Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik: Ansätze zu einer strukturalistischen Sicht juristischer Theoriebildung [1 ed.] 9783428466504, 9783428066506


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German Pages 235 Year 1989

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Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik: Ansätze zu einer strukturalistischen Sicht juristischer Theoriebildung [1 ed.]
 9783428466504, 9783428066506

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THOMAS SCHLAPP

Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik

Schriften zur Rechtstheorie Heft 138

Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik Ansätze zu einer strukturalistischen Sicht juristischer Theoriebildung

Von Dr. Thomas Schlapp

Duncker & Humblot * Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schlapp, Thomas: Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik: Ansätze zu einer strukturalistischen Sicht juristischer Theoriebildung / von Thomas Schlapp. — Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zur Rechtstheorie; H. 138) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-06650-2 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-06650-2

Meinen Eltern

Ich bin von vornherein bereit zuzugestehen, daß meine Konzeption falsch ist, hege jedoch eine gewisse Hoffnung, zumal bekanntermaßen gut irrt, wer als erster irrt. Sollte sich jedoch auch diese Hoffnung als illusorisch erweisen, werde ich froh sein darüber, daß ich auf dieser Welt nicht so einsam gewesen bin, wie es bis zu diesem Zeitpunkt den Anschein hatte. Alexander Sinowjew

Vorwort Die vorliegende Arbeit versucht - soweit ich sehe erstmals - eine vollständige Theorie juristischer Dogmatik anzubieten. Der Gegenstand „Rechtsdogmatik" ist ein Problembereich, dem sich Juristen, wiewohl vertraut im Umgang mit der Vokabel, theoretisch nur sehr zögerlich nähern. Dies mag damit zusammenhängen, daß die rechtstheoretischen Anknüpfungsmöglichkeiten überaus disparater Natur sind. Es machte wenig Sinn, wollte man in Ausnützung dieser Situation dem Drang zu freier Assoziation nachgeben. Erfolgversprechender schien es, die Größe „Rechtsdogmatik" nach einem „Bauplan" zu rekonstruieren, der sich anderwärts bereits bei vergleichbaren Aufgaben bewährt hatte und der als Garant für die gebotene metatheoretische Disziplin dienen konnte. Diesen „Bauplan" liefert eine neue wissenschaftstheoretische Sichtweise, die von dem Amerikaner J. D. Sneed erstmals 1971 in seinem Werk „The logical structure of mathematical Physics" zur Analyse physikalischer Theorien vorgeschlagen wurde und die sich im Anschluß hieran zum führenden wissenschaftstheoretischen Paradigma ausgebildet hat. Insofern verdankt sich die Arbeit der anfangs gewagt erscheinenden These, Rechtsdogmatik sei (physikalischen) Theorien vergleichbar und daher analog rekonstruierbar. Auf der Basis dieses Szenarios verfolgt die Untersuchung zwei Zwecke: einmal die Antwort auf die Frage, was eine „Rechtsdogmatik" ist oder präzisiert: wie weit sich die präsupponierte These halten läßt, Rechtsdogmatik sei eine Form wissenschaftlicher Theoriebildung. Zum anderen wird versucht, die rechtstheoretische Reflexion im Bereich der analytischen Rechtswissenschaftstheorie auf ein Niveau zu heben, auf dem sie die reine Wissenschaftstheorie der Gegenwart zumindest wieder zur Kenntnis nehmen kann. Diese Arbeit ist hinsichtlich der strukturalistischen Wissenschaftsphilosophie bisher nicht geleistet.

8

Vorwort

Ich habe an dieser Stelle meinen Dank all jenen auszusprechen, die den Werdegang dieser Arbeit verfolgt haben: zunächst Prof. Dr. Winfried Hassemer, dem Betreuer der Arbeit, der sich des Themas mit größter Toleranz und Geduld annahm und dem es zu verdanken ist, daß aus mancherlei Unübersichtlichem noch Durchschaubares entstand. Ich hoffe, daß sich von seiner Liberalität gegenüber anderen wissenschaftstheoretischen Richtungen auch etwas in dieser Arbeit findet. Mein Dank gilt schließlich all denjenigen, die mich zuweilen selbst vom Sinn der Anstrengungen überzeugen mußten. Dank also an Priv. Doz. Dr. Maximilian Herberger, Wiss. Ass. Kai Hart-Hönig, Prof. Dr. Bernhard Haffke und meiner Frau, Rechtsanwältin Xanthi Bassakou. Thomas Schlapp

Inhaltsverzeichnis I

Einleitende Bemerkungen

13

1.1

Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

13

1.1.1

Vorbemerkung

13

1.1.2

Erster Zugang zu „wissenschaftlichen Theorien"

14

1.1.3

Erster Zugang zu „juristischer Dogmatik"

20

1.2

Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

30

1.2.1

Das Problem

30

1.2.2

Ein formales Modell der Problemzugänge

33

1.2.3

Vorbereitende Bemerkungen

36

1.2.4

Das historische Beispiel: Thomas Hobbes

37

1.2.5

Schlußfolgerungen

46

II

Sichtweisen juristischer Dogmatik

47

II. 1

Vorbemerkungen

47

11.2

Funktionalistische Sichtweisen von Dogmatik

48

11.2.1

Systemtheoretische Varianten

48

11.2.2

Rechtstheoretische Varianten

52

11.3

Wissenschaftslogische Sichtweisen von Dogmatik

55

11.3.1

Dogmatik als Aussagensystem („Aussagenkonzept")

55

11.3.2

Dogmatik als Menge von Lösungsvorschlägen

65

11.4

Hermeneutische Sichtweisen von Dogmatik

71

11.4.1

Zur Unterscheidung zweier Zugänge

71

11.4.2

Dogmatik als sinnkonstituierendes Medium

11.5

Offene Fragen im Zusammenhang mit juristischer Theoriebildung

71 ..

75

11.5.1

Dogmatik und Modelle

76

11.5.2

Autonomie der Rechtsbegriffe

77

11.5.3

Normative Tatbestandsmerkmale

78

11.6

Aufriß der Problemstellungen

79

III

Das strukturalistische Theorienkonzept

81

111.1

Vorbemerkung

81

111.2

Die historische Situation

82

10

111.2.1

Inhaltsverzeichnis

Die „Aussagenkonzeption" von Theorien und das Problem „theoretischer Terme"

82

Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung als Wissenschaftstheoriekritik

85

111.2.3

Bourbaki-Mathematik und mengentheoretische Prädikate

89

111.3

Die Metatheorie von J. D. Sneed

92

III. 3.1

Vorbemerkung zur Darstellung

92

111.3.2

Kurze Charakterisierung der Theorie

92

111.3.3

Die erste Version einer empirischen Behauptung. Modelle, potentielle Modelle und intendierte Anwendungen

94

111.3.4

Das Problem theoretischer Terme und die Ramsey-Lösung des Problems. Partielle potentielle Modelle

97

111.2.2

111.3.5

Erweiterungen der Ramsey-Lösung. Nochmals: intendierte Anwendungen, Constraints 102

111.3.6

Die letzte Version einer empirischen Behauptung: Der Ramsey-SneedSatz einer Theorie 107

111.3.7

Die Struktur einer physikalischen Theorie. Non-statement-view . . . . 112

111.3.8

Aspekte der Theoriendynamik

111.4

Die Bedeutung der Theorie von Sneed für die Analyse von Dogmatiken - ein Vorgriff 119

117

III. 5

Zusammenfassung

120

IV

Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

122

IV. 1

Vorbemerkung

122

IV. 2

Der Ausgangspunkt

122

IV. 3

Dogmatik als Struktur

123

IV.3.1

Die Struktur eines Dogmatikelements

123

IV.3.2

Mengentheoretische Prädikate und Modelle eines Dogmatikelements 123

IV.3.3

Potentielle Modelle eines Dogmatikelements

128

IV.3.3.1 Das Problem

128

IV.3.3.2

T-Theoretizität und Rechtsbegriffe

129

IV.3.3.3

Potentielle Modelle

138

IV.3.4

Partielle potentielle Modelle und intendierte Anwendungen einer Dogmatik 141

IV.3.5

Das Verhältnis von potentiellen Modellen zu partiellen potentiellen Modellen in juristischen Dogmatiken 145

IV.3.6

Constraints

150

IV.3.6.1 Grundlagen

150

IV.3.6.2

Kontrastierung mit der juristischen Argumentationstheorie

151

IV.3.6.3

Zwei Typen von dogmatischen Constraints

153

Inhaltsverzeichnis

IV.3.6.4

Unterschiede dogmatischer Constraints zu Sneed'schen Constraints . . 159

IV.3.6.4.1 Der Definitionsbereich von Interpretationsconstraints

160

IV.3.6.4.2 Die Determinationsfunktion der Grundsatzconstraints

161

IV.3.6.4.3 „Doppelte Dogmatisierungen"

162

IV.3.7

163

Die Elemente eines Dogmatikelements

IV.4

Die Struktur dogmatischer Behauptungen

164

IV.4.1

Die Antwort des statement-view

164

IV.4.2

Die Antwort des non-statement-view

165

IV. 5

Dogmatiken und Dogmatikelemente

167

IV. 6

Einige Definitionen und Schemata

168

IV. 7

Rechtstheoretische Deutungen der Definitionen

171

IV.8

Abschließende Bemerkungen zur Explikation des strukturalistischen Dogmatikkonzepts 173

V

Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

175

V.l

Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

175

V.l.l

Dogmatik und „Modelle"

175

V.1.2

Struktur und Komponenten einer Dogmatik

175

V.l.3

Zur Funktion einzelner Strukturmerkmale

176

V.l.4

„Fallkonstellationen" und Dogmatik

185

V.1.5

Die Reduktion der Eigenkomplexität einer Dogmatik

185

V.1.6

Die Autonomie von Rechtsbegriffen

189

V.1.7

Normative Tatbestandsmerkmale und theoretische Terme

192

V.l.8

Minimale, klassische und restriktive Dogmatiken

197

V.2

Rechtstheoretische Verallgemeinerungen

197

V.2.1

Die Anwendungsbezogenheit des Rechts

198

V.2.2

Der hermeneutische Charakter der Rechtsdogmatik

199

V.3

Zur Analyse einer konkreten Dogmatik

202

V.3.1

Vorbemerkung

202

V.3.2

Die Dogmatik des § 32 StGB

203

V.3.2.1

Analyse der begrifflichen Fassung der Dogmatik

203

V.3.2.2

Strukturalistische Charakterisierung der Dogmatik

210

VI

Rechtstheoretische Position der strukturalistischen Dogmatiktheorie . . 213

VI.l

Theoretische Tradition

213

VI.2

Zur Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft

215

Literaturverzeichnis

216

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Zeitschriften AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

ARWP

Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DVR

Datenverarbeitung im Recht

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KrimJour

Kriminologisches Journal

NHPhil

Neue Hefte für Philosophie

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

RTh

Rechtstheorie

RuP

Recht und Politik

SoW

Soziale Welt

StV

Strafverteidiger

VerwArch

Verwaltungsarchiv

ZAW

Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

ZvglRWiss

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

I Einleitende Bemerkungen I . l Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien 1.1.1 Vorbemerkung Dem Juristen ist der Umgang mit dem Begriff der „Theorie" nicht fremd. Er verwendet ihn vorzugsweise zur Bezeichnung von begrifflichen Konstruktionen, die an bestimmten Zweigstellen einer juristischen Dogmatik 1 vorkommen und dort die Entscheidung determinieren. Derartige Zweigstellen können einerseits unmittelbare Auslegungsfragen sein, andererseits aber auch unabhängig vom Normtext entworfene Konstruktionsvorschläge. Ein Beispiel für eine solche „Auslegungstheorie" findet sich etwa im Bereich der Erfüllungsdogmatik des § 362 BGB der der Form der „Theorie der realen Leistungsbewirkung", die dort mit der „Vertragstheorie" konkurriert 2 . Unabhängig von einer singulären Norm entwickelt ist beispielsweise die im Rahmen der §§ 16, 17, 32 StGB operierende „eingeschränkte Schuldtheorie" die dort der „strengen Schuldtheorie" kontrastiert 3 . In beiden Fällen - weitere Beispiele lassen sich leicht finden 4 - ist der Sprachgebrauch „Theorie" eingeübt. Gleichwohl artikulieren einige Juristen Unbehagen an der Verwendung dieses Begriffs. In der Tat erscheint dessen Gebrauch im Rahmen scheinbar trivialer Zusammenhänge, wie etwa der Abwicklung eines Kaufvertrages, zumindest mit Rücksicht auf komplexe mathematische Strukturen zur Beschreibung kosmischer Vorgänge, die bereits das Signum „Theorie" tragen, zu hoch gegriffen. Tatsächlich bemüht man sich, die so etikettierten juristischen Konstruktionen aus der erdrücken1 Der Begriff „Dogmatik" wird vorläufig präexplikativ verwendet und appelliert nur an die fachwissenschaftliche Intuition. Es wird im Verlauf der Untersuchung zu zeigen sein, daß das zu entwerfende Bild einer Dogmatik diese Intuition erheblich überschreitet. 2 Es geht hier um die Lösung der Streitfrage, ob eine geschuldete Leistung durch faktisches Handeln oder nur durch Abschluß eines separaten „Erfüllungsvertrages" bewirkt werden kann. Vgl. W. Fikentscher, (SchR), § 38 II. 3 Hier geht es um die dogmatische Einordnung der irrtümlichen Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen einer rechtfertigenden Norm. Geglückte Darstellungen finden sich etwa bei H. H. Jescheck, (AT), S. 374f. oder bei G. Stratenwerth, (AT), Rn. 499ff. 4 Etwa bei H. Wagner, (Theorie) oder R. Dreier, (Theoriebildung), S. 106f.

14

I Einleitende Bemerkungen

den Nähe real- oder formalwissenschaftlicher Denkgebäude zu entfernen, und versichert, es handele sich „in Wahrheit" nicht um Theorien, sondern um schlichte Meinungsäußerungen 5, es gebe also keinen Grund, derartige Begrifflichkeiten in den wissenschaftstheoretischen Adel aufzunehmen. Obgleich diese Bescheidenheit die Autoren ehrt, haben sie das Feld zu schnell geräumt. Eine der Thesen, die im Laufe der Arbeit zu belegen ist, lautet nämlich: es gibt unter einem bestimmten - sehr abstrakten - Blickwinkel keinen Grund, zwischen physikalischen und juristischen Theorien zu unterscheiden. Im Ergebnis wird sich zeigen, daß es tatsächlich unzweckmäßig ist, die genannten juristischen Konstruktionen bereits „Theorie" zu nennen. Sie können adäquater als Teil einer juristischen Theorie aufgefaßt werden. Die juristische Theorie selbst ist anders zu konstruieren. Ich werde als „Theorie" nicht Teile einer Dogmatik auffassen, sondern die komplette Dogmatik einer Norm. Die oben erwähnte These läßt sich in folgender Form explizit machen: T l ) Die gesamte Dogmatik einer juristischen positiven Norm ist eine wissenschaftliche Theorie. Zu einer Dogmatik zählt die Norm selbst. Dieser Grundgedanke der Arbeit enthält zwei ungewöhnliche Sichtweisen. Die zweite - die Norm als einen Teil ihrer zugeordneten Dogmatik aufzufassen - hat einen eher technischen Grund und soll erst später Gegenstand der Erörterung sein. Die erste - wissenschaftliche Theorien und juristische Dogmatik als vergleichbar zu behaupten - scheint prima facie wenig plausibel. Ich will deshalb im präexplikativen Stadium versuchen, diese Parallelisierbarkeit einsichtig zu machen. 1.1.2 Erster Zugang zu „wissenschaftlichen Theorien" Der geringe Plausibilitätsgrad der erwähnten Vergleichbarkeit liegt offenbar in einer wissenschaftlichen Intuition begründet, die nur recht grobe Bilder von dem entwirft, was eine „Theorie" und was eine „Dogmatik" ist. Dieses grobe Bild einer Theorie sieht etwa so aus: Eine Theorie ist ein mathematisches Gebilde - äußerlich meist an Differential· und Integralgleichungen erkennbar - das irgendwie tatsächliche Vorgänge abbildet oder voraussagt sowie verschiedene meßbare Abläufe systematisiert. Theorien können wahr oder falsch sein. Wahrheit oder Falschheit können bewiesen werden. Dieses Bild ist natürlich nicht völlig falsch. Es ist nur überaus ungenau und einseitig von der vermeintlich idealen Wissenschaft, der Physik, geprägt. In 5 In dieser Art äußern sich übereinstimmend L. Raiser , (Rechtsdogmatik), S. 98; ΛΓ. Volk, (Strafrechtsdogmatik), S. 78 und//. Wagner, (Theorie), S. 457. Im Ergebnis teilt diese Einschätzung auch U. Neumann, (Wissenschaftstheorie), S. 183.

1.1 Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

15

der Tat zeigt sich, daß dieses Bild sowohl Physikern 6 wie Nichtphysikern 7 bei philosophischen Reflexionen vor Augen steht. Nun wäre in der Tat keine Hoffnung auf Vergleichbarkeit wissenschaftlicher und juristischer Theorien, wenn man sich erstere so holzschnittartig vorzustellen hätte, wie die obige - natürlich fiktive - Beschreibung. Aber ganz abgesehen davon, daß auch Physiker bei genauerer Analyse zu einem viel differenzierteren Bild einer „physikalischen Theorie", deren Eigenschaften, deren Relationen zu konkurrierenden Theorien usw. kommen 8 , gibt es ohnehin keinen Grund, jedes fach wissenschaftliche System an naturwissenschaftlichen Maximalforderungen zu messen9. Man kann vielmehr umgekehrt versuchen, im Wege einer „absteigenden Integration" 10 die Beschreibung von Theorien so zu erweitern, daß der Vergleich zwischen Systemen verschiedenster Fachwissenschaften zumindest zu heuristischen Zwecken möglich ist. Dies verlangt eine gewisse Abstraktion. Man könnte also etwa daran denken, die obige Beschreibung einer „Theorie" zu verallgemeinern. So ist es nicht zweckmäßig, die mathematische Analysis als zwingende Bedingung eines theoretischen Gerüstes zu fordern, auch wenn sich Physik und Wirtschaftswissenschaften mit Vorliebe dieser Methoden bedienen. Es ist überhaupt nicht hilfreich, mathematische Strukturen 11 zu verlangen, die zur Systematisierung numerischer Objektbereiche entwickelt wurden 12 und dementsprechend nur zur Anwendung gelangen können, wenn der Objektbereich entweder selbst aus Zahlen besteht oder für ihn zumindest 6 Etwa P. Duhem, (Ziel), S. 20f.; G. Falk / W. Ruppel, (Mechanik), S. 4f. und prägnant W. Heisenberg, (Richtigkeitskriterien), S. 126: „Unter einer abgeschlossenen Theorie verstehen wir ein System von Axiomen, Definitionen und Gesetzen, mit deren Hilfe ein großer Bereich von Phänomenen richtig und widerspruchsfrei beschrieben, d.h. mathematisch abgebildet werden kann." 7 Zum Beispiel T. Dreier, (Wissen), S. 128f., der dieses Bild freilich deshalb so scharf zeichnet, weil er es als Kontrast für einen ethnologischen Rationalitätsvergleich benötigt. 8 Vgl. neuerdings E. Scheibe, (Theorienvergleich), insbes. S. 302ff. Es wird noch präziser zu beschreiben sein, wie das „neue" Bild einer physikalischen Theorie aussieht. 9 Mir ist bereits hier an der Feststellung gelegen, daß ich keine Konfrontation mit den Naturwissenschaften suche, sondern das viel weiter entfernt liegende Gegenteil. Es hat sich nur gezeigt, daß man mit einseitigen Maximalforderungen nicht weiterkommt. 10 Den Begriff hat G. Eberlein, (Wissenschaftsforschung), S. 496 in den Diskussionszusammenhang eingebracht. 11 Der Begriff der „Struktur" wird in der Untersuchung eine zentrale Rolle spielen. Ich verwende ihn vorläufig unpräzisiert, jedoch stets in Kontexten, in denen er später auch präzisiert auftaucht. 12 In der Tat hat zwar der Begründer der modernen Infinitesimalrechnung - Leibniz - auch eine bestimmte Ontologie vor Augen gehabt, nämlich einen Kosmos von ideal gedachten kleinsten Einheiten. Aber deren „Ubersetzbarkeit" in Zahlen wurde sowohl von ihm wie von seinen Kritikern stillschweigend unterstellt. S. dazu in prägnanter Kürze K. Strubecker, (Mathematik II), S. 70ff. und vor allem H. Meschkowski, (Problemgeschichte II), S. 91 ff.

16

I Einleitende Bemerkungen

numerische Ordnungen und Algorithmen definierbar sind. Sofern man daran interessiert ist, Konvergenzen aller Wissenschaften ausfindig zu machen, kann man sinnvollerweise nur verlangen, daß eine theoretische Struktur mithilfe einer bestimmten Logik mindestens partiell darstellbar ist. Auf der Grundlage einer solchen Mindestanforderung - deren Verschärfung natürlich jederzeit möglich ist - kann man erwarten, daß auch Systeme in fachlich normierter Umgangssprache sinnvoll auf ihre Theorieeigenschaft hin untersucht werden können, d.h. nicht schon an der Sprachbarriere scheitern 13 . Diese fiktive Theoriedefinition soll also zunächst dadurch erweitert werden, daß man fachsprachliche Systeme mit partieller Übersetzbarkeit in eine bestimmte Logik zuläßt. Der zweite Teil des schablonenhaften Theoriebildes, also die Anforderung, „tatsächliche Vorgänge" abzubilden und „meßbare Abläufe" zu systematisieren, ist nicht nur ebenfalls zu eng gewählt, sondern darüber hinaus erkenntnistheoretisch naiv. Zu eng ist das Bild aus ähnlichen Gründen wie unter dem mathematischen Blickwinkel: „meßbare Abläufe" setzen einen Objektbereich voraus, für den sich Meßoperationen definieren lassen. Ohne auf Einzelheiten der Theorie der Messung einzugehen, kann zumindest soviel gesagt werden: eine Messung setzt zumindest die Existenz metrisierbarer Strukturen voraus, d.h. eines Gegenstandsbereichs, auf dem eine Homomorphiefunktion definierbar ist, die dem Objekt On einen und nur einen Zahlenwert Z n e Ru zuordnet 15 . Dies aber bedeutet, daß man es wieder mit der Voraussetzung numerischer Strukturen zu tun hat, mit Strukturen also, die in weiten Bereichen der Psychologie, der theoretischen Soziologie, der Pädagogik, der Jurisprudenz und der Biologie nicht vorfindbar sind. Die erkenntnistheoretische Naivität rührt andererseits von der unreflektierten Annahme her, es gebe so etwas wie „reine" Fakten, die man nur sinnesmäßig wahrnehmen müsse und die dann so etwas wie „unumstößliche Wahrheiten" bilden. Diese Annahme war lange Zeit Gegenstand einer Diskussion, die häufig unter dem Stichwort „Positivismusstreit" ausgetragen wurde und die nachzuzeichnen hier nicht der Ort ist 16 . Ich beschränke mich auf die Feststellung, daß diese Meinung von keinem Grundlagenforscher mehr vertreten wird 1 7 . Die aufgeklärte - wenngleich, wie zu zeigen ist, nicht modernste 13

Wobei ich zunächst die klassische Trias „Umgangssprache - Fachsprache - Formalsprache" (in qualitativer Reihenfolge) zugrundegelegt habe. 14 Dabei bezeichne R die Menge der reellen Zahlen. 15 Vgl. F. v. Kutschern, (Wissenschaftstheorie I), S. 27. 16 Verwiesen sei allerdings auf zwei einprägsame Referate des „positivistischen" Programms: L. Kolakowski, (Positivismus), S. 9 - 19 und I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 94 ff. 17 Sofern sich dieser Standpunkt überhaupt jemals in dieser Reinheit nachweisen läßt. Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht sind weder die Philosophen des „Wiener

1.1 Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

17

Erkenntnistheorie 18 erkennt an, daß es kein „leeres" Bewußtsein gibt, das von „reinen" Fakten bevölkert wird, sondern daß Beobachtungen stets theoriegeleitet sind, in der Sprache Piagets: an Transformationssysteme assimiliert werden 19 . Erkenntnis ist also ein Angleichungsvorgang, der Theorie und Erfahrung in begrenztem Umfang partikelweise zur Deckung bringt und deshalb Aktivität des Beobachtenden erfordert 20 . Diese erkenntnistheoretische Richtung leugnet nicht, daß es „Fakten" gibt 2 1 ; sie leugnet nur, daß diese ohne „Anleitung" durch eine Theorie gefunden und systematisiert werden können, sie verneint also deren Unumstößlichkeit. Damit wird der Erkenntnisvorgang „dynamisiert" 22 . Tatsächlich wird diese Erkenntnistheorie von historischen wie psychologischen Erkenntnisstad/en belegt. Ein instruktives Beispiel aus der Wissenschaftsgeschichte der Physik - von Segrè 23 neutral und von Kuhn in kritischer Absicht referiert 24 - ist die Entdeckung der X-Strahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen (1895). Diese Strahlen wurden von Röntgen mit einem damals häufig verwendeten Gerät, einer Vakuumröhre, erzeugt, und zwar bei einer ebenso geläufigen Versuchsanordnung zur Erzeugung von Kathodenstrahlen. Das interessante Moment dabei war, daß alle anderen Physiker diese Strahlen auch schon erzeugt hatten, ohne sich dessen bewußt geworden zu sein. Die Erklärung dafür liegt in der mangelhaften theoretischen Anleitung. Eine Theorie, die zur Entdeckung dieser Strahlen hätte führen können, lag nicht vor 2 5 . Offenbar belegt dies die These von der Theorieabhängigkeit der Fakten. Kreises" noch Karl Raimund Popper die Urheber dieses Gedankens (sondern eher deren Überwinder). Abschied vom unumstößlichen Charakter der sog. „Protokollsätze" nimmt bereits O. Neurath, (Physikalismus), S. 104. Vgl. auch die zusammenfassende Darstellung bei V. Kraft, (Wiener Kreis), S. 109ff. Ebenso hat K. R. Popper stets die Dispositivität der „unmittelbaren" Erfahrungsaussagen betont (vgl. etwa (Logik), S. 69, S. 71). Vgl. im übrigen bereits 1932 H. Cornelius, (Kritik), S. 195. 18 Sie ist übrigens keineswegs neu. Neben Immanuel Kant hat vor allem René Descartes die Erkenntnismöglichkeit aus reiner Erfahrung geleugnet. Ein instruktives Beispiel findet sich in (Meditationen), S. 23f. 19 J. Piaget, (Erkenntnistheorie), S. 22. 20 J. Piaget, (Erkenntnistheorie), S. 23. 21 Das wird allerdings oft mißverstanden. Das erkenntnistheoretische Zugeständnis der empirischen Grundlagenforschung verführt manche Autoren dazu, Erfahrungswissenschaften und Dichtung Gemeinsamkeiten abzuringen. So versteigt sich z.B. G. Picht, (Zusammengehörigkeit), S. 43 zu einem Satz wie diesem: „Im Experiment verschmelzen Metaphysik und Utopie zu einer unauflösbaren Einheit". 22 Das Bild von der „Annäherung" der Fakten an die Theorie ist übrigens aus der Rechtstheorie bekannt. Es handelt sich um die hermeneutische Theorie der wechselseitigen Konstitution von Tatbestand und Sachverhalt, wie sie in präziser Form von W. Hassemer, (Tatbestand), S. 101 ff., insbes. S. 107f. ausgearbeitet wurde. Darauf ist später nochmals zurückzukommen, um zu sehen, daß diese Parallele kein Zufall ist. 23 E. Segrè, (Physiker), S. 33f. 24 Th. S. Kuhn, (Revolutionen), S. 70ff., bes. S. 72. 2 Schlapp

18

I Einleitende Bemerkungen

Ähnliche Ergebnisse bezüglich „reiner" Fakten werfen Untersuchungen der Wahrnehmungspsychologie ab. Bereits bei sehr simplen Wahrnehmungsprozessen wird die „reine" Beobachtung durch „Theorien" (im schwachen Sinne des Wortes) überlagert. Ein Beispiel bietet folgender Versuch 26 : einer Versuchsperson wird eine Zeichnung (Fig. 1) vorgelegt und mit der Frage verbunden, was sie sehe.

Fig. 1 Die Mehrzahl der Versuchspersonen antwortete, sie sähe zwei übereinanderliegende Balken bzw. Rechtecke. Es ist klar, daß die Versuchspersonen das nicht sahen. Das einzige, was auf dieser Zeichnung zu sehen ist, sind drei Vierecke. Jede andere Angabe enthält eine zugrundeliegende „Theorie", die die Wahrnehmungspsychologie „amodale Ergänzungen" nennt 27 . Grundsätzlich handelt es sich dabei um als „Beobachtung" berichtete Erwartungen. Erwartungen aber sind antezipierte Ereignisse. Aus dem Bereich der Wahrnehmungspsychologie ließen sich noch manche Beispiele anführen. So gilt als zumindest gut bestätigt, daß bestimmte Motivationen 28 oder Interessen 29 einen Einfluß auf die „reine" Wahrnehmung ausüben. (Und tatsächlich ist diese Erscheinung keinem praktisch arbeitenden Juristen unbekannt. Er lernt sie häufig beim Zeugenbeweis im Strafprozeß mit dem Problem der „Glaubwürdigkeit" kennen.) Man kann damit am intuitiven Bild einer „Theorie" eine weitere Korrektur anbringen: Theorie „bildet" Fakten weit mehr, als sie sie „abbildet". Theorien haben also nicht irgendeine zufällige Verbindung zur empirischen Welt, sondern sie konstituieren diese Welt. Und so haben es die experimentell arbeitenden Wissenschaften nicht mit irgendetwas Unumstößlichem zu tun, dem sich irgendeine Theorie einseitig anzupassen hätte 30 . 25

Röntgen kam ein Zufall zu Hilfe. Ein in der Nähe befindlicher Fluoreszenzschirm leuchtete beim Auftreffen der X-Strahlen auf. 26 Er findet sich bei A. Michotte / G. Thinès / G. Crabbé, (Wahrnehmungsstrukturen), S. 981. 27 Wobei in dem gewählten Beispiel die Figur unter dem sog. „Schirm" ergänzt wurde. Weitere solcher Schirmeffekte finden sich bei A. Michotte l G. Thinès / G. Crabbé , (Wahrnehmungsstrukturen), S. 981 f. 28 Vgl. dazu M. D. Vernon , (Wahrnehmung), S. 213ff. 29 Siehe M. D. Vernon, (Wahrnehmung), S. 227ff.

1.1 Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

19

Ein Letzteres sei im präexplikativen Stadium vorweggenommen, um die fehlgehende Intuition bezüglich „wissenschaftlicher Theorien" zu erschüttern und die Parallele zur juristischen Dogmatik zumindest plausibel zu machen: Es wird zu zeigen sein, daß eine bisher stillschweigend gemachte Voraussetzung problematisiert werden muß. Es wurde ja bislang unterstellt, daß es überhaupt eine klare Zweiteilung zwischen „Theorie" und „Empirie" gibt 31 . Diese beiden Begriffe sind aber sinnvoll nicht aufeinander beziehbar. Denn um über „Welt" zu kommunizieren, muß der Gegenstandsbereich spachlich repräsentierbar sein 32 . Sobald man es aber nicht mehr mit irgendeiner ontologischen Entität zu tun hat, sondern mit Aussagen über diese Entität, werden Objektprobleme zu Sprachproblemen 33. Damit verwandelt sich die Dichotomie „Theorie/Empirie" zur Differenz zwischen theoretischer und empirischer Sprache. Entscheidend ist nun, daß die strukturalistische Wissenschaftstheorie, die später der Rekonstruktion einer „Dogmatik" zugrundegelegt wird, bestreitet, daß es eine „natürliche" Zweiteilung in theoretische und empirische Sprache gibt. Ob eine Aussage theoretischer Natur ist, läßt sich semantisch überhaupt nicht bestimmen. Dies bedeutet aber umgekehrt: es ist semantisch unbestimmbar, ob ein Satz Aussagen über „Fakten" macht. Es könnte also sein, daß es Theorien gibt, die über „Tatsachen" überaupt nichts aussagen34, also rein theoretische Konstrukte sind. Die „Abbildung" von Realität ist in dieser Perspektive eine eher zufällige Erscheinung 35 . 30

Genau dies ist der Inhalt der von Neurath und Popper postulierten Dispositivität der Basissätze. Vgl. Fn. 17. 31 Denn es ist ein Unterschied, ob man nur die Theorienabhängigkeit von Fakten behauptet, oder die Abgrenzung zwischen Theorie und Faktum in toto leugnet. 32 Das ist eines der „wissenschaftstheoretischen Obligate", die etwa W. Leinfellner, (Erkenntnistheorie), S. 15 explizit erhebt. Es war und ist ein Kernbestandteil der analytischen Wissenschaftstheorie und als solches schon vom „Wiener Kreis" als unabdingbar anerkannt (vgl. V. Kraft, (Wiener Kreis), S. 23). Schließlich durchzieht der Grundsatz - in extremer „bildtheoretischer" Ausprägung - Wittgensteins „Traktat" - man vgl. L. Wittgenstein, (Tractatus), etwa Nr'n 2.1; 4.05; 4.06; 4.2; 6.53 - der in dem Satz gipfelt: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen". (Tractatus), Nr. 7. 33 Es ist dies der Kern des „linguistic turn" der Wissenschaftsphilosophie. Daß die „Ära des philosophischen Lingualismus" (W. Stegmüller, (Hauptströmungen II), S. 343) völlig neue Wege sehr erfolgreich beschritten hat, läßt sich unter dem Eindruck von Chomsky und Montague nicht mehr bestreiten. Dennoch sollte man die Möglichkeiten der Linguistik zur Klärung wissenschaftstheoretischer Fragen schon deshalb nicht überschätzen, weil das logische Instrumentarium zu komplex ist, um „Makrostrukturen" sichtbar zu machen. Darauf ist noch zurückzukommen. (Zu unklar ist allerdings der Vorwurf von G. Klaus, (Logik), S. 39, die Sprachanalyse könne keine einzige „Faktenfrage" beantworten). 34 Es wird sich aber zeigen, daß dies in der Tat nicht so ist. 35 Ein weiterer gravierender Einwand gegen die „Theorie-Empirie"-Dichotomie ist jener, der nicht die „Natur", sondern die Konvention für abgrenzungsentscheidend hält, so daß in bestimmten Zusammenhängen auch Theorien als „Fakten" behandelt 2*

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I Einleitende Bemerkungen

Faßt man diese Ergebnisse zusammen, so ergibt sich das folgende - von falschen Intuitionen bereinigte - Bild einer wissenschaftlichen Theorie: De f. 1 Eine Theorie ist ein partiell logisch deutbares Gefüge, das (möglicherweise) bestimmte „Tatsachen" arrangiert 36 . Def. 1 stellt so etwas wie eine „Minimalanforderung" an Theorien dar, die zudem normalsprachlich formuliert ist. Im derzeitigen Stadium und für den bis hierher verfolgten Zweck ist sie jedoch ausreichend. Damit bleibt die Aufgabe, eine präexplikative Beschreibung einer „Dogmatik" zu liefern. 1.1.3 Erster Zugang zu „juristischer Dogmatik" Diese Aufgabe ist nicht leicht. Zum einen zählt der Begriff „Dogmatik" zwar zum täglich gebrauchten Vokabular von wissenschaftlich wie praktisch arbeitenden Juristen. Bemerkenswerterweise lassen sich Juristen aber selbst literarisch selten ernsthaft auf die Frage ein, was unter „Dogmatik" zu verstehen ist 37 . Hinzu kommt das ambivalente Verhältnis zur Dogmatik, das vor allem rechtstheoretisch orientierte Juristen haben. Es führt dazu, „Dogmatik" in kritischer Absicht zu einem Torso zu reduzieren. Dogmatik erhält dann die Konturen von „Dogmatismus" 38 und wird als bewußtloses System39 positivistischer Provinienz der Orientierung an den Folgen einer dogmatischen Entscheidung entgegengesetzt. Autoren, die auf einer Ausdifferenzierung juristischer Dogmatik bestehen 40 , handeln sich vor diesem Hintergrund den Vorwurf ein, den Juristen das gute Gewissen zu erhalten 41 . Kurz: das Bild, das die eher beiläufigen Bemerkungen über „Dogmatik" entwerfen, ist überaus disparat 42 .

werden können. Es ist dies die Position von K. R. Popper, (Logik), S. 73f. und I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 105, S. 126. 36 Dabei mache ich mir die Bedeutung des - zugegebenermaßen unüblichen - Terminus des „Arrangements" (d.h.: Zusammenstellung nach einem bestimmten Plan) bewußt zunutze. 37 Immerhin hat es vor kurzem M. Herberger, (Dogmatik), unternommen, eine materialreiche Studie zur Begriffsgeschichte zu erstellen. 38 Wobei man unter „Dogmatismus" wohl eine „unkritische, metaphysische Denkweise" versteht (nach G. Klaus / M. Buhr, (Lexikon), S. 286). 39 Ich übernehme diese Charakterisierung von R. Wiethölter, (Rechtswissenschaft), S. 27, der allerdings die Dogmatik nicht explizit erwähnt. 40 Etwa N. Luhmann, (Rechtsdogmatik), S. 19ff. 41 So die Kritik an Luhmann von K. Lüderssen, (Einführung), S. 17 und Κ J. Hopt, (Rechtsinformatik), S. 151. 42 W. Naucke, (Grundbegriffe), S. 17 Fn. 1 zieht daraus die Konsequenz, auf den Begriff ganz zu verzichten.

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Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

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Der zweite Grund ist offenbar darin zu sehen, daß „Dogmatik" bisher kaum Gegenstand des wissenschaftstheoretischen Interesses war 4 3 . Und das wiederum dürfte auf die vornehmlich naturwissenschaftliche Ausrichtung der gesamten Wissenschaftstheorie zurückzuführen sein. Immerhin läßt sich ein Minimalkonsens über das Thema „juristische Dogmatik" verzeichnen. Sie wird - zumindest in der aktuellen rechtstheoretischen Situation 44 - von der kirchlichen (insbesondere der katholischen) Dogmatik streng unterschieden. Letztere wird von der Lehre wie folgt definiert: „Dogma im engeren und vollen Sinn ist eine von Gott unmittelbar geoffenbarte Wahrheit.. ."45. und: „Das Dogma muß von der Kirche als Offenbarungswahrheit ... vorgelegt sein". Dabei hat die Kirche „den Inhalt der Offenbarung mit Unfehlbarkeit festzustellen" 46. Nun hat allerdings das säkularisierte Recht die Beziehung zur Religion - vorsichtig formuliert: weitgehend 47 - verloren. Aber die Bestimmung des Inhalts der katholischen Dogmatik kann (in ebenfalls säkularisierter Form) bei einer ersten intuitiven Annäherung an juristische Dogmatik helfen. Dieses intuitive Bild, das dem Außenstehenden durch die oben angedeuteten beiläufigen Bemerkungen von Rechtswissenschaftlern vermittelt wird, sieht etwa so aus: Eine juristische Dogmatik ist ein System von Normen und Prinzipien, das bestimmte unumstößliche Wertentscheidungen fixiert und unabhängig von Tatsachen existiert. Analog der intuitiven Fassung einer „Theorie" 4 8 ist auch dieses Bild teilweise ungenau. Teilweise ist es allerdings auch falsch. Auch hier ist deshalb die intuitive Fassung zu korrigieren. Falsch ist die - an der kirchlichen Dogmatik orientierte - Vorstellung, Dogmatik postuliere etwas „Unumstößliches" 49 . Ebenso wie sich Tatsachen nur relativ zu einer Theorie angeben lassen, sind „normative Aussagen" nur relativ zur Fallgestaltung „passend", die beurteilt werden soll. Das ist keine theo43

Immerhin existieren Untersuchungen von (u.a.) Podlech, Rödig und E. v. Savigny. Sie sind in Kap. I I näher zu erörtern. 44 Zur historischen Situation vgl. M. Herberger, (Dogmatik), bes. S. 121 ff., 170ff. 45 F. Diekamp, (Katholische Dogmatik 1), S. l l f . 46 F. Diekamp, (Katholische Dogmatik 1), S. 12. 47 Immerhin finden sich etwa im StGB noch die §§ 166 - 168 und 189 (zu Unrecht, wie W. Hassemer, (Religionsdelikte) darlegt) und § 4 RKEG (abgedr. bei Schönfelder, Deutsche Gesetze, Nr. 47) bestimmt: „Verträge über die religiöse Erziehung eines Kindes sind ohne bürgerliche Wirkung". Und endlich sei der „Wille des Gesetzes" eine säkulare Form des „Willen Gottes", meint R. Wiethölter, (Rechtswissensschaft), S. 33. 48 Vgl. S. 3. 49 Zumindest mißverständlich äußern sich aber O. Bachof (Dogmatik), S. 298; O. Ballweg, (Jurisprudenz), S. 118 und ders., (Grundlagenforschung), S. 45.

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I Einleitende Bemerkungen

retische Einsicht, sondern ein Ergebnis der Sichtung tatsächlich elaborierter Dogmatiken. Dazu ein Beispiel aus jüngerer Zeit. 1982 hat der B G H ein „Dogma" im Bereich des § 226 StGB gefestigt 50. Die Entscheidung erblickt den Anknüpfungspunkt des qualifizierenden Taterfolgs bei § 226 StGB - also des Todeseintritts - nicht im Verletzungserfolg des Grundtatbestandes (§ 223 StGB), sondern in der Verletzungshandlung. Das entgegenstehende Dogma hat einmal existiert 51 . Es wurde vom B G H allerdings 1960 durchbrochen 52. Seither hat der B G H an der Bestätigung des neuen Dogmas mehrfach gearbeitet 53 . Das hindert bis heute aber mehrere Autoren nicht, mit unterschiedlichen Gründen das Gegenteil zu vertreten 54 . Hält man die „Unumstößlichkeit" einer Meinung (oder einer „Wertentscheidung") für das charakteristische Element einer „Dogmatik", so hätte man es zumindest im Bereich des § 226 StGB nicht mit einer Dogmatik zu tun. Ein Beispiel mit größerer Tragweite ist die „Wandlung" der Dogmatik des Bereicherungsrechts (§§ 812ff. BGB). Der heutige Stand dieser Dogmatik läßt von der klassischen Kondiktionenlehre F. C. v. Savignys nur noch Rahmenbegriffe übrig. Die steigende Komplexität des Wirtschaftsverkehrs namentlich die „Dynamisierung" des Vermögensbegriffs 55 - erzwang Konstruktionen, die mit den klassischen Dogmen nicht erfaßbar sind 56 und die das Bereicherungsrecht als Mittel zur Herstellung von symmetrischen Märkten definieren 57 . Ein markantes Beispiel dafür ist die sog. „Flugreise-Entscheidung" des B G H 5 8 . Die Fallgestaltung: Jemand „erschleicht" eine Flugreise, die er unter regulären Bedingungen nicht angetreten hätte. Der Fall stellt nicht nur die Abgrenzung von Leistungs- und Eingriffskondiktion in Frage, sondern die zu seiner Auflösung in Anspruch genommene Formel von der Beeinträchtigung der „Dispositionsfreiheit" 59 durchbricht das hinter der klassischen Eingriffs50

BGHSt 31,96. Es findet sich in RGSt 44, 137. 52 BGHSt 14, 110. 53 BGH NJW 1971, 152; BGH bei Daliinger, MDR 1976, 16. 54 Etwa G. Geilen, (Unmittelbarkeit), S. 681; Hirsch, in LK, Rn. 3 zu § 226; Th. Schlapp, (Anmerkung), S. 62f. 55 Ich lehne mich an eine Formulierung von E. Schanze, (Ökonomische Analyse), S. 13 an. 56 Eine vorzügliche und methodisch reflektierende Einführung in die Veränderung der Kondiktionsdogmatik gibt Joerges, in AK-BGB, Rn. 7ff. vor § 812. 57 Dies ist die (terminologisch geschärfte) These, die Ch. Joerges, (Bereicherungsrecht), S. 17, S. 41 („Verteilung der Risiken des Leistungsaustauschs"), S. 42f. u.ö. vertritt. Er trifft übrigens ins Schwarze, wenn er (S. 7) einen Paradigmawechsel (im Sinne Th. S. Kuhns) konstatiert. 58 BGHZ 55, 128. 59 Κ Larenz, (BT II), S. 519. 51

1.1 Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

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kondiktionenlehre stehende Dogma von der Zuteilung statischer Vermögenspositionen 60 . Auch das am gleichen (gegenständlichen) Ideal orientierte Leistungskondiktionendogma will zur Erklärung des Phänomens nicht recht taugen 61 . Das Bild von der „Unumstößlichkeit" juristischer „Dogmen" ist nicht einmal dann korrekt, wenn die fraglichen Sätze an Abstraktionshöhe gewinnen. So begann etwa im Verlauf der siebziger Jahre die systematische Demontage der klassischen Schuldkonzeption mit ihrer Gleichsetzung von Schuld und Vorwerfbarkeit 62 . „Schuld" wurde nicht mehr als originär normatives - und deshalb „metaphysisches" - Prinzip akzeptiert, sondern „auf den Boden der sozialen Welt" 6 3 gestellt. Das Schuldprinzip erweist sich in der soziologischen Reduktion als Träger präventiver Zielsetzungen 64 oder als spezifisch strafrechtliche Variante des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 65. Diese Beispiele mögen genügen, um die Vorstellung, juristische Dogmatiken postulieren „unumstößliche Wertentscheidungen", zu korrigieren 66 . Eine Korrektur ist weiterhin am Bild der „Faktenunabhängigkeit" juristischer Dogmatiken notwendig. In der Tat sind juristische Dogmatiken originär faktenbezogen 61. Auch dies läßt sich an tatsächlich ausgearbeiteten Dogmatiken zeigen. Die soeben68 beschriebenen Wandlungen in der bereicherungsrechtlichen Dogmatik der §§ 812ff. BGB sind das in Rechtstechnik formulierte Abbild der Wandlung wirtschaftlicher Umbildungen in der Realität. Nur der Übergang von einer gegenständlichen Tauschwirtschaft 69 zur entgegenständlichten Disposition mit Vermögenswerten Gütern erklärt die Umformulierung rechtstechnischer Ausgleichsmechanismen. Verläßt man die Ebene des ursprünglichen Zivi/rechts, 60

Dazu Joerges, in AK-BGB, Rn. 17 vor § 812. Man lese die Versuche von V. Beuthien / H. Weber, (Bereicherung), S. 55, die gezwungen sind, die Beförderung im Glauben (!) an die Berechtigung als „Leistung" zu deuten. 62 In bereits klassischer Formulierung findet sich das Prinzip bei BGHSt 2, 194. 63 G. Ellscheid / W. Hassemer, (Strafe), S. 283. 64 Die Ausarbeitung dieser These findet sich bei C. Roxin, (Systemkategorien), bes. S. 181 ff. und G. Jakobs, (Schuld). M. Baurmann, (Dogmatik), bes. S. 222ff. nennt den Faktor der „Sozialschädlichkeit". 65 G. Ellscheid / W. Hassemer, (Strafe), S. 283. 66 Vgl. zur Herkunft des falschen Dogmatikbildes und zur „aufgeklärten" Sichtweise: U. Meyer-Cording, (Dogmatiker), S. 14ff., S. 22ff. einerseits und S. 38 andererseits. 67 Unten in Kapitel IV wird zu zeigen sein, daß Fakten ein integraler Bestandteil einer „Dogmatik" (im strukturalistischen Sinn) sind. 68 Siehe S. 22. 69 Ich lasse bewußt offen, ob es eine Wirtschaftsstruktur, wie sie das BGB voraussetzt, überhaupt jemals gab. Vieles spricht dafür, daß die Rechtsfiguren des BGB ihre Existenz einer immer schon vollzogenen „Ausblendung" bestimmter Realitätsbereiche verdanken. Vgl. F. Wieacker, (Pandektenwissenschaft), S. 61 f. 61

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I Einleitende Bemerkungen

zeigt die Ausbildung wirtschaftsrechXMcher Kodifikationen und Dogmatiken die Reaktion der Rechtstechnik auf geänderte Anforderungen aus der wirtschaftlichen Realität 70 . Ein Beispiel sei aus der Dogmatik des Familienrechts genannt: Art. 6 Abs. 5 GG bestimmt, daß den nichtehelichen Kindern die gleichen Entwicklungsbedingungen zu garantieren sind wie sie für eheliche Kinder bestehen. Hier wäre eine rein normative Entfaltung des hochabstrakten Begriffs der „Gleichheit" denkbar. Die Dogmatik des Art. 6 V GG enthält jedoch vor jeder näheren Explikation eine „empirische Reduktion". „Gleichheit" sei, so die „dogmatisierten" Sätze der herrschenden Deutung, mit Rücksicht auf die unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen zu definieren 71 . Die differenten tatsächlichen Situationen ehelicher und nichtehelicher Kinder schränken - nach der Dogmatik des Art. 6 V GG - also den normativen Deutungsspielraum des Gleichheitsbegriffs ein. Auf anderen Rechtsgebieten lassen sich leicht weitere Beispiele ausfindig machen, die die Faktenbezogenheit der ausgearbeiteten Dogmatiken deutlich machen. So ist etwa die Differenziertheit der Dogmatik des § 240 StGB insbesondere im Bereich der sog. „Verwerflichkeitsklausel" 72 auschließlich mit der Differenziertheit der angezielten Falltypen - von Tatsachen also - erklärbar. Da wir auf den Punkt der empirischen Komponente 73 jeder juristischen Dogmatik noch im Verlauf der eigentlichen Rekonstruktionen von Dogmatiken zurückkommen werden, sei an dieser Stelle nur noch erwähnt, daß das sog. „Lückenproblem", ein nahezu klassisches Kapitel juristischer Methodenlehre 74 , die Faktenbezogenheit von Dogmatiken besonders deutlich macht 75 . Unabhängig von der Analyse tatsächlich ausgearbeiteter Dogmatiken deren Ergebnis zufällig sein könnte - sprechen originär wissenschaftstheoretische Ergebnisse für die Untrennbarkeit von empirischer Grundlage und normativen Sätzen. Linguistisch gesehen hat dies mit der Struktur modaler Aussagen zu tun, zu denen auch die deontischen Sätze (Imperative, Sollenssätze, Werturteile etc.) zählen 76 . 70

Vgl. H. D. Assmann, (Transformationsprobleme), S. 28. Vgl. G. Beitzke, (FamR), S. 8; ganz ähnlich auch Ε. M. v. Münch, in v. Münch, (GG), Rn. 41 zu Art. 6. 72 Eine elaborierte Dogmatik findet sich etwa bei Eser, in Schönke / Schröder, (StGB), Rn. 15ff. zu § 240. 73 Analog zu anderen wissenschaftlichen - insbesondere physikalischen - Theorien wird sich später zeigen, daß eine „Dogmatik" ein aus verschiedenen Komponenten aufgebautes Gebilde ist. 74 Vgl. z.B. K. Engisch, (Denken), S. 138ff. 75 Weitere Beispiele nennt etwa Ch. Starck, (Empirie), S. 610. 71

1.1 Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

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Unabhängig von der Frage, inwieweit sich imperative Aussagen auf indikative (beschreibende) Sätze zurückführen lassen77, machen modale Aussagen über etwas Angaben. Der Gegenstand von Modalen Aussagen sind nicht leere Räume, sondern raumzeitliche Strukturen. Präziser gesprochen: modale Aussagen charakterisieren diese Strukturen. Die analytische Sprachphilosophie und die modalen Logiken tragen dieser Entscheidung dadurch Rechnung, daß sie die Struktur modaler Aussagen in einen Kern und einen Operator zerlegen. Der „Kern" 7 8 modaler (d.h. auch: deontischer) Aussagen besteht aus einer rein indikativen Satzform, die durch einen modalen Operator „beherrscht" wird 7 9 . Richard M. Hare nennt diesen indikativen Teil „Phrastikon", den modalen Anteil „Neustikon" 80 . 76 Terminologisch wird allerdings üblicherweise ein Unterschied zwischen „deontischer Logik" und „Modallogik" gemacht. In der Tat sind jedoch die deontischen Operatoren „geboten; erlaubt; verboten" jedenfalls grundsätzlich eine spezifische Interpretation der allgemeinen Modalitäten „notwendig; möglich; unmöglich" für normative Systeme (vgl. G. E. Hughes / M. J. Cresswell, (Modal Logic), S. 301 f.). 77 Vgl. R. M. Hare, (Sprache), S. 24ff. Dieses Problem wurde in präziserer Fassung unter der Überschrift der „Notwendigkeit" einer deontischen Logik vor einigen Jahren kontrovers diskutiert. Vgl. (u.a.) J. Rödig, (Notwendigkeit) und ders., (Logik), S. 60ff. einerseits und O. Weinberger, (Rechtslogik), bes. S. 121, ders., (Recht), S. 88; L. Philipps, (Rechtswissenschaft), S. 354, S. 361 ff.;/. Berkemann, (Widerspruchsfreiheit), bes. S. 196f. andererseits. Bei dieser Diskussion kam ein wichtiger Punkt etwas zu kurz: es ist keine logische, sondern eine pragmatische Frage, welche formale Sprache man zu benutzen gedenkt. D.h.: der Zweck (und möglicherweise die erfolgreiche Anwendung) rechtfertigen die Verwendung einer mehr oder minder ausdrucksreichen Sprache. So kann es zweckmäßig sein, auch komplizierte quantorenlogische Aussagen auf ihr einfaches aussagenlogisches Schema zurückzuführen (etwa um die logische Wahrheit des quantorenlogischen Satzes zu beweisen, d.h. seine Allgemeingültigkeit. Eine einleuchtende Beschreibung dieser „Rückübersetzung" liefern etwa M. Herberger / D. Simon, (Wissenschaftstheorie), S. l l l f . ) . Ein anderes Beispiel: um die Gültigkeit des klassischen „modus ponens" (in den modernen Schlußkalkülen meist „Abtrennungsregel" genannt (vgl. z.B. W. K. Essler, (Logik), S. 58, Lehrsatz 1)) zu beweisen, ist eine deontische Formalisierung nicht notwendig. Es gilt nämlich:

Λ* ([/> (x)

> Q (*) α Ρ w]

Q (χ))

und Αχ ([θ ( Ρ (χ)) —> Ο (Q (χ) λ Ο (Ρ (χ)] —> Ο (Q (χ)) D.h.: wie ausdrucksreich eine Sprache sein muß, ist eine Frage des Zwecks, der mit ihr erreicht werden soll. Vgl. zu dieser Frage auch I. Copi, (Künstliche Sprachen), S. 160f. (der leider etwas ungenau formuliert). 78 Ich möchte darauf hinweisen, daß ich später den Begriff des „Kerns" in anderer Weise verwende. 79 So lautet etwa eine elementare deontische Aussage ο {ρ

q)

D.h.: „es ist gesollt: wenn P, dann q". Der letzte Teil der Aussage ist eine pure Zustandsbeschr eibung. so R. M. Hare, (Sprache), S. 38.

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I Einleitende Bemerkungen

Die Typik modaler Aussagen liegt natürlich in der modalen Komponente 81 . Aber es ist wichtig festzuhalten, daß diese Aussagen modale Kennzeichnungen von realen Zuständen liefern und insofern über Tatsachen reden. In der Konsequenz hat man damit zu konstatieren, daß normative Aussagen bereits strukturell eine spezifische Redeweise über Tatsachen sind. Etwas technischer ausgedrückt: sie operieren über empirischen Objektbereichen. Und dies geschieht nicht nur nach zufälligen Kriterien. Normative Aussagen einer juristischen Dogmatik operieren nicht „irgendwie" über „irgendeinem" realen Objektbereich, sondern sie „treffen Anordnungen" für einen spezifischen Ausschnitt aus der Tatsachen weit. Man kann sagen: sie ordnen ein bestimmtes Arrangement von Tatsachen an. Dies aber war - wie gezeigt82 - auch eine Komponente der Theoriedefinition. Auch Theorien arrangieren Ausschnitte aus der Realität. Daß sie dies auf andere Art und Weise tun („beschreibend") als Dogmatiken, ist möglich; aber zum einen geht es ja nicht um die Explikation von Unterschieden, sondern um die Verdeutlichung von Gemeinsamkeiten. Und zum anderen ist mit der Analyse von Unterscheidungsmerkmalen noch keine Entscheidung über deren Wesentlichkeit zu treffen. Ich behaupte vorläufig jedenfalls, daß unter dem hier zu entwickelnden strukturalistischen Blickwinkel der Unterschied zwischen deskriptiven und präskriptiven Aussagesystemen nicht wesentlich ist. So kann man einstweilen festhalten, daß juristische Dogmatiken ebenso wie wissenschaftliche Theorien Tatsachen arrangieren. Juristische Dogmatik läßt sich damit in einem intuitiven ersten Zugriff als „teilempirische" Disziplin bezeichnen83, auch wenn ich nicht so weit gehen will, Dogmatik den Naturwissenschaften gleichberechtigt zur Seite zu stellen 84 . Ich betone, daß dieser Zugang zum „teilempirischen Charakter" von Dogmatik nicht zu verwechseln ist mit der These, Dogmatik sei empirisch operationalisierbar. Diese These behauptet nämlich, daß an die Stelle dogmatischer Konstrukte zumindest partiell empirische Befunde gesetzt werden können, daß also empirische Ergebnisse als Substitut für Dogmatik verwendbar 81

Wobei man aber auch hier zwischen zweiwertigen und dreiwertigen modalen Systemen unterscheiden kann. Vgl. R. M. Hare , (Sprache), S. 44f. S2 Vgl. oben S. 19f. 83 A. Peczenik, (Foundations), S. 44f. bemerkt dazu: "The statements formulated in result of the juristic interpretation are to some extend determined by empirical data ..., but are not empirically tested in such a way, as the ordinary scientific hypothesis are. The legal dogmatics seems to be a half-empirical or quasi-empirical discipline." Ein analoger Gedanke findet sich bei A. Podlech, (Fachsprache), S. 38 - 40. Podlech führt dort aus, daß die rechtliche Rekonstruktion eines gegebenen empirischen Objektbereichs durch einen „rechtlichen Gesichtspunkt" erfolge. Der Rekonstruktionsgedanke trifft sich mit dem hier verwendeten Begriff des „Arrangements". 84 Sehr weit geht E. Riezler, (Naturgesetz), S. 155. Er meint, Rechtswissenschaft und Naturwissenschaft hätten den „empirischen Charakter" gemeinsam.

1.1 Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

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seien 85 . Diese Behauptung zielt nicht auf die Strukturanalyse von Dogmatik, sondern auf die Konkurrenz von Theorien im Hinblick auf bestimmte Zwecke 86 . Ich lasse hier offen, inwieweit eine solche „Operationalisierung" juristischer Aussagesysteme möglich oder wünschenswert ist 87 . Wir halten nur fest, daß dies nicht unser Thema ist und daß es zur Begründung der zwingenden Verbindung von Empirie und Dogmatik nicht des Operationalisierungsnachweises bedarf. Aus dem gleichen Grund ist zumindest im Augenblick nicht von Interesse, inwieweit sich normative Aussagen auf Aussagen über Fakten zurückführen lassen. A n Ansätzen zu diesem Thema fehlt es nicht 88 . Aber auch hier können wir offen lassen, inwieweit diese Ansätze die Reduktionsthese bestätigen. Denn uns wird es im Verlauf der Untersuchung allein auf die Tatsache ankommen, daß Dogmatiken - bestehen sie nun aus reduzierbaren, unreduzierbaren oder möglicherweise überhaupt keinen normativen Sätzen - eine empirische Komponente aufweisen, die sich allein schon aus der Zielrichtung jeder Dogmatik ergibt, nämlich der Arrangierung von Tatsachen89. Es bleibt noch zu erwähnen, daß ich eine philosophische Lehre, die auf den ersten Blick in unsere angezielte Richtung zu weisen scheint, jedenfalls nicht als Beleg für die Faktenbezogenheit juristischer Dogmatiken zitiere: es ist jene auf Gustav Radbruch zurückgehende Lehre von der „Stoffbestimmtheit der Idee" 9 0 , die den strikten Methodendualismus überwinden sollte 91 . Diese 85

Zumindest dort, wo in die Dogmatik sog. „Alltagstheorien" einfließen. Vgl. dazu Κ D. Opp, (Soziologie), S. 49ff., S. 55ff. 86 Obgleich dieser Zweckgedanke nicht immer deutlich mitformuliert wird. 87 Ich will damit vermeiden, eine ausführliche Stellungnahme zu einem Streit zu liefern, der unter der Überschrift „Anwendbarkeit der Sozialwissenschaften im Strafrecht" bis heute andauert und das Lager der Juristen in verschiedene Lager gespalten hat. Das Spektrum reicht von verhaltener Zustimmung (beispielsweise bei K. Lüderssen (Einführung)) über „skeptische Sympathie" (so die Selbstbeschreibung von W. Naucke, (Relevanz), S. 10) bis hin zur unverhohlenen Ablehnung (etwa derjenigen von N. Achterberg, (Gedanken) (gegen den R. Lautmann, (Soziologie), S. 27 mit Recht polemisiert)). Festzuhalten ist nur dies: ein systematisches Programm der Operationalisierung von Normen oder Dogmatiken des Strafrechts ist bisher noch nicht einmal in Angriff genommen. Die Frage der Wünschbarkeit sozialwissenschaftlicher Substitute kann deshalb in Ermangelung derselben gar nicht sinnvoll beantwortet werden. 88 Von juristischer Seite sind etwa zu nennen: K. Lüderssen, (Rechtsquelle), der, in Anlehnung an die Wertlehre Victor Krafts (vgl. S. 76f.), die Tragweite von Zweck-Mittel-Erwägungen im Rahmen scheinbarer Werturteile untersucht (/. M. Priester, (Rechtstheorie), S. 28 spricht hier vom „tatsächlichen Substrat" der Wertentscheidung); A. Podlech, (Wertungen) führt aus, daß „Werte" als Vorzugsregeln darstellbar sind (S. 196) und nur unter Rückgriff auf ihre Folgewirkungen zu rechtfertigen (S. 200f., S. 208). 89 Ich will allerdings die Sympathie für eine reduktionistische Wertlehre nicht verhehlen. Denn „Wertung" bedeutet letztlich immer den Rückzug aus der Kommunikation. 90 Ursprünglich G. Radbruch, (Rechtsidee); danach auch in ders., (Rechtsphilosophie), S. 94.

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I Einleitende Bemerkungen

immer schon auf den „Stoff" ausgerichtete „Idee" soll deshalb möglich sein, weil dem „Stoff" selbst schon ein gewisser „Sinngehalt" zugrunde liege 92 . Die rechtliche Entscheidung stellt sich danach als eine Annäherung latenter Strukturen dar, die man herkömmlich unter dem Topos „Natur der Sache" diskutiert 9 3 . Ich vermag diesem Gedankengang nur begrenzt zu folgen. Zu viele völlig ungeklärte Elemente müssen in Kauf genommen werden, um diese Lehre zu stützen. So muß unterstellt werden, es gebe in der Realität eine latente Struktur, die - mit entsprechend determiniertem Bewußtsein - nur erkannt zu werden brauche. Dies bleibt aber selbst dann eine ontologische Fiktion 9 4 , wenn eingeräumt wird, dieses Erkennen sei ein „Glücksfall der Intuition" 9 5 . Wie bereits oben angedeutet 96 , ist die Annahme einer „reinen" Erkenntnis weder erkenntnistheoretisch noch erkenntnispsychologisch auch nur plausibel. Weiterhin wäre die Existenz einer überwirklichen Wertspähre zu akzeptieren, aus der die „Idee" nach Radbruch zu entnehmen wäre 97 . Sofern diese Sphäre aber in der Tat „über-wirklich" ist, lassen sich darüber keine überprüfbaren Aussagen machen. Folglich muß man davon schweigen98. Es soll nicht bestritten werden, daß der RadbrucW sehen Lehre ein sinnvoller Gedanke zugrunde liegt. Aber er wird durch ein Begriffsgebäude repräsentiert, das ihn kaum noch mitteilbar macht. Zumindest kann er als historischer Vorläufer des zu entwickelnden Systems nicht zitiert werden. Damit ist der ursprüngliche Faden wieder aufzunehmen. Nachdem plausibel ist, daß wissenschaftliche Theorien mit juristischen Dogmatiken die Arrangierung von Tatsachen gemeinsam haben, muß noch geklärt werden, ob beide auch im Hinblick auf ihre reine Struktur parallelisierbar sind. Theorien, so die 91

G. Radbruch, (Rechtsidee), S. 344; Arth. Kaufmann, (Darstellung), S. 296f.. G. Radbruch, (Rechtsidee), S. 350; vgl. dazu auch Arth. Kaufmann, (Struktur), S. 507; zum Gedankengang Radbruchs vgl. die Skizze von H. P. Schneider, (Einfluß), S. 360f. 93 Eine vorzügliche - weil mit kritischer Distanz vorgetragene - Einführung in die Lehre von der „Natur der Sache" gibt G. Ellscheid, (Naturrechtsproblem), S. 52ff. 94 Die sich interessanterweise auch bei dem ansonsten metaphysikfeindlichen Pierre Duhem in bescheidener Form findet. Er schreibt: „Wenn wir auch nur die Gesetze der Phänomene gruppieren und nicht vorgeben, die unter ihnen verborgene Wirklichkeit zu erklären, so fühlen wir doch, daß die durch unsere Theorie hergestellten Gruppen den wirklichen Beziehungen zwischen den Dingen selbst entsprechen." (P. Duhem, (Ziel), S. 29). 95 G. Radbruch, (Rechtsphilosophie), S. 95. 9 * Vgl. oben S. 16ff. 97 G. Radbruch, (Rechtsidee), S. 343. 98 So das korrekte Verdikt von L. Wittgenstein, (Tractatus), Nr. 7; ähnlich passend ist die bissige Bemerkung Schopenhauers, die Philosophie beschäftige sich immer mit Dingen, von denen sie schlechterdings nichts wissen könne, vgl. A. Schopenhauer, (Welt), Vorrede zur zweiten Auflage. 92

1.1 Juristische Dogmatik und wissenschaftliche Theorien

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„bereinigte" intuitive Fassung, sind partiell logifizierbar", lassen sich also zumindest teilweise in eine Logiksprache übersetzen. Ohne auch hier auf einen alten Streit um die „Axiomatisierbarkeit des Rechts" einzugehen 100 , kann man kurz feststellen, daß sich Teile juristischer Dogmatiken ebenfalls in einer Logiksprache darstellen lassen, Eike von Savigny hat dies an einem Teilbereich der Notwehrdogmatik bewiesen 101 und Jürgen Rödig hat dogmatische Sätze aus dem Gebiet der strafrechtlichen Handlungslehre (Tun/Unterlassen) logisch abgeleitet 102 . Beide bedienten sich dazu der Prädikatenlogik erster Stufe (die bei Rödig noch um Elemente aus der Relationenlogik erweitert ist 1 0 3 ). Man wird später sehen, daß diese Logik 1 0 4 für unsere Zwecke nicht geeignet ist. Aber die logische Behandlung von Theorien (oder Dogmatiken) muß nicht in einer bestimmten logischen Sprache erfolgen. Es ist eine Frage der Zwecksetzung, ob man die Prädikatenlogik erster oder zweiter Stufe 105 , die Algebra der Klassen oder die Analysis zugrunde legt 1 0 6 . Wenn aber erwiesen ist, daß sich juristische Dogmatiken zumindest partiell logifizieren lassen 107 , dann darf man eine juristische Dogmatik wie folgt definieren: Def. 2 Eine juristische Dogmatik ist ein partiell logisch deutbares Gefüge, das bestimmte Tatsachen arrangiert. Mit dieser Definition ist man am Ziel der intuitiven Überlegungen angelangt. „Def. 2" stellt die „bereinigte" Fassung von intuitiven Vorstellungen über eine „juristische Dogmatik" dar. In dieser Fassung gleicht sie - mit Ausnahme des Wortes „Dogmatik" - der ebenfalls „bereinigten" Fassung des Theoriebegriffs 108 . Wir können deshalb ein vorläufiges Resümee ziehen: sofern man vage Intuitionen hinsichtlich der Begriffe „wissenschaftliche Theorie" und „juristische Dogmatik" durch Analysen ersetzt, nähern sich die durch diese Begriffe bezeichneten Konstrukte einander an, die Extensionen sind nicht mehr scharf 99

Vgl. oben S. 15f. 100 Vgl. hierzu Th. Schlapp, (Logik), S. 507f. 102 Rödig, (Denkform), S. 180ff. 103 Etwa bei Überprüfung der Eigenschaften der Relation „Verhaltensspielraum" (/. Rödig, (Denkform), S. 186). m Vgl. einführend etwa R. Carnap, (Logik), S. 34ff. 105 In der Prädikatenlogik 2. Stufe ist es möglich, nicht nur über Individuen, sondern über Prädikate zu quantifizieren. Vgl. z.B. W. K. Essler, (Logik), S. 153f. 106 Wobei ich die Frage offen lasse, inwieweit diese mathematischen Gebiete aufeinander reduzierbar sind. 107 Selbstverständlich wird nicht behauptet, daß Dogmatiken bewußt nach logischen Kriterien aufgebaut werden. io» Vgl. oben S. 20.

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I Einleitende Bemerkungen

unterscheidbar. Es ist damit nicht gesagt, daß eine physikalische Theorie und eine juristische Dogmatik dasselbe sind (eine unsinnige These). Es soll damit nur verdeutlicht werden, daß der Versuch, Theorien und Dogmatiken unter bestimmtem Blickwinkel als vergleichbar zu behandeln, jedenfalls nicht aussichtslos ist. Das Ziel dieses ersten Abschnitts ist erreicht, wenn diese Vergleichbarkeit so plausibel gemacht wurde, daß eine Präzisierung des Verhältnisses von Theorien und Dogmatiken zumindest als lohnend erscheint. Bevor diese Präzisierung versucht wird, ist noch auf eine sehr alte Frage einzugehen, die die Einsicht in die Vergleichbarkeit von wissenschaftlichen Theorien und wissenschaftlicher Dogmatik (oder Jurisprudenz im Allgemeinen) in Form eines Vorurteils immer wieder blockiert: die Frage nach dem Verhältnis von Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften.

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften 1.2.1 Das Problem Das Verhältnis der Rechtswissenschaft zu den Naturwissenschaften - insbesondere jener, die sich einer mathematischen Sprachstruktur bedienen - ist eine immer wieder für Spannung sorgende Frage. Die Emotionen, die sie regelmäßig auslöst, lassen sich als Spurenelemente noch in jeder modernen Diskussion aufweisen, sei es diejenige um den Einfluß der Sozial Wissenschaften auf das (Straf-)Recht 109 , sei es die Frage der „Axiomatisierbarkeit" juristischer Systeme 110 . Die Wellen schlagen stets dann hoch, wenn die Anwendung naturwissenschaftlicher Verfahren in der Rechtswissenschaft gefordert wird 1 1 1 . Die Ablehnung dieser Forderung ist von Seiten der Juristen einmütig 1 1 2 . Neben durchaus sachlichen Einwänden artikuliert sich hier häufig ein Konservativismus, der die Zerstörung der ihm bekannten Welt befürchtet 113 . Von dieser Seite wird die naturwissenschaftliche Methode „bekämpft" 1 1 4 , weil io9 Vgl. oben S. 27 und Fn. 87. no Vgl. oben S. 29 und die Bemerkungen von U. Klug, (Logik), S. 9ff. und S. 172ff. m Wobei ich vorläufig bewußt offen lasse, was man unter „Verfahren" zu verstehen hat und an welcher Stelle des „Rechtssystems" diese Verfahren gefordert werden. Wir werden unten darauf zurückkommen. 112 Übrigens auch auf Seiten jener, die der Einbeziehung von Nachbarwissenschaften in die Jurisprudenz ansonsten offen gegenüberstehen. So kommt nach K. Lüderssen, (Rechtstheorie), S. 350 die Anwendung der analytischen Wissenschaftstheorie zumindest dann „überhaupt nicht in Frage", wenn sie naturwissenschaftlicher Provenienz ist. m J. Ziman, (Erkenntnis), S. 1. Das komplette Zitat lautet: „Der Konservative fürchtet, daß die Naturwissenschaft die einzige, ihm bekannte Welt zerstören wird; der Fortschrittliche sieht bereits das künftige Paradies vergiftet; der Demokrat fürchtet die Gefahren der Tyrannei, in die uns die Technik führt; den Aristokraten ängstigen die Nivellierungstendenzen". 114 Erik Wolf; (Krisis), S. 29f.

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

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sie „dem Wesen des Rechts widerspricht" 115 . Ihre Befürworter - die meist nur sehr begrenzte Ziele verfolgen 116 - werden mit dem platten Vorwurf des „Positivisten" belegt, oder - gemildert - mit dem des „Rationalisten", der das Irrationale des Menschen verkenne 117 . Bisweilen findet sich auch Ärgeres. So ist den Befürwortern der Anwendung logischer Verfahren schon vorgeworfen worden, sie erinnerten an Menschen, die sich „die Hose mit der Beißzange" anziehen 118 , oder einer Tendenz zu totalitären Ordnungen Vorschub zu leisten 119 . Diese Stellungnahmen machen deutlich, daß auf Seiten der Rechtswissenschaftler jene Position, die Popper 120 mit Blick auf die Sozialwissenschaften im allgemeinen „antinaturalistisch" genannt hat, völlig vorherrschend ist. Die Versuche, naturwissenschaftliche Methoden für die Rechtswissenschaft fruchtbar zu machen, sind nicht neu 1 2 1 . Ebensowenig sind sie einzigartig. Auch die Wissenschaftstheorie der Psychoanalyse hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt 122. Aber gerade weil die Problematik weder neu noch für die Rechtswissenschaft typisch ist, scheint ein antinaturalistischer Konsens auf der Basis nur halb zur Kenntnis genommener Ergebnisse leicht erzielbar. Ich will im Folgenden nur einige Punkte dieser langen Diskussion klären. Es ist nicht die Aufgabe der Untersuchung, die historischen (Miß-)Verständnisse zurechtzurücken. Allerdings will ich deutlich machen, in welcher Art und Weise ich mich naturwissenschaftlicher Methoden bedienen werde. (Es wird sich zeigen, daß diese Art keinen historischen Vorläufer hat.) 115 Erik Wolf, a.a.O. 116 Das läßt sich an der Diskrepanz zwischen den tatsächlich erhobenen Forderungen der Rechtslogiker und den ihnen unterstellten sehr gut demonstrieren. Die Unterstellungen beriefen sich auf das Schreckgespenst der Axiomatisierung „des" Rechts. In der Tat hat kein Rechtslogiker jemals eine solche - aberwitzige - Forderung erhoben (vgl. nur U. Klug, (Logik), S. 174: „In letzter Hinsicht würde eine umfassende Anwendung der modernen Logik auf die Rechtswissenschaft ins Auge fassen, die Systeme des geltenden positiven Rechts zu axiomatisieren. ... Ein derartiges Unterfangen scheint von der gegenwärtigen juristischen Situation aus sehr fernliegend, würde aber nichts grundsätzlich Überraschendes an sich haben können". (Hervorhebungen im Original.) Ich kann daraus keine Forderung, sondern allenfalls eine vage Hoffnung entnehmen. Vgl. dazu auch/. Rödig, (Axiomatisierbarkeit), und Th. Schlapp, (Logik), S. 508, auch K. Opalek / J. Wolenski, (Problem). 117 So Arth. Kaufmann, (Wissenschaftlichkeit), S. 70. us R. Zippelius, (Methodenlehre), S. 117. 119 So S. Simitis, (Systeme), S. 12, der jedoch keinen „Vorsatz" unterstellt. ι20 K. R. Popper, (Historizismus), S. 2, S. 45ff. 121 Eine überaus materialreiche Studie zum Verhältnis von Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften hat D. v. Stephanitz, (Wissenschaft) vorgelegt, mit dessen Beispielen und Argumenten ich mich im Folgenden auseinandersetzen werde. 122 Vgl dj e knappen Bemerkungen von A. Mitscherlich, (Kampf), S. 12 und die ausführlichere Diskussion der verschiedenen Konzepte bei A. Lorenzer, (Wahrheit), S. 14 ff. (Psychoanalyse als „Naturwissenschaft vom Seelischen") (Konzept von Hartmann), S. 23f. („quasi-experimentelles Vorgehen" (Wallerstein / Sampson)) und schließlich S. 92 („hermeneutisch prozedierende Erfahrungswissenschaft"), Lorenzers eigene, im Folgenden ausgearbeitete, Konzeption.

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I Einleitende Bemerkungen

Allerdings werde ich nur auf historische Versuche der Parallelisierung eingehen, die einen bestimmten Differenzierungsgrad erreicht haben. Es ist fruchtlos, den Erfolg solcher Versuche in Fällen zu überprüfen, in denen sich die „naturwissenschaftliche Methode" auf das Reden in Metaphern beschränkte. Die sog. „organische Staatsauffassung" wäre dafür ein Beispiel 123 . Ich möchte ein bev/ußt fiktives Beispiel bemühen, um zu demonstrieren, auf welchen Ebenen man nach dem Verhältnis von Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften fragen kann, und auf welchen historischen Versuch eingegangen wird. Der griechische Philosoph Anaximander (geb. um 610 v. Chr.) betrachtete die Erde als ein säulensteinartiges Gebilde 124 , das im Zentrum eines radialsymmetrisch gedachten Alls schwebt 125 . Nehmen wir einmal an, Anaximander hätte eine „Rechtslehre" entwickelt und ihr den Symmetriegedanken zugrundegelegt 126 . Die Essenz dieser „Rechtslehre" hätte so ausgesehen haben können: Ebenso wie das A l l , ist auch „Gerechtigkeit" eine Hypostasierung des Symmetrieprinzips. Dieses fordert die symmetrische Vergeltung von Schäden an Leib und Leben. Jeder Schädiger soll also den gleichen Schaden erleiden wie der Geschädigte. Natürlich gibt es diese „Rechtslehre" des Anaximander nicht 1 2 7 . Das Beispiel 128 soll auch lediglich als vorläufiges Anschauungsmaterial für einige sehr 123

Dazu etwa R. Zippelius, (Allgemeine Staatslehre), § 5. Auch Auguste Comte , der hier häufig zitiert wird (z.B. von L. Kolakowski, (Positivismus), S. 77 geht nicht wirklich über die Metapher hinaus (vgl. etwa (Soziologie), S. 127). 124 Gemeint ist ein Zylinder, dessen Verhältnis von Höhe zu Durchmesser 1:3 betragen soll. 125 Vgl. zum Modell Anaximanders etwa O. Becker, (Denkweise), S. 3 oder W. Kranz, Philosphie), S. 32 f. 126 Dessen zentrale Stellung im Anaximander-Modell von O. Becker, a.a.O. hervorgehoben wird. Der Gedanke ist auch heute noch von wissenschaftlichem Interesse. So kann er nach W. Heisenberg, (Entdeckung), S. 22f., S. 38f. als früher Vorläufer einer Sichtweise der „Weltstruktur" gelten, wie sie heute vom Formalismus der Quantenphysik nahegelegt wird. 127 Nach A. Heuss, (Hellas), S. 209 ist von Anaximander nur ein einziger Satz authentisch überliefert. 128 Nach D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 20 und S. 24f. ist dieser Talionsgedanke jedoch bei den Pythagoreern und bei Piaton vorfindbar. Wenn er (S. 19) Piaton als Beleg für seine These, die Parallelisierung von Naturwissenschaft und Rechtswissenschaften erzeuge nur Absurditäten, zitiert, dann erscheint die dafür verwendete Stelle des „Phaidros" aus zwei Gründen nicht ausreichend. In einer neueren Übersetzung (von R. Kassner) lautet diese Stelle: „Was sagen also Hippokrates und die Vernunft über die Natur? Müssen wir nicht nach beiden zuerst zu erkennen trachten, ob das Ding, welches unsere Kunst meistern soll und dessen Meisterschaft wir auch die anderen lehren wollen, einfach oder vielfach sei, und müssen wir nicht weiter im ersten Falle, wenn das Ding einfach ist, sowohl nach seiner Wirkung auf andere als auch nach der Rückwirkung der anderen suchen und im

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

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wesentliche Differenzierungen dienen, die auf dem Weg zur Klärung der Frage nach der Vergleichbarkeit von Natur- und Rechtswissenschaften von Bedeutung sind. Man kommt der Lösung dieser Frage zuerst dadurch näher, daß man zwischen einer Objektbereichsebene und einer Metaebene unterscheidet 129 . Das zur Diskussion stehende Problem der Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden ist offenbar ein Problem der Λ/etastufe der beteiligten Wissenschaften, keine Frage der Beschaffenheit ihrer Objektbereiche. Das AnaximanderBeispiel, würde es als Beleg für die Unvergleichbarkeit der verschiedenen Wissenschaften zitiert, wäre von daher untauglich, da es sich auf eben jene Struktur der differenten Objektbereiche bezieht. Aus diesem Grund sind alle historischen Versuche 130 , die auf eine Vergleichbarkeit von Objektbereichselementen hinauslaufen, für das hier zu diskutierende Problem ohne Interesse und Beweiswert 131 . Man muß weiterhin danach differenzieren, ob die Identität der Methoden oder nur deren Analogie behauptet wird. Und weiter: ob die Identität/Analogie behauptet oder nur gefordert wird (was etwa bei Anaximander nicht klar wäre). Bevor der Problembereich nun unübersichtlich wird, soll ein leicht formalisiertes Modell von ihm erstellt werden. Dazu soll ein Mittel verwendet werden, das für die eigentliche Theorie juristischer Dogmatik, die hier zu entwerfen ist, noch häufiger verwendet werden wird: die Mengenlehre. 1.2.2 Ein formales Modell der Problemzugänge Es wurde deutlich, daß man zwischen Parallelisierungen der Objektbereiche und der Metabereiche („Methoden") unterscheiden muß. Nun kann man zweiten Falle, wenn das Ding vielfach ist, seine vielen Gestalten zählen und scheiden und wie beim Ganzen so auch bei den Teilen Wirkung und Rückwirkung erfahren, die Wirkung worauf und die Rückwirkung wovon?" (Platon, (Phaidros), S. 136f.). Der erste Mangel der Analyse von v. Stephanitz ist, dies als „Empfehlung" Piatons verstehen zu wollen, „den Wissenschaften die Nachahmung der hippokratischen Methode" anzuraten. Der zweite Mangel: selbst wenn man dies aus der zitierten Stelle des Phaidros herauslesen könnte, hätte man übersehen, daß Piaton „den Wissenschaften" schon deshalb nichts „empfehlen" konnte, weil es zu seiner Zeit die heutige Ausdifferenzierung der Wissenschaften gar nicht gab (vgl. C. Bradford-Welles, (Welt), S. 542) und von einer Rechts-Wissenschaft gar keine Rede sein konnte (vgl. A. Heuss, (Hellas), S. 272, auf den sich v. Stephanitz (S. 31, Fn. 113) selbst bezieht!). 129 Diese Einteilung stammt aus der Sprachphilosophie (vgl. nur F. v. Kutschera, (Sprachphilosophie), S. 28ff.; W. v. O. Quine, (Philosophie), S. 46f.). Die Probleme dieser Zweiteilung spielen im Augenblick keine Rolle (vgl. hierzu Th. Schlapp, (Unterscheidung), S. 504f.). 130 Hier sind zu nennen: die Pythagoreer, Piaton, Weigel, Puchta (zum Teil) und der sog. „Sozialdarwinismus" (bei D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 20, 24f., 67f., 106f. und 208 ff.). 131 Ob sie allerdings einen heuristischen Wert haben, kann offen bleiben. 3 Schlapp

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I Einleitende Bemerkungen

die Metaebene selbst in zwei Teile zerlegen, die wir M\ und M 2 nennen wollen (O sei der Objektbereich). Μ ι ist die eigentliche Methodenstufe. „Methoden" in diesem Sinn sind Anleitungen zur Bearbeitung des Objektbereichs. Hierher gehören etwa die sog. „Auslegungslehren" in der Jurisprudenz oder die Falsifikationsmodelle in den empirischen Wissenschaften. Methoden sind „konstruktiv M2 ist diejenige Metastufe, die man „rekonstruktiv" nennen kann. Die Theorien dieser Stufe leiten nicht die Konstruktionen der Objektstufe an, sondern sie analysieren den gegebenen Bereich. Die mathematische Logik kann diese Funktion erfüllen 132 . Damit läßt sich die Klasse der „Reflektionsstufen" ( K s ) wie folgt angeben: Ks

=

( 0 , M

u

M

2

)

Ebenfalls erwähnt wurde die Differenzierung in analoge oder unmittelbare Anwendung „der Naturwissenschaften". In der Tat muß man ja zwischen der Behauptung, eine Objektbereichsstruktur/eine Methode ließe sich in den Rechtswissenschaften direkt anwenden, und der Behauptung, dies sei nur „entsprechend" (d.h.: mit bestimmten Modifikationen) möglich, unterscheiden. Wir können also die Klasse der „Reflektionsarten" so beschreiben K A = (m, a) (mit den Abkürzungen u und a für „unmittelbar" bzw. „analog"). Schließlich kann man eine dritte Differenzierungsstufe einführen: diejenige, auf der man zwischen deskriptiven und normativen Parallelisierungsaussagen zu unterscheiden hat. Denn es ist ein Unterschied, ob man die Parallelisierung von Objektbereichselementen/Methoden als möglich feststellt, oder sie nur als wünschbar fordert. Die Klasse der „Reflektionsmodalitäten" charakterisieren wir mit K M = (d, n) (wobei d und η als Abkürzungen für „deskriptiv" und „normativ" stehen). Entscheidend ist nun folgendes: die drei angeführten Klassen lassen sich „aufeinander beziehen". D.h.: auf jeder Reflektionssiw/e (K s) läßt sich in einer bestimmten Art (K A) und in einer bestimmten Modalität ( K M ) reflektieren. Die mengentheoretische Darstellung gestattet nun eine sehr elegante Darstellung dieser Tatsache. Man kann die verschiedenen Möglichkeiten der

132 Zutreffend hebt I. Copi, (Künstliche Sprachen), S. 162 hervor, daß sich die axiomatische Methode primär als Mittel der Ordnung eigne.

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

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Reflektion nämlich durch Bildung der Produktmenge (des sog. „kartesischen Produkts") 133 demonstrieren. Die allgemeine Definition einer Produktmenge K\ x K 2 x . . . K, η lautet unformalisiert: Die Produktmenge von η Klassen ist die Menge der geordneten n-Tupel" 134 . Auf unseren Fall gewendet ergibt sich folgendes Resultat: Ks x K a x Km —

(Ο, Mi, Mi) x (w, a) x (n, d) (Da ich mich auf die einzelnen Reflektionstypen noch beziehen werde, wurden sie durchnumeriert). Es ist nun leicht zu sehen, daß die Frage, inwieweit Naturwissenschaften und Rechtswissenschaft „aufeinander bezogen" werden können, nicht so leicht zu beantworten ist, wie es zuerst scheint. Sofern man nur die hier vorgeschlagenen Differenzierungen akzeptiert (weitere ließen sich durchaus finden), ergeben sich zwölf Möglichkeiten, sich der Frage zu nähern. Das Anaximander-Beispiel ließe sich als Typ 3 klassifizieren, d.h. als normativen Zugang, der die unmittelbare Vergleichbarkeit von Objektbereichselementen behauptet. Wollte man diesen Typ 3 in einer Satzformel wiedergeben, könnte man dies so ausdrücken: „Was im Bereich A richtig ist, muß auch im Bereich Β richtig sein". Oder präziser: „Eine im Gegenstandsbereich A vorfindbare Struktur soll das Vorbild einer Strukturierung im Objektbereich Β sein". Die Übersetzung des Typs 5 würde lauten: „Die Methode der Wissenschaft A sollte in modifizierter Form auch in der Wissenschaft Β Anwendung finden". 133 Sehr anschaulich ist die Darstellung bei H. Meschkowski / D. Laugwitz, (Mathematik)^. 25, Def. 1.5. 134 rc-Tupel sind geordnete Klassen von η Elementen. Bei A x Β sind dies „2-Tupel" (Tupel), bei Α x Β x Csind es „3-Tupel" (Tripel) usf. 3*

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I Einleitende Bemerkungen

Die für die vorliegende Untersuchung wichtige Parallelisierung findet sich in Nr. 10 repräsentiert. Die Übersetzung lautet hier: „Die rekonstruktive Methode X, die für Wissenschaft A erfolgreich ist, kann analog auf Wissenschaft Β angewendet werden". Nach dieser grundsätzlichen Differenzierung 135 , kann man jetzt zu dem angekündigten „Test" übergehen. Dieser wird darin bestehen, an einem historischen Beispiel die Problematik der Übertragung von naturwissenschaftlichen Methoden auf originär „sozialwissenschaftliche" Theorien (normativer Art) zu diskutieren. 1.2.3 Vorbereitende Bemerkungen Das folgende Kapitel (1.2.4) wird das Hauptaugenmerk auf zwei Fragen richten. Es wird erstens zu fragen sein, ob überhaupt naturwissenschaftliche Methoden verwendet wurden und wenn ja, in welchem Umfang. Zum zweiten wird die zentrale Frage zu beantworten sein, ob die inhaltlichen Aussagen bzw. Konsequenzen der historischen Theorie gerade auf jene Methodenverwendung zurückzuführen sind. Endlich soll anhand des Beispiels die Richtigkeit nachfolgender typischer Behauptungen über die Verbindung von naturwissenschaftlicher Methodik und „moralwissenschaftlichen" Sachverhalten überprüft werden. Solche Aussagen lauten 136 : I. Die rationale Methode berücksichtigt das Irrationale des Menschen nicht 1 3 7 . II. Moralwissenschaften sind Wertwissenschaften. Naturwissenschaftliche Methoden aber sind wertblind 138 . I I I . Das naturwissenschaftliche Denken hat in der Vergangenheit insofern zum Positivismus geführt, als es das Hauptaugenmerk auf Rechtstatsachen legte 139 . IV. Das Recht muß offen sein für die Fülle der tatsächlichen Erscheinungen. Strenge Methodologien erweisen sich hier als hinderlich 140 .

135 Als zweite Methodenregel empfahl René Descartes jedes Problem „... in so viele Teile zu teilen, wie es angeht und wie es nötig ist, um es leichter zu lösen". (Discours, S. 31). 136 Es muß nochmals betont werden, daß sich diese Einwände nicht unmittelbar auf das nachfolgende Beispiel beziehen. 137 Arth. Kaufmann, (Wissenschaftlichkeit), S. 70. 138 G. Radbruch, (Rechtsphilosophie), S. 87f.;vgl. auch/. Gernhuber, (NeuesFamilienrecht), S.112. 139 Arm. Kaufmann, (Probleme), S. 146. 140 F. Haft, (Sprache), S. 115.

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

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1.2.4 Das historische Beispiel: Thomas Hobbes Thomas Hobbes (1588 - 1679) gilt als der Wegbereiter der Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden auf sozial(moral-)wissenschaftliche Zusammenhänge 141 . Die Monographie von v. Stephanitz räumt ihm folgerichtig breiten Raum ein 1 4 2 . Hobbes war und ist bevorzugtes Angriffsziel jener, die die fatalen Konsequenzen der Verwendung naturwissenschaftlicher Methoden in sozialwissenschaftlichen (moralwissenschaftlichen) Bereichen aufzeigen wollen. Daher scheint er besonders geeignet, bestimmte Vorwürfe exemplarisch zu diskutieren 143 . Diese Vorwürfe sind schwerwiegend: „Recht ist gleich Macht" soll eine Essenz der Hobbes'schen Philosophie sein 144 . Abstrakter formuliert wird Hobbes beschuldigt, einem „extremen Machtpositivismus" zu huldigen 145 , d.h. die „jeweilige physische Machtlage als letzten Entstehungs- und Geltungsgrund des Rechts" 146 zu betrachten. „Mechanistisches Denken" wird als Hauptursache dieser fatalen Rechtsauffassung ausgemacht147. Dabei seien Hobbes' Deduktionen alles andere als zwingend. Denn seine Beweisführungen seien teleologisch aufgebaut, erzielten also lediglich ein Ergebnis, das in den Prämissen schon angelegt war 1 4 8 . Was zunächst die „Essenz" der Hobbes'schen Philosophie angeht, die auf den ersten Blick in der diskriminierenden Nähe totalitärer Staatsmodelle angesiedelt scheint 149 , so ist diese eher auf Hobbes' Epigonen - namentlich Carl Schmitt 150 als auf ihn selbst in den Originalquellen zurückzuführen. 141

So u.a. A. Baruzzi, (Hobbes), S. 76. D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 54ff., S. 121ff. 143 Der Zweck ist also nicht, eine ausführliche Auseinandersetzung mit der unübersehbaren Hoòòes-Literatur zu liefern. Intendiert ist lediglich, Angriffe auf dessen Philosophie anhand einiger Originalstellen zu überprüfen. 144 D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 125. Er nimmt diesen Vorwurf freilich in Fn. 61 wieder zurück. 145 So F. Wieacker, (Privatrechtsgeschichte), S. 304. 146 D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 72. Wenn er zusammen mit Hobbes auch Spinoza als Repräsentanten dieser Ansicht zitiert, interpretiert er die Referenzstelle der „Ethik" (IV 37, S. 224ff.) nicht korrekt. Es heißt dort: „Infolge dieses Gesetzes (sc.: ein Affekt kann nur durch einen stärkeren Affekt konträrer Natur gehemmt werden) nun kann eine Gemeinschaft begründet werden, indem sie das Recht, das ein jeder hat, sich zu rächen und über gut und böse zu befinden, für sich selbst in Anspruch und dieserart die Gewalt hat, ... Gesetze zu geben ..." (S. 228). Dies ist - wie bei Hobbes - eine Vertragskonzeption. 147 D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 72. 148 D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 57. 149 Dort u.a. eingeordnet von A. Arndt, (Rechtsdenken), S. 39 und G. Schulz, (Anfänge), S. 17f. 150 C. Schmitt, (Leviathan), z.B. S. 70ff.; es sind wohl Sätze wie „Der Staatenkrieg ist weder gerecht noch ungerecht, sondern eine Staatsangelegenheit. Als solche braucht er nicht gerecht zu sein." (C. Schmitt, a.a.O., S. 73f.), die Hobbes in den fatalen Dunstkreis totalitärer oder gar faschistischer Philosophien rücken. In der Tat aber ist Carl 142

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I Einleitende Bemerkungen

Hobbes die Formel „Macht ist gleich Recht" zuzuschreiben, unterstellt ihm, eine inhaltsleere und wertblinde 151 Staatsphilosophie entworfen zu haben, die Recht und Rechtsgeltung radikal entmoralisiert 152 . Ich meine, daß dies nur unter selektiver und einseitig vorverständisbehafteter Lesart der Hobbes'schen Schriften haltbar ist. So lautet Hobbes' zentrales natürliches Gesetz, das in der Schrift „De Cive" (1642) erstmals auftaucht und dort als Grundlage zahlreicher Ableitungen dient: „Das erste und grundlegende Gesetz der Natur geht dahin, daß man den Frieden suche, soweit er zu haben ist" 153 . Hätte Hobbes nichts weiter gesagt, würde bereits dieser Satz im Rahmen einer nackten „Machttheorie" keinen Sinn ergeben. Denn für den Mächtigsten gibt es keinen Grund, den Frieden zu suchen. Aber Hobbes fährt fort: „Alle Schriftsteller stimmen darin überein, daß das natürliche Gesetz dasselbe ist, wie das Moralgesetz. Wir wollen sehen, weshalb diesrichtig ist." ... „Wenn somit die Vernunft lehrt, daß der Friede gut ist, so folgt auch aus dieser Vernunft, daß alle zu dem Frieden nötigen Mittel gut seien; mithin sind Bescheidenheit, Billigkeit, Treue, Menschlichkeit, Barmherzigkeit (die, wie ich gezeigt, zu dem Frieden nötig sind) gute Sitten oder Gewohnheiten, d.h. Tugenden"154. Und: „... daß das Gute der Handlungen darin besteht, daß sie zum Frieden führen, ihre Schlechtigkeit darin, daß sie zum Unfrieden führen" 155. Diese Stellen aus „De Cive" belegen, daß die Grundlage der Hobbes'schen Staatsphilosophie kaum als „entmoralisierte" Technik zu qualifizieren ist. Mit Riedel 156 ist hervorzuheben, daß die Wahrung des Friedens kein technischpraktisches Problem (der Hobbes'schen Philosophie) ist, sondern ein moralisch-praktisches. Freilich: die Hobbes'sche Moral ist auf „Vernunft" gegründet und postuliert deshalb keine „Werte an sich", wie es klassischer idealistischer Philosophie entspräche. Er sagt selbst: „... denn nichts ist durch sich selbst gut, böse oder schlecht, und der Bestimmungsgrund dazu liegt nicht in der Natur der Dinge selbst.. ." 1 5 7 . Schmitt's „Leviathan" eine mindestens gewagte Extrapolation des Hobbes'schen Modells. 151 Vgl. oben S. 36 u. Fn. 138. 152 So F. Wieacker, (Privatrechtsgeschichte), S. 303. 153 Th. Hobbes, (Vom Bürger), I I 2 (S. 87). Auf die logische Funktion dieser Aussage ist weiter unten noch zurückzukommen. 154 Th. Hobbes, (Vom Bürger), III 31 (S. 112). 155 Th. Hobbes, (Vom Bürger), III 32 (S. 113); Hervorhebung nicht im Original. 156 M. Riedel, (Verhältnis), S. 105; Hervorhebungen auch im Original.

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

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Die Hobbes'sche Philosophie hat auch Raum für eine Sittenlehre. Aber diese ist - zumindest aus der Sicht Hobbes' - frei von Metaphysik 158 . Auch sein Sittenbegriff ist zweckorientiert: „... man muß darunter (seil: unter „Sitten") vielmehr alles das begreifen, wodurch Friede erhalten und das Wohl des Staates gesichert wird" 159 . Damit sind wir bei der eigentlichen Staatslehre. Die letzte Äußerung Hobbes' markiert die Stoßrichtung seiner politischen Wissenschaft. Auch diese ist keine Theorie der Macht, bar jeder ethischen Grundsätze 160 . Jedoch kommt auch hier das Ethos aus einer skeptischen 161 Vernunftphilosophie, deren Gleichung „Naturrecht = Vernunftrecht = moralisches Recht" simpel sein mag, jedenfalls nicht den Vorwurf der Wertblindheit rechtfertigt 162 . Hobbes' Staatslehre nimmt ihren Ausgang in dem Postulat, daß im Naturzustand ein Krieg aller gegen alle herrscht 163 . Diesen Zustand - so Hobbes könne niemand sinnvoll wollen 1 6 4 . Die Natur (und - was bei Hobbes dasselbe ist - die Vernunft) gebiete deshalb, daß man den Frieden suche 165 . Dies könne man in einer Gemeinschaft besser als vereinzelt: „Wenn somit zur Erhaltung des Friedens die Befolgung der natürlichen Gesetze, und zu deren Befolgung eine Sicherheit notwendig ist, so fragt es sich, was eine solche Sicherheit gewähren könnte. Hier ist nun kein anderes Mittel denkbar, als daß jeder sich geeignete Hilfe verschafft, damit der Überfall des einen auf den anderen so gefährlich werde, daß beide es für sicherer halten, die Gewalt zu unterlassen statt anzuwenden"166. Um diese gegenseitige Sicherheit zu stabilisieren 167 , sei es allerdings notwendig, daß sich die Gemeinschaft einem Willen unterwirft, der „... über das zum gemeinsamen Frieden Notwendige bestimmt"168. „... jeder muß alle seine Macht oder Kraft einem oder mehreren Menschen übertragen, wodurch der Wille aller gleichsam auf einen Punkt vereinigt wird, so daß dieser 157

Th. Hobbes, (Leviathan), S. 50. (Hervh. i. Original). Was W. Naucke, (Grundbegriffe), S. 70 völlig zurecht andeutet. 159 Th. Hobbes, (Leviathan), S. 90. 160 Übrigens auch nicht ohne eine ontologische Basis. Es erscheint andererseits überpointiert wenn A. Baruzzi, (Hobbes), S. 94 von einer „Ontologie mit politischem Grundzug" spricht. Diese Formulierung trägt weder der historischen Reihenfolge der Schriften noch den Intentionen von Hobbes Rechnung. 161 Dieses Element wird zutreffend herausgehoben von E. Denninger, (Staatsrecht 1), S. 112. 162 wohl aber den einer „formalen Ethik" (so L. Strauss , (Hobbes), S. 155). 163 Th. Hobbes, (Vom Bürger), I 12 (S. 83). 164 Th. Hobbes, (Vom Bürger), I 13 (S. 84). 165 Th. Hobbes, (Naturrecht), 1 XV 14 (S. 100). 166 Th. Hobbes, (Vom Bürger), V 3 (S. 125). 167 Th. Hobbes, (Naturrecht), 1 XIX 4 (S. 127). 168 Th. Hobbes, (Vom Bürger), V 6 (S. 128). 158

I Einleitende Bemerkungen

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eine Mensch oder diese eine Gesellschaft eines jeden einzelnen Stellvertreter werden „Auf diese Weise werden alle einzelnen eine Person und heißen Staat oder Gemeinwesen. So entsteht der große Leviathan oder, wenn man lieber will, der sterbliche Gott, dem wir unter dem ewigen Gott allein Frieden und Schutz zu verdanken haben"170. Dies ist der Kern der Hobbes'schen politischen Philosophie. Offenbar handelt es sich um eine Vertragskonzeption des Staates, wie sie für viele Systeme des Vernunftsrechts typisch ist 1 7 1 . Der Staat entsteht aus einem freiwilligen Zusammenschluß und ist dem gemeinen Wohl verpflichtet (wozu der Souverän freilich mit bestimmten Machtbefugnissen ausgestattet sein muß). Auch wenn man einräumen muß, das Hobbes' Intention die Legitimation monarchischer Herrschaft war - die er stets für vorzugswürdig hielt 1 7 2 - und er der demokratischen Staatsform allenfalls in den „Elements" 173 Bedeutung beimaß 1 7 4 , so kann dennoch von einer Theorie totalitärer Macht keine Rede sein 175 . Der gängige politologische Sprachgebrauch 176 bezeichnet nur solche Systeme als „totalitär", die eine „einheitliche offizielle Ideologie" aufweisen 177 und die den Handlungsspielraum des Einzelnen (deshalb) beseitigen 178 . Von beidem findet sich bei Hobbes nichts. Der Darstellung der Hobbes'schen Staatskonzeption wurde vorstehend deshalb ein relativ breiter Raum gewidmet, um das auch auf Hobbes gezielte Argument zu attackieren, Befürworter naturwissenschaftlicher Methodologien neigten zu totalitären Staatsauffassungen 179. Selbst wenn - was sofort zu prüfen sein wird - Hobbes eine aus den Naturwissenschaften entliehene Methode gebrauchte, kann keine Rede davon sein, daß seine Staatskonzeption totalitäre Züge trägt 180 . 169

Th. Hobbes, (Leviathan), S. 155. Th. Hobbes, (Leviathan), S. 155. (Hervh. i. Orig.). 171 Aktualität hat diese Idee durch die Gerechtigkeitstheorie von Rawls erhalten. Vgl. die knappen Bemerkungen von Ο. Höffe, (Einführung), S. 14f. 172 Vgl. L. Strauss, (Hobbes), S. 64, S. 74. 173 Elements of Law natural and politic. Dt.: Naturrecht und Allgemeines Staatsrecht. 174 Vgl. L. Strauss, (Hobbes), S. 67ff. 175 Zurecht hebt Arth. Kaufmann, (Vorwort), S. VIII die falsche Zuordnung Hobbes' zu Verfechtern der Diktatur hervor. 176 Vgl. die sechs wesentlichen Strukturmerkmale totalitärer Machtsysteme (nach C. J. Friedrich) bei K. D. Bracher, (Stufen), S. 31 f. 177 Κ D. Bracher, (Stufen), S. 31. 178 W. Hofer, (Nationalsozialismus). S. 74. ™ Vgl. oben S. 31 und Fn. 119 sowie S. 37 und Fn. 149. 180 Man kann natürlich „totalitär" anspruchsloser definieren. Dann besteht allerdings die Gefahr, daß man mit Hobbes auch jede Art von repräsentativer Demokratie erfaßt. Das scheint ziemlich sinnlos zu sein. 170

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

41

Damit bleibt zu analysieren, welcher Art jene Methode war, derer sich Hobbes zur Formulierung seiner Staatsphilosophie bediente. Hier ist zunächst historisch anzumerken, daß Hobbes' Intention bei Abfassung seines ersten großen Werkes „De Cive" nicht die Demonstration einer Methode war 1 8 1 . Wie Gawlick m und Förster 183 hervorheben, wurde „De Cive" von Hobbes als „Aufklärungsbuch" verstanden, das dem drohenden Bürgerkrieg entgegenwirken sollte 184 . Der eigentlichen Methode von Hobbes wird man im übrigen nur dann gerecht, wenn man überprüft, was er wirklich tat. Mißt man Hobbes an seinen Aussagen über die Methode, fällt es in der Tat nicht schwer, sein System zur Karikatur zu verzerren. Aussagen wie „... ich ergehe mich nicht ins Breite, sondern rechne" 185 oder "Wo also Addition und Subtraktion stattfindet, da ist auch immer die Vernunft anwendbar, und im Gegenteil bleibt sie unanwendbar, wenn jenes wegfällt" 186. legen tatsächlich die Vermutung nahe, als habe bei Hobbes der Schlaf der Vernunft Ungeheuer geboren 187 . Was nun die Methoden von Hobbes angeht, so interessiert uns für den vorliegenden Zusammenhang nur jene, die ihm zur Konstruktion seiner Rechtsund Staatsphilosophie dient und die in „De Cive" am deutlichsten hervortritt 1 8 8 . Ich möchte ein einziges Beispiel einer solchen Konstruktion vorführen und dies danach bewerten. In „De Cive" statuiert Hobbes eine Reihe „natürlicher Gesetze". Sein Grundgesetz, das die Konsequenz aus der Einsicht in die natürliche Bösartigkeit des Menschen ist, lautet: „ . . . den Frieden zu suchen, sobald eine Hoffnung auf denselben sich zeigt" 1 8 9 .

181

Insbesondere L. Strauss , (Hobbes), S. 16 bestreitet ohnehin die Tragweite des methodischen Aspekts für Hobbes' Philosophie. 182 G. Gawlick, (Vorwort), S. Xlf. 183 W. Förster, (Hobbes), S. 71. 184 Von hier aus erklärt sich das herrschaftslegitimierende Moment der Hobbes'schen Staatskonzeption. 185 Th. Hobbes, (Vom Bürger), Vorwort (S. 71). 186 Th. Hobbes, (Leviathan), S. 39 (Hervh. im Original). 187 Ich beziehe mich auf F. de Goyas Capricho. 188 Es interessiert also z.B. Hobbes' „Sozialkörperlehre" nicht, die meiner Auffassung nach weniger eine Methode war als eine Analogisierung der Objektbereiche entsprechend des Typs 2 der Auflistung S. 35. Vgl. dazu im Übrigen W. Rod, (Neuzeit 1), S. 156 und 157f. 189 Th. Hobbes, (Vom Bürger), S. 85.

I Einleitende Bemerkungen

42

Dieses Gebot, das man kurz als „Friedensbefehl" kennzeichnen darf, hat nun eine methodologisch zentrale Stellung im System inne: es dient als oberste Prämisse zur Ableitung zahlreicher Einzelgebote seiner Rechtslehre 190 . So dient es zur Herleitung des dritten natürlichen Gesetzes, welches lautet: „... daß man die Verträge halte und das gegebene Wort nicht breche" 191. Hobbes' Behauptung ist nun, daß dieses Gesetz aus dem ersten natürlichen Gesetz ableitbar ist (und deshalb gelte). Diese Ableitung ist leicht zu durchschauen. Hobbes führt - etwas gerafft kurz danach aus, daß die Verletzung dieses Gebots, der allseitige Vertragsbruch also, dem Frieden nicht förderlich sei. Dies aber widerspreche dem ersten natürlichen Gesetz (dem Friedensbefehl). Folglich (!) müsse auch das dritte natürliche Gesetz akzeptiert werden 192 . Die hinter dieser Ableitung stehende logische Schlußform sieht so aus: (1)

q Λρ

iq

np

Oder, falls man den „Friedensbefehl" als „Nichtkriegsbefehl" deuten will: (2)

ί? λ ρ

q -h* ~ip

Dieser Schluß ist nichts anderes als der klassische modus tollens, der in modernen Lehrbüchern der Logik auch „Widerlegungsregel" genannt wird 1 9 3 . Sein Prinzip besteht in einem indirekten Beweis, d. h. in einem Beweis, der die Richtigkeit einer Behauptung durch Herleitung eines Widerspruchs aus der gegenteiligen Annahme zeigt. Hobbes wendet dieses Verfahren zur Ableitung vieler natürlicher Gesetze an. Dabei finden sich einfache Schlüsse - etwa der eben angeführte - neben komplexeren Figuren, in denen der modus tollens etwas schwieriger nachweisbar ist 1 9 4 . Dieses Beweisverfahren 195 entnahm Hobbes den „Elementen" des Euklid. Es ist im wesentlichen jener modus tollens, der die Systemkonstruktion „more geometrico" ausmacht. Ein Beispiel aus den „Elementen" mag genügen, um deutlich zu machen, welches Vorbild Hobbes gehabt haben muß.

190

Oben S. 38 wurde schon einmal kurz darauf hingewiesen. Th. Hobbes, (Vom Bürger), S. 97. 192 Th. Hobbes, (Vom Bürger), S. 98. 193 Etwa bei W. K. Essler / R. F. Martinez-Cruzado, (Logik I), S. 89. 194 Es trifft nicht zu, wenn W. Rod, (Geist), S. 49 im Anschluß an Polin meint, alle natürlichen Gesetze nach dem dritten seien keine logischen Ableitungen mehr, sondern bloße „Aufzählungen". Das sechste natürliche Gesetz ist etwa ein modus tollens, freilich mit einigen Zwischenprämissen. 195 H. Albert, (Traktat), S. 44 nennt es „dialektisch". 191

1.2 Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

43

Die euklidische Geometrie behauptet, daß in einem Dreieck, welches zwei gleiche Winkel aufweist, auch die diesen Winkeln jeweils gegenüberliegenden Seiten gleich sind 196 . Euklid legt dem Beweis dieses Satzes das Axiom zugrunde, daß das Ganze größer ist als der Teil 1 9 7 und schließt wie folgt 1 9 8 .

Β

Fig. 2

Behauptet wird: AB = AC „Wäre nämlich AB ungleich AC, so wäre von ihnen die eine größer. AB sei größer]_dann trage man auf AB, der größeren Strecke, DB = AC . . . ab und ziehe DC. Da dann DB = AC wäre und BC gemeinsam, so wären zwei Seiten, nämlich DB, BC, zwei Seiten, nämlich AC, CB entsprechend gleich und Ζ DBC = Ζ ACB; also wäre Grdl. DC = Grdl. AB und Δ DBC = Δ ACB (1,4), das kleinere dem größeren (Ax.8); dies wäre Unsinn; also kann AB nicht ungleich AC sein, ist ihm also gleich" 199 . Man erkennt leicht, daß sich Euklid hier des indirekten Beweisverfahrens bedient. Auch hier wird der Beweis für die Richtigkeit eines behaupteten Satzes aus der Ableitung eines Widerspruchs (gegen ein Axiom) geführt, der durch die Annahme des Gegenteils des zu beweisenden Satzes entsteht. Unschwer erkennbar sind auch die Korrelationen zum Hobbes'schen Schluß: Das Axiom 8 entspricht Hobbes' „Friedensbefehl", der euklidische Seitengleichheitslehrsatz entspricht bei Hobbes der „pacta sunt servanda"-Satz. Soweit der Befund. Damit kann man zur Ausgangsfrage zurückkehren: ist Hobbes also ein taugliches Beispiel für die „Unvereinbarkeit" von naturwissenschaftlicher Methode und Moralwissenschaft? Läßt er sich also für die „zwingende" Verbindung von „geometrischer" Methodik und bedenklicher, wenn nicht gar absurder, Rechts- und Staatsphilosophie zitieren? 196 Euklid, (Elemente), § 6. Euklid, (Elemente), Axiom 8 (S. 3). 198 Der Beweis wurde um einige unwesentliche Worte gekürzt. 199 Euklid, (Elemente), S. 7. 197

44

I Einleitende Bemerkungen

Zunächst: man muß sehen, daß Hobbes das Programm einer Staatslehre „more geometrico" nicht bis ins Detail ausgearbeitet hat. Hobbes Kenntnisse der Mathematik waren in Wahrheit unzureichend 200 . Er war zur Realisierung eines solchen Programms vermutlich gar nicht in der Lage. Von hier aus gesehen sind Äußerungen über die Unzulänglichkeit der geometrischen Methode für eine Staatsphilosophie bereits sehr relativ. Des weiteren sind Kritiken an der Anwendung einer „falschen" Methode auf moralische Zusammenhänge bei Hobbes auf den Typ der methodischen Reflexion zu relativieren. Nach der aufgeschlüsselten Matrix 2 0 1 handelt es sich bei der Methode „more geometrico" um Typ 8 ( M i , w, d), da eine konstruktive Methode als unmittelbar anwendbar behauptet wird. Drittens schließlich hat die einfache Analyse zweier Beweisführungen bei Hobbes und Euklid gezeigt, daß mit der „Methode" des modus tollens, also, wie nochmals zu betonen ist, dem eigentlichen Kernstück der Systemkonstruktion „more geometrico", völlig verschiedene Inhalte transformierbar sind. Es kann also gerade nicht davon gesprochen werden, die euklidische Methode erzeuge typischerweise rechtsphilosophischen Unsinn. Es kann und das ist das Entscheidende - von überhaupt keiner Methode gesagt werden, daß sie Inhalte erzeuge. Logische Verfahren können nur „inhaltliche" Ergebnisse „erzeugen", die vorher in den Axiomen angelegt waren, sie können Inhalte also nicht hervorbringen, sondern lediglich umformen. Und so werden die rechts- und staatsphilosophischen Ergebnisse von Hobbes nicht durch den modus tollens erzeugt, sondern diese Schlußregel erlaubt nur die „Ausdifferenzierung" seiner globalen Prämisse, des „Friedensbefehls" 202 . Und so liegt es vielleicht an mißverständlichen Formulierungen, daß die Hobbes'sehe Staatsphilosophie als Produkt seiner Methode überliefert wird 2 0 3 . (Möglicherweise gehen solche Tradierungen auf populärwissenschaftliche Standardwerke zurück 204 .) Die oben 205 listenartig erfaßten typischen Einwände gegen die Verwendung naturwissenschaftlicher Methoden in Rechts-(Staats-)philosophie oder 200 was W. Rod, (Geist), S. 16 und ders., (Neuzeit 1), S. 153 u. S. 155 hervorhebt. Vgl. oben S. 35. 202 Das bemerken bisweilen sogar seine Kritiker - etwa D. v. Stephanitz, (Wissenschaft), S. 57 - , freilich ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. 203 Selbst die ansonsten sehr gelungene Darstellung von W. Rod, (Neuzeit 1), ist nicht frei davon. Er schreibt (a.a.O., S. 165): „Der hierdurch vorgenommene Übergang vom natürlichen zum staatlichen Zustand stellt sich als Ergebnis eines zweckrationalen Kalküls, d.h. einer Art des „Rechnens" mit Begriffen dar ..." (Hervorh. v. Verf.). Diese Formulierung stellt den theoretischen Ablauf auf den Kopf. Korrekt erfaßt wird dieser von K. Fischer, (Geschichte Bd. 10), S. 358, der ausführt, ein „System von Folgerungen fordert eine Principienlehre." (Hervh. nicht im Original) 204 Gedacht ist z.B. an die Darstellung bei E. Friedeil, (Kulturgeschichte), S. 454f. 2 E

(mit Ν = positive Normen, E = konkrete Einzelanweisungen) 325 . 318 Vgl. oben S. 59. 319 Z.B. partiell in der klassischen Mechanik. 320 Dies ist der oben in Fn. 295 angekündigte zweite Einwand. 321 Namentlich in A. Podlech, (Dogmatik). 322 Dabei meint Podlech mit „klassisch" wohl die intuitive Vorstellung von dogmatischer Arbeitsweise. Der Begriff dient ihm als Abgrenzung zu den sogleich zu diskutierenden Dogmatikvarianten. 323 A. Podlech, (Dogmatik), S. 147, S. 151. Die Textbezogenheit von Dogmatik taucht auch schon in früheren Arbeiten Podlechs auf, vgl. z.B. (Fachsprache), S. 39, S. 44ff. 324 A. Podlech, (Dogmatik), S. 148. 5 Schlapp

66

I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

Eine „dogmatische Leistung" ist von diesem Ansatz aus die „Verarbeitung" positiv gegebener Rechtstexte, d.h. deren Systematisierung, Vervollständigung oder deren Befreiung von Widersprüchen 326 . Diese Leistung ist auf ein Zeitintervall dt und auf eine Gruppe von textverarbeitenden Personen (Gerichte, Rechtswissenschaftler) zu relativieren. Podlech selbst ist jedoch der Meinung, daß diese Rekonstruktion einer „klassischen" juristischen Dogmatik scheitern muß. Zum einen seien die zur Rekonstruktion verwendeten Begriffe wie „Leistung von Gerichtsorganen während eines Zeitraums" oder „Vervollständigung" von Rechtstexten zu ungenau oder entzögen sich überhaupt präziser Explikation. Zum anderen weise das rekonstruktiv entworfene Modell eine ungeklärte Selbstreferenz dort auf, wo dogmatische Leistungen von Gerichten und solche von Rechtswissenschaftlern (oder auch von Gerichten bzw. Rechtswissenschaftlern untereinander) divergieren. Die „Harmonisierung" solcher Divergenzen sei ihrerseits eine dogmatische Leistung. Nur wäre dies eine Leistung, die nicht mehr auf Normtexten definiert ist, sondern auf dogmatischen Leistungen 327 . Diesen Schwierigkeiten versucht Podlech durch einen zweiten Ansatz zu entgehen. Dieser Ansatz verfolgt nicht mehr das Ziel der Rekonstruktion einer „klassischen" juristischen Dogmatik, sondern nur noch das der Rekonstruktion einer „restriktiven" juristischen Dogmatik. „Restriktiv" soll dabei andeuten, daß die angezielte Dogmatik widerspruchsfrei rekonstruierbar sein muß, ohne die „Charakteristik" von Dogmatiken zu verfehlen. Insbesondere dürfen - nach Podlech 328 - zwei solcher charakteristischen Elemente in der Rekonstruktion nicht verlorengehen: die „Leistungen" einer Dogmatik und die Tatsache, daß Dogmatiken „kontrovers" sein können, daß es also widerstreitende Meinungen gibt. Dazu formuliert Podlech drei Bedingungen, denen eine restriktive Dogmatik zu genügen hat: 1. Dogmatiken sind auf Textmengen zu definieren 329 . 2. Dogmatiken sind auf Regelungsbereichen zu definieren. Ein Regelungsbereich ist die Beschreibung eines mittels rechtlicher Regelungen zu lösenden sozialen Problems. Dogmatik eines Regelungsbereichs D{R{) heißt ein Text dann, wenn er alle Lösungsvorschläge formuliert, die Rechtsprechung und Schrifttum zur Lösung der den Regelungsbereich definierenden sozialen Probleme vorgeschlagen haben. Ein Lösungsvorschlag ist dabei eine 325

Die Übersetzung dieser - im Verlauf der vorliegenden Arbeit öfter benutzten Schreibweise lautet: Δ ist eine Funktion von Ν in (die Menge) E. 326 A. Podlech, (Dogmatik), S. 148. 327 Insofern hätte man eine Hierarchie von dogmatischen Leistungen aufzustellen. 32 * A. Podlech, (Dogmatik), S. 151. 329 A. Podlech, (Dogmatik), S. 151.

II.3 Wissenschaftslogische Sichtweisen von Dogmatik

67

Menge von Rechtsregeln, deren Zugehörigkeit zum Regelungsbereich R t nicht kontrovers ist 3 3 0 . 3. Eine solche Dogmatik ist wahr genau dann, wenn sie alle rechtlichen Regelungen ihres Regelungsbereichs und alle darauf bezogenen Kontroversen vollständig wiedergibt 331 . Formal präzisiert, nimmt eine Dogmatik, die den soeben genannten Bedingungen genügt, folgende Struktur an: (8)

D(R0

L i ( Ä 0 ν L2(Ri)

ν ... ν Ln(R{)

Formel 8) drückt den Fall aus, daß es bezüglich Ri genau η verschiedene Lösungsvorschläge gibt. Bedenkt man nun, daß jeder L , eine Menge von Rechtsregeln ist, Li Γι λ r 2 a ... λ r,· 332 ,

(9)

stellt man weiter in Rechnung, daß üblicherweise nicht alle Rechtsregeln eines Regelungsbereichs kontrovers sind 3 3 3 , so läßt sich Formel 8) wie folgt verfeinern: (10)

D(R0 «

r +(R0

Λ (L 1(R 1)

ν ... ν L „ ( t f 0 ) 3 3 4

Formel 10) drückt aus, daß die Dogmatik eines Regelungsbereichs aus der Anführung aller nicht kontroversen Rechtsregeln und der (separierten) Lösungsvorschläge (d.h.: der kontroversen Rechtsregeln) besteht. Dogmatiken, die sich mittels der Formeln 8) bzw. 10) korrekt beschreiben lassen, nennt Podlech minimale Dogmatiken 335 . Solche Dogmatiken informieren lediglich über die (zu einem Zeitpunkt t 0) vertretenen Lösungsvorschläge erfüllen jedoch die drei oben 336 formulierten Bedingungen einer restriktiven Dogmatik. Nun würden Rechtswissenschaftler einwenden, eine Dogmatik bestünde keineswegs nur aus einer disjunktiven Aneinanderreihung von Lösungsvor330 A. Podlech, (Dogmatik), S. 154ff. Man beachte hier zweierlei: zum einen versteht Podlech unter „Rechtsregeln" nicht (nur) die positiven Normen, sondern jeden normativen Satz zur Regelung von Teilbereichen eines Regelungsbereichs. Zum anderen ist ein „Lösungsvorschlag" keine Regelung eines Einzelfalls, sondern die Regelung eines kompletten Regelungsbereichs. 331 A. Podlech, (Dogmatik), S. 155. 332 Die hier gewählte Symbolik weicht aus Verständlichkeitsgründen etwas von derjenigen Podlechs ab. Formel 9) findet sich bei Podlech gar nicht. 333 Man bezeichnet sie oft als „einhellige Meinung". 334 r + soll die Unumstrittenheit der Regeln andeuten. 335 A. Podlech, (Dogmatik), S. 156. 336 S. oben S. 66. 5*

I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

68

Schlägen, sondern zumindest auch aus Begründungen, die diesen oder jenen Lösungsvorschlag favorisieren. Podlech trägt dem dadurch Rechnung, daß er den Begriff der bewerteten minimalen Dogmatik einführt und diesen wie folgt definiert: Eine bewertete minimale Dogmatik ist eine Dogmatik der Form, wie sie in Formel 8) zum Ausdruck gebracht wurde, ergänzt durch eine einen Lösungsvorschlag auszeichnende Projektionsfunktion 77,. Diese Projektionsfunktion isoliert ein Element der disjunktiven Aufzählung und liefert dafür eine Begründung Bj. Formal dargestellt: (11)

Db(Rd

Bj(rJj(Li(Ri)

ν ... ν Lj(Ri) ν ... v L„(tf,)) 3 3 7 ·

Podlech meint, daß „klassische" juristische Dogmatiken tatsächlich bewertete minimale Dogmatiken zu sein beanspruchen. Die Schwierigkeit bestehe innerhalb einer rekonstruktiven Theorie von Dogmatiken nur darin, daß kein intersubjektiv vermittelbarer Weg gezeigt werden könne, der eine Begründung Bj als „richtig" oder „falsch" ausweist 338 . Insofern sei eine wissenschaftslogische Analyse von Dogmatiken hier am Ende. (Die weiterhin von Podlech definierten Begriffe „ergänzte Dogmatik" und „vollständige Dogmatik" können für die vorliegende Untersuchung außer Betracht bleiben, da sie für die eigene Konzeption einer Dogmatik keine Bedeutung haben werden.) Podlechs Metatheorie ist ein Versuch, Dogmatik mittels logischer Analyse zu erfassen, ohne dabei auf Einzelaussagen und deren Relationen zurückzugreifen. Man könnte es als „metrologisches" Vorgehen bezeichnen. Seine Konzeption ist keine komplette Theorie, sondern eher ein Fragment, weshalb eine umfassende Kritik fehl am Platze wäre. Eine Kritik an der Konzeption ist nur dann fruchtbar, wenn sie die „Bausteine", aus denen sie aufgebaut ist, erst einmal hinnimmt. Hier fällt dann allerdings auf, daß Podlechs Analyse eine Unstimmigkeit aufweist, die scheinbar auf der unsauberen Trennung von empirischen und theoretischen (normativen) Komponenten einer Dogmatik beruht. Denn nach Podlech sind „Lösungsvorschläge" Mengen von Rechtsregeln, die über einem Regelungsbereich entworfen werden. Der „Regelungsbereich" aber soll seinerseits aus Rechtsregeln bestehen 339 . Da nicht daran gedacht sein dürfte, Rechtsregeln über Rechtsregeln zu entwerfen, muß die Relation zwischen Lösungsvorschlägen und Regelungsbereichen - vorausge337 Vgl. A. Podlech, (Dogmatik), S. 157. Auch hier weicht die Symbolik geringfügig vom Original ab. 33 8 A. Podlech, (Dogmatik), S. 157f. 339 Das legt die Formulierung nahe, daß Lösungsvorschläge eines Regelungsbereichs jene Rechtsregeln seien, deren Zugehörigkeit (!) zum Regelungsbereich nicht umstritten ist (A. Podlech, (Dogmatik), S. 156 und die vorliegende Arbeit S. 66). Deutlich wird das auch an Podlechs Formalisierung r + G Rim

II.3 Wissenschaftslogische Sichtweisen von Dogmatik

69

setzt daß letztere tatsächlich aus Rechtsregeln bestehen - eine (unechte) Teilmengenbeziehung sein (12)

A L A R (Li Ç Ri) 340 .

Nach Podlech gilt nun weiterhin, daß eine Dogmatik äquivalent ist mit der Menge der sie bildenden Lösungsvorschläge 341, also ebenfalls eine Menge von Rechtsregeln ist. Es muß also gelten (13)

AL AD (Li Ç Z) t ) 3 4 2 ·

Daraus folgte, daß (14)

Di η Ri = Li

für jedes konkrete i. Für den Fall der Identität der L z mit D i oder Ri (in den Formeln 12) und 13)) folgte daraus sogar (15)

Di = R ™ .

Inhaltlich gesprochen hätte man es im Fall, den Formel 14) andeutet, mit teilidentischen Klassen von Rechtsregeln zu tun, im Fall der Formel 15) gar mit identischen Klassen von Rechtsregeln, die sowohl die Klasse der Regelungsbereiche als auch die Klasse der Dogmatiken bilden. Im konkreten Fall i liefe Podlechs Konzeption darauf hinaus, daß Regelungsbereich und Dogmatik (Ri und Di) nicht etwa disparate Entitäten sind, sondern (teil)identische Mengen von Rechtsregeln. Abgesehen davon, daß dann die Redeweise von der „Dogmatik eines Regelungsbereichs" unzutreffend wäre, ist nicht mehr erkennbar, was einen Regelungsbereich von einer Dogmatik unterscheidet. Dieses Dilemma ist nur vermeidbar, wenn man den Regelungsbereich nicht als eine Menge von Rechtsregeln auffaßt, sondern als eine Menge von nichtnormativen Aussagen, über die die Lösungsvorschläge, d. h. die durch sie definierten Dogmatiken, Aussagen machen. Eine Dogmatik wäre in Podlechs Terminologie also eher ein Gebilde, das aus zwei Komponenten (oder aus einer Menge von Tupeln) folgender Art besteht:

340

Unecht kann die Beziehung deshalb sein, weil bei hinreichend kleinen Regelungsbereichen eine Identität mit dem darauf bezogenen Lösungsvorschlag eintreten kann. 341 Vgl. oben Formel 8). 342 Auch hier kann eine Identität von Dogmatik und Lösungsvorschlägen kommen. Das ist dann der Fall, wenn es keine kontroversen Rechtsregeln gibt. Es gilt dann D (R x) = L(R0. 343 Dies folgt aus: (p q λ ρ r) —>q r .

70

(16)

I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

D(Rd ++ (L,; Ri)

oder (17)

D(R t) ++ ({Li; Ri) ν ... v (L„; Rt))

In der Tat scheint Podlech zu Beginn der Untersuchung etwas ähnliches angezielt zu haben, als er den Begriff des „Regelungsbereichs" als Beschreibung eines mittels (!) rechtlicher Regeln zu lösenden sozialen Problems kennzeichnete 344 . Allerdings wird dieser Begriff - wie gezeigt - später technisch anders verwendet. Die später zu entwickelnde eigene Konzeption juristischer Dogmatik wird im Übrigen grundsätzlich auf eine Struktur hinauslaufen, wie sie in den Formeln 16) und 17) angedeutet ist. D.h. Dogmatik wird als ein Gebilde aufgefaßt, das aus Komponenten aufgebaut ist (freilich andere als die Podlechs). Abgesehen von dieser Kritik an Podlechs Konzeption verdienen folgende von ihm herausgearbeitete Elemente Beachtung: Podlech hält es für zu schwierig, eine präzise logische Analyse dessen vorzulegen, was „Dogmatik" im weitesten Wortsinn (in Podlechs Sprache: „klassische juristische Dogmatik") ist, d.h. eine Textmenge, die aus deskriptiven, normativen, behauptenden, begründenden usw. Sätzen fast undurchschaubar zusammengesetzt ist, die darüber hinaus vage Begriffe enthält, widersprüchlich sein kann usw. Er begnügt sich gewissermaßen mit der Analyse eines stark bereinigten Fragments, der „restriktiven" Dogmatik bzw. der „minimalen" Dogmatik. Diese Unterscheidung ist wichtig. Auch die vorliegende Untersuchung wird sich mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob sie eine Analyse „der" Dogmatik schlechthin anzubieten vermag, oder nur eine Analyse einer „restriktiven", d.h. von zahlreichen Einzelfaktoren abstrahierten, Dogmatik. Die Antwort, die auf diese Frage gegeben wird, tendiert eher zu zweiterem 345 . Zum zweiten führt Podlech die ebenso wichtige Unterscheidung zwischen bewerteten und unbewerteten Dogmatiken ein. Diese Differenzierung führt zur Frage hin, ob Begründungen ein Strukturbestandteil von Dogmatiken sind oder nicht. Auch zu dieser Frage muß die vorliegende Untersuchung zumindest Stellung nehmen. Die Antwort wird derjenigen Podlechs analog sein: man kann nur zeigen, welche Komponente einer Dogmatik die Begründung wäre, wenn man sie als Bestandteil derselben auffaßt.

344 345

Vgl. oben S. 66. Vgl. unten Abschn. V.l.8.

II.

e n t i s c h e Sichtweisen von Dogmatik

71

II.4 Hermeneutische Sichtweisen von Dogmatik II.4.1 Zur Unterscheidung zweier Zugänge Innerhalb der hermeneutischen Zugänge zum Komplex „Dogmatik" in der Rechtstheorie sind vorab zwei Varianten zu unterscheiden. Eine Variante, sie wurde namentlich von Josef Esser in mehreren Untersuchungen ausgearbeitet, beschäftigt sich mit dem Problem der Relevanz von Dogmatik im Rahmen juristischer Entscheidungsfindung. „Hermeneutik" dient hier als rechtstheoretisches Argumentationspotential mit dogmatikkritischer Stoßrichtung. Diese Variante bestreitet die überragende Funktion dogmatischer Aussagen für die juristische Entscheidung. Unter diesem Blickwinkel sind die Funktionen, die Dogmatik tatsächlich erfüllen kann, präziser faßbar. Man könnte diese Variante „hermeneutisch-funktionalistisch" nennen 346 . Diese Variante war bereits oben 347 Gegenstand der Erörterung und kann deshalb, auch wegen der begrenzten Relevanz ihrer Ergebnisse für die folgende Untersuchung, außer Betracht bleiben. Für das Folgende interessanter ist jene Variante die die hermeneutische Dimension von Theoriebildungen im Blick hat. Man könnte diese Spielart die „hermeneutisch-wissenschaftstheoretische" nennen. Sie soll Gegenstand intensiverer Erörterungen sein. II.4.2 Dogmatik als sinnkonstituierendes Medium Die soeben angedeutete hermeneutisch-wissenschaftstheoretische Sicht von Dogmatik wurde im wesentlichen von Winfried Hassemer entworfen 348 . Diese Dogmatiktheorie fußt auf einem rechtstheoretischen Fundament, das Rechtsanwendung als einen komplexen A k t der Vermittlung von Norm und Sachverhalt begreift 349 . Rechtsanwendung ist danach kein simples „Überstülpen" einer Norm über ein Stück Realität, sondern ein sich spiralförmig in die Höhe schraubender Prozeß 350 , in dem Tatbestand und Sachverhalt „aneinan346 Ob dieser Ausdruck die Esser'sehe Theorie präzise trifft, braucht hier nicht diskutiert zu werden. 347 Vgl. oben Kap. II.2.2. 348 Namentlich in (Strafrechtsdogmatik). Weniger deutlich dagegen W. Hassemer, (Grundlagen), § 21. 349 Dieser Zugang verdankt sich dem die schroffe Sein/Sollen-Dichotomie durchbrechenden philosophischen Denken Radbruchs. Für die Rechtsanwendung wurden dessen allgemeine Grundsätze übernommen von Arth. Kaufmann, (Analogie), namentlich S. 14ff. und kurzgefaßt ders., (Darstellung), S. 296f. Technisch erheblich präziser ausgearbeitet findet sich diese Theorie dann bei W. Hassemer, (Tatbestand). 350 Diese Bild der „Spirale" verwendet W. Hassemer, (Tatbestand), S. 107.

72

I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

der entfaltet" werden 351 . Tatbestandsmerkmal und SachVerhaltsmerkmal werden schrittweise immer konkreter aneinander angeglichen 352 , wechselseitig assimiliert 353 . Dies ist möglich, weil der Tatbestand nach der Realität hin „offen" ist 3 5 4 , gewissermaßen „nachgiebig" gegen die Heranführung der Realitätsausschnitte. Vice versa erhalten jene Ausschnitte gerade durch ihre Einordnung in ein normatives Kontinuum eine neue (hermeneutische) Qualität 3 5 5 . Von dieser Basis aus erschließt sich Dogmatik als der Bereich auf „mittlerer Abstraktionsebene zwischen Gesetz und Fall" 3 5 6 . Dogmatik wird also von jedem Rechtsanwender „produziert" und „praktiziert" 3 5 7 . Weiterhin ist klar, daß Dogmatik 3 5 8 , als Element jener „mittleren Ebene", kein abgeschlossenes System von Sätzen ist, die nur aktualisiert werden müßten 359 . Das kann Dogmatik vom hermeneutischen Standpunkt aus gar nicht sein; denn jede Fallkonstellation verlangt nach anderen Assimilationsvorgängen zwischen Norm und Realität. Begreift man Dogmatik als Aussagen, die jenes Reservoir an vermittelnden Sätzen bilden, so ist klar, daß diese Menge grundsätzlich offen gedacht werden muß, d.h. aufnahmefähig gegenüber neuen „Vermittlungsaussagen 360 . Da diese vermittelnden Sätze bei jeder Fallentscheidung benötigt werden, anders formuliert: da Dogmatik immer neu „produziert" wird, ändert sich das Rechtssystem mit jeder neuen Anwendung einer Norm 3 6 1 . Gleichzeitig wer351

Dazu W. Hassemer, (Tatbestand), S. 108. Daß die formale Logik, von der sich die Hermeneutik abzugrenzen sucht, zum gleichen Ergebnis kommt, hat sich oben - vgl. S. 62f. und S. 63 Fn. 309 - bereits gezeigt: in der Tat handelt es sich auch bei einer vollständigen Deduktion um eine Kette immer konkreter werdender Theoreme, die letztlich auf eine Äquivalenzbehauptung Tatbestandsmerkmal = Sach Verhaltsmerkmal hinauslaufen. 353 In der Tat sprechen Hermeneutiker von „Assimilation" (vgl. etwa Arth. Kaufmann, (Darstellung), S. 297). Diese Wortwahl, die mit derjenigen der allgemeinen Erkenntnistheorie zusammenfällt, ist nicht zufällig. Wie oben S. 17 und Fn. 22 schon angedeutet wurde, scheint die Hermeneutik hier ein allgemeines Phänomen der theoretischen „Verarbeitung" der Realität zu berühren. Auch auf diesen Punkt wird die vorliegende Untersuchung noch zu sprechen kommen. 354 W. Hassemer, (Tatbestand), S. 109. 355 ψ Hassemer, (Tatbestand), S. 103ff. Mit „wechselseitiger Abhängigkeit" von Norm und Sachverhalt wird bisweilen aber auch ein anderes Phänomen bezeichnet: das „in die Entsprechung bringen" von Gesetzesnorm und nicht-juristischer Norm (des normativ vorstrukturierten Lebenssachverhalts). Vgl. dazu W. Hassemer, (Normen), S. 92. 356 W. Hassemer, (Grundlagen), S. 185. 357 Dazu W. Hassemer, (Strafrechtsdogmatik), S. 148, der dort die These attackiert, die Rechtsprechung sei nur „Abnehmerin" von Dogmatik. 358 Hassemer spricht übrigens nicht von „Dogmatik" im allgemeinen, sondern durchgängig nur von Strafrechtsdogmatik. Die vorliegende Untersuchung versucht zu zeigen, daß zwischen Strafrechtsdogmatik und anderen Dogmatiken kein wissenschaftstheoretischer Unterschied besteht. 359 W. Hassemer, (Strafrechtsdogmatik), S. 149. 360 D j e s folgt aus der „Offenheit" aller Tatbestandsmerkmale. 352

II.

e n t i s c h e Sichtweisen von Dogmatik

73

den die Grenzen einer Norm mit jeder Entscheidung neu gezogen. Die Norm ist also kein Rahmen, innerhalb dessen Fälle entschieden werden, sondern die offene Norm wird durch jede Anwendung unter Einsatz der dogmatischen „Vermittlungsaussagen" je neu konturiert 362 . Dies bedeutet auch, daß Normen nur korrekt „verstanden" werden können, wenn man ihre „Reichweite" kennt, die Menge ihrer (bisherigen) Anwendungen 363 . Eine Regel wird „mit und in ihrer Anwendung gelernt" 364 . Begreift man die Entfaltungen einer Norm an diversen Sachverhalten als die Konstitution deren Sinns, so bietet der hermeneutische Zugriff auf Dogmatik zusammengefaßt etwa folgende Formel an: Dogmatik leistet als Element in „mittlerer Abstraktionshöhe" die Assimilation von Normelementen und Sachverhaltselementen. Diese Leistung ist mit jeder Fallentscheidung je neu zu erbringen. Dogmatik dient im Rahmen der juristischen Arbeit daher als „Sinnkonstitutivum" juristischer Normen 3 6 5 . A m Fall, d.h. an den Teilen der Realität, die normativ qualifiziert werden sollen, entfaltet Dogmatik den „Sinn" der angezielten Norm 3 6 6 , legt, anders gesprochen, deren Anwendungsbereich fest. Auch an dieser Konzeption verdienen einige Punkte hervorgehoben zu werden. Wesentlich ist etwa, daß die hermeneutische Konzeption von Dogmatik diese nicht als ein einfaches System normativer Aussagen begreift. Dogmatik ist vielmehr der Bereich, in dem Normsätze „dynamisiert" werden. Will man die Sätze einer Dogmatik überhaupt qualifizieren, so spräche die hermeneutische Theorie wohl eher von „Assimilationsaussagen", die partiell tatsächlich normativ sind, die aber unvermeidlich auch mit Realität umgehen müssen, die nur in deskriptiver Sprache beschrieben werden kann. Dogmatik - und dieses Element der hermeneutischen Theorie wird später wieder aufzugreifen sein läßt sich adäquat nur als Gebilde begreifen, das aus zwei großen Komponenten, Normgefüge und Realität, aufgebaut ist, zwischen denen eine Vermittlung gestiftet wird. Man wird dies auch so ausdrücken können: Dogmatik ist radikal anwendungsbezogen366a. Es sind die oben geschilderten komplexen 361 Vgl. w. Hassemer, (Strafrechtsdogmatik), S. 177. 362 vgl ψ Hassemer, (Strafrechtsdogmatik), S. 45. 363 Diese These wurde mit etwas anderer Begründung bereits oben vertreten, vgl. S. 64 und Fn. 313. Sie wird unten im Rahmen der eigenen Dogmatiktheorie noch einmal auftauchen. Beachtlich ist im Übrigen auch hier, daß Hermeneutik und analytische Wissenschaftstheorie mindestens Analogien aufweisen. 364 W. Hassemer, (Strafrechtsdogmatik), S. 160. 365 Dazu W. Hassemer, (Strafrechtsdogmatik), S. 160. 366 \γ Hassemer, a.a.O. 3 a 66 Zu einer ganz ähnlichen Einsicht gelangt G. Lübbe-Wolff\ (Realfolgen) aus Anlaß einer Analyse juristischer Begriffsbildung. Sie schreibt (S. 34): „Rechtsnormen unterscheiden sich von unverbindlichen ... Bekundungen guter Absichten gerade dadurch, daß es in mindestens einem denkbaren Fall für den Inhalt einer Entscheidung auf sie ankommt."

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I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

Vermittlungsakte zwischen Norm und Sachverhalt, die „Anwendungen" der Norm, die dogmatisches Arbeiten ausmachen. Ein weiterer Aspekt des hermeneutischen Zugangs ist das Postulat der „Offenheit", Unabgeschlossenheit, des dogmatischen Gefüges. Dogmatik kann aus dieser Sicht kein axiomatisiertes System sein, kunstvoll nach Axiomen und Theoremen gegliedert und höchsten impliziten Anforderungen wie Vollständigkeit usw. unterworfen 367 . Dogmatik muß dagegen als jederzeit „anreicherbares" System begriffen werden, „anreicherbar" um je neue Anwendungen derjenigen Norm(en), auf die sich die Dogmatik bezieht. Auf eine Formel gebracht: aus hermeneutischer Sicht kann Dogmatik nie ein statisches Gefüge sein, sondern immer nur ein dynamisches, das seine Beweglichkeit 3 6 8 der stetig anwachsenden Zahl von Anwendungen der von der Dogmatik anvisierten Norm(en) verdankt. In anderer Terminologie: die Sinnkonstitution einer Norm läßt sich nicht abgeschlossen denken, weil sie keinen Sinn „hat", sondern dieser ihr mit jeder gelungenen Anwendung „verliehen" wird. Die hermeneutische Sicht der Dogmatik wird im Verlauf der Entwicklung der eigenen Sichtweise eine große Rolle spielen. Es sei, um spätere Unterbrechungen des Gedankengangs zu vermeiden, hier jedoch markiert, in welchen Punkten die später zu entwickelnde Theorie von der soeben skizzierten abweicht. Wie oben schon mehrfach erwähnt und begründet 369 , werden Norm und Dogmatik hier nicht unterschieden. Gerade die hermeneutische Theorie macht die Norm als selbständiges Element der Rechtsanwendung obsolet. Die Anwendung „der Norm" ist tatsächlich die Anwendung der Dogmatik. Die zentrale Anwendungsbehauptung „Sachverhalt S ist der Norm Ν subsumierbar" ist eine Aussage der Dogmatik, und jede Vermittlungsaussage zwischen Norm und Sachverhalt - auch im oben referierten hermeneutischen Rechtsanwendungsvorgang - ist eine dogmatische Aussage. Die Norm selbst ist nur eine - möglicherweise die allgemeinste - Aussage unter anderen im Rechtsanwendungsprozeß. Um Mißverständnisse zu vermeiden, wird in der eigenen Konzeption auch nicht von der Entfaltung des „Sinns" einer Norm gesprochen. Hier kann der Eindruck entstehen, als hätten Begriffe und Aussagen per se einen Inhalt, der 367

Es ist zu betonen, daß diese Sicht der Hermeneutik - man findet sie hinreichend explizit bei Arth. Kaufmann, (Wissenschaftlichkeit) hier referierend dargestellt wird. Tatsächlich ist auch ein axiomatisiertes System „offen" gegenüber der Integration neuer Aussagen. Der entscheidende Punkt ist aber, daß diese Integration strengen Verträglichkeitskontrollen unterliegt. Der Unterschied zwischen Hermeneutik und Axiomatik reduziert sich deshalb auf den Konflikt unterschiedlicher Verträglichkeitsanforderungen bei der „Einbettung" neuer Aussagen in den Korpus schon existierender. 368 Diese „Beweglichkeit" des Systems ist eine andere, als diejenige, die Otte analysiert hat (vgl. G. Otte, (Sätze), namentlich S. 319). Die „Nachgiebigkeit" eines normativen Systems beruht in Ottes Sicht auf der Verwendung komparativer Begriffe. 369 Vgl. oben S. 63ff. und S. 14 These 1.

II.5 Offene Fragen juristischer Theoriebildung

75

nur entdeckt zu werden brauche 370 . Stattdessen wird die eigene Konzeption deutlich machen, daß der „Inhalt" eines Begriffs nicht von Lexika, sondern von den Intentionen des Anwenders bestimmt wird 3 7 1 und daß die Limitierungen für Begriffsverwendungen keine semantischen, sondern systematische sind 372 . Unterscheiden wird sich die zu entwickelnde Dogmatiktheorie auch insofern von der hermeneutischen, als versucht wird, einige der beobachteten Phänomene - etwa die „Offenheit" des Systems - innerhalb eines formalen Systems zu explizieren. Der Mangel der hermeneutischen Theorie liegt in ihrer mangelnden Detailliertheit. Ihr Zugriff ist „großflächig" und läßt - ähnlich wie die analog kritisierte Theorie Luhmanns373 - nicht erkennen, ob jene „mittlere Abstraktionsebene" 374 aus verschiedenen Komponenten aufgebaut ist oder eine homogene Masse von Aussagen, ob man Komponenten bzw. Aussagen typisieren kann oder ob bestimmte Teile von Dogmatiken auch andere Aufgaben wahrnehmen, als der Rechtsanwendung zu dienen. Es wird auch nicht klar, welche Aussagen bzw. welche Teilmengen von Aussagen, die etwa innerhalb einer Abhandlung auftauchen, zu einer Dogmatik (in hermeneutischer Sicht) rechnen. Das Problem taucht bei der Diskussion „abgrenzender Fallkonstellationen" auf: dieses beliebte Verfahren wird eingesetzt, um deutlich zu machen, welche Fälle der jeweilige Autor oder Rechtsanwender nicht als „Fall des § xy" betrachten will. Auch hier werden „Vermittlungsaussagen" zwischen Norm und Fall konstruiert (die letztlich aber zu keinem positiven Ergebnis führen). Dennoch dürfte es sich unter hermeneutischem Blickwinkel um keine Dogmatik handeln, weil zwischen Norm und Sachverhalt gerade keine Verbindung zustande kommt. Es wird eine der Aufgaben der Untersuchung sein, die Frage der Zugehörigkeit „abgrenzender Fallkonstellationen" zu einer Dogmatik zu klären.

IL5 Offene Fragen im Zusammenhang mit juristischer Theoriebildung Neben expliziter Dogmatiktheorie existieren in der Rechtstheorie zahlreiche Diskussionen, die sich mit bestimmten Aspekten juristischer Theorie- und Systembildung beschäftigen. Im folgenden werden drei Einzelfragen vorge370 Versteht man die hermeneutische Theorie richtig, so sollte dieses Mißverständnis allerdings ausgeschlossen sein, vgl. auch die hier gewählte Darstellung S. 74. 371 Dies läßt sich besonders deutlich an der Doktrin juristischer Methodenlehren zeigen, es gebe einen „natürlichen Wortsinn". Daß die Rechtsprechung, die diesen Topos öfter verwendet, diesen „natürlichen" Wortsinn dann außer acht läßt, wenn sie es für zweckmäßig hält, hat U. Neumann, (Auslegungsgrenze) nachgewiesen. 372 Vgl. unten Abschn. IV.3.6. 373 Vgl. oben Abschn. II.2.1, bes. S. 50f. 374 Vgl. oben S. 72.

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I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

stellt, die in der rechtstheoretischen Diskussion offen sind und auf die die vorliegende Untersuchung Antworten anbieten wird. II.5.1 Dogmatik und Modelle In einer kritischen Revision bisheriger Dogmatiktheorie, die auf die Feststellung hinausläuft, Dogmatiktheorie werde in dogmatischer Manier betrieben, hat Struck 375 die Frage aufgeworfen, welche Teile von Dogmatiken Realität und welche Teile Modell sind 376 . Diese Frage unterstellt nicht nur die hochinteressante Zweiteilung einer Dogmatik in empirische und theoretische Komponenten 377 , sondern sie fragt danach, ob sich Dogmatik partiell als Modellbildung begreifen läßt. Walther hat - ohne Bezug auf Struck - auf diese Frage die Antwort gegeben, Dogmatik produziere Modelle, und zwar bestehend aus einem „empirischen Teilmodell" und „überformenden" andersartigen Modellelementen 378 . Es sei, so Walther 379, eine rechtstheoretische Forschungsaufgabe, jene dogmatischen Modelle genauer zu rekonstruieren. Eine Antwort auf die Frage Strucks ist erst möglich, wenn definiert ist, was man sich unter einem „Modell" vorzustellen hat. Der Modellbegriff selbst ist schillernd und wird in der Wissenschaftstheorie nicht einheitlich verwendet. In der Physik sind „Modelle" nichts anderes als „Theorien" 3 8 0 , also Strukturen die „Abbilder der Welt" sein sollen. Dieselbe Begriff s Verwendung findet sich in der quantitativen Sozialwissenschaft 381 . In beiden Wissenschaftszweigen ist - etwas präziser formuliert - eine Abbildung (im mathematischen Sinn) gemeint, die einem Objektbereich Ο eine (mathematische) Struktur S zuordnet 382 . Etwas verallgemeinert: ein Modell ist eine theoretische Struktur und bildet einen nichttheoretischen Objektbereich ab. In der Kybernetik wird andererseits davon gesprochen, das menschliche Gehirn stelle Modelle der Außenwelt her 3 8 3 . „Modell" wird hier etwa gleichbedeutend mit „Vorstellung" verwendet. Dieser Befund - weitere Beispiele der Variation des Modellbegriffs sind überflüssig - gestattet keine allgemeine Beantwortung der Frage, ob Dogma375 376 377

S.73. 378

G. Struck, (Diskussion). G. Struck, (Diskussion), S. 86. Dazu finden sich oben im Text zahlreiche Ausführungen, vgl. etwa S. 24ff., S. 49,

M. Walther, (Probleme), S. 198. M. Walther, (Probleme), S. 198f. 380 Vgl. G. Falk / W. Kuppel, (Mechanik), S. 4. 381 Vgl. A. Rapoport, (Methoden), z.B. S. 36ff. 382 Etwas vereinfachte Formulierung. Präziser bei F. v. Kutschera, (Erkenntnistheorie), S. 176. 383 Vgl. H. Stachowiak, (Denken), S. 9. 379

II.5 Offene Fragen juristischer Theoriebildung

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tik Modelle herstellt. Die Antwort muß relativ zum gewählten Modellbegriff gegeben werden. Der Modellbegriff der strukturalistischen Metatheorie, der für die Analyse von Dogmatik herangezogen werden wird 3 8 4 , wird auf die offene Frage von Struck eine klare, aber relative, Antwort geben können. II.5.2 Autonomie der Rechtsbegriffe Theoriebildung hängt entscheidend von der Bildung der theoretischen Begrifflichkeit ab. Für jede metatheoretische Reflektion stellt sich deshalb die Frage, welche Eigenschaften die innerhalb einer Theorie verwendete Terminologie hat. Eine der wichtigsten Fragen in diesem Rahmen ist die nach der Kollision der Begriffsverwendungen eines Terms Τ in zwei verschiedenen Theorien. Unpräzise wird hier davon gesprochen, daß die beiden Theorien den Term Τ in unterschiedlicher „Bedeutung" gebrauchen. Tatsächlich dreht es sich um den Streit, ob mit Τ unterschiedliche Extensionen verknüpft werden können, ob Τ also von zwei unterschiedlichen Theorien jeweils autonom verwendet werden darf. In der Rechtswissenschaft ist das Problem der Autonomie von Rechtsbegriffen dann virulent, wenn ein Term Τ auch von „Nachbarwissenschaften" verwendet wird. Um einen Streit um die Autonomie von Rechtsbegriffen handelte es sich bei einer Auseinandersetzung zwischen Bockelmann 385, Jäger 386 und Haffke 387, in der es um die straf rechtsdogmatische Handhabung von Begriffen ging, die - vorsichtig formuliert - „danach aussehen", als ob sie einer psychologischen Aufklärung zugänglich sind. Bockelmann hatte behauptet, daß z.B. der Begriff des „Vorsatzes" nicht davon abhänge, wie die Psychologie dessen (strafrechtsdogmatischen) Definitionsbestandteil „Kennen" expliziere 388 und überprüft. Damit behauptete Bockelmann die Autonomie des strafrechtlichen Vorsatzbegriffs. Jäger beharrte dagegen darauf, daß derartige Begriffe unabweisbar auf „psychische Realitäten Bezug nehmen" 389 , und bestritt damit die Freiheit der strafrechtsdogmatischen Begriffsverwendung. Haffke wiederum präzisierte die Position Bockelmanns: die Strafrechtsdogmatik habe eine „esoterische Psychologie", weil sie eine kollektive Reaktion auf abweichendes Verhalten darstelle 390 und die individualpsychologische Deutung etwa das Vorsatzbegriffs deshalb „methodisch verfehlt" 391 sei. 384 385 386 387 388 389 390 391

Vgl. unten Abschn. III.3.3. P. Bockelmann, (Verhältnis). H. Jäger, (Strafrecht). B. Haffke, (Strafrechtsdogmatik). P. Bockelmann, (Verhältnis), S. 12. Η Jäger, (Strafrecht), S. 58. B. Haffke, (Strafrechtsdogmatik), S. 140. B. Haffke, (Strafrechtsdogmatik), a.a.O.

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I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

Auch andere Autoren behaupten die Ungebundenheit juristischèr Terminologie: Bringewat begründet diese mit einer Aussage, die im'Verlauf der vorliegenden Untersuchung noch von Wichtigkeit sein wird: er meint, jeder Rechtsbegriff behaupte nur eine „relative Richtigkeit", nämlich relativ zu der „Bewährung des ihn implizierenden Strafrechtssy stems"392. Dieses Argument zielt auf die System- oder Theorieabhängigkeit eines (Rechts)Begriffs. Volk rekurriert auf die - der Streitfrage um die Autonomie von Begriffen in der Tat zugrundeliegende - wissenschaftstheoretische Diskussion der „theoretischen Begriffe" 393 . Er meint, das juristische Vokabular sei deshalb unabhängig von anderen (namentlich empirischen) Disziplinen, weil dort mit anderen Zuordnungsregeln gearbeitet werde und eine Regel, die Zuordnungsregeln als richtig oder falsch qualifiziere, nicht existiere 394 . Der Vorwurf, Rechtswissenschaft arbeite mit „Fiktionen", sei deshalb nicht aufrecht zu erhalten 395 . Auch zu der Frage, ob Rechtsbegriffe „autonom" sind, wird die vorliegende Untersuchung Stellung nehmen. Die Antwort wird analog derjenigen Volks ausfallen: nur über das „Problem der theoretischen Terme" kann eine Lösung versucht werden. Die Behandlung theoretischer Terme durch die strukturalistische Metatheorie hält eine Lösung bereit. II.5.3 Normative Tatbestandsmerkmale Eng mit dem soeben diskutierten Problem hängt die Diskussion um „normative Tatbestandsmerkmale" im Strafrecht zusammen. Die Doktrin behauptet hier 3 9 6 , man könne zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen eines strafrechtlichen Tatbestandes unterscheiden. Erstere seien „sinnlich wahrnehmbar" und deshalb einem kognitiven A k t zugänglich, die zweite Gruppe nicht. Von praktischer Konsequenz ist diese Unterscheidung im Falle eines Tatbestandsirrtums, § 16 StGB. Danach handelt unvorsätzlich derjenige, der einen Umstand des gesetzlichen Tatbestands nicht kennt. Der Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale ist aufgrund deren empirischer Nichterkennbarkeit ein folgerichtig prekäres Problem 397 . Die vagen Abgrenzungskriterien zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen hat Herberger 398 einer kritischen Revision unterzogen und für durchweg nicht tragfähig befunden. Herberger stellt daher die Vermu392

P. Bringewat, (Denken), S. 20. K. Volk, (Strafrechtsdogmatik), S. 76ff.; vgl. dazu auch U. Neumann, (Rechtsontologie), S. 56 ff. 394 K. Volk, (Strafrechtsdogmatik), S. 82. 395 K. Volk, (Strafrechtsdogmatik), a.a.O. 396 Vgl. z.B. E. Schmidhäuser, (AT), 3/75. 397 Dazu materialreich/. Baumann, (Grenzfälle). 398 M. Herberger, (Tatbestandsmerkmale). 393

II.6 Aufriß der Problemstellungen

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tung an, daß die Einteilung deskriptive/normative Tatbestandsmerkmale mit der von J. D. Sneed vorgeschlagenen Einteilung in nichttheoretische/theoretische Begriffe identifizierbar sein könnte 3 9 9 . Dies würde bedeuten, daß ein Tatbestandsmerkmal „normativ" genau dann wäre, wenn nicht ohne Bezugnahme auf das „Satzsystem", in dem der Begriff auftaucht, über dessen Vorliegen entschieden werden könne. Dieser Gedanke taucht in etwas unklarerer Form schon zwei Jahrzehnte vorher in einem Aufsatz von Engisch auf. Engisch kommt dort zu dem Schluß, daß ein „normatives Tatbestandsmerkmal" nur unter „logischer Voraussetzung einer Norm" gedacht werden könne 400 . Beiden Ansätzen liegt ein Gedanke zugrunde, der die Systemabhängigkeit oder Theorieabhängigkeit normativer (theoretischer) Begriffe vermutet 401 . Es wird sich später zeigen, daß diese Vermutungen tatsächlich in die richtige Richtung weisen. Relativ klar beantwortet wird die Vermutung Herbergers, da die Theorie von J. D. Sneed das metatheoretische Fundament der späteren Dogmatikrekonstruktion sein wird.

II.6 Aufriß der Problemstellungen Kapitel I I enthielt eine durch die später zu liefernde Dogmatiktheorie begrenzte Auswahl an rechtstheoretischen Reflektionen über Dogmatik. Alle referierten Metatheorien haben Fragen offen gelassen. Die Liste dieser offenen Probleme sei am Ende dieses Kapitels in expliziter Form präsentiert. Dies erleichtert die spätere Diskussion, ob die eigene Dogmatiktheorie neue Lösungen anzubieten hatte. I. Läßt sich die empirische Komponente einer Dogmatik innerhalb eines formalen Systems darstellen? 402 II. Ist Dogmatik eine „Struktur" und wenn ja, läßt sich diese hinreichend präzise bestimmen? 403 III. Gibt es „intradogmatische" Bedingungen, die die Eigenkomplexität einer Dogmatik reduzieren? 404 IV. Lassen sich einzelne Funktionen von Dogmatik eindeutig mit spezifischen Strukturmerkmalen assoziieren? 405

399

M. Herberger, (Tatbestandsmerkmale), S. 133. K. Engisch, (Tatbestandsmerkmale), S. 147. 401 Diese Idee liegt auch der Äußerung Bringewats zugrunde, vgl. oben S. 78 und Fn. 392. 402 S. Abschn. II.2.1, S. 50. 403 S. Abschn. II.2.1, S. 52. 404 S. Abschn. II.2.1, S. 52. 405 S. Abschn. II.2.2, S. 55. 400

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I I Sichtweisen juristischer Dogmatik

V. Was ist die „heuristische Funktion" einer Dogmatik? 406 V I . Spielen spezifische Begriffe in Dogmatiken besondere „Rollen"? 4 0 7 V I I . Sind „Fallkonstellationen" ein Bestandteil von dogmatischen Strukturen und wenn ja, wie läßt sich dies darstellen? 408 V I I I . Empfiehlt sich eine Trennung zwischen „klassischen" und „restriktiven" bzw. „minimalen" Dogmatiken? 409 IX. Lassen sich „Anwendungsbezogenheit" und „Offenheit" einer Dogmatik innerhalb eines formalen Systems darstellen? 410 X. Zählen „abgrenzende Fallkonstellationen" noch zu einer Dogmatik (vgl. auch Frage V I I ) ? 4 1 1 X I . Läßt sich Dogmatik, bzw. lassen sich Teile davon, als „Modell" auffassen? 412 X I I . Sind Rechtsbegriffe „autonom" und wenn ja, wie läßt sich dies begründen? 413 X I I I . Trifft Herbergers Vermutung zu, die Dichotomie normative/deskriptive Tatbestandsmerkmale sei mit der von Sneed eingeführten Unterscheidung theoretische/nichttheoretische Begriffe analogisierbar? 414

406

S. Abschn. II.2.2, S. 55 und Fn. 264. S. Abschn. II.3.1, S. 60. 408 S. Abschn. II.3.1, S. 61f. 409 S. Abschn. II.3.2, S. 70. 410 S. Abschn. II.4.2, S. 74 u. S.75. 411 S. Abschn. II.4.2, S.75. 412 S. Abschn. II.5.1, S.76f. 4 13 S. Abschn. II.5.2, S.77f. 414 S. Abschn. II.5.3, S.78f. 407

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept I I I . l Vorbemerkung Das nachfolgende Kapitel wird der Darstellung des strukturalistischen Theorienkonzepts dienen. Dieses Konzept wird die Grundlage der in Kapitel I V folgenden Rekonstruktion einer Dogmatik sein. Dabei wird das folgende Kapitel so vorgehen, daß in einem so kurz wie möglich gehaltenen Abriß die historische Situation der Wissenschaftstheorie geschildert wird, in der das strukturalistische Theorienkonzept - heute gewöhnlich "nonstatement-view" oder "structuralist view of theories" genannt 415 - entstand. Im zweiten Teil des Kapitels wird dann das Konzept selbst vorgestellt, und zwar in der Form, wie es der Amerikaner Joseph D. Sneed 1971 in seinem Buch "The Logical Structure of Mathematical Physics" 416 entworfen hat. Die von Sneed entwickelte Metatheorie zielt auf die Rekonstruktion physikalischer, d.h. empirischer, Theorien, auf Theorien also, die mit einem mathematischen „Begriffsnetz" arbeiten. Sie ist außerordentlich abstrakt und schwierig 417 . Ihre Referierung stößt aber auf zwei Probleme: neben den Schwierigkeiten der Vermittlung einer derart komplexen Metatheorie mußte im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auch noch darauf Rücksicht genommen werden, daß diese Metatheorie zur Rekonstruktion einer Theorie verwendet werden soll, die nicht mit formalisierter „Begriffsbildung" arbeitet. Von daher konnten und mußten Details der Sneed'schen Metatheorie ausgelassen werden, die - offenbar - ausschließlich aus dem rekonstruktiven Umgang mit quantitativen „Begriffen" 418 resultieren. Man kann nun in solchen Fällen einer bewußt modifizierenden Referierung leider nicht sicher sein, ob dies die Verständlichkeit fördert oder eher mindert. Möglicherweise erschließt sich das begriffliche Instrumentarium der Sneed'schen Metatheorie erst dann völlig, wenn man es - in Kapitel I V oder im vorliegenden Kapitel in den Beispielen - „in Aktion sieht". 415

Der Begriff stammt nicht vom Urheber dieser Metatheorie, sondern von W. Stegmüller. 416 1979 j n zweiter Auflage erschienen. 417 Das räumen selbst intime Kenner dieser Theorie ein, vgl. z.B. C. Ulises-Moulines, (Review), S. 423. 418 Der Ausdruck „Begriff" wurde oben in distanzierende Anführungszeichen gesetzt, da zumindest metrische (quantitative) Terme besser „Funktionen" genannt werden. 6 Schlapp

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III Das strukturalistische Theorienkonzept

Eine letzte wichtige Bemerkung ist noch vor anzustellen. Wenn soeben von „der" Metatheorie Sneeds die Rede war, so ist sofort eine Einschränkung zu machen. Die vorliegende Arbeit präsentiert und verwendet nicht die gesamte Sneed'sche Konzeption. Insbesondere wird darauf verzichtet, die von Sneed explizierten Relationen zwischen Theorien (Identität, Äquivalenz und Reduzierbarkeit) darzustellen. Die vorliegende Untersuchung intendiert nur die Analyse singulärer Dogmatiken. Wo sich die Frage der Verbindung je singulärer Dogmatiken stellt, wird die Antwort lediglich skizziert 419 .

III.2 Die historische Situation III.2.1 Die „Aussagenkonzeption" von Theorien und das Problem „theoretischer Terme" Die in der Wissenschaftstheorie bis zum Auftauchen des strukturalistischen Theorienkonzepts vorherrschende Antwort auf die Frage, was eine empirische Theorie sei, lautete, grob gesprochen, etwa so: Empirische Theorien sind axiomatisierte Systeme von Aussagen, deren Begriffe eine empirische Deutung erhalten 420 . Dieses „Aussagenkonzept" (statement view) von Theorien 421 mußte also zwei entscheidende Eigenschaften von Theorien voraussetzen: deren Axiomatisierbarkeit und die Möglichkeit, die in der Theorie vorkommenden Begriffe empirisch „zu deuten". Dieses Konzept der „empirisch interpretierten Kalküle" beruht auf den Vorstellungen einiger Vertreter des „Wiener Kreises" 422 und wurde namentlich von Rudolf Carnap expliziert 423 . Diese Sicht traf auf zwei Probleme. Zum einen erwies sich die Axiomatisierung einer real existierenden physikalischen Theorie dann als außerordentlich schwierig, wenn deren Einzelaussagen in die Sprache der Prädikatenlogik übersetzt wurden (wie dies der gängige Weg der „klassischen" Wissenschaftstheorie war und ist). Soweit bekannt, existiert nur eine Abhandlung, die eine reale physikalische Theorie mithilfe einer Logiksprache zufriedenstellend rekonstruiert. Und diese Untersuchung stammt bezeichnenderweise von 419 Es sei allerdings nicht verschwiegen, daß die Rekonstruktion von Theorierelationen die schwierigste Aufgabe ist. 420 Dieses - hier in einem Satz zusammengefaßte - Bild wird bis heute präsentiert, vgl. etwa S. Maser, (kommunikationstheorie), S. 22; F. v. Kutschera, (Wissenschaftstheorie I), S. 254f. 421 Vgl. nunmehr oben Kap. II.3.1 und Fn. 271. 422 Das Konzept ist eine Zusammenfassung zweier metatheoretischer Topoi des „Wiener Kreises", des formalsprachlichen Ansatzes auf der einen und des beobachtungssprachlichen Ansatzes auf der anderen Seite. Zu beidem vgl. V. Kraft, (Wiener Kreis), S. 12ff. und S. 77ff. 423 Z.B. in (Begriffe).

III.2 Die historische Situation

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einem Logiker, der in dem anerkannten Ruf steht, ein Genie gewesen zu sein, nämlich Richard Montague 424. Der Weg, eine tatsächliche empirische Theorie mithilfe der Übersetzung ihrer Einzelaussagen in die Prädikatenlogik zu rekonstruieren, darf deshalb als faktisch ungangbar betrachtet werden. Obwohl dieser Befund für die Wissenschaftstheorie den Abschied vom bisherigen formalsprachlichen Paradigma bedeutete, wollte sie noch eine Theorie real existierender Wissenschaft sein, wog das zweite Problem, das der statement-view-Ansatz aufwarf, schwerer. Dies hatte mit der „empirischen Deutbarkeit" eines Kalküls zu tun. Das von Carnap ursprünglich konzipierte Programm der Konstitution einer „Beobachtungssprache" 425 sah vor, alle wissenschaftlichen Aussagen und Terme mithilfe eines Konstitutionssystems auf eine Sprache zurückzuführen, die nur noch Angaben über „sinnlich unmittelbar Gegebenes" macht, in Carnaps früher Terminologie, über „Elementarerlebnisse" 426 . Dieses anspruchsvolle Projekt stieß auf das Problem der sog. „Dispositionsprädikate", von Begriffen, die sich nicht auf die Beobachtungssprache zurückführen ließen, weil sie bestimmte Verhaltensweisen von Objekten beschreiben (z.B. „wasserlöslich" oder „leitfähig") 427 . Dies veranlaßte Carnap, eine Zweiteilung der Sprache in Beobachtungsterme und sog. theoretische Terme zu statuieren 428 . Letztere sollen sich dadurch auszeichnen, daß sie keine „beobachtbaren" Entitäten bezeichnen. In der Carnap'schen Terminologie besagt dies, daß ein theoretischer Term Τ nicht mittels einer Zuordnungsregel Ζ in den Beobachtungsterm Β überführbar ist 4 2 9 . Dieses Ergebnis stellt für das Aussagenkonzept nicht nur das Problem der empirischen Signifikanz theoretischer Terme und damit die Frage der Legitimität derartiger Größen in der wissenschaftlichen Begriffsbildung 430 , sondern es beeinflußt auch und gerade die Auffassung von Theorien. Tauchen nämlich 424 W. Stegmüller ironisiert diese Situation, wenn er (in View), S. 6f.) meint, um mathematisch komplexe physikalische Theorien im „Carnap-Stil" zu rekonstruieren, bedürfe es eines „Super-Super-Montagues". 425 In R. Carnap, (Aufbau); Carnap war allerdings nicht der einzige, der die empiristische Grundsprache für ein wissenschaftstheoretisches Ideal hielt. Eher programmatisch fordert sie auch O. Neurath, (Physikalismus), S. 103f., der das Programm der Einheitssprache freilich auf die Formulierung sog. „Protokollsätze" verkürzt. 42 * R. Carnap, (Aufbau), S. 155f. 427 Vgl. zu diesem Problem etwa Κ . Wuchterl, (Methoden), S. 31 f.; W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/l), S. 213ff.; A. Bohnen, (Kritik), S. 173 (der den nichtphysikalischen Begriff „leistungsmotiviert" für einen Dispositionsbegriff hält). Der Begriff der „Freiwilligkeit" in § 24 StGB wird von W. Hassemer, (Freiwilligkeit) ebenfalls hierher gerechnet. 428 Vgl. R. Carnap, (Begriffe), S. 49. 429 Vgl. dazu bereits oben S. 78. 430 Denn das ursprüngliche empiristische Programm des „Wiener Kreises" postulierte die Zurückführbarkeit eines Terms auf die empiristische Grundsprache als Demarkationslinie zwischen Wissenschaft und Metaphysik. 6*

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I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

in einer Theorie theoretische Terme auf - und das ist vermutlich unvermeidlich - so kann diese Theorie nicht mehr als empirisch vollständig deutbarer Aussagenkorpus axiomatischer Struktur verstanden werden, sondern nur noch als partiell deutbar. Die theoretischen Terme verbleiben als - relativ zur Beobachtungssprache - undefinierbare Grundbegriffe. Der Carnap'sche Befund ließ demnach zwei Fragen offen: die erste lautete, was für eine Art Entität denn ein „theoretischer Term" eigentlich ist bzw. was ihn eigentlich gegenüber den „Beobachtungstermen" auszeichnet. Die zweite war, wie denn eine Theorie, in der theoretische Terme vorkommen, überhaupt noch Aussagen über die Realität machen könne. Einen ersten Hinweis zur Beantwortung der Frage 1 lieferte Putnam 431. Er bestritt, daß die Unterscheidung „Beobachtungsterm" versus „theoretischer Term" eine semantische sein könne, daß es also zwei disjunkte Klassen von Begriffen gebe. Diese Differenzierung betreffe überhaupt keine Vokabularklassen 432 , sondern weise auf ein ganz anderes Phänomen hin: theoretische Terme, die diesen Namen verdienten, seien nämlich solche, die von einer spezifischen Theorie „herkommen" 4 3 3 . Und in den dreißig Jahren, in denen das „Problem der theoretischen Terme" diskutiert worden sei, habe man diesem Punkt überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Antwort auf Frage Nummer 2 existierte paradoxerweise schon vor Carnaps Explikationen. Sie ist erheblich komplizierter als Putnams Hinweis und kann hier nur angedeutet werden. Der lange Zeit nahezu unbekannt gebliebene Logiker F. P. Ramsey hatte bereits 1928 ein Eliminationsverfahren entworfen, das den „Umgang" mit theoretischen Größen innerhalb einer empirischen Theorie gestattet. Das Verfahren läuft grob gesprochen darauf hinaus, die theoretischen Größen innerhalb des formalen Rahmens der Theorie durch Variable zu ersetzen und über diese wie folgt zu quantifizieren: Es sei Τ diejenige Theorie, die η theoretische und k „beobachtbare" 434 Terme enthält und es sei Ζ die Menge von Zuordnungsregeln, die alle in der Theorie vorkommenden Terme auf Beobachtungsterme zu reduzieren suchen; dann hat eine Theorie die Form (18)

Τα

Ζ (t\ ... t n\ b\ ... bfc) 435 .

In einem ersten Schritt werden die theoretischen Terme von Τ α Ζ durch nicht in Γ λ Ζ vorkommende Variable, ζ. Β. αϊ . . . α η ersetzt. In einem zwei431

Η. Putnam, (Theories). Η. Putnam, (Theories), S. 220. 433 H. Putnam, (Theories), S. 219. 434 Man muß hier die Kritik von Putnam berücksichtigen. 435 Wobei t für theoretische Terme und b für „Beobachtungsterme" stehe. 432

III.2 Die historische Situation

85

ten Schritt werde über jede Variable eine Existenzquantifikation vorgenommen und erstere dadurch gebunden, so daß die Theorie dann die Form hat (19)

V αϊ ... V an Τ λ Ζ (α, ... α η ; bx ... M 4 3 6 ·

Formel 19) repräsentiert den „Ramsey-Satz" einer Theorie. Sein entscheidender Vorteil ist, daß empirisch undeutbare Terme zugunsten logischer Größen verschwunden sind, wobei Ramsey zugleich nachwies, daß die deduktive Leistungsfähigkeit der ursprünglichen Theorie, also - grob gesprochen - ihre Fähigkeit zur deduktiven Systematisierung von einer Menge von Beobachtungsaussagen, durch den Ramsey-Satz nicht verlorengeht 437 . Das Ergebnis der Ramsey-Untersuchung läßt sich intuitiv wie folgt skizzieren: man umgeht das „Problem der theoretischen Terme" dadurch, daß man an ihre Stelle Variable setzt, die die gleiche Funktion erfüllen. Daß der Ramsey-Satz insofern eine schwächere Aussage darstellt als die Originaltheorie, als statt der früher verwendeten bestimmten Prädikate nunmehr unbestimmte Variablen Verwendung finden, ist nach Ramsey der Preis, der für die Umgehung 438 des Problems der theoretischen Terme gezahlt werden muß 4 3 9 . Bis zum Auftauchen des strukturalistischen Theorienkonzepts waren die skizzierten Theorien die Antworten auf die vom „Aussagenkonzept" offen gelassenen Fragen 440 . Sneed hat bezüglich Frage 1 eine Präzisierung des Hinweises von Putnam geliefert und bezüglich Frage 2 eine neue Version des Ramsey-Satzes. Dies wird unten 4 4 1 genauer zu beschreiben sein. III.2.2 Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung als Wissenschaftstheoriekritik Das strukturalistische Theorienkonzept traf auch auf eine andere unabgeschlossene Diskussion. Seit der grundlegenden Arbeit von Thomas S. Kuhn, "The Structure of Scientific Revolutions" 442 war das von der „kritisch-rationa436

Vgl. zum ganzen Verfahren W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/l), S. 403ff. Die Originalarbeit von F. P. Ramsey, (Theories) ist sehr schwierig. 437 Der Beweis findet sich bei W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/l), S. 409ff. 438 i n d e r x a t handelt es sich um keine Lösung dieses Problems, da die Ramsey- Theorie nur ein Eliminationsverfahren anbietet. 439 Das Verfahren wird sich bei der Referierung der Theorie von Sneed noch etwas genauer erschließen. 440 Diese offenen Fragen haben übrigens nicht nur die Kritik der Wissenschaftstheoretiker provoziert. Das Dilemma-der „partiell interpretierten Kalküle" im System des Empirismus hat Th. W. Adorno (in (Einleitung), S. 13) dahingehend kritisiert, daß dort „Denkakte ... hypostasiert" und „nachträglich, illustrativ" aufgefüllt werden. 441 Unten III.3. 442 Dt.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (4. Aufl., 1979).

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I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

listischen" Wissenschaftsphilosophie, namentlich von Karl R. Popper explizierte „Falsifikationsmodell" empirischer Theorien schwer erschüttert worden. Kuhn wies anhand relativ simpler wissenschaftshistorischer Beispiele nach, daß die falsifikationistische Metatheorie und ihr Paradigma von der Zerstörung einer Theorie bei Aufweis eines sie falsifizierenden Beispiels 443 keine jemals real existente Forschungspraxis traf 4 4 4 . Kuhns wissenschaftshistorischer Befund 445 betraf nicht nur die konkrete Wissenschaftstheorie der PopperRichtung, sondern wies allgemein auf die Diskrepanz zwischen realer Forschung und den Theorien über diese Forschung hin, bedeutete der Wissenschaftstheorie also, daß sie ihren Forschungsgegenstand in seiner real existierenden Form gar nicht zur Kenntnis nehme. Wissenschaftsgeschichte erwies sich als wissenschaftstheoriekritische Disziplin. Kuhns Kernthese: „Kein bisher durch das historische Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeß hat irgendeine Ähnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Natur." 4 4 6 Beobachte man reale Wissenschaft genauer, so ergebe sich, so Kuhn, ein ganz anderes Bild: Theorien werden nicht durch simple kontraindizierende Beobachtung zerstört, sondern dadurch, daß sie Teil eines Paradigmas 447 sind, das durch einen komplexen Prozeß der Wandlung des wissenschaftlichen Weltbildes „untergeht" 448 . Die große Tragweite der Schrift von Kuhn bestand, wie angesprochen, weniger in der Attackierung einer singulären wissenschaftstheoretischen Spielart (des Falsifikationismus), als in der Aufweisung eines grundlegenden empirischen Defizits der Wissenschaftstheorie, letztlich in dem - von Kuhn

443

Die Darstellung vereinfacht die Popper'sche Wissenschaftsphilosophie freilich etwas, dürfte aber noch immer deren Kern treffen; denn trotz zahlreicher verfeinernder Details - vgl. aus der Literatur z.B. Κ R. Popper, (Sozialwissenschaften), S. 105f.; H. Albert, (Traktat), S. 28, S. 30, S. 35 (wo weniger das „experimentum crucis" als die umfassende Kritik als Theoriegefährdung in den Vordergrund gerückt wird), und vor allem I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 94. S. 99, S. 100, S. 106) - gibt das falsifikationistische Modell auf die Frage, wie die Kollision einer Theorie mit einem - wie präzise auch immer definierbaren - „Gegenbeispiel" zu entscheiden ist, die Antwort, die Theorie sei als widerlegt aufzugeben. 444 Die genauen Kollisionspunkte zwischen der Popper'schen Wissenschaftstheorie und der Kuhn'schen Wissenschaftsgeschichte werden z.B. in der Darstellung von W. Stegmüller, (HS II), S. 726ff. analysiert. 445 Neben den Darstellungen in (Revolutionen) finden sich noch Beispiele bei Th. S. Kuhn, (Entstehung). Die Problematik des Falsifikationsmodells in der Rechtswissenschaft diskutiert U. Neumann, (Argumentationslehre), S. 39ff. 446 Th. S. Kuhn, (Revolutionen), S. 90. 447 Dieser von Kuhn eingeführte Begriff (in (Revolutionen), S. 25) ist nicht präzise definierbar und wird am besten durch einen von Kuhn an anderer Stelle (Revolutionen), S. 30) gegebene Definition charakterisiert: „festumrissener Forschungskonsensus". 448 Vgl. hauptsächlich Kap. X in (Revolutionen).

III.2 Die historische Situation

87

freilich nicht explizit erhobenen - Vorwurf, Wissenschaftstheorie sei eine realitäts- bzw. geschichtsblinde Disziplin. In mehr oder minder strenger Anlehnung an die Kritik Kuhns entwickelte sich u.a. auch im deutschen Sprachraum 449 eine Diskussion um die Relevanz oder Notwendigkeit von Wissenschafts/orsc/iimg 450. Aus den unterschiedlichen Akzentsetzungen dieser Diskussion 451 ragt auch die Frage heraus, wie sich reale Theoriebildung und Theorieverdrängung rational rekonstruieren lassen. Gefragt wird unter dem Eindruck der Kuhn'schen Zerstörung der Einheit von Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsempirie somit nach nichts anderem als nach der Wiederherstellung eben dieser Einheit, freilich unter dem Primat der genauen Beachtung faktischer Wissenschaftsabläufe. Gefragt wird also, schlagwortartig skizziert, nach einer "empirical science of science" 452 , nach einer rationalen „Wissenschaftswissenschaft" 453. Erste Versuche, die „Nach-Kuhn'sche Wissenschaftstheorie" zu begründen, stammen von I. Lakatos 454. Lakatos rückte vom „naiven Falsifikationismus" und seinem Bild der „kumulativen Wissensvermehrung" ab. Reale Theorienentwicklung zeichne sich dadurch aus, daß sich durch mehrfache „Adjustierungen" an einer Ausgangstheorie ganze „Theoriereihen" bilden 455 . Werden solche Theorienreihen durch methodische Regeln ergänzt, die nicht den Aufbau einer singulären Theorie anleiten sollen, sondern grob gesprochen, den Umgang" mit Theorienreihen, so entsteht ein Forschungsprogramm 456. Diese „Makroeinheiten" sind nach Lakatos der Gegenstand realer wissenschaftlicher Tätigkeit. Deshalb wird auch Wissenschaftsfortschritt nicht durch Widerlegung einer singulären Theorie erzielt, sondern durch einen komplexen Prozeß der „Ablösung" von Forschungsprogrammen 457. Daß es schwerer ist, ein

449 Hier im wesentlichen von einigen Philosophen der „Erlanger Schule" um P. Janich und J. Mittelstraß diskutiert. 450 Ygi z g q Eberlein, (Wissenschaftsforschung); G. Radnitzky, (Programm), bes. S. 26ff.; W. Diederich (Einleitung). 451 So diskutieren viele Autoren unter dem Stichwort „Wissenschaftsforschung" auch oder hauptsächlich Wissens- bzw. wissenschaftssoziologische Fragen. Vgl. dazu z.B. J. Mittelstraß, (Wissenschaftsforschung), bes. S. 188ff., S. 210ff. oder/. Ben-David, (Theorie). C. F. Gethmann, (Wissenschaftsforschung), S. 17 will unter diesem Stichwort alle - aber auch nur solche - Diskussionsbeiträge verstehen, die sich um die „pragmatische Wende" in der Wissenschaftstheorie bewegen. 452 Begriff von J. D. Sneed, (Science). 453 Diesen Begriff verwendetMittelstraß, (Wissenschaftsforschung). 454 Vgl. hauptsächlich I. Lakatos, (Forschungsprogramme); etwas knapper I. Lakatos, (Geschichte), S. 69ff. oder Κ Mainzer, (Logik), S. 32f. 455 I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 115f. Nach Lakatos kann nie eine singuläre Theorie, sondern immer nur eine Theorienreihe „wissenschaftlich" genannt werden. 456 I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 129. 457 Vgl. I. Lakatos, (Geschichte), S. 69.

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I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

ganzes Forschungsprogramm zu Fall zu bringen, als eine singuläre Theorie, erklärt sich daraus, daß Forschungsprogramme einen „harten Kern" und einen „Schutzgürtel aus Hilfshypothesen" besitzen 458 . Diese „Hilfshypothesen" bilden ein Arsenal von Randbedingungen. Die dem Forschungsprogramm beigegebenen methodischen Regeln - Lakatos nennt sie die „negative Heuristik" des Programms 459 verlangen, daß Beobachtungsevidenzen460 ausschließlich gegen diese Randbedingungen gerichtet werden 461 . Der harte rein theoretische - Kern bleibt dadurch geschützt und kaum ernsthaft widerlegbar 462 . Die Metatheorie Lakatos' > die hier nur skizziert werden konnte, muß sich freilich den Vorwurf gefallen lassen, mit sehr unklaren Bausteinen zu operieren 4 6 3 . Was ein „Forschungsprogramm" genau ist, präziser: welche formale Struktur es hat, wird von Lakatos nicht mitgeteilt. Er vermeidet es überhaupt, formale Modelle anzubieten. Das genügt nach Ansicht anderer Wissenschaftstheoretiker 464 nicht nur den Standards wissenschaftsphilosophischer Beschäftigung nicht, sondern ist gerade deshalb mißlich, weil Lakatos auf präzise formalisierbare Gebilde wie empirische Theorien (und nicht etwa auf juristische Dogmatiken) Bezug nimmt. Darüber hinaus ist sein Konzept an etlichen Stellen lückenhaft, weil er z.B. nicht angibt, wie die Qualitätskriterien solcher Forschungsprogramme in praxi von der Gemeinschaft der Wissenschaftler definiert werden 465 . Ohne solche Angaben bleibt auch die Metatheorie Lakatos' ohne Bezug zur realen Wissenschaft. In dieser Situation bleibt offenbar nur der Ausweg, konkretere Gebilde realer Wissenschaft zu analysieren und dies darüber hinaus in einem formal 458

I. Lakatos , (Forschungsprogramme), S. 130f. I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 129f. 460 Dieser Ausdruck vermeidet die Assoziationen, die der Term „Basissätze" oder gar „Beobachtungssätze" weckt und schließt nicht aus, daß die intendierten Falsifikationsaussagen ihrerseits Theorien sind. Auf letzteres hat der „raffinierte" Falsifikationismus übrigens stets hingewiesen, vgl. nur K. R. Popper, (Logik), S. 69ff., bes. den Zusatz von 1968 unter Nr. 3 (S. 76) oder I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 126. 461 I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 129f. 462 I. Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 130. 463 Man muß bisweilen in anderen Publikationen von Lakatos nach den Beispielen seiner abstrakten Ausführungen suchen. Ein solcher Fall sind die „methodischen Regeln", die den „Umgang" mit Theorien determinieren sollen und die „negative Heuristik" bilden, welche den „Kern" der Theorien (Forschungsprogramme) (vorläufig) schützen. In (Beweis), S. 9ff. läßt Lakatos im Dialogverfahren einen Disputanten die sog. „Monstersperre" erfinden. Hier handelt es sich um die Methode, ein „abstruses" Gegenbeispiel mittels ad-hoc erdachter Hilfssätze von der Theorie „fernzuhalten", d. h. das „Beispielsmonster" durch geeignete Hilfskonstruktionen zu „blockieren". Diese „Monstersperre" kann eine jener methodischen Regeln sein, an die Lakatos denkt. 464 Beispielsweise P. Suppes, (Formalisierung), S. 34, S. 36f. mit gezielten Angriffen auf wissenschaftstheoretische Beispiele. 465 Diese Kritik formuliert Th. S. Kuhn, (Bemerkungen), S. 231, der bemerkt, ohne diese Angabe habe Lakatos „gar nichts mitgeteilt". 459

III.2 Die historische Situation

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anspruchsvolleren Modell. Es bietet sich an, die Prozesse von Theoriebildung und Theorieverdrängung an real existierenden Theorien - und nicht an Forschungsprogrammen - festzumachen. Dann ist anhand von Theorien die Frage zu beantworten, was der „harte Kern" und was der „Schutzgürtel" dieser Gebilde ist und wie sich diese sehr intuitiven Begriffe in formal hinreichend präziser Weise angeben lassen. Gefragt ist damit nach einem logischen Verständnis der Theoriendynamik, das sich über die Analyse von Theorienstrukturen gewinnen läßt. Es ist genau dieser Weg, den die Konzeption von Sneed und ihre Weiterentwicklung durch Stegmüller beschreiten 466 .

III.2.3 Bourbaki-Mathematik und mengentheoretische Prädikate Die beiden in der Überschrift genannten Topoi rechnen streng genommen nicht zum historischen Rahmen des Sneed-Konzepts. Wohl aber betreffen sie die wissenschaftslogische Verfahrensweise der Sneed'schen Metatheorie. Das formale Gerüst dieser Theorie besteht nämlich nicht in einer prädikatenlogischen Sprache erster Ordnung, sondern in der Sprache der informellen Mengenlehre. Über die Gründe dieser Vorgehensweise wurden oben 4 6 7 bereits Andeutungen gemacht. Die Verwendung mengentheoretischer Methoden zur metatheoretischen Reflektion geht zurück auf die Arbeiten der unter dem Pseudonym Nicolas Bourbaki publizierenden Mathematikergruppe, die seit 1935 an einer mehrbändigen metamathematischen Analyse mathematischer Theorien schreibt 468 . Das zentrale Anliegen Bourbakis ist es, mathematische Theorien auf ein gemeinsames und begrenztes Arsenal von Grundstrukturen (im technischen Sinne) zu reduzieren, " . . . to separate their properties and regroup them around a small number of concepts: that is to say . . . to classify them according to the structures to which they belong" 469 . Die dafür benötigte Metasprache ist die Mengenlehre, da sich gezeigt hat, daß sich alle gegebenen mathematischen Formalsprachen darauf reduzieren lassen. Die Aufgabe der metamathematischen Konzeption Bourbakis besteht also darin, . . . "to describe the principles of a single formalized language, to indicate how the Theory of Sets could be written in this language, and then to show how the various branches of mathematics . . . fit into this framework" 470 .

466

Bezüglich der Dynamik von Theorien darf man deshalb vom Sneed / StegmüllerKonzept sprechen. m Vgl. oben S. 82f. 468 Dazu kurzgefaßt H. G. Steiner, (Mengen), S. 283f. Die Mitglieder der BourbakiGruppe wechseln allerdings. «» N. Bourbaki, (Sets), S. 9. 470 N. Bourbaki, (Sets), a.a.O.

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I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

Diese Aufgabe der Einordnung mathematischer Gebilde in ein begrenztes Arsenal mengentheoretischer Strukturen wird üblicherweise durch eine mengentheoretische Charakterisierung der strukturellen Eigenschaften eines solchen Gebildes geleistet. Dazu ein Beispiel: Gegeben sei die Frage, ob die Menge der reellen Zahlen zwischen 0 und l 4 7 1 als mengentheoretische „Größe" definierbar ist. Die dazu geeignete Struktur ist die des „Körpers". Der mathematische Körper wird wie folgt definiert: Da)

χ ist ein Körper 1) 2) 3) 4) 5)

6) 7) 8) 9)

gdw472

χ = (a, b, c, χ, + , ·) a, b, c, χ E R a+ b = b+a a + (b + c) = (a + b) + c a + x = b für jedes a, b, x E R a · (b · c) = (a · b) · c a - (b + c) = (a · b) + (b · c) (b + c) - a = (b · a) + (c · a) a - x = b für alle a,b,xE. i? 4 7 3 .

D a repräsentiert die Definition des mathematischen Körpers. Es ist leicht ersichtlich, daß ein „Körper" intuitiv gesprochen nichts anderes ist als ein Gebilde, in dem „elementare Rechenregeln" wie z.B. das kommutative Gesetz der Addition (Nr. 3) gelten. Die Menge der reellen Zahlen zwischen 0 und 1 ist ein Gebilde der folgenden Form 4 7 4 :

Dabei bezeichne r die fragliche Menge, Ν und Rz die Negativ- und Reziprokbildung und ^ die Relation „kleiner gleich", und (·/ + ) die gewöhnlichen „Rechenoperationen" der Multiplikation und Addition. Man kann nun zeigen, daß die Menge r, bestehend aus der sog. „Trägermenge" R und den darauf definierten Relationen 475 die Definition D a erfüllt 4 7 6 . Dazu ist der allgemeine Beweis notwendig, daß jedes geordnete Qua471

Die Menge R der reellen Zahlen umfaßt alle Dezimalzahlen. Definition nach H. Meschkowski / D. Laugwitz, (Mathematik), S. 106f. (Def. 3.14 und 3.16 hier gekoppelt), gdw = genau dann, wenn ... 473 Die Definition ist unwesentlich modifiziert. 474 Nach H. G. Steiner, (Mengen), S. 285. 475 Jedes Relationengebilde hat die Form (R; Ψ), d.h. es besteht aus der Trägermenge (dem „Definitionsbereich") R und der darauf definierten Relationenmenge Ψ. 476 D.h. alle Definitionsmerkmale D a l bis Da9. 472

III.2 Die historische Situation

91

drupel χ = (0, ò, c, χ) E R die „Definitionsliste" D a l bis D a 9 erfüllt. Sofern dieser Beweis gelingt 477 , kann man von r aussagen, es handele sich um einen „Körper". In der Terminologie der Strukturmathematik werden Entitäten, die einer bestimmten Definition „unterfallen", also die Eigenschaften der definierten Struktur (hier: die des Körpers) „tragen", Modelle dieser Struktur genannt, r kann also als Modell der Körperstruktur bewiesen werden. In Anbetracht der Schwierigkeiten der prädikatenlogischen Axiomatisierung realer empirischer Theorien hatte der Wissenschaftstheoretiker Patrick Suppes in Anlehnung an Bourbaki schon während der fünfziger Jahre vorgeschlagen, auch empirische Theorien nach „Bourbaki-Art" zu axiomatisieren 4 7 8 , d.h. durch Definition eines mengentheoretischen Prädikats, das die grundlegenden strukturellen Eigenschaften des zu analysierenden Gebildes festlegt. Der große Vorteil dieses Verfahrens ist, daß die gesamte Übersetzungsarbeit der Theorieaussagen in eine formalisierte Kunstsprache nicht mehr geleistet werden muß. Auch dazu ein Beispiel 479 : Physikalische Systeme (Objektbereiche), die aus mindestens zwei kollidierenden Körpern bestehen, können daraufhin untersucht werden, ob diese Körper - z . B . Billiardkugeln - sich nach bestimmten berechen- und meßbaren „Gesetzmäßigkeiten" verhalten. Ein solches physikalisches System kann also auf seine „Zugehörigkeit" zur klassischen Stoßmechanik (im folgenden KSM) hin untersucht werden. Um dies zu prüfen, braucht man die Definition des mengentheoretischen Prädikats „ist eine KSM". Dies kann wie folgt definiert werden 480 : Dß)

χ ist eine KSM gdw 1) 2) 3) 4)

χ = (P, v, m) Ρ ist eine Menge mit η Elementen und η ^ 2 m und ν sind Funktionen auf Ρ in Ρ Σ /η(ρ) · v(p, t x) = Σ?η(ρ) · v(p, t 2)

Analog zu Bourbaki kann man solche physikalischen Systeme, auf die Dß zutrifft, die, anders formuliert, die durch Dß definierten mathematisch-strukturellen Eigenschaften „tragen", die Modelle der KSM nennen 481 .

477

Dieser kann abstrakt hier nicht geliefert werden. Vgl. zur Einführung in diesen Teil des Suppes'schen Systems C. U. Moulines / J. D. Sneed, (Suppes). 479 Nach W. Balzer / F. Mühlhölzer, (Stoßmechanik). 480 Die Darstellung ist etwas vereinfacht. 481 Intuitiv besagen die einzelnen Definitionsbestandteile von D β folgendes: 478

92

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

Das von Suppes favorisierte und von Sneed übernommene Verfahren der mengentheoretischen Charakterisierung empirischer (physikalischer) Theorien läßt sich als Analogie des Bourbaki-Programms für empirische Wissenschaften kennzeichnen 482 . Sneed hat diese ursprünglich rein syntaktisch orientierte Konzeption (Axiomatisierung einer Theorie) durch Koppelung mit der Ramsey-Sichtweise zu einer Semantik empirischer Theorien erweitert 483 . Darauf wird noch einmal zurückzukommen sein. Das präsentierte Szenario soll die Situation skizzieren, auf die Sneed beim Entwurf seiner Metatheorie traf. Die Kenntnis dieser wissenschaftstheoretischen Situation erleichtert den Zugang zu S needs Konzeption. Wie bereits erwähnt, ist deren nucleus die Kombination mehrerer unabhängig voneinander entwickelter Ansätze. Grob gesprochen liefert Sneed eine „Suppes-Ramsey-Kuhn"-Sichtweise auf physikalische Theorien.

III.3 Die Metatheorie von J. D . Sneed III.3.1 Vorbemerkung zur Darstellung Die folgende Darstellung der Sneed'schen Metatheorie folgt im wesentlichen derjenigen, die Sneed in „The Logical Structure of Mathematical Physics" selbst gewählt hat, d.h. die „Bausteine" seiner Metatheorie werden in der gleichen Reihenfolge vorgestellt. Dort, wo die hier vorgelegte Referierung Vereinfachungen, Auslassungen, Ergänzungen oder eigene abweichende Beispiele und Verdeutlichungen des Sneed-Konzepts enthält, ist dies vermerkt. III.3.2 Kurze Charakterisierung der Theorie Wie die obigen Abschnitte 484 bereits andeuteten, hat Sneed durch Koppelung mehrerer wissenschaftstheoretischer Ansätze eine Metatheorie physikalischer Theorien vorgelegt, die eine Reihe offener Fragen der Wissenschaftstheorie zu beantworten versucht. Seine Metatheorie blieb relativ lange unbe1) KSM-Modelle bestehen aus drei Komponenten. 2) Die Trägermenge Ρ muß mindestens 2 Elemente (Partikel) besitzen (da sonst gar keine Kollision vorstellbar ist). 3) m und ν müssen auf Partikeln definierbar sein. 4) ist das eigentliche Axiom der KSM. Es wird üblicherweise „Impulserhaltungssatz" genannt und besagt, daß die Impulssumme kollidierender Partikel vor und nach der Kollision identisch ist. 482 Dies hat vor allem W. Stegmüller, (View), § 2 hervorgehoben. 483 Vgl. dazu W. Stegmüller, (View), S. lOf. Dies will besagen, daß Sneed die SuppesKonzeption durch Anfügung empirischer Referenzen - einer semantischen Kategorie also - erweitert hat. 484 Vgl. oben Abschn. III.2.1 bis III.2.3.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

93

achtet. Erst eine Reihe Münchner Wissenschaftstheoretiker um W. Stegmüller 485 griff den Sneed'schen Ansatz auf und entwickelte ihn zu einer eigenständigen Wissenschaftstheorie 486. Diese neue Konzeption ist im Begriff, den klassischen „Carnap-Popper"-Zugang zu wissenschaftlichen Theorien 487 zu ersetzen, und gewinnt die Kontur einer „Nach-Kuhn'schen Wissenschaftstheorie". Sneeds ursprüngliche Metatheorie stellt eine informelle Semantik physikalischer Theorien auf mengentheoretischer (strukturalistischer) Grundlage dar 4 8 8 . Diese Semantik 489 entwirft Sneed durch eine mehrfache Erweiterung der Ramsey- Konzeption490, in die Sneed einige grundlegend neue Begriffe einführt. Im Ergebnis läuft Sneeds Metatheorie darauf hinaus, physikalische Theorien nicht als Aussagengebilde, sondern als Komponentengebilde, bestehend aus unterschiedlichen Modelltypen, aufzufassen. Die Konzeption empfiehlt also eine Abkehr vom „statement-view" und eine Orientierung zu einem „non-statement-view" auf empirische Theorien, markiert mit anderen Worten eine analoge Entwicklung zu derjenigen in der mathematischen Grundlagenforschung in der Phase des Übergangs von der klassischen Metamathematik zur Strukturmathematik à la Bourbaki. Sneed behauptet nicht, „die" korrekte Metatheorie zu empirischen Theorien erfunden zu haben. Er behauptet lediglich, daß der von ihm präsentierte Zugang eine Reihe von Lösungen bislang ungeklärter Fragen anbietet und darüberhinaus bestimmten fachwissenschaftlichen Intuitionen stärker Rechnung trägt als die prädikatenlogische Aussagenkonzeption. Und so ist Sneeds Konzeption insgesamt als ausbaufähiges und modifizierbares Muster anzuse-

485

Zu nennen sind vor allem Balzer und Ulises-Moulines. Es existieren mittlerweile mehrere einführende Darstellungen in den Sneed'schen Formalismus. Elementar ist etwa die Referierung bei W. Stegmüller, (Einleitung), S. 2ff. und ders., (HS II), S. 468ff. und (Theoriendynamik), S. 174ff.; empfehlenswert ist auch die Rezension des Buches von Sneed, die C. Ulises-Moulines in (Review) geliefert hat. Deutlich detaillierter dann sind die einführenden Darstellungen bei W. Stegmüller, (Variante) und ders., (View), S. 15 - 26 oder jene Referierungen, die die Einleitung zu Forschungsarbeiten bilden, z.B. jene bei W. Diederich / F. Fulda, (Strukturen), S. 47 - 53, und H. Göttner / J. Jakobs, (Bau), S. 28 - 56. Außerordentlich komprimiert, aber inhaltlich nahezu vollständig, sind die Darstellungen, die Sneed selbst von seiner Theorie liefert (in J. D. Sneed, (Science)), und die bei W. Balzer / J. D. Sneed, (Netz-Strukturen), S. 117 - 123. Das ausführlichste Referat findet sich dann in dem deutschsprachigen „Klassiker" des strukturalistischen Theorienkonzepts, nämlich bei W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2). Endlich finden sich mittlerweile auch lehrbuchartige Darstellungen. Im deutschsprachigen Raum sind zu nennen: W. Diederich, (Rekonstruktionen) und W. Balzer, (Theorien). 487 Dazu oben Abschn. III.2.1 und III.2.2. 488 Vgl. schon oben S. 92. 489 Der Gedanke einer Semantik physikalischer Theorien ist nicht ganz neu. Vgl. schon die Skizze von E. W. Beth, (Semantics), wo der semantische Begriff der „Erfüllung einer Formel" definiert wird. 490 Zur Ramsey- Konzeption vgl. oben Abschn. III.2.1. 486

94

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

hen, das nicht dogmatisch, sondern instrumenteil zur Klärung je eigener fachwissenschaftlicher Fragen zu verwenden ist 4 9 1 . III.3.3 Die erste Version einer empirischen Behauptung Modelle, potentielle Modelle und intendierte Anwendungen Sneed wählt zur Beantwortung der Frage, was eine physikalische Theorie ist, einen unorthodoxen Darstellungsweg. Er nimmt diese Frage nämlich nicht global in Angriff, sondern beginnt mit einer scheinbar viel begrenzteren Fragestellung, nämlich wie man sich eine empirische Behauptung (Hypothese) einer Theorie vorzustellen habe 492 . Der Lösungsansatz zu dieser begrenzten Frage macht von der oben beschriebenen Sw/?p&s-Konzeption Gebrauch 493 . Sneed hält die Axiomatisierung einer Theorie durch Definition eines mengentheoretischen Prädikats für fruchtbar und definiert für die folgende Untersuchung das Prädikat „ist ein S " 4 9 4 . Dl)

χ ist ein S gdw 1. 2. 3. 4. 5.

χ = (D, t, n) D ist eine finite, nichtleere Menge η und t sind Funktionen auf D in die Menge der natürlichen Zahlen t{y) > 0 für alle y E D Σ n(y) · t(y) = 0

Dieses Beispiel ist eine vereinfachte Fassung der von McKinsey, Sugar und Suppes entworfenen mengentheoretischen Axiomatisierung der klassischen Partikelmechanik 495 . Mithilfe des mengentheoretischen Prädikats „ist ein S", das durch D l definiert wird, eröffnet Sneed folgenden Zugang zu empirischen Behauptungen 491

Dies betont auch W. Diederich, (Rekonstruktionen), S. 52. Bei Sneed: "Empirical claim". 49 3 Vgl. oben Abschn. III.2.3. 494 J. D. Sneed, (Physics), S. 11. 495 Vgl. J. D. Sneed, (Physics), S. 11. Intuitiv gesprochen besagt D1 folgendes: D2-1: ein S besteht aus drei Größen, wobei D eine Menge von Dingen ist, die mindestens ein Element enthält, jedoch endlich viele (D 1 -2), η und t dagegen Funktionen, die die Elemente von D in den Bereich der natürlichen Zahlen abbilden, d.h. die numerische Repräsentierbarkeit aller y E D garantieren (Dl-3). D l - 4 besagt, daß alle t-Werte aller y E D größer sind als 0. D1-5 ist das eigentliche Axiom des Prädikats. Es besagt, daß die summierten Produkte von t- und n- Werten für alle y E D gleich 0 sind. (Letzteres ist weder absurd noch trivial. Denn es stellt sicher, daß von einem S auch dann noch gesprochen werden kann, wenn alle η-Werte gleich 0 sind. Wegen Bedingung 4 ist Bedingung 5 dann immer noch erfüllt.) 492

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

95

einer Theorie 496 . Es ist typisch für Theorien der Physik, daß man von Anwendungen der Theorie spricht 497 . Man kann nun annehmen, daß Q ein physikalisches System - ein „beobachtbarer" 498 Objektbereich - sei, dessen genaue physikalische Eigenschaften man untersuchen will. Man kann weiter annehmen, daß man die theoretische Struktur (das logische Gerüst) einer Theorie 499 mithilfe eines mengentheoretischen Prädikats ausdrücken kann. Dann ist die einfachste Möglichkeit, empirische Behauptungen aufzustellen, die folgende: q ist ein S 500 . (wobei q E Q)

I)

I) behauptet, daß der Objektbereich q die mathematische Struktur, die mittels D l ) fixiert wurde, „trägt", umgekehrt formuliert, daß das logische Gerüst, das D l ) definiert, auf den Objektbereich q anwendbar ist 5 0 1 . Diejenigen Objektbereiche, die sich mittels D l ) tatsächlich korrekt beschreiben lassen, nennt Sneed Modelle von S 5 0 2 . (Die Menge der Modelle werde im folgenden mit dem Buchstaben M abgekürzt. Im Übrigen wird vereinbart, daß im Rahmen mengentheoretischer Zusammenhänge Kleinschreibung (a, ò, c usw., eventuell mit Indices α χ . . . an usw.) einzelne Mengenelemente, Großschreibung (A, B, C usw.) dagegen Mengen selbst anzeigt, a E A ist damit eine sinnvolle Notation). Danach greift Sneed die Zwischenfrage auf, von welchen Entitäten (Objektbereichen) es eigentlich „Sinn macht", sie auf ihre Modelleigenschaft für S hin zu untersuchen. Zweifellos würde ein Physiker nicht alle möglichen Weltzustände auf das Vorliegen der mathematischen Struktur „ist ein S" hin in Betracht ziehen, sondern nur solche, die gewisse „Minimalbedingungen" erfüllen. Es liegt nahe, diese Minimalbedingungen mit einem Teil der ursprünglichen Definition D1) zu identifizieren nämlich mit D 1 -1 bis D 1 - 3 5 0 3 . 496

Die folgende Darstellung hält aus Gründen des besseren Verständnisses die Reihenfolge der Begriffseinführungen bei Sneed nicht ein. 497 So/. D. Sneed, (Physics), S. 27. 498 Die distanzierenden Anführungszeichen sollen andeuten, daß der Begriff des „Beobachtbaren" nicht naiv verwendet wird. 499 Sneed spricht von "logical structure". Das provoziert das Mißverständnis, als identifiziere auch Sneed eine physikalische Theorie mit der durch das mengentheoretische Prädikat eingeführten mathematischen Struktur. Das wäre das genaue Gegenteil dessen, was Sneed tatsächlich meint. Ich werde deshalb vorwiegend vom „logischen Gerüst" sprechen. 500 Vgl. J. D. Sneed, (Physics), S. 15 und W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 43. 501 J. D. Sneed, (Physics), S. 16. 502 Sneed bedient sich also des von Suppes aus der Strukturmathematik übernommenen Modellbegriffs. Vgl. dazu P. Suppes, (Comparison), bes. S. 297f. Vgl. auch oben S. 91 f. 5 °3 Vgl. oben S. 94.

96

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

Entitäten, die man sinnvoll auf ihre „S-Eigenschaft" hin untersuchen kann, sind durch folgende Definition fixierbar D2)

*isteinS 0

gdw

1) χ = (D, n, t) 2) D ist eine finite, nichtleere Menge 3) η und t sind Funktionen auf D in die Menge der natürlichen Zahlen Es ist offensichtlich, daß D2) identisch ist mit D 1 - 1 bis D l - 3 . Entitäten, die D2) erfüllen, nennt Sneed potentielle Modelle von S (im Folgenden M p abgekürzt) 504 . Die Einführung von M p505 wird sich später noch als nützlich erweisen. Mittels D2) und dem durch sie definierten Prädikat „ist ein lassen sich Behauptungen der Form II)

q ist ein S0

aufstellen. Offensichtlich sind die Modelle von S0 die potentiellen Modelle von 5, wobei dann gilt Mp

Ç

M

5 0 6

.

Intuitiv gesprochen, sind potentielle Modelle physikalische Systeme, die sich mittels des theoretischen Vokabulars des logischen Gerüstes beschreiben lassen, für die aber noch untersucht werden muß, ob auch die eigentlichen Axiome des Gerüstes gelten, also gewissermaßen die mathematischen „Verbindungen" des Vokabulars. Ein physikalisches System, das auf seine „S-Eigenschaft" hin überprüft werden soll, durchläuft quasi zwei Phasen: in einer ersten Prüfungsphase wird versucht, die fragliche Entität mittels des theoretischen Vokabulars zu beschreiben. In der Praxis empirisch arbeitender Disziplinen geschieht dies dadurch, daß man für die Elemente aus D = (di ... d n) Φ 0 die Meßwerte für die auf D definierten Funktionen η und t bestimmt 507 . In einer zweiten Phase wird überprüft, inwieweit die Meßwerte die eigentlichen mathematischen „Vorgaben" des logischen Gerüstes - im Falle von D1) also D 1 - 4 und D 1 - 5 - erfül504 Vgl. j. D. Sneed, (Physics), S. 17. Die Berücksichtigung potentieller Modelle ist eines der Zugeständnisse an die Wissenschaftspraxis, die das Sneed'sche Konzept von der Carnap'schen Philosophie unterscheidet. Vgl. oben Abschn. III.2.2. 506 Es besteht eine unechte Teilmengenbeziehung, da M p und M identisch sein können. Dies wird unten noch klarer werden. 507 Die beiden Buchstaben η und t sollen - wie sich in Abschn. III.3.4 noch deutlich zeigen wird - nicht andeuten, daß es nur zwei Funktionen gibt, sondern daß es zwei Typen gibt. 505

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

97

len. Die Untersuchung eines q fixiert also zunächst dessen „S 0 -Eigenschaft", um dann dessen „S-Eigenschaft" zu prüfen. In mengentheoretischer Redeweise: q wird auf seine Zugehörigkeit zu den potentiellen Modellen und (danach) auf seine Zugehörigkeit zu den Modellen von S hin untersucht 508 . Um alle q, deren Modelleigenschaft man feststellen will, einheitlich zu bezeichnen, kann man von den intendierten Anwendungen des Prädikats „ist ein S" sprechen und die Menge I der intendierten Anwendungen 509 vorläufig wie folgt kennzeichnen 510 Γ ς Mp Man beachte, daß die Menge / durch das logische Gerüst D l ) im Gegensatz zu M und Μ ρ nicht determiniert ist. Was zur Menge / rechnet, muß pragmatisch vom jeweiligen Fachwissenschaftler bestimmt werden 511 . III.3.4 Das Problem theoretischer Terme und die Ramsey-Lösung des Problems - Partielle potentielle Modelle Nach Einführung der Grundbegriffe „Modell", „Potentielles Modell" und „Intendierte Anwendungen" 512 wendet sich Sneed der Frage zu, ob I) bzw. II) tatsächlich empirische Behauptungen sind. Seine Antwort ist ein klares Nein 5 1 3 : es ist nämlich typisch für logische Strukturen physikalischer Theorien, daß sie theoretische Terme , präziser: theoretische Funktionen, implizieren 514 . Funktionswerte werden in der Physik üblicherweise durch Messungen bestimmt. Bei Messung theoretischer Funktionen taucht nach Sneed aber folgendes Problem auf 5 1 5 : Man kann versuchen, daß Meßverfahren, das die theoretischen Funktionswerte „produzieren" soll, zu beschreiben. Dies kann nur dadurch geschehen, daß man eine mehr oder minder komplexe Theorie dieser Messung aufstellt. Diese Meßtheorie enthält regelmäßig physikalische Präsuppositionen über die Gesetze, die für das Meßverfahren gelten. Der entscheidende Punkt ist nun 508

Das skizzierte „Zwei-Phasen"-Bild findet sich bei Sneed nicht. 509 Wobei / = (öl-.·ß»)· 510 Diese Bestimmung ist später noch zu modifizieren (weshalb auch von Γ gesprochen wird). Die folgenden Ausführungen werden von dieser Modifikation nicht betroffen. 511 Vgl. dazu die Darstellung bei W. Balzer / F. Mühlhölzer, (Stoßmechanik), S. 24. 512 Das Konzept intendierter Anwendungen wird bei Sneed in (Physics) später als hier vorgestellt. Die Abweichung erfolgte aus Gründen besserer Verständlichkeit. 513 Vgl. /. D. Sneed, (Physics), S. 30ff. 514 Vgl. schon oben Abschn. III.2.1. 515 Vgl. zum folgenden W. Balzer, (Theorien), S. 278ff.; W. Stegmüller, (Variante), S. 56f. 7 Schlapp

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

98

der: es kann und wird in einem solchen Fall vorkommen, daß zur Rechtfertigung des Meßverfahrens genau jene Funktion schon vorausgesetzt werden muß, deren Werte gerade erst mittels dieses Verfahrens festgestellt werden sollen. Die Messung einer Funktion t würde in einem solchen Fall voraussetzen, daß t schon erfolgreich angewendet ist 5 1 6 . Allgemeiner: die zu überprüfende Theorie muß als bereits erfolgreich angewendet vorausgesetzt werden. Dazu ein Beispiel 517 : Es sei Τ die physikalische Theorie der Wärme. Τ enthält die Aussage, daß die Ausdehnung eines Gases eine Funktion dessen Temperatur ist. Dieses Gesetz V = V 0(l

+yt)

(sog. „Gesetz von Gay-Lussac") läßt sich wie folgt schematisieren V : t —> ν Aus Γ folge nun die zu prüfende Hypothese, daß die Temperatur eines Gases „mit steigendem Druck zunehme", d.h. eine Funktion des Druckes sei, der auf das Gas wirke. Diese Hypothese, bekannt als „Boyle-Mariottesches Gesetz" 518 p>V = n-R-t 519 lautet schematisiert 520 T :p

t

Nun sei zur Prüfung der Hypothese folgendes Testverfahren vorgeschlagen: in einem dünnen Glaszylinder befinde sich eine Flüssigkeitssäule. Diese Flüssigkeit werde verschiedenen Luftdrücken ausgesetzt. Sofern man das „Ansteigen" und „Abfallen" der Flüssigkeitssäule beobachten können, sei die frag516 Vgl. J. D. Sneed, (Physics), S. 31. 517 Dieses Beispiel - es stammt vom Verf. - verdankt sich Anregungen von C. G. Hempel, (Philosophie), S. 18f., S. 26. Die präzise physikalische Formulierung findet sich bei H. Breuer, (Physik), Abschn. 5.1.2.2, 6.1.3.1. 518 Daß man dieses Gesetz auch als (zu prüfende) Hypothese auffassen kann, liegt an der Wahrscheinlichkeitsstruktur von Naturgesetzen. Zwischen einem Gesetz und einer Hypothese besteht kein logischer, sondern nur ein statistischer Unterschied. 519 In der Umformung nach t also η· R 520

„Schematisiert" bedeutet: von den Änderungen der übrigen Variablen abgesehen. Die wichtigen Abkürzungen: V = Volumen, ρ = Druck und t = Temperatur.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

99

liehe Hypothese erwiesen, da das Gesetz von Gay-Lussac die Erklärung für dieses Verhalten der Flüssigkeit liefere. Dieses Beispiel ist so angelegt, daß der Kardinalfehler dieses Testverfahrens für t-Werte klar zutage liegt. Dieser besteht darin, daß zur Messung von tWerten in der zu prüfenden Hypothese exakt jene i-Funktion - und zwar im Gesetz von Gay-Lussac - schon vorausgesetzt werden muß. Würde man dieses Gesetz und damit erfolgreiche Anwendungen der i-Funktion nicht voraussetzen, könnte man sich die Bewegung im Gaszylinder nicht erklären. Erst dieses Gesetz stellt eine Beziehung zwischen Temperatur und Vergrößerung des Volumens her. Das Beispiel 521 läuft auf die Erkenntnis hinaus, daß die Werte der Funktion t (Temperatur) nur unter zirkulärer Zugrundelegung der gesamten Theorie gemessen werden können, in der diese Funktion auftaucht. Funktionen dieser Art existieren in allen hinreichend komplexen physikalischen Theorien. Dies bedeutet, daß es innerhalb von solchen Theorien Funktionen gibt, die, intuitiv gesprochen, nur innerhalb der sie implizierenden Theorie „einen Sinn machen" und deren Messung nicht unabhängig von dieser gedacht werden kann. Solche Funktionen nennt Sneed theoretisch 522. Und da dieses Problem relativ zu einer Theorie Γ auftaucht, lassen sich derartige Funktionen als T-theoretisch kennzeichnen ( Τ und t werden im Folgenden wieder als allgemeine Kürzel verwendet, nicht als Abkürzungen für „Temperatur") 523 . Die schwerwiegende Folgerung aus dieser unvermeidlichen Zirkularität 5 2 4 theoretischer Terme 525 ist die Unmöglichkeit, Sätze der Form I oder I I als empirische Behauptungen zu deuten. Sie können nicht empirisch sein, weil die Prädikate „ist ein 5 " bzw. „ist ein S 0 " theoretische Terme, nämlich die f-Funktion(en), enthalten. Diese Funktionen nehmen aber auf keine „objektive Realität", sondern nur auf die Theorie Bezug, in der sie vorkommen, t- Werte der Elemente d\ . . . d n E D können nur theorieabhängig gemessen werden. 521 Es wurde bewußt einfach konstruiert und erhebt nicht den Anspruch, strengen Formalisierungsmaßstäben gerecht zu werden. Insbesondere wurde keine Theorie der /-Werte-Messung geliefert. 522 Vgl. J. D. Sneed, (Physics), S. 31, S. 33; vgl. ferner etwa W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 46f., S. 50f.; W. Diederich, (Rekonstruktionen), S. 11; W. Diederich / H. F. Fulda, (Strukturen), S. 50f. 523 Vgl. nunmehr oben S. 84 und S. 85. In diesem Zugang zu dem Problem theoretischer Terme liegt Sneeds Lösung zu Putnams Stellungnahme. Auch zeigt sich nun, wie das oben in den Abschn. III.5.2 und II.5.3 aufgeworfene Problem der Rechtsbegriffe in Angriff zu nehmen ist und daß Bringewats Vermutung (vgl. S. 104 und Fn. 392) in der Tendenz korrekt ist. 524 Die erkenntnistheoretische Parallele des „hermeneutischen Zirkels", der die „Antizipation von Sinn" (E. Betti, (Hermeneutik), S. 42) bei der Textauslegung meint, liegt nahe. Seine unklare Formulierung verhindert jedoch eine präzise Parallelisierung. 525 Die Sneed-Konzeption theoretischer Terme war in der Vergangenheit ein Hauptstreitpunkt in der aufkommenden strukturalistischen Wissenschaftstheorie. In der Tat haben W. Balzer / C. Ulises-Moulines, (Theoreticity) gezeigt, daß man eine präzisere Fassung des Konzepts finden kann. 7*

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I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

In dieser Situation greift Sneed auf die Ramsey-Lösung des Problems theoretischer Terme zurück 526 . Sneeds Aufgabe bestand hier nur darin, die Ramsey-Methode innerhalb der mengentheoretischen Sprache zu reformulieren (da Ramsey mit einer Miniaturtheorie operierte, die in der Prädikatenlogik formuliert war 5 2 7 ). Die Grundidee besteht darin, keine Aussagen über Modelle oder potentielle Modelle mehr zu machen, sondern über eine nichttheoretische Modellmenge, sodann die theoretische Komponente gewissermaßen als Undefinierte Größe hinzuzufügen und von dem so entstehenden Ausdruck auszusagen, er erfülle das Prädikat „ist ein S". Diese nichttheoretische Modellmenge erhält man einfach dadurch, daß man auf die Menge der potentiellen Modelle eine Restriktionsfunktion r anwendet, die die theoretische(n) Funktion(en) t algebraisch eliminiert. Man erhält so eine restringierte Größe, die Sneed „partielle potentielle Modelle" nennt und wie folgt definiert: D3)

χ ist ein Ρ gdw 1) χ = (Z), n) 2) D ist eine finite, nichtleere Menge 3) η ist eine Funktion auf D in die Menge der natürlichen Zahlen528.

Bezeichne M pp die Menge derjenigen Objektbereiche, die das Prädikat „ist ein P " erfüllen, so läßt sich die Restriktionsfunktion r wie folgt auffassen r : Mp —> Mpp Mithilfe von D3) kann man nun die zweite Version einer empirischen Behauptung, die soeben informell angedeutet wurde, explizit machen: III)

Vy (x ist ein Ρ

a

E (y, x) a y ist ein S) 529 .

Satz I I I stellt das Ramsey-Substitut von Satz I dar. Über die fraglich theoretische Größe t wurde wie folgt quantifiziert: die (physikalische) Größe t wurde durch eine rein rechnerische Größe E(y, x) ersetzt, die aussagt, daß es zu einem nicht T-theoretisch beschreibbaren Objektbereich χ (einem physikalischen System) eine Rechenfunktion gibt, die als Ergänzung deutbar ist. Um jenes χ zu einem Modell für S machen, bedarf es dieser Ergänzung, um theo526 Vgl. oben Abschn. III.2.1. 527 Vgl. p. P. Ramsey , (Theories). 528 Vgl. J. D. Sneed, (Physics), S. 41. 529 Satz III weicht in der hier gewählten Form von der Sneed'sehen Version etwas ab. Die in (Physics), S. 42 gebotene Variante erscheint nicht ganz präzise.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

101

retische - d.h. nun: rein algebraisch ermittelbare - Funktionswerte für t zu erhalten. Satz I I I sagt aus, daß es solche y gibt (mindestens eines), die das χ zu einem Modell für S ergänzen. Dieses Ergänzungsverfahren hat man sich als „Suchaufgabe" nach der „passenden" Funktion vorzustellen. D.h. nachdem «-Werte per Meßverfahren fixiert sind (n ist (sind) die r-nichttheoretische(n) Größe(n) 530 ), bedarf es der algebraischen Errechnung numerischer Werte, die geeignet sind, die mathematischen Vorgaben des durch das mengentheoretische Prädikat definierten logischen Gerüstes - im Falle von D l ) also D 1 - 5 - zu erfüllen. In praxi wird dies durch algebraische Umformung der Gleichungssysteme geleistet, also z.B. durch „Auflösung" der Gleichungen nach der fraglichen theoretischen Größe hin 5 3 1 . Der epistemologische Unterschied zur Messung theoretischer Größen besteht darin, daß die fragliche theoretische Funktion nicht mehr als physikalische (empirische) Größe behandelt wird, sondern als eine empirisch indifferente algebraische „Füllgröße". Es ist nun keine Frage empirisch zirkulärer Meßverfahren mehr, wie die fraglichen t-Werte bereitzustellen sind, sondern eine - möglicherweise intrikate! - Frage algebraischer Umformungen. Gelingt es nun, die i-Funktionen in der skizzierten Weise algebraisch zu „entfernen" und ist danach Satz I I I extensional äquivalent mit Satz I 5 3 2 , so kann man davon sprechen, t sei aus dem logischen Gerüst der Theorie Τ Ramsey -eliminierbar 533. Diese Eliminierung kann gelingen, muß aber nicht. Je komplexer die mathematischen Axiome des logischen Gerüstes sind, desto komplexer dürften in der Regel die algebraischen Umformungen sein. Gelingt die Eliminierung nicht, so ist dies ein Beweis dafür, daß die theoretischen Größen eine „Rolle" innerhalb Γ übernehmen, die keine andere Größe spielen kann 5 3 4 . 530 Es ist darauf hinzuweisen, daß die «-Funktionen im Sneed-Konzept nicht etwa völlig untheoretisch aufzufassen sind - etwa im Sinne Carnap ' scher empirischer Grundgrößen - sondern lediglich als Γ-untheoretisch. «-Funktionen zeichnen sich also nur dadurch aus, daß sie unabhängig relativ zu einer Theorie Τ meßbar sind. Relativ zu einer anderen Theorie - etwa Ν - kann dieselbe Funktion iV-theoretisch sein. Es scheint gerade einer der Vorteile der Sneed-Konzeption zu sein, die epistemologisch vage Dichotomie „empirisch/theoretisch" zugunsten der präziser faßbaren Dichotomie „T-theoretisch/ Γ-untheoretisch" aufgegeben zu haben. 531 Simples Beispiel für die theoretische Größe t und das Axiom η · t = 1: r ist hier zu ersetzen durch

^_ 1 η Im Falle von D1-5 liegen die Dinge nicht ganz so einfach. 532 Dies bedeutet, daß sie die gleiche Menge von Modellen erfassen. 533 Hier handelt es sich um eine etwas verkürzte Darstellung, da dieses Eliminierungsverfahren in der vorliegenden Untersuchung keine Rolle spielen wird. Vgl. genauer/. D. Sneed, (Physics), S. 49ff.

102

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

III.3.5 Erweiterungen der Ramsey-Lösung. Nochmals: Intendierte Anwendungen, Constraints Aus Sneeds Sicht ist aber auch Satz I I I noch keine adäquate Version einer empirischen Behauptung. Dies hängt damit zusammen, daß das logische Gerüst einer Theorie nicht eine einzige intendierte Anwendung hat, sondern eine Klasse intendierter Anwendungen. Diese Klasse I muß man - nach dem oben Ausgeführten - mit einer unechten Teilmenge der Menge partieller potentieller Modelle identifizieren, / ς Mpp da sich gezeigt hat, daß potentielle Modelle aufgrund ihrer theoretisch-algebraischen Implikate nicht pragmatisch intendiert sein können 535 . Die Klasse intendierter Anwendungen des logischen Gerüstes einer Theorie Γ besteht aus einer Menge von Objektbereichen Dι . . . Dn und der darauf definierten Tnichttheoretischen Funktionen η ι . . . (mit i ^ 1). Dies läßt sich in einer Matrix wie folgt übersichtlich darstellen Ml)

/ I I Q M pp Q

ni

n2 ....

rii

Dl D2

(Dun,)

(Dum)

Ι \

Dn

(D„;«i)

(D n;ni)

(Man beachte, daß Matrixpositionen „leer" sein können. Dies ist dann der Fall, wenn für einen Objektbereich Dx keine η-Werte ermittelbar (meßbar) sind.) Entscheidend ist nun, daß Di . . . Dn in den seltensten Fällen disjunkte Klassen von Gegenständen sind 536 . In real existierenden physikalischen Theorien kommt es in der Regel vielmehr vor, daß ein Objekt 0 / in mehreren Objektbereichen Gegenstand physikalischer Betrachtungen wird. 534

Die weitreichende erkenntnistheoretische Folgerung aus diesem Befund soll hier nur angedeutet werden: es ist die Frage nach der empirischen Relevanz physikalischer Theorien überhaupt. Denn in der Sneed'schen Perspektive gerät der Empiriebegriff nicht nur „unter die Dominanz der Theorie" (L. Schäfer, (Einleitung), S. XXV), sondern er verliert jede Bedeutung für Theorien, deren theoretische Größen nicht eliminierbar sind. 535 Vgl. nun oben S. 97 und Fn. 510. 536 Zur Klärung sei nochmals darauf hingewiesen, daß einzelne Objekte d\...d n die Menge der in einem D, enthaltenen Gegenstände bilden, mehrere Dx zusammen mit den «-Funktionen jedoch ihrerseits eine Menge, nämlich die Menge intendierter Anwendungen.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

103

So kann der Planet Jupiter innerhalb einer Gravitationstheorie von Himmelskörpern unseres Sonnensystems etwa in den Anwendungen D\ = (Sonne; Erde; Jupiter) wie auch D2 = (Jupiter; Ganymed; Kallisto) 5 3 7 auftauchen (natürlich noch in zahlreichen anderen). Kurz: die Schnittmenge Dx Π D2 Π . . . Π Dn hat u.U. einen nichtleeren Durchschnitt. Im Extremfall kann ein Objekt in allen möglichen Anwendungen des logischen Gerüstes einer Theorie vorkommen. Nun könnte man daran denken, für jede intendierte Anwendung eines logischen Gerüstes einen Satz der Form I I I zu formulieren, Identifizierte man nun vorläufig eine Theorie mit der Menge erfolgreicher Anwendungen ihres logischen Gerüstes, so hätte die Gesamtaussage einer Theorie die Form einer konjunktiven Verknüpfung von Sätzen der Form I I I , also bei η erfolgreichen Anwendungen die Form: IV)

y y ι (x\ ist ein Ρ α E (y ι,

jci) λ

y χ ist ein 5)

λ V y 2 (x 2 ist ein Ρ a E(y 2, x 2) a y 2 ist ein S) λ V y η (χ η ist ein Ρ a E(y n, x n) a y n ist ein S) Den Einstieg in die Erweiterung der Ramsey-Lösung empirischer Behauptungen durch Sneed findet man nun durch folgende simple Frage: angenommen, Satz I V , d.h. eine Konjunktion von Sätzen des Typs I I I , sei die empirische Gesamtaussage einer Theorie. Woher weiß man dann, was diese einzelnen Sätze „miteinander zu tun haben"? Gefragt ist damit nach einer Art „innerer Verbindung" zwischen den einzelnen Konjunktionsgliedern 538 . Diese innere Verbindung kann nicht allein die Tatsache sein, daß alle intendierten Anwendungen das Prädikat „ist ein 5 " erfüllen. Denn dieses Prädikat kann auch von ganz anderen Entitäten als physikalischen Systemen erfüllt werden. Das Prädikat „ist ein S " 5 3 9 erfüllt ζ. B. auch folgendes Elementtripel e = {((1, 2)>; ((1, 2) (2, - 4 ) ) ; ((1, 6) (2, 3))) *o .

537

Die beiden letztgenannten Namen bezeichnen zwei Jupitermonde. Eine äquivalente Variante dieser Frage wäre, woher man eigentlich weiß, daß mehrere Sätze vom Typ III zur gleichen Theorie gehören. 539 Vgl. nochmals D l ) S. 94. 540 Beispiel von W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 44. Dieses Tripel besteht aus dem Definitionsbereich D = (1, 2) und den insgesamt vier Tupeln, die durch Anwendung einer n- und einer f-Funktion auf diese beiden Zahlen entstehen, ausführlich: n( 1) = 2; η (2) = - 4 ; ί(1) = 6; t(2) = 3. Wie die η- bzw. die i-Funktion aussieht, spielt keine Rolle (und kann auch nicht angegeben werden, da die Punkte auf einer Geraden oder auf einer Kurve liegen können). Wichtig ist, daß das Tripel wegen 538

2 · 6 + ( - 4 ) -3 = 0 D l - 5 erfüllt.

104

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

Es ist offenbar, daß e kein physikalisches System ist, sondern eine Menge natürlicher Zahlen; der Definitionsbereich 1 und 2 genügt der Anforderung D l - 2 , da dort nicht verlangt wurde, daß es sich um „physikalische" Objekte handeln muß. Es muß sich folglich um mehr handeln als die gemeinsame Erfüllung des Prädikats, was die einzelnen Anwendungen desselben „zusammenhält". In intuitiver Annäherung an dieses Problem könnte man sagen, daß es „die gleichen Dinge" sind, von denen ausgesagt wird, sie erfüllten das Prädikat „ist ein 5 " , d. h. etwas präziser formuliert: die Verkettung der jeweils betrachteten Objektbereiche hergestellt (die alle die Definitionsmerkmale von D l erfüllen). Diese intuitive Annäherung ist zu präzisieren: es ist offenbar so, daß „dasselbe Objekt" mehrfach Gegenstand einer physikalischen Untersuchung sein kann. Diese Untersuchungen laufen stets darauf hinaus von einem intendierten Anwendungsfall festzustellen, er erfülle das die Theorie definierende logische Gerüst (das mengentheoretische Prädikat). Kommt nun ein Objekt in mehr als einem intendierten Anwendungsfall vor - wie z. B. der Planet Jupiter in einer umfassenden Gravitationstheorie - so liegt es nahe, die einmal für dieses Objekt „festgestellten" n- und t-Werte auf jede andere Anwendung zu übertragen. Die „Verkettung" zwischen einzelnen Anwendungen liegt also nicht (nur) darin, daß jede Anwendung, in der das Objekt auftaucht, das fragliche Prädikat erfüllt, sondern (auch) darin, daß das Objekt quer durch alle Anwendungen die gleichen Werte der auf D definierten Funktionen erhält. Dies versteht sich nicht nur nicht von selbst, sondern ist nach der bisherigen Ramsey-Methode ziemlich unwahrscheinlich. Um dies zu sehen, muß man daran erinnern, daß die Werte der theoretischen Funktionen errechnet werden müssen. Man erhält sie ja als Undefinierte Ergänzung gemessener η-Werte zur Erfüllung der „eigentlichen" Axiome des mengentheoretischen Prädikats 541 . Wie Sneed hervorgehoben hat 5 4 2 , führt dies zu folgender Komplikation: Je nach Umfang des betrachteten Objektbereichs, also je nach Anzahl der Elemente von D, ändert sich u.U. die algebraische Umformung, so daß man nicht nur eine Formel zur Errechnung der t-Werte erhält, sondern mehrere. Um dies zu sehen, betrachte man das Axiom von „ist ein 5 " , also D1-5. Es sei Q = (D 0, n0) eine intendierte Anwendung des Prädikats „ist ein 5 " . Zu den gewonnenen n0-Werten müssen nun t-Werte gefunden werden, die D 1 - 5 erfüllen und damit - vorausgesetzt D 1 - 1 bis D 1 - 4 seien gegeben - Q zu einem Modell für „ist ein 5 " machen. 541

Vgl. oben S. 101. s42 /. D. Sneed, (Physics), S. 59, S. 62.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

105

Entscheidend ist, wie gesagt, daß die algebraischen Umformungen je nach Umfang von D0 differieren. Es sei deshalb D0 = ( * ) 5 4 3 . D l - 5 ist in diesem Fall wie folgt zu formulieren: t(x) - n0(x) = 0 Eine algebraische Umformung zur Isolierung der ί-Funktion ist in diesem Fall nicht möglich, aber auch nicht notwendig. Wegen D l - 4 folgt aus der obigen Gleichung, daß der n0-Wert von χ gleich 0 sein muß. Im Falle von D0 = (*, y) liegt der Fall schon anders. D 1 - 5 hat hier folgende Gestalt: t(x) · n0(x) + t(y) · n0(y) = 0 Bei Isolierung von t ergibt sich somit '(*) t(y)

=

_ rio(y) n0(x)

Das heißt: sobald die intendierte Anwendung zwei Objekte umfaßt, läßt sich D l - 5 zwar umformen, aber man erhält nur Quotienten von t. Umfaßt D mehr als zwei Objekte, also z.B. D = (χ , y , ζ ) , sind die Umformungen entsprechend komplexer 544 . Es ist also klar, daß die Errechnung von /-Werten nach gegebenen n-Werten je nach Umfang von D variiert. Das damit zusammenhängende Problem ist, daß die Ramsey-Methode der Eliminierung einer theoretischen Größe, angewendet auf einen konkreten Fall, ein entscheidendes Manko aufweist: sie taugt immer nur für diesen einzigen Anwendungsfall. Die Ramsey-Lösung übersieht, daß das Eliminations verfahren für jeden anderen Fall, d.h. für andere, umfangreichere Objektbereiche, ein anderes Ergebnis für einmal gewonnene t-Wer te produziert. Anders ausgedrückt: der für eine intendierte Anwendung ii gewonnene i-Wert für t(x) hat für andere Anwendungsfälle, in denen das Objekt χ auftaucht, keinerlei Bedeutung. Und deshalb hätten auch die einzelnen Anwendungen eines Prädikates Ρ keinen „inneren Zusammenhang". Dies ist nach Sneed völlig unbefriedigend. Denn in der realen physikalischen Theoriebildung wird selbstverständlich von einmal gewonnenen n- und t-Werten in jeder möglichen Anwendung desselben mathematischen Apparates Gebrauch gemacht. Anders wäre es gar nicht möglich, irgendwelche Voraussagen zu treffen. Wenn die einmal gewonnenen Werte nicht für (noch unbekannte) Objektbereiche „genutzt", präziser: übertragen, werden könn543 544

Dabei bezeichne χ irgendein physikalisches Objekt. Vgl. zum ganzen/. D. Sneed, (Physics), S. 43.

106

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

ten, hätte die Feststellung von Funktionswerten für die praktische physikalische Forschung keinerlei Bedeutung. Sneed kommt über diese Beobachtungen zu einer Erweiterung (nicht: Korrektur) der Ramsey-Methode zur Ermittlung von t- Werten. Er verbindet diese Methode mit der Überlegung, daß eine physikalische Theorie eine Menge von Anwendungen hat 5 4 5 . Sneed führt eine in der Wissenschaftstheorie völlig neue Größe ein, die von ihm so genannten „Constraints". Constraints, die die deutsche Wissenschaftstheorie mit „Beschränkungen" übersetzt 546 , sind technisch gesprochen definitorische Einschränkungen des „Werteverhaltens" von Funktionen, die als Relationen zwischen dem Definitions- und dem Wertebereich der betreffenden Funktion definiert sind. Das Constraint 547 , das Sneed zur Lösung des soeben beschriebenen Problems der Identität der t-Werte quer durch alle anwendungen hindurch definiert, ist das Identitätsconstraint. Es besagt, daß die Werte der i-Funktionen der Beschränkung unterworfen werden, daß der Identität der Objekte die Identität der dazu einmal ermittelten tWerte entspricht. Das Identitätscontraint ist deshalb auf Tupeln (D, *,·) definiert und ist schematisch darstellbar als c,· = ( = ; = )

548

.

Ein solches Constraint kann in der Regel nicht Teil des logischen Gerüstes einer bestimmten Theorie sein, weil es meist für eine Vielzahl von Theorien von Bedeutung ist (so ist die Übertragung einmal ermittelter Funktionswerte in allen physikalischen Theorien ζ. B. zur Formulierung von Hypothesen gang und gäbe). Das soeben erwähnte Identitätsconstraint ist darüber hinaus nicht das einzige Constraint, das für physikalische Theorien von Bedeutung ist. Zur Exemplifizierung des Sneed'schen Konzepts mag es aber genügen. Wichtig sind folgende Konsequenzen des Sneed'schen Konzepts: Erstens werden durch die Constraints jene gesuchten „Querverbindungen" zwischen den einzelnen Anwendungen des mengentheoretischen Prädikats hergestellt. Nur mit dem Identitätsconstraint ist es z.B. möglich, die ansonsten logisch unzusammenhängenden Einzelaussagen über je singuläre erfolgreiche Anwendungen eines Prädikats als solche einer Theorie zu erkennen 549 .

Vgl. oben S. 102. Oft wird „Constraint" auch mit „Nebenbedingung" oder mit „Querverbindung" übersetzt. Letzteres trifft das Gemeinte besser als der erste Ausdruck, der den - falschen - Eindruck erweckt, als seien Constraints etwas Nebensächliches. 547 Im folgenden wird der englische Ausdruck verwendet. 548 i steht hier für „Identität", nicht für eine Zahl. 549 Der Zusammenhang zwischen einem mengentheoretischen Prädikat und einer Theorie ist bislang bewußt nicht expliziert worden. Dies wird in Abschn. III.3.7 geschehen. 546

107

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

Das Identitätsconstraint garantiert, daß „über dieselben Objekte" in jeweils „anderem Zusammenhang" geredet werden kann. In der physikalischen Praxis ermöglicht es die Formulierung von Hypothesen. Zweitens läßt sich auch ein Constraint mengentheoretisch charakterisieren. Extensional ist ein Constraint definierbar 550 als eine (wiederum unechte) Teilmenge der Potenzmenge der potentiellen Modelle des mengentheoretischen Prädikats. Es ist leicht ersichtlich, warum ein Constraint nicht einfach eine Menge sein kann, sondern eine Menge von Mengen: denn ein Objekt d E D kann ja in jeder möglichen Anwendung auftauchen, genauer: in jeder möglichen Kombination von Elementen, die Element von D sind. Die Menge möglicher Kombinationen der Elemente von D ist aber genau die Potenzmenge von D , P o t ( D ) 5 5 1 . Ein Constraint ist also extensional charakterisierbar als C ç Pot (Mp) Mit dieser Charakterisierung ist auch C in das bisher entworfene extensionale Gerüst integriert. III.3.6 Die letzte Version einer empirischen Behauptung: Der Ramsey-Sneed-Satz einer Theorie Unter Zugrundelegung des Constraint-Konzepts kommt Sneed zu einer weiteren Verfeinerung des Aussehens einer empirischen Behauptung. Es kann nun nicht mehr einfach behauptet werden, es existierten bestimmte theoretische Ergänzungswerte, die, zu den nichttheoretischen Werten „hinzugefügt", die entsprechende intendierte Anwendung (d.h. ein partielles potentielles Modell) zu einem Modell für ein mengentheoretisches Prädikat machen. Nunmehr muß zusätzlich behauptet werden, die theoretischen Werte genügten bestimmten Constraints. Es muß also, konkret gesprochen, von dem f-Wert eines Objekts (ζ. B. des Planets Jupiter) behauptet werden können, er variiere quer durch alle möglichen Anwendungen hindurch nicht. Damit ist Satz I I I wie folgt zu modifizieren: V)

VY (X sind Ρ λ Ε (Y, Χ) λ Υ sind S a C (Y, B, b)

552

.

550 Der Begriff „Constraint" wird tatsächlich in zwei Kontexten verwendet: syntaktisch bezeichnet er eine formale Zusatzbedingung, semantisch die Menge von „Dingen", in denen die Bedingung gilt. 551 Die Möglichkeit des Auftauchens eines Elements di in allen möglichen Anwendungen wurde oben S. 103 schon erwähnt. 552 Vgl. /. D. Sneed, (Physics), S. 73. Auch hier weicht die Darstellung von der Sneeds etwas ab.

108

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

Dieser komplex aussehende Satz besagt informell ausgedrückt folgendes: Es gibt zwei Klassen X und Y 5 5 3 derart, daß die Klasse AT eine Menge von Γ-nichttheoretisch beschreibbaren Entitäten ist, die durch eine Klasse von theoretischen Ergänzungen, die ihrerseits bestimmten Beschränkungen unterliegen 554 , zu einer Menge von Modellen für das Prädikat „ist ein S" ergänzt werden kann 5 5 5 . Der Verdeutlichung halber sei Satz V noch in anderer Form notiert, die von q Anwendungen des Prädikats ausgeht und das Identitätsconstraint einbezieht.

553

Da nunmehr von Mengen die Rede ist (es werden alle möglichen Anwendungen umfaßt), werden Großbuchstaben verwendet. 554 Die abkürzende Schreibweise C(Y, Β, b) soll die „Wirkung" eines Constraints symbolisieren, wobei Β und b die Beschränkungsvariablen für Definitions- und Wertebereich darstellen. 555 Um den Gang der obigen Darstellung nicht zusätzlich zu komplizieren, wurden einige technische Details des Constraint-Konzepts ausgelassen. Diese Details sind vor allem deshalb verzichtbar, weil sich herausstellen wird, daß die Constraints einer Dogmatik von anderer Art sind und ohne diese technischen Details bestimmt werden können. Zum besseren Verständnis des Sneed-Konzepts und zur Bedeutung insbesondere des Identitätsconstraints seien jedoch folgende Bemerkungen angefügt: Erstens sind Constraints - wie oben angedeutet - auf Mengen von Anwendungen definiert. Dies bedeutet, daß sie die t-Werte von allen Objekten „betreffen". Technisch: es sei U D die Vereinigungsmenge aller Definitionsbereiche und U t die Vereinigung aller ί-Funktionswerte. Dann gilt für alle χ E U D und alle Dn...Din, so daß xj E Dij (1 ^ j ^ η) : Β (χ λ.. .*„), dann b (t n (x x) ... t in (*„)). Welche bedeutsame „Rolle" das Identitätsconstraint spielt, ersieht man durch folgende Überlegung: angenommen, das oben definierte Prädikat „ist ein 5" repräsentiere eine physikalische Theorie. Wenn diese Theorie q Anwendungen hat, so ergibt sich die Situation, daß man für jede Anwendung das Vorliegen des „eigentlichen" Axioms D l - 5 überprüfen muß. Man erhält somit ein lineares Gleichungssystem der Form Σ m (χ) - t (χ) = 0 χ E D\

Σ nq (χ) - t (χ) = 0 χ E Dq Dieses Gleichungssystem ist nach den üblichen mathematischen Regeln zu lösen. Dabei erweist es sich als große Vereinfachung, den für eine Anwendung errechneten r-Wert für ein bestimmtes Individuum χ E D, in alle anderen Berechnungen zu übertragen, da man den Wert nunmehr nicht mehr als algebraische Unbekannte, sondern als Zahlenkonstante handhaben kann. Insofern vereinfacht das Identitätsconstraint die Berechnung von ί-Werten erheblich. Außerdem ist es nur durch Behandlung eines t-Wertes als Zahlenkonstante möglich, n-Werte einer anderen Anwendung zu „prognostizieren", d.h. ohne empirische Prüfungen zu errechnen. Davon war oben schon die Rede.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

y h ( ß i ist (Dl, m) A E(t

Va)

u

(Du ni) a ß i ist ein S)

Λ vt q (Q q ist (D q, nq) a E (t qì(D q,nq) a

109

λ Qq ist ein S)

C(h . . . t q, =; =)

Intuitiv besagt Satz V a , daß es q nichttheoretisch beschreibbare physikalische Systeme Q gibt, die durch theoretische Funktionswerte ergänzbar sind, die dadurch als Modelle für „ist ein S" ausweisbar sind und daß die geordnete Menge der Funktionswerte dem Identitätsconstraint genügt, d.h. daß ein tWert demselben Objekt di E D, quer durch alle Anwendungen Q\...Qq zukommt 556 . Nach Sneed ist man allerdings auch damit noch nicht am Ende der Analyse angelangt. Denn tatsächlich wurde bisher von einer Vereinfachung Gebrauch gemacht, die in realen physikalischen Theoriebildungen nur selten vorkommt. Es wurde nämlich stillschweigend unterstellt, als werde in jeder Anwendung einer Theorie mit dem unveränderten Prädikat „ist ein S" gearbeitet, d.h. mit dem durch dieses Prädikat definierten mathematischen Gerüst. Tatsächlich aber wird in den verschiedenen Anwendungen einer Theorie zumindest regelmäßig dann von „Variationen" dieses Prädikats Gebrauch gemacht, wenn sich eine bestimmte Klasse von intendierten Anwendungen nicht mit dem ursprünglichen mengentheoretischen Prädikat bzw. dessen mathematischen Axiomen erfassen lassen 557 . In solchen Fällen wird das mathematische Gerüst durch Spezialisierungen modifiziert. In der klassischen Partikelmechanik ist das Grundgesetz F = m· a für jene Klasse intendierter Anwendungen, die auf die Kraftwirkungen zwischen zwei Massen abzielen, zum allgemeinen Gravitationsgesetz

zu modifizieren 558 . 556 Zu allen diesen technischen Details siehe /. D. Sneed, (Physics), S. 74ff. und W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 87 ff. Eine vereinfachte Darstellung des Constraint-Konzepts findet sich bei W. Stegmüller, (Variante), S. 60f. 557 Hier taucht die Frage auf, weshalb Physiker in einem solchen Fall an die Variation der alten Theorie eher denken, als an die Konstruktion einer neuen. Diese Frage, die auf die Verwendung pragmatischer Prinzipien abzielt, greift Sneed nicht explizit auf. 558 Abkürzungen: m = Masse, a = Beschleunigung, r = Abstand, G ist die Gravitationskonstante. Die Formel entspricht nicht der präzisesten möglichen Fassung, genügt aber den hier verfolgten Darstellungszwecken. Vgl. zur präzisen Fassung des Gravitationsgesetzes z.B. G. Falk / W. Ruppel, (Mechanik), S. 379.

110

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

Derartige Modifikationen lassen sich im metatheoretischen Rahmen der Sneed'schen Theorie als Spezialisierungen des ursprünglichen mengentheoretischen Prädikats bzw. dessen mathematischen Axiomen deuten. Deutet man das hier eingeführte Prädikat „ist ein S " 5 5 9 als das logische Gerüst einer „Miniaturtheorie", so läßt sich z.B. der Fall denken, daß sich eine bestimmte Klasse intendierter Anwendungen nur dadurch erfassen läßt, daß man verschärfende Bedingungen einführt, die der i-Funktion auferlegt werden. So kann es die Erfassung einer bestimmten Klasse intendierter Anwendungen (wobei es sich natürlich auch um eine Einerklasse handeln kann) notwendig machen, ein gegenüber „ist ein 5" verschärftes Prädikat „ist ein S l " zu definieren, das folgendes Aussehen hat Dl')

* ist ein 5' gdw 1) * = (yJ) 2) y ist ein S 3) / = Σ t (χ) = 1 χΕ D

(Man kann D T - 3 selbstverständlich als D l - 6 auffassen.) Eine solche Verschärfung bringt zum Ausdruck, daß in bestimmten Anwendungen „Spezialgesetze" gelten, die eine Spezialisierung des „Grundgesetzes" darstellen. Im Falle von D l 1 ) liegt der Fall offenbar so, daß in bestimmten Anwendungen der „Miniaturtheorie" die gemessenen «-Werte derart waren, daß die t-Werte „spezialisiert" werden mußten, um noch das Grundgesetz der Theorie ( D l - 5 ) zu erfüllen 560 . Derartige Spezialisierungen können sowohl mehrfach notwendig sein als auch iteriert werden 561 . Das Verfahren der Spezialisierung des Grundprädikats kann als Assimilierung des theoretischen Apparates an die Realität aufgefaßt werden. Sobald für eine bestimmte Klasse von intendierten Anwendungen die t-Werte spezielle Formen annehmen, kann es notwendig sein, bestimmte spezialisierte Constraints einzuführen. Derartige spezialisierte Constraints haben 559 Vgl. nochmals D l ) S. 94. 560 Beispiel: es sei Z), = (x, y) (also ein physikalisches System, bestehend aus zwei Objekten). Intendiert man nun, (D,·, ni) zu einem Modell für „ist ein 5" zu machen und haben die Messungen für n,(x) und ni(y) die Werte 0,8 und -0,2 ergeben, so müssen die t- Werte wegen m (χ) · t (χ) + m (y) · t (y) = 0 , d.h. wegen D l - 5 bei Anwendung auf zweielementige D, t(x) = 0,2 und t(y) = 0,8 lauten. D l'-3 muß, allgemein gesprochen, immer dann angenommen werden, wenn die n-Werte Dezimalzahlen mit umgekehrten Vorzeichen sind, die im Intervall zwischen 0 und 1 liegen und deren Summe den Betrag 1 ergibt. 561 Sk kann also eine Spezialisierung von Sl sein.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

111

für die t rWerte in der intendierten Anwendungen Q, = (D if n,) die Form C(t i9 Bi, bi) (für eine Anwendung) und für eine Klasse „abweichender" intendierter Anwendungen deshalb C(T i9 Bi9 bi). Arbeitet man diese Modifikationen nun in den bisherigen metatheoretischen Rahmen ein, so muß Satz V wie folgt modifiziert werden VI)

VY (X sind Ρ α Ε (Y, Χ) a Υ sind S a C (Y, B, b) Λ V Yi ( Yi Ç Y A X sind Ρ A E ( Y„ X) A Yi sind S, a C (Y

h

Bh bt)

a V Y n (Y n Ç Y a X sind Ρ a E (Y„, X) a Y n sind Sn a C (Y„, Bn, bn) Satz V I sagt in umgangssprachlicher Übersetzung etwa dies: Es gibt eine Klasse theoretischer Ergänzungen, die bestimmten Constraints genügen und die eine Klasse intendierter Anwendungen zu Modellen des mengentheoretischen Prädikats „ist ein 5" machen; zusätzlich existieren Mengen unterscheidbarer spezialisierter Ergänzungen, die (möglicherweise notwendigen) spezialisierten Constraints genügen und die angebbare „spezielle" intendierte Anwendungen nicht nur zu Modellen für „ist ein 5" machen, sondern sogar zu Modellen für „ist ein 5,", „ist ein S*" usw. Darüber hinaus sind alle spezialisierten Ergänzungsmengen Teilmengen der Ausgangsmenge Y. Satz V I , der im Anschluß an eine Bezeichnungsweise von Stegmüller der „Ramsey-Sneed-Satz" einer Theorie genannt wird 5 6 3 , formuliert in der Form einer „Gesamtaussage" den gesamten empirischen Gehalt jener Theorie, deren mathematisches Gerüst durch „ist ein 5" und dessen Spezialisierungen gegeben ist. Physiker würden, sehr intuitiv gesprochen, Satz V I als empirische Globalhypothese einer Theorie bezeichnen, die zum Ausdruck bringt, daß das Grundgesetz der Theorie (gegeben durch die mathematische Struktur von „ist ein 5") in jeder Anwendung gilt, spezielle Gesetze (gegeben durch die Spezialisierungen von „ist ein 5") dagegen nur in einigen Anwendungen und daß all diese Anwendungen durch gewisse algebraische Restriktionen, die allen „Daten" auferlegt sind, „zusammengehalten" werden. Insofern kann man auch davon sprechen, der „Ramsey-Sneed-Satz"564 symbolisiere, was eine Theorie „über die Welt aussagt". 562

Vgl. zum Ganzen /. D. Sneed, (Physics), S. 102 - 106; W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 99; ders., (Variante), S. 62. Eine etwas andere umgangssprachliche Formulierung findet sich bei H. Göttner / J. Jakobs, (Bau), S. 39. 563 W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 100. 564 Die „Ramsey-Sneed" Form der „Gesamtaussage" einer Theorie hat im Übrigen eine Behauptung wissenschaftslogisch präzisiert, die als die „Duhem-Quine-These" bekannt ist. P. Duhem, (Ziel), S. 243ff., bes. S. 245 und ihm folgend W. v. O. Quine, (Dogmas), S. 41 hatten zum Ausdruck gebracht, daß der „logische Zusammenhalt"

112

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

III.3.7 Die Struktur einer physikalischen Theorie Non-statement-view Bislang wurde bewußt vermieden, von einer physikalischen Theorie im technischen Sinne zu sprechen. Daher wurde stets von den „Anwendungen eines mengentheoretischen Prädikats" und nicht von den „Anwendungen einer physikalischen Theorie" gesprochen. Dies hat seinen Grund darin, daß der Kern des strukturalistischen Zugangs zu physikalischen Theorien, der „non-statement-view", noch nicht referiert wurde. Um diesem Zugang näher zu kommen, ist das Verhältnis eines mengentheoretischen Prädikats sowie des „Ramsey-Sneed-Satzes" zu einer Theorie aufzuklären. Das Verhältnis eines mengentheoretischen Prädikats zu einer Theorie wurde oben mehrfach erwähnt: das Prädikat bringt das logische (mathematische) Gerüst einer Theorie zum Ausdruck, ist aber nicht die Theorie selbst 565. Denn dies würde eine empirische Theorie auf den syntaktischen Aspekt reduzieren. Nun liegt es nahe, den „Ramsey-Sneed-Satz", der ja von dem mengentheoretischen Prädikat Gebrauch macht, mit der Theorie selbst zu identifizieren. Aber auch dies wäre nach Sneed irreführend. Satz V I symbolisiert lediglich, was die Theorie aussagt, aber nicht, was die Theorie ist. Satz V I ist zudem als rein empirischer Satz formuliert. Dies hatte seinen Grund gerade darin, daß empirische Theorien theoretische Terme enthalten und zur Formulierung empirischer Aussagen (wie Satz VI) eliminiert werden müssen 566 . Die Identifikation einer Theorie mit dem „Ramsey-Sneed-Satz" überginge aber die Tatsache der Existenz theoretischer „Begriffe" und deren eigenständiger Rolle in physikalischen Theorien 567 . Ein weiterer entscheidender Grund, Satz V I nicht mit einer Theorie zu identifizieren, ist, daß Satz V I eine Proposition zum Ausdruck bringt 5 6 8 , die auch durch andere Formulierungen symbolisiert werden kann 5 6 9 . Denn das Prädikat „ist ein 5" ist ja Ergebnis einer Axiomatisierung der angezielten einer physikalischen Theorie, die isolierte Falsifikation einer einzigen Hypothese unmöglich mache. Eine Theorie müsse stattdessen entweder als Ganze akzeptiert werden, oder das falsifizierende Experiment richte sich gegen die ganze Theorie. Vgl. dazu die Bemerkungen von J. D. Sneed, (Physics), S. 70 und S. 89ff. 565 Vgl. schon oben S. 95 und Fn. 499. 566 Vgl. dazu oben Abschn. III.2.1 und Abschn. III.3.4. 567 Denn man muß im Auge behalten, daß die Ramsey-Substitute theoretischer Funktionen keinerlei epistemologische „Qualität" mehr haben, vielmehr nur ein Ausweg aus dem oben referierten Dilemma sind. 568 Wobei unter „Proposition" dasjenige verstanden werden soll, was ein Satz „sagt". Auf die Kritik am Propositionsbegriff durch W. v. O. Quine, (Philosophie), S. 9ff. kann hier nicht eingegangen werden. 569 Zum folgenden vgl. bes. W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 120f. Die Darstellung dieses Problems bei J. D. Sneed, (Physics), S. 155ff. ist etwas unklarer.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

113

Theorie. Dieselbe Theorie kann jedoch in der Regel auch mittels anderer Axiome formalisiert werden. Eine solche Axiomatisierung kann möglicherweise weniger zweckmäßig sein. Sie mag sogar mathematisch „unvollkommen" sein 570 . Solange sie aber die gleiche Menge von physikalischen Systemen erfaßt, ist sie mit derjenigen, die durch „ist ein 5" gegeben ist, gleichwertig. Kann Satz V I aber ohne Änderung der Proposition durch einen Satz ersetzt werden, der z.B. mit dem Prädikat „ist ein R" arbeitet, so spricht dies dagegen, die eher zufällige sprachliche Formulierung für die Theorie zu halten. Als Lösung dieser Probleme bietet Sneed an, nicht die sprachliche Symbolisierung einer empirischen Gesamthypothese als „physikalische Theorie" aufzufassen, sondern, grob gesprochen, das, was dieser Satz aussagt, d.h. die Extensionen der einzelnen Satzbestandteile „ist ein P", „ist eine Ergänzung zu P", „ist ein S" und „Constraints" 571 . Sneed schlägt also vor, eine Theorie als extensional-semantische Entität aufzufassen 572. Die Elemente dieser Entität, die Extensionen der Aussagebestandteile des „Ramsey-Sneed-Satzes", wurden im Verlauf der schrittweisen Konstruktion dieses Satzes schon eingeführt: es sind die verschiedenen Modelltypen. Insofern ist der Kern des strukturalistischen Zugangs zu empirischen Theorien d.h. des „non statement view of theories" 573 , prinzipiell die Identifikation einer Theorie mit einem bestimmten „Ensemble" von Modelltypen. Im einzelnen führt Sneed diesen Gedanken wie folgt aus: Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Frage, worüber eine Theorie mittels des gesamten Vokabulars, d.h. sowohl des Γ-theoretischen wie des P-nichttheoretischen, sinnvoll sprechen kann. Es liegt nahe, diese Gruppe von Entitäten, nach deren „genauen Eigenschaften" eine Theorie sinnvoll fragen kann, mit der Menge der potentiellen Modelle zu identifizieren. Sneed nennt diese Modellmenge künftig eine Matrix für ein Theorieelement 574 einer Theorie der theoretischen Physik. Da diese Modelle dadurch charakterisiert sind, daß sie m nichttheoretische und k theoretische Funktio570 Dies bedeutet, daß die mathematische Struktur möglicherweise noch nicht auf die kleinstmögliche Menge von Axiomen reduziert ist, also einige Axiome u. U. ihrerseits aus Axiomen ableitbar sind. 57 1 J. D. Sneed, (Physics), S. 161 führt am Beispiel des Grundgesetzes aus: .. we should identify this basic mathematical structure as the set of models for these predicates, rather than with the predicates themselves." (Hvh. i. Orig.). 572 Dies wurde oben schon angedeutet, vgl. S. 92 u. S. 93. 573 Gegen diese Bezeichnung hätte bei Identifikation einer Theorie mit dem „Ramsey-Sneed-Satz" auch der Einwand nahegelegen, auch dieser sei letztlich noch eine Aussage. 57 4 Sneed sprach ursprünglich (in (Physics)) stets von Theorien, nicht von Theorieelementen. Er schloß sich später (ζ. B. in (Science), S. 123) den hier nicht näher zu begründenden technischen Modifikationen des Konzepts an, die von W. Balzer vorgenommen wurden. 8 Schlapp

114

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

nen „enthalten", handelt es sich präzise gesprochen um eine m + A>Matrix, die wie folgt definiert wird 5 7 5 : D4)

* i s t eine m + fc-Matrix gdw 1) X ist eine Menge 2) m, k Ε Ν und m > 0 3) Für alle χ G X existieren Funktionen (n\ ... nm \ t\ ... t K), so daß * = («! ... nm\h ...t K)

Eine m + A>Matrix hat man sich also als ein Gebilde folgender Gestalt vorzustellen:

M 2)

/ (Ό,η λ)

Μρ ς \

(D,n m)

h

\

( D, nm, t k)

/

(D, Μι, ίι)

(Auch hier können Matrixpositionen „leer", d.h. gleich Null sein. Dieser Fall tritt dann ein, wenn ein Tupel (Z), ni) nicht mittels einer Funktion i, ergänzbar ist.) Die zweite Frage ist, wie sich über die Menge der Entitäten, über die eine Theorie sinnvoll reden kann, hinaus, die Menge derjenigen Entitäten charakterisieren läßt, die tatsächlich die mathematische Grundstruktur des mengentheoretischen Prädikats erfüllen 577 ; weiterhin, wie sich die unterschiedliche „Charakteristik" theoretischer und nichttheoretischer Funktionen im Rahmen eines „non-statement-view" darstellen läßt. Dies geschieht einfach durch die Bezugnahme auf andere Modelltypen, die oben schon eingeführt wurden. Es sind dies die Menge der Modelle und die Menge der partiellen potentiellen Modelle. Mithilfe dieser Konzepte läßt sich der Rahmen eines Theorieelements wie folgt charakterisieren:

575

S. 89. 576

ren.

577

den.

Die Notation folgt J. D. Sneed, (Science), S. 123 und W. Stegmüller,

(View),

D4-2 läßt also die Möglichkeit offen, daß keine geeigneten i-Funktionen existieDies aber muß erst durch nähere Prüfung der Elemente aus M p festgestellt wer-

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

D5)

115

χ ist ein Rahmen eines Theorieelements gdw 1) 2) 3) 4)

χ = (M p, Mpp, r, M) Μρ ist eine m + Ä>Matrix r: Mp —» M pp Mpp = \Ay (Ist (D, nx ... nm,t x 5) M Ç Mp 578.

. . t k) E M p, dann ist y = (D, nx . . . nm)j

D5) besagt, daß ein Theorieelement zwei logisch zu unterscheidende Ebenen beschreibt: eine theoretische, auf der die Menge der Modelle und die der potentiellen Modelle liegen und eine durch die Reduktionsfunktion r „gestiftete" Projektionsebene, auf der die Menge der partiellen potentiellen Modelle liegt, r kann deshalb auch die Projektionsfunktion genannt werden. Der Rahmen eines Theorieelements ist, grob gesprochen, ein zweistufiges Gebilde, das die (noch) unzusammenhängenden Modelle (unterschiedlicher Struktur) symbolisiert. Wie oben gezeigt 579 wird dieser noch fehlende Zusammenhang durch Constraints gestiftet, die mengentheoretisch als (unechte) Teilmenge der Potenzmenge der Matrix aufgefaßt werden müssen. Unter Einbeziehung dieser Größe kommt Sneed zur wichtigsten Definition des strukturalistischen Theorienkonzepts, des Kerns eines Theorieelements. D6)

Κ = χ ist ein Kern eines Theorieelements gdw 1) Κ = χ = (Mp, Mpp, r, M, C) 2) (Mp, M pp, r, M) ist ein Rahmen eines Theorieelements 3) C ist ein Constraint für M p , so daß C C Pot (M p ) 5 8 0 .

Mittels D 6) sind alle logisch determinierten Strukturen eines physikalischen Theorieelements beschrieben. Allerdings repräsentiert D6) noch nicht das Theorieelement selbst. Sneed stellt dem mittels D6) definierten Kern Κ darüber hinaus noch eine Menge I zur Seite, die Menge der intendierten Anwendungen des Kerns K. Die Menge I ist nicht logisch determiniert 581 . Was zur Menge I zählt, was m.a.W. von Physikern als „geeignetes System" zur Anwendung abstrakter Strukturen „intendiert" ist, läßt sich nicht präzise angeben. Die Menge I ist somit nur pragmatisch determiniert 582 . 578

Vgl. J. D. Sneed, (Physics), S. 165. (Darstellung unwesentlich modifiziert). 579 Vgl. Abschn. III.3.5. 580 Vgl. /. D. Sneed, (Physics), S. 171 (D29). 581 Vgl. schon oben S. 97. 582 Es ist die Integration dieses pragmatischen Elements in eine Theorie, die eine Art „hermeneutischen" Zugang zu naturwissenschaftlicher Theoriebildung begründet. Dazu vgl. den kommenden Abschnitt III.3.8. 8*

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

116

Unter Einbeziehung der Menge I ist ein Theorieelement wie folgt definierbar D7)

χ ist ein Theorieelement der theoretischen Physik gdw 1) * = /) 2) Κ ist ein Kern eines Theorieelements 3) / ist eine Menge derart daß 1 Ç M pp

583

D7) stellt - abgesehen von noch sogleich zu skizzierenden Spezialisierungen den Abschluß des strukturalistischen Zugangs zu physikalischen Theorien nach Sneed dar. Dieses Endergebnis läßt sich umgangssprachlich wie folgt beschreiben: ein Theorieelement (einer Theorie) der theoretischen Physik ist ein Tupel, bestehend aus einer logisch determinierten Struktur Κ (des Kerns des Theorieelements) und einer nicht logisch determinierten Menge I (den intendierten Anwendungen des Kerns). Die Behauptung, die mittels D 7 - 1 formuliert werden kann, lautet, daß ein Kern Κ auf eine Menge intendierter Anwendungen „anwendbar" sei. Insofern stellt D 7 - 1 nichts anderes dar als eine rein strukturalistische Version des „Ramsey-Sneed-Satzes"584. In der (modifizierten) Theorie von Sneed 585 stellen sich solche Theorieelemente als „Bausteine mittlerer Größenordnung" dar, aus denen sich die eigentliche Theorie „zusammensetzt". Daß dies möglich ist, ergibt sich aus den Erwägungen, die bereits zur Konstruktion eines „Ramsey-Sneed-Satzes" führten 586 . Denn ganze Theorien bestehen in der Regel nicht nur aus dem Grundgesetz einer Theorie (repräsentiert durch die Menge M des Kerns), sondern in der Regel (aber nicht notwendig) auch aus Spezialgesetzen. Diese Spezialgesetze müssen im von Sneed entwickelten begrifflichen Rahmen als Spezialisierungen des Theorieelements aufgefaßt werden, so daß sich - unter Auslassung zahlreicher technischer Details ! - eine spezialisierende Modifikation eines Ausgangstheorieelements wie folgt definieren läßt: D8)

Es sei Τ ein Theorieelement. Dann ist T' eine Spezialisierung von Τ gdw 1) 2) 3) 4) 5) 6)

583

V Mp Mpp' M' c Γ

= ((M/,Mpp',r,M',C');/') Ç Mp Ç Mpp CM ς c = I fi Mpp' 587.

Vgl. J. D. Sneed, (Physics), S. 183 (D38). 5S4 Vgl. nochmals Satz VI, S. 111. 585 Vgl. oben S. 113 und Fn. 574. 586 Vgl. oben S. 109ff.

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

117

Die Teilmengenbeziehung zwischen den Strukturteilen garantiert, daß die Spezialisierungsrelation keiné „Fälle" des Ausgangselements ausschließt. Die Teilmengenbeziehung muß als unecht angenommen werden, da es möglich ist, daß ein Theorieelement keine Spezialisierungen hat. In diesem Fall läßt sich die Theorie mit dem Theorieelement identifizieren. In jedem anderen Fall läßt sich die Frage, was eine Theorie ist, nun wie folgt beantworten: D9)

Γ ist ein Theorieelementnetz gdw 1) 2) 3) 4)

Τ = (Ν, ss) Ν ist eine finite, nichtleere Menge von Theorieelementen ^ ist die Spezialisierungsrelation auf Ν Für alle (Κ, /), (Κ', Γ ) Ε Ν: Κ = Κ ' gdw / = Γ

Nach Sneed ist eine Theorie eine Vernetzung von Theorieelementen und keine eigenständige Größe. Sofern im folgenden der Begriff „Theorie" auftaucht, sind derartige Vernetzungen im Sinne Sneed' s gemeint 589 . Mit D9) ist man am Ende des strukturalistischen Zugangs zu physikalischen Theorien angelangt. Zum Abschluß des Kapitels seien noch einige wenige Bemerkungen zur Sneed'schen Metatheorie in ihrer Bedeutung für die Kuhn'sche Wissenschaftsgeschichte angefügt. III.3.8 Aspekte der Theoriendynamik Wie oben bereits angedeutet 590 , erlaubt die Sneed'sche Konzeption die Präzisierung einiger von Th. S. Kuhn beschriebener wissenschaftshistorischer Phänomene 591 . Zwei Aspekte dieser Kuhn-Sneed-Relation seien an dieser Stelle skizziert 592 . Sneed vermag mittels des strukturalistischen Zugangs das Phänomen der faktischen Nichtfalsifikation einer Theorie durch ein „falsifizierendes" Experiment präziser als bisher zu fassen. Dies hängt mit der Sneed'schen Integration 587 Vgl. die modifizierte Darstellung bei J. D. Sneed, (Science), S. 126 (hier wurde ein Definitionsbestandteil weggelassen). D8-6 stellt sicher, daß die Menge denkmöglicher „Spezialobjektbereiche" ( M p p ' ) schon zur Klasse I des Ausgangstheorieelements zählt. s88 Vgl. J. D. Sneed, (Science), S. 127; W. Stegmüller, (View), S. 91 (D8). 589 Es ist möglicherweise dieses Phänomen der Vernetzung von Theorieelementen, das L Lakatos, (Forschungsprogramme), S. 115 als „theoretisch progressive Theoriereihe" bezeichnet. Im Übrigen werden durch Sneed auch Lakatos' Begriffe „harter Kern" und „weicher Schutzgürtel" einer Theorie stark präzisiert. 590 Vgl. oben S. 89. 591 Dieser Aspekt wurde besonders von W. Stegmüller in (Wissenschaftstheorie II/2) ausgearbeitet. Zur Diskussion vgl. Th. S. Kuhn, (Change) und M. Küttner, (Theorie). 592 Auch hier wurde von den - zahlreichen - technischen Einzelheiten abgesehen.

118

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

der „pragmatischen Menge" I in das strukturelle Gerüst einer Theorie zusammen. I ist nämlich eine prinzipiell „offene" Menge, jederzeit anreicherbar durch neue „Kandidaten" des Kerns K 5 9 3 . Der „Nukleus" von / ist jedoch eine paradigmatische Grundmenge I 0, die, intuitiv gesprochen, mit dem Aufbau der theoretischen Größen - in Sneeds Formalismus: der logisch determinierten Modelltypen des Kerns K - gleichsam „mitgeliefert" wird. Alle anderen Elemente „wachsen" zur Menge I 0 im Verlauf der Geschichte einer Theorie hinzu. Entscheidend nun ist, daß sich ein falsifizierendes Experiment stets gegen einzelne intendierte Anwendungen richtet. Selbst wenn es aber gelingt, ein Element aus ( / - 1 0 ) zu entfernen, „berührt" das die Theorie, d.h. das Tupel ( Κ , / ) , nicht. Lediglich die Menge / wird verringert. Da sie aber ohnehin eine offene Menge ist, reduziert die Entfernung eines Elements lediglich die „Reichweite" einer Theorie 594 . Es sei im Übrigen nur am Rande erwähnt, daß die Integration einer „offenen" Menge 595 in den Korpus einer Theorie, deren Kern durchaus axiomatisiert ist 5 9 6 , die Grundlage für ein neues Verständnis der naturwissenschaftlichen Theoriebildung bereitstellt. Man könnte von einer „Hermeneutik der Naturwissenschaften" sprechen 597 , die derjenigen der sog. „Geisteswissenschaften" zumindest analog ist. Der Einwand, die starre Axiomatik naturwissenschaftlicher Theorien sei das Moment, welches die mathematisierten Wissenschaften von den „Geisteswissenschaften", die „offen" sein müßten gegenüber der „Fülle der Lebenswirklichkeit" 598 , trenne, wird unter dem Sneed'schen Blickwinkel weniger plausibel 599 . Die zweite Präzisierung Kuhn'scher Gedanken ist die formale (strukturalistische) Deutung des umstrittenen Begriffs „Paradigma" 600 . Im Sneed'schen Formalismus ist ein Paradigma ein Tupel der Form Tp 593

=

(K, h)

.

Dies ist stets bei der Entdeckung „ähnlicher" Fakten der Fall. In Lakatos ' Bild dürfte es sich um die „Schwächung" des „Schutzgürtels" handeln. 595 Vgl. im Übrigen die Ausführungen hierzu von W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 273 und ders., (View), S. l l f . 596 Nämlich durch Definition des mengentheoretischen Prädikats. Vgl. oben Abschn. III.2.3. m Vgl. schon Fn. 582. 598 Die in Anführungszeichen gesetzten Bemerkungen sind nur leicht modifizierte Paraphrasen von Arthur Kaufmanns Ausführungen über die „notwendige" Vagheit der Rechtssprache gegenüber mathematisierten Sprachen ((Sprache), S. 350ff.). Die Abstraktion dieser Meinung auf die Wissenschaft, die sich der jeweiligen Sprache bedient, dürfte jedoch nicht an Kaufmanns Position vorbeigehen. 599 Die hinter diesem Phänomen stehende Relevanz des Sneed'schen Ansatzes für die „Einheit der Wissenschaften" skizziert W. Diederich, (Rekonstruktionen), S. 43ff. 600 Dazu Th. S. Kuhn, (Revolutionen), S. 25. 594

III.3 Die Metatheorie von J. D. Sneed

119

Wie soeben kurz erwähnt, enthält I eine Teilmenge 1 0 , die paradigmatische Grundmenge von L Sehr intuitiv gesprochen wird der Kern Κ auf diese Grundmenge „maßgeschneidert". Dies ist deshalb möglich, weil auch Naturwissenschaften ergebnisorientiert arbeiten: es geht nicht um die Konstruktion syntaktischer Gebilde, sondern um die Erfassung der Realität. Das primäre Ziel einer Naturwissenschaft ist keine axiomatisierte Struktur, sondern die Behauptung, eine solche Struktur „passe" auf Teile der Realität 601 . Insofern hat sich zunächst das „Gerüst", sprich: der mathematische Apparat, der durch I 0 symbolisierten Menge erster intendierter Anwendungen anzupassen. Es ist von hier aus klar, daß das ursprüngliche Tupel ( Κ , I 0 ) eine hohe Verbindlichkeit innerhalb der scientific community beanspruchen kann und deshalb die Funktion dessen übernehmen kann, was Kuhn ein „Paradigma" nennt 602 . Ebenso offenbar ist, daß es außerordentlich schwierig ist, ein solches Tupel „zu sprengen". Es ist jene Schwierigkeit, die man als „Immunität einer Theorie" gegenüber der Realität bezeichnen kann und die im Sneed'schen Formalismus mit dem Rückzug immer zahlreicherer Elemente aus ( / - 1 0 ) erklärbar ist, der endlich jedoch an dem „harten Kern" I 0 zum Halten kommt.

III.4 Die Bedeutung der Theorie von Sneed für die Analyse von Dogmatiken - ein Vorgriff Im kommenden Kapitel wird der Versuch unternommen, die soeben in Grundzügen referierte Metatheorie von Sneed für die Analyse von Dogmatiken fruchtbar zu machen. Es scheint an dieser Stelle jedoch schon von Nutzen zu sein, durch eine skizzierte Koppelung der Sneed'schen Theorie mit dem oben aufgestellten Fragenkatalog 603 sowohl einen kurzen Vorgriff auf das Kommende zu liefern, als auch das vorangegangene Kapitel in einem anderen Licht zu präsentieren. Sneed' s Kerngedanke, ein Theorieelement als eine Struktur der Form ( Κ , I ) aufzufassen, wird eine Antwort auf die Fragen I, I I , V , V I I I und I X zulassen. Frage I I ist mit der Identifikation einer Dogmatik mit dem Tupel (Κ, I) praktisch schon beantwortet. Frage V I I I wird unter Zuhilfenahme der Sneed'schen Trennung von Theorien und Theorieelementen beantwortet werden können, die Fragen V und I X müssen mit Grundsätzen in Angriff 601

D. Sneed formuliert an einer Stelle einige für seine Theorie zentrale Sätze ((Physics), S. 94): "The end-product of physical theorizing is empirical claims. We can not understand fully what it is like to do mathematical physics until we see how it leads to empirical claims. It is to this end that logical reconstruction is directed". (Hvh. i. Orig.) 602 Kuhn „meint" mit „Paradigma" freilich einen etwas komplexeren Vorgang. Leider hat er diesen Punkt in der Auseinandersetzung mit Sneed (vgl. Th. S. Kuhn, (Change)) nicht aufgegriffen. 603 Vgl. oben Abschn. II.6 (S.79f.).

120

I I I Das strukturalistische Theorienkonzept

genommen werden, wie sie oben in Abschn. III.3.8 zu den theoriendynamischen Aspekten der Sneed'schen Theorie referiert wurden. Gerade hier wird sich zeigen, daß die Sneed'sche Theorie eine sehr elegante Präzisierung von Gedanken zu liefern vermag, die von Rechtstheoretikern schon geäußert wurden 604 . Die Ausdifferenzierungen des Theorieelementkerns K, d. h. die verschiedenen Modelltypen, erlauben bei Übertragung auf juristische Dogmatiken eine Antwort auf die Fragen I I I , I V , V I I , X und X I . Frage X I , die Frage also, ob Dogmatiken (oder zumindest Teile davon) als Modelle aufzufassen seien, ist mit der Identifikation einer Dogmatik mit der Struktur ( Κ , / ) , ebenfalls ohne weiteres beantwortet, freilich, wie oben bereits angekündigt 605 , relativ zum verwendeten Modellbegriff Suppes' und Sneeds 606. Die miteinander verbundenen Fragen V I I und X , die, soweit zu sehen, bislang keine Dogmatikanalyse in Angriff genommen hat, werden unter Rückgriff auf bestimmte Modelltypen eines Theorieelementkerns Κ gleichfalls sehr elegant beantwortbar. Grob gesprochen werden die möglichen Fallkonstellationen einer Dogmatik D, wie sie in Lehrbüchern, Kommentaren und vor allem im akademischen Rechtsunterricht zahlreich verwendet werden, mit der Menge der partiellen potentiellen Modelle identifiziert. Auf diesem Fundament lassen sich die Mengen M p und / einer Dogmatik gewinnen. Schwieriger und im Ergebnis nicht zweifelsfrei beantwortbar sind die Fragestellungen, die sich um die Problematik spezifisch juristischer „Begriffe" drehen, also die Fragen X I I und X I I I . Die Parallelisierung der Dichotomien „T-nichttheoretische/r-theoretische" Funktionen versus „normative/deskriptive" Rechtsbegriffe wird sich als diffizil herausstellen. Die Vermutung von Herberger trifft, so wird sich zeigen, nur bedingt zu. Die Klasse der normativen Tatbestandsmerkmale läßt sich nicht mit einer Menge Γ-theoretischer Funktionen parallelisieren. Insgesamt wird sich herausstellen, daß die Sneed'sche Einteilung physikalischer Funktionen nur ein heuristisches Moment für die Klassifikation von Rechtsbegriffen bereitstellt.

III.5 Zusammenfassung A m Ende des Abschnitts scheint es angezeigt, das Konzept gleichsam deduktiv nochmals Revue passieren zu lassen: 1. Eine Theorie ist eine Menge von Theorieelementen. 604

Man muß freilich betonen, daß auch Sneeds Deutungen theoriendynamischer Aspekte nicht den präzisesten denkbaren Zugang darstellen. Mehr als ein „makrologischer" Zugriff kann deshalb auch hier nicht geliefert werden. 605 Vgl. oben S. 77. 606 Vgl. dazu nochmals S. 91 und S. 95.

III.4 Die Sneed'sehe Theorie und die Analyse von Dogmatik

121

2. Ein Theorieelement ist eine Struktur der Form (K; / ) , wobei Κ für den „Kern" dieses Elements steht und / für die Menge der „intendierten Anwendungen" dieses Kerns. 3. Der Kern ist seinerseits eine Struktur der Form Κ = ( M p , M pp, (vgl. auch D6)).

r, M, C)

4. Ai, M p , Mpp und wegen C C P o t ( M p ) auch C sind Mengen von Objektbereichen („Weltzuständen", „empirischen Gegebenheiten" etc.). Diese werden „von der Theorie" dadurch aus der unendlich großen Anzahl von Objektbereichen selegiert, daß sie in einem für sie typischen Vokabular „über die Welt redet". 5. Da die Sprache der Theorie schrittweise präzisiert werden kann, „entstehen" unterschiedlich präzise beschriebene Weltzustände (nämlich M pp, M p und M ) . 6. Die Sprache der Theorie ist ihr logisches Gerüst. Dieses kann durch ein mengentheoretisches Prädikat definiert werden. Dieses gibt die strukturellen Eigenschaften der Sprache in mengentheoretischer Notation an. 7. Der ausschließliche Zweck von Theorien besteht darin „diszipliniert" (seil.: durch die Sprache der Theorie) „über die Welt" zu reden, genauer: in der Formulierung von (empirischen) Hypothesen. 8. Eine solche Hypothese behauptet, daß ein bestimmter Ausschnitt des empirischen Geschehens mit der Sprache der Theorie korrekt erfaßt werden kann. Die empirische „Gesamthypothese" einer Theorie behauptet, daß eine Menge solcher Geschehensabläufe (nämlich I) mit jenem Vokabular, das zur Bildung des Kerns Κ führt, korrekt erfaßt werden kann.

I V Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht I V . l Vorbemerkung Das folgende Kapitel wird die schon mehrfach angekündigte Aufgabe in Angriff nehmen, juristische Dogmatik mithilf e des von Sneed konstruierten strukturalistischen Theorienkonzepts zu analysieren. Dies verlangt eine Rekonstruktionsaufgabe eines vorgegebenen Korpus rechtswissenschaftlicher Aussagen 607 . Wie oben gezeigt, läßt sich ein solcher Korpus unter sehr verschiedenen Blickwinkeln betrachten 608 . Keiner von diesen metatheoretischen Zugriffen kann von sich behaupten, er habe analysiert, was eine juristische Dogmatik ist. Auch die vorliegende Arbeit erhebt nicht den Anspruch, auf eine allgemeingültige - und dies bedeutet: voraussetzungslose - Definition abzuzielen. Wie jede metatheoretische Reflektion kann (und will) sie lediglich den Vorschlag einer Sichtweise machen. Deshalb ist auch hier keine Antwort auf die Frage zu erwarten, was eine Dogmatik ist, sondern nur ein Angebot, unter welcher Perspektive man eine Dogmatik zweckmäßigerweise betrachtet, um bestimmte Einzelfragen zu beantworten bzw., allgemeiner gesprochen, um bestimmte Ziele zu erreichen 609 . Die Rekonstruktion juristischer Dogmatik 6 1 0 anhand des strukturalistischen Theorienkonzepts wird dabei den umgekehrten Weg wählen, der bei Referierung des Konzepts selbst eingeschlagen wurde; die Analogisierung von physikalischen Theorien und juristischen Dogmatiken wird also zum Abstrakten zum Konkreteren übergehen. Dies ist deshalb zweckmäßig, weil sich diesbezügliche Komplikationen typischerweise im Detail zeigen. I V . 2 Der Ausgangspunkt Die Basis für die Parallelisierung von naturwissenschaftlichen Theorien und juristischen Dogmatiken wurde oben schon skizziert 611 . Es ist der Gedanke, 607 Ich verwende „rechtswissenschaftlich" hier wie im folgenden in einem weiten Sinn, meine damit also nicht nur juristische Aussagen von Wissenschaftlern, sondern u.a. auch Fallentscheidungen von Gerichten. 608 Vgl. Kap. II. 609 Zu den hier verfolgten Zielen vgl. das Vorwort der Arbeit. 610 Vgl. nunmehr die Darstellung möglicher metatheoretischer Problemzugänge in Abschn. 1.2.2, bes. S. 35f.

IV.3 Dogmatik als Struktur

123

daß beide „Gebildetypen" ein bestimmtes „Begriffsgerüst" einsetzen, um „Aussagen über die Welt" zu machen, wobei deutlich gemacht wurde, daß bei hinreichend ausdifferenzierten theoretischen (begrifflichen) Strukturen, Fakten auch „arrangiert" werden können 612 . Sofern also plausibel ist, daß Theorien und Dogmatiken „irgendwie" vergleichbar sind, liegt es nahe, diese Vergleichbarkeit unter einem bestimmten Blickwinkel zu erproben. Diesen Blickwinkel liefert für die vorliegende Arbeit die Metatheorie von Sneed.

IV.3 Dogmatik als Struktur IV.3.1 Die Struktur eines Dogmatikelements Der Weg, der hier im einzelnen verfolgt werden wird, orientiert sich an folgender These: T2) Analog einem Theorieelement (einer Theorie) der theoretischen Physik läßt sich ein Dogmatikelement (einer Dogmatik) der Rechtswissenschaft als Struktur der Form (Κ, I) auffassen. (T2 läßt sich als Erläuterung von T l 6 1 3 verstehen.) Um sinnvoll behaupten zu können, ein Tupel der Form (Κ, I) sei eine adäquate Beschreibung eines Dogmatikelements 614 , müßte ein Kern Κ und die Menge der intendierten Anwendungen I eines Dogmatikelements fixierbar sein. Insbesondere müßte die analoge Übertragung der Modelltypen eines Kerns ( M p p , M p , Ai, C) möglich sein. IV.3.2 Mengentheoretische Prädikate und Modelle eines Dogmatikelements Zunächst ist klar, daß jede Darstellung einer Dogmatik, wie sie in Lehrbüchern und Kommentaren, möglicherweise auch in ausführlichen Aufsätzen, auftaucht, von einem bestimmten Vokabular Gebrauch macht. Dieses Vokabular läßt sich vorläufig als Korpus von Aussagen definieren, der sehr verschiedene Typen von Begriffen und Sätzen enthält. Es ist zweckmäßig, einen 611 Vgl. oben, Abschn. 1.1, bes. S. 14 (Tl), S. 22f., S. 29f. 612 Dazu besonders Abschn. 1.1.2, S. 14ff. und Abschn. 1.1.3, S. 26, S. 29. Es ist allerdings zu betonen, daß die Redeweise von der „Arrangierung" von Tatsachen nicht so zu verstehen ist, als erzeugten Naturwissenschaftler Fakten (wie dies Vertreter einer ziemlich simplifizierenden Laborsoziologie andeuten, etwa H. Nowotny, (Labor), S. 213). 613 Vgl. oben S. 14. 614 Der Grund, weshalb zunächst nur Dogmatikelemente analysiert werden sollen, ergibt sich aus Abschn. III.3.7, bes. S. 164ff. und wird im Übrigen weiter unten noch gesondert begründet (Abschn. IV.5).

124

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

typischen Abschnitt einer Dogmatikdarstellung auszugsweise zu zitieren, um für zahlreiche kommende Explikationen die empirische Grundlage bereitzustellen. Das Beispiel entstammt der Schadensdogmatik der §§ 249ff. (in Verbindung mit den jeweiligen Anspruchsgrundlagen) des Bürgerlichen Gesetzbuchs und behandelt den besonderen Fall der sog. „Drittschadensliquidation". A l ) „Ausnahmsweise kann jedoch Ersatz eines Drittschadens verlangt werden: Schadensliquidation aus der Person eines Dritten. Von dem obengenannten Grundsatz (seil.: dem Grundsatz, daß nur der Geschädigte selbst einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann, T.S.) bestehen also Ausnahmen. In den Fällen des Drittschadensersatzes ist der Ersatzberechtigte nicht identisch mit dem Geschädigten. Der Anspruchsberechtigte hat keinen Schaden und der Geschädigte hat keinen Anspruch. Nicht immer ist in dieser Situation Drittschadensersatz zulässig. . . . Die erste Fallgruppe betrifft die mittelbare Stellvertretung. Wenn im Auftrag und auf Rechnung des Β der X eine Sache von Y kauft und Y kommt in Lieferverzug, dann hat den Schaden davon der B, doch ist nicht B, sondern X der Vertragspartner. In solchen Fällen . .. liegt es so, daß der Geschädigte keinen Anspruch und der Anspruchsberechtigte keinen Schaden hat. X kann in solchen Fällen den Schaden des Β geltend machen. . . . Die zweite Fallgruppe betrifft die Fälle der schuldrechtlichen Schadensverlagerung, und hier namentlich den Versendungskauf, § 447 BGB. . . . Die Grundregel, die man aus diesen Fällen ableiten kann lautet: Wenn es unbillig wäre, daß der Schädiger von der Haftung frei wird, weil Anspruchsberechtigung und Schaden durch interne Verhältnisse oder durch gesetzliche Vorschrift auseinanderfallen, kann der Anspruchsberechtigte den Drittschaden verlangen" 615 . (Es folgen Ausführungen, in denen der letztgenannte Grundsatz noch keine hinreichende Bedingung für die Drittschadensliquidation ist.) Der zitierte Abschnitt A l ) darf als typisch für Darstellungen eines „dogmatischen Problems" gelten. Es ist im Augenblick nicht von Interesse, ob hier schon ein Dogmatikelement oder gar eine Dogmatik (und wenn ja, welche) dargestellt ist. Entscheidend ist folgendes: es wird ein bestimmtes Vokabular eingesetzt, um bestimmte Aussagen über die Realität zu machen. In A l ) wird zum Ausdruck gebracht, daß bestimmte „Begriffe" (etwa „Schädiger", „Drittschadensliquidation") eine bestimmte Situation der Realität zutreffend beschreiben. A n diese Beschreibung schließt sich die (stets gleiche) Behaup615 Aus W. Fikentscher,

(SchR), S. 263f.

IV.3 Dogmatik als Struktur

125

tung an, daß nun eine bestimmte Rechtsfolge eintrete („kann verlangen"). Letzteres ist für eine Dogmatik offenbar nebensächlich: nicht die Rechtsfolge ist Zielpunkt dogmatischer Konstruktion, sondern die zutreffende Beschreibung einer Situation in technischem Vokabular, also die Aufstellungen „quasiempirischer" Behauptungen der Form χ ist ein Fall der Dogmatik des § Y 6 1 6 . Daß man nicht davon sprechen kann, einfach einen „Fall des § Y " zu subsumieren, wird am Institut der Drittschadensliquidation besonders deutlich. Dieses Institut ist in einer Norm überhaupt nicht geregelt und kann nur als Teil der (Groß-)Dogmatik der §§ 249ff. BGB verstanden werden. In den Fällen der Drittschadensliquidation wird also gar keine Norm zur Anwendung gebracht, sondern nur eine Dogmatik. Beide Befunde, die „Quasi-Empirizität" von Dogmatiken und die Tatsache, daß überhaupt nur eine Dogmatik angewendet werden kann, belegen die eingangs formulierten Thesen 617 . Für die weiteren Überlegungen ist überdies von Bedeutung, daß man offenbar auch im Fall juristischer Dogmatikelemente zwischen den Aussagen, die zur (zutreffenden) Beschreibung einer Fallkonstellation verwendet werden - dem abstrakten dogmatischen Vokabular - und der Extension dieser Aussagen - den Fallkonstellationen selbst - unterscheiden muß. (Herkömmlich wird in der Rechtstheorie eine Dogmatik gerade mit diesem abstrakten Vokabular - und nur mit ihm! - identifiziert.) Wenn dies aber so ist, so erscheint es zumindest möglich, die „Grundstruktur" dieses abstrakten Vokabulars in der Form eines mengentheoretischen Prädikats zu fixieren, d.h. diese „Grundstruktur" mittels einer mengentheoretischen Definition explizit zu machen. Wie bei der Definition mengentheoretischer Prädikate für physikalische Theorien ist dabei zu erwarten, daß diese Definition „einfache" Kennzeichnungen und „schwierige" Axiome enthält. Dies bedeutet, daß bestimmte Definitionsbestandteile eines solchen mengentheoretischen Prädikats, das die „Grundstruktur" eines Dogmatikelements zum Ausdruck bringen soll, lediglich präzisierte Beschreibungen der „Dinge" darstellen, die in dem Dogmatikelement überhaupt vorkommen (also bei der Drittschadensliquidation etwa die Menge der „Schädiger"), daß aber andere Definitionsbestandteile die Axiome dieses Elements repräsentieren, d.h. die zwischen den „Dingen" bestehenden Beziehungen. Um dies plausibel zu machen, soll im folgenden ein solches mengentheoretisches Prädikat, das die „Grundstruktur" eines Dogmatikelements fixiert, defi616

„Quasi" soll zunächst zum Ausdruck bringen, daß von den Standards empirischer Tests natürlich nicht gesprochen werden kann. 617 Vgl. oben S. 26 (zur „Quasi-Empirizität") und S. 63 (zur Anwendung von Dogmatiken).

126

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

niert werden. Aufgrund des ausgewählten Abschnitts A l ) sei eine solche Definition für das Institut der Drittschadensliquidation (relativ informell) skizziert: D10)

χ ist eine Drittschadensliquidation gdw 1) * = (G, V a, V SÌ =>). 2) G ist die Menge derjenigen, die geschädigt sind, aber keinen Anspruch gegen V s haben. 3) V s ist die Menge der Schädiger, die aber nicht Vertragspartner von G sind. 4) V a ist die Menge der Vertragspartner von V^, die zugunsten der Menge G Ansprüche gegen V s geltend machen. 5) => ist eine Relation von V a in die Menge V s. 6) Wenn aufgrund zufälliger Konstellationen zwischen G und V a gilt, daß V s unbilligerweise gegenüber G nicht haftet, so gilt V a => V s.

D10) repräsentierte eine - keineswegs formal befriedigende - Definition des mengentheoretischen Prädikats „ist eine Drittschadensliquidation". Dabei seien die Abkürzungen G, V a und V s aus mnemotechnischen Gründen für die Mengen der „Geschädigten", der „anspruchserhebenden Vertragspartner" und der „schädigenden Vertragspartner" gewählt. D10-5 fixiert die zentrale Relation des Elements „Drittschadensliquidation", die man „Drittschadensliquidierung" nennen kann. Eine Relation ist dies deshalb, weil ein v a gegen mehrere ν 5 einen Schaden geltend machen kann (wie es etwa bei der gesamtschuldnerischen Haftung der Fall ist - § 421 BGB). Nur bei eindeutiger Zuordnung hätte man es mit einer Funktion zu tun. D10-6 schließlich repräsentiert das „eigentliche Axiom" der Drittschadensliquidation, wie es auch in A l ) erwähnt wird. Wenn man nun annimmt, daß es möglich ist, eine Dogmatik mittels eines mengentheoretischen Prädikats zu definieren, also etwa die Definition zu bilden χ ist eine Dogmatik der Drittschadensliquidation, so kann man auch in einem ersten Zugriff die Aufgabe einer Dogmatik dahingehend beschreiben, Behauptungen der Form VII)

q ist ein D

zu ermöglichen, wobei q eine Beschreibung eines Vorgangs in der Realität 618 618 Podlech hat bereits (in (Fachsprache), S. 39) darauf aufmerksam gemacht, daß juristische Reflektion nicht mit Tatsachen, sondern mit sprachlichen Repräsentationen von Tatsachen zu tun hat.

IV.3 Dogmatik als Struktur

127

ist - von Juristen üblicherweise „Fallkonstellation" genannt - und D die mengentheoretische Definition eines Dogmatikelements 619 . (Man beachte übrigens, daß bei Definition eines solchen mengentheoretischen Prädikats der Wortlaut des Gesetzes - sofern vorhanden - eine zentrale Rolle spiele. Es ist nochmals zu betonen, daß die Konzeption der „Dogmatikanwendung" nicht bzw. gerade nicht behauptet, die Norm sei überflüssig. Die Norm läßt sich in dieser Sichtweise vielmehr als abstrakter Satz einer Dogmatik auffassen 620.) Wenn sich ein Dogmatikelement in der Form eines mengentheoretischen Prädikats darstellen läßt und V I I ) die Art von Aussagen darstellt, die mittels einer solchen Definition gemacht werden können, so läßt sich die Behauptung, eine bestimmte Menge von Fallkonstellationen erfülle das Prädikat „ist ein D " , darstellen als VIII)

Q sind D

Es ist offensichtlich, daß A l ) eine solche Behauptung intendiert: nachdem die abstrakte Struktur „ist eine Drittschadensliquidation" erklärt wurde (selbstverständlich nicht in der Form einer präzisen mengentheoretischen Definition), werden Gruppen von - möglicherweise paradigmatischen - Fallkonstellationen referiert, die diese Definition erfüllen, anders: die die abstrakte Struktur „tragen". Dies ist exakt das, was physikalische Behauptungen ebenfalls intendieren 622 . Lassen sich aber die Aussagen einer Dogmatikdarstellung als „Gesamtaussage" der Form V I I I ) deuten, so kann man in der Terminologie der strukturalistischen Wissenschaftstheorie diejenige Menge von Fallkonstellationen, die durch das Prädikat „sind D " zutreffend beschreibbar sind, die Modelle des Prädikates nennen, das durch „ist ein D " definiert ist. A l ) etwa behauptet (u.a.), daß die Fallkonstellationen der „mittelbaren Stellvertretung" Modelle der abstrakten Struktur „ist eine Drittschadensliquidation" sind (sofern ein Schaden eintritt). (Man beachte im Übrigen, daß die Annahme, eine real existierende Darstellung einer „Dogmatik" in der Form eines mengentheoretischen Prädikats zu übersetzen, nicht voraussetzt, einzelne Aussagen in die Sprache der Mengenlehre zu übersetzen. Die Bezeichnung „mengentheoretisches Prädikat" weist nur darauf hin, daß die einzelnen Bestandteile der Definition einer bestimmten Struktur sich der mengentheoretischen Ausdrucksweise bedie619

Wobei es im Augenblick ohne Bedeutung ist, ob es sich um das Grundelement oder eine Spezialisierung handelt. 620 Vgl. schon oben S. 63. 621 Zur Groß- und Kleinschreibung vgl. S. 95. 622 Vgl. dazu oben S. 95.

128

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

nen. Verlangt wird also nur eine intuitive Übersetzbarkeit der relevanten Merkmale einer real existierenden Dogmatikdarstellung 623 .) Man kann definieren: Def. 3 Die Menge derjenigen Fallkonstellationen, die sich mittels des abstrakten Vokabulars eines Dogmatikelements (welches durch Definition eines mengentheoretischen Prädikats fixiert werden kann) zutreffend beschreiben lassen, heiße „Modelle" dieses Prädikates. Damit ist als erste Menge des Kerns eines Dogmatikelements die Menge der Modelle M fixiert 6 2 4 . Im Gegensatz zu dem bewußt begrenzt gehaltenen Beispiel der Drittschadensliquidation zählen zu den Modellen eines Prädikates auch solche Fallkonstellationen, die sich nur mittels Spezialisierungen dieses Prädikates zutreffend beschreiben lassen 625 . (Daß es möglich ist, mengentheoretische Prädikate für Dogmatikelemente zu spezialisieren, muß an dieser Stelle als naheliegende Vermutung vorausgesetzt werden. Was man sich darunter vorzustellen hat, wird später Gegenstand der Erörterung sein.) IV.3.3 Potentielle Modelle eines Dogmatikelements IV.3.3.1 Das Problem Wie oben dargestellt 626 , handelte sich bei den potentiellen Modellen eines Theorieelements der theoretischen Physik um physikalische Systeme, die mittels des theorietypischen Vokabulars beschreibbar sind, jedoch noch nicht daraufhin überprüft wurden, ob auch die „eigentlichen" Axiome des Theorieelements erfüllt sind. Betrachtet man Theorien und Dogmatiken als „Werkzeuge", die wissenschaftliche Überprüfungen der Realität anleiten, so lassen sich potentielle Modelle eines abstrakten Begriffsgerüstes als Entitäten klassifizieren, die sich auf einer „mittleren" Prüfungsstufe zeigen, auf einer Prüfungsstufe also, auf der - intuitiv gesprochen - zwar schon theoretisches Vokabular eingesetzt wurde, aber noch keine Feststellungen über das „Zusammenspiel" dieses Vokabulars getroffen wurden (das in der Physik durch Funktionen hergestellt wird, die - z.B. - in ein Gleichungssystem eingeordnet werden). 623

Vgl. dazu W. Stegmüller, (Wissenschaftstheorie II/2), S. 39. In herkömmlicher rechtstheoretischer Terminologie könnte man von der „Reichweite" einer Norm oder von der „Summe" ihrer Konkretisierungen sprechen. 625 Dabei sollte vermerkt werden, daß das gewählte Beispiel, das Prädikat „ist eine Drittschadensliquidation", möglicherweise bereits eine Spezialisierung eines allgemeineren Prädikats im Rahmen der Schadensersatzdogmatik ist. Die existierenden Darstellungen der „Dogmatik" der Drittschadensliquidation beschreiben diese in der Tat eher als eine Abweichung von ansonsten geltenden Grundsätzen. Vgl. dazu A l ) oder Palandt-Heinrichs, (BGB), Rn. 6a und 6b vor §§ 249ff. 626 Vgl. oben Abschn. III.3.3, bes. S. 97. 624

IV.3 Dogmatik als Struktur

129

Ob es Sinn macht, auch bezüglich eines Dogmatikelements der Rechtswissenschaft von „potentiellen Modellen" zu sprechen, hängt davon ab, ob es auch in der juristischen Dogmatik eine solche „mittlere Prüfungsebene" gibt und ob sich diese dadurch auszeichnet, daß mit „typischen" theoretischen Begriffen gearbeitet wird. Mit der letzten Teilfrage soll begonnen werden. TV.3.3.2 T-Theoretizität

und Rechtsbegriffe

Ein potentielles Modell ist ein Elementtripel der Form M p = ( D , η, t) 627, ist also dadurch ausgezeichnet, daß zur Determination theoretische Funktionen verwendet werden; diese sind nach der Konzeption von Sneed Γ-theoretisch 628 . Um diese Konzeption fruchtbar zu machen, müssen zwei Teilantworten gegeben werden, nämlich zum einen auf die Frage, ob mathematische Funktionen mit „Rechtsbegriffen" identifizierbar sind und zum zweiten auf die Frage, ob es für ein Dogmatikelement „typische" „Rechtsbegriffe" gibt. (Um die künftige Bezeichnung für derartige Größen zu vereinfachen, sei im folgendcii von D-dogmatischen Begriffen gesprochen.) Zur Beantwortung der ersten Teilfrage muß man zuerst darauf hinweisen, daß der Begriff „Funktion" nicht nur auf quantitative Objektbereiche angewendet werden kann. „Funktion" ist ein Begriff aus der Strukturmathematik und besagt nichts weiter, als daß zwei Mengen miteinander derart verknüpft werden, daß einem Element aus der Menge A ein und nur ein Element der Menge Β korrespondiert. Seien A und Β Mengen derart daß α ι . . . a n E A und b i . . . b n Ε Β , so ist folgende Entität eine Funktion

In der Sprache der Strukturmathematik 629 ist eine Funktion demnach eine Menge eineindeutig zugeordneter Paare 630 . Eine Funktion ist dabei eine „Spezialform" der Relation. Auch Relationen lassen sich als Mengen deuten. Der Unterschied ist nur, daß die Zuordnungen der Mengenelemente nicht eineindeutig sein müssen. So hat eine zwischen den Mengen A und Β bestehende einmehrdeutige Relation z.B. die Form

627

Vgl. oben D2). Dazu Abschn. III.3.4. 629 N. Bourbaki, (Sets), S. 81 bezeichnet derartige Mengenbildungen als „mapping" (Abbildungen einer Menge A auf eine Menge B). 630 Man beachte, daß die Identifikation einer mathematischen Größe mit einer Menge die für die Strukturmathematik typische extensionale Sichtweise ist. 628

9 Schlapp

130

I V Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

Für Relationen gilt das zu Funktionen Gesagte: die Bildung einer Relation hängt nicht von der quantitativen Struktur des Objektbereichs ab. „Vater von" ist etwa eine Relation (einmehrdeutig) und „Staatspräsident von" eine Funktion 6 3 1 . Relationen und Funktionen sind, sehr intuitiv gesprochen, Verbindungen zwischen singulären Objekten, deren epistemologische Bedeutung darin liegt, daß sie Auskunft über den Zusammenhang des jeweils betrachteten Feldes geben. Ohne Relations,- und/oder Funktionsbildungen bestünde die Welt aus unzusammenhängenden Gegenständen. Die Frage ist demnach, ob Dogmatikelemente solche relations,- bzw. funktionsbildenden „Größen" enthalten. Im Falle des Prädikats „ist eine Drittschadensliquidation" wurde deutlich, daß das Vokabular tatsächlich einen solchen relationsbildenden Begriff enthält, nämlich die „Figur" der „Geltendmachung eines Anspruchs" 632 . Selbstverständlich können nicht alle Dogmatiken auf das Vorhandensein derartiger „Relations/Funktionsbegriffe" hin untersucht werden. Um jedoch wenigstens plausibel zu machen, daß Dogmatiken derartige Begriffe enthalten, seien einige Beispiele angeführt: die Notwehrdogmatik 633 des § 32 StGB enthält den „Funktionsbegriff" der „Erforderlichkeit der Abwehrhandlung". Dies wird unten noch konkreter analysiert 634 . Das mengentheoretische Prädikat, welches die Dogmatik des § 263 StGB definieren könnte, müßte mehrere Relations- bzw. Funktionselemente enthalten. Eines davon ist die sog. „Vermögensverfügung" 635 . Eine „Vermögensverfügung" ist, strukturalistisch gesprochen, eine Funktion, deren Definitionsbereich rechtmäßige Vermögensmassen sind und deren Wertebereich unrechtmäßige Vermögensmassen (jedenfalls für den begrenzten Bereich des Betrugs). Die Zuordnung ist eineindeutig, da jedem Element aus der Menge der rechtmäßigen Vermögensmassen ein und nur ein Element aus der Menge der unrechtmäßigen Vermögensmassen zugeordnet wird. (In der fachlichen 631 Der Unterschied der Funktion „Staatspräsident von" zur Funktion y = 2χ liegt allerdings darin, daß im ersten Fall auf empirischem Wege eine endliche Menge produziert wird, im zweiten Fall auf algorithmischem Wege eine (potentiell) unendliche. 632 Vgl. oben S. 124. 633 Hier, wie im folgenden Kontext, wird der Begriff „Dogmatik" im intuitiven Sinn gebraucht, verweist also nur auf Texte des betreffenden juristischen Bereichs. Vgl. unten Abschn. V.3.2.1. 635 Zu diesem Element der Dogmatik des § 263 StGB vgl. etwa Cramer in Schönke / Schröder, (StGB), Rn. 54ff. zu § 263; Dreher-Tröndle, (StGB), Rn. 23 zu § 263; P. Bockelmann, (BT/1), S. 93f. Dieses Element, das man üblicherweise als „ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal" des § 263 StGB bezeichnet - Samson in (SK-StGB), Rn. 66 zu § 263 spricht sogar paradoxerweise von einem „im Wortlaut des Gesetzes nicht enthaltene(n) Tatbestandsmerkmal" - belegt die mehrfach vertretene These von der Untrennbarkeit von Norm und Dogmatik.

IV.3 Dogmatik als Struktur

131

Terminologie: der Betrogene kann nur an ein anderes Individuum übereignen.) Das mengentheoretische Prädikat „ist eine Bürgschaftsdogmatik" enthielte mit dem „Begriff" der „Bürgschaft" einen Relationsausdruck: einer Menge von Bürgen (mindestens ein Bürge, §§ 765 I, 769 BGB) wird in jeder Bürgschaftsrelation ein Element aus der Menge der Gläubiger (der Dritten) zugeordnet. Gewöhnlich wird davon gesprochen, es handele sich um einen Vertrag zwischen Bürgen und Gläubiger 636 , bzw. die Übernahme einer Bürgschaft Mehrerer durch einen Vertrag 637 . Ein letztes Beispiel: ein mengentheoretisches Prädikat, das im Rahmen des Polizeirechts die Teildogmatik „ist eine Eingriffsdogmatik" definiert, enthielte den Term der „Polizeiverfügung". Eine solche „Verfügung" ist strukturalistisch gesprochen ebenfalls ein Relationsterm: ein oder mehrere Polizeibeamte können gegen ein oder mehrere Bürger eine solche Verfügung erlassen 638 . Es handelt sich also um eine mehrmehrdeutige Relation, die die Menge der Verfügenden mit der Menge der Verfügungsadressaten verknüpft. Es ist demnach offensichtlich, daß juristische Dogmatiken Relations- bzw. Funktionsterme enthalten. Sollten sich diese - was noch zu prüfen ist - als „theoretisch" herausstellen, so hätte man es auch im Bereich juristischer Theoriebildung mit dem Phänomen theoretischer Relationen/Funktionen zu tun. Zunächst scheint es abei ebenso offensichtlich, daß juristische Dogmatiken nicht ausschließlich mit diesem Typ von „Begriffen" arbeiten. Das heißt, daß in juristischen Dogmatiken auch Terme vorkommen, die sich nicht als Relations,- bzw. Funktionsausdrücke deuten lassen, die also keine „Beziehung" zwischen zwei Individuenmengen herstellen. Mit „Vorkommen" soll angedeutet werden, daß derartige Terme für die betreffende Dogmatik von Bedeutung sind und in den Fachdiskussionen eine große Rolle spielen. Auch hier einige Beispiele: die „Wegnahme" in § 242 StGB bezeichnet keine Relation, sondern eine „Qualität" einer Relation, die dogmatisch gewöhnlich dahingehend charakterisiert wird, es handele sich um den Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams 639. „Wegnahme" ist also nicht einfach eine Bezeichnung für eine Relation zwischen Dieb und Bestohlenem. Diese Relation wird vielmehr durch die Besitzverhältnisse hergestellt und zwar derart, daß einer rechtmäßigen Besitzlage eine unrechtmäßige zugeordnet wird 6 4 0 . „Wegnahme" designiert vielmehr eine bestimmte Art dieser Besitzverschiebung 641, also eine 636

So z.B. Palandt-Thomas, (BGB), Rn. lc vor § 765. Vgl. H. Weber, (Sicherungsgeschäfte), S. 21. 638 Vgl. zur Polizeiverfügung etwa H. J. Wolff/ Ο. Bachof (VwR III), § 129 Rn. 1. Vgl. etwa Samson, in SK-StGB, Rn. 17 zu § 242. 640 Vgl. schon oben S. 130 zum analogen Term der „Vermögensverfügung". 641 Ich sehe aus Vereinfachungsgründen von § 935 I BGB ab. 637

*

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IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

Qualität der Relation. Dies ist ein Phänomen, das strukturalistisch nicht darstellbar ist. Der Term der „Parteifähigkeit" in § 50 I ZPO - der trotz des scheinbar unmißverständlichen Wortlauts der Vorschrift eine eigene Dogmatik aufweist 642 - bezeichnet ebenfalls keine Relation oder Funktion, sondern die „Qualität" einer Entität (einer natürlichen oder juristischen Person). Der Term des „Arbeitnehmers", der in einigen Arbeitsgesetzen (und daher in den Dogmatiken) auftaucht (z.B. in § 1 I KSchG) ist kein Relationsausdruck (im Gegensatz zum Term „Arbeitsverhältnis"). Dennoch spielt der Term in zahlreichen Dogmatiken eine Schlüsselrolle, nämlich stets dort, wo es um das Eingreifen arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften geht 643 . Ein letztes Beispiel: im Bereich der Grundrechtsdogmatik des Art. 19 I V GG wird u.a. die Frage diskutiert, was unter dem Ausdruck „öffentliche Gewalt" zu verstehen ist 6 4 4 . Auch dies ist kein Relationsterm, sondern bezeichnet, grob gesprochen, eine Charakteristik einer Entität (hier: einer öffentlichrechtlichen Organisationseinheit). Man hat es also im Bereich juristischer Dogmatik nicht nur (möglicherweise partiell überhaupt nicht) mit Relations- und Funktionstermen zu tun, sondern auch mit einstelligen Prädikaten, mit Termen also, die eine „Eigenschaft" zum Ausdruck bringen 645 . Diesen Unterschied zu physikalischen Theorien muß man im Auge behalten, wenn man die Frage beantworten will, worin das Analogon zu den „7-theoretischen Funktionen" in juristischen Dogmatiken besteht. Man muß also erwarten, daß sich als „theoretisch", sofern überhaupt, nicht nur Funktions- bzw. Relationsterme erweisen lassen, sondern auch einstellige Prädikate. Um das Kriterium für die Γ-Theoretizität physikalischer Funktionen auf juristische Terme zu übertragen, bedarf es folglich der Erweiterung dieses Kriteriums auf Terme, die nur ein einstelliges Prädikat zum Ausdruck bringen. Um der Frage nahe zu kommen, worin dieses Kriterium für juristische Terme besteht, muß man rekapitulieren, daß das Sneed'sche Konzept darin 642 Der Wortlaut des § 50 I ZPO, der auf die Ausgrenzung der Personengesellschaft hinauszulaufen scheint, wird nämlich unter Hinweis auf § 124 I HGB für die OHG umgangen. Vgl. etwa Zöller-Vollkommer, (ZPO), Rn. 17 zu § 50. Die Dogmatik hat sich hier also gegen den Wortlaut entwickelt. 643 Etwa im Rahmen der Diskussion um die Arbeitnehmereigenschaft von Handelsvertretern (§ 84 HGB). Vgl. hierzu etwa BAGE 18, 87; P. Schwerdtner, (ArbR), Fall Nr. 2; W. Däubler, (ArbR 2), S. 466f. 644 Die Frage ist hier insbesondere, ob auch die rechtsprechende Gewalt unter diese Bezeichnung fällt. Vgl. nur Dürig, in Maunz / Dürig u. a., (GG), Rn. 17 zu Art. 19 IV. 645 Demgegenüber bringen Relationsterme Verhältnisse zum Ausdruck. Zu diesen Unterscheidungen vgl. etwa W. K. Essler, (Analytische Philosophie I), S. 35. Man kann selbstverständlich Relationsausdrücke als mehrstellige Prädikate auffassen.

IV.3 Dogmatik als Struktur

133

besteht, als „theoretisch" nicht eine bestimmte Klasse von Termen zu bezeichnen, sondern, vage gesprochen, eine Eigenart der „Verwendung" eines Terms 646 . Diese Eigenart besteht, verallgemeinert gesprochen, darin, daß dieser Term relativ zu einer Theorie, in der er auftaucht, nur unter Inkaufnahme eines Zirkels verwendet werden kann 6 4 7 , wobei dieser Zirkel in der Unmöglichkeit besteht, ein Testverfahren für den fraglichen Term zu finden, welches die zu prüfende Theorie nicht schon als erfolgreich angewendet voraussetzt. Eine wichtige Konsequenz aus dieser Konzeption ist die Relativität des Theoretizitätskriteriums: ein Term t kann in einer Theorie 7\ theoretisch sein und in einer Theorie T 2 nicht. Wollte man dieses Konzept auf „Rechtsbegriffe" unmodifiziert übertragen, so lautete die Konsequenz: theoretische Rechtsbegriffe oder, wie oben vorgeschlagen648 „Z)-dogmatische" Rechtsbegriffe sind solche, deren „Messung" implizit die gesamte Dogmatik voraussetzt, in der diese Terme auftauchen. Modifiziert man diese Version des Theoretizitätskriteriums für Terme, die nicht unter Zuhilfenahme eines Meßverfahrens definierbar sind (also keine numerischen Funktionen sind), erweitert man also das Kriterium von „meßbaren Termen" 6 4 9 auf solche Terme, über deren Zutreffen auf bestimmte Teile der Realität auch mittels anderer „Verfahren" entschieden werden kann (also etwa durch volitive Akte), so erhält das Theoretizitätskriterium für Rechtsbegriffe folgende Gestalt: D-dogmatisch ist ein Begriff dann, wenn die Entscheidung über sein Zutreffen auf einen Objektbereich voraussetzt, daß die Dogmatik D , in der dieser Begriff auftaucht, schon erfolgreich angewendet ist. Um zu sehen, warum man es auch im Bereich juristischer Dogmatiken mit einem solchen Phänomen der Zirkularität bestimmter Terme zu tun hat, muß man sich vergegenwärtigen, daß diese Zirkularität bei theoretischen Funktionen nach Sneed ja erst zu Tage tritt, wenn man versucht, für die fragliche Funktion ein Γ-unabhängiges Testverfahren zu ersinnen. Semantisch kann über die Theoretizität einer Funktion nicht entschieden werden. Es liegt nahe, daß man das Kriterium für die D-Dogmatizität eines juristischen Terms ebenfalls an deren „Testverfahren" fixiert. Dieses „Testverfahren" besteht im Rahmen juristischer Dogmatiken üblicherweise in nichts anderem, als in der Fachdiskussion, d.h. in der (kontroversen) Diskussion, ob ein Term auf einen Lebenssachverhalt (einen Objektbereich) angewendet werden kann oder nicht. Das Analogon zum Sneed'schen Theoretizitätskriterium für juristische 646

Im folgenden werden „Term" und „Funktion" nicht unterschieden. Dabei wird die Voraussetzung gemacht, daß sich das Theoretizitätskriterium auf „Begriffe" erweitern läßt. Wo dies zu Friktionen führt, wird künftig markiert. 647 Vgl. oben III.3.4. 6^ Vgl. oben S. 129. 649 Auch dieser Ausdruck ist metaphorisch aufzufassen; im strengen Sinn läßt sich ein Term (ein „Begriff") nicht messen, sondern letztendlich nur durch einen mentalen Akt situativ fixieren.

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I V Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

Terme in Dogmatiken muß demnach auf diese Art von „Testverfahren" relativiert werden. Ich schlage deshalb folgende Version des D-Dogmatizitätskriteriums für juristische Terme vor: Def. 4 Ein juristischer Term ist D-dogmatisch genau dann, wenn es keine Diskussion über dessen Zutreffen auf einen Objektbereich gibt, die nicht voraussetzt, daß die den Term enthaltende Dogmatik bereits erfolgreich angewendet wurde. Def. 4) formuliert ein Kriterium, das möglichst dicht an das Γ-Theoretizitätskriterium Sneeds angelehnt ist. Man beachte, daß Def. 4) insbesondere aussagt, daß auch der fragliche Term bereits erfolgreich angewendet sein muß. Def.4) besagt intuitiv gesprochen also, daß ein Term D-dogmatisch genau dann ist, wenn über sein Zutreffen auf eine bestimmte Lebenssituation (anspruchsvoller: über seinen Wahrheitswert) nicht „außerhalb seiner Dogmatik" diskutiert werden kann. Um zu zeigen, daß dieses Kriterium tatsächlich in juristischen Fachdiskussionen Bedeutung hat, seien zwei Beispiele aus der wissenschaftlichen Diskussion angeführt. In einem Fall hat man es nach Def. 4) mit einem D-dogmatischen Term zu tun, im anderen nicht. Gleichzeitig sollen die Beispiele verdeutlichen, was „voraussetzen" in Def. 4) bedeutet. Ein Beispiel für einen D-dogmatischen Term ist der Begriff der „Gewalt" in § 240 StGB. Dieser Term spielt bei der Erfassung jeder Art von „aggressiver Interaktion" eine große Rolle 6 5 0 . Um zu zeigen, warum dieser Term D-dogmatisch relativ zur Dogmatik des § 240 StGB ist und was unter „voraussetzen" im Sinne von Def. 4) zu verstehen ist, seien einige Beispiele angeführt, in denen dieser Term auf Objektbereiche angewendet wird: Die Situation, in der ein Autofahrer auf der Autobahn den vor ihm fahrenden PKW-Fahrer durch dichtes Auffahren dazu „bewegen" will, die Überholspur zu räumen, beurteilt Arzt wie folgt: „Vom Mittel (seil: Gewalt) aus betrachtet liegt . . . ein erheblicher Druck und insoweit eine empfindliche Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit vor" 6 5 1 . Krey beurteilt die Situation während des sog. „Fluglotsenstreiks", in der z.B. ankommende Flugzeuge stundenlang keine Landeerlaubnis bekamen und so gezwungen waren, Warteschleifen zu fliegen, folgendermaßen: „ I n Wirklichkeit aber war eine Landung ohne Erlaubnis vom Tower des Flughafens praktisch unmöglich (oder doch äußerst erschwert). Wenn aber eine Landung entgegen den Anweisungen des (Fluglotsen) Β nicht nur verboten, sondern technisch im Grunde nicht (ohne das Risiko einer Kollision) durchführ650

Keine Berücksichtigung innerhalb der folgenden Darlegungen findet die politische Dimension dieses Begriffs, die gegenwärtig offenbar darin besteht, bestimmte gesellschaftliche Gruppen zumindest verbal zu kriminalisieren. 651 G. Arzt, (Zweck), S. 830f.

IV.3 Dogmatik als Struktur

135

bar war, bedeutete das Verhalten des (Fluglotsen) Β letztlich nichts anderes als die Schaffung einer physischen Barriere" 652 . (Daher sei Nötigung mit Gewalt anzunehmen) 653 . Haffke attackiert die Definition des Gewaltbegriffs durch Knodel (Gewalt = absichtliche Vereitelung der Willensbetätigung) mit folgendem Beispiel (das auch für spätere Ausführungen noch Bedeutung haben wird): „Zwei Jurastudenten benötigen zur Anfertigung einer Hausarbeit aus der Universitätsbibliothek eine bestimmte Abhandlung. Der eine kommt dem anderen zuvor und leiht sich das Buch als erster aus. Hier ist dem zweiten die entsprechende Willensbetätigung unmöglich gemacht worden. Sofern der erste nur „absichtlich" gehandelt hat, läge nach Knodel Gewalt vor" 6 5 4 . Alle drei Beispiele sind Ausschnitte aus wissenschaftlichen Diskussionen, die sich um die Anwendbarkeit des Gewaltbegriffs des § 240 StGB auf unterschiedlichste Konfliktlagen drehen. Daß dieser Begriff - übrigens wiederum ein Relationsterm - nur im letzten Beispiel explizit auftaucht, hat etwas mit dem „Voraussetzen einer Dogmatik" im Sinne der Definition 4 zu tun: es ist nämlich offenbar so, daß alle drei Autoren über das Zutreffen des Terms „Gewalt" auf die angezielten Objektbereiche nur unter Zugrundelegung der Dogmatik des § 240 StGB entscheiden können 655 , d.h., da die Dogmatik der anderen Komponenten des § 240 StGB in den Beispielsfällen nicht in Frage steht, unter Zugrundelegung der Dogmatik des Gewaltbegriffs. Nur wenn vorausgesetzt wird, daß „Gewalt" im Sinne des § 240 StGB nicht nur körperliche Kraftwirkungen umfaßt, sondern nach der heutigen (überwiegenden) Meinung jede Form des physisch oder psychisch vermittelten Drucks zur Beeinflussung von Handlungsmöglichkeiten des Opfers 656 , wenn also, in der strukturalistischen Terminologie, mindestens eine erfolgreiche ( = konsentierte) Anwendung der Dogmatik vorausgesetzt wird, ist eine Aussage wie die von Arzt für den vorliegenden Fall überhaupt verständlich. Daß dies Juristen im Normalfall nicht bewußt wird, liegt an deren „D-dogmatischem Umgang" mit diesem Begriff. Ein Nichtjurist wäre dagegen nicht in der Lage, über das Vorliegen des Gewaltbegriffs in den drei Beispielsfällen dogmatisch zu diskutieren. Auch das Beispiel von Krey zeigt dieses Phänomen: Daß die „physische Barriere" Gewalt im Sinne des § 240 StGB darstellt, läßt sich voraussetzungs652

V. Krey, (Nötigung), S. 422; Hervorhebungen im Original. Hier liegt für den dogmatisch arbeitenden Juristen ein Einwand nahe: man könnte der obigen Darstellung vorwerfen, sie reduziere Dogmatik auf Rechtsanwendung und gehe über Begründungsleistungen dogmatischer Arbeit hinweg. Tatsächlich finden bisher Begründungen keine Berücksichtigung. Dies hat seinen Grund darin, daß Begründungen, wie sich später zeigen wird, eine eigene Komponente einer Dogmatik sind. 654 B. Haffke, (Gewaltbegriff), S. 51. 655 Es sollte klar sein, daß die Redeweise von der „Dogmatik des § 240 StGB" nur für den obigen intuitiven Kontext akzeptabel ist. 656 Vgl. zur Entwicklung dieses Begriffs etwa V. Krey, (Nötigung), S. 418ff.; Eser, in Schönke / Schröder, (StGB), Rn. 6ff. vor § 234. 653

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IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

los nicht aussagen. Vielmehr muß unterstellt werden, daß es mindestens einen Beispielsfall gibt, in der das „Errichten einer physischen Barriere" zutreffend als „Gewalt" klassifiziert worden ist. Haffke macht die Voraussetzung, unter der die Anwendung des Gewaltbegriffs diskutiert wird, explizit in der Form der „Dogmatik" dieses Begriffs namhaft. Man beachte, daß auch Haffke die Voraussetzung machen muß, daß es mindestens einen Fall gibt, in der eine „absichtliche Vereitelung der Willensbetätigungsfreiheit" als „Gewalt" klassifiziert werden kann. Ohne diese Voraussetzung wäre gar nicht verständlich, weshalb er, wie er es mit seinem fingierten Beispiel tut, die zu große Reichweite dieser (!) Definition kritisiert. Für die vorliegende Untersuchung muß es bei diesen kurzen Beispielen verbleiben. Def. 4) ist für den Gewaltbegriff nicht bewiesen, da hierzu eine Überprüfung aller Diskussionen über den Gewaltbegriff in § 240 StGB erforderlich wäre. Man kann jedoch begründet vermuten, daß Def. 4) für den Gewaltbegriff erfüllt ist. Bevor auf einen wichtigen Unterschied zwischen der Γ-Theoretizität einer physikalischen Funktion und der D-Dogmatizität eines juristischen Terms aufmerksam zu machen ist, sei noch ein Beispiel für einen nicht D-dogmatischen Term einer Dogmatik angeführt. D-nichtdogmatisch seien in Konkordanz zu Def. 4) jene juristischen Terme genannt, über deren Zutreffen auf einen bestimmten Objektbereich, über deren „Vorliegen in einem bestimmten Fall", diskutiert werden kann, ohne die Dogmatik, in der jener Term auftritt, als erfolgreich angewendet voraussetzen zu müssen. Ein Beispiel ist der Term „Vertrag" in §§ 54ff. VwVfG. Dogmatische Darstellungen oder Anwendungen der Dogmatik der §§ 54 ff. VwVfG verwenden den Term „Vertrag" „heteronom". D.h. die Darstellungen greifen auf die Dogmatik des Bürgerlichen Gesetzbuches zurück, um zu fixieren, wann ein öffentlichrechtlicher Vertrag vorliegt und wann nicht. Umgekehrt gesagt: es gibt keine dogmatiktypische Anwendung des Vertragsbegriffs relativ zur Dogmatik der §§ 54ff. VwVfG«*. Auch hier lassen sich Belege in der einschlägigen dogmatischen Literatur finden: Schwerdtfeger* 58 stellt seinen Ausführungen einige Fallgestaltungen voran und eröffnet daraufhin die dogmatische Diskussion mit der Prüfung, ob ein öffentlich-rechtlicher Vertrag vorliege. Seine (positive) Antwort auf diese Prüfung lautet: „Es muß sich um rechtsgeschäftliche Äußerungen der Parteien mit Bindungswillen handeln . . . " 6 5 9 (was in den beispielhaften Fällen gegeben sei). 657 Wohl aber gibt es die dogmatiktypische Differenzierung in koordinations- und subordinationsrechtliche Verträge, vgl. z.B. V. Götz, (Hauptprobleme), S. 1. 658 G. Schwerdtfeger, (Fallbearbeitung). 659 G. Schwerdtfeger, (Fallbearbeitung), S. 92 (Hervorhebungen i. Orig.).

IV.3 Dogmatik als Struktur

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Die Definition des öffentlichrechtlichen Vertrages als „rechtsgeschäftliche Äußerung mit Bindungswillen" ist dem Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches entnommen 660 . Daß der Vertragsbegriff des öffentlichen Rechts in der Tat keine Autonomie besitzt, wird von Rechtswissenschaftlern des öffentlichen Rechts auch klar gesehen und begründet. Man nimmt hier vielfach an, daß „Vertrag" ein „generelles" Konzept menschlicher Interaktion sei, das jeder spezialisierten Teilrechtsordnung übergeordnet sei, und lokalisiert es in einem für privates und öffentliches Recht gleichermaßen geltenden „Gemeinrecht" 661 . Stern 662 geht sogar davon aus, der „Vertrag" sei eine „Urform friedlichen menschlichen Zusammenlebens" 663 . Für die vorliegende Untersuchung ist festzuhalten, daß über das Vorliegen des Terms „Vertrag" im Rahmen einer Fallgestaltung des Objektbereichs „öffentlichrechtlicher Vertrag" offenbar entschieden wird, ohne auf die Dogmatik der §§ 54 ff. VwVfG zurückzugreifen 664 (wohl aber möglicherweise auf die Dogmatik der §§ 116ff. und 305ff. BGB !). Nach Def. 4 ist der Term „Vertrag" deshalb nicht D-dogmatisch (oder D-nichtdogmatisch) relativ zur Dogmatik der §§ 54ff. VwVfG. Um einen anderen Typ nicht D-dogmatischer Terme handelt es sich bei jenen Termen, die herkömmlich als „übergeordnete Prinzipien" oder „allgemeine Grundsätze" eingestuft werden und in zahlreichen Dogmatiken als Topoi auftauchen. Solche Terme sind etwa „Rechtsgüterschutz", „Vertrauensschutz" , „Interessenausgleich", „Verbraucherschutz", „informationelle Selbstbestimmung", „Normzweck" usw. Diese Terme, die Rechtswissenschaftler auch intuitiv als „nichtdogmatisch" auffassen, spielen im Rahmen einer Dogmatik eine ganz besondere Rolle, die weiter unten zur Sprache kommen wird. Es hat sich gezeigt, daß die Einteilung in Γ-theoretische (D-dogmatische) und Γ-nichttheoretische (D-nichtdogmatische) Terme auch im Bereich juristischer Dogmatiken offenbar möglich ist. Man kann vermuten, daß jede Dogmatik mehrere D-dogmatische Terme enthält. Welche rechtstheoretischen Konsequenzen dies hat und welche Antworten auf die Fragen X I I und X I I I 660 Vgl. etwa K. Larenz, (AT), S. 454: „Demnach erfordert der Vertrag grundsätzlich zwei Willenserklärungen der beiden Vertragspartner, die ... beide besagen, diese Regelung solle gelten. ... beide Erklärungen zusammen, in ihrer wechselseitigen Bezogenheit aufeinander, bilden ,das Rechtsgeschäft'." (Hervh. i. Orig.) 661 H. U. Erichsen / W. Martens, (Verwaltungshandeln), S. 230. 662 K. Stern, (Grundlegung). 663 K. Stern, (Grundlegung), S. 122. 664 Dagegen muß auf die Dogmatik der §§ 54ff. VwVfG zurückgegriffen werden, wenn über das Vorliegen eines koordinationsrechtlichen- oder subordinationsrechtlichen Vortrages entschieden werden muß, vgl. auch Fn. 657.

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IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

des rechtstheoretischen Fragenkatalogs 665 der Befund einer Differenzierungsmöglichkeit in D-dogmatische und D-nichtdogmatische Terme impliziert, wird unten Gegenstand der Untersuchung sein 666 . IV.3.3.3 Potentielle Modelle Mit der Differenzierung in D-dogmatische und D-nichtdogmatische Terme ist der Zugang zur Frage eröffnet, was man sich unter einem potentiellen Modell eines Dogmatikelements vorzustellen hat und ob diese Entitäten in real existierenden Dogmatiken eine eigenständige Bedeutung haben. Um dies zu diskutieren, sei auf die Definition des mengentheoretischen Prädikats „ist eine Drittschadensliquidation" zurückgegriffen 667 , das ja die mathematische Struktur des Dogmatikelements „Drittschadensliquidation" - mindestens näherungsweise - darstellt. Ein potentielles Modell dieses mengentheoretischen Prädikats ist nach der Sneed'schen Auffassung 668 eine Entität, in der alle Bestandteile des mengentheoretischen Prädikats mit Ausnahme der „eigentlichen" Axiome gelten, folglich ein Objektbereich, der mit dem theoretischen Vokabular des Prädikats zutreffend beschreibbar ist. Im Rahmen eines physikalischen Theorieelements bedeutet dies, daß Werte der Γ-theoretischen Funktion(en) festgelegt (d.h. in Γ-abhängiger Weise gemessen) werden 6 6 9 . Nach der hier gewählten Analogisierung handelt es sich bei einem potentiellen Modell eines Dogmatikelements um einen Objektbereich (eine „Fallkonstellation"), der mit dem D-dogmatischen Vokabular des Dogmatikelements zutreffend beschreibbar ist, bei dem aber noch nicht feststeht, ob auch das (die) eigentliche(n) Axiome(e) des Dogmatikelements erfüllt sind. Solche Entitäten sind also nicht einfach laienhafte Beschreibungen der Realität, sondern es sind durch das Hinzutreten D-dogmatischer Terme „qualifizierte" Zustandsbeschreibungen. Für DIO) bedeutet dies, daß potentielle Modelle des Dogmatikelements „Drittschadensliquidation" Entitäten sind, für die D10-1 bis D10-5 erfüllt sind, aber noch nicht notwendig D10-6. Es sind also, intuitiv gesprochen, Fallkonstellationen, in denen Geschädigter, Schädiger und Schaden (die offenbar D-nichtdogmatischen Terme) feststehen und bei denen, vorbehaltlich näherer dogmatischer Prüfung, eine Drittschadensliquidation in Frage kommt. Die Feststellung des letztgenannten Punktes setzt voraus, daß der D-dogmatische Term „Drittschadensliquidierung" (der in D10-5 vorkommt) zur adäquaten Beschreibung der Fallkonstellation verwendet werden kann. Das versteht sich weder von selbst, noch bedeutet dies, daß für den 665 Vgl. oben Abschn, II.6. 666 Vgl. unten Abschn. V.l. 667 Siehe oben DIO) (S. 126). 668 Dazu Abschn. III.3.3. 669 Vgl. oben namentlich S. 99.

IV.3 Dogmatik als Struktur

139

vorliegenden Fall tatsächlich die Liquidation des Drittschadens möglich ist. Die „qualifizierte" Beschreibung der Fallkonstellation mit dem D-dogmatischen Term „Drittschadensliquidierung" ist nur bei Objektbereichen möglich, in denen Geschädigter und Vertragspartner des Schädigers nicht identisch sind. Andererseits reicht es noch nicht aus, dies zu konstatieren. Hierzu ist zu prüfen, ob auch DIO-6 erfüllt ist, ob also jene „Unbilligkeit" der Unmöglichkeit normaler Liquidation des Schadens vorliegt. Die Hinzufügung des (der) D-dogmatischen Terms (Terme) eines Dogmatikelements zu einer D-nichtdogmatischen Beschreibung eines Objektbereichs bewirkt also eine „Verengung" des Blicks auf die (für das entsprechende Dogmatikelement) wirklich „interessanten" Fälle. Das aber ist exakt die Rolle, die die Γ-theoretischen Funktionen in physikalischen Theorieelementen spielen 670 . Auch in Dogmatikelementen handelt es sich bei potentiellen Modellen offenbar um Entitäten einer mittleren Prüfungsebene, um Objektbereiche also, deren Einzelheiten zwar „technisch qualifiziert" sind, aber deren genauerer „Zusammenhang" noch nicht überprüft ist. In der täglichen wissenschaftlichen und spruchrichterlichen Praxis sind derartige potentielle Modelle eines Dogmatikelements deshalb nichts anderes als Fallkonstellationen, die ernsthaft als „Fall des § Y " diskutierbar sind. In der Tat spielen im Sneed'schen Konzept die potentiellen Modelle eines physikalischen Theorieelements die gleiche (pragmatische) Rolle 6 7 i. Es scheint danach klar zu sein, daß es auch im Bereich juristischer Dogmatik möglich ist, von potentiellen Modellen zu sprechen. Dies ist mehr als nur eine Sprachregelung für eine Gruppe von Fallkonstellationen. Denn derartige Konstellationen spielen im Rahmen eines Dogmatikelements eine besondere Rolle, die namentlich in der juristischen Ausbildungsliteratur zum Tragen kommt. Man muß sich dazu vergegenwärtigen, daß ein potentielles Modell ja voraussetzt, daß das D-dogmatische Vokabular schon zur Anwendung gebracht wurde und nunmehr nur noch zu prüfen ist, ob dieses Vokabular auch den dogmatisch geforderten „Zusammenhalt" hat. Ist dieser „Zusammenhalt" (z.B. durch verknüpfende Relationen oder durch „allgemeine Grundsätze") herstellbar, so erhält man ein Modell des jeweiligen mengentheoretischen Prädikates 672 . Didaktisch eignen sich potentielle Modelle einer Theorie deshalb zum „Eintrainieren" des theoretischen Gerüstes. Durch Präsentation potentieller Modelle läßt sich im akademischen Unterricht abfragen, inwieweit das Vokabular der Theorie und die Anwendungsmöglichkeiten der Theorie verstanden wurden. Im akademischen Rechtsunterricht wird dies üblicherweise durch stark reduzierte Fallkonstellationen, „Sachverhalte", 670 Vgl. dazu nochmals S. 95f. 67 1 J. D. Sneed, (Physics), S. 17: "The entities, which are S0* s (i.e.: possible models, T. S.) are just those entities that it "makes sense" to claim to be S's (i.e. models, T. S.)." 672 Vgl. schon oben S. 95.

140

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

erreicht, die auch in akademischen Lehrbüchern häufig die Einleitung zu einem die „Dogmatik" vermittelnden Kapitel bilden. Dazu ein Beispiel aus dem Bereich der Drittschadensliquidation 673 : „Einen Anwendungsfall der Drittschadensliquidation hätte dagegen gebildet der Fall von Β G H Z 49, 350 ff.: M hatte von V Geschäftsräume in dessen Haus gemietet. V veräußerte das Grundstück an K. Danach kam es wegen einer schon beim Vertragsabschluß vorhandenen Rauchrohröffnung zu einem Brand. Dabei wurden in dem Geschäft außer Waren des M auch solche eines Dritten D zerstört. D verlangt von Κ Schadenersatz." Dieser Objektbereich ist in D-nichtdogmatischen Termen wie auch in dem typischen D-dogmatischen Term des Dogmatikelements „Drittschadensliquidation" beschrieben. Den D-dogmatischen Term „Drittschadensliquidierung" führt der Verfasser mit dem letzten Satz des „Sachverhalts" ein. Damit wurde ein potentielles Modell des Dogmatikelements präsentiert, das nun noch daraufhin überprüft werden kann, ob es sich auch um ein Modell des Dogmatikelements „Drittschadensliquidation" handelt (was man im vorliegenden Fall durchaus unterschiedlich beantworten kann). Als Objektbereiche einer „mittleren Prüfungsebene" eignen sich potentielle Modelle selbstverständlich auch zur Demonstration der „Reichweite" des theoretischen Gerüstes eines Dogmatikelements. Dies wird didaktisch dadurch erreicht, daß potentielle Modelle der theoretischen Struktur präsentiert werden, die sich entgegen dem ersten Anschein nicht als Modelle des Gerüstes herausstellen. Die Präsentation potentieller Modelle ist daher ein häufig verwendetes Mittel im akademischen Unterricht wie in Darstellungen von Dogmatiken. Auch hierzu ein Beispiel: zur Darstellung der Dogmatik der Weisungsgebundenheit der Beamten der Staatsanwaltschaft (§§ 146f. GVG) führt Gössel 674 folgenden Fall an: „Staatsanwalt Markant (M) hat in einem Meineidsfall die Ermittlungen abgeschlossen. Er ist von der Unschuld des Verdächtigen überzeugt und will einstellen. In dieser Situation erhält er aus dem Landesjustizministerium eine Weisung, anzuklagen. M will die Weisung nicht befolgen. ...". Die mit diesem Fall vorgeführte Konstellation ist ein potentielles Modell der Dogmatik der §§ 146f. GVG, da der Γ-theoretische Term dieser Dogmatik: „Weisung", bereits vorkommt 6 7 5 . Ob der beschriebene Objektbereich auch ein Modell der Dogmatik der §§ 146f. G V G ist, beantwortet Gössel wie folgt:

673

Es stammt aus: D. Medicus, (BR), Rn. 842. Κ. H. Gössel, (StrVR), S. 40. 675 Daß dies in der Tat der Γ-theoretische Begriff dieser Dogmatik ist, kann im Rahmen dieses Beispiels nicht präzise nachgewiesen werden. 67 4

IV.3 Dogmatik als Struktur

141

„Da die StA der Wächter des Gesetzes' ist, muß sie darauf achten, daß das Verhalten des Beschuldigten nur nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung beurteilt wird: § 261 (StPO) gilt folglich auch für die StA. Weisungen hinsichtlich bestimmter in der Hauptverhandlung zu stellender Anträge dürfen daher stets nur vorbehaltlich des Ergebnisses der Hauptverhandlung erteilt werden. ... Deshalb ist die in Fall 10 (die obige Fallkonstellation, T.S.) erwähnte Weisung unzulässig"676. IV.3.4 Partielle potentielle Modelle und intendierte Anwendungen einer Dogmatik Wie oben dargestellt 677 , sind partielle potentielle Modelle eines Theorieelements Objektbereiche, die ausschließlich mittels Γ-nichttheoretischen Vokabulars beschreibbar sind. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung dieser Modelle für physikalische Theorien rührt von der Notwendigkeit her, empirische Hypothesen zu formulieren, d.h. Hypothesen, die ohne den zirkulären Rückgriff auf die zu prüfende Theorie überprüfbar sein müssen 678 . Diese Notwendigkeit der Formulierung empirischer Hypothesen besteht im Rahmen juristisch-dogmatischen Arbeitens nicht. Dies bedeutet aber nicht, daß juristisch-dogmatisches Arbeiten ohne Größen auskommt, die einerseits einen bestimmten Ausschnitt aus der Realität beschreiben, andererseits noch nicht „theoretisch klassifiziert" sind, d.h. deren Einzelheiten noch nicht daraufhin überprüft sind, ob sie mit dem Vokabular der Dogmatik, die für diese Ausschnitte in Frage kommt, zutreffend beschreibbar sind. Intuitiv würde man diese Größen mit „umgangssprachlichen Beschreibungen" eines Sachverhalts identifizieren. Der hier vorgeschlagene theoretische Zugriff ist in gewisser Weise noch „liberaler" als diese Intuition: zulässig sind auch noch solche Sachverhaltsbeschreibungen, die von D-nichtdogmatischem Vokabular Gebrauch machen. In dem oben gewählten Beispiel der mengentheoretischen Darstellung der „Drittschadensliquidation" 679 (DIO), wären die fraglichen Größen, die man als die „partiellen potentiellen Modelle" einer Dogmatik kennzeichnen kann, wie folgt charakterisierbar: Dil)

q E Mpp (D) ist ein partielles potentielles Modell der Drittschadensliquidation gdw 1) q = (G, V„ Vj). 2) G ist die Menge derjenigen, die geschädigt sind, aber keinen Anspruch gegen V, haben. 3) V, ist die Menge der Schädiger, die aber nicht Vertragspartner von G sind.

67 6

K. H. Gössel, (StrVR), S. 41. Vgl. oben Abschn. III.3.4. 67 8 Vgl. oben Abschn. III.3.4. 679 Vgl. oben S. 126.

677

142

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

4) V a ist die Menge der Vertragspartner von V s, die zugunsten der Menge G Ansprüche gegen V s geltend machen680. D11) ist mit D 1 0 - 1 bis D10-4 bis auf eine Ausnahme identisch: die Relation „ => " kommt nicht mehr vor, da sie die D-dogmatische Größe dieser Dogmatik ist. Dagegen kommen durchaus Begriffe vor, die vermutlich relativ zu anderen Dogmatiken durchaus dogmatisch sind (etwa „Anspruch", „Schädiger" oder „Vertrag"), jedoch relativ zur Dogmatik der Drittschadensliquidation D-nichtdogmatisch. Ein q, d.h. ein „Sachverhalt", der mittels D 1 1 - 1 bis D i l - 4 zutreffend beschreibbar ist, ist ein partielles potentielles Modell der Dogmatik der Drittschadensliquidation. Im Rahmen juristischer Dogmatiken wird von partiellen potentiellen Modellen außerordentlich häufig Gebrauch gemacht, nämlich stets dann, wenn dogmatische Hypothesen oder dogmatische Behauptungen formuliert werden. Dogmatische Hypothesen und dogmatische Behauptungen unterscheiden sich strukturell nicht voneinander. Es handelt sich um Aussagen des Typs V I I ) , also um Aussagen der Form q ist ein D oder präzisiert nach der in D11 gewählten Notation: Vir)

q E M pp (D) ist ein D

Dogmatische Hypothesen bzw. dogmatische Behauptungen sind also, allgemein gesprochen, juristische Sätze, die von einem bestimmten Sachverhalt aussagen, er sei einer bestimmten Dogmatik („einer Norm") subsumierbar. Solche Aussagen können in Hypothesenform oder in Behauptungsform auftauchen. Im ersten Fall wird vermutet, daß der beschreibbare Objektbereich ein „Fall des § X " (korrekt: ein Fall der Dogmatik des § X) ist, im zweiten Fall wird dies festgestellt. Diese Distinktion ist übrigens in der akademischen Ausbildung besser bekannt als die Dichotomie „Gutachtenstil X Urteilsstil". Sätze der Form V I I ) - und zwar in der Variante der dogmatischen Behauptungen stellen etwa die sog. „Leitsätze" publizierter Gerichtsentscheidungen dar. Eine willkürliche Auswahl solcher Urteilspublikationen aus einer juristischen Fachzeitschrift mag dies belegen: G l ) „Ein teilweises Erziehungsversagen des sorgeberechtigten Elternteils . . . führt nicht notwendig zum Entzug des Sorgerechts" 681 .

680

Zu den Abkürzungen vgl. oben a.a.O. M PP(D) sei als Abkürzung für „partielle potentielle Modelle der Drittschadensliquidation" gewählt. 681 BGH, NJW 1985, 1702.

IV.3 Dogmatik als Struktur

143

G2) „Eine Klausel, die auch bei unverschuldetem Rückstand mit zwei Ratenzahlungen einer Unterrichts Vergütung die Restschuld fällig stellt, ist nach § 9 I A G B G unwirksam" 682 . G 3) „Eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren kann auch dann nach § 56 I I StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn daneben gem. § 41 StGB eine Geldstrafe festgesetzt worden ist" 6 8 3 . G4) „Ein Kläger war nicht ohne Verschulden i.S. von § 60 I VwGO gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten, wenn sein Prozeßbevollmächtigter die wenige Tage vor Fristablauf als einfachen Brief zur Post gegebene Berufungsschrift mit einer unvollständigen Anschrift (ohne Straßenangabe oder Postfachnummer) an das V G gesandt hat" 6 8 4 . In all diesen Fällen wird - in stark geraffter Form - ein „Lebenssachverhalt" geschildert, von dem ausgesagt wird, er falle (oder falle nicht) unter ein Gesetz. In der hier eingeführten Terminologie formuliert heißt dies, daß ein Objektbereich als Modell einer Dogmatik (bzw. als kein Modell) behauptet wird. Daß derartige dogmatische Behauptungen oder Hypothesen den empirischen Aussagen der Physik 685 entsprechen, also Aussagen über partielle potentielle Modelle machen (und nicht über potentielle Modelle), ersieht man, wenn man etwa G2) durch folgende Aussage ersetzt: G2') „Eine Klausel, die auch bei unverschuldetem Rückstand von Ratenzahlungen einer Unterrichtsvergütung die Restschuld fällig stellt und den Vertragspartner dadurch unangemessen benachteiligt, ist nach § 9 1 A G B G unwirksam. " Intuitiv würde man G2') als „juristisch deutlicher", bzw. „fortgeschrittener" bezeichnen. G2' unterscheidet sich von G2 durch Hinzufügung eines Terms, nämlich den der „unangemessenen Benachteiligung", von dem vermutet werden kann, daß es sich um den D-dogmatishen Term der Dogmatik des § 9 A G B G handelt 686 . Durch diese Hinzufügung entsteht ein theoretisches Gerüst, das zum einen komplexer auf „Realität" anwendbar ist und zum anderen eine vermutlich kleinere Anzahl von „Fallkonstellationen" zu erfassen vermag. Präziser: Für die Extensionen der Ausssagen G 2 und G 2', für Ex(G2) und Ex(G2') gilt sicherlich Ex (G2 ; ) Ç Ex (G2); 682 BGH, NJW 1985, 1705. 683 BGH, NJW 1985, 1719. 684 y GH Kassel, NJW 1985,1723. 685 Wobei „empirisch" hier nicht intuitiv, sondern in dem von Sneed präzisierten Sinn gemeint ist. 686 Wogegen der Term „Treu und Glauben" wegen § 242 BGB relativ zu § 9 AGBG zweifellos nicht theoretisch ist.

144

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

zudem erfordert die Anwendung der Struktur G2' auf eine „Fallkonstellation" eine zusätzliche und schwierigere Prüfung gegenüber der Anwendung von G2. Das Verhältnis zwischen Ex(G2) und Ex(G2') entspricht somit genau den Verhältnissen, die nach Sneed zwischen partiellen potentiellen Modellen und potentiellen Modellen bestehen 687 . Denn die Extensionen der beiden Aussagen sind nichts anderes als Sachverhalte in der Realität, also Modelle (für G2 oder G2'). Die Ergänzung von G2 um einen theoretischen Term führt weiterhin dazu, daß die Menge der Modelle von G2 mit der Menge der Modelle von G2' allenfalls identisch, höchstwahrscheinlich jedoch größer ist 6 8 8 . Von Bedeutung ist nun, daß G2' kaum als juristische Hypothese aufgefaßt würde. Da G2' den „zentralen Begriff" (den Γ-theoretischen Term) des § 9 A G B G schon als vorliegend feststellt, drückt G 2' nur noch eine juristische Bewertung aus. Darüber hinaus enthält G2' im ersten Teil der Aussage keine „reine" Sachverhaltsbeschreibung mehr 6 8 9 . Vielmehr setzt schon die Feststellung des ersten Aussageteils eine „§ 9 AGBG-typische" Prüfung voraus, nämlich die, ob eine „unangemessene Benachteiligung" vorliegt. Diese Frage ist unabhängig von § 9 A G B G nicht zu beantworten. In G 2 kann dagegen der erste Satzteil ohne Rückgriff auf § 9 A G B G überprüft werden. A l l dies spricht dafür, als juristische Hypothese solche Aussagen aufzufassen, die von einem unabhängig von der angezielten Dogmatik(Norm) feststellbaren Lebenssachverhalt aussagen, er unterfalle eben jener Dogmatik(Norm). Juristische Hypothesen sind damit Aussagen über partielle potentielle Modelle 6 9 0 . Von diesen wird in einer juristischen Hypothese (oder einer juristischen Behauptung) ausgesagt, sie seien Modelle der Dogmatik X 6 9 1 . Man kann diesen Aussagetypus als „quasi-empirisch" kennzeichnen 6927693 . Die Menge der intendierten Anwendungen einer Dogmatik zu fixieren, ist danach trivial: wie in physikalischen Theorien gilt hier / Ç M pp , d.h. die Menge der intendierten Anwendungen ist allenfalls gleich groß, vermutlich aber kleiner als die Menge der potentiellen Modelle eines Dogmatikelements. Inhaltlich ist die Menge I auch für Dogmatiken so deutbar, wie dies 687 Vgl. oben Abschn. III.3.4. 688 Zu den Modellen von G2 zählen nämlich zusätzlich all jene Sachverhalte, in denen trotz Fälligstellung der Restschuld keine unangemessene Benachteiligung vorliegt, etwa weil der Unterrichtsvertrag ungewöhnlich günstige Konditionen vorsieht. 689 G2 ist dies trotz des Vorkommens des Terms „unverschuldet" durchaus, da nicht verlangt wird, daß der Objektbereich mit „empirischem" Vokabular beschreibbar ist. Vgl. a. Fn. 690. 690 Man beachte, daß M pp keine im naiven Sinn „beobachtbaren" Größen enthält. 69 1 Vgl. schon oben S. 125 und S. 127. 692/693 Vgl. schon S. 125.

IV.3 Dogmatik als Struktur

145

oben für die Menge I eines physikalischen Theorieelements ausgeführt wurde: I ist eine Menge von (quasi-)empirischen Sachverhalten, die von Wissenschaftlern oder Rechtsanwendern für die Anwendung einer bestimmten Dogmatik ausgewählt wurden oder werden. Die Selektionskriterien, nach denen diese Wahl stattfindet, sind pragmatischer Natur: ein Rechtswissenschaftler kann solche „Sachverhalte" auswählen, um bestimmte dogmatische Einzelprobleme möglichst plakativ darzustellen. Im akademischen Rechtsunterricht können bestimmte Sachverhaltskonstellationen ausgewählt werden, um dogmatische Abgrenzungen vorzuführen. Ein rechtsanwendender Staatsanwalt, der beabsichtigt, hinsichtlich eines ihm bekanntgewordenen Tatkomplexes Anklage zu erheben, setzt gleichfalls aus der Summe der Daten einen „Sachverhalt" zusammen, den er auf das Vorhandensein von Straftaten hin untersucht. Die Beispiele zeigen, daß es keine Rolle spielt, ob „Sachverhalte" erfunden werden oder sich tatsächlich abgespielt haben. Jeder schriftlich fixierte Vorgang kann für eine Dogmatik zu einer intendierten Anwendung werden. I ist aus diesem Grund auch eine Menge, die logisch nur insoweit determiniert ist, als es sich um eine (unechte) Teilmenge der Menge der partiellen potentiellen Modelle handelt. Mehr kann von ihr nicht ausgesagt werden. IV.3.5 Das Verhältnis von potentiellen Modellen zu partiellen potentiellen Modellen in juristischen Dogmatiken Kurz zu diskutieren ist noch, ob das Verhältnis der potentiellen Modelle zu den partiellen potentiellen Modellen über die mengentheoretische Relation M pp Ç Μ ρ hinaus in dogmatischen Theorien der Jurisprudenz analoge Charakteristika aufweist wie in empirischen Theorien. Wie oben ausgeführt 694 , sind potentielle Modelle im Kern nichts anderes als partielle potentielle Modelle, die um ein bestimmtes theoretisches „Vokabular", nämlich theoretische Funktionen, ergänzt sind. Potentielle Modelle werden im Rahmen empirischer Aussagen nur benötigt, um auf die Eigenständigkeit solcher Objektbereiche in der empirischen Forschung hinzuweisen, in denen eine bestimmte Γ-theoretische Größe zumindest „feststellbar" ist (meßbar, beobachtbar). Umgekehrt entsteht ein m E M p p durch Anwendung einer algebraischen Restriktionsfunktion r auf ein η E M p . Ein solches Eliminationsverfahren ist notwendig, um das Auftauchen Γ-theoretischer Größen in empirischen Hypothesen zu verhindern 695 . Die Methode dieser Elimination ist - wie oben gezeigt wurde 696 - ein 694 Vgl. Abschn. III.3.4. 695 Vgl. Abschn. III.3.4, bes. S. 99f. 10 Schlapp

146

I V Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

algebraisches Umformungsverfahren, bei dem die theoretische Größe nach konventionellen Regeln der Algebra nach den nichttheoretischen Größen hin „aufgelöst" wird 6 9 7 . Es wäre nun vorschnell, wollte man mit dem Hinweis auf den nichtempirischen Charakter juristischer Dogmatiken auf die Entbehrlichkeit eines Eliminationsverfahrens und damit auf die Überflüssigkeit der dieses Verfahren charakterisierenden Restriktionsfunktion r 6 9 8 schließen. Daß diese Restriktionsfunktion - die je nach Theorie variiert! - auch für dogmatische Hypothesen bzw. Behauptungen eine Bedeutung haben müßte, folgt bereits aus einer theoretischen Einsicht in das Gefüge der Sneed'schen Metatheorie: wie oben gezeigt 699 , entsteht ein η Ε M p aus einem m E M p p durch ein theoretisches Ergänzungsverfahren. Die Restriktionsfunktion r, deren Definitionsbereich M P und deren Wertebereich M pp ist 7 0 0 , ist nichts anderes als die Umkehrfunktion dieser Ergänzungsfunktion. Sofern also ein m E Mpp mittels der Ergänzungsfunktion E(m) zu einem η Ε M p ergänzt werden kann, ist es durch Anwendung der Restriktionsfunktion r(n) auch wieder per Reduktion herstellbar 701 . Nun wurde oben bereits gezeigt 702 , daß auch in dogmatischen Theorien potentielle Modelle in gewissem Sinn als „Verschärfungen" der partiellen potentiellen Modelle deutbar sind, nämlich als jene Entitäten, die durch ein D-dogmatisch angereichertes mengentheoretisches Prädikat korrekt beschreibbar sind. Die Funktion r wäre deshalb die Umkehrung dieser „Verschärfung", eine „Abschwächung" also 703 , durch die die D-dogmatischen Elemente eines mengentheoretischen Prädikats „eliminiert" werden.

696

Vgl. im Abschn. III.3.5 das Beispiel S. 105 und/. D. Sneed, (Physics), S. 43. Es ist nochmals daran zu erinnern, daß dieses Eliminierungsverfahren möglicherweise nicht durchführbar ist. Im Gegensatz zum Carnap'schen Konstitutionssystem (R. Carnap, (Aufbau)) ist dies jedoch kein epistemologisches Problem mehr, sondern nur noch ein algebraisches. 698 Vgl. dazu S. 100. 699 Vgl. S. lOOf. 700 Vgl. oben S. 100. Die Funktion hat die Form 697

r : Μ ρ —> Mpp 701 Man beachte, daß dieses Reduktionsverfahren nicht mit dem Eliminationsverfahren für theoretische Funktionen identisch ist: r eliminiert nicht singuläre theoretische Größen, sondern kennzeichnet nur eine Abbildung von M p auf M pp. r reduziert also nicht theoretische auf nichttheoretische Aussagen, sondern „engere" mengentheoretische Prädikate auf „weitere", nämlich solche, die keine Definitionsbestandteile mit theoretischen Größen mehr aufweisen. 702 Vgl. Abschn. IV.3.3.3 und IV.3.3.4. 703 H. Göttner ! J. Jacobs, (Bau), S. 35 bezeichnen die Anwendung der r-Funktion auch als „Abschwächungsverfahren".

IV.3 Dogmatik als Struktur

147

Ein solches Verfahren ist trivial dadurch zu verwirklichen, daß die „verschärfenden" Definitionsbestandteile - in dem oben gewählten Beispiel D I O 7 0 4 also DIO-6 und D10-5 - schlicht weggelassen werden. Man erhält damit eine Struktur, deren Modelle partielle potentielle Modelle der (verschärften) Struktur 705 DIO sind, nämlich die Struktur D i l 7 0 6 . Semantisch gesehen entspricht das „Wegstreichen" der „verschärfenden" Definitionsbestandteil dem „Wegstreichen" der (des) D-dogmatischen Terme(Terms) einer expliziten Beschreibung eines potentiellen Modells. Etwa: B i : „Der Student S entleiht von seinem Vater V für eine Wochenendreise nach Hamburg einen Koffer. Dieser Koffer . . . wird aus dem von S in der Pension des Wirtes W gemieteten ordentlich verschlossenen Zimmer gestohlen. Der Täter bleibt unbekannt/ S möchte den Drittschaden des V bei W liquidieren. B 2 : Entspricht B i bis auf den mit „ * " gekennzeichneten Satz. Dieser lautet hier: „Schadenersatzansprüche des S gegen W ? " 7 0 7 . In Β 2 taucht der die Dogmatik der Drittschadensliquidation kennzeichnende D-dogmatische Begriff der „Drittschadensliquidierung" nicht mehr auf. (Andere D-dogmatische Terme der Dogmatik der Drittschadensliquidation tauchen ebenfalls nicht auf.) Der Unterschied von B 2 zu B x besteht nun zwar darin, daß ein bestimmter Term nicht mehr vorkommt; aber außer der schon oben 708 hervorgehobenen Tatsache, daß B i juristisch „fortgeschrittener" zu sçin scheint als B 2 , existiert im Gegensatz zu der Situation in empirischen Theorien kein theoretischer Zwang zur Eliminierung eines D-dogmatischen Terms, sofern man juristische Hypothesen aufstellen will. Dies ist zu erläutern: Das Eliminationsverfahren T-theoretischer Terme zur Formulierung empirischer Theorien in der von Ramsey und Sneed gewählten Form war notwendig, um den Empirieanspruch physikalischer Behauptungen zu sichern. Diese Elimination stellt deshalb ein wissenschaftstheoretisches Obligat für alle Wissenschaften dar, die den Anspruch erheben, empirisch prüfbare Hypothesen auf der Grundlage einer theoretischen Struktur zu entwerfen. Ein vergleichbares 704 Siehe oben S. 124. 705 Verschärft deshalb, weil in der Regel gilt

Ex (D10-1 bis D10-4) C Ex (D10-1 bis D10-5) (wobei Ex wiederum als Kürzel für „Extension" stehe). 706 Vgl. S. 141 f. 707 Leicht modifiziertes Beispiel von D. Medicus, (Ges. Schuldverhältnisse), Fall 110 (S. 92). 7 °8 Siehe S. 205ff. 1*

148

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

wissenschaftstheoretisches Obligat zur Formulierung juristischer Hypothesen gibt es nicht. Sowohl B i 7 0 9 als auch B 2 , also Aussagen über potentielle wie über partielle potentielle Modelle einer dogmatischen Struktur, sind, ohne in ein theoretisches Dilemma zu geraten, als juristische Hypothesen qualifizierbar. Anders formuliert: im Gegensatz zur Situation in den empirischen Wissenschaften ist B i nicht etwa schon deshalb nicht als juristische Behauptung zu qualifizieren, weil sie einen D-dogmatischen Term enthält. Was als juristische Hypothese zu bezeichnen ist, läßt sich also nicht daran erkennen, ob eine Aussage über partielle potentielle Modelle oder über potentielle Modelle einer theoretischen Struktur vorliegt. Auf ein wissenschaftstheoretisches Schlagwort gebracht: es gibt kein dem Empiriekriterium vergleichbares „Dogmatikkriterium" der Rechtswissenschaften. Damit entfällt ein theoretisch begründbarer Zwang, zur Formulierung juristischer Hypothesen einen dem Ramsey-Sneed-Eliminierungsverfahren vergleichbaren Weg beschreiten zu müssen. Daß juristische Hypothesen und Behauptungen allerdings typischerweise Aussagen über partielle potentielle Modelle sind 710 , hat dennoch Gründe. Diese Gründe sind aber nicht wissenschaftstheoretischer, sondern pragmatischer und didaktischer Natur. Der pragmatische Grund, partielle potentielle Modelle zur Formulierung juristischer Hypothesen zu verwenden, liegt in dem größeren „Neuigkeitswert" derartiger Aussagen gegenüber den vergleichbaren Aussagen mit potentiellen Modellen. Dazu muß man sich zunächst vergegenwärtigen, daß juristische Hypothesen, sofern sie in der modelltheoretischen Sprache des Sneed'schen Vokabulars formuliert werden, Aussagen folgender Art sind: Vjc (x E M pip)

Α Λ: Ε M)

711

d.h. es handelt sich um Aussagen, die von (partiellen) potentiellen Modellen aussagen, daß sie Modelle einer Dogmatik seien. Da nun im Regelfall gilt: M pp D Μ ρ, ist die Wahrscheinlichkeit, unter den partiellen potentiellen Modellen ein Modell zu finden, geringer, als unter der Menge der potentiellen Modelle. Ist dies aber so, gilt also bezüglich der Wahrscheinlichkeiten P(M) (die Wahrscheinlichkeit des „Auftretens" eines Modells) in den Mengen M p und Mn„ die Relation 709

In die Form einer Hypothese gebracht, lautet B\\ „Der Student S ... usw. ... S kann von V den Drittschaden des W liquidieren." B2 erhält die Form: „(Wie B\) ... S hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen W." 710 Dies wurde oben in Abschn. IV.3.4 behauptet. 711 Vgl. oben die Ausführungen zu den empirischen Aussagen in der Ramsey-Sneed Form, Abschn. III.3.3 und III.3.4. Entfernt wurde der Einbau der theoretischen Ergänzungen (E(Jt, y)), da diese, wie gezeigt, nur bei physikalischen (empirischen) Hypothesen zwingend sind.

IV.3 Dogmatik als Struktur

p(M)

> Mp

149

ρ (M) Mpp

so gilt nach den Grundsätzen der statistischen Informationstheorie für den Informationswert der Aussagen I(M) relativ zu M p und M pp die Relation I(M)

> Mpp

ρ (M) Mp

wegen des informationstheoretischen Grundgesetzes 1(A) = - Id ρ (A) 712. Einfacher formuliert: je unwahrscheinlicher ein Ereignis (A) ist, desto größer ist der Nachrichtenwert derjenigen Aussage, die den Eintritt dieses Ereignisses behauptet. Kombiniert man diese informationstheoretischen Grundlagen mit der Form der juristischen Hypothesen in der Sneed-Variante, so ist klar, daß der Nachrichtenwert einer Aussage, die von einem partiellen potentiellen Modell (einer Dogmatik) behauptet, es stelle (auch) ein Modell der betreffenden Dogmatik dar, höher ist als diejenige Aussage, die dies von einem potentiellen Modell behauptet. Dies deckt sich mit einer intuitiven Erkenntnis: Daß sich „reine", d.h. ohne D-dogmatisches Vokabular beschreibbare, Sachverhalte unter eine Dogmatik subsumieren lassen, ist stets überraschender, als „technisch", d.h. mittels des typischen D-dogmatischen Vokabulars, beschreibbare Fallkonstellationen. Dies hängt einfach mit der oben bereits erwähnten Tatsache zusammen, daß eine „D-dogmatische" Beschreibung eines Sachverhalts - und dies heißt nichts anderes als die Beschreibung eines potentiellen Modells - zusätzliche Prüfungen erfordert, die das Überraschungsmoment sukzessive reduzieren. Der didaktische Grund, juristische Hypothesen mittels partieller potentieller Modelle zu formulieren, liegt in der induktiven Art des Wissenserwerbs: technisches Wissen wird, im juristischen Studium nicht anders als im Physikstudium, „am Fall" erlernt. D.h. dem Lernenden wird ein begrenzter Objektbereich präsentiert, den er mittels eines speziellen Instrumentariums - einer theoretischen Struktur - zu erfassen erlernen soll. Er erlernt also, wie sich ein Teil der Welt unter einem besonderen sprachlichen Blickwinkel darstellt 713 . Anders: Teile der Welt werden „neu benannt". Dieser Lerneffekt tritt ein, wenn die Teile der Welt zunächst einmal in einer dem Lernenden bekannten 712 Grundsatz von Shannon / Weaver. Vgl. zu alldem S. Maser, (Kommunikationstheorie), S. 144 ff. 713 Der gelegentlich vorgetragene Einwand, Rechtsdogmatik (oder Rechtswissenschaft allgemein) blende „Realität" aus, betrifft deshalb ein unvermeidbares wissenschaftstheoretisches Phänomen jeder Vokabularanwendung.

150

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

Sprache beschrieben werden und die „Neubenennung" danach eingeführt wird 7 1 4 . Dies setzt voraus, daß der neu zu strukturierende Objektbereich auch mittels eines anderen, möglicherweise weniger präzisen, Vokabulars beschreibbar ist. Derartige Beschreibungen aber entsprechen jenen der partiellen potentiellen Modelle. Fragen oder Hypothesen, die sprachliches Neuland erschließen sollen, werden deshalb mittels solcher Beschreibungen partieller potentieller Modelle formuliert. IV.3.6 Constraints IV. 3.6.1 Grundlagen Wie oben ausgeführt handelt es sich bei den Constraints mengentheoretisch gesehen um Teilklassen der Potenzmenge der Menge potentieller Modelle eines Theorieelements. Algebraisch gesehen handelt es sich um Beschränkungen des Werte Verhaltens von Funktionen. Nun ist von vornherein klar, daß es eine direkte Übertragbarkeit des algebraischen Charakters von Constraints auf D-dogmatische und D-nichtdogmatische Terme einer Dogmatik bei der Mehrzahl dogmatischer Terme nicht geben kann. Denn dogmatische Terme sind - in der Regel 715 - nichtnumerische Konzepte, deren Vorliegen innerhalb eines bestimmten Objektbereichs nicht errechnet (Γ-theoretisch „gemessen") werden kann. Ob ein dogmatischer Term innerhalb eines Objektbereichs „gegeben" ist oder nicht, ist also keine Frage algebraischer Rechenoperationen, sondern ein Ergebnis einer situativen Fixierung, eines regelgeleiteten Wertungsakts 716 . Es kann sich also nur darum handeln, in juristischen Dogmatiken Elemente zu finden, die funktionale Äquivalente Sneed'scher Constraints darstellen. Um zu sehen, daß es derartige Elemente tatsächlich gibt, bedarf es einer kurzen Rekapitulation der Funktion von Constraints 717 .

714 Für diese Art der induktiven Einführung in theoretische Strukturen finden sich zahlreiche Beispiele in der Lehrbuchliteratur. In der Rechtswissenschaft etwa bei J. Baumann, (AT), in der Physik etwa bei G. Falk / W. Ruppel, (Mechanik). 715 Eine Ausnahme bilden die sog. „operationalisierbaren" dogmatischen Terme, jene „Begriffe" also, deren Vorliegen empirisch festgestellt und numerisch ausgedrückt werden kann. Daß es solche „Begriffe" gibt, dürfte unbestritten sein. Beispiele sind etwa der Begriff der „Fahruntüchtigkeit" in der Dogmatik des § 316 StGB, der durch einen numerischen Β AK-Wert fixiert ist, und der Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkung" in der Dogmatik des BImSchG, der emissionsspezifisch durch Emissionsgrenzwerte angebbar ist. Vgl. zum theoretischen Problem etwa/. Klüver, (Begriffsbildung), S. 371 ff.; R. Mayntz / K. Holm / P. Hübner, (Methoden), S. 18ff. 716 Wobei als Regel selbstverständlich auch der „Sprachgebrauch" einer Dogmatik fungiert! 717 Vgl. oben Abschn. III.3.5.

IV.3 Dogmatik als Struktur

151

Constraints fungieren als „Querverbindungen" zwischen den einzelnen Modellen eines Theorieelements. Dabei „erfüllt" einerseits jedes einzelne Modell die Bedingungen des (der) Constraints; andererseits muß jede beliebige Kombination der zu Modellen ergänzbaren potentiellen Modelle das (die) Constraint(s) erfüllen (letzteres wird durch die Bedingung zum Ausdruck gebracht, daß die Menge der Constraints die unechte Teilmenge der Potenzmenge der Menge potentieller Modelle sein muß). Sehr allgemein gesprochen sorgen Constraints für einen gemeinsamen „Bezugsrahmen". Dabei ist zu beachten, daß weder jede Theorie die gleichen Constraints aufweisen muß, noch, daß ein Wissenschaftler gezwungen ist, ein Constraint in jeder Theorie zu „verwenden". (So kann es sich als zweckmäßig erweisen, innerhalb bestimmter Theorieelemente das Identitätsconstraint aufzugeben.) Dies bedeutet auch, daß Constraints kein Teil der theoretischen Struktur eines Theorieelements sein können, obgleich sie in der gleichen Sprache formulierbar sind 718 . Gesucht sind also Elemente einer juristischen Dogmatik, die funktionale Äquivalente zu Sneed'schen Constraints in physikalischen Theorien darstellen, d.h. Elemente, die drei Bedingungen zu erfüllen haben: a) sie müssen in existierenden Darstellungen einer juristischen Dogmatik vorfindbar sein; b) sie müssen in der Sprache der Dogmatik formulierbar sein, ohne deren Struktur anzugehören; c) sie müssen „Querverbindungen" der oben genannten Art zwischen den potentiellen Modellen der Dogmatik herstellen und in jedem Modell der Dogmatik „erfüllt" sein. Diese Elemente (die eine Antwort auf die oben gestellten Fragen I I I erlauben 7 1 9 ), stellen nach meiner Ansicht jene Aussagen dar, die bisher noch überhaupt keine Berücksichtigung gefunden haben: nämlich die zur Begründung dogmatischer Entscheidungen herangezogenen Sätze. Die im Folgenden zu belegende These lautet also, daß bestimmte Formen juristischer Argumente die Rolle der Constraints spielen. IV. 3.6.2 Kontrastierung

zur juristischen Argumentationstheorie

Da sich in den letzten Jahren eine verhältnismäßig breite Diskussion um die Typik juristischer Argumentationen entwickelt hat 7 2 0 , verzichte ich auf die 718

Dies zu betonen versäumt Sneed freilich, wenn er etwa das Identitätsconstraint sprachlich durch das Symbol (= ; =) repräsentiert. Der Theoriesprache adäquat wäre vielmehr die Symbolik/(*,) = const, für alle χ E DT. 719 S. oben Abschn. II.6.

152

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

Einführung eines eigenständigen Vokabulars und versuche stattdessen, diejenigen Begründungstypen, die als Constraints in Dogmatiken fungieren, in den Rahmen des bestehenden argumentationstheoretischen Vokabulars einzupassen oder von diesem abzugrenzen. Ich werde daher im Folgenden zwischen einer internen und einer externen Begründungsebene unterscheiden und gemäß der eingeführten Definition 7 2 1 unter der internen Begründung das deduktive und nach rein logischen Kriterien überprüfbare Schema verstehen, das herkömmlich unter dem Stichwort „Syllogismus" bekannt ist 7 2 2 und unter der externen Begründung jene Rechtfertigungen, die ihrerseits die Begründungsprämissen der internen Begründung legitimieren sollen 723 . Außerdem sei für die folgenden Ausführungen zwischen einer innovativen und einer konservativen Anwendung einer Dogmatik unterschieden; eine konservative Anwendung heiße dabei eine interne Rechtfertigung, die sich ausschließlich bereits existierender Begründungsprämissen bedient, innovative Anwendung eine Rechtfertigung, in deren Prämissenmenge mindestens eine neue - am Fall entwickelte - Prämisse auftaucht. Es ist anzunehmen, daß der gesuchte Argumenttyp im Bereich der externen Rechtfertigung (des Nebenschemas) zu finden ist 7 2 4 . Denn Constraints verknüpfen einzelne Anwendungen eines Theorieelements, so daß die fraglichen Argumenttypen auch einzelne Anwendungen eines Dogmatikelements verknüpfen müssen. Es muß sich also um Begründungen handeln, die die Anwendung eines Dogmatikelements legitimieren 725 . Eine solche Begründung hat die Form BEGR (P D\ i E I D) , wobei P d für das mengentheoretische Prädikat des in Abschn. IV. 3.2 erörterten Typs stehe und i E Id für eine singuläre intendierte Anwendung der Dog720 Vgl. etwa den Band von W. Hassemer / A. Kaufmann / U. Neumann, (Argumentation). 721 Sie findet sich etwa bei R. Alexy, (Argumentation), S. 273 u. S. 283 u. U. Neumann, (Argumentationslehre), S. 8. 722 Wobei hier wie im Folgenden die namentlich von H. J. Koch und H. Rüßmann in (Begründungslehre), § 6 verfeinerte Darstellung eines Syllogismus zugrundegelegt wird, in der eine Rechtsfolge aus einem Tatbestand unter Zwischenschaltung einer Menge von Interpretationsprämissen gewonnen wird. 723 Vgl. R. Alexy, (Argumentation), S. 283 und H. J. Koch, (Projekt), S. 65. Koch und Rüßmann bezeichnen diese beiden Begründungstypen als „Hauptschema" und „Nebenschema" einer juristischen Rechtfertigung. 724 Diese Erkenntnis deckt sich mit dem Befund der juristischen Argumentationstheorie, die externe Rechtfertigung sei der „eigentliche" Ort rechtlicher Rechtfertigung, vgl. etwa A. Aarnio / R. Alexy / A. Peczenik, (Foundations). 725 Da nach der hier vorgeschlagenen Sichtweise die „semantischen Interpretationen" der Tatbestandsmerkmale integrierter Bestandteil einer Dogmatik sind (vgl. auch noch den folgenden Text) dient eine externe Rechtfertigung im Gegensatz zum Modell von H. J. Koch / H. Rüßmann, (Begründungslehre), S. 58 nicht zur Rechtfertigung von Sätzen der internen Rechtfertigung (den „Interpretationsprämissen").

IV.3 Dogmatik als Struktur

153

matik D 7 2 6 . (Es wird sich sogleich zeigen, daß es keinen Unterschied macht, ob man es mit einer konservativen oder einer innovativen Anwendung einer Dogmatik zu tun hat.) Ist damit der Ort ausgemacht, an dem sich der gesuchte Begründungstyp aufhalten muß 7 2 7 , so ist nun die wichtige Frage zu klären, welcher Art dieser Typ (oder diese Typen) ist (sind). TV. 3.6.3 Zwei Typen von dogmatischen Constraints Die Lösung dieser Frage eröffnet sich, wenn man das bisher entworfene Bild einer Dogmatik mit demjenigen kontrastiert, das Juristen intuitiv vorschwebt. Nach diesem intuitiven Bild besteht eine Dogmatik aus einem Netz von dogmatischen Definitionen und Grundsätzen, die die „Anwendung einer Norm" begleiten. In der Tat wurden abstrakte Grundsätze und semantische Interpretationen von Tatbestandsmerkmalen einer Norm in dieser Arbeit noch nicht berücksichtigt, obgleich sie, wie jeder Blick in eine dogmatische Abhandlung zeigt, in einer Dogmatik auftauchen. Eine Rekonstruktion juristischer Dogmatik, die dieses Phänomen unberücksichtigt ließe, wäre nach dem hier vertretenen empirisch-wissenschaftstheoretischen Zugang zu Wissenschaften 728 inadäquat. In die bisher analysierten Größen eines Dogmatikelements, also in den Mengen Μ , M p und M pp sind weder abstrakte dogmatische Grundsätze noch semantische Interpretationen von Tatbestandsmerkmalen integrierbar. Die Lösung, die sich in dieser Situation anbietet, besteht in der Identifikation a) abstrakter dogmatischer Grundsätze und b) semantischer Interpretationen von Tatbestandsmerkmalen sowie semantischer Interpretationen von Interpretationsmerkmalen mit zwei unterschiedlichen Typen von Constraints , also mit Mengen Ci und C 2 . Daß dies nicht nur eine Notlösung ist, sondern die eleganteste Art der Integration dieser Größen in eine Rekonstruktion einer Dogmatik (was die Fruchtbarkeit der Sneed'schen Metatheorie bestätigt) wird sich sogleich zeigen. „Semantische Interpretationen" („Wortauslegungen"; „Definitionen" usw.) sind innerhalb eines dogmatischen Textes verwendete Wortgebrauchsregeln. Beispiele sind die bekannten Definitionen der „Zueignung" als „dauernde Enteignung und (zumindest vorübergehende) Aneignung einer Sache" inner726

Die Notation einer Begründung als n-stelliges Prädikat folgt C. F. Gethmann, (Pragmatik). 727 Damit ist auch zum Ausdruck gebracht, daß externe Rechtfertigungen Teil einer Dogmatik sind. Genau auf das Gegenteil, nämlich eine Dogmatik als Teil der externen Rechtfertigung aufzufassen läuft das Modell von R. Alexy, (Argumentation), S. 307ff. hinaus. 728 Sneed bezeichnet ihn als "empirical science of science".

154

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

halb der Dogmatik des § 242 StGB oder die der „öffentlichen Sicherheit" als „Bestand aller geschriebenen Rechtsregeln" 729 im Rahmen der Dogmatik der polizeilichen Generalklausel 730 . Sie fungieren als erste (in einfachen Dogmatiken auch als einzige) Konkretisierungsstufe eines Tatbestandsmerkmals 731 im RechtsanwendungsVorgang, d.h. zur Ausfüllung der „Kluft" zwischen Tatbestandsmerkmal und Sachverhaltsmerkmal. Dieses „Auslegungsverfahren" ist iterierbar: in hinreichend komplexen Dogmatiken ist eine Interpretation der Interpretationsmerkmale notwendig usw. So ist im oben erwähnten Beispiel der Zueignungsdefinition der Begriff der „Aneignung" (ein Definitionsmerkmal) seinerseits als „Anmaßung einer eigentümerähnlichen Verfügungsmacht" definiert 732 . Derartige Definitionen zeichnet aus, daß sie im intuitiven Sinn „dogmatisiert" sind. D.h. daß sie in der übergroßen Mehrzahl der Anwendungsfälle einer Dogmatik stets als konstante Größen fungieren 733 . Sie „stabilisieren" gewissermaßen das abstrakte Gerüst einer Dogmatik und verleihen ihr eine hohe Bestandskraft (was von zahlreichen Rechtstheoretikern auch konstatiert wurde 734 ). Wenn dies aber so ist, so fungieren diese semantischen Interpretationen als anwendungsverbindende Größen, sie bilden einen „gemeinsamen Nenner" einer bestimmten Menge von Anwendungen eines Dogmatikelements. Will man dies mengentheoretisch zum Ausdruck bringen, so läßt sich sagen, daß ein Constraint des Typs „semantische Interpretation" (im Folgenden Typ Ci genannt) einerseits in jedem singulären potentiellen Modell und in jedem singulären Modell „vorkommen" muß, andererseits aber auch in jeder beliebigen Kombination von potentiellen Modellen (was jene anwendungsübergreifende Funktion des Typs Ci ausmacht). Das Verhältnis ist also darstellbar als Cx ç Pot (Μ ρ) (wobei D für „Dogmatikelement" stehe). Dies aber ist genau das mengentheoretische Verhältnis, das auch zwischen algebraischen Constraints und potentiellen Modellen von Theorieelementen besteht 735 . Bedingung c), die für dogmatische Constraints formuliert wurde 7 3 6 , ist damit erfüllt. Bedingung b) ist 729 Vgl. etwa V. Götz, (Polizeirecht), S. 34. ™ Z.B. in § 1 IHSOG. 731 Wobei hier auch jene abstrakten Rechtssätze als „Tatbestände" bezeichnet werden, die nicht in der Form eines positiven Gesetzes vorliegen, etwa die Drittschadensliquidation oder die allgemeine Leistungsklage im Verwaltungsprozeßrecht. 732 Vgl. exemplarisch Samson, in SK-StGB, Rn. 56 zu § 242. 733 U. Neumanns Bedenken (in (Argumentationslehre, S. 48), die quasi sterile Behandlung von „Auslegungen" als Interpretationsaussagen blende die dahinter verborgenen Wertungen aus, trifft die vorliegende Konzeption nicht, da hier nicht behauptet wird, es handele sich um Interpretationsrege/zz. 734 Vgl. die oben in Abschn. II.2.2 referierten Positionen von Alexy und Esser. 735 Vgl. oben Abschn. III.3.5.

IV.3 Dogmatik als Struktur

155

deshalb erfüllt, weil semantische Interpretationen ebenso wie andere Aussagen der Dogmatik in juristischer Fachsprache, also einer spezifisch normierten natürlichen Sprache, formuliert werden und weil sie der Struktur einer Dogmatik nicht angehören. Semantische Interpretationen schaffen keine neuen Strukturen, sondern sie erläutern Strukturen nur. Bedingung a) ist trivialerweise erfüllt, da typischerweise in Dogmatiken - und nur in ihnen - semantische Interpretationen vorkommen 737 . Da Typ Ci die oben genannten Bedingungen a - c erfüllt, kann man ihn, d.h. die semantischen Interpretationen von Tatbestandsmerkmalen und iterierte Interpretationen, als Constrainttyp im Sneed'schen Sinn auffassen. Dabei fällt auf, daß der Typ C\ sogar einem von Sneed explizit analysierten Constraint, nämlich dem Identitätsconstraint in physikalischen Theorien, entspricht 738 . Dies läßt sich auch formal explizieren: Betrachtet man / ( Γ ) , die Interpretation eines Tatbestandsmerkmals, als Funktion, die einem Τ in jeder Anwendung eines Dogmatikelements (Αχ.. .An) einen „Wert" (die Bedeutung) (etwa B) zuordnet, so gilt Αι : I (Τ) = Β

An : I(T)

= Β

oder I(T

Al

. . .An) = const, für alle Τ E D,

Dies entspricht genau der oben 739 präzisierten Fassung des Sneed'schen Identitätsconstraints 740 . Dieser Constrainttyp erfüllt auch analog dem Identitätsconstraint eine pragmatische Funktion bei der Überprüfung neuer dogmatischer Hypothesen. Die „dogmatisierte" Behandlung von Tatbestandsmerkmalen (oder anders ausgedrückt: die durch C\ beschränkte Anwendung der Funktion /(Γ,·), gestattet eine vereinfachte Handhabung eines Dogmatikelements bei der Anwendung auf neue Bereiche. Der Anwender muß nicht alle ™ Soeben S. 151. 737 Dies bedeutet, daß begrenzte rechtliche Systeme, die entweder keine semantischen Interpretationen von Tatbestandsmerkmalen enthalten oder beliebige Interpretationen, nicht zur Klasse der „Dogmatiken" nach dem hier entworfenen Bild zählen. Dies dürfte sich mit einem intuitiven Zugriff decken: man wird solche Systeme kaum „Dogmatik" nennen. 73 « Vgl. oben S. 106. ™ Vgl. S. 151. 740 Wie bereits angedeutet, besteht zwischen dem algebraischen Identitätsconstraint und dem dogmatischen Interpretationsconstraint ein noch näher zu besprechender Unterschied: es ist in Dogmatiken zumindest möglich, gegen das Constraint zu „verstoßen".

156

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

Begriffe des Dogmatikelements problematisieren, sondern kann sich auf selektive Probleme beschränken. Insofern vereinfachen Interpretationsconstraints den „Umgang" mit komplexem Vokabular, reduzieren somit die interne Komplexität einer Dogmatik 7 4 1 . Sind demnach die Interpretationsconstraints als Analogon zu Sneed'schen Constraints in juristischen Dogmatiken aufzufassen, so zeichnet diesen Typ gegenüber den Constraints in physikalischen Theorien eine Besonderheit aus, die zwar formal nicht darstellbar, aber gleichwohl bemerkenswert ist: der Typ Ci wirkt häufig auf Tatbestands- bzw. Interpretationsmerkmale 742 in D-dogmatischer Weise (was nicht bedeutet, daß der Constrainttyp C\ D-dogmatisch ist!). D.h. daß der Typ C l 9 der wie gezeigt dem Sneed'schen Identitätsconstraint entspricht, bestimmte Begriffe relativ zu einer bestimmten Dogmatik D i spezifisch fixiert, was zur Folge hat, daß ein Begriff Β z.B. D r dogmatisch und D*-nichtdogmatisch, aber auch gleichzeitig - in anderer Art durch C1 restringiert - D^-dogmatisch sein kann. Im letzten Fall bedeutet das, daß Β weder im Anwendungsbereich von D, noch in dem von Dk unabhängig von den ihn implizierenden Dogmatiken angewendet werden kann. Anders: unabhängig von Di bzw. Dk kann nicht ausgesagt werden, was Β „bedeutet", obgleich Β hier zwei verschiedene Bedeutungen hat. Dazu ein Beispiel: Der Begriff „Erwerb" wird in verschiedenen Dogmatiken sehr unterschiedlich verwendet: in § 313 BGB bezeichnet er ein entgeltliches Rechtsgeschäft, in § 1356 BGB eine Berufstätigkeit. In anderer Bedeutung taucht der Begriff dann im Betäubungsmittelrecht auf: hier bezeichnet „Erwerb" jede Art der Übernahme von Betäubungsmitteln; insbesondere bedarf es nicht des Nachweises der Entgeltlichkeit, um den Begriff zutreffend zu verwenden 743 . In allen Fällen läßt sich nur mit Rückgriff auf die Dogmatik, in der der Begriff auftaucht sagen, auf welchen Objektbereich (hier: Klassen von Handlungen) er korrekt angewendet werden kann. Anders: außerhalb der jeweiligen Dogmatik kann von einem stets gleich scheinenden Begriff nicht gesagt werden, was er „bedeutet". Auf derartige Begriffe wirkt der Constrainttyp C\ in einer D-dogmatischen Weise, weil der Begriff, konventionell gesprochen, in einem je verschiedenen Kontext invariant gehalten werden muß. Man kann daher davon sprechen, daß die Wirkung, die der Typ C\ auf einen Term ausübt, der in mehreren Dogmatiken D-dogmatisch vorkommt, D r dogmatisch ist, wobei i für irgendeine natürliche Zahl steht, die größer als 1 ist.

741 Damit ist angedeutet, wie die Antwort auf die unten in Abschn. II.6 gestellte Frage III lauten wird. Darauf ist noch näher zurückzukommen. 742 Es wäre im Sinne des hier explizierten Dogmatikbegriffs, alle derartigen Begriffe als „Dogmatikmerkmale" zu bezeichnen, da sie sich begriffstheoretisch nicht voneinander unterscheiden. Um jedoch begriffliche Konfusionen zu vermeiden, sei nach wie vor die eingeführte Terminologie verwendet. 743 Vgl. dazu Η. H. Körner, (BtMG), Rn. 378 zu § 29.

IV.3 Dogmatik als Struktur

157

Neben den Interpretationsconstraints scheint es jedoch noch einen anderen Typ von Constraints zu geben, der den geforderten Merkmalen gerecht wird 7 4 4 . Man betrachte etwa folgende Aussagen: a) „Ähnlich liegt es bei der Frage, ob ein noch nicht Einundzwanzigjähriger ein Heranwachsender ist, bei dem Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist (§ 105 JGG). Ergeben sich aus den tatsächlichen Umständen Zweifel, ist nach dem Grundgesetz „in dubio pro reo" zu verfahren" 745 . b) „Die Begründung (seil.: der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts) kann wegen der Schutzfunktion für die Betroffenen auch nicht nachträglich (aus)gewechselt werden" 746 . c) „Grundgedanke der Notwehr ist der Satz: das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen" 747 . d) „Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es (seil.: das Recht aus Art. 5 I GG) schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist" 7 4 8 . e) „Ein Besitzmittlungsverhältnis durch Insichgeschäft herzustellen ist nicht möglich, weil ein solches rechtsgeschäftlich nicht herstellbar ist" 7 4 9 . Den Aussagen a) - e) ist offenbar gemeinsam, daß sie zur Begründung einer dogmatischen Entscheidung auf Grundsätze verweisen (im Fall der Aussage c) konnte dies aus Raumgründen nicht evident gemacht werden). Ein dogmatisches Problem - im Fall b) also etwa die Frage, ob die Behörde die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts gemäß § 80 I I Nr. 4 VwGO nachträglich abändern kann - wird also mit Hinweis auf einen „übergeordneten" Satz, ein Prinzip 750 , entschieden. Es handelt sich dabei um Sätze einer bestimmten Abstraktionsstufe. Explizit herausgestellt lautete der Begründungssatz der Aussage b) etwa: „Zum Schutz der Bürger vor willkürlichen Eingriffen sind Behörden an einmal gegebene Begründungen gebunden." Offenbar sollen derartige Begründungsaussagen eine unbestimmte Vielzahl von Fallkonstellationen der betreffenden Dogmatik umfassen und Regeln zum Ausdruck bringen, die über die singuläre Fallentscheidung hinausgehen. In einem von Toulmin eingeführten Schema 751 744

S. obenS. 151. Κ Peters, (Strafprozeß), S. 275. ™ F. O. Kopp, (VwGO), Rn. 64 zu § 80. 747 H. H. Jescheck, (AT), S. 269. ™ BVerfGE 7, 198 (208). ™ E. Wolf; (SachR), S. 228. 750 Zu Prinzipien als Argumentform vgl. H. J. Koch / H. Rüßmann, (Begründungslehre), S. 97 ff. 751 Vgl. dazu etwa R. Alexy, (Argumentation), S. 115 oder U. Neumann, (Logik), S. 256; U. Neumann, (Argumentationslehre), S. 22f. 745

158

I V Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

ließen sich derartige Begründungsaussagen als „backings" (verschieden hoher Stufe) von Schlußregeln auffassen. Im Schaubild:



D

Κ

t SR

t Βι

Als Beispiel: es sei D der Satz: „Es ist nicht sicher, ob der zwanzigjährige Angeklagte einem Jugendlichen im Sinne von § 105 JGG gleichzustellen ist". Κ sei der Satz: „Der Angeklagte ist wie ein Jugendlicher zu behandeln". Die Schlußregel SR hieße in diesem Fall: „Immer wenn nicht sicher ist, ob ein Zwanzigjähriger im Sinne des JGG als Erwachsener oder Jugendlicher zu behandeln ist, wird er als Jugendlicher behandelt". Der hinter dieser Schlußregel stehende Grundsatz lautet: „Bei unklarer Faktenlage ist die für den Betroffenen günstigere Möglichkeit anzunehmen". (Das Beispiel ist auf den in Satz a) zum Ausdruck kommenden bekannten strafprozessualen Grundsatz zugeschnitten.) Ob dieser Grundsatz dabei im obigen Schaubild an Position Β ι oder B2...Bn einzusetzen ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden, weil einerseits zwischen SR und dem in dubio"-Grundsatz noch die konkretere Aussage „Wenn unklar ist, ob Erwachsenenstrafrecht oder Jugendstrafrecht anzuwenden ist, muß Jugendstrafrecht angewendet werden" einfügbar ist, andererseits noch abstraktere „backings", die ihrerseits den „in dubio"Grundsatz stützen, existieren 752 . Prüft man die Kategorie der „Prinzipien" oder „Grundsätze" am Maßstab der Charakteristika von Constraints 753 , so stellt man folgendes fest: die Aussagekategorie der „Prinzipien" sind in real existierenden Darstellungen von Dogmatiken vorfindbar. b) Sie sind in der Sprache der Dogmatik formuliert; das Erfordernis, nicht der Struktur der Dogmatik anzugehören, erzwingt jedoch folgende Differenzierung: ein Prinzip, das als Constraint im Sneed'752 Etwa der Satz: „Der Strafprozeß darf dem Betroffenen nicht mehr schaden, als unbedingt notwendig". Das Problem abstufbarer backings ist nichts anderes als eine Variante der Begründungsregreßfrage (vgl. dazu etwa P. Janich / F. Kambartel / J. Mittelstraß, (Wissenschaftskritik), S. 35ff.; J. Schmidt, (Rechtssprache), S. 404. Die Frage, wann ein (normativer) Satz ausreichend begründet ist, läßt sich nicht durch die logische Analyse von Begründungsaussagen klären, sondern ist eine Frage der Konsensfähigkeit dieser Aussagen. 753 Vgl. oben S. 151.

IV.3 Dogmatik als Struktur

159

sehen Sinn bezeichnet werden kann, darf weder Relations- oder Funktionsterme der Dogmatik enthalten noch Relationen oder Funktionen zwischen anderen Termen der Dogmatik herstellen. Denn dann handelt es sich um einen - möglicherweise abstrakt scheinenden - Definitionsbestandteil des mengentheoretischen Prädikats, das die entsprechende Dogmatik charakterisiert, ist also kein Constraint, sondern Bestandteil der abstrakten Struktur des Dogmatikelements 754 . c) Prinzipien werden mit dem Anspruch in die Argumentation eingeführt, eine bestimmte Menge von Fallkonstellationen mittels eines gemeinsamen Obersatzes zu „bündeln". In den Beispielsaussagen a) - e) sind dies etwa die Fälle unklarer Tatsachenlage bei § 105 JGG (a) oder die Fallgruppe der Bestellung eines Besitzkonstituts durch Insichgeschäft gem. §§ 181, 930 B G B 7 5 5 (e). Dies bedeutet: das Prinzip soll einerseits in jeder Fallkonstellation der Fallgruppe „gelten", andererseits auch jede beliebige Teilmenge dieser Fallgruppe „umfassen". Für die Menge der Fallkonstellationen, „in" denen ein abstraktes Prinzip „gilt", trifft also zweifellos wieder X Q Pot (M P)

zu. Dies nun ist wiederum die mengentheoretische Relation, die auch die Sneed'schen Constraints auszeichnet. Da auch die Bedingungen a) und b) (diese mit der genannten Einschränkung) für derartige „Prinzipien" erfüllt sind, kann man diese als Constraints im Sneed'schen Sinne auffassen. Dieser Typ sei zukünftig als „Grundsatzconstraint" und als Typ C 2 bezeichnet. IV. 3.6.4 Unterschiede dogmatischer Constraints zu Sneed'schen Constraints Obwohl die dogmatischen Constrainttypen C\ und C 2 nach der Voraussetzungsmenge a), b), und c) als Sneed'sche Constraints charakterisierbar sind, zeichnet sie gegenüber diesen jeweils eine Besonderheit aus. Diese Unterschiede bestehen kurz gesagt darin, daß Identitätsconstraints physikalischer Theorien im Gegensatz zu den -funktional äquivalenten - Interpretationsconstraints juristischer Dógmatiken nur auf Funktionen definiert sind, nicht auf den Definitionen von „Gegenständen" und im Gegensatz zu Grundsatzconstraints keine „Determinierungsfunktion" erfüllen.

754 Insofern wäre die Aussage ein Teil der Beschreibung des Objektbereichs, also auf diesen bezogen, während Constraints auf jene Aussagen bezogen sind. 755 Bemerkenswert ist allerdings, daß das Prinzip e) in der Tat im Rahmen von drei Dogmatiken einsetzbar ist: der Dogmatik des „Rechtsgeschäfts", der des § 181 BGB und der des § 930 BGB.

160

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

IV.3.6.4.1 Der Definitionsbereich von Interpretationsconstraints In physikalischen Theorien kann sich das Identitätsconstraint deshalb auf das Werteverhalten der Funktionen beschränken, weil die „Fixierung" der „Dinge", auf die die Funktionen anzuwenden sind, also die d E D eines partiellen potentiellen Modells mit der Struktur ( D , η, t), in einer mit der semantischen Definition dogmatischer Konstrukte unvergleichbaren Art und Weise geschieht. Während nämlich „Gegenstände" in juristischen Dogmatiken - also etwa die Extensionen der Begriffe „Kraftfahrzeug", „Sache", „Grundstück" oder „Anlage" - ohne jeden Rückgriff auf D-dogmatische oder D-nichtdogmatische Relationen und Funktionen definierbar sind, besteht die Definition eines Gegenstandes in physikalischen Theorien - also etwa die Extension(en) der Begriffe „Stern", „Metall", „Körper" oder „Magnetfeld" - ausschließlich in der Angabe von Funktionswerten. Etwas plakativer formuliert: ein Gegenstand ist in der Jurisprudenz eine Summe von typisierenden Merkmalen, in der Physik eine Summe von numerischen Werten. Das hat zur Konsequenz, daß in physikalischen Theorien die Identität von Funktionswerten quer durch alle Anwendungen einer Theorie Τ hindurch die Identität des Objekts garantiert. Ein Himmelkörper Η ist etwa definierbar durch eine bestimmte Entfernung e von der Erde, eine Gravitationskraft g, eine Dichte d und einen Durchmesser 0 , so daß H gegeben ist durch H = Def.: Objekt (e km; g kg; d

; 0 km) m

(zusätzlich möglicher weiterer Daten). Eine „Sache" S ist im Rahmen einer Dogmatikanwendung des § 242 StGB dagegen ohne jeden Rückgriff auf (auch § 242-typische) Relationen oder Funktionen definierbar als „körperlicher Gegenstand". Dogmatische Interpretationsconstraints müssen also jede Art von Definitionsmerkmalen („Werten") quer durch alle Anwendungen transponieren, nicht nur Relations- oder Funktionsdefinitionen 756 . Ihr Definitionsbereich umfaßt demnach alle semantischen Kategorien.

756

Man muß allerdings betonen, daß auch nicht alle Definitionen in der Physik Funktionsdefinitionen sind. Der Begriff „Energie" etwa wird üblicherweise definiert als „gespeicherte Arbeit" (s. etwa H. Breuer, (Physik), S. 107), also mittels gewöhnlicher semantischer Größen (anders wiederum die ausdifferenzierten Energiearten „kinetische E." und „potentielle E."). Ob für derartige Definitionen auch in physikalischen Theorien Interpretationsconstraints erforderlich sind, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.

IV.3 Dogmatik als Struktur

161

IV.3.6.4.2 Die Determinationsfunktion der Grundsatzconstraints Ob bestimmte Formen von Constraints in physikalischen Theorien mathematische Limitierungen statuieren, die die Wertemengen bestimmter Funktionen begrenzen, hat Sneed nicht analysiert 757 . Es müßte sich dabei um logische Zusatzbedingungen handeln, die es einer bestimmten Funktion „erlauben" relativ zu einem Definitionsbereich nur bestimmte Werte anzunehmen, also etwa Cx : / (x) > 0,5 für alle χ E D . Ist die Existenz solcher Constraints in physikalischen Theorien auch unklar, so scheint demgegenüber sicher, daß sie in Dogmatiken auffindbar sind. U m zu sehen, daß es sich bei diesem Typ „determinierender" Constraints in Dogmatiken in Wahrheit um nichts anderes handelt als um die bereits analysierten Grundsatzconstraints, sei ein erfreulich durchschaubares Beispiel für dieses Phänomen angeführt. Im Rahmen einer Kommentierung von Art. 85 des E WG-Vertrages (EWG-V) findet sich folgende Aussage: „Der Begriff ,Unternehmen' ist bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln so auszulegen und anzuwenden, daß der vom EWG-V angestrebte Zweck erreicht wird, ein System zu errichten, das den Wettbewerb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen schützt" 758 . Dieser Satz läuft offenbar darauf hinaus, daß das Prinzip „Der Gemeinsame Markt ist vor Verfälschungen zu schützen", die Menge der möglichen Interpretationen des dogmatischen Terms „Unternehmen" determiniert: als mögliche Interpretation sind nur noch solche Interpretationsaussagen „zugelassen", die mit dem Grundsatz vereinbar sind. (Folgerichtig hat der Unternehmensbegriff im EWG-Wettbewerbsrecht jede Kontur verloren. Der Grundsatz des EGKartellrechts erzwingt eine extrem weite „Fassung" dieses Terms.) Die „Determinationskraft" solcher Grundsatzconstraints kann bisweilen dazu führen, dogmatische Terme in das Gegenteil ihrer ansonsten eingeführten Definition zu verwandeln. Ein Beispiel ist die Uminterpretation des Terms 75 7

Sneed hat neben dem Identitätsconstraint überhaupt nur noch ein Constraint physikalischer Theorien, die die Massefunktion enthalten, identifiziert nämlich das Extensivitätsconstraint. Es besagt, intuitiv gesprochen, daß sich Masse werte „verhalten" wie natürliche Zahlen, also insbesondere additiv. Symbolisch wird das Extensivitätsconstraint der Massefunktion dargestellt durch 171 \ + 1ΤΪ2

— ttï?,

Vgl. zu diesem Constraint J. D. Sneed, (Physics), S. 67f. oder W. Stegmüller, (Variante), S. 60. 75 8 H. v. d. Groeben / H. v. Boeckh / J. Thiesing / C. D. Ehlermann, (EWGV), Nr. 1/4 zu Art. 85. 11 Schlapp

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IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

„Anordnung der aufschiebenden Wirkung" in § 80 V Satz 1 VwGO zur (gegenteiligen Maßnahme der) „Anordnung der Sofortvollziehung" in den Fällen der Nachbarklage im Baurecht 759 , die offenbar von dem Grundsatz beherrscht wird, einem Nachbarn dürfe unter keinen Umständen ein Nachteil aus einem (möglicherweise) baurechtswidrigen Bauwerk entstehen, abstrakter formuliert: von dem Grundsatz des Drittschutzes im Baurecht. Ein weiteres Beispiel stellt die Interpretation des Begriffs „Gesamthand" aus der Dogmatik der BGB-Gesellschaft (§§ 705ff. BGB) dar: je nach favorisiertem Gesellschaftsrechtsprinzip - „Verbandsprinzip" hier, „Vermögensprinzip" dort 7 6 0 - wird der Begriff entweder als „personenrechtliche teilrechtsfähige Einheit" oder als schlichte „Sondervermögensmasse" interpretiert 7 6 1 , was zahlreiche Konsequenzen etwa für Haftungsfragen der Gesellschaft hat. Man hat es in all diesen Fällen mit Determinationswirkungen eines Typ C 2 Constraints für mögliche Interpretationen singulärer Terme oder von Relations/Funktionstermen zu tun. Formal läßt sich dieses Phänomen durch Schnittmengenbildung zwischen einem C 2 -Typ und den Modellmengen eines Dogmatikelements in die bisher eingeführte Symbolik integrieren. Dies wird noch näher zu zeigen sein. IV.3.6.4.3 „Doppelte Dogmatisierungen" Auf ein weiteres für Dogmatiken typisches Phänomen im Zusammenhang mit dogmatischen Constraints ist noch hinzuweisen. Wie schon gezeigt, kann die Menge möglicher Interpretationen eines dogmatischen Terms durch Ableitung aus einem C 2 -Constraint beschränkt werden. Für die danach existierende^) Interpretation(en) greifen nun die anwendungsübergreifenden Interpretationsconstraints (Typ C\) ein, die eine einmal gewählte Interpretation quer durch alle Anwendungen des Dogmatikelements „konservieren". Ein Term, der aus einem C 2 -Constraint abgeleitet und durch ein C\-Constraint fixiert ist, unterliegt also einer „doppelten Dogmatisierung": einer ver759

Es handelt sich hier um Fälle, in denen die Bauaufsichtsbehörde eine Baustop Verfügung nicht gem. § 80 I I Nr. 4 VwGO mit einer Sofortvollzugsanordnung verbindet. Der Bauherr des (möglicherweise) baurechtswidrigen Bauwerks wäre nun in der Lage, Widerspruch einzulegen und unter dem Schutz der rechtlichen Schwebelage bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung das Bauwerk fertigzustellen. Hier gewährt man dem beschwerten Nachbar gem. § 80 V Satz 1 VwGO analog die Möglichkeit, die Sofortvollziehung der Baustop Verfügung zu erzwingen. Vgl. dazu z.B. F. O. Kopp, (VwGO), Rn. 87 zu § 80. 760 Zu diesen Prinzipien vgl. ausführlich W. Flume, (AT 1/1), S. 50ff., bes. S. 52. 761 Die erste Variante vertritt die im Vordringen begriffene Renovierung der „deutschrechtlichen Gesamthandslehre", z.B. W. Flume, (AT 1/1), a.a.O. oder Teubner, in AK-BGB, Rn. lf. zu §§ 718ff.; vgl. andererseits Κ Larenz, (BT II), § 60 IVc.

IV.3 Dogmatik als Struktur

163

tikalen (Ableitung) und einer horizontalen (Wortgebrauchsregel) Absicherung innerhalb eines (abgeschlossenen) Systems. Im Vorgriff auf die noch zu liefernde Beantwortung der rechtstheoretischen Fragestellungen 762 läßt sich schon hier sagen, daß es diese „doppelten Dogmatisierungen" sind, die die der Dogmatik zugeschriebenen 763 Funktionen garantieren. IV.3.7 Die Elemente eines Dogmatikelements Es hat sich gezeigt, daß sich in denjenigen Systemen, die intuitiv als „juristische Dogmatiken" aufgefaßt werden, alle Komponenten auffinden lassen, die auch die Struktur einer physikalischen Theorie bilden, nämlich die Mengen M, M p, Mpp und C. Die Reduktionsfunktion r ist allerdings in juristischen Dogmatiken ohne theoretische Bedeutung 764 . Im Gegensatz zu physikalischen Theorien hat es sich aber als zweckmäßig erwiesen, zwei unterschiedliche Typen von Constraints zu unterscheiden. Mithilfe dieser Größen läßt sich die zentrale These der Untersuchung formulieren, die dem Kapitel oben 765 vorangestellt wurde. Sie ist nun noch leicht zu präzisieren: Der Kern eines Dogmatikelements K D ist definiert durch die Struktur IX)

K D = (Mpp, Mp, M, Cu C2)

= D12)

Ein Dogmatikelement ist definiert durch die Struktur X)

D = (Kp ; /)

= D13)

Mit diesen Definitionen ist die Basis für einen „non-statement-view" juristischer Dogmatiken 766 gewonnen, einer Sichtweise, die in pragmatischem (nicht: logischem) Gegensatz zum oben referierten 767 „statement-view" (v. Savigny u.a.) steht. Formel X) sagt, intuitiv gesprochen, aus, daß ein Dogmatikelement mit einem Quintupel von Mengen zu identifizieren ist, die in bestimmten Relationen zueinander stehen, sowie einer weiteren, logisch undeterminierten, Menge von „Weltzuständen". Sie trägt - weitaus eher als das Bild des axiomatisierten Normensystems des „statement-view" - der intuitiven Sicht einer juristischen Dogmatik Rechnung 768 , die Dogmatik kaum als „Begriffs762

Vgl. oben Abschn. II.6. 763 Vgl. oben in Abschn. II.2.2 die Sichtweisen von Esser, Hassemer, Alexy sowie die Nachweise in Fn. 249. 764 Siehe oben die Ausführungen S. 146 ff. 7 Q erfüllt, die Hinzufügung von Hilfsprämissen zur Satzklasse Σ, die in der real vorfindbaren Dogmatik gar nicht vorhanden sind. In diesem Fall ist zwar bewiesen, daß die in die Satzklasse Σ übersetzte Dogmatik über verdeckte Aussagen verfügt; Σ ist dann aber nicht mehr die existierende Dogmatik. Diese Vorgehensweise assimiliert - wie oben 7 7 2 schon angesprochen - die Realität (vorfindbare Dogmatik) einseitig an die Erfordernisse der Methodologie und ist deshalb nicht in der Lage, wissenschaftslogische Erkenntnisse über die Praxis von Wissenschaft zu liefern 773 . IV.4.2 Die Antwort des non-statement-view Die Antwort des non-statement-view juristischer Dogmatik auf die Frage nach der Struktur dogmatischer Hypothesen läßt sich unter Zuhilfenahme des Kerns eines Dogmatikelements geben. Intuitiv besagt eine solche Hypothese, daß es 1. eine Sachverhaltsbeschreibung χ gibt, die 2. mit einem D-nichtdogmatischen „Rahmenvokabular" beschreibbar ist, 3. die zusätzlich mit dem D-dogmatischen Vokabular des Dogmatikelements zutreffend beschrieben werden kann, 4. „in der" die durch das mengentheoretische Prädikat fixierten Relationen zwischen den Begriffen des Vokabulars „gelten" und

771 Bemerkenswert ist übrigens, daß man auch beim prädikatenlogischen Zugang zwischen der oben S. 152 erwähnten innovativen und konservativen Anwendung einer Dogmatik unterscheiden kann. Bei der konservativen Anwendung hat Σ den entscheidenden Satz bereits enthalten, und die Ableitung ist trivial. Im anderen Teil ist zu beweisen, daß der fragliche Satz aus Σ ableitbar ist. 772 S. 60f. 773 Ich verkenne nicht, daß keine logische Analyse die möglichen Inkonsistenzen der Wissenschaftspraxis zu Konsistenzen umkonstruieren kann.

166

I V Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

5. daß das Vokabular, sofern eine Hypothese über mindestens zwei Sachverhaltsbeschreibungen χ und y getroffen wird, Beschränkungen durch zwei Constraints unterschiedlicher Typologie unterliegt. Formal lassen sich juristische Hypothesen über eine singulare Anwendung eines Dogmatikelements wie folgt fassen: XI)

V χ (x ist ein Pax

ist ein R α χ ist ein 5)

wobei Ρ, R und S Kürzel für das mengentheoretische Prädikat darstellen, die die partiellen potentiellen Modelle ( P ) , die potentiellen Modelle (R) und die Modelle (5) definieren 774 . In mengentheoretischer Notation läßt sich X I ) auch schreiben als XII)

vjc (x e M pp λ χ e M p Λ χ e M)

X I I stellt wiederum eine präzisere Variante der schon oben 775 eingeführten Notation einer singulären dogmatischen Hypothese dar. In X I I ) kommen Constraints noch nicht vor, da nur von einer einzelnen Anwendung behauptet wird, sie sei ein Modell eines Dogmatikelements. Sobald von einer Menge von Anwendungen (Λ!') behauptet werden soll, sie seien Modelle des Dogmatikelements, muß die formale Notation wie folgt geändert werden XIII)

V Χ (X sind Ρ a X sind R a X sind S a Ci (V s; B; b) a C2 (V s; B; b))

wobei V s für „Vokabular des mengentheoretischen Prädikats ,ist ein S'" stehe. In mengentheoretischer Notation lautet X I I I ) : XIV)

V X(X

E Mpp ΑΧΕΜ ρΑΧ(ΞΜΑΧΕ

(Ci Π C 2 ))

In Satz X I I I bedurfte es gegenüber der Constraintnotation bei physikalischen Hypothesen 776 der oben 777 diskutierten Änderung des Definitionsbereichs: dogmatische Constraints müssen das gesamte Vokabular eines Dogmatikelements erfassen, nicht nur Relationen und Funktionen. Die Schnittmenge Ci Π C 2 in Satz X I V ) bringt zum Ausdruck, daß nur solche Objektbereiche Element des Dogmatikelements sind, die durch ein beide Constraints erfüllendes Vokabular beschreibbar sind. 774

Wie sich Veränderungen des mengentheoretischen Prädikats auf dessen Extensionen (nämlich die Modelltypen) auswirken, wurde oben S. 126 und S. 141 f. mittels der Definitionen DIO und D i l für die Modelle bzw. partiellen potentiellen Modelle der Drittschadensliquidationsdogmatik vorgeführt. ™ S. 148. 776 Vgl. oben Satz V) in Abschn. III.3.6.

IV.5 Dogmatiken und Dogmatikelemente

167

In letzter Konsequenz besagt nun Satz X I V ) nichts anderes als XV)

V X(X

C (K D;I))

.

Satz X V ) stellt die rein strukturalistische Variante einer dogmatischen Hypothese für eine Menge von Objektbereichen dar. Intuitiv besagt diese Aussage, daß es eine Menge von „Fallkonstellationen" gibt, die „die Struktur ( K D ; I) tragen", d.h.: die erstens unechte Teilmenge der intendierten Anwendungen des Dogmatikelementskerns K D sind und die sich zweitens mit dem K D definierenden Vokabular zutreffend beschreiben lassen. Unechte Teilmenge von I ist X genau dann, wenn X alle „Fälle" eines Dogmatikelements enthält. In diesem Fall stellt Satz X V ) die dogmatische Gesamthypothese eines Dogmatikelements dar. Er gibt dann an, welche „Reichweite" ein Dogmatikelement hat 7 7 8 , anders: welche Sachverhalte der Realität durch das Dogmatikelement normativ geordnet werden 779 .

IV.5 Dogmatiken und Dogmatikelemente Bisher wurde im Rahmen der Explikation stets von „Dogmatikelementen" anstelle von „Dogmatiken" gesprochen. Es ist nun zu begründen, weshalb diese ebenfalls an Sneed angelehnte 780 Bezeichnung gewählt wurde. Der Grund liegt, grob gesprochen, darin, daß diejenige Entität, die herkömmlich „Dogmatik" genannt wird, ein oft schwierig zu begrenzendes Gebilde ist; es ist, konkreter gesprochen, vielfach nicht auszumachen, ob ein Dogmatikelement d ein von anderen Dogmatikelementen e,f, g usw. eindeutig abgrenzbares Tupel ( K d \ I) ist oder nur ein Teil einer „Großdogmatik" (K D; I). Im ersten Fall könnte man d in der Tat eine Dogmatik D nennen, im zweiten Fall wäre dieser Sprachgebrauch mindestens ungenau. Das schon mehrfach angeführte Beispiel der Drittschadensliquidation exemplifiziert dies: man kann die Drittschadensliquidation mit Hinweis auf die einzigartige Relation der „Drittschadensliquidierung" 781 als separate Dogmatik mit eindeutig begrenzbarem „Bereich", d. h. in der eingeführten Terminologie: mit präzise beschränkbarem Kern ( M p p , M p , Af, Ci, C 2 ) auffassen. Man kann sie aber auch als spezialisierte „Teildogmatik" der „Großdogmatik" der §§ 249ff. BGB, also der zivilrechtlichen Schadenersatzdogmatik, begrei777 778

rie.

779

reich". 780

781

Vgl. Abschn. IV.3.6.4.1. Vgl. oben Abschn. III.3.6 zum „empirischen Gehalt" einer physikalischen TheoDies ist der von F. Müller,

(Normstruktur), S. 98, S. 117 u.ö. sog. „Normbe-

Vgl. dazu oben S. 113 und S. 116. Vgl. oben DIO). Es handelt sich um den Definitionsbestandteil DIO-5 (S. 126).

168

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

fen, die sich gegenüber dieser „Großdogmatik" durch einen spezialisierten Kern (M pp\ M p', M ' , CV, C 2 ' ) auszeichnet78*. Ähnliche Verhältnisse herrschen bei der gleichfalls schon erwähnten „Dogmatik" des verwaltungsrechtlichen Vertrags 783 , die man aufgrund des einzigartigen Zuordnungssubjekts „Verwaltung" als eigenständige Dogmatik oder nur als Dogmatikelement des § 305 BGB (wiederum ausgezeichnet durch einen spezialisierten Kern) auffassen kann. Ein weiteres Beispiel, das noch weiter unten Gegenstand der Erörterung sein wird 7 8 4 , ist die Abgrenzungsschwierigkeit der Dogmatikelemente der §§ 32 - 35 StGB, das überdies zeigt, daß dieses Problem nicht an die Reichweite von positiven Normen gebunden ist. Diesen Beispielen ließen sich weitere anfügen. Ich bin nicht in der Lage, den Prozentsatz derjenigen „Dogmatiken" zu nennen, die tatsächlich eine abgeschlossene Einheit bilden und nicht als Teil einer umfassenderen Dogmatik (oder eines umfassenderen Dogmatikelements!) aufgefaßt werden können. Um die Schwierigkeiten der Rubrizierung zu umgehen, spreche ich von Dogmatikelementen und nehme den Spezialfall in Kauf, in Wahrheit von einer Dogmatik zu sprechen. Systematische Friktionen sind nicht zu erwarten, da auch spezialisierte Kerne von Dogmatikelementen strukturell identisch mit unspezialisierten Kernen sind. Zu beachten bleibt nur, daß eine Dogmatik, die aus mehreren Dogmatikelementen aufgebaut ist (ich nenne sie im Folgenden eine „echte Dogmatik"), strukturell ein Dogmatikelementnetz bildet, das im folgenden Abschnitt definiert wird. Zu beachten bleibt deshalb auch, daß die vorliegende Analyse faktisch von ebensolchen Gebilden mittlerer Größenordnung spricht, wie die Analysen Sneeds 785, quasi von „unechten Dogmatiken" (deren Grenzfall freilich die „echte Dogmatik" ist). Wie oben 786 schon im Zusammenhang mit der Dogmatikkonzeption Podlechs angesprochen, tendiert die Arbeit also zur Analyse „minimaler Dogmatiken".

IV.6 Einige Definitionen und Schemata Mittels der nunmehr auch für Dogmatik(elemente) eingeführten Terminologie lassen sich nun analog den oben 787 gegebenen Definitionen die Konzepte „Matrix", „Rahmen" und „Netz" fixieren. Die Konzepte „Kern" und „Dog782

Zum Problem spezialisierter Kerne von Theorieelementen vgl. unten in Abschn. III.3.7 die Ausführungen S. 116f. und D8). 783 S. oben S. 137. 784 S. unten Abschn. V.3.2. 785 Vgl. oben schon S. 117 und D9). 786 Ygi 0 b e n s. 69f. Damit ist die eingangs in Abschn. II.6. formulierte Frage VIII im Ansatz schon beantwortet. 787 In Abschn. III.3.7: D4) - D9).

IV.6 Einige Definitionen und Schemata

169

matikelement" sind mittels der Formeln I X ( = D12)) und X ( = D13)) bereits analog D6) und D7) definiert 788 . Eine m + k Matrix für ein Dogmatikelement ist gegeben durch D14)

X ist eine m + k Matrix gdw 1) X ist eine Menge 2) m, k Ε Ν und m > 0 3) für alle χ E X existieren Relationen/Funktionen («i ... nm\ ii ... t k), so daß * = (η λ ... nm\ t x ... t k)

D14) entspricht D4) deshalb, weil auch Dogmatikelemente m nichtdogmatische und k dogmatische Relations/Funktionsterme enthalten, wobei D14-2 lediglich verlangt, daß es mindestens eine D-nichtdogmatische Relation/Funktion gibt, also umgekehrt erlaubt, daß es keine D-dogmatischen Relationen/ Funktionen gibt,, also k = 0 gilt. Das Schema für eine m + k Matrix wurde durch M2) bereits geliefert 789 . D15)

X ist ein Rahmen eines Dogmatikelements gdw 1) 2) 3) 4)

X = {{M pp\ Mp \ M); Tr) Μ ρ ist eine m + k Matrix Tr : Mp M pp Mnn =

5) M Ç M p D15) liefert - analog D 5 ) 7 9 0 - eine sehr wichtige Definition und führt eine Funktion „ 7 r " , die ich „Transformationsfunktion" nenne, ein. Tr fungiert wie die Funktion r in empirischen Theorien, hat jedoch 7 9 1 keinen eigenständigen logischen Stellenwert. Indem sie aber potentielle Modelle auf partielle potentielle Modelle transformiert (abbildet), stellt sie den Bezug des theoretischen Vokabulars des Dogmatikelements zur „Realität" her, präziser: zur empirisch beschreibbaren Realität. Einfacher: Tr garantiert, daß ein Dogmatikelement über die tatsächlich vorfindbare Welt spricht, sie koppelt die „Theorie" an die Realität 792 . D15) legt somit fest, „worüber ein Dogmatikelement sprechen 788

Vgl. oben S. 115 und S. 116. Die präzisen mengentheoretischen Definitionen „ist ein Kern eines Dogmatikelements" und „ist ein Dogmatikelement" entsprechen diesen Definitionen. Aus bereits erwähnten Gründen besteht allerdings für die Funktion „r", die in D5-3) definiert ist, kein Bedürfnis. 789 Vgl. oben S. 114. 7 *> Vgl. oben S. 115. 791 Vgl. oben die Ausführungen zur Notwendigkeit der r-Funktion in Dogmatikelementen in Abschn. IV.3.5. 792 Dies wurde in Abschn. III.3.7 bereits für Theorieelemente ausgeführt.

170

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

kann", nämlich über D-dogmatisch beschreibbare Realitäten (D15-2), über vermittels einer Abbildung erzeugbare D-nichtdogmatisch beschreibbare Realitäten (D15-4) und über eine Teilmenge der D-dogmatisch beschreibbaren Realitäten (was trivial ist) (D15-5). Da D15) auch ein Dogmatikelement als ein zweistufiges Gebilde definiert, läßt sich ein Rahmen eines Theorie/Dogmatikelements wie folgt schematisch darstellen:

Dabei bezeichne A die theoretische und Β die „empirische" Ebene. Ex(Af) ist die Bildmenge von M (die nicht über Tr definiert ist). Εχ(Λί) ist die Menge derjenigen Vorgänge in der Realität, die durch das Dogmatikelement tatsächlich normativ geregelt sind (wobei hier vorausgesetzt wird, daß auch die Constraints erfüllt sind). Der Verdeutlichung des Stellenwerts von I dient die schraffierte Fläche / , die in der Definition eines „Rahmens" eigentlich nicht auftaucht. Die logisch anschließenden Definitionen des „Kerns eines Dogmatikelements" sowie des „Dogmatikelements" wurden oben 793 schon gegeben. Die Ausführungen in Abschn. IV.5 erfordern analog den Definitionen D8) und D9)794 jedoch auch die Definitionen einer „Spezialisierung eines Dogmatikelements" sowie des schon angekündigten „Dogmatikelementnetzes". 793 794

S. oben S. 163 und S. 168. Vgl. S. 116f.

IV.7 Rechtstheoretische Deutungen der Definitionen

D16)

171

D' ist ein spezialisiertes Dogmatikelement gdw 1) 2) 3) 4) 5)

D ist ein Dogmatikelement ( K D \ I) D' = ((M^M/ÎM'ÎQ'ÎC/);/')

Mf

CM

6)

CY

C CJ

M PP' C MPP MP C MP

7) CY 8) / '

C C2 = / Π AV

D16) verlangt von einer „Spezialisierung", daß sie über einen spezialisierten Kern ( K D ' ; / ' ) verfügen muß. Dies bedeutet insbesondere, daß die „angezielten Fallkonstellationen" ( = / ' ) zwar innerhalb der insgesamt anzielbaren Menge von Fallkonstellationen liegen, sich aber durch „spezielle Merkmale" auszeichnen. Dies ist die Forderung, die D16-8 erhebt 795 . Neben den Forderungen, daß ein spezialisiertes Dogmatikelement auch spezialisierte Modellmengen erfassen muß (D16-3 bis D16-5), ist vor allem darauf aufmerksam zu machen, daß sich ein spezialisiertes Dogmatikelement auch durch spezialisierte Constraints (D16-6 und D16-7) auszeichnen kann 796. Im Fall von Dogmatikelementen, deren Constraints eine gegenüber empirischen Theorien besondere Form haben, erklärt dies die Existenz besonderer Wortgebrauchsregeln und besonderer Grundsätze in Teilbereichen einer „echten Dogmatik". Eine „echte Dogmatik" ist, wie schon angedeutet, strukturell gesehen ein Dogmatikelementnetz, das durch folgende Definition gegeben ist: D17)

DN ist ein Dogmatikelementnetz gdw 1) 2) 3) 4)

DN = (N; Ν ist eine finite, nichtleere Menge von Dogmatikelementen ^ ist die Spezialisierungsrelation auf Ν Für alle ( K D , /), (K D\ Γ) Ε Ν gilt: K D = K D' gdw / = Γ

D17-4 stellt klar, daß ein Dogmatikelementnetz auch aus einem einzigen Dogmatikelement bestehen kann.

IV.7 Rechtstheoretische Deutungen der Definitionen Die etwas abstrakt scheinenden Definitionen D14) - D17) bedürfen einer Einbettung in herkömmliche rechtstheoretische Kategorien. Bei diesen Inte795

S. auch die Ausführungen in Fn. 587 zu D8-6. Wie D16-6 und D16-7 zeigen, ist dies aber nicht notwendig, da die Möglichkeiten Ci = C\ und C 2 = C 2 ' erlaubt sind. 796

172

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

grationsversuchen sind allerdings Reibungsverluste nicht immer vermeidbar, da das Sneed'sche Vokabular selbst mit bekannten wissenschaftstheoretischen Figuren nicht genau identifizierbar ist. D14) definiert zunächst nur das, was man intuitiv die „Begrifflichkeit" einer Dogmatik nennen würde, also ein Ensemble von Begriffen jeder Art. Ein Teil der juristischen Literatur 7 9 7 identifiziert gar diese Begrifflichkeit mit der Dogmatik selbst, eine Sichtweise, die in der Rechtstheorie dem oben 798 dargestellten „statement-view" dogmatischer Systeme korrespondiert. Der Unterschied zur hier vorgeschlagenen Sichtweise läßt sich nun dahingehend präzisieren, daß D14) nicht eine Dogmatik, sondern nur eine Komponente einer Dogmatik darstellt, eben eine (m + k) Matrix. D15) geht einen für das Verständnis der hier vorgestellten Metatheorie zentralen Schritt vorwärts, indem sie die „empirischen Komponenten" einer Dogmatik als deren integrale Bestandteile definiert. D15) trägt dem von ganz verschiedenen rechtstheoretischen Lagern vorgelegten Gedanken Rechnung, daß Dogmatik zwingend auf Realität bezogen sein müsse 799 , ohne diese gleichsam totes Material sei. Die Funktion „ 7>" - aber nicht die Dogmatik selbst - übernimmt dabei die Rolle der von der Hermeneutik so bezeichneten „Vermittlungsebene" zwischen Gesetz und Fall, jene von Hassemer- 800 gemeinte „mittlere Abstraktionsebene 801 . Auch hier läßt sich nun die Abgrenzung zur hermeneutischen Dogmatiktheorie präzise benennen: Dogmatik ist keine mittlere Ebene zwischen Theorie und Realität 802 , sondern ein Komplex, der Theorie und Realität inkorporiert. D16) reflektiert in mengentheoretisch präziser Form das allen „Theorieverwendern" bekannte Phänomen, daß eine „Grundtheorie" für bestimmte Spezialisierungen des Objektbereichs auch ein spezialisiertes Vokabular bereithalten muß. Selbstverständlich ist dieses Phänomen in der Jurisprudenz auch bekannt: sämtliche Qualifikationstatbestände des Besonderen Teils des StGB, also etwa § 226 StGB im Verhältnis zu § 223 StGB, § 260 StGB im Verhältnis zu § 259 StGB usw., stellen Spezialisierungen einer Grunddogmatik dar. Gleiches gilt für die Dogmatiken der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft im Verhältnis zueinander - § 161 I I HGB - und in beider 797 Namentlich J. Esser, (Möglichkeiten), S. 98, der von einer „sich zum eigenen System abschließenden Elementarlehre von Rechtsbegriffen ..." spricht. 798 Vgl. Abschn. II.3.1. 799 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Formulierung M. Walthers (Probleme), S. 198), Dogmatik bestünde aus einem „empirischen Teilmodell". so« W. Hassemer, (Grundlagen), S. 185. 801 Vgl. zum Ganzen oben Abschn. II.4.1. 802 Bemerkenswert ist, daß der Hermeneutiker Esser Dogmatik gerade nicht für ein Vermittlungsmedium, sondern für ein rechtstechnisches Begriffsgerüst hält (vgl. Fn. 797).

IV.8 Abschließende Bemerkungen

173

Verhältnis zur BGB-Gesellschaft, § 105 I I HGB (in diesem Fall hat man es sogar mit einer Dogmatikhierarchie zu tun, deren Modellmengen sich wie M" CM' C M verhalten). D17) verallgemeinert D16) schließlich dahingehend, daß jedes /i-Tupel von Dogmatikelementen (η ^ 2) ein Dogmatikelementnetz bildet, sofern die Voraussetzungen D17-1 bis D17-4 erfüllt sind. Die soeben erwähnte Trias personenrechtlicher Organisationsformen (BGB-G - O H G - KG) stellt vermutlich ein solches Dogmatikelementnetz, bestehend aus einem Dogmatikelementtripel, dar. D17) führt insofern eine neue Distinktion in die Rechtstheorie ein, als die bisherige Dogmatiktheorie zwischen einer Dogmatik und einer Hierarchie von Dogmatiken nicht unterschied, vielmehr jedes Arsenal von Normaussagen jenseits des Normtextes mit dem Begriff „Dogmatik" bezeichnete 803 . Diese Distinktion ist dann von Bedeutung, wenn scheinbar widersprüchliche oder doch inkompatible Begriffsverwendungen „einer" Dogmatik vorliegen. Eine genauere Analyse kann hier zeigen, daß man es nicht mit einem Dogmatikelement ( K D \ I) zu tun hat, sondern mit zwei oder mehreren Dogmatikelementen (K D'\ I') (K D"\ Γ') usw., die aus einer Grunddogmatik abgeleitet wurden und deshalb eine spezialisierte „Terminologie" und einen spezialisierten Anwendungsbereich ( / ' , / " usw.) haben. Der wissenschaftslogische Vorwurf inkompatibler Begriffe wäre in eine normative (moralische, rechtsstaatliche) Kritik an der Legitimität variierender Begriffsverwendung zu verwandeln 804 .

I V . 8 Abschließende Bemerkungen zur Explikation des strukturalistischen Dogmatikkonzepts Es hat sich gezeigt, daß der Sneed'sche Formalismus mit gewissen Einschränkungen, die namentlich das „Constraint"-Konzept und die „Reduktionsfunktion" betrafen 805 , auf die juristische Theoriebildung übertragbar ist. A m Ende steht kein formales Modell juristischer Dogmatik, sondern formale Präzisierungen auch normalsprachlich formulierbarer Ideen. Der Formalismus ist allerdings in der Lage, bekannte rechtstheoretische Vorstellungen erstmals wissenschaftstheoretisch befriedigend zu veranschaulichen. Vor allem die bislang nur sehr pauschal und vage in der Dogmatiktheorie vorhandenen

803 Neben der in Fn. 797 genannten Aussage von Esser vgl. z.B. noch W. Paul, (Rechtsdogmatik), S. 59; F. Wieacker, (Rechtsdogmatik), S. 319 („Gefüge von juristischen Sätzen und Regeln ... unabhängig vom Gesetz"). 804 In anderem Zusammenhang hat bereits J. Schmidt, (Rechtssprache), S. 395 hervorgehoben, daß „Präzision" keine absolute Forderung an Sprache ist, sondern stets nur relativ zu dem mit der Sprache verfolgten Zweck gefordert werden kann. 805 Vgl. oben Abschn. IV.3.6.4 einerseits und Abschn. IV.3.5 andererseits.

174

IV Juristische Dogmatik in strukturalistischer Sicht

Begriffe „Struktur" 8 0 6 und „Modell" 8 0 7 sind mithilfe des Sneed-Konzepts metatheoretisch handhabbar. Durch die Verarbeitung zahlreicher wissenschaftsempirischer Phänomene der Theorie(Dogmatik)anwendung ist die erkenntnistheoretische Tragweite des Sneed-Formalismus erheblich größer als die des „mikrologischen" „statement-view" 808 . So würde das für jede Wissenschaftspraxis wichtige Constraint-Konzept im prädikatenlogischen Zugriff als „Menge von Zusatzprämissen" nivelliert und daher wissenschaftstheoretisch unsichtbar. In diesem wie in anderen Fällen führt der „Bauplan" des SneedKonzepts auch in der Rechtsdogmatik zur theoretischen Würdigung von scheinbar unwichtigen oder gar störenden Phänomenen der praktizierten Wissenschaft 809.

806 Vgl. die systemtheoretische Dogmatiktheorie von N. Luhmann in Abschn. II.2.1 und die dort bereits geäußerte Kritik an der folgenlosen Verwendung des Strukturbegriffs. 807 Soweit ich sehe, hat G. Struck in (Diskussion) diesen Begriff in die Dogmatiktheorie eingeführt. 808 S. oben Abschn. II.3.1. 809 Diese in der Wissenschaftstheorie bislang einzigartige Berücksichtigung der Wissenschaftspraxis wurde bereits als einer der Vorzüge der Sneed'schen Metatheorie hervorgehoben.

V. Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion V . l Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie Oben in Abschn. II.6 wurde eine Liste von dreizehn Fragen vorgelegt, die die herkömmliche Dogmatiktheorie nicht zu beantworten vermochte. Dies waren und sind keineswegs alle Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer Metatheorie juristischer Dogmatik stellen, wohl aber eine Auswahl, an denen sich die Leistungsfähigkeit jeder Metatheorie messen lassen kann. Im Folgenden wird ohne weiteren Verweis von „Frage I " , „Frage I I " usw. gesprochen. V . l . l Dogmatik und „Modelle" Daß juristische Dogmatiken „Modelle" oder zumindest aus Modellen aufgebaut sind, ist bislang nur eine vage Vermutung, die erstmals von Struck 810 und Walther* 11 geäußert wurde. Diese Vermutungen ließen insbesondere offen, welcher Modellbegriff angezielt war 8 1 2 . Das strukturalistische Dogmatikkonzept kann nun auf diese Vermutungen eine eindeutige, aber relative, Antwort geben: eine Dogmatik, präziser: ein Dogmatikelement, „ist" ein aus mehreren Modelltypen aufgebautes Gebilde, sofern man von dem SuppesSneed'schen Modellbegriff ausgeht, nach dem ein „Modell" ein mittels theoretischer Strukturen beschreibbarer Objektbereich ist 8 1 3 . Wie jede Theorie selegiert Dogmatik Mengen solcher Objektbereiche und gruppiert sie zu drei verschiedenen Modelltypen: Μ , M p und M pp. Frage X I ist damit beantwortet. V.1.2 Struktur und Komponenten einer Dogmatik Frage I I , die Frage nach der Strukturförmigkeit einer Dogmatik, ist mit den Definitionen D14) - D17) und den Sätzen IX) und X ) 8 1 4 beantwortet: das, was herkömmlich eine „Dogmatik" genannt wird, ist in der Regel ein Element mittlerer Größenordnung, ein Dogmatikelement, das durch die Struktur 810

G. Struck, (Diskussion). su M. Walther, (Probleme). 812 Vgl. schon oben die Ausführungen in Abschn. II.5.1. 813 Grundlegend P. Suppes, (Comparison). 814 Oben S. 163.

176

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

D =

(K D;I)

gegeben ist, es kann jedoch auch ein Dogmatikelementnetz der Struktur DN = (K D;I;K D'

/'...)

sein, dessen Elemente der durch D 1 7 - 4 8 1 5 und D 1 6 8 1 6 gegebenen Definitionen genügen. Dogmatik ist mithin in der Tat als „Struktur" aufzufassen. Im Gegensatz zur Metatheorie Luhmanns vermag das strukturalistische Dogmatikkonzept allerdings auch zu zeigen, wie diese Struktur geformt ist. Übereinstimmend mit dessen Folgerungen läßt sich aber auch sagen, daß Dogmatik als Struktur Realität immer schon selegiert 817 , um sie „begreifbar", „regelbar" zu machen. Der Ort dieser Selektion ist dabei ein doppelter: einerseits unterliegen alle intendierten Anwendungen eines Kerns K D einer sukzessiven Selektion durch die definitorischen Bedingungen des mengentheoretischen Prädikats (des theoretischen Vokabulars), andererseits werden „im Vorgriff" auf die theoretische Struktur in die Menge I von vornherein nur solche Objektbereiche einbezogen, die vermutbar die theoretische Struktur „tragen" 8 1 8 . Die „empirische Komponente" einer Dogmatik, die die juristische Theorie bildlich gesprochen als „Begriffsphysik" - nicht als „Begriffsmathematik" 819 qualifiziert, wird durch die Mengen M pp und I (wobei, wie gesagt, I C M pp gilt) repräsentiert. Insbesondere die pragmatisch aus M pp ausgewählte Menge der intendierten Anwendungen I reflektiert auf formaler Ebene die inhaltliche Einsicht, daß „jede dogmatische Bemühung . . . auf Fallentscheidung ausgerichtet" 8 2 0 ist. Damit läßt sich ein Strukturmerkmal eindeutig einem wissenschaftsempirischen Phänomen, nämlich jener „Anwendungsbezogenheit" von Dogmatik, zuordnen, womit auch Frage I X ) einer Antwort zugeführt ist 8 2 1 . V.1.3 Zur Funktion einzelner Strukturmerkmale Etwas schwieriger sind die Fragen I I I ) , I V ) und V) zu beantworten, die alle auf eine Art Korrespondenz zwischen angebbaren Strukturmerkmalen und den Aufgaben oder Funktionen juristischer Dogmatiken zielen. Eine weitere, 815 s. 171. 816 s. 171. 817 N. Luhmann, (Rechtssoziologie), S. 40 und oben Abschn. II.2.1. 818 Daß dies in der Tat eine Variante des sog. „hermeneutischen Zirkels" ist, der „wesenhaften Vorurteilshaftigkeit allen Verstehens" (H. G. Gadamer, (Wahrheit), S. 254), wird unten noch näher zur Sprache kommen. 819 Also jene begriffsjuristische „Chemie des Rechts" wie sie von R. v. Jhering, (Geist), S. 340ff. gemeint ist. 820 W. Paul, (Rechtsdogmatik), S. 60. 821 In Abschn. V I . l ist nochmals auf diesen hermeneutischen Faktor von Dogmatiken zurückzukommen.

V . l Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

177

in Abschn. II.6 nicht explizit gestellte, Korrespondenzfrage betrifft das im Zusammenhang mit der Referierung der Dogmatiktheorie Podlechs aufgeworfene Problem, ob Begründungen Teil einer Rechtsdogmatik sind, oder ein eigener Aussagenkorpus. Faßt man die zuletzt aufgeworfene Frage zunächst ins Auge, so gibt das strukturalistische Dogmatikkonzept eine wiederum eindeutige, aber begrenzte, Antwort. Teil einer Rechtsdogmatik sind zwei Typen von Argumentationen, nämlich Interpretationsaussagen und der Rekurs auf Prinzipien. Dies sind die beiden oben 822 analysierten dogmatischen Constraints, jene funktionalen Äquivalente zu Sneed'schen Constraints in physikalischen Theorien. Im Sneed'schen Formalismus fungieren diese Begründungen allerdings nicht als Ableitungsprämissen einer juristischen Normaussage („Entscheidung") 823 , sondern als Querverbindungen zwischen den singulären erfolgreichen Anwendungen einer Dogmatik. Zum anderen lassen sich strukturalistisch auch nur Typen von Begründungen als Teil einer Dogmatik ausmachen. Welche Grundsätze zum Constrainttyp C 2 („Prinzipien") rechnen, kann formal nicht entschieden werden, da nur gefordert ist, daß sie in allen Modellen der Dogmatik „gelten", formal Μ

Π Ci Π C2

824

.

Grundsätzlich sind im Fall des Typs C 2 also alle Arten von „Supernormen" 825 zugelassen, ebenso wie im Fall des Typs C\ alle fixen Interpretationsaussagen möglich sind, da von ihnen ebenfalls nur die Gültigkeit in allen Dogmatikmodellen gefordert wird, in argumentationstheoretischer Terminologie: ihre Universalisierbarkeit 826 . Das Bild einer juristischen Dogmatik, das das strukturalistische Dogmatikkonzept entwirft, ähnelt also dem Konstrukt, das Podlech 827 eine „bewertete" Dogmatik nennt, eine mittels einer Begründung ausgezeichnete Menge von Lösungsvorschlägen 828. Noch etwas problematischer ist die Identifikation bestimmter Strukturmerkmale der Struktur D = ( ( M p p ; M p \ M ; C\\ C 2 ) ; I) mit den Dogmatiken 822 In Abschn. IV.3.6.3. 823 So sieht es das auf der Basis des statement-view juristischer Theorien fußende deduktive Begründungsschema juristischer Fallentscheidungen. S. etwa H. J. Koch / H. Rüßmann, (Begründungslehre), S. 56; H. J. Koch, (Projekt), S. 63f.; R. Alexy, (Argumentation), S. 279 und allgemein dazu E. v. Savigny, (Methodologie), S. 8f. 824 Vgl. oben Satz XIV (S. 166). 825 In der Tat handelt es sich beim Argumenttyp C 2 wohl um jene von P. Lorenzen / O. Schwemmer, (Ethik), S. 166 so bezeichneten „Supernormen", die übrigens ebenfalls inhaltlich indifferent sind. 826 Vgl. R. Alexy, (Argumentation), S. 279. 82 ? A. Podlech, (Dogmatik), S. 157. 828 S. oben S. 68 Formel 11. Man beachte die Ähnlichkeit dieser Formel mit Satz XIV S. 166. 12 Schlapp

178

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

zugeschriebenen Funktionen der Systematisierung 829 der Kontrolle (alternativer Fallösungen) 830 und Generalisierung 831 . Es bedarf hierzu eines Rekurses auf oben kurz angedeutete Aspekte der Theoriendynamik 832 . Ein wesentlicher Verdienst der Sneed'schen Metatheorie bestand und besteht in der präzisen Lokalisierung theoriendynamischer Phänomene innerhalb einer formalen Theorie 833 . Insbesondere erlaubt der Sneed'sche Formalismus eine formale Deutung des von Kuhn geprägten Begriffs des (wissenschaftlichen) Paradigmas. In Sneeds Vokabular ist ein Paradigma ein Tupel der Form (K\ Ü), wobei I + eine echte Teilmenge von I ist und „paradigmatische Grundmenge" genannt wird 8 3 4 . Das Tupel ( K ; I + ) ist der Nukleus eines Theorieelements, im wörtlichen Sinn der „harte Kern", der aus der Assimilation eines Kerns Κ an eine kleine Gruppe von Objektbereichen („empirischen Abläufen", „Sachverhalten" usw.) resultiert. ( Κ ; I + ) repräsentiert das wissenschaftshistorische Phänomen, daß alle Theorie der Erfahrung zeitlich nachfolgt, letztlich nur Instrumente zur (sprachlichen) Bewältigung einer immer vorher „gewußten" Welt bereitstellt 835 . Dieses „Zuschneiden" eines Vokabulars auf einen sehr begrenzten ursprünglich ins Auge gefaßten Weltausschnitt - Juristen ist dieses Assimilationsverfahren aus dem Bereich der Gesetzgebung geläufig 836 - führt zu einem sehr stabilen Tupel 7 + ) . Dieser „harte 837 Kern" eines Theorieelements - das „Paradigma" - kann in der folgenden Zeit als „Muster" für andere, ursprünglich nicht ins Auge gefaßte, Anwendungen des Vokabulars dienen. Der „harte Kern" wird dadurch sukzessive durch 829

Vgl. z.B. M. Weber, (Rechtssoziologie), S. 69 oderH. Müller-Dietz, (Strafrechtsdogmatik), S. 107. 830 Vgl. vor allem/. Esser, (Grundsatz), S. 303. 831 Vgl. etwa/. Esser, (Grundsatz), S. 80. 832 In Abschn. III.3.8. 833 Nach einem Wort von P. Feyerabend handelt es sich bei der Sneed'schen Theorie um eine „Sneedifizierung von Kuhn" (zit. nach W. Stegmüller, (View), S. 13). 834 S. dazu/. D. Sneed, (Physics), S. 287f. und W. Stegmüller, (Theoriendynamik), S. 41. 835 Diese These kann hier nicht im einzelnen belegt werden. Immerhin erlauben mehrere Darstellungen der neuzeitlichen Physikhistorie diese wissenschaftshistorische Extrapolation, vgl. z.B. die Bemerkung Newtons, die beste und sicherste Methode des Philosophierens sei es, „zumindest eifrig die Eigenschaften der Dinge zu erforschen und sie durch Experiment zu bestätigen, dann erst Hypothesen zu ihrer Erklärung zu suchen", (zit. nach A. C. Crombie, (Augustinus), S. 550f.); die Entdeckung der Radioaktivität durch das Ehepaar Curie ist hierfür ein ebensolcher Beleg wie die Entwicklung der Geometrie (zu ersterem vgl. E. Segré, (Physiker), S. 47f. zum anderen B. L. v. Waerden, (Wissenschaft), S. 50. 836 Ein erfreulich deutliches Beispiel hierfür liefert die Gesetzgebungsgeschichte des § 60 StGB. Die mit diesem Institut zu regelnden „Kernsachverhalte" wurden in den Begründungen aller Gesetzentwürfe mit bemerkenswerter Monotonie beschworen, vgl. einerseits die Begründung zu § 58 AE-StGB (in /. Baumann u. a., (AE-StGB), S. 115) und zu § 16 (a.F.) StGB in BT-Drs. V/4094, S. 6f. 837 Er entspricht ziemlich genau derjenigen Entität, die I. Lakatos, (Forschungsprogramm), S. 129 den „harten Kern" von Forschungsprogrammen nennt.

V.

Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

179

„Anlagerung" weiterer Objektbereiche erweitert, die Theorie expandiert. Unter diesem theoriendynamischen Aspekt stellt sich eine Theorie als Gruppierung erfolgreicher Anwendungen um ein Paradigma herum da, die man sich anschaulich etwa so vorstellen kann:

Diese Musterfunktion eines Paradigmas erklärt alle einer Dogmatik zugeschriebenen Funktionen; Systematisierungs-, Generalisierungs-, Kontrollund Heuristikfunktionen stellen sich unter theoriendynamischem Blickwinkel als Funktionen eines Paradigmas einer Theorie dar 8 3 8 , im strukturalistischen Sinn also als Funktion eines Tupels der Form ( Κ ; / + ) . Dieses Tupel leistet zunächst eine Generalisierung, indem die Menge I + als offen, aber theoretisch determiniert, gedacht ist. Man mag dies die „hermeneutische Dimension" der in I + enthaltenen Sachverhalte nennen 839 . Die mittels des Tupels ( K ; I + ) formulierbare dogmatische Behauptung lautet nämlich i)

V X(X

Ç (K D;I+))W>.

Da nun für jedes Theorie- bzw. Dogmatikelement gilt I+ Q I läßt sich die paradigmatische Aussage i) verallgemeinern zu ii)

V X(X

838

C

(K D;I))

S. dazu Th. S. Kuhn, (Revolutionen), Kap. V. Zur hermeneutischen Dimension des juristischen Sachverhalts vgl. W. Hassemer, (Tatbestand), S. 102f. und F. Müller, (Methodik), S. 109. 840 Vgl. oben Aussage XV) (S. 167); Aussage i) ist nichts anderes als die strukturalistische Variante einer Paradigmabehauptung. 839

1*

180

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

Dieser Verallgemeinerungsschritt läßt sich umgangssprachlich etwa so fassen: wenn es Sachverhalte gibt, die sich mittels eines Vokabulars ( K D ) zutreffend beschreiben lassen, dann ist es wahrscheinlich, daß es noch mehrere - ähnlich gelagerte - Sachverhalte gibt, die sich ebenfalls mit diesem Vokabular erfassen lassen. Oder in expliziter Form: „Alle Sachverhalte, die jenen aus der Menge I + ähnlich sind, lassen sich durch das Vokabular K D zutreffend beschreiben." Wie die unechte Teilmengenbeziehung zwischen / + und / indiziert, wird die Gültigkeit dieser Verallgemeinerung nicht dadurch widerlegt, daß es keine ähnlichen Fälle gibt. Die Generalisierungsfunktion einer Dogmatik liegt in der Möglichkeit dieser Verallgemeinerung: gibt es nur eine erfolgreiche Anwendung eines Dogmatikelements, also ein Tupel der Form (K\ /), so bildet diese ein paradigmatisches Tupel der Form ( Κ ; 7 + ) das über die Teilmengenbeziehung zwischen I + und / zu einer generellen Behauptung für alle „analogen" Objektbereiche verallgemeinert wird. Eine weitergehende Deutung der Generalisierungsfunktion kann das (formale) strukturalistische Dogmatikkonzept nicht liefern. Es erlaubt insbesondere keine Antwort auf die Frage, was denn eine „analoge" Fallgestaltung zu j'i, Ì2 "I + ist. Die inhaltliche Frage, worin solche Analogien bestehen, kann das Konzept nur über die Formel I + C I lokalisieren. Hier begegnet das gleiche Problem wie bei der formalen Erfassung von Analogieschlüssen 841. Es ist nur folgerichtig, daß die strukturalistische Variante dieser Frage, nämlich was zur Menge / zu rechnen ist, als logisch unbeantwortbar, als pragmatisches Problem, aufgefaßt wird 8 4 2 . Die Schwäche, keine inhaltlichen Kriterien für die Ähnlichkeit von Fallkonstellationen benennen zu können, teilt der hier vorgelegte Entwurf freilich mit allen bisher bekannten Dogmatiktheorien. Sein Vorteil scheint mir zumindest darin zu liegen, einen systematischen Standort derartiger Fallanalogien innerhalb einer Dogmatik lokalisieren zu können. Eng verknüpft mit dieser Generalisierungsfunktion von Dogmatik ist die ihr zugeschriebene heuristische Funktion. Daß auch hier der Kuhn'sche Paradigmabegriff eine Schlüsselrolle spielt, läßt bereits eine Formulierung von Esser erkennen, der jene heuristische Funktion einer Dogmatik in der ihr eigenen Fähigkeit erblickt, „fruchtbarer Ausgangspunkt für neue Beobachtungen und Anknüpfungen" 843 sein zu können. Dies entspricht ziemlich genau derjenigen Größe, die im wissenschaftlichen Forschungskontext ein „Beispiel für kon841

S. dazu U. Klug, (Logik), S. 119 (Formel 9.5.). Auch hier ist man gezwungen, Analogien durch Teilmengenbeziehungen zu repräsentieren. 842 Vgl. etwa W. Balzer, (Theorien), S. 29 oder W. Diederich, (Rekonstruktionen), S. 53. 843 /. Esser, (Vorverständnis), S. 101. Vgl. nunmehr S. 55 und Fn. 264.

V . l Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

181

krete wissenschaftliche Praxis" bildet und ein „Vorbild abgibt, aus dem bestimmte festgefügte Traditionen wissenschaftlicher Forschung erwachsen" 8 4 4 und die Kuhn „Paradigma" nennt 845 . Und es ist diese Vorbildfunktion des Tupels ( Κ ; 7 + ) , das die Analogien zu anderen mit einem Dogmatikvokabular zu erfassenden Fallkonstellationen leitet, die man die heuristische Funktion einer Dogmatik zu nennen pflegt 846 . Auch ihr „Sitz" ist also das Tupel ( K ; I + ) und die mit diesem verbundene Extensionsmöglichkeit 7 + Ç I. Um die Systematisierungs- und Kontrollfunktion von Dogmatiken innerhalb des strukturalistischen Aufbaus eines Dogmatikelements zu lokalisieren, bedarf es eines Blicks auf den Kern eines Dogmatikelements. Dogmatik systematisiert nach der herrschenden Ansicht in der Rechtstheorie 8 4 7 die in den Normen (verborgen?) liegenden Grundsätze, indem sie sie zu einer (widerspruchsfreien) Ordnung gruppiert 848 . Dogmatische Systematisierung hat es nach dieser Auffassung also mit juristischen Normaussagen - und nur mit ihnen - zu tun 8 4 9 . Dieses Bild unterscheidet sich von dem hier vorgelegten deutlich: unter dem strukturalistischen Blickwinkel systematisiert eine „Dogmatik" keine (Norm)Aussagen, sondern Sachverhalte. Sehr frei gesprochen wird die Menge I durch die Struktur K D „systematisiert", indem aus der Menge aller realen Geschehensabläufe eine Teilmenge durch Anwendung der Struktur K D selegiert und arrangiert wird. Diese Systematisierungsleistung teilt juristische Dogmatik, wie ganz zu Anfang schon ausgeführt wurde 8 5 0 , mit jeder wissenschaftlichen Theorie. Dennoch läßt sich im Kern einer Dogmatik eine Teilstruktur finden, die eine solch „interne" Systematisierung zu leisten vermag. Um dies zu zeigen, 844

Th. S. Kuhn, (Revolutionen), S. 25. Th. S. Kuhn, a.a.O.; daß nach Ansicht von Kuhn diese Paradigmata „Gesetze, Theorien (!), Anwendung und Hilfsmittel" einschließen, markiert den zentralen Unterschied zur Sneed'schen Deutung des Paradigmabegriffs, wo dieser nur noch innerhalb einer Theorie einen Sinn ergibt. 846 Vgl. etwaÄ. Alexy, (Argumentation), S. 332 oder U. Meyer-Cording, (Dogmatiker), S. 34. 847 Vertreten von W. Paul, (Rechtsdogmatik), S. 59; P. Bringewat, (Denken), S. 19f.; W. Krawietz, (Funktion), S. 151. 848 Paradigmatisch dürften hier die Ausführungen von Max Weber sein, der Dogmatik die Aufgabe zuweist, Sätze (d.h. hier: Verhaltensregeln) „ausgehend von ihrer unbezweifelten empirischen Geltung, ihrem logisch richtigen Sinn (nach) dergestalt zu bestimmten ..., daß sie dadurch in ein logisch in sich widerspruchsloses System gebracht werden." (Rechtssoziologie), S. 69. 849 Ich muß an dieser Stelle die Frage offen lassen, ob dies die adäquate Sicht von Dogmatik ist, und verweise auf die Ausführungen in Abschn. II.3.1 zum „Aussagenkonzept". S50 Vgl. oben Abschn. 1.1.2 und 1.1.3 sowie Def. 1 (S. 20) und Def.2 (S. 29). 845

182

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

sei ein Beispiel für eine derartige Systematisierung gewählt, das wohl 8 5 1 die intuitiven Vorstellungen der genannten Rechtstheoretiker trifft: Kuhlen hat in einer neueren Untersuchung zum Charakter des § 324 StGB (Gewässerverunreinigung) 852 anhand dieser Norm eine neue Deliktskategorie, sog. „Kumulationsdelikte" entdeckt, die sich gegenüber den abstrakten Gefährdungsdelikten durch eine nochmals gelockerte Beziehung der kriminalisierten Handlung von der Rechtsgutsverletzung auszeichnen sollen 853 . Er führt dazu aus: „Sie (seil.: die Deliktsart) bekommt man in den Blick, wenn man den die Strafbarkeit begründenden Verletzungs- oder Gefährdungsbeitrag gar nicht mehr bei der Einzelhandlung sucht ... Die einzige Begründungsmöglichkeit für einen solchen Kumulationstatbestand liegt in einer Rechtfertigung, die ich ... als Rechtfertigung aus dem Problem der großen Zahl bezeichne. ... Abstrakt gesprochen besteht diese darin, daß individuell rationales Verhalten, wenn es in großer Zahl ausgeführt wird, zu insgesamt suboptimalen oder irrationalen Resultaten führt. ... Zu ihrer (seil.: Probleme der großen Zahl) Lösung ist nun das Strafrecht ein prinzipiell geeignetes Mittel" 854 . Stark gerafft leistet die dogmatische Untersuchung Kuhlens zweierlei: sie analysiert ein hinter einer Norm stehendes Prinzip (Kumulationsdelikt als strafrechtliche Schutztechnik) und ordnet es in das bisher bestehende System ein, indem sie seine Vereinbarkeit mit dem Gesamtsystem zu erweisen sucht (Bedürfnis des Rechtsgüterschutzes). Damit ist eine Systematisierung eines in einer Norm implizit vorhandenen Grundsatzes erreicht. Um nun zu sehen, welche Teilstruktur im Kern eines Dogmatikelements für derartige Systematisierungen verantwortlich ist, muß man Kuhlens Entdekkung 8 5 5 mit ihrem Anlaß in Beziehung setzen. Ausgangspunkt von Kuhlens Untersuchung war die Frage, was unter einer „Verunreinigung" bzw. einer „nachteiligen Veränderung" i.S.v. § 324 1 StGB zu verstehen ist, also die Frage der Reichweite der Norm. Kuhlen entscheidet sich für eine der beiden grundsätzlich möglichen Lösungen („jede Veränderung des Gewässers, die für die Umwelt nachteilig ist" oder „nur biologisch wirklich gefährliche Veränderungen") 856 unter Zuhilfenahme eines Grundsatzes, nämlich demjenigen der Schutzbedürftigkeit der Umwelt vor Kumulationsdelikten. 851

Leider geben die genannten Rechtstheoretiker keine Referenzbeispiele an, so daß ein Rest Spekulation verbleibt. 852 L. Kuhlen, (Handlungserfolg). 853 L. Kuhlen, (Handlungserfolg), S. 399. 854 L. Kuhlen, (Handlungserfolg), S. 399, S. 401, S. 402. 855 Um eine Entdeckung und nicht um eine Erfindung handelt es sich m. E. deshalb, weil das StGB tatsächlich zahlreiche weitere Kumulationstatbestände enthält. § 84 Abs. 2 Satz 1 StGB (Mitgliedschaft (!) in einer für verfassungswidrig erklärten Partei) scheint mir ein solcher Tatbestand zu sein. 856 Zum sachlichen Problem vgl. etwa L. Kuhlen, (Handlungserfolg), S. 390f.; Lackner, (StGB), Rn. 3a zu § 324; R. Maurach / F. C. Schweiler, (BT/2), S. 50.

V . l Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

183

Das aber ist nichts anderes als ein anschaulicher Fall der oben 857 analysierten Determinationsfunktion von Grundsatzconstraints. Ein prinzipiell beliebig „deutbarer" dogmatischer Term wird in seinem semantischen Spielraum durch einen übergeordneten Normsatz beschränkt. Dies führt zu einer Folgerungsbeziehung zwischen dem konkreten Normsatz „,Verunreinigung' ist jede nachteilige Veränderung der Gewässerstruktur" (Grundsatz B) und dem abstrakteren Normsatz „Die Ökologie bedarf des Schutzes durch Kumulationsdelikte" (Grundsatz A ) 8 5 8 in der Form einer einfachen Implikation „A B". Da diese Implikation nicht ausschließt, daß aus A auch andere Theoreme ableitbar sind, vermag die Prämisse A auch noch andere Normsätze (mittleren Abstraktionsgrads) zu „bündeln" und damit durch deren Rückbezug auf einen normativen Grundsatz zu systematisieren. A l l dies sind die Eigenschaften von Grundsatzconstraints, und all dies dürften auch die Eigenschaften dessen sein, was die Rechtstheorie die „Systematisierungsfunktion" von Dogmatiken nennt. Es spricht deshalb vieles dafür, die Grundsatzconstraints einer Dogmatik - den Constrainttyp C 2 - als den Ort dogmatischer Systematisierung zu bezeichnen. Die damit eng verknüpfte Kontrollfunktion juristischer Dogmatiken besteht im Kern in nichts anderem als in einer Verträglichkeitsprüfung einer Konsequenz C, D oder E mit der als allgemein akzeptiert unterstellten Prämisse A . Ein Beispiel aus der relativ komplexen Dogmatik der §§ 812ff. BGB mag dies belegen: In den Fällen bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung fehlgeschlagener Kaufverträge gilt nach der auch vom Bundesgerichtshof vertretenen Dogmat i k 8 5 9 die sog. „Saldotheorie" 860 . Dies bedeutet, daß sich nicht zwei separierte Bereicherungsansprüche gegenüberstehen, sondern nur ein Bereicherungsanspruch in Höhe des wertmäßigen Überschusses (Saldo) für den jeweiligen Benachteiligten existiert 861 . Der B G H hatte 1978 einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Anwendung der Saldotheorie nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Rückabwicklungsverhältnisses und damit um die gegenüber § 818 I I I BGB verschärfte Haftung nach § 818 I V BGB (also insbesondere eine Schadensersatzpflicht des Entreicherten gem. §§ 818 I V , 292, 989 BGB) ging. Der B G H bejahte 857 s. oben Abschn. IV.3.6.3, bes. S. 157ff. und Abschn. IV.3.6.4.2. 858 Vgl näher zum Rechtsgut „Ökologie" etwa M. Möhrenschlager, (Konzentration), S. 98. 859 St.Rspr, seit BGHZ 1, 75 (81). 860 Zur dogmatischen Konstruktion vgl. etwa W. Berg, (Gebrauchtwagenkauf), S. 181 f.; C. Joerges, in AK-BGB, Rn. 65ff. zu § 818. 861 Die praktische Wirkung entfaltet dieser Ansatz in Fällen, in denen die Leistung einer Vertragsseite untergeht und der Weg zur Entreicherungseinrede gem. § 818 III BGB eröffnet ist. Die Saldotheorie ist damit ein Risikoverteilungsprinzip (s. auch C. Joerges, (Bereicherungsrecht), S. 41.

184

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

diese Frage 862 , leitete aus dem allgemeinen Grundsatz „Für die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von fehlgeschlagenen Kaufverträgen gilt die Saldotheorie" (Grundsatz A ) den spezielleren Grundsatz „Auch für die verschärfte Haftung nach Rechtshängigkeit gilt die Saldotheorie" ab (Grundsatz B ) 8 6 3 . In einem diese Entscheidung rezensierenden (und damit offenbar kontrollierenden) Aufsatz führte Berg m nun aus: „Das bedeutet, daß der Beklagte auch im Fall einer verschärften Bereicherungshaftung (hier: ab Rechtshängigkeit) eo ipso auf Grund des faktischen Synallagmas das Risiko einer Verschlechterung seiner Leistung zu tragen hat, daß also auch insoweit die Saldotheorie gilt. Der B G H hat daher zu Recht V zur Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt und hierauf den Wagen nur mit dem Wert angerechnet, den er durch den nach Rechtshängigkeit vorgenommenen Verkauf noch erbrachte." 865 Berg überprüfte also das Entscheidungsergebnis anhand eines fraglos geltenden Grundsatzes, eben jenem der durchgängigen Anwendung der Saldotheorie in Rückabwicklungsverhältnissen bei fehlgeschlagenen Kaufverträgen. Nach dem hier eingeführten Vokabular wurde dadurch eine intendierte Anwendung der Entreicherungsdogmatik des § 818 I I I BGB daraufhin untersucht, ob sie mit dem Vokabular von K D zutreffend beschrieben wurde und ob sie insbesondere zutreffend als Element der Schnittmenge Μ Π Ci Π C 2 eingeordnet wurde, wobei als zentrales Überprüfungskriterium der Saldotheoriegrundsatz als ein c 2 E C 2 der Entreicherungsdogmatik fungierte 866 . In anderer Formulierung: kontrolliert wurde die Verträglichkeit einer konkreteren mit einer abstrakteren Normaussage, was der von der Rechtstheorie angezielten Kontrollfunktion juristischer Dogmatiken präzise entspricht. Daß es sich hier nur um eine „interne" Richtigkeitskontrolle eines Entscheidungsergebnisses handelt, trifft die klassische Sicht juristischer Dogmatik ebenso exakt 867 . Festzuhalten bleibt, daß der Constrainttyp C 2 offenbar auch für die sog. „Kontrollfunktion" von Dogmatiken verantwortlich ist" 8 6 8 . Die Fragen IV) und V) der Liste sind damit vollständig beantwortet.

862 BGHZ 72,252. 863 Die entscheidende Stelle des Urteils lautet: „Es ist deshalb nur folgerichtig, daß sich der Eintritt der verschärften Haftung des § 818 IV BGB nicht nur auf die empfangene Leistung, sondern in gleichem Maße auf die darauf anzurechnende Gegenleistung auswirkt." 864 W. Berg, (Gebrauchtwagenkauf). 865 W. Berg, (Gebrauchtwagenkauf), S. 182 (Hervh. vom Verf.). 866 Es ist also nicht ausgeschlossen, daß die Entreicherungsdogmatik noch andere Grundsatzconstraints enthält. 867 S. zu diesem die Dogmatik gegen die „Folgenreflexion" abschichtenden Merkmal etwa Arth. Kaufmann, (Rechtsdogmatik), S. 2; W. Paul, (Rechtsdogmatik), S. 63; P. Bringewat, (Denken), S. 20;/. Esser, (Vorverständnis), S. 91 f.

V . l Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

185

V.1.4 „Fallkonstellationen" und Dogmatik Die Fragen VII) und X) sind auf der Grundlage der Explikationen in den Abschnitten IV.3.3.3 und IV.3.4 relativ leicht beantwortbar. „Fallkonstellationen" einer Dogmatik sind die Extensionen deren Vokabulars. Das strukturalistische Dogmatikkonzept als streng extensionale Metatheorie erfaßt unterschiedliche Typen von Fallkonstellationen in der Form unterschiedlicher Teilstrukturen des „Kerns" einer Dogmatik und als theoretisch Undefinierte Menge I. Mit Ausnahme der Constraints sind alle Teilstrukturen des Kerns, also Mpp, Μρ und M Mengen von Sachverhalten mit den bereits mehrfach angesprochenen mengentheoretischen Verhältnissen M pp C M p Ç M, die ihrerseits aus der schrittweisen Verschärfung des Vokabulars resultieren. Der eigentliche normative Gehalt einer Dogmatik ist gegeben durch Μ

Π Ci Π C2 ,

also durch die Menge derjenigen Sachverhalte, die durch das mengentheoretische Prädikat einer Dogmatik zutreffend beschreibbar sind und die alle Constraints erfüllen 869 . Alle außerhalb dieses Gehalts lokalisierten Sachverhalte sind „abgrenzende" Fallkonstellationen, also ursprünglich intendierte Anwendungen, die sich bei näherer Prüfung nicht als „Fälle" der Dogmatik erwiesen. Sie zählen, je nach Prüfungsstadium, zur Menge M pp oder M p, sind also auch Teilstrukturen des Dogmatikkerns, die u. a. didaktische Funktionen wahrnehmen 8 7 0 . Fallkonstellationen und „abgrenzende" Fallkonstellationen sind unter dem strukturalistischen Blickwinkel integrale Bestandteile einer Dogmatik. Die Fragen V I I und X sind damit beantwortet. V.1.5 Die Reduktion der Eigenkomplexität einer Dogmatik Jedes ausdifferenzierte Subsystem weist einen bestimmten Grad an Eigenkomplexität auf. Dies bedeutet, ganz im Sinne der Luhmann'schen Sichtweise, daß ein System (potentiell) mehr Reaktionsmöglichkeiten hat, als aktualisiert werden können 871 . Komplexität zwingt ein System zur Selek868 Da sich die Kontrollfunktion eng an die Systematisierungsfunktion anlehnt, diese aber nur Normaussagen betrifft, muß offen gelassen werden, ob es noch Kontrollfunktionen der Dogmatik für empirische Aussagen gibt. 869 Zur ambivalenten Struktur von Constraints (mathematisch einerseits, extensional andererseits), vgl. oben S. 107 und Fn. 550. 870 Aul die didaktische Funktion von Dogmatiken hat bereits A. Podlech, (Bedingungen), S. 492f. (etwas differenzierter ders., (Fachsprache), S. 45ff.) hingewiesen, ohne allerdings genauer zu explizieren, weshalb eine Dogmatik die Erlernung des Rechtsstoffs ermöglicht oder erleichtert. 871 Vgl. N. Luhmann, (Rechtssoziologie), S. 31; übrigens trifft diese Definition trotz der immer wieder vermuteten Nähe der Luhmann'schen Systemtheorie zur Kybernetik deren Komplexitätsbegriff nicht, vgl. G. Klaus / H. Liebscher, (WdK), S. 314.

186

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

tion 8 7 2 , und dieser Druck bedingt wiederum die Ausdifferenzierung von Selektionskriterien. Ohne derartige Selektivität träte angesichts der unbegrenzten Potentialität von Handlungsmöglichkeiten eine Paralyse des Systems ein: es könnte sich nicht mehr falsch oder richtig, nicht mehr so oder anders, sondern überhaupt nur noch verhalten 873 und wäre alsdann ungeeignet, noch irgendwelche systemischen Leistungen zu erbringen. Das System fiele seiner Komplexität zum Opfer. Obgleich Luhmann der Rechtsdogmatik solche systemischen Leistungen zuschreibt und obgleich er erkennt, daß Dogmatik Entscheidungen durch die „Negation von mancherlei Sinnzumutungen" 874 organisiert, versäumt er, Elemente und Lokalität derartiger „Negationen" namhaft zu machen. Daß eine Dogmatik gleichsam einen Schutz gegen gefährliche Eigenkomplexität benötigt, daß also Dogmatiken über mehr Reaktionsmöglichkeiten verfügen, als im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit aktualisiert werden können (dürfen), belegen die Klagen über „hyperdifferenzierte" Dogmatiken etwa im Bereich des Notwehrrechts 875 , des Bereicherungsrechts 876 oder des modernen Zivilrechts im Allgemeinen 877 , die in die Frage münden, ob sich Dogmatiken ebenso fortschreitend entwickeln dürfen wie physikalische Theorien 878 . In der Tat existieren derartige Sicherungen innerhalb einer Dogmatik. Und nicht zufällig lassen sich Erosionen einer Dogmatik fast ausschließlich daraus erklären, daß diese Sicherungen außer Acht gelassen werden. Welcher Art diese Reduktionsstellen der Eigenkomplexität einer Dogmatik sind, wurde in einem vorangegangenen Abschnitt schon vorgezeichnet 879 . Es können offenbar nur jene Strukturelemente einer Dogmatik sein, die auch Garant für Systematisierungs- und Kontrollfunktionen juristischer Theorien sind, nämlich die Constraints. Beide Constrainttypen leisten diese Reduktion von (potentieller) Eigenkomplexität in unterschiedlicher A r t und Weise. Identitätsconstraints garantieren eine konsistente Begriffsverwendung quer durch alle Anwendungen einer Dogmatik. Ohne derartige Constraints unterläge die Anwendung eines Begriffs in verschiedenen Objektbereichen keinerlei Limitierungen, am wenigsten dem Limit des „natürlichen Wortsinns" 880 . 872

S. N. Luhmann, (Rechtssoziologie), a.a.O. 873 Ygi dazuN. Luhmann, (Rechtsdogmatik), S. 23. 874 N. Luhmann, (Rechtsdogmatik), S. 22f. 875 Vgl. etwa W. Hassemer, (Provokation), S. 226f.; K. Marxen, (Grenzen), S. 19. 876 Vgl. C. Joerges, (Bereicherungsrecht), S. 7. 877 Vgl. S. Simitis, (Bedeutung), bes. S. 134ff. 878 Diese Frage stellt neuerdings J. Baumann, (Dogmatik), S. 117f.; offen bleibt, ob damit auch der qualitative Fortschritt gemeint ist, oder ob nicht zumindest die Komplexität dann erhöht werden kann, wenn dies „mit konsistentem Entscheiden vereinbar ist" (Ν. Luhmann, (Rechtsdogmatik), S. 23). 87 9 In Abschn. V.1.3.

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Kein Entscheider wäre daran gehindert, dem Ausdruck „ X " in je differierenten Fallkonstellationen eine je differente Intension zuzuordnen 881 (horizontale Dispositionsfreiheit), und kein anderer Entscheider wäre an eine einmal erfolgte Zuordnung gebunden (vertikale Dispositionsfreiheit) 882 . Eine einheitliche Begriffsverwendung wäre in dieser theoretisch unkalkulierbaren Situation nur ein glücklicher Zufall oder alleiniges Produkt externer Mechanismen, etwa des Instanzenzugs883. Erst die Beschränkung möglicher Deutungen durch Interpretationsconstraints, in Luhmanns Sprache: die Negation von Sinnzumutungen, reduziert die Gefahr der Aktualisierung disfunktional wirkender Potentialität. Eine ähnliche Beschränkung erzielen Grundsatzconstraints auf andere Art und Weise. Dieser Typ von Constraints sorgt intuitiv gesprochen dafür, daß vom Wortlaut her mögliche Anwendungen einer Dogmatik (präziser: eines mengentheoretischen Prädikats) letztlich doch aus deren Bereich ausgeschieden werden, was formal der Schnittmenge Μ Π Ci Π C 2 entspricht 884 . Ein solches Constraint reduziert damit die Menge möglicher Anwendungen einer „Norm". Dazu ein Beispiel: Nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO ist es ohne Ausnahme verboten, vor Grundstückseinfahrten zu parken. Parkt nun der Grundstückseigentümer selbst vor der Einfahrt, handelt er vom Wortlaut her ohne Zweifel gegen diese Norm und deshalb ordnungswidrig (§§ 49 Abs. 1 Nr. 12, 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO i . V . m . § 24 StVG). Ein solches Ergebnis ist offensichtlich unsinnig, da § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO evidentermaßen einen bestimmten Schutzzweck verfolgt, 880 Vgl. dazu U. Neumann, (Auslegungsgrenze); die theoretische wie praktische Unmöglichkeit dieses Limits hindert bis heute dessen Postulierung nicht, vgl. nur Κ Larenz, (Methodenlehre), S. 309; F. Müller, (Methodik), S. 141. 881 Dies bedeutet nach der Deutung der Intension als Funktion, die einem Ausdruck in jeder möglichen Welt eine Extension zuordnet, daß in unterschiedlichen Sachverhalten unterschiedliche Gegenstände mit dem gleichen Ausdruck bezeichnet werden. S. dazu F. v. Kutscher α, (Sprachphilosophie), S. 70 f. 882 Der Einwand, eine solche Bindung ergebe sich aber zumindest aus Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung des Richters an Gesetz und Recht), würde etwas voraussetzen, was es nach Lage der hypothetischen Dinge gar nicht gäbe, nämlich eine einheitliche Rechtsprechung. Will man in dem Bindungspostulat überhaupt mehr sehen als eine Tautologie (so noch Schnapp, in v. Münch, (GG), Rn. 36 zu Art. 20), so gibt ihm erst Dogmatik einen praktikablen Sinn. 883 Vgl. dazu schon oben S. 52. 884 Dies ist der Fall der (wahrscheinlich regelmäßigen) Divergenz der Menge der Modelle und dem „Gehalt" einer Theorie (Dogmatik), die sich formal als folgende unechte Teilmengenbeziehung darstellt:

Pot (M) C Pot (M) Π Ci . . . C„ Daß dies auch bei physikalischen Theorien vorkommen kann, demonstrieren z.B. W. Balzer / F. Mühlhölzer, (Stoßmechanik), 23f., die nachweisen, daß auch pure Zahlengebilde das Prädikat „ist eine Stoßmechanik" erfüllen können, also Gebilde, die mit dem empirischen System nichts zu tun haben.

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nämlich dem Grundstückseigentümer die jederzeitige Zufahrtsmöglichkeit zu seinem Grundstück zu sichern. Dieser Schutzzweck wird in dem Problemfall natürlich nicht tangiert. Man wird daher folgende Zusatzbedingung für die Anwendung von § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO formulieren: „Schutzzweck der Norm ist die Sicherung der jederzeitigen Nutzungsmöglichkeit der Grundstückszufahrt durch den Eigentümer." Ein solcher Satz aber ist nichts anderes als ein Grundsatzconstraint der oben beschriebenen A r t 8 8 5 . Unter anderem Blickwinkel wurde in diesem Fall eine offenbar disfunktionale Potentialität einer Dogmatik durch „Einbau" einer Clearingstelle reduziert. In dem Beispielsfall wurde hierfür der „Normzweck" als komplexitätsreduzierende Größe gewählt. Andererseits ist dieser „Normzweck" ein häufig auftauchendes Grundsatzconstraint 886 . Ein weiteres Beispiel, das weiter unten noch näher zu analysieren sein wird, ist der Grundsatz des § 32 StGB, das „Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen" 887 . Diese Sentenz wird in zahlreichen Konfliktfällen der Notwehrdogmatik gleichsam als deus ex machina präsentiert, um ansonsten hoffnungslos verworrene Szenarien entscheidbar zu machen 888 . Wie sich noch herausstellen wird, handelt es sich bei dieser Aussage um ein wichtiges Grundsatzconstraint der § 32 StGB-Dogmatik. Gleichzeitig verhilft dieser Grundsatz einer zur zunehmenden Disfunktionalität tendierenden Dogmatik zur Durchsetzbarkeit der Lösung praktischer Fragen und garantiert damit die Funktionalität dieses Sub-Subsystems. Es spricht danach einiges dafür, die Constrainttypen C\ und C 2 mit den gesuchten Reduktionsfunktionen intradogmatischer Komplexität, d.h. der Eigenkomplexität dogmatischer Theorie, zu identifizieren. Ob es daneben noch andere, nicht strukturalistisch abbildbare, Reduktionsfunktionen gibt, scheint nach der Analyse zahlreicher Dogmatiken nicht wahrscheinlich. Vieles spricht eher dafür, daß sich scheinbar eigenständige Reduktionsfunktionen, etwa Interessenargumentationen im Zivilrecht, Argumente „aus dem Rechtsgut" im Strafrecht oder Folgenargumente 889 in Constraints, vor allem in den Typ C 2 , umformen lassen 890 . 885 Vgl. Abschn. IV.3.6.3. 886 Ein geläufiges Beispiel ist der Normzweck der „Vermeidung von Interessenkollisionen" in § 181 BGB, der die Norm weitgehend funktionslos macht. 887 Grundlegend A. F. Berner, (StrR), S. 102. 888 Mit besonderer Stringenz leitet E. Schmidhäuser, (AT), Nr. 6/61 und 6/64ff. Entscheidungssätze aus diesem Grundsatz ab. 889 Ob es sich dabei überhaupt um legitime dogmatische Argumentationen handelt oder ob die Berücksichtigung von Folgen ein „abweichendes Verhalten" insoweit inkompetenter juristischer Fallentscheider ist ((was der Position Luhmanns (in (Rechtsdogmatik)) entspricht, kann aus der hier vorgeschlagenen Sichtweise nur formal beantwortet werden: sofern sich hinter einem Folgenargument ein Grundsatzconstraint verbirgt (was wohl immer der Fall ist), handelt es sich tatsächlich um dogmatische Argumentation (ob um „gute" oder „schlechte", ist natürlich eine andere - ungleich schwerer zu beantwortende - Frage).

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V.1.6 Die Autonomie von Rechtsbegriffen Die Frage der Autonomie rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung ist keineswegs neu. Müller-Erzbach m formulierte bereits 1912: „Man sieht darüber hinweg, daß auch die allerfeinsten Rechtsbegriffe jedesmal durch den Zusammenhang, in dem sie gebraucht werden, in ihren Grenzen, in ihrer Bedeutung ein wenig nach dieser oder jener Richtung hin verschoben werden, so daß man über die vollkommene Gleichheit der Bedeutung eines Ausdrucks niemals von vornherein in Sicherheit sein kann" 8 9 2 . Die damit zum Ausdruck gebrachte Behauptung der - modern gesprochen - Kontextabhängigkeit juristischer Begriffe 893 markiert bis heute einen Diskussionstopos rechtstheoretischer Reflexion. Das Ergebnis ist dabei ziemlich einmütig: durchgängig wird auf die Unvermeidlichkeit der Βedeutungsvarianz juristischer Begriffe gegenüber der Alltagssprache 894 oder gegenüber anderen Wissenschaften 895 hingewiesen, genauer: auf die autonome Intension oder Extension juristischer Begriffe. Die Parallelisierung dogmatischer Terme mit Γ-theoretischen bzw. Γ-nichttheoretischen Termen empirischer Theorien kommt zu keinem anderen Ergebnis. Sie vermag das Problem nur genauer zu lokalisieren und eine differente Begründung für diese Autonomie zu liefern.

890 Diese These kann an dieser Stelle nicht ausführlich belegt werden. Ich nenne nur drei Beispiele für jeweils eine der genannten Begründungsarten: a) Im Rahmen der Diskussion um den Umfang von Verkehrssicherungspflichten geht es stets um die Frage, wessen Interesse der Sicherungspflichtige wahrzunehmen hat. Ob etwa auch gegenüber dem Einbrecher die Sicherungspflicht einer Treppe besteht, wird durchweg verneint (s. etwa H. Kötz, (DelR), S. 119). Der hinter dieser Intressenargumentation stehende Grundsatz könnte wie folgt formuliert werden: „Verkehrssicherungspflichten bestehen nur gegenüber dem nichtkriminellen Verkehrsteilnehmer". b) Paradigmatisch etwa F. J. Rinsche, (Hausbesetzungen), bes. S. 39, dessen abwegige - Idee, Hausbesetzungen unter Hinweis auf das getroffene Rechtsgut zum „Hausraub" umzudefinieren, von einem Grundsatz getragen wird, den man wie folgt fassen könnte: „Jede Hausbesetzung ist ein Angriff auf die Eigentumsordnung". c) Das bemerkenswerte Argument von RGZ 106, 272 (275f.), wenn man das Risiko der Lohnfortzahlung bei nur mittelbar vom Streik betroffenen Betrieben auf die Arbeitgeber übertrage, ergäben sich „unmögliche Zustände" (also ein plattes Folgenargument), läßt sich in den Grundsatz umformen, „Es widerspricht dem Verursacherprinzip, Arbeitgeber für nicht veranlaßte Streiks in Anspruch zu nehmen." 891 R. Müller-Erzbach, (Relativität). 892 R. Müller-Erzbach, (Relativität), S. 203f. 893 Zu dieser linguistischen Erkenntnis vgl. etwa J. Lyons, (Linguistik), S. 422. 894 S. etwa U. Neumann, (Rechtsontologie), S. 61; wohl auch P. Bringewat, (Denken), S. 19; R. Nierwetberg, (Begriff), S. 119; A. Podlech, (Fachsprache), S. 45ff. 895 Dazu jetzt ausführlich R. Wank, (Begriffsbildung), S. 79, S.llOff.; ferner B. Haffke, (Strafrechtsdogmatik), S. 140.

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V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

Die Autonomie dogmatischer Terme folgt zunächst aus dem semantischen Beliebigkeitsprinzip. Es besagt, daß man Ausdrücken - theoretisch - beliebige Intensionen und damit Extensionen zuordnen kann. Es gibt keine „natürlichen" Extensionen oder Intensionen irgendeines sprachlichen Ausdrucks 896 . Jede „natürlich" scheinende Paarbildung (Ausdruck; Gegenstand) ist Folge einer (vernünftigen) Konvention, was zur Konsequenz hat, daß sich diese ändern kann 8 9 7 . Daraus folgt zunächst, daß juristische Dogmatik die theoretische Freiheit hat, bestimmten Ausdrücken andere Extensionen zuzuordnen, als diese „üblich" ist 8 9 8 , was aber nichts weiter heißt, als daß sie spezialisierte Konventionen einführen darf. Wie jede Wissenschaft, d.h. wie jedes intellektuelle System, das mit einem spezialisierten Vokabular ebenso spezialisierte Segmente der täglichen Lebens weit möglichst präzise zu beschreiben versucht 899 , hat die Rechtswissenschaft nicht nur die Freiheit, dies zu tun, sondern ihre Selektivität erfordert die Schaffung eines exklusiven Vokabulars 900 , was in der hier eingeführten Terminologie heißt, daß das mengentheoretische Prädikat, das die / ι . . . i n E I erfassen soll, deshalb von anderer Art als die Alltagssprache sein muß, weil es andere Realitätssegmente als diese zu beschreiben hat. Und es hat diese zu beschreiben, weil „Recht" im Interesse je besonderer Politiken (Kriminalpolitik, Wettbewerbspolitik, Finanzpolitik etc.) je besondere Merkmale der Realität zum Regelungsgegenstand erhebt 901 . Als Anwendung einer Dogmatik „intendiert" ist nicht „die Welt", sondern normativ ausgezeichnete Bruchstücke von ihr. Daß es überhaupt juristische Terme gibt, die intensional der Alltagssprache verwandt sind, ist nur dem Umstand des begrenzten Vorrats an alltagssprachlichem Vokabular und ethymologischen Entwicklungen zu verdanken, also eher überraschend als natürlich. Konkreter läßt sich die Autonomie von Rechtsbegriffen durch das Konzept der D-Dogmatizität dogmatischer Terme begründen. Nach der Definition 4 9 0 2 896

S. zu diesem Punkt die vortrefflichen Ausführungen von W. Κ Essler, (Analytische Philosophie I), S. 107ff. 897 Dies bestreitet etwa E. Wolf, (SachR), S. 112 f. hinsichtlich des sachenrechtlichen Eigentumsbegriffs mit dem reichlich konfusen Argument, ein Wort beziehe sich auf einen Begriff, der wiederum in einer Merkmalssumme bestehe, die, weil im Gehirnzentrum hervorgebracht, nicht wandelbar sei. 898 S. dazu auch R. Wank, (Begriffsbildung), S. 122. 899 Man nehme dies als wissenschaftstheoretische Minimaldefinition des Wissenschaftsbegriffs, der hier natürlich nicht problematisiert werden kann. 900 Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob sich eine Disziplin, die den alltagssprachlich denkenden Menschen zum Adressaten hat, eine elitäre Begriffsbildung leisten kann. Diese Frage stellt auch A. Podlech, (Fachsprache), S. 47. 901 Woraus folgt, daß die Begriffsbildung, wie R. Wank, (Begriffsbildung), S. 90ff. zutreffend herausarbeitet, im klassisch methodischen Sinne „teleologisch" determiniert ist. *>2 Vgl. oben S. 134.

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bedeutet D-Dogmatizität eine dreifache Terms T:

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Unabhängigkeit eines dogmatischen

a) Autonomie gegenüber der Alltagssprache b) Autonomie gegenüber einer anderen Wissenschaftssprache c) Autonomie gegenüber anderen juristischen Dogmatiken. Vor allem die intradogmatische Autonomie dogmatischer Terme 9 0 3 wird in der rechtstheoretischen Literatur nur selten erkannt 904 , obgleich sie die interessanteste Spielart der juristischen Begrifflichkeit ist. Daß ein solches Phänomen wiederum eher normal als überraschend ist, folgt aus einer tiefer gehenden Delegierung selektiver Realitätswahrnehmung innerhalb der juristischen Teilrechtsordnungen. Denn die spezialisierende Wirklichkeitserfassung und -regelung endet ja nicht an der Schwelle von Rechts- und Nachbarwissenschaften, sondern nach dem strukturalistischen Dogmatikkonzept erst an der Grenze, die Dogmatik D\ von Dogmatik D 2 trennt, oder nach herkömmlicher Auffassung wenigstens an der Grenze der „Rechtsgebiete". Das Konzept der D-Dogmatizität von Rechtsbegriffen vermag diese Erscheinungen innerhalb einer konsistenten Theorie zu erfassen 905 und an analoge Phänomene in anderen Wissenschaften anzuknüpfen 906 . Die Autonomie juristischer Terme in der Variante c), also deren intradogmatische Autonomie, liefert auch eine Antwort auf die Frage VI). Die D-dogmatischen Terme machen die Typik einer Dogmatik aus, sie begründen deren exklusive Selektivität, deren „Zuständigkeit" für hochspezialisierte Realitätsbeschreibungen oder -regelungen. Der Erwerbsbegriff des B t M G hat, um ein oben ausgewähltes Beispiel erneut aufzugreifen, die gegenüber anderen Dogmatiken exklusive Funktion, jede legale 907 Übernahme von B t M als kriminel903 Ein Beispiel wurde bereits oben in Abschn. IV.3.6.3 S. 224f. mit dem Erwerbsbegriff präsentiert. 904 Eine Ausnahme bildet etwa R. Wank, (Begriffsbildung), S. l l l f . , aber auch K. Tipke, (StR), S. 6. 905 Es ist freilich nicht zu übersehen, daß die Relativierung von Begriffen auf kleinere Einheiten das Risiko einer definitorisch nicht ausschließbaren Grenzwertbildung impliziert. Durch Beschränkung auf eine einzige Anwendung eines Begriffs (also auf einen abgegrenzten Vorgang der Realität) entstünde nicht nur eine semantische Verwirrung, sondern alle sprach- und argumentationstheoretischen Anforderungen an wissenschaftliche Begriffsbildungen würden schlicht gegenstandslos. Das Toleranzprinzip der Syntax etwa (R. Carnap, (Syntax), S. 45), das in verallgemeinerter Form die Zweckorientiertheit jeder Sprachform anerkennt ÇW . K. Essler, (Carnap), S. 401), verlöre seinen liberalen Charakter, da es ein unvermeidliches Phänomen beschriebe. 906 Beispiele sind etwa der Massebegriff in der Physik oder der Begriff des „Wertes" in der politischen Ökonomie von Marx (letzteres wird herausgearbeitet von W. Diederich / H. F. Fulda, (Strukturen), S. 60ff.). 907 Deliktische (§§ 242, 246 StGB usw.) „Erwerbe" werden durch das Merkmal „Sichverschaffen" des § 29 I Nr. 1 BtMG erfaßt (vgl. /. Joachimski, (BtMG), Rn. I I a zu § 29).

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les Unrecht zu erfassen und der Strafdrohung des § 29 B t M G zu unterstellen 9 0 8 . Und daß der Konkurrenzbegriff des Strafrechts auf einen anderen Objektbereich zielt als der Konkurrenzbegriff des Wettbewerbsrechts 909 ist eine intuitiv erfaßbare Selbstverständlichkeit, aber dennoch Ausdruck desselben Relativitätsphänomens 910 , (das vollends deutlich wird, sofern man Terme betrachtet, die in der Tat nur innerhalb einer exklusiven Dogmatik vorkommen, etwa den Term der „Drittschadensliquidation", der „Baugenehmigung", oder der „Betriebsbedingtheit" (einer Kündigung)). Soweit ich sehe, deckt sich dieser Befund mit den Ergebnissen der Untersuchung von Lübbe-Wolff zum Charakter von Rechtsbegriffen 910a . Nach ihr hängt die „Bedeutung" eines Rechtsbegriffs allein von den in ihm verknüpften Voraussetzungen und Folgen ab 9 1 0 b . In ihrer Terminologie bedeutet dies, daß sich ein Rechtsbegriff nur als „Knotenpunkt" 9 1 0 0 seiner Merkmale und deren Teleologie begreifen läßt. Anders: ein juristischer Term erschließt sich nicht durch seine Explikation, sondern durch die Erkenntnis, zu welchem Zweck gerade die Explikation X benötigt wird, also durch die Einsicht in die Objektbereichsabhängigkeit einer theoretischen Struktur. Auch aus dieser Sicht ist die intradogmatische Autonomie juristischer Terme keine zu vermeidende Panne der begriff s juristischen Kunst, sondern eine unvermeidliche Erscheinung aufgrund je unterschiedlich angezielter Regelungsbereiche. V.1.7 Normative Tatbestandsmerkmale und theoretische Terme Wie oben kurz skizziert 911 , kommt Herberger das Verdienst zu, erstmals die Konzeption von Sneed für eine rechtstheoretische Fragestellung herangezogen zu haben 912 ; er vermutete seinerzeit, daß die Sneed'sche Dichotomie theoretische/nichttheoretische Terme mit der vieldiskutierten 913 Dichotomie „normative/deskriptive "-Tatbestandsmerkmale (strafrechtlicher) Tatbestände parallelisierbar sei. Ob diese Vermutung zutrifft, läßt sich auf der Grundlage der 908

S. dazu H H. Körner, (BtMG), Rn. 377ff. zu § 29. Zu ihm und seinen Spielarten vgl. F. Rittner, (Einführung), S. 123f., S. 316f. 910 Tatsächlich ist der Konkurrenzbegriff nicht nur ein Metaprinzip, das das „Verhältnis" von Normen (Dogmatiken) fixiert, sondern auch ein Objektbereichsprinzip, das Aussagen der Form „bei Fallgestaltung X liegen die Konkurrenzverhältnisse A vor" erlaubt. Dies zeigen die Entscheidungen des BGH zu den Konkurrenzverhältnissen bei durch Unfällen unterbrochenen Trunkenheitsfahrten, etwa bei BGHSt 21, 203 und bei BGHSt 23, 141. 9 a "> G. Lübbe-Wolff\ (Realfolgen). 9 b i° G. Lübbe-Wolff\ a.a.O., S. 47. G. Lübbe-Wolff, a.a.O., S. 41. 911 S. oben S. 78. 912 In (Tatbestandsmerkmale) (1976). 913 Neben M. Herberger, (Tatbestandsmerkmale) vgl. vor allem Th. Darnstädt, (Irrtum); E. Schlächter, (Tatbestandsmerkmale), bes. S. 10ff. 909

V . l Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

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bisherigen Explikationen 914 relativ klar beantworten. „Relativ" deshalb, weil zwar deutlich wurde, was Sneed unter theoretischen Termen versteht, eine vergleichbare Klarheit über „normative" Tatbestandsmerkmale aber nicht zu verzeichnen ist 9 1 5 . Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, die Sneed'sche Definition theoretischer Terme mit mehreren Deutungsmöglichkeiten dessen, was „normative" Tatbestandsmerkmale sein sollen, zu kontrastieren. „Theoretische Terme", daran ist nochmals zu erinnern, sind nach Sneed solche Terme, die nicht unabhängig von einer Theorie Τ „gemessen" werden können 916 . Nach Def. 4 9 1 7 zeichnet sich das dogmatische Analogon zu theoretischen Termen, die D-dogmatischen Terme, dadurch aus, daß über ihr Zutreffen auf einen Objektbereich nicht diskutiert werden kann, ohne die den Term implizierende Dogmatik als erfolgreich angewendet vorauszusetzen. Für „normative Tatbestandsmerkmale" werden mehrere Deutungsmuster angeboten: 918 = wertende Begriffe 919 a) N T B M

b) N T B M

= wertausfüllungsbedürftige Begriffe 920

c) N T B M

= nicht sinnlich wahrnehmbare Gegenstände921

d) N T B M

= Merkmale, die nur unter logischer Voraussetzung einer Norm gedacht werden können 922 .

Variante a) ist die unklarste: zuerst einmal können nicht „wertende" Begriffe im Ernst gemeint sein, da eine „Wertung" ein mentaler A k t ist. Gemeint sein kann danach nur ein Begriff, der ein Werturteil zum Ausdruck bringt. Werturteile aber sind Aussagen, die neben einer präskriptiven auch eine deskriptive Komponente besitzen 923 . Diese deskriptive Komponente kann ihrerseits aber aus Begriffen aufgebaut sein, die im intuitiven Sinn durchaus als „normative" 914

Vgl. oben Abschn. III.3.4 und Abschn. IV.3.3.2, bes. Def. 4 S. 134. Moderne Lehrbücher gehen dazu über, die Dichtomie erkenntnistheoretisch nicht mehr zu prüfen, und beschränken sich auf die Feststellung, die diesbezügliche Diskussion habe „wenig erbracht" (so G. Jakobs, (AT), 8/51). 916 Vgl. oben Abschn. III.2.1 (die Position Putnams) und Abschn. III.3.4 (die Explikation Sneeds). ™ ObenS. 134. 918 j m Folgenden sei dieses Kürzel für „normative Tatbestandsmerkmale" verwendet. 9 9 * BGH NJW 1953, 1681. 9 20 R. Maurach IH. Zipf, (AT/1), § 10 Rn. 13; ähnlich Dreher-Tröndle, (StGB), Rn. 4 zu § 16. 921 Rudolphi, in SK-StGB, Rn. 21 zu § 16 (mit der Einschränkung, daß NTBM auch eine deskriptive Komponente enthielten); H. Welzel, (StrR), S. 75. 922 So H. H. Jescheck, (AT), S. 216 unter Zitierung von K. Engisch, (Tatbestandselemente). Zu dieser Position vgl. auch schon oben S. 106. 923 Darauf macht bereits Th. Darnstädt, (Irrtum), S. 442 in seiner Kritik an der Rechtsprechung aufmerksam. 915

13 Schlapp

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V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

charakterisierbar sind. Die Aussage „Die Vornahme sexueller Handlungen an Kindern ist verboten" (also der vereinfachte § 176 StGB) enthält in ihrem deskriptiven Teil einen Term, der üblicherweise 924 als „normativ" gekennzeichnet wird. Bei geeigneter Interpretation endet Variante a) also in einem Zirkel: die Beantwortung der Frage, was ein „wertender" Begriff sei, endet mit der Auffindung von Aussagen, die wertende Begriffe enthalten. Variante b) ist ebenfalls interpretationsbedürftig: mit „wertausfüllungsbedürftig" könnte in letzter Konsequenz der Zwang des Entscheiders gemeint sein, ein moralisches Urteil zu fällen 925 oder wenigstens auf empirisch feststellbare Wertvorstellungen zu rekurrieren 926 . Das in diesem Zusammenhang regelmäßig herangezogene Beispiel der „guten Sitten" (etwa in § 826 BGB) zeigt jedoch, daß diese Begriffskategorie - gleichgültig wie immer man den normativen Maßstab gewinnt 927 - nichts mit D-dogmatischen Termen zu tun hat. Denn ob der Entscheider die Definition der „guten Sitten" aus einer privaten Moral oder aus einem statistischen Meinungsbild gewinnt: er rekurriert in beiden Fällen auf externe Daten und zeigt damit, daß sich der fragliche Term gerade nur außerhalb der Dogmatik fixieren läßt. Beweisen ist damit genau das Gegenteil des Intendierten: über sein Zutreffen auf einen Objektbereich kann überhaupt nicht mit Rückgriff auf die ihn implizierende Dogmatik entschieden werden. Variante c) leidet unter der erkenntnistheoretischen Diffusion des Begriffs „sinnlich wahrnehmbar" 928 , der auf die Grundlagendebatte um die „Beobachtbarkeit" von Sachverhalten verweist 929 und damit auf das vor Sneed festgefahrene Problem „theoretischer Terme" 9 3 0 . Hält man an einer intuitiven Fassung des Beobachtbarkeitskriterium fest, so läßt sich sicher sagen, daß die Begriffsklassenpaare „beobachtbar/nichttheoretisch/nichtdogmatisch" und „nichtbeobachtbar/theoretisch/dogmatisch" nicht deckungsgleich sind. Selbstverständlich kommt es vor, daß Tatbestandsmerkmale, die keine sinnlich wahrnehmbare Entität bezeichnen, auch D-dogmatisch sind (die mehrfach diskutierte „Drittschadensliquidation" ist ein solcher Term). Daraus läßt sich aber nicht ableiten, daß alle D-dogmatischen Terme sinnlich nicht Wahrnehmbares bezeichnen und deshalb normative Tatbestandsmerkmale sind. Ein Term, der 924

Vgl. etwa Dreher-Tröndle, (StGB), Rn. 4 zu § 16. So W. Hassemer, (Grundlagen), S. 180. So W. Frisch, (Probleme), S. 130. 927 Beide Verfahren haben, worauf W. Hassemer, (Grundlagen), S. 179f. zutreffend hinweist, ihre spezifischen Schwächen. Der nicht mehr sichtbaren Richterbindung bei Durchsetzung einer privaten Moral kontrastiert die schlußendliche Normneutralität statistischer Meinungsszenarien. 928 Vgl. dazu M. Herberger, (Tatbestandsmerkmale), S. 127ff. 929 Zu diesem Topos der empirischen Grundlagendiskussion vgl. etwa W. K. Essler, (WTh II), S. 107. 930 S. die Darstellung in Abschn. III.2.1. 925

V. 1 Zur Beantwortung offener Fragen der Rechtstheorie

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wahrscheinlich D-dogmatisch ist, der Begriff „Wegnahme" des § 242 StGB, wird üblicherweise als deskriptives Tatbestandsmerkmal eingestuft 931 . Umgekehrt gibt es Begriffe, die „sinnlich Wahrnehmbares" zweifellos nicht bezeichnen - nach der Definition also normative Tatbestandsmerkmale sind und die dennoch keine D-dogmatischen Terme darstellen. Der Begriff „Amtsträger", der für ein solches normatives Merkmal gehalten wird 9 3 2 , ist zweifellos nicht D-dogmatisch relativ etwa zu § 11 I Nr. 2 StGB oder zu § 343 StGB, da § 343 StGB auf die Legaldefinition des § 11 I Nr. 2 9 3 3 und dieser auf die allgemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften verweist 934 . Andererseits gibt es in der Tat normative Tatbestandsmerkmale, die D-dogmatische Terme sind, wie etwa den spezifischen Rechtmäßigkeitsbegriff der Amtshandlung in § 113 StGB 9 3 5 . Aber diese Übereinstimmung ist zufällig. Übersetzt man normative Tatbestandsmerkmale nach der Variante c), so sind sie nicht deckungsgleich mit der Kategorie der theoretischen (D-dogmatischen) Terme einer Dogmatik. Mit dieser Erkenntnis läßt sich die Vermutung von Herberger, normative Tatbestandsmerkmale könnten möglicherweise mit der Kategorie der Sneed'schen „theoretischen Terme" erklärt werden 936 , zunächst wie folgt beantworten: Identifiziert man normative Tatbestandsmerkmale mit theoretischen Termen (einer juristischen Theorie) und deutet man theoretische Terme in der von Sneed vorgeschlagenen Art und Weise, so lassen sich nur zufällige Parallelen feststellen, sofern man an der Deutungsvariante c) festhält. Anders fällt die Antwort aus, wenn man zur Prüfung der Definitionsvariante d) übergeht. Denn der von Engisch kreierten Idee, „normativ" als „von einer Norm herkommend" zu deuten, liegt der Gedanke zugrunde, daß es keine externe (epistemologische, linguistische, sprachphilosophische) Systematik gibt, die zureichende Kriterien für eine trennscharfe Abgrenzung beider Begriffsklassen bereitzustellen in der Lage ist, sondern daß nur die Fachwissenschaft selbst eine solche Einteilung nach ihren Kriterien vornehmen kann. Diese Idee findet ihre verblüffende Parallele in dem schon oben 9 3 7 referierten Vorschlag Putnams, als „theoretisch" solche Terme zu bezeichnen, die „von einer Theorie herkommen" 938 . Im Gegensatz zur Entwicklung in der Wissenschaftsphilosophie gibt es bis heute keine Explikation der Idee Engischs, und zwar weder in der ihn zitierenden dogmatischen Literatur 9 3 9 noch in rechts931

Z.B. von Lackner, (StGB), Rn. I I l a zu § 15. Z.B. von Lenckner, in Schönke / Schröder, (StGB), Rn. 64 vor § 13. 933 Vgl. Dreher-Tröndle, (StGB), Rn. 1 zu § 343. 934 Vgl. Dreher-Tröndle, (StGB), Rn. 11 zu § 11. 935 Dieser Begriff wird etwa von G. Jakobs, (AT), 6/64f. für „normativ" gehalten. 936 M. Herberger, (Tatbestandsmerkmale), S. 133. 937 Vgl. S. 84. 938 H. Putnam, (Theories), S. 219. 939 Z.B. H. H Jescheck, (AT), S. 216; Lenckner, in Schönke I Schröder, (StGB), Rn. 64 vor § 13; /. Wessels, (AT), S. 35. 932

13*

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V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

theoretischen Arbeiten 9 4 0 . Die Diskussion des Engisch'Kriteriums hat deshalb ein spekulatives Moment. Man kann soviel sagen: Sollte Engisch mit dem Kriterium der „logischen Voraussetzung einer Norm" die intensionale Abhängigkeit eines Begriffs von dem ihn involvierenden Normkontext angezielt haben, das „Sinnstiftende" der je differenten normativen Umgebung, so scheint das Engisch-Kriterium, interdisziplinäre Reibungsverluste berücksichtigt, mit dem Sneed-Kriterium für theoretische Terme eng verwandt zu sein. Ist es nämlich ein Normsatz, der die intensionale Richtung eines Begriffs, also dessen Extensionen in einer möglichen Welt, determiniert, so kann in der Tat ohne Rückgriff auf diesen Satz nicht ausgemacht werden, auf welche Extensionen der Begriff anwendbar sein soll. Anders: ohne daß eine erfolgreiche (richtige) Anwendung der Norm mitgedacht wird, ist die extensionale Reichweite des fraglichen Terms nicht angebbar. Welche Handlungen also etwa mit dem Term „freiwillig" zutreffend zu bezeichnen sind, ist semantisch überhaupt nicht zu klären, sofern man es mit einem Objektbereich zu tun hat, in dem § 24 StGB eine Rolle spielt. Erst die Simulation einer erfolgreichen Anwendung der Norm läßt ein Urteil über die Freiwilligkeit einer Handlung zu 9 4 1 . In dieser Explikation des Engisch-Kriteriums für normative Tatbestandsmerkmale läßt sich die Vermutung von Herberger stützen: in der Deutungsvariante d) haben sie in der Tat den Charakter der theoretischen Terme der Physik. Ihre daraus folgende Zirkularität kann allerdings weniger präzise herausgearbeitet werden, als dies bei den theoretischen Termen einer physikalischen Theorie möglich war 9 4 2 . Rechtsanwendung läßt sich nicht mit der gleichen Genauigkeit wie ein Meßvorgang beschreiben, da es an einer der Meßtheorie an Exaktheit vergleichbaren Theorie der Rechtsanwendung fehlt. Man kann nur versuchen, das Zirkularitätsphänomen über Einsichten der Texthermeneutik plausibel zu machen. Dieser Versuch wurde oben 9 4 3 , freilich ohne den metatheoretischen Hintergrund explizit zu machen, unternommen 944 . 940

Bei Th. Damstädt, (Irrtum), taucht der Gedanke überhaupt nicht auf. M. Herberger, (Tatbestandsmerkmale) diskutiert S. 147f. ein Kriterium, das er nicht auf Engisch zurückführt, nämlich die Definition, normativ sei eine Kurzbezeichnung für „in einer Norm enthalten". E. Schlächter, (Tatbestandsmerkmale), diskutiert S. 13ff. zwar ebenfalls das Kriterium „Normativ = Standort in einer Norm", erwähnt hier Engisch aber nicht und entwickelt die Idee auch nicht weiter. 941 Dieser Befund untermauert eine von W. Hassemer (in (Freiwilligkeit), S. 240) vorgetragene These von der Objektbereichsabhängigkeit - und insofern unvermeidlichen Vagheit - des Freiwilligkeitsbegriffs des § 24 StGB. Denn natürlich kann die „Richtigkeit" der Normanwendung nur relativ zu dem mit ihr angezielten Objektbereich angegeben werden, und darum ist die Korrektheit der Begriffsanwendung ebenfalls zu diesem Bereich relativ. Eine sozialwissenschaftliche Kritik an diesem Begriff geht also am Thema vorbei, sofern sie eine präzisere Definierbarkeit des Terms für andere Objektbereiche behauptet. 942 S. oben Abschn. III.3.4. 943 S. oben Abschn. IV.3.3.2. 944 Eine Zusammenfassung der hermeneutischen Färbungen der strukturalistischen Dogmatiktheorie findet sich unten in Abschn. V.2.2.

V.2 Rechttheoretische Verallgemeinerungen

197

V.1.8 Minimale, klassische und restriktive Dogmatiken Zum Abschluß ist noch die Frage aufzugreifen, ob sich analog einer Differenzierung Podlechs 9* 5, eine Unterscheidung zwischen „minimalen", „klassischen" und „restriktiven" Dogmatiken empfiehlt. Die Antwort hierauf wurde oben schon vorgezeichnet 946 : das, was üblicherweise unter einer „Dogmatik" verstanden wird, entspricht der Entität, die von Podlech „klassische Dogmatik" genannt wird. Entitäten solcher Größenordnung sind in der strukturalistischen Perspektive in der Regel Dogmatikclementnetze. Eine „minimale" Dogmatik, also die kleinste dogmatische Einheit, stellt sich als Dogmatikelement dar, also als Grundstruktur ( K D ; I) (die mit weiteren spezialisierten Elementen „vernetzbar" ist). Als „restriktiv" bezeichnet Podlech 947 Dogmatiken, die sich quasi als rekonstruktives Optimum tatsächlich existenter Dogmatiken bei Optimierung der gegenläufigen Maximen „Widerspruchsfreiheit" und „Wiedererkennbarkeit" herstellen lassen 948 . Das strukturalistische Dogmatikkonzept intendiert zwar keine widerspruchsfreie Rekonstruktion von Dogmatiken, wohl aber eine ähnliche Optimierung: der logische Formalismus sollte einerseits eine Präzisierung der Rekonstruktion sicherstellen, andererseits sollte das Rekonstruktionsprodukt noch mit den intuitiven Vorstellungen von Dogmatik harmonieren. Insofern reproduziert das strukturalistische Konzept ebenfalls „restriktive" Dogmatiken: ein gegenüber realen Dogmatiken präzisiertes, aber auch reduziertes Bild 9 4 9 .

V.2 Rechtstheoretische Verallgemeinerungen In den vorangegangenen Abschnitten hat sich gezeigt, daß das strukturalistische Dogmatikkonzept an mehreren Punkten Parallelen zu bisher bekannten rechtstheoretischen Denkmustern aufweist. Dies gilt namentlich für die „empirische Komponente" von Dogmatiken 950 , die „Funktionen" von Dogmatik 9 5 1 und die „Autonomie" juristischer Terme 952 . Bisher wurde aber nur 945

In A Podlech, (Dogmatik). « In Abschn. IV.5. 947 A. Podlech, (Dogmatik), S. 151. 948 Vgl. im Übrigen die Ausführungen oben S. 66f. 949 Dieses Phänomen ist für eine strukturalistische Rekonstruktion nicht typisch: Selektivität ist immer der Preis für Präzision, ja es scheint geradezu eine Umkehrfunktion von Präzision zu sein. Je höhere Genauigkeitsanforderungen man stellt, desto mehr verengt sich der Blick auf selegierte Details. Die bei weitem präziseste Analyse der natürlichen Sprache, Montagues „Universal Grammar" ist nur noch in der Lage, einen einzigen Satz zu generieren, und der präziseste „mikrologische" Zugang zu Dogmatik, Ε. v. Savignys Untersuchung (Rolle), ist zu einem Verzicht auf zahlreiche nicht logisch faßbare - Eigenschaften von Dogmatik gezwungen. 950 Oben Abschn. V.l.2 am Ende. 951 Abschn. V.1.3. 952 Abschn. V.l.6. 94

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V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

skizzenhaft sichtbar, welches Bild juristischer Dogmatik das strukturalistische Konzept entwirft, überblickt man das Mosaik der technischen Details. Es entspricht der induktiven Anlage der Untersuchung, diese Frage erst jetzt in Angriff zu nehmen. Y.2.1 Die Anwendungsbezogenheit des Rechts Als erste rechtstheoretische Verallgemeinerung wirft das strukturalistische Dogmatikkonzept eine wichtige These bezüglich jeder rechtsdogmatischen Reflektion ab: These A: Rechtsdogmatik dient allein dem Zweck, die Realität unter einem spezifischen Blickwinkel erfahrbar und regelbar zu machen. These A postuliert, daß Rechtsbegriffe, -institute und -konstrukte eine dienende Funktion haben, nichts weiter als Werkzeuge sind, deren „Sinn" nur über ihre Zweckhaftigkeit erschlossen werden kann. Diese These, deren methodologisches Implikat die Priorität einer teleologischen Auslegung ist 9 5 3 , entspricht nicht nur einer bereits früher zitierten Auffassung Sneeds 954, theoretische Physik lasse sich nur begreifen, sofern man ihr Endziel, die Formulierung von Hypothesen über die Realität, nicht aus den Augen verliere 955 , sondern geht, soweit ich sehe, konform mit der Meinung, Dogmatik ziele stets auf Rechtsanwendung 956 , sei „angewandte Wissenschaft" 957 , die stets „den Fall" im Auge habe. Für das strukturalistische Dogmatikkonzept folgt diese radikale Auffassung von der Anwendungsbezogenheit jeder begrifflichen Arbeit aus der Tupelstruktur von Dogmatikelementen ( K D ; / ) . Das Tupel bildet die unlösbare Verbindung zwischen Begrifflichkeit und der mittels dieser Begrifflichkeit erfaßbaren Realität ab. Ein Vokabular, daß an / „vorbeigeht", ist redundant und für die wissenschaftliche Reflektion sinnlos 958 . Dieser Zugang führt auch zu einer klaren Aussage für das Verständnis von juristischer Theorie und juristischer Praxis: der Vorwurf der Praxisferne trifft zurecht eine Theorie, die mit derart redundanter Begrifflichkeit operiert, er trifft eine schlechte Theorie. Der Vorwurf der Theorielosigkeit trifft umge953 Eine solche Priorität wird auch - freilich aus anderen Gründen - andernorts vertreten. Vgl. dazu/. Rahlf, (Rangfolge), S. 17f. 954 Oben S. 119 in Fn. 601. 955 J. D. Sneed, (Physics), S. 94. 956 Vgl. etwa W. Paul, (Rechtsdogmatik), S. 60; F. Bydlinski, (Rechtsbegriff), S. 13; F. Wieacker, (Rechtsdogmatik), S. 319f.; die Konzeption Felix Kaufmanns, die zu diesem Ergebnis auf einer wesentlich breiteren und der hier vorgestellten verwandten Grundlage kommt, wird unten gesondert behandelt. 957 D. de Lazzer, (Kompromißformular), S. 87. 958 Zu den Implikationen für den Wissenschaftsbegriff vgl. unten Abschn. VI.2.

V.2 Rechttheoretische Verallgemeinerungen

199

kehrt eine Praxis, die nichtredundante Differenzierungen der Theorie nicht zur Kenntnis nimmt, er trifft eine Praxis, die nicht nach den wissenschaftlichen Standards arbeitet. Als Synthese folgt daraus die NichtUnterscheidbarkeit )\χήstischer Theorie und Praxis bei dogmatischer Reflektion über Objektbereiche mit nichtredundanter Begrifflichkeit. V.2.2 Der hermeneutische Charakter der Rechtsdogmatik Im Verlauf der Untersuchung wurde mehrfach 959 das hermeneutische Element der strukturalistischen Auffassung von Dogmatik hervorgehoben. Diese Verknüpfung ist nun in einer These explizit zu machen: These Β: Existenz und Form einer Rechtsdogmatik sind, wie jede Art der Theoriebildung, erklärbar aus dem universalen WechselwirkungsPrinzip von Realität und deren sprachlicher Repräsentation. Das in These Β ausgedrückte Prinzip der wechselseitigen Assimilation hebt, wie ebenfalls schon angedeutet 960 , das strukturalistische Theorienkonzept Sneeds von herkömmlichen wissenschaftstheoretischen Vorstellungen ab. Der „statement-view", der Theorien als interpretierte Kalküle deutet, ist zwar, wie fälschlicherweise häufig unterstellt wurde, nicht unfähig, die Varianz der Realitäten in eine Varianz des theoretischen Gefüges umzusetzen 961 . Dieser Ansatz hat damit allerdings gewisse Schwierigkeiten: neue empirische Phänomene zwingen ein axiomatisiertes System möglicherweise zur Aufnahme neuer Axiome, aus denen allein der gewünschte normative Satz ableitbar ist 9 6 2 . Diese wiederum stehen möglicherweise in logischem Widerspruch zu anderen notwendigen Axiomen oder zu bereits gewonnenen Ableitungen aus Axiomen, was dem intendierten Prinzip der Widerspruchsfreiheit axiomatisierter Systeme zuwiderliefe. Oder das benötigte Axiom ist mit der gewünschten Ableitung identisch, so daß aus A nur A folgt und das Prinzip der Vollständigkeit eines Kalküls 9 6 3 nur eine Trivialität wäre. Der strukturalistische Ansatz vermag die Anpassung des theoretischen Vokabulars an neue Phänomene erheblich zwangloser zu erklären, da sich eine Theorie nicht mehr als ausschließlich syntaktisches Gebilde darstellt, 9

59 Oben S. 74, S. 176, S. 179, S. 99 Fn. 524. Vgl. etwa Abschn. II.3.1. 961 Dieses Argument taucht regelmäßig bei der Diskussion um die Frage der „Axiomatisierbarkeit des Rechts" auf. S. dazu Th. Schlapp, (Logik), S. 507f.; richtig F. Bydlinski, (Rechtsbegriff), S. 41, Fn. 123. 962 Dies läßt sich an der Untersuchung v. Savignys gut zeigen: bei dem Versuch, eine bestimmte Menge von singulären Normaussagen auf gemeinsame Axiome zurückzuführen, mußten drei Sätze aus eigenständigen Prämissen abgeleitet werden (Ε. ν. Savigny, (Rolle), S. 324). 963 Zu den Prinzipien der Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit vgl. z.B. Th. Schlapp, (Logik), S. 507. 960

200

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

als ein prädikatenlogisches Axiomensystem, das von Fakten, wie Adorno anmerkte 964 , nur „illustrativ aufgefüllt" wird, sondern als Tupel ( Κ ; I ) , das die Realität immer schon inkorporiert. Diese Verbindung ist nicht auflösbar, weil jede erfolgreiche Anwendung eines Kerns Κ die Menge / um ein weiteres Element erweitert, ein erfolgloser Anwendungsversuch nur für die Teilstrukturen Μ ρ oder M p p des Kerns Κ , nicht aber für ihn als gesamte theoretische Struktur folgenreich ist, also weder Κ noch / um ein Element erweitert. Das Tupel garantiert also eine symmetrische Weiterentwicklung von Κ und / . Anpassungsfähiger ist Κ gegenüber neuen i E / deshalb, weil dem mengentheoretischen Prädikat, das die Struktur „ist ein Q " definiert, spezialisierende Zusatzdefinitionen angefügt werden können, die zu einer Spezialisierungsrelation K ' C Κ und Γ C I und damit zu einem Theorie(Dogmatik)elementnetz führen 965 . Die Deutung einer Theorie als Sneed'sches Theorieelementnetz vermag Adjustierungen des theoretischen Gefüges als normalen Vorgang wissenschaftlicher Entwicklung und nicht als störende Nachrüstungen eines Kalküls zu erklären. Daß solche Adjustierungen und Ausdifferenzierungen überhaupt wissenschaftstheoretisch zulässig sind, wird nur vor dem Hintergrund dieses Paradigma wechseis plausibel: solange der vollständige Kalkül das rekonstruktive Ideal einer wissenschaftlichen Theorie war, konnte sich die wissenschaftstheoretische Reflektion nur auf die Analyse geschlossener Systeme konzentrieren. Das Sneed'sche strukturalistische Paradigma führt dagegen eine in der Wissenschaftstheorie vernachlässigte 966 Perspektive ein: das Bild des „offenen" Systems, das sich dynamisch - nämlich täglich - fortentwickelt. Dieses Bild wissenschaftlicher Theorien ist auf mehreren Ebenen folgenreich: analytisch-rekonstruktiv erzwingt es die Berücksichtigung offener Strukturen in jeder logischen Rekonstruktion einer Theorie. Dies wird von Sneed in der Form einer pragmatisch determinierten Menge I bereitgestellt und durch die gleichfalls offenen Mengen Μ , M p , M p p und C innerhalb der theoretischen Struktur berücksichtigt. Erkenntnistheoretisch mißt es einerseits der Realität eine besondere Qualität bei, nämlich „Anlaß" für die Anwendung und Modifikation einer theoretischen Struktur zu sein, andererseits drückt die Menge / aus, daß die Realität nur unter dem Blickwinkel der theoretischen Struktur wahrnehmbar ist. Dies heißt auch: der Wissenschaftler ist Teilnehmer, nicht Beobachter, eines zu analysierenden Ablaufs. Erkenntnispsychologisch eröffnet es die Frage, warum ein Wissenschaftler einen Objektbereich als intendierte Anwendung eines Kerns Κ in den Blick nimmt und warum er bestimmte Objektbereiche „zum Anlaß" nimmt, Modifikationen an der theoretischen 964 Th. W. Adorno, (Einleitung), S. 13. 965 Vgl. dazu Abschn. III.3.7, bes. D8) und D9). 966 Die Ausblendung des dynamischen Aspekts wissenschaftlicher Theorien kennzeichnet den Kern des oben in Abschn. III.2.2 angesprochenen empirischen Defizits klassischer Wissenschaftstheorie.

V.2 Rechttheoretische Verallgemeinerungen

201

Struktur vorzunehmen, anstatt sie auf irgendeiner Modellstufe als „nicht beschreibbar" auszuscheiden, weshalb er also an der Realität und nicht an der Theorie festhält. Diese Folgerungen sind für die an den empirischen Wissenschaften orientierte Wissenschaftstheorie relativ neu. Diskutiert wurde bislang die Wahrnehmung der Realität unter theoretischer „Anleitung" als „Theorienbeladenheit der Erfahrung" 967 . Die unvermeidliche Integration des Beobachters in den Wahrnehmungsablauf trifft eine erkenntnistheoretische Position, die als philosophisches Resultat der Quantenmechanik gelten darf 9 6 8 , aber auch auf diesen Grenzbereich beschränkt blieb 9 6 9 . Alle anderen Topoi, die „Qualität" der Realität, „offene" Strukturen und das individualpragmatische Element des Erkenntnisvorgangs, wurden für die Naturwissenschaftsphilosophie neopositivistischer Provenienz erst durch das Sneed'sche Paradigma sichtbar. Nach einem Wort von Körner eröffnet das strukturalistische Paradigma wissenschaftlicher Theorien das Problemfeld der ,,Hermeneutik der Naturwissenschaften". Eine der wesentlichsten Konsequenzen dieses Ansatzes ist die „Anreicherung" der Theoriedefinition durch die Menge I. Welche Objektbereiche als mögliche Modelle eines theoretischen Vokabulars von Wissenschaftlern intendiert, in den Blick genommen werden, hängt ja offenbar gerade auch davon ab, welches Vokabular anzuwenden ist, also von einem „vorgreifenden Verständnishorizont" 970 . Konturiert man auf dem hier eingeschlagenen Weg also ein strukturalistisches Paradigma juristischer Theoriebildung, so sind die rekonstruktiven, erkenntnistheoretischen und erkenntnispsychologischen Konsequenzen, die dieses Konzept erzwingt, keineswegs überraschend. Im Gegenteil: im Bereich der Rechtstheorie ist die Hermeneutik der Rechtswissenschaft ein bestens analysiertes und dokumentiertes Forschungsfeld 971. Das strukturalistische Dogmatikkonzept scheint hier nur Bekanntes - und damit Uninteressantes zutage zu fördern. Es scheint mir demgegenüber aber der Hinweis angebracht, daß hinter dieser Konvergenz ein nicht mehr hintergehbarer Erkenntnisgewinn der 967

S. dazu etwa A. Bohnen, (Kritik), S. 181f. Einführend dazu etwa W. Heisenberg, (Naturbild), S. 12, S. 21; F. Capra, (Wendezeit), S. 90f. Im Kern lautet dieses Resultat, daß man im subatomaren Raum nur die Antworten erlangt, die in der Frage (Meßapparatur) schon vorgezeichnet sind. 969 Ich sehe von stark verallgemeinernden erkenntnispsychologischen Theorien ab, wie sie sich etwa bei G. Bateson, (Geist) finden. 970 Die Kennzeichnung dieser Menge als „pragmatisch" verschleiert diese Tatsache eher. 971 Aus neuerer Zeit seien hier nur genannt: Arth. Kaufmann, (Analogie); F. Müller, (Methodik); M. Kriele, (Rechtsgewinnung); W. Hassemer, (Tatbestand); J. Esser, (Vorverständnis) und (kritisch) H. Rottleuthner, (Hermeneutik). Vgl. im Übrigen die unübertroffene Nachweisliste bei K. Engisch, (Denken), S. 218 Fn. 57. 968

202

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

Metawissenschaften steckt, nämlich die hermeneutische Perspektive als Konsequenz - nicht als Bedingung - einer philosophischen Reflexion, die bislang der originären Hermeneutik wenigstens fremdartig erschien: der logisch-analytischen. Der hier eingeschlagene Weg hat, wie ich meine, den Vorteil der präziseren Lokalisierung hermeneutischer „Phänomene" deshalb auf seiner Seite, weil es möglich ist, sie innerhalb der typisch wissenschaftlichen Beschäftigung der Konstruktion von Theorien zu verorten. Hermeneutik ist von hier aus nicht mehr eine der Theoriekonstruktion vorgelagerte universale Methode, sondern jener nicht weiter aufklärbare Rest, der bei der Division der Theoriegefüge durch die Eigendynamik der (Klassen-)Logik übrigbleibt.

V.3 Zur Analyse einer konkreten Dogmatik V.3.1 Vorbemerkung Der folgende Abschnitt wird versuchen, anhand einer real existierenden Dogmatik zu exemplifizieren, was man sich unter den verschiedenen Teilstrukturen „Modell", „potentielles Modell", „partielles potentielles Modell", „Constraints" (Typ 1 und Typ 2) eines Kerns sowie unter einer „intendierten Anwendung" des Kerns sowie unter dem mengentheoretischen Prädikat dieser Dogmatik vorzustellen hat. Derartige Beispiele wurden im Verlauf der Untersuchung zwar schon mehrfach exemplifizierend präsentiert, doch betrafen sie recht differente Dogmatiken 972 . Als „real existierende Dogmatik" sei, wie bisher, nicht eine Darstellung in einem Lehrbuch/Kommentar gemeint, sondern eine Summe derartiger Darstellungen, einschließlich der die Spezialfragen vertiefenden monografischen Literatur in Buch- oder Aufsatzform. Als geeignetes Beispiel scheint mir die Dogmatik des § 32 StGB dienen zu können, da sie außerordentlich elaboriert ist. Damit ist auch die Schwierigkeit der anstehenden Analyse indiziert: es ist eine faktisch kaum lösbare Aufgabe, eine so elaborierte Dogmatik wie die des § 32 StGB 9 7 3 in all ihren Details und - dies überlagernd - relativ zu allen unterschiedlichen Ansichten dieser Details, logisch zu analysieren. Ich muß mich von daher auf eine Skizze beschränken, die den Dogmatiker vermutlich kaum zufriedenstellen wird. Mir kommt es allerdings auch nur darauf an, daß die Hauptlinien der dogmatischen Diskussion adäquat repräsentiert sind. Bei der Analyse erscheint folgender Weg adäquat: zunächst wird eine Analyse der Problemschwerpunkte der Diskussion um § 32 StGB versucht, um die 972 S. oben etwa in Abschn. IV.3.2 die Definition des mengentheoretischen Prädikats „ist eine Drittschadensliquidation" in D10) oder die Beispiele für partielle potentielle Modelle in Abschn. IV.3.4 in G l ) bis G4). 973 Fachwissenschaftler sprechen sogar von einer „Erosion des kodifizierten Programms" (so W. Hassemer, (Provokation), S. 227).

V.3 Zur Analyse einer konkreten Dogmatik

203

Einzelelemente der Dogmatik konventionell zu separieren. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird dann eine formale Rekonstruktion dieses Szenarios in der Form der Definition des mengentheoretischen Prädikats „ist eine Notwehrdogmatik" geliefert, um dann die Teilstrukturen des Kerns intuitiv zu exemplifizieren, wobei die Zuordnung der konventionellen dogmatischen Größen zu den Constraints der strukturalistischen Form dieser Dogmatik von besonderer Bedeutung sein wird. V.3.2 Die Dogmatik des § 32 StGB Der Normtext des § 32 StGB enthält fast alle Merkmale, die für die Dogmatik eine Rolle spielen. Dies sind die Begriffe „Gebotenheit", „Verteidigung", „Erforderlichkeit", „gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff". Nur der Begriff des „Verteidigungswillens" ist ein „originär" dogmatischer Begriff, da er im Normtext nicht auftaucht 974 . V.3.2.1 Analyse der begrifflichen

Fassung der Dogmatik

Keiner der innerhalb der Dogmatik des § 32 StGB vorkommenden Zentralbegriffe ist ohne Explikation anwendbar. Diese Explikationen sind zunächst darzustellen, um den logischen Status der Merkmale transparenter zu machen. I. Angriff 1 - ein menschliches Verhalten 975 2 - auch in der Form des Unterlassens denkbar 976 3 - gegen alle Rechtsgüter möglich 977 4 - muß eine gewisse Erheblichkeit

aufweisen 978 .

II. Gegenwärtigkeit (des Angriffs) 1 - beginnt mit Schaffung der bedrohlichen Lage 9 7 9 974 Die „Existenz" dieses subjektiven Tatbestandsmerkmals wird von der Mehrzahl der Dogmatiker anerkannt (vgl. etwa R. Maurach / H. Zipf (AT I), S. 343; G. Stratenwerth, (AT), Rn. 444 und 485ff.; Lackner, (StGB), Rn. 2f. zu § 32. Abweichend aber u.a. C. Prittwitz, (Verteidigungswille) und Spendel, in LK, Rn. 138ff. zu § 32. 975 Kaum noch bestrittenes Explikationsmerkmal, das Notwehr gegen Tierangriffe ausgrenzt. S. z.B. G. Stratenwerth, (AT), Rn. 417f.; Lackner, (StGB), Rn 2azu § 32; Dreher-Tröndle, (StGB), Rn. 5 zu § 32. 976 H. H. Jescheck, (AT), S. 271; Samson, in SK-StGB, Rn. 7 zu § 32; R. Maurach / H. Zipf (AT/1), S. 338. 977 H.M. Bestr. etwa von G. Stratenwerth, (AT), Rn. 419. 978 Dieses Explikationsmerkmal dient der Ausgrenzung sog. „Bagatellangriffe" wie des Anleuchtens mittels einer Taschenlampe. Vgl. etwa F. Haft, (AT), S. 60. 979 Dreher-Tröndle, (StGB), Rn. 8 zu § 32.

204

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

2 - endet mit endgültigem Rechtsgüterverlust 980 3 - bei Dauerdelikten:

solange der rechtswidrige Zustand andauert 981

4 - auch bei nur bevorstehendem Angriff Lage")

982

denkbar (sog. „notwehrähnliche

.

I I I . Rechtswidrigkeit (des Angriffs) 1 - liegt nur bei zurechenbaren Angriffen vor 9 8 3 2 - setzt eine Pflichtwidrigkeit

voraus 984 .

I V . Verteidigung 1 - nur gegen den Angreifer, nicht gegen Dritte, zulässig 985 . V. Verteidigungswille 986 . Über die Relevanz und Eigenständigkeit des Merkmals der „Gebotenheit" einer Verteidigungshandlung herrscht Streit. Ich folge hier derjenigen Ansicht, die die Eigenständigkeit dieses Tatbestandsmerkmals leugnet und behauptet, es erfülle keine andere Funktion als diejenige, die bereits das Merkmal der „Erforderlichkeit" wahrnehme 987 . Da es hier nur auf die exemplarische Rekonstruktion einer möglichen Version der Notwehrdogmatik ankommt 988 , bedarf es an dieser Stelle keiner Diskussion der Gegenposition 9 8 9 , die das Erforderlichkeitsmerkmal rein instrumenteil deutet und die normativen Erwägungen dem Gebotenheitsmerkmal vorbehält. Rekonstruktive Differenzen dürften sich im Übrigen ohnehin nicht ergeben, da beide Theorielager aus den unterschiedlichen Begriffen die gleichen normativen Konsequenzen für die „Einschränkungen" des Notwehrrechts ziehen.

980 RGSt 55, 82. 981 H. H. Jescheck, (AT), S. 274. 982 stark umstrittene Frage. Bejahend etwa Samson, in SK-StGB, Rn. 10 zu § 32. Verneinend etwa BGH NJW 79, 2053. 983 Mindermeinung. Vertreten z.B. von Samson, in SK-StGB, Rn. 14 zu § 32 und prononcierter noch von F. Schaffstein, (Notwehr), S. 136, der von Finalisten mit einer gewissen Konsequenz fordert, nur finale Angriffshandlungen als notwehrfähig zu akzeptieren. 984 G. Stratenwerth, (AT), Rn. 425; Lenckner, in Schönke ! Schröder, (StGB), Rn. 21 zu § 32 verlangt eine „Sorgfaltswidrigkeit". 985 G. Jakobs, (AT), 12/28; Spendel, in LK, Rn. 204ff. zu § 32. 986 Vgl. hierzu Fn. 974. 987 Diese Ansicht vertreten u.a. D. Kratzsch, (Rücksichtnahme), S. 436f.; H. H. Jescheck, (AT), S. 276f.; Lenckner, in Schönke / Schröder, (StGB), Rn. 44 zu § 32. 988 Auch insofern ist die hier rekonstruierte Dogmatik auf ihre „Vertreter" zu relativieren. 989 Vertreten u.a. von J. Baumann, (AT), S. 317; F. Haft, (AT), S. 59; DreherTröndle, (StGB), Rn. 12 zu § 32 und neuerdings wieder von U. Schroth, (Notwehr), S. 2563.

V.3 Zur Analyse einer konkreten Dogmatik

205

VI. Erforderlichkeit (der Notwehrhandlung) 1 - statuiert das Prinzip des „mildesten Mittels" 9 9 0 bzw. den Grundsatz „möglichster Schonung" des Angreifers 991 . 2 - Dieses Merkmal trägt die normativen Einschränkungen des Notwehrrechts, die fünf Sach Verhaltstypologien anzielen: a - die Verteidigung gegenüber Schuldunfähigen 992 b - die Unfugabwehr 993 c - die Verteidigung gegenüber einem provozierten Angriff 9 9 4 d - die Verteidigung eines Obhutspflichtigen, insbesondere die Notwehr unter Ehegatten 995 e - die Verteidigungsbefugnisse bei einem krassen Mißverhältnis von angegriffenem gegenüber verletztem Rechtsgut (seil.: des Angreifers) 996 . Für die folgende Analyse ist folgender Punkt von Bedeutung: von Interesse für eine logische (strukturalistische) Rekonstruktion der Notwehrdogmatik sind in erster Linie die soeben präsentierten Sätze, nicht deren Begründungen. Es ist also ohne Belang, weshalb etwa eine Einschränkung des Notwehrrechts bei Notwehrhandlungen unter Ehegatten befürwortet, präziser: mit welchen Argumenten begründet, wird. Eine Ausnahme gilt nur für Argumente, deren Abstraktionsgrad alle Notwehrkonstellationen erreicht. Denn diese - aber auch nur diese - könnten sich als Constraints dieser Dogmatik herausstellen. Auf der Grundlage des vorgestellten dogmatischen Szenarios der „Notwehr" des StGB ist zunächst zu klären, welche der Explikationsmerkmale, die ich im folgenden gemäß der eingeführten Notation nur noch als „Explikationsmerkmale 1.1" usw. bezeichnen werde, einen logisch repräsentierbaren Status besitzen. 1.1 stellt zunächst klar, daß „Angriffe" eine Menge von Handlungen sind. Ang = (Hi ... H n). 1.2 kann nicht eigenständig logisch abgebildet werden, da dieses Explikationsmerkmal nur eine typisch rechtliche Deutung von „Handlung" liefert und insoweit in 1.1 logisch impliziert ist. 1.3 greift aus der Menge 990

G. Stratenwerth, (AT), Rn. 431; F. Haft, (AT), S. 60; Samson, in SK-StGB, Rn. 19 zu § 32; J. Wessels, (AT), S. 82; BGHSt 3, 217. 991 H H Jescheck, (AT), S. 276, ähnlich G. Jakobs, (AT), 12/30. 992 Dazu D. Kratzsch, (Rücksichtnahme), S. 441; F. W. Krause, (Notwehr). 993 Dazu F. Haft, (AT), S. 61; A. Eser, (StrR I), Rn. A 34 zu Fall 9. 994 Dazu mit umfangreichen Nachweisen U. Neumann, (Zurechnung), S. 143ff.; W. Hassemer, (Provokation) und Ch. Bertel, (Notwehr). 995 Diskutiert u.a. von K. Marxen, (Grenzen), ders., (Auseinandersetzungen); G. Zenzy (Ehegatten). 996 Ausgangsfall: OLG Stuttgart, DRZ 49, 42.

206

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

möglicher Handlungen diejenigen heraus, die sich gegen ein Rechts gut richten, 1.4 hieraus noch einmal diejenigen von einem gewissen Schweregrad. Faßt man 1.3 und 1.4 zur Menge der „erheblich rechtsgutsbedrohenden Handlungen" zusammen ( H R ) , so hat man es mit einer Teilmengenbeziehung (.H R) C

(H x...H n)

zu tun, so daß man vorläufig notieren kann Ang = (H r) . I I . l und II.2 stellen nun klar, daß „Angriff" eine Bezeichnung von Handlungen ist, die sich innerhalb eines Zeitintervalls abspielen. Handlungen außerhalb dieses Intervalls nimmt die Dogmatik nicht mehr als „Angriffe" wahr 9 9 7 . Es bedarf deshalb noch der Einführung eines Zeitparameters: Ang =

(H Rx...H Rn)

Diese Definition deckt auch II.3 ab. II.4 verlangt noch den Einbezug einer besonderen Menge von Handlungen, die nicht in dem Zeitintervall liegen und aufgrund besonderer Umstände 998 dennoch als Angriffshandlungen definiert werden (können). Diese Menge sei als H Rtx bezeichnet, wobei für die Mengen von Zeitpunkten (t\...t n) Π ( t x ) = 0 gilt. I I I . l und III.2 statuieren noch besondere Anforderungen an die „Handlung". Um die Notation übersichtlich zu halten, sei H R im folgenden als Menge aller Handlungen definiert, die eine zurechenbare, pflichtwidrige, erheblich rechtsgutsbedrohende Charakteristik aufweisen 999 . Zu I V läßt sich zunächst nur feststellen, daß man es auch hier mit einer Menge von Handlungen zu tun hat. Vert = ( H ) . IV. 1 bringt zum Ausdruck, daß sich diese Handlungen nur gegen Individuen richten, die eine Handlung aus der Menge Ang vornehmen. V statuiert eine Zusatzbedingung, die nicht die Menge Vert betrifft. Die Dogmatik rechnet Handlungen zur Menge Vert, ohne daß das Vorliegen der psychischen Disposition „Verteidigungswille" vorausgesetzt wäre. Da sie sich aber auf die Verteidigungshandlung „beziehen" 997 Diese Formulierungen scheinen freilich eine Präzision vorzuspiegeln, die Dogmatik in Wahrheit nicht besitzt. Man muß allerdings die theoretische Anlage von der praktischen Umsetzbarkeit dieser Konzeption unterscheiden. Nur im zweiten Bereich liegen die Vagheiten der Konzeption! 998 Einen Überblick über die angezielten Fallkonstellationen liefert H. Suppert, (Studien). 999 Es ist sinnvoll, den verschiedenen Prädikaten keinen eigenständigen logischen Statuts zuzuordnen, da sich die Rekonstruktion auch dann nicht ändert, wenn man auf eines davon verzichten will (wie dies einige Autoren im Falle der „Zurechenbarkeit" tun).

V.3 Zur Analyse einer konkreten Dogmatik

207

muß, liegt es nahe, die „Verteidigungshandlung" als Tupelstruktur zu notieren, bestehend aus einer Abwehrhandlung und dem daraus bezogenen Willen Vert =

(H a\W(H a))

V I . l enthält ein strukturalistisch äußerst bedeutsames Element. „Erforderlichkeit" ist nämlich nicht einfach ein Prädikat, sondern eine „Beziehung" zwischen zwei Handlungen, nämlich zwischen der Angriffs- und der Verteidigungshandlung. Deutet man diese Handlungen als Mengen, so zeigt sich, daß „Erforderlichkeit" in Wahrheit eine Funktion ist, die einem Element aus Ang ein und - wie V I . l zeigt - nur ein Element aus Vert zuordnet, nämlich das „mildeste", erf läßt sich damit definieren als erf: Ang —> Vert erf ist eines der vermutlich raren Beispiele für eine nichtnumerische Funktion. VI.2 bringt strukturalistisch nichts anderes zum Ausdruck, legt allerdings die „Werte" für Verteidigungshandlungen relativ zu bestimmten Angriffshandlungen strenger fest und bestimmt etwa in den Fällen VI.2.a /(Ang) = 0 , d.h. Verteidigungshandlungen sind unter dem Gesichtspunkt der Notwehr nicht zugelassen. Analytisch folgt daraus aber ein bemerkenswertes Resultat: VI.2a-e sind Objektbereiche, in denen limitierte Vert-Werte gelten. Dieses Phänomen ist bereits aus der Analyse physikalischer Theorien bekannt 1 0 0 0 , so daß auch hier die Frage ist, welchen Strukturen sich diese Limitierungen verdanken. In physikalischen Theorien waren dies - nach Sneed - Constraints. Die Durchsicht der Dogmatik des § 32 StGB zeigt, daß es auch hier ein Constraint ist, das diese Limitierungen trägt. Es ist nämlich das Notwehrprinzip C = „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen". Dieser - gelegentlich als „Grundprinzip" der Notwehr bezeichnete 1001 abstrakte Normsatz erfüllt in der Notwehrdogmatik zwei Aufgaben: er begründet einerseits die sog. „Schneidigkeit" des Notwehrrechts 1002 , präziser: dessen grundsätzliche Ferne zu Rechtsgüterabwägungen 1003 und damit die Differenz zu § 34 StGB; andererseits dient er zur Aussonderung von Konstella1000 Dort wurde es als „Einschränkung des Werteverhaltens" einer Funktion bezeichnet, vgl. oben S. 106. 1001 So U. Neumann, (Zurechnung), S. 161. if»2 s. etwa E. Schmidhäuser, (Wertstruktur), S. 198; F. Haft, (AT), S. 59. 1003 S. jedoch Notwehreinschränkung VI.2e.

208

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

tionen, die „an sich" mit dem Wortlaut des § 32 erfaßbar sind (gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff usw.), aus hier nicht weiter zu erörternden Gründen jedoch aus dessen „Normbereich" ferngehalten werden sollen. Diese Potenz entfaltet der Grundsatz, weil er mit dem Angriff auf eine Person einen Angriff gegen die „Rechtsordnung" als solche assoziiert und deshalb ein spezifisch überpersonales Element in die Verteidigungshandlung implantiert. Es ist nun möglich, unerwünschte Konstellationen unter Verweis auf die nicht bedrohte oder nicht geschützte Überperson auszuscheiden. In der Tat werden die Notwehreinschränkungen VI.2a-c in dieser Art konstruiert: der Schuldunfähige (VI.2a) beeinträchtige nicht die Rechtsordnung, (weshalb Grundsatz C und damit § 32 nicht eingreife) 1004 . Auch bei der Unfugabwehr (Angriff von schuldunfähigen Betrunkenen usw.) liege kein Rechtsbewährungsinteresse vor 1 0 0 5 . Umgekehrt könne sich der Notwehrprovokateur deshalb nicht auf § 32 berufen, da er die Rechtsordnung nicht verteidige 1 0 0 6 . Das Prinzip „ C " erfüllt offenbar drei Funktionen: 1. Es gilt in allen Notwehrkonstellationen, auch wenn es in Teilklassen nicht benötigt wird. 2. Es schränkt die im Wortlaut der Norm begründete Potentialität der Dogmatik ein, indem es dem Term „Erforderlichkeit" - einer Funktion bestimmte „Beschränkungen" auferlegt. 3. Es reduziert in den fraglichen Konstellationen die Entscheidungsmöglichkeiten. Es sind diese drei Funktionen, die Constraints in physikalischen Theorien nach Sneed wahrnehmen, so daß das Prinzip „ C " offensichtlich ein dogmatisches Constraint darstellt 1007 . Die Notwehreinschränkungen VI.2d und VI.2e werden dagegen nicht mit C, sondern mit anderen Prinzipien, die die Deutung des Erforderlichkeitsmerkmals determinieren, begründet. VI.2e sei Ausdruck des auch die Notwehrdogmatik beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 1008. VI.2d wird mit unterschiedlichen Grundsätzen legitimiert: dem Gedanken der „ehelichen Gemeinschaftsbindung" 1009 , i 0 0 4 So z.B. F. W. Krause, (Notwehr), S. 680. So F. Haft, (AT), S. 61; A. Eser, (StrR I), Rn. A 34 zu Fall 9. 1006 So z.B. B. Samson, in SK-StGB, Rn. 27 zu §32; G. Stratenwerth, (AT), Rn. 436. 1007 Und zwar eines vom Typ C 2 . So A. Eser, (StrR I), Rn. A 27 und A 33 a zu Fall 9. lot» Dieser Grundsatz beherrscht nach K. Marxen, (Auseinandersetzungen), S. 70 die Rechtsprechung des BGH.

V.3 Zur Analyse einer konkreten Dogmatik

209

dem der „sozialen Rücksichtnahme" oder dem der „Fürsorgepflicht" 1010 . Aus Vereinfachungsgründen soll für diese Prinzipiengruppe der Term „Rücksichtnahme" verwendet werden. Auch von den Prinzipien „Verhältnismäßigkeit" und „Rücksichtnahme" - sie seien fortan D und E genannt - läßt sich 1) - 3) behaupten. Vor allem ist darauf hinzuweisen, daß sie in allen Notwehrkonstellationen „Geltung beanspruchen", aber nicht in allen auch eine Rolle spielen. Auch D und E zählen - relativ zur Notwehrdogmatik - offenbar zu Constraints des Typs C 2 . Nachdem klar ist, daß man es bei „Erf" mit einer Funktion zu tun hat, die durch C, D und E in gewissen Objektbereichen in ihrem „Werteverhalten" beschränkt ist, bleibt die Frage zu prüfen, ob es sich dabei auch um eine theoretische - also um eine D-dogmatische - Funktion handelt. Nach dem Kriterium, das durch Def. 4 1 0 1 1 definiert wird, wäre das nur dann nicht der Fall, wenn über das Zutreffen des Erforderlichkeitsmerkmals auf einen intendierten Notwehrobjektbereich diskutiert werden könnte, ohne eine erfolgreiche Anwendung der Dogmatik schon vorauszusetzen. Nun ist es natürlich möglich, über die Erforderlichkeit von Handlungen unter sehr verschiedenem Blickwinkel völlig außerhalb von Notwehrfällen zu diskutieren, etwa im Polizeirecht oder bei operativen Eingriffen in der Medizin. Aber es ist offenbar, daß sich aus derartigen Diskussionen keinerlei Kriterien gerade für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung ziehen lassen. Denn „Erforderlichkeit" verknüpft hier keinen pathologischen Zustand mit einem nichtpathologischen, sondern eine aggressive Handlung mit einer Schutzhandlung. Es führt hier offensichtlich kein Weg daran vorbei, einen realen oder simulierten Notwehrfall, in dem über das Zutreffen des Merkmals „Erforderlichkeit" kein Zweifel besteht, als komparative Größe in die Diskussion einzuführen. Ein solcher simulierter Testfall muß voraussetzen, daß das Merkmal „Erforderlichkeit" als Verknüpfung einer Angriffs- mit einer Verteidigungshandlung zutreffend angewendet wurde, präziser: daß im simulierten Testfall der Wert für „Erf" in einem durch C, D und E eingeschränkten Bereich liegt. Darüber nun läßt sich aber nur befinden, wenn zuvor der gesamte theoretische Apparat als für den Fall „einschlägig" erkannt wurde. Denn ohne Prüfung aller durch das theoretische Vokabular gegebenen Notwehrbedingungen stellt sich die Frage des „Zutreffens" von „Erf" auf den betreffenden Fall nicht. Das aber bedeutet: ohne die Voraussetzung, daß es mindestens einen Fall gibt, in dem die theoretische Struktur „ist eine Notwehrdogmatik", deren mengentheoretisches Prädikat sogleich zu skizzieren sein wird, zutreffend angewendet wurde, läßt sich nicht beurteilen, ob in einem real gegebenen Fall „das Merkmal" „Erf" vorliegt. Über dieses Vorliegen loio Ygi einerseits D. Kratzsch, (Rücksichtnahme), S. 441, andererseits U. Schroth, (Notwehr), S. 2563f. Vgl. oben S. 134. 14 Schlapp

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

210

kann mit anderen Worten nicht unabhängig von derjenigen Dogmatik entschieden werden, die den Term inkorporiert. Anders: es gibt keinen extradogmatischen Weg, über die zutreffende Anwendung des Terms „Erf" zu befinden. Es scheint demnach, daß die These von der D-Dogmatizität des Terms „Erf" relativ zur Dogmatik des § 32 StGB richtig ist 1 0 1 2 . V.3.2.2 Strukturalistische

Charakterisierung

der Dogmatik

Auf der Basis der bisherigen Analyse läßt sich zuerst das mengentheoretische Prädikat „ist eine Notwehrdogmatik" wie folgt definieren: D18)

η ist eine Notwehrdogmatik

gdw

1) η = (Ρ; Ang; Vert; erf) 2) Ρ = (ρ ι... ρ η) und η ^ 2 ist eine Menge aggressiv interagierender Menschen 3) Ang = H R (t\... t n) ist eine Menge von Handlungen innerhalb eines Zeitintervalls 4) Vert = (H A; W ( H Ä ) ) ist eine Menge von Handlungen, die von einer bestimmten psychischen Disposition gesteuert werden 5) erf: Ang —> Vert ist eine Funktion auf Ang in Vert 6)

y y (y E. Ang und f(y) = 0)

7)

Λ ζ (ζ G Ang und/(ζ) Φ 0 ^

f(y) = ζ')

Einer Erläuterung bedürfen noch die Definitionsbestandteile D18-6 und D18-7: D18-6 bringt die Tatsache zum Ausdruck, daß es Angriffe gibt, gegen die Notwehr schlechthin unzulässig ist (z.B. der Angriff von Kindern). D18-7, das zentrale Axiom der Notwehrdogmatik, ist hier in einer idealisierten Form dargestellt. Analytisch besagt das Prinzip des „mildesten Mittels" aber, daß es zu jeder Angriffshandlung einen zugeordneten Verteidigungs„wert" gibt. Bedenkt man nun noch, daß dieser Wert mit der Stärke des 1012 Ein präziserer Beweis für die D-Dogmatizität eines juristischen Begriffs läßt sich, soweit ich sehe, nicht führen, da die Anwendung eines Begriffs einer der Umgangssprache verwandten Fachsprache nicht nach den gleichen Kriterien beurteilt werden kann wie die „Anwendung" eines numerischen Terms der Physik. Dort bedeutet „Anwendung" nämlich Messung durch ein sehr genau beschreibbares und auf Mathematik bezogenes Meßensemble. Deshalb existiert auch keine den physikalischen Meßtheorien vergleichbare „Anwendungstheorie" juristischer Begriffe. Im Übrigen ist das Resultat, die „Erforderlichkeit" sei ein relativ zu § 32 StGB autonomer Term, nicht sonderlich überraschend. Brisanz verleiht der Gedanke der D-Dogmatizität von Rechtsbegriffen der Umstand, daß um die Verpflichtung zur interdisziplinären Anwendung eines Begriffs bisweilen gestritten wird. Oben in Abschn. II.5.2 wurde hierfür ein Beispiel präsentiert. Man muß gleichwohl daran erinnern, daß diese D-Dogmatizität zu dieser Diskussion nur einen analytischen Befund, keine normativen Autarkieargumente beizusteuern hat.

V.3 Zur Analyse einer konkreten Dogmatik

211

Angriffs proportional wächst, erhält man eine exponential verlaufende Kurve, der mit der Notation zl Rechnung getragen wird. Welchen Wert i einnimmt, hängt vom Falltypus ab. Die Exponentialkurve wird also zumindest bis zum mittleren Angriffsintensitätsbereich in den Fällen der Ehegattennotwehr eine flachere Kurve beschreiben als dies bei den gewöhnlichen Notwehrkonstellationen der Fall ist. Im Schaubild:

Fig. 4

Die x-Achse bezeichne dabei die Angriffsintensität, also die Bedrohung von Rechtsgütern, die y-Achse die zulässige Verteidigungsstärke. Der Punkt ρ bezeichnet den Ort, wo sich beide Kurven annähern, was - relativ zur Deutung der x-Achse - bei dem Rechtsgut „Leben" der Fall wäre. Ein Modell der Notwehrdogmatik ist ein Objektbereich der mittels des durch D18) definierten mengentheoretischen Prädikats erfaßbar ist. Ein potentielles Modell der Notwehrdogmatik ist ein Objektbereich, der mit einem mengentheoretischen Prädikat D18a) erfaßbar wäre, das aus D18) durch schlichtes Weglassen der Definitionsbestandteile D18-6 und D18-7 entsteht. Ein partielles potentielles Modell der Notwehrdogmatik ist ein Objektbereich, der durch ein mengentheoretisches Prädikat D18b) zutreffend beschreibbar wäre, was aus D18a) durch „Streichung" der Definitionsbestandteile D18-3 und D18-4 entsteht, das also von D18) nur noch die Bestandteile D18-1 und D18-2 enthält. Dabei muß vorausgesetzt werden, daß sich eine „aggressive Interaktion" in D-nichtdogmatischer Weise bestimmen läßt, eine wohl nicht irreale Bedingung. Eine Matrix der Notwehrdogmatik hat in Abweichung von der durch D4) und M 2 ) 1 0 1 3 gegebenen Allgemeinform folgende Gestalt: ion Vgl. obenS. 114. 14*

212

V Das strukturalistische Dogmatikkonzept in Aktion

M3)

erf j

(Ρ , Angl, Verti)

(P, Angl, Verti, erf)

\

(P, Ang m , Vert m )

(P, A n g m , Vert m , erf)

\

MNP C

/

Die Matrix der Notwehrdogmatik ist also m-zeilig und einspaltig (da nur eine Funktion vorkommt). Auch hier können Matrixpositionen „leer" sein, da es etwa bei (P, Angif Verti) vorkommen kann, daß es „keine passende Funktion erf gibt", anders: daß in dieser Fallkonstellation das Merkmal „Erforderlichkeit" nicht erfüllt ist. Im Unterschied zur Allgemeinform einer m + k Matrix tauchen in den Zeilen nicht nur D-undogmatische Größen auf, sondern mit Ang und Vert zwei - sehr wahrscheinlich - D-dogmatische. Der Rahmen der Notwehrdogmatik ist, ebenso wie die Definitionen des Kerns und des Theorieelements, in keiner anderen Form angebbar, als dies bereits durch die Definitionen D 5), D6) und D7) geschah 1014 . Die Menge / , die intendierten Anwendungen der Notwehrdogmatik, ist - ebenso wie bei allen Theorien - eine Teilmenge von M pp. Die Menge Γ C M pp ist also ein Teilbereich „aggressiver Interaktionen" zwischen Menschen. Was konkret zu / zählt, und weshalb vermutlich nur ein Teilbereich dieser Interaktionen in den Blick gefaßt wird, läßt sich wissenschaftstheoretisch nicht beantworten. Dies hängt von der vorverständnisgeprägten Wahrnehmung der Forscher/Fallbearbeiter ab. Auch hier spielt die unvermeidliche Zirkularität der Realitätserfassung durch Theorien oder Dogmatiken eine Rolle 1 0 1 5 . Die abschließende Frage, ob die Notwehrdogmatik ein selbständiges Dogmatikelement oder nur Teil eines Dogmatikelementnetzes ist, muß hier offen bleiben. Man kann allerdings vermuten, daß die Notwehrdogmatik nur ein Teil eines Netzes ist, in dem die Dogmatiken von § 32, § 34 und § 35 StGB sowie alle Dogmatiken, die die Abwehr von Rechtsbeeinträchtigungen zum Gegenstand haben (z.B. § 193 StGB), verknüpft sind. Die Notwehrdogmatik wäre hier wahrscheinlich ein hochspezialisiertes Dogmatikelement mit spezialisiertem Vokabular („Angriff") und ebenso spezialisierten Constraints. D18) ist in diesem Fall ein spezialisiertes mengentheoretisches Prädikat, dem ein allgemeines Prädikat „ist ein Rechtsschutz", vermittelt über mehrere Zwischenstufen, zugrundeliegt.

1014 vgl o b e n § 115ff. Die Reduktionsfunktion „r" muß allerdings weggedacht werden. lois vgl. oben S. 201.

VI Rechtstheoretische Position der strukturalistischen Dogmatiktheorie V I . l Theoretische Tradition Eine rechtstheoretische Position, die nicht nur formale (logische) Konzepte als methodologische Marginalien zur Klärung singulärer Fragen einsetzt, sondern die - vorläufig gesagt - einen kompletten „Rechtskorpus" more geometrico analysiert und diese Art des Zugangs normativ favorisiert, steht in einer theoretischen Tradition, die, wie eingangs erwähnt 1 0 1 6 , zu Unrecht als diskreditiert gilt. Sie verbindet sich mit Namen wie Hobbes, Spinoza oder Locke und endet - als rechtsübergreifende Analyse - mit Kelsen. Die vorgelegte Analyse von Dogmatik hat aus ebenfalls schon herausgearbeiteten Gründen 1 0 1 7 mit den Objektbereichstheorien etwa eines Hobbes nicht unmittelbar zu tun, teilt mit diesen jedoch den Versuch, ein komplettes Teilgebiet von „Recht" durch logische Verfahren aufzuhellen, und setzt sich durch eben dies von partiellen Axiomatisierungen stark reduzierter Einzeldogmatiken und schon gar von einfachen Übersetzungen von Normtexten in eine Prädikatenlogik ab. Sucht man nach Vorläufern einer hier versuchten metowissenschaftlichen Konvergenz zwischen Rechts- und Naturwissenschaften, so scheint mir nur ein Werk aus jüngerer Vergangenheit vorzuliegen, nämlich die - vergessene - Arbeit von Felix Kaufmann „Logik und Recht" 1 0 1 8 . In ihr finden sich nicht wenige Einsichten, die auch durch das strukturalistische Dogmatikkonzept gewonnen werden können. Um dies zu zeigen, muß man Kaufmann etwas ausführlicher zu Wort kommen lassen. Er beginnt seine Überlegungen zur Konvergenz von Rechtswissenschaft und Naturwissenschaft mit der Erkenntnis, daß es der Physiker nicht mit dem factum brutum zu tun hat, sondern mit den „Naturerscheinungen in deren Bezogenheit auf Gesetze" 1019 . Dieser Einsicht folgt dann eine zentrale Analogie: „Was ist die Aufgabe des Juristen?", fragt er, und antwortet unter Hinweis darauf, daß der Unterschied zwischen Sollensgesetzen und Seinsgesetzen 1016 Vgl. Abschn. 1.2, bes. die Analyse der Hobbes-Texte in Abschn. 1.2.4. Vgl. Abschn. 1.2.2 und 1.2.4. wie Zuerst erschienen 1922. Es würde im Übrigen verlohnen, diesem Autor überhaupt etwas mehr Beachtung zu zollen. So sind seine Überlegungen zur Schuld in seiner Arbeit „Die philosophischen Grundprobleme der Lehre von der Strafrechtsschuld" (1929) bis heute von seltener Scharf sieht. ιοί9 F. Kaufmann, (Logik), S. 44. 1017

214

V I Rechtstheoretische Positionen

für diese Perspektive keine Rolle spiele, 1020 wie folgt: „Man kann nun wieder das ihm gestellte Problem entweder so formulieren, daß man die Interpretation, die Bestimmung des Geltungsbereichs der vorliegenden Normen als seine Aufgabe bezeichnet - dann geht die Rechtswissenschaft auf Sätze (was Kaufmann für die weniger adäquate Sicht hält, T. S.) - oder aber so, daß man ihn die Tatsachen in ihrer Bezogenheit auf die vorliegenden Normen feststellen, sie als juristische Tatsachen begreifen läßt; dann ist die Rechtswissenschaft eine Lehre von Fakten. Der physikalischen Tatsache entspricht also in unserer Zuordnung umkehrbar eindeutig die juristische Tatsache" 1021. Es folgt dann eine bemerkenswerte Klassifikation der Tätigkeit des „normalen Naturwissenschaftlers": „ U m die vorliegende Erscheinung naturwissenschaftlich zu deuten, muß immer schon eine ganz bestimmte Gesetzlichkeit als geltend angenommen werden und der Naturforscher, der mit diesen „festen" Grenzen operiert, treibt im echten Sinne des Wortes „dogmatische Naturwissenschaft" 1022. Begreife man also die Naturwissenschaften dieserart als Lehre von den Naturtatsachen, so könne man „die Rechtswissenschaft als Lehre von den /tecAtotatsachen bezeichnen" 1023 . Dem naturwissenschaftlichen Satz dürfe man dementsprechend den Rechtssatz gleichberechtigt gegenüberstellen 1024 . Es bedarf keiner langen Ausführungen, um die aus dem strukturalistischen Dogmatikkonzept deduzierbaren und hier zum Teil auch deduzierten 1025 rechtstheoretischen Konsequenzen in Kaufmanns (freilich fragmentarischer) Rechtswissenschaftstheorie wiederzufinden: die gesamte Anlage der hier vorgestellten Dogmatiktheorie läuft auf die auch von Kaufmann verfochtene Idee hinaus, Rechtswissenschaft - und ich übersetze: Rechtsdogmatik 1026 - verfahre in genau der gleichen Art und Weise wie eine Naturwissenschaft, nämlich Teile der Realität (die „Rechtstatsachen") mittels eines teleologischen Begriffsapparates (den „Rechtssätzen") zu erfassen. Die Idee der unvermeidlichen Zirkularität dieses Vorgangs findet sich bei Kaufmann in Form der „Normbezogenheit" der Tatsachenwahrnehmung. Auch in ihrem Endziel, die Konvergenz und die Gleichberechtigung von Rechts- und Naturwissenschaften zu zeigen (in deren Anlage, nicht in ihren Methoden !), stimmt Kaufmanns Arbeit mit dem hier verfolgten überein. 1020

F. Kaufmann, a.a.O., S. 45. F. Kaufmann, (Logik), S. 45 (Hervh. i. Original). 1022 F. Kaufmann, a.a.O., S. 46. 1023 F. Kaufmann, a.a.O., S. 47. 1024 F. Kaufmann, a.a.O., S. 49. 1025 s. oben Abschn. V.2. 1026 Kaufmann selbst stellt die Frage, welchen Rang in seinen Ausführungen Disziplinen wie etwa der Rechtsgeschichte einnimmt. Er antwortet, der Wert dieser Forschungen sei nicht in Frage zu stellen, „nur haben sie keinen Anteil an der dogmatischen Rechtswissenschaft, die wir hier betrachten und die sich in ihrer methodischen Eigenart streng von allen historischen oder praktischen Disziplinen absondert". (F. Kaufmann, (Logik), S. 47). 1021

VI.2 Zur Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft

215

Die These von der Vergleichbarkeit dogmatisch betriebener Rechtswissenschaft mit (dogmatisch betriebener) Naturwissenschaft mündet in ein altes Problem, nämlich die Frage der Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft.

VL2 Zur Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft Es versteht sich von selbst, daß die in der Überschrift angerissene Frage hier nicht beantwortbar ist. Daß sie freilich deshalb wirklich nur ein Scheinproblem formuliert 1 0 2 7 , scheint mir dennoch ein zu schnelles Urteil. Wie prekär diese Frage ist, wäre erst dann sichtbar, wenn etwa zu einem wissenschaftlichen Kongreß aller an deutschen Hochschulen vertretenen Fakultäten ausschließlich Juristen nicht eingeladen wären und dies damit begründet würde, „Wissenschaft" sei vom Kongreßausrichter nicht institutionell, sondern wissenschaftstheoretisch definiert worden. Wie jede Antwort auf die Frage nach dem Wissenschaftscharakter der Rechtswissenschaft ist auch jene, die das strukturalistische Dogmatikkonzept anbietet, relativ zu den Prämissen dessen, was man überhaupt als wissenschaftliche Beschäftigung charakterisiert. Macht man derartige Prämissen explizit, so ist die Position der strukturalistischen Sicht von Dogmatik klar und läßt sich wie folgt skizzieren: „Wissenschaftlich" ist die Beschäftigung mit der Welt immer, aber auch schon dann, wenn sich eine Gruppe von Menschen über Teile der Welt mittels eines intersubjektiv gültigen Vokabulars verständigt und gleichzeitig Kriterien dafür anzugeben imstande ist, wann eine Beschreibung eines Weltteils durch das Vokabular unzutreffend ist. In diesem Sinne ist Rechtsdogmatik ebenso wie angewandte Mathematik (theoretische wie experimentelle Physik) eine Möglichkeit von Wissenschaft. Im Bereich der Jurisprudenz ist sie aber auch die einzige Beschäftigung dieser Art. Rechtssoziologie und Rechtstheorie, um so weniger Rechtsphilosophie, verfügen weder über ein intersubjektiv akzeptiertes („dogmatisiertes") Vokabular, noch sind sie in der Regel fähig, die Teile der Welt, über die zu reden ist, anzugeben. Sie sind im Gegensatz zur Rechtsdogmatik keine Wissenschaften in dem skizzierten Sinne.

1027

So die Einschätzung von U. Neumann, (Rechtswissenschaft), S. 346.

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