen. 40 Schon kurz vor Beginn der „Neuen Folge“ waren zwei Lieferungen zu Werken erschienen, die nach heutigem Forschungsstand allenfalls am äußersten Rand der frühjüdischen Literatur stehen. Mit der Bezeichnung „5. und 6. Esra-Buch“ 41 sind Texte gemeint, die in frühneuzeitlichen Drucken der Vulgata zusammen mit dem (außerkanonischen) 4. Esra-Buch stehen, obwohl sie entstehungsgeschichtlich weder mit ihm noch

38 STEVEN T. KATZ (Hg.), The Cambridge History of Judaism, Bd. 4: The Late RomanRabbinic Period, Cambridge 2006. 39 WILLIAM D. DAVIES/LOUIS FINKELSTEIN (Hg.), The Cambridge History of Judaism, Bd. 2: The Hellenistic Age, Cambridge 1989; WILLIAM HORBURY/WILLIAM D. DAVIES/JOHN STURDY (Hg.), The Cambridge History of Judaism, Bd. 3: The Early Roman Period, Cambridge 1999 (vgl. zu Bd. 3 die Besprechung von JOHANN MAIER, ThLZ 126, 2001, 379–382). 40 Als letzte Lieferung erschien der Faszikel von THOMAS KNÖPPLER, 3. Makkabäerbuch, JSHRZ I/9, Gütersloh 2017, 779–938. Das ursprünglich für Bd. III vorgesehene Testament Isaaks wird im Rahmen der Neuen Folge von Jan Dochhorn bearbeitet. 41 MICHAEL WOLTER, 5. und 6. Esra-Buch, JSHRZ III/7, Gütersloh 2001, 765–880.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

miteinander zusammengehören (die handschriftliche Überlieferung des biblischen Esra- und Nehemia-Buches zusammen mit weiteren außerkanonischen Esra-Schriften ist noch weitaus komplizierter). 42 Michael Wolter konnte für seine Ausgabe auf eine kommentierte Arbeitsübersetzung und Vorarbeiten von Hartmut Stegemann zurückgreifen, verantwortet als Autor aber nicht nur die Endfassung von Übersetzungen 43 und Kommentar, sondern vor allem die umfangreichen Einleitungen, zunächst zu beiden Büchern gemeinsam (wegen der gemeinsamen Textüberlieferung), sodann noch einmal zu jedem für sich (wegen der je eigenen Literargeschichte). Beide Werke gehen vermutlich auf griechische Originale zurück, von denen allerdings bei 5Esr gar nichts, bei 6Esr nur ein kleines Stück erhalten ist. 5Esr setzt das Matthäusevangelium und 4Esr voraus, ist nach Wolter gar „als eine Art Gegenschrift“ 44 zu 4Esr zu verstehen und dürfte aus der Zeit zwischen 150 und 250 n. Chr. stammen, 6Esra erst aus der zweiten Hälfte des 3. Jh. Bei beiden Texten ist Wolter (ganz im Trend der jüngeren Forschung) mit Blick auf mögliche jüdische Urfassungen äußerst skeptisch; literarkritisch rekonstruieren ließen sie sich in keinem Fall. Die Texte gehören also in den Kontext der spätantiken frühchristlichen Literatur, für die es geradezu typisch ist, biblisch-jüdische Vorstellungen und Überlieferungen aufzunehmen und zu tradieren. Dasselbe gilt für die von Bernd Jörg Diebner bearbeiteten Zephanja-Apokalypsen. 45 Schon der Plural ist signifikant, handelt es sich doch um drei verschiedene handschriftlich überlieferte Texte (ein kurzes griechisches Fragment bei Clemens von Alexandrien sowie zwei längere, ebenfalls fragmentarische Fassungen in koptischen Dialekten), die auf mindestens zwei voneinander verschiedene Werke zurückgehen (die drei Fassungen werden nacheinander übersetzt und kommentiert). Auch Diebner kommt nach detaillierten Analysen der Textüberlieferung und äußerst sorgfältiger Diskussion der literarischen Verhältnisse 46 zu dem Schluss, dass wir nur die christlichen Fassungen der Texte zur Verfügung haben, die Annahme vorchristlich-jüdischer Fassungen dagegen äußerst hypothetisch bleibt. Für die in der „Neuen Folge“ der JSHRZ bearbeiteten Texte ist noch fraglicher, ob sie oder ihre literarischen Vorstufen sich bis in die nichtchristliche jüdisch-hellenistische Literatur zurückverfolgen lassen. Das gilt auch für die 42 Genaueres zum Verhältnis der betreffenden Schriften zueinander, zu ihrer Benennung in den unterschiedlichen antiken und neuzeitlichen Überlieferungskontexten und zur handschriftlichen Überlieferung bei WOLTER, a.a.O., 767–774. 43 Angesichts der gespaltenen Textüberlieferung, die nicht auf einen Archetypus zurückgeführt werden kann, wird die Übersetzung von 5Esr komplett und von 6Esr teilweise zweispaltig wiedergegeben. 44 WOLTER, 5. und 6. Esra-Buch (Anm. 41), 793. 45 BERND J. DIEBNER, Zephanjas Apokalypsen, JSHRZ V/9, Gütersloh 2003, 1141–1246. 46 Das Verhältnis von ca. 50 Seiten Einleitung zu gut 30 Seiten Textdarbietung (mit Kommentar) zeigt, dass auch hier eine monographische Untersuchung vorliegt.

3. „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“

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drei hier anzuzeigenden Lieferungen. Ganz unsicher ist eine jüdische Vorstufe bei den „Fragen Esras“, die von Jutta Leonhardt-Balzer bearbeitet wurden. 47 Der nur Armenisch, aber in zwei verschiedenen Fassungen überlieferte Text gibt ein Gespräch des Sehers Esra mit dem Engel des Herrn über das Schicksal der Seelen nach dem Tod wieder (die Übersetzung bietet beide Fassungen synoptisch). In ihrer knappen, aber die Überlieferungsverhältnisse gründlich nachzeichnenden Einleitung kommt Leonhardt-Balzer zu dem Ergebnis, „dass der Text eine christliche Bearbeitung des apokryphen Esramaterials ist und auf jüdischen Vorbildern aufbaut“ (8). Aber kann man einen solchen Text noch als „jüdische Schrift aus hellenistisch-römischer Zeit“ ansehen? James H. Charlesworth, der Bearbeiter der „Schrift des Sem“, 48 einer nach den zwölf Tierkreiszeichen geordneten Sammlung von Ankündigungen katastrophaler Ereignisse, möchte annehmen, dass der Verfasser dieser in einem einzigen syrischen Manuskript aus dem 15. Jh. überlieferten und nirgendwo in der antiken Literatur bezeugten Schrift ein Jude aus Alexandria war. Er datiert das seiner Meinung nach aramäische Original „sehr wahrscheinlich in den 20er Jahren“ des 1. Jh. v. Chr. (10f.). Die Argumentation dafür ist kaum überzeugend. Kriterien für die Bestimmung der Abfassungsverhältnisse sind „die Identifizierung historischer Anspielungen“ (3) speziell auf Ereignisse der römischen Geschichte im letzten Drittel des 1. Jh. v. Chr. sowie eine gewisse inhaltliche Nähe zu astrologischen Motiven in einigen Texten aus Qumran. Zwar gibt es in der frühjüdischen Literatur tatsächlich astrologische Motive, und in spätantiken Synagogenmosaiken treten sie sogar bildlich vor Augen, aber das kann kein Datierungskriterium sein, solange nicht die spätantiken und mittelalterlichen Belege für diese Motivik ebenfalls kritisch analysiert und die Überlieferungsverhältnisse des einzigen spätmittelalterlichen Textzeugen wenigstens ansatzweise zu erhellen versucht wurden. Von ganz anderer Qualität ist die Behandlung des „Testament Jakobs“ durch Jan Dochhorn. 49 Von Anfang an stellt er klar, dass dieser Text „ausschließlich ein Produkt der koptischen Kirche des Mittelalters“ (IX) ist, und widmet sich dann um so sorgfältiger dessen überaus verwickelter Vor- und Nachgeschichte (die Einleitung umfasst rund 70, die Übersetzung gut 30 Seiten, von denen der Kommentar jeweils mehr als vier Fünftel einnimmt). Nach Dochhorn wurde das Testament Jakobs im 10. Jh. als dritter Teil den beiden älteren, aber ebenfalls nur in christlicher Überlieferung zugänglichen Testamenten Abrahams und Isaaks hinzugefügt, um in einem koptischen Kloster als Vorlesetext am Gedenktag für die drei biblischen Patriarchen zu dienen. Aus der verzweigten, vorwiegend koptischen, aber auch christlich-arabischen und äthiopischen 47

JUTTA LEONHARDT-BALZER, Fragen Esras, JSHRZ Neue Folge I/5, Gütersloh 2005. JAMES H. CHARLESWORTH, Die Schrift des Sem, JSHRZ Neue Folge II/9, Gütersloh 2005. 49 JAN DOCHHORN, Testament Jakobs, JSHRZ Neue Folge I/7, Gütersloh 2014. 48

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

Textüberlieferung (bis hin zu den Falascha, den äthiopischen Juden) gelingt es Dochhorn, einen Archetyp zu identifizieren, der auch in einer Handschrift erhalten ist (Codex Vat. copt. 61,5), deren Schreiber laut Kolophon Makari hieß – eine philologische Meisterleistung! Während eine Sammlung von drei Patriarchentestamenten und mit ihm das „Testament Jakobs“ erst im koptischen Christentum seit dem 10. Jh. und davon abhängigen Überlieferungen existiert, lässt sich die Überlieferung der Testamente Abrahams und Isaaks je für sich etwas weiter zurückverfolgen; ob allerdings bis zu einer rekonstruierbaren frühjüdischen Entstehungs- und Überlieferungsstufe, ist beim TestAbr umstritten, beim TestIsaak eher unwahrscheinlich. Bereits im Jahr 2000 fand „anläßlich des bevorstehenden Abschlusses der Reihe“ (XI) in Tübingen ein internationales Symposium statt, dessen Beiträge zusammen mit weiteren Aufsätzen von Autoren und Herausgebern der JSHRZ zwei Jahre später im Druck erschienen. 50 Der Band bietet einen reichhaltigen Einblick in Geschichte und Methoden der Erforschung, Quellenbereiche und Themen des Frühjudentums, die z.T. weit über den Schriftenkreis der Textsammlung hinausreichen. Man muss also fragen, ob der Reihentitel „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“ für die „Neue Folge“ noch sachgemäß oder nicht eher irreführend ist. Das an den drei hier besprochenen Texten gewonnene Bild wird durch die übrigen bisher vorgelegten Lieferungen der „Neuen Folge“ 51 durchweg bestätigt und hatte sich schon bei den oben besprochenen letzten Lieferungen der Hauptreihe aufgedrängt. Die Annahme einer frühjüdischen vorchristlichen Entstehungs- oder Überlieferungsstufe der meisten hier zusammengeführten Texte ist fraglich, wenn nicht unbegründet. 52 50 LICHTENBERGER/OEGEMA, Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kontext (Anm. 9). 51 Bis 2017 sind in der „Neuen Folge“ erschienen: EMMANOUELA GRYPEOU, Apokalypse Adams, JSHRZ Neue Folge I/2, Gütersloh 2015; MATTHIAS HENZE, Syrische Danielapokalypse, JSHRZ Neue Folge I/4, Gütersloh 2006; FAHL/BÖTTRICH, Leiter Jakobs (Anm. 32); BÖTTRICH, Geschichte Melchisedeks (Anm. 31); HERBERT NIEHR, Aramäischer Aiqar, JSHRZ Neue Folge II/2, Gütersloh 2007; JOHN H. NEWMANN, Gebet Jakobs, JSHRZ Neue Folge II/3, Gütersloh 2015; ALBERT PIETERSMA, Jannes und Jambres, JSHRZ Neue Folge II/4, Gütersloh 2013; ANDERS KLOSTERGAARD PETERSEN, Die Geschichte Josephs, JSHRZ Neue Folge II/5, Gütersloh 2017; DIETER LÜHRMANN, Bundesbuch, JSHRZ Neue Folge II/12, Gütersloh 2006. Lt. Klappentext von Lieferung I/6 (2015) stehen folgende Texte noch aus: Pseudepigrapha in Qumran, Testament Adams, Testament Isaaks, Sprüche Menanders, Geschichte des Zosimus, Oden Salomos, Testament Salomos, Pseudo-Kallisthenes. 52 Erst recht gilt das für die Textsammlung RICHARD BAUCKHAM/JAMES R. DAVILA/ALEXANDER PANAYOTOV (Hg.), Old Testament Pseudepigrapha. More Noncanonical Scriptures, Grand Rapids/Cambridge 2013, deren Titel auf die im englischen Sprachraum verbreitete zweibändige Sammlung „The Old Testament Pseudepigrapha“ zurückverweist (Anm. 15). Hier werden, angeordnet nach der biblischen Chronologie der Protagonisten oder (pseudepigraphen) Autoren, eine Vielzahl von Texten bzw. Textausschnitten geboten (in

3. „Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit“

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Die nun schon mehrfach angesprochene Frage nach der Möglichkeit, für ausschließlich christlich überlieferte Schriften mit Bezug auf biblische Themen oder Gestalten eine vorchristlich-jüdische „Urfassung“ zu rekonstruieren, wird in der Monographie von James R. Davila aufgegriffen und grundsätzlich diskutiert, mit einem radikalen Ergebnis, das an den Grundfesten der Erforschung des hellenistischen Judentums rüttelt. 53 Nach Davila liegt die Beweislast grundsätzlich bei denen, die einen jüdischen Ursprung solcher Werke annehmen wollen; solange sich jüdische Herkunft nicht in Gestalt von Textzeugen nachweisen lasse, seien diese Texte ausgehend von den überlieferten Handschriften zunächst allein als christliche Quellen zu interpretieren (5). Der Suche nach Kriterien zur Identifikation von ursprünglich jüdischen Werken ist die erste Hälfte des Buches gewidmet. Die zweite bietet einen Durchgang durch ausgewählte Schriften, unterteilt nach „Jewish Pseudepigrapha“ (EpArist, 2Bar, 1Hen 37–71 [similitudines], 4Esr, 3/4Makk, TestMos, LAB, PsSal) und „Some Pseudepigrapha of Debatable Origin“ (Sib III und V, JosAs, TestHi, TestAbr, HistRech [= ApkZos]). Andere in diesem Zusammenhang schon länger diskutierte Schriften wie 3Bar (= grBar), 4Bar (= ParJer), VitProph oder TestXII untersucht Davila nicht eigens; er hält sie offenbar von vornherein für christliche Kompositionen. Die Sapientia Salomonis und das apokryphe Baruch-Buch (= 1Bar) behandelt er in einem kurzen Exkurs (SapSal sei „written by a gentile Christian in the second half of the first century C.E.“ [225], 1Bar dagegen eine „Jewish composition before the first Jewish revolt against Rome” [227]). Freilich lassen sich gegenüber dem Ansatz von Davila gewichtige methodische Einwände erheben. So stellt schon sein „preliminary corpus of ancient Jewish literature“ (14: Hebräische Bibel, Qumran-Texte, Masada-Texte, BarKochba-Texte, 1Hen, Jub, Tob, Sir, EpJer, tannaitische Quellen) die Weichen für die Beurteilung der übrigen literarischen Quellen. Es handelt sich dabei nämlich ausschließlich um Quellen des früher „palästinisch“ genannten Judentums. Dass die Mehrheit jüdischer Gruppen schon in vorchristlicher Zeit außerhalb des biblischen Landes und des hebräisch-aramäischen Kulturraums lebte, bleibt dabei ebenso unbeachtet wie die offenkundig erst nach dem Jüdischen Krieg einsetzende Reduktion der maßgeblichen jüdischen Überlieferung auf den hebräisch-rabbinischen Überlieferungsstrom. Zudem ergibt sich aus Davilas Ansatz geradezu zwangsläufig, dass sämtliche später als christlich erkennbar werdenden Merkmale solcher Schriften von vornherein als ‚unjüdisch‘

englischer Übersetzung mit knappen Einleitungen und Fußnotenkommentaren), für deren Auswahl allein der Bezug auf biblische Gestalten und Themen, nicht aber der Nachweis oder die Annahme einer frühjüdischen Entstehung leitend ist. 53 JAMES R. DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha. Jewish, Christian, or Other?, JSJ.S 105, Leiden/Boston 2005. Die Problematik wird auch von SIEGERT, Einleitung (Anm. 19), 56–67, diskutiert.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

anzusehen sind, was der inneren Verwurzelung der Jesus-Bewegung im Frühjudentum schwerlich gerecht wird. Auch die nichtliterarischen Zeugnisse des antiken Judentums bleiben bei Davila völlig unbeachtet. Wenn man demgegenüber die in der jüngeren Forschung herausgearbeitete Vielfalt jüdischer Gruppen und jüdischen Lebens in der Antike ernst nimmt, kann man die überlieferten Quellen nicht einem derart verengten Maßstab dessen unterwerfen, was als jüdisch gelten darf und was nicht. Vielmehr sollte man sich vor einer eindeutigen Zuweisung oder gar Ausgrenzung einzelner Quellen aus dem Judentum hüten und stattdessen die gegenseitige Beeinflussung religiöser Gruppen stärker gewichten, die sich aus dem gemeinsamen Wurzelgrund der biblischen Überlieferung speisten und erst im Verlauf der Spätantike sich in jüdische und christliche Identitäten auseinanderentwickelten. 54

4. Kommentarreihen 4. Kommentarreihen Ein eindrucksvolles Zeichen für die aktuelle Blüte der Forschung zur jüdischhellenistischen Literatur ist das kontinuierliche Erscheinen von wissenschaftlichen Kommentaren zu Einzelschriften aus der frühjüdischen Literatur in gleich mehreren Kommentarreihen. Außer den groß angelegten Serien zu Philon und Josephus, die im nächsten Abschnitt zu besprechen sind, sollen hier zwei Bände aus verschiedenen Serien angezeigt werden, die jeweils pars pro toto für die ganze Reihe stehen. Zu erwähnen wären für den deutschsprachigen Bereich darüber hinaus noch die Ergänzungsreihe zu „Das Alte Testament Deutsch“, in der im Bereich der Apokryphen neuere Kommentare zur Weisheit Salomos, 55 dem Buch Baruch, 56 dem Brief Jeremias, 57 den Stücken zu Ester

54 Vgl. dazu exemplarisch PETER SCHÄFER, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, TrC 6, Tübingen 2010. 55 HANS HÜBNER, Die Weisheit Salomos. Liber Sapientiae Salomonis, ATD.A 4, Göttingen 1999. Vgl. zur Sapientia Salomonis auch den Band aus der Reihe SAPERE, der neben dem griechischen Text mit Übersetzung und erläuternden Anmerkungen noch kommentierende Essays bietet: KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015. 56 ODIL H. STECK, Das Buch Baruch, in: DERS./REINHARD GREGOR KRATZ/INGO KOTTSIEPER, Das Buch Baruch, Der Brief des Jeremia, Zusätze zu Ester und Daniel, ATD.A 5, Göttingen 1998, 11–68. 57 REINHARD GREGOR KRATZ, Der Brief des Jeremia, ATD.A 5 (Anm. 56), 71–108.

4. Kommentarreihen

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und Daniel 58 sowie zu Jesus Sirach 59 vorliegen, sowie für den englischsprachigen die Reihe Hermeneia – A Critical and Historical Commentary on the Bible mit in der Abteilung Old Testament Apocrypha and Noncanonical Jewish Writings derzeit vorliegenden Bänden zu 4Esr, 60 1Hen, 61 und 2Makk. 62 Der Kommentar von David DeSilva zum 4. Makkabäerbuch 63 stammt aus der Septuagint Commentary Series. 64 Das sowohl in der Septuaginta als auch in einem Teil der Josephus-Überlieferung tradierte 4. Makkabäerbuch (seit Euseb und Hieronymus wurde es fälschlicherweise dem jüdischen Historiker zugeschrieben) gibt sich als philosophische Rede, die den Grundsatz vermitteln will, dass die gottesfürchtige Urteilskraft (· ˜¡ © —) souveräne Herrscherin über die Leidenschaften sei (1,1). 65 Die literarische Gestalt der philosophischen Lehrrede kann allerdings ebenso wenig wie die verwendete Terminologie das Hauptanliegen der Schrift verdecken, die Leser zur Treue gegenüber der Tora angesichts innerer und äußerer Bedrängnisse aufzurufen. Dazu bedient sich der Autor verschiedenster Elemente der philosophischen Schulrichtungen seiner Zeit, ohne sich einer von ihnen eindeutig zuweisen zu lassen. Umgekehrt gestaltet er biblische Überlieferungen und geschichtliche Stoffe aus der Makkabäerzeit so um, dass sie einem ‚philosophischen Leben‘ nach jüdischen Maßstäben dienen können. Die Schrift zeigt damit exemplarisch, wie ein gebildeter jüdischer Autor im besten Griechisch seiner Zeit philosophische Topoi aufgreifen, differenziert diskutieren und seiner paränetischen Zielsetzung unterwerfen kann. DeSilva legt seinem Kommentar den Text des Codex Sinaiticus zu Grunde und führt davon abweichende Lesarten der Septuaginta-Ausgabe von Rahlfs in Fußnoten an. Der griechische Text wird zunächst fortlaufend zusammen mit einer englischen Übersetzung abgedruckt (2–63) und anschließend ausführlich kommentiert (67–268). Bibliographie und Register beschließen den Band. Vorangestellt ist eine gut 30 Seiten lange Introduction, in der die klassischen

58 INGO KOTTSIEPER, Zusätze zu Ester, ATD.A 5 (Anm. 56), 111–207; DERS., Zusätze zu Daniel, a.a.O., 211–328. 59 GEORG SAUER, Jesus Sirach / Ben Sira, ATD.A 1, Göttingen 2000. 60 MICHAEL E. STONE, Fourth Ezra, Minneapolis 1990. 61 GEORGE W. E. NICKELSBURG/JAMES C. VANDERKAM, 1Enoch, 2 Bde., Minneapolis 2001/2012. 62 ROBERT DORAN, 2 Maccabees, Minneapolis 2012; James C. VanderKam, Jubilees. A Commentary on the Book of Jubilees, 2 Bde., Hermeneia, Minneapolis 2018. 63 DAVID A. DESILVA, 4 Maccabees. Introduction and Commentary on the Greek Text in Codex Sinaiticus, Leiden 2006. 64 In dieser Reihe sind zu den Apokryphen weiterhin erschienen: SEAN A. ADAMS, Baruch and the Epistle of Jeremiah, Leiden 2014; ROBERT LITTMAN, Tobit, Leiden 2008; N. CLAYTON CROY, 3 Maccabees, Leiden 2006. 65 Vgl. grundlegend HANS-JOSEF KLAUCK, 4. Makkabäerbuch, JSHRZ III/6, Gütersloh 1989, 645–763.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

Einleitungsfragen sorgfältig diskutiert und vorsichtig beantwortet werden (Abfassung im letzten Drittel des 1. Jh. n. Chr., nicht unbedingt in Alexandria, sondern möglicherweise in Syrien). Die Schrift wendet sich an ein jüdisches, für griechisch-römische Ideen offenes Publikum, ist beeinflusst von Konventionen und Formen protreptischer Literatur, aber ebenso stark von Inhalten und Grundsätzen biblisch-jüdischer Überlieferung. Sie wirkte stärker in der frühchristlichen (bes. Märtyrertradition) als in der jüdischen Überlieferung der Antike nach. Dem Kommentar liegt eine sorgfältige, rhetorischen Grundsätzen folgende Gliederung des Textes zugrunde. Verweise auf antike Quellen und Sekundärliteratur werden nicht in Fußnoten, sondern im Fließtext in Klammern geboten. In der Reihe Commentaries on Early Jewish Literature hat Walter T. Wilson einen Kommentar zu den Sentenzen des (Pseudo-)Phokylides vorgelegt. 66 Der Autor hatte sich schon in seiner Monographie von 1994 67 besonders mit der literarischen Struktur dieses pseudepigraphen, in Hexametern verfassten frühjüdischen Mahngedichtes beschäftigt und legt die dort begründete Analyse auch seinem Kommentar zu Grunde. Demnach sei ein Teil des Gedichts nach den vier Kardinaltugenden der griechischen Moralphilosophie aufgebaut. Die Verse 9–54 lassen sich der Gerechtigkeit zuordnen, 55–96 der Mäßigung, 97– 121 der Tapferkeit und 122–131 der Weisheit. Die Eingangsverse 3–8 bilden als Zusammenfassung des Dekalogs die Einleitung, während der zweite Hauptteil (132–227) Sozialbeziehungen im vorausgesetzten frühjüdischen Adressatenkreis thematisiert. Darüber hinaus werden in der Einleitung Gattung („gnomic poem“), Sitz im Leben (enzyklische Unterweisung), Quellen (klassische griechische Dichtung ebenso wie hellenistisch-jüdische Moralphilosophie) und ethische Grundlagen des Werkes (Konventionen hellenistisch-römischer Popularethik und jüdische Tora-Traditionen) behandelt. Eine Übersicht zur Textüberlieferung und eine ausführliche Bibliographie schließen die Einleitung ab. PseudPhok kann als klassisches Beispiel für die Rezeption literarischer Formen und Konventionen der hellenistischen Umwelt durch jüdische Autoren gelten, worin sich das Kulturbewusstsein jüdischer Kreise niederschlägt, das 66 WALTER T. WILSON, The Sentences of Pseudo-Phocylides, Commentaries on Early Jewish Literature, Berlin/New York 2005. Vgl. dazu meine ausführlichere Besprechung in JSJ 38, 2007, 444–447. In dieser Reihe sind außerdem erschienen: DALE C. ALLISON, Testament of Abraham, Berlin/New York 2003; DANIEL R. SCHWARTZ, 2 Maccabees, Berlin/New York 2008; PIETER W. VAN DER HORST/JOHN H. NEWMAN, Early Jewish Prayers in Greek, Berlin/New York 2008; ALEXANDER KULIK, 3 Baruch, Berlin/New York 2010; LOREN T. STUCKENBRUCK, 1Enoch 91–108, Berlin/New York 2007; DEBORAH L. GERA, Judith, Berlin/New York 2014; BENJAMIN G. WRIGHT III, The Letter of Aristeas, Berlin/New York 2015; JOSEPH A. FITZMYER, Tobit, CEJL, Berlin/New York 2003. 67 WALTER T. WILSON, The Mysteries of Righteousness. The Literary Composition and Genre of the Sentences of Pseudo-Phocylides, TSAJ 40, Tübingen 1994.

5. Philon und Josephus

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organisch mit religiösen und ethischen Werten der Tora verbunden wurde. Herkunftszeit und Entstehungsort des Gedichts lassen sich weder zeitlich noch geographisch genauer eingrenzen, wenngleich das implizierte Milieu am ehesten auf das hellenistisch-römische Alexandria zutrifft. Auf den fortlaufenden Kommentar, abschnittweise untergliedert in Bibliographie, einführenden Überblick, englische Übersetzung, textkritische Anmerkungen und Kommentierung, folgen der Abdruck des griechischen Textes (ohne Apparat) sowie umfangreiche Register.

5. Philon und Josephus 5. Philon und Josephus Die äußerst lebendige Philon- und Josephus-Forschung kann hier auch nicht ansatzweise skizziert werden. Sie wird inzwischen längst als je eigenes Forschungsfeld intensiv beackert, wenngleich auch Bezüge zwischen diesen beiden herausragenden frühjüdischen Autoren und den Schriften des Neuen Testaments weiterhin Aufmerksamkeit finden. 68 Hier soll lediglich auf die beiden derzeit im Erscheinen begriffenen groß angelegten Kommentarreihen zu Philon und Josephus eingegangen werden. 5.1 Philon von Alexandrien Zu den Werken Philons 69 sind in der Philo of Alexandria Commentary Series bisher vier Bände erschienen. 70 Der Traktat De virtutibus, zu dem Walter T. Wilson einen Kommentar vorgelegt hat, 71 gehört zu der so genannten Expositio legis, einer fortlaufenden, systematisch aufgebauten Auslegung des Pentateuch von der Schöpfungsgeschichte bis zu den Segens- und Fluchsprüchen in Dtn 28. Sie steht neben zwei weiteren philonischen Auslegungswerken zur Tora (Allegorischer Genesis-Kommentar und Quaestiones in Genesim et 68 Vgl. dafür exemplarisch die beiden einschlägigen Konferenzbände des Corpus JudaeoHellenisticum Novi Testamenti: ROLAND DEINES/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. I. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum, WUNT 172, Tübingen 2004; CHRISTFRIED BÖTTRICH/JENS HERZER (Hg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum, WUNT 209, Tübingen 2007. 69 Eine aktuelle Einführung in die Philon-Forschung bietet ADAM KAMESAR (Hg.), The Cambridge Companion to Philo, Cambridge 2009. Vgl. auch die Einblicke in den Anm. 8 angeführten Aufsätzen. 70 Außer dem hier besprochenen noch: DAVID T. RUNIA, On the Creation of the Cosmos according to Moses, Leiden 2001; PIETER W. VAN DER HORST, Philo’s Flaccus. The First Pogrom, Leiden 2003; ALBER C. GELJON/DAVID T. RUNIA, On Cultivation, Leiden 2013. 71 WALTER T. WILSON, Philo of Alexandria, On Virtues. Introduction, Translation, and Commentaries, Philo of Alexandria Commentary Series 3, Leiden 2012.

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

Exodum) und unterscheidet sich von diesen vor allem durch die Auslegungsmethode, möglicherweise auch durch einen anderen Adressatenkreis. 72 Während in den beiden anderen Kommentarwerken die allegorische Auslegung von z.T. kleinsten Details des Bibeltextes in bisweilen äußerst weitschweifigen Interpretationen dominiert, zeichnet sich die Expositio legis durch einen eher systematischen und thematischen Zugriff auf größere Sinneinheiten der Tora aus, die häufig zunächst nach dem Literalsinn interpretiert werden, woran sich freilich auch hier gelegentlich allegorische Auslegungen anschließen können. 73 Die Einleitung des Kommentars setzt ein mit einer Einordnung des Traktats in die Expositio legis und das Gesamtwerk Philons und bestimmt von hier aus seine Funktion: Er soll die universale Ausrichtung der Tora im Sinne einer allgemeinen Tugendlehre zusammenfassend unterstreichen und zugleich ihre Bedeutung gegenüber alternativen Gesetzgebungen apologetisch herausstellen, herausgefordert nicht zuletzt durch antijüdische Stimmungen in Alexandria zu Lebzeiten Philons. Nach einem Blick auf die durchaus komplizierte handschriftliche Überlieferung zum Titel des Traktats folgt die Analyse seines Inhalts, der sich in vier Hauptabschnitte gliedern lässt, die z.T. schon in den Handschriften voneinander abgegrenzt sind: De fortitudine, De humanitate, De paenitentia, De nobilitate. Schon diese Titel zeigen, dass der Traktat keineswegs schematisch dem vorgegebenen griechischen Tugendkanon folgt, vielmehr sich primär an den moralischen und religiösen Intentionen der mosaischen Tora orientiert. Relativ ausführlich und anhand eines instruktiven Vergleichs mit den Antiquitates romanae des Dionysius von Halikarnassos versucht Wilson, Charakter und Zielgruppe des Traktates und der Expositio legis als ganzer näher zu bestimmen, mit einem ebenso vorsichtigen wie uneindeutigen Ergebnis: Angesprochen sind primär Juden, aber auch Nichtjuden in Alexandria, die jedenfalls bisher nur unzureichend mit den Prinzipien jüdischen Glaubens und Lebens vertraut sind. Auf eine englische Übersetzung (gut 40 Seiten) folgen der sehr ausführliche Kommentar (gut 300 Seiten), jeweils gegliedert in Analysis/General Comments, Detailed Comments, Parallel Exegesis (gemeint: Parallelen in Philons sonstigen Werken) und Nachleben, sowie Bibliographie und Register. Ergänzend sei noch auf die spanische Übersetzung der Werke Philons hingewiesen. 74 Ihr fünfter Band wurde verfasst von José Pablo Martín, dem Direktor des internationalen Projekts Philo Hispanicus, und Sofía Torallas Tovar 72 Das ist die These von MAREN R. NIEHOFF, Philo of Alexandria. An Intellectual Biography, New Haven 2018, 93–170; vgl. DIES., Philo’s Exposition in a Roman Context, SPhiloA 23, 2011, 1–22. 73 Vgl. dazu näheres bei JAMES R. ROYSE, The Works of Philo, in: KAMESAR, The Cambridge Companion to Philo (Anm. 69), 32–64; s.a. STERLING, The Structure of Philo’s Allegorical Commentary (Anm. 8), 1229–1233. 74 FILÓN DE ALEJANDRÍA: Obras Completas. V. Edición dirigida por J. Pablo Martín, Madrid 2009.

5. Philon und Josephus

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und enthält die so genannten „historisch-theologischen Traktate“ (Vita Mosis, De vita contemplativa, Contra Flaccum, Legatio ad Gaium), jeweils mit ausführlicher Einleitung und Fußnoten sowie einer umfangreichen Bibliographie und Registern. Zu erwähnen sind schließlich noch der kürzlich erschienene Band zu De migratione Abrahami in der Reihe SAPERE, 75 der neben dem griechischen Text mit Übersetzung und erläuternden Anmerkungen kommentierende Essays aus unterschiedlichen Fachperspektiven enthält, sowie zwei Hefte der Reihe „Kleine Bibliothek der jüdischen und christlichen Literatur“ (hg. v. J. Wehnert) mit jeweils ausführlich eingeleiteten Übersetzungen von De Josepho 76 und Quid omnis probus liber sit. 77 5.2 Flavius Josephus Die Serie der Kommentare zu Josephus 78 ist schon weiter fortgeschritten als die zu Philon, wenngleich auch hier angesichts der z.T. äußerst komplizierten Textüberlieferung (besonders in der zweiten Hälfte der Antiquitates) noch kein Ende abzusehen ist. 79 Die Forschungslage hinsichtlich einer kritischen Edition des kompletten Josephus-Textes und einer auf ihr basierenden wissenschaftlichen Kommentierung ist äußerst unübersichtlich. Die Textausgabe von Niese mit ihren immer wieder in der Einzelforschung aufgewiesenen Mängeln bleibt so lange maßgeblich, wie keine neue Gesamtedition vorliegt. Eine solche ist aber trotz jahrzehntelanger Bemühungen an verschiedenen Orten derzeit nicht in Sicht. Ähnlich ist die Lage mit Blick auf eine deutsche Übersetzung des Gesamtwerkes, wohingegen wenigstens für das Bellum 80 und die so genannten

75 MAREN R. NIEHOFF/REINHARD FELDMEIER (Hg.), Abrahams Aufbruch. Philon von Alexandria, De migratione Abrahami. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 30, Tübingen 2017. 76 Philo von Alexandria: Das Leben des Politikers oder Über Josef. Eine philosophische Erzählung, übers. u. eingel. v. BERNHARD LANG, Göttingen 2017. 77 Philo von Alexandria – Über die Freiheit des Rechtschaffenen, übers. u. eingel. v. REINHARD VON BENDEMANN, Göttingen 2016. 78 STEVE MASON (Hg.), Flavius Josephus. Translation and Commentary, Leiden; vgl. zur aktuellen Einführung CHAPMAN/RODGERS, A Companion to Josephus (Anm. 12). 79 Zu LOUIS H. FELDMAN, Judean Antiquities 1–4, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 3, Leiden 2000; STEVE MASON, Life of Josephus, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 9, Leiden 2001, vgl. MARCO FRENSCHKOWSKI, ThLZ 128, 2003, 509–512. Weiter sind inzwischen erschienen: CHRISTOPHER BEGG, Judean Antiquities Books 5–7, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 4, Leiden 2005; CHRISTOPHER T. BEGG/PAUL SPILSBURY, Judean Antiquities Books 8–10, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 5, Leiden 2005. 80 OTTO MICHEL/OTTO BAUERNFEIND, Flavius Josephus. De Bello Judaico / Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, 3 Bde., München/Darmstadt 1959–1969.

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„Kleinen Schriften“ (Vita, 81 Contra Apionem 82) inzwischen mehrere hervorragende Neuübersetzungen zur Verfügung stehen. Für die Antiquitates ist aber die anerkanntermaßen wissenschaftlich unverantwortbare Übersetzung von Clementz immer noch konkurrenzlos. Von den sieben Büchern des Bellum liegt bisher lediglich zu Buch 2 ein Kommentar aus dem Brill Josephus Project vor. 83 Bearbeitet hat ihn Steve Mason, der Gründer und spiritus rector der Kommentarreihe, der auch schon den Band zur Vita geschrieben hatte. 84 Laut Preface (XV–XVII) hat Mason auch eine Gesamteinleitung zum Bellum sowie die Übersetzung und Kommentierung des Prologs (1,1–30) verfasst, die aber erst mit Bd. 1A erscheinen sollen, auf den man freilich noch immer wartet. Damit hängt der Kommentar zu Buch 2 etwas in der Luft, wenngleich die hier geschilderten Ereignisse (vom Tod des Herodes bis zum Ausbruch des Jüdischen Krieges) für die neutestamentliche Zeitgeschichte von besonderer Bedeutung sind und die Einzelkommentierung auf der Grundlage der neuen englischen Übersetzung in philologischer, literarischer und religionshistorischer Hinsicht kaum Wünsche offenlässt. Textbasis ist wie für das gesamte Kommentarprojekt weiterhin Niese, während neuere Ausgaben (Loeb, Michel-Bauernfeind) sowie Ergebnisse laufender Editionsprojekte (Nodet, Schreckenberg/Siegert) zum Vergleich herangezogen wurden. Zu den Antiquitates liegen die Bücher 1–10 vollständig kommentiert vor, 85 von der zweiten Hälfte des Werkes dagegen erst zwei Lieferungen zu jeweils einem Buch. Das hängt nicht zuletzt mit der in diesem Bereich besonders schwierigen Textüberlieferung zusammen. Der Kommentar von Paul Spilsbury und Chris Seeman behandelt Buch 11. 86 Jan Willem van Henten hat Buch 15 kommentiert. 87 Eine Einleitung zu den Antiquitates insgesamt hatte schon L. H. Feldman in dem zuerst erschienenen Band der Reihe geboten. 88 Spilsbury/Seeman bringen noch einmal eine eigene (knappe) Einleitung zu Buch 11, wo die Ereignisse der Perserzeit dargestellt werden, und darüber hinaus drei weitere Einleitungen zu den Passagen zu Esra/Nehemia, Ester und zur späten Perserzeit sowie einen Appendix von Ory Amitay zu „Alexander in Jerusalem: 81

FOLKER SIEGERT/HEINZ SCHRECKENBERG/MANUEL VOGEL, Flavius Josephus. Aus meinem Leben (Vita). Kritische Ausgabe, Übersetzung und Kommentar, Tübingen 2001. 82 S.u., Anm. 89–91. 83 STEVE MASON/HONORA CHAPMAN, Judean War 2, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 1B, Leiden 2008. 84 S.o., Anm. 79. 85 S.o., Anm. 79. 86 PAUL SPILSBURY/CHRIS SEEMAN, Judean Antiquities 11, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 6A, Leiden 2017. 87 JAN W. VAN HENTEN, Judean Antiquities 15, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 7B, Leiden 2014. 88 FELDMAN, Judean Antiquities 1–4 (Anm. 79), XIII–XXXV.

5. Philon und Josephus

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The Extra-Josephan Traditions“ (128–147). In van Hentens Kommentar gibt es lediglich zu Beginn ein kurzes „Summary of Antiquities 15“ (3f.), wo die Herrschaft Herodes des Großen bis zu seinem 18. Regierungsjahr behandelt wird. Alle Bände bieten Bibliographien und umfangreiche, detaillierte Register. Geradezu kurios zu nennen ist die Publikationslage für eine der so genannten „Kleinen Schriften“ des Josephus, den Traktat Contra Apionem. Hierzu gibt es inzwischen neben dem Kommentar von John Barclay im Brill Josephus Project 89 noch eine zweibändige kommentierte Ausgabe mit Text und Übersetzung von Folker Siegert und dem Münsteraner Josephus-Arbeitskreis 90 sowie zu Buch 1 eine weitere Übersetzung mit Kommentar von Dagmar Labow. 91 Am gründlichsten textkritisch untermauert ist die Münsteraner Ausgabe, die freilich leider auch nicht bis zu einer eigenständigen kritischen Edition geführt werden konnte. Sie bietet in Band 1 eine sehr umfangreiche Einleitung, in der vor allem der Abschnitt zur Textkritik die Forschung auf eine ganz neue Grundlage stellt (1,65–82), sowie eine abschnittweise deutsche Übersetzung mit detaillierten Nachweisen der griechischen Textvarianten (ein Appendix verzeichnet die nicht berücksichtigten Konjekturen früherer Ausgaben). Band 2 enthält weitere Beigaben zur Textüberlieferung, verfasst von Folker Siegert, und dann vor allem kommentierende Anmerkungen zur Übersetzung von Manuel Vogel sowie einen Exkurs zur Frage des jüdischen Bürgerrechts in Alexandrien. Am Ende stehen ein fortlaufender griechischer (bzw. für 2,52–113 lateinischer) Lesetext nach Niese sowie Stellenregister (nur Ap-Stellen) und Literaturverzeichnis. Die Mainzer Dissertation von Dagmar Labow ist ungefähr gleichzeitig mit der Münsteraner Ausgabe von Contra Apionem entstanden und stützt sich weitgehend auf schon von Heinz Schreckenberg zusammengetragene Daten zur Textüberlieferung (vgl. dazu in der Einleitung XLVII–LXXIII). Auch sie legt den Text der Edition von Niese zugrunde, immerhin kritisch überprüft anhand 89 JOHN M. G. BARCLAY, Against Apion, Flavius Josephus. Translation and Commentary, Bd. 10, Leiden 2007. 90 FOLKER SIEGERT (Hg.), Flavius Josephus: Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem). In Zusammenarbeit m. d. Josephus-Arbeitskreis des Institutum Judaicum Delitzschianum, Münster, Bd. 1: Erstmalige Kollation d. gesamten Überlieferung (griechisch, lateinisch, armenisch), literarkritische Analyse u. deutsche Übersetzung, Bd. 2: Beigaben, Anmerkungen, griechischer Text, SIJD 6/1–2, Göttingen 2008. 91 DAGMAR LABOW, Flavius Josephus: Contra Apionem, Buch I. Einleitung, Text, Textkritischer Apparat, Übersetzung und Kommentar, BWANT 167, Stuttgart 2005. Hinzu kommt noch die Monographie von CHRISTINE GERBER, Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden 1997, die auf der Basis der kritisch diskutierten Textüberlieferung eine detaillierte Analyse und Kommentierung von Ap 2,145–296 mit Übersetzung bietet. Vgl. auch den umfangreichen Sammelband von LOUIS H. FELDMAN/JOHN R. LEVISON (Hg.), Josephus’ Contra Apionem. Studies in its Character and Context with a Latin Concordance to the Portion Missing in Greek, AGJU 34, Leiden 1996.

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der editio minor, die textkritisch oft Verbesserungen gegenüber der früher erschienen editio maior bot. Die Hauptleistung der Arbeit steckt in dem Fußnotenkommentar zu Ap 1 mit parallel gesetztem griechischem Text und eigener Übersetzung sowie einem textkritischen Apparat, der vor allem die antike Sekundärüberlieferung und Lesarten anderer Ausgaben verzeichnet. Hinzu treten Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten, oft mit umfangreichen Bibliographien, sowie zahlreiche thematische Exkurse. Im Anhang stehen Quellen- und Literaturverzeichnisse sowie Register. Am umfangreichsten ist der Kommentar von Barclay im Brill Josephus Project. Auch er bietet eine ausführliche Einleitung (XVII–LXXI) und dann mehr als 300 Seiten zweispaltig gesetzten Kommentar zu seiner Übersetzung, die oft nur wenige Zeilen der Seite einnimmt, sechs thematische Appendizes sowie Bibliographie und umfangreiche Register. Textbasis für Übersetzung und Kommentar ist der Münsteraner Text, auf den Barclay schon vor Erscheinen der Ausgabe von Siegert zurückgreifen konnte. An nur wenigen Stellen (aufgezählt LXIV, Anm. 173) weicht er von ihm ab. In der Einleitung werden u.a. die politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Verhältnisse zur Zeit der Abfassung Ende des 1. Jh. in Rom dargestellt. Besonders sorgfältig und differenziert diskutiert Barclay Aussageabsicht und Adressaten der Schrift. Er unterscheidet zwischen „declared“, „implied“ und „intended audience“. Während explizit Nichtjuden angesprochen werden und der implizierte Verstehenshorizont auf gebildete Römer mit einem positiven Interesse am Judentum deutet, lässt sich der Adressatenkreis von der Aussageabsicht der Schrift her nicht eindeutig eingrenzen: „it is likely that its intended audience was sympathetic nonJudeans and, perhaps, fellow Judeans of Josephus’ social and intellectual status“ (LI). Nimmt man die hier angezeigten Publikationen zusammen, so gehört Contra Apionem zu den derzeit wohl am besten wissenschaftlich erschlossenen frühjüdischen Texten überhaupt.

6. Einzelbeispiele 6. Einzelbeispiele Aber auch andere frühjüdische Texte sind in jüngerer Zeit intensiv bearbeitet worden. Auf einige Beispiele gehe ich anhand von Editionen und Kommentaren näher ein.

6. Einzelbeispiele

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6.1 Tobit Als Teil der Apokryphen galt dem Tobit-Buch schon immer die besondere Aufmerksamkeit der Bibelwissenschaftler, insbesondere der katholischen Alttestamentler. Aber auch in den JSHRZ wurde es von Beate Ego bearbeitet. 92 Die Textüberlieferung bietet hier besondere Herausforderungen. Erhalten sind, wenn auch z.T. nur fragmentarisch, drei voneinander erheblich abweichende griechische Versionen (mit weiteren davon abhängigen antik-christlichen Übersetzungen), zwei lateinische, eine syrische sowie Reste der aramäischen (ca. 20 % des Gesamttextes) und hebräischen Überlieferung (ca. 5 %). Zahlreiche Fragmente von vier aramäischen und einem hebräischen Manuskript aus den Qumran-Funden (4Q196–200) waren schon in den fünfziger Jahren von Jósef Milik entziffert und identifiziert worden und sind inzwischen von Joseph Fitzmyer in der offiziellen Reihe der Qumran-Texte vorbildlich ediert. 93 Zur griechischen Überlieferung wurden die gründlichsten Untersuchungen von Robert Hanhart durchgeführt. 94 Demnach liegt, kurz gesagt, die größere Wahrscheinlichkeit in der Annahme, dass die durch den Codex Sinaiticus repräsentierte Langfassung (der im Wesentlichen auch die Vetus Latina folgt) gegenüber der Kurzfassung der Codices Vaticanus, Alexandrinus und Venetus (der die Vulgata entspricht) in der Regel ursprünglich ist, obwohl es Fälle gibt, bei denen die griechische Kurzfassung dem aramäischen Text nähersteht, der in der Regel mit der ursprünglichen Version des Werkes identifiziert wird. 95 Diese insgesamt vielsprachige und -fältige Textüberlieferung wird in zwei fast gleichzeitig erschienenen, aber weitgehend unabhängig voneinander erarbeiteten Textsynopsen bis ins kleinste Detail dokumentiert. Die von Christian J. Wagner erstellte Polyglotte Tobit-Synopse 96 entstammt einem DFG-Projekt unter Leitung von Armin Schmitt. Geboten werden nach einer relativ kurzen Einleitung, die die Befunde zur Textüberlieferung zusammenfasst, in sechs Spalten die drei griechischen Fassungen, die beiden lateinischen und die syrische, jeweils nach den aktuellen Editionen, also nicht aus den Handschriften

92 BEATE EGO, Das Buch Tobit, in: OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form (Anm. 23), 115–150. Zu erwähnen sind auch die neueren Kommentare von HELEN SCHÜNGELSTRAUMANN, Tobit, HThKAT, Freiburg u.a. 2000, und CAREY A. MOORE, Tobit. A New Translation with Introduction and Commentary, AB 40A, New York u.a. 1996. 93 MAGEN BROSHI u.a. (Hg.), Qumran Cave 4. XIV: Parabiblical Texts, Part 2, DJD 19, Oxford 1996. 94 ROBERT HANHART, Text und Textgeschichte des Buches Tobit, AAWG.PH 3,139, Göttingen 1984. S. auch die Dissertation von MICHAELA HALLERMAYER, Text und Überlieferung des Buches Tobit, DCLS 3, Berlin/New York 2008. 95 So auch EGO, Tobit (Anm. 92), 120–127 (= JSHRZ II/6, 875–881). 96 CHRISTIAN J. WAGNER (Hg.), Polyglotte Tobit-Synopse. Griechisch – Lateinisch – Syrisch – Hebräisch – Aramäisch. Mit einem Index zu den Tobit-Fragmenten vom Toten Meer, AAWG.PH Dritte Folge, 258/MSU 28, Göttingen 2003.

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kritisch erstellt. Die Qumran-Fragmente werden in einem zweiten Teil einspaltig abgedruckt – alles ohne Übersetzung und Kommentierung, also als rein philologisches Arbeitsinstrument. Am Ende stehen ein hebräisch-aramäisch-griechischer Index und eine deutsche Wortliste mit den hebräischen bzw. aramäischen Äquivalenten. Der wesentlich umfangreichere Band von Stuart Weeks, Simon Gathercole und Loren Stuckenbruck 97 bietet im Wesentlichen die gleiche Textüberlieferung (allerdings zusätzlich noch die mittelalterlichen hebräischen Zeugen), ist aber ganz anders angelegt. Auf eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Textzeugen in den vier Überlieferungssprachen (9–59) folgt die Wiedergabe der Texte jeweils in kurzen Sinnabschnitten untereinander, also nicht nebeneinander in Spalten mit korrespondierenden Zeilen. Der entscheidende Unterschied zur Synopse von Wagner liegt darin, dass Weeks et al. keinen Rezensionstext darbieten, sondern die einzelnen Textzeugen unverändert wiedergeben (mit einigen pragmatischen Kompromissen wie etwa bei Worttrennungen und Akzenten), so dass meist auf einer Doppelseite mehr als ein Dutzend Textfassungen desselben Verses stehen. Erst so wird die extreme Varianz der Überlieferung voll sichtbar. Immerhin haben wir es mit Bibeltext zu tun, und man fragt sich, was angesichts dieser Varianz im Wortlaut die Berufung auf ‚das Wort‘ der Heiligen Schrift konkret bedeutet (dass Tobit nach protestantischer Terminologie ‚bloß‘ zu den Apokryphen gehört, ist ein schwacher Trost!). Nach der synoptischen Textdarbietung bringt die Rubrik Notes (336– 413) knappe Diskussionen zu Varianten in anderen Textzeugen und Editionen. Ein äußerst umfangreicher Konkordanzteil (416–732: griechisch, lateinisch, hebräisch, aramäisch) sowie die im Anhang vollständig abgedruckten Texte des Codex Alexandrinus und sechs verschiedener lateinischer Zeugen beschließen den Band. Der Kommentar zum Tobit-Buch von Joseph Fitzmyer 98 gehört zur Serie der Commentaries on Early Jewish Literature. 99 In seiner Einleitung diskutiert auch Fitzmyer die Textüberlieferung und verweist auf die neue Lage, die sich durch die (von ihm edierten, s.o.) Qumran-Funde ergeben hat. Mit der Mehrheit der gegenwärtigen Forschung hält er eine aramäische Fassung für ursprünglich, die er auf die Zeit zwischen ca. 225 und 175 v. Chr. datiert und vorsichtig als in Palästina entstanden ansieht (Alternative wäre die östliche Diaspora). Der Kommentarteil druckt die beiden griechischen Hauptüberlieferungen in englischer Übersetzung synoptisch in Spalten und bietet jeweils

97

STUART WEEKS/SIMON GATHERCOLE/LOREN STUCKENBRUCK (Hg.), The Book of Tobit. Texts from the Principal Ancient and Medieval Traditions. With Synopsis, Concordances, and Annotated Texts in Aramaic, Hebrew, Greek, Latin, and Syriac, FoSub 3, Berlin/New York 2004. 98 FITZMYER, Tobit (Anm. 66). 99 S. dazu o., Anm. 66.

6. Einzelbeispiele

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kurze Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten und detaillierte Notes zu philologischen Problemen, Fragen der Textüberlieferung, Parallelen in biblischen und frühjüdischen Schriften. Register am Ende des Bandes, bibliographische Hinweise zu den Abschnitten und eine Gesamtbibliographie am Ende der Einleitung erschließen die ganze Breite der aktuellen Forschung zum Tobit-Buch. 6.2 Sibyllinische Orakel Die Sibyllinischen Orakel sind als christliche Sammlung in 14 Büchern, einem Prolog und Fragmenten in spätmittelalterlichen Handschriften überliefert, die auf spätantike (ebenfalls christliche) Zusammenstellungen zurückgehen. 100 Das Werk besteht aus Sprüchen und Spruchgruppen in griechischen Hexametern, die der heidnischen Sibylla (bzw. verschiedenen Prophetinnen dieses Namens) in den Mund gelegt sind, einer in hellenistisch-römischer Literatur durchaus populären Gestalt, deren Prophetien freilich abgesehen von unserer Sammlung nicht überliefert sind. 101 Als Konsens kann gelten, dass Teile von Buch 3, 4 und 5 auf eine vorchristlich-jüdische Überlieferungsstufe zurückgehen, ohne dass diese im Wortlaut eindeutig rekonstruiert werden könnte. Sie bestehen zu großen Teilen aus apokalyptischen Zukunftsansagen und Vorstellungen vom Endgericht, einschließlich traditioneller Ermahnungen zu einer Lebensführung nach den Grundsätzen der Tora. Die Monographie von Rieuwerd Buitenwerf, 102 eine von H. J. deJonge und J. Tromp betreute Leidener Dissertation, konzentriert sich auf Buch 3 der Sibyllinen und versucht diesen Teil der Sammlung historisch und kultur- bzw. religionsgeschichtlich genauer einzuordnen. Nach einer Einführung in die Überlieferungs- und Forschungsgeschichte der Sibyllinen insgesamt analysiert er Buch 3 genauer. Bis auf wenige Passagen (V. 93–96.371f.776 „have a more or less Christian ring“, 125) lasse es sich auf eine jüdische Vorlage zurückführen, die anhand von Anspielungen auf die römische Herrschaft in Kleinasien vor der Eroberung Ägyptens (31 v. Chr.) sowie wegen der Paraphrase eines Orakels bei Alexander Polyhistor auf die Zeit zwischen 80 und 40 v. Chr. datiert werden kann. Kleinasien sei auch die Ursprungsregion dieser jüdischen 100

Den besten Überblick über den Gesamtbestand bietet die englische Übersetzung von JOHN J. COLLINS, Sibylline Oracles, OTP I (Anm. 15), 317–472. Eine Inhaltsübersicht bietet auch HELMUT MERKEL, Sibyllinen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998, 1046–1059. Die zweisprachige Ausgabe von JÖRG-DIETER GAUGER, Sibyllinische Weissagungen. Griechischdeutsch. Auf der Grundlage der Ausgabe von ALFONS KURFESS, Düsseldorf/Zürich 1998, bietet nur eine Auswahl und ist zudem textkritisch problematisch. Als Edition maßgeblich ist nach wie vor JOHANNES GEFFCKEN, Die Oracula Sibyllina, GCS 8, Leipzig 1902. 101 Nach Sib 1,283–290 und 3,809–829 sieht sich die Sibylle als Schwiegertochter Noachs, die nach der Flut in Babylon lebte und von dort aus als Prophetin nach Griechenland gesandt wurde. 102 RIEUWERD BUITENWERF, Book III of the Sibylline Oracles and its Social Setting. With an Introduction, Translation, and Commentary, SVTP 17, Leiden/Boston 2003.

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Sibylle, wie Buitenwerf aufgrund von topographischen Indizien annimmt, im Unterschied zu Ägypten, wie bisher meist vermutet (130–134). Der Hauptteil des Buches besteht in einem fortlaufenden Kommentar zu Sib 3 mit sorgfältiger Strukturanalyse, eigener Übersetzung und erläuternden Notes (137–300). Im letzten Teil der Untersuchung werden Sitz im Leben, Stil, ethische und religiöse Konzeptionen und die Aussageintention des Verfassers bei der Wahl der Gattung sibyllinischer Orakel systematisch herausgearbeitet (303–385). Eine Zusammenfassung, Literaturverzeichnis und Register beschließen den eindrucksvollen Band. Olaf Waßmuth geht in seiner in Bern bei Ulrich Luz und Samuel Vollenweider geschriebenen Dissertation insofern neue Wege, als er auch für Sib 1 und 2 eine vorchristlich-jüdische Überlieferungsstufe nachweisen möchte. 103 Sein Buch ist ähnlich aufgebaut wie das von Buitenwerf: Auf eine Einführung in die christlichen Sibyllinen insgesamt (3–40) folgt die systematische Analyse von Buch 1 und 2 im Rahmen des Corpus der sibyllinischen Bücher (41–86), die zu der These führt, es lasse sich „aus dem … Doppelbuch (sc. Sib 1 und 2 – KWN) eine umfassende (wenn auch lückenhafte) Grundschrift … rekonstruieren, die es verdiente, als Quelle in die Diskussion um die jüdische Identität in der kaiserzeitlichen Diaspora eingeführt zu werden“ (6). Diese Arbeitshypothese liegt dem umfangreichen analytischen Kommentar von Sib 1 und 2 zugrunde, dessen Ergebnisse im Schlussteil zusammengeführt werden (465– 512; Literaturverzeichnis und Register erschließen auch diesen Band). Demnach lasse sich die Grundschrift anhand der verarbeiteten Noach-Tradition im kleinasiatischen Judentum lokalisieren und in das 1./2. Jh. n. Chr. datieren. Sie diente der Integration jüdischer Gemeinden in Kleinasien in ihre mehrheitlich nichtjüdische Umgebung. Die These von Waßmuth verdient m.E. Beachtung, weil sie ein wenig gegenläufig zu einem derzeitigen Trend der Forschung steht. Seine Argumente für die Annahme einer jüdischen Grundschrift (vgl. bes. 465– 494) müssen im Einzelnen geprüft werden und sollten nicht pauschal mit Verweis auf angeblich allgemein geltende Befunde abgewiesen werden. 6.3 Joseph und Aseneth Auch die romanhaft-erbauliche Erzählung von Joseph und Aseneth gehört zu den in jüngerer Zeit besonders häufig untersuchten frühjüdischen Texten. Hier können nur zwei neuere Bücher zur Textrekonstruktion besprochen werden, die freilich eines der zentralen Probleme der einschlägigen Forschung bildet.

103 OLAF WASSMUTH, Sibyllinische Orakel 1–2. Studien und Kommentar, AGJU 76, Leiden 2011. Wassmuth verweist im Vorwort und auf S. 54–56 auf die wenige Jahre zuvor erschienene vorwiegend philologische Studie zu Buch 1 und 2 der Sibyllinen von JANE L. LIGHTFOOT, The Sibylline Oracles. With Introduction, Translation, and Commentary on the First and Second Books, Oxford 2007, die er nur noch partiell berücksichtigen konnte.

6. Einzelbeispiele

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Die Textüberlieferung lässt sich stark vergröbert in eine längere und eine kürzere Fassung aufteilen, die sowohl in griechischer Ursprache als auch in verschiedenen antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Übersetzungen erhalten sind (wichtig vor allem lateinisch, armenisch und rumänisch). Umstritten ist immer noch, ob die längere Fassung eine spätere Bearbeitung der kürzeren ist (so Batiffol, Istrin, Philonenko, ihnen folgend Standhartinger, Kraemer) oder ob die Sache umgekehrt liegt (so Burchard, Fink, ihnen folgend die Mehrheit der neueren Interpreten). Nachdem Christoph Burchard seiner kommentierten Übersetzung in JSHRZ 104 schon einen „vorläufigen“, wenn auch auf umfassenden textkritischen Studien beruhenden Text zugrunde gelegt hatte, 105 der die längere Fassung als ursprünglich erachtet, hat er die textkritische Grundlagenforschung danach weitergeführt und mit seiner kritischen Ausgabe vollendet. 106 Diese wurde freilich wenige Jahre später von seiner Schülerin Uta Barbara Fink, die schon an der kritischen Edition beteiligt war, noch einmal einer „Revision“ unterzogen. 107 Während Burchard in seiner Ausgabe die s.E. gegenüber dem „vorläufigen Text“ von 1979 besseren Lesarten nur im Apparat anführt und in einer Liste in Anhang zusammenstellt (372–384), bietet der Band von Fink auf der Grundlage der textkritischen Urteile von Burchard einen fortlaufenden Lesetext, freilich ganz ohne Apparat (171–197). Man braucht also, um die textkritischen Entscheidungen am fortlaufenden Text nachvollziehen zu können, entweder beide Bücher, oder man muss sich in der Ausgabe von Burchard die besseren Lesarten aus dem Apparat in den Text ziehen. Darüber hinaus hat Fink im zweiten Teil ihrer Dissertation als weiteren Textzeugen die zweite lateinische Übersetzung der Schrift, basierend auf sechs lateinischen Handschriften aus dem 13. bis 15. Jh. (198–325), kritisch untersucht und ediert. Außerdem hat sie im ersten Teil ihres Buches die im Wesentlichen schon von Burchard durchgeführten Analysen zur Textgeschichte noch einmal ausführlich dargestellt und diskutiert, z.T. ergänzt (insbesondere durch Heranziehung eines bisher nur unzureichend entzifferten griechischen Palimpsests und die erwähnte zweite lateinische Übersetzung) und zu einem Stemma der gesamten Textüber-

104

CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, Gütersloh 1983, 588f. CHRISTOPH BURCHARD, Ein vorläufiger griechischer Text von Joseph und Aseneth, DBAT 14, 1979, 2–53; verbessert und mit Akzenten versehen in: DERS., Gesammelte Studien zu Joseph und Aseneth, SVTP 13, Leiden 1996, 161–209. 106 CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth. Kritisch hg. m. Unterstützung v. CARSTEN BURFEIND/UTA BARBARA FINK, PVTG 5, Leiden 2003 (zur Diskussion um „Kurz-“ oder „Langfassung“ ausführlich a.a.O., 34–46). 107 UTA BARBARA FINK, Joseph und Aseneth. Revision des griechischen Textes und Edition der zweiten lateinischen Übersetzung, FoSub 5, Berlin/New York 2008. Dieser Text liegt auch dem SAPERE-Band zugrunde (s. Anm. 108), vgl. darin UTA BARBARA FINK, Textkritische Situation, a.a.O., 33–53. 105

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Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

lieferung geführt (14–17). Für die Textrekonstruktion sind die beiden hier angezeigten Bände unverzichtbar. Für die Interpretation dieses faszinierenden Dokuments frühjüdischer Literatur wird man weiter den JSHRZ-Band von Burchard heranziehen und kann sich darüber hinaus verschiedener seither erschienener Ausgaben und Einzelstudien bedienen. 108 6.4 Leben Adams und Evas Ähnlich kompliziert ist die Textüberlieferung für das „Leben Adams und Evas“. Als literarisch eigenständige Fassungen lassen sich unterscheiden: das Griechische Leben Adams und Evas (grLAE = ApkMos), von dem eine armenische Version abhängig ist (armLAE I), das Lateinische Leben Adams und Evas (= VitAd), von dem eine weitere armenische (armLAE II) und eine georgische Version (georgLAE) abhängen, sowie das Slavische Leben Adams und Evas (slLAE). 109 Das Werk entfaltet, ausgehend von Gen 3,23f., aber verknüpft mit umfangreichen zusätzlichen Szenen und Erzählstoffen, die biblische Geschichte von Adam und Eva samt ihrer Nachkommen Kain, Abel und Set. Besonderes Gewicht hat der Tod der Erzeltern, der stark narrativ ausgestaltet und mit weit (u.a. bis zur Auferstehung Adams) reichenden theologischen und anthropologischen Reflexionen versehen wird. 110 Nachdem schon Thomas Knittel in seiner Leipziger Dissertation zu erheblichen Passagen eigene Textrekonstruktionen vorgelegt hatte, 111 erschienen kurz darauf zwei weitere Monographien, die sich mit der Textgestalt, darüber hinaus aber auch mit der literarischen Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der 108 Einen aktuellen Einblick gibt der Band von ECKART REINMUTH (Hg.), Joseph und Aseneth. Eingeleitet, ediert, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 15, Tübingen 2009 (Bibliographie: 261–267), darin insbesondere MANUEL VOGEL, Einführung in die Schrift, a.a.O., 3–31. S.a. in der Reihe „Kleine Bibliothek der antiken jüdischen und christlichen Literatur“ das Heft von STEFANIE HOLDER, Joseph und Aseneth. Ein Roman über richtiges und falsches Handeln, Göttingen 2017 (mit einer ausführlichen Einleitung: 7–39). 109 Englische Übersetzungen bieten GARY A. ANDERSON/MICHAEL E. STONE, A Synopsis of the Books of Adam and Eve, Atlanta 21999. Die Ausgabe von JOHN R. LEVISON, Texts in Transition. The Greek Life of Adam and Eve, Atlanta 2000, druckt lediglich vier verschiedene Zeugen der griechischen Überlieferung synoptisch ab, ohne den Versuch einer Rezension zu unternehmen. 110 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im griechischen Leben Adams und Evas, in: WALTER AMELING (Hg.), Topographie des Jenseits. Studien zur Geschichte des Todes in Kaiserzeit und Spätantike, Altertumswissenschaftliches Kolloquium 21, Würzburg 2011, 49–67 [in diesem Band 511– 531]. In JSHRZ wurde der Text von OTTO MERK und MARTIN MEISER bearbeitet (JSHRZ II/5, Gütersloh 1998, 737–870). 111 THOMAS KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘. Studien zu einer narrativen Anthropologie im frühen Judentum, TSAJ 88, Tübingen 2002 (Rez. JAN DOCHHORN, ThLZ 129, 2004, 146–148).

6. Einzelbeispiele

453

Schrift befassen, und zwar mit stark voneinander abweichenden Ergebnissen. Während Jan Dochhorn in seiner Göttinger Dissertation 112 als Ausgangspunkt der literarischen Überlieferung eine im späten 1. oder frühen 2. Jh. im Land Israel verfasste jüdische griechischsprachige Erstfassung nachweisen will, beschränkt sich Johannes Tromp in seiner Edition ganz auf die mittelalterliche griechische Textüberlieferung 113 und enthält sich aller weiter und tiefer gehenden Urteile über die literarische Entstehungsgeschichte. 114 Der Band bietet neben der erwähnten Rekonstruktion der Textgeschichte eine knappe, kritische Forschungsgeschichte (nur zur Textüberlieferung), eine Beschreibung der Handschriften, ausführliche Grammatical Notes sowie im Anschluss an die Edition mit Apparat und zwei kurzen Appendizes Bibliographie und Register. Der Band ist für die griechische Überlieferung künftig maßgeblich. 6.5 Jubiläenbuch Nur anhangsweise sei noch auf eine Monographie zum Jubiläenbuch hingewiesen, die gegenüber dem Hauptstrom der jüngeren Forschung zu diesem vollständig nur auf Äthiopisch erhaltenen, aber ausweislich der Qumran-Funde, wo das Werk in 14 verschiedenen Handschriften bezeugt ist, ursprünglich hebräisch verfassten Werk neue Wege geht. 115 Michael Segal möchte in seiner Dissertation (Hebrew University Jerusalem 2004) nachweisen, dass das Jubiläenbuch in seiner überlieferten Gestalt literarisch nicht einheitlich ist, sondern Ergebnis einer Redaktion, die er mit der durch die Qumran-Funde belegten religiösen Gruppe in Verbindung bringt (319–322). „The final product, as known to us today, is not the work of one individual, but a compound of different traditions and sources. The redactor’s contribution can be found in the chrono-logical framework throughout the book, in the legal passages juxtaposed to the rewritten stories, and in those passages that share the same unique terminology with the legal passages.” (35)

112 JAN DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005 (Rez. MARTIN MEISER, ThLZ 131, 2006, 496–498). 113 JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PVTG 6, Leiden 2005; Ergebnis und Stemma a.a.O., 103–107. 114 Vgl. aber die komprimierte Darstellung in MARINUS DE JONGE/JOHANNES TROMP, The Live of Adam and Eve and Related Literature, Sheffield 1997. Wieder eine etwas andere Sicht der Einleitungsfragen vertritt MICHAEL D. ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family. Understanding the Greek Life of Adam and Eve, SVTP 16, Leiden 2001 (Rez. THOMAS KNITTEL, ThLZ 2004, 1173–1176). 115 MICHAEL SEGAL, The Book of Jubilees. Rewritten Bible, Redaction, Ideology and Theology, JSJ.S 117, Leiden 2007.

454

Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung

7. Ausblick 7. Ausblick Die aktuelle Forschung zur frühjüdischen Literatur ist wie die in vielen anderen Bereichen der Bibelwissenschaften durch eine überbordende Fülle von Publikationen gekennzeichnet – das ist nichts Besonderes. Nach wie vor spielt sich die Debatte weitgehend auf Papier ab, in Editionen, Übersetzungen, Kommentaren, Monographien, Zeitschriften, Sammelbänden, Festschriften usw. Online-Medien spielen als Publikationsorte von Forschungsergebnissen bisher kaum eine Rolle, haben in den letzten Jahren in dieser Hinsicht sogar eher abals zugenommen. Zuverlässige, nachhaltig nutzbare, d.h. über viele Jahre ständig aktualisierte Datenbanken für die Erforschung der frühjüdischen Literatur stehen bisher nicht in einer Weise zur Verfügung, die ihre Verzeichnung in diesem Bericht sinnvoll macht. Als Hilfsmittel für die Recherche und im privaten Meinungsaustausch werden elektronische Medien (social media), Software und Datenbanken natürlich zunehmend genutzt, was sich aber naturgemäß in einem Literaturbericht nicht erfassen lässt. Die außerordentliche Vielfalt des antiken Judentums, die im letzten halben Jahrhundert in der bibelwissenschaftlichen und judaistischen Forschung hervorgetreten ist und die ‚rabbinische Engführung‘ der älteren neutestamentlichen Wissenschaft endgültig beendet hat, zeigt sich besonders auch auf dem Gebiet der frühjüdischen Literatur. Schon deshalb ist eine zu strenge Abgrenzung jüdischer von christlichen Texten fragwürdig. Vielmehr hat die Einsicht in die wurzelhafte und ursprüngliche Verbindung von antikem Judentum und Christentum Konsequenzen auch für die Einordnung ihrer literarischen Quellen. Ebenso wenig wie neutestamentliche und frühchristliche Texte bis weit in das 2. Jh. Zeugnisse einer neuen Religion namens „Christentum“ sind, sondern spezifische Entfaltungen der biblischen Überlieferung in hellenistisch-römischer Zeit und damit Quellen auch für das antike Judentum, ebenso müssen frühjüdische Texte, die keinen erkennbaren Bezug zur Jesus-Bewegung haben, zum Verständnis dieser Bewegung und ihrer Schriften herangezogen werden. Dass beide, die frühchristlichen wie die frühjüdischen Texte, zugleich auch zur religiösen Literatur der griechisch-römischen Antike gehören, versteht sich (fast) von selbst. Gegenüber den an sich schon vielfältigen und komplexen Ursprungszusammenhängen der frühjüdischen Literatur hat sich ihre handschriftliche Überlieferung durch die Spätantike und das Mittelalter bisweilen bis in die Neuzeit hinein als noch erheblich komplexer erwiesen – die Textüberlieferung der neutestamentlichen Schriften ist im Vergleich dazu geradezu schlicht zu nennen. Nicht selten verbieten die zahlreichen überlieferten antiken Versionen die Suche nach der einen, ursprünglichen Fassung einer Schrift. In solchen Fällen müssen alle erhaltenen Versionen – in den betreffenden antik-christlichen Überlieferungssprachen! – im Grunde gleichrangig als Zeugnisse für die früh-

7. Ausblick

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jüdische Literatur ausgewertet werden. Die Textüberlieferung des Tobit-Buches zeigt, dass dieses Phänomen bis in die biblische Literatur hineinreicht, womit sich grundsätzliche bibelhermeneutische Fragen stellen. Gleichzeitig ist die Erforschung der frühjüdischen Literatur heute nicht mehr eine Domäne der Bibelwissenschaftler. Die gemeinsame Arbeit von Philologen, Althistorikern, Judaisten, Religonshistorikern, Kulturwissenschaftlern etc., ja, und auch Theologen, stellt die Texte vielmehr in einen weiten Raum geisteswissenschaftlicher Forschung, in dem sie vor allem zunächst einmal als Quellen je eigener literarischer, religiöser, historischer, kultureller Art und Intention ernst genommen werden müssen. In der neueren Josephus-Forschung ist das geradezu Programm. Das ist gegenüber einer lange Zeit vorherrschenden Instrumentalisierung der frühjüdischen Literatur zur höheren Ehre des Christentums sicher ein Fortschritt, sollte allerdings nicht dazu führen, dass ihre spezifisch theologische Bedeutung von den Theologen unter den Erforschern der frühjüdischen Literatur nicht mehr für voll genommen wird.

Einführung in die Sapientia Salomonis Was aber Weisheit ist und wie sie entstand, werde ich verkünden und nicht verborgen halten vor euch Geheimnisse, sondern werde von Beginn ihrer Entstehung an aufspüren und ans Licht bringen ihre Erkenntnis und nicht vorübergehen an der Wahrheit. Sapientia Salomonis 6,22

Suche nach Weisheit, Erkenntnis der Wahrheit, Erschließung von Geheimnissen, die seit Urzeiten verborgen waren – all das verspricht die „Weisheit Salomos“, die in der griechischen Bibel überliefert ist. Wer sie heute liest, braucht einiges an Vorwissen über die biblischen Texte und Überlieferungen, über die geistigen Horizonte der Alten Welt, über die literarischen Konventionen des griechisch-römischen Altertums. Zugleich bietet die Schrift aber auch einzigartige Einblicke in die geistigen Welten des hellenistischen Diaspora-Judentums, die für die Schriften des Neuen Testaments prägend geworden sind.

1. Zum Namen 1. Zum Namen Der Name des biblischen Königs Salomo, der in der Überschrift der griechischen Septuaginta-Handschriften und der lateinischen Überlieferung als Autor ´´´½¶¸½Liber Sapientiae Salomonis), kommt im Text nicht vor, lässt sich aber für bibelkundige Leser aus dem Inhalt des Werkes leicht erschließen. Nach 1Kön 5,9–14 1 galt Salomo als das biblische Beispiel für einen sagenhaft weisen orientalischen König, dessen Weisheit sich so weit bis ins Ausland herumgesprochen hatte, dass selbst eine südwestarabische Königin sich auf die Reise nach Jerusalem machte, um von ihr zu profitieren (1Kön 10,1–13). Solch herausragende Weisheit verdankte Salomo nun allerdings nach biblischer Überlieferung nicht eigenem Bildungsstreben oder hervorragenden Lehrern, sondern unmittelbar Gott. Die biblische Schlüsselszene dazu erzählt, wie Gott Salomo im Traum begegnet und ihm einen Wunsch freistellt. Dieser erbittet anstelle von Reichtum, langem Leben oder Siegen über 1 Stellen aus dem Alten Testament werden in diesem Beitrag nach der Zählung der Luther-Bibel nachgewiesen. In besonderen Fällen wird die Zählung der Septuaginta angegeben und mit LXX markiert.

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Einführung in die Sapientia Salomonis

seine Feinde nichts weiter als ein achtsames Herz, zu unterscheiden zwischen gut und böse, woraufhin ihm Gott nicht allein dies, nämlich ein weises und verständiges Herz, sondern dazu auch noch Reichtum, Ehre und eine alle übrigen Könige überragende Herrschaft schenkt (1Kön 3,5–15). Weisheit, Frömmigkeit und Herrschaft über die Könige der Völker bilden diejenigen Konstituenten des Salomo-Bildes, die auch in unserer Schrift implizit aufgegriffen und breit entfaltet werden. Andere Elemente der biblischen Salomo-Überlieferung dagegen, etwa seine Davidssohnschaft und die mit ihr verbundene Dynastiezusage (vgl. 1Kön 9,1–9), Salomos Tempel- und Palastbau (1Kön 5–7) oder sein sagenhafter Reichtum (1Kön 10,14–29), aber auch problematischere Aspekte wie die durchaus intrigante Sicherung der Thronfolge Davids (1Kön 1f.), die Fronlasten, die Salomos Bautätigkeit mit sich brachte (1Kön 9,15–24), oder seine Vorliebe für ausländische Frauen (1Kön 11,1–13) werden demgegenüber eher ausgeblendet. Schon in der hebräischen Bibel wurden Salomo weisheitlich ausgerichtete Schriften zugeschrieben wie das Buch der Sprüche („Sprüche Salomos, des Sohnes Davids“, ç    ò â Ú   Ùí Ú), ! das Hohelied („Lied der Lieder“,

Ú    í  "  Û ×Ù Ù  #   Ù ), "  der Prediger Salomo („Worte des Kohelet, des Sohns Davids, Königs von Jerusalem“,  × í   Ù $&í Úç

   ò $ í   î  'Ù â ). Auch zwei Psalmen im hebräischen Psalter verweisen in ihren Überschriften auf Salomo (Ps 72; 126). In der griechischen (christlichen) Septuaginta-Überlieferung trat zu diesem Corpus weisheitlich ausgerichteter Salomo-Schriften im Alten Testament unser Werk hinzu. Es wurde offenkundig ursprünglich auf Griechisch verfasst und blieb daher in der hebräischen Bibel unbekannt. Am Rande wenigstens eines Teils der christlichen griechischen Bibel erscheint zudem noch eine Sammlung von 18 „Psalmen Salomos“. Das lassen jedenfalls Hinweise in einem Anhang zum Codex Alexandrinus (Mitte 5. Jh.) und einigen spätantiken Kanonverzeichnissen vermuten, obwohl es keine antiken Bibelhandschriften gibt, die den Text der Psalmen Salomos bieten. 2 Neben diesen nur griechisch (und davon abhängig dann auch syrisch) überlieferten „Psalmen Salomos“ begegnet in christlicher Überlieferung auch noch eine Sammlung von 42 „Oden Salomos“, die vollständig (und gemeinsam mit den „Psalmen Salomos“) nur in syrischer Überlieferung erhalten sind. 3 Dazu kommt noch ein griechisches „Testament Salomos“, eine reich ausgestaltete Nacherzählung biblischer Salomo-Stoffe, insbesondere der Geschichte vom

2

GERBERN S. OEGEMA, Poetische Schriften, JSHRZ VI/1,4, Gütersloh 2002, 22–33; ALDENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, Turnhout 2000, 507–546 (510). 3 MICHAEL LATTKE, Oden Salomos, FC 19, Freiburg u.a. 1995; DERS., Die Oden Salomos. Griechisch – koptisch – syrisch mit deutscher Übersetzung, Darmstadt 2011, 9–13.

BERT-M ARIE

1. Zum Namen

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Tempelbau, in der es Salomo vor allem mit Engelwesen und Dämonen zu tun bekommt. 4 An all diesen antiken Salomo-Schriften 5 wird deutlich, dass die biblische Salomo-Figur als Haftpunkt für jüdische ebenso wie für christliche Glaubensüberlieferungen geeignet war und auch in diesem Sinne genutzt wurde. Möglicherweise fand gerade die Salomo-Gestalt deshalb noch besonderes Interesse bei gebildeten Juden wie Christen, weil mit ihm als Repräsentanten biblischer Weisheit und Bildung auch gewissermaßen eine Brücke gebaut werden konnte zu den Bildungsgütern und Weisheitsvorbildern der hellenistisch-römischen Kultur. Salomo, der biblische Weise und fromme Diener Gottes, konnte so für Juden wie für Christen zur Identifikationsfigur werden, sozusagen „als Mischung aus Sokrates und Solon“ (Reinhard Feldmeier). In den frühen Überlieferungsphasen des 1. bis 3. Jh. kann man oft gar nicht sicher unterscheiden zwischen jüdischen oder christlichen Autoren, Tradenten und Rezipienten solcher Salomo-Schriften, zumal die uns vertraute Begrifflichkeit von ‚Judentum‘ bzw. ‚jüdisch‘ und ‚Christentum‘ bzw. ‚christlich‘ in dieser Zeit noch gar nicht existiert hat. Biblische Gestalten wie Salomo und David, aber ebenso Abraham, Isaak, Mose, Elija, Jona, Hiob, Esra und viele andere boten sich beiden religiösen Gemeinschaften, die gerade erst im Begriff waren, ihre Identität in Abgrenzung voneinander herauszuarbeiten, als Bezugspunkte an, um ihre jeweils eigenen Glaubensüberzeugungen zu entfalten. 6 In diesem gemeinsamen Rückbezug auf biblische Traditionen schlägt sich ein nicht hoch genug zu schätzender theologischer Grundgedanke nieder, der das frühe Christentum von Anfang an bestimmt hat: Der christliche Glaube, der sich im Neuen Testament erstmals und fundamental niedergeschlagen hat, ist durch sein Glaubensbekenntnis auf den einen Gott Israels verwiesen, von dem schon das Alte Testament zeugt. Deshalb sind aus christlicher Perspektive auch alttestamentliche Texte und Gestalten Bezugspunkt bzw. Ausdruck des christlichen Glaubens, selbst wenn die Schriften, in denen von ihnen die Rede ist, aus vorchristlicher Zeit stammen und bis heute weiterhin auch als Grundlagen der jüdischen Religion zu respektieren sind.

4 DENNIS C. DULING, Testament of Solomon, in: JAMES H. CHARLESWORTH (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, Bd. 1: Apocalyptic Literature and Testaments, London 1983, 935–987. 5 Vgl. als Überblick MICHAEL LATTKE/REIMUND LEICHT, Art. Salomoschriften, RGG4 7, 2004, 805–810. 6 Vgl. dazu JAMES R. DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha: Jewish, Christian, or other?, JSJ.S 105, Leiden/Boston 2005, zur Sapientia Salomonis 219–225.

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Einführung in die Sapientia Salomonis

2. Zugänge zur Weisheit Salomos 2. Zugänge zur Weisheit Salomos Mit diesen ersten Beobachtungen zum Namen unserer Schrift sind wir bereits mitten in der Debatte um die Frage, wie sie historisch einzuordnen ist, in welchen religions- und geistesgeschichtlichen Kontexten sie entstand, welche Intentionen ihr (oder ihre?) Verfasser verfolgte(n?), welche Rezipientenmilieus sich rekonstruieren lassen, wie die verschlungenen Überlieferungswege von ihrer Entstehung durch die Spätantike und das Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit hinein verlaufen sind. Nur einige solcher Fragen können in der Einleitung kurz aufgegriffen werden. 7 Damit soll angedeutet werden, welch unterschiedliche Zugänge, Fragestellungen und Interessen sich für heutige Leser mit der Sapientia Salomonis verbinden lassen. 2.1 Die Sapientia Salomonis als Teil der christlichen Bibel Zunächst einmal wurde und wird die Schrift bis heute weithin als Teil der Bibel wahrgenommen. Beim näheren Hinsehen stellt sich freilich sofort die Frage: als Teil welcher Bibel? Lange Zeit war die Sapientia Salomonis in Kreisen katholischer Bibelleser und -ausleger weit besser bekannt als bei protestantischen. Das hängt mit einer Entscheidung der Reformatoren im 16. Jh. zusammen, die innerhalb der Schriften des kirchlich überlieferten (mittelalterlichen) Alten Testaments eine Abstufung vornahmen zwischen solchen, die zur hebräischen (jüdischen) Bibelüberlieferung gehörten, und denjenigen, die nur in der griechischen (Septuaginta-)Überlieferung zu finden sind. 8 Letztere wurden von den Reformatoren als „Apocrypha“ klassifiziert, „das sind Bücher:so nicht der heiligen Schrifft gleich gehalten:und doch nützlich und gut zu lesen sind“. 9 Darin folgten die Reformatoren Differenzierungen innerhalb der überlieferten

7 Zur Forschungsgeschichte vgl. den aktuellen Überblick von DAVID WINSTON, A Century of Research on the Book of Wisdom, in: ANGELO PASSARO/GIUSEPPE BELLIA (Hg.), The Book of Wisdom in Modern Research. Studies on Tradition, Redaction, and Theology, Berlin/New York 2005, 1–18. 8 Vgl. dazu NIKOLAUS WALTER, „Bücher: so nicht der heiligen Schrifft gleich gehalten …“? Karlstadt, Luther – und die Folgen, in: DERS., Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, hg. v. WOLFGANG KRAUS/FLORIAN WILK, WUNT 98, Tübingen 1997, 341–369. 9 So Luther unter Rückgriff auf entsprechende Bewertungen durch Hieronymus in seinen mit der Vulgata überlieferten und dadurch weit verbreiteten Prologen zu den Samuelbüchern und den Salomo-Schriften (ihr lateinischer Text ist leicht zugänglich an den entsprechenden Stellen der Vulgata-Ausgabe von ROBERT WEBER [Hg.], Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem, 2 Bde., Stuttgart 1969). Die zitierte Formulierung Luthers findet sich in der Ausgabe seiner ersten vollständigen Bibelübersetzung von 1534, wo sie die Überschrift zu den Apokryphen bildet, die zwischen dem Alten und dem Neuen Testament eingeordnet sind.

2. Zugänge zur Weisheit Salomos

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biblischen Schriften des Alten Testaments, die schon zwischen den Kirchenvätern diskutiert worden waren. 10 Im Kernbestand gehören zu den Apokryphen nach den von Luther eigenhändig gestalteten Bibelausgaben von 1534 und 1545 die Bücher Judit, Sapientia (Salomonis), Tobias (Tobit), Sirach (Ben Sira), Baruch, (1. und 2.) Makkabäer sowie Zusätze zu Ester und Daniel. Einen völlig eigenen Weg ging Luther darin, dass er diese Apokryphen als eigenen Teil der Bibel zwischen dem Alten Testament (im Bestand der ursprünglich hebräischen Schriften) und dem Neuen Testament einordnete und damit in Kauf nahm, dass etwa die Zusätze zu Ester und Daniel von ihren kanonischen Verwandten getrennt wurden. Auch die Reihenfolge der Apokryphen hat Luther ohne traditionelle Vorbilder selbst geordnet. Weitere Texte, die teilweise auch in Septuagintahandschriften überliefert sind, wie ein „Brief Jeremias“ (nicht identisch mit dem im kanonischen Jeremiabuch, Kap. 29!), zwei weitere Makkabäerbücher, Teile von Esra-Schriften, zusätzliche „außerkanonische“ Psalmen, ein „Gebet Manasses“ oder eine (z.T. in der Vulgata überlieferte, so genannte 4.) Esra-Apokalypse, werden heute gelegentlich auch zu den alttestamentlichen Apokryphen gerechnet, obwohl sie weder in die reformatorischen noch in die meisten neuzeitlichen katholischen Bibelausgaben aufgenommen worden sind. 11 Für die römisch-katholische Bibelüberlieferung wurden im Konzil von Trient – in Reaktion auf Luthers Wertungen und Entscheidungen – die Weichen gestellt. In einer Liste der „heiligen Bücher“ werden hier zum Alten Testament ausdrücklich auch Tobit, Judit, die Weisheit (Salomos), der Ecclesiastes (Sirach), das Buch Baruch und zwei Makkabäerbücher aufgezählt. Da zudem der Wortlaut der Vulgata in allen ihren Teilen für verbindlich erklärt wird,

10

Vgl. zum Einzelnen PETER BRANDT, Endgestalten des Kanons. Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel, BBB 131, Berlin/Wien 2001, 312– 322. Das gesamte Material findet sich detailliert zusammengestellt schon bei EMIL SCHÜRER, Art. Apokryphen des Alten Testamentes, RE3 I, 1896, 622–653. Vgl. auch HANS-PETER RÜGER, Art. Apokryphen des Alten Testaments, TRE 3, 1978, 289–316, und knapp ROBERT HANHART, Art. Apokryphen, EKL3 1, 1986, 203–207. Zur Kanongeschichte der christlichen Bibel aus Altem und Neuem Testament im antiken Christentum vgl. den Überblick von CHRISTOPH MARKSCHIES, Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd.1: Evangelien und Verwandtes, Teilbd. 1, Tübingen 2012, 25–74. 11 Eine Ausnahme bildet das in christlichen Psalter-Handschriften unter den „Oden“ überlieferte, vermutlich ursprünglich jüdische Gebet Manasses, das in Luthers Bibelausgaben als letzter Text der Apokryphen erscheint, obwohl es im Inhaltsverzeichnis des Alten Testaments und der Apokryphen nicht auftaucht. Die letzte Zeile auf der Seite nach dem Gebet Manasses lautet dort: „Ende der Bücher des alten Testaments“. Da es zwischen den (hebräischen) Schriften des Alten Testaments und den Apokryphen kein eigenes Titelblatt gibt, wird man also davon ausgehen können, dass Luther die Apokryphen als Teil des Alten Testaments angesehen hat.

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Einführung in die Sapientia Salomonis

gelangen auf diesem Wege auch die Zusätze zu Ester und Daniel in den kirchlichen Bibelkanon. 12 Heute werden in der katholischen und z.T. auch in der orthodoxen kirchlichen Tradition vergleichbare Differenzierungen zwischen den Schriften der hebräischen (jüdischen) Bibel und denen des christlichen (griechischen) Alten Testaments vorgenommen. Allerdings werden die zur Septuaginta gehörenden Texte hier in der Regel mit dem Begriff „deuterokanonische Schriften“ versehen, während mit „Apokryphen“ in diesen konfessionellen Traditionen meist außerbiblische antik-jüdische Schriften gemeint sind. Überblickt man diese in Teilen bisweilen als verwirrend empfundenen Zusammenhänge der Bibelüberlieferung, so kann man zunächst einmal festhalten, dass die Sapientia Salomonis niemals zu einer jüdischen autoritativen Schriftensammlung wie dem ‚Tanak‘, der dreiteiligen Zusammenstellung aus Gesetz (hebr. Tora), Propheten (hebr. Neviim) und Schriften (hebr. Ketuvim) gehört hat, sondern, wenn überhaupt, dann immer nur zum christlichen Alten Testament. Gleichwohl haben wir es, wie noch zu zeigen sein wird, mit einer ursprünglich jüdischen antiken Schrift zu tun, die einer alttestamentlichen Gestalt als Autor zugeschrieben wurde. Dass sie nicht in die ‚jüdische Bibel‘ 13 aufgenommen wurde, lag in erster Linie an der Überlieferungs- und wohl auch Ursprache des Werks. Der in frührabbinischer Zeit fixierte Tanak bestand ja ausschließlich aus hebräischen (bzw. partiell aramäischen) Schriften (daher ‚hebräische Bibel‘). Die Christen (jedenfalls die, von denen unsere erhaltenen Quellen weitgehend zeugen) machten dagegen das Griechische zur Sprache ihrer Bibel und konnten sich dafür auf die Septuaginta stützen, also die z.T. schon seit Jahrhunderten bekannten jüdischen Übersetzungen der Schriften Israels. Zusammen mit weiteren griechischen Schriften des Frühjudentums machten sie diese Sammlung zum Alten Testament ihrer Bibel. Die Sapientia Salomonis wurde in diesem Zusammenhang, das lag wegen ihres Salomo-Pseudonyms und wegen ihrer literarischen Gestalt nahe, mit anderen Salomo-Schriften dem Bestand weisheitlich-poetischer Schriften des Alten Testaments zugeordnet. Auf diese Weise gelangte die Schrift in den literarischen Kontext der biblischen Weisheitsliteratur, was der Sache nach durchaus angemessen war, wenngleich hinsichtlich der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte zwischen ihr und dem biblischen Sprüchebuch Welten liegen. Die genaue Anordnung und Reihenfolge der einzelnen Schriften dieses Teils

12

Sessio IV des Konzils von Trient am 8. April 1546 (vgl. BRANDT, Endgestalten des Kanons [Anm. 10], 322). 13 Der Begriff ist insofern etwas problematisch, als er vom ursprünglich christlichen Gebrauch auf die autoritative jüdische Schriftensammlung übertragen wurde.

2. Zugänge zur Weisheit Salomos

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des Alten Testaments schwankte in den spätantiken Bibelhandschriften und schwankt bis heute in den modernen Bibelausgaben. 14 Erst seit dem späten 1. Jh. n. Chr. und bis weit in die Spätantike hinein vollzog sich in einem überaus komplexen Prozess Schritt für Schritt eine Art Selbstfindung von jüdischen und frühchristlichen Gemeinschaften, in der jüngeren Forschung gern mit dem Schlagwort „the parting of the ways“ bezeichnet. 15 In dessen Ergebnis und in Quellen erkennbar erst seit dem 4. Jh. hat dieser Prozess dann zu dem seither und bis heute bestehenden Gegenüber von Christentum und Judentum als zwei voneinander unterschiedenen Religionen geführt. Die Sprachgrenze zwischen dem Hebräischen und dem Griechischen wurde im Rahmen dieser Selbstfindung zunehmend auch zu einem Abgrenzungsmerkmal zwischen Christen und Juden, nicht zuletzt, weil das rabbinische Judentum, das sich seit Ende des 1. Jh. konstituierte und nach und nach auch in der Diaspora durchsetzte, die maßgebliche religiöse Überlieferung konsequent auf die hebräischen Schriften und ihre ebenfalls in hebräischer Sprache erfolgende autoritative Kommentierung konzentrierte. Die genannte Sprachdifferenz hilft daher mit Blick auf die Anfänge weder historisch noch sachlich bei der Unterscheidung zwischen Juden und Christen. Ebenso wenig wäre aber damit etwas gewonnen, zur Betonung der ursprünglichen Verwandtschaft von Christen und Juden das christliche Alte Testament als ‚hebräische Bibel‘ zu bezeichnen oder mit dieser gleichzusetzen. Dem widerspricht schon die Sprachgestalt der Bibel im antiken Christentum, aber eben auch der Schriftenbestand des christlichen Alten Testaments. Man sollte daher den Begriff ‚hebräische Bibel‘ auf die hebräischen Schriften in der mittelalterlichen masoretischen Textüberlieferung eingrenzen, die bis heute von Juden als religiös maßgeblich betrachtet werden. Dagegen zeigt sich die wurzelhafte Verbindung des Christentums mit den religiösen Überlieferungen Israels eher in der weitestgehend unveränderten (also nicht nach eigenem Bedarf christlich interpolierten!) Übernahme der autoritativen Schriften Israels in ihrer griechischen Gestalt, die zum Alten Testament als dem ersten Teil der entstehenden christlichen Bibel wurden. 16

14 Vgl. BRANDT, Endgestalten des Kanons (Anm. 10), passim. Die Reihenfolge der Schriften des Alten Testaments und der Aufbau seiner Hauptteile waren schon im antiken Christentum sehr variabel. 15 Grundlegend und den Begriff prägend war das Buch von JAMES D. G. DUNN, The Partings of the Ways Between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London/Philadelphia 1991. Zur weitergehenden Diskussion vgl. ADAM H. BECKER/ANNETTE Y. REED (Hg.), The Ways that Never Parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages, TSAJ 95, Tübingen 2003. 16 Vgl. grundlegend MARTIN HENGEL, Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung bei Justin und den Vätern vor Origenes, in: JAMES D. G. DUNN (Hg.), Jews and Christians. The Parting of the Ways A.D. 70 to 135, WUNT 66, Tübingen

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Einführung in die Sapientia Salomonis

Damit wird deutlich: Wer sich heute als Bibelleser für die Sapientia interessiert, der steigt damit geradezu zwangsläufig ein in eine über zwei Jahrtausende andauernde Wirkungsgeschichte der christlichen Bibel. Diese Wirkungsgeschichte von ihren Anfängen bis in die Gegenwart hinein ist zugleich eine unauflösliche Beziehungsgeschichte zwischen Christen und Juden. Die Sapientia als griechische antik-jüdische Schrift und Teil der christlichen Bibel ist dieser Beziehung entsprungen – ein durchaus attraktiver Sprössling! 17 2.2 Die Sapientia Salomonis als Schrift aus neutestamentlicher Zeit Schon die Sprache verbindet unser Werk aufs Engste mit den Schriften des Neuen Testaments. Beide gehören im weiteren Sinne der griechischen Koine in hellenistisch-römischer Zeit an, beziehen aber charakteristische Eigenheiten ihrer Sprache aus ihrer geistigen Verwandtschaft mit der Septuaginta und aus der inhaltlichen Beeinflussung durch sie. Der theologisch unbefangene und philologisch geschulte Leser wird unsere Schrift also, ebenso wie die Schriften des Neuen Testaments, zunächst einmal in die biblisch-jüdisch gefärbte religiöse Literatur der hellenistisch-römischen Zeit einordnen. Bei näherem Hinsehen ergibt sich freilich für die Sapientia ein durchaus eigenständiges sprachliches Profil, das, vergröbert gesagt, zwischen den Schriften der Septuaginta und den Werken Philons von Alexandria eingeordnet werden kann. Im Vergleich mit den meisten neutestamentlichen Schriften legt die Sapientia, ähnlich wie Philon, eine gewisse Tendenz zur Rückbesinnung auf das klassische Griechisch an den Tag. 18 Als Vergleichskorpora kommen zum einen die Schriften der Septuaginta, zum andern die Werke Philons in Frage. Der Autor der Sapientia steht zum einen in der Tradition der Septuaginta, bewegt sich zum anderen aber in einem sprachlichen Milieu, das dem Philons nahekommt, und hat zum dritten auch ein durchaus eigenes sprachliches Profil entwickelt. Im Hintergrund steht aber jeweils auch der Sprachgebrauch im „normalen“ Griechisch der Zeit. Die Verbindung zur biblisch-jüdischen Sprachwelt zeigt sich demgegenüber insbesondere an der poetischen Form des

1992, 39–84; DERS., Die Septuaginta als „christliche Schriftensammlung“, ihre Vorgeschichte und das Problem ihres Kanons, in: DERS./ANNA M. SCHWEMER (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 182–284. 17 Zur Rezeptionsgeschichte der Sapientia vgl. MOYNA MCGLYNN, Divine Judgment and Divine Benevolence in the Book of Wisdom, WUNT II/139, Tübingen 2001, 225–245. 18 Einen Einblick in Wortschatz und Stil der Sapientia Salomonis aus der Sicht des Klassischen Philologen gibt HANS-GÜNTHER NESSELRATH, Zu Sprache und Stilistik der Sapientia Salomonis, in: KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015, 137–154.

2. Zugänge zur Weisheit Salomos

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parallelismus membrorum, der zumindest in der ersten Hälfte der Schrift vorherrschend ist, wenngleich nicht selten erweitert zu dreigliedrigen Aussagezusammenhängen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Verbindungen zur Septuaginta in Wortwahl und Stil. Übereinstimmungen in der Wortwahl rühren natürlich oft von den biblischen Inhalten her, die über weite Strecken in der Sapientia rezipiert werden. Eine gewisse Schlichtheit der Syntax, insbesondere das Vorherrschen der Parataxe, ergibt sich zudem aus der poetischen Form des parallelismus. Sie muss allerdings keineswegs als literarisch minderwertig beurteilt werden. Auch dies verbindet die Sapientia mit einigen neutestamentlichen Schriften (vor allem den Evangelien) ebenso wie mit solchen der Septuaginta und unterscheidet sie stärker von dem Griechisch eines Philon oder Josephus. Weit über die sprachliche Verwandtschaft hinaus ist aber die Sapientia vor allem durch gemeinsame religiöse und theologische Grundüberzeugungen mit den Schriften des Alten und des Neuen Testaments verbunden. Bei aller Beheimatung der Sprach- und Gedankenwelt unserer Schrift in der zeitgenössischen religiösen und kulturellen hellenistisch-römischen Koine bleibt die Bindung an den Gottesglauben Israels, an die Normen und Weisungen der jüdischen Tora, an die theologisch maßgeblichen biblischen Überlieferungen zum Verhältnis zwischen dem Gott Israels und seinem erwählten Volk unverkennbar. Und genau darin ist die Sapientia durchweg auch mit den Schriften des Neuen Testaments verbunden. Grundzüge im Gottesverständnis der Sapientia hat Mareike Verena Blischke skizziert. 19 Ausgehend von einer mehrstufigen Entstehungsgeschichte der Schrift arbeitet sie heraus, dass das Verhältnis des Menschen zu Gott durch die Kategorie der Gerechtigkeit bestimmt ist, die am jüdischen Gesetz gemessen wird. Gesetz und Gerechtigkeit prägen auch die Auffassung von Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit. Gott und sein heilsames Handeln an den Gerechten stehen der Sphäre des Todes entgegen. Im eschatologischen Gericht werden die gegenwärtigen Verhältnisse umgekehrt und die Gerechten von Gott endzeitlich ins Recht gesetzt. Bei aller Aufnahme philosophischer Topoi und Sprachmuster bleibt doch die Weisheit in der Sapientia ganz der Allmacht Gottes zu- und untergeordnet. Einen Vergleich mit den Briefen des Paulus hat Folker Blischke vorgenommen. 20 Unter der Annahme, dass eine Bekanntschaft des Paulus mit der Sapientia möglich, wenn auch nicht nachweisbar ist, fragt er nach Verbindungslinien in der Denkwelt beider. Auch er sieht in der Gerechtigkeit einen Schlüsselbegriff für die Einheit von Gottesbeziehung und Ethik, der beide Autoren 19

MAREIKE V. BLISCHKE, Zur Theologie der Sapientia Salomonis, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 18), 155–173. 20 FOLKER BLISCHKE, Die Sapientia Salomonis und Paulus, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 18), 273–291.

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miteinander verbindet und sie zugleich in die theologischen Überlieferungen des Alten Testaments und des frühen Judentums einordnet – auch wenn für Paulus die Christusbeziehung der Glaubenden entscheidende Modifikationen seines Gottes-, Gerechtigkeits- und Gesetzesverständnisses zur Folge hatte. Sieht man einmal von christologischen und soteriologischen Aussagezusammenhängen in den neutestamentlichen Schriften ab (die natürlich im Rahmen ihrer jeweiligen Intentionen entscheidendes Gewicht haben), so verbleibt eine breite gemeinsame theologische Basis zwischen ihnen und der Sapientia, nach welcher beide für Außenstehende wohl ohne Zweifel als Teil der altehrwürdigen (oder auch der vielfach verachteten) jüdischen Religion gelten mussten. Und umgekehrt gibt es in der spätantiken christlichen Textüberlieferung Spuren, die auf die Einbeziehung der Sapientia in den neutestamentlichen Kanon hindeuten. 21 Die Rezeption unserer Schrift in der christlichen Literatur seit dem 2. Jh. 22 ist außerordentlich breit und intensiv. 23 Die eben benannte gemeinsame theologische Basis zwischen der Sapientia und den Schriften des Neuen Testaments betrifft nun nicht allein das biblische Personal, das die Schrift durchgängig (wenn auch anonym) bevölkert, und die mit ihm verbundenen erzählerischen Überlieferungen. Auch die maßgeblichen theologischen Grundüberzeugungen stimmen überein: Gott ist nicht nur ein einziger, dem allein religiöse Verehrung gebührt (von diesem Gedanken lebt die Götzenpolemik in 12,23–15,19), sondern er ist auch Schöpfer der Welt und des Menschen (1,14; 2,23). Er kann „Vater und Herr des Erbarmens“ genannt werden, der das All durch sein Wort geschaffen und mit seiner Weisheit den Menschen gebildet hat (9,1f.). Der Mensch ist weder autonom, noch willenlos 21

Im Kanon Muratori, der freilich ein etwas fragwürdiges Zeugnis für die christliche Bibelüberlieferung darstellt, wird die Sapientia unter die neutestamentlichen Schriften eingereiht, und zwar zwischen den Katholischen Briefen und der Johannes-Offenbarung (deutscher Text bei MARKSCHIES, Antike christliche Apokryphen I/1 [Anm. 10], 118–120). Folgt man einer durchaus plausiblen Konjektur im Text des Kanon Muratori (lat. ab amicis für ursprünglich griech. (¿) Á*+È ), dann wurde die Schrift schon hier (wie später noch von Luther in seiner Vorrede zu ihr) Philon als Autor zugeschrieben. 22 Zusammenstellung der Belege bei EMIL SCHÜRER, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C.–A.D. 135), Bd. III/1, Edinburgh 1986, 573–576. 23 Hinweisen bei den Kirchenvätern zur Rezeption der Sapientia im Zusammenhang mit dem christlichen Bibelkanon ist ALFONS FÜRST, Die Weisheit als Prinzip des Seins und der Erkenntnis. Zur Rezeption der Sapientia Salomonis im antiken Christentum und zu ihrer Auslegung bei Origenes, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 18), 293–316, nachgegangen. Er geht dabei näher auf die Interpretation bei Origenes ein. Für die Prinzipientheorie des Origenes spielte die Weisheit eine entscheidende Rolle. In Weish 7,25f. (in Kombination mit Hebr 1,3) fand er einen für seine Christologie zentralen Gedanken vorformuliert. An der Nachzeichnung der Auslegung von Weish 7,25f. bei Origenes wird exemplarisch sichtbar, wie in der altkirchlichen theologisch-philosophischen Reflexion anhand der Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Weisheit Grundfragen christologischer Reflexion abgehandelt werden konnten.

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den Mächten des Kosmos unterworfen, sondern als Geschöpf Gottes und Glied des Gottesvolkes ganz und gar auf sein Erbarmen angewiesen (3,9; 4,15; 9,1– 6). Ein gegen Gottes Willen gerichteter Lebenswandel auf Erden zieht Tod und Verderben nach sich (1,12), und dem Urteil Gottes ist das Geschick des Menschen auch über seinen Tod hinaus unterworfen (3,1–10). Den Maßstab, nach dem zwischen Gottlosen und Gerechten zu unterscheiden ist, bietet das Gesetz (2,12; 6,4.18; 16,6). Dessen Forderungen werden im Sinne der Ermahnung zu einem alltäglichen Lebenswandel nach dem Willen Gottes konkretisiert (14,24–26). Für alle diese in der Sapientia vertretenen theologischen Grundüberzeugungen ließen sich leicht vergleichbare Aussagen im Neuen Testament namhaft machen. Die Sapientia kann also geradezu als ein zeitgenössisches Pendant zum Neuen Testament verstanden und bisweilen wie ein theologisch-exegetischer Kommentar zu seinen Schriften gelesen werden – und umgekehrt! Ebenso wie das Neue Testament oft die zeitlich, geographisch, religions- und kulturgeschichtlich nächstliegenden Parallelen zum griechischsprachigen Frühjudentum bietet, sind dessen literarische Produktionen die nächsten Verwandten der neutestamentlichen Schriften. Mehr noch: Angesichts der insgesamt sehr lückenhaften Quellenlage können Informationen zum vorrabbinischen Judentum nicht selten allein oder vorwiegend aus dem Neuen Testament gewonnen werden (man denke nur an unser ansonsten sehr begrenztes Wissen über die Pharisäer in der Zeit vor 70 n. Chr.!). Und umgekehrt sind wir zum besseren Verständnis der frühesten christlichen Gruppen und ihrer literarischen Zeugnisse in erster Linie auf die nächstliegenden frühjüdischen Quellen angewiesen. 2.3 Die Sapientia Salomonis als Zeugnis des Griechisch sprechenden Diasporajudentums Von einem dritten Blickwinkel aus fällt Licht auf die Sapientia, wenn sie als Zeugnis des Griechisch sprechenden Diasporajudentums gelesen wird. Dieses vorrabbinische, noch nicht von den Folgen der gravierenden Veränderungen jüdischen Lebens und Glaubens durch die katastrophalen antirömischen Kriege der Jahre 66–70 und 135 n. Chr. (um-)geprägte Judentum ist in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel stärker in den Mittelpunkt judaistischer und neutestamentlicher Forschung getreten. Nachdem der Blickwinkel der am antiken Judentum interessierten Bibelwissenschaften im 20. Jh. lange Zeit stark von den Traditionssammlungen rabbinischer Lehrer und Schulen bestimmt wurde, wie sie in der Mischna, dem Talmud und den Midraschim zugänglich sind, meist

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in der bequemen Aufbereitung durch den Strack-Billerbeck, 24 hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass diese rabbinischen Sammlungen durchweg erst deutlich später als die neutestamentlichen Schriften entstanden sind und es kaum methodisch kontrollierbare Wege gibt, in ihnen Überlieferungen aus der Zeit vor der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. sicher zu rekonstruieren. In dem Maße, wie damit die Vergleichbarkeit rabbinischer Texte mit denen des Neuen Testaments in Frage gestellt wurde, wuchs die Bedeutung vorrabbinischer jüdischer Quellen. Dazu gehören zum einen die im 20. Jh. entdeckten und erst in den letzten Jahrzehnten vollständig für die Forschung erschlossenen Textfunde aus den Höhlen von Qumran, zum anderen die zwar größtenteils schon lange bekannten, in ihrer Bedeutung aber kaum ausreichend wahrgenommenen Quellen des griechischsprachigen antiken Judentums. Zu ihnen zählt auch die Sapientia. Die historischen und politischen Zusammenhänge, unter denen jüdische Gemeinschaften in der Griechisch sprechenden Diaspora lebten, insbesondere in Ägypten um die Zeitenwende, wurden von dem Althistoriker Walter Ameling näher beschrieben. 25 Ameling relativiert stark Argumente für eine genaue Datierung und Lokalisierung der Sapientia. Stattdessen skizziert er das soziale, kulturelle und religiöse Milieu jüdischer Diasporagemeinschaften in Ägypten in ptolemäischer und römischer Zeit, unter besonderer Berücksichtigung nichtliterarischer Quellen. Anschließend beschreibt er näher die politischen Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in Alexandria in frührömischer Zeit, die schließlich in gewaltsamen antijüdischen Ausschreitungen unter Caligula kulminierten. In einem vergleichenden Essay hat Maren Niehoff herausgearbeitet, dass die Sapientia ebenso wie Philon einem kultivierten und philosophisch gebildeten jüdischen Milieu in Alexandria entstammte, das platonisch ausgerichtet war, sich aber auch stoischen Ideen öffnete. 26 Während Philon in seinen früheren Werken noch vorwiegend platonisch geprägt war, wandte er sich nach Maren Niehoff während seines mehrjährigen Rom-Aufenthaltes als Mitglied der jüdisch-alexandrinischen Delegation an Caligula zunehmend der stoischen Philosophie zu, die seine späteren Werke bestimmte. Die Sapientia ist in ihrem Verständnis der Weisheit stärker stoisch geprägt, teilt aber mit dem späteren

24 HERMANN L. STRACK/PAUL BILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 6 Bde., München 21956. 25 WALTER AMELING, Die jüdische Diaspora im hellenistischen Ägypten, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 18), 191–218. 26 MAREN R. NIEHOFF, Die Sapientia Salomonis und Philon – Vertreter derselben alexandrinisch-jüdischen Religionspartei?, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 18), 257– 271.

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Philon das biblische Schöpfungsverständnis und Methoden der Schriftinterpretation. Politisch und mit Blick auf ihre eschatologischen Anschauungen sind die beiden Autoren dagegen weit voneinander entfernt. Nun muss, will man die Sapientia in diesem Kontext genauer einordnen, sofort hinzugefügt werden, dass dieses griechischsprachige vorrabbinische Judentum nicht bunt und vielfältig genug vorgestellt werden kann, bis dahin, dass man vorgeschlagen hat, ‚Judentum‘ in diesem Zusammenhang besser im Plural zu gebrauchen. 27 Hilfreicher als solche plakativen Begriffsdebatten sind freilich Studien, die versuchen, einzelne Quellen anhand nachprüfbarer Kriterien innerhalb dieser Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit genauer zu verorten. Einen solchen Weg ist John Barclay gegangen, indem er abgestufte Grade der Interaktion zwischen jüdischen Gemeinschaften und ihrer nichtjüdischen Um- und Mitwelt definierte. 28 Mit Hilfe von Kriterien wie dem vorausgesetzten Bildungsgrad, der Vertrautheit mit kulturellen und moralischen Werten der Umwelt oder der Beteiligung an kulturellen oder politischen Institutionen bemisst er den Grad der Integration frühjüdischer Quellen und der hinter ihnen stehenden Gruppen in die hellenistisch-römische Mehrheitskultur. Dabei unterscheidet er Kriterien der Assimilation (z.B. Formen sozialer Integration), der Akkulturation (z.B. der Gebrauch der griechischen Sprache) und der Akkomodation (im Sinne eines produktiven Umgangs mit Elementen der Mehrheitskultur bei Bewahrung der jüdischen Eigenart). Aufgrund dieses differenzierten Bewertungsrasters nimmt Barclay Platzierungen einzelner frühjüdischer Schriften auf einer dem Grad der Integration nach abfallenden Linie vor. Bemerkenswerterweise landet die Sapientia dabei ziemlich weit unten, nämlich unter der Rubrik „Cultural Antagonism“, neben dem 3. Makkabäerbuch, der novellistischen Erzählung Joseph und Aseneth und den Sibyllinischen Orakeln. 29 Man wird zunächst über eine solche Platzierung verwundert sein, zeigt doch die Sapientia nicht nur ein durchaus attraktives griechisches Gewand, sondern darüber hinaus auch immer wieder deutliche Einschläge hellenistisch-römischer Kultur und Gedankenwelt bis hin zu Versatzstücken griechischer Popu-

27 Vgl. den bezeichnenden Buchtitel in JACOB NEUSNER/WILLIAM S. GREEN/ERNEST S. FRERICHS (Hg.), Judaisms and Their Messiahs at the Turn of the Christian Era, Cambridge u.a. 1987. 28 JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996. Methodologische Aspekte im Zusammenhang der Rekonstruktion von kulturellen Begegnungsprozessen zwischen Juden und Nichtjuden in der griechischsprachigen Diaspora mit besonderem Blick auf Alexandria diskutiert ANDERS KLOSTERGAARD PETERSEN, Alexandrian Judaism: Rethinking a Problematic Cultural Category, in: GEORGE HINGE/JENS A. KRASILNIKOFF (Hg.), Alexandria: A Cultural and Religious Melting Pot, Aarhus 2009, 115–143. 29 BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 28), 181–191.

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larphilosophie. Außerdem fehlen explizite Betonungen der Ab- und Ausgrenzung des Gottesvolkes Israel gegenüber den Nichtjuden, und spezifisch jüdische Forderungen der Tora wie die Beschneidung oder die zahlreichen Speiseund Reinheitsgebote spielen in der Schrift keine Rolle. Allerdings erklären sich diese Befunde weitgehend aus der literarisch-fiktiven Gesamtgestalt der Schrift, die ja ihre Pointe gerade darin hat, dass an der Textoberfläche alle ausdrücklichen Identifizierungen mit dem jüdischen Volk und seinen speziellen Merkmalen vermieden werden. Gleichwohl sind die ständigen Anspielungen an biblische Personen, Themen und Motive für jeden, der die Bibel kennt, unverkennbar, wenn auch nur für ihn. 30 Wer dagegen keinen Zugang zur biblischen Überlieferung hat und nicht wenigstens über Grundkenntnisse von den Erzählungen der Schriften Israels verfügt, kann die Sapientia im Grunde nicht verstehen. Das gilt besonders für den zweiten Hauptteil, wo Gottes Gerichtsund Gnadenhandeln im Exodusgeschehen in Gestalt eines groß angelegten Vergleichs zwischen seinem Tun an Israel einerseits und an den Ägyptern andererseits aufgewiesen werden soll (Kap. 11–19). Aber weder der Name Israel noch der Ägyptens fallen dabei jemals, und die zahllosen impliziten Verweise auf biblische Einzelszenen und Details der Exodusgeschichte werden an keiner Stelle entschlüsselt. Eine solche Textstrategie kann im Sinne des Autors nur funktionieren, wenn er bei seinen Lesern Kenntnis der Bibeltexte voraussetzen kann, so dass sie selbst im Leseprozess die für das Verständnis des Textes nötigen Identifikationen vornehmen. Daraus ergibt sich, dass die im Text vorausgesetzten Adressaten Juden sein müssen oder zumindest Leser, die die jüdische Bibel sehr gut kennen und ihr auch prinzipiell positiv gegenüberstehen. Andernfalls könnten sie den im Text vertretenen Urteilen und Argumenten niemals zustimmen, ja ihnen nicht einmal folgen. Wenn aber das Lesepublikum eindeutig als jüdisch identifiziert werden muss, dann bekommen die den Text durchziehenden klaren und scharfen Urteile gegenüber Nichtjuden umso stärkeres Gewicht, selbst wenn die dort verurteilten Übeltäter gar nicht explizit als Glieder nichtjüdischer Völkerschaften namhaft gemacht werden. Das betrifft wieder zunächst einmal vorwiegend den zweiten Hauptteil der Schrift, wo den richtigen Überzeugungen und Verhaltensweisen des Gottesvolkes die falschen, dem Gottesgericht unterworfenen seiner Feinde gegenübergestellt werden. Ihr entscheidendes Fehlverhalten besteht in ihrer verfehlten religiösen Praxis, die in aller Anschaulichkeit benannt und geschildert wird, nur um sie dann umso schärfer aburteilen und nicht selten auch lächerlich machen zu können. 31

30

Querverbindungen zu biblischen Texten werden bei NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 18), in den Fußnoten zur Übersetzung der Schrift kontinuierlich nachgewiesen. 31 Hier folgt der Autor der Strategie prophetischer Polemik gegen die Götzendiener, vgl. z.B. Jes 2,18–21; 44,9–20; Jer 2,27f.; 10,1–16.

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Von dieser klaren Frontstellung zwischen Israel und den Völkern her, die die Tiefenstruktur des Textes im zweiten Teil bestimmt, erschließt sich aber auch die scharfe Entgegensetzung von Gottlosen und Gerechten im ersten (1,16–5,23). Wenn hier zumindest für den biblisch gebildeten Leser unverkennbar Salomo, der König Israels, als Sprecher hervortritt, auch wenn sein Name nicht genannt wird, dann können die Könige und Richter der Erde, die er in seinen Mahnreden anspricht (1,1; 6,1f.), nur die Herrscher der Nichtisraeliten, also der Heidenvölker sein. Das Bild von den Gottlosen, die die Gerechten verfolgen, bedrängen oder gar umbringen möchten (1,16–2,24; 3,10–12), lässt sich für jüdische Leser dann unschwer mit ihren eigenen Erfahrungen von Bedrängnis, Verfolgung und Bekämpfung durch die nichtjüdische Umwelt in Einklang bringen, zumal wenn ihnen in Aussicht gestellt wird, beim Endgericht von Gott zu Herrschern über Völker und Nationen eingesetzt zu werden (3,8). 32 Wenn also auf der Ebene der Textpragmatik in der Sapientia die Gerechten mit dem Gottesvolk Israel und die Gottlosen mit den Heidenvölkern, den Ägyptern zumal, zu identifizieren sind, dann wird hier eine scharf antagonistische Grundhaltung von implizitem Autor und impliziten Adressaten gegenüber ihrer nichtjüdischen Um- und Mitwelt erkennbar. Dieser Eindruck verschärft sich noch dadurch, dass die Textgestalt der Schrift geradezu durchtränkt ist mit Motiven aus der Prophetie und der deuteronomistischen Theologie, die schon in ihren ursprünglichen biblischen Kontexten der Abgrenzung Israels gegenüber den Heidenvölkern dienten. Wenn aber grundsätzlich vorauszusetzen ist, dass Autor und Adressaten wesentliche theologische Grundüberzeugungen teilten – nur so kann ja der Text im Sinne des Autors ‚funktionieren‘–, dann müssen wir daraus schließen, dass die Schrift uns in ein Milieu des Diasporajudentums führt, das ganz wesentlich durch Tendenzen zur Abgrenzung gegenüber der nichtjüdischen Gesellschaft und Kultur bestimmt ist. Von daher erscheint die oben erwähnte Einordnung der Sapientia durch Barclay unter die Rubrik „Cultural Antagonism“ nicht mehr ganz so überraschend.

32

Zur Eschatologie der Sapientia Salomonis vgl. die Monographien von MATTHEW EDPneuma and Realized Eschatology in the Book of Wisdom, FRLANT 242, Göttingen 2012; MAREIKE V. BLISCHKE, Die Eschatologie in der Sapientia Salomonis, FAT II/26, Tübingen 2007; MCGLYNN, Divine Judgment and Divine Benevolence (Anm. 17), 54– 88.170–219; s.a. JOHN J. COLLINS, The Reinterpretation of Apocalyptic Traditions in the Wisdom of Solomon, in: DERS., Jewish Cult and Hellenistic Culture. Essays on the Jewish Encounter with Hellenism and Roman Rule, JSJ.S 100, Leiden/Boston 2005, 143–158; DERS., Wisdom and Immortality, in: DERS., Jewish Wisdom in the Hellenistic Age, Louisville 1997, 178–195. WARDS,

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Einführung in die Sapientia Salomonis

2.4 Die Sapientia Salomonis als Zeugnis hellenistisch-römischer Kultur Solche Tendenzen zur Abgrenzung gegenüber der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft mussten freilich keineswegs bedeuten, dass jüdische Gemeinschaften nur dadurch überleben konnten, dass sie sich völlig aus den sozialen, politischen und kulturellen Bezügen ihrer Lebenswelt zurückzogen und ganz auf ihre eigenen, von der Umwelt differenten Überlieferungen beschränkten. Das Gegenteil war der Fall, wie die reichhaltigen Zeugnisse der griechischsprachigen Diasporaliteratur belegen. Wahrung der jüdischen Identität und Rezeption von Elementen hellenistischer Kultur und Bildung mussten keineswegs einander ausschließen, 33 und Quellen wie die Sapientia Salomonis oder die Sibyllinischen Orakel, aber auch die Werke des Philon und des Josephus zeigen je auf ihre Weise, wie solche Bildungs- und Kulturgüter bis hin zu Konzeptionen zeitgenössischer paganer Philosophie und Literatur dazu genutzt werden konnten, die eigenen Überlieferungen in einer für die Gegenwart aktuellen, nachvollziehbaren Weise neu zur Sprache zu bringen und so ihr Überleben zu sichern. Im Blick auf die Sapientia zeigt sich diese Verwurzelung in der hellenistisch-römischen Kultur an ihrer Sprache ebenso wie an der Rezeption von Themen und Topoi aus der zeitgenössischen, hellenistisch-römischen Popularphilosophie. 34 In einem Essay zur Sapientia Salomonis im Kontext hellenistisch-römischer Philosophie habe ich philosophische Schultraditionen skizziert, wie sie sich für Alexandria um die Zeitenwende als präsent wahrscheinlich machen lassen. 35 Näherhin zeige ich auf, wie philosophische Topoi in der jüdisch-hellenistischen Literatur (Aristobulos, Philon, Pseudo-Phokylides, 4. Makkabäerbuch) rezipiert und den Aussageabsichten der jüdischen Autoren dienstbar gemacht werden. An ausgewählten Beispielen in der Sapientia Salomonis lässt sich dieser Befund ebenfalls beobachten. Die Quellenlage bringt es mit sich, dass die überlieferten jüdisch-hellenistischen Schriften einen nicht unerheblichen Teil der überhaupt erhaltenen Literatur aus hellenistisch-römischer Zeit bilden. Eklatant liegt der Fall bei Philon von Alexandrien. Zweifellos sah Philon sich als geistigen (und gelegentlich auch politischen) Repräsentanten seiner jüdischen Gemeinschaft in Alexandria, für die er wohl auch in erster Linie seine literarisch-philosophischen

33 Vgl. dazu den grundlegenden Überblick von GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, in: DERS., Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000, 23–121. 34 Vgl. dazu MARTIN NEHER, Wesen und Wirken der Weisheit in der Sapientia Salomonis, BZAW 333, Berlin/New York 2004, 164–228. 35 KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Sapientia Salomonis im Kontext hellenistisch-römischer Philosophie, in: DERS., Sapientia Salomonis (Anm. 18), 219–256.

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Werke verfasst hat. Gleichwohl stellt er allein schon aufgrund des Erhaltungszustands seiner Werke für uns heute auch den wichtigsten Zeugen für die hellenistische Philosophie in Alexandria im 1. Jh. n. Chr. dar. Wie man dort zu jener Zeit die Werke eines Platon interpretieren und weiterdenken konnte, können wir heute nirgendwo anders so ausführlich und detailliert nachlesen wie bei Philon. Eine ähnliche Situation ergibt sich mit Blick auf die nicht wenigen kritischen bis feindlichen literarischen Äußerungen griechischer Autoren über Juden und das Judentum. Sie sind uns weitestgehend nur aus Referaten oder Zitaten bei jüdischen (vor allem bei Josephus in seinem polemischen Traktat Contra Apionem) und später bei christlichen Autoren bekannt, 36 während die paganen antijüdischen Werke selbst ausnahmslos verloren gingen. Zieht man diese Überlieferungslage in Betracht, dann eröffnet sich noch ein weiterer Blickwinkel, aus dem die Bedeutung der Sapientia für heutige religions- und kulturgeschichtlich interessierte Leser hervorgeht: Die Schrift kann uns einen lebendigen Zugang zu den geistig-religiösen Welten antiken Lebens in hellenistisch-römischer Zeit eröffnen, wenngleich aus dezidiert jüdischer Perspektive. Sicher wäre es ebenso erhellend, wenn wir auch aus anderen Blickwinkeln Einblicke in diese offenbar bunten und lebendigen Welten der späteren Antike gewinnen könnten. Angesichts der insgesamt sehr begrenzten Quellenlage für die Literatur aus hellenistisch-römischer Zeit ist aber jedes einzelne erhaltene Zeugnis von großer Bedeutung, und dass es sich bei unserer Schrift um eine jüdische handelt, mindert ihren Quellenwert nicht im Geringsten. Im Gegenteil, wir können daraus entnehmen, dass auch jüdische Gruppen, selbst wenn sie sich in erster Linie um Bewahrung ihrer religiösen Identität in einem mehrheitlich feindlich gegen sie eingestellten Umfeld zu bemühen hatten, einen nicht unwesentlichen Bestandteil dieser ihrer Zeit und Welt bildeten und deutlich erkennbar Anteil an deren kulturellen Entwicklungen nahmen. Als griechische Schrift aus hellenistisch-römischer Zeit eröffnet somit die Sapientia Salomonis Einblicke in die Sprache und Kultur der späteren Antike. Als Quelle für das griechischsprachige Diasporajudentum erschließt sie einen prägnanten antiken Entwurf der Verbindung von Religion und Ethik. Als dem Neuen Testament zeitlich und räumlich nahestehender Text ermöglicht sie ein vertieftes Verständnis der religiösen Rahmen- und Entstehungsbedingungen des Christentums und als Teil der christlichen Bibel legt sie Zeugnis ab vom Weiterwirken antiker Texte und der in ihnen ausgestalteten religiösen Ideen und Vorstellungen bis in die Gegenwart.

36 Bequem zugänglich sind sie in der Sammlung von MENAHEM STERN (Hg.), Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, 3 Bde., Jerusalem 1974.

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Einführung in die Sapientia Salomonis

3. Inhalt und Aufbau 3. Inhalt und Aufbau Die Schrift gibt sich durch ihre Texteröffnung als Rede eines Königs an die Herrschenden der Erde zu erkennen (1,1; vgl. 6,1). Der Sprecher, selbst König des Gottesvolkes (9,7; vgl. 9,1: „Gott meiner Väter“), ruft die Herrscher aller Welt zu Gerechtigkeit, zur Suche nach Gott, vor allem aber zur Liebe der Weisheit auf (1,1; vgl. 6,10). Von bibelkundigen Lesern kann der Redner, der häufig in der Ich-Form spricht (bes. in Kap. 6–9), mit König Salomo identifiziert werden. Zu ihm waren nach biblischer Überlieferung alle Könige aus allen Völkern der Erde gekommen, um seine Weisheit zu hören (1Kön 5,14). Allerdings werden solche Bezüge in unserer Schrift nirgends explizit kenntlich gemacht. Die Salomo-Fiktion wird freilich auch an keiner Stelle durchbrochen. Folgt man den Gliederungssignalen an der Textoberfläche und berücksichtigt dabei besonders die Redeformen, so bildet den ersten Teil (Kap. 1–8) eine aus formal und thematisch unterschiedlichen kleineren Einheiten zusammengefügte, äußerlich ununterbrochene Rede des Herrschers an seine Herrscherkollegen. Hier finden sich u.a. kürzere Mahnreden, Spruchreihen, Preis- und Liebeslieder, Beispielerzählungen, Klage-, Buß- und Vertrauensgedichte, Gerichtsdrohungen und Heilsverheißungen sowie eine Selbstempfehlung des Redners. Es schließt sich, eingeleitet durch eine kurze Begründung (8,19–21), als zweiter Teil eine formal ununterbrochene zweite Rede des Sprechers an, welche die gesamte übrige Schrift umfasst (Kap. 9–19). Sie besteht aus einem Bittgebet des Herrschers um Weisheit (Kap. 9), einem Hymnus auf die Weisheit (Kap. 10) und einer siebenteiligen Synkrisis (Kap. 11–19), in die zwei thematisch geschlossene Exkurse eingebaut sind. Der erste (Kap. 12), in der Anrede Gottes formuliert, stellt das maßvolle Gerichtshandeln Gottes dar, der zweite (Kap. 13–15) ist eine Abhandlung über den Götzendienst. Das Bittgebet (Kap. 9) geht ohne sprachlich signalisierte Abgrenzung ab 9,11 in vorwiegend darlegende Rede über. Die Gottesanrede wird zwar gelegentlich wieder aufgenommen, allerdings im Wechsel mit Aussagen über Gott in der 3. Pers. Das Bittgebet Salomos um Weisheit (9,1–10) bildet die kompositorische Mitte der gesamten Schrift. Dies entspricht einem zentralen Element der biblischen Salomo-Überlieferung (vgl. 1Kön 3,5–15). Darüber hinaus folgen die Kapitel 10–19 implizit der biblischen Chronologie: Der Hymnus in Kapitel 10 umfasst in Anspielungen die Zeit von der Schöpfung über die biblische Urgeschichte (Kain und Abel, Noach, Turmbau zu Babel) und die Vätererzählungen (Abrahams Auszug aus Haran, Sodom und Gomorrha, Lots Frau, Jakob-Erzählungen, Josef-Erzählungen) bis zu Israel in Ägypten (Berufung des Mose, Mose vor Pharao, Auszug aus Ägypten, Wüstenwanderung, Rettung am Schilfmeer). Die Synkrisis knüpft im Rahmen der biblisch-chronologischen Erzählfolge bei Mose an (11,1) und stellt anhand der ägyptischen Plagen und verschiedener Motive der Exodus- und Wüstenwanderungstradition Gottes Gerichts- und Gnadenhandeln gegenüber Israel und den

3. Inhalt und Aufbau

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Ägyptern dar, freilich ohne Nennung biblischer Namen (einzige Ausnahme ist das „Rote Meer“, 10,18; 19,7). 37 Inhaltsübersicht: I

Kap. 1–8

Erste Rede des Herrschers (an seine Herrscherkollegen) 1,1–15 Die erste Mahnrede an die Herrscher 1,16–5,23 Die Rede über Gottlose und Gerechte 1,16–2,24 Die überhebliche Rede der Gottlosen gegen die Gerechten 3,1–4,20 Das künftige Geschick der Gerechten und der Gottlosen 5,1–13 Die zu späte Einsicht der Gottlosen 5,14–23 Das Endgericht 6,1–21 Die zweite Mahnrede an die Herrscher 6,22–8,16 Die Lobrede auf die Weisheit 6,22–25 Redeeinleitung 7,1–21 Die Erkenntnis der Weisheit 7,22–8,1 Das Lob der Weisheit 8,2–16 Die Entscheidung für die Weisheit II Kap. 9–19 Zweite Rede des Herrschers (an Gott) 8,17–10,21 Das Gebet um Weisheit 8,17–21 Gebetseinleitung 9,1–10 Bitte um Weisheit 9,11–18 Lob der Weisheit 10,1–21 Hymnus auf die Weisheit 11,1–19,22 Gottes Gerichts- und Gnadenhandeln (Synkrisis) 11,1–3 Einleitung 1. 11,4–14 Wasser vs. Blut 2. 11,15f./16,1–4 Wachteln vs. Frösche 11,17–15,19 Zwei Exkurse 11,17–12,22 Gott straft mit Maßen 12,23–15,19 Verfehlte Religion 3. 16,5–14 Schlangen vs. Heuschrecken, Stechfliegen 4. 16,15–29 Manna vs. Hagel und Blitze 5. 17,1–18,4 Licht vs. Finsternis 6. 18,5–25 Rettung vs. Vernichtung 7. 19,1–9 Durchzug durchs Meer vs. Ertrinken 19,10–22 Zusammenfassender Rückblick

37 Vgl. dazu im Einzelnen SAMUEL CHEON, The Exodus Story in the Wisdom of Solomon. A Study in Biblical Interpretation, JSPE.S 23, Sheffield 1997; UDO SCHWENK-BRESSLER, Sapientia Salomonis als ein Beispiel frühjüdischer Textauslegung. Die Auslegung des Buches Genesis, Exodus 1–15 und Teilen der Wüstentradition in Sap 10–19, Frankfurt am Main 1993.

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Einführung in die Sapientia Salomonis

In der exegetischen Fachwissenschaft wird im Unterschied zu dieser aus der Sprachgestalt der Textoberfläche abgeleiteten Gliederung in zwei Hauptteile in der Regel eine Dreiteilung der Schrift vorgenommen, die thematisch-inhaltlich begründet wird: Der erste Teil (1,1–6,21) stellt demnach das endzeitliche Geschick des Gerechten dem der Gottlosen gegenüber („eschatologischer Teil“). Der zweite Teil (6,22–11,1) beschreibt in einem Enkomion Wesen und Ursprung der Weisheit („sapientialer Teil“). Der dritte Teil (11,2–19,22) bietet in zahlreichen Anspielungen auf die Exodustradition eine Reihe von sieben vergleichenden exempla aus der Geschichte des Gottesvolkes, um das rettende und strafende Handeln Gottes in der Geschichte aufzuzeigen („historischer Teil“). 38

4. Gattung 4. Gattung Nach den Kategorien hellenistisch-römischer Rhetorik steht die Sapientia dem logos protreptikos nahe, der antiken Werberede, die als Unterform der deliberativen (beratenden) Redegattung zugeordnet werden kann. Anliegen der Protreptik war es, die Anziehungskraft einer bestimmten Kunst, Wissenschaft oder Philosophie überzeugend nachzuweisen und die Leser dadurch zur Entscheidung für sie und zum Festhalten an ihr zu gewinnen. 39 Dieser Intention entspricht die Sapientia in der Weise, dass sie die Überlegenheit der jüdischen 38

Zur Diskussion s. MAURICE GILBERT, Art. Sagesse de Salomon (ou Livre de la Sagesse), DB.S 11, 1991, 58–119 (65–77); vgl. auch HELMUT ENGEL, Die Sapientia Salomonis als Buch. Die gedankliche Einheit im Buch der Weisheit, in: SIEGFRIED KREUZER/MARTIN MEISER/MARCUS SIGISMUND (Hg.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte. 3. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch, LXX.D, Wuppertal 22.–25. Juli 2010, WUNT 286, Tübingen 2012, 135–143: 137f. (I: 1,1–6,25; II: [6,9] 6,22–11,1; III: 10,15–19,22); MCGLYNN, Divine Judgment and Divine Benevolence (Anm. 17), 22f. (I: 1,1–6,21; II: 6,22–10,21; III: 11,1–19,22); OTTO KAISER, Die Weisheit Salomos. Übersetzt, eingeleitet und durch biblische und außerbiblische Parallelen erläutert, Stuttgart 2010, 52– 55 (I: 1,1–6,21; II: 6,22–11,1; III: 11,2–19,22); HANS HÜBNER, Die Weisheit Salomos. Liber Sapientiae Salomonis, ATD.A 4, Göttingen 1999, 22–24 (I: 1,1–6,21; II: 6,22–11,1; III: 11,2–19,22); ULRICH OFFERHAUS, Komposition und Intention der Sapientia Salomonis, Diss. Bonn 1981 (I: 1,1–6,8; II: 6,9–9,18; III: 10–19); DAVID WINSTON, The Wisdom of Solomon, AncB 43, New York 1979, 9–12 (I: 1,1–6,21; II: 6,22–10,21; III: 11–19); BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 32), 25–43 (I: 1,1–6,21; II: 6,22– 11,1; III: 11,2–19,22). Zur jüngeren Diskussion speziell um die Frage, wo das „Lob der Weisheit“ beginnt und endet, vgl. auch MAURICE GILBERT, The Literary Structure of the Book of Wisdom. A Study of Various Views, in: PASSARO/BELLIA, The Book of Wisdom in Modern Research (Anm. 7), 19–32. 39 Vgl. DAVID E. AUNE, Romans as a Logos Protreptikos in the Context of Ancient Religious and Philosophical Propaganda, in: MARTIN HENGEL/ULRICH HECKEL (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 91–124: 93–106.

4. Gattung

477

Religion gegenüber den Religionen der paganen Umwelt herauszustellen und so ihre Leser auf die Treue zur Tora zu verpflichten sucht, auf der die Identität des Gottesvolkes beruht. Diese Klassifikation der Sapientia als protreptische Rede ist umfassend von James M. Reese begründet worden. 40 Maurice Gilbert hat demgegenüber vorgeschlagen, die Schrift als ganze als Enkomion zu verstehen, ein Redetyp, der zur epideiktischen (darlegenden) Gattung gehört. 41 Eine vermittelnde Position nimmt Helmut Engel ein, der 6,22–11,1 als Enkomion auf die Weisheit innerhalb einer im Ganzen protreptischen Rede versteht. 42 Die auf die Lebensentscheidungen der Adressaten ausgerichtete Intention der Schrift entspricht m.E. insgesamt eher der beratenden Rede. 43 Allerdings lassen sich weder die Schrift als ganze noch die in ihr gestalteten Reden des fiktiven Herrschers an seine Herrscherkollegen nach dem Muster antiker Rhetorik gliedern und als logos protreptikos identifizieren, zumal es überhaupt nur wenige Spuren von antiken Exemplaren dieser Gattung gibt. 44

40 JAMES M. REESE, Hellenistic Influence on the Book of Wisdom and its Consequences, AnBib 41, Rome 1970, 90–152; zur jüngeren Diskussion vgl. EDWARDS, Pneuma and Realized Eschatology (Anm. 32), 31–35; BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 32), 27–29; WINSTON, Research on the Book of Wisdom (Anm. 7), 2–5; DERS.,Wisdom (Anm. 38), 18–20. 41 MAURICE GILBERT, Wisdom Literature, in: MICHAEL E. STONE (Hg.), Jewish Writings of the Second Temple Period. Apocrypha, Pseudepigrapha, Qumran Sectarian Writings, Philo, Josephus, CRI II, Assen/Philadelphia 1984, 283–324: 306–309, ausführlicher DERS., Sagesse de Salomon (Anm. 38), 77–87. 42 ENGEL, Die Sapientia Salomonis als Buch (Anm. 38), 138–143; vgl. schon DERS., „Was Weisheit ist und wie sie entstand, will ich verkünden.“ Weish 7,22–8,1 innerhalb des © ­   ›  (6,22–11,1) als Stärkung der Plausibilität des Judentums angesichts hellenistischer Philosophie und Religiosität, in: GEORG HENTSCHEL/ERICH ZENGER (Hg.), Lehrerin der Gerechtigkeit, EThS 19, Leipzig 1990, 67–102. 43 So auch JAMES M. REESE, A Semiotic Critique: With Emphasis on the Place of the Wisdom of Solomon in the Literature of Persuasion, in: LEO G. PERDUE/JOHN G. GAMMIE (Hg.), Paraenesis: Act and Form, Semeia 50, Atlanta 1990, 229–242. ENGEL, Sapientia Salomonis als Buch (Anm. 38), 140f., stellt die Variationsbreite protreptischer Literatur heraus, die gegen eine zu strenge Abgrenzung zwischen epideiktischen und deliberativen Texten spricht. Vgl. zur Diskussion auch LESTER L. GRABBE, Wisdom of Solomon, Sheffield 1997, 25f., sowie MCGLYNN, Divine Judgment and Divine Benevolence (Anm. 17), 3–9, die als Alternative “the literary form of aition” (Ätiologie) vorschlägt, eine eher lose, formal und sprachlich uneinheitliche Zusammenstellung von geographischen, mythologischen und religiösen Überlieferungen eines Volkes, die dazu dienen soll, die Identität von Gemeinschaften zu stärken, die außerhalb ihrer Herkunftsregion leben (als einzige literarisch überlieferte Analogie nennt sie die Aitia des Kallimachus). 44 ENGEL, Sapientia Salomonis als Buch (Anm. 38), 140f. Als klassisches Beispiel gilt der Hortensius des Cicero. Ein zu den exoterischen Schriften des Aristoteles gezähltes Werk mit dem Titel „Protreptikos“ ist nur fragmentarisch überliefert. Auch Senecas De brevitate

478

Einführung in die Sapientia Salomonis

Vielmehr liegen die literarischen Vorbilder der Sapientia eher in den Rede- und Literaturformen altorientalischer Weisheitslehre, die allerdings schon seit langem in biblischen Weisheitsschriften rezipiert und dem Gottesglauben Israels dienstbar gemacht worden waren. Das Spektrum solcher weisheitlichen Redeformen reicht von Einzelsprüchen (Sentenzen, Rätselsprüchen, Bildworten) über Spruchgruppen und Spruchkompositionen bis hin zu ausgeführten Lehrreden oder Lehrdichtungen. 45 Insbesondere das biblische Proverbienbuch bietet in seiner überlieferten Endgestalt Beispiele für alle diese Redeformen, und in griechischer Sprache lassen sie sich bei Jesus Sirach finden. Den Zusammenhang der Sapientia Salomonis mit der biblischen und frühjüdischen Weisheitsliteratur hat Friedrich V. Reiterer in einem Essay behandelt. 46 Ausgehend von weisheitlichen Formen des Redens und Argumentierens skizziert er die Entwicklung der biblischen Weisheit von der israelitischen Königszeit bis in die Zeit des Hellenismus. Anschließend stellt er charakteristische Elemente frühjüdischer Weisheit in der Sapientia Salomonis in den Zusammenhang griechischer Bildungstraditionen. Eine solche Zuordnung zur biblischen Weisheitstradition muss nicht ausschließen, dass der Verfasser der Sapientia auch Elemente oder Motive aus der hellenistischen rhetorischen Tradition, sei es protreptische oder enkomiastische, in seine Schrift einbauen konnte. Insgesamt folgt er aber keiner vorgegebenen literarischen Gattung, weder aus dem Bereich der biblischen Weisheitsliteratur noch aus dem hellenistisch-römischer Rhetorik, sondern hat aus den Vorgaben der biblischen Salomo-Überlieferung mit Hilfe griechischer literarisch-rhetorischer Mittel im Blick auf seine aktuelle Aussageabsicht ein eigenes literarisches Modell entwickelt. Es kann als „Erzählung einer Rede“ 47 beschrieben und anderen als Reden gestalteten frühjüdischen paränetischen Texten wie etwa den testamentarischen Mahnreden biblischer Persönlichkeiten (Testament Hiobs, Testamente der Zwölf Patriarchen) an die Seite gestellt werden, ohne dass damit schon eine eigene literarische Gattung begründet würde. Implizite Adressaten solcher Mahn- und Lehrreden sind Juden, denen aus dem Munde bekannter Autoritäten der biblischen Überlieferung die Werte jüdischen Lebens und Glaubens aktuell nahe gebracht und die zu einem diesen vitae kann der protreptischen Literatur zugeordnet werden. Die umfangreichste vollständig erhaltene protreptische Rede stammt von Jamblichus (De vita Pythagorica). 45 Knapper Überblick bei HERMANN VON LIPS, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen-Vluyn 1990, 17–21; zur frühjüdischen Weisheitstradition ausführlicher MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/ Göttingen 1979, 157–545; BURTON L. MACK, Logos und Sophia. Untersuchungen zur Weisheitstheologie im hellenistischen Judentum, StUNT 10, Göttingen 1973, 21–62. 46 FRIEDRICH V. REITERER, Die Sapientia Salomonis im Kontext der frühjüdischen Weisheitsliteratur, in: NIEBUHR, Sapientia Salomonis (Anm. 18), 175–189. 47 So ENGEL, Sapientia Salomonis als Buch (Anm. 38), 140.

5. Literarische Integrität und Intention

479

Werten entsprechenden Lebenswandel bewogen werden sollen. 48 Als ‚Sitz im Leben‘ der Schrift wird damit die frühjüdische Toraparänese erkennbar, die der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen nichtjüdischer Lebensweise und religiöser Praxis in einer hellenistisch geprägten Kultur diente. 49

5. Literarische Integrität und Intention 5. Literarische Integrität und Intention Lassen sich auf der literarischen Ebene der überlieferten (und textkritisch im Wesentlichen gesicherten) Endgestalt der Schrift ein kohärenter Aufbau und eine nachvollziehbare, durch sprachliche Signale markierte Textgliederung aufzeigen (s.o., 3.), so sind in der Forschung doch immer wieder Vorschläge zu literarkritischen Analysen gemacht worden. 50 Dabei wird in der Regel vor allem auf thematisch-inhaltliche Differenzen zwischen verschiedenen Passagen der Schrift verwiesen, die dann gern mit ihrer schon erwähnten Dreiteilung verknüpft werden. Während etwa im eschatologischen (1,1–6,21) und im historischen Teil (11,2–19,22) die Gegenüberstellung von Gottlosen und Gerechten vorherrschend sei, stehe im sapientialen Teil (6,22–11,1) die Weisheit im Mittelpunkt. Während der Mittelteil verschiedene autobiographische Anspielungen auf König Salomo enthalte, scheinen solche im ersten wie im letzten

48 Ähnlich ENGEL, a.a.O., 142: „junge Juden in Alexandria …, die in ihrer jüdischen Identität gestärkt werden sollen“. Vgl. auch MARIE-FRANCOISE BASLEZ, The Author of Wisdom and the Cultured Environment of Alexandria, in: PASSARO/BELLIA, The Book of Wisdom in Modern Research (Anm. 7), 33–52: 36: „It is not in the business of making proselytes. We know that this was never the attitude of the Jews of the Diaspora. The author intends rather to fight against the attraction exercised on some members of the Jewish community by the court of the last Lagides, by the Greek system of education (we recall that access to the Gymnasium is at the center of the debate), and by the centers of Greek social life.“ Die Adressierung der Schrift an ein primär jüdisches Lesepublikum ist derzeit Konsens der Forschung. 49 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, passim (zur Sapientia 211–216); zum Verständnis und zur Funktion der jüdischen Tora in der Sapientia vgl. auch REINHARD WEBER, Das Gesetz im hellenistischen Judentum. Studien zum Verständnis und zur Funktion der Thora von Demetrios bis Pseudo-Phokylides, Frankfurt a. M. 2000, 182–211. 50 Einen erneuten, umfassend begründeten Vorschlag hat BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 32), 25–49, in ihrer Dissertation vorgelegt. Zu älteren Modellen vgl. den kurzen Überblick bei WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 12–14.

480

Einführung in die Sapientia Salomonis

Teil zu fehlen. Während im ersten Teil noch ein universal ausgerichteter, werbender Ton gegenüber den Völkern vorherrsche, sei der dritte stärker von der polemischen Abgrenzung zwischen Israel und den Völkern bestimmt. 51 Solche durchaus zutreffenden Beobachtungen zu inhaltlichen Differenzen werden in den literarkritischen Analysen mit der Annahme einer sukzessiven, sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Entstehungsgeschichte der Schrift verbunden. Je nach Beurteilung der festgestellten sachlichen Differenzen können die betreffenden Textteile dann entweder verschiedenen Verfassern bzw. Verfassergruppen zu unterschiedlichen Zeiten 52 oder einem einzigen Verfasser bzw. einer Verfassergruppe während einer längeren Wirkungszeit 53 zugeschrieben werden. Gern werden Verschiebungen inhaltlicher Schwerpunkte oder Differenzen der Aussageintention in verschiedenen Textteilen auch mit der Annahme von Veränderungen der jeweils vorausgesetzten Situation von Autor und Adressaten oder gar mit konkreten historischen Ereignissen im angenommenen Entstehungsmilieu und -zeitraum der Schrift verbunden. 54 Das methodische Instrumentarium für solche literarkritischen Analysen der Sapientia entstammt offenbar der alttestamentlichen Wissenschaft, in der in jüngerer Zeit literaturgeschichtliche Textentstehungsmodelle große Bedeutung gewonnen haben, etwa im Blick auf den Pentateuch, das Jesajabuch, das Zwölf-Propheten-Buch oder den Psalter. Hier werden alttestamentliche Texte grundsätzlich als ‚Fortschreibungsliteratur‘ betrachtet. 55 Auf diese Weise sollen inhaltliche Spannungen auf der überlieferten Textebene durch Zuweisung von Textteilen an unterschiedliche Verfasser oder Bearbeiter (bzw. Verfasseroder Bearbeitergruppen, gern auch „Schichten“ genannt), die zu verschiedenen 51

M. Blischke verfeinert diese Differenzierung zwischen unterschiedlichen Passagen der Schrift noch, indem sie annimmt, dass 3,13–4,16 und 5,17–23 erst im Rahmen einer „Endredaktion“, der sich auch die beiden Exkurse im dritten Teil verdanken, nachträglich in den ersten Teil der Schrift eingefügt worden sind, um „die Vorstellung eines richtenden Gottes mit der Vorstellung eines milden Gottes in Einklang (zu) bringen“ (BLISCHKE, Zur Theologie der Sapientia Salomonis [Anm. 19], 158). Auch im Mittelteil rechnet sie mit mehreren sukzessiven Bearbeitungsschichten. 52 So BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 32), 41–47. 53 So CHRYSOSTOME LARCHER, Le livre de la Sagesse ou la Sagesse de Salomon, 3 Bde., Paris 1983–1985, Bd. 1, 146–161; DIETER GEORGI, Weisheit Salomos, JSHRZ III/4, Gütersloh 1980, 387–478: 393, spricht von einem „Schulprodukt … das in einem kollektiven Prozeß gewachsen und gestaltet ist“ (s.a. 394: „Schule … mit langer Geschichte“), bleibt aber jegliche nähere Beschreibung dieser ‚Schule‘ und der Wachstums- und Gestaltungsprozesse in ihr schuldig. 54 Vgl. BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 32), 47–49. 55 Vgl. zu diesem Verständnis BLISCHKE, Zur Theologie der Sapientia Salomonis (Anm. 19), 156: „Das heißt, dass die Texte im Laufe der Zeit immer wieder neue redaktionelle Ergänzungen erfahren haben, die die Aussagen der Texte auf eine neue Zeit und einen neuen Vorstellungshorizont beziehen sollten, ohne den ursprünglichen Texten jedoch ihren Bedeutungsgehalt zu nehmen.“

5. Literarische Integrität und Intention

481

Zeiten und in veränderten historischen Konstellationen arbeiteten, ausgeglichen werden, im Idealfall bis hin zur Rekonstruktion der gesamten mehrstufigen Entstehungsgeschichte des überlieferten Endtextes der betreffenden Schrift oder Schriftengruppe. So eindrucksvoll die Ergebnisse der literaturgeschichtlichen Einzelforschung zu Teilen des Alten Testaments auch sein mögen, für die Sapientia stellt sich die Frage, ob die historischen und textgeschichtlichen Voraussetzungen für eine solche Methodik hier gegeben sind. Während wir etwa für das Jesajabuch oder den Psalter schon aufgrund der erhaltenen hebräischen handschriftlichen Überlieferung (Qumran!) von einer Variabilität der literarischen Gestalt der überlieferten Texte bis in hellenistisch-römische Zeit hinein ausgehen müssen, finden sich in der Textüberlieferung der Sapientia keinerlei vergleichbare Hinweise auf abweichende Fassungen der literarischen Gestalt des Buches. Natürlich gibt es Textvarianten und gelegentlich auch nicht unwesentliche Lakunen oder Korruptelen. Allerdings stimmen sie an keiner Stelle mit den Schnittstellen überein, auf denen die literarkritischen Analysemodelle zur Sapientia basieren. Umgekehrt können mit sprachlichen Argumenten keine literarischen Brüche am überlieferten Text identifiziert werden. Wenn sich Auffälligkeiten im Textaufbau, in der Verknüpfung von Einzelsätzen oder Textteilen, in den Sprachformen oder im vorausgesetzten Gedankengang des Autors zeigen, so können diese nicht durch Zuweisung zu verschiedenen Textschichten, unterschiedlichen Verfassern oder abweichenden Entstehungszeiten behoben werden, sondern bilden vielmehr ein typisches Merkmal frühjüdischer religiöser Erbauungs- und Ermahnungsliteratur, die sich oft aus sehr unterschiedlichen Quellen und Überlieferungen speist. Wo solche Erklärungsmöglichkeiten nicht ausreichen, sollte man aus methodischen Gründen dies besser eingestehen, als literarkritische Hypothesen zu entwerfen, die sich an Textbefunden nicht nachweisen lassen. Ein drittes Gegenargument gegen die Annahme literarkritischer Textentstehungsmodelle für die Sapientia, m.E. das entscheidende, betrifft den Zeitraum und das historische Milieu, in dem die Schrift entstanden sein muss. Da es keinerlei Spuren für eine hebräische ‚Urfassung‘ gibt, können alle Phasen ihrer Literargeschichte nur im Milieu des griechischsprachigen Frühjudentums, und darin zudem, folgt man einem weitgehenden Konsens in der Datierung, erst in späthellenistischer oder eher noch frührömischer Zeit, eingeordnet werden (s. dazu u.). Damit aber werden der Zeitraum und der historische Rahmen, in dem sich alle angenommen Textentstehungs- und Fortschreibungsvorgänge abgespielt haben müssen, erheblich eingeengt, und es stellt sich die Frage, ob überhaupt genügend Raum und Zeit für historisch und literarisch voneinander zu trennende Stufen oder Schichten der Textentstehung bleibt. Schon die genaue Datierung und historische Einordnung der Schrift als ganzer, also ihrer überlieferten Endgestalt, ist ja mit großen Unsicherheiten belastet. Wie soll man

482

Einführung in die Sapientia Salomonis

dann noch innerhalb des beschriebenen Rahmens einzelne ihrer angenommenen Vorstufen methodisch nachvollziehbar spezifischen Orten, Zeiten oder gar Verfassern zuweisen können? Solche Fragen sind jedenfalls im Rahmen der bisher vorgelegten literarkritischen Hypothesen kaum überzeugend beantwortet, oft nicht einmal gestellt worden. Somit basiert die Annahme eines mehrstufigen literargeschichtlichen Entstehungsprozesses der Sapientia auf Voraussetzungen, die im Rahmen des uns bekannten griechischsprachigen Judentums in römischer Zeit kaum gegeben sind. Demgegenüber können die zweifellos wahrnehmbaren inhaltlichen Differenzen, sachlichen Spannungen oder thematischen Schwerpunktverschiebungen eher im Rahmen der literarischen Möglichkeiten eines frühjüdischen Autors verständlich gemacht werden, der im Sinne seiner Aussageintention unterschiedliche Überlieferungen, Motive, Traditionen und möglicherweise auch schon sprachlich vorgeprägte Aussagezusammenhänge aufgenommen und seiner schriftstellerischen Gestaltungsabsicht dienstbar gemacht hat. Sprachlichstilistisch ist das Werk jedenfalls einheitlich. 56 Darüber hinaus können die behaupteten inhaltlichen Differenzen zwischen verschiedenen Teilen der Schrift auch durch gegenläufige Beobachtungen relativiert werden. So liegt die fiktive Salomo-Verfasserschaft nicht erst den Kapiteln 7–9 zugrunde, sondern bestimmt die Redekonstellation des Textes schon von seinen ersten Versen an, wenn der Sprecher die Hörer seiner Mahnrede als diejenigen anredet, die die Erde richten (1,1). Deutlich wird das spätestens, wenn er sie zu Beginn der zweiten Mahnrede (6,1–21), die zusammen mit der ersten (1,1–15) wie eine Klammer den ganzen Redegang zur Entgegensetzung von Gottlosen und Gerechten (1,16–5,23) umfasst, „Könige“, „Richter der Enden der Erde“ (6,1) und „Alleinherrscher“ ihrer Völker (6,9) nennt, die über die Menge herrschen und stolz sind auf die Scharen ihrer Völker, obwohl ihnen ihre Macht doch nur vom Herrn gegeben wurde und die Herrschaft vom Höchsten (6,2f.). Erst als Salomo-Rede an die Könige der Völker gewinnt ja der ganze erste Hauptteil der Schrift im Rahmen der Aussageabsicht des Verfassers sein textpragmatisches Gewicht, auch wenn sich die fiktionale Figur des Sprechers dem bibelkundigen Leser erst ab 7,1 biographisch eindeutig zu erkennen gibt.

56

Mit GILBERT, Sagesse de Salomon (Anm. 38), 87–91. Für Einheitlichkeit der Schrift plädiert jetzt auch EDWARDS, Pneuma and Realized Eschatology (Anm. 32), 39–44. MARTINA KEPPER, Hellenistische Bildung im Buch der Weisheit. Studien zur Sprachgestalt und Theologie der Sapientia Salomonis, BZAW 280, Berlin/New York 1999, 13–25, betrachtet die Sapientia als Schulprodukt, was aber keineswegs zur Annahme eines längeren Entstehungsprozesses führen müsse. Dagegen spreche „die große sprachliche wie gedankliche Einheitlichkeit“. Zudem lassen sich keine Anhaltspunkte ausmachen, die dazu nötigen würden, inhaltliche Spannungen innerhalb der Schrift mit einer veränderten historischen Situation zu erklären (a.a.O., 24).

5. Literarische Integrität und Intention

483

Die Weisheit als Richtschnur menschlichen Verhaltens und Maßstab für Gottes Gericht bestimmt keineswegs nur den Mittelteil der Schrift. Schon in der ersten Mahnrede an die Mitherrscher bildet sie neben der Gerechtigkeit und der Einfachheit des Herzens das dritte Leitmotiv der Ermahnung. Als „menschenfreundlicher Geist“ wird sie mit dem „Geist des Herrn“ auf eine Stufe gestellt (1,4.6f.). Auch in der zweiten Mahnrede, also noch bevor die Weisheit in 6,22–8,16 Gegenstand der Lobrede Salomos ist, werden seine ‚Herrscherkollegen‘ schon auf sie verwiesen: „An euch also, Alleinherrscher, gehen meine Worte, damit ihr Weisheit lernt und keinen Fehltritt macht; … Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit, und leicht lässt sie sich betrachten von denen, die sie lieben, und finden von denen, die sie suchen“ (6,9.12). Und auch im dritten Teil der Schrift (Kap. 11–19) geht es nicht um irgendwelche ‚historischen‘ Befunde, sondern wie im ersten um Gottes Gericht über Gerechte und Gottlose, nunmehr allerdings im Einzelnen aufgewiesen anhand der Geschichte Gottes mit seinem Volk und dessen Feinden. Kapitel 10 kommt dabei eine Scharnierfunktion zu: Es verbindet die Aussagen über die Weisheit im Gebet Salomos (9,1–10) mit Hilfe des daran anschließenden Hymnus auf die Rolle der Weisheit seit der Schöpfung der Welt (ab 9,11) mit dem Aufweis von Gottes Gerichts- und Gnadenhandeln in der Geschichte des Gottesvolkes. Auf diese Weise wird die rettende Macht der von Gott kommenden Weisheit dem Geschichtshandeln Gottes an seinem Volk wie ein Vorzeichen vorangestellt, das dann anhand der Exodus-Tradition in Kapitel 11–19 im Einzelnen expliziert wird. Die Sprachgestalt der wörtlichen Rede eines Herrschers, die ab 9,1 ohne markierten Sprecherwechsel in den Duktus des Gebets übergeht, wird in der ganzen Schrift vom ersten bis zum letzten Vers konsequent durchgehalten, gerade auch in der ausführlichen Synkrisis der Kapitel 11–19 (einschließlich der beiden Exkurse!). 57 Angesichts der in der zweiten Rede Salomos mehrfach wiederkehrenden Gebetsanrede Gottes behalten die Leser also immer in Erinnerung, wer hier spricht. Durch gelegentliche Formulierungen in der Wir-Form können sie sich sogar unmittelbar mit ihm verbunden fühlen (12,6: „unsere Väter“!; 12,18.22: „uns“, „unsere Feinde“!; 15,1–3: „unser Gott“!). Die verschiedenen Redeteile werden zwar manchmal (nicht immer) durch deutlich markierte Übergänge voneinander abgehoben, 58 sind zugleich aber vor allem durch Stichwörter und Übergangsstücke eng miteinander verbunden. Der die

57 Vgl. 11,17–12,22 passim; 12,23.25; 14,4f.; 15,1–3; 16,2; 18,8. Vor 9,1 findet sich das „du“ Gottes bezeichnenderweise kein einziges Mal! 58 Vgl. 6,1.22; 8,21. Nicht genau markiert sind die Abgrenzungen zwischen der ersten Mahnrede an die Herrscher und der ersten Gottlosen-Rede (1,15f.; hier liegt wohl auch ein Problem der Textüberlieferung vor), der Übergang vom Bittgebet Salomos zum Hymnus auf die Weisheit (9,17–10,1) und der Übergang vom Hymnus auf die Synkrisis (11,1/2), ebenso wenig die Übergänge zu und zwischen den beiden Exkursen.

484

Einführung in die Sapientia Salomonis

zweite Mahnrede an die Herrscher abschließende Passus 6,12–21 hat schon enkomiastischen Charakter, bevor die ausdrückliche Redeeinleitung in 6,22 folgt. In ähnlicher Weise wird das Gebet Salomos, das in 9,1 beginnt, schon in 8,9–21 durch eine Reflexion des Sprechers über die Weisheit in der Ich-Form eingeleitet, die den bruchlosen Übergang vom Lobpreis der Weisheit auf sein Gebet um Weisheit vorbereitet. Insgesamt zeichnet sich der Aufbau der Schrift eher durch verbindende Übergänge als durch scharfe Abschnittgrenzen aus. Die durchaus wahrnehmbaren Akzentwechsel zwischen den Hauptteilen der Schrift – von der Entgegensetzung von Gottlosen und Gerechten über die Lobpreisung der Weisheit als Richtschnur für das Leben von Herrschern und Beherrschten bis hin zur Perspektive auf das Gericht Gottes an seinem Volk und dessen Feinden – erklären sich im Rahmen des Redeaufbaus daher besser aus literarischen und textpragmatischen Motiven des Verfassers denn als Indizien für literarkritisch auszuwertende Brüche. Der Einheitlichkeit im Rededuktus – von der Mahnrede an die Gottlosen über die Lobrede auf die Weisheit hin zum Lobpreis Gottes im Gebet – entspricht die Kohärenz der Aussageintention. Schon nach biblischer Überlieferung galt Salomo als vorbildlicher, durch Weisheit geleiteter Herrscher und eindringlicher Beter. Sein in der Bibel ausführlich wiedergegebenes Bittgebet vor der Weihe des Jerusalemer Tempels um dauerhafte Herrschaft auf dem Thron Davids und Wohlergehen des Volkes in seinem Land (1Kön 8,22–53) wird in der Sapientia Salomonis ‚umgesprochen‘ in die Sprache und die aktuellen Bedürfnisse jüdischer Gemeinschaften der Diaspora in hellenistisch-römischer Zeit. Um das spezifische Profil der Salomo-Rezeption in der Sapientia zu erkennen, ist ein Vergleich mit dem Salomo-Abschnitt im „Lob der Väter“ aus dem im weiteren Sinne zeitgenössischen Sirach-Buch aufschlussreich (Sir 47,12–22). Hier wird neben Salomos Friedensherrschaft, seiner international ausstrahlenden Weisheit, seinen poetischen Gaben und seinem sagenhaften Reichtum insbesondere die Errichtung eines ewigen Heiligtums für Gottes Namen hervorgehoben. Aber auch die Schattenseiten seiner Herrschaft werden nicht verschwiegen, vor allem seine Hinwendung zu fremden Frauen, die seiner Herrschaft einen Makel anheftete, der letztlich zum Zerfall des Gottesvolkes führte. Dennoch hatte Gott ihm als seinem Erwählten einen Nachfolger geschenkt und damit die davidische Herrschaft vor dem Untergang bewahrt. Von Davids Thron ist demgegenüber in der Sapientia kaum die Rede, 59 ebenso wie von der friedlichen Herrschaft des Königs über das Gottesvolk in seinem Land oder von den Opfern im Jerusalemer Tempel. 60 Stattdessen geht es hier darum, die Wohltaten Gottes an denen zu erkennen, die sich zu seinem Volk zählen (11,5) und sich seinem schonenden Gericht anvertrauen (12,2.19), vor allem aber darum, sich von heidnischer Religion fernzuhalten, die dem 59 60

Vgl. lediglich 9,12. Der Tempel wird nur in 9,8, geradezu nebenbei, erwähnt.

6. Datierung und Herkunft

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göttlichen Gericht unterworfen ist (13,10; 14,12.27), und im alltäglichen Verhalten den Willen Gottes zu befolgen (14,24–26). Maßgebliche Orientierung für solch eine Lebensführung kann die himmlische Weisheit bieten, die bei Gott ihren Ursprung hat (9,1–3.9), in der Geschichte des Gottesvolkes geradezu allgegenwärtig war (10,1–11,1) und nun auch in der Gegenwart und in der Welt, in der die Adressaten der Schrift leben, als Lebenshilfe zu gebrauchen ist, unabhängig von ihrer geographischen Nähe zum Jerusalemer Heiligtum oder von der politischen Gestalt eines eigenständigen jüdischen Gemeinwesens. Solche Weisheit lässt sich finden von allen, die in „Einfachheit des Herzens“ nach Gerechtigkeit streben (1,1f.), wo immer sie leben, denn sie ist „ein menschenfreundlicher Geist“, mit dessen Hilfe Gott ins Herz des Menschen schaut, da ja „der Geist des Herrn … die bewohnte Erde erfüllt“ (1,6f.). Solche Weisheit seinen Herrscherkollegen ans Herz zu legen, ist König Salomos Wunsch – und ebenso das Anliegen des Autors der Schrift gegenüber seinen Lesern. Denn, so endet sein Werk: In allem ja, Herr, hast groß gemacht du dein Volk und verherrlicht und hast es nie vernachlässigt, sondern bist ihm zu jeder Zeit und an jedem Ort zur Seite getreten. (19,22) 61

6. Datierung und Herkunft 6. Datierung und Herkunft Historische Indizien zur Datierung der Sapientia, 62 die von expliziten Textaussagen ausgehen, etwa der Erwähnung der Monarchie als Herrschaftsform (6,1.9), der kultischen Verehrung von Herrscherskulpturen (14,17–20) oder einer vorausgesetzten Verfolgungssituation der Gerechten durch die Gottlosen (2,1–20; 5,16–23; 19,13–17), scheitern in aller Regel schon an der konsequent durchgehaltenen Salomo-Fiktionalität der Schrift und den biblischen oder frühjüdischen Traditionsbezügen im Hintergrund ihrer Formulierungen. 61 Einen Überblick über die Rezeption alttestamentlicher Traditionen in der Sapientia und ihren Auftritt dort in neuem Gewand gibt ARMIN SCHMITT, Alttestamentliche Traditionen in der Sicht einer neuen Zeit. Dargestellt am Buch der Weisheit, in: DERS., Der Gegenwart verpflichtet. Studien zur biblischen Literatur des Frühjudentums, hg. v. CHRISTIAN WAGNER, BZAW 292, Berlin/New York 2000, 185–203; vgl. auch MAURICE GILBERT, The Origins According to the Wisdom of Solomon, in: PASSARO/BELLIA, The Book of Wisdom in Modern Research (Anm. 7), 171–185. 62 Vgl. dazu die Überblicke bei WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 20–25; HÜBNER, Weisheit (Anm. 38), 15–19; EDWARDS, Pneuma and Realized Eschatology (Anm. 32), 24–28; BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 32), 44–47; KEPPER, Hellenistische Bildung im Buch der Weisheit (Anm. 56), 25–35; SILVIA SCHROER, Das Buch der Weisheit, in: ERICH ZENGER u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 92004, 488– 501: 494–498; OTTO KAISER, Anweisungen zum gelingenden, gesegneten und ewigen Leben. Eine Einführung in die spätbiblischen Weisheitsbücher, ThLZ.F 9, Leipzig 2003, 98– 101; DERS., Weisheit Salomos (Anm. 38), 72–77.

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Einführung in die Sapientia Salomonis

Auch das Kriterium literarischer Verwendung (passiv oder aktiv) hat zu keiner überzeugenden Datierung in Relation zu anderen datierbaren Quellen geführt. Am aussichtsreichsten erscheint die Bestimmung literarischer Abhängigkeit von der Sapientia mit Blick auf Paulus, näherhin im Römerbrief. 63 Wie Nikolaus Walter im Anschluss an die unveröffentlichte Hallenser Dissertation von Paul-Gerhard Keyser aus dem Jahr 1971 herausgestellt hat, haben die paulinischen Abschnitte in Röm 1–3 und 9–11 einerseits und die Sapientia andererseits „ähnliche oder gar dieselben theologischen Grundaussagen im Blick“, insbesondere bezüglich der Vorzüge bzw. der Erwählung Israels, und verwenden z.T. eine mit der Sapientia gemeinsame Terminologie, die sonst bei Paulus keine Rolle spielt. 64 Unter Verweis auf eine ältere Untersuchung von Eduard Grafe 65 zog Walter daraus (in Unterschied zu Keyser) den Schluss, Paulus habe die Sapientia gekannt und „bei der Abfassung des Römerbriefs in Korinth im Frühjahr 56 … zur Hand gehabt“. 66 Damit wäre ein terminus a quo gewonnen.

63 Zum Vergleich zwischen Paulus und der Sapientia vgl. BLISCHKE, Die Sapientia Salomonis und Paulus (Anm. 20), sowie PAOLO IOVINO, „The only Wise God“ in the letter to the Romans: connections with the book of Wisdom, in: PASSARO/BELLIA, The Book of Wisdom in Modern Research (Anm. 7), 283–305; JONATHAN A. LINEBAUGH, Announcing the Human: Rethinking the Relationship Between Wisdom of Solomon 13–15 and Romans 1.18– 21, NTS 57, 2011, 214–237; ALEC J. LUCAS, Distinct Portraits and Parallel Development of the Knowledge of God in Romans 1:18–32 and Wisdom of Solomon 13–15, in: CLARE K. ROTHSCHILD/TREVOR W. THOMPSON (Hg.), Christian Body, Christian Self. Concepts of Early Christian Personhood, WUNT 284, Tübingen 2011, 61–68; JOHN M. G. BARCLAY, Unnerving Grace: Approaching Romans 9–11 from The Wisdom of Solomon, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 91–109. Unter dem Gesichtspunkt der rhetorischen Funktion von Personifikationen bei beiden Autoren steht der Vergleich bei JOSEPH R. DODSON, The ‚Powers‘ of Personification. Rhetorical Purpose in the Book of Wisdom and the Letter to the Romans, BZNW 161, Berlin/New York 2008. Vgl. auch AUNE, Romans as a Logos Protreptikos (Anm. 39). 64 NIKOLAUS WALTER, Sapientia Salomonis und Paulus. Bericht über eine Hallenser Dissertation von Paul-Gerhard Keyser aus dem Jahr 1971, in: HANS HÜBNER (Hg.), Die Weisheit Salomos im Horizont Biblischer Theologie, BThSt 22, Neukirchen-Vluyn 1993, 83– 108: 98. 65 EDUARD GRAFE, Das Verhältnis der paulinischen Schriften zur Sapientia Salomonis, in: Theologische Abhandlungen (FS C. von Weizsäcker), Freiburg 1892, 251–286. Auch HÜBNER, Weisheit (Anm. 38), 18, hält die Benutzung der Sapientia durch Paulus für „im hohen Maße wahrscheinlich“. 66 A.a.O., 94, vgl. 105. Etwas vorsichtiger urteilt BLISCHKE, Die Sapientia Salomonis und Paulus (Anm. 20), 291.

6. Datierung und Herkunft

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Darüber hinaus ist versucht worden, aus der Nähe und Differenz der Sapientia zu den Schriften und dem Wirken Philons ein Datierungskriterium zu gewinnen. 67 Entweder meint man, die Sapientia wegen einer weniger weit fortgeschrittenen Rezeption mittelplatonischer philosophischer Topoi etwa eine Generation vor Philon datieren zu können, 68 oder man verweist auf die vor allem durch Philons Augenzeugenberichte in seinen Traktaten Legatio ad Gaium und Contra Flaccum bekannte Verfolgung der Juden Alexandrias in der Regierungszeit Caligulas (37–41 n. Chr.), die sich in der Sapientia unmittelbar widerspiegele. 69 Aber auch hier gilt: An keiner Stelle lässt sich literarische Abhängigkeit in der einen oder anderen Richtung nachweisen, und die Differenzen bezüglich der literarischen Gattung der Werke, der sprachlichen Mittel und des intellektuellen Niveaus ihrer Autoren, der vorauszusetzenden Adressatensituation und der Intentionen der Schriften sind so groß, dass eine sichere chronologische Verhältnisbestimmung zwischen beiden Autoren unmöglich ist. Vorauszusetzen ist lediglich, dass der Verfasser der Sapientia auf die griechischen Übersetzungen weiter Teile der Schriften Israels zurückgreifen konnte, aber dies war spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. gegeben. Die hierauf aufbauende Frühdatierung der Sapientia in ptolemäische Zeit (2. Jh. v. Chr.) 70 hat insgesamt wenig Anerkennung gefunden. Sprachliche Gründe möchte Giuseppe Scarpat als Indiz dafür ansehen, die Schrift in römische Zeit unmittelbar nach dem Herrschaftsantritt des Augustus (26 v. Chr.) zu datieren. Begriffe wie ”!  (6,3),  !©  (3,18) und Ž  (14,20) seien nach Scarpat erst seither verwendet worden. 71 Winston nennt darüber hinaus etwa 35 Wörter, verteilt über die gesamte Schrift, die durch die Sapientia erstmals für die griechische Literatur vor dem 1. Jh. n. Chr. belegt sind, und datiert von daher die Schrift in die frühe römische Kaiserzeit. 72 Mit Verweis auf die apokalyptisch getönten Gerichtsankündigungen in 5,16–

67

Zum inhaltlichen Vergleich zwischen Philon und der Sapientia vgl. den Essay von NIEDie Sapientia Salomonis und Philon (Anm. 26). 68 So KAISER, Weisheit Salomos (Anm. 38), 76f. 69 So WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 23f. 70 So GEORGI, Weisheit (Anm. 53), 395; OFFERHAUS, Komposition und Intention der Sapientia Salomonis (Anm. 38), 270. 71 GIUSEPPE SCARPAT, Libro della Sapienza. Testo, Traduzione, Introduzione e Commento, 2 Bde., Brescia 1989, 1996, 13–29. Die umfassenden Untersuchungen zu Wortschatz und Stil der Sapientia von KEPPER, Hellenistische Bildung im Buch der Weisheit (Anm. 56), die sich u.a. mit den zahlreichen Publikationen von Scarpat kritisch auseinandersetzt (a.a.O., 46–51), fasst NESSELRATH, Zu Sprache und Stilistik der Sapientia Salomonis (Anm. 18), 137–148, zusammen. 72 WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 22f.; er relativiert freilich selbst diesen Befund mit Verweis auf die zahlreichen Neologismen und hapax legomena der Schrift. Noch umfassender sind die Untersuchungen zum Wortschatz bei KEPPER, Hellenistische Bildung im Buch der Weisheit (Anm. 56), 39–97. HOFF,

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Einführung in die Sapientia Salomonis

23 will er noch genauer die Regierungszeit des Caligula (37–41 n. Chr.) als historischen Hintergrund identifizieren. 73 Folgt man den sprachgeschichtlichen Argumenten und verbindet sie mit dem in der Schrift erkennbaren Milieu eines stark von hellenistisch-römischen Impulsen durchdrungenen Frühjudentums, so erscheint eine zeitliche Einordnung in die frühe römische Kaiserzeit (1. Hälfte des 1. Jh. n. Chr.) am besten vorstellbar. Anklänge an frühchristliche Schriften vom Ende des 1. Jh. wie den Hebräerbrief 74 und den 1. Clemensbrief 75 erklären sich eher aus gemeinsamen Sprach- und Denkvoraussetzungen in der Septuaginta und der jüdisch-hellenistischen Literatur, können also nicht zur Bestimmung eines terminus ad quem dienen. Explizit zitiert wird die Sapientia für uns erkennbar erst bei Clemens von Alexandrien, 76 und der Kanon Muratori rechnet sie, wie wir schon sahen, unter die neutestamentlichen Schriften. Die Herkunft der Sapientia aus dem hellenistischen Diasporajudentum in Alexandria ist schon von Johannes Fichtner ausführlich begründet worden. 77 Seither wird sie in der Fachliteratur meist eher für selbstverständlich gehalten als im Einzelnen nachgewiesen. 78 Ähnlich wie bei der Datierung der Schrift sind aber mögliche Anspielungen auf ein vorausgesetztes Milieu von Autor und Adressaten jeweils zunächst auf ihre biblischen und frühjüdischen Traditionshintergründe zu überprüfen. Dass die Schrift in Kapitel 11–19 über weite Strecken das Exodus-Geschehen zum Thema hat, kann natürlich kein Hinweis auf ihre Herkunft aus Ägypten sein, schon gar nicht aus Alexandria. Dasselbe gilt für die Polemik gegen den Götzendienst (Kap. 13f.), speziell den Tierkult der Ägypter (11,15; 12,24; 15,18f.). Beides wird ja schon in der prophetischen Literatur des Alten Testaments, z.T. mit denselben Argumenten, bekämpft. 79 Solche prophetische Verurteilung orientalischer Religion fand in hellenistisch-

73

AMELING, Die jüdische Diaspora im hellenistischen Ägypten (Anm. 25), 192–194, setzt sich kritisch mit solchen Datierungskriterien auseinander. 74 Vgl. Hebr 1,3 mit Weish 7,25f. ( “ ¦©  !). 75 Vgl. 1Clem 27,5 mit Weish 11,21; 12,11. 76 Strom. 5.108.2; 6.93.2. Zur frühchristlichen Rezeption vgl. WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 66–69; WILLIAM HORBURY, The Christian use and the Jewish origins of the Wisdom of Solomon, in: Wisdom in Ancient Israel (FS J. A. Emerton), hg. v. JOHN DAY u.a., Cambridge 1995, 182–196. 77 JOHANNES FICHTNER, Weisheit Salomos, HAT 6, Tübingen 1938, 6–9; DERS., Die Stellung der Sapientia Salomonis in der Literatur- und Geistesgeschichte ihrer Zeit, ZNW 36, 1937, 113–132. Dezidiert für einen zeit- und kulturgeschichtlich erfassbaren Hintergrund der Sapientia in Alexandria plädiert BASLEZ, The Author of Wisdom (Anm. 48). 78 Eine Ausnahme bildet GEORGI, Weisheit (Anm. 53), 396, der – im Zusammenhang mit seiner Frühdatierung in ptolemäische Zeit – Syrien als Abfassungsort favorisiert. Dahinter stehen aber nicht zuletzt seine unhaltbaren religionsgeschichtlichen Konstruktionen eines angeblich frühgnostischen Ursprungs der Schrift (vgl. a.a.O., 394). 79 Vgl. Jes 2,18–21; 44,9–20; Jer 2,27f.; 10,1–16.

7. Ursprache und Textüberlieferung

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römischer Zeit überall im Frühjudentum reichlich Nachahmung bei der polemischen Anwendung auf zeitgenössische nichtjüdische Religionspraxis, nicht bloß in Ägypten oder mit Bezug auf Ägypter. 80 Kritik am Tierkult der Ägypter ist im Übrigen auch in der paganen Philosophie belegt. 81 Indizien für die Verankerung der Sapientia in einem spezifisch alexandrinischen Milieu werden vor allem in der Rezeption popularphilosophischer Termini und Topoi gesehen, die unsere Schrift besonders mit Philon verbindet. 82 Dabei wird in der jüngeren Forschung insbesondere die Nähe beider zum Mittelplatonismus herausgestellt. 83 Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die offenkundige ideelle und ideologische Nähe beider zum Mittelplatonismus noch nichts über ihre geographische Herkunft besagt. Allein schon wegen der lückenhaften Textüberlieferung einschlägiger philosophischer Werke verbietet sich das im Blick auf philosophiegeschichtliche Entwicklungen in hellenistisch-römischer Zeit. Wenn auch für Alexandria, nicht zuletzt durch Philon, die Quellenlage besonders günstig ist, so heißt das noch lange nicht, dass vergleichbare politische, kulturelle und geistige Milieus in der frühen Kaiserzeit im griechischsprachigen Diasporajudentum nicht auch andernorts vorstellbar sind, etwa in Ägypten und Nordafrika außerhalb Alexandrias, in kleinasiatischen Poleis mit starkem jüdischem Bevölkerungsanteil oder in Städten wie Antiochia in Syrien.

7. Ursprache und Textüberlieferung 7. Ursprache und Textüberlieferung Für die Restitution des griechischen Textes ist die handschriftliche Überlieferung im Rahmen der Septuaginta konkurrenzlos. 84 Die gelegentlich vertretene Annahme, der erste Teil (Kap. 1–5) oder Teile daraus gingen auf semitische Vorlagen zurück, 85 hat keine philologisch begründeten Argumente für sich; die

80 Beispiele für Polemik gegen den Tierkult bieten nicht nur die in Alexandria beheimateten Philon (Decal 76–80; LegGai 163) und der Aristeasbrief (EpArist 138), sondern ebenso Josephus (Ap 2,139) und die Sibyllinischen Orakel (Sib 3,29–32). Vgl. dazu ROLF DABELSTEIN, Die Beurteilung der „Heiden“ bei Paulus, BET 14, Frankfurt a. M. u.a. 1981. 81 Vgl. Anaxandrides, Fragment 40 K-A; Cicero, Tusculanae V,78; Plutarch, De Iside et Osiride 380AB; Juvenal, Satiren 15,1–3; Strabo, Geographika XVII, 38.40.44. 82 Vgl. dazu die Aufstellungen bei WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 59–63, sowie BLISCHKE, Eschatologie in der Sapientia Salomonis (Anm. 32), 203–223. 83 Solche Bezüge habe ich näher dargestellt in NIEBUHR, Die Sapientia Salomonis im Kontext hellenistisch-römischer Philosophie (Anm. 35), 228–231. 84 S. dazu im Einzelnen JOSEPH ZIEGLER, Sapientia Salomonis, Göttingen 21980, 7–35; GILBERT, Sagesse de Salomon (Anm. 38), 58–65. 85 Vertreter dieser These nennt WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 17f. Besonders elaboriert ist der Versuch von LOTHAR RUPPERT, Gerechte und Frevler (Gottlose) in Sap 1,1–6,21. Zum Neuverständnis und zur Aktualisierung alttestamentlicher Tradition in der Sapientia

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Einführung in die Sapientia Salomonis

einheitliche griechische Sprachgestalt der gesamten Schrift spricht eher dagegen. Eine jüdische Rezeption der Schrift in der Antike ist nicht belegt. Die Vetus Latina ist ein früher Zeuge für ihre Übersetzung und Verbreitung in christlichen Leserkreisen der westlichen Kirche seit dem 2. Jh. n. Chr., 86 trägt aber ebenso wie die Vulgata zur Rekonstruktion des griechischen Urtextes wenig bei. Dasselbe gilt für die weiteren antiken Versionen (syrisch, koptisch, äthiopisch, armenisch, arabisch), die im Rahmen der Bibelüberlieferung entstanden sind. 87

8. Bedeutung 8. Bedeutung Die Bedeutung der Sapientia Salomonis liegt in erster Linie darin, dass sie uns das geistig-kulturelle und religiöse Milieu des antiken Judentums vor Augen führt, in dem das Christentum entstanden ist. Folgt man den ältesten und allein erhaltenen Quellen für das Christentum im 1. Jh., so tritt uns in ihnen eine religiöse Bewegung entgegen, deren Sprache das Griechische ist, deren religiöse Grundlagen die biblisch-jüdischen Überlieferungen bilden, deren kulturelle und geistige Prägungen in der Welt des Hellenismus grundgelegt wurden und deren sozialpolitische Rahmenbedingungen durch die Gegebenheiten der frühen römischen Kaiserzeit bestimmt sind. Alle diese Bestimmungen gelten im Grunde genauso für die Sapientia Salomonis. Sie ist sozusagen der nächste Verwandte der Schriften des Neuen Testaments. Darüber hinaus trägt die Sapientia erheblich dazu bei, die spezifischen Überzeugungen des frühen Christentums besser zu verstehen und in ihren antiken Ursprungshorizont einzuzeichnen. Ohne dass die Autoren der neutestamentlichen Schriften (möglicherweise mit Ausnahme des Paulus) die Sapientia als literarisches Werk kannten und benutzten, konnten sie doch auf religiöse Vorstellungen und theologische Konzeptionen zurückgreifen, die sich in ihr bereits ausgebildet haben. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Rezeption popularphilosophischer Begriffe und Denkweisen bei der Erfassung des Wirkens und der Wirklichkeit Gottes, bei der zeitgemäßen Artikulierung ethischer Maßstäbe und bei der Ausgestaltung von Zukunftserwartungen im Blick auf Gottes endzeitliches Gerichts- und Gnadenhandeln. Man wird daher sagen können, dass Salomonis, in: HANS HÜBNER (Hg.), Die Weisheit Salomos im Horizont Biblischer Theologie, BThSt 22, Neukirchen-Vluyn 1993, 1–54, der aus 2,12–20 und 5,1–7 ein ursprünglich hebräisches apokalyptisierendes Flugblatt rekonstruieren will, das bei seiner Übersetzung ins Griechische von Jes 57,7–10 LXX beeinflusst wurde, bevor es in einem mehrstufigen Bearbeitungsprozess seinen endgültigen Platz im literarischen Zusammenhang der Sapientia fand. 86 WALTER THIELE, Sapientia Salomonis, Vetus Latina 11/1, Freiburg 1985. Tertullian, Adv. Valentinianos 2.2, verweist explizit auf unsere Schrift. 87 Zu den Versionen vgl. WINSTON, Wisdom (Anm. 38), 64–66.

8. Bedeutung

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ohne die theologischen Entwicklungen im Frühjudentum, die sich in der Sapientia niedergeschlagen haben, die christliche Theologie nicht zu dem geworden wäre, was sie in Grundzügen erkennbar seit dem 2. Jh. n. Chr. geworden ist. Schließlich sollte die Sapientia auch von den nicht unmittelbar auf die Bibel und das frühe Christentum konzentrierten altertumswissenschaftlichen Disziplinen stärker als bisher wahrgenommen werden, denn sie gibt Einblick in die vielfältige und stark fraktionierte religiöse Welt der hellenistisch-römischen Antike in der frühen Kaiserzeit. Man wird wohl ohne Übertreibung sagen dürfen, dass in dieser Zeit die Grundlagen für geistesgeschichtliche Entwicklungen gelegt wurden, die über die Spätantike, das Mittelalter und die Neuzeit bis in die europäische Gegenwart hineinreichen. Die Rezeption biblisch-jüdischer Überlieferungen im frühen Christentum und ihre theologische Verarbeitung mit den Mitteln der griechisch-römischen Geisteswelt(en) führten zu einem Innovationsschub in der Spätantike, ohne den der Fortgang der europäischen (einschließlich der byzantinisch-osteuropäischen!) Geistesgeschichte in Mittelalter und Neuzeit schlicht unplausibel bleiben müsste. Zu erforschen, „was Weisheit ist und wie sie entstand“ (6,22), gehört zu den universalen Antrieben und Anliegen einer wahrhaft ‚humanistischen‘ Wissenschaft, die gerade darin ‚human‘ ist, dass sie das Fragen nach Gott nicht von vornherein aus dem Fragen nach dem Menschen ausklammert. Die Sapientia Salomonis hat von ihren Ursprüngen im antiken Judentum an über ihre Aufnahme in die christliche Bibel und den kirchlichen Gebrauch bis hinein in heutige Reflexionen über Gesellschaftsentwürfe, die dem Menschen entsprechen und gerecht werden, einen ehrenwerten Platz verdient.

Ethik und Tora Zum Toraverständnis in Joseph und Aseneth John Barclay hat in seiner umfassenden Darstellung zum mediterranen Diasporajudentum die Schrift Joseph und Aseneth unter der Überschrift „Cultural Antagonism“ abgehandelt. 1 Damit ordnet er sie innerhalb eines Spektrums, das nach dem Grad der Integration jüdischen Lebens in die Zivilisation der umgebenden hellenistischen Mehrheitsgesellschaft der antiken Mittelmeerwelt gegliedert ist und von Assimilation über Akkulturation und Akkomodation bis zur strikten Abgrenzung reicht, relativ weit an demjenigen Rand an, der sich durch Polemik und Propaganda gegen alles Nichtjüdische profiliert. 2 Solche Profilierung dient in der Regel der Stärkung eines angeschlagenen Selbstbewusstseins und zielt in erster Linie auf die eigenen Leute, die es ‚bei der Stange zu halten‘ gilt. Ihnen erscheinen die traditionell vertretenen Überzeugungen oder Denkgewohnheiten nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar, zumal wenn sie außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft mit Vorstellungen und Argumenten konfrontiert werden, die durchaus ihre je eigene Attraktivität aufweisen. Demgegenüber wollen die Propagandisten der Abgrenzung das Bewusstsein für den Wert der eigenen Traditionen schärfen, und wenn das nicht auszureichen scheint, denjenigen der Traditionen der ‚anderen‘ herabsetzen. 3 Eine derartige Strategie findet freilich in der Regel wenn überhaupt, dann allenfalls bei einem Teil der eigenen Anhänger Abnehmer. Die von der Polemik betroffenen Außenstehenden werden jedenfalls eher mit Unverständnis und mit – von dritter Warte aus betrachtet – durchaus nachvollziehbarer Entrüstung über eine solche Verzeichnung ihrer eigenen Positionen reagieren, wenn sie überhaupt davon Notiz nehmen. Dass Joseph und Aseneth hinsichtlich des Grades der Integration in die hellenistisch-römische Welt eher auf den radikalen Abgrenzungsflügel gehört, 1

JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996, 204–216. Joseph und Aseneth kommt hier neben Weish, 3Makk und 3Sib zu stehen, vgl. a.a.O., 181–228. 2 BARCLAY, a.a.O., 204: „… the use of a Hellenistic form to launch a stinging attack on Hellenistic religion“; 207: „It so reshapes the genre as to issue in propaganda fiercely antagonistic to all non-Jewish religion.“ 3 Zur Funktion von Grenzziehungen bei der Herausbildung und Stärkung der Identität religiöser Gruppen vgl. JUDITH M. LIEU, Christian Identity in the Jewish and Graeco-Roman World, Oxford 2004, 98–146.

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Ethik und Tora

war freilich bisher kaum im Blick, konnte man doch mit Recht auf die kräftige Rezeption von hellenistischen Motiven, Topoi, sprachlichen Gestaltungsmustern bis hin zur Gattung der Schrift als ganzer verweisen, die sie, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Sprachgestalt, eindeutig als Produkt des hellenistischen Judentums ausweisen. Gerade die reflektierte Differenzierung Barclays hat uns aber gelehrt, hier genauer hinzusehen und nach Textstrategien und Wertmustern zu suchen, die eine exaktere Erfassung der historischen Einordnungen und Aussageintentionen jedes einzelnen Textes ermöglichen. Ein Maßstab dafür, der hier im Mittelpunkt stehen soll, ist die spezifische Gestalt der Torarezeption dieser jüdisch-hellenistischen Schrift. Nun ist schon durch das Sujet des Textes, die Möglichkeit einer Ehe zwischen einem Juden und einer Nichtjüdin, ein wesentlicher Anwendungsbereich der Tora betroffen, für den Fragen von Integration und Abgrenzung einer jüdischen Gruppe gegenüber der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft konstitutiv sind. Auch die Problematik der Möglichkeit des miteinander Essens angesichts einschlägiger Bestimmungen der Tora zu Speisefragen, die in der Schrift narrativ ausgestaltet wird (vgl. 7,1), verdankt sich zunächst einmal dem Erzählstoff. Es wird sich aber zeigen, dass neben solchen auf der Erzähloberfläche verhandelten konkreten Problemen des Toragehorsams, unter denen an erster Stelle die Abgrenzung von heidnischer Religion rangiert, auch noch weitere Topoi, Formen, Themen und Stichwörter den Text prägen, die für die frühjüdische Torarezeption charakteristisch sind und in ihrer spezifischen Zusammenordnung in Joseph und Aseneth das besondere Profil dieser Schrift erkennen lassen, das ihre Einordnung in das Spektrum frühjüdischer Möglichkeiten in der hellenistisch-römischen Mittelmeerwelt präzisieren hilft.

1. Zur Bedeutung der Tora in Joseph und Aseneth 1. Zur Bedeutung der Tora in Joseph und Aseneth Fragen wir nach der Bedeutung der Tora in Joseph und Aseneth, so ist zunächst festzustellen, dass explizite oder implizite Zitate von Geboten der Tora fehlen, wie überhaupt Schriftzitate nirgendwo im Text vorkommen. Dies bestätigt freilich nur einen ganz ähnlichen Befund in dem weit überwiegenden Teil der jüdisch-hellenistischen Literatur, im Unterschied zu manchen Texten aus Qumran oder auch zu vielen der neutestamentlichen Schriften. Die Tora wird in aller Regel in frühjüdischen Schriften nicht durch Zitierung ihres Wortlautes vergegenwärtigt, sondern durch andere Formen der Intertextualität wie die Zusammenstellung inhaltlich verwandter Gebote zu Weisungsreihen, die Auswahl und Akzentuierung paränetischer Schwerpunktthemen, die aktualisierende Neuformulierung wesentlicher Einzelforderungen, aber auch die erzählerische

1. Zur Bedeutung der Tora in Joseph und Aseneth

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Ausgestaltung charakteristischer von der Tora geforderter Haltungen oder Verhaltensweisen. 4 Beachtet man diese vielfältigen Möglichkeiten der Torarezeption im Frühjudentum, so wird man in Joseph und Aseneth über explizite Bezugnahmen auf Forderungen der Tora hinaus auch auf solche Formen einer eher indirekten Intertextualität zu achten haben. Schon ein erster Durchgang durch den Text ergibt, dass direkte Aufforderungen zum Gehorsam gegenüber der Tora als ganzer bzw. zum Halten ihrer Gebote in Joseph und Aseneth fehlen. Das Stichwort — kommt überhaupt nicht vor, das ganze Wortfeld relativ selten. Von „Vergehen“ ( ™ ) ist nur in Aseneths Selbstreflexion 5 und ihrem Sündenbekenntnis die Rede. 6 Das Wort steht hier weitgehend synonym mit Sünde und Gottlosigkeit und lässt keinen spezifischen Bezug auf die Tora erkennen. Auch „Gebot“ wird nur unspezifisch für Weisungen verwendet, die verschiedene Urheber haben können, 7 nicht als Ausdruck für Einzelgebote der Tora. Einzelmahnungen in Form von Geboten bzw. imperativischen Weisungen finden sich kaum. Die Gattung der fiktionalen Erzählung wird auch bei Bezugnahmen auf Inhalte der Tora nicht gesprengt. Die biblische Erzählchronologie, nach welcher die Josefsgeschichte vor der Sinai-Offenbarung der Tora zu stehen kommt, wird also gewahrt. 8 Das hat zur Folge, dass paränetische Inhalte oder Intentionen der frühjüdischen Torarezeption vor allem dadurch zur Sprache gebracht werden müssen, dass sie den in der Erzählung handelnden Personen in den Mund gelegt oder zu ihrer charakterisierenden Beschreibung verwendet werden. Dies geschieht nun freilich über die ganze Erzählung hinweg, so dass sich keine Textteile herausgreifen lassen, die etwa in besonderer Weise als Belege für die Rezeption bestimmter Teile der Tora angesehen werden könnten. 9 Zwar gibt es längere Passagen, in denen solche charakterisierenden Beschreibungen relativ dicht aufeinander folgen wie etwa die Exposition der Erzählung in Kapitel 1–4 oder die Begegnungsszenen in Kapitel 7f., während sie z.B. in der ausführlichen 4

Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987. 5 11,10: „Gott, der die Sünde eines niedrigen Menschen nicht anrechnet und die Ungesetzlichkeit eines betrübten Menschen in der Stunde seiner Trübsal nicht tadelt“; 11,17: „… dass mir der Herr nicht zürnt, weil ich seinen heiligen Namen in meinen Vergehen angerufen habe“. 6 12,3f. 7 7,5: Weisungen des Vaters Jakob an Joseph; 12,2: Weisungen des Schöpfers an seine Geschöpfe (in diesem Fall: die Steine!); 18,5: Weisungen des himmlischen Menschen an Aseneth. 8 Vgl. zu einem ähnlichen Phänomen in 2Hen NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 4), 192–194. 9 Das ist in anderen Zeugnissen frühjüdischer Literatur wie z.B. in PseudPhok oder in den TestXII deutlich anders, vgl. dazu NIEBUHR, a.a.O., passim.

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Ethik und Tora

Schilderung von Aseneths Begegnung mit dem himmlischen Menschen in Kapitel 14–17 weitgehend fehlen. Aber auch in den Erzählteilen, die stark von solchen paränetischen Charakterisierungen durchsetzt sind, werden diese bruchlos in den Erzählzusammenhang und seine sprachliche Ausgestaltung eingebaut, so dass sie sich weder mit sprachlichen Argumenten noch aufgrund inhaltlicher Inkongruenzen aus ihrem Kontext isolieren lassen. Eine formgeschichtliche Analyse von Joseph und Aseneth mit dem Ziel, hier vorliterarische Traditionsstücke der frühjüdischen Toraparänese zu identifizieren oder gar zu rekonstruieren, wäre daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. Gleichwohl verwendet der Autor bestimmte erzählerische Mittel zur Charakteristik des Ethos seiner Personen und hebt zudem auch wenigstens eine spezifische Spruchform durch Wiederholung hervor, die ihm offenbar besonders geeignet zur Zeichnung eines Ethos erscheint, das der Tora entspricht. Als häufigste Form der beschreibenden Personencharakteristik begegnet die Bildung von Reihen attributiver Prädikate von zwei oder mehr Gliedern, die besondere Spruchform ist die Bildung von Sätzen über das, was einem gottverehrenden Menschen ziemt bzw. nicht ziemt.

2. Beschreibende Charakterisierungen 2. Beschreibende Charakterisierungen Gleich in der Exposition werden die drei Hauptfiguren der Erzählung durch solche reihenartigen Benennungen ihrer ethischen Qualitäten charakterisiert. Als erster Pentephres: Er war nicht bloß ein hoher Beamter des Pharao und ungeheuer reich, sondern auch „klug und von milder Gesinnung“ (1,3). Aseneth, seine Tochter, war natürlich, wie es der Erzählverlauf verlangt, in erster Linie schön, aber darüber hinaus, da sie jeden Mann verachtete, auch „prahlerisch und hochmütig“ (2,1). Joseph dagegen wird bei seinem ersten Auftritt nicht bloß als „Starker Gottes“ und „Herrscher über das ganze Land Ägypten“ vorgestellt, sondern zugleich als „gottverehrender und keuscher Mann … kraftvoll an Weisheit und Wissen“ (4,7). Im weiteren Erzählverlauf werden diese Charakteristiken (allerdings nur für Joseph und Aseneth) vervollständigt. Aseneth gerät zunächst angesichts des Heiratsvorschlags ihres Vaters in leidenschaftlichen Zorn (4,9) und antwortet ihm „trotzig und mit Großtuerei und Zorn“ (4,12). Aufgrund ihrer Begegnung mit Joseph erkennt sie sich aber dann selbst als „töricht und trotzig“ (6,3), weil sie Joseph für nichts geachtet und böse Worte gegen ihn geredet hatte, ein Vorwurf, den sie sich an dieser Stelle gleich mehrfach 10 und auch später ähnlich noch zweimal macht (13,13; 17,10). In ihrem großen Sündenbekenntnis in Kapitel 12f. bekennt Aseneth:

10

Allein dreimal ØË  “”! in 6,3–7.

2. Beschreibende Charakterisierungen

497

Auch ich … die einst hochfahrend und hochmütig war, die ich Überfluss an meinem Reichtum hatte, mehr als alle Menschen, bin aber jetzt eine Waise … (12,5)

Ganz ähnlich charakterisiert sie sich schließlich in ihrem Bekenntnislied 21,10–21 noch zweimal: Verwöhnt im Hause ihres Vaters lebend war sie eine „prahlerische und hochmütige Jungfrau“ (21,12). Ich vertraute ja auf den Reichtum meines Ansehens und auf meine Schönheit und war prahlerisch und hochmütig. (21,16)

Joseph dagegen erwies sich nicht nur als gottverehrend, indem er sich gegen den Kuss einer fremden Frau wehrte, sondern war zugleich angesichts der Tränen in den Augen der so Zurückgewiesenen auch wieder „sanftmütig“ und „mitleidig“ (8,8). Auch in den Augen Aseneths erscheint er nun, im Gegensatz zu ihrem früheren Irrtum, nicht nur als von vollendeter Schönheit, sondern auch voller „Weisheit, Tugend und Kraft“ (13,14). Charakteristisches Formmerkmal dieser Charakterisierung von Hauptgestalten der Erzählung ist somit die Aneinanderreihung von oft mit ™ verbundenen attributiven Prädikaten. Nicht maßgeblich ist dagegen, ob sie vom Erzähler formuliert werden oder im Munde der Gestalten der Erzählung begegnen, sei es als Selbstcharakterisierung oder als Beschreibung einer anderen Erzählgestalt. Sie lassen sich also nicht formgeschichtlich vereinheitlichen, sondern der Erzähler verfügt über das Mittel solcher ethischen Charakterisierungen und setzt es ganz nach den Prinzipien und Intentionen seiner jeweils gewählten Erzähltechnik ein. Das zeigt sich auch daran, dass einzelne dieser Prädikate gelegentlich unabhängig voneinander und in anderen Zusammenhängen zur ethischen Charakterisierung verwendet werden können. So bekennt z.B. Aseneth, dass Joseph sie erniedrigt habe von ihrem Hochmut (21,21). Ebenso habe Joseph sie wiederum mit seiner Schönheit gefangen und mit seiner Weisheit überwältigt (ebd.). Der Zorn Aseneths angesichts der Heiratspläne ihres Vaters für sie wird schon in 4,9 äußerst plastisch ausgemalt: Ihr „Gesicht“ wurde „von tiefer Röte überzogen, und sie geriet in leidenschaftlichen Zorn“. Nicht nur Joseph, sondern auch Levi spricht dagegen ohne Zorn und „mit Sanftmütigkeit des Herzens“ (23,10; vgl. 8,8). Zorn ist dann einer der paränetischen Topoi im zweiten Teil der Erzählung, wo er vor allem an den Brüdern Josephs positiv (Levi) und negativ (Simeon) veranschaulicht wird (23,7–10; vgl. 25,7; 28,7.17). 11 Daneben steht dort der Neid als verborgenes, den Konflikt zwischen Joseph und seinen Brüdern auslösendes und begleitendes Motiv. Die Söhne Zilpas und Bilhas waren gegenüber ihren Brüdern „neidisch und ihnen feindlich gesonnen“ (22,11; 24,2). Insgesamt aber bleiben solche Themen eher vereinzelt und werden nicht viel weiter entfaltet. Die Paränese in Joseph und Aseneth wird also vorwiegend

11

28,15 ist textkritisch sekundär.

498

Ethik und Tora

durch beschreibende Personencharakteristik mit Hilfe von attributiven Reihenbildungen ausgestaltet. Solche charakterisierende Beschreibung von biblischen Gestalten als Verkörperungen ethischer Topoi ist ein beliebtes Mittel frühjüdischer Toraparänese, wie es sich besonders plastisch in den Testamenten der Zwölf Patriarchen zeigt, wo jedem der Patriarchen jeweils eine besondere Tugend bzw. ein Laster zugewiesen wird, die dann in den betreffenden paränetischen Abschnitten exemplarisch entfaltet werden. 12 Sie ist aber keineswegs exklusiv aus einem spezifisch jüdischen paränetischen Gebrauch herzuleiten, sondern zeigt vielmehr besonders eindrücklich, wie sich die frühjüdische Toraparänese verbreiteter literarischer Mittel der hellenistisch-römischen Popularphilosophie bedienen kann. So lassen sich etwa von den paränetischen Themen und Topoi der Testamente der Zwölf Patriarchen her leicht Verbindungen zu zahlreichen der Traktate von Plutarchs Moralia herstellen, wenngleich die Gattungsunterschiede zwischen beiden Werken unübersehbar sind. 13 Das gleiche gilt mit Blick auf Philon von Alexandrien, in dessen Werken die Toraparänese sicherlich lediglich eine, wenn auch eine nicht zu übersehende Intention neben anderen war. Auf einem noch einmal anderen Darstellungsniveau ist die Konzeption eines ª› —© bzw. eines ª£ — zu verorten, in der sich, jedenfalls in ihrer Rezeption bei Philon, hellenistisch-popularphilosophische Denkmodelle (stoische, mittelplatonische und pythagoreische) und frühjüdische, auf die Vergegenwärtigung der Tora ausgerichtete Intentionen begegnen und vermischen. 14

3. Sätze über das Geziemende 3. Sätze über das Geziemende Als besonders auffällige paränetische Sprachform begegnet daneben in Joseph und Aseneth eine Anzahl von prägnant formulierten Sätzen, die ausdrücken, was sich für einen frommen Menschen gehört und was nicht. 15 Sie werden in 12 Zur paränetischen Intention der TestXII vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 4), 82f.152–166; zu Joseph als einem paränetischen Modellcharakter vgl. HARM W. HOLLANDER, Joseph as an Ethical Model in the Testaments of the Twelve Patriarchs, SVTP 6, Leiden 1981. 13 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, „Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora“, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50: 33–42 [in diesem Band 149–173]. 14 Vgl. dazu MATT A. JACKSON-MCCABE, Logos and Law in the Letter of James. The Law of Nature, the Law of Moses, and the Law of Freedom, NT.S 100, Leiden 2001, 29– 133. 15 Vgl. zum Folgenden GERHARD DELLING, Die Kunst des Gestaltens in ‚Joseph und Aseneth‘, NT 26, 1984, 1–42: 33f. (= in: DERS., Studien zum Frühjudentum. Gesammelte

3. Sätze über das Geziemende

499

der Regel eingeleitet mit der Wendung ˜ ª “”  bzw. ˜ “”Ë  und benennen anschließend das nicht geziemende Verhalten. Es handelt sich dabei durchweg um Negationen von unrechtem Tun. Mit der Einführungswendung der betreffenden Sätze klingt vernehmbar ein Grundbegriff stoischer Ethik an, der Verweis auf das  , das geziemende Tun, wie es der Natur entspricht. 16 Zwar finden sich für die zitierte Wendung keine exakten Parallelen, aber „der Ausdruck entspricht fixierter Redeweise im philosophischen Bereich mit ˜ Ë  bzw. ˜  “. 17 Die ersten beiden dieser Sätze werden von Joseph gesprochen und stellen das Handeln eines Mannes gegenüber einer Frau bzw. einer Frau gegenüber einem Mann in genauer Entsprechung zueinander dar: Es geziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann … eine fremde Frau zu küssen … (8,5) Ebenso wenig ziemt es sich für eine gottverehrende Frau, einen fremden Mann zu küssen … (8,7)

Ein weiterer Satz betrifft ebenfalls das sexuelle Gegenüber von Mann und Frau; Sprecher ist auch hier wieder Joseph: Es ziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann, vor seiner Hochzeit mit seiner Braut zu schlafen. (21,1)

Die drei restlichen Sätze betreffen dagegen das Meiden von Unrecht und die Vergeltung zwischen Männern; Sprecher ist hier jeweils Levi: Auch wir sind gottverehrende Männer, und es geziemt sich nicht für uns, Böses mit Bösem zu vergelten. (23,9) Es geziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann, einem Menschen auf irgendeine Weise Unrecht zu tun. (23,12) … denn wir sind gottverehrende Männer, und es geziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann, Böses mit Bösem zu vergelten … (29,3)

Nimmt man diese Sätze zusammen, dann ergibt sich daraus zwar nicht schon ein ganzer ‚Katechismus‘ vorbildlich-jüdischen Verhaltens, wohl aber eine Reihe von charakteristischen Verhaltensweisen, die so etwas wie ein Ethos jüdischen Lebens in der Diaspora erkennen lassen. Zusammengenommen könnten sie als paränetische Reihe angesehen werden, in der zentrale Verhaltensregeln aus dem Bereich der Sexualethik und des sozialen Miteinanders zusam-

Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000, 257–294: 285f.); CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, Gütersloh 1983, 577–735: 611ff.; NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos (Anm. 13), 38f. 16 Vgl. dazu MAXIMILIAN FORSCHNER, Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System, 2., durchges. und um ein Nachwort und einen Literaturnachtr. erw. Aufl., Darmstadt 1995, 184–196. 17 DELLING, Die Kunst des Gestaltens (Anm. 15), 34 (= Ges. Aufs., 286).

500

Ethik und Tora

mengestellt und durch die einleitende Wendung dem Willen Gottes für ein gottverehrendes Leben nach dem Maßstab der Tora unterstellt werden. Allerdings hat der Autor eine solche paränetische Weisungsreihe 18 nun eben gerade nicht gebildet! Vielmehr begegnen die Einleitungswendungen über das Geziemende nicht nur im Munde unterschiedlicher Sprecher, sondern auch in verschiedenen Textzusammenhängen und sind kombiniert mit Aussagen über das Verhalten eines „gottverehrenden Mannes“, das auch ohne solche Wendungen beschrieben werden kann.

4. Der gottverehrende Mann 4. Der gottverehrende Mann So steht zwischen dem Satzpaar über das Küssen und mit ihm unmittelbar syntaktisch verknüpft eine imperativische Aussage über das rechte Verhalten des gottverehrenden Mannes gegenüber seinen weiblichen Verwandten: Sondern ein gottverehrender Mann soll seine Mutter küssen sowie die Schwester, die von seiner Mutter ist, und seine Schwester, die von seinem Stamm und seiner Verwandtschaft ist, und die Frau, die seine Beischläferin ist … (8,6)

Das Wort Josephs über den nicht ziemlichen Geschlechtsverkehr vor der Hochzeit erklärt sich unmittelbar aus der gerade erreichten Situation der Erzählung. Es erhöht zudem für die Leser die Spannung mit Blick auf eine zu erwartende Schilderung der Hochzeitsnacht, eine Erwartung, die dann freilich durch deren eher knappe Erwähnung (21,9) und das anschließende sehr viel ausführlichere Bußgebet der Aseneth – jedenfalls an den Möglichkeiten eines antiken Romans gemessen – vielleicht doch nicht ganz erfüllt wird. Auch die drei Sätze über den Verzicht auf Gewaltanwendung und Vergeltung sind eng in den Erzählablauf eingebunden und erklären sich erst aus ihm heraus. Das wird schon an dem freien Umgang mit der Einleitungswendung erkennbar, die zweimal dem Handlungsverlauf der Erzählung sprachlich angepasst wird. 19 Es handelt sich also bei solchen Sätzen über den gottverehrenden Menschen nicht um traditionell vorgegebene und sprachlich schon vorab fixierte paränetische Überlieferungsstücke, sondern um ein Stilmittel des Autors, mit dem er ein vorbildliches Verhalten charakterisiert, das er innerhalb seiner Erzählung zugleich narrativ veranschaulichen und sprachlich prägnant auf den Punkt bringen möchte.

18 Zur konventionellen Toraparänese mit Hilfe solcher Weisungsreihen vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 4), passim. 19 23,9: „Auch wir sind gottverehrende Männer, und es geziemt sich nicht für uns …“; 29,3: „denn wir sind gottverehrende Männer, und es geziemt sich nicht …“ (Hervorhebungen jeweils Niebuhr).

4. Der gottverehrende Mann

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Dieses Urteil wird bestätigt durch die Verwendung des Prädikats „gottverehrend“ auch unabhängig von solchen negativ formulierten Aussagesätzen über das Geziemende. So wird Joseph gleich bei seiner Einführung (auch) als gottverehrend beschrieben (4,7). Sein Wort über das rechte Verhalten des gottverehrenden Mannes gegenüber seinen weiblichen Verwandten (8,6) wurde bereits zitiert. Zwischen den beiden Sätzen, die das Vergelten als nicht geziemend benennen, beansprucht Levi für sich und seine Brüder: Auch wir sind gottverehrende Männer, unser Vater ist ein Freund des höchsten Gottes und Joseph, unser Bruder, ist wie der erstgeborene Sohn Gottes. (23,10)

Ebenso führt er den Grundsatz, dass ein gottverehrender Mann niemandem Unrecht tut, ganz dem Erzählzusammenhang entsprechend weiter: Wenn aber jemand einem gottverehrenden Mann Unrecht tun will, wird ihm jener gottverehrende Mann nicht beistehen, weil kein Schwert in seinen Händen ist. (23,12)

Und der Grundsatz, nicht Böses mit Bösem zu vergelten, wird auch an den gottverehrenden Brüdern der verräterischen Söhne Bilhas und Zilpas erzählerisch veranschaulicht, ohne dass ihr Verhalten dabei ausdrücklich als „geziemend“ bezeichnet wird. Gleich dreimal bringt Aseneth selbst diese Maxime zur Sprache: 20 Seid guten Mutes und fürchtet euch nicht vor euren Brüdern, denn sie sind gottverehrende Männer und fürchten Gott und respektieren jeden Menschen. (28,7) Ich bitte euch, verschont eure Brüder und tut ihnen nicht Böses für Böses. (28,10) Niemals, Bruder, sollst du Böses für Böses tun. (28,14)

Dieselben ethischen Ideale, die mit Hilfe der geprägten Einleitungswendung als dem gottverehrenden Mann geziemend dargestellt werden, können also auch unabhängig von einer solchen Wendung und den mit ihr eingeleiteten Sätzen benannt werden. Nicht traditionelle Formen oder vorgeprägte ethische Mahnungen bestimmen die Paränese in Joseph und Aseneth, sondern die mit verschiedenen sprachlichen Mitteln benannten und im erzählten Geschehen veranschaulichten Verhaltensweisen der Protagonisten. Diese freilich stehen in enger Verbindung zu paränetischen Inhalten und Traditionen, die in anderen frühjüdischen Schriften ausdrücklich der Toraparänese zugeordnet werden können. Das gilt sowohl für paränetische Leitbegriffe wie z.B. das Stichwort „gottverehrend“ 21 als auch für einzelne in Joseph und Aseneth begegnende

20

28,5, wo auch die Maxime selbst ausdrücklich den Brüdern als „gottverehrenden Männern“ zugesprochen wird, ist textkritisch sekundär. 21 Vgl. die Belege bei DIETER SÄNGER, Jüdisch-hellenistische Missionsliteratur und die Weisheit, Kairos 23, 1981, 231–243: 238, Anm. 50.

502

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paränetische Topoi wie Hochmut, 22 Neid, 23 Zorn 24 oder auch Sanftmut. 25 Erst über eine solche traditionsgeschichtliche Zuordnung lassen sich auch die paränetischen Motive in Joseph und Aseneth als Mittel der frühjüdischen Toraparänese identifizieren.

5. Mann und Frau intim 5. Mann und Frau intim Eng mit dem unmittelbaren Sujet der Erzählung verknüpft und ihrem Hauptanliegen untergeordnet sind alle Bezugnahmen auf den Bereich von Sexualität und Ehe. Sie begegneten uns schon in einzelnen der Sätze über das Geziemende (8,5.7; 21,1) und über das Ideal des gottverehrenden Mannes (8,6). Verstärkt wird das strenge, geradezu prüde Sexualethos der Schrift 26 durch die Herausstellung der Jungfräulichkeit beider Protagonisten vor ihrer Ehe. Aseneth war nicht bloß Jungfrau, sondern verabscheute sogar jeden Mann, und kein Mann hatte sie jemals gesehen (2,1; 7,7f.; 21,17f.). Dasselbe gilt für die sieben Jungfrauen, mit denen sie aufgewachsen war und lebte (2,6). Nicht einmal ohne sie hatte in ihrem Bett jemals zuvor ein Mann oder eine Frau geschlafen (2,9). Ebenso ist auch Joseph vor seiner Begegnung mit Aseneth „unberührt“ wie sie, und „hasst jede fremde Frau“, wie auch sie „jeden fremden Mann hasst“ (8,1). Zwar unterstellt Aseneth ihm in ihrem hochmütigen Zorn, er sei „auf frischer Tat ertappt worden, als er mit seiner Herrin schlief“ (4,10). In Wirklichkeit aber fürchtet Joseph jegliche Belästigung durch Frauen, weil ihm sämtliche Frauen Ägyptens nachstellen, um mit ihm zu schlafen (7,2–6). Er aber hält sich strikt an die Weisung 27 seines Vaters Jakob: Hütet euch sehr, meine Kinder, vor einer fremden Frau, (nämlich davor) mit ihr Gemeinschaft zu haben. (7,5)

Damit ist klar, dass die strenge Sexualaskese Josephs vor allem der Abgrenzung gegenüber der nichtjüdischen Frau, der ©¡ ”™ , dient. Am aus-

22

Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 4), 94f.177 und passim. Vgl. dazu NIEBUHR, a.a.O., 131.178 und passim. 24 Vgl. dazu NIEBUHR, a.a.O., 117f.178 und passim. 25 Vgl. z.B. Weish 2,19; Jak 3,17, dazu CESLAS SPICQ, Notes de Lexicographie néotestamentaire, OBO 22, Fribourg/Göttingen 1978, Bd. 1, 263–267. 26 Vgl. nur die Schilderung der einzigen Liebesszene in 19,10–20,1 und die ganz ‚biblisch‘ klingende Erwähnung des Vollzugs der Ehe in 21,9. Zur Haltung der Schrift gegenüber Sexualität und Erotik vgl. CHRISTOPH BURCHARD, „Küssen in Joseph und Aseneth“, JSJ 36, 2005, 316–323. 27 Die einzige ausdrücklich als Gebot formulierte Mahnung der ganzen Schrift! Vgl. die sehr viel häufigere Verwendung dieser Mahnungsform in den testamentarischen Mahnreden der TestXII, dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 4), 105f. 23

5. Mann und Frau intim

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führlichsten wird dies erzählerisch ausgestaltet bei der ersten Begegnung zwischen Joseph und Aseneth (8,5–7). Die hier durchaus einmal anklingende Erotik der Szene wird ganz und gar übertönt von der Ernüchterung angesichts der scharfen Ablehnung des Kusses durch Joseph und deren Begründung: Es geziemt sich nicht für einen gottverehrenden Mann, der mit seinem Mund den lebendigen Gott segnet und gesegnetes Brot des Lebens isst und den gesegneten Kelch der Unsterblichkeit trinkt und sich mit gesegneter Salbe der Unvergänglichkeit salbt, eine fremde Frau zu küssen (›  © ™  ”™ ), die mit ihrem Mund tote und stumme Götterbilder segnet und von ihrem Tisch Brot des Erwürgens isst und aus ihrem Trankopfer den Kelch der Hinterlist trinkt und sich mit Salbe des Verderbens salbt. (8,5)

Auch die folgende positive Mahnung, allein die Stammesverwandten und die (zweifellos allein aus ihnen zu wählende) Ehefrau zu küssen (8,6), ebenso wie die Bezeichnung des Küssens einer fremden Frau bzw. eines fremden Mannes als „Greuel“ (Ž© ) bestätigt, dass es hier in erster Linie darum geht, das Verbot jeglicher sexueller Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden einzuschärfen. 28 Dass es gleichwohl dennoch zu solchen Kontakten und eben sogar zu Ehen zwischen ihnen gekommen ist und immer wieder kommen kann, ist Gegenstand und Problem für die Schrift als Ganze. Dass es dabei letztlich um Bewahrung und Bewährung der Treue gegenüber den Forderungen der Tora im Alltag jüdischen Lebens in der Diaspora geht, wird freilich wiederum nur implizit zum Ausdruck gebracht und erschließt sich vor allem durch die traditionsgeschichtliche Einordnung einer solchen Sexualethik in die anderweitig belegte frühjüdische Toraparänese. 29

28

Vgl. dazu zuletzt KAREN S. WINSLOW, Early Jewish and Christian Memories of Mose’s wives. Exogamist Marriage and Ethnic Identity, SBEC 66, Lewiston 2005, sowie GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, Berlin 1987, 12f. (= in: DERS., Studien zum Frühjudentum [Anm. 15], 23–121, 28f.); BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 1), 410–412; KARL-WILHELM NIEBUHR, Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359: 348 mit Anm. 41 (dort weitere Lit.). Die für das Thema ebenfalls einschlägige Monographie von CHRISTINE E. HAYES, Gentile Impurities and Jewish Identities. Intermarriage and Conversion from the Bible to the Talmud, Oxford 2002, erwähnt merkwürdigerweise JosAs mit keinem Wort. 29 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 4), passim; ECKART REINMUTH, Geist und Gesetz. Studien zu Voraussetzungen und Inhalt der paulinischen Paränese, ThA 44, Berlin 1985, passim.

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Ethik und Tora

6. Speisevorschriften 6. Speisevorschriften Dasselbe gilt von einem weiteren Anwendungsfeld von Torabestimmungen, die für Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden in der Diaspora relevant waren, den Speisevorschriften. 30 Sie scheinen in unserer Erzählung lediglich an einer Stelle, dort aber in besonderer Schärfe durch. 31 Nach ehrenvollem Empfang Josephs im Haus des ägyptischen Priesters Pentephres heißt es: Und man wusch seine Füße und stellte ihm einen eigenen Tisch hin, weil Joseph nicht zusammen mit den Ägyptern aß, denn das war ihm ein Greuel (Ž© ). (7,1)

An dieser Stelle wird nun schlaglichtartig das besondere Profil unserer Schrift erkennbar, wenn man die Szene etwa mit der Schilderung eines Symposiums unter Teilnahme von Juden und Nichtjuden im Aristeasbrief vergleicht, einer Schrift, in der es ebenfalls zentral um Fragen der Interpretation und Anwendung von Geboten der Tora im Alltag der jüdischen Diaspora geht. Während nach JosAs 7,1 jede Gemeinschaft an demselben Tisch ausgeschlossen scheint, schildert der Aristeasbrief ausführlich ein Symposium, bei dem sogar Jerusalemer Priester mit dem Pharao an einer Tafel liegen (EpArist 180–186), wobei freilich ausdrücklich die Wahrung ihrer „eigenen Gebräuche in Bezug auf Getränke, Speisen und Lager“ herausgestellt wird (182). Gegenüber dem Verfasser des Aristeasbriefes muss somit der Autor unserer Schrift geradezu als ‚Hardliner‘ erscheinen. Dass dann später Joseph und Aseneth sowie deren ganze Verwandtschaft sehr wohl miteinander essen und trinken und sich vergnügen dürfen (20,6–8), setzt immerhin bereits Aseneths Bekehrung voraus. Dasselbe gilt für das vom Pharao veranstaltete Hochzeitsmahl mit Festessen und gewaltigem siebentägigem Trinkgelage für „all die Führer des Landes Ägypten und alle Könige der Völker“ (21,8). Von ihrer Bekehrung zum Gott Israels und ihrem Übertritt zum Judentum ist an diesen Stellen nicht explizit die Rede. Angesichts solcher Verweise auf der Erzählebene der Schrift ist immerhin in Rechnung zu stellen, dass offenbar gemeinsame Mahlzeiten von Juden und Nichtjuden nicht als prinzipiell ausgeschlossen betrachtet werden. Gleichwohl kann dies die scharfe Abgrenzungstendenz der Schrift wenigstens hinsichtlich der Ablehnung heidnischer Religion nicht grundsätzlich in Frage stellen, vielmehr ihrer Gesamtintention nach eher noch unterstreichen. Erst die Zuwendung zum Judentum, vor allem aber die radikale Abwendung von der heidnischen Religion, ermöglicht Gemeinschaft von Tisch und Bett zwischen Juden und Nichtjuden. 30 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51. 31 Die zitierten Wendungen zur Charakterisierung der „fremden Frau“ in 8,5 lassen zwar auch Speisevorschriften der Tora anklingen (vor allem „Brot des Erwürgens“), dienen dort aber primär der Herausstellung ihrer heidnischen Religion.

7. Abkehr vom Götzendienst

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7. Abkehr vom Götzendienst 7. Abkehr vom Götzendienst Damit ist derjenige Bereich der Tora angesprochen, der neben dem paränetischen Hauptthema der Schrift zumindest in ihrem ersten Hauptteil das meiste erzählerische Gewicht erhält: die Abgrenzung gegenüber heidnischer Religionspraxis. Genau an der spannendsten Stelle, bei der ersten unmittelbaren (auch körperlichen!) Begegnung zwischen Aseneth und Joseph bricht wie ein Paukenschlag das vernichtende Urteil Josephs über Aseneth herein: Sie ist und bleibt bei all ihrer Schönheit (oder gerade deswegen) doch nur eine fremde Frau (©¡ ”™ ) … die mit ihrem Mund tote und stumme Götterbilder segnet und von ihrem Tisch Brot des Erwürgens isst und aus ihrem Trankopfer den Kelch der Hinterlist trinkt und sich mit Salbe des Verderbens salbt. (8,5)

Alle Ressentiments gegenüber verführerischer Frauenmacht scheinen sich hier mit einer geradezu körperlich empfundenen Abscheu gegenüber heidnischer Religion zu verbinden („Brot des Erwürgens“!). Die semantischen Gegensätze in 8,5–7 könnten krasser nicht sein: lebendiger Gott Brot des Lebens Kelch der Unsterblichkeit Salbe der Unvergänglichkeit

versus versus versus versus

tote und stumme Götterbilder Brot des Erwürgens Kelch der Hinterlist Salbe des Verderbens

Umrahmt wird diese Reihe 32 durch den Kontrast zwischen dem „gottverehrenden Mann“ (8,5) und dem „Greuel vor Gott dem Herrn“ (8,7), den jegliches Praktizieren heidnischer Religion darstellt. 33 Die Verwendung der durch mehrfache Wiederholung herausgehobenen Sprachform von Sätzen des Geziemenden, die Anspielungen auf Speisevorschriften und die erzählerische Zentralstellung des Abschnitts im Blick auf den narrativen Grundkonflikt des Textes bilden zusammen mit den semantischen Gegensatzpaaren hier eine scharf konturierte bipolare Grundstruktur, die für das Profil der gesamten Schrift bezeichnend ist. 34 Nachdem der Erzähler in 9,2 zunächst nur relativ knapp, aber klar konstatiert hatte, Aseneth habe sich von ihren Göttern abgewendet (— ) und

32

Die Stichwörter werden z.T. im Bekenntnislied Aseneths in 21,13f. noch einmal aufgegriffen: Indem sie unzählige „fremde Götter“ verehrte und „Brot von ihren Opfern“ aß, aß Aseneth „Brot des Erwürgens“ und trank den „Kelch der Hinterlist“. Das ist auf der Erzählebene die Perspektive nach ihrer Bekehrung. Auf der Ebene der Textpragmatik werden dagegen hier die Adressaten des Textes besonders deutlich erkennbar. 33 Ž© als Ausdruck für die Abgrenzung von heidnischer Religion nur hier und – mit Bezug auf die Tischgemeinschaft von Juden und Nichtjuden – in 7,1. 34 Vgl. auch den semantischen Kontrast zwischen Finsternis und Licht, Irrtum und Wahrheit, Tod und Leben im anschließenden Gebet Josephs für Aseneth, 8,9.

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Ethik und Tora

sich über alle Götzenbilder erzürnt (“”Ç£ ), schildert er später diese ihre Abkehr von den Götzen umso plastischer: Aseneth eilte und nahm all ihre zahllosen goldenen und silbernen Götter, die in ihrem Gemach waren, und warf all die Götterbilder der Ägypter durch das Fenster, das nach Norden blickt, aus ihrem Obergeschoss hinab. … Und Aseneth nahm … alle Opfergaben ihrer Götterbilder und die Weingefäße ihrer Trankopfer. Und sie warf alles durch das Fenster hinab, das nach Norden blickt, und gab alles den fremden Hunden. Aseneth sagte sich nämlich: „Meine Hunde sollen auf keinen Fall von meinem Mahl und dem Opfer der Götterbilder fressen, sondern die fremden Hunde sollen es fressen.“ (10,12f.)

Solche sarkastischen Schilderungen 35 grenzen an einen religiösen Chauvinismus, der keineswegs immer und überall für die Haltungen von Juden gegenüber heidnischer Religion, so lange sie von Nichtjuden praktiziert wurde, typisch ist. 36 Für Joseph und Aseneth lassen sie aber umso deutlicher die religiösen und paränetischen Intentionen erkennen, die dieser Schrift ihr spezifisches Profil verleihen. Dieses Profil kommt schließlich auch explizit zum Ausdruck in dem Hass, der nach dem Urteil Aseneths das Verhältnis zwischen Götzendienern und Verehrern des einzigen wahren Gottes bestimmt. Sie selbst erfährt sich nach ihrer Bekehrung als „Einsame, Verlassene und Gehasste“ (11,3). Alle hassen mich, auch mein Vater und meine Mutter, denn auch ich hasse ihre Götter und habe sie zerstört. Und ich ließ zu, dass sie von den Menschen zertreten werden. Deswegen hassen mich mein Vater, meine Mutter und all meine Verwandtschaft; sie sagten: „Aseneth ist nicht unsere Tochter, denn sie hat unsere Götter zerstört.“ (11,4f.) 37

Solcher Hass entspricht nur dem Hass Gottes gegen alle Verehrer der Götzen: 38 Aber auch der Herr, der Gott Josephs, des Starken, der Höchste, hasst alle, die die Götterbilder verehren. Denn Gott ist ein Eiferer und furchtbar gegen alle, die fremde Götter verehren.

35

Nach 3,6 waren auf Aseneths Schmuck „die Namen der Götter der Ägypter … überall eingegraben, sowohl auf den Ringen als auch auf den Steinen, und die Angesichter aller Götterbilder waren in ihnen ausgeschnitten“. 36 Vgl. dazu die Belege bei NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 30), bei Anm. 20–24. 37 Dass Vater und Mutter an sich besonderer Ehrung würdig sind, weiß Aseneth schon vor ihrer Bekehrung, vgl. 3,5; 4,1–6. Nach 22,3 ist Josephs Vater für sie „wie ein Gott“. Dieses Ethos der Elternehrung entspricht ebenfalls frühjüdischer Toraparänese (vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 4], 18f.182), bleibt aber in Joseph und Aseneth ein Nebenmotiv. 38 Die Anklänge an das erste Dekaloggebot sind unverkennbar, wenngleich auch hier kein Zitat vorliegt (vgl. Ex 20,5f.; Dtn 5,9f.).

8. Tora und Ethos

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Deswegen hasst er auch mich, denn auch ich habe tote und stumme Götterbilder verehrt … (11,7f.) 39

Angesichts dieser überaus scharfen Herausstellung der Abgrenzung von heidnischer religiöser Praxis wird man nicht fehlgehen, gerade hierin die zentrale Aussageintention der ganzen Schrift zu identifizieren. Joseph und Aseneth ist demnach trotz des erzählerischen Sujets, der Geschichte einer, wenn auch mehrfach dramatisch gefährdeten, so letztlich doch gelungenen Verbindung eines jüdischen Mannes mit einer nichtjüdischen Frau, eher an der „Absonderung“ als an der „Öffnung“ gegenüber einer nichtjüdisch-hellenistischen Umwelt interessiert. 40 Die erzählerischen Hürden, die vor dem ‚happy end‘ errichtet werden, haben jedenfalls eine beträchtliche Höhe und müssten auf potentielle Interessenten auf heidnischer Seite wohl eher abschreckend als verlockend gewirkt haben. Sie sollen nach der Intention des Verfassers erst recht so gegenüber seinen intendierten Adressaten wirken, die angesichts der drastischen Herausstellung und einseitigen Bewertung der Gegensätze zwischen jüdischer Gottesfurcht und heidnischer Götterverehrung wohl nur in seiner eigenen Glaubensgemeinschaft zu finden sein können. Gerade darin schlägt sich offenbar seine Situation und die seiner Adressaten nieder, die freilich – das zeigen andere frühjüdische Zeugnisse zur Genüge – für die jüdische Diaspora in hellenistisch-römischer Zeit keineswegs verallgemeinert werden darf. 41

8. Tora und Ethos 8. Tora und Ethos Es hat sich somit gezeigt, dass Bezugnahmen auf die Tora in Joseph und Aseneth durchweg in die Erzählung eingearbeitet werden und in ihr eine narratologische Funktion haben. Das Sujet der Erzählung berührt eine spezifische Konstellation des Alltagslebens jüdischer Diasporagemeinschaften, die mit der Zentralforderung der Tora für Israel, dem Festhalten am Glauben an den einen Gott und der Meidung jeglicher Verehrung anderer, „fremder“ Götter in Verbindung steht. Diese Grundforderung der Toratreue wird aber nicht als Gebot

39 Das Motiv der Befleckung des Mundes durch Verzehr von Opferspeisen in 11,9 (zweimal ™  ) erinnert noch einmal an die scharfe Absonderung zwischen einem „gottverehrenden Mann“ und einer „fremden Frau“ und lässt damit auch hier das Problem der Tischgemeinschaft zwischen Juden und Nichtjuden anklingen. 40 Diese Kategorien benutzt DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation (Anm. 28), 9–26.57–65 (= Studien zum Frühjudentum [Anm.15], 23–45.78–89), um das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in der Diaspora differenziert zu erfassen. 41 Zur Polemik gegen heidnische Religion in der hellenistisch-frühjüdischen Literatur vgl. den aktuellen Überblick bei JOHANNES WOYKE, Götter, ‚Götzen‘, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen ‚Theologie der Religionen‘, BZNW 132, Berlin/New York 2005, 90–100.

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Ethik und Tora

formuliert oder im Sine paränetischer Weisungen expliziert, sondern erzählerisch entfaltet, zum einen an der vorbildlichen Haltung Josephs gegenüber jeder „fremden Frau“, zum anderen an der drastischen Schilderung der Abkehr Aseneths von ihrer bisherigen religiösen Praxis. Der Unterstreichung dieser Hauptforderung dienen Bezüge zu Speisevorschriften der Tora und zur Einschränkung sexueller Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden. Beide auch anderweitig in der frühjüdischen Literatur berührten Anwendungsbereiche der Toraparänese haben in Joseph und Aseneth gegenüber der paränetischen Zentralforderung der Schrift, der Warnung vor dem Götzendienst, untergeordnete Bedeutung und verdanken sich primär ihrem narrativen Sujet. Joseph und Aseneth erweist sich demnach nicht als Zeugnis der Öffnung gegenüber der nichtjüdischen Umwelt oder gar als Exemplar einer frühjüdischen ‚Missionsliteratur‘, sondern eher als Dokument der Abgrenzung und der Polemik gegenüber den ‚anderen‘. Dieses Profil der Schrift wird auch nicht dadurch abgeschliffen, dass in ihr Konzeptionen, Sprachformen und Topoi Verwendung finden, die sich nur aus den kulturellen und sprachlichen Mitteln und rhetorischen Konventionen der hellenistisch-römischen Umwelt erklären lassen. Dafür stehen in Joseph und Aseneth insbesondere die Sätze über das Geziemende, die offenbar auf eine Terminologie zurückgreifen, die in der stoischen Ethik entwickelt worden ist. Der Gebrauch solcher Mittel einer als ‚anders‘ und bedrohlich erfahrenen Mehrheitskultur der Umgebung kann durchaus einhergehen mit schärfster Abgrenzung ihr gegenüber – wie es auch aktuelle Beispiele und Konstellationen immer wieder lehren. Selbst die Übernahme hellenistischer Topoi aus der popularphilosophischen Tradition kann somit das dezidiert jüdische Profil der Schrift nicht in Frage stellen. Vielmehr werden solche Topoi offenbar gezielt aufgenommen, um geradezu den Gegner mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Dass Treue zur Tora in einer hellenistisch-römischen Umwelt den Adressaten der Schrift als Lebensideal vermittelt werden soll, zeigt sich aber auch an weiteren paränetischen Topoi, die im ersten Teil der Erzählung durch Beschreibung der Protagonisten, im zweiten anhand einer exemplarischen Konfliktkonstellation auf der Erzählebene entfaltet werden. Hier kommen auch positive Werte und Haltungen zur Sprache, die aber bezeichnenderweise vorwiegend an Juden bzw. solchen, die es geworden sind, exemplifiziert werden. 42 Dazu zählt vor allem die Maxime, nicht Böses mit Bösem zu vergelten, aber ebenso 42

Pentephres, der als einziger Nichtjude auch ausdrücklich mit positiven Attributen versehen wird (1,3), und seine Frau ebenso wie der Pharao scheinen als den Juden freundlich gesinnte Autoritäten Vorbildfunktion zu haben und geradezu schon auf der Grenze zum Judentum zu stehen, was die unproblematische Schilderung des Hochzeitsmahls für und mit Joseph und Aseneth verständlich machen würde. Vgl. bes. den Schluss der Erzählung, 29,6, wo der Pharao von seinem Thron aufsteht und dankbar Levi zu Füßen fällt.

8. Tora und Ethos

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die Warnung vor Hochmut, Zorn und Neid sowie die Herausstellung von Weisheit, Milde und Barmherzigkeit.

Auf der Suche nach dem Paradies Zur Topographie des Jenseits im Griechischen Leben Adams und Evas 1. Zu Inhalt, Entstehung und Überlieferung des Griechischen Lebens Adams und Evas 1. Zu Inhalt, Entstehung und Überlieferung Die frühjüdische Erzählung „Leben Adams und Evas“ 1 entfaltet den Fortgang der biblischen Geschichte von Adam und Eva mit ihren Nachkommen Kain, Abel und Set. Ausgehend von Gen 3,23f., der Vertreibung des Urelternpaares aus dem Paradies, reicht der Erzählbogen bis zu ihrem Tod und Begräbnis. Beides wird in der Bibel selbst nicht expressis verbis erzählt. Lediglich der Tod Adams wird dort in dem Fluchwort Gottes über ihn: „du bist Erde und sollst zu Erde werden“ (Gen 3,19), implizit angekündigt und dann im Rahmen des Stammbaums der Menschheit von Adam bis Noach in Gen 5,5 kurz notiert. Der Freiraum, den die Bibel in Bezug auf das Ende der Erzeltern lässt, wird also in unserer Erzählung ausgefüllt. Dabei werden Erzählelemente der biblischen Geschichte (Kains Brudermord, die Verführung Evas und Adams durch die Schlange im Paradies, das Essen von der verbotenen Frucht des Baumes, die Vertreibung aus dem Paradies) mit umfangreichen zusätzlichen Szenen und 1 Zum Ursprung der Schrift vgl. die ausführliche Debatte bei JAN DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005, 149–172; OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas (JSHRZ II/5), in: GERBERN S. OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ VI/1,2, Gütersloh 2005, 151–194: 170–177.186; THOMAS KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘. Studien zu einer narrativen Anthropologie im frühen Judentum, TSAJ 88, Tübingen 2002, 31–74; MARINUS DE JONGE/JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve and Related Literature, Sheffield 1997, 65–78. MARINUS DE JONGE, The Christian Origin of the Greek Life of Adam and Eve, in: DERS., Pseudepigrapha of the Old Testament as Part of Christian Literature. The Case of the Testaments of the Twelve Patriarchs and the Greek Life of Adam and Eve, SVTP 18, Leiden 2003, 181–200, hat nochmals versucht, den christlichen Ursprung der Schrift nachzuweisen (mit den gleichen Argumenten auch DERS., The Greek Life of Adam and Eve and the Writings of the New Testament, a.a.O., 228–240: 233f.), aber weder der Hinweis auf die Waschung der Leiche Adams im Acherusischen See (s. dazu u., 530 mit Anm. 45) noch die Wendung “ ¡”• ›­ (vgl. Jak 1,17) können die Beweislast dafür tragen. Mir scheint demgegenüber die völlig unproblematische Herausstellung der Feier des Sabbattages ohne jeden leisen Verweis auf den Sonntag am Ende der Schrift (43,3, vgl. dazu u., 523 mit Anm. 30) ein klares Indiz für eine jüdische Ursprungsgestalt der Schrift zu sein.

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Auf der Suche nach dem Paradies

Erzählstoffen verknüpft (eine Krankheit Adams, eine Reise Sets und Evas zum Paradies, ein Kampf Sets mit einem wilden Tier, testamentarische Abschiedsreden Adams und Evas an ihre Nachkommen, der Tod und die Bestattung Adams, Abels und Evas). Schon diese Aufzählung zusätzlicher Erzählinhalte gegenüber der biblischen Vorlage 2 macht deutlich, wo der Schwerpunkt des Erzählinteresses unserer Schrift liegt: beim Tod des Menschen und seiner Bewältigung. 3 Durch Dialoge und Monologe, Bußgebete und Mahnreden sowie durch verbindende Bemerkungen des Erzählers werden biblische und außerbiblische Erzählstoffe und -motive zu einer neuen literarischen Komposition verbunden, die eine eigenständige Intention gegenüber den biblischen Vorlagen erkennen lässt. Im Mittelpunkt stehen Belehrungen über den Umgang mit Krankheit, Tod und Begräbnis, darüber hinaus explizit die Auferstehungshoffnung, aber auch narrativ entfaltete Konzeptionen zum Verhältnis zwischen Mensch und Tier und – in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse – zur Topographie von „Diesseits“ und „Jenseits“. Durch Rückblicke des Erzählers auf das Paradiesgeschehen und Ausblicke auf die jenseits der Erzählgrenze liegende Zukunft erhält das erzählte Geschehen eine kommentierende Deutung, die im Vergleich zur Genesis grundlegende anthropologische und eschatologische Neuorientierungen erkennen lässt. 4 Die religions- und literaturgeschichtliche Einordnung des uns überlieferten Griechischen Lebens Adams und Evas ist umstritten. Die gesamte in sich sehr verzweigte handschriftliche Überlieferung weist Spuren christlicher Überlieferung auf. 5 Zumindest Teile einer ihr zugrunde liegenden, auch sonst breit bezeugten antiken Adam-Literatur dürften aber ihren Ursprung im hellenistischen 2 Zur Herkunft und Verarbeitung der Erzählstoffe vgl. DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 124–147; MERK/MEISER, Das Leben Adams und Evas (Anm. 1), 177–185; KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘ (Anm. 1), 1–30; JOHN R. LEVISON, Texts in Transition. The Greek Life of Adam and Eve, Atlanta 2000; GARY A. ANDERSON/MICHAEL E. STONE (Hg.), A synopsis of the Books of Adam and Eve, Atlanta 1994; MICHAEL E. STONE, A History of the Literature of Adam and Eve, SBLEJL 3, Atlanta 1992. 3 Vgl. dazu MICHAEL D. ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family. Understanding the Greek Life of Adam and Eve, SVTP 16, Leiden 2001. 4 Zum anthropologischen Schwerpunkt der Erzählung vgl. umfassend KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘ (Anm. 1), 101–261. 5 Für wenige frühjüdische Schriften ist die handschriftliche Überlieferung derzeit so gut erschlossen wie für das grLAE, ohne dass dadurch freilich Einmütigkeit in ihrer Beurteilung erreicht worden wäre; vgl. dazu DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 15–104, sowie die Einzeluntersuchungen in seinem Kommentar; JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PVTG 6, Leiden 2005, 17–27.67–111; ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family (Anm. 3), 75–100; MERK/MEISER, Das Leben Adams und Evas (Anm. 1), 157–169. Ich folge hier durchgängig und ohne Begründungen im Einzelnen dem „Lesetext“, den Dochhorn aufgrund seiner detaillierten textkritischen Analysen erstellt und im Anhang seiner Monographie abgedruckt hat, vgl. DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1),

1. Zu Inhalt, Entstehung und Überlieferung

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Frühjudentum haben. Mir scheint gerade die literarische Endgestalt des grLAE deutlich auf eine (einzige) ursprünglich jüdische Fassung des Werkes hinzudeuten, eine Problematik, die freilich für unseren Zusammenhang nicht entscheidend ist. 6 Auch hinsichtlich der Datierung und Lokalisierung ist die Forschungslage uneinheitlich. Datierungsvorschläge für die literarische Komposition reichen vom 1./2. Jh. n. Chr. 7 bis ins 4. Jh. n. Chr. 8 Neben ihrer Entstehung in Palästina wird auch eine solche in der Diaspora vertreten, 9 aber wo genau, bleibt gänzlich unbestimmt. Das Ursprungsmilieu wird entsprechend pauschal benannt. 10 Die literarische Erstfassung des Lebens Adams und Evas wurde offenbar auf Griechisch verfasst. Sämtliche erhaltenen Versionen (lateinisch, koptisch, armenisch, georgisch, slawisch) sind gegenüber dem grLAE literarisch und textgeschichtlich sekundär. 11 Ursprache der heute noch erkennbaren, dem Werk vor-ausliegenden, möglicherweise z.T. selbständigen Teile einer frühjüdischen

647–656. Er ist dem bei Tromp abgedruckten Text weitaus näher als die früheren Editionen und anderen modernen Übersetzungen und Monographien (einschließlich Merk/Meiser und Knittel!) zugrundeliegenden Textfassungen und sollte, zusammen mit den detaillierten Apparaten bei Dochhorn und Tromp, der Arbeit am grLAE zugrunde gelegt werden. 6 Dass damit die überaus komplexe und nach wie vor offene text- und literaturgeschichtliche Forschungsdiskussion nur sehr grob erfasst und beurteilt wird, ist mir durchaus bewusst, vgl. etwa TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek (Anm. 5), 3–16.67–105; DERS., The Role of Omissions in the History of the Literary Development of the Greek Life of Adam and Eve, Apocrypha 14, 2003, 257–275; KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘ (Anm. 1), 31–69; ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family (Anm. 3), 233–264; zu weiterer Sekundärliteratur vgl. MERK/MEISER, Das Leben Adams und Evas (Anm. 1), 151–153; LORENZO DITOMMASO, A Bibliography of Pseudepigrapha Research 1850–1999, JSPE.S 39, Sheffield 2001, 163–196; ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse Judéohellénistique, Bd. 1 (Pseudépigraphes de l’Ancien Testament), Turnhout 2000, 3–58; ANDREAS LEHNARDT, Bibliographie zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, JSHRZ VI/2, Gütersloh 1999, 227–232; OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas, JSHRZ II/5, Gütersloh 1998, 776–787. 7 MERK/MEISER, Das Leben Adams und Evas (Anm. 1), 177; DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 172; KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘ (Anm. 1), 63. 8 Vgl. DE JONGE/TROMP, The Life of Adam and Eve (Anm. 1), 77: „second to fourth centuries“; ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family (Anm. 3), 20–30: terminus a quo: 100 v. Chr., terminus ad quem: 200 n. Chr. 9 MERK/MEISER, Das Leben Adams und Evas (Anm. 1), 186, und DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 159f.172, plädieren für Palästina, KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘ (Anm. 1), 68f., für die Diaspora. 10 Vgl. etwa MERK/MEISER, Das Leben Adams und Evas (Anm. 1), 174: „Versuche der genaueren Verortung innerhalb des Judentums führten bisher zu keinem allseits anerkannten Ergebnis“; 176: „In dieser Einleitung wird daher eine Entstehung der Urfassung der Apokalypse Mosis im hellenistischen Judentum favorisiert, sowenig letzte Sicherheit zu erzielen ist.“ 11 Vgl. dazu ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family (Anm. 3), 31–56.

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Auf der Suche nach dem Paradies

Adam-Literatur war wohl ebenfalls das Griechische. Die oft vertretene Auffassung, ihnen hätten hebräische oder aramäische Vorlagen zugrunde gelegen, hat sich jedenfalls literaturgeschichtlich bisher nicht nachweisen lassen. Von dem Griechischen Leben Adams und Evas zu unterscheiden ist die lateinisch überlieferte Vita Adam et Evae, die ihm gegenüber literarisch und textgeschichtlich ebenfalls sekundär ist. 12 Sie bietet umfangreiches Sondergut, insbesondere am Anfang (1–21: Adams und Evas Klage und Buße, eine zweite Versuchung Evas, der Fall Satans, Adams Fürbitte für Eva). Zwei Handschriften des grLAE, die textgeschichtlich sekundär sind (r, m), 13 bieten Teile des Sonderguts, das in VitAd und slavLAE überliefert ist. 14 Sondergut, das in grLAE z.T. an anderer Stelle begegnet, enthält auch die slavische Überlieferung. 15 Als literarisch eigenständige Werke zu unterscheiden sind also: a) das griechische Leben Adams und Evas (grLAE), von dem eine armenische Version abhängig ist (armLAE I), b) das lateinische Leben Adams und Evas (VitAd), von dem eine weitere armenische (armLAE II) und eine georgische Version (georgLAE) abhängig sind, sowie c) das slavische Leben Adams und Evas (slavLAE). Der Titel „Leben Adams und Evas“ entspricht dem der lateinisch erhaltenen Schrift Vita Adam et Evae (so Handschrift S). 16 Die superscriptiones der griechischen Schrift überliefern die Wendung á Ë©  ‘“ ™ Õ« ‘ ¹ê ¬•“”“!(„Geschichte und Wandel Adams und Evas, der Erstgeschaffenen“). 17 Aus der dort folgenden Wendung “ ›  

12

Darin besteht in der Forschung weitgehend Konsens, abgesehen von der in jüngerer Zeit vertretenen Position, man könne die komplexe Entstehungsgeschichte der antiken jüdischen und christlichen Adam-Literatur überhaupt nicht nach dem Modell literarisch-genetischer Abhängigkeiten erklären, sondern müsse von einer ungesteuerten Ausbreitung voneinander unabhängiger literarischer Versionen der Überlieferung ausgehen (so vor allem LEVISON, Texts in Transition [Anm. 2]; STONE, A History of the Literature of Adam and Eve [Anm. 2]). Abgesehen davon, dass ein solcher Forschungsansatz der Kapitulation vor den Problemen der Überlieferungsgeschichte eines antiken Textes gleichkommt, zeigt gerade die Textgeschichte, wie sie TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek (Anm. 5), eindrucksvoll entschlüsselt hat, ein anderes Bild! Vgl. auch die differenzierte Darstellung der Überlieferungslage bei ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family (Anm. 3), 101–133. 13 TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek (Anm. 5), 96. 14 Und zwar im Anschluss an grLAE 29,6: Adams und Evas Klage nach der Vertreibung aus dem Paradies, die Buße Adams und Evas, eine zweite Versuchung Evas. 15 SlavLAE 1–2: Adams und Evas Herrschaft über die Tiere im Paradies (vgl. grLAE 10– 12); Adams Vertreibung aus dem Paradies (vgl. grLAE 27–30); Adams Traum von der Ermordung Abels (vgl. grLAE 2). 16 Vgl. MERK/ MEISER, Das Leben Adams und Evas (Anm. 6), 788. 17 Weitere Titelvarianten der griechischen Überlieferung bei TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek (Anm. 5), 122f.

2. Erzählverlauf und Topographie

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“ ”« À(„offenbart von Gott dem Mose“) leitet sich die ebenfalls verbreitete Benennung „Apokalypse des Mose“ her. 18

2. Erzählverlauf und Topographie 2. Erzählverlauf und Topographie Um die topographische Orientierung der Erzählung zu erkennen, müssen wir kurz den Erzählverlauf schildern: 19 Geographischer und temporaler Ausgangspunkt des erzählten Geschehens ist das Paradies zum Zeitpunkt der Vertreibung der Erzeltern aus ihm (vgl. Gen 3,23f.). Nach Gen 2,8 LXX lag das Paradies  ¹ «  !. Nach grLAE 1,1f. verließen Adam und Eva diesen Ort „nach Osten“ hin  “ ” ™Ì  §¡  Ë) zu einem unbestimmten Ort, wo ( ) sie anschließend achtzehn Jahre und zwei Monate lang blieben. Die Geschichte von Kain und Abel wird anschließend mehr vorausgesetzt als erzählt. Eher nebenher fällt dann anlässlich der Versammlung der Nachkommen Adams an seinem Krankenbett die Bemerkung, die Erde sei inzwischen zu drei Teilen bewohnt gewesen (5,3: §   ©§”™ Ž”). Damit ist vorausgesetzt, dass die Erzeltern jetzt auf der Erde leben. Angesichts der Qualen Adams bietet Set an, ins Paradies zurückzugehen, um von dort für seinen Vater eine heilende Frucht zu holen (6,1f.). Dieser lehnt das zunächst ab und erklärt seinerseits in einem kurzen Rückblick auf den Sündenfall im Paradies die Ursache seiner Krankheiten (7,1–8,2). Dann aber bittet er doch noch Eva und Set, in die Nähe des Paradieses zu gehen (“™ “ ” ™), dort Buße zu tun und Gott um Erbarmen zu bitten, damit der einen Engel sende, der von einem Baum (offenbar aus dem Paradies) heilsames Öl für Adam holen soll (9,3). Anschließend wird die Reise Evas und Sets in die Gegend des Paradieses (§«Ž”“ ” ™) geschildert, bei der es unterwegs noch zu einem Kampf Sets mit einem wilden Tier kommt (10,1–12,2). In der Nähe des 18 Sie wird, gewissermaßen „gegen den Strom“, von DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 3.175–188, bevorzugt, wenngleich sein Argument, dieser Titel entspreche sachlich der superscriptio, die ein originärer Bestandteil der Schrift sei, natürlich genauso gut für die griechisch überlieferte Titelvariante gelten kann. Zudem scheint mir der Titel „Leben Adams und Evas“ mit Blick auf die Leseerwartungen heutiger Leser eher dem Inhalt zu entsprechen als der Titel „Apokalypse des Mose“. 19 Konnte KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘ (Anm. 1), 90, im Jahr 2002 noch feststellen, dass „grLAE in seiner Eigenschaft als Erzählung bislang kaum untersucht“ worden sei, so hat sich das inzwischen durch seine eigene Monographie (s. bes. 90–94) und die von DOCHHORN (vgl. bes. Apokalypse des Mose [Anm. 1], 105–124) wesentlich geändert. Vgl. auch die Übersicht bei ELDRIDGE, Dying Adam with his Multiethnic Family (Anm. 3), 15–19, sowie die ausführlichen narrativen Analysen im zweiten Hauptteil seiner Monographie (137– 230).

516

Auf der Suche nach dem Paradies

Paradieses angekommen (13,1: “™  “ ” ™), tun sie, worum Adam sie gebeten hatte. Zwar sendet Gott daraufhin tatsächlich seinen Erzengel Michael (von woher, wird nicht gesagt), aber nicht, um Adams Wunsch zu erfüllen, sondern lediglich, um Set anzukündigen: ˜©Ë ™ ¬ í“í£!• ”•Á²  Ë “ «”½ “¢Õ«ÞŽ”  ™©!¬² ª  ¢®© — ˜  Ë “ ˜›”Å“ ” ™¬ ‘ª · ¢ŽÊ ˜•Á Es wird dir jetzt nicht zuteil werden, aber in den letzten Zeiten, wenn alles Fleisch auferstehen wird von Adam bis zu jenem großen Tag, welche ein heiliges Volk sein werden. Dann wird ihnen alle Freude des Paradieses gegeben werden, und Gott wird in ihrer Mitte sein. (13,3f.) 20

Das Paradies erscheint hier also als eine Art Ort der Freude, allerdings außerhalb der Zeit der Erzählung (“í £! • ”•). Zudem wird hier zum ersten Mal, wie später noch mehrfach, explizit die Auferstehung der Toten in Aussicht gestellt, die freilich ebenso außerhalb der Ebene der erzählten Zeit angeordnet ist. Darin liegt einer der stärksten Akzente der Schrift! 21 Mit solcher Botschaft schickt der Erzengel also Set zurück zu Adam, wobei er ihm noch dessen bevorstehenden Tod binnen drei Tagen ankündigt, wenn er „den fürchterlichen Aufstieg seiner Seele“ zu sehen bekommen werde (13,6: ½”£Ž£ ˜Ž  !  ¡± ˜ ›”!). Mit dem Abgang des Erzengels und der Rückkehr Evas und Sets zu dem mittlerweile in einem Zelt krank darniederliegenden Adam endet der erste Erzählbogen (14,1). Im folgenden Erzählungsteil (Kap. 15–30) blickt nun Eva in Gestalt einer testamentarischen Mahnrede, sehr viel ausführlicher als zuvor schon Adam (vgl. Kap. 7–8), auf das verhängnisvolle Geschehen im Paradies zurück. Jetzt tritt uns dieser Ort etwas deutlicher vor Augen: Aufgeteilt ist er in zwei voneinander getrennte Bezirke, die von Adam und Eva bewacht werden, wobei Evas Anteil den Süden und Westen des Paradieses umfasst: Ì›!Þ •¢ £—  ˜°Ž” “¢ ¬©¯›Å ° ˔Ê— ‘Å Á 20 Text und Übersetzung hier und im Folgenden immer nach DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1). 21 Diesen Akzent habe ich in einer weiteren Untersuchung zu den Auferstehungshoffnungen in grLAE 41 auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob näher dargestellt, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Hopes of Resurrection in Greek Texts of Early Judaism. Narrative Theology in the Greek „Life of Adam and Eve“ in Light of the Septuagint Translation of the Psalms, Sirach, and Job, in: Studies in Ancient Narrative (FS D. Moessner), hg. v. MARGARET M. MITCHELL/TOBIAS NICKLAS/JANET E. SPITTLER, NT.S, Leiden/Boston 2022 (im Druck) [auf Deutsch: Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im Griechischen Leben Adams und Evas auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob, in diesem Band 547–570].

2. Erzählverlauf und Topographie

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… ein jeder von uns bewachte, was ihm zuteilgeworden war als Sektor von Gott; ich aber bewachte als mein Landlos Süden und Westen. (15,2)

Auch die Tiere des Paradieses sind übrigens dem Geschlecht nach aufgeteilt, die männlichen in Adams Bezirk, die weiblichen in Evas (15,3). Ganz biblisch wiederum ist das Paradies bewachsen mit Nahrung gebenden Pflanzen (17,3: ª ¬÷›!  ‘ ™ ½ ˜), aber auch – wenigstens der Teil Adams – mit Unkraut, das die Schlange zu essen hat (16,3:  ™   •Ñ Ñ ™Õ!). 22 Mitten im Paradies (ŽÊ“ ” ™, 17,5) 23 steht wie in der Bibel der Baum, von dem zu essen Gott bei Strafe des Todes verboten hat. Der Teufel (·  !), den wir zunächst in Adams Bezirk antreffen (15,3), gehört offenbar ebenso wie die Schlange nicht zu den Bewohnern des Paradieses, hat aber Zugang zu ihm und kann somit in einem Gespräch die Schlange verführen und sie als sein Werkzeug in Dienst nehmen (Kap. 16). 24 Diese wiederum „hangelt sich“ alsbald „durch das Mauerwerk des Paradieses“ (˜ Ž ”!  «•™£“ ” ™) bzw. „lugt von der Mauer her“ (“ ”Ž  ™£), um ihrerseits Eva in ein verführerisches Gespräch zu ziehen (17,1f.). Zu gleicher Stunde begibt sich Satan (·   Â) in Gestalt eines Engels (š  ©©Ž) wie die übrigen Engel „hinauf“ (  ), um Gott anzubeten. Eva wiederum im Paradies, somit „unten“, sieht „ihn“ (¢ !) „gleich einem Engel“ (²  ©©Ž). Wir haben hier also ein vertikal mehrfach gegliedertes Weltbild vor uns: unten das Paradies, ganz oben Gott, den die Engel anbeten, und irgendwo dazwischen Satan. Die Erzählung geht dann unten, also im Paradies auf Evas Seite, weiter. Verführt durch die Reden der Schlange, öffnet Eva schließlich so etwas wie eine Tür in der Mauer von Adams Bezirk zu ihrem, so dass die Schlange in das Paradies hineinkommen und dort ein wenig vor Eva einhergehen kann (19,1: Æ ½ Ž¬ ‘§ ª§¢“ ”!  ‘ Ǫ“” Ž ). Dann nehmen die Dinge im Wesentlichen ihren bekannten biblischen Lauf (vgl. Gen 3,1–7), wobei lediglich ein wenig konkretisiert wird: Die Schlange macht sich nach Evas Fall unsichtbar (20,3:      › ‘±› ©Ž). Alle Pflanzen in Evas Bezirk des Paradieses verlieren plötzlich ihre Blätter, außer der Feige, mit deren Blättern Eva ihre Scham bedeckt (20,4). Während nach der Bibel Adam schon bei Evas Verführung durch die Schlange dabei war (vgl. Gen 3,6), muss Eva ihn in unserem Text erst rufen, woraufhin er (wohl durch dieselbe Tür in der Mauer) zu ihr kommt (21,1–3). 22

Nach Gen 3,14 LXX hat sie nach der Verfluchung durch Gott Erde zu fressen (©›!©¤), nach grLAE 26,2 Staub (£›!©¤). 23 Vgl. Gen 2,9; 3,3 LXX. 24 Später heißt es dann, „der Teufel antwortete durch den Mund der Schlange“ (17,4).

518

Auf der Suche nach dem Paradies

Einen Szenenwechsel gibt es, als der Erzengel Michael auftritt: é ‘ ˜ÀÀ÷”¥È Å  ”£ ©©Ž £ ¡ “™ÑÀ!“ ©© 

˜ • – ©©Ž Ž© ! Ž©  Ŕ  ª  í  § ¢ “ ”!  ‘ Å  ”™ ¬ø ” •¢Õ!Áù ‘çÈ Å   ”£ ©©Ž  “™Ñ¬ š“ §Ŭ · ¢ § ¢ “ ”!  ª”£ 

” ÂÁ›Ë  ‘ ”ÅÁ ‘¼ · ¢§¢“ ”!  “  ¯“‘®” £”™ ‘’±©© ¬ ˜—Áø¼  · —¬½Ë  «›« ˔Õ« ‘««“! Áé ‘· ”—  ”™Ñ¬²“¼¢½ÅÑÁ Und in derselben Stunde hörten wir den Erzengel Michael seine Posaune blasen, wobei er die Engel rief und sprach: „So spricht der Herr: ‚Kommt mit mir ins Paradies und höret das Gericht, mit dem ich Adam richten werde!‘“. Und wie wir den Erzengel posaunen hörten, sagten wir: „Siehe, Gott kommt ins Paradies, uns zu richten!“. Und so fürchteten wir uns und versteckten uns. Und Gott kam ins Paradies, auf dem Cherubenwagen reitend, und die Engel, ihn lobpreisend. Während aber Gott kam, erblühten die Bäume von Adams Losgrund, sowie die meinigen allesamt. Und der Thron Gottes wurde aufgestellt, wo der Baum des Lebens war. (22,1–4)

Adam und Eva hören also zunächst Michael vom Paradies aus Trompete blasen (wo?), dann die Engel rufen und schließlich sprechen, wie er im Namen des Herrn die Engel auffordert, mit ihm in das Paradies zu gehen und dort dessen Gerichtsurteil über Adam zu vernehmen (22,2). Dann kommt Gott selbst (woher?) auf dem Cherubenwagen ins Paradies gefahren (22,3), und sein Thron wird beim Baum des Lebens aufgestellt. In der anschließenden, ausführlicher als in der Bibel wiedergegebenen Gerichtsrede Gottes gegen Adam, Eva und die Schlange (Kap. 23–26) 25 wird schon als Strafe Gottes die Vertreibung aus dem Paradies benannt, die unmittelbar danach durch seine Engel auch vollzogen wird (27,1). Allerdings zieht sich die Vertreibung in die Länge, weil sie immer wieder durch Adams Bitten und Klagen aufgehalten wird (Kap. 27–29). Jedoch weder sein Bitten um Erbarmen (27,2) noch sein Wunsch, vorher noch etwas vom „Gewächs des Lebens“ essen zu dürfen (28,2), wird erhört. Immerhin wird dieser letzte Wunsch mit einem erneuten Ausblick auf die Auferstehung bedacht (diesmal in Gottesrede!), der auch hier wieder die erzählte Zeit- (und Raum-) Ebene überschreitet und den Blick der Leser über den Tod Adams hinaus auf die Ewigkeit richtet: Ì«›!½¤Ÿ ¢ “¢“ ¢

ç— “ ¬  ! “!  ©Ž  Ë ¬ ‘  Ë ™      ½Å  Ѭ ‘ ! ª¤§¢ §• Á … wenn du dich hütest vor allem Schlechten wie einer, der sterben will, werde ich dich bei der Wiederauferstehung auferstehen lassen – und dir wird vom Baume des Lebens gegeben werden, und du wirst unsterblich sein in Ewigkeit. (28,4)

25

Übrigens in gegenüber der Bibel umgekehrter Reihenfolge!

2. Erzählverlauf und Topographie

519

Lediglich wohlriechende Gewürze, um Gott damit Opfer darzubringen, sowie Samen zu seiner Nahrung (29,5: “Ž”  § ”›¡ ˜) darf Adam mitnehmen, als er schließlich endgültig das Paradies verlässt (29,6: ½   “ ” ™). Wohin die Erzeltern aus dem Paradies vertrieben werden, stellt eine den erzählerischen Rückblick Evas abschließende Bemerkung klar: „und wir kamen auf die Erde“ ( ‘©— “‘©). Demnach befand sich also auch das Paradies in einer Art „Jenseits“, wenngleich „unten“! Nachdem die testamentarische Rede Evas gattungskonform abgeschlossen ist (30,1), führt der Erzähler seinen Faden an der Stelle fort, wo er ihn verlassen hatte, bei dem in seinem Zelt krank darniederliegenden und mittlerweile schlafenden Adam (31,1): Zwei von den ihm nach Ankündigung des Erzengels Michael verbliebenen Tagen sind inzwischen vergangen, einen hat er noch, bevor er „aus seinem Körper herauszugehen“ hat (½  Ç ). Der um ihre Zukunft ohne ihn besorgten Eva kündigt Adam an, dass auch sie binnen kurzem sterben und an denselben Ort wie er gelegt werden wird: ú—Ž© ·Õ«À¹ê¥¡ Ž›”™Ñ “”‘“” ©!˜©«””  “í¬ íš  “ ô  ›—” ¬ ‘ ˜¡ ˤ§¢—“¢ —Áéæ “ !¬ ! —¬ ‘™® ¬Þ챩© Ë  “”‘Ì Da spricht Adam zu Eva: „Mach dir nicht unnötig Gedanken, denn du wirst nicht hinter mir zurückbleiben, sondern wir werden beide nach dem gleichen Zeitmaß sterben, und auch du wirst an meinen Ort gebracht werden; und wenn ich sterbe, laß mich zurück, und niemand soll mich berühren, bis ein Engel etwas über mich sagen wird …“. (31,3)

Auf seinen bevorstehenden Tod vorausblickend, wenn er seinen Geist in die Hände dessen geben werde, der ihn gegeben hat, fordert Adam Eva zum Gebet auf: ̘©«”“ Ë ™· —¬ «ÑË ¢š  ¬ª“ ÁÕ! ¬ Âè½ ° °¬Þì “Ç¢“!§«£”  —   ˜—¬ — ˜ š ¬“• “ Ë“ Ë Â¬µÔ©  À µ“ ”Ž¤ ÂÁ … denn Gott wird meiner nicht vergessen, sondern sein Gefäß suchen, das er selbst geschaffen hat. Steh auf, und bete lieber zu Gott, bis ich meinen Geist abgeben werde in die Hände dessen, der ihn mir gegeben hat, denn wir wissen nicht, wie wir unserem Schöpfer begegnen sollen, ob er uns zürnt, oder ob er sich umwendet, sich unser zu erbarmen. (31,4)

Noch während Eva in einem großen Bußgebet seiner Aufforderung nachkommt, tritt schon ein Engel zu ihr, um ihr die Nachricht von Adams Tod zu überbringen: ! ¬¹ê ¬  ™ §–©!”¬·Õ!¬· ˔¬½  “¢ Ç  ˜ !  ‘§¢“  ˜  ›”—§¢“ Ë   ˜—¬ “   ˜°Á

520

Auf der Suche nach dem Paradies

Steh auf, Eva, aus deiner Buße, denn siehe: Adam, dein Mann, ist aus seinem Körper herausgegangen: steh auf und sieh seinen Geist, wie er hinaufgehoben wird zu seinem (Adams!) Schöpfer, ihm zu begegnen. (32,4)

Eva erhebt sich von ihrem Bußgebet, legt zunächst ihre Hand auf Adams Gesicht (“Ž ¡£”  ˜“‘¢“”—“ ˜) und richtet dann ihren Blick zum Himmel ( ™  §¢˜” —), von woher sie einen Lichtwagen kommen sieht, getragen von vier leuchtenden Adlern und geführt von Engeln (33,1f.). Der Wagen kommt dort zu stehen, wo Adam liegt (²“ ª   · “ ¡” • Õ!). Seraphen nehmen zwischen der Leiche und dem Wagen Aufstellung, Engel kommen eilends mit Räucherfässern und Schalen zum Altar, fallen vor Gott nieder und bitten ihn für Adam um Erbarmen (33,3–5). 26 Eva ruft Set herbei, der immer noch bei dem Leichnam seines Vaters ist, damit auch er die Erscheinung sehe (34,1: ! ¬ žË ¬    Ç “ ”— ‘ “”—). Sie fordert ihn auf, die Augen zu erheben und die sieben Firmamente geöffnet zu sehen:

‘ Ž©  ˜° !  Û   ‘ § « Ÿ“« ”Ç   Ê©Ž ¬ ‘“•  ¢• “ ”—“‘“”—“ ‘“!’ ±©© í ˜˜£— “” ˜ ‘Ž©©£Ç” ˜°¬·“ ¡” •²¬² § ¯Å Á Und sie sagt zu ihm: „Richte deine Augen aufwärts und siehe, wie die sieben Himmelsfesten offen sind, und wie der Körper deines Vaters auf dem Gesicht liegt, und alle Engel, die mit ihm für ihn beten und sprechen: ‚Bewillige ihm (die Bitte), o Vater des Alls, denn er ist dein Ebenbild!‘“ (35,2)

Spätestens hier nun ist nicht mehr ganz klar, wo denn der Leichnam (¢• ) Adams sich eigentlich befindet, dort, wo Set ihn hat liegen lassen, als er zu seiner Mutter kam, oder dort, wohin er nun mit ihr gemeinsam seinen Blick richtet. Die Sache wird auch durch die folgende Vision nicht klarer. Eva meint zwei betende Äthiopier bei der Leiche Adams zu sehen (35,4), aber Set erklärt ihr, das seien in Wirklichkeit Sonne und Mond, die bei Adam stehen und für ihn beten, deren Licht aber vor dem Licht des Alls, des Vaters der Lichter, verblasse (36,1–3). Demnach scheinen also beide weiterhin in den Himmel zu blicken, wo sich offenbar auch Adams Leiche befindet, gewissermaßen als ein Gestirn neben Sonne und Mond, überstrahlt freilich wie Sonne und Mond vom Lichtglanz Gottes. Dort im Himmel befindet sich jetzt auch wieder der „unsichtbare Gott“, obwohl Gott doch zuvor mit Wagen und großem Gefolge bei der Leiche Adams auf der Erde angekommen war (vgl. 33,3). 26

Vgl. zu dieser himmlischen Räucheropferszene FRANZ TÓTH, Das Gebet der Heiligen. Gebet, Räucherwerk und Räucherkult in der Johannesapokalypse vor dem Hintergrund biblischer und frühjüdischer Traditionen, in: HANS KLEIN/VASILE MIHOC/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Das Gebet im Neuen Testament. Viertes orthodox-westliches NeutestamentlerSymposium im Brancoveanu-,-¾¸½.µ/0½1.³¸23–8. August 2007, WUNT 24, Tübingen 2009, 249–311: 281–287.

2. Erzählverlauf und Topographie

521

In Gottes Hände jedenfalls soll Adam demnächst aufgrund der Fürbitte der Engel übergeben werden (35,3: “ ”  Ë §«£”  ”! •). Das Geschehen setzt sich fort mit dem Trompetensignal eines Engels, auf das hin sich alle Engel vom Gebet erheben und eine Doxologie auf Gott anstimmen, der sich des Gebildes seiner Hände erbarmt habe (37,2). Daraufhin kommt einer der sechsflügeligen Seraphim herbei und entrückt Adam, führt ihn weg zum Acherusischen See, wo er ihn dreimal wäscht, und bringt ihn schließlich vor Gott, wo er drei Stunden liegen bleibt. Danach streckt der Vater des Alls, der auf dem Thron sitzt, seine Hand aus, hebt Adam auf und übergibt ihn dem Erzengel Michael, der ihn „ins Paradies bis zum dritten Himmel“ bringen soll, wo er bis zu jenem großen Tag der Abrechnung, den Gott dem Kosmos bereiten wird, bleiben soll: ̼ ï•” ›‘Ÿ½ “”Å© ‘ה“ ¢Õ« ‘ “Ë© © ˜¢ §¡Õ£”™ ™ ‘ “Ž ˜¢”™ ‘Æ© © ˜¢Ǔ   “™”÷”  ™Áé ‘«  ½Ž ¡£”  ˜ ·“ ¡”•²¬ Ë“‘ ”— ˜¬ ‘¼”¢Õ« ‘“ ”Ž 

˜¢ ° ”£ ©©ŽÊ  £ ¡ Ž© û” ˜¢ § ¢ “ ”!  Þ ”™ ˜”  ‘±› ˜¢ ÞŽ”  ™©!§ ™ ¬ ü“™§¢ —Á … da kam einer der Seraphim, der sechsflügligen, und nahm Adam mit und brachte ihn in den Acherusischen See, wusch ihn dreimal ab und führte ihn vor Gott; er aber verbrachte drei Stunden liegend. Und danach streckte der Vater des Alls seine Hand aus – auf seinem Throne sitzend –, nahm Adam und übergab ihn dem Erzengel Michael und sprach: „Bringe ihn ins Paradies bis zum dritten Himmel und laß ihn dort bis zu jenem schrecklichen Tag, der Abrechnung, die ich an der Welt vollziehen werde.“ (37,3–5)

Anschließend ruft Michael auf Gottes Befehl hin alle Engel mit all ihren kultischen Instrumenten und Utensilien vor dem Angesicht Gottes zusammen. Der „Herr der Heerscharen“ steigt auf seinen Wagen, der nunmehr erneut, diesmal von den vier Winden gezogen, den Cheruben gelenkt und den ihm vorangehenden Engeln geleitet, auf die Erde kommt, „wo der Leib Adams war“ (38,3:  — “‘ ¡ ©¬ ²“ ¼ ¢ •   Õ!). Sogleich wird das Reiseziel noch genauer als das Paradies bestimmt (38,4: ù ‘¼ §¢ “ ”! ), wo sich nun offenbar die Leiche Adams befinden soll (39,1:   “”¢¢• Õ!). 27 Vom dritten Himmel ist hier nicht mehr die Rede. Es folgt eine längere Rede Gottes an (den toten!) Adam, in welcher er ihn wegen seines Vergehens zur Rede stellt, weswegen man ihn an diesen Ort herab gebracht habe (39,1: ý ©þ ©—  § ¢ —“ ). Aber, so stellt Gott ihm in Aussicht, Adam werde dort nicht bleiben, sondern Gott werde ihn auf den Thron dessen setzen, der ihn verführt hat, während der 27 Noch eindeutiger nach B: ‘¼ · ¢“”¢¢• Õ«“‘¡© °“ ” ™Ê.

522

Auf der Suche nach dem Paradies

Verführer selbst „an diesen Ort“ geworfen werde, so dass er (der Verführer) am Ende Adam auf dem Thron über sich sitzen sehen muss: Ì ‘ “ ”Ž  § ¡ ”£Ë  ‘ ý™þ  § ¢ ”—  “ Ë —     § Ë  § ¢ —“ ¬ Ò  š¤ 

Ëÿ“! ˜Ì … und ich werde dich wieder zu deiner ursprünglichen Herrschaft bringen und werde dich auf den Thron deines Verführers setzen. Jener aber wird geworfen werden an diesen Ort, damit er dich über ihm sitzen sieht …. (39,2f.)

Hier ist deutlich eine räumliche Vorstellung von „oben“ und „unten“ assoziiert, wobei freilich nicht ganz klar ist, ob der Thron, auf dem derzeit noch der Verführer, künftig aber (wieder) Adam sitzt, im irdischen Paradies steht oder in die himmlische Welt wenigstens hineinragt. Jedenfalls kann er schwerlich unter der Erde angesiedelt sein, wohin doch aber die Leiche Adams nun erst einmal gebracht werden soll. Das Begräbnis Adams wird anschließend ausführlich und mit vielen Details ausgeschmückt geschildert (Kap. 40–42). Nach umfangreicher Leichenpflege durch Michael, Gabriel und Uriel, „die drei großen Engel“ (40,2), wird Adams Leichnam zusammen mit demjenigen Abels begraben. Dieser war nämlich, wie jetzt nachgetragen wird, seit seiner Ermordung immer noch nicht bestattet, sondern von den Engeln auf einem Felsen sozusagen zwischengelagert worden (40,5), weil sich die Erde dagegen gewehrt hatte, ein „anderes Gebilde“ (Þ”“! ) aufzunehmen, bevor nicht „das erste Gebilde“ (¢“”• “! ) ihr den Staub überlassen hätte, aus dem es genommen worden war (40,5). 28 Nun werden also beide Leichname zusammen in diejenige Gegend des Paradieses, an genau denjenigen Ort verbracht, wo Gott Staub genommen und Adam gebildet hatte, und dort mit großem himmlischen und irdischem Aufwand in der Erde bestattet: é ‘“”Ž ½· ¢«¢  ¢Õ« ‘¢ɘû” –ŧ «Ž”“ ” ™¬§¢—“¬²“¼”£· ¢ ‘ª“ ¢Õ!Á

‘“™Ô© •Å¢—“Áé ‘ “Ž · ¢Ÿ“« ©©Ž §¢“ ”!  ‘Æ© ©˜Ê™ “« ‘ª  ˜«À©ÀÁé ‘«   ª «ÅÇ   ‘ª   ˜«§¢—“Á§¶”½  ‘ ŗ —  ˜™Á Und Gott ordnete an, nachdem Adam und Abel zugerüstet worden waren, daß die beiden in die Gegend des Paradieses gebracht würden, an den Ort, wo Gott Staub genommen und Adam gebildet hatte. Und er ließ den Ort für die beiden ausheben. Und Gott sandte sieben Engel ins Paradies, und sie brachten viele Parfüme und legten sie in die Erde. Und danach nahmen sie die zwei Leiber und begruben sie an dem Ort, den sie selbst ausgehoben und ausgebaut hatten. (40,6f.)

28

Vgl. zu dieser Tradition DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 535–538.

2. Erzählverlauf und Topographie

523

Das Paradies ist hier also wieder eindeutig ein Ort auf der Erde, geradezu ein irdischer Friedhof, und die Grabstelle Adams genau der Ort seiner Erschaffung. Bevor Gott nun persönlich Adams Grab versiegelt, spricht er ihn noch einmal direkt an, und der Leichnam antwortet ihm aus der Erde: „Siehe, hier bin ich, Herr!“ (41,1: “ ”™ ¢•  © ‘哧Ŭ©Ç¬ Ŕ ). Mit Betonung stellt Gott Adam dessen irdisches Wesen und Ziel vor Augen, verheißt ihm dann aber erneut die Auferstehung mit allen seinen Nachkommen: 哗 ¬² ©å ‘§© “Ť“! ¡ !  “ ©©Žýþ ™    Ë   À  !  « “ ¢ ©Ž  ”Ç“¬ ì    “Ž” —Á Ich habe dir gesagt, daß du Erde bist und in die Erde fortgehen wirst. Hinwiederum verheiße ich dir die Auferstehung; ich werde dich auferstehen lassen in der Auferstehung mit dem ganzen Menschengeschlecht, das aus deinem Samen kommt. (41,2)

Auch hier ist die Auferstehung somit wieder ein Geschehen jenseits der erzählten Geschichte. Das mit einem erhabenen Bauwerk versehene Grab Adams wird nun also noch von Gott selbst mit einem dreieckigen Siegel versehen, damit es verschlossen bleibe bis zum Zeitpunkt des binnen sechs Tagen zu erwartenden Todes Evas (42,1). Damit wird der Anschluss zur letzten Szene der Erzählung hergestellt. Nachdem der Herr und seine Engel nach Adams Bestattung wieder „an ihren Ort“ (42,2: §¢—“ ˜•) zurückgekehrt sind, wird noch einmal kurz zurückgeblendet auf Eva, wie sie über den Tod Adams trauert. Da sie beim Kommen Gottes in das Paradies eingeschlafen war, 29 weiß sie nicht, wo Adam inzwischen bestattet wurde. Daher bittet sie Gott, an demselben Ort wie er beigesetzt zu werden (42,4: Ò  ›À§¢—“¬²“¼Õ« · ¡” ˜) und mit in sein Zelt eingehen zu dürfen (42,6: § «  Ç  ˜), damit sie beide, wie einst im Paradies, nicht voneinander getrennt sein mögen. Daraufhin blickt sie zum Himmel hinauf und gibt ihren Geist auf (42,8: “ ”Ž ¢“  ˜). Der Erzengel Michael kommt noch einmal zurück, um Set zu belehren, wie Eva zu bestatten sei. Mit Hilfe dreier weiterer Engel bestatten sie Eva dort, „wo der Leib Adams war“ (43,1: ²“¼¢• Õ!). Schließlich lehrt Michael noch Set die Kunst der Bestattung aller künftig Verstorbenen „bis zum Tage der Auferstehung“ (43,2) und gibt ihm Anweisungen zur Trauer: “!”½”•ï½¡“ ËÀŸ—¤Ž”¥ !“  ‘˜›”!  “í

˜À¬²  ˜À ‘· ¢ ‘’±©© ˜›” — « ™  £¬ ! “¢©Á

29 Nach 38,4 bewegten sich alle Gewächse des Paradieses beim Kommen Gottes, und alle Nachkommen Adams bis auf Set schliefen von ihrem Wohlgeruch ein.

524

Auf der Suche nach dem Paradies

Mehr als sechs Tage sollt ihr nicht trauern, am siebten Tage aber ruhe dich aus und freue dich an ihm, denn an ihm freuen sich sowohl Gott als auch wir, die Engel, mit der gerechten Seele, die von der Erde abgeschieden ist. (43,3)

Nach dieser Ermahnung steigt der Engel hinauf in den Himmel, Gott lobend mit dreimaligem Halleluja und dreimaligem Sanctus (43,4). 30

3. Orte für Tote und Lebende, Irdische und Himmlische 3. Orte für Tote und Lebende, Irdische und Himmlische Wir haben somit im Griechischen Leben Adams und Evas eine stark gegliederte Landkarte der himmlischen und irdischen Welten, die zu bereisen sind, vor Augen, besser gesagt, eine Reliefkarte mit klar erkennbaren horizontalen und vertikalen Dimensionen. Bei dem Versuch einer genaueren Orientierung in diesen Welten kommen wir aber in Schwierigkeiten. Das beginnt schon bei der Frage, wo Adams Leiche zu suchen ist. Zunächst hat es den Anschein, dass sie, als sein Geist aus ihm herausging und zu Gott auffuhr, auf der Erde liegen geblieben war, also irgendwo östlich des Paradieses zu finden sein müsste (32,4). Dann aber sieht Eva, wie ein Lichtwagen mit himmlischem Gefolge und kultischem Inventar (und offenbar auch mit Gott selbst als Passagier) zur Leiche Adams gefahren kommt, für den ein großer Fürbittgottesdienst beginnt (33,2f.). Aber wo? Immer noch auf der Erde, oder nicht doch schon in der himmlischen Welt, in die unmittelbar anschließend Set und Eva Einblick erhalten? Jedenfalls ruft Eva Set von der Leiche Adams weg zu sich, um mit ihr gemeinsam diese Vision zu genießen. Und beide sehen dann eindeutig die Leiche Adams (¢• !) im Himmel vor Gott auf ihrem Angesicht liegen, von wo aus sie einer der Seraphim entrückt und zum Acherusischen See bringt. Auch der Acherusische See, 31 diese wohl auffälligste geographische Sehenswürdigkeit unseres Textes, ist nicht leicht zu lokalisieren. Zu sehen bekommen wir ihn nur, wenn wir mit Eva und Set in das geöffnete Firmament blicken (und uns dabei nicht zu sehr von Gottes Lichtglanz blenden lassen, der ja immerhin Sonne und Mond als Äthiopier erscheinen lässt!). Offenbar liegt also auch der Acherusische See irgendwo in einer der himmlischen Welten, denn einer der Seraphim entführt ja den im Himmel befindlichen Leichnam Adams, um ihn dort zu waschen, bevor er ihn vor Gottes Thron ablegt (37,3f.). Andere Gewässer bekommen wir allerdings nicht zu sehen, weder im Himmel noch auf Erden oder im Paradies. Von den biblischen Paradiesströmen nach Gen 2,10–14 etwa fehlt jede Spur.

30

Zur Herausstellung des Sabbat als Ruhe- und Festtag in grLAE vgl. TÓTH, Das Gebet der Heiligen (Anm. 26), 283–287 mit Anm. 161. 31 Vgl. dazu THOMAS J. KRAUS, Acherousia und Elysion: Anmerkungen im Hinblick auf deren Verwendung auch im christlichen Kontext, Mn. 56, 2003, 145–163.

3. Orte für Tote und Lebende, Irdische und Himmlische

525

Ebenso wenig gibt es eine Unterwelt, nicht einmal einen Abgrund, obwohl doch die verschiedenen erzählten Welten klar vertikal gegliedert sind. Aber „unten“ ist jeweils die Erde, sei es im Paradies oder außerhalb seiner, „oben“ der Himmel bzw. die Weltebene Gottes, die dann gegebenenfalls noch nach Höhenstufen unterteilt sein kann. Jedenfalls müssen die Engel und Satan, wenn sie Gott vor seinem himmlischen Thron den Lobgesang darbringen wollen, noch ein Stück weiter aufsteigen. Tiefer als die Erdoberfläche ist dagegen nur noch das Grab, das aber nicht als Teil einer Unterwelt, sondern dezidiert irdisch gekennzeichnet wird. Nicht einmal das Paradies können wir genau orten. Einerseits befindet es sich offenbar auf der Erde, der Bibel nach irgendwo im Osten (Eden als geographischer Orientierungspunkt wird freilich nicht genannt), und die Erzeltern siedeln nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies auf der Erde noch weiter östlich (1,1f.; vgl. 5,3; 29,6). Andererseits erscheint es gegenüber der von Adam und Eva bewohnten Erde mehrfach als ein Jenseits, und zumindest nach Adams Tod wird es im dritten Himmel lokalisiert (37,5), wohin der Erzengel Michael den Leichnam Adams nach seiner Waschung im Acherusischen See und seiner gnädigen Annahme durch Gott bringen soll. Dieser paradiesisch-himmlische Ort erscheint dann freilich auch wieder durchaus irdisch. Es ist ja am Ende der Begräbnisplatz Adams, Abels und Evas, also eine Art paradiesischer Friedhof. Dass Adam ausdrücklich erdbestattet wird, stellt das ganze Inventar der Bestattungsriten immer wieder eindeutig heraus. Seine Grabstelle im Paradies ist immerhin genau der Ort, an dem Gott einst Staub nahm, um daraus Adam zu bilden (40,6). Auch der Thron, der Adam für seine Zukunft jenseits des Todes versprochen wird, ist nicht eindeutig lokalisierbar. Zum Zeitpunkt von Adams Tod und Bestattung ist er noch durch den Verführer besetzt, der aber künftig dorthin hinab gestoßen wird, wo Adam jetzt ist, so dass er dann diesen über sich sitzen sehen muss (39,2f.). Wo genau der Thron nun steht, bleibt also undeutlich. Überhaupt lässt sich die mehrfach artikulierte Auferstehungshoffnung nicht lokalisieren. Gerade weil die Ankündigung der Auferstehung jeweils die Ebene des erzählten Geschehens zur Zukunft hin überschreitet, erscheint dieser Aspekt der Zukunftsperspektive in unserer Erzählung besonders stark akzentuiert. Allerdings wird die Auferstehungsvorstellung weder in anthropologischer Hinsicht, noch hinsichtlich eines vorstellbaren Aufenthaltsortes der Auferstandenen weiter entfaltet. In diesem Sinne könnte man die Auferstehungshoffnung im Griechischen Leben Adams und Evas geradezu als Utopie bezeichnen.

526

Auf der Suche nach dem Paradies

4. Anthropologische Aspekte angesichts des Todes 4. Anthropologische Aspekte angesichts des Todes Damit zeigt sich deutlich der Zusammenhang von endzeitlich orientierten Zukunftserwartungen und anthropologischen Konzeptionen im Griechischen Leben Adams und Evas. Freilich gibt es auch hier wieder erhebliche Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Vorstellungen, die in unserer Erzählung narrativ verknüpft sind, systematisch miteinander in Einklang zu bringen. Zwar sind die anthropologischen und eschatologischen Konzeptionen der Schrift deutlich von biblischen und frühjüdischen Überlieferungen geprägt (spezifisch christliche Einschläge lassen sich an keiner Stelle ausmachen), können aber schwerlich im Sinne einer reflektierten „Theologie“ des Frühjudentums miteinander systematisiert werden. So ist im Zusammenhang der Vision Evas von der Erhöhung Adams zum Thron Gottes im Himmel (33,2–37,6) die Leiche Adams betont körperlich vorgestellt, freilich rein passiv und schweigend (auch im Gebet). Worte zwischen Gott und Adam fallen hier nicht. Auch im Rahmen der Bestattungsszenen (38,3–43,3), die auf der Erde spielen, wo auch immer genau, und bei denen neben den Engeln auch Gott selbst geradezu handfest mitwirkt, geht es um Adams Leiche, die in die Erde gebracht werden und da auch bleiben soll bis zum Tag der Auferstehung, eine Leiche freilich, mit der Gott immerhin noch sprechen kann, selbst als sie schon unter der Erde ist! Demgegenüber war im Blick auf das bevorstehende Sterben Adams davon die Rede, dass er bei seinem Tode „aus seinem Leib herausgehen“ (31,1: ½     Ç  ˜, vgl. 32,4: ½  “¢  Ç 

˜) und „seinen Geist aufgeben werde“ (31,4: “Ç ¢ “! ) 32 und dass Set „den fürchterlichen Aufstieg seiner Seele“ zu sehen bekommen werde (13,6: ½”£Ž£ ˜Ž  !   ¡ ± ˜ ›”!). Hier ist deutlich die Trennung von Leib und Geist bzw. Seele im Tod vorausgesetzt. Demnach müsste man eigentlich nach dem Tod Adams eine Art Erhöhung oder Himmelsreise seiner Seele bzw. seines Geistes erwarten. Im Folgenden macht aber die Leiche Adams einen durchaus körperlichen Eindruck, und die ganze Erzählung läuft auf die Begräbnisszenen der Erzeltern hinaus, nicht auf das Weiterleben ihrer Seelen und eben auch nicht auf die Auferstehung, die ja außerhalb der Erzählzeit angesetzt wird. Man hat versucht, die unterschiedlichen anthropologischen und eschatologischen Konzeptionen auf verschiedene literarische Schichten des überlieferten Textes zu verteilen. 33 Mir scheint dieser Versuch nicht gelungen, da zum einen auch bei dem vorgeschlagenen Textentstehungsmodell Inkohärenzen in

32 33

Vgl. mit Bezug auf Eva 42,8: ‘“ ”Ž ¢“  ˜. So vor allem DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 124–148.

4. Anthropologische Aspekte angesichts des Todes

527

anthropologischer und auch in topographischer Hinsicht verbleiben 34 und es zum anderen nicht gelingen will, die verschiedenen Schichten auch jeweils voneinander abgrenzbaren, profilierten historischen und traditionsgeschichtlichen Kontexten zuzuweisen. 35 M.E. ist es dem überlieferten Text eher angemessen, nach den jeweiligen Intentionen zu fragen, die sich in seinen anthropologischen und eschatologischen Aussagen erkennen lassen. 36 Dabei bietet die Unterscheidung zwischen Konzeptionen innerhalb der Erzählebene und solchen, die die Erzählebene überschreiten, einen Interpretationsschlüssel. Textpragmatisch sind offenbar beide Ebenen von Bedeutung. So dürften die Verweise auf die Auferstehung gerade dadurch textpragmatisch besonderes Gewicht haben, dass nur an diesen Stellen und allein mit Blick auf die Auferstehung die Erzählebene des Textes überschritten wird. Demgegenüber beherrschen innerhalb der erzählten Zeit ganz klar die Vorgänge und Vorstellungen um das Begräbnis Verstorbener die Szene und bestimmen so auch die Aussageabsicht der Schrift. Es dürfte sich lohnen, den zahlreichen Einzelzügen der Erzählung in diesem Zusammenhang einmal näher nachzugehen und sie als antike Zeugnisse für den Umgang mit dem Tod und seine Bewältigung in Alltagsvollzügen systematisch zu erfassen. Blickt man zunächst auf die anthropologischen Vorstellungen, so zeigt sich, dass innerhalb der Erzählung Konzeptionen einer leiblich-ganzheitlichen Sicht des Menschen vorherrschen, wenngleich auch Vorstellungen einer bi- oder gar tripolaren Anthropologie (Leib, Seele, Geist) dem Text nicht fremd sind. 37 Das dürfte nicht zuletzt mit der textpragmatischen Ausrichtung der Schrift auf Formen des Umgangs mit dem Tod im Alltag, und das heißt eben zunächst einmal, mit Leichen aus der eigenen Familie, zu tun haben. Die biblische Erzählüberlieferung von den Erzeltern konnte hier als exemplarischer Anknüpfungspunkt

34

Kritisch gegenüber einer literarkritischen Scheidung anhand anthropologischer Vorstellungen auch MARINUS DE JONGE/L. MICHAEL WHITE, The Washing of Adam in the Acherusian Lake (Greek Life of Adam and Eve 37:3) in the Context of Early Christian Notions of the Afterlife, in: DE JONGE, Pseudepigrapha of the Old Testament (Anm. 1), 201–227: 205f. 35 Nach DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 1), 138f., gehören die verschiedenen Quellen und Schichten, die er in der literarischen Vorgeschichte des Textes ausmachen will, im Grunde zu demselben Milieu. 36 Das versuche ich in meiner in Anm. 21 erwähnten Arbeit zu zeigen. 37 Vgl. zu entsprechenden anthropologischen Konzeptionen bei Philon und Paulus zuletzt GEORGE H. VAN KOOTEN, Paul’s Anthropology in Context. The Image of God, Assimilation to God, and Tripartite Man in Ancient Judaism, Ancient Philosophy and Early Christianity, WUNT 232, Tübingen 2008, 269–312. Ein vergleichbares „Schillern“ zwischen bipolaren und tripolaren anthropologischen Konzeptionen zeigt sich z.B. auch bei PseudPhok 97–121; vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides, in: Empsychoi Logoi – Religious Innovations in Antiquity (FS P. W. van der Horst), hg. v. ALBERDINA HOUTMAN/ALBERT DE JONG/MAGDA MISSET-VAN DE WEG, AGJU 73, Leiden 2008, 469–483: 471–473 [in diesem Band 585–599]. Bezeichnenderweise fehlt aber die Vokabel  in grLAE völlig!

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Auf der Suche nach dem Paradies

dienen, lebenspraktische Unterweisung zur „Kunst der Bestattung“ zu vermitteln. Demgegenüber treten Vorstellungen vom Weiterleben der Seele oder von der Trennung von Geist und Leib beim Tod in diesem Zusammenhang eher in den Hintergrund, ohne dass sie bewusst beiseite gerückt oder gar dezidiert abgelehnt werden müssten. Vielmehr zeigt die geradezu unbefangene Rede in unserem Text vom „Aufgeben des Geistes“ bzw. vom Verlassen des Leibes und vom „Hinauffahren der Seele“ beim Tod, dass beides nicht als Widerspruch empfunden werden musste. Es stand nur nicht im Mittelpunkt des Interesses, wenn es um die Bewältigung von Todesfällen ging. Hier war zunächst einmal praktische Lebenshilfe, konkret: Hilfestellung mit Blick auf die zu bewältigende Bestattung, gefragt und erst in weitergehender Perspektive dann auch Zuspruch mit Blick auf die Bewältigung der Todeserfahrung überhaupt, auch des bevorstehenden eigenen Todes. Dort kommt dann der die Erzählebene überschreitende Verweis auf die Auferstehung zum Tragen.

5. Ausblicke ins Paradies: Acherusia und Elysion im antiken Judentum und Christentum 5. Ausblicke ins Paradies Nicht nur durch die aus der Bibel vorgegebene Personnage der Erzählung, sondern offenbar auch aufgrund der von dorther bezogenen anthropologischen und eschatologischen Konzeptionen erscheint unsere Schrift als ein Zeugnis biblisch-frühjüdischer Frömmigkeit und Erzählkunst. Dass dieses biblisch-frühjüdische Konglomerat auch für antike christliche Leser und Gemeinschaften nicht nur akzeptabel, sondern sogar überaus attraktiv war, zeigt allein schon ihre Überlieferungsgeschichte, die ja ausschließlich christlich getragen ist. 38 Das liegt zum einen natürlich an der biblischen Grundlage des Stoffes, der ja auch für Christen mit ihrem Alten Testament maßgeblich blieb. Darüber hinaus spiegelt es aber auch den breiten Überschneidungsbereich anthropologischer und eschatologischer Konzeptionen wider, der Christen und Juden miteinander dauerhaft verband und sie zugleich gemeinsam von paganen Kulturen und Religionen trennte. Umso bedeutsamer erscheint es nun aber, dass in unserem Werk zugleich auch charakteristische Vorstellungen nichtjüdischer philosophischer und kultureller Tradition begegnen, die offenbar weder von den jüdischen Erstautoren der Erzählung noch von ihren christlichen Tradenten als Fremdkörper empfunden wurden. Deutlichstes Indiz dafür in unserem Text ist der Acherusische 38 Darin liegt das prinzipielle Recht der immer wieder von MARINUS DE JONGE erhobenen Forderung, Schriften wie das grLAE in den Zusammenhang der frühchristlichen Literatur zu stellen, vgl. dazu zuletzt MARINUS DE JONGE, The Christian Transmission of Pseudepigrapha. Some Cases, in: DERS., Pseudepigrapha of the Old Testament (Anm. 1), 39–68, sowie speziell zu grLAE seine beiden o., Anm. 1, genannten Arbeiten.

5. Ausblicke ins Paradies

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See, 39 in dem der Leichnam Adams von einem der Seraphen dreimal gewaschen wird, bevor er vor den Thron Gottes und dann sogar in die Hand Gottes gelegt wird (37,3f.). Vergleicht man diese knappe Erwähnung des Acherusischen Sees mit dem reich ausgestalteten Mythos, wie er z.B. in Platons Phaidon wiedergegeben wird (112a–114c), dann relativiert sich freilich der erste Eindruck einer umfassenderen Rezeption. Gerade in topographischer Hinsicht erscheinen die jenseitigen Welten von Acherusia und Elysion bei Platon ungleich bunter und vielgestaltiger. Offenbar haben wir in unserer Schrift lediglich ein paar Versatzstücke solcher mythologischer Überlieferungen vor uns, die zudem noch deutlich den biblischen und frühjüdischen Vorstellungen vom himmlischen Thron Gottes und vom Paradies zu- und eingeordnet werden. 40 Während im Phaidon geradezu eine Art zusammenhängendes unter- und überirdisches Wasserleitungssystem dargestellt wird, das die ganze Erde durchzieht, in welchem der Acherusische See nur eines der zahlreichen Gewässer dieser Unterwelt neben anderen, vor allem dem Tartaros, bildet, findet derselbe See sich im Griechischen Leben Adams und Evas irgendwo an einem nicht näher bestimmten Ort im Himmel. Während in unserer Erzählung die dreimalige Waschung im Acherusischen See lediglich eine Durchgangsstation der Leiche Adams nach erfolgreicher Fürbitte der Engel auf seinem Weg zunächst in Gottes Hand und dann ins paradiesische Grab auf der Erde ist, bildet er im platonischen Mythos den Ort der Entscheidung, an den die Seelen der Verstorbenen immer wieder gelangen, um sich dort zu reinigen und ihre Vergehen zu büßen, von ihnen losgesprochen zu werden bzw. für ihre guten Taten Lohn zu erhalten, um dann im günstigeren Falle aus der Unterwelt wieder auf die Erde zurückkehren zu dürfen, im günstigsten aber für alle künftigen Zeiten ganz ohne Leiber in noch schöneren Wohnungen als den irdischen wohnen zu dürfen (Phaid 114c). Demgegenüber erscheinen die unseren Text prägenden Bilder und Landschaften geradezu karg und nüchtern. Wichtiger noch: Leitende Vorstellungen über das Geschick der Verstorbenen und ihre Zukunftshoffnungen sind die Fürbitte der Engel, die Begegnung mit Gott, eine anständige Beerdigung und die Hoffnung auf die Auferstehung am Ende der Zeiten. Topographische Landschaftsbilder wie der Acherusische See oder auch das üppig bewachsene und

39 Dazu grundlegend ERIK PETERSON, Die ‚Taufe‘ im Acherusischen See, VigChr 9, 1955, 1–20 (erweitert in: DERS., Frühkirche, Judentum und Gnosis. Studien und Untersuchungen, Rom u.a. 1959, 310–332); vgl. zuletzt KRAUS, Acherousia und Elysion (Anm. 31), 145–163, sowie DE JONGE/WHITE, The Washing of Adam in the Acherusian Lake (Anm. 34). 40 Sehr viel umfassender, gerade auch in topographischer Hinsicht, ist die Rezeption der mythologischen Motive z.B. in der apokryphen Paulus-Apokalypse, vgl. dazu DE JONGE/ WHITE, a.a.O., 222–226.

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Auf der Suche nach dem Paradies

belebte Paradies sind nicht viel mehr als Motive, die der Erzählung Farbe geben, ihre anthropologischen und eschatologischen Konzeptionen aber kaum tiefer prägen. Solche Vorgaben bleiben offenbar auch in christlichen Texten bestimmend, die nicht mehr unmittelbar durch ein frühjüdisches Überlieferungsmilieu gespeist werden. Gerade an der Rezeption der Vorstellungen von Acherusia und Elysion kann man das sehr schön beobachten, wie Thomas J. Kraus kürzlich in mehreren Arbeiten gezeigt hat. 41 So wird in einem der so genannten griechischen Petrus-Apokalypse zuzuweisenden Fragment eine Szene erkennbar, in welcher die Rettung aus dem Acherusischen See, der im elysischen Feld lokalisiert wird, mit der Taufe verbunden ist. Der Text lautet: ߓ ”འ    ‘    ¬  « §  ™    

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 °Íיʓ™ÊÌ Ich werde meinen Berufenen und meinen Auserwählten den gewähren, den sie aus der Strafe erbitten, und ich werde ihnen eine gute Taufe geben in der Rettung aus dem Acherusischen See, den man so nennt im Elysischen Feld … 42

Kraus zeigt in seiner detaillierten Untersuchung, 43 wie sich in diesem Text offenkundig jüdisch-apokalyptische Traditionen wie etwa Himmelsvisionen oder Beschreibungen von Höllenstrafen mit spezifisch christlichen, wie z.B. dem Trinken des Kelches und dem Verweis auf „den Sohn“, und charakteristischen griechisch-paganen Motiven, wie eben dem Acherusischen See und dem elysischen Feld, überlappen. 44 Mir scheint, dass sich gerade an dem eben zitierten Beispiel, ähnlich wie in dem von uns näher untersuchten Griechischen Leben Adams und Evas, durchaus Konturen einer Rezeption von Vorstellungen und Motiven erkennen lassen, die einen Ansatz auch für weiterführende Untersuchungen zu „Metamorphosen“ im spätantiken Menschenbild, in den Endzeiterwartungen und im Verständnis des Todes und bei seiner Bewältigung anbieten. Auch dort begegnen mythologische Motive aus der griechisch-römischen Tradition, verbunden mit der biblisch-jüdischen Überlieferung vom erwählten Gottesvolk und seinem endzeitlichen Geschick, der endzeitlichen Gemeinschaft mit den Patriarchen in

41

KRAUS, Acherousia und Elysion (Anm. 31); DERS., Die griechische Petrus-Apokalypse und ihre Relation zu ausgewählten Überlieferungsträgern apokalyptischer Stoffe, Apocrypha 14, 2003, 73–98; DERS., Fürbitte für die Toten im frühen Christentum: „Ich werde … den gewähren, den sie aus der Strafe erbitten“, in: KLEIN/MIHOC/NIEBUHR, Das Gebet im Neuen Testament (Anm. 26), 355–396. 42 Text und Übersetzung nach KRAUS, Fürbitte für die Toten im frühen Christentum (Anm. 41), 356. 43 Vgl. bes. KRAUS, a.a.O., 359f.363–373. 44 Einmal ganz abgesehen von der Petrus-Pseudepigraphie!

5. Ausblicke ins Paradies

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der Königsherrschaft Gottes, bewirkt durch das Heilsgeschehen der christlichen Taufe mit ihren eschatologisch-soteriologischen Wirkungen. 45 Fragt man, welche der sich hier überlappenden Traditionsbereiche die Vorstellung leiten, so wird auch in diesem zweifellos christlichen Text ein klares Übergewicht der biblisch-frühjüdischen Konzeptionen erkennbar, während die paganen, hellenistisch-römischen Traditionen von Acherusia und Elysion nicht viel mehr als Versatzstücke verbreiteter mythologischer Folklore darstellen. 46 Offenbar bleibt selbst in solchen christlichen Texten, die nicht mehr unmittelbar aus einem spezifisch jüdischen oder judenchristlichen Milieu herrühren, die Durchsetzungskraft der biblischen Überlieferung so stark, dass sie zwar durch Bezug auf spezifisch christliche Glaubensanschauungen transformiert und aktualisiert und durch Rezeption typisch pagan-griechischer Motive garniert, in ihren entscheidenden Konturen aber nicht verändert werden. Die biblisch-jüdische Überlieferung konstituiert somit die Anthropologie, die Eschatologie und damit auch den Umgang mit dem Tod und seine Bewältigung, wie sie durch das Christentum in der Antike wirksam geworden sind und sich letztlich im Mittelalter und bis in die Neuzeit hinein zu einem wesentlichen Teil der geistigen Grundlagen Europas entwickelt haben.

45

Nicht übersehen werden sollte übrigens, dass im grLAE im Unterschied zu allen erkennbar christlichen Rezeptionsgestalten der Tradition vom Acherusischen See von einer Taufe gerade nicht die Rede ist, sondern lediglich von einer Waschung, m.E. ein weiteres Indiz für eine jüdische Urgestalt der Schrift. 46 Natürlich sind, wie KRAUS, Acherousia und Elysion (Anm. 31), 162, zu Recht festhält, „jüdischer und paganer Hintergrund keineswegs als Polaritäten anzusehen“, zeigt doch „die Zeit des Hellenismus deutlich die starke Beeinflussung des Judentums mit griechischem Gedankengut“. Gleichwohl ist wenigstens unser Text m.E. ein klarer Beleg dafür, wie spezifisch pagane Traditionen bereits im Überlieferungsmilieu des frühen Judentums so in die Leitlinien biblischer Gottesvorstellungen und anthropologischer Konzeptionen eingehegt werden, dass sie dann auch vom frühen Christentum problemlos rezipiert werden können. In diesem Sinne kann ich dann auch dem abschließenden Urteil von DE JONGE/WHITE, The Washing of Adam in the Acherusian Lake (Anm. 34), 226f., zustimmen: „In late antiquity, the image of the Acherusian Lake may have served as a mythic axis for the synthesis of an older apocalyptic eschatology (as seen in the Greek Life of Adam and Eve) with Platonic notions of afterlife, now equated with the heavenly Paradise – a synthesis that would eventually come to dominate the new Christian worldview.“

Wohin mit den Toten? Begräbnispraxis und Auferstehungshoffnung in der Spätantike 1 Der Umgang mit den Toten lässt darauf schließen, was man von den Lebenden hält. Diese etwas provokante These möchte ich an Quellen illustrieren, die uns heute relativ fernliegen, selbst denjenigen Fachkollegen, die sich beruflich mit der Antike oder den biblischen Texten beschäftigen, also Altphilologen, Althistorikern oder Bibelwissenschaftlern. Anthropologische Gegebenheiten wie Sterben, Tod, Begräbnis, Trauer und Hoffnung über den eigenen Tod hinaus sind natürlich immer schon ein klassisches Arbeitsgebiet für Theologen und Philologen, Philosophen oder Anthropologen gewesen. In der Regel stehen dabei aber die großen literarischen Überlieferungen der Antike im Mittelpunkt, die Bibel Alten und Neuen Testaments, die Epen und Dramen der antiken Dichtkunst, die philosophischen Texte der Griechen und Römer oder die spätantiken Zeugnisse christlicher Theologen. Relativ geringes Interesse finden dagegen bis heute Fragen des sozusagen alltäglichen Umgangs der Lebenden mit den Toten, also z.B. konkrete Formen der Bestattungspraxis und der damit verbundenen, mehr oder weniger ausgesprochenen Vorstellungen über das, was den Menschen zum Menschen macht, und über das, was aus ihm wird, wenn er nicht mehr ist. Dabei gehören solche Fragen ganz offenkundig zu dem, was nun wirklich einen jeden von uns unmittelbar angeht, im Blick auf unsere Mitmenschen wie mit Blick auf uns selbst. Und das wird uns ja auch immer wieder deutlich, etwa in öffentlichen Debatten zu ethischen Fragen wie der nach dem Anfang und dem Ende des menschlichen Lebens. Wie geht man in Kliniken mit abgestorbenen Föten oder mit Unfalltoten um? Wann beginnt und wann endet der Vorgang des Sterbens? Übrigens eine ganz wichtige Frage auch mit Blick auf das Problem der Organspende! Wann genau hört der Mensch auf, Mensch zu sein, und wo beginnt seine Weiterexistenz als Leiche? 2 1 Vortrag auf der 41. Ordentlichen Klassensitzung der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt am 22. Oktober 2010 in der Kleinen Synagoge zu Erfurt. Die Vortragsform wurde beibehalten. Die bibliographischen Nachweise in den Fußnoten beschränken sich, abgesehen von einigen einführenden Darstellungen zum Thema, weitgehend auf die herangezogenen antiken Quellen. Eine weiterführende und dann auch im Einzelnen dokumentierte Bearbeitung des Themas ist geplant. 2 Exemplarisch sei hier auf zwei einführende Darstellungen aus – jeweils durchaus verschieden akzentuierter – theologischer Perspektive hingewiesen: NIKOLAUS KNOEPFFLER,

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Wohin mit den Toten?

Ich möchte diesen ganzen Fragekomplex aber hier nicht aus medizinethischer oder theologisch-anthropologischer Sicht beleuchten, sondern zunächst aus einem anderen, sehr speziellen Blickwinkel heraus, aus der Sicht auf die Begräbnispraxis in der Spätantike und auf damit zusammenhängende Vorstellungen vom Menschsein. 3 Dabei wird sich zeigen, dass – natürlich – auch theologisch-anthropologische Fragestellungen oder medizinethische Probleme nicht ausgeblendet werden können, und letztlich stehen auch meine Überlegungen in diesem weiteren Kontext. Ich denke aber, dass gerade der Blick auf die alltäglichen Umgangsweisen mit den Toten etwas zu erkennen geben kann über das Menschsein als solches und über die Haltung gegenüber dem Menschlichen in der Gesellschaft, in der Antike ebenso wie heute. 4 In unserer Gesellschaft vollziehen sich gegenwärtig – wenig thematisiert und von vielen kaum bemerkt – gravierende Veränderungen in der Begräbnispraxis. 5 Galt noch vor wenigen Jahrzehnten die Erdbestattung als die selbstverständliche Form des Begräbnisses, bei kirchlichen ebenso wie bei so genannten „weltlichen“ Bestattungen, so stellt die Feuerbestattung heute die bei weitem häufigste Bestattungsform dar, in der Stadt wie auf dem Lande, bei Kirchenmitgliedern nicht weniger als bei Nichtchristen – Muslime bilden hier offenbar noch die Ausnahme. Bei dieser Bestattungsform ergeben sich natürlich ungeahnte Möglichkeiten des Umgangs mit den Toten bzw. mit dem, was von ihnen nach der Verbrennung noch übrigbleibt. Die Bestattungsindustrie ist überaus kreativ bei der Suche nach Marktlücken auf diesem Geschäftsfeld, das ja offenkundig um kontinuierliche Nachfrage keine Sorgen zu haben braucht. Da gibt es Kolumbarien, „Urnengemeinschaftsanlagen“ oder Aschestreuwiesen, anonyme Grabfelder oder „Friedwälder“, Meeresbestattungen und wohl bald auch – die entsprechende Zahlungsfähigkeit vorausgesetzt – eine echte „Himmelfahrt“ in Gestalt der eigenen Asche. Ich will diese neuen Umgangsformen mit den Toten hier gar nicht pauschal disqualifizieren, zeigen sie doch nur an, wie intensiv sich auch heute die Überlebenden mit ihren Verstorbenen beschäftigen, nicht zuletzt wohl, weil sie sich dabei vorausblickend auch schon mit sich selbst beschäftigen. Man könnte Menschenwürde in der Bioethik, Berlin/Heidelberg 2004; ULRICH H. J. KÖRTNER, „Lasset uns den Menschen machen“. Christliche Anthropologie im biotechnologischen Zeitalter, München 2005. 3 Die klassische Gesamtdarstellung zu Tod und Begräbnis in der römischen Welt bietet JOCELYN M. C. TOYNBEE, Death and Burial in the Roman World, London 1971. 4 Das inzwischen klassische Werk dazu aus kulturgeschichtlicher Perspektive stammt von PHILIPPE ARIÈS, Geschichte des Todes, München 1980 (Original franz. L’homme devant la mort, Paris 1978). 5 Wiederum seien dazu lediglich exemplarisch zwei neuere Publikationen aus theologischer Perspektive genannt: REINER SÖRRIES, Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs, Kevelaer 2009; THOMAS KLIE (Hg.), Performation des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung, Stuttgart 2008.

1. „Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du werden.“

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mancherlei Überlegungen darüber anstellen, welche Vorstellungen vom Menschsein, vom Woher und Wohin des Menschen vor seiner Geburt und nach seinem Tod, sich mit solchen Praktiken verbinden, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, bewusst oder unbewusst. Jedenfalls ist die lange Zeit in der protestantischen Theologie populäre so genannte „Ganztod-“ oder auch „ganztot-Hypothese“, nach welcher der Mensch nach seinem Tod nichts weiter sei als verwesende Biomasse, heute offenbar nur noch für wenige Zeitgenossen plausibel.

1. „Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du werden.“ 1. „Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du werden.“ „Du bist Staub (hebr. afar) und sollst zu Staub werden“ (Gen 3,19). So kündigt in der Genesis Gott der Herr Adam sein Ende an, und mit diesen Worten treibt er ihn zugleich hinaus aus dem Paradies, damit er die Erde bebaue, von der er genommen ist (Gen 3,23). Adam, das ist und so heißt in der hebräischen Bibel der Mensch, nicht ein Einzelner, sondern der Mensch als solcher, die Gattung Mensch (hebr. adam), und die Erde heißt dort adama, der Stoff, aus dem der Mensch, adam, gemacht ist. „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Staub von der Erde (ha_adam afar min ha_adamah) und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen (wajehi ha_adam lenefesh haja)“ (Gen 2,7). Mit Adam wird hier in mythischer Sprache und mit orientalischer Erzählkunst vor Augen geführt, was es mit dem Menschen als solchem auf sich hat, mit dem Stoff, aus dem er ist, und mit dem Leben, das in ihm ist, mit dem Ursprung, von dem er herkommt, und mit dem Ziel, auf das er zugeht. Die Septuaginta, die griechische Bibel des antiken Judentums und des frühen Christentums, übersetzt die grundlegenden anthropologischen Termini der hebräischen Bibel mit eigenen Akzenten. „Staub“ wird hier zu „Erde“ (©), auch dort, wo der hebräische Text noch differenziert hatte zwischen afar und adamah. Zwar ist auch hier der Mensch aus „Staub von der Erde“ gebildet (£ “¢©) und wird erst durch Einhauchung des göttlichen Odems zu einer „lebendigen Seele“ (§£¡ѕ , Gen 2,7). Aber am Ende, nach seinem Tod, soll er dorthin zurückkehren, woher er genommen wurde und was er ist: in die Erde (§© “¦¤, Gen 3,19). Das klingt wie eine eindeutige Anweisung zur Erdbestattung. Aber was wird dann mit der Seele, die der Mensch nach der Septuaginta ja schließlich auch hat und ist, jedenfalls seit Gott ihm seinen Odem eingehaucht hat? 6 Schon die Bibel stellt also den Menschen, der nach sich selbst fragt, vor offene Fragen, besonders wenn es um sein Woher und Wohin geht. Juden in 6 Das hebräische nefesch übersetzt die Septuaginta mit £ , wobei die semantischen Beeinflussungen zwischen Ausgangs- und Zielsprache wechselseitig verlaufen.

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Wohin mit den Toten?

der Antike ebenso wie Christen, die ihre heiligen Schriften zunächst von ihnen übernahmen, hatten sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Der Text, den wir im Folgenden etwas näher beleuchten wollen, kann zeigen, wie sie das taten.

2. Die Beerdigung und die Grundlagen Europas 2. Die Beerdigung und die Grundlagen Europas Gehört die Beerdigung zu den Grundlagen Europas? Diese Frage ist nicht ganz so abwegig, wie sie auf den ersten Blick scheint, wenn man sich kurz die geistigen Zusammenhänge verdeutlicht, in denen unsere europäische Zivilisation steht, mit ihren antiken griechisch-römischen Kulturtraditionen, mit ihren geistigen Prägungen durch das in der Spätantike sich ausbreitende Christentum und mit ihren religiösen und ethischen Leitlinien, die letztlich auf das antike Judentum zurückgehen. Das antike Judentum hatte, bevor es seit der römischen Kaiserzeit schrittweise und regional in sehr unterschiedlichem Tempo seine rabbinische Gestalt fand, die ihm als lebendiger Religion bis heute anhaftet, bereits eine Jahrhunderte lange Geschichte der Begegnung mit der hellenistisch-römischen Kultur durchlaufen. 7 Gerade die vorrabbinische, hellenistisch-römisch durchgestaltete Form des Judentums aber ist diejenige, die auf das entstehende Christentum prägenden Einfluss ausgeübt hat und auf diesem Wege auch auf die heute noch bestimmende europäische Kultur und Zivilisation maßgeblich einwirkt. Wenn in aktuellen Debatten um die Identität Europas gelegentlich auf dessen „jüdische“ und „christliche“ (oder – noch problematischer –„jüdischchristliche“) Prägung verwiesen wird – meist in ausgesprochener oder unausgesprochener Abgrenzung zum Islam –, dann wird man historisch betrachtet wohl stärker differenzieren müssen: Diejenigen jüdischen Überlieferungen, die von der Spätantike durch das Mittelalter bis in die Neuzeit und in unsere Gegenwart hinein für das ‚abendländische‘, ‚westliche‘ Europa prägend geworden sind, wurzeln primär in der vorrabbinischen, hellenistisch-römischen Gestalt des antiken Judentums und wurden weitestgehend durch das spätantike Christentum vermittelt. Die spezifische Gestalt des heute weltweit verbreiteten (in sich wiederum durchaus vielfältigen) rabbinischen Judentums begründet sich dagegen primär auf einer Neukonstitution jüdischer Religion nach der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des dortigen Zentralheiligtums durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. Ihre früheste literarisch erkennbare Fixierung fand dieses rabbinische Judentum in der Mischna, der ältesten Entwicklungsstufe des Talmud, die erst etwa um 200 n. Chr. zusammengestellt wurde. Auf der Mischna aufbauend und ihrer Struktur folgend wurden dann bis weit in die 7 Das klassische Werk hierzu stammt von MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh. v. Chr., WUNT 10, Tübingen 1969 (31988).

2. Die Beerdigung und die Grundlagen Europas

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Spätantike hinein weitere umfangreiche Rechtsüberlieferungen und religiöse Traditionen gesammelt, die zusammen mit der Mischna den bis heute maßgeblichen Babylonischen Talmud bilden. 8 Man kann sich den Unterschied zwischen dem vorrabbinischen und dem rabbinischen Judentum am einfachsten an der Sprachgestalt ihrer Überlieferungen verdeutlichen: Die Mischna und der Talmud ebenso wie die darauf aufbauende rabbinische Auslegungstradition bedienen sich primär der hebräischen (anfangs z.T. auch der aramäischen) Sprache, während das vorrabbinische (heute oft „Frühjudentum“ genannte) antike Judentum der Diaspora vorwiegend Griechisch sprach und schrieb. Entscheidend ist nun, dass die Sprachgestalt, in der das Judentum für das entstehende Christentum prägend wurde, die griechische und nicht die hebräische war. Die „Schrift“, die im Neuen Testament so häufig zitiert wird, war eben die griechische jüdische Bibel, die Septuaginta, und nicht die „hebräische Bibel“, was natürlich allein schon darum nahelag, weil ja alle neutestamentlichen Schriften auf Griechisch verfasst worden sind. Natürlich sind mit einer solchen Sprachdifferenz auch Unterschiede hinsichtlich der geistigen Horizonte und der kulturellen Kontexte verbunden. Das Medium der griechischen Sprache ermöglichte dem antiken Judentum den Zugang zu den großen literarischen und philosophischen Traditionen der Griechen und die Beteiligung an den politischen und praktisch-philosophischen Debatten der Römer. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der jüdische Religionsphilosoph Philon von Alexandrien (1. Hälfte des 1. Jh. n. Chr.), der in seinen Auslegungswerken zum Pentateuch, den fünf Büchern Mose, reichen Gebrauch von den exegetischen Methoden und den philosophischen Traditionen der griechisch-hellenistischen Schulphilosophie macht. 9 Die ursprünglich hebräischen biblischen Schriften waren in diesem jüdisch-hellenistischen Milieu längst ins Griechische übersetzt worden und wurden hier mit Hilfe zeitgenössischer Kulturmuster neu interpretiert. Erst in dieser Rezeptionsgestalt wurden sie dann auch von den Christen gelesen, übernommen und schließlich von deren eigenen, spezifisch christlichen Überzeugungen her noch einmal neu interpretiert. Diese Zusammenhänge sind insofern für unser Thema wichtig, als sie verständlich machen können, auf welche Weise schon in der Spätantike bestimmte geistige Entwicklungen ihren Ausgang nahmen, die bis in das Europa der Ge-

8

Vgl. die Überblicke von PETER SCHÄFER, Geschichte der Juden in der Antike. Die Juden Palästinas von Alexander dem Großen bis zur arabischen Eroberung, UTB 3366, Tübingen 2010 (Originalausgabe Stuttgart 1983), und GÜNTER STEMBERGER, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 81992. 9 Vgl. dazu die Einführung von PEDER BORGEN, Philo of Alexandria. An Exegete for His Time, NT.S 86, Leiden 1997.

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Wohin mit den Toten?

genwart hinein ihre Spuren hinterlassen haben, und sei es in der Begräbnispraxis. Es war eben diese ganz spezifische „Kulturmischung“ aus griechisch-römischen geistigen und politischen Überlieferungen einerseits, sehr spezifischen religiösen Prägungen des Judentums zum anderen, insbesondere hinsichtlich seines monotheistischen Gottesbildes und des darauf beruhenden Religionsgesetzes, und schließlich den dynamischen Impulsen des neu entstehenden und sich seit der Kaiserzeit rasant ausbreitenden Christentums mit seinen zunehmend auch die römische Gesellschaft verändernden Kräften, es war dieses durchaus explosive Gemisch, das sich in der Spätantike gebildet hatte und zu einer Reaktion führte, welche die Grundlagen Europas neu fundierte. Solche Prozesse bzw. Reaktionen im Einzelnen zu analysieren, ihre Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Folgen möglichst genau aufzuzeigen und ihre Langzeitwirkungen abzuschätzen, ist Aufgabe der Altertumswissenschaften in Zusammenarbeit mit den auf die Antike bezogenen Disziplinen der Theologie.

3. Die Kunst des Begräbnisses 3. Die Kunst des Begräbnisses Wie sich biblische Überlieferungen und griechische Vorstellungen im hellenistischen Judentum vermischten und in der christlichen Spätantike rezipiert wurden, lässt sich exemplarisch an einer hellenistisch-jüdischen Erzählung zeigen, die unter dem Titel „Leben Adams und Evas“ überliefert ist. 10 Mehr als vom Leben der Erzeltern wird darin allerdings von ihrem Sterben und ihrem Begräbnis berichtet sowie von allerhand irdischen, paradiesischen und himmlischen Geschehnissen, die sich darum ranken. 11 Ich will mich hier ganz auf die Schilderung des Begräbnisses und der damit unmittelbar zusammenhängenden Bräuche und Vorstellungen konzentrieren. Die überaus bunten Vorstellungen

10 Die griechische Textüberlieferung der Schrift ist außerordentlich reichhaltig, aber auch entsprechend verwildert. Ich folge der kritischen Rezension von JAN DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005, der am Ende auch einen bequem zu benutzenden „Lesetext“ bietet (a.a.O., 647–656). Zum Vergleich heranzuziehen ist die Edition von JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PVTG 6, Leiden 2005, die zwar auf einer anderen Sicht der Einleitungsfragen des Werkes basiert, aber im Textbestand relativ nahe bei dem Text von Dochhorn steht, wenn auch mit zahllosen Varianten im Detail. Eine deutsche Übersetzung mit Kommentar bieten auch OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas, JSHRZ II/5, Gütersloh 1998, 737–870. 11 Zu den Einleitungsfragen vgl. DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 10), 149–172; OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas (JSHRZ II/5), in: GERBERN S. OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ VI/1,2, Gütersloh 2005, 151–194; THOMAS KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘. Studien zu einer narrativen Anthropologie im frühen Judentum, TSAJ 88, Tübingen 2002, 31–74.

3. Die Kunst des Begräbnisses

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zur Topographie der himmlischen und irdischen Welten und die anthropologischen Konzeptionen, die sich in diesem Text auch spiegeln, habe ich in anderen Zusammenhängen untersucht. 12 Der Erzählbogen der Geschichte reicht von der Vertreibung der Erzeltern aus dem Paradies bis zu ihrem Tod und Begräbnis. Diese Erzählebene wird zwar gelegentlich überschritten durch Ausblicke auf das Ende der Zeiten, bei dem den Verstorbenen die Auferstehung von den Toten verheißen wird. Allerdings betrifft diese Heilsperspektive eine Zukunft außerhalb der Erzählung, während diese selbst auf die ‚Urzeit‘ der Menschheit, auf Adam, Eva und ihre unmittelbaren Angehörigen begrenzt bleibt. Wie in der Bibel begegnet auch in unserem Text die Geschichte von Kain und Abel, wobei an dem biblischen Brudermord vor allem die Leiche Abels interessiert, wie wir noch sehen werden. Mittel- und Zielpunkt des Geschehens bilden aber der Tod Adams und Evas und ihr Begräbnis, eingeleitet durch eine ausführliche, ohne biblische Grundlage entfaltete Erzählung von der Krankheit Adams und seinem sich über mehrere Tage erstreckenden Sterben. Angesichts seiner Qualen bittet Adam seinen Sohn Set, zusammen mit seiner Mutter Eva aus dem Paradies eine heilende Frucht und heilsames Öl zu holen (Kap. 6–9). Allerdings wird Adams Wunsch durch den Erzengel Michael verweigert, der ihm stattdessen über Set seinen binnen drei Tagen bevorstehenden Tod ankündigt (Kap. 13). Nach einer Rückblende auf den Sündenfall im Paradies, die Ursache des Todes Adams und Evas, führt der Erzähler seinen Faden bei dem in seinem Zelt krank daniederliegenden Adam fort (Kap. 31). Zwei der ihm nach Ankündigung des Erzengels verbleibenden Tage sind inzwischen schon vergangen, einen hat er noch, bevor er „aus seinem Leib herausgehen“ soll. Der um ihre Zukunft besorgten Eva kündigt Adam seinerseits an, dass auch sie binnen kurzem sterben und „an denselben Ort wie er gelegt werden wird“ (31,3). Auf seinen Tod vorausblickend, fordert er Eva zum Gebet auf, „denn wir wissen nicht, wie wir dem begegnen werden, der uns geschaffen hat“ (31,4). Noch während Eva seiner Aufforderung mit einem langen Bußgebet folgt, tritt ein Engel zu ihr, um ihr die Nachricht von Adams Tod zu überbringen (32,4). Eva erhebt sich von ihrem Gebet, legt die Hand auf Adams Gesicht und richtet den Blick zum Himmel, von woher sie einen Lichtwagen kommen sieht, getragen von vier leuchtenden Adlern und geführt von Engeln (Kap. 33). Der Wagen kommt zu stehen, wo Adam liegt. Seraphen nehmen zwischen seiner Leiche und dem Wagen Aufstellung, Engel kommen mit Räucherfässern und Schalen herbei, fallen vor Gott nieder und bitten ihn für Adam um Erbarmen. 12

Vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im griechischen Leben Adams und Evas, in: WALTER AMELING (Hg.), Topographie des Jenseits, Studien zur Geschichte des Todes in Kaiserzeit und Spätantike, Stuttgart 2011, 49–67 [in diesem Band 511–531].

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Wohin mit den Toten?

Eva ruft Set herbei, der noch immer bei der Leiche seines Vaters ist, damit auch er die himmlische Erscheinung sehe, wie nun Adams Leichnam vor Gottes Thron auf dem Angesicht liegt und die Engel für ihn beten (Kap. 35–37). Sechsflügelige Seraphim kommen herbei und entrücken den Leichnam, um ihn im acherusischen See dreimal zu waschen und schließlich wieder vor Gottes Thron zu bringen, wo er drei Stunden liegen bleibt. Dann streckt der Vater des Alls, der auf dem Thron sitzt, seine Hand aus, hebt Adam auf und übergibt ihn dem Erzengel Michael, der ihn in das Paradies im dritten Himmel bringt. Das Geschehen setzt sich nun wieder auf der Erde fort. Mit großem himmlischen Hofstaat macht sich Gott persönlich in seinem Himmelswagen auf die Reise und kommt ins Paradies, wo der Leichnam Adams jetzt wieder liegt (Kap. 38). Nachdem Gott den toten Adam noch einmal auf sein Vergehen im Paradies angesprochen hat, wird auf seinen Befehl hin das Begräbnis vorbereitet (Kap. 40). Der Erzengel Michael wird angewiesen, aus dem Paradies im dritten Himmel drei weiße und rote Leichentücher herbeizuholen. Zusammen mit Gabriel und Uriel wickeln sie den Leib Adams damit ein und gießen wohlriechendes Öl über ihm aus. Bevor Adam endlich bestattet werden kann, kommt es aber noch zu einem Zwischenfall. Es gibt nämlich noch eine weitere Leiche, diejenige Abels, von deren Bestattung laut biblischem Bericht bisher noch nichts verlautet war, der also – so muss der aufmerksame Bibelleser annehmen – offenbar immer noch irgendwo unbestattet daliegt. Warum das so ist, wird in einer kurzen Rückblende erklärt: Kain habe wohl mehrfach versucht, seinen Bruder zu begraben, aber er konnte es nicht, denn dessen Leichnam sprang immer wieder aus der Erde heraus, und eine Stimme aus der Erde habe gefordert, zunächst den Leib Adams wieder zu empfangen, der doch einst aus Staub der Erde geformt worden war. Deshalb hätten Engel den Leichnam Abels vorerst auf einem Felsen deponiert, bis Adam, sein Vater, begraben würde. Offensichtlich steckt hinter dieser kleinen Szene die auch anderweitig in der frühjüdischen Erzählliteratur belegte Überzeugung, dass Adam und nicht Abel der erste in der Erde bestattete Mensch gewesen sei, eine Sicht, die freilich nicht ganz einfach mit den biblischen Vorgaben in Einklang zu bringen war. Umso klarer wird damit die exemplarische Bedeutung der Erdbestattung Adams für alle künftigen Generationen der Menschheit hervorgehoben. Gott befiehlt nun also den Engeln, zunächst einmal Abels Leiche herbeizubringen und sie genau wie diejenige Adams mit Leichentüchern zum Begräbnis zuzurüsten. Anschließend ordnet er an, beide Leichname in genau diejenige Gegend des Paradieses zu schaffen, wo er seinerzeit Adam aus Staub gebildet hatte. Erneut werden Engel in das Paradies geschickt, um Parfüme herbei zu holen, die in den Gräbern ausgegossen werden. Dann legen sie die Leichname in die Gräber, die sie zuvor eigenhändig in der Erde ausgehoben und offenbar auch noch mit einem erhabenen Grabmahl ausgebaut hatten (40,7). Schließlich

4. Stimmen aus dem Grabe

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versiegelt Gott selbst das Grabmal (¢) mit einem dreieckigen Siegel, „damit niemand etwas daran verändere in den sechs Tagen, bis seine Rippe zu ihm zurückkehre“ (42,1). Damit ist der erzählerische Anschluss hergestellt zum zuvor schon angekündigten Tod und Begräbnis Evas (Kap. 42–43). Eva hatte ja, wie noch einmal im Rückblick in Erinnerung gerufen wird, schon vor Adams Tod darum gebetet, auch im Sterben mit ihrem Mann vereint bleiben zu dürfen und an demselben Ort wie er beerdigt zu werden. Dies wird ihr nun gewährt, indem genau wie bei Adam drei Engel ihren Leichnam pflegen und dort beerdigen, wo Adams Leiche schon liegt. Mit Betonung fügt der Erzähler an dieser Stelle ein, dass damit ein Beispiel zur Bestattung für alle künftigen Generationen gegeben worden ist. Ausdrücklich führt er noch einmal den Erzengel Michael ins Feld, der Set lehrt, wie er den Leichnam seiner Mutter behandeln soll, und nach ihrer Beerdigung weist Michael ihn an: „So pflege den Leichnam jedes Menschen, der stirbt, bis zum Tage der Auferstehung!“ (43,1) Hier wird nun offenkundig der „Sitz im Leben“ der Erzählung erkennbar: Es geht um eine Belehrung zur rechten, der Bibel und ihrer Auslegung entsprechenden Begräbnispraxis (in 43,3 wird sie ausdrücklich als „Gesetz“ bezeichnet!), verbunden mit einem Ausblick auf die künftige Auferstehung. Die Erzählung endet mit einer Anweisung zu angemessener Trauer: Sie soll nicht länger als sechs Tage dauern. Am siebten Tage aber soll man sich ausruhen und sich wieder freuen, denn an diesem Tage freuten sich auch Gott und die Engel mit der gerechten Seele, die von der Erde abgeschieden sei. Ein Lobgesang des Erzengels bei seinem Aufstieg in den Himmel mit dreimal Heilig und dreimal Halleluja beschließt den Text.

4. Stimmen aus dem Grabe 4. Stimmen aus dem Grabe Haben wir bisher vorwiegend auf die äußeren Vorgänge beim Begräbnis der Erzeltern geachtet, so wollen wir jetzt noch die Dialoge betrachten, die in der Erzählung wiedergegeben werden. Auffälligerweise sind daran nicht nur Menschen und Engel, also Eva, Set und der Erzengel Michael beteiligt, sondern außer Gott selbst auch noch eine Stimme aus der Erde (bzw. die Erde selbst als Sprecherin) und sogar der tote Adam, der aus seinem Grabe spricht. Zum ersten Mal wird die noch unbestattete Leiche Adams von Gott angesprochen, als der mit seinem himmlischen Hofstaat bei ihr auf der Erde angekommen ist. Und Gott wurde sehr traurig über ihn und spricht zu ihm: „Adam, warum hast du das getan? Hättest du mein Gebot eingehalten, dann würden sich nicht freuen, die dich heruntergebracht haben zu diesem Ort. Allein ich sage dir, dass ich ihre Freude wieder in Trauer wenden

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Wohin mit den Toten?

werde und deine Trauer wieder in Freude; und ich werde dich wieder zu deiner ursprünglichen Herrschaft bringen …“. (39,1f.) 13

In der schon erwähnten eingeschobenen Szene von den erfolglosen Versuchen Kains, seinen ermordeten Bruder zu begraben, war eine Stimme aus der Erde zu vernehmen, die rief: Es wird in der Erde kein anderes Gebilde verborgen werden, bis dass mir das erste Gebilde, das von mir fortgenommen wurde, den Staub überlasse, aus der (sic!) es genommen wurde. (40,5)

War der tote Adam bei der ersten Anrede durch Gott noch stumm geblieben, so antwortet sein Leichnam auf den zweiten Anruf Gottes, obwohl er nun schon im Grab liegt: „Siehe, hier bin ich, Herr!“ (41,1) Auch jetzt erhält Adam von Gott die Zusage künftiger Rettung: Ich habe dir gesagt, dass du Erde bist und in die Erde fortgehen wirst. Hinwiederum verheiße ich dir die Auferstehung; ich werde dich auferstehen lassen in der Auferstehung mit dem ganzen Menschengeschlecht, das aus deinem Samen kommt. (41,2)

Es ist deutlich: Die wörtlichen Reden am und aus dem Grabe wollen die Deutung des Geschehens unterstreichen und dabei eine Perspektive eröffnen, die über die irdischen Horizonte von Tod und Begräbnis hinausweist. Gerade dort, wo ohne jede Beschönigung Erde und Staub als letzter Bestimmungsort des Menschen angesprochen werden, kommen auch seine Verherrlichung in den himmlischen Höhen Gottes und seine Verewigung in den zeitlosen Welten der Auferstehung in den Blick. Bezeichnenderweise wird aber immer dann, wenn in den Reden Gottes oder der Engel die Auferstehung in den Blick kommt, die Zeitebene des erzählten Geschehens überschritten. Damit soll deutlich werden, dass das Geschehen der Totenerweckung auf eine andere Ebene gehört, auf eine transzendente Welt verweist, einen Erfahrungsbereich, der mit den Mitteln irdischer Bräuche und Verrichtungen letztlich nicht mehr zu erfassen ist. Gleichwohl werden die irdischen Bräuche und Verrichtungen damit nicht unwichtig. Im Gegenteil: Sie werden in unserer Erzählung besonders aufwendig und mit geradezu didaktischem Eifer geschildert. Aus wenigen Texten der Antike erfahren wir mehr über Bestattungsbräuche und -praktiken. Offenbar gehören für den Verfasser unserer Erzählung die praktische Leichenpflege samt Erdbestattung und die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten unmittelbar zusammen. Man mag eine solche Erzählweise in antiken Texten für naiv halten. Sicher sind die Erzähler nicht „wissenschaftlich“ interessiert, auch nicht nach antiken Maßstäben. Aber andererseits können solche narrativen Gestaltungen von exis-

13

10).

Übersetzung hier und im Folgenden nach DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm.

5. Was wird mit den Toten?

543

tentiellen Lebenserfahrungen auch auf eine sehr unmittelbare Weise Gegebenheiten thematisieren, die mit Mitteln und Methoden empirischer Wissenschaften nur schwer oder gar nicht zu erfassen sind, obwohl sie doch offenkundig zum Menschsein dazugehören. Bei näherem Hinsehen lassen die antiken Texte dann oft erstaunliche Fähigkeiten zur Differenzierung erkennen, die durchaus anregend sein können für heutige Fragen nach dem, was menschliches Leben oder eben auch Sterben ausmacht.

5. Was wird mit den Toten? 5. Was wird mit den Toten? Einen letzten Aspekt, der uns in dem antik-jüdischen Erzähltext vor Augen tritt, möchte ich noch kurz beleuchten. Er lässt sich an den Zeitstrukturen ablesen, die die Erzählung steuern, hat aber darüber hinaus auch Bedeutung für ihre anthropologischen Vorstellungen im Zusammenhang mit Tod und Bestattung. Wir haben schon gesehen, dass die Aussagen über die künftige Totenauferstehung aus den Zeitverhältnissen der Erzählung herausfallen und auf eine temporal und auch räumlich transzendente Ebene gehören. Aber abgesehen davon gibt es auch innerhalb der Erzählung noch Zeitstrukturen, die um den Tod des Menschen kreisen und diesen in einen herausgehobenen Zeitraum einbinden. Schon mit Adams Krankheit rückt ihm und seinen Angehörigen sein Tod vor Augen, und er muss sich darauf vorbereiten. Dasselbe gilt für Eva, die angesichts des bevorstehenden Todes Adams bereits ihren eigenen Tod bedenkt und versucht, durch ein Gebet Vorsorge dafür zu treffen. Und auch nach dem Tod Adams ist die Erzählung noch lange nicht zu Ende, sondern geht eigentlich erst richtig los, bis die zahlreichen himmlischen, irdischen und paradiesischen Szenen schließlich nach einer angemessenen Trauerzeit mit dem Abgang der Engel in den Himmel und ihrem Lobgesang beschlossen werden. Auch die Möglichkeit zur Kommunikation mit den Toten bricht übrigens mit Eintritt des Todes keineswegs sofort ab, sondern wird noch eine Zeit lang aufrechterhalten. So kann etwa Gott noch mit der Leiche Adams sprechen, und sie kann ihm sogar noch antworten. Auch Eva und Set bleiben wenigstens visuell noch mit Adam in Kontakt und können den weiteren Weg seines Leichnams im Himmel und auf Erden noch eine Weile verfolgen. Besonders auffällig ist dabei, dass der Ort, an dem sich Adams Leiche gerade befindet, gar nicht immer genau bestimmt werden kann. Mal sehen ihn Eva und Set auf seinem Angesicht vor Gottes Thron im Himmel liegen, dann liegt er wieder, wo er eigentlich seit seinem Sterben immer gelegen hatte, nämlich auf der Erde in der Nähe des Paradieses, und zwischendurch ist er noch vom Erzengel in den acherusischen See gebracht worden, der offenbar irgendwo im Himmel liegt,

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Wohin mit den Toten?

um dort von seinen Sünden rein gewaschen zu werden. 14 Schließlich aber wird er in der Erde des Paradieses beigesetzt, näherhin genau an der Stelle, wo er einst von Gott aus Staub gebildet worden war, und zwar in einem ausgemauerten Grabmahl. Adam bewohnt also eine zeitlang noch eine Art ‚Zwischenwelt‘, nicht mehr ganz da, aber auch noch nicht völlig weg. Auch die Gestalt und die ‚Substanz‘ der Leiche Adams bleiben während all dieser Ereignisse merkwürdig unbestimmt. Einerseits kündigt ihm der Erzengel an, dass er selbst bei seinem Tod „den fürchterlichen Aufstieg seiner Seele“ (£Ë) zu sehen bekommen werde (13,6). Später erwartet Adam, dass er beim Sterben seinen Geist (“ ) abgeben werde in die Hände dessen, der ihn ihm gegeben habe, während er selbst bzw. sein „Gefäß“ ( ) auf Erden zurückbleiben und sicher verwahrt werden soll (31,3–4; vgl. 31,1; 32,4). Ähnlich bittet Eva Gott in ihrer Todesstunde, ihren Geist (“ ) aufzunehmen (42,8). Andererseits hat die Gestalt Adams, die Eva und Set im Himmel vor Gottes Thron auf ihrem Antlitz liegen sehen, offenbar durchaus menschlichleibliche Form und wird auch ausdrücklich als Leib bzw. Leiche (• ) bezeichnet (34,1; 35,2). Auch die Waschung im acherusischen See, die ja nach dem platonischen Mythos an den Seelen der Verstorbenen vorgenommen wird, wird in der Bildwelt unserer Erzählung offenbar am Leichnam Adams vollzogen (37,3). Genau denselben Ausdruck (• ) verwendet der Erzähler dann aber auch wieder für den Leichnam Adams auf Erden bzw. im Paradies, der von den Engeln mit Leichentüchern und Salbölen zur Erdbestattung zubereitet wird und der dann Gott noch aus dem Grabe antwortet.

6. Ausblick 6. Ausblick Nicht zufällig habe ich hier Belege für die drei klassischen anthropologischen Termini Leib (• ), Geist (“ ) und Seele (£Ë) zusammengestellt, die üblicherweise für ein ‚trichotomisches‘ Menschenbild der griechischen Antike in Anspruch genommen werden. 15 Sie begegnen in unserer jüdischen Er-

14 Vgl. dazu und zu den religionsgeschichtlichen und philosophischen Hintergründen der Vorstellung vom acherusischen See meine o., Anm. 12, genannte Studie sowie THOMAS J. KRAUS, Acherousia und Elysion: Anmerkungen im Hinblick auf deren Verwendung auch im christlichen Kontext, Mn. 56, 2003, 145–163; ERIK PETERSON, Die ‚Taufe‘ im Acherusischen See, VigChr 9, 1955, 1–20 (erweitert in: DERS., Frühkirche, Judentum und Gnosis. Studien und Untersuchungen, Rom u.a. 1959, 310–332). 15 In ähnlicher Weise ‚schillernd‘ sind die anthropologischen Kategorien in einem anderen frühjüdisch-hellenistischen Text, den ich an anderer Stelle näher untersucht habe, dem Lehrgedicht des (Pseudo-)Phokylides, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides, in: Empsychoi Logoi. Religious Innovations in Antiquity (FS P. W. van

6. Ausblick

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zählung ganz unbefangen, obwohl diese doch eindeutig von der biblischen Paradieserzählung bestimmt ist, für die man herkömmlicher Weise ein ganz anderes Menschenbild zugrunde legt. Demnach sei in der Bibel gerade nicht von einer Trennung von Leib und Seele beim Tod die Rede, sondern der Mensch bilde eine untrennbare leiblich-seelische Einheit, auch über seinen Tod hinaus. Eben deshalb sei er am Ende auch ganz und gar tot, sozusagen mit Leib und Seele, und könne nur darauf hoffen und daran glauben, auch als ganzer Mensch, eben mit Leib und Seele, am Ende der Zeit zur Auferstehung zu gelangen (so die oben erwähnte „Ganztod-“ bzw. „ganz-tot-Hypothese“). Solche schultheologischen Weisheiten, wie sie gern auch für eine schematische Abgrenzung des angeblich biblischen von dem angeblich griechischen Denken herangezogen wurden und werden, scheitern offenkundig an antiken jüdischen Texten, wie wir sie hier herangezogen haben. Nicht nur ist das „biblische“ ebenso wie das „griechische“ Menschenbild viel differenzierter, als es nach solcher schematischen Entgegensetzung den Anschein hat. Auch bestehen der Reiz und die gedankliche Herausforderung antiker Texte gerade in der Durchdringung und Vermischung unterschiedlicher anthropologischer Kategorien und Vorstellungen. Gerade die literarischen Hinterlassenschaften des hellenistisch-römischen, vorrabbinischen Judentums bieten die eindrücklichsten Beispiele dafür. Natürlich kann man in solchen Erzählzügen wiederum auch nichts weiter als ein naives, ‚mehrstöckiges‘ Weltbild und ein primitives, substanzhaftes Menschenbild wiederfinden, das den Anforderungen an einen neuzeitlichen, wissenschaftlichen Zugang zum Menschen und seiner Welt nicht mehr entspreche. Man könnte aber in ihnen auch Einsichten in Lebenszusammenhänge, in diesem Fall Sterbenszusammenhänge, entdecken, die auf einer ganz anderen als der rational-wissenschaftlichen Ebene versuchen, Fragen nach dem Woher und Wohin des Menschen zu beantworten. So scheint mir die überaus differenzierte erzählerische Gestaltung der Vorgänge vor, während und nach dem Sterben Adams, des ‚Menschen an sich‘, in unserem Text durchaus nicht naiv, sondern überaus kunstvoll und reflektiert zu sein. Sehr plastisch, aber auch durchaus sensibel werden hier verschiedene Facetten des Menschseins berührt, angefangen von der Beziehung zwischen Mann und Frau bzw. der Nachkommen zu ihren Eltern. Wo wenn nicht angesichts des Todes zeigt sich, wie Menschen zueinander stehen? Menschenwürde bewährt sich nicht zuletzt daran, wie wir mit unseren Toten umgehen. Auch in dieser Hinsicht können wir von der Antike lernen.

der Horst), hg. v. ALBERDINA HOUTMAN/ALBERT DE JONG/MAGDA MISSET-VAN DE WEG, AGJU 73, Leiden, Boston 2008, 469–483 [auf Deutsch in diesem Band 585–599].

Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum Narrative Theologie im Griechischen Leben Adams und Evas auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob Einführung Die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten, wurzelnd im Bekenntnis zur Auferweckung Jesu von den Toten durch Gott, bildet den Kern des christlichen Glaubens, ohne den er hohl wird. Das schlägt sich schon im Sprachgebrauch des Neuen Testaments nieder. 1 Vom Matthäusevangelium bis zur JohannesOffenbarung durchzieht die Auferstehungshoffnung faktisch alle Teile des Neuen Testaments, nicht zuletzt mit Hilfe eines geradezu technisch wirkenden Gebrauchs des Nomens !  . Das ist umso auffälliger, als dieses Nomen in zeitgenössischen oder älteren Quellen außerhalb des Neuen Testaments nur relativ selten belegt ist, zumal als Ausdruck für die Auferstehung von Toten. 2 Wie ist es zu dieser spezifisch-christlichen Auferstehungshoffnung und ihrem charakteristischen sprachlichen Ausdruck gekommen? Zweifellos bildet, theologisch geurteilt, das Glaubenszeugnis der apostolischen Zeugen, das in ihrer durch den Geist Gottes gewirkten Glaubenserfahrung von der Auferweckung Jesu durch Gott wurzelt, den Ausgangspunkt und den Maßstab der christlichen Hoffnung auf ein Leben bei Gott über den Tod hinaus. In religionsgeschichtlicher und in philologischer Hinsicht bleiben gleichwohl Fragen offen, denen nachzugehen der neutestamentlichen Wissenschaft zur Aufgabe gestellt ist. Es gehört zu den charakteristischen Merkmalen der neutestamentlichen Überlieferung, dass ihre theologischen Inhalte und Intentionen nicht nur in begrifflicher, sondern auch – und nicht selten sogar für viele Menschen überzeugender – in narrativer Gestalt entfaltet worden sind. Das gilt auch für die Auferstehungshoffnung. Im narrativen Charakter neutestamentlicher Theologie

1 Vgl. als Überblicke die Lexikonartikel von JACOB KREMER, Art. !  , EWNT I, 1980, 210–221; WALTER KLAIBER , Art. Auferstehung, TBLNT 1, 1997, 89–108; CHRISTIAN STETTLER, Art. Auferstehung der Toten, II. biblisch, ELThG2 1, 2017, 515–518; ROLAND DEINES, Art. Auferstehung Jesu, 1. biblisch, ELThG2 1, 2017, 522–528. 2 Vgl. dazu im Detail KARL-WILHELM NIEBUHR/ROMINA VERGARI, Art.  , !  , in: EBERHARD BONS (Hg.), Historical and Theological Lexicon of the Septuagint, Bd. 1: Alpha – Gamma, Tübingen 2020, 769–790.

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Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

liegt eine von vielen Verbindungslinien der frühchristlichen Bewegung und der aus ihr erwachsenen Literatur mit dem Frühjudentum. Bis in die Herausbildung spezifisch frühchristlicher literarischer Gattungen wie der Evangelien und der Apostelgeschichte hinein lassen sich solche Verbindungslinien aufzeigen, ohne dass dafür unmittelbare literarische oder traditionsgeschichtliche Abhängigkeiten nachgewiesen werden müssten. Vielmehr zeigt sich hierin ebenso wie in der religionsgeschichtlichen Verwurzelung des frühchristlichen Auferstehungsglaubens in der biblisch-frühjüdischen Überlieferung ein gemeinsames religiös-geistiges Milieu von Frühjudentum und frühem Christentum, dem sowohl theologische als auch historische Relevanz zukommt. 3 Dem thematischen Horizont dieser Festschrift folgend – und zugleich in dem Wunsch, dem mit ihr Geehrten aus eigener Forschungsarbeit einen freundlichen Gruß zu senden 4 – habe ich einen frühjüdischen Text ausgewählt, in dem das Thema der Auferstehung der Toten in sehr auffälliger Weise narrativ entfaltet wird, das griechische „Leben Adams und Evas“ (grLAE). Hier begegnet das Nomen !   auffällig häufig, aber jeweils in einer ganz charakteristischen Stellung im Rahmen des narrativen Gerüsts der Schrift. Dem soll im ersten Teil der folgenden Untersuchung genauer nachgegangen werden. Eine Anregung von Martin Karrer und Wolfgang Kraus aufnehmend möchte ich anschließend untersuchen, ob sich über diesen Text hinaus in der frühjüdischen Theologiegeschichte ein Milieu identifizieren lässt, in welchem nicht nur Vorstellungen von der Auferstehung der Toten ihren Ursprung haben, sondern auch der Sprachgebrauch, der sich im Neuen Testament erstmals in größerer Dichte niedergeschlagen hat, vorbereitet worden sein könnte. 5 Dazu werde ich im zweiten Teil des Aufsatzes bestimmten Spuren in der Textgeschichte der

3 Vgl. dazu die umfassenden Darstellungen von GEORGE W. E. NICKELSBURG, Resurrection, Immortality, and Eternal Life in Intertestamental Judaism and Early Christianity. Expanded Edition, HThSt 56, Cambridge 2006, und ALAN F. SEGAL, Life After Death. A History of the Afterlife in the Religions of the West, New York u.a. 2004. 4 Der Beitrag erscheint auf Englisch in der Festschrift für David Moessner. Auf seinem Forschungsfeld, dem lukanischen Doppelwerk, kann ich ihm nur mit staunender Bewunderung begegnen, aber in dem gemeinsamen Anliegen einer lebensbezogenen neutestamentlichen Forschung mit offenen Augen für die gegenwärtige globale Welt und offenem Herzen für die Tiefe des christlichen Glaubens fühle ich mich ihm eng verbunden, nicht zuletzt durch langjährige gemeinsame Arbeit im Eastern Europe Liaison Committee der SNTS. 5 Vgl. MARTIN KARRER/WOLFGANG KRAUS, Umfang und Text der Septuaginta. Erwägungen nach dem Abschluss der deutschen Übersetzung, in: DIES. (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.–23. Juli 2006, WUNT 219, Tübingen 2008, 8–63, 53: „Ein LXX-Text kann, selbst wenn er jung ist und Anregungen für die Theologie der Alten Kirche bietet, jüdisch entstanden sein. Die Forschung muss Querlinien in der jüdischen Theologiegeschichte prüfen und sich dafür offen halten, dass einzelne Teile der Septuaginta im Judentum länger und breiter verankert waren als bislang angenommen.“

Einführung

549

Septuaginta nachgehen, die möglicherweise auf eine vorchristliche Überlieferungsphase hindeuten, in der die Auferstehungsvorstellung schon mit dem Nomen !   verbunden worden ist. Hinweise auf eine ‚Eschatologisierung‘ biblischer Texte auf dem Wege von ihrer hebräischen Fassung über die griechische Übersetzung und deren Textüberlieferung bis hinein in ihre Rezeption in frühchristlichen Schriften am Ende des 1. und am Anfang des 2. Jh. n. Chr. haben Arie van der Kooij, Johannes Schnocks und Martin Karrer in mehreren Arbeiten aufgefunden. 6 Dazu gehören auch Indizien für die Entfaltung von Auferstehungshoffnungen. 7 Neben verschiedenen Psalmenstellen (Ps 22,4; 3,6; 1,5; 65,1 [jeweils LXX]) kommt in diesem Zusammenhang den Büchern Hiob und Jesus Sirach herausragendes Gewicht zu. Besonders auffällig sind dabei Signale in der Textüberlieferung der Septuaginta für ein Textverständnis in Richtung einer Auferstehungshoffnung, die sich an textpragmatischen Schlüsselstellen finden, wie etwa in der Überschrift zu Ps 65 oder im griechischen Anhang zum Hiob-Buch. Man kann fragen, ob sich möglicherweise hier schon ein Gebrauch solcher Texte im hellenistischen Frühjudentum im Zusammenhang mit der Bewältigung des Todes widerspiegelt. Damit ist die Frage nach der Textpragmatik und dem „Sitz im Leben“ der Vorstellung von der Auferstehung der Toten und ihrer sprachlichen Entfaltung berührt. Im Folgenden werde ich zunächst das griechische „Leben Adams und Evas“ 8 im Blick auf seine anthropologischen und eschatologischen Konzepti-

6

Vgl. ARIE VAN DER KOOIJ, Ideas About Afterlife in the Septuagint, in: MICHAEL LA-

BAHN/MANFRED LANG (Hg.), Lebendige Hoffnung – ewiger Tod?! Jenseitsvorstellungen im

Hellenismus, Judentum und Christentum, ABIG 24, Leipzig 2007, 87–102; JOHANNES SCHNOCKS, The Hope for Resurrection in the Book of Job, in: MICHAEL A. KNIBB (Hg.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 291–299; DERS., Totenerweckung im Väterlob des Sirachbuches?, in: HEINZ-JOSEF FABRY/DIETER BÖHLER (Hg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta, Bd. 3: Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der Griechischen Bibel, BWANT 174, Stuttgart 2007, 291–306; MARTIN KARRER, Job, der Gerechte: Beobachtungen zum Hiobbuch der Septuaginta, in: MARTIN MEISER u.a. (Hg.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz. 6. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 21.–24. Juli 2016, WUNT 405, Tübingen 2018, 66–89. 7 Vgl. zum gesamten Themenbereich der Eschatologisierung biblischer Überlieferungen in der Rezeptionsgeschichte hebräischer Texte im Zuge der Kanon-Entwicklung JOHANNES SCHNOCKS, Rettung und Neuschöpfung. Studien zur alttestamentlichen Grundlegung einer gesamtbiblischen Theologie der Auferstehung, BBB 158, Göttingen/Bonn 2009; HOLGER GZELLA, Lebenszeit und Ewigkeit. Studien zur Eschatologie und Anthropologie des Septuaginta-Psalters, BBB 134, Berlin 2002. 8 Der Name „Leben Adams und Evas“ entspricht dem Titel der lateinisch erhaltenen Vita Adam et Evae (Handschrift S). Die superscriptio in den griechischen Handschriften lautet:  Ë©  ‘ “ ™ Õ« ‘ ¹ê  • “”“! “ ›  “ ”«

550

Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

onen näher betrachten, speziell seine Auferstehungsaussagen. Die dabei erhobenen Befunde setze ich anschließend zu den oben erwähnten Spuren einer Auferstehungshoffnung, die sich in der Textüberlieferung der Septuaginta identifizieren lassen, in Beziehung. Abschließend frage ich in einem Ausblick nach der textpragmatischen Funktion solcher Bezüge auf die Auferstehung der Toten in der narrativen frühjüdischen Literatur.

1. Der Tod Adams und Evas (grLAE 31–43) 1. Der Tod Adams und Evas (grLAE 31–43) 1.1 Zur literarischen Komposition des Griechischen Lebens Adams und Evas Am Ende der ursprünglich griechisch verfassten frühjüdischen Schrift „Leben Adams und Evas“ 9 werden ausführlich der Tod und das Begräbnis zunächst

 ¨À ° ”!“ ˜ („Geschichte und Wandel Adams und Evas, der Ersterschaffenen, die Mose, seinem Diener, von Gott offenbart wurde“). Aus der letzten Wendung leitet sich die ebenfalls verbreitete Benennung „Apokalypse des Mose“ her, die allerdings am Inhalt der Schrift keinen sachlichen Anhalt hat. Griechische Texteditionen bieten JAN DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005; JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PVTG 6, Leiden 2005; JOHN LEVISON, Texts in Transition. The Greek Life of Adam and Eve, SBLEJL 16, Atlanta 2000, sowie für große Teile THOMAS KNITTEL, Das griechische ‚Leben Adams und Evas‘. Studien zu einer narrativen Anthropologie im frühen Judentum, TSAJ 88, Tübingen 2002. Eine Synopse einschließlich der armenischen, georgischen und slavischen Überlieferung (in modernen Übersetzungen) bieten GARY A. ANDERSON/MICHAEL E. STONE (Hg.), A Synopsis of the Books of Adam and Eve, SBLEJL 17, Atlanta 2 1999. Ich folge in der Regel dem Text bei Dochhorn unter Berücksichtigung von Tromp. 9 Zu den Einleitungsfragen vgl. DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 8), 15–172; TROMp, The Life of Adam and Eve (Anm. 8), 17–111; KNITTEL, Leben Adams und Evas (Anm. 8), 31–74, sowie FOLKER SIEGERT, Einleitung in die hellenistisch-jüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin/Boston 2016, 600–606; ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, Turnhout 2000, 3–58; OTTO MERK/MARTIN MEISER, Das Leben Adams und Evas, JSHRZ II/5, Gütersloh 1998, 740–787; DIES., Das Leben Adams und Evas (JSHRZ II/5), in: GERBERN S. OEGEMA, Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ Supplementa VI/1,2, Gütersloh 2005, 151–194. Eine knappe Einführung bieten MARINUS DE JONGE/JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve and Related Literature, Sheffield 1997, sowie SILVIU N. BUNTA, Art. Adam and Eve, Life of (Book), EBR 1, 2009, 337–341. Zahlreiche Einzelstudien enthält GARY A. ANDERSON/MICHAEL E. STONE/JOHANNES TROMP (Hg.), Literature on Adam and Eve. Collected Essays, SVTP 15, Leiden 2000; drei Aufsätze zu grLAE bietet auch MARINUS DE JONGE, Pseudepigrapha of the Old Testament as Part of Christian Literature. The Case of the Testaments of the Twelve Patriarchs and the Greek Life of Adam and Eve, SVTP 18, Leiden 2003; weitere Literatur zu der in jüngerer Zeit sehr breit erforschten Schrift in ANDREAS LEHNARDT, Bibliographie zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-

1. Der Tod Adams und Evas (grLAE 31–43)

551

Adams und dann Evas geschildert. Dabei kommen in narrativer Gestalt verschiedene anthropologische und eschatologische Vorstellungen zur Sprache, die kaum im Sinne einer reflektierten „Theologie“ des Frühjudentums miteinander systematisiert werden können, wenngleich sie deutlich von biblischen und frühjüdischen religiösen Überlieferungen geprägt sind. 10 Spezifisch christliche Einschläge lassen sich dabei nicht ausmachen, was freilich für sich betrachtet noch nicht ausschließt, dass die im grLAE begegnenden Anschauungen nicht auch von Christen vertreten werden konnten. 11 Kapitel 31–43, der Schlussteil des Gesamtwerkes, 12 sind in ihrer literarischen Endgestalt 13 ringförmig aufgebaut. Am Beginn steht die Ankündigung des Todes von Adam und Eva (31,1–4). Den Hauptteil macht die Schilderung der Umstände des Todes Adams aus (33,2–42,2). Danach werden, wesentlich kürzer, Tod und Begräbnis Evas erzählt (42,3–43,3), bevor das Buch mit einem liturgischen Schluss, der freilich in den Erzähltext literarisch eingebunden ist, endet (43,4). Diese Ringkomposition wird noch dadurch unterstrichen, dass vor der ausführlichen Darstellung des Todes Adams ein Bußgebet Evas steht

römischer Zeit, JSHRZ Supplementa VI/2, Gütersloh 1999, 227–232; LORENZO DITOMA Bibliography of Pseudepigrapha Research 1850–1999, JSPE.S 39, Sheffield 2001, 163–196. 10 Narrative Analysen der Schrift bieten MICHAEL D. ELDRIDGE, Dying Adam with His Multiethnic Family. Understanding the Greek Life of Adam and Eve, SVTP 16, Leiden 2001, 173–225, sowie MARTIN MEISER, Ätiologie und Paränese: Schöpfung und Urgeschichte im „Leben Adams und Evas“, in: Theologies of Creation in Early Judaism and Ancient Christianity (FS H. Klein), hg. v. TOBIAS NICKLAS/KORINNA ZAMFIR, DCLS 6, Berlin/New York 2010, 201–223: 204–209. 11 Zur Diskussion um einen vorchristlich-jüdischen Ursprung der Schrift s.u., 562f. Grundsätzlich wird diese Frage behandelt bei MARINUS DE JONGE, Pseudepigrapha of the Old Testament as Part of Christian Literature. The Case of the Testaments of the Twelve Patriarchs and the Greek Life of Adam and Eve, SVTP 18, Leiden 2003. Vgl. auch JAMES R. DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha: Jewish, Christian, or Other?, JSJ.S 105, Leiden 2005 (dazu meine kritische Besprechung in KARL-WILHELM NIEBUHR, Die jüdischhellenistische Literatur in der jüngeren Forschung, ThLZ 144, 2019, 662–687: 673 [in diesem Band 423–455]). 12 Ob man überhaupt von einem Gesamtwerk sprechen kann, ist allerdings angesichts der sehr breiten und verzweigten antiken und mittelalterlichen Textüberlieferung durchaus fraglich. Etwas vergröbert kann man als literarisch eigenständige Werke unterscheiden a) das griechische Leben Adams und Evas (grLAE = ApkMos), von dem eine armenische Version abhängig ist (armLAE I), b) das lateinische Leben Adams und Evas (VitAd), von dem eine weitere armenische (armLAE II) und eine georgische Version (georgLAE) abhängig sind, sowie c) das slavische Leben Adams und Evas (slavLAE). Zur antiken Adam- und Eva-Literatur insgesamt vgl. MICHAEL E. STONE, A History of the Literature of Adam and Eve, SBLEJL 3, Atlanta 1992. 13 Ich gehe hier von der in der griechischen Überlieferung erhaltenen literarischen Gestalt aus; zu Hypothesen über ihre möglicherweise mehrstufige literarische Vorgeschichte s.u., 555–557. MASO,

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Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

(32,1–2), so dass zwei Eva-Abschnitte den Adam-Abschnitt rahmen. Dieser besteht aus zwei Hauptszenen, einer von Eva visionär geschauten Erhöhung Adams zum himmlischen Thron Gottes (33,2–37,6) und einer Theophanie vor der Leiche Adams auf der Erde (38,2–42,2). Erzählerisch gerahmt und locker miteinander verbunden sind diese Hauptszenen durch kurze Einleitungs- bzw. Zwischenszenen, in denen jeweils Engel agieren: ein „Engel der Menschheit“ kündigt Eva die Himmelfahrt Adams an (32,3–33,1); der Erzengel Michael hält nach Adams Himmelfahrt Fürbitte für ihn (38,1). Am Ende kehren der Herr und die Engel „an ihren Ort“ zurück (42,2). Die beiden Hauptszenen der Erzählungen um den Tod Adams haben sachlich miteinander gemeinsam, dass Adams Tod schon eingetreten ist und jeweils das ihm folgende Geschehen bzw. der Umgang mit dem toten Adam erzählerisch dargestellt wird. Zudem sind sie durch eine weitgehend identische personnage miteinander verbunden. Außer Adam treten jeweils auf: Gott, verschiedene Engel, Seraphen und Cheruben, Eva und Seth. Auch das Motiv der Fahrt Gottes und seines himmlischen Gefolges mit seinem Thronwagen verbindet beide Abschnitte miteinander, wenngleich die Reiserouten verschieden sind. Denn die beiden Hauptszenen unterscheiden sich grundlegend vor allem durch ihren Handlungsort: 33,2–37,6 spielen im Wesentlichen im Himmel, am Ende noch genauer lokalisiert im Paradies im dritten Himmel (37,5–6; vgl. 40,1). In 38,2–42,2 ist dagegen das Geschehen betont auf der Erde angesiedelt (38,3); freilich wird auch dieser Ort mit dem Paradies identifiziert (38,4), worin sich schon eines von vielen unausgeglichenen narrativen Details der Gesamterzählung zeigt. Deutlicher noch fällt eine Reihe von Inkongruenzen hinsichtlich der jeweils vorausgesetzten anthropologischen Konzeptionen und „topographischen“ Vorstellungen über die irdischen und himmlischen Welten, in denen sich das Geschehen abspielt, ins Auge. 14 Die wichtigsten betreffen die Benennung und damit auch die narrative Qualifizierung des toten Adam. In der Schau Evas ist vorausgesetzt, dass sich seine Leiche im Himmel befindet. Dort „liegt (ª  )“ sie zunächst (33,3), und zwar als „Körper (• ) auf dem Gesicht“ (35,2; vgl. 34,1), also im Gebetsgestus gemeinsam mit den Engeln. Dann wird sie von einem sechsflügeligen Seraphen zum Acherusischen See getragen und in ihm dreimal gewaschen. 15 Danach verbringt sie drei Stunden liegend 14

Zur in der Erzählung vorausgesetzten, sehr differenzierten Topographie vgl. KARLWILHELM NIEBUHR, Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im griechischen Leben Adams und Evas, in: WALTER AMELING (Hg.), Topographie des Jenseits. Studien zur Geschichte des Todes in Kaiserzeit und Spätantike, Altertumswissenschaftliches Kolloquium 21, Würzburg 2011, 49–67 [in diesem Band 511–531]; vgl. auch MEISER, Ätiologie und Paränese (Anm. 10), 206–209. 15 Zum Motiv des Acherusischen Sees und seinen Hintergründen im platonischen Mythos vgl. MEISER, Ätiologie und Paränese (Anm. 10), 207 mit Anm. 34; OLAF WASSMUTH, Sibyllinische Orakel 1–2, AGJU76, Leiden 2011, 428–436; WILFRIED EISELE, Jenseitsmythen

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( ™) vor Gott (37,4). Schließlich nimmt Gott sie in die Hand und übergibt sie dem Erzengel Michael, der sie ins Paradies im dritten Himmel verbringt und dort niederlegt, wo sie auf den Tag der Auferstehung und des Gerichts zu warten hat (37,4–6). Offenbar ist hier die Leiche Adams sehr körperlich vorgestellt (in deutlichem Unterschied zum platonischen Mythos von der Seelenwanderung nach dem Tod!), freilich passiv und schweigend (auch im Gebet). Worte zwischen Gott und Adam fallen nicht. In der zweiten Hauptszene begibt sich Gott auf seinem Thronwagen mit großem himmlischem Gefolge auf die Erde, „wo der Leib (• ) Adams war“ (38,3). Die Reiseroute führt dabei durch das Paradies, das hier offenbar irdisch vorgestellt ist, denn es ist von Pflanzen bedeckt und mit den aus Adam geborenen Menschen bevölkert (38,4). Der genaue Ort, wo der Leib Adams liegt, wird allerdings nicht näher bezeichnet. Jedenfalls muss er sich in unmittelbarer Nähe des irdischen Paradieses befinden (vgl. 38,3 mit 39,1). Nach umfangreicher Leichenpflege durch „die drei großen Engel“ Michael, Gabriel und Uriel (40,2) wird sein Leichnam zusammen mit dem Abels „in die Gegend des Paradieses“, „an den Ort, wo Gott Staub genommen und Adam gebildet hatte“, verbracht und mit großem himmlischem und irdischem Aufwand in der Erde bestattet (40,6). Das in der Erde ausgehobene (¶”½ ) Grab wird zudem noch mit einem erhabenen Grabmahl (ŗ  ) versehen (40,7), das Gott persönlich mit einem dreieckigen Siegel versieht (42,1), damit es verschlossen bleibe bis zum Zeitpunkt des binnen sechs Tagen zu erwartenden Todes Evas, womit der Anschluss zur folgenden Szene der Erzählung hergestellt ist. Dass Adam zusammen mit seinem Sohn Abel erdbestattet wird, bedarf freilich einer eigenen narrativen Erklärung, die in einer überaus plastischen Zwischenszene nachgeschoben wird (40,3–5). 16 Abel war demnach zwar – der biblischen Vorlage entsprechend – vor Adam gestorben, konnte aber – ohne unmittelbare biblische Grundlage, jedoch aufgrund entsprechender frühjüdischer Erzählüberlieferungen, nach welchen Adam der erste war, der in der Erde begraben wurde (vgl. Jub 4,29) – nicht vor seinem Vater bestattet worden sein. Zur Erläuterung wird deshalb erzählt, dass der Brudermörder Kain zwar mehrfach versucht habe, Abel zu begraben, „aber er konnte es nicht, denn sein Leib sprang von der Erde, und es ging eine Stimme aus von der Erde und sprach: bei Platon und Plutarch, in: LABAHN/LANG, Lebendige Hoffnung (Anm. 6), 315–340: 321f.; MARINUS DE JONGE/L. MICHAEL WHITE, The Washing of Adam in the Acherusian Lake (Greek Life of Adam and Eve 37:3) in the Context of Early Christian Notions of the Afterlife, in: DE JONGE, Pseudepigrapha of the Old Testament (Anm. 9), 201–227; THOMAS J. KRAUS, Acherousia und Elysion: Anmerkungen im Hinblick auf deren Verwendung auch im christlichen Kontext, Mn. 56, 2003, 145–163; ERIK PETERSON, Die „Taufe“ im Acherusischen See, VigChr 9, 1955, 1–20 (erweitert in: DERS., Frühkirche, Judentum und Gnosis. Studien und Untersuchungen, Rom u.a. 1959, 310–332). 16 Zu den exegetischen Hintergründen dieser Szene vgl. DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 8), 527–538.

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‚Es wird in der Erde kein anderes Gebilde verborgen werden, bis dass mir das erste Gebilde, das von mir fortgenommen wurde, den Staub überlasse, aus dem es genommen wurde‘.“ Daraufhin hätten die Engel Abel bis zur Beerdigung Adams auf einem Felsen sozusagen zwischengelagert. Hier wie in den vorangehenden und folgenden Begräbnisschilderungen der zweiten Hauptszene wird somit wieder der irdische Ort des Geschehens, die Erde als Ort der Toten, vor Augen geführt. Zweimal im Rahmen der zweiten Hauptszene redet Gott unmittelbar mit dem toten Adam. In seiner ersten Rede, gleich nach Ankunft bei der Leiche Adams, spricht Gott diesen „sehr traurig“ auf seine Schuld an, wegen der er „heruntergebracht“ wurde „zu diesem Ort“ (39,1), verheißt ihm aber sogleich, dass er ihn wieder zu seiner ursprünglichen Herrschaft bringen und auf den Thron seines Verführers setzen wird, während dieser selbst dann „an diesen Ort“ geworfen wird, so dass er (der Verführer) am Ende Adam auf dem Thron über sich sitzen sehen muss (39,3). Hier ist deutlich eine räumliche Vorstellung von „oben“ und „unten“ assoziiert, wobei freilich unklar bleibt, ob der Thron, auf dem derzeit noch der Verführer, künftig aber (wieder) Adam sitzt, im Rahmen des irdischen Paradieses bleibt, oder wenigstens in die himmlische Welt hineinragt; jedenfalls kann er schwerlich unter der Erde aufgebaut sein, wohin doch aber die Leiche Adams demnächst gebracht werden soll. In der zweiten Redeszene, unmittelbar vor Versiegelung des Grabes, antwortet der tote Adam auf eine Anrede Gottes, und zwar, wie ausdrücklich festgehalten wird, als Leichnam aus der Erde ( “ ”  ¢ •     ©, 41,1). Jetzt spricht Gott ihn zunächst auf sein irdisches Wesen an, das seinen Weg zurück zu seinem irdischen Ursprung impliziert, verheißt ihm dann aber seine Auferstehung (41,2). Zwar ist hier ein räumlicher Gegensatz nicht so deutlich erkennbar wie in der ersten Redeszene. Dass aber Adam und seine Nachfahren bei der Auferstehung nicht unter der Erde bleiben werden, scheint vorausgesetzt. Beide Redeszenen haben bei allen Unterschieden also darin ihr Gemeinsames, dass der gegenwärtige Aufenthaltsort und Zustand Adams nicht sein endgültiger ist, obwohl der ganze narrative Aufwand doch im Zusammenhang dazu dient, die Leiche Adams erst einmal sicher unter die Erde zu bringen. Schließlich muss noch auf eine weitere Inkongruenz hingewiesen werden, die sich weniger aus den beiden Hauptszenen selbst als vielmehr aus ihrer Rahmung im Zusammenhang der Gesamterzählung ergibt. Macht die Leiche Adams in den beiden Hauptszenen einen durchaus realen, körperlichen Eindruck, so hatte Adam zuvor im Zusammenhang der Ankündigung seines bevorstehenden Todes angekündigt, dass er beim Sterben seinen „Geist (“ ) abgeben werde in die Hände dessen, der ihn mir gegeben hat“, während er

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selbst bzw. sein „Gefäß ( )“ auf Erden zurückbleiben und sicher verwahrt werden sollte (31,3–4). 17 Ähnlich wird später auch Eva in ihrer Todesstunde Gott bitten, ihren Geist aufzunehmen, woraufhin der Erzähler feststellt: „Und sie gab ihren Geist auf.“ (42,8) Von daher wäre eigentlich zu erwarten, dass wenigstens in Evas Schau der Himmelfahrt Adams sein “ im Mittelpunkt des Geschehens steht, was aber offenkundig nicht der Fall ist. Auch die Ausblicke auf die künftige Erhöhung Adams und seine Auferstehung reden nicht von seinem Geist oder seiner Seele, sondern bleiben von eher körperlichen Vorstellungen bestimmt (Sitzen auf einem Thron, Gemeinschaft mit den leiblichen Nachfahren). 18 1.2 Zur literarischen Vorgeschichte des Griechischen Lebens Adams und Evas Die im vorangehenden Abschnitt aufgezeigten narrativen und konzeptionellen Inkongruenzen haben zu der Annahme geführt, hinter dem überlieferten griechischen Text verbergen sich literarisch oder traditionsgeschichtlich voneinander zu scheidende Schichten der Textentstehung. Besonders Jan Dochhorn in seiner umfassenden Analyse und Kommentierung des grLAE (bei ihm: Apokalypse des Mose) hat versucht, die verschiedenen anthropologischen Konzeptionen mit der Entstehungsgeschichte des Werkes in Verbindung zu bringen und von diesem Aspekt her die literarischen und sachlichen Inkohärenzen des überlieferten Textes zu erklären. 19 Nach seiner These unterscheiden sich die literarischen Vorlagen von der Endredaktion des Werkes in erster Linie durch verschiedene anthropologische Konzepte. Während ein ursprünglich selbständiges „Testament Evas“ (im Wesentlichen aufgenommen in grLAE 15–30 und 32–37) und eine davon unabhängige, ebenfalls literarisch selbständige Grablegungserzählung Adams (zu identifizieren in grLAE 31,2–3a und 38–43) von einer eher konservativen biblisch-jüdischen Anthropologie bestimmt sind, nach der es beim Tod zu keiner Scheidung von Leib und Geist bzw. Seele komme, vertrete die Endredaktion, die sich vor allem in grLAE 1–14 und 31,1–

17 Ähnlich 31,1: „er hatte aber noch einen Tag, aus seinem Körper (   Ç 

˜) herauszugehen“; 32,4: „Adam … ist aus seinem Körper ( “¢Ç  ˜) herausgegangen“; vgl. auch 13,6. 18 Vgl. zu den divergierenden anthropologischen Konzeptionen der Schrift auch NIEBUHR, Auf der Suche nach dem Paradies (Anm. 14), 62–64; zu variierenden anthropologischen Vorstellungen innerhalb eines einheitlichen frühjüdischen Textes s. auch KARL-WILHELM NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides, in: Empsychoi Logoi – Religious Innovations in Antiquity (FS P. W. van der Horst), hg. v. ALBERDINA HOUTMAN/ALBERT DE JONG/MAGDA MISSET-VAN DE WEG, AGJU 73, Leiden 2008, 469–483 [deutsch in diesem Band 585–599]. 19 DOCHHORN, Apokalypse des Mose (Anm. 8), 124–148.

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33,1 sowie 38,1 niedergeschlagen habe, eine stärker hellenistisch geprägte, „dichotomistische(n) Anthropologie“. 20 Entsprechend ordnet Dochhorn die Aussagen über das „Aufgeben des Geistes“ beim Tod Adams und Evas der Endredaktion zu, während das Testament Evas und die beiden Hauptszenen der Grablegungserzählung Adams noch die ursprüngliche „monanthropologische Deutung des Todes“ erkennen ließen; „erst diese dichotomistische Anthropologie (sc. der Endredaktion) macht die Verbindung beider ursprünglich konkurrierenden Erzählungen vom Tod Adams möglich“. 21 Nach Dochhorn hat also die Endredaktion sozusagen aus der narrativen Not von zwei miteinander konkurrierenden Überlieferungen über den Tod Adams eine anthropologische Tugend gemacht, indem sie die beiden Erzählungen auf eine über den Leib auf Erden und eine zweite über die Seele im Himmel verteilt und das Ganze mit der Szene der Trennung von Leib und Geist im Augenblick des Todes eingeleitet habe. Freilich bleibt auch bei dieser These die Schwierigkeit bestehen, dass gerade die himmlische Szene eine überaus leibhaftige Vorstellung von der Leiche Adams hat und auch in der Fassung der Endredaktion behält. Auch das topographische Problem der Lokalisierung des Paradieses im Himmel und/oder auf der Erde hat die Endredaktion offenbar nicht zu lösen vermocht oder auch nur zu lösen versucht. Solche verbleibenden Inkohärenzen auf der Ebene der Endredaktion sieht Dochhorn natürlich auch und muss sich dafür mit der Annahme behelfen, die Endredaktion sei entweder ihrer Aufgabe der literarischen und konzeptionellen Verknüpfung der beiden konkurrierenden Überlieferungen nicht immer ganz gewachsen gewesen, oder aber, sie habe mit nebeneinanderstehenden, unterschiedlich gelagerten Erzählüberlieferungen in ihrem Endtext kein wirkliches Problem gehabt. 22 Andererseits sieht Dochhorn aber zugleich in den Kreisen, denen sich das grLAE verdankt, höchst qualifizierte, zweisprachig ausgebildete Bibelexegeten, die gelegentlich auch einmal gezielt den hebräischen gegen den griechischen Bibeltext ausspielen konnten. 23 Hinzu kommt als methodische Schwierigkeit, dass nach seiner These sowohl die vorgegebenen Erzählungen als auch die (beiden) Endredaktion(en) im Grunde demselben frühjüdischen Milieu angehören sollen und auch sehr eng beieinander datiert werden, so dass man sich fragt, welche klaren Indizien zu einer Scheidung und Identifizierung von Überlieferungsschichten mit je eigenen Darstellungsabsichten und anthropologischen Konzeptionen dann noch übrig bleiben, abgesehen von der Differenz in

20 DOCHHORN, a.a.O., 130; grLAE 6,1–3a; 42,5–7; 43,3 verdanken sich nach Dochhorn einer zweiten Redaktion. 21 DOCHHORN, a.a.O., 148. 22 DOCHHORN, a.a.O., 146: „Darüber hinaus aber ist wahrscheinlich, daß der Redaktor vieles an dem von ihm übernommenen Text nicht bemerkte oder es anders verstand, als es intendiert war, ohne daß wir diese Textauffassung des Redaktors rekonstruieren könnten.“ 23 DOCHHORN, a.a.O., 152–165.

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den anthropologischen Konzeptionen und einigen literarischen Inkohärenzen – womit sich die These freilich im Kreise dreht. Mir scheint daher Dochhorns literar- bzw. redaktionskritische These die Probleme, die sie meisterhaft identifiziert und beschrieben hat, nicht wirklich zu lösen, und zwar, weil diese Probleme auf diesem Wege gar nicht lösbar sind. Vielmehr sollte man besser doch vom überlieferten Endtext ausgehen und ihn als ganzen (wie letztlich auch Dochhorn) in einem frühjüdisch-hellenistischen Milieu verankern, das von intensivem Umgang mit biblischen Überlieferungen geprägt ist. Gerade hier wurden solche Texte gebraucht und mit den literarischen und konzeptionellen Mitteln ihrer Zeit und Kultur kreativ gestaltet, um den Herausforderungen jüdischen Lebens und Glaubens in hellenistisch-römischer Zeit gerecht zu werden. Bei einem solchen Ansatz erweist sich Dochhorns Monographie umso mehr als Meisterwerk, bietet sie doch zu den detaillierten Textanalysen und der sorgfältigen Erschließung der Aussageintentionen der einzelnen Abschnitte noch eine immense Fülle an Vergleichstexten aus der frühjüdischen Literatur, die die Herausarbeitung eines Profils der Theologie der Schrift ermöglichen. Von hier aus lassen sich auch die Aussagen über die Auferstehung im grLAE nicht bloß als weiterer Beleg dafür verbuchen, dass es so etwas auch schon im Frühjudentum gab. Sie sind darüber hinaus zugleich Teil einer narrativen Theologie und Anthropologie der Schrift, die der Herausforderung des empirischen Todes im Licht der eigenen, biblischen Überlieferung mit den geistigen Mitteln ihrer intellektuellen, religiösen und kulturellen Umgebung zu begegnen versuchten. 1.3 Aussagen über Tod und Begräbnis, nachtodliche Existenz und Auferstehung im Griechischen Leben Adams und Evas Wir konzentrieren uns weiterhin auf den Schluss der Erzählung und gehen die einschlägigen Abschnitte in der Reihenfolge ihrer Endgestalt kurz durch. Eine kurze Rückblende auf die vorangehenden Textabschnitte ist allerdings zuvor aus erzählerischen Gründen nötig. Den Ausgangspunkt für die Schlussszenen bildet nämlich Adams „Krankheit zum Tode“ (31,1). Dieser war seinem Sohn Seth schon in 13,6 als in drei Tagen bevorstehend angekündigt worden. Dort hatte Michael ihm auch schon die endzeitliche Auferstehung angekündigt, verbunden mit einer Schilderung der eschatologischen Heilszeit, „wenn auferstehen wird alles Fleisch (²  Ë “Â !”½) von Adam bis zu jenem großen Tag, welche ein heiliges Volk sein werden. Dann wird ihnen gegeben werden alle Freude des Paradieses, und Gott wird in ihrer Mitte sein, und nicht mehr werden sie gegen ihn sündigen, denn weggenommen werden wird von ihnen das böse Herz und gegeben werden wird ihnen ein Herz, das verständig ist im Blick auf das Gute und Gott allein zu dienen“ (13,3–5). Daraufhin waren Seth und Eva zum krank im Zelt darniederliegenden Adam gegangen. Der hatte

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die Schuld für den über sein ganzes Geschlecht hereingebrochenen Tod Eva zugeschoben (14,2). Adams Tod war seinem Sohn dort als „Herausfahren seiner Seele“ (½”£Ž   £ ˜) und „furchtbarer Aufstieg“ ( !  ¡± ˜›”!) in Aussicht gestellt worden (13,6). Bereits zuvor schon hatte auch Eva auf ihre Auferstehung vorausgeblickt, und zwar in einem Weheruf angesichts des durch ihre Sünde zerstörten Schöpfungsfriedens: „Wehe, wehe, denn wenn ich komme zum Tag der Auferstehung (§¡Ž”   !), werden mich alle, die gesündigt haben, verfluchen und sprechen: ‚Eva hat das Gebot Gottes nicht gehalten.‘“ (10,2) Und noch ein drittes Mal, bevor die Erzählung sich endgültig Adams und Evas Tod zuwendet, war Adam zuvor schon Auferstehung und sogar Unsterblichkeit verheißen worden. Angesichts seiner Vertreibung aus dem Paradies war zwar seiner Bitte um Barmherzigkeit nicht sofort entsprochen worden, aber Gott hatte ihm seinerzeit immerhin schon in Aussicht gestellt: „Wenn du dich hütest vor allem Schlechten und bereit bist zu sterben, werde ich dich auferstehen lassen, wenn die Auferstehung (wieder) kommt (  ! “!  ©Ž  Ë), … und du wirst unsterblich sein in Ewigkeit.“ (28,4) Adams „Krankheit zum Tode“ und sein Ende ebenso wie die Hoffnung auf Auferstehung sind also in der Erzählung längst im Blick, schon bevor er überhaupt das Paradies verlassen muss. Mit Blick auf eine angenommene literarische Vorgeschichte der Erzählung lässt sich festhalten: Explizite Aussagen zur Auferstehung finden sich sowohl in den der Endredaktion zugerechneten Kapiteln 1–14 als auch im ursprünglich angeblich selbständigen Testament Evas, Kapitel 15–30. Sie sind demnach bruchlos mit dem Erzählzusammenhang verknüpft und bilden in ihm ein wesentliches Element, indem sie der Erzählung eine Zukunftsperspektive einschreiben, die auf das eschatologische Gericht verweist. Wichtiger noch als solche diachronen Verknüpfungen ist damit die narrative und textpragmatische Stellung der Auferstehungsaussagen innerhalb der Gesamterzählung. Sie lenken den Blick auf eine außerhalb der erzählten Zeit stehende Zukunft, die auch für die Nachkommenschaft Adams, die ja ebenfalls schon jenseits der Erzählgrenze lebt, noch in der Zukunft liegt. Im Blick ist damit eine eschatologische Zukunft, die auch den Lesern der Schrift noch voraus liegt, in welche die zu erwartende Auferstehung zeitlich eingeordnet wird. Die Universalisierung der Auferstehungsankündigungen unterstreicht diese Ausrichtung auf die Endzeit. „Alles Fleisch (“  !”½) von Adam bis zu jenem großen Tag“ wird dann „ein heiliges Volk sein“ (13,3). „Alle, die gesündigt haben (“! ’ ¸ ”Ë )“ werden dann Eva wegen ihrer Übertretung des göttlichen Gebotes verfluchen (10,2). Deshalb kann aber auch die Verheißung von Auferstehung und Unsterblichkeit nicht allein Adam gelten, sondern allen seinen Nachkommen – und damit gerade auch den Lesern der Schrift, sofern sie „sich hüten vor allem Schlechten“ und in dieser Weise sich zum Sterben bereiten (28,4).

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Kommen wir nun zum Erzählende: In der Einleitung der Erzählung vom Tod Adams (31,2f.) steht zunächst noch nicht die Aussicht auf Auferstehung im Mittelpunkt, sondern vielmehr der bevorstehende Tod der Erzeltern. Als Problem wird vor allem Evas Sorge um ihr eigenes Weiterleben nach dem Tod Adams artikuliert. Adam beruhigt sie mit einer eher kurzfristigen Vorhersage, die darauf hinausläuft, dass auch Eva binnen kurzem sterben (š  “ Ë  ›—” ) und an denselben Ort gebracht werden soll wie er selbst (31,3). Der Fortgang der Erzählung deutet sich in der Ankündigung Adams an, demnächst „meinen Geist ab(zu)geben in die Hände dessen, der ihn mir gegeben hat“, d.h., seinem Schöpfer zu begegnen und sich dessen Gerichtsurteil zu unterstellen. Mit ähnlichen Worten redet der „Engel der Menschheit“ nach Adams Tod Eva an: „Adam, dein Mann, ist aus seinem Körper herausgegangen; steh auf und sieh seinen Geist, wie er hinaufgehoben wird zu seinem Schöpfer, ihm zu begegnen.“ (32,4) Von Auferstehung ist hier zunächst nicht die Rede. Vielmehr handelt es sich um einen narrativen Vorgriff auf die beiden folgenden Szenen der Gottesbegegnung Adams im Himmel und auf der Erde, die, wie wir schon gesehen haben, zueinander in einer gewissen narrativen Konkurrenz stehen. Semantisch und hinsichtlich der implizierten eschatologischen Vorstellungen sind freilich die Aussagen Adams so offen, dass seine Vorhersage auf der narrativen Ebene in beiden Gottesbegegnungsszenen eingelöst werden kann. Sie besagen ja nichts weiter, als dass es auch nach dem Tod eine Gottesbegegnung geben kann und wird, bei der Gott selbst über das künftige Geschick der Verstorbenen entscheiden wird. In dieser Gerichtsentscheidung Gottes liegt freilich wieder ein die erzählte Zeit überschreitendes und auf die Endzeit verweisendes Element. Der Ausblick auf die eschatologische Gerichtszeit wird einerseits innerhalb der himmlischen Thronszene mit der Fürbitte der Engel für Adam (33,5; 35,2) und ihrem Lobpreis über Gottes Erbarmen (37,2.6), andererseits in der auf Erden angesiedelten Begräbnisszene durch die explizite Ankündigung der Auferstehung (41,2; 43,2) aufgegriffen und entfaltet. In der himmlischen Thronszene gibt es allerdings (noch) keine ausdrückliche Ankündigung der Auferstehung. Vielmehr bleibt hier der Leichnam Adams an irgendeinem Ort im dritten Himmel im Paradies liegen, auch noch, nachdem er schon in Gottes Hand Erbarmen gefunden hat (37,4!), und zwar „bis zu jenem großen Tag der Abrechnung, die ich an der Welt vollziehen werde“ (37,5). Dass Adam selbst diesem künftigen göttlichen Gericht nicht noch einmal unterworfen werden wird, kann man aus der Aussage erschließen, dass sich Gott aufgrund englischer (vgl. 33,5; 35,2) und astraler (vgl. 36,1) Fürbitten seiner ja schon erbarmt hat (ÈŽ ¢ “! •£ ”• ˜¬Õ!, 37,2; vgl. 37,6; 38,1); ausdrücklich gesagt wird es freilich nicht. Ein Ausblick des Erzählers auf die „künftige Freude“ («  ¡ Ž £ ”«  Õ!), die Adam nach dem bisherigen Gang der Erzählung nun schon zuteilgeworden ist, leitet die Thronwagenreise Gottes auf

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die Erde ein (38,1). Bei Adams Leiche angekommen verheißt Gott diesem aber immer noch nicht die Auferstehung, sondern zunächst einmal „nur“ einen Umsturz der Herrschaftsverhältnisse: Auf dem Thron, auf dem jetzt noch der Verführer sitzt, soll bald wieder (wie ursprünglich schon einmal) Adam herrschen. Der Verführer hingegen wird verurteilt und „an diesen Ort“ gebracht werden, wo er trauern wird, weil er dann Adam auf seinem Thron über sich sitzen sehen wird (39,2f.). Wo und wann genau sich das abspielt, bleibt offen und wird bis zum Ende der Erzählung auch nicht mehr aufgelöst. Der Gegensatz von Freude und Trauer, verbunden mit dem von Gegenwart und Zukunft (und wohl auch dem von oben und unten), macht jedenfalls klar, dass auch hier bereits ein positives Gerichtsurteil Gottes über Adam impliziert ist. Die folgenden Szenen der Totenpflege Adams und Abels und ihres Begräbnisses (40,1–7) lassen vermuten, dass der Zeitraum der Erzählung mit dem Abschluss der Begräbnishandlungen (einschließlich des Begräbnisses Evas, vgl. 43,1f.) nun bald zu Ende geht. Mit einer Fülle von einzelnen Verrichtungen, die im Übrigen für die Rekonstruktion antiker frühjüdischer Begräbnispraxis durchaus ergiebig sind, 24 wird hier narrativ beschrieben, wie eine Leiche sozusagen „nach allen Regeln der Kunst“ unter die Erde zu bringen ist. Am Ende wird Seth geradezu zum „Lehrer der Menschheit“ hinsichtlich der Leichenpflege, der seine Kunst beim Erzengel Michael persönlich gelernt hat ( ‘¼   £ ¡ ‘ ™   ¢ žË …, 43,1f.). Auch die kurze Anweisung zu einer sechstägigen Trauerzeit, auf die am siebenten Tag eine Zeit der Ruhe und der Festfreude im Himmel wie auf Erden über „die gerechte Seele, die von der Erde abgeschieden ist“, folgen soll (43,3), 25 weist noch nicht über die erzählte Zeit hinaus, ebenso wenig wie der liturgisch klingende Abschluss mit einem dreifachen Halleluja, dem Trishagion und einer Doxologie (43,4), der auf der Ebene der Erzählung nichts weiter als wörtliche Rede des Engels ist (offenbar Michael), wenn er in den Himmel zurückkehrt. Umso stärker fallen angesichts dieser an sich sehr geschlossenen erzählten Zeit allerdings auch hier wieder die beiden expliziten Verweise auf die Auferstehung textpragmatisch ins Gewicht. Unmittelbar vor der Versiegelung seines Grabes spricht Gott den toten Adam ein zweites Mal direkt an und verheißt ihm (ausdrücklich und betont hinausgehend über sein bisheriges Wort an ihn, dass er Erde sei und in die Erde fortgehen werde) die Auferstehung: „Ich verkünde dir deine Auferstehung; ich werde dich auferstehen lassen in der Auferstehung

24 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Wohin mit den Toten? Begräbnispraxis und Auferstehungshoffnung in der Spätantike, in: Sitzungsberichte der Akademie für Gemeinnützige Wissenschaften zu Erfurt, Vorträge der Geisteswissenschaftlichen Klasse, 7, Erfurt 2013, 45–59 [in diesem Band 533–545]. 25 Dass in diesem Zusammenhang mit keiner Silbe und auch nicht implizit auf den achten Tag, den Auferstehungstag nach christlicher Überzeugung, hingedeutet wird, macht eine ursprünglich christliche Entstehung des Werkes m.E. schwer vorstellbar.

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mit dem ganzen Menschengeschlecht, das aus deinem Samen ist“ (“!  ¡ !   “ ©©Ž ™  ·  Ë   À  ! « “ ¢ ©Ž  ”Ç“ ì  “Ž” —, 41,2). 26 In doppelter Zeitüberschreitung wird hier erneut die Grenze der erzählten Zeit durchbrochen, indem der Gesamtheit der noch nicht einmal geborenen Nachkommenschaft Adams eine Zukunft zugesagt wird, die auch ihre Lebenszeit noch überschreiten wird. Und diese Zukunft wird auf einen Begriff gebracht: !  . 27 Auch beim Tod Evas hat der Verweis auf die Auferstehung textpragmatisch eine herausragende Stellung. Zunächst wird, anknüpfend an den bisherigen Gang der Erzählung, in aller Ausführlichkeit vom unmittelbar bevorstehenden Tod Evas und ihrem Wunsch erzählt, gerade darin mit ihrem Mann vereint zu bleiben, was konkret bedeutet, an demselben Ort wie er bestattet zu werden (42,3–7). Eine gemeinsame Auferstehung ist hier noch nicht im Blick. Vielmehr übergibt Eva nach einem ausführlichen Bittgebet, das in der Sache nichts weiter als diesen Wunsch artikuliert, mit einem Seufzer ihren Geist an Gott (42,8). Anschließend folgt die schon erwähnte Szene von der Leichenpflege Evas durch Seth entsprechend der Unterweisung durch Michael (43,1). Hier erst wird die Anweisung Michaels an Seth mit einem Ausblick auf die Auferstehung verbunden: „So pflege den Leichnam jedes Menschen, der stirbt, bis zum Tage der Auferstehung (î Ë“! ± ”“ “ Ë   Þ  Ž”    !)!“ (43,2) Auch hier haben wir es textpragmatisch mit einer doppelten Zeitüberschreitung der Erzählung zu tun. Zunächst einmal ist wieder die gesamte künftige Nachkommenschaft Adams im Blick. Deren Lebenszeit wird aber überschritten und abgeschlossen durch den „Tag der Auferstehung“. Im folgenden Satz wird diese Anweisung zudem noch als „Gesetz“ (—) bezeichnet, übrigens das einzige Vorkommen des Wortes in der Schrift, das möglicherweise noch eine weitere Horizontüberschreitung der Erzählung hin zur Tora des Mose andeuten soll. Es zeigt sich somit, dass Aussagen über die Auferstehung der Toten entscheidendes Gewicht für die Aussageabsicht des grLAE besitzen. Immer und nur dann, wenn es um den Ausblick auf die Auferstehung geht, wird die Zeitebene des erzählten Geschehens gezielt durchbrochen und auf die Lebenszeit der Leser und ihre eschatologische Zukunft hin geöffnet. Dies sind die textpragmatisch entscheidenden Signale, die auf die Aussageabsicht der Schrift und ihren „Sitz im Leben“ hindeuten. Stärker als alle noch so farbigen Schilderungen der himmlischen und irdischen Welten, die jenseits der Todesgrenze auf den Menschen warten, soll die Leser nach Durchschreiten dieser Welten die Aussicht auf die Auferstehung der Toten ansprechen. Dem sind nicht nur

26 27

Vgl. hierzu auch KNITTEL, Leben Adams und Evas (Anm. 8), 290–299. S. die auffällige, dreimalige Stichwortwiederholung in 41,2!

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Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

die (relativ spärlichen) paränetischen Akzente der Schrift untergeordnet, sondern ebenso die verschiedenen anthropologischen Konzeptionen, die wohl auch deshalb nicht konsequent miteinander ausgeglichen werden müssen. Dasselbe gilt für die topographischen Vorstellungen vom Jenseits, 28 sei es im Himmel oder auf der Erde (die Unterwelt spielt in der Erzählung keine Rolle). Auch eine stimmige Besetzungsliste der himmlischen Rollen ist offenbar nicht angestrebt. Der Zusage der Auferstehung ist auch die Ankündigung des eschatologischen Gerichts textpragmatisch untergeordnet. Das zeigt sich schon daran, dass Adam bereits innerhalb der erzählten Zeit göttliches Erbarmen erfährt, während die Auferstehung ja außerhalb dieser in der eschatologischen Zukunft liegt. Es würde die textpragmatische Logik der Erzählung empfindlich stören, wenn die Entscheidung für oder wider die Barmherzigkeit Gottes mit Adam und seinen Nachkommen noch bis zum künftigen Gericht bei der Auferstehung offengehalten würde. Zwar gehört diese Entscheidung in den Vorstellungszusammenhang des göttlichen Endgerichts, aber aktualisiert und akzentuiert wird demgegenüber im grLAE viel stärker die Auferstehungsverheißung als Heilsgeschehen. Daneben hat auch die Anweisung zum sachgemäßen Umgang der Lebenden mit den Toten hohes textpragmatisches Gewicht. Die Genauigkeit bei der Schilderung von Verrichtungen im Zusammenhang mit der Totenpflege und dem Begräbnis sowie ihre Autorisierung mit Hilfe himmlischer bzw. biblischurzeitlicher Lehrmeister lassen erkennen, dass hier ein weiteres Ziel des Textes liegt. Offenkundig ist es mit dem erstgenannten unlösbar verbunden. Gerade in der individuellen Erfahrung des Todes und angesichts von Belastungen und Herausforderungen beim Umgang mit Verstorbenen wird der Blick der Adressaten der Schrift auf die zu erhoffende und zu erwartende Auferstehung der Toten gewendet. Gegenüber der hier artikulierten individuellen Erwartung der Auferstehung der Toten tritt die in der biblisch-jüdischen Überlieferung viel stärker verankerte Erwartung eines kollektiven endzeitlichen Heilsgeschicks des Volkes Israel merklich zurück und ist eigentlich nur noch andeutungsweise in der Rede von einem „heiligen Volk“ in der Endzeit spürbar (vgl. 13,3). Dass sich hierin eine spezifisch christliche Universalisierung und Individualisierung der Endzeiterwartungen widerspiegeln sollte, scheint mir allerdings ein vorschnelles Urteil. Von spezifisch christlichen Einschlägen sind die Zukunftserwartungen der Schrift bemerkenswert frei, 29 und die auffällige Betonung der Siebenzahl 28

Näheres dazu bei NIEBUHR, Auf der Suche nach dem Paradies (Anm. 14), 61f. Auch von irgendwelchen messianischen Erwartungen ist übrigens in der Schrift nichts zu spüren! Zur nach wie vor umstrittenen und kaum eindeutig zu beantwortenden Frage nach einem vorchristlich-jüdischen Ursprung des grLAE vgl. ausführlich und differenziert ELDRIDGE, Dying Adam (Anm. 10), 233–264; MARINUS DE JONGE, The Christian Origin of the 29

1. Der Tod Adams und Evas (grLAE 31–43)

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in ihrem ganzen erzählerischen Aufbau und insbesondere in der Gestaltung der Schlussszenen (vgl. vor allem 43,3!) ist für einen ursprünglich christlichen Autor nur schwer vorstellbar. Vielmehr sollte man für die Entfaltung solcher individuell-universaler Vorstellungen vom Menschen jenseits der Todesgrenze die kreative Rezeption und Verarbeitung popularphilosophischer oder auch mythischer Traditionen aus der hellenistischen Geisteswelt in Rechnung stellen, für die es auch sonst in der frühjüdischen Literatur mancherlei Belege gibt. 30 Die Aufnahme des Motivs von der Waschung des verstorbenen Adam im Acherusischen See ist das deutlichste Signal dafür. 31 Gerade hier dürfte aber die exemplarische Bedeutung des grLAE für die Herausbildung christlicher Endzeitvorstellungen und anthropologischer Konzeptionen liegen. Erneut erweist sich so das hellenistische Frühjudentum als Mutterboden frühchristlicher Theologiegeschichte. 32 ‚Judentum‘ und ‚Christentum‘ sind ja in der Zeit, in der das grLAE entstanden ist, noch nicht zwei Religionen, die sich voneinander und von ihrer religiös-kulturellen Welt abund ausgrenzen lassen. Gerade bei Schriften wie dem grLAE wäre es anachronistisch, die Frage nach „jüdischem“ oder „christlichem“ Ursprung alternativ zu beantworten. Die christliche Auferstehungshoffnung, so spezifisch theologische und vor allem christologische Wurzeln sie auch haben mag, hätte sich in der frühchristlichen Lehrbildung und Frömmigkeitspraxis gar nicht entfalten können, wäre sie nicht in einem Milieu verwurzelt und genährt, das sich der

Greek Life of Adam and Eve, in: DERS., Pseudepigrapha of the Old Testament (Anm. 9), 181–200; DERS., The Greek Life of Adam and Eve and the Writings of the New Testament, a.a.O., 228–240. 30 Vgl. nur Weish 2,23–3,9; PseudPhok 97–121, aber etwa auch Josephus; dazu KARLWILHELM NIEBUHR, Griechische Philosophie und die weisheitlichen Bücher in der Septuaginta, in: WALTER AMELING (Hg.), Handbuch zur Septuaginta III (im Druck); DERS., Die Sapientia Salomonis im Kontext hellenistisch-römischer Philosophie, in: DERS. (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015, 219–256: 248–252 [vgl. DERS., Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur, in diesem Band 101–148]; DERS., Life and Death in Pseudo-Phocylides (Anm. 18), 471–473; DERS., Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung, in: CHRISTFRIED BÖTTRICH/JENS HERZER (Hg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 25.–28. Mai 2006, Greifswald, WUNT 209, Tübingen 2007, 49–70 [in diesem Band 399– 419]; SÖREN SWOBODA, Leben nach dem Tod. Josephus im Kontext antiker Geschichtsschreibung, SBS 245, Stuttgart 2019, 62–74. 31 S.o., Anm. 15; zur Bewertung dieses Befundes im Blick auf die Frage nach jüdischer oder christlicher Herkunft des grLAE vgl. ELDRIDGE, Dying Adam (Anm. 10), 244–248. 32 Vgl. dazu grundsätzlich NIKOLAUS WALTER, Hellenistische Diaspora-Juden an der Wiege des Urchristentums, in: DERS., Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, hg. v. WOLFGANG KRAUS/FLORIAN WILK, WUNT 98, Tübingen 1997, 383–404.

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Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

Begegnung biblisch-jüdischen Glaubens mit der hellenistisch-römischen Zivilisation und Kultur verdankt.

2. Spuren von Auferstehungshoffnung in der Septuaginta 2. Spuren von Auferstehungshoffnung in der Septuaginta Die im Griechischen Leben Adams und Evas identifizierbaren Auferstehungsvorstellungen lassen sich also m.E. mit dem Milieu eines „jüdisch-christlichen Textaustausch(s) bis ins 2. Jh.“ 33 in Beziehung setzen, das sich nach einer Vermutung von Martin Karrer auch in der Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der Septuaginta niedergeschlagen hat. An drei Textbeispielen ist in jüngerer Zeit versucht worden, von der Textüberlieferung der Septuaginta her zu diesem Milieu Zugang zu gewinnen. Die im vorangehenden Abschnitt entfalteten Überlegungen sollen daher jetzt mit diesen in der aktuellen Septuaginta-Forschung erhobenen Befunden verbunden werden. Martin Karrer hat in sehr differenzierter Weise Tendenzen einer ‚Eschatologisierung‘ des LXX-Psalters untersucht und dabei zeigen können, dass zwar noch nicht bei der Übersetzung aus dem Hebräischen, wohl aber im Zuge der Textüberlieferung des griechischen Psalters auch Auferstehungsvorstellungen rezipiert worden sind. Ein besonders eindrücklicher Beleg dafür ist die Erweiterung der Überschrift in Ps 65 LXX durch den Zusatz  , die von allen Hauptzeugen der Septuaginta abgesehen vom Codex Sinaiticus und der Rezension des Origenes geboten wird und daher sehr früh datiert werden muss (2. oder gar 1. Jh. n. Chr.). 34 Möglicherweise konnte dieser Zusatz bei einem eschatologischen Verständnis von Vers 9 des Psalms anknüpfen, wo die Septuaginta-Übersetzung eine kollektiv formulierte Lebenszusage der hebräischen Vorlage in eine individuelle, zukunftsoffene Wendung transformiert hat: „Er, der meine Seele aufs Leben ausrichtet“. Mit dem Stichwort    wäre eine solche eschatologische Lebensperspektive, die sich schon in der griechischen Übersetzung des Psalms abzeichnete, nunmehr in der Psalm-Überschrift explizit auf die endzeitliche Totenauferstehung bezogen worden. Die frühe Bezeugung dieser Textvariante führt uns, wie Karrer angedeutet hat, in dasselbe Milieu, in dem uns im grLAE auch der Begriff    begegnet ist, im Unterschied zum sonstigen biblischen und frühjüdischen Sprachgebrauch. Ehe wir diesen Begriff somit als Indiz für eine christliche Überlieferung oder gar Herkunft des grLAE verbuchen, sollten wir eher umgekehrt seine frühe Rezeption in der Textüberlieferung der Septuaginta als Hinweis auf ein religiöses Milieu interpretieren, das den jüdisch-hellenistischen und den frühchristlichen religiösen Texten gemeinsam ist. Wie Martin Karrer in einem weiteren Aufsatz

33 34

KARRER/KRAUS, Umfang und Text der Septuaginta (Anm. 5), 53. KARRER/KRAUS, Umfang und Text der Septuaginta (Anm. 5), 51, Anm. 192.

2. Spuren von Auferstehungshoffnung in der Septuaginta

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anhand der Zitatenkombination in 1Clem 26,2 gezeigt hat, konnte dieses Milieu dazu führen, dass auch andere Aussagen im Psalter, die bei ihrer Übersetzung in das Griechische noch nicht sicher eschatologisch zu verstehen sind, doch im Zuge der Überlieferung des griechischen Textes immer deutlicher in diesem Sinne verstanden und dann auch auf die endzeitliche Totenauferstehung bezogen werden konnten. 35 Zwei andere Beispiele für die Rezeption von Auferstehungshoffnungen in der Septuaginta-Überlieferung hat Johannes Schnocks untersucht. Anhand der Prophetenrezeption im „Väterlob“ bei Ben Sira (Sir 46–49) konnte er zeigen, „dass sich in der Septuaginta von Sir 46–49 eine Tendenz findet, charismatischen Persönlichkeiten eine Art Auferstehung immerhin zu wünschen“. 36 So rezipiert der Makarismus in Sir 48,11 offenkundig die Erwartung des wiederkommenden Elija nach Mal 3,23f.: „Selig, die dich sehen und die in Liebe entschlafen sind, denn auch wir werden das Leben leben.“ Steht diese kollektive Hoffnungsaussage über ein künftiges Leben jenseits der Todesgrenze auch in deutlicher Spannung zu anderen Aussagen des Sirachbuches, die ganz auf den Tod als Ende des menschlichen Lebens konzentriert sind, so lassen sich doch in der griechischen Überlieferung der Schrift mehrfach Spuren einer Textinterpretation bzw. -erweiterung aufweisen, die von Vorstellungen der postmortalen Existenz des Menschen und des endzeitlichen Totengerichts bestimmt sind. So artikuliert die Septuaginta für die zwölf Propheten eine Zukunftsperspektive über ihren Tod hinaus: „und die Gebeine der zwölf Propheten: Sie mögen aufwachsen von ihrem Ort («Ã  !     —“ ˜•), denn sie trösteten Jakob und sie erlösten sie durch Glauben der Hoffnung“ (Sir 49,10). Dieselbe Wendung begegnet in Sir 46,11f. im Blick auf die Zukunft der Richter: „Ihre Gebeine mögen aufsprossen von ihrem Ort und ihr Name (sei) dagegen eingewechselt ein Gerühmter bei den Söhnen der Menschen“. Dort lässt sie sich eindeutig als Texteinfügung in die hebräische Vorlage erweisen, mit dem Effekt, „dass sich das Gewicht, das zuvor auf dem Nachruhm in Form des guten Namens lag, nun zugunsten einer leiblichen Auferstehungshoffnung verschiebt“. 37 35

Vgl. MARTIN KARRER, Ps 22 (MT 23): von der Septuaginta zur Eschatologisierung im frühen Christentum, in: WOLFGANG KRAUS/OLIVIER MUNNICH (Hg.), La Septante en Allemagne et en France. Textes de la Septante à traduction double ou à traduction très littérale / Septuaginta Deutsch und Bible d’Alexandrie. Texte der Septuaginta in Doppelüberlieferung oder in wörtlicher Übersetzung, OBO 238, Fribourg/Göttingen 2009, 130–148. 36 SCHNOCKS, Totenerweckung im Väterlob (Anm. 6), 302; sehr viel zurückhaltender demgegenüber JEAN-SEBASTIEN REY, L’espérance post-mortem dans les différentes versions du Siracide, in: DERS./JAN JOOSTEN, The Texts and Versions of the Book of Ben Sira, JSJ.S 150, Leiden 2011, 257–279. 37 SCHNOCKS, Totenerweckung im Väterlob (Anm. 6), 301. Dieselbe Verschiebung von der Erwartung der Fortdauer des Namens über den Tod hinaus hin zur Auferstehung zeigt sich auch in TestHi, s. dazu u., 567.

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Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

Im Blick auf die Zukunftserwartungen Josefs (Sir 49,15) lässt sich ein Textwachstum vom hebräischen Text über die Septuaginta-Fassung bis in die lateinische Tradition hinein verfolgen. Die Septuaginta erweitert hier das postmortale Lob Josefs um eine Zeile und transformiert die Aussage über die Totenpflege Josefs in eine Wendung, die wie die oben zitierten von seinen „Gebeinen“ spricht (« à˜ “ Ž“ ). Die lateinische Tradition fügt dem dann am Ende noch hinzu: et post mortem prophetaverunt („und nach dem Tod haben sie prophezeit“). Damit wird den Gebeinen Josefs ein Weiterwirken nach dem Tod zugeschrieben, was in der biblischen Überlieferung sonst nur von Elischa behauptet wird. 38 „Die Septuaginta dokumentiert hier einen Rezeptionsprozess in einem religiösen Umfeld, das recht problemlos mit Vorstellungen wie Totengericht und Auferstehung umgeht.“ 39 Auch die Textüberlieferung des griechischen Hiob-Buches 40 trägt, wie Johannes Schnocks in einem anderen Aufsatz nachweisen konnte, deutlich die Spuren einer individuellen Auferstehungserwartung bei Tradenten, die offenbar nicht erst in christlichen Kontexten zu suchen sind. 41 Der griechische Zusatz am Buchschluss setzt mit einem Kommentar zur Todesnotiz Hiobs am Ende des hebräischen Textes ein: „Es steht aber geschrieben, dass er wiederum auferstehen wird (    ) mit denen, die der Herr auferstehen lassen wird (  ).“ (Hi 42,17a) Worauf sich dieser Schriftbeweis bezieht, erhellt am ehesten, wenn man die griechische Fassung von Hi 14,13–17 und 19,25–27 näher in Betracht zieht. 42 Während im hebräischen Text hier schwerlich an eine Auferstehungshoffnung zu denken ist, 43 bietet die griechische Übersetzung jeweils eine Terminologie, an der sich solche Erwartungen festmachen konnten. So wird die rhetorische Frage in Hi 14,14: „Wenn ein Mann stirbt, wird er je wieder aufleben?“, im Griechischen mit der bekenntnishaften Aussage wiedergegeben: „Denn wenn ein Mensch stirbt, wird er leben (Ñ  ), obwohl er die Tage seines Lebens vollendet hat.“ In Hi 19,25f. gibt die griechische Übersetzung den hebräischen Text sehr frei wieder, indem sie das Verb aus V. 25 nach V. 26 hinüberzieht und auf diese Weise eine Aussage über die Auferweckung der „Haut“ Hiobs bildet (    ¢œ” , v.l. • ). 44 Die gesamte Aussage wird gerahmt durch ein Bekenntnis zu „dem 38

2Kön 13,20f.; vgl. Sir 48,13. SCHNOCKS, Totenerweckung im Väterlob (Anm. 6), 303f. 40 Vgl. dazu MARKUS WITTE, The Greek Book of Job, in: THOMAS KRÜGER u.a. (Hg.), Das Buch Hiob und seine Interpretationen. Beiträge zum Hiob-Symposium auf dem Monte Verità vom 14.–19. August 2005, AThANT 88, Zürich 2007, 33–54. 41 SCHNOCKS, Hope for Resurrection (Anm. 6), 296.298. 42 Vgl. dazu KARRER, Job, der Gerechte (Anm. 6), 83–85. 43 Zur Interpretation der hebräischen Vorlage vgl. DANIELA OPEL, Hiobs Anspruch und Widerspruch. Die Herausforderungsreden Hiobs (Hi 29–31) im Kontext frühjüdischer Ethik, WMANT 127, Neukirchen-Vluyn 2010, 43–47. 44 Vgl. KARRER, Job, der Gerechte (Anm. 6), 84f., Anm. 58. 39

2. Spuren von Auferstehungshoffnung in der Septuaginta

567

Ewigen“ 45 und zum „Herrn“: „denn vom Herrn ist dieses für mich vollendet worden“ (“ ”«©«” ”  œ , V. 26b). Die Hiob-Übersetzung der Septuaginta bietet damit die Möglichkeit für ein Textverständnis, das dem leidenden Hiob die Gewissheit künftiger Auferstehung des Leibes zuspricht. Genau diese Gewissheit wird dann auch expressis verbis im griechischen Zusatz zum Hiob-Buch zum Ausdruck gebracht. Von ihr her kann die Rezeption der Hiob-Gestalt im Frühjudentum wie im frühen Christentum als biblisches exemplum für die Auferstehungserwartung verständlich werden. 46 So wird etwa im Jakobusbrief die „Geduld Hiobs“ als Paradigma dafür angesehen, im Glauben das „Ende des Herrn“ und seine Barmherzigkeit bei seiner Parusie zu erwarten (Jak 5,11). 47 Im Testament Hiobs steht neben der Hoffnung auf Wiederherstellung des „Namens“ Hiobs auch die explizite Erwartung seiner Auferstehung (TestHi 4,9). 48 Auch hier wäre es fatal, wollte man Aussagen über die Auferstehung der Toten als Kriterium für eine alternative Zuweisung der entsprechenden Texte zu jüdischen oder christlichen Milieus heranziehen. Bezeichnenderweise fehlt ja gerade im Jakobusbrief eine explizite Auferstehungshoffnung, während sie andererseits im Testament Hiobs (ähnlich wie in der Hiob-Septuaginta) unausgeglichen neben anders gearteten Zukunftserwartungen stehen kann. So gehört etwa nach dem Testament Hiobs zu den Zusagen, die Hiob für den Fall erhält, dass er sich vom Götzendienst abkehrt, neben der Wiederherstellung seines Namens auch die Auferstehung. Zwar wird Hiob auch künftig den Anschlägen Satans ausgesetzt sein und all seinen Besitz und seine Kinder verlieren, doch wenn er standhaft bleibt, wird er nicht nur alles doppelt zurückerhalten, sondern ihm wird auch verheißen: „du wirst auferweckt werden bei der Auferstehung“ (©” ¤À   , TestHi 4,9). Insgesamt sind die Heilserwartungen im Testament Hiobs vielfältig und kaum miteinander auszuglei-

45

Gr. œ  für MT goel, V. 25. WITTE, The Greek Book of Job (Anm. 40), 44, plädiert (vorsichtig) für „a Christian gloss“, aber seine Begründung dafür („an explicitly theological interpretation of resurrection can be found solely among Christian writers in late antiquity“) kann m.E. aufgrund der hier herangezogenen Belege aus dem grLAE hinterfragt werden. 47 Vgl. dazu JENS HERZER, Jakobus, Paulus und Hiob: Die Intertextualität der Weisheit, in: KRÜGER, Das Buch Hiob (Anm. 40), 329–350; zur Intertextualität zwischen dem Jakobusbrief und dem Testament Hiobs vgl. HERZER, a.a.O., 333–338, sowie PATRICK GRAY, Points and Lines: Thematic Parallelism in the Letter of James and the Testament of Job, NTS 50, 2004, 406–424. 48 Vgl. dazu GABRIELLE OBERHÄNSLI-WIDMER, Hiob in jüdischer Antike und Moderne. Die Wirkungsgeschichte Hiobs in der jüdischen Literatur, Neukirchen-Vluyn 2003, 59–93; DIES., Hiobtraditionen im Judentum, in: KRÜGER, Das Buch Hiob (Anm. 40), 315–328 (bes. 320–323 zur Auseinandersetzung in der rabbinischen Tradition mit der Auferstehungsvorstellung im TestHi). 46

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Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

chen. Die Auferstehungshoffnung erscheint dabei eher als Nebenmotiv. Daneben gibt es Vorstellungen von der leiblichen Entrückung nach dem Tod (39,12f.) oder der Trennung von Leib und Seele beim Tod und der Aufnahme nur der Seele in den Himmel (bzw. ins Paradies, 52,10), möglicherweise sogar von einem Seelenschlaf in der himmlischen Stadt vor dem Endgericht (40,4, hier auch das Verb    ). Erneut landen wir somit mit der Untersuchung von Zeugnissen für die Auferstehung der Toten bei einem Milieu kreativer Rezeption und Transformation biblisch-jüdischer eschatologischer Überlieferungen, das sich nicht in jüdische und christliche Bezirke aufteilen lässt. Wie der Tod nicht an der Grenze zwischen Juden und Christen haltmacht, so können auch die Strategien zu seiner Bewältigung im Licht der Glaubensüberlieferungen Israels nicht alternativ auf Judentum und Christentum verteilt werden!

3. Zur textpragmatischen Funktion von literarischen Bezügen auf die Auferstehung der Toten 3. Zur textpragmatischen Funktion Ausgehend von den hier untersuchten Zeugnissen für die Auferstehungshoffnung im griechischsprachigen Frühjudentum soll eine weitere Überlegung hier nur angedeutet werden, die weitergehenden Untersuchungen vorbehalten bleiben muss. Narrative frühjüdische Texte wie das Griechische Leben Adams und Evas lassen erkennen, dass der Umgang mit dem Tod eine religiöse und theologische Herausforderung darstellt, die im Frühjudentum mit Hilfe biblischer Stoffe und Überlieferungen zu bewältigen versucht wurde. Oft an nur wenige, knappe biblische Texte anknüpfend, wurden dem Thema des bevorstehenden Todes, seinem Eintreten, dem Umgang mit Toten und Hinterbliebenen, der Trauer und dem Begräbnis sowie der Pflege des Andenkens der Verstorbenen zum Teil umfangreiche literarische Werke verschiedener Gattungen gewidmet. 49 Es ist wenig überraschend, wenn in solchen Texten im Hinblick auf den erzählten individuellen Tod und im Zusammenhang mit der Darstellung von Begräbnispraktiken neben charakteristischen anthropologischen Vorstellungen (z.B. der Trennung von Seele und Leib) auch Auferweckungshoffnungen laut werden, die oft mit sehr farbigen Vorstellungen einer transzendenten Welt verbunden sind. Dabei werden häufig biblische und frühjüdische Überlieferungen rezipiert, die mit der Erwartung der Totenauferweckung ursprünglich nichts zu tun haben (z.B. Paradies- oder Unterweltvorstellungen), die in der weiteren jü-

49 Vgl. neben dem grLAE z.B. noch TestXII, TestHi, TestAbr und ApkAbr. Auch im umfangreichen Werk Philons lassen sich entsprechende Passagen zum Thema Umgang mit Sterben und Tod ausmachen, z.B. Abr 255–261 oder Jos 22–27.

3. Zur textpragmatischen Funktion

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dischen und christlichen Rezeptionsgeschichte aber für die Ausgestaltung solcher Vorstellungen über die Zeit und Welt der Toten fruchtbar gemacht werden konnten. Möglicherweise hat die Akzentverschiebung von einer traditionell eher kollektiven zu einer stärker individuellen Erwartung der Auferstehung der Toten im hellenistisch beeinflussten Frühjudentum in solchen Lebenszusammenhängen wenigstens eine ihrer Ursachen. Jedenfalls werden auf das künftige Geschick Israels ausgerichtete Endzeiterwartungen, die auch die frühesten Zeugnisse für die Hoffnung auf eine Auferstehung der Toten prägten, in den hier untersuchten Texten deutlich überlagert von einer auf das Geschick des Einzelnen nach seinem individuellen Tod und auf seine Auferweckung ausgerichteten Heilserwartung. 50 Dass diese Akzentverschiebung mit einer angeblich christlichen Abkehr von den Heilserwartungen Israels verbunden gewesen sein sollte, lässt sich an keiner Stelle erkennen. Vielmehr wurden ja die auf Israel bezogenen Überlieferungen in den betreffenden Texten gerade nicht ausgeschieden oder gar explizit kritisiert (was in anderen frühchristlichen Schriften durchaus geschehen konnte), sondern bildeten eine unverzichtbare narrative Basis für die Artikulierung von spezifisch christlichen Auferstehungshoffnungen. Es wäre noch näher zu untersuchen, ob solche narrativen Rezeptionen und Entfaltungen biblischer Überlieferungen von Tod und Begräbnis einen realen „Sitz im Leben“ im Zusammenhang mit der Begräbnispraxis und damit zusammenhängenden religiösen Verrichtungen im Frühjudentum und im frühen Christentum hatten. 51 Die frühjüdischen Erzählungen vom Tod biblischer Gestalten bieten immerhin manche charakteristischen Details zu Sterbebereitung und -begleitung, Trauerbräuchen, Totenpflege, Begräbniskultur und Totengedenken, die einer systematischen Auswertung harren. Offenbar führte gerade die Verknüpfung biblischer Überlieferungen mit hellenistisch-römischen popularphilosophischen Konzeptionen im hellenistischen Frühjudentum zu einer charakteristischen Gestalt von Menschenbildern und Endzeitvorstellungen, die 50 Ein interessantes Beispiel dafür bietet der LXX-Papyrus 967, der auf ca. 200 n. Chr. datiert wird (vgl. dazu SIEGFRIED KREUZER, Papyrus 967. Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: KARRER/KRAUS, Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten [Anm. 5], 64–82). Er verändert die Reihenfolge der Kapitel Ez 36–39 so, dass die berühmte „Totenfeldvision“ Ez 37 nunmehr erst auf den siegreichen Kampf Israels bzw. Gottes gegen Gog und Magog Kap. 38f. folgt. „Wenn diese Reihenfolge in p967 dergestalt geändert ist, dass Ez 37 nach dem endzeitlichen Kampf von Ez 38f. eingeordnet wird, so liegt dem offensichtlich ein neues Verständnis der Vision von der Auferweckung der Totengebeine zu Grunde, nämlich im Sinn der am Ende der Zeit erfolgenden (individuellen) Auferstehung.“ (KREUZER, a.a.O., 73). 51 MEISER, Ätiologie und Paränese (Anm. 10), 212–217, zählt zwar eine ganze Reihe von ‚Ätiologien‘ aus der biblischen Urgeschichte im grLAE auf, erwähnt Tod und Begräbnis dabei aber nicht.

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Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum

auch für die Herausbildung christlicher Theologie und Frömmigkeit in der Antike bestimmend geworden ist. Dem weiter nachzugehen, ist eine lohnende Aufgabe für Alttestamentler, Judaisten und Patristiker, für Erforscher der hellenistisch-jüdischen Religionsgeschichte wie für klassische Philologen und Historiker, und nicht zuletzt für Neutestamentler!

Pseudo-Phokylides: Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht aus Alexandria 1. Text, Herkunft und Verfasserschaft 1. Text, Herkunft und Verfasserschaft Ein pseudonymes Lehrgedicht, das dem milesischen Gnomendichter Phokylides (6. Jh. v. Chr.) zugeschrieben wird, besteht aus ca. 230 Hexametern. 1 Der Titel lautet in den griechischen Handschriften: „Gnomen des Phokylides“, oder etwas länger: „Des Philosophen Phokylides nützliche Dichtung“. Dies korrespondiert mit den Eingangsversen des Gedichts, wo der Autor als „Phokylides, weisester der Männer“ charakterisiert wird. Auch zwischen den Eingangs- und den Schlussversen gibt es eine gewisse Korrespondenz: 1 2

Diese Ratschlüsse Gottes in frommen Satzungen tut kund Phokylides, weisester unter den Männern, als glückbringende Gaben.

229 Dies sind die Geheimnisse rechter Lebensweise – wenn ihr ihnen folgt, 230 könnt ihr ein gutes Leben vollführen bis zur Schwelle des Greisenalters. 2

Somit erweist sich die Sammlung als kohärentes und formal einheitliches Werk, das dem für seine gnomische Weisheit berühmten klassischen Dichter zugewiesen wird. Der Griechische Wortlaut ist durch eine große Zahl von Manuskripten überliefert, die aus dem 10. bis 16. Jh. stammen. 3 Nur fünf von ihnen sind für die Herstellung des ursprünglichen Textes bedeutsam: M (10. Jh.), B (10.. Jh.), P (11/12. Jh.), L (13. Jh.) und V. (13. Jh.). Außerdem gibt es eine Überlappung

1

Die jüngste Textausgabe stammt von PASCALE DERRON, Pseudo-Phocylide. Sentences. Texte établi, traduit et commenté, Paris 1986; ältere Übersetzungen und Untersuchungen beruhen auf DOUGLAS YOUNG, Theognis, Ps.-Pythagoras, Ps.-Phocylides, Chares, Anonymi Avlodia, Fragmentum Teliambicum, Leipzig 21971. 2 Zitate aus Pseudo-Phokylides folgen NIKOLAUS WALTER, Pseudepigraphische jüdischhellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 173–278. Als Kommentar durchgängig zu vergleichen ist PIETER W. VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides. With Introduction and Commentary, SVTP 4, Leiden 1978. 3 Zur handschriftlichen Überlieferung DERRON, Pseudo-Phocylide (Anm. 1), LXXXIII– CXII.

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Pseudo-Phokylides

in der Textüberlieferung zwischen PseudPhok 5–79 und einem Teil der Handschriften von Buch 2 der Sibyllinischen Orakel (dort 56–148). 4 Anpassungen an den Kontext in den Sibyllinen legen nahe, dass die (wahrscheinlich christlichen) Redaktoren der Sibyllinischen Bücher (oder nur von Buch 2) Zugang zu Manuskripten von Pseudo-Phokylides hatten und von ihnen Gebrauch machten. Zitate aus Pseudo-Phokylides gibt es auch im Florilegium des Johannes Stobaios (frühes 5. Jh.) und in der „Tübinger Theosophie“ (Ende 5. Jh.). Damit ist eine Textüberlieferung des Gedichts schon vor dem 5. Jh. belegt. Antike Versionen gibt es nicht. Einige wenige Verse sind in der modernen Forschung als christliche Interpolationen ausgewiesen worden (31.36f.87.116f. 129.144–146.155.218). Hinzu kommen 22 zusätzliche Verse, die zur Interpolation in Sib 2 gehören. Allerdings gibt es keine Spuren einer durchgängigen christlichen Redaktion des Gedichts im Zuge der Textüberlieferung. Seit der byzantinischen Zeit bis in die frühe Neuzeit ist das Werk in christlichen Schulen wohl als Lehrbuch zur moralischen Erziehung oder für stilistische Übungen verwendet worden. In diesem „Sitz im Leben“ war es nicht nötig, ausdrücklich biblische oder christliche Verfasserschaft zu behaupten, denn die griechische Paideia wurde per se als nützlich für die christliche Bildung angesehen, solange sie nicht die Grenzen des monotheistischen Glaubens oder der biblischen Moral verletzte. 5 Erst in der Moderne, als historische Interessen in Philologie und Theologie den philosophischen oder ethischen Wert antiker Texte überlagerten, wurde die Verfasserschaft des Lehrgedichts zum Problem. Heute besteht weitgehend Konsens in der Forschung über den jüdischen Ursprung des Werkes. Obwohl es auch gewisse Affinitäten einerseits zur ‚älteren‘ (hebräischen) Weisheitsliteratur der Bibel (bes. im Pentateuch und in den Proverbien), andererseits zur rabbinischen Literatur gibt (derekh eretz-Traktate), geht man meistens von einem hellenistisch-jüdischen Ursprung des Werkes aus, wofür vor allem seine sprachliche Gestalt spricht. 6 Dieser Tatbestand ist 4 OLAF WASSMUTH, Sibyllinische Orakel 1–2. Studien und Kommentar, AGJU 76, Leiden 2011, 63–66. Waßmuth bietet a.a.O., 305–315, auch eine Synopse der korrespondierenden Passagen. S.E. lässt sich Buch 2 der Sibyllinen auf eine jüdische Vorlage (‚Grundschrift‘) zurückführen (a.a.O., 465–494). 5 Ein hübsches Beispiel für die Hochschätzung der Sammlung in mittelalterlichen christlichen Kreisen bietet eine jambische Eulogie in einer Handschrift aus dem 15. Jh. (griechischer Text nach VAN DER HORST, Sentences [Anm. 2], 3): ç £” ¦, ç “ œ© , / ç ” ¡ •  “ , / ‘  ©©¢ • ” “”

œ, / ˜ ©© •     ‘ ©”› / ꣔ ©£   ° Ê. („Wie ein Christus Geweihter, wie ein großer Apostel / wie ein Hörer der Orakel Gottes / und Mystagoge dessen, was am besten zu tun ist / spricht und schreibt er dies frohbotschaftend / als etwas Angenehmes denen im Leben.“). 6 Zu den Einleitungsfragen vgl. JEAN RIAUD, À la croisée des cultures. Les traditions judaïques à la manière greque, Paris 2017, 297–308; FOLKER SIEGERT, Einleitung in die hellenistisch-jüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin 2016, 495–499; WALTER T. WILSON, The Sentences of Pseudo-

1. Text, Herkunft und Verfasserschaft

573

auffälliger als manchmal wahrgenommen, denn er bezeugt ein sehr hohes Niveau griechischer Bildung in antik-jüdischen nicht-rabbinischen Kreisen, immerhin die Beherrschung der Sprache Homers und gewisse philosophische Kenntnisse aus Platonismus und Stoa. Andererseits gibt es zahlreiche Belege für eine ziemlich gehobene griechische Bildung in hellenistisch-jüdischen Kreisen, insbesondere in Alexandria. 7 Im Vergleich zu anderen literarischen Kreationen des hellenistischen Judentums hebt sich Pseudo-Phokylides aber durch die sprachliche Form (Hexameter) von philosophisch gebildeten Autoren wie Aristobulos und Philon von Alexandrien, durch sein paganes Pseudonym von biblisch ‚klingenden‘ Schriften wie der Sapientia Salomonis oder der romanartigen Lehrerzählung Joseph und Aseneth ab. Das pagane Pseudonym verbindet das Gedicht mit jüdisch-hellenistischen literarischen Werken bzw. Fragmentensammlungen, die antiken Historikern (Hesiod), Dichtern (Homer, Aischylos, Sophokles, Euripides u.a.) oder auch mythischen Gestalten (Orpheus, Sibylla) zugeschrieben wurden. 8 Besonders eng verwandt mit PseudoPhokylides erscheinen in dieser Hinsicht die Sentenzen des nur syrisch überlieferten (Pseudo)-Menander. 9 Eine exakte Datierung und Lokalisierung für das ursprüngliche Lehrgedicht ist der neueren Forschung ebenso wenig gelungen wie eine genauere Identifizierung seines Autors. Meistens datiert man das Werk in das späte 1. Jh. vor oder das frühe 1. Jh. n. Chr. Für Alexandria als Entstehungsort wollte man Vers 102 als Beweis heranziehen, wo sich ein Hinweis auf die Praxis der Leichensektion findet, die in der Antike nur für diese Stadt bezeugt ist. 10 Allerdings

Phocylides, CEJL, Berlin/New York 2005, 3–63; GERBERN S. OEGEMA, Poetische Schriften, JSHRZ Supplementa VI/1,4, Gütersloh 2002, 63–75; ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, Turnhout 2000, 1037–1057, sowie DERRON, Pseudo-Phocylide (Anm. 1), XXXII–LXXXII; VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 55– 83; WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung (Anm. 2), 182–196. 7 Vgl. nur Aristobulos, Philon, die Weisheit Salomos oder das 4. Makkabäerbuch. 8 Vgl. zu solchen Sammlungen CARL R. HOLLADAY, Fragments from Hellenistic Jewish Authors, Bd. 4: Orphica, SBLTT 40, Atlanta 1996, sowie WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung (Anm. 2), 175–181. 9 Vgl. DAVID G. MONACO, The Sentences of the Syriac Menander. Introduction, Text and Translation, and Commentary, Piscataway 2013; KARL-WILHELM NIEBUHR, Art. Menander, Sentences of the Syriac, in: DANIEL M. GURTNER/LOREN T. STUCKENBRUCK (Hg.), T&T Clark Encyclopedia of Second Temple Judaism, Bd. 1, London/New York 2019, 367– 368; DERS., Außerkanonische Schriften im antiken Christentum. Das Beispiel syrischer Menander, in: Neutestamentliche Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung (FS E. Reinmuth), hg. v. STEFAN ALKIER/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leipzig 2017, 377–401 [in diesem Band 601–623]. 10 Vgl. VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 183f.

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Pseudo-Phokylides

könnte diese Kenntnis sich auch in anderen Gegenden des antiken Mittelmeerraums verbreitet haben, wo das Gedicht dann ebenso gut entstanden sein könnte. 11

2. Genre, Struktur, Formen und Inhalte 2. Genre, Struktur, Formen und Inhalte Aufgrund seiner pseudonymen Autorenzuschreibung und seiner literarischen Form gehört das Werk zur antiken griechischen Gnomendichtung. Obwohl die hexametrische Form und zahlreiche grammatische und stilistische Merkmale auf Homer oder die klassische griechische Dichtung im ionischen Dialekt verweisen, gibt es auch Anzeichen für eine spätere Entwicklungsstufe der griechischen Poesie. So begegnen verschiedene Wörter oder Wortformen erst im hellenistischen Griechisch. 12 Die engsten Verwandten der Gattung nach sind in der antiken Literaturgeschichte so genannte Gnomologien (z.B. die Praecepta Delphica, die „Worte der Sieben Weisen“, die „Ungeschriebenen Gesetze“ oder die „Buzygischen Verwünschungen“) sowie speziell Logoi Sophon genannte Sammlungen (Hypothekai des Chiron, Gnomai des Axiopistos, Gnomai des Chares u.a.). 13 Solche griechischen Sammlungen von Weisheitsworten entstanden von der hellenistischen Zeit an bis in die Spätantike. Sie wurden mehr oder weniger berühmten klassischen Dichtern, Philosophen, Politikern oder mythischen Helden zugeschrieben. Der frühbyzantinische gelehrte Sammler Johannes Stobaios versammelte bzw. exzerpierte viele von ihnen in seinem Anthologion (5. Jh.). Es entspricht den Gattungsmerkmalen von Gnomensammlungen, dass man auf der Textoberfläche des Gedichts keine klare Disposition erkennen kann. Allerdings finden sich über die schon erwähnte Korrespondenz der Eingangsund Schlussverse hinaus doch bestimmte Strukturmerkmale, die zur Kohärenz beitragen. So bildet der Eröffnungsabschnitt (3–8) eine ethische Grundlegung, die zu einer ersten zusammenfassenden Mahnung führt: 8

Vor allen Dingen ehre du Gott, sodann deine Eltern.

Dies korrespondiert mit dem Schlussabschnitt Verse 207–228, der die Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines antiken Hausstandes behandelt. Dieser 11

Vgl. zur Diskussion KARL-WILHELM NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides, in: Empsychoi Logoi – Religious Innovations in Antiquity (FS P. W. van der Horst), hg. v. ALBERDINA HOUTMAN/ALBERT DE JONG/MAGDA MISSET-VAN DE WEG, AGJU 73, Leiden/Boston 2008, 469–483: 471 [auf Deutsch in diesem Band 585–599]. 12 Vgl. VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 81f. 13 MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979, 236–261, bietet einen Überblick über solche antiken Spruchsammlungen; vgl. auch DERRON, Pseudo-Phocylide (Anm. 1), VII–XXXI.

2. Genre, Struktur, Formen und Inhalte

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besteht aus Eltern und Kindern (207–209), Heranwachsenden und Alten (210– 217), Freunden und Verwandten (219) sowie Sklaven (223–227). Die letzte Zeile unmittelbar vor den das Gedicht abschließenden Versen wirkt wie ein zusammenfassendes Grundsatzurteil: 228 (Rituelle) Reinigungen bedeuten die Heiligung der Seele, nicht des Körpers. 14

Ob es darüber hinaus noch weitere Kompositionssignale im Gedicht gibt, ist umstritten. Die meisten Forscher stellen eine klare Disposition in Frage und identifizieren nur kleinere sachlich zusammenhängende Spruchgruppen zu bestimmten Gegenständen oder Lebensbereichen. So behandelt der Abschnitt 175–206 vorwiegend sexuelle Beziehungen, die im wünschenswerten Fall zur Ehe und einer liebenswerten Familie bis ins hohe Alter führen (196). Im Unterschied dazu erscheint der Abschnitt 9–41, eher am Beginn des Gedichts, wie ein Summarium gesellschaftlicher Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit, geleitet von Werten wie Gerechtigkeit, Vertrauen, Solidarität und Barmherzigkeit. 15 Ungefähr in der Mitte der Sammlung begegnet ein längerer Abschnitt, der sich mit Tod und Trauer, Begräbnis und Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod beschäftigt (97–121). Ein spezieller Abschnitt zum Arbeitsethos stellt unter anderem die Ameise und die Biene als Muster von Tüchtigkeit heraus (153–174). Kleinere Einheiten konzentrieren sich auf den Umgang mit Geld (42–47), Neid (48–58.70–75) oder „Sprachethik“ (122–131). Andere propagieren konventionelle ethische Werte wie z.B. Bescheidenheit (59–69). Wieder andere bestehen aus Ketten von Einzelsprüchen oder kurzen Spruchgruppen ohne erkennbare strukturelle Ordnung (76–9.132–152). Religiöse Argumente oder Begründungen für das geforderte ethische Verhalten erscheinen im Gedicht eher verstreut oder verdeckt (s.u.). Ein anderes Indiz zur Gliederung wären Quellen, die der Autor verwendet hat, um sein Werk zu strukturieren. So scheint er in Teilen des Gedichts auf konventionelle Sammlungen biblischer Gebote zurückzugreifen. Die Verse 3– 8 und 9–41 basieren auf traditionellen Torazusammenfassungen, die sich auch in anderen frühjüdischen Schriften nachweisen lassen. 16 Die Verse 175–190 lassen sich mit einer Passage aus dem Buch Levitikus verbinden, die sich mit sexuellen Beziehungen befasst (vgl. Lev 18/20). Allerdings gibt der Autor selbst keine Hinweise, dass er literarische Quellen verwendet hat, und große Teile des Gedichts sind weitgehend frei von intertextuellen Bezügen.

14

‘»© £, ˜ ­  § ”. Andere Übersetzungsmöglichkeiten bei Wilson, van der Horst und Derron. 15 Zu Einzelheiten vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 5–31. 16 Vgl. NIEBUHR, a.a.O., 57–72.

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Pseudo-Phokylides

Walter Wilson hat allerdings in seinem Kommentar zu Pseudo-Phokylides für den Hauptteil des Werkes dennoch eine durchgängige und bewusste Komposition nachweisen wollen. 17 Er nimmt an, dass die Verse 9–131 nach einem traditionellen ‚Kanon‘ der vier Kardinaltugenden aufgebaut sind, die in der hellenistisch-römischen und frühjüdischen Ethik der Zeit populär waren (etwa bei Philon, in der Weisheit Salomos und im 4. Makkabäerbuch). So verweisen nach Wilson die Verse 9–54 auf die Gerechtigkeit, 55–96 auf die Mäßigung, 97–121 auf die Tapferkeit und 122–131 auf die Weisheit. Die zweite Hälfte des Gedichts (132–227) stellt nach Wilson verschiedene Arten von Sozialbeziehungen bzw. Sozialpartnern zusammen. Die individuelle Form der Sprüche und Mahnungen ist ebenso vielfältig, wie es die ethischen Argumente und die sprachlichen Mittel sind, sie miteinander zu verbinden. 18 Formen reichen von Einzelsprüchen (monostichoi) oder Zweizeilern (bisweilen im parallelismus membrorum) über kurze Abhandlungen zu bestimmten ethischen oder religiösen Topoi (z.B. 42–47 über Gier, 199–206 über die Ehe, 95–117 über den Tod) bis zu längeren Passagen, die durch lockere Anordnung von Ermahnungen zusammengehalten werden, die sich auf verschiedene Bereiche aus dem weiten Feld des Alltagslebens beziehen. So erscheint der letzte längere Abschnitt des Gedichts (175–227) wie ein Katalog familiärer Tugenden und Werte. Dazu gehören die Gründung einer Familie (175f.), Sexualbeziehungen im Haushalt (177–194), der Sexualverkehr zwischen den Ehepartnern (195–197), die Wahl der richtigen Ehefrau (198–206), die Erziehung und Unterweisung der Kinder (207–217), respektvolles Verhalten gegenüber älteren Familienmitgliedern (218–222) und ein vernünftiger Umgang mit Haussklaven (223–227). Manche längeren Einheiten bilden Gebotsreihen (z.B. 3–8.9–41.175–194 19) mit einem gewissen Grad an Kohärenz, der entweder durch die behandelte Thematik oder auch durch strukturelle Gestaltungsmittel (z.B. Inklusionen) erreicht wird. Die Gründe für das geforderte Verhalten reichen von Alltagserfahrungen über Hinweise auf das Allgemeinwissen oder allgemein geteilte Werte sowie Appelle an die Vernunft bis zu Plädoyers über die Ziele und den Nutzen bestimmter Verhaltensweisen. Manchmal gehören dazu auch ausdrücklich Hinweise auf Gott, der ein bestimmtes Verhalten fordert oder verbietet. 20

17 WILSON, Sentences (Anm. 6), 23–30. Vgl. auch seine Monographie: WALTER T. WILSON, The Mysteries of Righteousness. The Literary Composition and Genre of the Sentences

of Pseudo-Phocylides, TSAJ 40, Tübingen 1994, 75–118. 18 JOHANNES THOMAS, Der jüdische Phokylides. Formgeschichtliche Zugänge zu Pseudo-Phokylides und Vergleich mit der neutestamentlichen Paränese, NTOA 23, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1992, 103–139. 19 NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 15), 15–30. 20 Vgl. 1.8.11.17.29.54.71.75.106.111.125.

3. Quellen

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3. Quellen 3. Quellen Das Verhältnis zwischen Pseudo-Phokylides und den biblischen Schriften, insbesondere zum Pentateuch und zur Weisheitsliteratur, war entscheidend für die Identifizierung des Verfassers als eines Juden. Schon Jacob Bernays, der diese Sicht in der Mitte des 19. Jh. begründete, 21 verwies auf aus der Tora übernommene Gebote, die das private und öffentliche Alltagsleben betreffen. Bei der Auswahl von Gegenständen aus den Gebotssammlungen des Pentateuch habe der Autor bewusst solche Gebote übergangen, die auf die besondere Identität des Volkes Israel im Unterschied zu anderen Völkern oder auf den Kult und die Riten Israels bezogen sind. Andererseits hat der Verfasser aber auch keines der biblischen Gebote wörtlich zitiert, und explizite Hinweise auf Mose, David, Salomo oder Abraham fehlen. Außerdem lassen sich für die meisten Weisungen Verbindungen nicht nur zu biblischen Geboten, sondern auch zu anderen Quellen oder Sammlungen orientalischer oder griechischer Weisheit herstellen. 22 Biblische Gebote, frühjüdische weisheitliche Überlieferungen und zeitgenössische hellenistisch-römische Popularethik sind in dem Mahngedicht untrennbar miteinander verbunden und kommen oft gleichermaßen als Ursprungszusammenhänge für bestimmte seiner Weisungen oder Gedanken in Frage. Nur wenige Zeilen haben ausschließlich biblische Parallelen, wie z.B. das Verbot, alle Vögel aus einem Nest zu entnehmen (84f., vgl. Dtn 22,6f.), oder die Forderung, sich auch um das Vieh der Feinde zu kümmern (140, vgl. Ex 23,5). Noch auffälliger sind einige der Mahnungen in den Versen 179–185, die sich mit Sexualbeziehungen im Haushalt beschäftigen. Sie gehen offensichtlich auf Lev 18/20 zurück, obwohl keine unmittelbare Verbindung zur Tora sichtbar wird. Auf der anderen Seite gibt es Sprüche oder ganze Passagen, die durchaus biblisch klingen, obwohl sie gleichzeitig Werte und Traditionen allgemein-antiker ethischer Unterweisung teilen. Nur eine sorgfältige traditionsgeschichtliche Analyse einzelner Verse oder Abschnitte kann (möglicherweise) im Einzelfall einen spezifischen Ursprung oder wenigstens ein bestimmtes religiöses Entstehungsmilieu nachweisen und identifizieren. So ergibt etwa der Vergleich mit zeitgenössischen hellenistisch-jüdischen Texten (Philo, Hypothetica 7,1–9; Josephus, Contra Apionem 2,190–219) für die Verse 3–8 und 9–41, dass der Autor hier wahrscheinlich auf einen gemeinsamen Fonds der frühjüdischen Toraparänese zurückgreifen konnte, der auf der Grundlage der Tora die wichtigsten Gegenstände für eine zeitgemäße ethische

21 JACOB BERNAYS, Über das Phokylideische Gedicht. Ein Beitrag zur hellenistischen Literatur, Berlin 1856. Zur Forschungsgeschichte vgl. VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 3–54. 22 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 15), 53–57.

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Unterweisung bereitstellte. 23 Näherhin lässt sich zeigen, dass er in 3–8 eine schon traditionelle Zusammenstellung von Torageboten zum zwischenmenschlichen Verhalten auswertet, die auf die Zweite Tafel des Dekalogs zurückverweist (vgl. Ex 20,12–17; Dtn 5,16–21). 24 In 9–41 zeigen sich erkennbar Verbindungen zu einem Kapitel aus der Tora (Lev 19), das auch in anderen Werken der frühjüdischen paränetischen Literatur als Reservoir von Geboten gebraucht werden konnte, die für eine an der Tora orientierte ethische Unterweisung brauchbar erschienen. Wenn man die Themenfelder und Lebensbereiche betrachtet, zu denen Pseudo-Phokylides Mahnungen und Weisungen aus der frühjüdischen ToraTradition heranzieht, dann zeigen sich gewisse Schwerpunkte und zugleich charakteristische Lücken. So liegt der Fokus der Ermahnungen auf dem zwischenmenschlichen Verhalten, den Sozialbeziehungen in der Familie und in der Öffentlichkeit, auf Zuverlässigkeit im Geschäftsleben und im Gerichtswesen und speziell auf der Sexualethik. Im Gegensatz dazu spielen spezifisch jüdische Gebote des religiösen Lebens wie Beschneidung, Sabbatbestimmungen, der Tempelkult oder rituelle Reinheits- und Speisegebote keine Rolle, ja, werden nirgendwo überhaupt nur erwähnt. Nicht einmal Polemik gegen heidnische Religion im Sinne nichtjüdischer religiöser Praxis („Götzendienst“) kommt irgendwo im Gedicht vor. Auch wo die Herkunft von Themen oder Weisungen aus der Tora-Tradition sich klar zeigen lässt, sind die Formulierungen der Ermahnungen bei PseudoPhokylides ebenso wie die Begründungen oder Motivationen, die ihnen beigegeben werden, eher allgemein und stehen vergleichbaren ethischen Argumentationen aus der hellenistisch-römischen Ethik oft sehr nahe. So verbietet z.B. V. 17 den Meineid, was aber nicht wie in Lev 19,12 mit einem Hinweis auf das Verbot, den Namen Gottes zu missbrauchen, begründet wird, sondern mit der universal gültigen Sentenz: „Der unsterbliche Gott haßt (jeden), der meineidig geschworen hat“. Wenn Fremde den Einheimischen sozial gleichgestellt werden sollen (39), dann ist der Grund dafür nicht, wie in der Tora, dass Israel selbst einst als Fremdling in Ägypten leben musste (vgl. Lev 19,34), sondern ein Allgemeinplatz: 40 Wir alle haben doch Erfahrung mit der Not, die unstet macht, 41 und nirgends gibt es einen sicheren Platz auf Erden für die Menschen.

Während nach Lev 19,29 die Tora verbietet, die Tochter der Prostitution zuzuführen, weil dadurch das Land entheiligt würde, warnt der weise Phokylides: 177 Verkuppele nicht deine Ehefrau – damit befleckst du die Kinder; 178 denn aus einem außerehelichen Beilager gehen nicht ebenbürtige Kinder hervor.

23

NIEBUHR, a.a.O., 32–44. Vgl. dazu J. CORNELIS DE VOS, Rezeption und Wirkung des Dekalogs in jüdischen und christlichen Schriften bis 200 n. Chr., AGJU 95, Leiden/Boston 2016, 184–196. 24

3. Quellen

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Gebote, die ursprünglich auf die Tora zurückgehen, werden auf diese Weise zeitbezogen adaptiert und der aktuellen ethischen Unterweisung dienstbar gemacht. Das entspricht der Praxis frühjüdischer Toraparänese, wie sie durch eine ganze Anzahl literarischer Werke aus dem griechischsprachigen vorrabbinischen Judentum belegt ist. 25 Auf der anderen Seite darf die Bindung der ethischen Unterweisung des Pseudo-Phokylides an die frühjüdische Toraparänese auch nicht verabsolutiert werden. Die meisten Themen, Formen und Begründungen für seine ethische Ermahnung lassen sich ebenso gut mit gemeinantiken Weisheitsüberlieferungen oder, spezieller, mit popularphilosophischer Ethik in hellenistisch-römischer Zeit in Verbindung bringen. In literarischer Hinsicht und mit Blick auf die sprachliche Gestaltung des Mahngedichts sind Bezüge zur klassischen griechischen Dichtung, speziell zu Homer sowie zu Gnomendichtern wie Theognis oder (dem echten) Phokylides offensichtlich. Jedoch gehen solche Verbindungen kaum über das Metrum und ein bestimmtes Vokabular hinaus. Eine literarische Abhängigkeit von irgendwelchen erhaltenen griechischen Werken lässt sich nirgendwo nachweisen. Es sind eher die biblischen und jüdischen Wurzeln, die den Inhalt und die Intentionen des Werkes bestimmen, während seine literarische Gestalt klassischen Konventionen der griechischen Literatur folgt. Allerdings sind die Beziehungen zwischen der griechischen literarischen Sprachgestalt einerseits und dem jüdischen religiösen Hintergrund andererseits im Gedicht als Ganzem nicht einfach gleichwertig. Hinsichtlich der literarischen Gestalt und der sprachlichen Präsentation folgt das Werk den Konventionen gnomischer Weisheit in poetischer Form. In Bezug auf Inhalte und Intentionen kann man es Werken philosophisch-ethischer Unterweisung in hellenistisch-römischer Zeit an die Seite stellen, mit dem besonderen Schwerpunkt eines religiös fundierten Ethos. Entstehungsgeschichtlich entstammt das Gedicht dem hellenistischen Diasporajudentum, wo es auch religiös beheimatet ist, wenngleich Verbindungen zu bestimmten jüdischen Gemeinschaften in konkret lokalisierbaren Milieus in seinem Text allenfalls untergründig zu vermuten als an der Textoberfläche zu beobachten sind. Jedenfalls erscheinen die Unterweisungen des „Phokylides“, die der aktuellen Toraparänese dienen, für jeden griechischsprachigen Leser, der an religiös fundierter Ethik interessiert ist und deren ethische Werte teilt, in einem attraktiven sprachlichen Gewand.

25 Vgl. z.B. TestXII, Weish, Sib 3, 2Hen, 4Makk u.a. Näheres dazu bei NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 15), 73–240.

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Pseudo-Phokylides

4. Ethos und Weltbild 4. Ethos und Weltbild Das „Prinzip der doppelten Bezogenheit“ („principle of dual referentiality“ 26) hinsichtlich der Quellen der ethischen Ermahnungen bestimmt auch Ethos und Weltbild des Gedichts. Einerseits finden sich an der Textoberfläche (fast) keine Besonderheiten, die Glieder der hellenistisch-römischen Stadtgesellschaft davon abhalten könnten, die hier vertretenen ethischen Werte zu teilen. Das propagierte Ethos ist ein universal-menschliches, weitgehend ohne irgendwelche spezifisch-jüdischen Einschläge. Wenn der Autor Gerechtigkeit und Solidarität in Sozialbeziehungen fordert, mit besonderem Gewicht auf der Fürsorge für die Armen und Verletzlichen der Gesellschaft, dann untermauert er sein Anliegen nicht durch exklusiv-biblische Bezüge oder Begründungen, sondern mit allgemeingültigen anthropologischen oder ethischen Reflexionen. Nirgendwo findet man Bezugnahmen auf spezifisch jüdische theologische Überzeugungen wie z.B. die Erwählung Israels, den Bund Gottes mit seinem Volk, die Verheißungen an Abraham und seine Nachkommen, die Ankündigung der Rückkehr des Volkes in das Heilige Land oder ähnliches. Messianische Erwartungen oder Hinweise auf das eschatologische Gericht fehlen völlig. Auch wenn es Indizien für einen „Sitz“ des Autors und seiner Adressaten in der jüdischen Diaspora gibt, lassen sich doch keine Anzeichen für eine spezifische „Diasporatheologie“ ausmachen, und auch ein spezielles Interesse an Formen jüdischer religiöser Praxis außerhalb des Landes Israel wird nirgendwo sichtbar. Auf der anderen Seite werden Motivationen für die ethischen Ermahnungen doch oft auch im Glauben an Gott verankert. Der weise Phokylides möchte nichts anderes offenbaren als „Ratschlüsse Gottes in frommen Satzungen“ (1). Gott ist „vor allen Dingen“ zu ehren (8). „Der Eine Gott (allein) ist weise zugleich und mächtig und reich an Segen“ (54), und „über die Seelen herrscht Gott“ (111). Ein solch allgemeiner Bezug auf das Göttliche ist natürlich für sich betrachtet noch kein Beweis für die Bindung des Verfassers an ein dezidiert jüdisches Gottesverständnis im Sinne des Profils einer abgegrenzten Gemeinschaft, die sich durch ihre theologischen Überzeugungen und eine ihnen entsprechende religiöse Praxis definiert. Es entspricht vielmehr einer Tendenz antiker philosophischer Ethik in hellenistisch-römischer Zeit, das Göttliche in die ethischen Reflexionen einzubeziehen. 27 Auch die Betonung der Einheit Gottes (54) ist noch kein definitives Merkmal exklusiv jüdischen Gottesverständnisses, was durch zahlreiche antike nichtjüdische Inschriften belegbar ist,

26

WILSON, Sentences (Anm. 6), 14. Dieser Tendenz folgt z.B. Epiktet, vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur, in diesem Band 101– 148: 110f.115. 27

4. Ethos und Weltbild

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in denen ganz ähnliche Wendungen vorkommen. 28 Deshalb kann man auch die religiöse ‚Färbung‘ des Werkes insgesamt und seiner ethischen Ermahnungen als Beleg für eine Ethik ansehen, die Juden und Nichtjuden in hellenistischrömischer Zeit weitgehend gemeinsam war. Der erkennbare, aber implizite Bezug auf biblische und frühjüdische Toratraditionen, der im vorangehenden Abschnitt aufgewiesen wurde, steht dem nicht entgegen. In soziologischer Hinsicht gehört das Lesepublikum, das in den ethischen Unterweisungen impliziert ist, der gut gebildeten, wohlhabenden städtischen Gesellschaft an, zu der etwa auch Arbeitgeber von landwirtschaftlichen Unternehmen gehören konnten (18f.35–38.139f.). Die Adressaten der Ermahnungen sind in der Regel männlich, erwachsen und verheiratet. Sie besitzen Häuser und haben Besitz zu verteilen bzw. zu vererben (137f.). Sie sind reich genug, um Arme großzügig unterstützen zu können (22–30). Mit ihrem Besitz und Vermögen sollen sie gerecht umgehen (62.69a.70–75), womit der Autor fraglos voraussetzt, dass die Adressaten zu den Besitzern gehören. Sie können Gäste einladen und bewirten und Geld verleihen (81–83). Zu den Haushalten, in denen sie leben, gehören Ehemann und Ehefrau, Kinder und Alte sowie Sklaven (207–227). Das öffentliche Leben ist für sie von Bedeutung, insbesondere das Geschäftsleben (5f.13–17), öffentliche Versammlungen und Reden (48– 50.122–131) sowie Orte der Rechtspflege (9–12.86). Zur Verteidigung ein Schwert zu tragen (beim Militär oder im Polizeidienst), erscheint mit dem propagierten Ethos kompatibel, auch wenn man sich wünscht: „Ach, wenn du es doch nie brauchen möchtest, weder rechtswidrig noch gerechterweise“ (33). Ein längerer Abschnitt befasst sich mit der Arbeit (153–174). Seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, ist nicht schändlich, wie sonst oft in der griechischen Oberschicht, sondern erscheint als Tugend und als ein Weg, Müßiggang zu vermeiden: 153 Arbeite mit aller Anstrengung, damit du aus eigenen (Mitteln) leben kannst. 154 Denn jeder Mann, der nicht selbst arbeitet, lebt von seiner Hände Diebstahl. … 158 Wenn einer kein Handwerk erlernt hat, dann soll er mit der Hacke graben. 159 Jede Arbeit genügt für den Lebensunterhalt, wenn du nur gewillt bist, dich anzustrengen.

In einer Passage des Gedichts sind seine Ethik, sein Weltbild und seine anthropologischen Vorstellungen in besonders charakteristischer Weise miteinander verbunden. Die Verse 97–121 beschäftigen sich mit dem Tod enger Verwandter oder Freunde als Erfahrung menschlichen Lebens und mit dem ange-

28

Vgl. ERIK PETERSON/CHRISTOPH MARKSCHIES, HEIS THEOS. Epigraphische, formgeschichtliche und religionsgeschichtliche Untersuchungen zur antiken „Ein-Gott“-Akklamation. Nachdruck der Ausgabe von Erik Peterson 1926 mit Ergänzungen und Kommentaren, Würzburg 2012, 351; vgl. die Liste der zusätzlichen Belege für die Formel, a.a.O., 351– 364.

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messenen Umgang damit bei Bestattung und Trauer. Hier diskutiert der Verfasser nicht bloß praktische Fragen rechten oder falschen Verhaltens im Umgang mit Leichen und Gräbern, sondern artikuliert vor allem seine Überzeugungen im Blick auf Tod und Nachleben: 29 102 Es ist nicht gut, den Zusammenhalt des (menschlichen) Körpers aufzulösen. 103 Wir hoffen ja doch, daß bald aus der Erde ans Licht kommen 104 die Reste der Dahingeschiedenen – danach sind sie dann Götter. 105 Denn die Seelen bleiben unversehrt in den Verblichenen. 106 Denn der Geist ist Gottes Leihgabe für die Sterblichen und sein Abbild. 107 Denn den Leib haben wir von der Erde, und sofern wir uns hernach wieder zu Erde 108 auflösen, sind wir Staub; das Luftreich aber hat (unseren) Geist aufgenommen.

Zum Abschluss seiner Reflexionen über das Lebensende kommt der Autor zu der Einsicht: 114 Wir Menschen leben nicht auf lange Zeit, sondern nur vorübergehend; 115 doch die Seele ist unsterblich und lebt, ohne zu altern, immerdar.

Die anthropologischen Überzeugungen, die in dieser Passage zum Ausdruck kommen, folgen einerseits offenkundig biblischen Leitlinien. Es klingt wie eine Art ‚Auferstehung des Fleisches‘, wenn der Dichter fordert, Leichname sollen nicht „aufgelöst“ werden, weil die Reste der Verstorbenen wieder ans Licht kommen und künftig „Götter“ werden (gedacht ist wohl an himmlische Wesen wie z.B. Engel, 104). Dasselbe gilt für die Feststellung, dass der menschliche Leib aus Erde gemacht ist, zur Erde zurückkehrt und wieder Staub wird (107f.). 30 Andererseits ist die Hoffnung über den Tod hinaus verwurzelt in der Überzeugung, dass die Seelen in den Verstorbenen unversehrt bleiben (105) und immerwährend unsterblich leben werden (115) und dass Gott „über die Seelen herrscht“ (111). Im Zentrum der Reflexion steht allerdings das Bekenntnis, dass Gott den Sterblichen, die nach seinem Abbild geschaffen wurden, seinen Geist als Leihgabe überlassen hat (106), gewissermaßen als eine Art Garantie für ihr Leben nach dem Tod, wenn sie ihren Leib verlassen haben und „das Luftreich (ihren) Geist aufgenommen“ hat (108). Wir haben es also mit einer reichlich komplexen Sicht des Lebens, des Todes und des Lebens über den Tod hinaus zu tun, die schwerlich einfach aus herkömmlichen biblischen, frühjüdischen oder hellenistisch-römischen Konzepten abgeleitet werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine durchaus originelle Bildung aus Elementen aller drei genannten Traditionen, die eine wichtige Komponente des

29

Zur Interpretation dieser Passage NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides (Anm. 11), 471–477; vgl. auch ALEXANDER A. FISCHER, Tod und Jenseits im Alten Orient und im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 2005, 219–226; JAN A. SIGVARTSEN, Afterlife and Resurrection Beliefs in the Pseudepigrapha, London 2019, 148–159. 30 Eine offenkundige Anspielung auf Gen 2,7; 3,19.

5. Kontexte und Intentionen

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eigenständig entwickelten Systems religiöser Überzeugungen und anthropologischer Vorstellungen bildet, das die ethischen Ermahnungen des Gedichts durchdringt.

5. Kontexte und Intentionen 5. Kontexte und Intentionen Wie wir im vorigen Abschnitt gezeigt haben, stellt das Lehrgedicht des PseudoPhokylides einen außergewöhnlichen Fall dar, der sich durch seine literarische Gestalt, sein intellektuelles Niveau und sein religiöses und kulturelles Erscheinungsbild von anderen Werken der hellenistisch-jüdischen Literatur abhebt. Man kann fragen, ob eine intellektuell und kulturell derart außergewöhnliche Komposition ethischer Reflexionen unseren Erwartungen an das hellenistische Diasporajudentum entspricht. Andererseits lebten, wie nicht nur das Beispiel Philons von Alexandrien zeigt, Juden seit Generationen in der kulturellen Umgebung griechischer Bildung und waren in der Lage, mit den geistigen Mitteln dieser Kultur und Bildung auch ihre eigenen intellektuellen Leistungen zu entfalten und zur Sprache zu bringen, sofern dies ihren Bedürfnissen als einer religiösen Minderheit in der hellenistisch-römischen Mittelmeerwelt entsprach. In diesem Rahmen verfolgt das Lehrgedicht m.E. am ehesten eine innerjüdische Zielstellung und richtet sich primär an jüdische Leser. Hoch gebildete, kulturell offene und sozial gut integrierte Juden konnten Interesse an solchen ethischen Reflexionen, sittlicher Lebenshilfe, moralischer Erbauung, vielleicht auch literarischer Unterhaltung entwickeln. Die Lehrdichtung konnte ihre intellektuellen und religiösen Bedürfnisse befriedigen und war dazu auch noch kompatibel mit ihrer eigenen, spezifisch-jüdischen religiösen Tradition, der Tora. Diese Intention wird besonders dort sichtbar, wo durch traditionsgeschichtliche Analysen die Verwendung, ja, Abhängigkeit von Formen und Inhalten der frühjüdischen Toraparänese nachgewiesen werden kann. Hier bemüht sich der Autor, die Gebote der Tora auf eine Weise auszugestalten, die für seine jüdisch-griechische Leserschaft verständlich war und auf sie attraktiv wirken konnte. 31 Die Forderungen der Tora an zeitgemäße ethische und kulturelle Werte anzupassen, war Teil seines Bemühens, jüdisches Leben und Glauben in einer griechischen Mehrheitskultur und -gesellschaft zu ermöglichen und zu erleichtern. Übereinstimmung zwischen jüdischen Überzeugungen, die auf die Tora zurückgingen, und allgemein gültigen antiken oder auch orientalischen (‚weisheitlichen‘) Werten und Traditionen war willkommen und wurde gesucht, ohne dass man sich als abgegrenzte Gruppierung unbedingt durch spezifische Traditionen kulturell oder religiös ausweisen und unterscheiden wollte. Das entsprach der verbreiteten Tendenz in hellenistisch-römischer Zeit, 31 Vgl. JOHN J. COLLINS, Jewish Ethics in Hellenistic Dress: The Sentences of PseudoPhocylides, in: DERS., Jewish Wisdom in the Hellenistic Age, Edinburgh 1998, 158–177.

584

Pseudo-Phokylides

altehrwürdige Weisheitstraditionen anderer Völker oder Religionen nachzuahmen (mimesis bzw. aemulatio) und mag gegebenenfalls auch nichtjüdischen Lesern gefallen haben. Darüber hinaus konnte eine solche untergründige Identifikation der eigenen, biblischen Traditionen mit mehr oder weniger berühmten Vertretern der klassischen griechischen Kultur auch dazu beitragen, das kulturelle und religiöse Selbstbewusstsein jüdischer Kreise in der griechischsprachigen Diaspora zu stärken. Wenn Berühmtheiten der griechischen Dichtung wie Phokylides oder sogar Homer ein Ethos propagierten, das den Geboten der Tora sehr nahekommt, dann waren die Anhänger des Mose-Gesetzes doch wohl in der richtigen Spur. Für jüdische Eliten in dem sehr kompetitiven kulturellen und religiösen Klima des Imperium Romanum konnte das eine adäquate Strategie sein, das Selbstbewusstsein der Glieder ihrer eigenen Gemeinschaften zu stärken. Das jüdische Lehrgedicht des Pseudo-Phokylides lebt also gerade von seinem Charakter als corpus permixtum aus verschiedenen Traditionen, als Sammlung von ethischen Weisungen und Reflexionen, die aus unterschiedlichen, meist verborgen bleibenden Quellen geschöpft und in ein attraktives griechisches Gewand gekleidet sind. Sein Erfolgsgeheimnis ist nicht von der Identifikation seiner Quellen und von deren ursprünglichem Sinn abhängig, sondern von der Überzeugungskraft seiner Verse bei zeitgenössischen Lesern und nicht zuletzt von seinem sprachlich attraktiven, farbigen Erscheinungsbild. Die Rezeptionsgeschichte des griechischen Textes durch Spätantike und Mittelalter bis in die frühe Neuzeit beweist, dass das Werk unabhängig von den religiösen und kulturellen Hintergründen seiner Leser immer wieder als herausragendes Beispiel griechischer Ethik und Erziehung sein Publikum gewann.

Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides Im Jahr 1977, in seinem Vortrag auf der Jahrestagung der SNTS in Tübingen, musste Pieter W. van der Horst noch feststellen, dass in den fünfzig Jahren, seit Martin Dibelius in seinen Kommentaren und Monographien zur neutestamentlichen Literatur das Lehr- und Mahngedicht des Pseudo-Phokylides für die neutestamentliche Wissenschaft entdeckt hatte, diesem von Neutestamentlern nicht mehr viel Aufmerksamkeit zuteil geworden war. 1 Dass man dies dreißig Jahre später sicher nicht mehr sagen kann, ist entscheidend Pieter W. van der Horst selbst zu verdanken, der mit seinem großen Kommentar eine neue Epoche der Forschung zu Pseudo-Phokylides einleitete. 2 Inzwischen liegt neben seinem eigenen noch ein weiterer ausführlicher wissenschaftlicher Kommentar zu dem Mahngedicht vor, 3 dazu kommen eine neue Textedition mit ausführlicher Einleitung und kurzem Kommentar, 4 weitere kommentierte Übersetzungsausgaben, 5 mehrere Monographien, die sich ganz 6 oder in

1

PIETER W. VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides and the New Testament, ZNW 69, 1978, 187–202: 187. 2 PIETER W. VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides. With Introduction and Commentary, SVTP 4, Leiden 1978. Eine erste Zwischenbilanz dieser neuen Forschungsepoche konnte van der Horst selbst schon ziehen, vgl. DERS., Pseudo-Phocylides Revisited, JSPE 3, 1988, 3–30. 3 WALTER T. WILSON, The Sentences of Pseudo-Phocylides, CEJL, Berlin/New York 2005. 4 PASCALE DERRON, Pseudo-Phocylide. Sentences. Texte établi, traduit et commenté, Paris 1986. 5 PIETER W. VAN DER HORST, Spreuken van Pseudo-Phocylides. Vertaald, ingeleid en toelicht, De Pseudepigrafen 3, Kampen 1982, 11–41; NIKOLAUS WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 173–278: 182–216; PIETER W. VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides, OTP 2, Garden City 1985, 565–582; LUCIO TROIANI, Pseudo-Focilide, in: PAOLO SACCHI u.a. (Hg.), Apocrifi dell’Antico Testamento, Torino/Brescia 1981–1997, Bd. 5, 137–146 (non vidi). 6 JOHANNES THOMAS, Der jüdische Phokylides. Formgeschichtliche Zugänge zu PseudoPhocylides und Vergleich mit der neutestamentlichen Paränese, NTOA 23, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1992; WALTER T. WILSON, The Mysteries of Righteousness. The Literary Composition and Genre of the Sentences of Pseudo-Phocylides, TSAJ 40, Tübingen 1994.

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Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

wesentlichen Teilen 7 mit Pseudo-Phokylides beschäftigen, sowie zahlreiche Bezugnahmen auf das Gedicht in Spezialuntersuchungen. 8 In jüngster Zeit hat die Passage über das Leben nach dem Tod PseudPhok 97–121, die wegen ihrer eigenartigen Mischung von spezifisch jüdischen und allgemein hellenistisch-römischen Vorstellungen und Motiven schon in früheren Untersuchungen mehrfach im Mittelpunkt des Interesses gestanden hatte, 9 erneut besondere Aufmerksamkeit gefunden. Dabei hat sich auch Pieter W. van der Horst wieder zu Wort gemeldet und seine eigene Interpretation dieser Stelle gegenüber Einwänden von John J. Collins verteidigt. 10 Umstritten zwischen beiden ist insbesondere das Verhältnis der anscheinend divergierenden Aussagen über die leibliche Auferstehung einerseits, die Unsterblichkeit der Seele andererseits, zueinander. Während van der Horst eher dazu neigt, die miteinander nur schwer zu vereinenden Aussagen nebeneinander stehen zu lassen, 11 möchte Collins bei Pseudo-Phokylides eher eine in sich konsistente Synthese

7 MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979, 236–302; KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 5–72. 8 Vgl. die Bibliographien bei ANDREAS LEHNHART, Bibliographie zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, JSHRZ VI/2, Gütersloh 1999, 373–375; LORENZO DITOMMASO, A Bibliography of Pseudepigrapha Research 1850–1999, JSPE.S 39, Sheffield 2001, 785–791. Vgl. auch ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, Bd. 2, Turnhout 2000, 1037–1057; GERBERN S. OEGEMA, Poetische Schriften, JSHRZ VI/1,4, Gütersloh 2002, 63–75. 9 Vgl. THOMAS, Der jüdische Phokylides (Anm. 6), 205–212; ULRICH FISCHER, Eschatologie und Jenseitserwartung im hellenistischen Diasporajudentum, BZNW 44, Berlin/New York 1978, 129–143; HANS C. C. CAVALLIN, Life After Death. Paul’s Argument for the Resurrection of the Dead in I Cor 15. Part I: An Enquiry into the Jewish Background, CB.NT 7/1, Lund 1974, 151–155; FELIX CHRIST, Das Leben nach dem Tode bei Pseudo-Phokylides, ThZ 31, 1975, 140–149. 10 JOHN J. COLLINS, Life after Death in Pseudo-Phocylides, in: Jerusalem, Alexandria, Rome. Studies in Ancient Cultural Interactionn (FS A. Hilhorst), hg. v. FLORENTINO GARCÍA MARTÍNEZ/GERARD P. LUTTIKHUIZEN, Leiden 2003, 75–86 (= in: DERS., Jewish Cult and Hellenistic Culture. Essays on the Jewish Encounter with Hellenism and Roman Rule, JSJ.S 100, Leiden/Boston 2005, 128–142 [139–142: Postscript mit einer Erwiderung auf das Rejoinder von P. W. van der Horst]); PIETER W. VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides on the Afterlife: A Rejoinder to John J. Collins, JSJ 35, 2004, 70–75. 11 VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 188: „However, belief in the immortality of the soul as an inherent quality, distinguishing it from the body that will be dissolved without any resurrection, seems to be maintained in vv. 106–108; this apparently contradicts vv. 103– 104.“ Vgl. ähnlich jetzt auch WILSON, Sentences (Anm. 3), 138f.: „this sort of incongruity reflects the situation in Second Temple Judaism generally, which tolerated a wide range of perspectives on post-mortem existence. This phenomenon, in turn, can be understood against the background of similar inconsistencies on the subject within the broader Hellenistic world.“

1. Das Leben nach dem Tod in PseudPhok 97–121

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verschiedener anthropologischer und eschatologischer Konzepte ausmachen. 12 Darüber hinaus möchte Collins unter Verweis auf die in PseudPhok 105–107 verwendete Terminologie (£ ™, “ , • ) von einer „trichotomischen“ Anthropologie des Gedichts ausgehen, 13 während nach van der Horst der Autor Seele und Geist synonym verwendet und daher eine im Wesentlichen „dichotomische“ Sicht vom Menschen vertritt. 14 Ein weiterer Dissens zwischen van der Horst und Collins betrifft die Wendung ¸”™  Ž  ”Ç“  (PseudPhok 102). Während van der Horst darin in seinem Kommentar unter Verweis auf antike medizinische Fachliteratur eine Anspielung auf die Leichensektion fand und dies als ein Indiz für die Herkunft des Gedichts aus Alexandria wertete, 15 vermutete Collins mit F. Christ darin eher einen Hinweis auf die Sekundärbestattung in Ossuarien. 16

1. Das Leben nach dem Tod in PseudPhok 97–121 1. Das Leben nach dem Tod in PseudPhok 97–121 Nun gehören in der Tat die Aussagen in PseudPhok 103–108 und 111–115 zu den am schwierigsten zu interpretierenden des ganzen Gedichts. Weniger umstritten ist dabei inzwischen 17 die Formulierung am Ende von Vers 104: ә  ‘ Ž  („danach sind sie dann Götter“ 18), sofern man mit Martin Hengel darin einen Anklang an die in frühjüdischen Texten weit verbreitete Benennung von frommen Israeliten vor oder nach ihrem Tod bzw. von Engeln als „Söhnen Gottes“ sieht. 19 Klar scheint darüber hinaus, dass die Wendung

12

COLLINS, Life after Death (Anm. 10), 138: „Pseudo-Phocylides combined different ideas of the afterlife, but strung them together in a way that achieved a measure of coherence.“ 13 COLLINS, a.a.O., 134–138. 14 VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides on the Afterlife (Anm. 10), 74. Demgegenüber hält Collins in seiner Erwiderung auf van der Horst ausdrücklich an seiner Ansicht fest: „It makes much better sense to accept that the poet was distinguishing three elements of the human being, the body (vs. 103), the soul, which remains among the dead (vs. 105) and the spirit, which returns to God, to the air above. This reading also has the advantage of allowing Pseudo-Phocylides a measure of coherence, rather than the mere juxtaposition of contradictory ideas.“ (Life after Death [Anm. 10], 141f.). 15 VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 183f. 16 COLLINS, Life after Death (Anm. 10), 131f.142; vgl. CHRIST, Das Leben nach dem Tode (Anm. 9), 141. 17 Zur älteren Diskussion vgl. VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 186–188. 18 Dt. Übers. hier und im Folgenden, wenn nicht anders angegeben, nach WALTER, Pseudo-Phokylides (Anm. 5). 19 MARTIN HENGEL, Anonymität, Pseudepigraphie und „Literarische Fälschung“ in der jüdisch-hellenistischen Literatur, in: KURT VON FRITZ (Hg.), Pseudepigrapha I., EnAC 18, Vandœuvres-Genève 1972, 229–329: 297; DERS., Das Begräbnis Jesu bei Paulus und die

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Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

™ í “ £Ž („die Reste der Dahingeschiedenen“) sich auf die „sterblichen Überreste“ der Verstorbenen bezieht, nicht auf die unsterbliche Seele. 20 Somit dürften die Verse 103f. ein klares Bekenntnis zur Hoffnung auf leibliche Auferstehung der Toten enthalten, dem Vers 105 £ ‘ ©«” ™  ˔  › Ž   („Denn die Seelen bleiben unversehrt in den Verblichenen.“) und vor allem Vers 115 £¡ í !  ‘ ©Ë” Ñ  « “ — („doch die Seele ist unsterblich und lebt ohne zu altern immerdar“) eine ebenso klare Aussage über die Unsterblichkeit der Seele an die Seite stellen. Sehr viel schwieriger ist das genaue Verhältnis zwischen Seele, Geist und Leib in den Versen 105–108 zu bestimmen. Auch nach der diesbezüglichen detaillierten Diskussion zwischen Collins und van der Horst scheint mir jedenfalls keine klare Entscheidung für eine der beiden kontroversen Textinterpretationen möglich zu sein. Für Collins (und damit für eine „trichotomische“ Anthropologie) spricht auf den ersten Blick die Abfolge der drei Verse 105– 107 mit den am Versbeginn stehenden, jeweils mit ©!” verbundenen Termini £ ™¬“ ¬• . Demgegenüber deuten die Aussagen zu Gottes Herrschaft über die Seelen und zum Hades in den Versen 111f. eher (mit van der Horst) auf eine bipolare anthropologische Vorstellung hin, bei der Geist und Seele miteinander identifiziert werden.

leibliche Auferstehung aus dem Grabe, in: FRIEDRICH AVEMARIE/HERMANN LICHTENBER(Hg.), Auferstehung – Resurrection, WUNT 135, Tübingen 2001, 119–183: 163. Zur neueren Diskussion um Weite und Grenzen des frühjüdischen „Monotheismus“ vgl. LOREN STUCKENBRUCK, Angel Veneration and Christology. A Study in Early Judaism and in the Christology of the Apocalypse of John, WUNT II/70, Tübingen 1995, 45–204; LARRY W. HURTADO, One God, One Lord. Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism, Philadelphia 1988, 17–92; DERS., Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in Earliest Christianity, Grand Rapids/Cambridge 2003, 27–48. – Zu Vorstellungen von der Auferstehung der Toten, vom Leben nach dem Tod und von der Unsterblichkeit der Seele im Frühjudentum vgl. neben der umfassenden Untersuchung von HENGEL, Das Begräbnis Jesu bei Paulus a.a.O., 150–172, noch die Überblicke bei OTTO SCHWANKL, Die Sadduzäerfrage (Mk 12,18– 27 parr). Eine exegetisch-theologische Studie zur Auferstehungserwartung, BBB 66, Frankfurt a. M. 1987, 142–292, und CASEY D. ELLEDGE, Life after Death in Early Judaism. The Evidence of Josephus, WUNT II/208, Tübingen 2006, 5–52 (der freilich PseudPhok nicht berücksichtigt), sowie speziell mit Blick auf die epigraphischen Belege JOSEPH S. PARK, Conceptions of Afterlife in Jewish Inscriptions. With Special Reference to Pauline Literature, WUNT II/121, Tübingen 2000; LEONARD V. RUTGERS, Jewish Ideas about Death and Afterlife: The Inscriptional Evidence, in: DERS., The Hidden Heritage of Diaspora Judaism, CBET 20, Kampen 1998, 157–168. Zu Jenseitsvorstellungen in der griechischen Epigraphik vgl. IMRE PERES, Griechische Grabinschriften und neutestamentliche Eschatologie, WUNT 157, Tübingen 2003, 20–105. 20 Mit VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides Revisited (Anm. 2), 36, gegen FISCHER, Eschatologie und Jenseitserwartung (Anm. 9), 134f.

GER

1. Das Leben nach dem Tod in PseudPhok 97–121

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Hinzu kommt, dass die Aussagenstruktur der Verse 105–107 ungeachtet des dreifachen ©!” wohl nicht im Sinne dreier parallel angeordneter Begründungssätze zu verstehen ist. Vielmehr begründet Vers 105 die Hoffnungsaussage von Vers 103f., dass die Verstorbenen wegen der Unversehrtheit der Seelen in ihnen, nämlich in den „Resten der Dahingeschiedenen“, eine Zukunft als „Götter“ vor sich haben. Die Verse 106–108 sind diesem Hauptgedanken als eine weitere, zweigliedrige Begründung, die der ersten syntaktisch untergeordnet ist, angeschlossen. Diese ist semantisch bestimmt durch die Opposition „Geist“ versus „Leib“, also in sich bipolar konstruiert, während sie strukturell als inclusio gestaltet ist: Die Aussagen über den Geist als Gottes Leihgabe an die Menschen (V. 106) und seine Rückkehr nach deren Tod in den (göttlichen) Aër (V. 108b) rahmen die gut biblischen anthropologischen Vorstellungen von der irdischen Herkunft und Zukunft des menschlichen Leibes (V. 107–108a). Die Struktur der Aussagen deutet somit eher auf eine Verknüpfung von zwei in sich stimmigen, jeweils bipolaren anthropologischen Mustern: „Leib – Seele“ versus „Leib – Geist“, die sich im vom Dichter neu geschaffenen Textzusammenhang dann eher zu einem dichotomischen Modell „Leib“ versus „Seele/Geist“ verbinden, also auf eine Identifizierung von Seele(n) und Geist hinauslaufen. Freilich bleibt die mit einer solchen Interpretation verbundene Schwierigkeit bestehen, wegen der Aussagen zur Herrschaft Gottes über die Seelen in Vers 111b den Hades von Vers 112f. als Aufenthaltsort der unversehrten und unsterblichen Seelen nach dem Tod anzusehen und folglich mit dem Aër von Vers 108 identifizieren zu müssen, 21 jedenfalls, solange man eine in sich konsistente und konsequent auf die Annahme einer zeitlich vorgestellten Dauer der Seele über den Tod hinaus zugespitzte Anthropologie für das Mahngedicht voraussetzen will. 22 Ich kann im Folgenden der Diskussion um die unmittelbare Textinterpretation der Verse PseudPhok 103–115 keine neuen Argumente hinzufügen, sondern möchte vielmehr versuchen, zunächst einmal den näheren und weiteren Kontext dieser Aussagen genauer in Augenschein zu nehmen, und dabei gezielt nach weiteren Aussagen zu Leben und Tod bei Pseudo-Phokylides suchen. Vielleicht kann dann im Rückblick doch ein wenig mehr Licht auf die bisher in der Forschung immer noch recht dunkel gebliebenen Verse zur Unsterblichkeit der Seelen und zur leiblichen Auferstehung der Toten fallen.

21

Vgl. zu Analogien zu einer solchen Vorstellung VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 191f.; DERS., Pseudo-Phocylides on the Afterlife (Anm. 10), 74; dagegen erneut COLLINS, Life after Death (Anm. 10), 141f. 22 Als Alternative für das Verständnis von V. 111, die freilich im Text wenig Anhalt hat, bietet WALTER, Pseudo-Phokylides (Anm. 5), 208, Anm. 111 b) an: „D. h.: die Seelen nimmt Gott zu sich in seine himmlische   ™ auf“.

Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

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2. Der Tod als Lebenswirklichkeit in PseudPhok 97–121 2. Der Tod als Lebenswirklichkeit in PseudPhok 97–121 Mit Recht hat bereits Johannes Thomas in seiner Untersuchung der Passage PseudPhok 103–115 auf deren enge Verbindung mit ihrem paränetischen Kontext hingewiesen. Thema sei hier das „Verhalten angesichts von Leid und Tod … Im Übrigen wird das Thema von der praktischen Seite her, nämlich an welche Verhaltensaufgaben es erinnert, aufgenommen.“ 23 Die Aussagen über die leibliche Auferstehung der Toten und die Unsterblichkeit der Seelen sind eingebettet in einen größeren paränetischen Zusammenhang, der von Vers 97 bis 121 reicht und sich mit Blick auf die angesprochenen Alltagssituationen, auf die sich die Mahnungen richten, wie folgt gliedern lässt: 24 97f. 99 100–108 109–115 118–120 121

Verhalten in der Trauer 25 Umgang mit einem unbestatteten Leichnam Schutz des Grabes und des bestatteten Leichnams Einsicht in Vergänglichkeit des Reichtums (Hadeserwartung) Wandel des Lebensgeschicks antithetische Schlussmahnung

Walter Wilson sieht ebenfalls diesen paränetischen Zusammenhang und stellt ihn zudem in den Kontext des antiken Kanons der „Kardinaltugenden“, näherhin der Tapferkeit ( ”™ ): „The moral problem of how best to respond to life’s varied forms and sources of distress generally belonged to the ancient discussion about courage ( ”™ ) and the related virtues of fortitude ( ””™ ) and endurance (“Ë).“ 26 Aus dieser Zuordnung folgt, dass es in den Aussagen zu Auferstehung und Unsterblichkeit nicht in erster Linie um Lehren oder Theorien über ein Leben nach dem Tod geht, sondern vielmehr darum, im Leben Erfahrungen mit dem Tod zu bewältigen. „The point of the passage is not to develop for the readers a coherent thanatological doctrine, but to encourage them not to grieve excessively (vv. 97–98, 118).“ 27 Diese Einordnung entspricht nicht bloß der Gesamtintention des Mahngedichts, sondern lässt sich auch an den in unserem Abschnitt angesprochenen

23 THOMAS, Der jüdische Phokylides (Anm. 6), 206 (mit Verweis auf den paränetischen Charakter der Gesamtschrift, a.a.O., 205). 24 Nach THOMAS, a.a.O., 206. Die Verse 116f. sind textkritisch zu eliminieren, vgl. dazu die Ausgaben und Kommentare. 25 Vorausgesetzt ist dabei ein Textverständnis (unter Einschluss einer Konjektur in V. 98: ©—  für  ), wie es sich in den Kommentaren von van der Horst, Walter und Wilson niederschlägt. 26 WILSON, Sentences (Anm. 3), 137. Diese Zuordnung steht im Zusammenhang mit seiner Gesamtsicht des Gedichts, das nach dem Kanon der vier Kardinaltugenden strukturiert sei, vgl. a.a.O., 23–30, bes. 28. 27 WILSON, a.a.O., 139.

2. Der Tod als Lebenswirklichkeit in PseudPhok 97–121

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Alltagssituationen verifizieren. Bei allen Schwierigkeiten der Textüberlieferung und Übersetzung der Verse 97f. 28 lässt sich doch am ehesten dann ihr Sinn erschließen, wenn man hier Trauerbräuche bzw. -rituale angesprochen findet, vor deren exzessiver Praxis gewarnt wird. Die anschließende Forderung, Tote zu bestatten, gehört zum Kernbestand paränetischer Mahnungen, wie sie sich auch in traditionell geprägten Mahnungsreihen frühjüdischer Toraparänese finden. 29 Der rechte Umgang mit Leichen bestimmt auch die folgenden Verse 100– 102. Der Gedankengang wird dabei offenbar vom Grundsätzlichen zum Spezielleren geführt: V. 100a stellt umfassend den Schutz des Grabes (Å) voran, nach V. 100b.101 dürfen Leichen nicht exhumiert werden, und nach 102 sollen solche exhumierten Leichen nicht geschändet werden. Wie spezifisch dabei die Wendung ¸”™  Ž  ”Ç“  zu verstehen ist, bleibt umstritten. 30 Der Kontext spricht eher dafür, jegliche Art schändlichen Umgangs mit (bereits bestatteten) Leichen zu verbieten. 31 Ob darüber hinaus noch speziell an die gerade für Alexandria, wenn auch nicht für die römische Zeit, belegte Leichensektion zu medizinischen Zwecken gedacht sein soll, wird sich kaum nachweisen lassen. 32 Noch weniger spricht freilich für eine Anspielung an den Brauch der Sekundärbestattung in Ossuarien, der im antiken Judentum nur für einen zeitlich und geographisch eng begrenzten Raum belegt ist. 33

28

Zur komplizierten Textüberlieferung und den Problemen ihrer Interpretation vgl. VAN HORST, Sentences (Anm. 2), 179f.; WALTER, Pseudo-Phokylides (Anm. 5), 206; DERRON, Pseudo-Phokylide (Anm. 4), Notes Complémentaire 25f; WILSON, Sentences (Anm. 3), 141–143. 29 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 7), 35.40–43.204f. 30 S.o., 587. 31 Belege dafür, insbesondere epigraphische, gibt es reichlich, vgl. dazu nur PIETER W. VAN DER HORST, Ancient Jewish Epitaphs. An introductory survey of a millennium of Jewish funerary epigraphy (300 BCE – 700 CE), CBET 2, Kampen 1991, 55–60; PARK, Conceptions of Afterlife (Anm. 19), 37–39; s.a. WILSON, Sentences (Anm. 3), 144; VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 182f. 32 Eher kritisch zu dieser von van der Horst ins Spiel gebrachten Annahme äußert sich auch WILSON, Sentences (Anm. 3), 144: „Given the gnomic ethos of the poem, with its tendency toward universalizing, such a localized meaning seems unlikely.“ 33 VAN DER HORST, Pseudo-Phocylides on the Afterlife (Anm. 10), 73, weist zu Recht darauf hin, dass die Sekundärbestattung im Wesentlichen nur für Palästina belegt ist. Bei RACHEL HACHLILI, Ancient Jewish Art and Archaeology in the Diaspora, HO I/35, Leiden u.a. 1998, 263–310 („Burial and Funerary Practices“), finden sich jedenfalls keinerlei Hinweise darauf. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass literarische Belege für diesen Bestattungsbrauch m.W. überhaupt fehlen, jedenfalls, soweit ich sehe, nicht nur bei Philon, sondern auch bei Josephus, so dass das Argument in der Erwiderung von COLLINS, Life after Death (Anm. 10), 142: „I do not see any basis for van der Horst’s apparent assumption that an Alexandrian Jew would not have known about a practice that was common in Palestine, or have been concerned about it.“, wenig überzeugend ist. DER

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Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

Der syntaktische Anschluss der Aussagen über die Hoffnung, die über den Tod hinausreicht (V. 103–108), mit ™ deutet darauf hin, dass auch für die folgenden Verse das Thema des Umgangs der Lebenden mit den Toten bestimmend bleibt. Man beachte die Formulierung in der 1. Pers. Plur. in V. 103 und 107f., die eine inclusio um die Passage mit den Aussagen über das Leben nach dem Tod bildet! Weil „wir“, die Lebenden, „hoffen, daß bald aus der Erde ans Licht kommen die Reste der Dahingeschiedenen“, sollen wir im Leben pietätvoll mit den Verstorbenen umgehen. 34 Das bedeutet einerseits, der natürlichen Verwesung ihren Lauf zu lassen und sie nicht z.B. durch Exhumierung von Leichen zu stören, andererseits aber vor allem, darauf zu hoffen, auch nach dem eigenen Tod wie die jetzt schon Verstorbenen wieder ans Licht zu kommen und den Geist sozusagen in den Aër aufzugeben (V. 108). 35 Folgerichtig wird der Gedankengang des Gedichts in den Versen 109–115 weitergeführt mit Mahnungen über die rechte Bereitung zum Sterben, ein typisches memento mori. Angeredet sind die Besitzenden (in der gnomischen 2. Pers. Sing.), denen ihr unentrinnbares Todesgeschick drastisch vor Augen geführt wird: Nichts von ihrem Besitz werden sie in den Hades mitnehmen können, diese „ewige Gemeinschaftswohnanlage“ (Ž ”  — §Ç ), „Vaterland“ (patris) für alle Sterblichen, „Gemeindeland“ (½¢£•”) für Bettler und Könige (V. 112f.). Alle gleichermaßen werden sie alsbald nichts als Leichen (“!š Ž ) sein (V. 111). Abgeschlossen wird dieser kleine Abschnitt in Vers 114f. wieder in der 1. Pers. Plur. mit einer für alle jetzt (noch) Lebenden geltenden Einsicht: „Nicht auf Dauer (˜ “– £”—) leben wir Menschen, sondern auf Zeit (“™ ”). Die Seele aber ist unsterblich und lebt, ohne zu altern, auf immer ( « “ —).“ 36 Schließlich steht auch im letzten Abschnitt des Zusammenhangs von PseudPhok 97–115, der um Tod und Tote kreist, die rechte Lebenshaltung im Fokus der Ermahnungen, die erneut in der gnomischen 2. Pers. Sing. formuliert sind. Ganz im Sinne der Maxime des rechten Maßhaltens 37 wird in Vers 118– 120 zu emotionaler Mäßigung gegenüber den Wechselfällen des Lebens ermahnt. Daran schließt sich die zusammenfassende Schlussmahnung, die noch einmal auf den Augenblick des Lebens, den ”—, gerichtet ist: Ihm gerecht zu werden gilt es auch und gerade angesichts des Todes, und nicht „gegen den Wind zu blasen“ (V. 121). Aus dem Zusammenhang mit dem Mahngedicht ebenso wie auf Grund seines Textaufbaus erweist sich also der ganze Abschnitt PseudPhok 97–121 klar

34

Man denkt hier unwillkürlich an die paulinischen Formulierungen in 1Thess 4,15–17. Bemerkenswerterweise steht auch nach Paulus den bei der Parusie Christi noch Lebenden zusammen mit den inzwischen schon Verstorbenen die Entrückung in die Wolken und die Begegnung mit dem Herrn im Aër bevor, vgl. 1Thess 4,17. 36 Übers. Niebuhr. 37 Erneut eine inclusio, vgl. V. 98! 35

3. Der Tod als Lebenswirklichkeit im übrigen Mahngedicht

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als Anrede an die Lebenden zum rechten Umgang mit Tod und Toten im Leben. Die Aussagen über das Leben nach dem Tod und die verschiedenen anthropologischen Vorstellungen, die dabei zur Sprache gebracht werden, sind ganz und gar der Intention untergeordnet, zum rechten Leben angesichts des Todes zu ermahnen. Inkonsistenzen hinsichtlich mancher Begriffe und Vorstellungen zur Ur-, Unter-, Nach- oder Götterwelt können in Kauf genommen werden, wenn nur die Aussageabsicht mit Blick auf die Lebenswelt der Angeredeten konsistent und überzeugend bleibt.

3. Der Tod als Lebenswirklichkeit im übrigen Mahngedicht 3. Der Tod als Lebenswirklichkeit im übrigen Mahngedicht Diese paränetische Intention der Aussagen zum Tod und zum Umgang mit Toten bestätigt sich, wenn wir weitere Passagen des Gedichts betrachten, in denen vom Tod die Rede ist. Zwar findet sich kein weiterer zusammenhängender Abschnitt zu diesem Thema, aber mehrfach klingt es doch in anderen Zusammenhängen mit an. Ganz allgemein ist in V. 27 und V. 41, innerhalb eines Abschnitts, der besonders die Nöte der sozial Benachteiligten im Blick hat und zu Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ihnen gegenüber ermahnt, 38 von den Unsicherheiten und Wechselfällen des menschlichen Lebens die Rede. Jeweils bildet dabei den unmittelbaren Kontext die Mahnung, den Bedürftigen und Leidenden beizustehen, da jedem Menschen gleiches Unglück bevorstehen kann. Auf eine Reihe von kurzen imperativischen Mahnungen zu barmherzigem Verhalten gegenüber Bedürftigen folgt in V. 27 eine sentenzartige, zusammenfassende Aussage, die zusammen mit V. 30 diese erste Mahnungsreihe zum Thema abschließt. 39 Durch den zweimaligen Verweis in diesen beiden Versen auf das Leben als solches (· ™) und das allen Gemeinsame (  —), nämlich das Leiden ebenso wie die Güter des Lebens, in Verbindung mit der theologischen Begründung der Mahnung zur Barmherzigkeit in V. 29 (ð   ª  —¬Å£”Ë Ñ “ ”!£), bewirkt die kleine Spruchgruppe PseudPhok 27–30 eine eindrucksvolle theologische und anthropologische Vertiefung der paränetischen Weisungen des ganzen Abschnitts. Alle Menschen 38 Zur Gliederung vgl. WILSON, Sentences (Anm. 3), 84–87, der den zweiten Hauptteil des Gedichts, PseudPhok 9–131, anhand des Kanons der vier Kardinaltugenden gliedert. 9– 54 werden entsprechend der Gerechtigkeit zugeordnet, mit den Abschnitten 9–21 zu Fragen der Gerechtigkeit im engeren, juridischen Bereich und 22–54 zu weiterreichenden zwischenmenschlichen Beziehungen, für die Philanthropie und Solidarität maßgeblich sind. Der zweite Abschnitt lässt sich in die beiden Unterabschnitte 22–41, konzentriert auf Taten der Barmherzigkeit, und 42–54, zugespitzt auf Quellen von Ungerechtigkeit, untergliedern. Zur Begründung der genauen Gliederung von PseudPhok 9–131 vgl. ausführlich WILSON, Mysteries of Righteousness (Anm. 6), 75–118. 39 V. 31 ist textkritisch sekundär.

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Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

sind in ihrem Leben den gleichen Leiden, Gefährdungen und Ungewissheiten ausgesetzt; deshalb sollen sie auch alle Güter des Lebens in Eintracht und Solidarität genießen. Dass das menschliche Leben nicht allein durch Unglücksfälle gefährdet ist, sondern auch durch das Tun anderer Menschen, stellt sogleich die folgende kleine Spruchreihe PseudPhok 32–34 heraus, die den Gedankengang des Abschnitts zur Fürsorge in sozialen Notlagen unterbricht. Hier geht es um den Gebrauch des Schwertes, der möglichst ganz vermieden werden soll, da selbst die Tötung eines Feindes die Hände dessen befleckt, der das Schwert führt. Die Verunreinigung der Hände (Ž £”   ™ , V. 34) durch Tötung eines Menschen ist hier, ähnlich wie in PseudPhok 4 (Ë í Ò  £”  ™ ), nicht als rituell im kultischen Sinn zu verstehen, sondern spiegelt das Toraund Reinheitsverständnis des Diasporajudentums wider. 40 Dass auch die nach der Tora rechtmäßige Tötung von Feinden im Krieg als Blutschuld gilt und sühnende Reinigung erforderlich macht, erklärt ausdrücklich auch Philon in VitMos 1,313f. bei der Auslegung von Num 31,19. Eine solche sehr weitgehende Ablehnung selbst der rechtmäßigen (Ëí ª  Ë ™, V. 33) oder aus Notwehr (± , V. 32) erfolgenden Tötung eines Menschen lässt sich nicht unmittelbar aus dem Tötungsverbot des Dekalogs ableiten, wenngleich schon in PseudPhok 4 das entsprechende Dekaloggebot in einer auf das Grundsätzliche zugespitzten Weise rezipiert worden ist. 41 Sie ist, da ausdrücklich auf das Verbot der Tötung eines Feindes zugespitzt, am ehesten vergleichbar mit der Szene am Ende des jüdisch-hellenistischen Romans Joseph und Aseneth (JosAs 29,1–3), in welcher der JakobSohn Levi seinen Bruder Benjamin daran hindert, den schwer verletzt am Boden liegenden Sohn des Pharao mit dem Schwert (Ø› ™ ) zu töten, und dies mit dem Grundsatz begründet: Nicht geziemt es einem gottverehrenden Mann, (zu) vergelten Böses mit Bösem ( “ 

¢ ‘

) und nicht einen, (der) gefallen ist, zu zertreten, und nicht (zu) erdrücken seinen Feind bis zu (dessen) Tode (Þ !). 42(JosAs 29,3)

40 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Hg.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460: 430–446 [in diesem Band 175–207]; DERS., Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50: 33–42 [in diesem Band 149–173]. 41 Vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 7), 17. 42 Übersetzungen nach CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, Gütersloh 1983, 577–735: 719; Text: DERS., Joseph und Aseneth, PVTG 5, Leiden/Boston 2003.

3. Der Tod als Lebenswirklichkeit im übrigen Mahngedicht

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Dass auch aus geringfügigen Anlässen lebensbedrohliche Gewalt entstehen kann, lehrt die Alltagsweisheit, von der das ganze Gedicht geprägt ist. 43 Die kleine Spruchsammlung zum Thema Geldgier (PseudPhok 42–47) bildet einen dramatischen Auftakt zu dem zweiten Unterabschnitt des Mahngedichts, der sich der Kardinaltugend der Gerechtigkeit zuordnen lässt und näherhin Quellen von Ungerechtigkeit benennt. 44 Geldgier (› £”Å) bzw. Gold und Silber erscheinen hier als „Mutter aller Schlechtigkeit“ (Ë”

— ¸“!, V. 42) und „Lebensvernichter“ ( › —”, V. 44). Um ihretwillen gibt es zwischen Menschen Streit, Raub und Mord ( ©«”Þ  !£   ™ ›— , V. 46), selbst zwischen Kindern, Eltern, Geschwistern und Verwandten (V. 47). Im folgenden Hauptabschnitt PseudPhok 55–96, der sich der Tugend des Maßhaltens (›”Å) zuordnen lässt, 45 werden nur noch eher beiläufig im Zusammenhang mit verschiedenen ethischen Topoi die lebensbedrohlichen Folgen des Zorns erwähnt: Werde nicht übereilt tätlich, zügele vielmehr den wilden Zorn (±©” Ô©Ë); denn oft schon hat einer, der (zu schnell) zuschlug, ungewollt einen Mord vollbracht (“˽  Ž ›—½Ž). (PseudPhok 57f.)

Das Thema Wut ( —) und Zorn (Ô©Ë) kommt auch noch in den Versen 63f. zur Sprache, dort allerdings ohne Bezug auf gewalttätige Auseinandersetzungen. Auch in den Versen 77f. ist noch einmal von gegenseitigen Böswilligkeiten und Streitereien (ª” ) die Rede, ohne dass dabei deren lebensbedrohlicher Charakter eigens benannt wird. Immerhin gehört der Topos gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Menschen im Alltag offenbar zum Kernbestand der Mahnungen des Gedichts und lässt erneut den lebenspraktischen Hintergrund seiner Intention erkennen. In ähnlicher Weise eingeordnet in eine Reihe verschiedener ethischer Topoi sind die Aussagen zum Umgang mit Verbrechern und Gewalttätern in den Versen 132–136. Der Abschnitt eröffnet nach der Gliederung von Wilson den dritten Hauptteil des Gedichts (PseudPhok 132–227), der verschiedenen Feldern

43

Zur weisheitlichen Prägung von PseudPhok vgl. umfassend KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 7), 261–302; THOMAS, Der jüdische Phokylides (Anm. 6), 25– 56. 44 Zur Gliederung nach Wilson s.o., Anm. 38. Zum Thema Geldgier in der frühjüdischen Toraparänese vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 7), 100.107.116f.132.175–178. Den Hintergrund in der griechisch-römischen gnomischen Tradition beleuchtet WILSON, Sentences (Anm. 3), 107–109. 45 So mit WILSON, a.a.O., 113; ausführlicher DERS., Mysteries of Righteousness (Anm. 6), 91–103.

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Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

bzw. Ebenen zwischenmenschlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft gewidmet ist. 46 Dem Verbrecher soll, wenn nötig auch mit Zwang, gewehrt werden, denn „oft kommen mit den Bösen auch die zu Tode ( Ë   ), die sie unterstützen“ (V. 134). Schließlich gehört auch das Verbot der Abtreibung und der Kindesaussetzung in den Versen 184f. in den Zusammenhang der Gewaltanwendung mit Todesfolge. Eingeordnet ist es in einen Zusammenhang verschiedener sexualethischer Mahnungen in PseudPhok 175–194, die in wesentlichen Teilen als aktualisierende Interpretation der Torabestimmungen aus Lev 18–20 im Rahmen frühjüdischer Toraparänese verstanden werden können. 47 Während sich die Mahnungen im Kontext fast 48 immer an den (Ehe-)Mann richten, wird in den beiden genannten Versen ausdrücklich allein die Frau angesprochen. Im Rahmen der Gesamtintention des Kontextes, die auf die Sicherung familiärer Nachkommenschaft gerichtet ist (vgl. V. 175f.!), bleibt aber auch diese an die Frau gerichtete Einzelmahnung an dem Interesse des männlichen Familienoberhauptes ausgerichtet.

4. Lebensunterhalt und Lebensende in PseudPhok 4. Lebensunterhalt und Lebensende in PseudPhok Lassen schon die über das Gedicht hin verstreuten Aussagen zu Lebensgefährdung und gewaltsamem Tod ein recht nüchternes Bild des menschlichen Lebens im Alltag erkennen, so sind auch die Anspielungen auf Alter und Lebensende des Menschen von einer ähnlich gelassenen Einsicht in die Grenzen menschlichen Lebens gekennzeichnet. Der Erwerb materieller Güter und der Umgang mit ihnen soll dem Lebensunterhalt dienen, nicht Ausschweifung und Luxus. 49 „Im Anfang sei sparsam mit allem, damit du nicht am Ende Mangel leidest.“, heißt es kurz und bündig in Vers 138, ohne dass dabei auf das hier allenfalls als Horizont der Mahnung erscheinende Lebensende (Ž” ) näher eingegangen würde. Ähnlich nüchtern fasst Vers 175 die Möglichkeit ins 46 Vgl. WILSON, a.a.O., 119–145; DERS., Sentences (Anm. 3), 164. Wilson selbst betont, dass zahlreiche ethische Topoi in diesem dritten Hauptteil Themen des vorangegangenen, nach den vier Kardinaltugenden geordneten Hauptteils erneut aufgreifen (Mysteries of Righteousnes, 119). 47 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 7), 26–30. Gerade das Verbot von Abtreibung und Kindesaussetzung spiegelt im Rahmen gemeinantiker Vorstellungen ein spezifisch jüdisches und darauf aufbauend christliches Ethos wider; vgl. dazu VAN DER HORST, Sentences (Anm. 2), 232–234; WILSON, Sentences (Anm. 3), 192f. 48 Einzige Ausnahme neben V. 184f. ist V. 192, wobei der dort als unnatürlich verurteilte gleichgeschlechtliche Sexualverkehr zwischen Frauen offenbar nach dem Vorbild männlicher Homosexualität beurteilt wird (Ž  Å” Ž£ ”• Ë , vgl. V. 190f.). 49 Vgl. neben den hier zitierten Versen noch V. 69a.80f.91–94.

5. Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

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Auge, bei Ehelosigkeit ohne Nachkommenschaft zu bleiben und somit „namenlos unterzugehen“ (ÇÖ ). Demgegenüber wird in den Versen 153–174 ausführlich und mit Nachdruck dazu ermahnt, durch eigener Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen: „Arbeite mit aller Anstrengung, damit du aus eigenen (Mitteln) leben kannst ( Å )“ (V. 153). „Lebe von selbsterworbenem Lohn ( “¢ •§™   •› ©Ž )“ (V. 157). „Jede Arbeit genügt für den Lebensunterhalt (ª  ™ “ª”©), wenn du nur gewillt bist, dich anzustrengen.“ (V. 159) „(Es gibt) keine Arbeit, die den Menschen leicht (und) ohne Anstrengung gelänge – nicht einmal den Seligen! Doch Mühsal fördert sehr die Tugend“ (V. 162f.). Solcherart Lebensweisheiten werden anschließend durch eine ganze Reihe von Exempeln aus der Seefahrt und dem Ackerbau sowie Metaphern aus dem Tierreich illustriert. Auch die Mahnungen zum Hausstand in PseudPhok 175–227 sind ganz und gar auf den rechten Lebenswandel ausgerichtet, der wohl durch den Tod sein natürliches Ende findet, ohne dass dieser aber eigens thematisiert oder gar problematisiert werden müsste. So mahnt der Dichter zu lebenslanger ehelicher Liebe und Treue (V. 195–197): „Was wäre lieblicher und vortrefflicher, als wenn eine Frau ihrem Manne freundlich gesinnt ist bis ins Alter (©Ë”  ±£” ).“ Ein ebenso hoher ethischer Wert ist die Ehrfurcht vor dem Alter. Den „ergrauten Häuptern“ (“  ”!›) gebührt Ehrfurcht, den Greisen (©Ž” ) sollen Ehrenplätze eingeräumt bzw. Ehrenbezeigungen erwiesen werden ebenso wie dem Greis, der genauso alt wie der eigene Vater ist (“”Ž·Ë “ ”—, V. 220–222). Und ganz am Ende des Gedichts (V. 229f.) wird denen, welche „die Geheimnisse rechter Lebensweise“ befolgen ( Å˔ …  ), ein „gutes Leben“ (Ñ¡ © Ë) verheißen „bis zur Schwelle des Greisenalters“ (Ž£” ©Ë” ˜).

5. Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides – Konturen eines frühjüdischen Menschenbildes 5. Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides Das Mahngedicht des Pseudo-Phokylides hat sich somit als ein außerordentlich lebensnahes und lebensfreundliches Zeugnis des hellenistischen Diasporajudentums erwiesen. Dass dabei in der Gedankenwelt des Dichters und seiner Adressaten der Tod keineswegs verdrängt wird und dass diese Gedankenwelt auch keineswegs am Tod ihre Grenze findet, ist ebenso deutlich geworden. Schon im Leben begegnet der Tod als Lebenswirklichkeit, und die Menschen haben sich im alltäglichen Umgang mit ihm auseinanderzusetzen, sei es, indem sie Tote zu begraben und ihre Gräber zu schützen haben, sei es, dass sie lebensgefährdenden Situationen bzw. lebensbedrohlicher Gewalt ausgesetzt sind

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Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

oder selbst in der Gefahr stehen, das Leben anderer zu bedrohen. Tod und Leben, Tote und Lebende gehören zu den Rahmenbedingungen menschlichen Lebens, wie sie das Gedicht immer wieder explizit oder unausgesprochen zur Geltung bringt. Erst in diesem Rahmen bringt das Gedicht auch gezielt und betont seine Gedanken über ein Leben nach dem Tod zur Sprache. Diese Gedanken stehen durchaus im Zentrum seiner Gedankenwelt, schon rein äußerlich in den Versen 103–115 ziemlich genau in dessen Mitte, bestimmen aber keineswegs seinen Aufbau oder Gedankengang von Anfang bis Ende. Anfang und Ende des Mahngedichts sind vielmehr bestimmt von der Anweisung zu einem gerechten Lebenswandel nach dem Willen Gottes. 50 Dass ein solcher gerechter Lebenswandel irgendwelche Auswirkungen habe auf das zu erwartende Leben nach dem Tod, wird nirgends ausdrücklich gesagt und scheint auch in der Gedankenwelt des Dichters nicht wirklich verankert zu sein. Als „glückbringende Gaben“ (Ö •” , V. 2) sollen sich seine Mahnungen vor allem im Alltag erweisen, indem sie zu einem „guten Leben … bis zur Schwelle des Greisenalters“ verhelfen (V. 230). Allerdings gibt es eine entscheidende theologische Verbindung zwischen den Ermahnungen zum gerechten Leben im Alltag und dem Ausblick auf das Leben nach dem Tod. Sie liegt im Verweis auf den Ursprung und die Zukunft des menschlichen Lebens bei Gott. Bei aller Unausgewogenheit der Vorstellungen und manchen Unklarheiten in der Formulierung bleibt doch die Aussageintention der Passage über das Leben nach dem Tod unverkennbar, das menschliche Leben auf das heilvolle Wirken Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beziehen. Zwar ist von Gott als Schöpfer nirgendwo im Gedicht ausdrücklich die Rede, aber das Leben des Menschen, sein Geist und seine Gestalt, werden unmittelbar auf Gott zurückgeführt: Denn der Geist ist Gottes Leihgabe für die Sterblichen und sein Abbild. Denn den Leib haben wir von der Erde, und sofern wir uns hernach wieder zur Erde auflösen, sind wir Staub; das Luftreich aber hat (unseren) Geist aufgenommen. (PseudPhok 106–108)

Dass dieser Gott, auf den sich die Zukunftshoffnungen von Autor und Adressaten des Gedichts ebenso richten, wie sie ihr Selbstverständnis als Geschöpfe in ihm verankern, dass dieser Gott kein anderer ist als der, dessen Ratschlüsse im alltäglichen Leben zu befolgen, ihnen ein glückliches Leben verheißt (V. 1f.), leidet keinen Zweifel. Somit bildet das biblische Verständnis Gottes des Schöpfers, der seinem Volk in der Tora seine lebensfördernden und lebenserhaltenden Weisungen erteilt hat und dessen heilsames Wirken an den Menschen nicht an der Grenze

50 Zu diesem Leitbild frühjüdischer Toraparänese vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 7), 232–242.

5. Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides

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des Todes haltmacht, unausgesprochen, aber gleichwohl unverkennbar den theologischen Rahmen, in den die Konturen menschlichen Lebens eingezeichnet werden. Die von den Traditionen und Konventionen hellenistisch-römischer Kultur geprägte Sprache und Gedankenwelt des Mahngedichts des Pseudo-Phokylides kann nicht verdecken, dass sein Menschenbild und sein Gottesverständnis primär und durchweg von den biblisch-frühjüdischen Überlieferungen des Glaubens Israels geprägt sind, die auch unter den Lebensbedingungen der hellenistisch-römischen Gesellschaft ihre Lebenskraft erweisen.

Außerkanonische Schriften im antiken Christentum Das Beispiel syrischer Menander Meine eigene exegetische Arbeit „im Anschluss“ an Eckart Reinmuth zu versehen, war mir als sein Nachfolger auf der Assistentenstelle für Neues Testament in Halle bei Traugott Holtz sozusagen in die akademische Wiege gelegt. Auch fachlich konnte ich mich seinerzeit sehr gut an ihn anschließen, hatte er doch in seiner Dissertation „Geist und Gesetz“ 1 die Erforschung frühjüdischer Texte im Zusammenhang und mit dem Ziel der Erhellung paulinischer Aussagezusammenhänge in für mich wegweisender Weise in Angriff genommen. 2 Es ist daher vielleicht passend und wird ihn hoffentlich freuen, wenn ich ihn hier mit einem Beitrag zu einem weiteren frühjüdischen Text grüße, der meiner Einschätzung nach auf seine Weise auch in den Wirkungszusammenhang der Arbeit an der Bibel in gesellschaftlicher Verantwortung gehört – obgleich recht verborgen und in Gegenden, in die sich ein evangelischer Neutestamentler nicht so oft verirrt. Deshalb brauchen wir auch zunächst einmal einen gewissen Anmarschweg durch den Dschungel des Umgangs mit der Bibel und der Überlieferung ihrer Texte bis hinein in die Spätantike, und zwar sozusagen von beiden Richtungen her: Zunächst suche ich anhand des praktischen Umgangs mit der Heiligen Schrift in verschiedenen Zeiten der Geschichte des Christentums den Weg zurück zu den unterschiedlichen Gestalten, in denen biblische Überlieferungen in der Spätantike begegnen konnten (1.). Anschließend reflektiere ich die Wege, auf denen biblische und frühjüdische Schriften, Texte und Gestalten in die christliche Spätantike gelangt sind (2.). Nach einem sehr knappen Durchgang durch Gattungen, Themen und Inhalte jüdisch-hellenistischer Literatur unter der Frage „Was ist jüdisch, was ist christlich?“ (3.) halte ich mich schließlich etwas länger bei dem syrischen Menander als Testfall für die Relevanz frühjüdischer Überlieferungen im spätantiken Christentum auf (4.). Ob und in wel-

1 ECKART REINMUTH, Geist und Gesetz. Studien zu Voraussetzungen und Inhalt der paulinischen Paränese, ThA 44, Berlin 1985. 2 In seiner Habilitationsschrift hat er diese Forschungslinie weiter verfolgt, wenn auch nunmehr stärker auf die Erzählstrategie frühjüdischer und neutestamentlicher Texte bezogen: ECKART REINMUTH, Pseudo-Philo und Lukas. Studien zum Liber Antiquitatum Biblicarum und seiner Bedeutung für die Interpretation des lukanischen Doppelwerks, WUNT 74, Tübingen 1994.

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Außerkanonische Schriften im antiken Christentum

cher Weise sich daran sinnvolle Überlegungen zur neutestamentlichen Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung heute anschließen können, dies zu beurteilen überlasse ich gern dem Geehrten und den Lesern seiner Festschrift.

1. Was gehört zur Bibel? Heilige Schriften und ihre Überlieferung 1. Was gehört zur Bibel? Wer heute von der „Heiligen Schrift“ spricht, 3 kann nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass jeder Zeitgenosse darunter die Bibel versteht. In den gegenwärtigen säkularen und zugleich multireligiösen Gesellschaften in Europa ist es keineswegs mehr selbstverständlich, welche Schriften gemeint sind, wenn von ‚heiligen‘ Texten die Rede ist. Mag es im Rahmen akademischer evangelischer Theologie noch Konsens sein, dass die Bibel, und zwar die christliche, bestehend aus Altem und Neuem Testament, die Grundlage für jegliche theologische Reflexion bietet, so muss doch auch für christliche Bibelwissenschaftler im Blick bleiben, dass es keineswegs zu allen Zeiten immer so klar war, wie es heute scheint, was denn nun genau mit der ‚Bibel‘ bzw. dem ‚Kanon‘ gemeint ist, zumal in den ersten Jahrhunderten des entstehenden Christentums. Für einen lutherischen Theologen scheint es selbstverständlich, der Bibel herausragenden Wert und exklusive Bedeutung für die theologische Reflexion zuzuweisen. Andererseits hat auch er in Betracht zu ziehen, das selbst in lutherischen Kirchen, in der Gegenwart wie in der Vergangenheit, die Bibel kaum je als ‚reiner Text‘ gelesen wurde und wird. Sie war und ist immer Teil einer lebendigen Tradition, vermittelt durch die Kirche, die Familie, und nicht zuletzt – jedenfalls lange Zeit und zum Teil auch heute noch – auch durch die säkulare Gesellschaft. Das gilt natürlich umso mehr für weite Teile ihrer Rezeptionsgeschichte, sei es im christlich-abendländischen Mittelalter, im spätantiken orientalischen Mönchtum, im byzantinischen oder im orthodoxen Christentum. 4 Die Bibel war immer mehr als ein Buch, besonders in Kulturen und Zivilisationen, die stärker als unsere gegenwärtige von mündlicher oder sogar non-verbaler Kommunikation bestimmt waren. Dem ‚Volk‘ der Kirchen (wie in sich differenziert auch immer die Rezipientenkreise der Bibel vorzustellen sind) wurden die Inhalte der Bibel, ihre Geschichten über Jesus und

3 Die Neuausgabe der Lutherübersetzung von 2017 tut dies auf ihrem Titelblatt freilich nicht mehr, im Unterschied zu den von Luther selbst verantworteten Ausgaben (freilich fehlte der Ausdruck auch schon in der Revision von 1984). 4 Die vorliegenden Überlegungen wurden erstmals im Oktober 2016 auf einer bibelwissenschaftlichen Konferenz zum Thema „Sacred Scripture in Ukrainian Culture: The Canonical and Extra-Canonical Writings and Their Reception“ an der Ukrainischen Katholischen Universität Lviv vorgetragen.

1. Was gehört zur Bibel?

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andere alt- oder neutestamentliche Gestalten und ihre religiöse und theologische Bedeutung zumindest immer auch in nonverbaler Sprache vermittelt, durch Werke der bildenden oder darstellenden Kunst, in den Klängen der Liturgie bis hin zu den Räumen und Düften der Gottesdienste. Aber selbst im Blick auf die Inhalte der Heiligen Schrift dürfen wir unseren Blick nicht zu sehr einengen lassen durch diejenigen Texte, die zu der Schriftensammlung gehören, die wir heute in Druckausgaben erwerben und als Bibel lesen (ganz abgesehen davon, dass selbst diese Textauswahl noch eine häufig konfessionell begründete Variabilität aufweist). Zur Bibel im Gebrauch der Kirche gehörte oft sehr viel mehr als lediglich der Text der kanonischen Schriften. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die mittelalterliche Tradition der so genannten Biblia pauperum, 5 einer Sammlung von Holzschnitten mit Illustrationen zu biblischen Texten, die als „Blockbuch“ vervielfältigt wurden. Im Zentrum jeder Seite eines solchen Blockbuches 6 standen hier Abbildungen zu neutestamentlichen Bibelabschnitten, meist Szenen aus dem Leben Jesu. Dazu trat in der Regel nur wenig, bisweilen gar kein Text. Wörtliche Rede biblischer Figuren konnte auf Spruchbändern wiedergegeben werden, die aus dem Mund der abgebildeten Personen kommen. 7 Zu den in der Mitte der Tafeln stehenden neutestamentlichen Szenen wurden passende Szenen aus dem Alten Testament hinzugefügt, in der Regel als Rahmen um die zentrale Abbildung. Dabei konnten auch Gestalten oder Geschichten Verwendung finden, die sich nur in solchen Quellen finden, die wir heute zu den alttestamentlichen Apokryphen rechnen. Entscheidend für die Auswahl war der Bezug auf die im Zentrum abgebildete neutestamentliche Szene im Sinne einer typologischen Auslegung des Alten Testaments. 8 Man kann daher die Biblia pauperum als illustrierten biblischtheologischen Kommentar zum Evangelium bezeichnen. Kann man sie aber auch als Bibelausgabe ansehen? Jedenfalls dürften solche Formen biblischer Überlieferung, wie sie uns in der Biblia pauperum begegnen, für weite Kreise 5 Vgl. VOLKER LEPPIN, Art. Armenbibel, RGG4 1, 1998, 753; HANNA WIMMER/MALENA RATZKE/BRUNO REUDENBACH (Hg.), Studien zur Biblia pauperum, Bern u.a. 2016. Der Name ist sekundär und darf nicht als Hinweis auf die ursprünglichen Adressaten und Rezipienten dieser außerordentlich aufwendigen und theologisch hoch reflektierten Bibelausgaben verstanden werden. 6 Vgl. dazu BETTINA WAGNER (Hg.), Blockbücher des 15. Jahrhunderts. Eine Experimentierphase im frühen Buchdruck. Beiträge der Fachtagung in der Bayerischen Staatsbibliothek München am 16. und 17. Februar 2012, Wiesbaden 2013. 7 So etwa in der eindrucksvollen Ausgabe eines Exemplars aus Esztergom: Biblia Pauperum. Faksimileausgabe des vierzigblättrigen Armenbibel-Blockbuches in der Bibliothek der Erzdiözese Esztergom, Erläuternder Text von ELISABETH SOLTÉSZ, Berlin 1967. 8 Vgl. exemplarisch zur Zuordnung der Szenen von der Opferung Isaaks (Gen 22) und der Erhöhung der Schlange in der Wüste (Num 21,4–9) zur Kreuzigung Jesu VOLKER RABENS, Isaaks „Opferung“ und Christi Tod am Kreuz. Typologie in der Biblia pauperum, in: BERNHARD GREINER/BERND JANOWSKI/HERMANN LICHTENBERGER (Hg.), Opfere deinen Sohn! Das ‚Isaak-Opfer‘ in Judentum, Christentum und Islam, Tübingen 2007, 282–285.

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Außerkanonische Schriften im antiken Christentum

im christlichen Mittelalter (wenn auch kaum, wie der Name implizieren könnte, für Ungebildete oder Mittellose) leichter zugänglich gewesen sein als vollständige Bibelhandschriften. Bis heute gibt es zahlreiche Bibelausgaben mit verschiedensten ‚Zutaten‘ wie Überschriften, Hervorhebungen, Fußnoten, Kommentaren, Einführungen, Anhängen, Gebeten oder Illustrationen, ganz zu schweigen von den elektronischen Textausgaben und Datenbanken mit Links und Hyperlinks. Wo genau hört hier ‚Bibel‘ auf und wo fängt ‚Kommentar‘ an? Jedenfalls mag diese Analogie einen Zugang eröffnen für ein Verständnis von Bibel im weiteren Sinn, wie es offenbar in vormodernen Zeiten gang und gäbe war. Was daran für unser Thema „Außerkanonische Schriften im antiken Christentum“ wichtig ist, betrifft die Überlieferungswege biblischer Texte durch Antike und Mittelalter. Die Textüberlieferung biblischer Schriften geschah ja nicht in Isolation vom kirchlichen Leben und vom Leben frommer Christen. Biblische Texte wurden (vorwiegend) nicht aus wissenschaftlichem oder historischem Interesse abgeschrieben, sondern von Generation zu Generation gelesen, kopiert und weitergegeben, und zwar von Menschen, die eine persönliche Beziehung zu den in der Bibel überlieferten Inhalten hatten. Von ihrem persönlichen, subjektiven Textverständnis konnten diese Tradenten auch nicht absehen, wenn sie Bibelhandschriften kopierten, und so trugen sie gelegentlich bewusst-unbewusst ihre Überzeugungen im Blick auf einzelne biblische Inhalte oder Gestalten in die Texte selbst ein oder markierten sie wenigstens an unterschiedlichen Stellen der Manuskripte. So gibt es einzelne Handschriften, die neben heute als kanonisch geltenden auch ‚außerkanonische‘ Texte enthalten. 9 In den meisten Bibelmanuskripten finden sich darüber hinaus superscriptiones oder subscriptiones, die kurze Hinweise zu den Verfassern oder den Abschreibern oder zur Gattung der Texte enthalten und nicht selten mit einer Doxologie schließen. Leider geben die modernen Handausgaben des Neuen

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Ein besonders auffälliges Beispiel unter den neutestamentlichen Papyri ist der Papyrus Bodmer VII/VIII (= ो 72), der außer den beiden kanonischen Petrusbriefen und dem Judasbrief u.a. noch Psalm 33f., das Protevangelium Jacobi, den 3. Korintherbrief und die Paschahomilie des Meliton von Sardes enthält. Vgl. dazu ausführlich WOLFGANG WIEFEL, Kanongeschichtliche Erwägungen zu Papyrus Bodmer VII/VIII (ो 72), APF 22, 1973, 289–303; DAVID G. HORRELL, The Themes of 1 Peter: Insights from the Earliest Manuscripts (the Crosby-Schøyen Codex ms 193 and the Bodmer Miscellaneous Codex containing ो 72), NTS 55, 2009, 502–522; ANDREAS MERKT, 1. Petrus, Teilbd. 1, NTP 21/1, Göttingen 2015, 31– 36.

2. Was gehört zur frühjüdischen Literatur?

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Testaments diese ‚Zugaben‘ zum Text nur sehr unzureichend wieder. 10 An solchen Hinzufügungen in den Handschriften 11 können wir aber bis heute ablesen, dass und wie die Abschreiber mit ihren Texten lebten (wohl zumeist in klösterlichen Gemeinschaften). Angesichts dieser persönlichen Haltung der Kopisten, die sich an solchen ‚Paratexten‘ in den Handschriften zeigt, ist es geradezu auffällig, wie relativ treu dann doch der Wortlaut biblischer Texte erhalten geblieben ist, etwa im Vergleich zu manchen außerkanonischen Schriften.

2. Was gehört zur frühjüdischen Literatur? ‚Jüdisch‘ und ‚christlich‘ als umstrittene Begriffe 2. Was gehört zur frühjüdischen Literatur? Ein zweites grundsätzliches Problem wollen wir kurz bedenken, bevor wir uns dann einem konkreten Textbeispiel zuwenden: Was ich bisher dargestellt habe, betrifft die Textüberlieferung der christlichen Bibel. Wir haben aber auch schon erwähnt, dass christliche Bibelausgaben wie etwa die Biblia pauperum neben alt- und neutestamentlichen auch ‚außerkanonische‘ Überlieferungen aufnehmen und wiedergeben konnten, sofern sie sich auf biblische Inhalte bezogen. Das gilt besonders für alttestamentliche Gestalten. Wenn wir allerdings nach dem Ursprungsmilieu solcher ‚außerbiblischen‘ Überlieferungen zu alttestamentlichen Gestalten oder Inhalten fragen, bekommen wir es mit einer überaus komplexen Problematik zu tun. Das liegt zum einen an der sehr begrenzten Quellenlage, zeigt sich darüber hinaus aber auch an einem äußerst schwierigen terminologischen Problem. Was wir üblicherweise säuberlich als entweder ‚jüdisch‘ oder ‚christlich‘ voneinander unterscheiden, lässt sich anhand der antiken Texte keineswegs immer so genau auseinanderhalten. Die gesamte Terminologie ‚jüdisch‘ versus ‚christlich‘, und erst recht die Verwendung der Begriffe ‚Judentum‘ versus ‚Christentum‘ als Bezeichnung verschiedener Religionen, 12 erweist sich nämlich nicht nur im Blick auf das Neue Testament als anachronistisch, sondern auch im Blick auf die hier zu betrachtende Überlieferung religiöser Texte im spätantiken Christentum als unzureichend.

10 Für die Katholischen Briefe sind in der neuen ‚großen‘ Textausgabe jetzt wenigstens die superscriptiones und subscriptiones zugänglich gemacht worden: BARBARA ALAND u.a., Novum Testamentum Graecum Editio Critica Maior, hg. v. Institut für Neutestamentliche Textforschung. IV Die Katholischen Briefe, 2. rev. Aufl. Stuttgart 2013. 11 Vgl. für die Katholischen Briefe DARIAN R. LOCKETT, Letters from the Pillar Apostles, The Formation of the Catholic Epistles as a Canonical Collection, Eugene 2017, 91–136, für die Evangelien SIMON J. GATHERCOLE, The Titles of the Gospels in the Earliest New Testament Manuscripts, ZNW 104, 2013, 33–76. 12 Vgl. zu den Ursprüngen dieser Terminologie KARL-WILHELM NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233.

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Außerkanonische Schriften im antiken Christentum

Sie entstammt den theologischen Diskussionen des dritten und vierten Jahrhunderts (nach moderner christlicher Zeitrechnung) und diente dort zunächst einmal der Identitätsbegründung ‚christlicher‘ Gemeinschaften und ihrer Theologie in Abgrenzung von abweichenden Positionen im Blick auf die Haltung gegenüber der Tora, der maßgeblichen Lebens- und Glaubensgrundlage ‚jüdischer‘ Gemeinschaften, die aber zugleich auch Teil des christlichen Alten Testaments war. 13 Dieselben christlichen Theologen, die sich und ihre Gemeinschaften von solchen ‚nichtchristlichen‘ jüdischen Gemeinschaften abgrenzen wollten, lasen also zugleich doch dieselben Texte wie diese und betrachteten sie als Teil ihrer christlichen Bibel, als ihr Altes Testament. Juden und Christen konnten daher bis zu einem gewissen Grad auch gemeinsame Interessen an denselben Texten entwickeln, in denen sie mehr über biblische Gestalten oder wichtige theologische und religiöse Inhalte der Bibel erfahren konnten. Darüber hinaus standen allerdings den Christen, die sich für alttestamentliche Themen oder Gestalten interessierten, auch schon ihre eigenen, neutestamentlichen Schriften zur Verfügung. Im Bewusstsein christlicher Bibelleser waren demnach Abraham oder David keineswegs nur Gestalten des Alten Testaments, sondern zugleich auch neutestamentliche Figuren. Für sie war David nicht nur König von Juda in Jerusalem, sondern ebenso Stammvater Jesu, und Abraham war für sie nicht allein der Erzvater Israels, sondern nach Gen 17,5 auch „Vater vieler Völker“, und zwar in dem Sinne, wie Paulus im Römerbrief diese Stelle verstanden hatte, also Vater aller, die an Jesus Christus glauben, ob Juden oder Nichtjuden. 14 Daher konnte und kann das Alte Testament für christliche Leser niemals als ‚jüdisches‘ Buch gelten, sondern seine Inhalte sind konstitutiver Bestanteil ihrer eigenen, biblischen Überlieferung. All dies haben wir zu berücksichtigen, wenn wir uns dem überaus weiten Feld der so genannten ‚parabiblischen‘ Überlieferung zum Alten Testament im Griechisch sprechenden antiken Judentum und in der christlichen Spätantike zuwenden. So gut wie die gesamte Textüberlieferung der vorrabbinischen jüdischen Literatur verdanken wir ja christlichen Abschreibern. Die jüdische Textüberlieferung der rabbinischen Literatur ist von ihr dagegen weitgehend 13

Vgl. zu diesen Prozessen allgemein JAMES D. G. DUNN, The Partings of the Ways. Between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London/Philadelphia 1991; DERS. (Hg.), Jews and Christians. The Parting of the Ways A.D. 70 to 135. The Second Durham-Tübingen Research Symposium on Earliest Christianity and Judaism (Durham, September, 1989), Tübingen 1992; ADAM H. BECKER/ANNETTE Y. REED (Hg.), The Ways that Never Parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages, TSAJ 95, Tübingen 2003; PETER SCHÄFER, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Fünf Vorlesungen zur Entstehung des rabbinischen Judentums, Tria Corda 6, Tübingen 2010; DANIEL BOYARIN, Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums, aus dem Amerikanischen übers. v. GESINE PALMER, ANTZ 10, Berlin, Dortmund 2009. 14 Vgl. Röm 4,16–25; Gal 3,6–18.

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durch die Quellensprachen Hebräisch bzw. Aramäisch geschieden. Das muss begrenzte Berührungen und Überschneidungen im Einzelnen nicht ausschließen, lässt aber doch auf deutlich voneinander unterscheidbare Tradentenkreise schließen. Andererseits können wir für die vorrabbinische Zeit, also für die Zeit Jesu und der neutestamentlichen Schriften, von lebendigen, seit Generationen bestehenden und z.T. bedeutenden Griechisch sprechenden jüdischen Gemeinschaften im gesamten Mittelmeerraum (einschließlich der Levante!) ausgehen und sicher annehmen, dass diese Griechisch sprechenden Juden auch schon vor und unabhängig von der entstehenden christlichen Bewegung ihre eigenen religiösen Konzeptionen und literarischen Traditionen in griechischer Sprache ausgebildet hatten. Freilich sind wir für deren Kenntnis – abgesehen von den Qumranfunden und relativ begrenzten archäologischen oder epigraphischen Belegen – eben weitestgehend auf die christliche Textüberlieferung angewiesen. Offensichtlich konnten jedenfalls auch schon in der vorrabbinischen Periode Juden auf eine autoritative Schriftensammlung, bestehend aus Tora, Propheten und ‚Schriften‘, zurückgreifen, wenn sie ihre religiösen Überlieferungen sammeln, ordnen und begründen wollten. Seit diese ‚biblischen‘ Schriften spätestens vom 2. Jh. v. Chr. an Schritt für Schritt in das Griechische übersetzt worden waren, standen sie als autoritative religiöse Überlieferung auch den Griechisch sprechenden jüdischen Gemeinschaften zur Verfügung. Diese Textsammlung, in christlicher Tradition später als ‚Septuaginta‘ bezeichnet, bot allen Griechisch sprechenden frühjüdischen Gruppen, die sich auf die Glaubensüberlieferungen Israels stützen wollten, eine Bezugsgröße, unbeschadet der unverkennbaren Vielfalt im Frühjudentum und obwohl der Textbestand und die Anordnung dieser Schriften noch nicht in allen Einzelheiten fixiert waren. Jedenfalls konnten sich Juden schon in vorrabbinischer Zeit auf einen begrenzten Umfang religiöser Schriften mit herausgehobenem Autoritätsanspruch beziehen, um ihre eigenen religiösen, ethischen und theologischen Überzeugungen oder auch ihre literarischen Ambitionen darauf zu begründen. Die Septuaginta bildete damit die Basis für alle weiteren literarischen Produktionen der Griechisch sprechenden jüdischen Welt. Gleichzeitig wurde dieselbe Septuaginta aber auch zum ersten Teil der christlichen Bibel und von Christen somit als theologische Grundlage für ihren Glauben an Jesus Christus angesehen. Daher können Bezüge auf Gestalten oder Texte der Septuaginta in spätantiken Schriften nicht einfach als Hinweise auf den jüdischen Ursprung dieser Texte oder als Kennzeichen zur Unterscheidung zwischen ‚jüdischen‘ und ‚christlichen‘ Texten herangezogen werden, ebenso wenig wie eindeutig christliche Aussagen in diesen Schriften zwangsläufig ausschließen, dass diese eine ‚vorchristliche‘, eben frühjüdische Vorgeschichte hatten. Vielmehr müssen wir von vornherein damit rechnen, dass sich in den ‚außerkanonischen‘ ‚Paratexten‘ zum Alten Testament ‚Jüdisches‘ und ‚Christliches‘ derart überschneiden und miteinander verbinden kann, dass sich allein durch sorgfältige

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Außerkanonische Schriften im antiken Christentum

Analysen am Einzeltext Argumente für ein frühjüdisches Ursprungsmilieu einzelner Texte oder auch nur Textpassagen gewinnen lassen.

3. Gattungen, Themen und Inhalte jüdisch-hellenistischer Literatur und ihre Ursprünge 3. Gattungen, Themen und Inhalte jüdisch-hellenistischer Literatur Um die Frage nach den Ursprüngen der jüdisch-hellenistischen Literatur gibt es in der jüngeren Forschung eine heiße und andauernde Debatte. 15 Seit dem Ende des 19. Jh. waren zunächst zahlreiche außerkanonische Texte entdeckt, wiederentdeckt oder neu ediert worden, die dann zunehmend als Zeugnisse eines vorrabbinisch-frühjüdischen Milieus interpretiert und ausgewertet wurden, das stark durch die hellenistisch-römische Kultur geprägt war. 16 Abgesehen von den Qumran-Funden ist ja, wie wir sahen, fast die gesamte vor-rabbinische jüdische Literatur in der Spätantike ausschließlich dank christlicher Abschreiber und ‚Lesegemeinschaften‘ erhalten geblieben, die offensichtlich stark an solchen Texten interessiert waren, sofern sie sich auf die christliche Bibel, insbesondere auf das Alte Testament, beziehen ließen. 17 Viele Handschriften mit solchen anscheinend ursprünglich jüdischen Texten zeigen allerdings schon in ihrem Wortlaut offenkundig einen christlichen Standpunkt, etwa durch explizite Erwähnung der Kreuzigung oder Auferstehung Jesu, des Endgerichts, das durch den auferstandenen Christus vollzogen wird, oder der Heiligen Dreieinigkeit. In manchen Fällen liegen solche eindeutig christlichen Aussagen aber nicht an der Textoberfläche zutage oder lassen sich nicht eindeutig als Ergebnis späterer christlicher Redaktionen oder Interpolationen erklären. Hier sind zusätzliche Kriterien nötig, wenn man zwischen ursprünglich jüdischen oder christlichen Texten unterscheiden möchte. Beide Gruppen hatten ja, wie wir 15 Vgl. JAMES R. DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha: Jewish, Christian, or other?, JSJ.S 105, Leiden/Boston 2005; FOLKER SIEGERT, Einleitung in die hellenistischjüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin/Boston 2016, 56–67. 16 Ausdruck dieser das ganze 20. Jh. prägenden Forschungsepoche sind die großen Sammelwerke und Hilfsmittel zur frühjüdischen Literatur: JSHRZ, OTP, PVTG; GERHARD DELLING, Bibliographie zur jüdisch-hellenistischen und intertestamentarischen Literatur 1900–1970, TU 106, Berlin 21975; ANDREAS LEHNARDT, Bibliographie zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, JSHRZ VI/2, Gütersloh 1999; ALBERT-MARIE DÉNIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, 2 Bde., Turnhout 2000; LORENZO DITOMMASO, A Bibliography of Pseudepigrapha Research 1850–1999, JSPE.S 39, Sheffield 2001. 17 Einen Überblick über die Fülle der auf das Alte Testament bezogenen Texte in der patristischen und byzantinischen Überlieferung gibt jetzt das Sammelwerk von RICHARD BAUCKHAM/JAMES R. DAVILA/ALEXANDER PANAYOTOV (Hg.), Old Testament Pseudepigrapha. More Noncanonical Scriptures, Grand Rapids/Cambridge 2013.

3. Gattungen, Themen und Inhalte jüdisch-hellenistischer Literatur

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sahen, ein ähnliches Interesse an solchen Texten und kommen daher als Kandidaten für die literarische Produktion der betreffenden Schriften in Frage, die auf dieselbe ‚biblische‘ Tradition Bezug nehmen. Ich kann hier keinen Überblick über das weite Feld der einschlägigen Quellen geben, sondern greife lediglich eine kleine Auswahl von Beispielen heraus, die den Reichtum der auf die Bibel bezogenen spätantiken religiösen Literatur und die Komplexität der Frage nach ihren Ursprüngen illustrieren soll. 3.1 Joseph und Aseneth 18 Diese hübsch und zugleich gezielt erzählte Geschichte 19 greift aus der umfangreichen biblischen Überlieferung zu Josef eine Episode heraus, die in der Bibel nur einen einzigen Vers einnimmt: Die Hochzeit Josefs mit der Tochter eines ägyptischen Priesters. 20 Aus diesem einen Bibelvers spinnt der Autor unserer Erzählung so etwas wie eine love story heraus, mit allen Ingredienzien eines antiken Romans (sex, crime, religion). Was uns hier allein interessiert, ist die Darstellung Josefs in dieser Erzählung. Josef wird nicht bloß als schöner, brillant auftretender jugendlicher Liebhaber gezeichnet, sondern geradezu wie eine Himmelsgestalt. Als Aseneth ihn erstmals zu sehen bekommt, durch das Fenster ihres weit abliegenden Wohngemachs bei seiner Ankunft im Palast ihrer Eltern, erscheint er ihr wie „die Sonne aus dem Himmel“, die „in ihrem Wagen zu uns gekommen“ ist und „in unser Haus hineingegangen und leuchtet hinein wie ein Licht auf die Erde“. Durch solch himmlische Ausstrahlung Josefs völlig überwältigt, sieht Aseneth ein, dass Josef nicht etwa, wie sie bisher dachte, nur ein Hirtensohn ist, sondern „der Sohn Gottes“, denn: „Welcher Mensch auf der Erde kann solche Schönheit zeugen und welcher Frauenleib solches Licht gebären?“ 21 Etwas später, als ein anderes himmlisches Wesen, „ein Mensch aus dem Himmel“, der ganz genauso aussieht wie Josef, in Aseneths wohl verschlossenes Gemach tritt und sich als „der Anführer des Hauses des Herrn und der Heerführer aller Heeresmacht des Höchsten“ vorstellt, bekehrt sich Aseneth endgültig von ihrem Götzendienst zu dem einen, einzigen Gott. 22 Ist dieses Bild des ‚himmlischen Josef‘ nun eine spätantike christliche Imagination, gestaltet nach dem Vorbild des himmlischen Christus,

18 CHRISTOPH BURCHARD, Joseph und Aseneth kritisch herausgegeben, PVTG 5, Leiden, Boston 2003; UTA BARBARA FINK, Joseph und Aseneth. Revision des griechischen Textes und Edition der zweiten lateinischen Übersetzung, FoSub 5, Berlin/New York 2008. 19 Zur Erzählstrategie vgl. ECKART REINMUTH, Joseph und Aseneth. Beobachtungen zur erzählerischen Gestaltung, in: DERS. (Hg.), Joseph und Aseneth, SAPERE 15, Tübingen 2009, 141–157. 20 Gen 41,45. 21 JosAs 6,1–5. Übersetzungen nach REINMUTH, Joseph und Aseneth (Anm. 19). Außer in 6,3.5 wird Josef auch noch in 13,13; 18,11; 21,4.20 „Sohn Gottes“ genannt. 22 JosAs 14,2–9.

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also eine Art Typos für Jesus, oder haben wir hier nichts weiter als eine idealisierte Vorstellung des biblischen Josef vor uns, der mit den Ausdrucksmitteln eines stark hellenistisch beeinflussten, ‚synkretistischen‘ oder gar ‚mystischen‘ Judentums gezeichnet wird? 23 3.2 Testamente der Zwölf Patriarchen 24 Auch dieses Werk, eine Sammlung von zwölf Abschiedsreden, gehalten von den zwölf Söhnen Jakobs angesichts ihres bevorstehenden Todes, ist ausschließlich in christlichen Abschriften überliefert. Lediglich Teile daraus sind auch in aramäischer oder hebräischer Sprache erhalten. Allerdings gibt es keine Indizien dafür, dass auf semitischer Sprachebene schon eine Sammlung von mehreren oder gar zwölf Patriarchentestamenten existierte. Das Aufbauschema der einzelnen Testamente entspricht freilich einem Muster, das auch schon in der frühjüdischen Paränese verbreitet war: Auf einen autobiographischen Rückblick folgen ethische Ermahnungen sowie ein Ausblick auf die eschatologische Zukunft, insbesondere auf das Endgericht Gottes. 25 Während die autobiographischen Passsagen aus biblischen und außerbiblischen jüdischen Überlieferungen zum Leben der einzelnen Patriarchen bestehen und die ethischen Abschnitte ganz den Konventionen frühjüdischer Toraparänese entsprechen, begegnen in den eschatologischen Abschnitten im Testament des Levi Bezugnahmen auf einen „neuen Priester, den der Herr erwecken wird“ bzw. auf „einen Stern, der am Himmel aufgehen wird wie ein König, der aufleuchten lassen wird Licht der Erkenntnis wie am Tag der Sonne“. 26 Im Testament Judas ist die Rede von einem „Stern, der aufgehen wird aus Jakob in Frieden“, einem Menschen, der aufstehen wird aus meinem Samen wie die Sonne der Gerechtigkeit, wandelnd mit den Menschen in Sanftmut und Gerechtigkeit, und an ihm wird keinerlei Sünde gefunden werden. Und über ihn werden sich die Himmel öffnen auszugießen die Segensgabe des heiligen Geistes des Vaters. Und er selbst wird ausgießen den Geist der Gnade über euch 23 DIETER SÄNGER, Antikes Judentum und die Mysterien. Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Joseph und Aseneth, WUNT II/5, Tübingen 1980, 199–204, sieht, m.E. zu Recht, in der Übertragung des Titels „Sohn Gottes“ auf Josef einen Beleg für frühjüdische weisheitstheologische Traditionen, die in JosAs stark rezipiert worden sind. ANGELA STANDHARTINGER, Zur Wirkungsgeschichte von Joseph und Aseneth, in: REINMUTH, Joseph und Aseneth (Anm. 19), 219–234: 220–223, führt Belege für die Rezeption (von Teilen) der Schrift in der spätantik-christlichen syrischen Literatur und in byzantinischen Menologien an. Vgl. zur jüngeren Diskussion auch DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha (Anm. 15), 190–195. 24 MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Edition of the Greek Text, PVTG I/2, Leiden 1978; HARM W. HOLLANDER/MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Commentary, SVTP 8, Leiden 1985. 25 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 73–166. 26 TestLev 18,2f.

3. Gattungen, Themen und Inhalte jüdisch-hellenistischer Literatur

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… Und durch ihn wird aufsteigen ein Zepter der Gerechtigkeit für die Völker, zu richten und zu retten alle, die den Herrn anrufen. 27

In diesen letzten Aussagen haben wir ganz offensichtlich christliche Formulierungen vor uns. Aber sind diese erst durch christliche Abschreiber in einen ursprünglich jüdischen Text interpoliert worden oder waren sie schon Bestandteil einer von Anfang an christlichen Textkomposition, die unter Verwendung von auf die Bibel bezogenen, möglicherweise schon vorchristlichen, also frühjüdischen Elementen zusammengestellt wurde? Die Textkritik kann diese Frage offensichtlich nicht beantworten. 28 3.3 Sibyllinische Orakel 29 Dieses Werk besteht aus ungefähr einem Dutzend von Büchern mit prophetischen Spruchsammlungen in Hexametern, die der heidnischen Prophetin Sibylla (bzw. verschiedenen Prophetinnen dieses Namens) zugeschrieben werden, einer in hellenistisch-römischer Überlieferung durchaus populären Figur, von deren Prophetien allerdings abgesehen von unserer Sammlung faktisch nichts überliefert ist. 30 Die Texttradition der sibyllinischen Bücher ist chaotisch und spät (ab dem 14. Jh.). In ihrer überlieferten Gestalt ist die Sammlung eindeutig christlich. 31 Teile von Buch drei, vier und fünf werden allerdings meist als ursprünglich jüdisch angesehen, da sie weitgehend aus apokalyptischen Zukunftsansagen und Vorstellungen vom Endgericht bestehen, einschließlich entsprechender traditioneller paränetischer Ermahnungen zu einer Lebensführung 27

TestJud 24,1f.6. Zur jüngeren Diskussion vgl. SIEGERT, Einleitung (Anm. 15), 663–670 (mit neuester Literatur). In der kirchenslavischen Überlieferung, die in der (in sich überaus komplizierten) Texttradition der „Paleja“ sichtbar wird, sind die Zwölfertestamente offenbar mit einem dezidiert antijüdischen Akzent versehen worden. Vgl. dazu CORNELIA SOLDAT, The Testaments of the Twelve Patriarchs in the Russian Tradition and the Contexts of Their Reception, in: LORENZO DITOMMASO/CHRISTFRIED BÖTTRICH (Hg.), The Old Testament Apocrypha in the Slavonic Tradition. Continuity and Diversity, TSAJ 140, Tübingen 2011, 407–427. 29 JÖRG-DIETER GAUGER, Sibyllinische Weissagungen Griechisch-deutsch. Auf der Grundlage der Ausgabe von ALFONS KURFESS neu übers. u. hg., Düsseldorf/Zürich 1998. 30 Vgl. SIEGERT, Einleitung (Anm. 15), 501–512. Eine Inhaltsübersicht über alle Bücher gibt HELMUT MERKEL, Sibyllinen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998, 1046–1059. Zur Erforschung der sibyllinischen Bücher vgl. ausführlich RIEUWERD BUITENWERF, Book III of the Sibylline Oracles and its Social Setting, SVTP 17, Leiden, Boston 2003, 5–134; zur Textüberlieferung der sibyllinischen Orakel und besonders zu Buch 1 und 2 vgl. OLAF WASSMUTH, Sibyllinische Orakel 1–2. Studien und Kommentar, AGJU 76, Leiden/Boston 2011, 17–86. 31 Ein Akrostichon in 8,217ff. lässt sich als „Jesus – Christus – Sohn Gottes – Retter – Kreuz“ entschlüsseln. Auch für die Sibyllinischen Orakel gibt es eine eigene, spezifisch akzentuierte kirchenslavische Texttradition. Vgl. dazu MICHAEL PESENSON, The Sibylline Tradition in Medieval and Early Modern Slavic Culture, in: DITOMMASO/BÖTTRICH, The Old Testament Apocrypha in the Slavonic Tradition (Anm. 28), 353–372. 28

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Außerkanonische Schriften im antiken Christentum

nach den Grundsätzen der jüdischen Tora, 32 ohne dabei im Geringsten auf Jesus Christus oder auf spezifisch christliche Endzeitvorstellungen Bezug zu nehmen. Wir können also annehmen, dass schon im Griechisch sprechenden, stark durch hellenistisch-römische Einflüsse geprägten Judentum die Tradition sibyllinischer Weissagungen wohl bekannt war und diese literarische Form einer ursprünglich paganen Prophetie dort übernommen wurde, um die eigenen paränetischen Intentionen und eschatologischen Erwartungen zum Ausdruck zu bringen, ausgesprochen von einer mythischen Gestalt, die sich als Verwandte Noachs auch in die biblische Ur- und Frühgeschichte einordnen ließ. 33 Später haben dann christliche Leser, die offensichtlich wenigstens einen Teil der paränetischen und eschatologischen Überzeugungen dieser ‚jüdischen‘ (aber für sie natürlich heidnisch-biblischen Sibylle) teilen konnten, diese literarische Form und mit ihr auch viele der Inhalte übernommen, um nunmehr ihre eigenen, spezifisch christlichen Glaubensaussagen zum Ausdruck zu bringen. 34 Und häufig ist es eben schwierig bis geradezu unmöglich, genau zu unterscheiden, welche Sprüche oder Teile der sibyllinischen Bücher nachweislich jüdischen Ursprungs sind und welche auf christliche Verfasser zurückgehen. 35 Das ist typisch für einen Großteil der jüdisch-hellenistischen Literatur, die uns in der Überlieferung christlicher Leser und Abschreiber aus der Spätantike erhalten geblieben ist.

4. Pseudo-Menander als Testfall 4. Pseudo-Menander als Testfall Wenn wir einen sachgemäßen Einblick in das Milieu gewinnen wollen, in welchem die hier nur kurz besprochenen Texte in der Spätantike gelesen und gebraucht (und abgeschrieben) wurden, mag es nach dem zuvor Gesagten wohl geraten sein, nicht allzu genau zwischen ‚jüdischem‘ und ‚christlichem‘ Ursprungs- und Überlieferungsmilieu zu unterscheiden. Wahrscheinlich ist es eher angemessen, das Feld der Überschneidungen religiöser Interessen von Juden und Christen in der Spätantike genauer zu beobachten und zu vermessen, etwa auf dem Gebiet der Ethik, der Zukunftserwartungen oder des Gottesverständnisses, ganz unbeschadet der natürlich unverkennbar auch bestehenden

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Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 25), 169–185. Nach Sib 1,283–290 und 3,809–829 ordnet sich die Sibylle selbst als Schwiegertochter Noachs, die nach der Flut in Babylon lebte und durch Gott von dort aus als Prophetin nach Griechenland gesandt wurde, der biblischen Geschichte ein. 34 Zur jüngeren Debatte um jüdischen und/oder christlichen Ursprung vgl. DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha (Anm. 15), 181–189. 35 WASSMUTH, Sibyllinische Orakel 1–2 (Anm. 30), möchte auch aus Sib 1 und 2 eine jüdische Grundschrift rekonstruieren. 33

4. Pseudo-Menander als Testfall

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Differenzen und Konflikte hinsichtlich theologischer oder religiöser Überzeugungen, etwa im Blick auf Christologie oder Ekklesiologie. Als Testfall dafür möchte ich nun eine eher unbekannte Quelle etwas näher betrachten, die Sammlung der syrischen Sentenzen des Menander, ein m.E. durchaus faszinierendes Beispiel spätantiker religiöser Literatur. 36 Dabei möchte ich in aller Kürze besonders auf die theologischen Begründungen der ethischen Ermahnungen hinweisen. In den Beständen der British Library findet sich unter den antiken syrischen Manuskripten aus dem ägyptischen Kloster Dayr as-Suryan, die ursprünglich aus Mesopotamien stammen, eine Sammlung von Weisheitssprüchen, die „Menander dem Weisen“ zugeschrieben werden. 37 Die längste Fassung (BL Add. 14658 = „Florilegium“) umfasst etwa 500 Zeilen in rund 100 Texteinheiten (je nach Einteilung und Anordnung des Textes). Eine kürzere Version von ca. 40 Zeilen (BL Add. 14614 = „Epitome“) ist nach Inhalt, Wortlaut und Anordnung weitgehend identisch mit den jeweils korrespondierenden Versen des Florilegiums, aber in kürzere Texteinheiten von jeweils ein bis vier Zeilen unterteilt. Eine dritte Fassung desselben Gnomologions ist erst kürzlich von Yury

36 Eine Neuedition mit Übersetzung und Kommentar bietet DAVID G. MONACO, The Sentences of the Syriac Menander. Introduction, Text and Translation, and Commentary, Piscataway 2013. Bis dahin maßgeblich waren die Übersetzungen von FRIEDRICH SCHULTHESS, Die Sprüche des Menander, aus dem Syrischen übersetzt, ZAW 32, 1912, 199–224; JEANPAUL AUDET, La sagesse de Ménandre l’Ègyptien, RB 59, 1952, 55–81, und TJITZE BAARDA, The Sentences of the Syriac Menander, in: JAMES H. CHARLESWORTH (Hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, Bd. 2, London/New York 1985, 583–606. Eine russische Übersetzung mit Kommentar bietet YURY N. ARZHANOV, Sirijskije Vetchosavetnije Psevdoepigrafij, Sankt Petersburg 2011, 157–226. Ausführlicher haben sich mit Pseudo-Menander in jüngerer Zeit darüber hinaus nur beschäftigt MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979, 313–318; ALAN KIRK, The composed life of the Syriac Menander, SR 26, 1997, 169–183; DERS., The Composition of the Sayings Source. Genre, Synchrony, and Wisdom Redaction in Q, NT.S 91, Leiden u.a. 1998, 137–140; PAOLO BETTIOLO, Dei casi della vita, della pietà e del buon nome. Intorno ai ‚detti‘ siriaci di Menandro, in: MARIA SERENA FUNGHI (Hg.), Aspetti di litteratura gnomica nel mondo antico I, Florenz 2003, 83–103; J. CORNELIS DE VOS, The Decalogue in PseudoPhocylides and Syriac Menander: ‚Unwritten Laws‘ or Decalogue Reception?, in: DOMINIK MARKL (Hg.), The Decalogue and Its Cultural Influence, HBM 58, Sheffield 2013, 41–56; DERS., Rezeption und Wirkung des Dekalogs in jüdischen und christlichen Schriften bis 200 n. Chr., AGJU 95, Leiden/Boston 2016, 200–202. Anders als nach DITOMMASO, Bibliography (Anm. 16), 729, zu vermuten, habe ich in meiner Dissertation zu PseudMenand nichts geschrieben, sondern lediglich etwas zum von unserem Text zu unterscheidenden, zu dem so genannten ‚Dramatiker-Gnomologion‘ zu rechnenden Fragment unter dem Namen Pseudo-Menander (Philemon), vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 25), 227–231. 37 YURY ARZHANOV, Archäologie eines Textes: Die Menander-Sentenzen in syrischen Spruchsammlungen, ZAC 19, 2015, 69–88.

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Arzhanov identifiziert worden. Sie findet sich auf den (heute stark beschädigten) Deckblättern eines weiteren Manuskripts derselben Sammlung (BL Add. 14598) und umfasst knapp 100 Zeilen. 38 Die syrischen Manuskripte lassen sich in das 7. (BL Add. 14658), 8. (BL Add. 14614) sowie 7. und 9. Jh. (BL Add. 14598) datieren, wobei allerdings die Handschrift mit dem Text von PseudMenand auf den Deckblättern von BL Add. 14598 erst in das 10. bis 13. Jh. verweist. Die Handschrift mit der längsten Fassung enthält außer PseudMenand noch mehrere ursprünglich griechische philosophische Werke in syrischer Übersetzung (u.a. von Aristoteles, Porphyrios, Galen) sowie originalsyrische theologische und philosophische Schriften des Sergius von Reschaina, eines syrischen Arztes und Priesters aus dem 6. Jh. (gest. 536), darüber hinaus aber auch weitere ursprünglich syrische Werke wie den berühmten Brief des Mara bar Serapion. 39 Das Konvolut, zu dem die Deckblätter mit der dritten Version der Sprüche des syrischen Menander gehören, enthält noch Werke des Philoxenus von Mabbug, eines anderen syrischen Theologen aus dem 6. Jh. (gest. 523). Hier ist unsere Sentenzensammlung allerdings nicht Menander zugeschrieben, sondern „Amrus, dem griechischen Philosophen“ (also Homer). Eine Analyse der Handschrift, der Textanordnung und des Inhalts ergibt freilich eindeutig, dass es sich um eine weitere Version der syrischen Sentenzen des Menander handelt, die entweder direkt auf dem Florilegium oder auf einer verlorenen Kopie davon basiert. 40 Die ethischen Themen der Sentenzen des syrischen Menander sind vielfältig und breit gestreut, wie es bei antiken weisheitlichen Spruchsammlungen häufig

38

YURY ARZHANOV, AMRUS PHILOSOPHUS GRAECUS. A New Witness to the Syriac Sentences of Menander, Le Muséon 130, 2017, 71–121. 39 Er hat in jüngerer Zeit als angeblich nichtchristliches Zeugnis für Jesus aus dem 1. Jh. eine gewisse Karriere in der Jesus-Forschung gemacht (bis hinein in das verbreitete Studienbuch von GERD THEISSEN/ANNETTE MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 4 2011, 84–86), was aber mit Blick auf Datierung und Inhalt des Textes durchaus mit Fragezeichen versehen werden kann, vgl. KATHLEEN E. MCVEY, A Fresh Look at the Letter of Mara Bar Sarapion to his Son, in: RENE LAVENANT (Hg.), V Symposium Syriacum, 1988, Rom 1990, 257–272; ANNETTE MERZ (Hg.), The Letter of Mara bar Sarapion in Context. Proceedings of the Symposium Held at Utrecht University, 10 – 12 December 2009, Leiden 2012. 40 ARZHANOV, AMRUS PHILOSOPHUS GRAECUS (Anm. 38).

4. Pseudo-Menander als Testfall

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der Fall ist. Die Formen der Texteinheiten variieren 41 und reichen von Einzeilern (Monostichoi) 42 über Chrien 43 und kürzere Spruchkompositionen 44 bis hin zu Clustern von Sprüchen zu verschiedenen Lebensbereichen. 45 Allerdings zeigt das Florilegium durchaus eine gewisse sachliche Ordnung des ethischen Materials. Die einzelnen Mahnungen sind ungefähr entlang der Lebenslinie eines Menschen aufgereiht und geordnet in der Folge der Lebensphasen von Geburt, Kindheit, Pubertät, Jugend, Ehe, Familie, Reife, Alter und Tod. 46 Der Tod ist überhaupt ein zentrales Thema der Sammlung 47 und schließt sie programmatisch mit einem theologisch begründeten Ausblick ab: Und das (sc. das Grab) ist der Ruheort, den Gott den Menschen bereitet hat, damit sie sich darin ausruhen von den Übeln, die sie in ihrem Leben erfahren haben. 48

Darüber hinaus und in diesem biographischen Rahmen werden so gut wie alle Gebiete menschlichen Alltagslebens berührt, soweit sie die Lebensverhältnisse einer wohlhabenden Familie in einer zivilisierten, städtischen Gesellschaft berühren. Dieses Leben spielt sich ab in einem Haushalt, zu dem außer der Familie auch Sklaven gehören (41.62). Die zwischenmenschlichen Verhältnisse im Haus und in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sollen von Freundschaft geprägt sein (6.39f.64.73). Thematisiert werden aber ebenso der Umgang mit Be-

41

Vgl. KIRK, The Composition of the Sayings Source (Anm. 36), 138–140; KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 36), 306–309. Offenbar handelt es sich im Syrischen um Prosa. Ob dem in einer anderssprachigen Vorlage ein Versmaß zugrunde lag, sei es ein semitisches (parallelismus membrorum) oder ein griechisches (Hexameter oder jambische Trimeter), lässt sich kaum sicher sagen. Die Monostichoi des Menander waren immerhin in jambischen Trimetern formuliert. 42 Z.B. PseudMenand 68–97 (Paragraphenzählung nach SCHULTHESS, auch angegeben bei BAARDA). 43 Z.B. PseudMenand 17 über Gewalt gegen ältere Menschen (mit Bezug auf einen Dialog zwischen Homer und seinen Freunden). 44 Z.B. PseudMenand 15f. über Faulheit und Fleiß, 52–54 über Geschwätzigkeit und Verschwiegenheit. 45 Z.B. 18f.: Verhalten gegenüber Eltern und älteren Menschen; 27–32: Behandlung von Sklaven; 52–58: Trinken und Essen. 46 So KIRK, The composed Life (Anm. 36), 172. Allerdings wird das Alter auch gleich zu Beginn der Sammlung mit Blick auf die alten Eltern thematisiert, so dass sich im Grunde ein Lebenszyklus ergibt, der immer wieder von Geburt zu Alter und Tod führt. KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 36), 309, findet dagegen in der Logiensammlung „keine gewollte, gedankliche Abfolge“. 47 Vgl. PseudMenand 19.22.38.54–56.64.67.69.73. 48 PseudMenand 101 = MONACO X 6: „And this, this is the place of rest which God has ordained for people, that they might rest in it from the evils which they see in their lives.“ Da des Syrischen nicht mächtig, zitiere ich hier und im Folgenden jeweils die deutsche Übersetzung von Schultheß und gebe in den Fußnoten die englische von Monaco mit seiner Zählung wieder.

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sitz (25.36.63.65) und das Geschäftsleben (24.26.36.56), bis hin zu Auseinandersetzungen vor Gericht (23f.35.55.57). Die Ermahnungen sind durchweg an Männer gerichtet, beziehen sich aber auf die Beziehungen zwischen Mann und Frau (20.59), Eltern und Kindern (1f.5–7.17f.38.64), Jungen und Alten (3.19. 66.70), Reichen und Armen (42.47f.56.71.87–91). Im Alltagsleben, wie es in den Mahnungen vorausgesetzt ist, gibt es Liebe und Streit (22–24.33. 37.60f. 72.78.84), Trinkgelage und Prassereien (10–14), Arroganz und Geiz (45f.74), sex and crime (8f.43), Diebstahl und Mord (4.25.28.44.50), Angst (67) und Krankheit (75.92.96.98), aber ebenso Jugendfreuden (70–75), anständigen (56) und herrlichen Reichtum (87), Ruhe und Gesundheit (90–92), Glück und Vergnügen (92), Schönheit des Aussehens und Frohsinn (95f.). Allerdings: Die Hefe aller Übel ist die Armut, wenn sie beim Alter einkehrt. Und der Schluß des Lebens ist der Tod. Die Schönheit deckt das Grab zu. Das Fieber zerstört die Schönen. 49

Die Lebenshaltung, die hier exemplarisch vor Augen geführt wird, soll durch Gottesfurcht geleitet sein, wie gleich zu Anfang der Sammlung und dann noch mehrfach betont herausgestellt wird: Vor allem sollst du Gott fürchten, und Vater und Mutter ehren, und das Alter nicht verlachen, denn auf ihm gehst und stehst du. 50 Fürchte Gott allezeit, damit du ihn in deiner Not anrufen kannst und er auf deine Stimme hört. 51 Der Urquell aller Güter ist die Gottesfurcht, und sie befreit aus allen Übeln, und sie ist ein Kapital. 52

Andere Verse verweisen auf die Weisheit als ethischen Maßstab: Und wenn dein Sohn aus seiner Jugend bescheiden und klug heraustritt, so lehre ihn das Buch der Weisheit; denn das Buch ist dazu gut, daß man es lerne: es ist ein klares Auge und eine treffliche Zunge. 53 Weisheit hält vom Bösen zurück. 54

49

PseudMenand 93–96 = MONACO IX 24f.: ”Poverty is the dregs of everything evil when it rests upon old age, and the last course of life is death. The grave conceals what is broken. A fever destroys beautiful people.“ 50 PseudMenand 2 = MONACO I 2: „Fear God and honor both (your) father and mother and do not laugh at old age, because you will arrive and will remain upon it.“ Monaco zieht die Wendung „before everything“ zum Ende des vorangehenden Satzes. 51 PseudMenand 21 = MONACO II 11: „You should fear God at all times, so that in your adversity, you may call him, and he will hear your voice.“ 52 PseudMenand 68 = MONACO VII 30: „The main fount of all good things is the fear of God, and it sets (one) free from all evil things.“ 53 PseudMenand 7 = MONACO I 6: „Now if your son goes forth from his childhood humble and wise, teach him letters and wisdom, for reading is good for him to learn. It is enlightened eyes and an excellent tongue.“ 54 PseudMenand 79 = MONACO IX 8: „Wisdom restrains (one) from evil.“

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An einer Stelle taucht als Instanz des geforderten Verhaltens auch „das Gesetz“ auf: Halte den Knaben vom Bösen ab. Die Schule hält vom Tode fern, Handwerk errettet vom Bösen; ein göttlicher Berater ist das Gesetz. 55

Polemische Bezugnahmen auf „Priester“ und „ihre Götter“ könnten vielleicht Hinweise auf Auseinandersetzungen mit paganer religiöser Praxis aus jüdischer Perspektive sein: Den König aber ehren seine Großen und die Pfaffen verachten ihre Götter. 56 Zuchtlos ist der Pfaffe, der seine Götter verachtet. Und wenn du einen schlechten Pfaffen in dein Haus lädst, rühmt er dich bei seinem Eintritt und bei seinem Weggang murrt er. Wenn du ihm Speise vorsetzest, geht seine eine Hand zum Munde und die andere errafft die Speise und legt sie in seinen Ranzen, damit er sie seinen Kindern bringe. Da hab den Hund lieber als den Pfaffen: wenn der Hund Speise übrig hat, läßt er sie in deinem Hause liegen; wenn aber der Pfaffe Speise übrig hat, schafft er sie für seine Kinder fort und murrt obendrein. 57

Aber ansonsten werden die Ermahnungen häufig nur durch ganz allgemeine Verweise auf Gott motiviert, und irgendwelche spezifisch jüdischen Gebote oder Vorschriften kommen nicht vor: 58 Wer älter ist als du, den ehre, denn Gott läßt dich zu Ehre und Ansehen aufsteigen. 59 Auf die Worte deines Vaters und deiner Mutter höre jeden Tag, und wolle sie nicht reizen und schmähen, denn einem Sohne, der Vater und Mutter schmäht, sinnt Gott auf Tod und Unglück. 60 Und die Armut verachte nicht, denn schon oft ist einer sehr schlimm gefallen, sodaß kein Mensch ihm zutraute, daß er sich wieder auf die Füße stellen würde, aber auf einmal nahm ihn Gott bei der Hand, richtete ihn auf und ließ ihn zu großer Ehre gelangen. Denn nicht

55 PseudMenand 51 = MONACO VII 10–12: „Restrain a boy from bad things, for (it is) the house of books (that) keeps (one) far from death. Craftsmanship is free from evil. The law is a divine call.“ 56 PseudMenand 45 = MONACO VI 12: „For his great ones honor the king, but their priests, the tutors of a priest who scorns his gods, scorn the gods.“ Vgl. auch die Kritik an „Zauberei” und „Chaldäerkunst“ in PseudMenand 49. 57 PseudMenand 46 = MONACO VI 13: „Now if you invite a knavish priest to your house, when he enters, he blesses you, but when he leaves, he complains. And if you should put food before him, his one hand goes to his mouth, and the other one takes away the food and places (it) in his bag to hand over to his sons. Love a dog more than such a priest. If the dog leaves food behind, he leaves (it) in your house, but if the priest leaves food behind, he hands it over to his sons, and he complains needlessly.“ 58 Vgl. KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 36), 305f. 59 PseudMenand 3 = MONACO I 2: „Honor the one older than you, so that God will lift you up to honor and to dignity.“ 60 PseudMenand 5 = MONACO I 4: „You should listen to the words of your father and your mother each day, and do not seek to annoy and to dishonor them, for (as to) whatever son who annoys and dishonors his father and his mother, God considers his death and his misfortune.“

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ewig besteht der Reichtum und nicht zu aller Zeit besteht die Armut, denn alle Dinge sind Zufälle. 61 Den schlechten Sklaven, der seine Herrschaft haßt und beschimpft, den haßt Gott. 62 Jeden schlechten Mann hat Gott in Sklaverei gegeben, und jeder fleißige Mann verdient zu Ehre und Größe aufzusteigen. 63 Wenn du dich sorgst, stirbst du, und wenn du dich betrübst, lebst du in Ewigkeit nie. Ist doch kurz und eng das Lebensmaß, das Gott den Menschen von Natur bestimmt hat, und viel Schlimmes hat er ihm mit wenigem Gutem gemischt. 64

Summierend und tiefer reflektierend heißt es schließlich gegen Ende der Sammlung: Der Tod zerstört das Bestehende; aber zehn Teile macht das Todesschicksal und zerstört dann einen bestimmten Teil. Diese Übel und Güter sind im Leben der Menschen gemischt, abgerechnet das Fieber, den Schüttelfrost, die Schmerzen und die gewaltigen Katastrophen die man die „Todesengel“ nennt; und niemand kann für sich wählen und nehmen, was gut, und sich von dem fernhalten, was übel ist, sondern nach dem Maße, das Gott den Menschen gegeben, gehen sie, solange als ihnen Gott zu leben gibt. Darum muß es die Menschen auch nicht betrüben, daß sie nicht über das ihnen Bestimmte hinaus leben können, noch müssen wir gegen Gott murren wegen der Übel, die über uns kommen; denn wie oft bringts einer, auch wenn es ihm übel ergeht, zu Ehre und Größe! 65

61 PseudMenand 19 = MONACO II 8f.: „And do not laugh at the words of old age, and do not sneer at old age, and do not scorn poverty, because defects come with old age, and a person (must) accept them, but upon his descent into the grave there will be gentleness upon him. For there is a man who fell very badly, and no person was believing about him that he would arise upon his feet, but one moment, God seized his hand and he raised him up and was bringing him to great honor, because riches are not eternal and poverty is not for all time, for all these things are chance.“ (Schultheß hat den Satzteil „und die Armut verachte nicht“ entgegen der Überlieferung umgestellt und unmittelbar vor das Bild vom Gefallenen gerückt). 62 PseudMenand 29 = MONACO IV 2: „God hates an evil slave who hates and dishonors his masters.“ 63 PseudMenand 32 = MONACO IV 5: „God gives (over) every evil man to slavery, and he esteems every industrious man worthy to arise to honor and greatness.“ 64 PseudMenand 67 = MONACO VII 29: „If you are anxious, you will die, and if you are sad, you will never be (really) alive. For the measure of life which God has ordained for people is sorrowful and restricted, and he mixed for them many bad things with few good things.“ Vgl. auch PseudMenand 98. 65 PseudMenand 97–99 = MONACO X 3f.: „Death destroys right actions, nevertheless, what is set aside makes ten parts, and then, one thing spoils those things that are fashioned. These bad things and good things are mixed in the course of life of people, (above and) beyond fever, and a shivering fit, and diseases, and great catastrophes which are called messengers of death, and no one is able to choose to take for himself something which is beautiful, or to be removed from something which is evil, but (rather) in the measure which God gives to them, to people who walk (for) as much time as he gives them to live. Nor ought people to be feel sad, because they are not able to live longer than what is determined for them, nor ought we to be angry against God because of the evils which come against us. But

4. Pseudo-Menander als Testfall

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Solche Spruchsammlungen wie die hier vorgestellte der syrischen Sentenzen des Menander können einerseits als eindrucksvolle Belege für die Rezeption des Systems umfassender griechischer Erziehung (enkyklios paideia) in der frühjüdischen paränetischen Literatur ebenso wie in den christlichen Klöstern der Spätantike angesehen werden. 66 Andererseits sind sie aber damit nicht weniger ‚jüdisch‘ und nicht weniger ‚christlich‘ – und demnach auch nicht weniger ‚biblisch‘ – als andere Teile der in der christlichen Spätantike gelesenen und tradierten religiösen Literatur. Moralische Werte und ethische Ermahnungen, die in der orientalischen Weisheitsüberlieferung ebenso verbreitet waren wie in der griechisch-römischen Popularphilosophie oder der biblisch-jüdischen, weisheitlich geprägten Toraparänese, wurden in christlichen (vor allem klösterlichen) Kreisen rezipiert und über die mittelalterlichen bis in die modernen europäischen Gesellschaften weitergetragen, nicht selten vermittelt auf arabisch-muslimischen Überlieferungswegen. Indizien für irgendwelche spezifisch christlichen Einflüsse oder Inhalte finden sich in den syrischen Sentenzen des Menander nirgendwo. Allerdings weisen die syrischen Handschriften (und damit die einzig erhaltenen Textzeugen) eindeutig in das Milieu christlicher, klösterlicher Überlieferung. Gehören also die syrischen Sentenzen des Menander zur frühjüdischen Literatur? Und inwiefern gehören sie in den Gesamtzusammenhang biblischer Überlieferung? Die Frage nach einer ‚ursprünglichen‘ Textfassung von in der Spätantike tradierten Weisheitsschriften oder nach deren ursprünglicher religiöser und kultureller Herkunft kann oft nicht eindeutig beantwortet werden. 67 Für die syrischen Sentenzen des Menander könnte sich die Annahme eines griechischen Originals immerhin nahelegen, wenn man die häufiger belegbare Heranziehung von Namen klassischer griechischer Autoren für aktuelle ethische oder auch theologisch-philosophische Unterweisungen in der frühjüdischen Literatur in Betracht zieht. 68 Freilich wurde der Name Menander auch in

for how many times, even when a person does evil things, does he arrive at honor and greatness?“ 66 KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 36), 318, siedelt sie „am äussersten Rand dessen, was man noch frühjüdische Literatur nennen kann“, an. 67 Sehr zurückhaltend mit Blick auf PseudMenand urteilt SIEGERT, Einleitung (Anm. 15), 596: „Der Annahme jüdischen Ursprungs steht nichts im Wege als die syrische Sprachform; diese konnte aber ohne Mühe aus einer jüdisch-aramäischen hergestellt worden sein. Doch auch das frühe Christentum syrischer Sprache kann einen solchen Text hervorgebracht haben.“ 68 Dafür plädiert auch ARZHANOV, Archäologie (Anm. 37), der (vergröbert gesagt) eine mehrfache „Schichtung“ annimmt: griechische Monostichoi des Menander – jüdische Weisheitsschrift (auf Griechisch) – christlich-asketische Schrift (auf Syrisch), wobei nicht ganz klar wird, ob die Kompilation aus Menander-Sentenzen und jüdischen Weisheitssprüchen schon auf der Ebene einer griechisch-jüdischen Schrift oder erst auf der der syrischen Sammlung erfolgt ist.

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Außerkanonische Schriften im antiken Christentum

der antik-christlichen Literatur des 2. und 3. Jh. hoch geschätzt, und zwar bezeichnender Weise im Zusammenhang mit Fragmenten angeblicher oder tatsächlicher Zitate aus der griechischen Literatur, die von den Kirchenvätern im Sinne einer Praeparatio Evangelica, also als Zeugnisse für die biblische Wahrheit des Evangeliums in der ‚klassischen‘ (vorchristlichen) griechischen Literatur und bisweilen sogar Mythologie gesammelt wurden. Nach allgemein verbreiteter Annahme gehen diese Zitatsammlungen auf schon vorchristliche, eben frühjüdische Sammlungen zurück, in denen Zeugnisse aus der klassischen griechischen Dichtung für den Glauben an den einen Gott Israels zusammengestellt worden waren. 69 Damit zeigt sich auch hier wieder das gemeinsame Interesse jüdischer und christlicher Autoren und Leser, diesmal freilich nicht an biblischen Themen oder Gestalten, sondern an offensichtlich ‚heidnischen‘, die gleichwohl die Wahrheit der biblischen (sei es jüdisch oder christlich verstandenen) Botschaft bezeugen sollen. Die eingangs skizzierte Eigenart der Textüberlieferung vorrabbinischer jüdischer Literatur hat also auch hier letztlich eine theologische Ursache, den gemeinsamen Bezug auf den einen Gott der ganzen Bibel und seinen in den Heiligen Schriften zugänglichen Willen. Allerdings gibt es für die auf Syrisch überlieferten Menander-Sentenzen keine griechischen Textzeugen, und die durchaus zahlreichen spätantiken Sammlungen von einzeiligen griechischen Menandersprüchen (Monostichoi) 70 weisen im Grunde keinerlei Textübereinstimmungen mit den syrischen Sentenzen auf, abgesehen von gelegentlichen sachlichen Anklängen, die sich aber eher aus allgemein antiker Verbreitung weisheitlicher Allgemeinplätze erklären lassen. 71 Wesentlich näher steht den syrischen Sentenzen des Menander dagegen das hexametrische weisheitliche Lehrgedicht, das dem milesischen Dichter Phokylides zugewiesen wird, aber sicher jüdischen Ursprungs ist und 69 Vgl. dazu und speziell zum Dramatiker-Gnomologion, in dem auch der Name Menander auftaucht, NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 25), 227–231. Grundlegend dazu NIKOLAUS WALTER, Der Toraausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, TU 86, Berlin 1964, 150–201; DERS., Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 173–278: 244–278. 70 Vgl. dazu KURT TREU, Aspekte Menanders. Die Polis – die Götter – das Spiel, Kairos 19, 1977, 22–34 (dort aber nichts zu PseudMenand), sowie KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen (Anm. 36), 254–256. 71 Das zeigen bei näherem Hinsehen auch die bei ARZHANOV, Archäologie (Anm. 37), 75f.78f.83f. erstellten Listen von Parallelen zwischen PseudMenand und den griechischen Monostichoi des Menander: Übereinstimmungen gibt es vor allem dort, wo auch die engsten Parallelen zur frühjüdischen Weisheitsüberlieferung (vor allem zu PseudPhok und zu Sir) bestehen. Das kann m.E. ausreichend aus dem Zugang beider zur allgemein verbreiteten antiken Weisheitstradition erklärt und muss nicht als Hinweis auf eine entstehungsgeschichtliche Beziehung zwischen den griechischen Monostichoi und dem syrischen PseudMenand angesehen werden.

5. Zusammenfassung

621

aus hellenistisch gebildeten Kreisen der Diaspora stammt, wahrscheinlich aus Alexandria im 1. Jh. n. Chr. 72 Hier werden erkennbar biblisch verankerte ethische Themen und Weisungen dem ‚klassischen‘ Sentenzendichter in den Mund gelegt, um auf diese Weise einem wohl vorwiegend aus Griechisch sprechenden Juden bestehenden Lesepublikum die Forderungen der Tora lebensnah zu vermitteln. 73 Wie dieser jüdische Phokylides, so könnten auch die syrischen Menander-Sentenzen einem Milieu antik-jüdischer Weisheitstradition entstammen, in welchem biblische Frömmigkeit, frühjüdische Toraparänese, hellenistische Bildung und gemeinantike Ethik eine fruchtbare Liaison eingegangen sind. 74 Für die christlichen Abschreiber in spätantiken syrischen und koptischen Klöstern, deren Textüberlieferung auf einen offenbar stark ausgeprägten, hohen Bildungsstand verweist, scheint eine solche Mischung verschiedener antiker Religionen und Kulturen offenbar nicht nur kein Problem dargestellt, sondern vielmehr die perfekte Basis gebildet zu haben, um ihre eigenen ethischen, religiösen und auch philosophischen Überzeugungen zu entfalten, die sie freilich zweifellos nirgendwo anders als in ihrer christlichen Bibel theologisch verankert sahen.

5. Zusammenfassung 5. Zusammenfassung Blicken wir genauer auf die Rezeption der biblischen Texte von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart, so lässt sich in der gesamten Wirkungsgeschichte der Bibel selten eindeutig zwischen ‚kanonischen‘ und ‚außerkanonischen‘ Überlieferungen unterscheiden. Die Bibel, wie sie von ihren Lesern oder Hörern gelesen, verstanden und auf ihr eigenes Leben bezogen und angewendet wurde und wird – ob nun Kirchenmitglieder oder nicht, ist immer mehr als ein Buch. Ganz abgesehen von den bestehenden Differenzen hinsichtlich der genauen Reihenfolge und der Inhalte des biblischen Kanons in

72

WALTER T. WILSON, The Sentences of Pseudo-Phocylides, CEJL, Berlin/New York 2005; PIETER W. VAN DER HORST, The Sentences of Pseudo-Phocylides. With Introduction and Commentary, SVTP 4, Leiden 1978. 73 Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 25), 5–31. Dass in PseudPhok 3–8 der Dekalog rezipiert wird (im Zusammenhang mit weiteren Toratexten wie Lev 18–20 und Dtn 27), ist inzwischen weithin anerkannt, so auch von ARZHANOV, Archäologie (Anm. 37), 85f., und von DE VOS, The Decalogue (Anm. 36), 45–51. 74 Vgl. zu den anthropologischen und eschatologischen Konzepten in PseudPhok KARLWILHELM NIEBUHR, Life and Death in Pseudo-Phocylides, in: Empsychoi Logoi – Religious Innovations in Antiquity (FS P. W. van der Horst), hg. v. ALBERDINA HOUTMAN/ALBERT DE JONG/MAGDA MISSET-VAN DE WEG, AGJU 73, Leiden, Boston 2008, 469–483 [auf Deutsch in diesem Band 585–599].

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Außerkanonische Schriften im antiken Christentum

den verschiedenen Konfessionen müssen wir immer damit rechnen, dass Traditionen der Auslegung der Schrift bei ihrem Verständnis leitend sind, auch wenn sie nicht Eingang in die Textüberlieferung der biblischen Schriften gefunden haben. Oft wurden solche Auslegungstraditionen nur in außer- oder nichtbiblischen Texten aufbewahrt und überliefert, z.T. vielleicht auch erst in spätantiken oder mittelalterlichen ‚Lesegemeinschaften‘ der Bibel produziert. Solche ‚außerkanonischen‘ Texte aus ‚vormodernen‘ Zeiten können daher erheblich dazu beitragen, unsere oft immer noch durch eine modern-historistische Engführung begrenzten Sinne zu öffnen für ein echtes Verständnis der Bibel im Leben ihrer Leser. Für christliche Leser, deren Bibel aus Altem und Neuem Testament besteht, bildet die Heilige Schrift die Grundlage des christlichen Glaubens und Lebens. Biblische Aussagen und Inhalte aus beiden Teilen der christlichen Bibel wurden und werden von ihnen als das lebendige Wort Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, wahrgenommen. Alttestamentliche Gestalten oder Texte sind in der christlichen Auslegungsgeschichte der Bibel daher immer aus dem Blickwinkel ihrer Interpretation im Neuen Testament und auf der Grundlage des Glaubens an Jesus Christus rezipiert worden, selbst wenn dieses christliche Grundverständnis alttestamentlicher Überlieferungen nicht in jedem Fall explizit in die biblischen oder außerbiblischen Texte eingetragen worden sein musste. Deshalb ist es nicht immer einfach, zwischen ‚jüdischen‘ oder ‚christlichen‘ antiken Schriften eindeutig zu unterscheiden, und zwar mit Blick auf ihre Herkunft, ihre Rezeption und ihre Überlieferung. Für die Untersuchung solcher außerkanonischen Schriften der Spätantike könnte es aber vielleicht ohnehin wichtiger sein, die Überschneidungen zwischen einem ‚jüdischen‘ und einem ‚christlichen‘ Verständnis biblischer Texte und Gestalten im Zuge ihrer Überlieferung genau zu beobachten und auszuwerten, als definitiv zwischen ihrer ‚jüdischen‘ oder ‚christlichen‘ Entstehungsgeschichte unterscheiden zu wollen. Möglicherweise existierten in der Spätantike verschiedene Optionen des Verständnisses derselben biblischen Texte nebeneinander, und vielleicht gab es auch mehr Übereinstimmung zwischen unterschiedlichen Lesern, die entweder ‚jüdische‘ oder ‚christliche‘ Glaubensüberzeugungen vertraten, als es etwa anhand der antiken vorwiegend polemischen christlichen Adversus Iudaeos-Texte 75 oder ihrer nicht weniger

75

ORA LIMOR/GUY G. STROUMSA, Contra Iudaeos. Ancient and Medieval Polemics between Christians and Jews, TSMJ 10, Tübingen 1996; HEINZ SCHRECKENBERG, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1982, 1988, 1994.

5. Zusammenfassung

623

polemischen Gegenstücke in der jüdischen Toledot Jeschu-Literatur 76 den Anschein hat und wir uns heute vorstellen können. In jedem Fall aber teilten Juden wie Christen in der Spätantike ein gemeinsames Interesse an denselben biblischen Texten, die die Grundlage für ihren Glauben und ihre Lebensweise bildeten.

76

PETER SCHÄFER/MICHAEL MEERSON, Toledot Yeshu: The Life Story of Jesus. Two Volumes and Database, TSAJ 159, Tübingen 2014; P ETER SCHÄFER, Jesus im Talmud, Tübingen 22010; CHRISTOPH OCHS, Matthaeus Adversus Christianos. The Use of the Gospel of Matthew in Jewish Polemics Against the Divinity of Jesus, WUNT II/350, Tübingen 2013; JOHANN MAIER, Jüdische Auseinandersetzung mit dem Christentum in der Antike, EdF 177, Darmstadt 1982.

Nachweis der Erstveröffentlichungen 1. Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum unveröffentlicht

2. Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur unveröffentlicht

3. Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora in: Matthias Konradt/Ulrike Steinert (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50 (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH).

4. Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora in: Beate Ego/Armin Lange/Peter Pilhofer (Hg.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).

5. Juden in Rom unter Nero. Intellektuelle Netzwerke, religiöse Praxis, geistige Horizonte in: Tempel, Lehrhaus, Synagoge. Orte jüdischen Lernens und Lebens (FS W. Kraus), hg. v. Christian Eberhart u.a., Paderborn 2020, 289–321 (Verlag Ferdinand Schöningh, ein Imprint der Brill-Gruppe) (englisch: Roman Jews under Nero: Personal, Religious, and Ideological Networks in Mid-First Century Rome, in: Armand Puig i Tàrrech/John M.G. Barclay/Jörg Frey [Hg.], The Last Years of Paul. Essays from the Tarragona Conference, June 2013, WUNT 352, Tübingen 2015, 67–89).

6. Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum. Inschriften als Zeugnisse für Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte im kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien am Beispiel des Jakobusbriefes in: Roland Deines/Jens Herzer/Karl-Wilhelm Niebuhr (Hg.), Neues Testament und frühjüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo–Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 274, Tübingen 2011, 251– 274 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).

7. Weisheit als Thema biblischer Theologie in: KuD 44, 1998, 40–60 (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG).

8. Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit. Eine Problemskizze in: ZPT (< EvErz) 53, 2001, 116–125 (Verlag Moritz Diesterweg GmbH & Co.)

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

9. Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption in: Gedenkt an das Wort (FS W. Vogler), hg. v. Christoph Kähler/Martina Böhm/Christfried Böttrich, Leipzig 1999, 175–200 (Evangelische Verlagsanstalt).

10. Ein Eschatologischer Psalm – 4Q 521,2 II in: 41²¶¸5·63,7839Mogilany 1995. Papers on the Dead Sea Scrolls offered in memory of Aleksy Klawek, QM 15, Kraków 1998, 151–168 (The Enigma Press).

11. Die Werke des eschatologischen Freudenboten (4Q521 und die Jesusüberlieferung) in: Christopher M. Tuckett (Hg.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 637–646 (Leuven University Press/Peeters).

12. Biblische Geschichte und Menschheitsgeschichte. Überlegungen in Anknüpfung an Herder in: Eschatologie und Ethik im frühen Christentum (FS G. Haufe), hg. v. Christfried Böttrich, GThF 11, Frankfurt a. M. u.a. 2006, 195–211 (Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften).

13. ¹:³;¸½»³´»?³1´½³µ3 @¸ A¾µ´   ¶´ 1 .7½³B aginta, in der frühjüdischen Literatur und im Neuen Testament unveröffentlicht

14. Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung in: Christfried Böttrich/Jens Herzer (Hg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. 2. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 209, Tübingen 2007, 49–70 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).

15. Die jüdisch-hellenistische Literatur in der jüngeren Forschung in: ThLZ 144, 2019, 662–687 (Evangelische Verlagsanstalt).

16. Einführung in die Sapientia Salomonis in: Karl-Wilhelm Niebuhr (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015, 3–37 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).

17. Ethik und Tora. Zum Toraverständnis in Joseph und Aseneth in: Eckart Reinmuth (Hg.), Joseph und Aseneth, SAPERE 15, Tübingen 2009, 187–202 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).

18. Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im Griechischen Leben Adams und Evas in: Walter Ameling (Hg.), Topographie des Jenseits. Studien zur Geschichte des Todes in Kaiserzeit und Spätantike, Altertumswissenschaftliches Kolloquium 21, Würzburg 2011, 49–67 (Franz Steiner Verlag).

Nachweis der Erstveröffentlichungen

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19. Wohin mit den Toten? Begräbnispraxis und Auferstehungshoffnung in der Spätantike in: Vorträge der Geisteswissenschaftlichen Klasse 2010–2011, Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Geisteswissenschaftliche Klasse, Sitzungsberichte 7, Erfurt 2013, 45–59 (Verlag der Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt).

20. Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im Griechischen Leben Adams und Evas auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob unveröffentlicht (englisch: Hopes of Resurrection in Greek Texts of Early Judaism. Narrative Theology in the Greek „Life of Adam and Eve“ in Light of the Septuagint Translation of the Psalms, Sirach, and Job, in: Studies in Ancient Narrative (FS D. Moessner), hg. v. Margaret M. Mitchell/Tobias Nicklas/Janet E. Spittler, NT.S, Leiden/Boston (im Druck).

21. Pseudo-Phokylides: Ein hellenistisch-jüdisches Lehrgedicht aus Alexandria unveröffentlicht

22. Tod und Leben bei Pseudo-Phokylides unveröffentlicht (englisch: Life and Death in Pseudo-Phocylides, in: Empsychoi Logoi. Religious Innovations in Antiquity [FS P. W. van der Horst], hg. v. Alberdina Houtman/Albert de Jong/Magda Misset-van de Weg, AGJU 73, Leiden/Boston 2008, 469– 483).

23. Außerkanonische Schriften im antiken Christentum: Das Beispiel syrischer Menander in: Neutestamentliche Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung. Studien im Anschluss an Eckart Reinmuth (FS E. Reinmuth), hg.v. Stefan Alkier/Christfried Böttrich, Leipzig 2017, 377–401 (Evangelische Verlagsanstalt).

Literaturverzeichnis Aufgenommen wurde nur die im Band zitierte Sekundärliteratur. Abkürzungen richten sich nach Siegfried M. Schwertner, IATG3. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/Boston 32014. ABEGG, MARTIN G., Messianic Hope and 4Q 285: A Reassessment, JBL 113, 1994, 81–91. ACHENBACH, REINHARD, Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch, BZAR 3, Wiesbaden 2003. ADAMS, A. SEAN, Baruch and the Epistle of Jeremiah, Septuagint Commentary Series, Leiden 2014. – Philo’s Questions and the Adaptation of Greek Philosophical Curriculum, in: GABRIELE BOCCACCINI/JASON M. ZURAWSKI (Hg.), Second Temple Jewish ‚Paideia‘ in Context, BZNW 228, Berlin/Boston 2017, 167–184. ALAND, BARBARA, u.a., Novum Testamentum Graecum Editio Critica Maior, hg. v. Institut für Neutestamentliche Textforschung. IV Die Katholischen Briefe, 2. revidierte Auflage Stuttgart 2013. ALBANI, MATTHIAS, „Wo sollte ein Haus sein, das ihr mir bauen könntet?“ (Jes 66,1). Schöpfung als Tempel JHWHs?, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Hg.), Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 37–56. ALBERTZ, RAINER, Die „Antrittspredigt“ Jesu im Lukasevangelium auf ihrem alttestamentlichen Hintergrund, ZAW 74, 1983, 182–206. – Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, 2 Bde., GAT 8, Göttingen 1992. ALBRECHT, FELIX (Hg.), Psalmi Salomonis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum 12,3, Göttingen 2020. ALGRA, KEIMPE u.a. (Hg.), The Cambridge History of Hellenistic Philosophy, Cambridge 1999. ALLISON, DALE C., Testament of Abraham, CEJL, Berlin/New York 2003. AMELING, WALTER, Inscriptiones Judaicae Orientis. Bd. 2: Kleinasien, TSAJ 99, Tübingen 2004. – Die jüdische Diaspora im hellenistischen Ägypten, in: KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos). Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015, 191–218. – ‚Market-Place‘ und Gewalt. Die Juden in Alexandria 38 n. Chr., in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft, Neue Folge 27, Würzburg 2003, 71–123. – Paränese und Ethik in den kleinasiatischen Beichtinschriften. Zu den Voraussetzungen christlicher Mission in Kleinasien, in: ROLAND DEINES/JENS HERZER/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo–Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 274, Tübingen 2011, 241–249. AMELING, WALTER/NOY, DAVID/PANYATONOV, ALEXANDER/BLOEDHORN, HANSWULF, Inscriptiones Judaicae Orientis, 3 Bde., TSAJ 99, 101, 102, Tübingen 2004.

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Stellenregister (Auswahl) Altes Testament (einschließlich Apokryphen) Genesis 1,26 1,27 2,2f. 2,7 2,8 2,9 2,10–14 3,1–7 3,3 3,14 3,19 3,23f. 3,23 5,5 6,1–4 7,4 9,20 12,10–20 17 17,1–14 17,5 17,8 17,9–14 17,12f. 20,7 26,1–11 26,5 29,26 30,24 35,22 41,45 49,5 49,15

125 124, 310 302 126, 535 515 517 524 517 517 517 511, 535 511, 515 535 511 364 384 161 331 199 49 606 199 48 199 331 331 57 48 141 49 83 49 82

Exodus 10,21–23 12,3 12,43

73 178 178

12,44 12,48 13,2 13,13 19,3 19,16–19 20,1–17 20,5f. 20,10f. 20,10 20,12–17 20,13 20,17 20,18–21 20,19 20,22 21,12–22,16 21,22–25 21,24 22,16 22,27 23,4f. 23,5 23,12 23,19 24,4 24,7 24,12 25,2 28,41 29,7 30,30f. 31,18 32,15f. 32,19 34,10–17 34,15f. 34,26 34,27

199 199 196 196 44 53 53 506 187 178 578 305 75 54 22 178 196 165 317 165 181 280, 319 577 178, 187 180 21 21 21 178 332, 335 332 332 21 21 21 39, 181 182 180 21

Stellenregister

682 34,28 34,32 40,14f. Levitikus 1,1 3,17 4,3 4,5 4,16 7,16–25 7,26f. 7,36 8,12 10,11 11,1–23 11,2 12,2–5 14,57 15,18 16 16,29–31 17,3 17,10–16 18,6–30 18,8 18,19–23 18,29 19 19,3–8 19,12 19,17 19,18 19,19 19,20–22 19,23–28 19,26 19,29 19,30f. 19,34 20,2–7 20,11 21,6 21,8 21,9 21,10 22,16

21, 54 21 332

178 180 332 332 332 180 180 332 332 336 180 178 48 336 184 43 178 178 178, 180 178 49 187 49 182, 578 182 182, 186, 578 317 19, 81, 175f., 276, 317, 319 182 182, 184 182 180, 182 182, 186, 578 182 19, 184, 276, 319, 578 178, 181 48 335 335 48 332 37

24,16 24,17–22 24,20 25,5–7 25,9 25,13 26,14f. 26,43 27 27,30

178 178 317 43 343 343, 355 190 190 185 179

Numeri 1,1 3,2 3,3 3,12f. 3,40–51 15,13–16 15,22–26 18,8–32 18,15f. 18,20–24 19,10b–22 19,11–20 21,16–18 24,15–17 24,17b–19 30,2–17 31,19 32,8 35,25 35,30–34

21 23, 37 332 196 196 178 178 179f. 196 192 178 184 37 33 331 185, 313 594 364 332 187

Deuteronomium 1,1–5 1,3 1,16 4,13 4,19 4,29–31 4,44f. 5,1 5,5 5,9f. 5,12–15 5,14 5,16–21 5,17 5,27

19, 39, 302f. 41 178 22 181 338 22 22 22 506 187 178 578 305 22

Stellenregister 5,28f. 6,4f. 7,3f. 10,6 10,19 12,13–27 12,18 13,2–19 14,3–20 14,21 14,22–29 14,28f. 15,2 16,11 16,14 18,15 18,18f. 19,1–13 19,14 19,18 19,19–21 22,6f. 23,1 23,22–24 24,1–4 24,1 24,8 26,11 26,15 27f. 27,9–14 27,17 27,20 27,24 28,47–68 29,28 31,6 31,7 31,16–18 31,23 32,22–24 32,39 32,43 32,48–52 33,8–11 33,10 34,10–12 Josua 1,6–9

33 20, 276 182 42 319 180 250 181 180 180 180 179, 192 343, 355 178 178 20 33 196 186 317 317 187, 577 49 313 310 313 336 176 179 304 42 186 49 48 42 35 338 42, 338 42 338 185 340, 350 374 39, 42 33, 336 336 20, 25 338

683

1,18 10,25 22,9–11

338 338 54

1. Samuel 2,4–9 19,8–17

340, 350 369

1. Könige 3,5–15 5,9–14 8,22–53 9,1–9 9,15–24 10,1–13 10,14–29 11,1–13 17,17–24 19,16

458 457 484 458 458 457 458 458 386 331

1. Chronik 22,13 23,13 24,3 28,20 29,22

338 335 37 338 332

2. Chronik 23,6 32,7

335 338

Esra 6,18 7,6 7,10 7,11f. 8,28

26 26 26 26 335

Nehemia 8,1–18 8,8 10,31 10,36 10,37

26 26 181 179 196

Ester 4,17x

180

Stellenregister

684 Judit 5,6–19 10,5 12,13

363 180 180

Tobit 1,3–3,6 1,3 1,4–9 1,6–8 1,9 1,10–3,6 1,10f. 1,16–20 2,1–9 2,13 3,17 4,3–19 4,3f. 4,5f. 4,7–11 4,10f. 4,13 4,14 4,15 4,16f. 4,19 5,1 6,12 6,15f. 7,6 7,13 9,6 11,17 12,8f. 12,12f. 14,2 14,9 14,11–13

77 77, 188f. 77, 188 179, 188f. 189 77 77, 189 77, 189 77, 189 78, 189 189 189 189 78 189 189 189 205 272 189 78 189 189 189 189 189 189 189 189 189 189 189 189

1. Makkabäerbuch 2,52–60 364 13,27–30 410 2. Makkabäerbuch 1,10–118 6,23 7,9 7,11

332 205 380, 388 380, 388

7,14 7,23 7,29 7,36 12,2 12,43–45 14,46

380, 383, 388 388 380 380 383 380, 383, 388 380

4. Makkabäerbuch 1,1–12 1,1 1,2–6 1,3f. 1,6 1,15–18 1,17f. 1,28–30 1,30–35 2,1–3 2,2 2,4–6 2,5 2,6b 2,7–16 2,13f. 2,17–20 2,19 2,21–23 5,2 5,7 5,11 5,22–24 6,12–19 7,7–9 7,7 7,9 7,21 7,22–8,1 8,1 9,13–18 9,22 13,19–14,1 13,22 13,24 14,5 16,13 17,18 18,10–13 18,23

132 74, 166 75 166 132f. 158 75 133 75, 166 166 75 166 75 167 75 319 167 172 76, 167 180 133 133 133 158 170 133 133 133 158 133 158 380 168 170 75, 170 124 124 380 75 124, 380

Stellenregister Psalter (masoretische Zählung) 1 28, 59 1,1f. 27f. 1,5 549 2,7 374 3,6 549 7,8f. 343 8,6f. 124 19 27 19,5 374 19,8 28 23,4 549 27,14 338 29,39 339 31,4 350 31,8 339 31,17 339 31,19 339 31,22 339 31,24 339 31,25 338 37,11 339 37,14 339 37,19 350 37,27 340 37,28 339 37,31 28 40,9 28 40,12 338 50,4 330 50,14 313 66 396f., 564 66,1 549 66,9 396, 564 70,5 338 78,5–72 363 78,10 28 82,1f. 343 94,12 28 97,7 374 105,3 338 105,15 331 105,20 338 106,16 335 107,9 350 107,20 340, 350 119 27f., 59 119,1 28 133,2 332

685

145,14 146,6 146,7f. 146,9 147,18f.

336, 349 328, 330 338, 349, 354 350 341, 350

Sprüche 8,22–31 10,24 10,30 12,7 25,21f. 26,27

56 267 267 267 269, 280, 319 267

Kohelet 1,4 2,3 2,24 3,10–12 6,10–8,17 9,1–6 10,1–7 16,17 16,23 24,8 24,23 43,27 43,28f. 50,11f. 50,17

120 118 118 118 117 117 117 119 119 120 120 120 121 119 119

Hiob 14,13–17 14,14 19,25f. 42,17

566 566 374, 566 380, 396, 566

Weisheit Salomos 1,1f. 1,4–6 1,6f. 1,7–10 1,11 1,12 1,13–15 1,14 1,15 1,16 2,1–20

485 125f. 485 122 126 122, 467 122 122, 466 126 122 485

Stellenregister

686 2,1–10 2,2–4 2,6–9 2,11 2,12 2,18–21 2,21–24 2,23 2,34–36 3,1–10 3,1 3,3 3,4f. 3,7f. 3,9 3,10–12 3,10 3,18 4,1 4,15 5,16–23 6,1 6,3 6,4 6,12–21 6,18 6,19 6,22–25 7,1–14 7,1–6 7,7 7,15–21 7,15f. 7,22–8,1 7,22b–23a 7,24 7,25 7,27 7,28–8,1 8,7 8,9–21 8,13 8,17 8,19f. 9,1–6 9,1–3 9,1f. 9,8 9,9

122 123 123 72 467 123 380 124f., 466 123 380, 467 124f. 125 124f. 124 124, 467 471 125, 380 125, 487 124, 126 467 485, 487f. 485 487 467 484 467 485 128 128 126 73, 125 128 73 128 129 129 130 130 129 73, 166 484 124 124 126 467 485 466 484 485

9,15 10,1–11,1 11,5 11,15 12,2 12,6 12,18 12,19 12,22 12,24 13,10 14,12 14,17–20 14,20 14,22–27 14,24–26 14,25 14,27 14,28 15,1–3 15,3 15,11 15,18f. 16,6 16,14 18,4 18,9 19,13–17 19,22

126 485 484 488 484 483 483 484 483 488 485 485 485 487 74 467 315 485 315 483 124 126 488 467 126 73 72 485 485

Sirach Prolog 13f. Prolog 34–36 3,19 4,1 9,1 9,5 17,3 23,4f. 23,9–11 24 24,8–12 24,8 24,10 24,35 24,23 26,9 31,15 37,13

29 29 339 314 373 373 124 311 315 158 29 158 158f. 159 6, 30 311 273 339

Stellenregister 40,3 43,14 43,33 44,1 45,15 46,11f. 47,12–22 48,1–14 48,9–11 48,11 49,10 49,15 51,1–12

380 380 339 339 332 396, 565 484 331 380 396, 565 380, 396, 565 396, 566 346

Hosea 6,1f. 6,6

340, 350 308

Amos 5,21–27

308

Zefanja 3,8

383

Haggai 2,6f.

373

Sacharja 4,14 6,9–14 9,9f.

332 333 373

Maleachi 1,7f. 1,12–14 2,7 3,1–3 3,1 3,3f. 3,7–10 3,22–24

336 336 336 373 331, 336, 351 336 336 25, 331, 351, 565

Jesaja 1,2 1,10–17 2,2–5 5,5f. 7,14 26,14

330 308 26 35 373 340

26,19

687

66,1

287, 340, 350, 352, 383 340 287, 338, 349, 352 338f., 350 287, 352, 373f. 338f., 349, 354 373 38 339, 350 340, 350, 373 374 330 338 330 338 339, 350 340, 350 26 330 25 338, 349, 354 339 330 25 338, 349 330 338 26 340, 343, 350 356 353, 355f. 342, 373 353, 355f. 287, 331, 339f., 343, 349f., 352, 354f. 314

Jeremia 31,31–34

24

Baruch 3,9 3,12 3,14 3,36 4,1

28 28 28 28 29

29,14 29,18f. 35,3f. 35,5f. 35,5 40,1–5 40,3 40,9–11 40,9 40,11 40,12 40,21 40,22 40,28 40,31 41,27 42,4 42,5 42,6 42,7 43,1 48,13 49,6 49,8f. 49,13 51,1–3 51,4 52,7 58,1–12 58,6 60,1–3 61,1f. 61,1

Stellenregister

688 Klagelieder 3,63

383

Ezechiel 43,1–4 43,11 43,12

24 24 25

Daniel 1,8–16 1,8 1,17

180 180 115

1,20 7,14 7,27 9,25 9,26 9,35f. 11,2 11,20 12,1–3 12,2 12,3

115 330 124 343 332 342, 355 387 383, 387 380 125, 387 124

Frühjüdische Literatur Qumran Damaskusschrift II 12 II 17b–IV 12a V 2–5 VI 1 VI 2f. VI 4f. VI 11 VI 14 VII 18f. XII 23–XIII 1 XIV 19 XIX 10f. XX 1

329, 332 364 37 329, 332f., 337 333 37 37 37 38 334 334 334 334

1Q20 (1QapGen) 1Q22 (1QDM)

34 35, 41–43

1Q28 (1QS) V8 V 21 VIII 1 VIII 3 VIII 10 VIII 15 VIII 22 IX 9f. IX 11

37 37 38 38 38 37 37 37 334

1Q28a II 11–22

334

1Q28b V 20–29

331

1Q33 (1QM) IX 6–9 IX 8f. XI 7f. XIV 4–8 XVIII 2–6 XVIII 6–8

333 335 331 344f. 344 344

2Q3 (2QExb)

33

4Q128–155 4Q158+364–367 4Q162,2 I 7 4Q174,9 I 11 4Q175 4Q175,14–20 4Q196–200 4Q216 (4QJuba) 4Q252 4Q285,5 4Q287,10 13 4Q374 4Q375,1 4Q380,1 4Q381,1 4Q381,10 4Q381,15 4Q381,33

33 34 36 336 33 336 447 44 34 331 333 34 333 346 346 346 346 346

Stellenregister 4Q381,48 4Q381,69 4Q381,77 4Q385,2

346 346 346 340, 380

4Q394–399 (4QMMT) 394,3 I 4 (B 1) 36 394,3 14–16 (= B 11–13) 37 396,2 II 8 335 397,14–21 10f. 304 397,14–21 15 304 397,14–21 10 (= C 10f.) 36 398,11–13 4 304 398,14 II 3 (= C 27) 36 398,14 II 3f. (= C 28) 36 4Q400,1 I 17 4Q400,1 I 19 4Q400,1 I 3f. 4Q400,1 I 10 4Q400,1 I 17 4Q416,2 III 5–8 4Q417,1 I 8–12 4Q434 4Q434a 4Q436

336 335 335 335 335 380 380 344 344 344

4Q448,1 I 4Q491 4Q503 4Q504–505 4Q504,2 VI 3–5 4Q507–509 4Q509,13 4Q510 4Q511 4Q511,35 4Q521,2 4Q521,2 II 1f. 4Q521,2 II 12 4Q521,8 (9) 4Q541,9 I

689 346 345 344 344 344 344 344 344 344 335 327–347, 349–357 336 380 334 337, 343

11Q5 (11QPsa) 346 11Q13 (11QMelch) 342f. 355 11Q19–20 (Tempelrolle) III 3–13 39 LIV 5–7 40 LV 17 40 LVI 3 40 LVI 4 40 LVI 7 40 LVII 1 40 LIX 7 40 LIX 8 40

Philon von Alexandrien Abr 5 107–118 208 275f.

62, 141 280 280 63, 141

Agr 151

384

Cher 49

158

Congr 79

158

Decal 1 76–80 82–95 108–110

141 489 315 280

Hyp 7 7,1–9 7,3–5 7,6 7,8 7,9 7,10 7,12f.

65, 141 184, 307, 577 315 272 187 187 185 224

Stellenregister

690 7,13

151

96 159

170 166

Jos 28–31

141

SpecLeg 1,70 2,9–38 2,62 2,165 2,224 4,72 4,149f.

170 315 154, 166, 224 91 315 280 186

Virt 35 109–118 116–120 119

169 280 319 169

VitMos 1,29 1,162 1,313f. 2,2–6 2,8–11 2,12 2,41 2,48 2,142–146 2,216 2,288

170 63, 141 594 63 63 159 224 231 332 154, 166, 224 380

QuaestGen 2,15

384

LegAll 1,63–72

166

LegGai 134 155–158 159–161 163 185–189 330 353 361–363

152 217, 222, 224 217 489 218 384 218 218

Migr 88–93

162

Mos 1,164

384

Opif 3 7–12 17–20

62, 141, 231 142f. 143

Post 185

384

Prob 70

166

Flavius Josephus Antiquitates 1,1–26 1,5 1,15 1,18–26 1,18–23 1,18f. 1,19 1,24 1,27–51 1,166–168

66, 231 66, 231 66 159 168 231 66 66 66 159

1,196 1,198 2,248 3,84–88 3,197f. 3,205f. 3,224–286 4,67–75 4,196–301 4,196f. 4,177–195

69 69 384 67 332 332 67 67 67, 69 69 67

Stellenregister 4,177–193 4,180 4,182f. 4,193 4,196–301 4,196 4,210 4,211 4,328 7,380 10,185 11,19 11,112 12,119f. 12,206–355 12,254 12,267 12,281 12,282 13,199 13,210–212 14,216 14,473 15,248 15,288 15,330 15,342 15,380 16,142 16,278 17,9 17,11 17,151 17,159f. 17,196–199 17,200 17,212 18,5f. 18,6 18,12–17 18,14 18,59 18,63f. 18,108 18,257–309 18,273–278 18,275 18,259 18,301

168 67 67 67 302 303 153 153 155 91 384 384 384 180 214 199 408 408 124 408 408 223 384 408 408 410 214 410 410 384 219 219 384 408 411 412 384 408 219 384 384 408 285 411 219 214 384 219 384

691

19,4f. 20,6 20,116 20,193–195 20,264

219 219 408 219 159

Contra Apionem 1,42 1,60 1,191 2,139 2,145–296 2,154–160 2,154–156 2,154 2,161–171 2,161 2,165 2,168 2,169 2,171–178 2,173 2,175 2,178 2,179–189 2,179–181 2,181 2,184 2,190–219 2,190–198 2,190 2,192 2,193 2,194 2,195 2,196f. 2,198 2,199–208 2,202f. 2,203 2,204 2,205 2,209–214 2,209–212 2,209f. 2,211 2,215–219 2,215 2,217f.

408 153 408 489 67 67 159 155 68 155 183 155 170 68 170 153 153, 155 68 169 186 186 65, 182, 577 68 183 186 183 184 184 184 184 68 184 380 153 184, 412 68 319 184 185 68, 307 184 186

Stellenregister

692 2,218 2,220–235 2,257 2,280–286 2,281 2,283f. 2,284 2,291–294

380 68 153 156, 169 156, 169 169 156 169

De Bello Judaico 1,228 1,419 1,581 1,650 1,653 1,660 1,670–673 2,1–100 2,1 2,135 2,154–157 2,162–166 2,163 2,174 2,591f. 3,372 3,374 3,506 3,522–531 3,530f. 4,20–29 4,25

411 410 411 380 408 411 411 214 412 315 380 384 380, 384, 400 408 180 380 380 414 414 415 415 415

4,27 4,191 4,316 4,317 4,324 4,326–333 4,331–333 4,360 4,381f. 4,416 5,33 5,34 5,162 5,205 5,379–412 5,513–516 5,518 5,519 6,46–48 6,56f. 6,193–219 6,339 6,368 6,373 6,410 7,44f.

415 408 415 415 415 415 416 416 416 416 416 416 410 384 364 416 416 417 408 407 417 384 417 417 384 224

Vita 13–16 13f. 17 74,76

220 180 228 180

Weitere frühjüdische Schriften Aristeasbrief 31 128–171 131f. 138 143 147 161 167f. 171 180–186 183 187–294

115 70 71f. 489 71 71 71 72 72 164, 504 181 271

207 208 256 257 265 290

271 280 115 280 280 280

Aristobulos 2,3f. 2,10–12 2,12–17 3 3,1

136 136 137 60, 136 136, 159

Stellenregister 4,4 4,6 4,8 5 5,10 5,11f. 5,12

60, 136f. 139 60, 135f. 61 136 61 138

Artapanos 1 2,2f. 3,4 3,12

159 159 159, 181 181

2. Baruch 30,2–5 49–51 56,2–74,4

380 380 365

3. Baruch 4,17

315

4. Esra 7,31–42

380

Eupolemos (Historiker) 1 159 1,4 158 1. Henoch 51 70,1–4 85,3–90,38 89,29–34 91,1–10 91,10 91,18f. 92,3f. 93,6f. 99,14

380 380 365 79 79 380 79 380 79 186

2. Henoch 2,2 9,1 10,4–6 10,4 10,6 18,4–6 22,1–23,6

80, 194–197 194 81, 195 80, 194 195 195 80

23,2 33,8f. 34,1f. 35,3 39,1 42,6–14 42,6 43,3 44,1–5 45,1–3 46,1 47,2 48,6–9 48,7f. 50,2–5 50,6–51,2 51,2–4 52,1–15 52,1 52,9f. 55,3 58,1–59,5 59f. 59,2f. 60 61,1 61,2 61,4 62f. 62,1 65,5f. 66,1f. 66,1 66,2f. 66,2 66,3 66,5 67f.

693 80 194 80f., 194 194 81, 194 81, 195, 308 195 80 195 195f., 308 196 194 81 80f. 197 195, 197 197 195, 197 197 80, 186 80 196 308 195 196 194 272, 308 195f. 308 195f. 194 308 194 196 80, 195, 197 197 195, 197 380

Joseph und Aseneth 1,3 496, 508 2,1 496, 502 2,6 502 2,9 502 3,5 506 3,6 506 4,1–6 506 4,7 163f., 496, 501 4,9 496f.

694 4,10 4,12 6,3 7,1 7,2–6 7,5 7,7f. 8,1 8,5–7 8,5 8,6 8,7 8,8 8,9 9,2 10,12f. 11,3–5 11,7–9 12,5 13,13 13,14 17,10 19,10–20,1 20,6–8 21,1 21,8 21,9 21,10–21 21,13f. 21,16 21,17f. 21,21 22,3 22,11 23,7–10 23,9 23,10 23,12 24,2 25,7 28,7 28,10 28,12 28,14 28,15–17 28,17 29,1–3

Stellenregister 502 496 496 85, 163f., 494, 504f. 502 163, 502 502 502 503, 505 85, 163, 181, 499, 502f., 505 500f., 503 85, 163, 499, 502, 505 164, 497 505 505 506 506 507 497 496 497 496 502 504 85, 499, 502 181, 504 500 497 505 497 502 497 506 497 163, 497 85, 163, 499 497, 501 85, 163, 499, 501 497 497 497, 501 501 163 501 163 497 594

29,3 29,6

85, 163, 318, 499 508

Jubiläenbuch 1,1 1,5–18 1,19–21 1,23–26 1,27–29 1,27f. 1,27 2,1 2,2 2,17–33 2,29f. 3,8–14 3,9–11 3,31 4,5 4,29 4,31f. 5,13f. 6,6–14 6,17 6,28f. 7,17–31 7,20f. 7,27–33 9,14f. 15,11–14 15,24–30 15,25 16,4 16,9 16,20–31 16,28f. 18,19 19,9 22,3–6 22,16–22 23,32 24,33 28,6 30,7–17 30,9 30,20 31,14 31,32 32,1f.

45 45 45 46 336 44, 46 336 44, 46f., 302, 336 336 49, 302 302 49 48 48 48 553 48f. 48 49 48 48 49 49f. 49 49 49 49 48 48 48 49 34 48 48 49 49 48 48 48 49 48 48 335f. 48 48

Stellenregister 32,9 32,10–20 32,27f. 33,13 33,15f. 49,1–23 49,8 50,1–13 50,7–9 50,8 50,12f. 50,13

335 48f. 48 49 50 49 48 49 302 307 307 48

Leben Adam und Evas 1,1f. 86, 515, 525 5,3 515, 525 6,1f. 515 7,1–8,2 515 9,3 515 10,1–12,2 391, 515 10,2 86, 391, 393, 558 13,1 516 13,3–5 87, 557 13,3f. 392, 516 13,3 393, 558, 562 13,6 516, 526, 544, 557f. 14,1 516 14,2 558 15,3 517 16,3 517 17,1–5 517 19,1 517 20,3f. 517 21,1–3 517 22,2f. 518 27,1f. 518 28,2 518 28,4 392f., 518, 558 29,5f. 519, 525 30,1 519 31,1–4 519, 526, 544, 551, 555, 557 32,1–4 552 32,2–33,1 552 32,4 520, 524, 526, 555, 559 33,1f. 520 33,2–37,6 522 33,2f. 524

33,3–5 33,3 33,5 34,1 35,2 35,3 35,4 36,1–3 37,2–4 37,2 37,3–5 37,3f. 37,3 37,4–6 37,4 37,5 37,6 38,1 38,3 38,4 39,1–3 40,1–7 40,2 40,3–5 40,5 40,6f. 40,6 40,7 41,1 41,2 42,1 42,2 42,3–43,3 42,3–7 42,4 42,8 43,1f. 43,1 43,2 43,3 43,4

695 520 552 559 520, 544 520, 544, 552, 559 521 520 520 393 521, 559 521 529 544 553 553, 559 525, 559 559 552, 560 521, 552f. 521, 552f. 521f., 525, 542, 554, 560 560 522, 553 553 522, 542 522 525, 553 540, 553 523, 542, 554 380, 392, 523, 542, 554, 559, 561 523, 541, 553 523, 552 551 561 523 523, 526, 544, 555, 561 560 523, 541, 561 392, 523, 559, 561 524, 541, 560, 563 86, 524, 560

Liber Antiquitatum Biblicarum 3,10 380 11,1f. 53, 56 11,4f. 53f.

Stellenregister

696 11,6–13 11,15 12,1–10 12,2 12,10 21,9 22,5 23,2 23,4–13 23,10 25,3 25,6 25,7–14 25,13 32,7f. 48,2 51,7 57,3

54 54 54 54 54 54 55 55 55 55 55 55 55 55 56 332 331 331

Psalmen Salomos 2,36 3,12 4,4f. 5,2 5,11–15 9,5–7 10,3f. 10,6f. 11,1 11,7f. 12,1 14,1–3 15,1 16,13–15 17,43 17,44f. 18,2 18,5–7

346 346, 380, 383 89, 315 346 346 346 88 346 336, 341 350 89 89 346 346 336 347 346 347

Pseudo-Eupolemos (Historiker) 1,3f. 181, 159 1,8 159 Pseudo-Menander 2 3 5 6 7

616 617 95, 617 95 616

15f. 17 18f. 19 20 21 27–32 29 32 41 45 46 51 52–54 62 67 68–97 68 79 93–96 97–99 101

615 615 615 95, 618 308 95, 616 615 95, 618 95, 618 615 617 617 95, 617 615 615 95, 618 615 95, 616 616 616 618 615

Pseudo-Philemon 2 8–17

96 96

Pseudo-Phokylides 1f. 3–41 3–8 4 5f. 8 9–41 9–12 12 13–17 16f. 17 18f. 22–30 27–30 27 29 32–34 33 35f. 35

187, 580, 598 65 93, 574, 578 594 581 574, 580 93, 578 581 315 581 315 186, 578 581 581 593 593 593 594 581 186 581

Stellenregister 39 40f. 40 41 42–47 48–58 48–50 54 57f. 59–69 62 63f. 69a 70–75 77f. 81–83 84f. 86 97f. 99–108 100–102 102–108 102–104 102 103–115 103–108 103f. 105–108 109–115 111–115 118–120 122–131 132–136 134 137f. 138 139f. 140 153–174 153f. 158f. 175–194 175f. 177f. 179–185 184f. 186 192 195–197

578 186 578 578, 593 575, 595 575 581 580 595 575 581 595 581 575, 581 595 581 93, 577 581 591 145 591 582 146 573, 587 380, 590, 598 587, 592 582, 587, 588 146, 582, 587–589 587, 592 580, 582, 588f. 592 575, 581 595 596 581 596 581 93, 577 575, 597 581 581 65, 165, 576, 596 165, 576, 596 186, 578 93 596 165 596 576, 597

196 198–206 198 207–228 207–217 207–209 210–217 218–222 219 220–222 223–227 228 229f. 229 230

697 575 165 165 574, 581 165, 576 575 575 165, 576 575 597 165, 575f. 185, 575 597 93, 187 93, 598

Pseudo-Sophokles 9–11 96 Sibyllinische Orakel 1,283–291 91, 449, 612 3,29–32 489 3,33 192 3,213–215 90 3,214–216 192 3,218–294 193 3,218f. 90, 192 3,234–247 192 3,240 186 3,244–247 192 3,248–260 192 3,252–262 91 3,268–270 192 3,271f. 193 3,273–275 192 3,283f. 193 3,275–279 91 3,283–285 92 3,570–600 193 3,570f. 193 3,571–623 90 3,573 90 3,573–579 193 3,580 90 3,581–583 193 3,591–594 193 3,594–596 193 3,600 90 3,718–720 92

Stellenregister

698 3,741–795 3,757–760 3,762–766 3,763 3,768f. 3,809–829 3,820–823 4,25 4,179–184

192 92, 193 193 192 192 91, 449, 612 91 90 380

Syrische Psalmen 152,2 152,4 152,5f. 153,2f.

346 346 346 346

Testamente der zwölf Patriarchen TestAss 2 205 2,6 315 4,1 205 5,4 205 6,1 205 TestBenj 3,1 4,1 4,4 6,1 6,3 8,2 10,6–11 10,10 TestDan 1,4 4,7

205 205 190 205 311 311 380 190

205 205

TestGad 7,1

205

TestIss 2,5 3,3–8 5,1–4 5,3–6

191 190f. 82 191

7,2–4 7,5 7,6

311 186 311

TestJud 18,5 19,1 23,1f. 23,5 24,1f. 24,6

190, 315 190 190 205 611 611

TestLev 8,4 9,7–14 13,1–9 14,4–8 16,1f. 17,2f. 17,11 18,1–4 19,1f.

332 190 191 190 190 332 190 334 190

TestNaph 3,3

190

TestRub 3,10 4,6 4,11 6,8

311 190, 312 312 334

TestSim 2,12f. 4,4 6,7

312 205 380

Testament Hiobs 4,9 39,12f. 40,4 52,10

380, 389, 396, 567 380, 389, 568 380, 389, 568 380, 389, 568

Vitae Prophetarum 2,12 389 10,8B 389

Stellenregister

699

Neues Testament Matthäus 1,1–17 1,18–25 2,1–23 3,11 3,15 4,1–11 4,23 5,1f. 5,2 5,3–12 5,10–12 5,13–16 5,17–20 5,17 5,21–48 5,21–26 5,23f. 5,27–32 5,29f. 5,30 5,31f. 5,33–37 5,38–48 5,39 5,43–48 5,44b 5,45 5,46f. 6,1–18 6,20b–26 6,27–36 7,12 7,28f. 8,21 9,23 10,16 11,2–5 11,13 11,19b 11,28–30 12,1–14 13,24–30 14,12

299, 368f. 299 299 352 299 299 299 322 299 299 320 321 299–301, 320 277, 301, 303 276, 294, 299 305–309 293 309–313 310 312 310f. 313–315 316–321 317 275f. 317 292 281 293 316 316 270, 273, 275, 277 299, 322 409 412 293 287, 352 277 295 295, 374 294 291 413

18,6–9 19,3–9 19,6–8 19,7 19,9 22,31 22,34 23,27–33 27,52f.

310 310 312 310 310 384 276 414 380

Markus 2,27 4,3–9 4,24f. 4,26–29 4,30–32 5,38 6,29 7,15 9,42–48 10,2–12 10,6–8 10,9 10,19 10,42–44 11,22–24 12,17 12,18–27 12,23 12,27 12,28–34 13,9–13 15,42–47

292 291 293 291f. 291 412 413 294 310 310 292 312 314 293 293 293 380, 384 384 380 276 417 413

Lukas 1,32 1,35 2,8–14 3,22 3,23–38 3,23 3,29f. 3,31 3,37

370 370 373 370 368f. 369 370 369 370

Stellenregister

700 4,14–44 4,18f. 4,23 6,27f. 6,27b 6,29f. 6,31 6,32–34 6,35–38 6,41f. 6,43f. 7,11–15 7,12 7,18–23 7,19f. 7,22 7,31–35 8,52 9,59f. 10,21f. 10,25–28 11,9f. 11,31f. 11,47f. 11,49–51 12,6 12,22f. 12,24–28 12,25 12,29f. 12,33f. 12,35–59 12,58 13,6–9 13,10–17 13,34f. 14,1–6 14,14 16,18 16,19–31 16,22 20,35

356 353–356 354 293, 317 317 293, 316 270, 273, 275, 293, 317 317, 281, 293 293 293 292 413 317 287 352 352 295 412 409 295 276 293 295 414 295 292 293 292 293 293 293 306 293 291 294 295 294 385 310 381 381 384

Johannes 1,29 5,24f. 5,24 5,28f.

374 381 385 380

11,24f. 19,38–42

380f., 385 413

Apostelgeschichte 2,10 5,1–11 6,1 9,10–25 9,39 13,1 15,20 15,29 16,1–3 23,6–8 24,15 24,21 26,6–8 28,16–31

213 409, 412 213 213 412 289 273 273 177 380, 384f. 380, 384f. 384 380 210, 215f., 228

Römer 1,4 1,16f. 1,18–32 1,23 1,24–32 1,26f. 2,1–16 2,12f. 2,14 2,21f. 2,25–29 3,25 4,9–17 4,16–25 4,17 4,25 5,8f. 5,12–21 6,5 6,9 6,19 7,7–13 8,2 8,3f. 8,11 8,23 8,32 8,33f. 9,1–5

385 200 56 231 176 231 380 175 230 176 175, 177, 230 177 200 606 380 177 177 414 385 414 177 414 232 177 380 177 177 374 234

Stellenregister 10,18 11,1 11,13 11,16 11,25–31 12,1 12,7 12,8 12,9–21 12,9 13,1 13,8–10 13,11–14 14,2 14,14 14,20 14,21 15,1 15,7–13 15,12 15,14–33 15,16 15,22–33 16,1 16,5 16,6 16,7 16,10 16,11 16,13 16,15 16,21

374 233, 237 233 177 234 177 289 205 176 176 235 175f., 314 176 203f. 203f. 203 203 204 200 214 213 177 210 214 177 212 212f. 214 212, 214 214 213f. 212

1. Korinther 3,16f. 4,14 5,6–8 5,10f. 6,9–11 6,14 6,19 7,14 7,18f. 8,4–6 8,7 8,9f. 9,13 10,7 10,14

177 380 177 176 176 380 177 177 177 176 203 203 177 176 176

701

10,25–30 12,2 12,28 13,4–7 15,12–34 15,20 15,23 15,35–58 15,51 15,54–56 16,2 16,8 16,15

203 176 289 176 394 177 177, 381 381 381 414 177 177 177

2. Korinther 1,9 5,1–10 5,4 5,9f. 5,21 6,16 6,17 7,1

380 381 414 381 177 177 177 177

Galater 1,13 1,15f. 1,17 2,7 2,11–14 2,12 2,15–21 3,1–5 3,6–4,31 3,6–18 3,10–13 3,13 3,17 3,21 3,28 5,3 5,6 5,14 5,19–23 5,22f. 6,15

205 200 213 200 177, 201 201 200 200 200 606 201 177 201 201 177 175 177 175f. 176 176 177

Epheser 2,5f.

381

Stellenregister

702 4,11 4,22

289 205

Philipper 1,10 1,23 2,17 3,7f. 3,10 3,11 3,20f. 4,18

177 381 177 201 385 385 381 177

Kolosser 2,12f. 3,1

381 381

1. Thessalonicher 1,9 4,1–8 4,13f. 4,15–17 4,16f.

176 176 381 592 381

2. Thessalonicher 2,1f.

381

2. Timotheus 2,18 4,1 4,8

381, 385 381 381

Hebräer 1,5f. 6,2 11,1–12,2 11,19

374 386 370 380

1. Petrus 1,3 3,21 4,5f. 4,12f.

385 385 381 381

2. Petrus 2,4–10 3,16

381 229

Jakobus 1,1 1,3f. 1,4 1,5–8 1,5 1,6f. 1,8 1,9f. 1,12 1,15 1,17f. 1,17 1,18 1,21 1,22–27 2,1–11 2,1–7 2,1 2,5 2,7 2,8–13 2,8–11 2,8 2,9–11 2,10f. 2,12f. 2,14–26 2,15–17 2,19 2,21–25 2,23 2,25 3,1–12 3,1 3,2 3,9f. 3,13–18 3,13f. 3,15–18 4,1–4 4,3 4,4f. 4,6 4,9f. 4,11f. 4,17 5,1–6 5,7–11

204, 207, 244 244, 372 205 177, 207, 244 184, 205 244 205 245 244 244 372 91, 244, 252 206, 244 206, 244 177, 205f., 244 206 245 207, 244 244 244 206, 244 175, 177 205, 245 244 206, 245 206 205, 207, 244 177, 245 177, 207, 244 371 245 245 177, 245 289 205 177, 207 177 205, 245 206 177 207 244 245 244 177, 206f., 244f. 205 177, 244f. 207

Stellenregister 5,7f. 5,7 5,10 5,11 5,12 5,15f. 5,15 5,17 5,19

372 191 372 245, 372, 396, 567 245, 314 207 244 372 205

Judas 6–9

381

Offenbarung 3,21 5,12–14 7,9–17 11,15 14,1–5 15,2f. 14,13 19,6 19,16 20,1–6 20,4 20,5f. 20,13

703

381 374 381 374 381 381 381 374 374 381 381 386 381

Frühchristliche Literatur 1. Clemensbrief 24,1–3 26,1f. 42,3 2. Clemensbrief 19,3 Barnabasbrief 5,6f. 21,1 Didache 16,6

382 382, 564 382 382

382 382

382

Ignatiusbriefe Eph 20,1 Magn 11,1 Trall inscr. Phld 8,2 Sm 5,3

382 382 382 382 382

Polykarp-Brief 7,1

382

Tertullian Adversos Valentinianos 2.2 490

Griechische und römische Literatur Aischylos Agamemnon 1360f. 383 Eumeniden 648 382

Cicero Tusculanae V,78

489

Anaxandrides 40 K–A

Euripides Hercules 719

383

Herodot Historien 3,62

383

Apollodorus Biblotheke 3.10.3

489

382

Stellenregister

704 Homer Ilias 24,551 24,756 Juvenal Satiren 3,10–18 15,1–3

383 383

222 489

Lukian von Samosata De saltatione 45 382 Lukrez De rerum natura 2,76–79

123

Pausanias 2,4f. 2,26f.

383 383

Persius Satiren 5,176–184 Petronius Satiren 68.8 102.14 Frgm. 37

Platon Phaidon 112a–114c Timaios 27c–28b 28c3–5 29e 21

529 142f. 91 143 143

Plutarch De Iside et Osiride 380AB 489 Moralia 478A–492D 167f. Seneca Epistulae morales 89,5 158 95,47 225 108,22 225

226

Strabo Geographika XVII, 38 XVII, 40 XVII, 44

489 489 489

226 226 226

Tacitus Annales XV 44,2–5

220

Xenophon Cynegeticus 1,6

38

Autorenregister

Abegg, M. G. 343 Achenbach, R. 20 Adams, S. A. 140, 439 Albani, M. 197 Albertz, R. 2, 354 Albrecht, F. 88 Albrecht, M. von 6, 111 Alejandría, F. de 443 Alesse, F. 139 Algra, K. 102 Allison, D. C. 440 Ameling, W. 151, 216, 240, 246, 248– 253, 404, 468, 488 Anderson, G. A. 452, 512, 550 Ariès, P. 534 Arnim, H. von 103 Arzhanov, Y. 95, 613f., 619–621 Assmann, J. 269 Audet, J.-P. 613 Aune, D. E. 476, 486 Ausloos, H. 1, 57 Austermann, F. 59 Avemarie, F. 98, 379, 403 Avery-Peck, A. J. 403 Baarda, T. 613, 615 Backhaus, K. 100 Bailett, M. 335 Barclay, J. M. G. 85, 155f., 164, 179, 181f., 198, 203, 211, 217, 220, 445, 469, 486, 493, 503 Barnes, T. 229 Baslez, M.-F. 479, 488 Bauckham, R. 183, 379, 403, 436, 608 Bauernfeind, O. 407, 444 Baumbach, G. 401 Baumgarten, J. M. 36 Bauspieß, M. 216 Bautz, F. H. 361 Becker, A. H. 463, 606 Becker, J. 82, 273, 311, 335

Bedenbender, A. 403 Begg, C. T. 443 Bendemann, R. von 443 Berger, K. 43, 278, 302, 327, 335 Bergmeier, R. 349–351 Bernays, J. 577 Berner, U. 160 Bernstein, M. J. 37, 40 Berthold, H. 423 Bettiolo, P. 613 Betz H.-D. 160f., 280 Betz, O. 327, 329–331, 341f. Beyer, K. 334, 337 Bilde, P. 66, 216 Billerbeck, P. 151, 468 Binder, D. D. 151f., Binder, W. 226 Blischke, F. 465, 485f. Blischke, M. V. 125, 465, 471, 476f., 479f., 485f., 488 Boccaccini, G. 43, 432 Bockmuehl, M. 59, 64, 70, 179, 187, 409 Boer, M. C. de 404 Bohrmann, M. 220 Bonazzi, M. 114 Bons, E. 87, 126 Borg, K. van der 223 Borgen, P. 61, 161, 180f., 202f., 537 Bornhäuser, H. 151 Botermann, H. 211 Böttrich, C. 4, 79f., 177, 194, 196f., 272, 308, 432, 436, 441 Bovon, F. 277, 354, 368 Boyarin, D. 606 Brandt, P. 461–463 Brawley, R. L. 216 Bremmer, J. N. 221 Breytenbach, C. 2, 8 Broer, I. 286, 300, 315, 318 Brooke, G. J. 32–34, 37, 44, 47

706

Autorenregister

Broshi, M. 447 Buitenwerf, R. 90–92, 449, 611 Bultmann, C. 361 Bultmann, R. 359 Bunta, S. N. 550 Burchard, C. 85, 163f., 206f., 318, 451, 499, 502, 594, 609 Burfeind, C. 451 Burkes, S. 403 Burtchaell, J. T. 151 Cancik, H. 68, 183 Cappelletti, S. 211 Carras, G. P. 185 Cavallin, H. C. C. 379, 403f., 586 Cazeaux, J. 51 Chapman, H. H. 66f., 425, 443f. Chapman, S. B. 25 Charles, R. H. 273, 335 Charlesworth, J. H. 30, 426, 435 Cheon, S. 474 Cherian, J. 35 Chester, A. 193, 378, 387 Christ, F. 586f. Classen, C. J. 63, 154 Cohen, N. 186 Cohen, S. J. D. 150, 219 Collins, J. J. 89, 125, 130, 150, 327f., 330, 342f., 387, 449, 471, 583, 586f., 589, 591 Cook, J. G. 379, 382, 386 Crossan, J. D. 274, 289 Croy, N. C. 439 Crüsemann, F. 20, 26f. Dabelstein, R. 489 Dassmann, E. 228 Dautzenberg, G. 276, 310, 313, 322 Davies, W. D. 433 Davila, J. R. 76, 436f., 459, 551, 608, 610, 612 Deines, R. 4, 10, 241, 248, 401, 405f., 408, 413, 424, 441, 547 Delkurt, H. 267 Delling, G. 8, 56, 85, 149–151, 154f., 157, 163f., 169, 181, 239, 249, 260, 271, 423, 472, 498f., 503, 507, 608 Denis, A.-M. 52, 390, 427, 458, 513, 550, 573, 586

Derron, P. 571, 573f., 585, 591 Deselaers, P. 188 deSilva, D. A. 74, 132, 439 Diebner, B. J. 434 Dietzfelbinger, C. 53, 55 Dihle, A. 270 Dillon, J. M. 64, 103, 106, 110, 112f., 142 Dimant, D. 34, 340, 344f. Dines, J. M. 57 diTommaso, L. 426, 432, 513, 551, 586, 608, 611, 613 Dochhorn, J. 430f., 433, 435, 452f., 511–513, 515f., 522, 526f., 538, 542, 550, 553, 555–557 Dodson, J. R. 486 Doering, L. 46, 61, 150, 155, 157, 245 Dogniez, C. 57 Dohmen, C. 1, 21, 263 Donaldson, T. L. 200f. Donini, P. 107 Doran, R. 439 Dorival, G. 58 Dörrie, H. 102, 106, 110 Doukhan, J. B. 387 Downing, F. G. 274f. Duling, D. C. 459 Dunn, J. D. G. 177, 201, 463, 606 Ebener, D. 123 Eberhart, C. 209 Ebner, M. 289–291, 294 Eckhardt, B. 209, 211, 424 Edwards, M. 471, 477, 482, 485 Egger, W. 301, 322 Ego, B. 46, 424, 430, 447 Eisele, W. 552 Eisenman, R. H. 327f., 330, 333 Eldridge, M. D. 453, 512–515, 551, 562f. Elgvin, T. 34 Elledge, C. D. 379, 384, 403, 405, 408, 588 Esler, P. F. 181 Engberg-Pedersen, T. 232 Engel, H. 130, 476–479 Epp, E. J. 213 Erlemann, K. 405 Erler, M. 102f., 108, 381

Autorenregister Eshel, E. 346 Eshel, H. 346 Fabry, H.-J. 32, 35, 37f., 327 Fahl, S. 432, 436 Falk, D. K. 34, 338 Feldtkeller, A. 201 Feldman, A. 34, 41–43 Feldman, L. H. 69, 150, 152, 155, 182f., 200f., 303, 425f., 443–445 Feldmeier, R. 71, 109, 164, 443 Ferrari, F. 110 Fichtner, J. 121, 488 Fink, U. B. 85, 163, 318, 451, 609 Finkelstein, L. 433 Finsterbusch, K. 35 Fischer, A. A. 117, 378, 582 Fischer, I. 26 Fischer, U. 379, 403, 586, 588 Fitzmyer, J. A. 77, 440, 448 Fonrobert, C. 209 Forschner, M. 64, 85, 103, 105, 107f., 127, 163, 166, 499 Fredriksen, P. 200 Frenschkowski, M. 443 Frerichs, E. S. 469 Frey, J. 2, 31, 37, 361 Fröhlich, I. 34 Fürst, A. 131, 466 García Martínez, F. 48, 51, 327f., 331– 334, 342, 355 Gathercole, S. 448 Gauger, J.-D. 449, 611 Gebhardt, O. von 88, 346 Geffcken, J. 192, 449 Geljon, A. C. 441 Georgi, D. 480, 487f. Gera, D. L. 440 Gerber, C. 67, 155, 160, 183–185, 412, 445 Gertz, J. C. 18 Gese, H. 282 Gilbert, M. 476f., 482, 485, 489 Gnilka, J. 282 Goldman, L. 34, 41–43 Goodman, M. 180f., 200, 217, 219 Görgemanns, H. 6, 111 Görler, W. 103, 105, 111f.

707

Grabbe, L. L. 401, 477 Grafe, E. 486 Grässer, E. 370 Gray, P. 567 Green, W. S. 469 Grelot, P. 352 Gruen, E. S. 211, 214, 216–218 Grund-Wartenberg, A. 27 Grypeou, E. 436 Gzella, H. 549 Haas, C. 389 Hachlili, R. 404f., 408, 413, 591 Hahn, F. 403 Hall, R. G. 363 Hallermayer, M. 447 Halpern-Amaru, B. 44, 46 Hanhart, R. 150, 447, 461 Harrington, D. J. 51, 346 Hasselhoff, G. K. 209 Hausmann, J. 269 Hayes, C. E. 503 Heil, C. 178, 180, 201–204 Heiligenthal, R. 270, 273 Heininger, B. 109 Heinisch, P. 121 Hellholm, D. 403 Hempel, C. 424 Hengel, M. 117, 119f., 135, 137f., 182, 198, 200f., 274f., 281f., 463, 536, 587f. Henten, J. W. van 167, 170, 387, 403, 444 Henze, M. 30, 33, 35, 37, 436 Hermann, P. 247, 254f., 257 Herms, E. 361f. Herzer, J. 4, 424, 441, 567 Himbaza, I. 57 Hirsch-Luipold, R. 6, 111, 160 Höffe, O. 268 Hoffmann, H. 156 Hoffmann, P. 276f. Holder, S. 452 Holladay, C. R. 135, 157, 158f., 573 Hollander, H. W. 81f., 84, 155, 190f., 335, 498, 610 Holleman, J. 404 Holm-Nielsen, S. 88, 346, Holtz, T. 310, 321, 354

708

Autorenregister

Horbury, W. 193, 404, 433, 488 Horn, C. 102 Horn, F. W. 200 Horrell, D. G. 604 Horsley, R. A. 62, 64 Horst, P. W. van der 92, 144f., 151, 155, 181, 185f., 223, 248, 251, 381, 440f., 571–574, 577, 585–589, 591, 596, 621 Hossenfelder, M. 102 Howell Chapman, H. 66 Hübner, H. 2, 130, 172, 438, 476, 485f. Hurtado, L. W. 588 Huttunen, N. 232 Ibba, G. 43 Ilan, T. 214 Inwood, B. 64, 107, 232 Iovino, P. 486 Irmscher, H. D. 361 Irvin, T. 107 Jackson-McCabe, M. A. 498 Jacobson, H. 52 Janowski, B. 269f. Jeremias, J. 414 Jervell, J. 216 Jeska, J. 363 Jewett, R. 212–214 Johnson G. J. 246, 252f. Jong, A. F. M. De 222 Jonge, M. de 81f., 190f., 311, 332, 334f., 360, 453, 511, 513, 527–529, 531, 550 f., 553, 562, 610 Joosten, J. 87 Jüngling, H.-W. 59 Jürss, F. 102 Kaiser, O. 23 f., 120–122., 129, 476, 485, 487 Kamesar, A. 61, 441 Karrer, M. 116, 331f., 334, 350, 352, 395, 548f., 564–566 Kasher, A. 152, 160, 183 Katz, S. T. 433 Kellermann, U. 379 Kenney, J. P. 162 Kepper, M. 482, 485, 487 Kirk, A. 613, 615

Kirk, G. S. 102 Kister, M. 340 Klaiber, W. 547 Klauck, H.-J. 75, 102, 108, 110, 132– 134, 154, 166, 168, 280, 404f., 439 Klawans, J. 187 Klein, M. 205–207 Klie, T. 534 Klimkeit, H.-J. 267 Klinghardt, M. 178, 201 Klostergaard Petersen, A. 116, 121, 127, 132, 436, 469, Kloppenborg, J. S. 243, 273 Knittel, T. 391, 452f., 511–513, 515, 538, 550, 561 Knoepffler, N. 553 Knöppler, T. 433 Koch, D.-A. 202 f., 211, 221 Koch, K. 268 Köckert, C. 112 Köckert, M. 19 Kokkinos, N. 214, 228 Konkel, M. 24 Konradt, M. 4, 63, 82, 142, 199, 206, 241f., 244 Kooij, A. van der 549 Kooten, G. H. van 140, 527 Korn, M. 353, 356f. Körtner, U. H. J. 534 Kosch, D. 276, 279 Kottsieper, I. 439 Kovelman, A. 432 Koyfman, S. A. 37, 40 Kraabel, A. T. 152 Kratz, R. G. 27f., 150, 438 Kraus, H.-J. 360f. Kraus, T. J. 524, 529–531, 544, 553 Kraus, W. 200, 395, 424, 548, 564f., 569 Krauter, S. 211, 219, 234, Kremer, J. 547 Kreuzer, S. 57, 424, 569 Krupp, M. 327 Küchler, M. 65, 68, 70, 73, 93, 145, 158f., 285, 288, 306, 478, 574, 586, 595, 613, 615, 617, 619f. Kugel, J. L. 426 Kuhn, H.-W. 300f., 319 Kulik, A. 440

Autorenregister Kümmel, W. G. 352, 360, Kurfess, A. 449, 611 Labow, D. 67, 445 Lampe, P. 212–214, Lang, B. 443 Lange, A. 38, 197 Lans, B. van der 221 Larcher, C. 121, 480 Lattke, M. 458f. Lee, K.-J. 20 Lehnardt, A. 425, 513, 550, 608 Lehnert, V. A. 216 Lehtipuu, O. 379 Leicht, R. 459 Lemmelijn, B. 1, 57 Leon, H. J. 214, 222 Leonhardt 217 Leonhardt-Balzer, J. 63, 66, 113, 115, 147, 435 Leppin, H. 3, 211, 221 Leppin, V. 603 Levinskaya, I. 217 Levison, J. R. 53f., 182, 413, 445, 452, 512, 514, 550 Lévy, C. 112 Lichtenberger, H. 151, 215, 220, 327, 334, 342, 379, 403, 425, 436 Liedke, G. 336 Lieu, J. M. 201, 493 Lifshitz, B. 390 Lightfoot, J. L. 450 Lim, T. H. 343, 355 Limbeck, M. 59, 156 Limor, O. 622 Lindgård, F. 404 Linebaugh, J. A. 486 Lips, H. von 3, 157, 266, 290f., 293, 306, 478 Littman, R. 439 Lohse, E. 33, 229, 303, 337 Lona, H. E. 379, 403 Long, A. A. 102–107, 112, 127 Longenecker, R. N. 390 López, G. 17 Lorenzen, S. 124, 126 Loretz, O. 117 Lucas, A. J. 486 Luck, U. 280

709

Lüderitz, G. 404 Ludwig, M. 205–207 Lührmann, D. 436 Lux, R. 264–266 Luz, U. 2, 275, 277, 279f., 300, 310, 322, 352, 368 Mach, M. 161 Machovec, M. 264 Mack, B. L. 478 Maier, C. 24 Maier, J. 32, 35f., 38f., 42, 179, 272, 302, 304, 327f., 332f., 335–338, 340, 342, 344–346, 433, 623 Malay, H. 247, 254f., 257 Männlein-Robert, I. 103, 125 Marböck, J. 118 Markschies, C. 461, 466, 581 Marx, H. J. 372f. Maser, M. 423 Mason, S. 4, 66, 147, 160, 183, 219f., 401, 417, 443f. Mathys, H. P. 270, 273, 278 Matusova, E. 114 Maurach, G. 224 Mayer, G. 151 Mazzinghi, L. 73, 121 McDonald, J. I. H. 275 McGlothlin, T. D. 381 McGlynn, M. 128, 464, 471, 476f. McKechnie, P. 220 McVey, K. E. 614 Meerson, M. 623 Meinhold, A. 269 Meiser, M. 27, 86, 390f., 430, 452f., 511–514, 538, 550–552, 569 Meisner, N. 71, 115, 186, 271 Mendels, D. 424 Merk, O. 86, 390f., 430, 452, 511–514, 538, 550 Merkel, H. 91, 449, 611 Merklein, H. 275 Merkt, A. 381, 604 Merz, A. 285, 614 Meyer, A. 245 Michel, O. 407, 444 Milik, J. T. 44, 46 Mitternacht, D. 217, 223 Mittmann, U. 44, 53, 424

710

Autorenregister

Mittmann-Richert, U. 429 Monaco, D. G. 95, 573, 613 Moore, C. A. 447 Moore, S. 71 Morenz, S. 269 Morisada Rietz, H. W. 38 Mras, K. 184 Mülke, M. 60, 135, 139 Müller, Karlheinz 2, 39, 69, 271, 279, 286, 301f. Müller, Klaus 70, 179 Müller, Mogens 60, 424 Müller, Reimar 102 Münchow, C. 48, 50 Murray, S. O. 271 Najman, H. 44, 46, 51, 62–64, 97, 141 Nakman, D. 67 Neher, M. 112, 121, 130, 472 Nesselrath, H.-G. 74, 124f., 464, 487 Netzer, E. 410 Neusner, J. 401, 403, 469 Newman, J. H. 440 Newsom, C. 34, 335, 337 Newton, M. 177 Nickelsburg, G. W. E. 79, 379, 403, 439, 548 Nicklas, T. 8, 100, 381 Niehoff, M. R. 60f., 135, 139f., 228, 442f., 468, 487 Niehr, H. 436 Niese, B. 183 Nihan, C. 19 Nissen, A. 278 Nitzan, B. 333, 335f., 344 Nodet, É. 69 Noethlichs, K. L. 209 Nohl, G. 373 Novak, D. 70, 179 Noy, D. 151, 154, 214, 404, O’Toole, R. 353 Oberforcher, R. 368f. Oberhänsli-Widmer, G. 567 Ochs, C. 623 Oegema, G. S. 43, 52, 88, 334, 390, 403, 430, 436, 458, 573, 586 Offerhaus, U. 476, 487 Öhler, M. 211, 221

Olofsson, S. 58 Olson, D. T. 38 Omerzu, H. 215, 228 Oorschot, J. van 6 Opel, D. 29f., 566 Opferkuch, S. 82 Orlov, A. A. 432 Oswald, W. 18 Otto, E. 18f., 269 Paganini, S. 39, 41 Palmer, G. 606 Panayotov, A. 436, 608 Park, J. S. 248, 381, 404f., 588, 591 Passaro, A. 128 Paulsen, T. 143 Pelletier, A. 164 Penna, R. 217 Penner, T. C. 207 Peres, I. 381, 404, 588 Perkams, M. 103f., 110f. Pervo, R. I. 215f. Pesch, R. 357 Pesenson, M. 611 Petersen, C. 336 Peterson, E. 529 Petkov, J. 432 Petzl, G. 246, 254, 256–258 Pietersma, A. 436 Pietsch, M. 19 Piper, J. 276 Piper, R. A. 273 Pogor, C. 349 Pollmann, I. 63f. Poole, I. 223 Preuß, H. D. 266, 281, Puech, É. 327, 329, 333f., 337–339, 341–343, 349, 355, 379, 403 Qimron, E. 304, 335, 340 Rabenau, M. 188f. Rabens, V. 232f., 603 Rad, G. von 5, 266, 297 Radice, R. 425 Rajak, T. 74, 132, 151 Rapske, B. 215 Ratzke, M. 603 Raven, J. E. 102

Autorenregister Redeker, M. 361 Reed, A. Y. 463, 606 Reese, J. M. 121, 477 Rehn, R. 143 Reinmuth, E. 52, 54, 85, 95, 199, 452, 503, 601, 609 Reiser, M. 198 Reiterer, F. V. 5, 30, 478 Renker, A. 327 Reudenbach, B. 603 Rey, J.-S. 565 Reynolds, K. A. 27 Riaud, J. 572 Richardson, P. 404 Ricken, F. 127 Riedweg, C. 110, 138f. Riesner, R. 211, 228, 282, 288, 327, 329–331, 341f. Ringgren, H. 334 Rivkin, E. 401 Rodgers, Z. 66f., 425, 443 Rokéah, D. 199f. Römer, T. 18 Rösel, M. 57f. Rosenau, H. 102 Rosenbach, M. 225 Rosner, B. S. 199 Royse, J. R. 442 Rudnig, T. A. 24 Rüger, H.-P. 461 Runia, D. T. 62, 114, 139, 142f., 425, 441 Ruppert, L. 489 Rutgers, L. V. 211, 213, 217, 222, 588 Saldarini, A. J. 402 Salvesen, A. 58 Samely, A. 209 Sanders, E. P. 3, 16, 179–181, 193, 196, 201 Sanders, J. A. 346, 353f. Sanders, J. T. 203, 216 Sandmel, S. 161 Sänger, D. 211, 276, 300, 303, 313, 317–319, 501, 610 Sato, M. 273, 276, 352 Sauer, G. 439 Scarpat, G. 487 Schäfer, P. 401, 438, 537, 606, 623

711

Schaper, J. 401 Schart, A. 25 Schäublin, C. 170 Schenker, A. 58 Schiffman, L. H. 32, 40f., 334, 426 Schilling, O. 340 Schipper, B. U. 24, 28 Schläpfer, E. 4 Schlatter, A. 1, 400 Schmid, K. 18–20, 116, 378 Schmidt, E. G. 102 Schmitt, A. 485 Schmitt, T. 229 Schnabel, E. J. 30 Schnelle, U. 8, 100, 211, 221, 240 Schnocks, J. 549, 565f. Schofield, M. 102, 108 Schrage, W. 414 Schreckenberg, H. 66, 183, 425, 444, 622 Schrey, H.-H. 270 Schröder, B. 65, 69, 160, 183 Schroer, S. 485 Schröter, J. 224 Schuller, E. M. 345 Schulthess, F. 95, 613, 615 Schüngel-Straumann, H. 447 Schürer, E. 466 Schwabe, M. 390 Schwankl, O. 399 Schwartz, D. R. 440 Schweizer, E. 322 Schwemer, A. M. 53, 182, 198, 200f., 389 Schwenk-Bressler, U. 474 Schwienhorst-Schönberger, L. 30, 116f. Seager, A. R. 152 Sedley, D. N. 102–107, 112, 127 Seeman, C. 444 Segal, A. F. 179, 181, 200–202, 379, 453, 548 Seland, T. 139 Sellin, G. 404f. Setzer, C. J. 403 Sevenich-Bax, E. 276, 279, 285, 352 Siegert, F. 15, 67, 118, 121, 132, 134, 390, 424, 428, 437, 444f., 550, 572, 608, 611, 619 Sievers, J. 405, 424

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Autorenregister

Sigvartsen, J. A. 379f., 388, 390, 582 Simon, M. 150 Smallwood, E. M. 216, 218 Smend, R. 2, 361 Smith, R. 373 Söding, T. 1, 199, 263, 281 Soldat, C. 611 Soltész, E. 603 Sörries, R. 534 Spicq, C. 502 Spilsbury, P. 187, 443f. Standhartinger, A. 610 Steck, O. H. 28f., 45, 438 Stegemann, H. 41, 327, 332, 336, 346 Steinert, U. 242 Steinmetz, P. 104 Steins, G. 26f. Stemberger, G. 98, 209, 379, 401, 403, 537 Sterling, G. E. 59, 112, 114, 116, 135, 138, 140, 424, 442 Stern, M. 138, 222, 224, 473 Stettler, C. 547 Steudel, A. 336 Stökl Ben Ezra, D. 31, 33, 36f. Stone, M. E. 429, 452, 477, 512, 514, 550f. Strack, H. L. 151, 468 Strand Winslow, K. 503 Strawn, B. A. 33 Strecker, G. 300, 303, 319, 322 Strothmann, M. 209 Strotmann, A. 281 Stroumsa, G. G. 622 Strugnell, J. 34, 304, 333, 335, 340, 346 Stubbe, J. 251 Stuckenbruck, L. 79, 440, 448, 588 Stuhlmacher, P. 352 Sturdy, J. 433 Swanson, D. D. 40 Swoboda, S. 66, 235, 379 Sysling, H. 379, 403 Tabor, J. D. 327, 329f., 343 Talmon, S. 38, 334 Tanaseanu-Döbler, I. 111 Tanner, K. 265 Taschner, J. 23

Tellbe, M. 211, 218, 223 Theiler, W. 142 Theißen, G. 275, 280, 285, 614 Thiele, W. 490 Thom, J. C. 111 Thoma, C. 401 Thomas, J. 144, 165, 179, 185, 576, 585f., 590, 595 Thorsteinsson, R. M. 232 Tigchelaar, J. C. 41 Tilly, M. 57, 59, 426, Tobin, T. H. 140 Tomson, P. J. 181, 199, 201–203 Tóth, F. 520, 524 Tov, E. 18, 34, 327 Toynbee, J. M. C. 534 Trebilco, P. R. 151, 251 Treu, K. 620 Triebel, L. 404f., 412f. Troiani, L. 585 Tromp, J. 86, 390f., 453, 511–514, 538, 550 Troyer, K. de 424 Tso, M. 32 Tsuji, M. 206f., 245 Tuckett, P. M. 273 Tuell, S. S. 24 Tyson, J. B. 216 Ueberschaer, F. 29f., 72, 118 Uhlig, S. 79 Ulrich, E. C. 32 Vander Waerdt, P. A. 64 VanderKam, J. C. 35, 42–44, 46, 48, 50, 402, 439 Veltri, G. 98 Vergari, R. 382, 547 Verheyden, J. 381 Vermes, G. 327, 342, 346 Verseput, D. J. 205, 245 Vinzent, M. 381 Vogel, M. 52–57, 404, 444, 452 Vogler, W. 323 Volp, U. 404f., 412 Volz, P. 403 Vos, J. C. de 94, 578, 613, 621

Autorenregister Wagner, B. 603 Wagner, C. J. 447 Walter, N. 60, 93, 96, 135–139, 144– 146, 157–159, 181, 185f., 308, 395, 460, 486, 563, 571, 573, 585, 587, 589, 591, 620 Wander, B. 201 Waßmuth, O. 89, 91, 450, 552, 572, 611f. Waubke, H.-G. 401 Weber, R. 60f., 63f., 70, 72f., 76, 93, 132, 134f., 141, 479 Wedderburn, A. J. M. 404f. Weeks, S. 448 Wehnert, J. 202 Weinfeld, M. 344 Weiß, H.-F. 370, 401 Weiß, W. 276 Werner, W. 127 Westermann, C. 267, 297 White, L. M. 527, 529, 531, 553 White Crawford, S. 34, 39, 47 Wick, P. 151 Wicke-Reuter, U. 119 Wiefel, W. 217, 604 Williams, M. H. 151, 154 Wilson, W. T. 92, 94, 145, 165f., 175, 185, 440f., 572, 576, 580, 585f., 590f., 593, 595 f., 621

713

Wimmer, H. 603 Winston, D. 62, 129, 166, 460, 476f., 479, 485, 487–490 Wischmeyer, O. 118f. Wise, M. O. 327, 329f. 333, 343, Witte, M. 29, 566f. Wolff, H. 217 Wolter, M. 7, 149, 175, 212, 216, 229, 233, 242, 433f. Woude, A. S. van der 344–346 Woyke, J. 507 Wreford, M. 4 Wright, B. G. III 70, 72, 118, 440 Wright, N. T. 403 Wyrwa, D. 102, 110 Yardeni, A. 346 Young, D. 165, 185, 571 Zachhuber, G. 423 Zahn, M. M. 34 Zangenberg, J. K. Zeller, D. 127, 286, 309, 314, 316, 322 Zenger, E. 20 Ziegler, J. 489 Zimmerli, W. 24 Zimmermann, A. F. 289 Zintzen, C. 112 Zwierlein, O. 228f.

Sachregister Begriffe wie Tora, Weisheit, Gesetz, Gebot wurden nicht aufgenommen.

Abraham 48f., 56f., 90, 159, 207, 363f., 369, 606 Adam 52, 56, 365, 391–395, 511–531, 547–570 Acherusischer See 521, 524f., 530f., 544, 552, 563 Allegorie 60, 72, 161f. Antiochus von Askalon 64, 105, 110– 112, 144 Anthropologie 125–127, 146, 232, 245, 361f., 522, 525–527, 530, 534f., 543–545, 552, 554–557, 563, 568, 581f., 587–589, 593 Aristobulos 7, 60f., 114, 135–139, 147, 159 Auferstehung 9, 11f., 125, 327, 330, 340, 350, 352, 377–379, 382–386, 388–392, 394, 396f., 400, 405, 516, 518, 523, 525, 529, 533, 539, 541f., 545, 547, 549, 554, 557–562, 564– 566, 569, 582, 586, 588–590, 592, 598 Begräbnis 77, 86, 185, 189, 391–393, 405, 410–414, 416, 418, 511f., 522f., 525, 528, 533–536, 538–542, 544, 553f., 557, 560–562, 568f., 582, 591, 597 Beschneidung 49, 155, 176f., 199–201, 226f. Bildung s. Erziehung Bruderliebe 75, 78, 154, 160, 168, 189 Bund 24, 37–39, 49, 53, 364 Bußgebet s. Gebet David 37, 363f., 369, 484, 606 Dekalog 20–23, 29, 53, 94, 97, 140, 161, 166, 172, 175, 177, 305f., 309– 311, 314f., 506, 578, 594

Diaspora 58, 78f., 85, 93, 101, 149, 152f., 156, 164–166, 168, 171, 175, 179–181f., 188f., 194, 197, 198f., 202, 204, 207, 209, 243, 249, 467– 473, 480, 484, 488f., 493, 499, 503f., 507, 580, 583f., 621 Epikureismus 108f., 118, 123, 127 Erziehung, Bildung 68, 75, 118, 153f., 223, 289, 459, 478, 572f., 619 Eschatologie, Endzeiterwartungen 36, 38, 40, 44, 47, 86, 88, 92, 124, 232f., 235, 243–245, 274, 282, 287, 301, 304f., 322f., 330f., 337–343, 347, 349–353, 372, 384, 386, 390, 393f., 404f., 408, 419, 490, 526f., 529–531, 549, 557–559, 561, 563f., 569, 598, 610, 612 Ethik 6, 107, 119, 141, 163, 263, 465 – stoische Ethik 499, 508 Ethos 7–9, 50, 70, 85, 149, 152, 156, 166, 168, 171–173, 242–244, 247, 249, 251, 258f., 261, 265, 283, 293, 311, 496, 499, 507, 579f. Exodus 18, 47, 49, 55f., 62, 65–67, 90f., 122, 150, 172, 192, 363, 365, 368, 370, 470, 474, 476, 483, 488 Feindesliebe 269, 275f., 281f., 316, 318f., 322 Gebet, Bußgebet 108, 388, 391, 484, 512, 519–521, 526, 539, 543, 551f., 561 Geist 45, 105, 126, 128–130, 142f., 146, 200, 282, 329, 331–333, 339, 346, 351, 407, 483, 485, 519f., 524, 526–528, 544, 554–556, 559, 582, 588f., 610, 622

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Sachregister

Gerechtigkeit 22f., 73, 78, 88, 122, 125, 135, 166, 169, 188, 192, 205, 223, 229, 267–269, 299–301, 308f., 330, 346, 350f., 355, 465f., 471, 484f., 575, 580, 593, 595, 610f. Gericht (s. a. Eschatologie) 23, 25, 48, 50, 57, 80f., 89–91, 96, 124f., 130, 191, 194f., 200, 244, 247, 250, 252, 254, 258f., 295, 306, 309, 330f., 343, 345, 351, 355, 364f., 380f., 383, 385–387, 389, 393f., 408, 419, 465, 470f., 474, 483–485, 487, 518, 521, 553, 558–560, 562, 565f., 568, 580, 610f. Gesalbter s. Messias Geschichte, Geschichte Israels, Geschichtsverständnis, Heilsgeschichte 10f., 16, 23, 46f., 51f., 55–57, 62, 67, 90f., 122, 172, 185, 200, 231, 235, 350, 355, 359–362, 366–368, 371, 375, 465, 476, 483, 485 Gnomologie 93f., 96, 145, 308, 574, 613 Goldene Regel 9, 270–275, 293, 316f. Gottesverständnis 1, 3, 52, 68, 94, 96, 111, 120, 130f., 138f., 148, 243f., 259f., 268, 270, 281, 339–341, 350, 367f., 371, 380, 465f., 538, 580f., 598, 616 Götzendienst 49, 55, 73f., 81, 96, 163f., 176, 179, 181f., 192, 195, 202, 231, 488f., 493f., 505–507, 609 Heilsgeschichte s. Geschichte Hellenismus 50, 104, 117, 131, 164, 166f., 171f., 239–241, 247, 270–273, 469f., 472f., 478, 490f., 493f., 507f., 536, 563, 569f., 574, 580, 599, 611f., 621 Jerusalem 26, 36, 39, 46, 77, 89, 117, 188, 213, 217–221, 234, 236, 341, 364f., 415–417 Josef 75, 83, 155, 158f., 166, 205, 364, 369, 474, 494–498, 609 Kanon 5, 27f., 32, 101, 368, 461–463, 466, 602, 606f. Kult s. Tempel

Liebesgebot (s. a. Feindesliebe, Nächstenliebe) 9, 50, 81, 175–177, 266, 275–282, 317–320 Messias, Gesalbter 10, 38, 331, 333f., 337, 342, 350f., 352f., 355, 368, 562, 580 Mittelplatonismus (s. a. Platonismus) 64, 109–111, 113, 131, 487, 489 Mose 42–44, 46–49, 53, 55, 63, 66, 69, 80, 90, 98, 136, 138f., 159, 161f., 229–231, 272, 301-304, 307, 332f., 337, 365, 370, 390, 459, 474, 515, 550, 561, 577 Natur, Naturgesetz, Naturphilosophie 5, 59, 61–64, 66, 102, 105, 111, 119, 141, 157, 161, 229f. Nächstenliebe (s. a. Liebesgebot) 276, 279f. Noach 48, 50, 91, 364f., 370, 612 Opfer (s. a. Tempel) 25, 81, 182, 184, 195, 197, 217, 308 – ~kult 177, 179, 183, 196f., 199, 308f. – ~tora 49 – ~vorschriften 175 Paränese (s. a. Toraparänese) 28, 40, 50, 74, 76, 79f., 82f., 85–87, 94–96, 115, 132, 146, 148, 155, 161, 191, 198, 241, 258, 301, 307f., 310, 315, 317, 364, 478, 494, 497–502, 505f., 578, 590f., 593, 610, 612, 619 Pentateuch 8, 17f., 20f., 25, 31–33, 36, 40, 57, 69, 99, 144, 148, 178, 250, 302, 368, 378, 537, 572, 577 Philon von Alexandria 7, 113f., 139– 141, 143f., 147f., 464, 468, 472f., 487, 489, 498, 537 Philosophie 6f., 62f., 68, 75, 94, 101, 158, 270, 272, 280, 472f., 487, 537 – Popular- 65, 95, 160, 162f., 167f., 187, 230, 271, 275, 489f., 579 Platon, Platonismus (s. a. Mitttelplatonismus) 58, 60, 64, 102–107, 113, 136–138, 141–143, 573f.

Sachregister Priester 17–20, 24–26, 36, 38f., 41, 47f., 54f., 67, 70–72, 81, 115, 151, 164, 175, 177, 179, 183f., 186, 188, 190f., 196, 220f., 228, 235, 304, 331–337, 341, 343, 351, 415, 504, 610, 617 Prophet, Prophetie 22–26, 29, 36, 47, 59, 63, 75, 90–92, 130, 150, 154, 190, 193, 197, 287, 304, 308f., 331f., 336, 350f., 357, 370, 372, 378, 387, 389, 396, 414, 471, 488, 565, 611f. Pythagoreismus 112, 130, 136f. Recht 18–20, 22f., 40, 50, 54, 58, 91f., 98, 178, 183f., 217, 256–258, 308, 312, 317, 578, 581, 616 Reinheit, Verunreinigung 39, 49, 71, 175–177, 179, 183–185, 187, 190, 192, 198f. Sabbat 46f., 49, 61, 65, 137, 150, 155, 157, 176–178, 182f., 187, 199, 217, 224–227, 292, 302, 394 Salomo 73, 88, 92, 122, 128, 138, 158, 332, 363–365, 457–459, 484, 577 Schöpfer, Schöpfung 37f., 46f., 49, 56, 58f., 61f., 76, 80f., 120, 124f., 128, 137f., 141–143, 168, 231, 291f., 296, 302, 330f., 345, 351, 370, 388, 466, 469, 598 Seele 45, 50, 71, 74, 104–108, 113, 118, 123–128, 130, 133, 139, 146, 184f., 195, 233, 308, 312, 380, 389, 394, 396, 399f., 407–409, 516, 524, 526–529, 535, 541, 544f., 553, 555f., 558, 560, 564, 568, 575, 580, 582, 586–590

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Sexualität, Sexualethik 19, 40, 49f., 65, 74, 78, 81, 90, 93, 97, 165, 182, 184, 186f., 189f., 192, 195, 245, 307, 311, 499f., 502f., 575f., 578, 596, 616 Sinai 39, 42, 45–47, 49f., 56, 90, 98, 136f., 153, 194, 363, 365 Speisegebote 71f., 155, 180, 192, 198f., 201f., 204, 218, 220f., 225, 227, 494, 504, 508 Stoa, stoisch 85, 96, 103–107, 113, 120, 130f., 137, 138f., 141–143, 161, 163, 192, 231, 468, 573 Synagoge 151f., 154, 157, 182, 191, 196, 197, 209, 211, 214, 217, 221– 224, 227, 248, 251, 289 Tempel, Tempelkult (s. a. Opfer) 36, 38f., 46f., 49, 77, 91f., 175, 177, 179f., 182f., 188, 190–192, 198, 304f. 485 Theologie s. Gottesverständnis Tod 12, 78, 86, 109, 122f., 125, 127, 145f., 401, 406–409, 418f., 512, 525, 531, 552, 575, 581f., 593, 596, 598, 615, 618 Toraparänese 16, 50f., 70, 73, 75, 79, 81, 84, 89, 93, 95, 97, 144, 148, 157, 160, 167f., 189–192, 195, 205, 207, 243, 245, 257, 294, 296, 306f., 309, 311f., 317, 321, 367, 479, 498, 501, 503, 508, 577–579, 583, 591, 610, 619, 621 Tugend 6, 62, 73, 76, 107, 126, 132, 135, 145, 154, 160f., 166, 168, 186, 223, 576, 590