Theorie des philosophischen Arguments: Der Ausgangspunkt und seine Voraussetzungen 9783110849332, 9783110079883


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German Pages 173 [176] Year 1979

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Table of contents :
Zur Einleitung
I. Das philosophische Argument als Gegenstand dieser Untersuchung
II. Das Argument als Einheit von Grundsynthesis und Geltungserhebung
III. Das aussagende Argument als Behauptung oder Problem
IV. Das Argument als argumentative Intention
V. Das Argument als Einheit des Sichbehauptens und einfachen Behauptens
VI. Das unmittelbar Gesehene als Baustoff des Arguments
VII. Die Realisation von Wissen im Argument
VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit
IX. Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit
X. Wahrheit als bestimmender Wert des Arguments
XI. Die Idee der zu realisierenden Bewährung
XII. Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente
XIII. Die Voraussetzung der Idee der Bewährtheit
XIV. Die Voraussetzung wenigstens eines Minimums an Erkenntnis im Argumente
XV. Die Voraussetzung der Existenz von Erkenntnis im Argument
XVI. Der der Freiheit offenstehende Bereich der Aussage
XVII. Die als solche gesehene Differenz von Meinung und Erkenntnis im Argument
XVIII. Die als solche gesehene Differenz des Bildes von sich, als Bildes des Bildes des Seins und des Seins selbst, sowie der doppelten Konzeption des gebildeten Seins
XIX. Voraussetzung der möglichen Gelöstheit des Seinsbildes vom Sein selbst
XX. Voraussetzung des wahren Seins des Bildseins als solchen im Argumente
XXI. Die Voraussetzung der Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst im Argumentieren
XXII. Die Differenz von sich praeformierenden und performiertem Argument und die dadurch bedingte Zurückkunft des Argumentierenden auf die Preformation der Aussage
XXIII. Die als solche im Argument angesetzte Differenz von Wissens- und Erkenntnisbild. (Der methodische Zweifel)
XXIV. Die Distanz zum Sein selbst im philosophischen Argumente
XXV. Die Freiheit der Konsideration im philosophischen Argument
XXVI. Die wissentlich unwahre Aussage
XXVII. Die Beurteilung mittels Vorstellens einer Aussage als Meinung und Fiktion
XXVIII. Ansatz von Elementen oder Momenten des Arguments als Hilfshandlung zur Bildung von Meinungen
XXIX. Das Scheinargument
XXX. Die Möglichkeit universellen Bezweifelns
XXXI. Die grundlegende Situation des Arguments
XXXII. Metaphysische Bezweiflung
XXXIII. Provisorische Gültigkeit
XXXIV. Die faktisch begründete Denknotwendigkeit als zur Begründung von Evidenz unzureichende
XXXV. Die grundlegende Hypothese der Authentizität und ihre Ineffizienz, sich aus sich zu bewähren
XXXVI. Die unmittelbare Selbstbewährung der Wahrheit
Sachregister
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Theorie des philosophischen Arguments: Der Ausgangspunkt und seine Voraussetzungen
 9783110849332, 9783110079883

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de Gruyter Studienbuch

Reinhard Lauth

Theorie des philosophischen Arguments Der Ausgangspunkt und seine Bedingungen

w DE

_G 1979

Walter de Gruyter · Berlin · New York

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Lauth, Reinhard: Theorie des philosophischen Arguments d. Ausgangspunkt u. seine Bedingungen / Reinhard Lauth. — Berlin, New York: de Gruyter, 1979. (De-Gruyter-Studienbuch) ISBN 3-11-007988-7

© 1979 by Walter de Gruyter & Co., vormals G . J . Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer • Karl J. Trübner Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin

Klaus Hammacher gewidmet

Inhaltsverzeichnis Zur Einleitung

1

I. Das philosophische Argument als Gegenstand dieser Untersuchung

5

II. Das Argument als Einheit von Grundsynthesis und Geltungserhebung

8

III. Das aussagende Argument als Behauptung oder Problem

12

IV. Das Argument als argumentative Intention

16

. . .

V. Das Argument als Einheit des Sichbehauptens und einfachen Behauptens

20

VI. Das unmittelbar Gesehene als Baustoff des Arguments

31

VII. Die Realisation von Wissen im Argument . . . . VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit

37 .

42

IX. Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

49

X. Wahrheit als bestimmender Wert des Arguments

58

XI. Die Idee der zu realisierenden Bewährung . . . .

62

XII. Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente . .

66

XIII. Die Voraussetzung der Idee der B e w ä h r t h e i t . . .

72

XIV. Die Voraussetzung wenigstens eines Minimums an Erkenntnis im Argumente

77

XV. Die Voraussetzung der Existenz von Erkenntnis im Argument

79

XVI. Der der Freiheit offenstehende Bereich der Aussage

82

XVII. Die als solche gesehene Differenz von Meinung und Erkenntnis im Argument

85

XVIII. Die als solche gesehene Differenz des Bildes von sich, als Bildes des Bildes des Seins und des Seins selbst, sowie der doppelten Konzeption des gebildeten Seins

87

VIII

Inhaltsverzeichnis

XIX. Voraussetzung der möglichen Gelöstheit des Seinsbildes vom Sein selbst

93

XX. Voraussetzung des wahren Seins des Bildseins als solchen im Argumente

95

XXI. Die Voraussetzung der Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst im Argumentieren

97

XXII. Die Differenz von sich praeformierenden und performiertem Argument und die dadurch bedingte Zurückkunft des Argumentierenden auf die P r e formation der Aussage 103 XXIII. Die als solche im Argument angesetzte Differenz von Wissens- und Erkenntnisbild. (Der methodische Zweifel) 107 XXIV. Die Distanz zum Sein selbst im philosophischen Argumente 110 XXV. Die Freiheit der Konsideration im philosophischen Argument 114 XXVI. Die wissentlich unwahre Aussage

117

XXVII. Die Beurteilung mittels Vorstellens einer Aussage als Meinung und Fiktion 120 XXVIII. Ansatz von Elementen oder Momenten des Arguments als Hilfshandlung zur Bildung von Meinungen 126 XXIX. Das Scheinargument XXX. Die Möglichkeit universellen Bezweifeins XXXI. Die grundlegende Situation des Arguments

129 . . . .

133

...

136

XXXII. Metaphysische Bezweiflung

140

XXXIII. Provisorische Gültigkeit

142

XXXIV. Die faktisch begründete Denknotwendigkeit als zur Begründung von Evidenz unzureichende . . 147 XXXV. Die grundlegende Hypothese der Authentizität und ihre Ineffizienz, sich aus sich zu bewähren

. . . 151

XXXVI. Die unmittelbare Selbstbewährung der Wahrheit . 156 Sachregister

161

Zur Einleitung Die folgende Darlegung verfolgt die Absicht, das Argument, dessen wir uns in der Philosophie ständig notwendig bedienen, als ein Gedankengebilde, das aussagt, was wahr und was falsch ist (und nicht als ein Sprachgebilde, das Wirkungen im Hörenden erzielen will), in den in ihm beschlossenen Voraussetzungen zu verstehen. Trotz des ähnlichen Titels handelt also diese Arbeit nicht wie der „Traite de l'argumentation" von Chaim Perelman und Olbrechts-Tyteca 1 von der rhetorischen, sondern ausschließlich von der erkenntnistheoretischen Seite des Arguments. Zwar spielt das argumentierende Ich auch als individuelles Ich auch in den philosophisch relevanten Wissensaussagen eine bestimmte Rolle — und daraus ergibt sich, wie zu zeigen sein wird, eine interpersonale Bedeutung des Arguments; aber unsere Frage wird nicht sein, wovon und wie das Argument andere überreden und überzeugen will bzw. soll, sondern was es als wahr behauptet, bezweifelt oder verwirft. Gleicherweise ist die folgende Darlegung keine psychologische. Wenn z . B . eine Aussageform wie die Lüge behandelt wird, so wird ganz beiseite bleiben, wie dieselbe psychologisch zu verstehen ist, ob sie etwa und wie sie einer Person zu imputieren sei. Oder wenn der Forderungscharakter der Wahrheit aufgewiesen wird, so wird der Begriff der Forderung immer im rein philosophischen Sinne verwandt, und es bleibt ganz dahingestellt, ob man psychologisch (oder rhetorisch) derartiges nicht etwa anders zum Ausdruck bringen würde. Eines der Resultate dieser Arbeit wird sein, daß man bisher den voluntativ-doxischen Anteil an der Konstitution des Arguments weithin verkannt und fast allgemein unterschätzt hat. 1

Paris 1958; 2. A u f l . Bruxelles 1970.

2

Z u r Einleitung

Diese Seite der Sache ist deshalb überall da, wo sie im Spiele ist, von mir besonders herausgehoben worden. Es könnte aber eben der Eindruck entstehen, als solle die Aussage nunmehr so verstanden werden, als wäre sie in das willkürliche Belieben des Aussagenden gestellt. Ich muß deshalb den Leser, der es so empfinden sollte, bitten, den Ausführungen über die Gesetzlichkeit, die das Argument bestimmt, die entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken. Die Aussage ist allerdings, und zwar wesentlich, durch Willensakte und doxische Funktionen mit konstituiert, aber keineswegs nur. Dem Gewicht der voluntativ-doxischen Komponenten entspricht das Gewicht der theoretisch-gesetzlichen. Allerdings soll die vorliegende Analyse die These Descartes' erhärten, „que la volonte aussi bien que l'entendement est requise pour juger" (Principia 1,34). Die Intention ist nicht nur äußeres Agens der Aussage, sondern inneres Konstitutivmoment. Da es um die Voraussetzungen des Arguments als solchen geht, ist die Grundstruktur der Aussage (und deren Elemente und Momente) von Wichtigkeit, nicht die Möglichkeit, von dieser ausgehend komplexe Argumente aufzubauen. In der nachfolgenden Darlegung soll reflektierend durchdrungen werden, was in jedem Argument seinem bloßen Charakter als Argument zufolge investiert ist. Es wird sich zeigen, daß unsere Aussagen Enthymeme sind, die stillschweigend Behauptungen in sich schließen, die gewöhnlich nicht gedanklich oder sprachlich artikuliert werden. Bei der Vielfältigkeit der Bedeutung, die heute dem Worte Wahrheit zuerkannt wird, wird es nicht überflüssig sein, an dieser Stelle vorweg darauf hinzuweisen, daß dieses Wort im folgenden nicht im geläufigen Sinne bestimmter philosophischer Richtungen der Gegenwart, ζ. B. nicht im Sinne von Verifizierbarkeit genommen wird. Vielmehr wird Wahrheit aus Gründen, die aus der durchgeführten Untersuchung erhellen, eine bestimmte, der philosophischen Allgemeinheit nicht geläufige, wohl aber seit Descartes in Sicht gekommene transzendentale Bedeutung zuerkannt werden müssen. Es ist mir ein Hauptanliegen, nachzuweisen, daß die gewöhnliche Konzeption der Wahrheit als Adaequation von Bild und Sein das Wesen der

Z u r Einleitung

3

Wahrheit nicht sieht. Die Ubereinstimmung des Seins im Bilde mit dem Sein selbst muß nicht nur gegeben, sie muß auch gewußt sein, und dieses Wissen muß sich durch etwas über es Hinausliegendes als Erkenntnis bewähren. Wahrheit wird sich als dies Sichbewährende erweisen, durch das die Adaequation allein authentisch sein kann. Auch bitte ich zu beachten, daß wir umgangssprachlich wie in wissenschaftlichen Darlegungen zwar vielfältig von Wahrheiten sprechen, daß aber in unserer Überlegung die Eine Wahrheit in aller einzelnen Wahrheit, also die Wahrheit als Wahrheit, thematisch ist. Allein schon die Besinnung darauf, wie es möglich ist, daß wir nicht nur Aussagen über Faktisches, sondern auch praktischen (doxischen) Aussagen Wahrheit zuerkennen, muß über die Adaequationstheorie hinausführen. Die Sichbewährung der Wahrheit als Wahrheit wird sich als die höchste Voraussetzung jedes Arguments erweisen, das seinerseits wesensnotwendig Wahrheit zu realisieren trachtet. Diese Arbeit schließt mit dem Aufweis jener Voraussetzung und der Klärung ihrer Bedeutung ab. Wird diese Voraussetzung jedoch als legitime gesichert, so stellt sich eine zweite, nicht weniger schwierige Aufgabe, nämlich das Argument von diesem gerechtfertigten Grundmoment aus selber zu rechtfertigen, sowohl in seinen allgemeinen formalen Implikationen als auch in seinen besonderen materialen Gehalten. Die Durchführung dieser rückläufigen Sicherung muß einer besonderen Darlegung vorbehalten bleiben. Die durchgeführte Argumentenlehre kann ihrerseits den Zugang zu einer transzendentalen Begründung des Wissens eröffnen. Ich möchte diese Bemerkungen zur Einleitung nicht abschließen, ohne Herrn Gerd Umhauer und Herrn Peter Schneider freundlichst dafür zu danken, daß ich mit ihnen die vorliegenden Ausführungen durchsprechen und vor ihrer endgültigen Fassung auf eventuelle Verständnisschwierigkeiten für die Leser durchleuchten konnte. Ihre Hinweise haben mir geholfen, an den bedürftigen Stellen Anmerkungen einzufügen oder wünschenswerte Präzisierungen vorzunehmen. Reinhard Lauth

I. Das philosophische Argument als Gegenstand dieser Untersuchung 1. Diese Untersuchung soll von einem Standpunkt aus begonnen werden, auf den sich jeder, der philosophiert, allein schon durch sein Philosophieren notwendig stellt. Wir gewinnen auf diese Weise eine gemeinsame Ausgangsposition mit jedem, der an den Erörterungen der Philosophie teilnimmt, unangesehen alles dessen, was er im übrigen aussagt oder bekundet. 2.

Das, was jeder, der philosophiert, durch sein bloßes Philosophieren schon immer vorbringt, ist das philosophische Argument selbst. Ob der Philosophierende nun aussagt, seinen Willen bekundet oder etwas fordert, in jedem Falle argumentiert er. Argumentiert er nicht oder nicht mehr, so stellt alles, was er dann noch bekunden oder tun mag, nichts Philosophisches mehr dar. Die gesamte Philosophie besteht, formal angesehen, nur aus Argumenten. Was immer material in ihr vorkommt, kann nur als Inhalt eines Arguments und in der Form eines Argumentes vorkommen. Dem Argumente als objektivem Faktum entspricht auf der subjektiven Seite der Akt des Argumentierens mit dem Argumente in actu. 3.

Es könnte sich herausstellen, daß durch das philosophische Argument und Argumentieren bloß als solches, und mit demselben ein Ganzes von Voraussetzungen gemacht wird, die der

6

I. Das philosophische Argument

philosophisch Argumentierende ipso facto damit zugleich als geltend ansetzt und denen er sich nicht entziehen kann, ohne aufzuhören, zu philosophieren. Da alles, was Philosophie sein soll, stets in Argumenten auftritt, so wäre durch den bloßen Umstand, daß philosophisch argumentiert wird, jenes Ganze an Voraussetzungen schon gemacht und zugestanden. Indem die Philosophie aus dem Umkreis des Arguments und Argumentierens nicht herausgehen kann, befindet sie sich unaufhebbar in einem Gebiet, wo jene impliziten Voraussetzungen Geltung beanspruchen. Die folgenden Untersuchungen sollen darlegen, daß es in der Tat so ist. 4.

Die Argumente, die in philosophischen Erörterungen vorgebracht werden und diese ausmachen, sind Argumente der Philosophie. Die Philosophie ist kein wesens- oder naturnotwendiges Faktum; sie ist nicht etwas, das im Geiste mit dessen Dasein von selbst gegeben wäre. Sie ist vielmehr eine freie Verwirklichung reflektierender diskursiver Vernunft. Philosophische Argumente sind keine Bildungen der spontan bildenden Einbildungskraft, durch welche sich der Geist allererst als wirklich konstituiert; sie sind vielmehr Bildungen der vollhewußt und frei gestaltenden Urteilskraft. Nur der argumentiert philosophisch, der es mit bewußter Freiheit tut. Eben deshalb müssen wir im philosophischen Argumentieren aber auch wissen, was wir in ihm willentlich ansetzen. Dies gilt sowohl von der philosophischen Aussage als auch von der philosophischen Manifestation von Intentionen. 1 5.

Eine Theorie des philosophischen Arguments soll in systematischer Einheit dasjenige zu philosophischer Erkenntnis bringen, 1

Wird unreflektiert behauptet, so wird eben insofern nicht philosophisch argumentiert. — Unter Philosophie wird in dieser Arbeit nicht einfachhin Erkenntnis des Prinzipiellen, sondern Erkenntnis der Erstprinzipien als solcher (in ihrem Einheitsgefüge) verstanden. Vgl. des Verfassers Veröffentlichung: „Begriff, Begründung und Rechtfertigung der Philosophie" München 1967.

I. Das philosophische Argument

7

was in einem derartigen Argument als solchem an geltenden Bestimmungen angesetzt ist und was das Argumentieren als Argumentieren dabei vollzieht. Dies zu erkennen ist möglich, weil das philosophische Argument (nach 4) ein Gebilde der vollreflektierenden Urteilskraft ist, in welchem, soweit es philosophisch ist, nur das in Ansatz gebracht ist, was durch einen freien Akt vollreflektierenden Bewußtseins dazu bestimmt worden ist. 6.

Philosophische Argumente können wissenschaftliche oder wissenschaftlich unhaltbare Argumente sein. Beide Arten philosophischer Argumente haben das miteinander gemein, daß in ihnen nur frei Angesetztes und Vollreflektiertes vorgebracht wird. Wissenschaftlich sind von diesen philosophischen Argumenten nur diejenigen, die alles, was in ihnen angesetzt wird, effektiv legitimieren.

II. Das Argument als Einheit von Grundsynthesis und Geltungserhebung 7. Wir wollen in der reflexiven Erfassung des philosophischen Arguments als solchen2 von einer Wesenseigenschaft desselben ausgehen, um von dieser her in sein Grundwesen einzudringen: Das Argument stellt eine Synthesis dar, d. i. eine im Vollzug eines geistigen Aktes und durch diesen sich ergebende Verbindung von vorgestellten Elementen zu einer vorgestellten Beziehungseinheit. Diese Synthesis wird nachfolgend die Grundsynthesis Arguments genannt.

des

8.

Liegt keine derartige Synthesis vor, so ist auch kein Argument gegeben, somit nichts, was als Philosophisches relevant wäre. Dann sind auch die Elemente, die andernfalls die Grundsynthesis bilden und in ihr auftreten würden, nicht im Spiele; sie sind vom Geiste in keine Beziehungseinheit gefaßt, somit auch nicht argumentierend vorgestellt. In diesem Falle haben wir es mit einem Nicht-Argument (non argumentum) zu tun. Es ist dann weder ein Synthesis, noch sind Elemente vorgestellt. Das Nicht-Argument ist natürlich gedanklich sorgfältig von jener spezifischen Form des Arguments zu unterscheiden, die wir Negation nennen. In der Negation liegt eine bestimmte Form der Synthesis, nämlich der bestimmte Ausschluß eines bestimmten Bezuges eines Elementes zu einem anderen (ζ. B. der Weiterbestimmung an einer Grundbestimmung) vor. 2

W i r handeln im folgenden, wie in der Einleitung ausgeführt, immer nur von dem gedanklichen Gebilde, nicht von dem sprachlichen; und das gedankliche Gebilde beschäftigt uns als wissenschaftliche, nicht als rhetorische Aussage.

II. Einheit von Grundsynthesis und Geltungserhebung

9

9.

In der dem Argument eigentümlichen Grundsynthesis sind die in derselben befaßten Elemente in ein Verhältnis, nämlich in eine bestimmte Beziehung zueinander gebracht. Sie sind in dieser Synthesis in ein und demselben geistigen Akte (Vorstellen und Wollen), als subjektiver Einheit (cogitatio), und auf Grund dieses Aktes verbunden, d. i. bestimmend aufeinander in einer objektiven Vorstellungseinheit (cogitatum) bezogen. Dieser Bezug ist wesensnotwendig für das Argument und folglich invariabel gegeben, wo ein Argument gegeben ist; seine Aufhebung vernichtete das Argument als solches. 10. Das Verhältnis in einem Argument, das die Elemente zu einer objektiven Einheit verbindet, die Grundsynthesis, stellt als solches allein noch kein Argument dar. Zu der bestimmenden Beziehung der Elemente aufeinander und zu ihrer Verbindung in einer Beziehungseinheit kommt es nur, wenn noch etwas Weiteres hinzutritt, nämlich die Erhebung einer Geltung dieser Beziehungseinheit. Von der das Argument bildenden Synthesis wird ausgesagt, daß ihr Geltung positiv zukomme, oder es wird von ihr ausgesagt, daß ihr Geltungswert noch nicht sichergestellt sei, sondern zweifelhaft sei. Wird keine Geltung, weder eine feste noch eine schwankende d. i. zweifehafte, zugestellt, so kommt es zu keinem Argument. Eine primäre Aberkennung der Geltung ist demnach unmöglich. Nur eine schon ins Auge gefaßte Geltung kann aberkannt werden. Ein solches Aberkennen ist ein höherstufiger Akt, der auf unterer Stufe eine Geltungserhebung voraussetzt. 11. Erst durch die Geltungserhebung, d. i., wie sich zeigen wird, durch die Konzeption der Grundsynthesis in bezug auf Wahrheit, wird die Grundsynthesis zur Synthesis im Argument. Erst ihre Verbindung mit der Geltungsaussage macht sie erkenntnisrelevant.

10

II. Einheit von Grundsynthesis und Geltungserhebung

Die argumentative Synthesis kann gar nicht formiert werden, ohne daß sie mittels einer Geltungserhebung zustande gebracht wird. Im Argument wird ja das Bestehen einer derartigen Beziehung der Elemente aufeinander (problematisch oder assertorisch) angesetzt. Ein derartiges Bestehen einer Beziehung von Elementen in einer Vorstellungseinheit ergibt sich aber nicht von selbst durch das bloße Zusammenstellen von Elementen, sondern muß gedanklich eigens konstituiert werden. Dieses Bestehen wird mit gedanklichem Bezug auf ein denkbares Nichtbestehen konzipiert und mit der Bildung der Grundsynthesis frei angesetzt, eben im Erheben zur Geltung. 12. Da die Grundsynthesis bestimmter Elemente im Argtiment ineins mit einer Geltungserhebung vollzogen werden muß, läßt die Unterlassung der Geltungserhebung kein Argument Zustandekommen. Es wäre dies ein Nichthinstellen des Bestehens, d. i. ein Nichtvollzug der argumentativen Synthesis, somit aber (nach 8) ein Nicht-Argument. Selbst dort, wo wir argumentative Synthesen als bloße Meinungen (Figmente) hinstellen und uns vorhalten (vgl. später: Kap. XXVII), müssen diese Meinungen selbst stets als Synthesen mit einer mit ihnen verknüpften Geltungsaussage angesetzt werden. Nur wird in diesen Fällen die Anerkennung dieser ersten Geltungserhebung noch versagt. Eine solche Zurückhaltung der Anerkennung ist jedoch nur höherstufig möglich. 13. Insofern das Argument mittels einer Geltungserhebung eine Grundsynthesis erstellt, bekundet resp. manifestiert es. Diese Manifestation kann von zweierlei Art sein: Manifestation einer Aussage oder Manifestation einer Intention3 bezüglich solcher 3

U n t e r Intention wird hier nicht die bloße Bezogenheit eines Bewußtseins als Subjekt auf ein Objekt, sondern ein Wollen bzw. Beabsichtigen verstanden.

II. Einheit von Grundsynthesis und Geltungserhebung

11

Aussagen. Aussagen sind entweder Behauptungen oder Probleme; argumentative Intentionen sind entweder Forderungen oder Willensbekundungen, die sich (letztendlich) auf Aussagen beziehen.

III. Das aussagende Argument als Behauptung oder Problem 14. Aussagen konstituieren eine Vorstellung respektive ein Bild, und zwar das Bild eines Seins (im weitesten Sinne des Wortes Sein). Die Behauptung ist jene Form der Aussage, die eine bestimmte Relationseinheit bestimmter Elemente als einfachhin bestehend hinstellt (assertio). 15. Stellt eine Aussage eine bestimmte Relationseinheit bestimmter Elemente nicht als einfachhin bestehend, sondern als nur möglicherweise bestehend hin, schwankt sie also in Bezug auf deren positive Geltung, so stellt sie ein Problem (problema) dar. Das Problem entsteht, ebenso wie die Behauptung, durch Formation einer bestimmten Synthesis. Da (nach 10) eine argumentative Synthesis nur mittels einer Geltungserhebung zustandekommt, so wird auch im Problem eine Geltung erhoben. Soll nun durch diese Geltungserhebung die Synthesis nicht einfachhin festgestellt werden, so muß die betreffende Geltung von anderer Art als die in der Behauptung angesetzte Geltung sein. Ein Ansatz einer Synthesis in der Form eines einfachen Abhaltens der Geltung scheidet (nach 12) aus. Um nun doch positiv eine Geltung zu erheben, ohne daß diese den Inhalt einfachhin festsetzt, wird alternativ zu der zu formierenden Synthesis eine entgegengesetzte konzipiert: die des bestimmten Ausschlusses der positiven Relation jener Elemente, welche die erstkonzipierte Synthesis als geltend hinstellen würde,

III. Das aussagende Argument als Behauptung oder Problem

13

zugunsten einer negativen Relation. Die Geltung wird jedoch nicht einer von beiden Alternativsynthesen einfachhin zuerkannt, sondern als alternativ einer von beiden zukommend, bei gleichzeitigem jeweiligen Ausschluß der entgegengesetzten Synthese. Einer und nur einer von beiden Synthesen kommt Geltung zu, wird ausgesagt; es bleibt nur dahingestellt, welcher. Die prinzipiell zu vollziehende eindeutige Geltungserhebung bleibt insofern suspendiert. 16. Problematisch kann nur immer eine bestimmte Weise des Verhältnisses zwischen angesetzten Elementen sein, nicht aber das Verhältnis bzw. die Verhältnisse zwischen solchen Elementen, die angesetzt, und solchen, die nicht angesetzt sind. Die Problematizität setzt voraus, daß bestimmte Elemente und bestimmte Verhältnisse derselben zueinander, konzipiert sind. Das Problem bedarf, um überhaupt zu bestehen, des Hinstellens der Einheit bestimmter Elemente und damit — wie sich noch ergeben wird — ineins der intentionalen Beziehung auf Wahrheit. Das Problem statuiert mit Bezug auf die in Betracht gezogene Wahrheit, daß sie den miteinander konkurrierenden Synthesen und dem in ihnen jeweils Hingestellten nicht einfachhin positiv zuzuerkennen sei, weil keine derselben vor der anderen als bewährt anzusehen sei. Dennoch müsse einer von ihnen Wahrheit zukommen.

17.

Die Behauptung (assertio) ist diejenige Form der Aussage, in der eine bestimmte Relation bestimmter Elemente als einfachhin bestehend hingestellt wird. Das von der Behauptung ausgesagte bestimmte Verhältnis kann positiv oder negativ sein, je nachdem eine bestimmte Weise des Ineinandergreifens oder einander Ausschließens der Elemente angesetzt wird.

14

III. Das aussagende Argument als Behauptung öder Problem

18.

Die ein bestimmtes Verhältnis bestimmter Elemente einfachhin negierende, deren Ineinandergreifen ihnen absprechende und deren Sichausschließen bestimmt verneinende Behauptung (negatio) setzt den Entwurf und versuchsweisen Ansatz einer positiven Behauptung (positio) voraus. Das in dieser vorausgesetzter Position ausgesagte Ineinandergreifen der Elemente zu einer bestimmten sie verbindenden Einheit wird in dieser Negation ausgeschlossen, indem das Nichtineinandergreifen derselben zu einer Einheit, ausgesagt wird. Die Negation stellt nicht etwa bloß die Aufhebung des Bestehens einer bestimmten positiven Synthese dar, sondern sie konstituiert ihrerseits ein bestimmtes Verhältnis ebendieser Elemente als bestehend, nämlich das des gegenseitigen Ausschlusses bezüglich einer bestimmten Synthese, die als deren Verbindung hätte positiv angesetzt werden können. In ihrer sprachlichen Form („non est") ist die negative Behauptung (negatio) oft nicht von der blossen Aberkennung der Geltung („non valet") zu unterscheiden. Hier kommt es überall nicht auf die sprachliche Form, die sich in vielfacher Hinsicht als defizient erweisen wird, sondern auf die verschiedenen gedanklichen Bildungen an, denen allerdings jeweils sprachliche Differenzierungen entsprechen sollten. Eine primäre Negation, d. i. eine Negation, die auf kein zuvor versuchtes Hinstellen des Bestehens einer positiven Synthesis bezogen wäre, ist nicht möglich. Eine solche Negation schlösse keine Relation aus. Sie käme damit einer Nicht-Behauptung (non argumentum) gleich (nach 8). Ohne Argument liegt jedoch nichts philosophisch Relevantes vor.

19.

Im Begriff von sich selbst setzt das Problem die Behauptung als zu realisierende geistige Gestalt voraus. Es entsteht erst dadurch, daß bestimmten Elementen kein bestimmtes Verhältnis

III. Das aussagende Argument als Behauptung oder Problem

15

einfachhin zuerkannt werden kann, weder das eines positiven Ineinandergreifens zu einer Einheit noch das eines negativen sich davon Ausschließens. 20.

Die Synthesis, die jedem Argument notwendig zugrundeliegt, kann problematisch oder assertorisch angesetzt sein. Sie muß aber immer auf die eine oder die andere Weise gesetzt sein und kann nicht nicht gesetzt sein, wenn ein Argument vorliegen soll. Das Problem setzt die Möglichkeit sowohl der positiven als auch der negativen Behauptung voraus. Die konzeptuell allen anderen vorangehende Form des Arguments ist die positive Behauptung. Die Negation setzt konzeptuell eine Position, das Problem setzt konzeptuell die Behauptung überhaupt, sowohl in ihrer positiven als auch negativen Form, voraus.

IV. Das Argument als argumentative Intention 21. Außer der Aussage kann (nach 13) das Argument auch eine Intention manifestieren. Derartige Intentionen können Forderungen oder Willensbekundungen darstellen. Die Willensbekundung manifestiert eine von einem Willen (oder, im Falle der Konstitution eines gemeinsamen Willens: von mehreren Willen) ausgehende Intention, die Forderung zugleich eine an einen Willen (oder mehrere) ergehende Intention. Doch nur unter der Bedingung, daß die bekundeten Intentionen letztendlich auf das aussagende Argument bezogen sind, stellen sie ihrerseits eine Art von Argumenten dar. 22.

Die argumentativen Intentionen4 betreffen entweder die Realität oder den Wert aussagender oder anderer intentionaler Argumente. 23. Die auf die Realität eines aussagenden Arguments bezogene Willensbekundung verneint oder bejaht diese Realität willentlich. Da philosophische Argumente freie Realisierungen reflektierender Vernunft sind, kommen sie nur durch einen Akt der Freiheit zustande (nach 4). Sie stellen also schon in sich eine Willensmanifestation dar. Wer philosophisch argumentiert, der 4

Was den sprachlichen Ausdruck derartiger argumentativer Intentionen anbelangt, so ist darauf zu achten, daß diese (inadaequat) durch scheinbar bloß aussagende Sätze (ist-Sätze) statt (adaequat) durch Heische-, Bewertungs- oder intentionsbekundende Sätze (soll- oder will-Sätze) ausgedrückt werden können. Die grammatische Form muß sorgfältig von der gedanklichen abgehoben werden.

IV. Das Argument als argumentative Intention

17

will auch philosophisch argumentieren. Diese Willensbekundung wird aber gewöhnlich sprachlich nicht artikuliert. Es kann dies freilich besonders geschehen, indem ausgesagt wird: „Ich will aussagen, daß . . Wird hingegen die Realität eines aussagenden Arguments nicht gewollt (willentlich negiert), so wird dies gewöhnlich sprachlich artikuliert: „Ich will nichts aussagen" oder: „Ich will nicht aussagen, daß . . 24.

Die argumentative Willensbekundung kann aber auch den Wert einer Aussage betreffen. Eine Aussage kann als wertvoll, nützlich; wertlos, unnütz; wertwidrig oder schädlich u.s.w. bezeichnet werden. Eine solche Bewertung ist philosophisch-wissenschaftlich nur dann von Belang, wenn sie den wissenschaftlichen Mittel- oder Selbstwert der Aussage betrifft. 25.

Die auf die Realität einer Aussage bezogene Forderung verlangt, daß gewisse Aussagen gebildet oder nicht gebildet werden. Da die Aussagen komponierte Gebilde darstellen, kann als Vorstufe zu ihrer Bildung der Ansatz bzw. Nichtansatz bestimmter Komponenten, nämlich der Elemente und Momente von Aussagen, gefordert werden. Die Forderung, bestimmte Elemente oder Momente anzusetzen, und die Forderung, bestimmte Aussagen zu machen, bezeichnet man auch als Postulat. Eine andere Form der Forderung manifestiert sich in der Frage. Diese beinhaltet nämlich die Intention, ein Problem in eine Behauptung überzuführen. 26.

Die den Wert einer Aussage betreffende Forderung verlangt eine gewisse Qualität der Aussage, die letztere ganz allgemein

18

IV. Das Argument als argumentative Intention

oder in einem gewissen Gebiete wissenschaftlich relevant macht. Als negative Forderung verwirft sie die entgegengesetzte Qualität. Natürlich kann, wegen der Freiheit der Forderung, auch wissenschaftswidrig (vgl. 6) gefordert werden.

27.

Argumentative Intentionen können höherstufig auch andere, niederstufige argumentative Intentionen betreffen. So kann gefordert werden, daß gefordert bzw. daß nicht gefordert werde; so kann eine Willensbekundung sich auf eine vorausgehende Willensbekundung erstrecken. Auch können Willensbekundungen gefordert und Willensbekundungen auf Forderungen bezogen werden. Argumentativen Charakter haben derartige höherstufige Intentionen immer nur dadurch, daß die von ihnen betroffenen niederstufigen Intentionen sich letztendlich auf aussagende Argumente beziehen. 28.

Argumentative Intentionen beziehen sich aber nicht nur auf aussagende Argumente, sie stellen auch ihrerseits Aussagen dar. Denn Aussagen müssen nicht nur immer konstatierend, sie können auch energische Willenssetzungen sein. α soll sein stellt ebenso eine Behauptung dar wie α ist. In beiden Fällen wird eine bestimmte Relation als wahr hingestellt, d. i. geltendgemacht, α soll sein verwirft α soll nicht sein·, so wie α ist verwirft, daß α nicht ist. Wertungen und Willenssetzungen fallen insofern ebenso wie Konstatationen in den Bereich der aussagenden Argumente. Sie sind aber außerdem argumentative Intentionen, weil sie sich intentional auf bloß aussagende Argumente beziehen. Die Manifestation einer Intention ist originär eine energische willentliche Geltendsetzung. Da aber auch diese energische willentliche Geltendsetzung ein Faktum dar-

IV. Das Argument als argumentative Intention

19

stellt, kann sie auch als Tatsache verstanden werden. So manifestiert ζ. B. die Bekundung „Ich will nicht argumentieren" zum einen ein energisches willentliches Geltendsetzen, zum anderen aber ineins damit die Tatsache, daß eine solche energische willentliche Geltendsetzung statthat. In letzterer Hinsicht wird die argumentative Intention als argumentative Konstatation genommen. 29. Intentionen können ihrerseits — was wenig beachtet wird — nicht nur assertorisch, sondern auch problematisch angesetzt werden. Das energische willentliche Geltendsetzen kann als ein vielleicht so setzendes aufgestellt werden. Wo das geschieht, manifestiert sich der Wille als ambivalenter. („Vielleicht soll es sein, vielleicht aber auch nicht.") 30. Wir haben im vorhergehenden (in 23) gesehen, daß die sprachliche Manifestation des Arguments nicht immer alle gedanklichen Momente desselben zum Ausdruck bringt. Ja, es wird sich zeigen, daß der sprachliche Ausdruck aus Gründen der Ökonomie, aber auch aus Mangel an Reflexion das gedankliche Gebilde, das er repräsentiert, meist nur unvollständig artikuliert. Natürlich kann diese mangelhafte Artikulation auch daher rühren, daß der Sprechende gewisse gedankliche Teilinhalte gar nicht artikulieren will, obwohl er sie reflektiert.

V. Das Argument als Einheit des Sichbehauptens und einfachen Behauptens 31. Da die dem Argument zugrundeliegende Synthesis (nach 20) immer auf eine der möglichen Weisen desselben, nämlich entweder als Behauptung oder als Problem, angesetzt werden muß (vgl. auch 29), wenn sie Synthesis eines Arguments sein soll, so kann nicht das Argument überhaupt, es kann nur immer eine bestimmte Weise des Arguments — sei es die Behauptung oder sei es das Problem — in Ansatz gebracht werden. Diese Weise des Arguments ist in jedem wirklichen Argumente stets kategorisch bestimmt (und niemals bloß problematisch). Eine argumentative Synthesis ist ein Problem oder sie ist eine Behauptung. Diese kategorische Basis stellt einen invariablen Charakterzug dar. Es gibt Fälle, in denen wir fragen, ob etwas ein Argument sein soll. Solche Fragen beinhalten das Problem, ob etwas in einem Vorstellen Vorkommendes ein Argument sein soll. Dieses (in der Frage liegende) Problem ist aber seinerseits nur ein Problem, wenn es kategorisch eine problematische Synthesis darstellt. Das, worauf sich dieses Problem bezieht, ist nur ein in diesem Problem Vorkommendes. Wir können auch fragen, ob etwas ein Problem oder eine Behauptung sein soll. Aber auch in diesem Falle beinhaltet eine solche Frage ein Problem, nämlich das Problem, ob dieses Etwas ein Problem oder eine Behauptung sein soll. Abermals ist das in dieser Frage sich bekundende Problem kategorisch Problem (und keine Behauptung); es bezieht sich auf ein X, von dem es problematisch ist, ob es Ρ (Problem) oder Β (Behauptung) ist.

V. Einheit des Sichbehauptens und einfachen Behauptens

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32. Da philosophische Argumente (nach 4) stets frei reflektierend erstellte Gebilde sind, so ist ein philosophisches Argument nur da, wo eine Grundsynthesis mit Geltungserhebung in Ansatz gebracht ist, die frei reflektierend erstellt bzw. gehalten ist. Wird das Angesetzte nicht willentlich aufrechterhalten, so erlischt das Argument. In gleicher Weise hängt auch von dem freien Ansatz ab, ob das erstellte Argument ein Problem oder eine Behauptung ist. Nur wenn bewußt und willentlich eine dieser Weisen in Ansatz gebracht wird, besteht ein philosophisches Argument. Wir können zwar ein Problem in eine Behauptung und eine Behauptung in ein Problem verwandeln, aber nicht aufheben, daß das angesetzte philosophische Argument in jedem Falle eine uns bewußte und von uns gewollte Form hat. Darin liegt beschlossen, daß das bestimmte Argument (das Problem, die Behauptung), indem in ihm eine Synthesis als bestehend und geltend hingestellt wird, stets auch als solches behauptet werden muß. Dies kann im philosophischen Argument nicht unbemerkt der Fall sein, weil dieses (nach 4 und 5) vollbewußt vollzogen wird. Das Argument behauptet demnach hier zunächst von sich selber, daß es ein Argument und zwar eine Behauptung oder ein Problem ist; es behauptet sich selber und in sich etwas einfachhin Angesetztes. Dies zeigt sich z . B . deutlich darin, daß man nicht sagen kann: „Ich argumentiere nicht", ohne dies in einem Argumente zu sagen. Die Synthesis und Geltungserhebung „Ich argumentiere nicht" ist selbst ein Argument. — Man kann auch nicht sagen oder ausdrücken: „Es ist zweifelhaft, ob ich argumentiere", ohne dies in einem bestimmten, als solches behaupteten Argument (nämlich hier in einem Probleme) zu tun und sich dieses Tatbestands bewußt zu sein. Wird in der Reaktion auf diese Implikation die Anwendung von Sätzen auf sich selbst verboten, so verschwinden Widersprüche der erwähnten Art nur scheinbar. Denn auf der damit bestimmten Geltungsebene muß das

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Verbieten selbst als Argument halten werden.

angesetzt und durchge-

33. Das Argument ist kein Gebilde, das bloß objektiv für sich Bestand haben könnte, sondern es ist als solches nur im Akte eines argumentierenden Geistes gegeben. Das Argument besteht nur im Vollzug eines geistigen Handelns, das dasselbe als seine geistige Bildung realisiert. Wo von einem Argument gesprochen wird, als ob es ein für sich bestehendes bloß objektives Gebilde wäre, da wird der sprachliche Ausdruck des Arguments mit diesem selber verwechselt. Dieser sprachliche Ausdruck stellte nur ein materielles Gebilde dar, das nichts als Materie wäre, wenn es nicht von einem geistigen Handeln als Ausdruck aufgefaßt würde; erst durch ein derartiges Auffassen (Denken) wird die Materie zum Zeichen eines geistigen Gebildes. Der Ausdruck ist als solcher also immer nur im Verständnis seiner als Ausdruck da. In diesem Verständnis wird er als Zeichen, d. i. als ein Gebilde verstanden, das einem bestimmten geistigen Gebilde zugeordnet ist; natürlich nicht, ohne daß das geistige Gebilde, dessen Zeichen er sein soll, als solches im Geiste gesetzt und darauf bezogen wird. Wenn das materielle Gebilde in einem gewissen Verstehen (d. i. in einer Behauptung) als Ausdruck eines Arguments verstanden wird, ist dieses Argument im Geiste schon vorgestellt, d. i. in einem geistigen Akte vollzogen. Erst unter dieser Voraussetzung kann das bestimmte materielle Gebilde als Ausdruck desselben verstanden werden; und erst durch ein solches (konstituierendes) Verständnis wird das bestimmte materielle Gebilde zum Zeichen. Dieses doppelte vorhergehende Denken ist die Bedingung dafür, daß etwas ein sprachlicher Ausdruck und als solcher da ist. 34. Das Argument besteht (nach 32) nur, wenn es als solches im Geiste angesetzt wird. Es kann (nach 31) nur als eine bestimmte

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Art von Argument wirklich angesetzt werden. Es wird aber nicht nur als Argument und darin als ein bestimmtes Argument (als Behauptung, als Problem) überhaupt angesetzt, sondern als bestimmtes Argument, in dem ein bestimmter einfacher Gehalt angesetzt und gehalten wird. Wird das Argument nicht auf eine bestimmte Weise überhaupt (also als Behauptung bzw. als Problem) angesetzt, so wird auch nichts einfachhin angesetzt. Es muß erst überhaupt behauptet bzw. bezweifelt werden, auf daß etwas in ebendiesen Formen des Arguments einfachhin angesetzt wird. Wird andererseits in einem Argument nichts einfachhin (d. i. als einfacher Gehalt des Arguments) angesetzt, so wird auch kein Argument vollzogen. Es wird dann nichts behauptet bzw. bezweifelt. Damit überhaupt etwas argumentativ ins Spiel gebracht wird, muß etwas (einfachhin Angesetztes) behauptet bzw. bezweifelt werden. Zwar kann durch Akte der Abstraktion das im Argumente unvollständige Teilmoment „einfaches Argument" von dem im Argumente unvollständigen Teilmoment „(bestimmtes) Argument als solches" gedanklich getrennt werden; man darf aber dabei nicht vergessen, daß dies abstrahierte Teilmoment niemals für sich allein sein, sondern immer nur mit dem andern Teilmoment, von dem es abstrahiert wurde, verbunden vorkommen kann. Auch wird der abstrahierte Teil seinerseits als einfacher Inhalt in einem vollen Argumente (d. i. in einem sich selber und einen Inhalt ansetzenden Argument) angesetzt. Alle sprachlichen Ausdrücke, die bloß ein einfachhin Behauptetes hinstellen, sind demnach inadäquate und insofern leicht irreführende Kurzformen einer vollständigen gedanklichen Gegebenheit, in der die Sichbehauptung des Arguments als solchen und das einfachhin Behauptete bzw. Bezweifelte synthetisch vereinigt sind. Der einfache sprachliche Ausdruck z.B. „Die Sonne scheint" steht als Kurzform für die (in dieser Hinsicht) vollständige Aussage „Ich behaupte, die Sonne scheint".

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35. Unter Berücksichtigung der (in 31—34) herausanalysierten Momente kann zusammenfassend formuliert werden: Das Argument ist ein Gebilde des Geistes in actu, in welchem zum einen das Argument formal als solches (d.i. als Behauptung, als Problem) behauptet und zum andern in dieser Sichbehauptung material etwas Bestimmtes einfachbin behauptet bzw. bezweifelt wird. In jedem Argument nimmt der Geist auf das Argument als solches statuierend Bezug, noch bevor er etwas einfachhin aussagt oder bekundet. 36. In jedem Argument wird zuvörderst die argumentative Synthesis mitsamt der Geltungserhebung konstituiert. Dieses Gebilde als solches wird als Argument überhaupt behauptet. Erst innerhalb dieser Assertion wird das Argument als Problem oder als Behauptung asseriert; und erst innerhalb dieser bestimmten Form (d.i. der Form der Behauptung bzw. des Zweifels) kann ein einfacher Argumentationsgehalt ausgesagt werden, Mit dem Ansatz des Arguments als solchen ist noch nicht entschieden, ob es eine Behauptung oder ein Problem sein wird. Mit dem Ansatz als Behauptung bzw. als Problem ist noch nicht präjudiziert, welcher einfache Argumentationsgehalt darin ausgesagt wird. Die Form des Arguments ist: Behauptung des Arguments als solchen , T i l i lachen Inhalt a_b. f

. . . α. ι. als

ί Problem · , ί _ , f mit dem einj Behauptung J

37. D a jedem Argument eine Behauptung seiner als Argument (d.i. als Behauptung, als Problem) wesenseigentümlich ist, erweist sich das Behaupten in dieser Hinsicht als vor dem Zweifeln vorrangiges Wesenselement des Arguments insgesamt. Ein Vorrang der Behauptung im Argument hat sich auch insofern bereits gezeigt, als das In-der-Schwebe-Lassen der posi-

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tiven Geltung im Problem eine Präkonzeption der positiven Behauptung als des Endzwecks der Argumentation zur Voraussetzung hat. Es ist deshalb nicht unberechtigt, das Argument in einer Kurzform einfach als Behauptung zu bezeichnen, da jedem Argument die Behauptung als Argument grundwesentlich und da in jedem Argument die positive Behauptung Endzweck ist. 38. Die Behauptung des Arguments als solche (in seiner bestimmten Form) und die Behauptung bzw. Anzweiflung des einfachhin Ausgesagten hängen, wie schon (in 34) erkannt, in der Weise notwendig miteinander zusammen, daß das eine Teilmoment nicht ohne das andere, und das andere nicht ohne das eine sein kann. Die Sichbehauptung ohne einfachen Inhalt wäre leer und eben deshalb kein Argument; der einfache Gehalt wäre ohne Sichbehauptung des Arguments gar nicht Gehalt eines Arguments, d. i. geltensollende argumentative Synthesis, folglich geistig gar nicht vorhanden. Wenn wir kurz sagen „Ich behaupte" oder „Ich zweifle", so ist das nur die sprachliche Kurzform für das geistige Gebilde „Ich behaupte, daß ich behaupte" bzw. „Ich behaupte, daß ich zweifle." Wollte man den einfachen Gehalt eines Arguments ohne die Form des Arguments als solchen ansetzen, so stellte er keine Synthesis mehr dar. Es fehlte dann die erst durch die konstituierende Tätigkeit Eines Subjekts (d. i. durch die subjektive Einheit) verwirklichte objektive gedankliche Einheit, die für jede argumentative Synthesis (nach 9) wesensnotwendig ist. Es läge dann allenfalls noch ein bloßes objektives Beisammenstehen der Elemente, d.i. eine bloße Systasis derselben und ihrer Relation vor ohne weiteren Bezug dieser Bausteine zueinander. Die Verkennung dieses Tatbestands, daß jede einfache Synthesis als argumentative nur in der Form des Sichbehauptens des Arguments als solchen vorkommen kann,

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hat dazu geführt, daß man Systasen für Synthesen hält. Dabei wird übersehen, daß in der Systasis das Zusammenstehende nicht durch sich selbst, sondern nur durch den Akt des argumentativ beziehenden Geistes in eine synthetische Einheit gebracht wird, in der immer auf Wahrheit Bezug genommen ist. Schwarze Flecken auf dem Papier ζ. B. oder Töne eines Funkgeräts beziehen sich nicht selbst vorstellend aufeinander; sie müssen vom Geiste als Zeichen verstanden, die ihnen entsprechenden geistigen Elemente und Momente müssen synthetisch vereinigt, an dieser Synthesis muß die Geltungsfunktion vollzogen werden, soll das Zusammenstehende einen Bedeutungsgehalt erhalten. 39. Die Sichbehauptung setzt nicht ihrerseits wieder eine Sichbehauptung und so in infinitum voraus, eben weil sie Si'c^behauptung und nicht Behauptung eines einfachen Inhalts ist. Es gehört zum Wesen des Arguments, daß es nur als Behauptung seiner auftreten kann. Als Sichbehauptung ist diese Behauptung des Arguments mit dem in ihr Behaupteten Ein und dasselbe. Das Behauptete ist in diesem Falle das Behaupten selbst. Bei derartigen Reflexformen hebt das Urteil die durch die Objektivierung erfolgende Zweiung (in Subjekt und Objekt) im Vorstellen intelligierend wieder auf. Auch bei der Sichbehauptung des Arguments als eines Problems wird zunächst Behaupten behauptet, nur ist dieses Behaupten weiterbestimmt als Behaupten eines Problems. Eben darum ist das Problem nie bloß Problem, sondern immer Problem auf der Basis einer (behaupteten) Behauptung, nämlich der Behauptung, daß dies ein Argument (als Problem) sei. Hierin dokumentiert sich der schon (in 37) aufgezeigte Vorrang der Behauptung vor dem Problem im Argument. 40. Das in die Sichbehauptung des Arguments gefaßte einfach Hingestellte erhält durch diese Fassung nicht nur den Charakter

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des argumentativen Gehalts, vielmehr bezieht sich die Behauptung in der Sichbehauptung auch noch auf eine andere Weise auf die sich ausdrücklich oder implizit im einfachen Argument vorfindende Behauptung. Sowohl die Behauptung in der Sichbehauptung des Arguments als Argument als auch die Behauptung im einfachhin Behaupteten bzw. Bezweifelten (in welch letzterem immer eine implizite Behauptung mit darin liegt) sind Behauptung überhaupt. Da beide in demselben Gesamtbehaupten Eines Geistes als solche hingestellt werden, sind beide zugleich in diesem Geiste vorgestellt, also aufeinander bezogen. In dieser Beziehung wird sowohl das sie Unterscheidende (nämlich einerseits Sichbehauptung andererseits einfache Behauptung zu sein) als auch ihr gemeinsames Wesen (nämlich überhaupt Behauptung zu sein) gesehen. Ungleichartig an beiden ist, daß die Sichbehauptung nur als ein einfach Hingestelltes in sich befassend und nur als auf sich reflexiv bezogen vorkommen kann, daß das einfache Argument hingegen ohne Rückbezug auf sich ist und nur in der Sichbehauptung befaßt angesetzt werden kann. (Den Sonderfall, daß die Sichbehauptung im Behaupteten auch einfachhin thematisiert wird, lassen wir hier noch außer Acht. Vgl. dazu 43.) Gleichartig an beiden ist dasselbe Wesen von Behauptung, das ihnen zukommt. Beide Arten der Behauptung sind infolge dessen, daß sie gleichen Wesens (als Behauptung) sind, auch an dasselbe Wesensgesetz gebunden. Keine kann die Geltung dieses Gesetzes infrangieren, ohne sich und die andere, synthetisch mit ihr verbundene Behauptung aufzuheben.

41. Eine das Wesensgesetz der Behauptung in seiner Geltung betreffende Aussage betrifft nicht nur das Wesen der Behauptung überhaupt, sondern auch den Charakter der Behauptung in den zuvor aufgezeigten spezifischen Modi dieses Wesens und in allen unter diesen befaßten Fällen. Wird ζ. B. in einer einfachen Behauptung verneint, daß irgendeine Behauptung wahre Geltung hat, so wird ineins damit verneint, daß diese Aussage, die ja selbst eine Behauptung ist,

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wahre Geltung hat. Wer sagt: „Ich weiß, daß nichts gewußt werden kann", leugnet mit dieser einfachen Behauptung, daß er selbst dies wisse, hebt also seine Behauptung als Behauptung in ihrer Geltung auf. (Vgl. 32.) 42. Daß das Argument sich als Argument behauptet, stellt keine Verdoppelung des Arguments in dem Sinne dar, als ob dadurch zwei (von einander getrennte) Argumente aufträten. Vielmehr ergibt sich der das Argument als solches erst ermöglichende Bezug auf sich selbst, dessen reflexive Erfassung notwendig zu der (nach 4) erforderlichen Vollbewußtheit des philosophischen Arguments gehört, aus dem Grundgesetz des Geistes, als Reflex ein Sein als Sichsehen (in seiner Bestimmung) zu sein. Sich sehen kann der Geist nur, wenn Sehender und Gesehenes in ihm als Eins angesehen und erkannt werden. Ohne fundamentale Identität, die als solche erkannt wird, blieben Sehender und Gesehener voneinander geschieden. Allenfalls würde ein anderer Sichsehender gesehen (ein Du), wobei sich aber die Frage stellte, wie denn das ein Du sehende Ich zur Vorstellung eines Sichsehens im Du kommen sollte, wenn es selbst nicht fähig wäre, ein Sichsehen zu vollziehen. 43. Der sich unmittelbar helle Reflex im Sichbehaupten kann seinerseits in einer einfachhin erfolgenden Behauptung ausgesagt werden. Er wird dann eigens thematisiert. Das Behaupten (als ein Sichbehaupten) dieses Arguments („Ich behaupte, . . . " ) wird in diesem Falle von dem einfachhin Behaupteten unterschieden und in dem letzteren ausgesagt („. . . daß ich behaupte"). Schaut man nur auf das in diesem Falle im geistigen Akte wie im objektivierten Gehalte gleiche „ich behaupte", ohne Rücksicht auf ihre zusätzliche Bestimmtheit als Behaupten und Behauptetes, so besagt dieses „ich behaupte" in beiden Fällen, daß die Behauptung für sich selber sie selbst ist.

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Wir können das subjektive Sichbehaupten nur deshalb für identisch mit dem objektivierten Sichbehaupten nehmen, weil wir sie beide als Modi und Bezugsmomente desselben Genus und Seins des „ich behaupte" ansehen und ihre existentielle Einheit einsehen. Wir beziehen sie auf ein dem thematisierten subjektiven und dem thematisierten objektiven Sichbehaupten zugrundeliegendes übersubjektives und überobjektives Sichbehaupten schlechthin. Im thematisierten Sichbehaupten wird also notwendig dieses zugrundeliegende subjektobjektive Sichbehaupten gesehen und mitbehauptet. Bliebe die Reflexeinheit im thematisierten Sichbehaupten unerkannt, so könnten das thematisierte subjektive Sichbehaupten und objektive Sichbehaupten niemals als ein &c/?behaupten, d. i. als ein Behaupten seiner in Identität, gedacht werden. Die dann notwendigerweise immer hinter die Objektivierung in die Unerkennbarkeit zurückweichende Identität mit dem subjektiven Sichbehaupten vollzöge sich in einem Regreß in infinitum, ohne daß sie ausgesagt werden könnte. Durch welchen spezifischen Akt der Reflex thematisiert werden kann, ohne im Erkennen seine subjekt-objektive Identität zu verlieren, braucht in diesem Zusammenhang nicht dargelegt zu werden. Wäre die Erkenntnis dieser Identität unmöglich, so könnte das Sichbehaupten nicht in seinem Sein erfaßt werden, die Sichbehauptung wäre unmöglich und eine Theorie des Arguments wäre wissenschaftlich nicht zu leisten. 44. Das Argument setzt sich nicht nur stets als bestimmtes Argument, es setzt sich auch immer als Argument eines Geistes. Das Argument stellt eine Einheit dar, die als Reflexeinheit den Vollzug des Rückbezugs auf sich selber zur Bedingung hat. Durch diesen Rückbezug auf sich ist das (sich vollziehende) Argument sich Argument; das heißt aber: das Argument ist Argument eines sich auf sich Beziehenden, d. i. eines Ichs bzw. Geistes. Da Argumente ihrerseits aufeinander bezogen und zu einem höheren Argument vereinigt werden, muß der Geist als identischer über den verschiedenen Argumenten fortbestehen. Das

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Ich ist im Sichbehaupten das Aussagende und das Ausgesagte, das Sehende und das gesehene Sein; als solches ist es der gedanklich abzuhebende Träger des Arguments. Wie sich noch zeigen wird (vgl. 68ff.), wird das Argument nicht nur stets von einem Ich getragen, sondern sagt es auch etwas über das es vollziehende Ich (bzw. den Geist) aus (z.B. „Ich weiß" oder „Ich zweifle"). Dieses argumentierende Ich wird sich einerseits als existierendes individuelles Subjektobjekt des geistigen Handelns im Argumentieren, andererseits als überindividuelles Subjekt-Objekt (reine Vernunft) erweisen.

VI. Das unmittelbar Gesehene als Baustoff des Arguments 45. In der im einfachen Gehalt des Arguments (auf der Basis des Sichbehauptens) hingestellten Synthesis müssen die Elemente aufeinander bezogen sein, sonst liegt (wie in 38 gezeigt) lediglich eine Systasis ohne verbindende Einheit vor. In dieser Beziehung sind die Elemente nicht nur in Einem Bewußtsein zugleich angesetzt, sondern auch auf eine objektive Einheit bezogen. Die Elemente werden stets voneinander unterschieden und miteinander in der sie befassenden Synthesis vorgestellt. Die Beziehung der Elemente in einer Einheit kann allerdings verschiedener Art sein; sie kann ζ. B. implizierender, apponierender, kausierender Art sein. Immer aber muß eine Relation angesetzt sein, welche die Elemente zur Einheit verbindet. In der Assertion wird nur Eine Relation als geltend aufgestellt, im Problem werden mehrere Relationen entworfen, aber die mit diesen Relationen zu verbindende Geltungssetzung wird zurückgehalten. 46. Das Argument setzt die es konstituierenden Elemente und Momente als solche bestimmte voraus, und es setzt sie als solche in sich an. Es setzt a als a, R (die Relation) als R, G (die Geltung) als G. Dies ist im philosophischen Argument auch reflexiv bewußt. Infolge dieser Verwendung der Elemente und Momente als solcher ist demnach im Argument implizit gedacht, daß jedes Element es selbst ist, und ebenso jedes Moment. Dies, daß das Argument alles in ihm Angesetzte als das nimmt, als was es dasselbe ansieht, soll in dieser Abhandlung als die unmittelbare Meinung bzw. das Bewußte (visum immediatum) bezeichnet

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VI. Das unmittelbar Gesehene als Baustoff des Arguments

werden. Jedes Argument baut sich mittels solcher unmittelbarer Meinungen auf und enthält solche in sich. Wie sich versteht, gilt dies auch vom Problem. Das Problem setzt bestimmte Elemente (a, b, R . . .), die für eine Behauptung infragekommen, in bestimmten Synthesen. Diese Elemente sind dabei unmittelbar gemeint, d. i. als solche angesetzt. Im Problem ist ferner stets das Moment der Geltung (G) in Ansatz gebracht; nur läßt die Geltungserhebung dahingestellt, welcher der entworfenen Synthesen diese Geltung zukommen wird; die Geltung als solche ist aber als ein bestimmtes Moment angesetzt. Die Sprache pflegt die unmittelbare Meinung im Argument nicht eigens zu artikulieren, gibt also auch in dieser Hinsicht den gedanklichen Gehalt des Arguments nur verkürzt wieder. Meinung als visum immediatum ist von Meinung als opinio gedanklich verschieden. In Fällen möglichen Mißverständnisses wird das Wort deshalb in dieser Abhandlung besonders gekennzeichnet werden. 47. In einem Argument kann aufgrund des (in 46) dargelegten Tatbestandes nichts vorkommen, das nicht durch das unmittelbare Meinen als eben es selbst genommen wäre, d. i. dem nicht für das argumentierende Ich eine gewisse Bestimmung gegeben wäre. Diese Sobestimmtheit der Elemente und Momente des Arguments ist stets kategorisch behauptet. In diesem behauptenden Meinen manifestiert sich erneut ein gewisser Vorrang der Assertion vor dem Problem. Ein Problem ist nur dann konstituiert, wenn die es ausmachenden Elemente und Momente als solche gemeint und in diesem Meinen als solche behauptet sind. Jedes Problem impliziert demnach meinende Basisbehauptungen. 48. Die durch die unmittelbare Meinung des Arguments behauptete bestimmte Dieselbigkeit der Konstitutiva kann in besonderen

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Fällen thematisiert, d. i. zum Inhalt einer einfachen Behauptung gemacht werden. Doch wird dann — entsprechend wie im Falle der Thematisierung der Sichbehaüptung (vgl. 43) — nur das im ursprünglichen meinenden Setzen des argumentierenden Geistes schon Enthaltene eigens reflexiv objektiviert. 49. Die Assertion der Selbigkeit findet sich aber nicht nur an den Elementen und Momenten des Arguments, sie findet sich auch am Argument als Behauptung bzw. als Problem selber. Das Argument wird als Argument, die Behauptung als Behauptung, das Problem als Problem gesetzt, ebenso wie die Synthesis als Synthesis und die Geltung als Geltung. 50. Ganz allgemein kann also im Argument nichts angesetzt werden — einschließlich des Arguments selber in seiner spezifischen Beschaffenheit —, was nicht unmittelbar als solches gemeint bzw. bewußt ist. Indem das Betreffende unmittelbar als solches bewußt und gemeint ist (videtur), wird es ineins damit als solches behauptet (assertur). 51. Während es dem Argumentierenden freisteht, was er als besonderen Inhalt, und diesbezüglich, welche Elemente und Momente er im Argumente ansetzt, steht es ihm nicht frei, etwas im Argument auch nicht meinend anzusetzen (und darin nicht als Gemeintes zu behaupten). Das Argument kann weder an sich verneinen noch auch unbestimmt lassen, daß es als Argument und in ihm seine Elemente und Momente als solche gemeint sind; es muß sich folglich als Argument behaupten. Wie noch dargelegt werden wird (vgl. 53 u. VIII), erschöpft diese Meinung des Arguments als Argument aber nicht das Wesen des Sichbehauptens.

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52. Das unmittelbar Gemeinte wird in dieser Abhandlung auch das phänomenal Unmittelbare genannt werden. Wir sind uns im Argumente etwas als etwas unmittelbar bewußt, mittels dessen wir ein Wissen zu konstituieren versuchen. Die unmittelbar gemeinten Elemente und Momente des Arguments wie auch die unmittelbare Meinung des Arguments als Arguments bedingen dasjenige, was über sie hinaus im Argument angesetzt wird. 53. Das Argument erschöpft sich jedoch nicht darin, bloß Meinungen anzusetzen, sondern es ist ihm wesentlich, daß in ihm etwas statuiert wird, das über den Bereich der Meinungen hinausliegt. Es greift über die in ihm angesetzten bloßen Meinungen hinaus; es will ein über das phänomenal Unmittelbare hinausgehendes transphänomenales Verhältnis bekunden. Unmittelbare Meinungen allein ergeben noch kein Argument; sie stellen nur dessen Bauzeug dar. Zwar müssen auch sie (nach 47—50), um überhaupt als Meinungen im Argument fungieren zu können, als solche in ihrer Bestimmtheit behauptet werden; aber derlei Behauptungen ihrer selbst als solcher haben für den Hauptzweck des Arguments nur eine vorbereitende Funktion. Sie erfolgen, um auf dieser Grundlage eine Aussage zu machen bzw. Intention zu bekunden, die nicht mehr das Gemeinte, sondern ein jenseits desselben Liegendes (nämlich ein geltendes Sein) betrifft. 54. Die Notwendigkeit unmittelbarer Meinungen im Argument hat zur Folge, daß niemand argumentieren kann, ohne unmittelbar zu meinen. Da aber Meinen bedeutet, daß etwas als etwas gedacht wird, so ist dieses meinende Behaupten Bedingung aller transphänomenalen Bekundungen des Arguments. Die dem Argument zugrundeliegende Meinung kann immer nur das in ihr Angesetzte als wahrhaft es selber ansetzen (womit freilich noch nichts über den Rechtsgrund dieser Annahme ausgemacht ist).

VI. Das unmittelbar Gesehene als Baustoff des Arguments

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Man kann also nicht argumentieren und zugleich von sich behaupten, man „meine nicht". Wer argumentiert, meint auch etwas und setzt damit alles das an, was die Meinung als solche in Ansatz bringt. 55.

Man kann argumentierend ebensowenig behaupten, man „meine ja nur" — soll heißen: meine, ohne dabei zu behaupten und insofern im Vollsinn des Wortes zu argumentieren. Das unmittelbar Gemeinte kann im Argument nur in der Weise vorkommen, daß es als solches behauptet wird. Schon dadurch vollzieht sich ineins mit dem unmittelbaren Meinen auch ein Behaupten. Darüber hinaus aber kommt das Ganze der (als solche behaupteten) Meinungen im Argument ja nie allein, sondern immer nur als Baumaterial der sich mittels dessen konstituierenden transphänomenalen Bekundung vor.

56.

Wer aussagt, er „meine nichts" oder er „meine ja nur", behauptet von sich, daß er das wirklich tue. Er realisiert eben damit mehr als nur Meinen. Er urteilt über sein Meinen, was nicht dasselbe wie das Meinen selbst ist. Nur durch derartige das Meinen betreffende Argumente hat das Meinen philosophische Relevanz. Könnte er wirklich (ohne alle transphänomenale Bekundung) bloß meinen, so wäre ein solches Meinen gar nicht gegeben, solange es nicht in einem Transphänomenales bekundenden Argumente thematisiert würde. Aus alledem folgt, daß man im Argumentieren auf keinen Fall auf das bloße unmittelbare Meinen allein zurückweichen kann, da es als für sich allein Bestehendes in unserem Bewußtsein gar nicht vorzukommen vermag. 57.

Die Meinung, die das Argument mitkonstituiert, ist sich selber immer absolut unmittelbar. Wer argumentiert, meint un-

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mittelbar, was er an die Bekundung Bildendem ansetzt. Wird das unmittelbar Gemeinte zum Objekt eines sich darauf beziehenden Arguments gemacht, so ist auch dieses Argument durch unmittelbare Meinungen konstituiert, die nur in secundo thematisiert werden können. Diese faktische Sichunmittelbarkeit der Meinung legitimiert das meinende Behaupten freilich noch nicht.

VII. Die Realisation von Wissen im Argument 58. Daß es bei der Bildung von Argumenten nicht bloß um das unmittelbare Bewußtsein des Angesetzten als so gemeinten, sondern um mehr geht, wird am deutlichsten am Problem erkennbar. Wer sagt: ,,b kommt vielleicht a zu, vielleicht auch nicht", der schwankt nicht hinsichtlich der in diesem Problem angesetzten unmittelbaren Meinungen (a als a; b als b; Zukommen als Zukommen; Nichtzukommen als Nichtzukommen; Geltung als Geltung; Problematizität als Problematizität), sondern hinsichtlich einer diese Meinungen gar nicht mehr bezielenden, jenseits ihrer liegenden Bestimmung. Die problematische Aussage „b kommt vielleicht a zu" darf natürlich nicht mit der Assertion „b vermag an a zu sein" verwechselt werden. In dieser letzteren Assertion wird behauptet, daß a der Bestimmung durch b fakultativ eröffnet ist. Das unentschiedene Hin- und Hergehen im Problem betrifft gar kein Unbestimmtsein der Meinungen, sondern etwas über die unmittelbare Phänomenalität hinaus zu Realisierendes, das jenseits ihrer als zu realisierendes Ziel verschwebt, nämlich ein bestimmtes Wissen und dessen wahre Geltung. Dieses Wissen bezieht sich nicht auf die Gemeintheit des Gemeinten (obwohl auch diese, sofern sie behauptet wird, (nach 50) gewußt sein soll), sondern auf ein Sein, welches in ihm in seiner Wahrheit gegeben sein soll. Wir behaupten bzw. bezweifeln, daß etwas in Wahrheit so ist, wie wir es (mittels unmittelbarer Meinungen) bilden. Eben damit konstituiert sich aber mehr als bloßes Bewußtsein, nämlich Wissen.

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VII. Die Realisation von Wissen im Argument

59. Hiermit enthüllt sich ein neuer wesentlicher Charakter des Arguments: Das Argument will Wissen realisieren. Erst durch diese Relevanz wird das Argument zum Argument. Das Problem zielt ein solches Wissen an, enthält jedoch zugleich das Geständnis von sich, daß es kein Wissen zu bieten vermag, daß ihm vielmehr das Wissen noch fehlt, auf das es abzielt und für das es infragekommende Synthesen skizziert. Das Problem ist nur durch seinen Hinblick und sein Abzielen auf Wissen Problem. Nur durch diesen Bezug auf das Wissen und nur in ihm ist die dem Problem eigentümliche, der einfachen positiven Geltung entbehrende Synthesis eine argumentative Synthesis. Die Behauptung stellt hingegen eine bestimmte Synthesis als im Sein gegeben hin; in ihr wird ein Wissen realisiert; und ohne das wäre sie keine Behauptung. Auch die (behauptende) Intentionsbekundung will sagen, daß die Intention, die bekundet wird, tatsächlich besteht, d. i. daß das Gebildete realiter gewollt oder gefordert wird oder daß eine bestimmte Wertbeschaffenheit eines Arguments wirklich gegeben ist. 60. Das Wissen ist mehr als die Bewußtheit des unmittelbar Phänomenalen. Es stellt uns nicht nur das vor (und nicht nur das als das hin), was wir unmittelbar meinen; es will mittels dieses Gemeinten die Verwirklichung von etwas sein, das mehr als Bewußtheit im Meinen ist, nämlich Erhelltheit von etwas, das ist. Das Argument will, über jene Bewußtheit hinaus, als Wissen wahres Bild (imago, forma) eines Seins (esse) sein. Der Terminus Sein wird dabei uneingeschränkt für alles das verwendet, was im Bilde als Transphänomenales hell und licht sein soll. Er darf also nicht auf Faktizität, Existenz, gar materielle Existenz oder dergleichen eingeschränkt werden. Auch das Verhältnis zwischen Begriffsmomenten und auch die Forderung und das Wertgelten sind in diesem Sinne ein Sein.

VII. Die Realisation von Wissen im Argument

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61.

Damit ist etwas für das Argument Entscheidendes und Grundwesentliches erkannt: Im Argument wird etwas über das Verhältnis zwischen einem Bild (im laxen Sprachgebrauch auch genannt: Wissen) und einem Sein (einem im Bilde erhellten Eigenwesen) ausgesagt. Das Argument ist Entwurf eines Wissens, d. i. eines Verhältnisses zwischen Bild und Sein unter Bezugnahme auf ein Erkenntnis gewährendes Prinzip (nämlich: Wahrheit). 62. Um der Prägnanz willen wird im nun folgenden an der Behauptung herausgestellt, daß sie dieses Bild-Sein-Verhältnis konstituiert. Vom Problem gilt allemal, daß es sich in der Intention, Behauptung zu realisieren, d. i. mit Bezug auf Wissen, bildet. Abgesehen davon ist das Problem schon als Sichbehauptung (als Problem) auch selbst Behauptung. Zunächst muß festgestellt werden, daß das Argument grundwesentlich (und deshalb ausnahmslos) die Differenz von Bild und Sein aufreißt, zugleich aber deren Einheit realisieren will. Das gilt auch in dem Fall, wo der Behauptung zufolge keinerlei Differenz von Bild und Sein, sondern die diese Differenz erst ermöglichende völlige Identität (Licht) sein soll. Denn auch diese differenzlose Einheit des Lichtes wird von uns nur mit Hilfe der gedanklich eröffneten Unterscheidung von Bild und Sein und deren Verneinung erreicht. 63. Die Voraussetzung der Differenz von Bild und Sein beinhaltet: 1. Das Bild ist als Bild nicht ipso facto — Bild des Seins, das es in sich gebildet haben will. 2. Das Sein ist nicht ipso facto — Sein in jenem bestimmten Bilde. Das Sein kann in jenem Bilde, das Bild von ihm sein will, sein; jenes Bild kann in dem Sein, das es als Sein bildet, das Sein selbst gebildet haben.

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VII. Die Realisation von Wissen im Argument

Das Bild bildet als „Wissensbild" zwar immer Sein, und die Behauptung nimmt von diesem gebildeten Sein an, daß es das Sein selber sei; aber dieses putative Sein kann etwas anderes als das Sein selbst sein. Es gibt zwar kein Sein selbst, das nicht gebildet wäre — ein bildloses Sein ist ohne Widerspruch nicht denkbar —, aber es ist nicht in jedem Bilde gebildet, das dieses Sein zu bilden vermeint. 64. Zugleich mit der gedanklichen Unterscheidung von Bild und Sein wird von der Behauptung ein Verhältnis beider konstituiert. Beide sind zwar zufolge ihres Angesetztseins in Einer Behauptung Eines Behauptenden voneinander unterschieden·, beide sind aber auch durch den sie in ihrer wesentlichen Beziehung statuierenden Ansatz der Behauptung in Einer objektiven Beziehung zueinander angesetzt. Dieses positive Verhältnis von Bild und Sein ist dasjenige möglicher (und laut der Behauptung: wirklicher) Nichtdifferenz (Identität) des gebildeten Seins (esse imaginatum) und des Seins selbst (esse ipsum), die, sofern sie gegeben ist, Erkenntnis ermöglicht (welche die Behauptung zu geben erklärt). Diese Nichtdifferenz kann aber auch nicht gegeben sein; dann ist das sich manifestierende Wissen kein wahres Wissen (kein Wissen im strengen Wortsinne), d.i. keine Erkenntnis.

65. Das Verhältnis zwischen Bild und Sein kann demnach folgendes sein: 1. Das Bild (imago, forma) kann Bild des Seins selber (des esse ipsum) sein. Dann ist es wahres Bild bzw. Bild des wahren Seins, Wissen im strengen Wortsinne, Erkenntnis. 2. Das Bild kann aber auch bloß vermeintes Bild des wahren Seins, tatsächlich aber Bild eines nur putativen Seins und insofern bar des wahren Seins sein. Dann ist es ein falsches Bild, lediglich Wissen (im laxen Wortsinne), keine Erkenntnis.

VII. Die Realisation von Wissen im Argument

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3. Das transphänomenale Sein selbst (esse ipsum) kann in einem bestimmten Bilde erhellt sein; dann wird es wahrhaft gewußt, ist erhellt und in der Erhellung „offenbar". 4. Das Sein selbst kann aber auch in einem Bilde von ihm nicht erhellt, dunkel geblieben sein; dann wird es nicht erkannt, nicht im strengen Wortsinne gewußt, sondern ist „verborgen". Die Behauptung deklariert, ein Bild des Seins selbst, also Erkenntnis des wahren Seins (wie in Punkt 1. u. 3. bestimmt) zu sein. Das Problem kann dies nicht von sich erklären; es muß die Entscheidung darüber, ob das, was es als Verhältnis von Bild und Sein selbst, hinstellt, wahr oder falsch ist, offenlassen. Aber das, was das Problem in dieser Hinsicht präsentiert, ist stets in Hinsicht auf die Verwirklichung von Erkenntnis, als dem intentional Bezielten, konstituiert. Von diesem Ziele muß das Problem freilich erklären, daß es dasselbe nicht realisiert. Das Problem schwankt, was als Erkenntnis anzusetzen ist.

VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit 66. Wenn es wesensnotwendig ist, daß das Argument eine wissensrelevante Aussage vollzieht (vgl. 58 u. 59), das Wissen aber wahres Bild des Seins zu sein erklärt (nach 60), so ist das Argument wesensgemäß auf Wahrheit bezogen. Ohne diese Bezugnahme konstituierte das Argument kein Wissen; d. h. aber, es wäre dann kein Argument. 67. Jedem Argument liegt infolge seines Wesens dieser Bezug auf Wahrheit zugrunde. Der Behauptende erkennt der von ihm vertretenen Grundsynthesis immer wahre Geltung zu; er behauptet ein Wissen, d. i. die Wahrheit des Bildes des Seins. Das wird besonders an der Behauptung deutlich, die jemand macht, daß er nichts wisse. Denn selbst indem er behauptet, daß er nichts wisse, behauptet er eben, daß dies in Wahrheit so sei, d. i. daß es wahr sei, daß er nichts wisse. Der Zweifelnde geht in seinem Zweifeln in einem ihm bewußten und von ihm gewußten Nichtwissen zwischen möglichen Synthesen hin und her und erwägt, ob dieser oder jener Synthese wahre Geltung zukomme, d. i. ob in ihr das wahre Sein gebildet sei. Er setzt damit schon in diesem Akte des Zweifeins Wahrheit voraus. Wer irrtümlich behauptet, vermeint doch behauptend, wahrhaft zu wissen. Selbst der Lügner kann nicht umhin, in seiner lügenhaften Aussage Wahrheit für das Behauptete zu beanspruchen. Auch kann er nur lügen, wenn er die Wahrheit schon weiß oder zu wissen vermeint. Er bezieht sich innerhalb seines Lügens immer auf Wahrheit als solche.

VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit

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Wer leugnet, daß es überhaupt Wahrheit gibt, muß für diese Negation Wahrheit beanspruchen; er setzt folglich im Akte des Leugnens ihr Sein und ihre Valenz voraus. Wer auch nur leugnet, daß eine bestehende Wahrheit erkannt werden könne, beansprucht in dieser Aussage für das von ihm Behauptete Wahrheit und deren Erkanntsein durch ihn. Wer keine Wahrheit will, muß in diesem Akte wenigstens behauptend ansetzen, daß er in Wahrheit keine Wahrheit will weil sonst sein Wollen nicht es selbst, folglich nicht wäre. Er setzt eben damit Wahrheit und deren Valenz voraus; und insofern er sein Wollen will, will er auch das wahre Sein seines Wollens erkennend fassen. Auch die auf aussagende Argumente (bzw. deren Elemente oder Momente) bezogenen intentionalen Bekundungen (vgl. 21 f.) sowie die auf die Intentionen dieser Bekundungen bezogenen intentionalen Bekundungen höherer Stufe (vgl. 27) sind, eben schon deshalb, weil sie sich auf aussagende Argumente und die Bildung derselben beziehen, diese letzteren aber immer Wahrheit voraussetzen, stets auf Wahrheit bezogen. Doch auch schon, indem sie Intention bekunden, setzen sie das wahre Bestehen dieser Intention in ihnen und die Erkenntnis dieses Bestehens voraus. 68.

Die Bezugnahme auf Wahrheit, die dadurch gegeben ist, daß im Argumente seinem Wesen nach Wissen konstituiert wird, findet sich im Argumente nicht nur als einfachem Argumente, sie findet sich schon in der Sichbehauptung des Argumentes als solchen. Indem das Argument als Argument (die Behauptung als Behauptung; das Problem als Problem) aufgestellt wird, erfolgt in ihm die Aussage, daß das sich Präsentierende in Wahrheit ein Argument (als Behauptung, als Problem) sei. Nun ist die Sichbehauptung dem Argument (nach 31 f.) wesentlich. Folglich nimmt jedes Argument schon in seiner Sichbehauptung notwendig auf Wahrheit bezug. Der Argumentierende kann sich nicht als argumentierend ansetzen, ohne zu setzen, daß er in Wahrheit argumentiert. Auch

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VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit

das argumentierende Ich, das zugleich mit dem Argumente (nach 44) notwendig angesetzt werden muß, wird demnach als in Wahrheit sich behauptend angesetzt. Erst die Konzeption von Wahrheit ermöglicht also die Konstitution des Arguments als solchen. 69. Da sich (nach 45 f.) das Argument nur mittels unmittelbarer Meinungen zu bilden vermag, müssen diese Meinungen als wahrhaft solche angenommen werden, wenn das Argument das konstituieren können soll, was seinerseits wahres Bild des Seins sein (oder sein können) soll. Die Elemente sind dieser Voraussetzung nach eben wahrhaft diese (a ist a; b ist b; R ist R), die Synthesen sind diese (Si ist Si etc.), die Geltungserhebung ist diese (ist ist ist; ist vielleicht ist ist vielleicht): nur dann ist das Argument dieses. Das unmittelbar Gemeinte ist als in Wahrheit solches im Argumente angesetzt und ineins damit aussagend artikuliert. 70. Darüber hinaus stellt das Argument (nach 58ff.) eine Bezugnahme des Bildes in ihm auf das Sein dar. Daß diese Bezugnahme vom Bilde aufs Sein erfolgt, kann im philosophischen Argument nicht ungewußt sein, weil das philosophische Argument (nach 4) vollbewußtes Argument ist. Diese Bezugnahme auf das Sein wird also gleichfalls in jedem philosophischen Argument als bestehend behauptet. 71. Die spezifische Geltung der Grundsynthesis des philosophischen Arguments ist immer eine in die Wahl seiner freien Entscheidung gestellte und aus ihr hervorgegangene. Daß dies der Fall ist, läßt die Struktur des Problems indirekt erkennen. Das Problem stellt ja Alternativen zur Annahme auf, von denen die eine erst durch einen freien Bestimmungsakt zur Behauptung promoviert werden soll; es selbst enthält sich der Behauptung. Im

VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit

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Gegensatz dazu sieht man es der Behauptung in ihrer sprachlichen Form nicht ohne weiteres an, daß sie eine freie Geltendsetzung einer bestimmten Grundsynthesis darstellt. Niemand muß jedoch philosophisch etwas behaupten; er kann es nur. Ist das Wissen aber eine freie Erstellung und ist das philosophische Argument sich des in ihm vollziehenden Setzens und vollzogenwerdenden Angesetzten reflexiv bewußt, so muß es auch über diese bestimmende Freiheit etwas aussagen. Und das ist tatsächlich auch der Fall. Im Problem wird nämlich statuiert, daß die Geltung einer Synthese, die es beinhaltet, einem bestimmten frei Urteilenden zweifelhaft ist. In der Behauptung wird statuiert, daß deren Synthesis von einem bestimmten sie frei in Geltung Setzenden als wahr aufgestellt wird. Ich (bzw. Wir) zweifle(n), daß a b ist; Ich (bzw. Wir) behaupte(n), daß a b ist. Auch dann, wenn die frei angesetzte Behauptung Behauptung der Vernunft selbst ist, ist sie doch immer zugleich auch Behauptung eines bestimmten frei Behauptenden (bzw. mehrerer). In dieser Aussage ist das Ich bzw. Wir als in Wahrheit auf solche Weise argumentierendes behauptend angesetzt. In dieser Behauptung wird ein Wissen artikuliert, nämlich, daß die Behauptung bzw. der Zweifel in Wahrheit in einer Handlung eines bestimmten freien Ichs erfolge. 72.

Doch offenbart sich hier ein wesentlicher Unterschied zwischen Problem und Behauptung. Das Behaupten manifestiert nämlich niemals bloß eine bestimmende Freiheit, es statuiert auch immer eine transsubjektive Geltung, d.i. eine objektive Gültigkeit des Behaupteten in der Vernunft selbst. Die bestimmende Freiheit will im Behaupten niemals bloß sich selbst positiv manifestieren, sondern sie überschreitet eben durch die gewählte Form der Behauptung den Bereich des bloß subjektiven Geltendmachens in Richtung auf objektive Gültigkeit. Damit ist freilich die objektive Gültigkeit des Behaupteten noch nicht gewährleistet, aber sie ist mit Wesensnotwendigkeit immer vorausgesetzt.

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VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit

Umgekehrt kann alle objektive Gültigkeit ihrerseits nur in einem freien subjektiven Geltendmachen argumentativ erscheinen. Jede objektive Wahrheit muß in einem subjektiven Akte des Behauptens als geltend hingestellt werden, um in einem philosophischen Argument vorfindlich zu sein. Selbst dann, wenn wir emphatisch sagen: „Ich behaupte, daß a b ist" und damit die subjektive Seite der Behauptung hervorheben, können wir damit niemals nur das subjektive Geltendmachen für angesetzt erklären. Denn das behauptende Geltendmachen selbst besagt ja eben, daß die Geltung als auch unabhängig von der sie erhebenden jeweiligen subjektiven Handlung bestehend statuiert wird. Einzig wenn die Behauptung fallengelassen wird, erfolgt keine Beanspruchung objektiver Gültigkeit mehr. Die emphatische Aussage „Ich behaupte, daß u.s.w." ist in vielen Fällen schon eine beurteilende Aussage (siehe Kap. X X V I I ) . Sie soll besagen, daß an der Behauptung eines objektiv Geltensollenden ein subjektives Geltendmachen konstitutiv beteiligt ist, das als solches nicht notwendig mit einer in Wahrheit bestehenden objektiven Geltung zusammenfallen muß. 73. Hingegen wird im Problem niemals ein objektives Gelten, sondern stets nur eine subjektive Geltungsaussage statuiert. Es versteht sich, daß das Problem, eben weil es Problem ist, kein Bestehen der Geltung des einfachhin Ausgesagten in der Weise des Behauptens aufstellt. Aber auch von der Problematizität selber kann immer nur ausgesagt werden, daß sie subjektiv bestehe, niemals aber, daß sie objektiv einem Sein selbst zuzusprechen sei. Einzig, daß das Problem Problem ist (— aber eben das wird ja im Problem auch behauptet, und nicht nur als problematisch hingestellt; siehe 31 —), soll objektiv gültig sein. Die Problematik kann also niemals objektive Problematik sein. Nur scheinbar gibt es auch objektive Probleme. So sagt man freilich: „Es ist problematisch" und meint damit, daß es nicht nur dem dieses Problem formulierenden Subjekte, sondern

VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit

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„vielen" oder gar „allen" problematisch sei. Aber diese „alle" sind stets nur eine Vielzahl, vielleicht „alle Menschen", aber niemals die Allheit der Aussage. Es kann nicht etwas objektiv ungewiß sein. Die reine Vernunft selber ist nicht ungewiß. Im Problem wird ausgesagt, daß einer bestimmten Synthesis von bestimmten Subjekten keine Geltung zugesprochen werden, d. i. daß diese Synthesis als Bild nicht für das wahre Bild des darin gebildenten Seins erklärt werden kann. Darin ist jedoch schon vorgebildet, daß es jenseits dieses unsicheren Bildes ein Sein gibt, das bestimmt ist, und da Sein immer gebildetes Sein ist (vgl. 63), daß es da ein bestimmtes gebildetes Sein gibt. Nur ist eben dieses wahre Bild nicht ausgemacht und darum in der Aussage, die eben deshalb Problem ist, nicht behauptet. Das Problem setzt also immer voraus, daß jenseits seiner eine objektive Gültigkeit gegeben ist. Andernfalls könnte es nicht aussagen „a ist vielleicht b". Ein Schwanken zwischen Synthesen, was ihre Geltung betrifft, die gar nicht als objektives Seinsbild infragekommen, wäre kein Argument mehr. Es könnte nur noch ein Spiel mit möglichen Systasen sein; dann aber handelte es sich nicht mehr um Argumente. Dem Problemansatz zufolge gibt es eine objektive Gültigkeit jenseits seiner — nur wird diese im Problem nicht subjektiv realisiert. Deshalb sagt das Problem nur etwas über den subjektiven Status der Geltung des in ihm angesetzten Bildes aus. Den Schritt hinüber zur objektiven Geltung vermag es nicht zu vollziehen, es setzt sie allerdings kategorisch als bestehend voraus. 74. Während das Problem stets nur etwas über den subjektiven Wissensstand, niemals aber etwas als objektiv problematisch statuieren kann, vermag umgekehrt die Behauptung keine bloß subjektive Aussage zu machen. Sie kann aber auch keine objektive Gültigkeit aussagen, ohne implizit die subjektive Einsicht in diese objektive Gültigkeit mitzubehaupten, sei diese Einsicht nun mittelbar oder sei sie unmittelbar. Natürlich kann der Anspruch auf diese Einsicht in die objektive Geltung ungegründet sein; nur kann er niemals unterlassen werden.

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VIII. Die Bezugnahme des Arguments auf Wahrheit

75. Argumentative Willensbekundungen oder Forderungen, mögen sie nun die Realität oder den Wert aussagender (oder intentionaler) Argumente betreffen, behaupten von sich, objektiv zu bestehen, unbeschadet dessen, daß sie subjektive Manifestationen sind, es sei denn, daß sie selbst (nach 29) problematisch vorgebracht werden. In letzterem Falle statuieren sie nur etwas über das von ihnen aussagende Subjekt (das in diesem Falle mit sich als intentional schwankendem Subjekt zusammenfällt), daß es nämlich nicht mit Sicherheit sagen kann, was gewollt (werden) bzw. wertgehalten wird. Nur daß eine problematische Intentionalität besteht, ist objektiv gewiß. 76. In der Behauptung wird eben dadurch, daß sie als Behauptung und nicht als Problem auftritt, etwas über den subjektiven Status des Behauptenden und den objektiven Status des Behaupteten statuiert. Von diesem Unterschied zwischen dem subjektiven und objektiven Status wird im philosophischen Argumentieren (nach der Generalbestimmung in 4) gewußt; er wird also als solcher (implizit) mitbehauptet. Das vom behauptenden Ich formierte Bild eines bestimmten Seins ist nicht schon ohne weiteres auch wahres Bild dieses Seins. In dieser Differenz zwischen dem objektiven und dem subjektiven Status drückt sich der durch das Argument als solches gemachte Unterschied zwischen dem Bilde des Bildes bloß von sich und von dem in ihm Gebildeten bloß als Gebildeten — und dem Bilde von sich als Bildes des Seins selbst aus.

I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit 77.

Die gedankliche Differenz, die der Behauptende zwischen der Behauptung als seiner Behauptung und als objektivgeltender Behauptung macht, läßt erkennen, daß der Behauptung, insofern sie bloß Akt und Setzung des Behauptenden ist, noch keine objektive Gültigkeit zuzuerkennen ist. Die im Subjekt konstituierte Behauptung kann gültig sein, aber sie muß es nicht sein. Das bedeutet, daß eine Behauptung nicht schon deshalb wahr ist, weil ein behauptendes Subjekt sie aufstellt. Was der individuell oder kollektiv Behauptende asseriert, hat durch sein subjektives Behaupten allein noch keine Wahrheit. Andererseits spricht das behauptende Subjekt dem von ihm Behaupteten allein schon durch die Form des Behauptens (statt Problematischsetzens) wahre Gültigkeit zu. Aber dieser Zuspruch macht die Behauptung nicht wahr. 78.

Der Zweifelnde steht, eben durch die gewählte Form des Problems, von einem solchen Zuspruch des Geltens ab; aber er kann seinen Zweifel nur mit Bezug auf die gesehene und in Betracht gezogene Differenz des subjektiven und objektiven Status der argumentativen Synthesis und ihrer Geltung artikulieren. Er setzt also ebenso wie der Behauptende voraus, daß ein subjektiv formiertes Bild nicht schon ipso facto ein objektiv gültiges Bild des in ihm prädizierten Seins ist. Er zweifelt ja eben deshalb, weil er einsieht, daß die ihm mögliche subjektive Konstitution einer Behauptung dieser noch keine objektive Gültigkeit verliehe. Damit bekundet auch der Zweifel die Differenz

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I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

zwischen bloßer subjektiver Geltendsetzung eines Seinsbildes und dessen Authentizität. 79. Das aussagende Argument kann Behauptung, es kann Problem sein. Was von beiden es ist, hängt von der Form ab, die das argumentierende Subjekt ihm gibt. Der Argumentierende weiß um die Differenz von objektivem und subjektivem Status des Behaupteten. Er kann in bloß subjektivem Statuieren verbleiben und den Schritt zum objektiv bedeutsamen Geltendmachen unterlassen; dann formuliert er nur ein Problem. Er kann aber ebensowohl die Problematizität zugunsten einer Assertion zurückstellen. Da es sich im Falle des philosophischen Arguments (nach 4) um ein vollbewußtes, freiwillentliches Bilden handelt, muß dem philosophisch Argumentierenden auch die mit jener konzipierten Differenz eröffnete Freiheit des Bildens (vgl. auch 11 u. 32) bewußt sein. Dasjenige Argument, das er aufstellt, ist ein freiwillentlich aus dem Bereich möglicher Formierungen ausgewähltes. Das Subjekt macht mit bewußter Freiheit das von ihm gewählte bestimmte Argument als solches geltend. Es erkennt der formierten Synthesis Wahrheit zu oder steht von einer solchen Zuerkenntnis ab. Das bestimmte Argument ist nur durch den es zu dieser Bestimmtheit formierenden freien Willen dieses bestimmte Argument. 80.

Da die Behauptung die Differenz des subjektiven und objektiven Status der Geltung der formierten Synthesis wesensnotwendig konzeptuell ansetzt, wenn sie die Koinzidenz beider aussagt, so ergibt sich ein Wesenssachverhalt, der in der Lehre vom Urteil bis in die jüngste Zeit fast vollständig übersehen worden ist: Die Behauptung, so reintheoretisch sie auch scheinen mag, beansprucht (kontendiert), wahr zu sein. In jeder Behauptung ist ineins mit der in ihr formierten Synthesis freiwillentlich und bewußt deren objektive Geltung angesetzt; sie mißt sich zu, transsubjektive Gültigkeit zu manifestieren. Aber

I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

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sie beansprucht dies auch nur! Diese willentliche Zuerkennung der Geltung verleiht der formierten Synthesis von sich aus nicht den Charakter, wahre Synthesis zu sein. Die Behauptung versichert (assecurat) zwar, Wahrheit auszusagen, aber sie macht damit noch keineswegs fest (non vere affirmat), daß das Behauptete wahr ist. 81.

Die Behauptung bloß als solche ist demzufolge gar kein bloß theoretischer Akt und gar kein bloß theoretisches Gebilde, sondern sie ist wesentlich willentliche Setzung. Die Behauptung bloß als solche beansprucht nur (mere contendit), wahr zu sein. Die bloße Assertion ist nur eine Kontention, keine wahre Affirmation. Allerdings wird eine Synthesis ausschließend durch eine derartige willentliche Beanspruchung von Wahrheit zur Behauptung. 82. Es versteht sich (nach 45f.), daß dieser auf dem Hintergrunde des Wissens um die Differenz zwischen subjektivem und objektivem Status der Behauptung sich in der letzteren manifestierende Anspruch seinerseits, wie alle anderen Momente des philosophischen Arguments, als solcher gemeint und in dieser Meinung behauptet sein muß. 83. Indem zwischen dem subjektiven und dem objektiven Status der im Argument geltendgemachten Synthesis unterschieden wird, wird zwischen für wahr (oder für vielleicht wahr) gehaltenem Bild und wahrem Bild des Seins selbst unterschieden. Diese Unterscheidung ist aber nur möglich, weil das Verhältnis von Bild und Sein in Bezug auf Wahrheit gesehen wird. Mit dem Argument als solchem wird also wesensnotwendig Wahrheit als solche konzeptuell vorausgesetzt, und zwar im philosophischen Argumente reflexiv bewußt vorausgesetzt.

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I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

84. Das Argument realisiert sich nur in intentionaler Ausgerichtetheit auf Wahrheit. Für die Behauptung wurd dies schon (in 80) dargelegt. Der Zweifel (das Schwanken) stellt seinerseits ein Oszillieren dar, das ebenso intentional auf das, was wahr sein soll, ausgerichtet ist und um dessentwillen statthat. Versucht man, diese Intentionalität aus dem Zweifel wegzudenken, so bleibt er nicht mehr Zweifel. — Die Frage ist nur deshalb Frage, weil sie eine Entscheidung bezüglich der Wahrheit des in ihr artikulierten Problems verlangt. Wer wirklich fragt, wünscht eine in Wahrheit gesicherte Behauptung anstelle eines bloßen Problems. Ohne auf Wahrheit zu dringen, wäre die Frage keine Frage. Aus diesem Grunde stellt die Frage, ob es denn Wahrheit überhaupt gebe, einen direkten Widerspruch auf. Sie negiert nämlich erneut, was sie schon implizite realisiert, nämlich die Behauptung, daß es Wahrheit gibt. Sie setzt durch ihr bloßes Sein als Frage als ausgemacht voraus, was sie in ihrem einfachen Gehalt als unausgemacht hinstellt. Sie hebt damit sich und das in ihr problematisch Hingestellte (nach 39) auf. 85. Die Behauptung bloß als solche ist im Beanspruchen von Wahrheit in doppelter Weise willentlich auf Wahrheit gerichtet. Sie ist Resultat des Willens, Wahrheit zu realisieren, und sie manifestiert die Prätention, daß das in ihr Ausgesagte wahr sei. 86. Sowohl der Wille, Wahrheit zu realisieren, als auch die Prätention, dies zu tun, müssen im philosophischen Argumente reflexiv bewußt sein. Die Prätention ist außerdem durch einen besonderen freien Akt (nach 79) manifestiert. Der Argumentierende hätte ja auch bloß einen Zweifel bekunden können5; statt s

Man lasse nicht außer acht, daß hier immer vom philosophischen, und das ist von einem vollbewußt und aus freiem Willen angesetzten Argument die Rede ist.

I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

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dessen hat er eine feste Behauptung gewählt. Wer philosophisch behauptet, ist sich also des willentlichen Statuierens des Geltungsanspruches für die von ihm formierte Synthesis reflexiv bewußt. 87. Der in der Behauptung sich manifestierende doppelte Wille wird, wie alle das Argument konstituierenden Momente, selbst zum einen gemeint, zum anderen als diese Meinung behauptet. Die Behauptung dieses Willens muß notwendig wahr sein, weil Wille sich überhaupt nur in Erkenntnis seiner selbst vollzieht, der Wille sich selbst also wirklich wissen muß. Meinte der Argumentierende nur, daß er wollte, ohne wirklich zu wollen, so wollte er in Wirklchkeit gar nicht. Es wird überhaupt nur dann gewollt, wenn ineins damit erkannt wird, daß gewollt wird. Das Bild eines Wollens, das wirklich Bild eines Wollens ist, ist notwendigerweise ein zutreffendes Bild, weil ein solches Bild von sich, Kondition des Wollens als solchen ist. Ein Scheinbild des eigenen Wollens im Wollen ist ohne Widerspruch nicht denkbar, denn es hebt den Begriff des Wollens auf. 88.

Die Behauptung beansprucht zwar, wahr zu sein, aber sie realisiert mit diesem Anspruch noch nicht ihr Wahrsein. Wäre die bloße Behauptung allein schon dadurch, daß sie als solche aufgestellt wird, auch wahr, so wäre alles, was behauptet wird, auch wahr. Eine derartige Annahme enthält jedoch einen unaufhebbaren Widerspruch. Denn es kann ja auch behauptet werden: „Nichts, was behauptet wird, ist wahr". Diese Behauptung wäre dann nach der gemachten Voraussetzung mit ihrem bloßen Vollzug auch wahr. Es stünden dann die Aussage (1) „Was behauptet wird, ist wahr" und die Aussage (2) „Nichts, was behauptet wird, ist wahr" einander gegenüber. Es müßte dann (3) zugleich wahr sein, „daß, was behauptet wird, wahr ist" und „daß nichts, was behauptet wird, wahr ist". Diese dritte These stellt ihrerseits abermals eine Behauptung dar, zu der nach

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I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

der zweiten These das ihr Widersprechende behauptet werden muß. Nach der ersten These ist alles, was behauptet wird, wahr. Die dritte These ist eine Behauptung, folglich auch wahr. Nach der zweiten These aber ist These (3) nicht wahr. Statt ihrer müßte es vielmehr heißen, „daß es nicht wahr ist, daß alles, was behauptet wird, zugleich mit nichts, was behauptet wird, wahr ist". Man sieht, daß auf diese Weise keine Behauptung mehr ohne Widerspruch als wahr ausgezeichnet werden kann. Hier ist alles wahr und ineins damit nicht wahr. 89. Die These „Jede Behauptung ist als solche schon wahr" scheint den Vorteil zu bieten, daß sie der schwierigen Problematik des in einem Bilde sich erhellten Seins und des kein Sein erhellenden (bloßen) Bildes entkommt. Nach ihr fallen Bild und Sein immer zusammen. Wäre die Behauptung aber schon als solche gültiges Bild des Seins, so ließe sich nicht einmal verstehen, was ein Problem oder eine Frage sein soll. Das Problem könnte in Bezug auf die Geltung gar nicht oszillieren, denn die ins Auge gefaßten Synthesen wären durch ihre bloße Formierung auch schon ipso facto wahr. Das Problem setzt aber statt dessen voraus, daß anstelle der einen Synthese auch die andere wahr sein könnte. Die Frage zielt auf die Entscheidung, daß nur die eine von beiden konzipierten Synthesen gilt. Durch die Frage will das Subjekt aus der Ungewißheit des Problems herauskommen. Wo aber keine Ungewißheit ist, da ist auch keine aufzuhebende Problematizität. Mit der These „Jede Behauptung ist als solche schon wahr" werden Problem und Frage denkunmöglich. 90. Wenn die Behauptung nicht schon durch ihr bloßes Behaupten wahr ist, obwohl sie wesensnotwendig wahr zu sein beansprucht, so können wir zwar keine Behauptung machen, die nicht

I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

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Wahrheit intendiert; aber wir können ebensowohl Behauptungen machen, die nicht wahr sind, als Behauptungen, die wahr sind. Wir können dies, heißt, wir sind frei, es zu tun; wir müssen keines von beiden6. Durch das Behaupten allein ist also das Behauptete noch nicht gesichert. Wir sind von unserem Wesen her nicht schon unaufhebbar in der Wahrheit geborgen. 91.

Die Behauptung manifestiert sich demnach eben dadurch als ungesichert, daß sie eine bestimmte Wahrheit durch ihr Hervortreten erst versichert. Die Behauptung steht in der grundsätzlichen Möglichkeit der Differenz des Bildens als bloßen Bildens zum Bilden als wahren Bildens (Erkennens). Nicht bloß das Problem (und die Frage), schon die Behauptung dokumentiert durch ihr Wesen, daß es eine Verschiedenheit des (vermeinten) Seins im Bilde und des wahren Seins geben kann und daß eben deshalb nicht alles Wissen Erkennen ist. Wäre die bloße Behauptung als solche sichere Wahrheit, so risse sie gar nicht in ihrer Eigenschaft als Behaupttung das Problem des Verhältnisses des gebildeten Seins zum Sein selbst auf. Bild und Sein fielen dann schon immer ineinander, und das Bild wäre schon als solches die Erhellung des wahren Seins. Daß die Behauptung bloß als solche aber wesensmäßig ungesichert ist, bedeutet, daß sie im Wissen um die Problematizität des Bildes vom Sein konzipiert ist. 92.

Da die Behauptung bloß als solche trotz ihres Anspruchs auf Wahrheit nicht ipso facto durch Erkenntnisdignität ausgezeichnet ist, muß sie etwas anderes herbeizuführen suchen, um sich als wahr zu präsentieren. Sie tut das im Erheben des Anspruchs, indem sie der formierten Synthesis Wahrheit unterstellt. Die 6

Es sei abermals daran erinnert, daß hier immer nur vom philosophischen, d. i. einem vollbewußten und frei angesetzten Argument die Rede ist.

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I X . Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

Behauptung ist insofern wesentlich Supposition (suppositio, hypothesis). Läßt sie diese Unterstellung fallen, so hört sie auf, Behauptung zu sein. Wir sagen dann etwa: „Ich nehme meine Behauptung zurück", „Ich vertrete meine Behauptung nicht mehr", „Ich gebe meine Behauptung auf", „Ich kann meine Behauptung nicht aufrechterhalten". Mit einer solchen Zurücknahme der Unterstellung differenzieren wir in einem neuerlichen, zur erstgemachten Behauptung Stellung nehmenden Urteilsakt zwischen der Synthesis und der Geltungsbehauptung. Erst durch diese sekundäre Differenzierung können wir die Verbindung von Synthesis und Geltungserhebung, die in primo allein das Argument (als Behauptung) konstituiert, lösen und die zuerkannte Geltung wieder aberkennen (vgl. 10—12). Erst in der Stellungnahme zur primären Behauptung wird die Geltungserhebung von der Synthesis abhebbar. Daß wir aber zum Anspruch der (primären) Behauptung Stellung nehmen können, ist nur dadurch möglich, daß die Behauptung nicht schon bloß als solche auch notwendig wahr ist, sondern sich durch einen freien Willensakt Wahrheit arrogiert hat. So notwendig es für die Behauptung ist, daß sie Wahrheit beansprucht; so frei ist sie doch darin, für was sie Wahrheit beansprucht; und so notwendig es für das Argument ist, daß es Wahrheit intendiert, so frei ist es doch darin, sich zur Behauptung oder zum Problem zu formieren. 93. Wir befinden uns hier vor einer dreifachen Freiheit des argumentierenden Willens: 1. Der Wille ist frei, überhaupt zu argumentieren; 2. Der Wille ist frei, argumentierend zu behaupten oder zu bezweifeln; 3. Der Wille ist frei, etwas Bestimmtes (statt eines anderen Bestimmten) zu behaupten bzw. zu bezweifeln7. 7

V o n der Seite, daß das zu Erkennende für das bestimmte Argument einer Rolle spielt, wird an dieser Stelle unserer Erörterung abstrahiert, um die voluntative Seite im Argument deutlich herauszustellen.

IX. Die Behauptung als Beanspruchung von Wahrheit

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Wer sich nicht zum Argumentieren entschließt, nimmt nicht als Argumentierender an der philosophischen Erörterung teil und schließt sich damit für alles daraus sich Ergebende aus. Es ist im Bereich der Philosophie allerdings möglich, gar nicht zu argumentieren; im Leben hingegen ist dies unmöglich, und insofern dieses lebende Argumentieren ein Argumentieren ist, gelten für dasselbe seiner eigenen Voraussetzung nach auch alle das Argument schlechthin bestimmenden Gesetze. Argumentieren wir aber auf Grund eines freien Willensentschlusses in der Philosophie, so sind wir an alle Gesetze, die das Wesen des Argumentes bestimmen, unaufhebbar gebunden. Wir müssen dann Wahrheit intendieren. Aber wir bleiben innerhalb dieser Wesensgesetzlichkeit dennoch frei, 1. zu behaupten oder nur zu bezweifeln, und 2. eben gerade das Bestimmte zu behaupten bzw. zu bezweifeln, das wir gegebenenfalls behaupten oder bezweifeln.

X . Wahrheit als bestimmender Wert des Arguments 94.

Der freie Wille, der diese oder jene Synthesis zur Behauptung erhebt, d.i. ihr Gültigkeit zustellt, bezieht sich nur scheinbar unmittelbar auf den faktischen Gehalt der Behauptung. Vielmehr erfolgt jede solche Entscheidung primär in Bezug auf einen Wert. Erst sekundär erstreckt sie sich auch auf das Sein. Denn dieses wird nur deshalb gewählt, weil es wählenswert ist, d.i. jenen Wert zu realisieren vermag. In der argumentativen Supposition ist der Wert der Wahrheit bestimmend. Nur unter dem Gesichtspunkt, daß Wahrheit ein im Argumente zu realisierender Wert ist, wird einer bestimmten Behauptung Geltung zuerkannt, d.i. wird sie als eine Formation genommen, die diesen Wert realisiert. Unter demselben Wertgesichtspunkt wird im Zweifel von einer Realisation desselben Abstand genommen; denn es ist nicht sicher, daß die anvisierte Synthesis auch Wahrheit realisiert. Da Wahrheit sein soll, soll Unwahrheit nicht sein, muß also vermieden werden, daß Unwahrheit realisiert werde. Damit ist offenbar, daß es in aller Argumentation um Wahrheit als den bestimmenden Wert geht. 95.

Diese zum Zustandekommen des Arguments notwendige Bezogenheit des die Argumentation tragenden Willens auf den Wert der Wahrheit präjudiziell jedoch nichts hinsichtlich der freien Entscheidung, die bezüglich dieses Wertes getroffen wird. Vielmehr bleibt diese frei und sogar notwendig frei, weil Wahrheit als Wert wie jeder Wert ein für eine Entscheidungsfreiheit eröffnetes

X . Wahrheit als bestimmender Wert des Arguments

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und sich an sie richtendes Quale darstellt. Wir können diese Wahrheit, um die als Wert es freilich notwendig geht, als Wert

annehmen oder verwerfen, lassen oder sie abweisen.

bejahen

oder verneinen,

sie gelten

96. Wir bejahen oder verneinen in einer solchen freien Entscheidung zunächst den für uns pertinenten Wert der Wahrheit als solchen. Diese Entscheidung bestimmt sodann in der Konsequenz unser argumentatives Wollen und Handeln. Wir wollen auf Grund der vorgängigen Entscheidung zum Werte diesen Wert verwirklichen oder nicht verwirklichen, die Wahrheit aussagen oder sie nicht aussagen. Auf Grund dieses Wollens realisieren wir ein bestimmtes Argument. 97. Das voluntative Konstitutivmoment des Arguments stellt sich damit als noch weiter gehend heraus, als es bisher (nach 84—86) schon erkannt wurde. Das Argument ist überhaupt keine bloße faktische Gegebenheit; es besteht erst als Freiheitsprodukt, als freier Vollzug einer bestimmten Aufgabe. Nur indem das ein bestimmtes Argument realisieren-wollende Ich die Aufgabe, Wahrheit vorstellend zu realisieren, bewältigt, kommt es zum Argumente, wobei dieses jeweils in seiner besonderen Bestimmung so ausfällt, wie der sich frei bestimmende Wille sich faßt (allerdings auch, was hier noch unberücksichtigt bleibt, von der sachlichen Seite her sich fassen kann). 98. Eben weil das Argument kein bloßes Faktum, sondern Produkt einer es tragenden Entscheidung ist, ist es immer ein zweckhaftes Gebilde, ein Artefakt. Das Argument ist ohne den es konstituierenden Willen gar nicht da; und zwar ist dies nicht in dem Sinne zu verstehen, daß der Wille als äußerer Motor das — in sich dann doch rein theoretische — Argument herbeiführt, sondern in dem Sinne, das Willensmomente innere konstitutive Charaktere des Argumentes selbst darstellen.

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X . Wahrheit als bestimmender Wert des Arguments

99. Da im philosophischen Argument (nach 4) nichts angesetzt ist, was nicht willentlich und wissentlich angesetzt ist, so muß dieser Willensanteil am Argumente auch reflexiv gewußt sein. Wer philosophisch argumentiert, muß wissen, daß er in diesem Argumente will und was er in ihm will.

100. Bei der Formation des Arguments als Verwirklichung einer bestimmten Willensentscheidung zur Wahrheit fällt der höchst merkwürdige Umstand auf, daß wir im Argumente, insofern es Behauptung ist, das Behauptete immer als wahr hinstellen müssen, und zwar gleichgültig, ob wir Wahrheit realisieren wollen oder nicht und folglich die Wahrheit sagen oder nicht sagen. Auch der Lügner muß seine Lüge als Wahrheit präsentieren. Wir können an einer argumentativen Synthesis nicht unterlassen, ihr Gelten zu beanspruchen — erst dadurch wird sie überhaupt eine argumentative Synthesis — und damit alle jene Willensakte konstitutiv werden zu lassen, die dazu erforderlich sind. (Nur in einer erneuten Beziehung auf das erstformierte Argument können wir mittels bestimmter Abstraktionen die Geltungserhebung von der Synthesis wieder ablösen und ihr aberkennen, sei es zurecht oder zu Unrecht.) Nur in der synthetischen Vereinigung der faktischen Synthesis mit der doxischen Kontention wird ein Argument zustandegebracht. Die Geltungsaussage, so sehen wir jetzt, ist der sich vollziehende Wille zu einer bestimmten Realisation des Wertes der Wahrheit. Die Pertinenz der Wahrheit für den Argumentierenden und sein Argument wie auch dessen freie Entscheidung und Prätention machen freilich noch nicht, daß das im Argumente behauptend Hingestellte auch wirklich wahr ist. Dazu muß noch etwas Weiteres hinzukommen, das erst hinreichend zur Konstitution einer Wahrheitsrealisation ist.

X. Wahrheit als bestimmender Wert des Arguments

61

101.

Halten wir an dieser Stelle als ein Ergebnis der bisherigen Untersuchung fest, daß willentliche Intentionen wesensgesetzlich für das Argument konstitutiv sind, wobei die Ausrichtung des freien Willens auf zu realisierende Wahrheit und die Pertinenz des Wertes der Wahrheit für das Argumentieren wechselweise im Spiel sind. N u r so kommt es zur Supposition. Obwohl der Wille darin gebunden ist, daß es ihm um die Wahrheit gehen muß, d. i. daß sie pertinent für ihn ist, ist er doch zugleich frei darin, ob er sich für oder gegen die Wahrheit entscheidet, Wahrheit oder Unwahrheit realisiert. Es ist auch freigestellt, für was Wahrsein im Argumente beansprucht wird. 102.

Im Problem wird allerdings davon Abstand genommen, einer bestimmten Synthesis oder deren Gegenteil Wahrheitswert zuzuerkennen. Das geschieht aber auch hier in einem freiwillentlichen Akte. Wenn der Argumentierende demnach solchen Abstand nimmt, so muß er Gründe dafür haben. Das Problem sagt zwar nichts behauptend über die Gültigkeit derjenigen Synthesis aus, auf die sich seine Geltungserhebung bezieht, aber es sagt etwas über den subjektiven Status des Zweifelnden aus. Da die Konstitution des Argumentes zum Zweifel (und nicht zur Behauptung) der Freiheit überlassen ist, besagt das, daß der Argumentierende sich in einer bestimmten Entscheidung bezüglich der Realisation von Wahrheit zu dieser problematischen Aussage entschlossen hat. Auch der Zweifel ist folglich nur konstituiert, wenn doxische Momente an seiner Bildung beteiligt sind. Darüber hinaus enthält jeder Zweifel auch eine Behauptung bezüglich seines problematischen Argumentseins und bezüglich des argumentativen Status des Zweifelnden (nach 36 und 44). In dieser Behauptung ist natürlich alles das im Spiel, was an voluntativen Konstitutiven in jeder Behauptung im Spiele ist.

X I . Die Idee der zu realisierenden Bewährung 103. Die grundsätzliche Bezogenheit auf Wahrheit als den Wert, um den es im Argumentieren geht, wie auch das (sogar im Problem stets zu findende) Kontendieren bewirken allein noch nicht, daß die damit entstehende Behauptung wahre Behauptung ist. Es fehlt noch etwas, das erst hinzutreten muß, damit die Behauptung zur wahren Behauptung wird. Dieses bislang noch Unbekannte, das hinzukommen muß, ist das, was die Behauptung bewährt. Der Kontendierende spricht zwar (frei) dem von ihm Behaupteten eine derartige Bewährtheit zu — ein Zuspruch, den er, wie wir eingesehen haben (vgl. 94), gar nicht unterlassen kann —, aber dieser Zuspruch als solcher gibt diese Bewährung nicht. Die Affirmation ist ein Moment sui generis, das erforderlich ist, damit eine Behauptung sich wirklich bewährt. 104. Der Anspruch in jeder Behauptung, wahr zu sein, und der im Akte dieses Kontendierens erfolgende Zuspruch der Bewährung für die jeweils formierte Synthesis hat zur Bedingung, daß der Kontendierende eine Idee der Bewährung hat, ohne die seine Kontention gar nicht möglich wäre. Wird im Angesicht dieser Idee der Bewährung eine gewisse Kontention freiwillentlich gesetzt, so muß die Möglichkeit eines bewährten Behauptens gegenüber der Möglichkeit eines nichtbewährten Behauptens, und die Möglichkeit eines Bewährung in Anspruch nehmenden Behauptens überhaupt gegenüber der Möglichkeit eines Nichtbehauptens (etwa eines bloßen Zweifeins) gesehen worden sein.

XI. Die Idee der zu realisierenden Bewährung

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Da nun die "Wahrheit in ihrer spezifischen Relevanz für das Argument ein Wert ist, so vollzieht sich mit dem willentlichen Ansatz einer solchen Beanspruchung eine Entscheidung gegenüber dem Wert der Wahrheit mit Bezug auf eben diese Beanspruchung. Die Idee der Bewährung ist also keineswegs eine bloß theoretische Idee. Wahrheit ist ein Wert, heißt: Wahrheit fordert ihre Realisation, wo diese möglich ist. Der dem Wahrheitswert (so wie jedem Wert) immanente Wille geht auf die Verwirklichung der Wahrheit in der Bewährung aus. Die Bewährung wird als dergestalt der Forderung entsprechende geforderte Bewährung konzipiert. Die spezifische Art der Argumentation, der Ansatz als Problem oder als Behauptung, erfolgt mit willentlichem Bezug auf die geforderte Bewährung als ein Entsprechen oder Nichtentsprechen, immer aber so, daß im Falle des daraus resultierenden Behauptens der Anspruch auf Bewährtheit des Supponierten notwendig erhoben wird. Das Wort fordern wird hier ausschließlich nur in philosophischer Bedeutung verwendet. Der psychologische oder rhetorische Sinn des Wortes ist abzuhalten. Psychologisch könnte man ζ. B. etwa von nahelegen oder anmuten sprechen. Formal ist fordern ein Ergehenlassen von Wille an Willen. In der Wahrheit manifestiert sich ein in ihr gelegener (d. i. immanenter) Wille, der ausdrückt, sie sei zu bejahen, der also insofern einen Willen praesupponiert, der dadurch aufgefordert ist. Wert ist innerliches willentliches Sichbejahen aus sich, das in diesem seinem Sichbejahendsein erfüllt. Gerechtigkeit ζ. B. setzt aus sich selbst, daß sie sein soll, und manifestiert sich für ein entsprechendes Wollen als erfüllend. Insofern ein Wert eine Forderung darstellt, ist der ihm immanente Wille an einen Willen gerichtet. Weil er an einen Willen gerichtet ist, wird er nicht notwendig (infolge seines Forderns) bejaht, sondern stets nur frei. Die freie Bejahung seitens des aufgeforderten Willens stellt die Verwirklichung der Forderung dar, die aus dem Werte ausgeht. Der verwirklichende Wille erhält durch die Verwirklichung des ihm angemuteten Wertes selbst Wert,

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X I . Die Idee der zu realisierenden Bewährung

d. i. er bejaht sich eben deshalb willentlich aus sich und erfüllt mit diesem Sichbejahen. Dieser Realisationswert muß gedanklich von dem Wert, der primär verwirklicht wurde, unterschieden werden.

105. Der Forderung der Bewährung wird in zwei aufeinander folgenden Akten entsprochen, 1. durch einen Akt prinzipiellen Wollens und 2. durch einen aus diesem folgenden, unter bestimmten Umständen eine Behauptung realisierenden Akt bestimmten Wollens. Im prinzipiellen Willensentscheid wird die aus der Wahrheit als Wert kommende Forderung der Bewährung als solche bejaht oder verneint. Dadurch gibt sich der Wille einen Grundsatz bzw. eine Maxime. Demgemäß wird der konkrete Wille aktiv, wenn die, nicht allein von ihm abhängenden, Umstände es möglich machen, daß ein bestimmtes Argument gebildet wird. Auch bei bestehendem prinzipiellem Willen kann es zu keiner entsprechenden konkreten Realisation kommen, wenn sich diese als unmöglich erweist. Der Argumentierende will dann etwa ein bewährtes Urteil fällen, aber es gelingt ihm nicht. In jedem Argumente ist auch etwas über den Argumentierenden behauptet (vgl. 44). Im vorliegenden Falle ist dies, daß sich ihm etwas bewähre oder nicht bewähre. Gelingt die Bewährung nicht, so kann wahrheitsgemäß nur gesagt werden, daß dies der Fall sei. Das eben besagt aber der Zweifel. Die geforderte Bewährung findet unter diesen Umständen ihre adaequate Realisation nur im Problem. Doch behauptet das Problem zugleich stets etwas über das zweifelnde Ich. Diese Behauptung im Problem ist ihrerseits nur dann der Forderung der Bewährung adaequat, wenn sie wahrhaft bewährt ist. 106. Zu allen Akten des Argumentierens, die nicht notwendig sind, sondern zur freien Disposition stehen, kann aufgefordert werden (vgl. 25 und 26). Die zu Anfang dieser Abhandlung

X I . Die Idee der zu realisierenden Bewährung

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konstatierten fordernden Argumente erklären sich hier. Man kann auffordern, zu zweifeln, zu kontendieren oder zu affirmieren. Man kann auffordern, von einer "Weise des Arguments zu einer andern überzugehen. So stellt z.B. die Frage eine Aufforderung dar, aus der Problematizität zur Assertion fortzugehen. Wir können jedoch ebensowohl auffordern, aus einer Assertion in bloße Problematizität zurückzugehen, d. i. etwas zunächst einmal nur als möglicherweise wahr hinzustellen. Solche fordernden Argumente sind nur auf Grund des Bezuges auf Wahrheit als Wert im Argumente möglich. Ohne die Idee der Pertinenz der Wahrheit hätten sie keinen Sinn. Fordernde Argumente können aber ihrerseits ebensowohl zurecht fordernde als bloß und ohne Rechtsgrund fordernde Argumente sein. Dies offenbart, daß sie selbst in ihrer Eigenschaft als Argumente unter der Forderung der Bewährung stehen. Sie sagen, daß eine bestimmte Art von aussagendem (oder seinerseits forderndem) Argument gesetzt oder unterlassen werden soll. Für diesen Anspruch müssen sie selbst Bewährung ausweisen, wenn er nicht bloße Manifestation einer Willkür sein soll. Auch in diesen fordernden Argumenten manifestiert sich eine willentliche Entscheidung bezüglich der aus der Wahrheit ergehenden Forderung. Eine besondere Mittelfunktion kommt in diesem Bereich den Postulaten zu, insofern in ihnen der vorbereitende Ansatz von Elementen oder Momenten der Supposition gefordert wird. Ihre Bedeutung wird erst im folgenden vollauf geklärt werden.

X I I . Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente 107. Wenn wir nicht argumentieren können, ohne uns der möglichen Differenz unserer bloß beanspruchenden Behauptung von der objektiv gültigen, affirmierenden Behauptung und damit der Idee der Bewährung bewußt zu sein, so schließt das ein, daß wir in allem Argumentieren schon immer ein Wissen davon mitbringen, was Erkenntnis ihrem Wesen nach ist. Hätten wir keinen solchen unmittelbaren Wesensbegriff von Erkenntnis, so könnten wir die Relevanz des Unterschiedes des putativen Seins im Bilde vom Sein selbst für die Wahrheit gar nicht konzipieren, folglich aber auch gar keinen Wahrheitsanspruch geltend machen und also gar kein Wissen konzipieren. Dann wäre das Argument aber nicht mehr Argument; die Behauptung wäre nicht mehr Behauptung, und der Zweifel wäre nicht mehr durch die Intention, zu einer festen Behauptung zu kommen, konstituiert.

108. Wir können aus diesem Grunde auch gar nicht behaupten, daß wir (etwas oder überhaupt) nicht erkennen, ohne uns auf einen für wahr gehaltenen Vorbegriff vom Wesen der Erkenntnis zu beziehen. Wer sagt, „daß er nichts wisse" (d. i. „nichts erkenne"), muß doch, wenn es so sein soll, dabei in richtiger Weise konzipiert haben, was „wissen" („erkennen") ist. Er muß also, seiner Voraussetzung nach, schon erkannt haben, was Erkenntnis ist. Wäre das nicht der Fall, so träfe das, was er von sich aussagt, nicht zu, ja, wäre gar nicht vorstellbar.

XII. Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente

67

109.

In allen Akten des Zweifeins und Behauptens wird dieser Vorbegriff vom Wesen der Erkenntnis stets als gültig angewandt. Was wir behaupten, soll erkannt sein; was wir bezweifeln, dem haben wir keine behauptende Geltung zugestellt, weil wir es, eben dieser unserer Aussage nach, nicht in Erkenntnis bewährt haben oder bewährt zu haben vermeinen. Aber nicht nur in dem einfachhin Behaupteten bzw. Bezweifelten, schon in der Sichbehauptung der Behauptung bzw. des Zweifels als solcher bringen wir den Vorbegriff von Erkenntnis ins Spiel. Die Behauptung soll als Behauptung nicht nur behauptet, sondern als solche erkannt sein, und gleicherweise der Zweifel. 110.

Die Tatsache, daß im Argument wesensnotwendig mit einem vorausgesetzten Erkenntnisbegriff operiert wird, besagt für das philosophische Argument zugleich, daß dieser Erkenntnisbegriff auch als solcher reflektiert ist. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Vorbegriff von Erkenntnis ohne weiteres mit dem in philosophischer Reflexion erzeugten Begriff von Erkenntnis identisch wäre. Auch im nichtphilosophischen Argumente bedient sich der Argumentierende übrigens dieses Vorbegriffs, nur ohne ihn philosophisch zu reflektieren. Philosophisch wird dieser Vorbegriff abstrahierend herausgehoben und eigens thematisiert.

111. Ob der Begriff vom Wesen der Erkenntnis nun aber auch philosophisch reflektiert ist oder nicht, so kann er nur dann gewiß sein, wenn in ihm erkannt wird, was Erkenntnis als solche ist. Wahre Erkenntnis ist deshalb notwendig immer Erkenntniserkenntnis, d. i. Erkenntnis der Erkenntnis als Erkenntnis. Was sich als Erkenntnis ausgibt, will ein Wissen sein, das um seine Wahrheit, d. i. um sein Erkenntnissein weiß, d. i. es erkennt.

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XII. Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente

112. Die Erkenntnis der Erkenntnis als Erkenntnis kann in aller Erkenntnis nicht unerkannt außerhalb des in diesem Falle Erkannten, und das ist hier: der Erkenntnis als Erkenntnis, bleiben, sondern ist mit ihm Eins, Bild von sich als wahrem Bilde des Seins, und eben deshalb: wahres Bild von sich. Nur durch dieses Einssein des erkennenden Erkenntnisbildes mit dem erkannten Bilde der Erkenntnis konstituiert sich überhaupt Erkenntnis. Sonach ist die Erkenntnis ihrem Wesen nach transzendental. Bliebe das wissende Bild in diesem Falle unreflektiert außerhalb des Gewußten, so könnte im Akte des Wissens von dem Gewußten gar nicht befunden werden, daß es erkannt sei — d. i. aber: das Argument könnte nicht wahrhaft Argument sein. 113. Diese unmittelbare Gewißheit der Erkenntnis von sich als Erkenntnis darf nicht mit der Unmittelbarkeit des Meinens (vgl. 45f.) verwechselt werden. Daß das Vorgestellte (visum immediatum) ohne Geltenlassen eines trennenden Hiatus als es selbst genommen wird, ist nicht dem gleichzusetzen, daß mit Hilfe eines solchen unmittelbaren Sehens (Bewußtseins) im Wissen etwas als etwas erkannt wird. Wo Erkenntnis in Ansatz kommt, muß Beziehung auf die Geltung des Bildes vom Sein und deren Authentizität genommen, also Wissen als Wissen konstituiert sein. Schon das Gemeinte wird im Wissen thematisiert, indem es als solches genommen und behauptet wird. Damit ist ein Bezug von der reinen Vorstellung von ihm auf sein Sein selbst genommen. Das Wissen ist im Argumente nur dann Wissen, wenn es ist, als was es vorgestellt wird, und dazu bedarf es der Erkenntnis, für welche es der Erkenntniserkenntnis bedarf. 114. Da das philosophische Argument durchweg Reflexionsprodukt ist, kann der Begriff von Erkenntnis, dessen es sich reflexiv

XII. Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente

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bedient, ein Fehlbegriff sein; denn er kann das Produkt einer dazwischen getretenen irregegangenen Reflexion sein. So kann man ζ. B. meinen, erkannt sei dasjenige, das sich im Vorstellen als notwendig miteinander verbunden erweist. Man legt dann irrtümlich die Erkenntnisdignität in die Denknotwendigkeit. Auf diese Weise wird dem Argumentieren ein Fehlbegriff von Erkenntnis zugrundegelegt, der das Ergebnis einer bestimmten philosophischen Reflexion ist. In Wahrheit kann die Denknotwendigkeit nichts bewähren, wie noch gezeigt werden wird. Dieser Erkenntnisbegriff kann darum auch keine Gewißheit der Erkenntniserkenntnis in sich haben. Doch auch ein solcher Fehlbegriff kann seinerseits nur von einem ursprünglichen, vorphilosophischen Vorbegriff von Erkenntnis her gewonnen sein. Erst die philosophische Reflexion über diesen ursprünglichen Vorbegriff hat ihn so gedeutet. Wir brauchen an dieser Stelle derartige Verirrungen nicht weiter zu verfolgen. Wichtig ist in unserem Zusammenhange nur, daß die Idee von Erkenntnis ursprünglich konstituierend im Spiele ist, wenn irgendein Argument vorgebracht wird, und daß es von der Dignität dieser Idee abhängt, ob das Argument Rechenschaft von sich geben kann oder nicht, daß diese Dignität aber formal nur in Erkenntniserkenntnis gegeben sein kann.

115.

Weil allein ein ursprünglicher Vorbegriff von Erkenntnis als Erkenntnis die Konstitution des Argumentes als solchen ermöglicht, dieser Vorbegriff aber ein Begriff ist, der von der Sekundärreflexion fehlkonzipiert und als verfälschter angewandt werden kann, darum muß der Begriff von Erkenntnis, den die Sekundärreflexion ins Spiel bringt, nicht notwendig ein Begriff sein, der Gewißheit von sich mit sich bringt, daß diese „Erkenntnis" in Wahrheit erkannt ist. Die noch in ihrem ganzen Ausmaß darzulegende grundsätzliche Problematizität des Wissens zwingt uns nicht nur zu einer Klärung des als Wissen Hingestellten, sie zwingt uns auch zu

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XII. Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente

einer Klärung und Sicherung dessen, was Erkenntnis ist. Mit dem Ansatz eines philosophischen Sekundärbegriffs von Erkenntnis tritt etwas zwischen den ursprünglichen Vorbegriff von Erkenntnis und das jeweils in Ansatz Gebrachte, das in seiner Auswirkung in Anschlag gebracht werden muß. Fehlt dem Reflexionsbegriff die innere Gewißheit, daß Erkenntnis wahrhaft das ist, als was er sie faßt, so wird im weiteren Verlauf bei seiner Verwendung für alles in Argumenten Ausgesagte oder intentional Bekundete eine Dignität in Anspruch genommen, die keine ist. Es ist das Gewöhnliche selbst unter Wissenschaftlern, daß sie etwas als Erkenntnis hinstellen, während sie zugleich keinen reflektierten Erkenntnisbegriff, geschweige denn Gewißheit haben, daß das, was sie unter Erkenntnis verstehen, auch wahrhaft Erkenntnis ist. 116. Von der ja nur bei vollem Bewußtsein ihrer Aussagen gegebenen philosophischen Reflexion wird, soll sie wissenschaftlich sein, verlangt, daß der in ihr verwendete Erkenntnisbegriff ihr einsichtig der wahre Begriff von Erkenntnis, also die in ihr erfaßte Erkenntnis wahrhaft Erkenntnis ist. Indem die philosophisch-wissenschaftliche Reflexion reflexive Gewißheit vom Wesen der Erkenntnis erlangt, wird sie fähig, den falschen Schein gewisser Erkenntnisbegriffe der nichtwissenschaftlichen Reflexion aufzudecken. Die philosophische Reflexion des Erkenntnisbegriffs erzeugt freilich dessen innere Gewißheit nicht, sondern erhebt diese nur auf ihre Reflexionsstufe. Soll es Gewißheit über Erkenntnis als solche geben, so muß diese Gewißheit schon in einem ursprünglichen Erkennen hervortreten, mit dessen Hilfe allein alle andere Reflexion, auch die philosophische, zu Erkenntnissen gelangen kann. Die philosophische Reflexion macht diese Gewißheit der Erkenntnis nur formal deutlich.

X I I . Der Vorbegriff von Erkenntnis im Argumente

71

117.

Sekundäre Fehlbegriffe von Erkenntnis sind deshalb möglich, weil das sekundäre Argumentieren in dem, was es geltend macht, frei ist. Genötigt ist es nur darin, daß es einen Erkenntnisbegriff ansetzt und zur Anwendung bringt.

XIII. Die Voraussetzung der Idee der Bewährtheit 118. Die Forderung der Bewährung des Behaupteten im Argumente entdeckte uns den Vorbegriff von Erkenntnis, der das Argument als solches erst ermöglicht. Der Begriff von Erkenntnis ist selbst ein Bild, das wahr oder falsch sein kann. Auch an diesem Bilde haben wir also ein Bild (nämlich das Bild der Erkenntnis), welches Bild wahren Seins oder nur vermeintlich wahren Seins sein kann. Wahres Bild ist das Bild von der Erkenntnis nur dann, wenn sich in diesem Bilde die in ihm gebildete Erkenntnis in ihrem wahren Sein ausweist, d. i. bewährt. Alle Bewährung des Wissens erfolgt (auf dessen Seite) zu allererst im Erkennen des Erkennens als solchen. Das Bild der Erkenntnis kann sich deshalb nur als wahres Bild ausweisen, wenn darin die Erkenntnis der Erkenntnis statthat. Wahre Erkenntnis ist nur als Erkenntniserkenntnis gegeben. 119. Somit setzt alle Argumentation wesensnotwendig die Möglichkeit wahrer Erkenntnis und darin die Erkenntniserkenntnis voraus. Jeder Argumentierende besitzt, der Voraussetzung seines Arguments zufolge, Erkenntnis der wahren Erkenntnis als solcher. 120.

Das vorausgesetzte Bild vom Wesen der Erkenntnis ist wahr, weil es selbst ein Erkenntnis gewährendes Bild ist. In diesem Bilde ist für jeden Erkennenden ein Fall, und zwar der exemplarische Fall von Erkenntnis realisiert. Der Erkennende weiß

X I I I . Die Voraussetzung der Idee der Bewährtheit

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durch diese exemplarische Erkenntnis, daß die gewußte Gegebenheit, nämlich die Erkenntnis, in diesem sie wissenden Wissen, nämlich dem Erkennen derselben, selbst hell und somit das Bild derselben bewährt ist. 121. In der Erkenntnis ist die als möglich vorausgesetzte Differenz zwischen dem (putativen) Sein, das gebildet ist, und dem Sein selbst zugunsten ihrer tatsächlichen Einheit ausgeschlossen. Formal bestimmt ist Erkenntnis die Ununterschiedenheit von gebildetem Sein und Sein selbst. Nur ein Wissen, dessen Gegenstand diesen formalen Charakter hat, kann ein erkennendes Wissen sein. Daß dies so sei, setzt das Argument schon als solches notwendig voraus. 122. Weil aber Erkenntnis zugleich Erkenntnis ihrer als Erkenntnis ist, muß die in ihr gegebene Nichtdifferenz von gebildetem Sein und Sein selbst zugleich damit, daß sie gegeben ist, auch als solche hell sein. Wird irgendein Bild gesehen, so wird in ihm die Bildform und das in dieser gebildete Sein gesehen. Jedes derartige Bild wird mit dem Wesensbild der Erkenntnis verglichen. Nach dem Wesensbilde muß das erkennende Bild Bild der als solche gesehenen Nichtdifferenz von gebildetem Sein und Sein selbst sein. Soll das bestimmte Bild also als Erkenntnis anerkannt werden, so muß es ein Bild von diesem Charakter sein: in ihm müssen gebildetes Sein und Sein selbst als nichtdifferent erhellt sein. Nach dem Urbilde der Erkenntnis in der Erkenntniserkenntnis bestimmt sich das jeweilige Wissen als Erkenntnis. 123. Die Nichtdifferenz von gebildetem Sein und Sein selbst ist als solche hell, wenn sie selber, allen Zweifel rechtskräftig vernichtend, licht ist und mit diesem Lichte erhellt. Diese Erhellung

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X I I I . Die Voraussetzung der Idee der Bewährtheit

durch das Lichtsein stellt die Bewährung dar. Wir bezeichnen dieses Hellsein durch das Licht als Evidenz. Erkannt wird nur, wenn die Nichtdifferenz von gebildetem Sein und Sein selbst evidiert wird. 124.

Das Argument kann keinen Begriff von Erkenntnis als gültig voraussetzen, ohne Erkenntniserkenntnis und darin Licht und Evidenz vorauszusetzen. Es kann kein bloß objektiv bestehendes, subjektiv nicht gewußtes Sein der Wahrheit in dem Gewußten als einsichtig bestehend annehmen, ohne sich zu widersprechen. Wahrheit kann nur als manifeste Wahrheit affirmiert werden. Hieraus erklärt sich, warum der Behauptende als Kontendierender nicht kontendieren kann, ohne für das Beanspruchte objektive Gültigkeit vorauszusetzen. Wird auf manifeste Wahrheit — und anders als manifest ist Wahrheit als solche nicht konzipierbar — Bezug genommen, so muß sie als solche erkannt sein. In jedem Argument kommen Behauptungen vor, d. i. Aussagen, daß das Behauptete wahr sei. Eine solche Wahrheit behaupten, heißt, sie als gesehene und erkannte behaupten. Wer argumentiert, behauptet auch dann bereits, wenn er nur zweifelt, daß er erkennend wisse, was Erkenntnis ist (und daß er solche Erkenntnis für die ihm vorschwebende Synthesis nicht besitze). Er beansprucht also eine Erkenntnis der Erkenntnis zu haben, und darin nicht nur die Vorstellung eines gebildeten Seins, das vom Sein selbst nicht different ist, sondern auch die Einsicht in diese Nichtdifferenz. Das Bestehen von Wahrheit (oder einer Wahrheit) behaupten, die als solche gar nicht eingesehen würde, hieße also geradezu das Behauptete nicht behaupten, welches sich widerspricht. Jede Behauptung, inklusive der Behauptung im Zweifel, rekurriert demnach auf diese Evidenz. 125.

Wäre ein Seinsbild ohne Erhelltheit der Nichtdifferenz des in ihm gebildeten Seins vom Sein selbst, so könnte es nicht erkennend aussagen, daß diese Nichtdifferenz gegeben sei. Dies

X I I I . Die Voraussetzung der Idee der Bewährtheit

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wäre dann notwendigerweise ein dubiöses Bild, in dem nicht klar wäre, ob das in ihm gebildete Sein jenes Sein selbst ist, das es zu bilden intendiert. Insbesondere kann es kein solches Bild von der Erkenntnis als Erkenntnis anders denn als wahres Bild geben. Das Bild von der wahren Erkenntnis muß evident, d. i. die Erkenntnis muß in ihm selbst licht sein. Das bedeutet keinen Zirkel im Denken! Erkenntnis ist die (transzendentale) Lichtheit und Helligkeit ihrer selbst, nämlich das Bild von sich als des Bildes authentisch sich bewährender Nichtdifferenz. 126. Erkenntnis ist das Bild von sich als bewährten Bildes einer als solchen gesehenen authentischen Nichtdifferenz von gebildetem Sein und Sein selbst. Sie ist damit Manifestation der Wahrheit, d. i. lichten Es-selbst-Seins. Sonach ist mit der Vorausssetzung von Erkenntnis im Argumente auch Wahrheit als solche vorausgesetzt. Wahrheit ist authentische Lichtheit. In diesem Lichtsein konund affirmiert sich das Sein in sich8 selber. Wahrheit ist Selbstrechtfertigung des lichten Seins. Diese Legitimation ihrer selbst benimmt jedem Zweifel an ihr sein Recht. Die Erkenntnis der Wahrheit gewährt der Behauptung eine Dignität, die ganz und gar über das bloße Beanspruchen hinausgeht, da sie qualitativ anderer Art ist als die Dignität der Kontention; sie gewährt Affirmativität. 127. Erst im Erhelltsein der Wahrheit ist der Charakter der Erkenntnis vollständig gegeben. Mit den angegebenen Bestimmungen ist der formale Charakter der Erkenntnis eruiert. Worin diese Affirmativität materialiter gründet, ist damit freilich von uns noch nicht erkannt. Auch ist nur nachgewiesen, daß all und jedes Argument Erkenntnis und Wahrheit voraussetzen muß; 8

Dieses Insich ist als identisches Lichtsein, nicht als das Sichbewußtsein der Reflexion zu verstehen.

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XIII. Die Voraussetzung der Idee der Bewährtheit

ob aber diese Voraussetzung zurecht gemacht wird, kann sich nur durch materiale Einsicht der "Wahrheit entscheiden. 128. Das Argument konstituiert sich nur in intentionaler Ausrichtung auf die Wahrheit und deren Verwirklichung in der Erkenntnis und durch sie. (vgl. 84f.) Weil dieser Bezug auf Wahrheit wesentlich ist und sich als Voraussetzung von Erkenntnis der Wahrheit im Argumente manifestiert, darum kann das Argument nicht Wahrheit als solche negieren oder infragestellen, ohne deren Bestehen und Erkanntsein vorauszusetzen, also sich zu widersprechen. Wer ζ. B. fragt: „Was ist Wahrheit?", gibt im Stande dieses Fragens vor, nicht zu wissen, was Wahrheit ist, während er doch ineins damit durch seine Frage als solche schon beansprucht, erkannt zu haben, was Wahrheit ist. Analoges gilt von denjenigen, die aussagen, es gäbe keine Wahrheit oder es sei zweifelhaft, ob es Wahrheit gäbe.

XIV. Die Voraussetzung wenigstens eines Minimums an Erkenntnissen im Argumente 129. Wir setzen (nach den Ausführungen in XIII) in allem Argumentieren voraus, daß wir schon eine ursprüngliche Gewißheit von dem haben, was Wahrheit und Erkenntnis ist. D . h . wir setzen im Argumentieren stets voraus, daß wir Erkenntnis haben. Aber wir setzen nicht voraus, daß wir alle Erkenntnis haben. Das Argument setzt vielmehr das Erkanntsein der Erkenntnis als solcher und der Wahrheit als solcher in Bezug auf die grundsätzliche Problematizität des in ihm formierten Bildes des Seins (siehe 91) zu dem Zweck an, bestimmte Erkenntnisse bestimmter Wahrheiten zu ermöglichen. Eben aber weil das Argument dazu ansetzt, sind diese bestimmten Erkenntnisse nicht schon von sich aus gegeben; sie müssen erst durch freie Akte verwirklicht werden. In der Behauptung führt dieser Ansatz des Arguments zumindest bis zur Kontention von Wahrheit für das in ihm einfachhin Ausgesagte, im Idealfalle zur Affirmation. Im Problem wird die Ausführung des Ansatzes für nicht gelungen erklärt: der Argumentierende konnte die intendierte Wahrheit nicht erreichen. Der Ansatz selbst wird dabei nicht geleugnet. 130. Obwohl sich das Kontendieren notwendig auf Erkenntnis von der Erkenntnis und der Wahrheit beruft und notwendig Erkenntnisdignität für das Behauptete beansprucht, fallen Kontendieren und Affirmieren nicht zusammen. Weil sie verschieden sind, können sie auch voneinander unterschieden und gelöst werden. Wer kontendiert, kann sich von der

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X I V . Das Minimum an Erkenntnis im Argumente

ineins damit erfolgenden Bezugnahme auf Affirmation und von der Inanspruchnahme derselben dennoch in der Weise lösen, daß er das Affirmieren selbst willentlich zurückweist. Er stellt dann eben das, was er kontendiert, bloß kontendierend als affirmiert hin. 131.

Der Argumentierende und sein Argument nehmen immer ein gewisses Ausmaß an Erkenntnissen in Anspruch: Erkenntnis der Wahrheit als Wahrheit; Erkenntnis der Erkenntnis u.s.w. u.s.w. Der Umkreis aller dieser mit dem Argumentieren als solchen notwendig in Anspruch genommenen Erkenntnisse soll im folgenden als das Minimum von Erkenntnis bezeichnet werden, das das Argument als solches als bestehend ansetzt. Der Argumentierende befindet sich also seinem eigenen Argumente nach (d. i. nach dem, was dieses impliziert) niemals im Zustande vollkommener, sondern höchstens partialer Erkenntnislosigkeit.

XV. Die Voraussetzung der Existenz von Erkenntnis im Argument 132.

Soweit im Argumente behauptet wird, erfolgt aber noch mehr als die Inanspruchnahme der Erkenntnis vom Wesen der Erkenntnis und der Wahrheit. Im Behaupten wird der Wesensbegriff von Erkenntnis und Wahrheit auf bestimmte Fälle appliziert. Es wird von etwas Bestimmtem ausgesagt, daß es wirklich erkannt werde und wahr sei. Um dies zurecht aussagen zu können, muß zuerst erkannt sein, daß das Wesen von Erkenntnis und Wahrheit in diesen bestimmten Fällen realisiert, Erkenntnis und Wahrheit also in ihnen existent ist. Der Argumentierende kann gar nicht Erkenntnis in Anspruch nehmen, ohne Erkenntniserkenntnis in Anspruch zu nehmen. Erkenntniserkenntnis kann aber nicht sein, ohne zu existieren. Das Wesen der Erkenntnis muß hier in existierender Erkenntnis da sein, da sonst keine Erkenntniserkenntnis, damit aber auch keine Bezugnahme auf dieselbe, vorläge. In der Existenz einer Erkenntnis ist das Wesen der Erkenntnis appliziert. Eine solche Applikation setzt sowohl Applizierbarkeit als auch Appliziertheit voraus. Erkenntnis muß in der Erkenntniserkenntnis so beschaffen sein, daß sie existent sein kann und existent (geworden) ist. Nennen wir Applizierbarkeit und Appliziertheit zusammen Applikabilität, so setzt die Erkenntniserkenntnis solche Applikabilität und deren Erkanntsein voraus. Dasselbe gilt für den Fall der Erkenntnis einer bestimmten Wahrheit. Soll etwas Bestimmtes erkannt sein, so muß dessen Erkenntnis als solche erkannt sein. Dann aber ist das Wesen von Erkenntnis in dieser bestimmten^Erkenntnis realisiert. Ist es realisiert, so ist ineins damit Applikabilität gegeben und als solche erkannt.

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X V . Die Voraussetzung der Existenz von Erkenntnis im Argument

133. Erkenntnis kann nicht als wahrhaft solche konzipiert werden, ohne als existierende konzipiert zu werden. Entsprechend kann Wahrheit nicht ohne Dasein der Wahrheit konzipiert werden. In jeder solchen Existenz von Wahrheit und Erkenntnis realisiert sich das absolute Sein von Wahrheit und Erkenntnis, die transkasuelle authentische Lichtheit. In jeder Erkenntnis behaupten wir ineins mit der Existenz derselben als solcher auch deren gegebene Applikabilität in diesem bestimmten Wissen. Wahre Erkenntnis kann nicht gedacht werden, ohne auch zu sein. Sie kann nicht sein, ohne daß ihre Applikabilität gegeben und erkannt ist. 134. Das Problem kann im Unterschiede zur Behauptung dem in ihm Synthetisierten keine Wahrheit zuerkennen. Um dies auszusagen, muß das Problem ebenso wie die Behauptung voraussetzen, daß das Wesen der Wahrheit und der Erkenntnis, sowie deren Applikabilität erkannt ist. Nur kann das Problem nicht behaupten, daß in den von ihm einfachhin formierten Synthesen Wahrheit und Erkenntnis fallweise realisiert seien. Dieses Nichtkönnen kann darin begründet sein, daß der Argumentierende bezüglich dieser Synthesen keine Evidenz zu erlangen vermochte. Es kann aber auch darin seinen Grund haben, daß der Argumentierende den Akt, durch den allein die Wahrheit evidiert werden könnte, nicht vollziehen wollte, und daß es deshalb bei der Problematizität blieb. Endlich kann der problematisch Argumentierende auch gegen besseres Wissen etwas als problematisch hinstellen, weil er die — sehr wohl evidierte — Wahrheit nicht aussagen will. Um zurecht affirmieren zu können, muß also zweierlei gegeben sein: 1. eine Manifestation der Authentizität des (gebildeten) Seins in der Evidenz; und 2. der Wille, diese Manifestation im eigenen Geiste auch statthaben zu lassen, ein Wille, der sich im Akte des Evidierens realisiert. Sind beide Bedingungen erfüllt, so vollzieht sich die Affirmation im Geiste des Argumentie-

XV. Die Voraussetzung der Existenz von Erkenntnis im Argument

81

renden. Dennoch bleibt er frei, diese Affirmation auch in einer objektivierenden Behauptung auszusagen. Wir haben es hier mit einer weiteren Konstitutivfunktion des Willens im Argumentieren zu tun. Zur philosophischen Evidenz gelangt nur der, der evidieren will und in diesem Wollen bestimmte Akte initiiert.

XVI. Der der Freiheit offenstehende Bereich der Aussage 135. Es ist nach dem Vorhergehenden deutlich geworden, daß das Behaupten in mannigfaltiger Hinsicht behauptet. Doch auch das Zweifeln muß in mehrfacher Hinsicht behaupten: Es muß sich als Problem behaupten, mit allem, was dies impliziert. Es muß die in ihm angesetzten unmittelbaren Gesichte als wahrhaft diese seiend behaupten; es muß sich als wissensrelevant behaupten. Darin muß die mögliche Differenz bzw. Nichtdifferenz des gebildeten Seins vom Sein selbst erkannt und in Bezug auf diese geurteilt worden sein. In all diesen Akten nimmt der Zweifel Erkenntnis und die mit dieser notwendig angesetzten Vorbegriffe für sich in Anspruch. Das Argument kann deshalb niemals von sich statuieren, es sei nur und ausschließlich ein erkenntnisfreies Wähnen, ohne sich aufzuheben. Schon die Form einer derartigen Aussage verrät den Widerspruch. Würde wirklich nur gewähnt, so könnte gar nicht gesagt werden, daß gewähnt werde. Auf diese Weise behauptete sich das Argument nicht einmal als solches, wäre also gar nicht da. Man kann auch nicht dahingehend ausweichen, daß man nur zu wähnen wähne; wähne zu wähnen, daß man wähne, etc. in infinitum. Das alles tragende erste Wähnen dieser Potenzierungen muß immer ein Wähnen sein, also sich behaupten — mit allem, was dies einschließt. An dieser Stelle wirkt sich der unaufhebbare Zusammenhang zwischen einfachhin Ausgesagtem und Sichbehauptung (vgl. 40) aus. 136. Erst oberhalb dieser Basis eines Minimums von Erkenntnissen, das behauptet werden muß, steht es dem Argumentie-

X V I . Der der Freiheit offenstehende Bereich der Aussage

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renden frei, das Nichtvorhandensein von Erkenntnis auszusagen, nämlich bezüglich des von ihm einfachhin Ausgesagten. Von hier an kann er ohne Widerspruch etwas als bloß problematisch hinstellen, nämlich sofern es nicht das bloß in einfacher Aussage thematisierte Minimum der Erkenntnis selbst ist. Die Problematik basiert auf einem Fundament unumgänglicher Assertionen. Daß die formierte Synthesis in diesem zweiten Bereiche nicht notwendig mit der Behauptung verbunden ist, sondern auch mittels einer problematischen Geltung konstituiert werden kann, ist deshalb möglich, weil das in der Aussage formierte Bild zwar immer notwendig Bild eines Seins, aber nicht notwendig und ipso facto Bild des wahren Seins ist. In dem, was das Wissen überhaupt erst zum Wissen macht, ist es an Erkenntnisse gebunden. In dem, wodurch es eben gerade Wissen — mit dem diesem eigentümlichen Wesen — ist, ist es der doppelten Möglichkeit eröffnet, Bild eines bloß vermeinten Seins oder Bild des wahren Seins sein zu können. Dabei ist die in ihm formierte Synthesis disjunktiv mit dem problematischen oder dem assertorischen Geltungsanspruch verknüpfbar. Eben darum kann aber auch der bestimmte Geltungsanspruch von der formierten Synthesis abgehoben werden, ohne daß deshalb auch der Geltungsanspruch überhaupt von ihr zu dissoziieren wäre. 137.

In allem, was die Behauptung nicht als in Wahrheit geltend voraussetzen muß, um überhaupt Behauptung zu sein, kann sie, eben weil die Alternative des bloßen Zweifeins freisteht, auch da Wahrheit behaupten, wo keine ist. Desgleichen kann im Problem jenseits des unantastbaren, es allererst als Problem konstituierenden Minimums als ungesichert hingestellt werden, was doch sicher ist. Das objektivierte Argument kommt erst durch einen besonderen Willensakt zur völligen Ablösung vom subjektiven Argumente. 138.

Das das Argument konstituierende unmittelbar Gemeinte (visum immediatum) kann im Argumente niemals ausschließend

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XVI. Der der Freiheit offenstehende Bereich der Aussage

nur unmittelbar Gemeintes sein (nach 46 u. 47); es ist vielmehr als solches nur dadurch da, daß es zugleich darüber hinaus als Bild eines in ihm Gebildeten genommen wird (nach 53 und 58). Durch diese Konzeption als Bild ist aber die phänomenale Unmittelbarkeit des Bewußtseins in Richtung auf die transphänomenale Relevanz des Wissens überschritten. Das mittels unmittelbarer Meinungen formierte Bild ist jedoch durch sein Bildsein nicht schon ipso facto Bild wahren Seins; vielmehr steht es grundsätzlich frei, ob es dies oder nur Bild vermeintlich wahren Seins ist. Wie zuvor die Synthesis nicht einfach an die asserierende Kontention, so ist hier die Kontention nicht cinfacb an die Affirmation gekoppelt. Es ist in die Freiheit des Behauptenden gestellt, ob er in dem jenseits des Erkenntnisminimums liegenden Bereich bloß kontendiert oder ob er affirmiert.

XVII. Die als solche gesehene Differenz von Meinung und Erkenntnis im Argument 139.

In dem durch das Minimum notwendiger Voraussetzungen freigelassenen Bereich des Wissens ist es nicht selbstverständlich so, daß das gebildete Sein das Sein selber ist. Hier besteht die Möglichkeit eines Hiatus zwischen dem Bild des vermeinten Seins und dem Sein selber. Nicht als könnte das Bild gar nicht die Helligkeit des in ihm Gebildeten selber sein! Im Gegenteil wird vielmehr vorausgesetzt, daß das Wissen das Sein selbst erhellen kann. Anders hätte die Formation von Wissen keinen Sinn. Wissen wird ja deshalb konstituiert, weil ein wahres Bild, d. i. ein Bild des Seins selber erstellt werden soll. Aber dies geschieht eben nicht von selbst mit der bloßen Formation von Wissen. Das Bild kann mit dem von ihm als Sein Vermeinten auch das wahre Sein verfehlen. Das Bild wird im Argumente immer aus der möglichen Differenz des Bildseins vermeinten Seins zu dem Bildsein des wahren Seins verstanden, mag auch in einem bestimmten Wissen tatsächlich Nichtdifferenz des gebildeten Seins vom Sein selber gegeben sein. 140.

Die ipso facto mit der Bildung des unmittelbar Gemeinten supponierte Wahrheit des unmittelbar Gesehenen als solchen wird also gegen eine nicht ipso facto gegebene und deshalb nicht ohne Weiteres mit Recht anzunehmende Wahrheit des Bildes vom Sein (als desjenigen vom Sein selber) abgesetzt. Das Argument ist nur insofern eine Gestalt des Wissens, als in ihm die mögliche Wahrheit und Unwahrheit des Bildes vom Sein gesehen wird. Im Argumente ist mögliche Erkenntnis gegen I

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XVII. Die Differenz von Meinung und Erkenntnis

mögliche bloße Meinung (opinio) abgehoben, folglich aber auch Meinung als Meinung (opinio ut opinio) angesetzt. Wissen kann zurecht nur als solches bestimmt werden, wenn das Wähnen zurecht als solches bestimmt ist. Wer argumentiert, muß also seiner Voraussetzung nach erkannt haben, was Meinung (opinio) im Gegensatz zu Erkenntnis ist; er muß Meinung als Meinung erkannt haben. Der der freien Bildung offenstehende Bereich möglichen bloßen Meinens oder Erkennens wird aber nicht bloß als solcher gesehen; er ist ineins damit Gegenstand einer Forderung und Intention, durch die das Argument erst es selbst ist: die Meinung soll nicht realisiert, die Erkenntnis soll realisiert werden. Das Argument ist eine im Wissen um die Differenz von Meinung und Erkenntnis sich realisierende Bemühung um Erkenntnis, freilich eine freie Bemühung, d. i. eine solche, die auf der Basis ihrer intentionalen Gegebenheit infolge freiwillentlicher Bestimmung sich gegen die ursprüngliche Intention realisieren kann. 141. Erst durch die konzeptuelle Verschiedenheit der Meinung (visum immediatum) vom Wissen wird die phänomenale Unmittelbarkeit der Meinung (einschließlich der ihr eigentümlichen Voraussetzung des wahren Selbstseins derselben) von der transphänomenalen Relevanz des Wissens und dessen nur möglicher, aber nicht notwendiger Erkenntnisdignität abhebbar und abgehoben. Konzipierte das Argument — per impossibile gesprochen — gar kein Wissen, so wüßte der Argumentierende auch gar nichts vom unmittelbaren Meinen und seiner Differenz zum Wissen; er wüßte dann auch nichts von der Verschiedenheit des bloßen Wähnens (opinari) und des Erkennens. Erst diese Differenzen und das Wissen um sie ermöglichen das Sein des Arguments. Es versteht sich (nach 4), daß diese Differenzen und das Wissen um sie im Argumente überhaupt, im philosophischen Argumente ausdrücklich reflektiert sind.

XVIII. Die als solche gesehene Differenz des Bildes von sich, als Bildes des Bildes des Seins und des Seins selbst, sowie der doppelten Konzeption des gebildeten Seins 142. Um im Wissen Bild und Sein aufeinander beziehen zu können, müssen vom Argumentierenden zum Zwecke der Formation des Arguments beide konzeptuell getrennt voneinander vorgestellt werden. Das bedeutet, daß wir als Argumentierende für die Vorstellung des "Wissens als solchen einen Begriff des Bildes (als Bildes eines Seins) und einen Begriff des Seins haben müssen. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist die Sachlage die, daß mit der Konzeption von Wissen nicht einfach von Bild und Sein ausgegangen wird, sondern schon transzendental vom Bilde des Bildes (eines Seins) im Gegensatz zu dem Bilde des Seins. Beide Bilder sind in Einem Bilden aufeinander bezogen. In jedem Argument ist also implizit das Bild dieses Verhältnisses in Einem Bilden angesetzt. 143. Das Bild des Bildes ist darin das Bild, das das Bild ursprünglich von sich selbst hat. Soll dieses Bild des Bildes wirklich Bild von sich selbst sein und nicht von etwas anderem, so muß es das einfache Bildsein im Reflex sein. Das Bild des Bildes ist dieser Reflex nach dem Grundgesetze des Geistes, Sehen als Sichsehen zu sein (vgl. 42). Damit das subjektive Bild sich selbst im gesehenen Bilde sehen kann, muß das objektiv gesehene Bild resp. Bilden als identisch das subjektiv sehende Bild resp. Bilden seiend gesehen sein. Ohne das Sehen dieser Identität könnte sich das Bild nicht als Bild seiner selbst erfassen. Wir haben es in

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X V I I I . Die doppelte Konzeption des gebildeten Seins

diesem Falle mit dem Reflexsein des Ichs zu tun, in welchem durch die für das Selbstbewußtsein notwendige Objektivierung hindurch durch Vernichtung der Ansichgültigkeit des (bloß) objektiven Seins die vorobjektive und vorsubjektive subjekt-objektive Einheit gesehen wird. Die Thematisierung des Bildes als Bildes ermöglicht zugleich, das (gebildete) Bild gegen das (gebildete) Sein selbst zu halten und mit diesem zu vergleichen und zu bestimmen. Das Bild ist für sich Bild und nicht Sein. Dieses Bildsein wird zunächst phänomenal unmittelbar angesetzt, ineins damit behauptend thematisiert (als esse imaginis) und darin als wahres Sein (esse verum imaginis) vorausgesetzt. 144.

Ganz anders verhält es sich mit dem Gegenbilde zum Bilde des Bildes von sich selbst, mit dem Bilde des Seins selbst. Dieses Sein selbst wird nicht als Reflexeinheit gesehen, sondern es wird als distanzlos zu sich und ohne Rückbezug auf sich einfachhin es selbst seiend konzipiert. Unbeschadet dessen, daß es in einem bestimmten Bilde gebildet ist, ist das Sein (laut Konzept von ihm) in sich, was es ist. Dieser Charakter des Seins sei in dieser Abhandlung seine ontische Unmittelbarkeit genannt. 145.

Nach der Konzeption von Wissen, die das Argument in sich schließt, besteht zwischen dem Bilde von sich und dem Bilde vom Sein die grundsätzliche Beziehung, daß das Bild Bild des Seins selbst zu sein vermag; daß es aber auch Bild eines Seins zu sein vermag, welches in ihm wohl für das Sein selbst gehalten wird, aber dies in Wahrheit nicht ist. Daß das Bild Bild des Seins selber zu sein vermag, heißt andererseits, daß das Sein selber als solches in einem Bilde zu sein vermag, das es erhellt. 146.

Das Sein selbst ist im Wissen nur als gebildetes Sein (im Gegensatz zum gebildeten Bilde); von ihm kann überhaupt nicht

X V I I I . Die doppelte Konzeption des gebildeten Seins

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anders gewußt werden, denn als gebildet. Wir haben es immer nur mit einem Bilde des Seins zu tun, niemals mit einem schlechthin bildlosen Sein. (Vgl. 142.) In einem solchen Gebildetsein darf aber, soll wirklich das Sein selbst gebildet sein, dessen Esselbigkeit in seinem. Sein nicht verloren sein. Wäre das gebildete Sein nicht (mehr) das Sein selbst in seiner Esselbigkeit, so wäre nicht das Sein selbst gebildet, sondern etwas anderes. Da das Bild in dem im Argument beabzielten Wissen Bild des Seins selbst sein soll, hätte es mit dem Bilden von etwas, das nicht das wahre Sein selbst wäre, sein Ziel verfehlt; es könnte dann kein Erkennen ermöglichen. 147. Das wahrhafte Bild des Seins selbst muß so beschaffen sein, daß es dem Sein seine ontisch unmittelbare Esselbigkeit nicht nimmt, sondern diese vielmehr erhellt. Die Esselbigkeit des Seins muß, ohne zugrundezugehen, im erhellenden Bilde sein können. Man kann das auch so ausdrücken, daß man sagt, das Bild müsse der Esselbigkeit des Seins anliegen, sie durchdringen, in sie getaucht sein, oder wie immer man dieses Verhältnis, für das die bisherige Sprache keinen ganz angemessenen Ausdruck hat, bezeichnen will. Ein derartiges dem Sein in seiner unmittelbaren Esselbigkeit helles Innesein macht einen Wesenszug des wahren Bildes des Seins aus. Das Sein ist in diesem Falle eingeschaut (intuiert) (und es ist, wie sich noch zeigen wird, als wahres Bild in einem mit diesem Intuitus intelligiert). 148. Wäre das Sein selbst in seiner Esselbigkeit das einzige, was in einem Bilde gebildet sein könnte, so gäbe es nur Bilder des Seins selbst. Das Argument als solches setzt jedoch, wie wir gesehen haben (vgl. 83), voraus, daß das Bild durch sein bloßes Bildsein nicht schon ipso facto Bild des Seins selbst ist. Das Bild muß also noch etwas anderes als das Bild des wahren Seins sein können. Dieses mögliche Anderssein betrifft nicht das Sein des Bildes (esse imaginis) als solchen. Denn dieses Bildsein von sich ist

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X V I I I . Die doppelte Konzeption des gebildeten Seins

sowohl beim Bilden wahren Seins als auch beim Bilden vermeintlichen Seins gegeben. Die Alternative zum Bildsein wahren Seins stellt vielmehr ein Bildsein dar, in dem das Sein selbst in seiner unmittelbaren Esselbigkeit nicht erhellt wird; dennoch bezieht sich auch dieses, keine Wahrheit gebende Bild auf ein Sein jenseits seines Bildseins (jenseits des esse imaginis), also auf ein transphänomenales Sein (das nicht das Sein des Bildes ist). Das Bild im Wissen kann sich gar nicht konstituieren, ohne etwas zu bilden, das ein transphänomenales Sein sein soll. Es ist niemals nur Bild seines eigenen Seins in phänomenaler Unmittelbarkeit. Das in ihm mit seinem eigenen Bildsein (esse imaginis) ineins gebildete transphänomenale Sein (esse imaginatum) muß aber nicht das Sein selbst, es kann auch etwas sein, das als transphänomenal nur supponiert wird, wobei es aber immer etwas anderes als die bloße Phänomenalität als solche sein muß.

149. Ein Bild kann auch ein Sein bilden, von dem es gar nicht aussagt, daß es wahrhaft ein transphänomenales Sein sei, sondern welches es der eigenen Aussage nach nur als von ihm geschaffen erkennt, aber, ohne Grund im Sein selbst, willkürlich so nimmt, als ob es ein transphänomenales Sein sei. Es handelt sich dann um ein wissentlich bloß imaginiertes Sein (esse imaginativum) als solches. Aber ein solches bloß imaginiertes Sein soll auch kein Sein selbst erhellen. Das als solches kreierte bloße Einbildungsbild gilt dem Vorstellenden niemals als Bild in einem Wissen. Vielmehr weiß er sehr wohl, daß er in diesem Bild durch kein Sein selbst bestimmt ist. 150. Wir haben in jedem Wissensbilde einen von der Bildform unterscheidbaren Bildgehalt, den das Bild eben bildet. Von diesem Gehalt sagt das Bild aus, daß er etwas anderes als die ihn bildende Bildform sei. Das gilt auch für den Fall, daß der spezifische Bildgehalt die Bildform selbst ist. Denn in diesem Falle wird dieser

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Gehalt (nämlich die Bildform) als das in einer Bildform (in diesem Falle: in sich selbst als Bildform) Gefaßte im (gedanklichen) Gegensatz zu dieser Bildform genommen (auch wenn diese Unterscheidung ineins damit, daß sie gemacht wird, wieder zugunsten der Sicht der Einheit von ontischer und phänomenaler Form und von gesehener und sehender Bildform zurückgenommen wird). Dieses Andere wird stets als ein Sein genommen, d. i. ihm wird der Charakter eines Seins zuerkannt. Nur wenn dies geschieht, wird gesetzt, was zum Gesamtsetzen des Wissens unbedingt erforderlich ist: das Bild eines Seins. Grundsätzlich kann in einem Bilden das Sein dem Gehalte in der Uberzeugung, daß es wirklich das Sein selbst ist, zuerkannt sein, oder in dem Wissen, daß es nur im Bilde angesetzt, in Wirklichkeit aber nicht gegeben ist. Im letztern Falle handelt es sich um ein hinphantasiertes Sein (esse mere imaginativum) als solches. Dann ist aber das Bild niemals Bild eines Wissens! Falls das Sein in der Uberzeugung zuerkannt wird, daß es wahrhaftes Sein ist, kann diese Uberzeugung doch irrig sein. In diesem Falle wird nur ein putatives Sein gebildet (esse immaginatum ut esse verum, sed vere non verum). Der Modus des Zuerkenntnisses im Wissen des philosophischen Arguments ist in die Freiheit des Argumentierenden gestellt. 151.

Aus dem Dargelegten ergibt sich ein für die Konzeption von Wissen wesentlicher Tatbestand: ein Bild ist erst dann und nur dann Wissensbild, wenn es Bild eines für transphänomenal angesehenen Seins ist, also Bild eines Gehalts, dem das Sein nicht nur wissentlich anphantasiert ist, sondern der das Bilden von sich aus bestimmt. Wissen konstituiert sich nur dann, wenn eine solche Bestimmung des Bildes durch das Sein, vom Sein her als in Wahrheit statthabend vorausgesetzt wird. Mit dieser Voraussetzung eines Seinsbildes muß aber eine weitere verknüpft werden: das gebildete Sein muß für es selbst gehalten werden; nur dann kann das Bild dieses Seins für dessen

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XVIII. Die doppelte Konzeption des gebildeten Seins

Bild gehalten werden. Selbst bei der Minimalannahme, daß das Gebildete überhaupt ein transphänomenales Sein ist, ohne weitere Aussage darüber, ob es im übrigen so oder so beschaffen ist, muß wenigstens die Bestimmung des Seins (im Bilde) als in Wahrheit transphänomenalen Seins wahr sein. Die Zuerkenntnis transphänomenalen Seins und Soseins erfolgt im philosophischen Argumente aber niemals zwangsläufig, sondern immer frei; sie ist also ein Akt des freien Willens, der von einem ihn bestimmenden Wert, in diesem Falle dem Wert der Erkenntnis, geleitet ist. Der Urteilende erkennt etwas für ein transphänomenales Sein, weil er dem Bilde von ihm Erkenntnisdignität zuerkennt. Die Aussage lediglich des transphänomenalen Seins (nicht Soseins) gründet sich darauf, daß dem Bilde des Bestimmtseins seiner durch ein dem Bilde Jenseitiges Erkenntnisdignität zuerkannt wird. Als Kriterium dieser Zuerkennung fungiert der leitende Erkenntnisbegriff.

X I X . Voraussetzung der möglichen Gelöstheit des Seinsbildes vom Sein selbst 152. Die Konzeption eines transphänomenalen Seins im Wissensbilde erfolgt aber noch unter einer anderen wesensgesetzlichen Voraussetzung, die für das Wesen des Arguments von höchster Relevanz ist: Es wird nämlich immer vorausgesetzt, daß das Bild, welches das transphänomenale Sein bildet, wahres oder irriges Bild dieses Seins sein könne. Wäre das Bild schon ipso facto Bild wahren Seins, so wäre das Argument (als unbestimmte, erst Bestimmtheit schaffende Alternative zwischen Zweifel und Behauptung) überflüssig. Eben deshalb ist auch das Argument überhaupt nicht schon ein wirkliches Gebilde, sondern bedarf es der Weiterbestimmung, sei es zum Zweifel, sei es zur Behauptung. Die Möglichkeit, so oder so zu bestimmen, die der Freiheit des Argumentierenden eröffnet ist und von der er durch einen Akt des Sichentscheidens zu der einen oder der andern Alternative Gebrauch gemacht haben muß, wenn er argumentiert, ist nur der Ausdruck dieser Gelöstheit des Seinsbildes von dem in ihm gebildeten Sein. Erst durch den Status der Abgelöstheit des Bildes vom Sein (status solutionis) ergibt sich die Notwendigkeit, durch einen besonderen Akt das wahre Bildsein zu statuieren. Dieser Akt ist Manifestation des Willens, der in ihm zwar immer intentional auf ein Bild des Seins ausgeht und dieses zu realisieren sucht, aber frei entscheidet, was er als wahrhaft gebildet hinstellt. Weil das Bild nicht schon durch sein bloßes Bildsein Bild transphänomenalen Seins ist, wird es erst dadurch zum Wissensbild, daß es sich auf ein wirkliches transphänomenales Sein bezieht. Dies tut es aber auch nur dadurch, daß es (in Freiheit) bestimmt, was transphänomenal gegeben ist.

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XIX. Die mögliche Gelöstheit des Seinsbildes

153.

Da das Wissensbild nicht notwendig Bild des wahren Seins ist, gibt der Akt des Bildens (im Wissen) als solcher allein zwar immer ein transphänomenales Sein im Bilde (esse formatum); man kann aber nicht sagen, daß dieses Sein das wahre Sein sein müsse. Vielmehr bleibt mit der bloßen Bildung, soweit gesehen, noch dahingestellt, ob das gebildete Sein ein bloß wähnend hingestelltes Sein (esse mere putativum) oder das Sein selbst (esse ipsum) ist. Dem Bilde als Wissensbilde ist es nur notwendig, daß es ein transphänomenales Sein als in ihm gebildet voraussetzt; es führt durch sein Bildsein stets ein esse formatum mit sich. Die Valenz dieses formierten Seins ist dadurch allein noch nicht bestimmt.

X X . Voraussetzung des wahren Seins des Bildseins als solchen im Argumente 154. Wir haben (in 142 u. 143) dargelegt, daß im Wissen das Bild als Bild selbst objektiviert und zu diesem Zwecke thematisiert sein muß, um dem (Bilde vom) Sein selbst entgegengesetzt und darauf bezogen zu werden. Als thematisiertes hat jedoch auch das Bild als solches für sich ein bestimmtes Sein (esse imaginis), das aber von dem in ihm gebildeten transimaginativen Sein (esse formatum resp. imaginatum — nicht: imaginativum) wohl zu unterscheiden ist. Von diesem Sein des Bildes selbst (esse imaginis) muß im Konzept des Wissens immer vorausgesetzt werden, daß es wahres Sein ist. Indem im Bilde des Bildes von sich selbst sein Sein behauptend thematisiert ist, wird seine phänomenale Unmittelbarkeit als ontische Unmittelbarkeit besonderer Art genommen. Das ist nur dadurch möglich, daß die im Bilden seiner sich realisierende Distanz zu sich (subjektives Bild seiner als objektiven Bildes) als zugunsten seiner Identität aufgehoben gesehen wird: Das formierte (Bild)Sein ist das Bild selbst, und eben deshalb mit ihm (jenseits der Subjekt-Objekt-Differenz) identisch. Der Rückbezug auf sich ist hier selbst distanzlos als er selber genommen. (Vgl. 144.) Die Voraussetzung der Wahrheit des Bildseins (des esse ipsum imaginis) besagt freilich nichts für die Wahrheit des in diesem seienden Bilde hingestellten Seins selbst (esse formatum). 155. Wird das Bildsein (esse imaginis) in einem besonderen Argumente thematisch als esse formatum, d. i. als das im Bilde von

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X X . Das wahre Sein des Bildseins

sich gebildete Sein genommen, so kann es als solches esse obiectivum zwar infragegestellt werden, aber nur unter der Voraussetzung, daß ineins damit das esse imaginis des infragestellenden Bildes für ein in Wahrheit erkanntes genommen wird. Will das Bild bezweifeln, daß das Bild, das es (thematisiert) von sich selbst hat, ein wahres Bild ist, so muß es ineins damit überzeugt sein, daß es selbst in Wahrheit dieses Bild hat. Insofern bricht die Infragestellung, soweit sie den Gesamtansatz betreffen soll, notwendig in sich zusammen. 156.

Da das Wissensbild nur wirklich Wissensbild ist, wenn es sich sieht, wie es in Wahrheit ist; zum Wissensbilde aber auch gehört, daß es ein transimaginatives Sein bildet, so muß in ihm auch erkannt sein, daß es Bild eines transimaginativen Seins ist, insofern es Wissensbild ist. Das Wissensbild muß demnach als wahres Bild seiner selbst wahrhaft sehen, daß es ein transimaginatives Sein bildet.

X X I . Die Voraussetzung der Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst im Argumentieren 157. Erst indem das Bild sich selbst als Bild eines in ihm gebildeten transimaginativen Seins sieht, wird es zum Wissensbilde. Das überaus merkwürdige und für das Wesen des Wissensbildes entscheidende Faktum ist dabei jedoch, daß es sich gar nicht als einfachhin, so wie es ausfällt, gebildetes Seinsbild zu sehen vermag, sondern nur als ein in Hinsicht auf seine Valenz als Seinsbild frei durch sich selbst bestimmtes Bild. In der Formierung des Bildes zum Wissensbild vermag der Argumentierende diese freie Selbstbestimmung gar nicht zu unterlassen; ihr Vollzug ist vielmehr conditio sine qua non des Zustandekommens des Wissensbildes. In das Wissensbild geht also der freie Willensakt der Bestimmung der Valenz immer mit ein, und im philosophischen Wissen wird er als solcher gesehen. 158. Diese Validisierung wird von der Seite des Willens durch drei Faktoren bestimmt. Das Wissensbild entsteht überhaupt erst durch und in der Grundintention, das Sein in seiner Wahrheit zu sehen. Das Sein selbst soll erhellt werden. Indem aber das Sein gar nicht nur als solches, d. i. indem es nicht nur als einfaches transimaginatives Korrelat der Bildform angesetzt werden kann, sondern immer nur sub specie veritatis, d. i. unter Bestimmung seiner Valenz, kann sich die Grundintention, das Sein selbst zu erhellen, nur vor dem Horizont der absoluten Gefordertheit der Wahrheit konstituieren. Das aus der Wahrheit als Wert hervortretende, ihre positive Werthaltung und Verwirklichung kate-

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X X I . Die Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst

gorisch fordernde Soll ist Ermöglichungsgrund der Konstitution der Grundintention, die deshalb auch gar nicht nur auf Bildung transimaginativen Seins überhaupt, sondern stets auf Bildung wahren Seins ausgeht. Da aber die Grundintention, das Sein zu erhellen, keine volldeterminierte, sondern bezüglich der Realisation des Geforderten auf einen zusätzlichen freien Willensakt angewiesen ist, formiert und performiert sie sich nur, wenn ein solcher freier Willensakt erfolgt, durch den es erst zur Valenzbestimmung des in Bildung begriffenen Seins kommt. Nur durch das Ineinandergreifen aller drei Willensmomente, der Grundintention, des kategorischen Solls und der freien Willensbestimmung, kommt es zur Konstitution des Wissensbildes als eines Bildes einer bestimmten Valenz des gebildeten Seins. 159.

Das Wissensbild muß transimaginatives Sein bilden, um überhaupt zu sein; es kann aber dieses Sein nur als ein in seiner Valenz bestimmtes Sein bilden. Wiederum stellt sich diese Valenz niemals einfach von selbst ein; sie kommt nur durch Vollzug eines Willensaktes zustande. Die Valenzbestimmung des gebildeten Seins ist nicht einfachhin gegeben, sondern sie realisiert sich immer nur als Ergebnis der freien Lösung ihres Aufgegebenseins. 160.

Der bedingende Grund dieses Umstandes, daß die Valenz des gebildeten Seins im Wissensbilde nur in freier Lösung einer gestellten Aufgabe bestimmt zu werden vermag, liegt in der Präkonzeption der möglichen Gelöstheit des Seinsbildes vom Sein selbst und der aus dieser Gelöstheit resultierenden Gelöstheit des Bildes von sich selbst. Das Wissensbild nimmt sich im Bilde von sich selbst niemals einfachhin als unproblematisches Seinsbild, sondern immer nur als Bild, das sowohl Bild des Seins selbst in seiner Wahrheit als auch nur putatives Seinsbild sein kann. Das Wissensbild konzipiert sich selber im Argumente als initial

XXI. Die Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst

99

problematisch. Indem es aber in dieser anfänglichen Problematik gar nicht verbleiben kann, sondern ineins mit dieser zur Bestimmung seiner selbst als einer bestimmten Aussage über die Valenz des Seins sich fortreißt und so überhaupt erst zustandekommt, bewegt es sich aus dieser anhebenden Problematik zwar immer heraus, aber es kann dies auf zweierlei Weise tun, nur kontendierend oder affirmierend. Es konstitutiert sich in seiner Bestimmtheit jedenfalls immer durch einen freien Bestimmungsakt, der als Bewältigung der durch die Initialproblematik gestellten Aufgabe in Ansatz kommt. Das entstehende Seinsbild weiß sich als Antwort auf eine bezüglich seiner aufgetretene Problematik; es weiß also von der doppelten Möglichkeit, Bild eines nur putativen oder Bild des wahren Seins sein zu können. 161.

Das Bild des Wissenbildes von sich selbst ist demnach nicht nur ein reflexes Bild in dem Sinne, daß es sich sieht, es ist auch reflexives Bild in dem anderen, mit dem ersten synthetisch vereinten Sinne, daß es sich als Bestimmung seiner selbst sieht, nämlich als Bestimmung zu einer gewissen, in seine Freiheit gestellten Bewältigung einer ihm initial gestellten Aufgabe. Die in dieser Aufgabe sich skizzierende Problematik der Valenz des ins Bild zu fassenden Seins manifestiert sich als eine solche, die (nach Grundintention der Wissensbildung, kategorischer Gefordertheit aus der Wahrheit und freiem Willen) durch einen Willensakt ergriffen und gelöst werden soll und nur in dieser tätigen Lösung selbst manifest ist. Das Bild des Wissensbildes von sich selbst ist nur im gesehenen Akte der Bestimmung seiner selbst zum Bilde einer gewissen Valenz des gebildeten Seins. 162.

Das mit der Reflektiertheit des Bildes von sich gesehene anhebende und sich vollendende Bild muß dieses in Wahrheit sein, wenn sich das Bild überhaupt als solches in seinem wahren

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X X I . Die Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst

Sein (esse verum imaginis) erfassen können soll. "Wird diese Wahrheit des Reflexionsbildes des Bildes in einem neuerlich sich darauf beziehenden Bilde infragegestellt, d. i. initialproblematisch angesetzt, so kann dies seinerseits nur in der Voraussetzung der Wahrheit dieses Bildes vom wahren Sein des Bildes qua Reflexionsbildes erfolgen. Die Annahme dieser Wahrheit des esse imaginis ist also unhintergehbar; sie kann nicht unterlassen werden. Freilich besagt diese Notwendigkeit noch nichts über die Berechtigung dieser Annähme. 163. Eben weil der Sichvollzug des Bildes aus einer initialen Problematik conditio sine qua non der Sichkonzeption des Bildes als Wissensbildes ist, kann das Argument nur ein freier Vollzug sein, nämlich eine freie Sichbestimmung auf Grund der sich mit der Initialproblematik stellenden Aufgabe. Das Wissensbild konstituiert sich in einem Akte des Geistes, in welchem dieser sich Einsicht in das wahre Sein aufgibt. Eine Aufgabe konstituiert sich hierbei deshalb, weil das Wissensbild gar nicht einfachhin bestimmt dasein kann, sondern nur als Freiheitsprodukt ist. Der Wille muß sich also in seiner Freiheit vollziehen, damit ein Wissensbild entsteht. Das Sich-Aufgeben erfolgt in wechselseitiger Beziehung und Bedingung durch das ursprüngliche Intendieren wahren Wissens von Seiten des sich allererst zum Wissen aufschließenden geistigen Seins und die dieses Aufschließen ermöglichende Forderung der Anerkennung und Realisierung der Wahrheit selbst. Dieses Reflexionsbild des Wissens von sich selbst kann sich aber gar nicht anders als unter Annahme jenes Minimums von Wahrheiten konstituieren, das im vorhergehenden (in XIV) bestimmt worden ist. Die der Aufgabe korrespondierende Lösung der Initialproblematik im Wissensbilde erfolgt in der doppelten Beziehung auf die Bestimmung der Wahrheit seiner selbst als Bildes (determinatio veri esse imaginis) und die Bestimmung der Wahrheit des Seinsbildes (determinatio esse imaginati veri).

X X I . Die Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst

101

Im Sichbilden bestimmt das Wissensbild sich und sein ihm eigentümliches Bildsein und das in ihm gebildete Sein. 164. Der Argumentierende kann die mit dem Projekt des Wissens sich auftuende Initialproblematik gar nicht konzipieren, ohne ineins damit auch schon die gestellte Aufgabe realisierend zu lösen. Mit dem Verständnis des Projekts als solchen erfolgt auch notwendig dessen Verwirklichung. Wir sind in diesem Falle nicht mehr frei, die Antwort auch nicht zu geben. Wir sehen hier die verschiedenen das Argument konstituierenden Faktoren auf eine bestimmte Weise ineinander greifen. Das Wissensprojekt entsteht mit Bezug auf die Initialproblematik der Valenz des Seins; es wird gebildet ineins mit bestimmten Forderungen, die aus der Wahrheit als Wert hervorgehen. Die Konzeption des Projekts als solchen führt notwendig eine gewisse Weise der Beantwortung herbei, nämlich ein geistiges Handeln, das zwar als Lösung der Initialproblematik erfolgen muß, in der Weise der Lösung aber innerhalb eines gewissen Spielraums frei ist. 165. Alle diejenigen Voraussetzungen, welche erst das Wissensbild zu einem solchen machen, sind hierbei notwendige Voraussetzungen. Daß sie in Wahrheit wirksam sind, gehört zum Minimum an Erkenntnis, das nach den vorhergehenden Ausführungen (in XIV) angesetzt werden muß. Zu diesen Voraussetzungen ist, wie wir zuletzt gesehen haben, auch die Aussage des Wissensbildes von sich selbst (esse verum imaginis) zu rechnen, nicht jedoch die Aussage über das Sein, das einfachhin gebildet ist. Eben diese bleibt frei. Wir ersehen demnach hier einen wesentlichen Unterschied in den Teilbildern des Wissensbildes. Konstituiert sich das Wissensbild, so muß es sich selbst kategorisch als wahrhaft so seiend, wie es sich in der Selbstreflexion hat, ansetzen und kann dies nicht nicht tun. Es kann aber hinsichtlich des einfachhin Ausgesagten

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X X I . Die Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst

sich zur Behauptung oder zum Problem, und als Behauptung zur bloßen Kontention oder zur Affirmation formieren. 166.

Die Voraussetzung des Wissensbildes von sich, daß es wahrhaft so sei, wie es sich sieht (esse verum imaginis) kann somit nicht in der Problematik belassen, sondern muß kategorisch vollzogen werden. Andererseits soll das philosophische Argument nichts beinhalten, was nicht vollbewußt und freiwillig angesetzt ist. Das philosophische Interesse verlangt deshalb, es nicht einfachhin bei der notwendig erfolgenden Voraussetzung der Wahrheit des Wissensbildes bewenden zu lassen, es verlangt eine Legitimation dieser Voraussetzung. Diese kann aber nur in der Weise erfolgen, daß die Behauptung des Bildes von sich zunächst einmal im Bilde einfachhin thematisch wird. Eben aus diesem Grunde verlangt die philosophische Absicht unabdingbar eine transzendentale Reflexion. Es stellt sich hierbei die besondere Frage, ob und, falls ja, wie eine solche transzendentale Reflexion möglich ist. Denn auch in transzendentalen Argumenten erfolgt deren Sichbehauptung unter notwendigen Voraussetzungen, die auf der anderen Seite im einfachhin Hingestellten (in diesem Falle im transzendentalen Gegenstande, nämlich dem Wissensbilde) frei infragegestellt werden.

X X I I . Die Differenz v o n sich praeformierendem und performiertem Argument und die dadurch bedingte Zurückkunft des Argumentierenden auf die Praeformation der Aussage 167.

Ob das Bild des Wissensbildes von sich selbst zurecht als wahres Bild angesetzt werden darf, hängt davon ab, ob es Evidenz von sich erlangt und sich dadurch bewährt. Desgleichen hängt auch die Valenz des Bildes vom Sein von einer solchen Bewährung ab. Da das Bild des Wissensbildes von sich nun gar nicht anders denn als (der Voraussetzung nach) wahres Bild angesetzt werden kann, hängt die Gültigkeit dieser Voraussetzung davon ab, ob im Momente seiner Bildung Evidenz vorhanden ist. Auch die Wahrheit des Bildes vom Sein hängt davon ab, ob dieses Bild sich in Evidenz bewährt. Nur steht das Argumentieren hier nicht unter einem Zugzwang wie in seinem Sich bilden. Stellt sich keine Evidenz ein, so kann das Sein im Bilde nur problematisch geltendgemacht werden. 168.

Weil die Geltungserhebung für das Seinsbild in die freie Entscheidung des Argumentierenden gestellt ist, hängt es von seinem freien Willen ab, in welcher Form er sie vollzieht. Er kann das Evidierte als nur problematisch, er kann auch das nur Problematische als in Wahrheit bestehend hinstellen. Sein Kontendieren ist in dieser Rücksicht frei. Doch kann eine solche unbegründete Kontention nur in Abhebung von dem sich praeformierenden Argumente erfolgen. Der zu Unrecht Kontendierende stellt eine aus seiner Willkür hervor-

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X X I I . Die Differenz von Preformation und Performation

gehende Gestalt des Arguments gegen dessen Gestalt in statu nascendi. Im Performieren des Arguments vollzieht sich eine Spaltung zwischen dem originär sich bildenden Argument und derjenigen Bildung, die es durch die Dazwischenkunft der Willkür erhält. Durch ein hinzutretendes freies Dekret sagt das performierte Argument in diesem Falle etwas anderes aus, als es sich in statu nascendi auszusagen anschickte. 169.

Die Differenz des entstehenden vom performierten Argument findet ihre Entsprechung in der Differenz des sich vollziehenden und des abgeschlossenen, objektiven Arguments. Nur im sich vollziehenden Argument tritt Evidenz ein. Nur in ihm vollzieht sich unter Umständen mittels eines freien Dekretierens etwas anderes, als sich ohne dieses Dekret vollzogen hätte. Hingegen enthält das objektivierte Argument in seiner abgeschlossenen Form nur noch das Resultat dieses Aktes. Eben deshalb aber erscheint in ihm das Evidieren nicht. Man kann es ihm nicht ansehen, ob es unbegründet kontendiert oder einsichtig affirmiert. Das objektivierte Argument enthält keine Evidenz; es enthält nur eine Synthesis, oder besser: eine Synthesis von Synthesen, und den diesen zugesellten Geltungskoeffizienten. Die Synthesis gibt das Bild von einem Sein (sei es Bildsein oder transimaginatives Sein); der Geltungskoeffizient gibt Kategorizität oder Problematizität; und da alle jene Aussagen, die Bedingung des Wissensbildes als solchen sind, gar nicht problematisch gemacht werden können, so finden sich auch in den problematischen Argumenten immer kategorische Koeffizienten. Uber die Legitimation der Aussagen aber vermag das objektivierte Argument nichts zu offenbaren; und so bleibt auch unerhellt, wer der Träger des Geltungskoeffizienten ist — die Vernunft selbst oder nur der Argumentierende. 170.

Die Spannweite zwischen initialer Praeformation und sich objektivierendem Durchvollzug des Arguments eröffnet den

X X I I . Die Differenz von Praeformation und Performation

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Raum für das zum Zustandekommen des Arguments notwendige Zusammenwirken objektiver und subjektiver Faktoren. Das Eintreten von Evidenz ist an gewisse subjektive Vollzüge im Argumentierenden gebunden, die ihrerseits wieder durch dessen Freiheitsentscheidungen mitbestimmt werden. Die Evidenz im Argumente ist jeweils Evidenz eines bestimmten Wissensbildes. Dazu bedarf es der Formation eben dieses bestimmten Bildes, die ihrerseits u. a. von gewissen freien Akten des Argumentierenden abhängt. Das aussagende Ich muß den sich ihm objektiv manifestierenden Wert der Wahrheit und dessen Forderung, realisiert zu werden, wertend und wollend bejahen; und das Ich muß in vielen Fällen das Bild, das evident werden soll, erst willkürlich formieren. Erst dadurch ermöglicht es das Eintreten der Evidenz. Da aber der Wert der Wahrheit und die aus der Wahrheit hervorgehende Forderung auch verneint werden können, kann das argumentierende Ich auch gewisse Formationen des Wissensbildes unterlassen und damit verhindern, daß dadurch der Eintritt von Evidenz herbeigeführt wird. Es kann also willentlich die Evidenz vermeiden. Eine derartige Willenseinstellung wird dann dafür bestimmend werden, welcher Geltungsanspruch schließlich erhoben wird. 171.

Eben der Umstand, daß die Formation des Arguments im Wissen um die initiale Praeformation und die Notwendigkeit einer sich darauf beziehenden Performation des Arguments vollzogen wird, macht es unmöglich, daß die Kontention ohne Rücksicht auf die Wahrheitsdignität des Auszusagenden erhoben wird. Wer ohne Evidenz kontendiert, der weiß stets, daß er für etwas Wahrheit beansprucht, das keine hat. Er kann stets nur in Abhebung von einer im Sichpraeformieren sich vollziehenden Einsicht kontendieren. Das praeformierte Argument steht dann in Widerspruch zu dem zuerst in Bildung Begriffenen. 172.

Der Kontendierende kann, eben weil die Kontention frei ist, eine unberechtigte Geltungsaussage machen. Er kann etwas

106

X X I I . Die Differenz von P r e f o r m a t i o n und Performation

Nichtevidentes als wahr (und das heißt auch immer: als evident) hinstellen. Er kann umgekehrt etwas ihm Evidentes als problematisch behaupten. Man muß hierbei zwischen formaler und materialer Unwahrheit unterscheiden, je nachdem, ob vom ausgesagten Inhalt positiv gewußt wird, das er nicht das ist, als was er hingestellt wird, oder ob dies nur nicht mit Sicherheit gewußt wird. Im zweiten Falle könnte dieser Inhalt für ein ihn evidierendes Ich auch wahr sein; für das ohne Evidenz ihn behauptende Ich aber ist er in Wahrheit problematisch — und eben das hätte es aussagen müssen. Die Kontention, wie sie sich im wahrheitswidrigen Argumente ausdrückt, sagt also in ungerechtfertigter Beimessung etwas über den Gegenstand des Arguments aus, während sie tatsächlich nur etwas über das argumentierende Ich aussagt. Dies wird im objektivierten Argumente jedoch nicht erkenntlich. Wohl aber weiß der Argumentierende davon im Vollzug seines Argumentierens. 173.

Die für den Argumentierenden sich ergebende Spannung zwischen Initialproblematik und Vollzug und der sich damit ineins ergebende mögliche Gegensatz zwischen sich praeformierendem und performiertem Argument bewirkt eine gedankliche Abhebung der Praeformation von der Performation im Argumente, die speziell im philosophischen Argumente reflexiv gewußt sein muß. Die initiale Problematik der Valenz des esse formandum bringt in Bezug auf die der Willkürfreiheit eröffneten Möglichkeiten zu argumentieren mit sich, daß das Argument nicht performiert wird, ohne daß der Performierende auf die in der Praeformation sich skizzierende Aussage zurückkommt. Erst in einem solchen Zurückkommen auf die erste Aussage im Sichpraeformieren, wird das Argument vollendet.

XXIII. Die als solche im Argument angesetzte Differenz von Wissens- und Erkenntnisbild. (Der methodische Zweifel) 174.

Das im Akte des Argumentierens zu Bildende ist das Wissensbild, d. i. ein Bild von etwas, das selbst sein soll. Infolge der grundsätzlich als möglich angesetzten Gelöstheit des Bildes vom Sein selbst, die von der Art ist, daß es etwas als transimaginatives Sein ansetzen könnte, was nicht das wahre Sein ist, liegt es an der Art der Wissensbildung, wie dieses Bild des Seins jeweils ausfällt. Weil aber das Bild vom Sein selbst, gelöst ist, und zwar auf Grund der Art und Weise, wie es sich frei formiert, ist das Bild von sich selbst gelöst. Es sieht sich nur als das, wozu es sich (in ebendemselben Akte) macht. Dies hat aber wiederum die Abhebung der Initialformation von der Performation des Arguments zur Folge. Die Preformation steht in der Weise unter der Initialproblematik, daß das Argumentieren im Vollzug seiner selbst auf sie zurückkommt. Die Initialformation ist keineswegs von der Art, daß die P r e formation im Argumente immer etwas Problematisches vorstellen müßte. Vielmehr kann sie auch etwas vorstellen, was gewiß ist. Nur stellt das Argument rein als solches, in Anbetracht der grundsätzlichen Gelöstheit des Bildes von sich selbst, das Sichpraeformierende grundsätzlich in Zweifel. Das bloße Gebildetsein verbürgt dem Argumentierenden noch nicht die Authentizität des gebildeten Seins. Mit dem bloßen Gebildetsein des Seins ist erst ein Wissen konstituiert. Das Wissen selbst als solches wird jedoch im Argument in grundsätzlicher Weise in ein Verhältnis zum Erkennen gesetzt. Der Argumentierende fragt, ob das Wissensbild vom Sein auch ein Erkenntnisbild vom Sein ist.

108

X X I I I . Der methodische Zweifel

Transphänomenale Bedeutung beansprucht das Wissensbild stets; aber die Legitimität dieses Anspruchs thematisiert das Argument erst in der Erkenntnisfrage. 175.

Aus dem Dargelegten resultiert, daß im Argumente nichts gesetzt werden kann, das nicht dem methodischen Zweifel unterzogen wäre. Indem das skizzierte Seinsbild im Argumente, in Abhebung von ihm, als Preformation genommen wird, erhält diese letztere die Bedeutung eines vorläufigen Aussagemoments, dessen Geltung methodisch suspendiert ist, um methodisch auf seine fragliche Valenz hin überprüft und je nach dem Ergebnis dieser Überprüfung bestätigt oder verworfen zu werden. Die Geltung der Wahrheitsaussage der Preformation wird, wohlverstanden, durch den methodischen Zweifel nicht einfachhin verworfen (ebensowenig wie sie einfachhin akzeptiert wird), sondern sie wird überprüft. Das sich skizzierende Wissensbild hat demnach sub specie des methodischen Zweifels grundsätzlich die Möglichkeit, sich zu legitimieren.

176.

Indem der methodische Zweifel wesensgesetzlich das im Sichpraeformieren skizzierte Wissensbild zur imago incerta macht, d. i. zu einem Bilde, dessen Erkenntniskraft noch erst zu bestimmen ist, bezieht sich das Argument in grundlegender Weise auf die Vorbegriffe von Erkenntnis und Wahrheit. Es kann gar kein bloßes Wissensbild konzipieren, sondern bestimmt dieses sogleich in seinem Wert als Erkenntnisbild. Diese Bestimmung erfolgt notwendig, weil sich das Argument angesichts von Wahrheit, die ihre Realisierung in Erkenntnis fordert, und gemäß der es selbst grundlegend konstituierenden Intention formieren muß. Sie erfolgt aber auch notwendigerweise frei, weil das Argument nur aus freier Sichbestimmung gegenüber der Forderung der Wahrheit resultiert.

XXIII. Der methodische Zweifel

109

Die Voraussetzung aus-sich-legitimierter Wahrheit ist gar nicht ins Belieben des Arguments gestellt, sondern eine notwendige Bedingung für dessen Zustandekommen. Freilich ist diese Voraussetzung bloß als solche nicht die Legitimation selbst, von deren Vorhandensein doch schließlich alle andere Geltung, also auch die der Bestimmungen des Arguments als solchen abhängt.

X X I V . Die Distanz zum Sein selbst im philosophischen Argumente 177.

Die das Argument als solches erstellende Intention, das in ihm in Ansatz kommende Wissensbild auf seine Erkenntnisdignität hin zu bestimmen, bewirkt, daß der Argumentierende im Ansatz des Arguments auf Evidenz ausgeht. Um Evidenz zu erlangen, ist es notwendig, daß das Bild das Sein selbst erreicht, in sich zu fassen und zu erhellen vermag. Der ursprünglichen Intention nach geht das Argument auf das Sein selbst aus. Nur wenn das Sein selbst evidiert wird, darf der Argumentierende der gebildeten Synthesis jenen Geltungskoeffizenten zugesellen, der sie zur Behauptung erhebt. Kommt es zu keiner Evidenz, so muß die Aussage problematisch ausfallen. Da das Argument aber nur durch den hinzukommenden Freiheitsentscheid zur Behauptung oder zum Problem formiert wird, kann auch eine Aussage gemacht werden, die dem Status der Evidenz nicht entspricht. 178.

Das Sein selbst, das das Argument nach der es ursprünglich konstituierenden Intention zu erhellen strebt, ist auf Grund der Gelöstheit des Bildes vom Sein und der Rückbeziehung des Bildes auf sich selbst ein zweifaches·, das einfachhin zu bildende transimaginative Sein selbst einerseits, das Sein selbst des Bildes (esse ipsum imaginis) andererseits. Es hat sich uns· schon (in 162) entdeckt, daß das Argument im Bilde des Wissensbildes immer dessen wahres Sein und Sosein voraussetzen muß; das einfachhin zu bildende Sein hingegen muß nicht kategorisch bestimmt, es kann auch problematisch zweifelhaft hingestellt werden.

XXIV. Die Distanz zum Sein selbst im philosophischen Argumente

111

Das Argument setzt in seinem Entstehen notwendig das Bild von sich selbst als wahres Bild an; es setzt hingegen das Bild des Seins, über das es einfachhin aussagt, frei entweder problematisch oder assertorisch an. 179. Durch dieses verschiedenartige Verhältnis zum Sein selbst, je nachdem, ob es sich um das Sein selbst des (bildenden) Bildes oder das Sein selbst, das da einfachhin gebildet wird, handelt, unterscheidet sich das philosophische Argument sowohl von dem primären als auch dem spezifisch transzendentalen Argument. Im primären Argument muß auch das einfachhin gebildete Sein stets dann assertorisch ausgesagt werden, wenn in bezug auf dasselbe praktisch gehandelt wird. Im Handeln nimmt der Handelnde in seinem Geiste das Sein stets kategorisch. Indem er auf etwas als ein Bestimmtes hin handelt, behandelt er es als dieses Bestimmte. Indem er seinen Willen angesichts bestimmter Werte und der mit ihnen auftretenden Forderungen und Tendenzen bestimmt, nimmt er die betreffenden Werte samt ihren Forderungen und Tendenzen als wahre an. Der philosophisch Argumentierende ist von diesem unmittelbaren Handelnszwange befreit. Sein Urteil geht nicht unmittelbar in ein Handeln mit ein, sondern bleibt vor diesem draußen davor. N u r dadurch ist es ihm möglich, etwas als problematisch hinzustellen und stehenzulassen. Auch die primäre Reflexion bleibt als theoretische manchmal im Zweifel hängen, weil sie keinen zureichenden Grund der Seinsbestimmung, um die es ihr ausschließlich geht, finden kann. Aber dieses ursprüngliche Schwanken in der Seinsbestimmung kann nicht aufhalten, daß das Hingestellte im Moment des Übergehens in die Praxis kategorisch genommen wird, und sei es auch nur durch einen Akt grundloser Willkür. 180.

Es ist bereits (in 162) einsichtig geworden, daß auch dem philosophischen Argumente als einer Art des sekundären Arguments

112

X X I V . Die Distanz zum Sein selbst im philosophischen Argumente

hinsichtlich der Aussage über das Sein selbst des in ihm bildenden Bildes keine Freiheit gelassen ist. Hier wird der Grund dafür offenbar: Das Bilden stellt selbst ein es selbst erst in seinem Sein erstellendes Handeln dar. Das Argument wird zu seiner Bestimmtheit handelnd formiert — es ist nicht einfach bloß da. Handeln verlangt Eindeutigkeit des Seins. Indem das Argument sich formiert, handelt es in Bezug auf sich und nimmt es sich in diesem Handeln kategorisch als dieses Bestimmte. Täte es das nicht, so käme es erst gar nicht zu einem Argumente. Aus demselben Grunde nimmt auch das Argument in der Formation seiner selbst den Wert der Wahrheit (und die mit diesem gegebene Forderung) stets für einen wahren Wert (und eine wahre Forderung). 181. Fiele die Aussage des Arguments von sich mit seiner Aussage vom Sein selbst, das in ihm einfachhin gebildet ist, zusammen, so könnte es im Argumentierenden kein Wissen um die mögliche Differenz des Wissensbildes und des Erkenntnisbildes vom esse imaginis geben. Nur durch den Umstand, daß Bild und Sein voneinander abgehoben und das Sein des Bildes unterschieden vom Sein des einfachhin Gebildeten konzipiert wird, kann im Argument thematisch werden, ob das Sein des (bildenden) Bildes auch tatsächlich wahres Sein ist. Im transzendentalen Argumente ist das Sein des (bildenden) Bildes (esse imaginis), das in allem argumentierenden Bilden (also auch im transzendentalen Bilden) in dessen Bilde von sich als erkanntes angesetzt ist, zugleich der Gegenstand dieses Bildes, der einfachhin prädiziert wird. Erst auf diese Weise vermag das Sein des Bildes problematisch zu werden. Der transzendentale Blick sieht bildendes und gebildetes Bilden zugleich und als ein und dasselbe Bilden. 182.

Dem philosophischen Argument ist es eigentümlich, sich des in ihm in Ansatz Kommenden vollbewußt zu sein. Das philoso-

XXIV. Die Distanz zum Sein selbst im philosophischen Argumente

113

phische Argument beinhaltet also auch das Wissen um die Differenz des Wissens- und des Erkenntnisbildes, und zwar sowohl bezüglich des Bildes vom Sein seiner selbst (des esse imaginis) als auch des Bildes vom einfachhin zu prädizierenden Sein (des esse imaginatum). Das philosophische Argument ist aus dem ersteren Grunde notwendig transzendental. Als wissenschaftliches Argument muß es eine bewährte Antwort auf die transzendentale Frage geben. Es kann diesbezüglich nicht in der Problematik verharren, weil schon die problematische Aussage die Wahrheit ihrer selbst, als Aussage, voraussetzen muß. Diese Voraussetzung kann nur wissenschaftlich sein, wenn sie gerechtfertigt ist.

X X V . Die Freiheit der Konsideration im philosophischen Argument. 183. Das philosophische Argument ist als sekundäres Argument dem primären Argument gegenüber in doppelter Weise frei: 1. Es ist nicht unmittelbar praxisbezogen, muß also in dieser Rücksicht nicht zur Kategorizität gelangen. Dadurch kann es sich frei zum Problem formieren und in der Problematik verharren. 2. Es fällt nicht in den Bereich der unmittelbaren und ursprünglichen Vorstellungsbildung, die spontan erfolgt; vielmehr kommt es zum philosophischen Argument nur durch einen besonderen Entschluß und Akt der Freiheit. Diese Freiheit erstreckt sich nicht nur darauf, daß überhaupt philosophisch argumentiert wird, sie erstreckt sich auch darauf, was philosophisch thematisch gemacht wird. Erst dadurch, daß mit freiem Willen etwas philosophisch in Betracht gezogen wird, wird es Gegenstand des philosophischen Arguments. Wir haben es hier mit einem spezifischen Akt der Attention, nämlich mit der freien Konsideration zu tun. 184. Da das philosophische Argument (nach 4) ein vollbewußtes ist, muß in ihm reflexiv gewußt sein, daß etwas Bestimmtes in Konsideration gezogen ist. Ineins damit ist anderes außer Betracht gelassen. Diese Selektion muß erkannt sein. Die Selektion des in Betracht gezogenen Gegenstandes bewirkt das Einseitige der Reflexion. Die Reflektiertheit dieser Einseitigkeit verhindert jedoch zugleich, daß das unter Abstraktion von anderem in Betracht Gezogene im wissenschaftlichen

X X V . Die Freiheit der Konsideration im philosophischen Argument

115

Argumentieren in Vergessenheit dieses Vorganges für das Ganze genommen wird, das thematisch werden kann. Insbesondere werden in diesem Falle partielle Evidenzen nicht als universelle Evidenzen angesehen. 185. Da die Bildung von Argumenten insgesamt nur in intentionalem Ausgerichtetsein auf die Verwirklichung von Wahrheit erfolgt, muß auch die Konsideration von dieser Intention getragen sein. Wir ziehen etwas Bestimmtes willentlich in Betracht, weil wir Wahrheit und letztlich die ganze Wahrheit erkennen wollen. Wenn wir in dieser Absicht jeweils vorzüglich auf etwas Bestimmtes reflektieren, so in ursprünglicher Intention deshalb, weil wir das Ganze des zu Erkennenden nicht auf einmal erkennen können. Der Argumentierende wird aus diesem Grunde eine bestimmte Ordnung des Vorgehens entwerfen, um aus dem Status relativer Unwissenheit in den Stand vollkommenerer Erkenntnis zu gelangen. In diesem Projekt wird bestimmt, was jeweils in Betracht zu ziehen ist. Der Geist versucht mittels bestimmter Akte methodischer Abstraktion, denen Akte seiegierender Konsideration entsprechen, das Erkenntnisziel zu erreichen. In dem die einzelnen Akte bestimmenden methodischen Plane wird das zunächst außer Betracht Gelassene für die später folgende Konsideration vorgemerkt. Dieses Programm darf im Vollzug des philosophischen Argumentierens nicht aus der Acht gelassen werden. 186.

Die wissenschaftliche methodische Konsideration unterscheidet sich von der unwissenschaftlichen dadurch, daß sie das vorläufig außer Betracht Gesetzte nicht außer Acht läßt und in der Folge in Betracht zu ziehen versucht. Da die Konsideration aber nicht nur durch die das philosophische Argumentieren tragende Grundintention, sondern auch durch die freie Willkür bestimmt wird, kann im philosophischen (aber dann freilich nicht wissenschaftlichen) Argumentieren auch

116

X X V . Die Freiheit der Konsideration im philosophischen Argument

Vieles mit der Absicht außer Acht gelassen werden, es auch später nicht zu konsiderieren, sondern von der Erhellung auszuschließen. Ist eine solche Absicht im Spiele, so entstehen einseitige Aussagen, die im philosophischen Argumentieren als solche bewußt sind. Nur die Unphilosophie bemerkt gar nicht, daß sie in ihren Resultaten das Opfer einer unkritischen Selektion ist. 187. Wird im philosophischen Argumentieren wissentlich eine durch Konsiderationen einseitiger Art bedingte Teilerkenntnis für das Ganze der Erkenntnis hingestellt, so handelt es sich um eine besondere Art der UnWahrhaftigkeit. Diese besteht in der unstatthaften Deklaration des erkannten Teilmomentes für das Ganze des Gegenstandes. Nicht selten wird eine solche Behauptung mit den Erfordernissen der gewählten Methode zu rechtfertigen versucht, die zuvor ihrerseits durch eine unzulässige Verabsolutierung zur einzig möglichen oder statthaften promoviert worden ist. 188. Die Gelöstheit von dem Zwang, zu handeln, und dem mit diesem verbundenen anderen Zwang, den einfachen Argumentationsgehalt kategorisch zu bestimmen, gibt dem philosophischen Argument auch noch eine andere Freiheit betreffs dessen, was es in Betracht zieht. Der philosophisch Argumentierende kann, mit der Preformation anhebend, auf Evidenz attendieren oder auch die mögliche Evidenz außer Acht lassen. Indem willentlich oder aus Achtlosigkeit nicht darauf attendiert wird, ob das Bild des Seins sich in Evidenz bewährt oder nicht, kann die in der Performation ausgesagte Problematizität eine selbstverursachte sein. Dem fertigen Argumente sieht man dies freilich nicht an.

XXVI. Die wissentlich unwahre Aussage 189.

Das Bild eines Seins, von dem gewußt wird, daß es nicht das Bild des Seins selber ist, kann nicht Ziel der ursprünglichen Intention sein, die zur Bildung des Argumentes führt. Zum reflektierten und gewollten Ansatz eines solchen Bildes kommt es im Argumente erst auf Grund der zu dieser Intention hinzukommenden willentlichen Entscheidung, dieser Intention entge-

gen zu

argumentieren.

Strebt der philosophisch Argumentierende ein Sein zu bilden, das er für das Sein selbst erklärt, obwohl es seiner Einsicht nach ein nur eingebildetes Sein ist, so ist er sich notwendigerweise seiner Absicht bewußt. Er realisiert dann seinem eigenen Wissen nach das bildliche Sein, das kein Sein selbst ist, wenngleich er es für das Sein selbst erklärt. Hierdurch gerät er zu sich selbst in Widerstreit: er weiß, daß das für das Sein selbst deklarierte Sein seines Wissensbildes ein lediglich von ihm eingebildetes Sein ist; aber er beansprucht, daß es das Sein selbst sei. Dem verobjektivierten Argument sieht man allerdings diesen Widerspruch nicht an. 190.

Da das philosophische Argument eine vollbewußte Reflexion ist, kann es dem Argumentierenden, sofern er philosophisch argumentiert, nicht unbekannt sein, daß sein unwahres Argument dem Status seines Einsehens widerstreitet. Er ist sich also der Unwissenschaftlichkeit (wie im entegengesetzten Falle auch der Wissenschaftlichkeit) seines Argumentes immer bewußt. Daß der Argumentierende in diesen Fällen die Unwahrheit nicht schlicht und einfach ohne gleichzeitiges Wissen von seiner

118

X X V I . Die wissentlich unwahre Aussage

Unwahrhaftigkeit sagen kann, kommt daher, daß er in den Entscheidungen seines formalfreien Willens immer an die grundlegende, das Argument hervortreibende Intention und die dieser entsprechende absolute Forderung, die Wahrheit zu sagen, rückgebunden bleibt. Diese Grundintention, ein wahres Bild des Seins zu realisieren, wirkt sich in dieser Situation in zweierlei Weise aus: zum einen kann der Argumentierende nie umhin, für seine Aussage Wahrheit zu beanspruchen und damit auch auf Wahrheit bezogen zu sein und von ihr zu wissen. Zum andern muß auch der unwahrhaftig Argumentierende in aller Aufrichtigkeit die Wahrheit seines eigenen Tuns, nämlich, daß er so argumentiert, wie er argumentiert, nämlich unwahrhaftig, voraussetzen. Die Performation des Arguments ist immer die gemeinsame Resultante der Grundintention und der willentlichen Entscheidung. 191. Der Widerstreit zwischen besserem Wissen und behauptetem Wissen beruht also auf mehreren Faktoren: Der Behauptende kann wissentlich behaupten, obwohl ihm das Sein nicht evident ist oder obwohl ihm das Gegenteil des Behaupteten evident ist. Er kann also kontendieren, wo er seinen Zweifel bekunden müßte, weil er nicht erkennt, und er kann etwas nur kontendierend behaupten, obwohl er erkennt, daß es nicht wahr ist. Der Mangel an Evidenz seinerseits kann entweder darauf beruhen, daß Evidenz trotz des Bemühens um sie nicht erreicht werden konnte, oder darauf, daß auf mögliche Evidenz willentlich nicht attendiert wurde. Bei einer komplexeren Gegebenheit kann bei vorhandener Evidenz in einem gewissen Bereiche infolge mangelnder Attention auf die Grenzen dieser Evidenz auch von damit verbundenem Nichtevidenten behauptet werden, daß es (evidiert und) wahr sei. 192. Das willentliche Abhalten des Evidierens erhält den Geist künstlich im Zustande des Schwankens, d. i. der Problematizität.

X X V I . Die wissentlich unwahre Aussage

119

Diese künstliche Problematizität darf aber weder mit der initialen Problematizität im Momente des Sichpraeformierens des Arguments noch mit der trotz willentlicher Bemühung um Erkenntnis verbliebenen Problematizität im performierten Argumente verwechselt werden.

X X V I I . Die Beurteilung mittels Vorstellens einer Aussage als Meinung und Fiktion 193. Die Gelöstheit des Bildes von sich selbst im Argumente und die damit verbundene Abhebung der initialproblematischen, unter den methodischen Zweifel gestellten Preformation von der sich vollziehenden Performation (die ihrerseits nur mit Rückbezug auf die Preformation zustandekommt) ermöglicht es dem Argumentierenden, das, was ursprünglich im Akte des Argumentierens nur als unselbständiges Moment vorkommt, reflexiv zu fixieren und abgelöst zu objektivieren, obwohl es realiter nie als für sich Bestehendes vorkommen kann. Auf Grund der Gelöstheit des Wissensbildes von sich selbst kann die relative Unabhängigkeit der das Argument bildenden Momente, der Grundsynthesis und der Geltungserhebung, erkannt werden. Da es in die Freiheit des Argumentierenden gestellt ist, welche Art von Geltung er für die ihm vorschwebende Grundsynthesis erhebt, kann er die Bedingtheit der Geltungsaussage gegenüber der Grundsynthesis, an der sie vollzogen wird, erkennen. Rein denkend kann die bestimmte Art der Geltungsaussage an einer Grundsynthesis von einer anderen möglichen Art der Geltungsaussage an ihr abgehoben werden. Da Geltungsaussagen in Bezug auf Wahrheit gesehen und erst von dieser her in eine Erkenntnisdignität gehoben sind, auf der anderen Seite aber auch durch einen Akt der Freiheit erfolgen, kann von dem zwar immer erfolgenden Behaupten (sei es als Kontention oder als Affirmation) Abstand genommen werden. Der Argumentierende als freies Individuum kann kontendieren, was er als reine Vernunft nicht affirmiert; er kann in reiner Vernunft affirmieren, was er als freies Ich nicht kontendiert.

X X V I I . Die Beurteilung mittels Meinung und Fiktion

121

Während hier jeweils das eine (das Affirmieren bzw. das Kontendieren) energisch vollzogen wird, wird das andere (das Kontendieren bzw. das Affirmieren) nicht energisch vollzogen, sondern dessen energischer Vollzug nur als entgegengesetzte Möglichkeit konzipiert, d. h. aber nur objektiv vorgestellt, nicht energisch vollzogen. 194. Wir stehen damit vor der Tatsache, daß der Geist infolge der von ihm erblickten Differenz des bloßen Wissens- vom Erkenntnisbilde sich zu dem in allem Argumentieren geltendgemachten Seinsbilde in doppelter Weise verhalten kann: entweder energisch die Aussage vollziehend oder die Geltungserhebung nur als Tatsache vorstellend. Im zweiten Falle wird der energische Geltungsvollzug suspendiert und die notwendig in jedem Argumente vorhandene Geltungsaussage bloß als faktische Aussage genommen, die erst noch durch einen energischen Vollzug in energische Geltung zu setzen ist. Wir nehmen dann die Aussage, die wir, wie gesagt, nur faktisch vorstellen, als Meinung (primum dictum), über die noch erst in einem energischen Vollziehen von Geltung zu entscheiden ist. 195. Wir können aber nicht nur schon konzipierte Aussagen als Meinungen (prima dicta) nehmen, wir können auch Meinungen künstlich bilden, d. i. fingieren. Dieser Bildung von Fiktionen kommt, wie im folgenden dargelegt werden soll, eine erhebliche Bedeutung im Argumentieren zu. Das Wort Fiktion wird in dieser Abhandlung immer in seinem ursprünglichen Sinne von „reiner Bildung" bloß faktisch genommener Aussagen verwendet. Fiktionen sind also von „fiktiven Hypothesen" zu unterscheiden. Fiktive Hypothesen werden zwar auch willkürlich gebildet, aber immer zu dem Zweck, durch sie bestimmte Gegebenheiten zu erklären, wobei vorausgesetzt wird, daß diese Hypothesen nicht wahr (sondern nur effizient) sind. Bei der Verwendung des Terminus Fiktion wird in dieser Ar-

122

X X V I I . Die Beurteilung mittels Meinung und Fiktion

beit noch ganz unentschieden gelassen, ob eine solche „reine Bildung" sich in einer Erkenntnis bewähren kann oder nicht. Für den begrifflichen Gehalt, den wir hier dem Wort Fiktion geben, ist nur bestimmend, daß eine Aussage rein faktisch, unter Abhaltung der energischen Geltungserhebung, erstellt und vorgestellt wird.

196. Das philosophische Argument ist weithin ein Argument wiederholter Reflexion. Seine spezifische Aufgabe ist es, schon vorliegende Wissensbilder auf ihre gnoseologische Dignität hin zu untersuchen. Es rekurriert dabei auf Argumente ihm vorausliegender Reflexionen. Diese können ihrerseits sowohl primäre als auch sekundäre Reflexionen sein, und als diese letzteren wiederum gewöhnliche oder wissenschaftliche Reflexionen. Die primäre Reflexion ist im Erstellen von bestimmtem Sein tätig. Die sekundäre Reflexion verarbeitet dieses Sein in Richtung auf eine über es hinausliegende systematische Einheit. Die sekundäre Reflexion verfährt wissenschaftlich, wenn sie dabei auf Erkenntnis ausgeht. Wird die Möglichkeit von Erkenntnis und deren Sicherung hierbei selbst thematisch, so handelt es sich um eine wissenschaftlich-philosophische Reflexion. Um ihren Zweck zu erreichen, muß die philosophische Reflexion die aus der sonstigen sekundären oder primären Reflexion ihr zukommenden Argumente als Meinungen (prima dicta) nehmen, deren Geltungsanspruch sie zu überprüfen hat. Im Vollzug dieser Uberprüfung erstellt die philosophische Reflexion eigene, nur ihr eigentümliche Argumente, die sie nicht als schon vorkonzipierte aufnimmt, sondern selbst hervorbringt. Infolge ihres generellen Überprüfungsanspruches muß die philosophische Reflexion aber auch diese ihr eigentümlichen Argumente in methodischen Zweifel ziehen und vor diesem bewähren. Dieser alles betreffende methodische Zweifel bewirkt, daß in dieser philosophischen Reflexion alle ihr vorkommenden Argumente zunächst (noch einmal) in den Status von Meinungen (prima dicta) versetzt werden, um sie zu beurteilen.

XXVII. Die Beurteilung mittels Meinung und Fiktion

123

197. Mit dem Ansatz bestimmter Argumente zur Beurteilung findet eine (provisorische) Inversion der vorhergehenden Erkenntnisbemühung statt. Diese ging auf das Sein selbst im Bilde, und zwar als wahres Sein. Die Beurteilung hingegen prüft, ob das vorgebliche Bild des Seins selbst auch ein wahres Bild ist. Sie geht deshalb zunächst darauf aus, das Bild bloß als solches zu nehmen, um später von dieser Ausgangsposition aus seine Authentizität zu bestimmen. Dazu muß die Aussage des zu beurteilenden Wissensbildes zunächst in faktischer Supposition genommen werden, damit in Bezug auf diese die energische Geltungserhebung erfolge. Das Bild als Bild wird hinsichtlich seiner Leistungsfunktion thematisiert. 198. Wenn nun aber auch die in Wissensbildern sich manifestierenden Argumente als bloße Meinungen (prima dicta) genommen bzw. gebildet werden, so geschieht das im philosophischen Reflektieren doch niemals grundlos oder als ein bloßes Spiel, sondern immer im Dienste der Erkenntnisbemühung. Die herangezogenen Meinungen, selbst als Fiktionen, sollen als Mittel der Erkenntnis dienen. Meinungen werden dazu an- und aufgenommen, um mittels ihrer beurteilen zu können. 199. Es versteht sich, daß die Inversion, durch welche ein Argument als bloße Meinung genommen wird, im philosophischen Reflektieren stets vollbewußt und willentlich vollzogen wird. Der Argumentierende statuiert dies auch durch die Art der Aussage dieser Meinung. Er sagt: „Ich halte mir als Meinung vor" oder „ich fingiere". Damit stellt er fest, daß er eine Aussage ansetzt, von deren Geltungserhebung er sich distanziert. 200. Diese Vorstellung eines Arguments als Meinung darf nicht mit der historischen Feststellung verwechselt werden. Die Aussage

124

X X V I I . Die Beurteilung mittels Meinung und Fiktion

„Ich halte mir dies als Meinung vor" bzw. „ich fingiere dies" kann allerdings auch als historische Aussage verstanden werden. Sie sagt dann etwas darüber aus, was der Argumentierende tut; er hält sich eine Meinung vor, wie er sonst zweifelt oder behauptet. Es geht aber nicht um diesen historischen Befund, wenn ein Argument zur Meinung invertiert wird, sondern um den Modus, in dem das Argument samt seiner Geltungserhebung genommen wird: Die Geltung ist nicht energisch angesetzt, und das Argument stellt deshalb eine noch zu beurteilende Materie dar. Durch das bloß faktische Hinstellen wird das Argument zum terminus a quo einer erst zu vollziehenden Beurteilung. 201.

Man erkennt an dieser Stelle erneut die immense, nämlich wesenkonstituierende Rolle praktischer Faktoren im Argumentieren. Erst der energische Vollzug des Geltendmachens macht das Argument zum Argument. Erst durch den energischen Vollzug kommt es zur philosophischen Beurteilung: Wird keine Geltungserhebung suspendiert und zugleich damit nichts energisch in bezug darauf geltend gemacht, so kommt keine Beurteilung zustande. Umgekehrt führt erst die willkürliche Suspension der Geltung zur Inversion. 202. Erst die zur Beurteilung führende methodische Distanz zur Aussage in einem zur Meinung invertierten Argument, das damit als terminus a quo dienen kann, macht es auch möglich, daß das Argument zum Medium interpersonaler Erörterung wird. In der dialogischen Argumentation werden im Akte des jeweiligen Verstehens die übermittelten Argumente stets zunächst als Meinungen (prima dicta) vorgestellt, auf die sich der Vernehmende erst beurteilend beziehen will. Hierbei sind die Präsentation von Meinung und die Beurteilung an jeweils verschiedene Subjekte verteilt, wobei aber sowohl der Gebende als der Aufnehmende jeweils beide Funktionen des (Sich)Präsentierens und des (Be)-

X X V I I . Die Beurteilung mittels Meinung und Fiktion

125

Urteilens vollziehen muß. Der Vernehmende muß die ihm übermittelte Aussage erst als Meinung erstellen, bevor er in bezug auf sie urteilt. Derjenige, der seine Aussage dem Anderen mitteilt, muß dessen Beurteilung vernehmend zur Meinung invertieren, um sie seinerseits zu beurteilen und zu energischer Geltung kommen zu lassen. 203.

Der freie Ansatz von Meinungen, u.U. sogar durch freies Fingieren, ermöglicht es der philosophischen Reflexion, Wissensbilder erst einmal losgelöst von der unmittelbaren Bemühung um Seinserhellung anzusetzen. Der philosophisch Argumentierende kann sich auf diese Weise die sich in solchen Meinungen aussprechenden Aussagen erst einmal vergegenwärtigen, ohne sie sich ineins damit auch schon durch energische Geltungserhebung zu eigen zu machen. Auf diese Weise können in ihrer Geltungskraft suspendierte Aussagen konstruiert werden, mittels deren das selbständige Eintreten von Evidenz ermöglicht wird. Indem sich der philosophisch Reflektierende von dem ihm (anfänglich allein) möglichen Kontendieren zurückhält, kann er erwarten, ob sich in seinem Geiste Bewährung einstellt, durch die ihm eine Affirmation ermöglicht wird. 204.

Vorgestellte Meinungen erfüllen auf diese Weise eine analoge Funktion wie die Praeformationen. Der Unterschied ist, daß letztere unmittelbar mit ihrem Sichbilden ineins in eine Geltung überführt werden müssen, also nur als unselbständige Momente der Argumentbildung auftreten, während die vorgestellten Meinungen, eben weil sie schon eine (freilich wieder suspendierte) Geltungserhebung beinhalten, beliebig lang als solche belassen werden können, da das beurteilende Ingeltungsetzen nicht notwendig mit ihnen konnektiert ist.

X X V I I I . Ansatz von Elementen oder Momenten des Arguments als Hilfshandlung zur Bildung von Meinungen 205. So wie wir Fiktionen zu bilden vermögen, können wir auch die zu den zu bildenden Meinungen selbst notwendigen Elemente und Momente gedanklich abgesondert ansetzen bzw. einen derartigen Ansatz postulieren. Diese Elemente und Momente stellen Meinungen im Sinne unmittelbarer Gesichte (visa immediata) dar. Wie schon (in 53) erkannt, können solche Elemente und Momente niemals für sich allein, sondern immer nur in Argumenten vorkommen. Auch in der hier erwähnten gedanklichen Absonderung erscheinen sie nur in Argumenten, nämlich in sie hinstellenden Aussagen. So sagt man etwa: „Ich setze a an". Von solchen angesetzten Elementen und Momenten kann dann weiterhin frei konstruierend zur Bildung von Fiktionen fortgegangen bzw. zu einem solchen Fortgang aufgefordert werden. 206. Der Ansatz von Elementen und Momenten und deren Verbindung zu Fiktionen, sowie die Aufforderung zu solchem Ansatz und solcher Verbindung erfolgen im philosophischen Argumentieren immer nur zum Zwecke der Ermöglichung der Geltungserhebung in Argumenten. Sie sind also niemals Selbstzweck. Wäre das letztere, so würden nur wissenschaftlich irrelevante Spiele durchgeführt, deren Ergebnis irgendwelche Ansätze und Kombinationen ohne Erkenntnisrelevanz wäre. 207. Da auch Fiktionen und aufgenommene Meinungen immer Geltungsaussagen beinhalten, wenngleich diese für den Zweck

X X V I I I . Ansatz von Elementen oder Momenten

127

ihrer Beurteilung suspendiert sind, so können auch diese Meinungen nicht gebildet werden, ohne daß ineins damit auf Wahrheit und deren absolute Geltung wie auch auf Erkenntnis Bezug genommen würde. Außerdem müssen Meinungen als Meinungen genommen werden. Man kann also nicht Meinungen erstellen oder aufnehmen, ohne Wahrheit und Erkenntnis in Anspruch zu nehmen; ebensowenig, wie man „nur fragen" kann, kann man „nur fingieren" oder sich „nur Meinungen vorhalten". 208.

Daß Meinungen fingiert bzw. Elemente und Momente zu solchen Fiktionen angesetzt werden, kann gefordert werden. Diese Postulate sind im philosophischen Argument vollbewußt und willentlich angesetzt. Es werden mit solchen Forderungen nicht nur Ansätze derartiger Elemente und Momente postuliert, sondern auch bestimmte Verfahrensweisen des Geistes: Ansetzen und Verbinden; ferner Rekognoszieren, Schließen u.s.w. 209.

Im Verfahren der Aussagenbildung solcher Art müssen die postulierten Elemente, Momente und Verfahrensweisen reproduziert und rekognosziert werden. Das als Element angesetzte a und das als Moment angesetzte b müssen in der nachfolgenden Operation mit ihnen, als dasselbe wiedererkannt werden. Andernfalls könnte auch ein c, d u.s.w. für a bzw. b genommen werden (wobei selbst in diesem Falle eine, wenn auch irrige, Identifizierung stattfände). Auch axiomatisch angesetzte Verfahrensweisen müssen in den nachfolgenden Operationen als ebensolche rekognosziert, also c in der Regel, mit c in der Anwendung identifiziert werden. Auch muß c als Regel (und nicht als einmaliger Individualfall) angesetzt werden. 210.

Da Fiktionen nur gegen die ursprüngliche Ausgerichtetheit des Geistes auf Erfassung des Seins selbst formiert und als

128

X X V I I I . Ansatz von Elementen oder Momenten

wissensrelevante bloße Bilder genommen werden, so muß diese Inversion auf einer Absicht beruhen, die im philosophischen Argumentieren nur als vollbewußte und frei gefaßte vorhanden sein kann. Ein solcher freier Ansatz steht wie alles freie Wollen unter Zweck- und Wertansätzen, deren Natur darüber entscheidet, ob sie zu rechtfertigen sind oder nicht. Argumentative Bedeutung erhält er nur dann, wenn er im Dienste der das Argument konstituierenden Grundabsicht steht, Erkenntnis zu realisieren. 211. Wird gefragt, welches der spezifische Zweck des Ansatzes von Fiktionen und der dazu notwendigen Elemente und Momente sowie Verfahrensweisen ist, so kann man schon vorweg sagen, daß dieser Zweck ein argumentativer Zweck sein muß. Fiktionen müssen dazu dienen, Erkenntnis zu verwirklichen (vgl. 198). Nun hängt das Zustandekommen von Erkenntnis davon ab, daß Evidenz einzutreten vermag; die Evidenz setzt aber ganz bestimmte Weisen des Bildens von Sein voraus. In der ursprünglichen Ausrichtung wird das Bilden durch das Sein selbst bestimmt, auf dessen Bilden ausgegangen wird. Dabei ist das Bilden nicht völlig frei. Wird durch Inversion primär auf ein Bilden ausgegangen, um dieses erst sodann an das Sein zu bringen, so ist ein solches Bilden nicht durch das bereits bestimmende Sein gebunden. Auf diese Weise erlaubt das Fingieren gedankliche Experimente, die der Wahrheitsfindung dienlich sein können. Die Fiktionen ermöglichen es, gedankliche Alternativen zu erstellen. Dergestalt wird das Aggregat des problematisch zu Nehmenden bereichert. Die Fiktion formiert vielleicht gerade jenes Bild, das den Eintritt der Evidenz ermöglicht. Dadurch erweist sich das Fingieren als geeignetes Mittel der Wahrheitsfindung. Allerdings ist es argumentativ immer nur solange relevant, als es zu dem Zwecke erfolgt, die Fiktion auf das Sein selbst zu beziehen.

X X I X . Das Scheinargument 212. Die Möglichkeit von Fiktionen beruht auf der Fähigkeit des argumentierenden Geistes, willkürlich Elemente und Momente zu verbinden und Argumente zu bilden, noch bevor die Wahrheitsfrage zureichend gelöst ist. Dieselbe Fähigkeit ermöglicht es aber auch dem Geiste, vorstellungsmäßig Unverbindbares bloß zusammenzustellen und durch Hinzufügung der Geltungsaussage als ein Ganzes hinzustellen. Der Geist kann Scheinargumente bilden. 213. In jedem Argument muß das Argument als Argument, müssen seine Elemente und Momente als ebendiese genommen werden. Was immer an Meinung auftritt, ist als es selber genommen. Nun sind aber die aufgenommenen Elemente und Momente keineswegs gegen die Synthesis, in die sie gebracht werden sollen, indifferent. Sie lassen vielmehr nur ganz bestimmte Verbindungen zu. Werden sie aber gegen das, was sie ausschließen, angehend vereinigt, so erweist es sich, daß eine solche Vereinigung nur als Systasis möglich, als Synthesis aber unmöglich ist und gedanklich nicht vollzogen werden kann. Da die Verbindung willkürlich ist, können allerdings Elemente und Momente mit einer Geltungserhebung zusammengestellt werden, ohne daß sie aber eine Synthesis zu bilden vermöchten. Die Geltungserhebung kann nur an Synthesen vollzogen werden; hier aber ist sie nur mit separaten Elementen zusammengestellt. Mag das erstellte Gebilde sprachlich ununterscheidbar vom echten Argument auftreten, eine derartige Verbindung ist kein Argument, sondern nur das Produkt einer Inten-

130

X X I X . Das Scheinargument

tion, mittels der ins Spiel gebrachten Faktoren ein Argument zu erstellen, die sie nicht realisieren konnte.

214.

Im philosophischen Argumentieren tritt bei dem Versuch, eine Synthesis in Geltung zu setzen, die die Elemente und Momente nicht erlauben, die Unmöglichkeit hervor, ihm zu entsprechen, und diese Unmöglichkeit wird auch als solche erkannt. Wird dennoch mit solchen Systasen operiert, so weiß der Argumentierende, daß er gar nicht argumentiert bzw. es mit keinem Argument zu tun hat. Werden aber in der philosophischen Argumentation primäre, vorphilosophische Verbindungen zunächst als Meinungen (prima dicta) aufgenommen, um als solche noch eigens beurteilt zu werden, so können Scheinargumente unbesehen für Argumente angenommen werden. Das in seiner Geltung suspendierte Gebilde wird zum Zwecke der Beurteilung vorgestellt. Da die Geltungserhebung hierbei noch nicht energisch vollzogen ist, wird sie mit Aufnahme der primären Verbindung nur faktisch als vorliegend angenommen. Erst bei dem Versuch, die aufgenommene Geltungserhebung nun auch an der Grundlage zu vollziehen, stellt sich heraus, daß dies unmöglich ist und daß die aufgenommene Verbindung nur eine Systasis darstellt. Nehmen wir zum Beispiel an, jemand argumentiere gegen uns „Die Behauptung nimmt keinen Bezug auf Wahrheit", so bietet er uns eine „Synthese" an, mit der eine Geltungserhebung vereint ist. Als Diskussionspartner müssen wir diese Mitteilung zunächst verstehen, was uns nur gelingt, wenn wir die Elemente und Momente in einer geltensollenden Synthesis vereinigen können. Nun läßt sich aber „die Behauptung" mit „Bezuglosigkeit auf Wahrheit" gar nicht gedanklich zu einer Synthesis verbinden, folglich auch keine derartige Geltung erheben. Die Geltung ist also hier den Elementen nur zugestellt (Systasis!), nicht mit ihnen synthetisch verknüpft.

X X I X . Das Scheinargument

131

215. Die Elemente und Momente einer solchen Verbindung, die ein bloßes Aggregat ist, stellen ihrerseits immer Meinungen (visa immediata) dar, die als solche genommen, d. i. in Identitätsbehauptungen angesetzt sind. Aber diese Identitätsbehauptungen sind nicht mit der Aussage zu verwechseln, welche das Aggregat darstellen soll. Es erweist sich vielmehr, daß die Elemente kraft ihrer bestimmten Eigenart in die intendierte Verbindung nicht so eingehen können, daß sie eine Aussage bildeten.

216.

Das Fingieren, inwiefern es ein Bilden von Scheinargumenten ist, kann bis zu der äußersten Grenze gehen, die ihm die Bedingungen des Zusammenstellens als solchen ziehen. Was nicht einmal mehr eine Zusammenstellung von Elementen, Momenten und Geltungserhebung ist, kann sich auch nicht einmal als Scheinargument präsentieren. 217. Da das Fingieren ein Akt der Freiheit ist, das freie Wollen aber durch Wertentscheidungen bestimmt ist, kann das Fingieren auch durch die Entscheidung, die Unwahrheit zu sagen, bestimmt sein. Dann wird die willkürliche Bildung in den Dienst der Lüge gestellt. Das kann in der Weise geschehen, daß Scheinargumente gebildet, aber als Argumente hingestellt werden. Die Prädizierung eines Figments als Argument stellt hierbei selbst eine Scheinverbindung dar. Ein jede Synthesis ausschließendes Aggregat von Bildelementen und Geltungserhebung kann gar nicht legitim als Argument bestimmt werden.

218.

Daß die zum Ansatz kommenden Elemente und Momente keine Synthesis zulassen, kommt daher, daß sie virtuell schon

132

X X I X . Das Scheinargument

bestimmte Möglichkeiten zu Synthesen enthalten. Sobald über die Intention der Synthesis jener Elemente und Momente zu ihrer Verwirklichung hinausgegangen wird, wirken sich diese Virtualitäten aus. Es tritt dann heraus, was schon immer in den Elementen und Momenten beschlossen lag. Freilich bleibt der Bereich möglicher Synthesen ein größerer als der Bereich dessen, was als wahr be wähn werden kann. Aber dies letztere muß immer im Bereich möglicher Synthesen und kann niemals im Bereich bloßer Aggregate liegen. 219.

Sobald das, was bloß als Meinung aufgenommen worden ist, zur Beurteilung gelangt, erweist es sich, ob es eine Aussage, und sei diese auch nur eine Fiktion, oder ein Scheinargument ist. Die energische Geltungserhebung kann nur an Synthesen erfolgen. Tritt bei überlegtem Vereinigen der Elemente und Momente die positive Möglichkeit ihrer Verbindung zu Synthesen hervor, so kann die Geltungserhebung an der Verbindung vollzogen werden. Selbstverständlich muß der Argumentierende dabei die Elemente und Momente als solche geistig selbst realisieren und nicht nur mit ihren Zeichen operieren. Gelingen Argumente, so bleibt natürlich immer noch zu entscheiden, ob sie seinsgerecht sind oder nicht.

X X X . Die Möglichkeit universellen Bezweifeins 220. Die Fähigkeit, zu beurteilen und zu bezweifeln, gibt dem Geiste mittelbar eine Freiheit, die er unmittelbar nicht hat und auch gar nicht haben kann, weil sie als unmittelbare das geistige Sein unmöglich machen würde. Das bestimmte Argument erwies sich zwar nicht als mit einfacher Notwendigkeit gegeben; vielmehr ist es in die Freiheit gestellt, in welcher Weise das Argument sich realisiert. Doch im Realisieren wird das Argument unmittelbar vom Sichpraeformieren zur Performation fortgerissen, und es kann sich diesem Ubergang nicht entziehen. Die Freiheit muß sich angesichts der sich ihr stellenden Aufgabe vollziehen (wenn es ihr auch freigestellt bleibt, als welche Aussage sie sich realisiert). Doch der Spielraum, der der Realisation freibleibt und dem die Spannweite zwischen Prae- und Performation entspricht, entdeckt dem Geiste zugleich die Differenz zwischen Grundsynthesis und Geltungserhebung, deren relative Selbständigkeit gegeneinander und die Möglichkeit verschiedenartiger Kombinationen. Im Beurteilen und Bezweifeln wird die Freiheit, die im ersten Aussagevollzug nur momentweise aufspringt und aufleuchtet, um sogleich in die Notwendigkeit des Performierens hineingerissen zu werden, perennierend. Die zwar im ersten Aussagen schon vollzogene Geltungserhebung wird im Bewußtsein der Freiheit, sie auch anders ansetzen zu können, wieder suspendiert, und es wird an einen erneuten Vollzug derselben verwiesen. Durch dieses Verfahren wird ein universelles Bezweifeln ermöglicht. Dieses darf freilich nicht mit der Möglichkeit eines universellen Zweifeins verwechselt werden. Der universelle Beurteilungszweifel muß sich nämlich immer auf einen primären

134

X X X . Die Möglichkeit universellen Bezweifeins

argumentativen Vollzug zurückbeziehen. In diesem ersten Aussagevollzug sind jedoch, wie wir schon wissen, stets Behauptungen beschlossen. Jene Aussagen können nicht ausschließlich nur aus Problematischem bestehen. Alle Bezweiflung, folglich auch die universelle, bleibt an primäre Behauptungen rückgebunden', sie ist nur dadurch möglich, daß diese Behauptungen schon vollzogen sind. Könnte die Bezweiflung die primäre Behauptung schlechthin aufheben, so verschwände das Argument als solches. So setzt auch die Bezweiflung jenes Minimum an Erkenntnissen (im primären Behaupten) voraus, ohne das kein Argument existieren kann. Ein alles Behaupten ausschließendes Bezweifeln ist unmöglich. Aber das primär Behauptete — und das ist die andere Seite — kann eben bezweifelt werden. Sekundär und mittelbar trifft dann der Zweifel im Bezweifeln alles Behauptete. Darin liegt die weitreichende Macht des Bezweifeins. Was dem Zweifel gar nicht möglich war, da er sich nur mittels bestimmter unerschütterlicher Behauptungen konstituieren konnte, das ist dem Bezweifeln möglich — nämlich die Erschütterung aller primären Behauptung. Das Bezweifeln betrifft die gesamte Primärkonstitution. 221.

Es kann dagegen mit Recht auf den Umstand hingewiesen werden, daß sich auch das Bezweifeln selbst primär konstituiert und insofern das schon aufgewiesene Minimum an Behauptungen in sich als Bezweifeln fraglos einschließt. Das ist selbst dann der Fall, wenn das Bezweifeln sich selbst einfachhin thematisch macht und sich auf sich selbst richtet. Das transzendentale Bezweifeln des (objektivierten) Bezweifeins muß in sich immer auch ein naives Behaupten sein. 222. Treten jedoch das Bezweifeln und das Bezweifelte in der Weise auf, daß der bezweifelnde Geist nicht mit dem Geiste identisch ist, dessen Aussage er bezweifelt, so muß zwar ein Minimum wahrhaft geltender Behauptungen im Bezweifeln ange-

X X X . Die Möglichkeit universellen Bezweifeins

135

nommen werden, nicht aber im Bezweifelten. Grade das Argument als solches wird ja im Bezweifelten bezweifelt, wenn der beurteilende Zweifel radikal ist. Das heißt, es wird infragegestellt, ob das Bezweifelte überhaupt Argument ist. 223. Umgekehrt behauptet die positive Beurteilung (Billigung) nicht nur sich und die in ihr beschlossenen Behauptungen, sondern zugleich auch die beurteilte Behauptung; sie bestätigt. 224. Im Interpersonalverkehr eröffnet diese mögliche Verschiedenheit von beurteilender bzw. bezweifelnder und beurteilter bzw. bezweifelter Vernunft extreme Möglichkeiten vernünftigen Seins, die bei Identität der primär aussagenden und sekundär bezweifelnden bzw. beurteilenden Vernunft nicht gegeben sind. Beurteilung und Bezweiflung reichen viel weiter als die einfache Aussage über sich selbst. Auch kann im Beurteilen im Suspens belassen werden, was die primäre Aussage jedenfalls nicht ungelöst dastehen lassen kann — und das Beurteilen ist ja in dem hier anvisierten Falle existentiell von der primären Aussage verschieden.

X X X I . Die grundlegende Situation des Arguments 225.

Die gesamte Bewegung des Geistes vom unmittelbaren Bewußtsein von Meinungen (der visa immediata) über das Sichpraeformieren von Wissensbildern und von dort über den Prozeß der Rückwendung des Wissensbildes auf sich selbst bis zum zur Wahrheitsfrage aussagenden Argument (in der Performation) entdeckt uns einen grundlegenden Tatbestand: der Geist ist nicht einfacbhin sein Wissen; er ist nicht einmal einfachhin Bewußtsein seiner unmittelbaren Gesichte, weil diese nur im Wissen thematisiert in ihm vorkommen können, sondern er ist ein bestimmtes Wissen nur auf Grund von und im Vollzug einer freien Entscheidung. Schlösse sich — per impossibile dictum — der Geist bereits im Praeformieren als Gesamtformation ab, so gäbe es keinen Zweifel an der Wahrheit des Bildes des Seins. Das gebildete Sein wäre ohne jede Problematik, damit aber eben auch überhaupt nicht mehr Sein im Sinne des Arguments, nämlich wahres Sein. Eine Beziehung wie die zuletzt skizzierte zwischen Bild und Sein ist dem Geiste jedoch wesensgemäß unmöglich, weil das Bild allein schon durch sein Wesen vom Sein abgehoben und deshalb etwas das Sein möglicherweise nicht Erhellendes ist. Der Geist kann nur bilden, indem er Wissen erstellt, das seinerseits nur im Bewußtsein der Möglichkeit von Wahrheit und Irrtum ist, was es ist. Wir sind nicht einfachhin unser Wissen, denn schon das Wissensbild ist wesensgemäß von sich abgehoben, sondern wir sind unser Wissen nur in einem Performieren, das sich nicht ohne diesbezügliche Entscheidung unsererseits vollzieht. Obwohl der Geist seinem Wesen nach nur im Bilden transphänomenalen Seins existiert, kann er sich doch nur zum Wissen formieren, indem er, aus der vorargumentativen Problematik im Sichpraeformieren noch unentschieden hervorgehend, in Freiheit

X X X I . Die grundlegende Situation des Arguments

137

zur entschiedenen Performation übergeht. Der Geist ist in seiner Preformation prinzipiell nicht sicher. Diese Preformation ist nie in sich abgeschlossen und vollendet, sondern etwas, das der Geist erst stellungnehmend bestimmen muß. Die Preformation ist ganz und gar auf ihre Überführung und den Ubergang in die freibestimmte Performation hin angelegt: Wir existieren niemals nur praeformierend, sondern immer nur in freien Stellungnahmen und Bestimmungen des Performierens mit Bezug auf das erstansetzende Bilden. Daher die Spannung zwischen der Spontaneität im ersten Bilden und der Freiheit im Argumentieren. Das Argumentieren vollzieht sich vor der Alternative von Wahrheit und Unwahrheit als dem freien Geiste gleichermaßen möglichen Realisierungen. Eine solche Alternative ist dem Geist deshalb grundsätzlich eröffnet, weil ihm Freiheit in Bezug auf die aus der Wahrheit als Wert hervorgehende Forderung der Annahme und Verwirklichung dieses Wertes gegeben ist. Eben weil es dem Geiste seinem Wesen nach um Wahrheit geht und weil er von der Wahrheit her unter die Forderung ihrer Verwirklichung gestellt ist, ist er seiner Natur nach nicht durch determiniert, sondern nur vor eine Aufgabe gestellt, die, weil sie Aufgabe und nicht schlichte Gegebenheit ist, nur in einem und für ein zur Lösung schreitendes Aufgreifen da ist. Erst im Vollzug der freigestellten Entscheidung und Lösung der gestellten Aufgabe wird der Geist zur bestimmten Argumentation. Der freie Geist ist das und nur das, wozu er sich argumentierend macht. Alles nur Bewußte und selbst alles im ersten Praeformieren sich Bildende dient nur dieser freien Selbstbestimmung. Die Reihe der Argumente, die wir selber sind, sind wir — abgesehen von dem wesensnotwendigen Minimum an Voraussetzungen — nur auf Grund unseres eigenen Freiheitsentschlusses. Niemand kann sich für seine philosophischen Argumente auf eine faktische Determiniertheit herausreden9. Das transphänomenale Sein bildet sich in 9

U m Mißverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle angemerkt, daß mit dem Gesagten die interpersonale und geschichtliche Konstellierung der Freiheit natürlich nicht geleugnet wird. Es geht nur darum, daß diese mitbedingenden Momente sich in der freien Setzung niemals einfach determinierend auswirken können.

138

X X X I . Die grundlegende Situation des Arguments

unseren Argumenten nicht von selbst. Die Gebundenheit seiner ursprünglichen Tendenz an Wahrheit fesselt das Argumentieren nicht in dem, was es statuiert. Und obwohl die Preformation die Performation erzwingt, wird doch nur durch einen freien Akt performiert. Unsere gesamte Existenz ist eine Existenz der Entscheidung für oder gegen Wahrheit. 226. Im vorhergehenden wurde nachgewiesen, daß die unmittelbaren Elemente in ihrer Grundsynthesis und die Geltungserhebung, mittels deren wir ein Argument bilden, notwendig das sein müssen, als was sie gesehen werden, wenn das Argument wahrhaft ein Argument sein soll. Wir müssen demzufolge im unmittelbaren Sehen von Bildelementen und -momenten diese als das sehen, was sie in Wahrheit sind, d. i. wir müssen sie erkennen, wenn das Argument wahrhaft Argument sein soll. Auch das Argument als Ganzes und die bestimmte Weise desselben (Problem, behauptende Aussage, Intention, Meinung u.s.w.) müssen unter dieser Bedingung als solche gesehen, d. i. als das erkannt werden, was sie sind. Schon als Kontention muß die Aussage wahrhaft Kontention sein. Wir müssen wissen — im strengen Sinne des Terminus wissen —, wenn wir wollen, sollen wir überhaupt wirklich wollen und nicht nur zu. wollen wähnen, zu wähnen wähnen u.s.w. in infinitum, also tatsächlich nicht wollen. Wenn wir etwas behaupten, sei dies unmittelbar in der Assertion oder implizit im Zweifel, so sprechen wir ihm Wahrheit zu. Dies können wir nur, weil wir die Konzepte von Wahrheit, Erkenntnis, Applikabilität und Bewährung sowie von Bild und Sein als solchen haben. Wir beziehen das im Argumente Behauptete auf diese Ideen als wahre und bewähren es an ihnen. Um zurecht etwas transimaginativ Seiendes zu behaupten, müssen wir mit Hilfe der Wesensbilder von Bild und Sein die Authentizität eines Seinsbildes erkennen, d. h. wir müssen eine sich als solche ausweisende Nichtdifferenz von gebildetem Sein und Sein selbst evidieren.

X X X I . Die grundlegende Situation des Arguments

139

Daß wir alle diese Voraussetzungen mit Notwendigkeit erfüllen müssen, wenn wir wirklich etwas als wahr behaupten sollen, daran kann nach allem Dargelegten nicht gerüttelt werden. Aber es bleibt noch die Frage aufzuwerfen und zu beantworten, ob diese Voraussetzungen denn auch wahrhaft gegeben sind oder ob sie von uns durch den Akt des Argumentierens bloß beanspruchend als wahrhaft gegeben eingeführt werden. 227.

Der Umstand, daß wir, nach dem, wie es sich uns darstellt, in allem Behaupten und Argumentieren diese Voraussetzungen als erfüllt ansetzen, impliziert zwar, daß sie auch immer und überall gemacht werden, wo argumentiert wird, so daß man demjenigen, der dies leugnen wollte, stets nachweisen kann, daß er eben dies selbst positiv annimmt. Damit ist aber nur die Notwendigkeit dieser Annahme gezeigt, dort nämlich, wo wir überhaupt vorgeben, etwas zu erkennen; keineswegs ist damit auch schon erwiesen, daß effektiv solche Erkenntnis statthat.

XXXII. Metaphysische Bezweiflung 228.

Im Anschluß an Descartes (III. Meditation: raison de douter metaphysique) sei der sich in dieser Überlegung anmeldende Zweifel an der Erkenntnisdignität der als Erkenntnisse vorausgesetzten Einsichten, und damit an der Effektivität des Erkennens im Vollzug des Argumentes, der metaphysische Zweifel, oder, terminologisch richtiger: das metaphysische Bezweifeln, genannt. 229. Es hat sich (§§ 84 f.) gezeigt, daß der Geist in der das Argumentieren ursprünglich ermöglichenden und tragenden Intention, Seinswissen zu erlangen, auf Wahrheit ausgerichtet ist. Da jedoch die Voraussetzung der Wahrheit bestimmter Annahmen, auch wenn sie mit Notwendigkeit erfolgt, durch diese ihre Notwendigkeit noch keine Wahrheit verbürgt, so unterliegen diese als gesichert vorausgesetzten, jedes wahre Urteil erst ermöglichenden Einsichten (vom Wesen der Wahrheit, von der Bewährung, von der Erkenntnis usw. usw.) selbst einer metaphysischen Bezweiflung. Wir begnügen uns, wenn wir Wahrheit in der Erkenntnis realisieren wollen, keineswegs mit der Tatsache, daß wir die Authentizität jenes Minimums von Erkenntnissen, das wir als erforderlich herausgestellt haben, um überhaupt argumentieren zu können, notwendig annehmen müssen; wir wollen vielmehr energisch erkennen, daß diese Authentizität wahrhaft statthat und wir unsere Annahmen zurecht gemacht haben. 230. Eine solche energisch erkannte Authentizität muß auch für die unmittelbaren Meinungen (visa immediata) als solche gegeben

XXXII. Metaphysische Bezweiflung

141

sein. Nähmen wir nicht zurecht an, daß das, was wir unmittelbar meinen, auch wahrhaft das ist, als was wir es meinen, so könnten wir garnichts wissen und erkennen. Wir wären dann nicht mehr Wir, die Elemente nicht die Elemente, die Synthesis nicht die Synthesis, die Geltung nicht Geltung; ja, deren Nicht-es-selbstsein wäre nicht deren Nicht-es-selbst-sein. Wiederum ist mit dieser Überlegung zunächst nur die Notwendigkeit des tatsächlichen Voraussetzens dieser Authentizität konstatiert, keineswegs der Rechtsnachweis für die Annahme der Meinungen als solcher erbracht. Der Aufweis der Rechtsgültigkeit dieser Voraussetzung von Authentizität steht in allen diesen Fällen aus. Diese Voraussetzung bleibt soweit nur von der — freilich mit dem Argumentieren notwendig erfolgenden — Annahme getragen, daß das notwendig Anzunehmende auch in Wahrheit gegeben sei. 231.

Ja, selbst das metaphysische Bezweifeln artikuliert sich selbst in unmittelbaren Meinungen, Voraussetzungen und Folgerungen aus einem präsumtiv Wahrheit entdeckenden notwendigen Denken. Es könnte also selber nicht statthaben, wenn jene Annahmen nicht wahr wären. Aber eben alle diese Annahmen erweisen sich als ungesichert. Es steht also noch aus, daß erst energisch erkannt werde, daß hier überhaupt auf Grund dieser oder jener argumentativen Gegebenheiten ein metaphysisches Bezweifeln erfolgt. Der metaphysische Zweifel setzt selber nur tatsächlich voraus, was ihn als solchen ermöglicht, kann sich also nicht einmal selbst rechtskräftig sichern.

X X X I I I . Provisorische Gültigkeit 232.

Alle Behauptungen über das Argument, seine Elemente und seine Bedingungen, die wir in dieser Abhandlung gemacht haben, können sich letztendlich nur auf die Bewährung der sich im Argumentieren als notwendig erweisenden Voraussetzung der Wahrheit gewisser Annahmen gründen. Die Ausführungen unserer Theorie des philosophischen Arguments sind somit durch den metaphysischen Zweifel selbst infragegestellt. Sie bedürfen noch erst der Legitimation. Wir können von alledem, was sich bisher als unmittelbar phänomenal gewiß dargestellt und als notwendig zu denkende Bedingung erwiesen hat, noch nichts als in Wahrheit bewährt gelten lassen. Alles bisher als wahr Angenommene kann, da ihm seine Geltung nicht legitimerweise zugestellt ist, nur als provisorisch gültig zugelassen werden, und das solange, bis es sich in seinem Geltungsanspruch vor dem metaphysischen Bezweifeln und dem in letzterem indirekt wirksamen Anspruch der Wahrheit als definitiv gültig erweisen wird. Wir operieren dabei mit dem provisorisch Gültigen in der Hoffnung, mittels seiner zu einem definitiv Gültigen zu gelangen, das jenes Provisorium zugunsten einer reinen Affirmation auf- und ablösen wird. 233.

In den letzten Überlegungen hat sich gezeigt, daß die bloße Faktizität der Annahme von Authentizität, selbst insofern sie sich als für alles Argumentieren notwendige Faktizität erwiesen hat, nach Maßgabe der sich im metaphysischen Bezweifeln bekundenden Idee von Wahrheit nichts zu bewähren vermag. D. h. wir

143

X X X I I I . Provisorische Gültigkeit

erkennen im Lichte dieser Idee auch der faktischen Notwendigkeit dieser Annahme keine Legitimationskraft zu. Wir verlangen vielmehr erst einen energischen Evidenzvollzug aus etwas anderem als Faktizität und Notwendigkeit. Dabei bestimmt uns eine Idee von Wahrheit und Bewährung, die über die phänomenale Unmittelbarkeit und Denknotwendigkeit hinauszielt. 234. Das metaphysische Bezweifeln erweist sich dadurch, daß es mit einer Idee von Wahrheit und Bewährung operiert, die über die Idee faktischer Denknotwendigkeit noch hinausliegt, als

selbst von der Idee einer solchen

transzendentalen

Wahrheit

ermöglicht und delegiert. Es ist nur mittels des Anspruchs dieser Idee von Wahrheit und durch ihn wirksam, und nicht bloße Problematizität. Ob diese Delegation eine legitime und für uns legitimierbare ist, muß sich erst noch in dem geforderten energischen Evidenzvollzug erweisen.

235. Es wurde früher (in 180) dargetan, daß dem philosophischen Argumente betreffs seiner Aussage über das Sein seihst des Bildes (esse ipsum imaginis) keine Freiheit gelassen ist, dieses Bildsein so oder anders anzusetzen, weil das Bild und dessen Sein in einem geistigen Handeln erstellt wird, das nur statthat, wenn der Geist

eindeutig ist. Die phänomenale

Unmittelbarkeit

des Bildes selbst

wird auch immer als ontische Unmittelbarkeit genommen. (154) Wird — was möglich ist — diese phänomenale und ineins ontische Unmittelbarkeit in einem erneut sich darauf beziehenden Bilde infragegestellt, so doch immer nur so, daß das infragestellende Bild seinerseits als phänomenal und ineins damit ontisch unmittelbar angesetzt wird. (155) Dadurch ergab sich ein Widerspruch in diesem Infragestellen, der seine Möglichkeit im Bereich eines nur mit faktischer und apodiktischer Einsicht operierenden Erkennens vernichtete.

144

X X X I I I . Provisorische Gültigkeit

Es ist von großem Wert, einzusehen, wie es zu dieser Synthesis von phänomenaler und ontischer Unmittelbarkeit im Sein des Bildes kommt. Es ist Bedingung des Seins des Arguments sine qua non, daß ein Wmewsbild gebildet wird, d. i. ein Bild eines Seins selbst. Dieses Bild wird dabei stets als Bild angesetzt, und das ist: als Bild seiner selbst. Bild seiner selbst ist das Bild aber nur, wenn sehendes und gesehenes Bild identisch dasselbe Bild sind. Dieses Bild mit seiner Bildidentität (in sehendem und gesehenem Bilde) wird phänomenal und ontisch unmittelbar angesetzt. Der Wesenscharakter des Bildes nötigt sowohl zur Entfaltung desselben in Sehendes und Gesehenes wie auch zum Ansatz der beidem zugrundeliegenden Identität. Das zugrunde liegende spezifische visum immediatum erzwingt jene Setzungen. Das phänomenal Unmittelbare läßt in diesem Falle nur Eine Weise der Synthesis zu. Die hierbei vorwaltende Notwendigkeit wird nicht als faktisch je und je immer wieder sich erweisende erfahren, sondern als eine das Wesen des Bildes von sich begleitende eingesehen. Faktizität der Meinung (visum immediatum) und Notwendigkeit des Denkens sind dabei ineinander verschränkt. Zu der es allererst konstituierenden Grundwesenheit des Bildes von sich (in seiner phänomenalen und ineins damit ontischen Unmittelbarkeit) in ihrer notwendigen Identität mit sich selbst fügt sich die notwendige inhaltliche Bestimmtheit aller der Konsequenzen, die wir im Vorhergehenden verfolgt haben. Wir sehen also hier eine sich aus der Identität mit sich ergebende Notwendigkeit des Esselbstseins des Wissensbildes ineins mit einer sich daraus ergebenden Notwendigkeit von Folgen. 236. Dennoch ist mit dem in seiner Verschränkung von Faktizität und Notwendigkeit, phänomenaler und ontischer Unmittelbarkeit eingesehenen Sein des Bildes (in seinem Gebildetsein in sich) noch nicht die Authentizität dieses Seins erkannt. Das Bild weiß sich im Bilde von sich unmittelbar als solches. Aber ist es in Wahrheit auch, als was es sich im Setzen seiner selbst unaufheb-

X X X I I I . Provisorische Gültigkeit

145

bar weiß? Könnte es nicht durch einen unüberwindlichen Hiatus von seinem wahren Sein, also von sich selber getrennt sein? Wendet man gegen diese metaphysische Infragestellung ein, sie erfolge selbst (wie in 231 gezeigt) in einem Bilden, setzte also schon wieder die Wahrheit des Bildes, das das Bild als solches von sich hat, in eben diesem Bezweifeln voraus, so ist dies zuzugeben, aber als ein neuerlicher Verweis auf Faktizität in ihrer Verschränktheit mit Notwendigkeit wegen der Ineffizienz dieser Art von Sicht als für die Wahrheitsbewährung nicht befriedigend abzuweisen, resp. nur provisorisch zuzulassen. 237. Es ergibt sich aus dieser Sachlage zugleich, daß sich das metaphysische Bezweifeln primär gar nicht auf das Sein, das im Argumente behauptet wird, bezieht, sondern auf die Bewährung desselben. Der Aufweis der wesensnotwendigen Seinsunmittelbarkeit im Bild des Bildes von sich kann diesen Zweifel deshalb nicht beheben; denn der Zweifel geht auf deren Bewährtheit. Das effektiv Bewährende muß nicht bloß das Sein (des Bildes) selbst, es muß auch — und zuvor — sein eigenes Bewährendsein bewähren. 238. Es wurden schon im Vorhergehenden bestimmte formale Merkmale herausgestellt, die dem sich Bewährenden zukommen. Das gebildete Sein darf (nach 121) vom Sein selbst, das es bildet, nicht different sein, soll das Wissensbild ein Erkenntnisbild sein. Diese Nichtdifferenz des gebildeten Seins vom Sein selbst muß (nach 122 u. 123) als solche eingesehen und, um eingesehen werden zu können, licht sein. Licht kann sie nur sein, wenn sie sich in diesem Eingesehenwerden in ihrer Authentizität kon- und affirmiert (nach 124—126). Es fragt sich eben, wodurch eine solche Selbstlegitimation eintritt. Die aufgezeigten Merkmale verweisen als formale Merkmale auf ein über sie hinaus liegendes Moment, durch das sie erfüllt werden. Solange dieses eigentlich erfüllende Moment nicht ein-

146

X X X I I I . Provisorische Gültigkeit

tritt, bleibt alles Behauptete nur provisorisch gültig. Wir haben mit Hilfe faktischer und apodiktischer ,Evidenz' Bedingungen des philosophischen Arguments aufgezeigt, aber wir haben nicht erkannt, ob diese Bedingungen auch wahrhaft anzusetzende sind.

X X X I V . Die faktisch begründete Denknotwendigkeit als zur Begründung von Evidenz unzureichende 239. Die Denknotwendigkeit scheint eine zureichende Begründung der Evidenz zu sein. Aber sie ist es nicht. Sie scheint es zu sein, weil ineins mit ihr die faktische Unmöglichkeit, das Gegenteil zu denken, gegeben ist, so daß als allein mögliches Denken das Denken des Denknotwendigen übrigbleibt; und da es sich hier um dasjenige Denken handelt, durch das das Argument als solches ist, so scheint nur das Denken des Arguments als möglich übrigzubleiben. Wo immer argumentiert wird, muß das für das Sein des Arguments Notwendige angesetzt sein; es kann aber gar nicht anders als nur auf Eine Weise gesetzt sein, weil die andere Weise denkunmöglich, also gar nicht möglich ist.

240. Aber mit der Alternative eines anderen Denkens des Arguments und seiner Voraussetzungen ist nur dieses andere Denken, nicht aber das Nichtsein des Denkens überhaupt ausgeschlossen. Es bleibt die Möglichkeit, daß gar nicht argumentiert und somit gar nicht gedacht wird. Das Argumentieren kann überhaupt gar nicht erfolgen. Zwar wird diese Möglichkeit, daß nämlich überhaupt nicht argumentiert wird, ihrerseits hier wieder in einem Argumente angesetzt (und insofern wird im Widerspruch zum einfachhin Behaupteten in dem Behaupten desselben doch argumentiert); aber dieses höhere Argument wie das Argument überhaupt muß ja nicht (in Wahrheit) vollzogen sein. Soweit wir hier sehen, erweist sich kein Argument als unbedingt notwendig,

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X X X I V . Die unzureichende faktische Denknotwendigkeit

vielmehr nur als bedingt oder faktisch notwendig. Man wird einwenden: aber ein solches überhaupt nicht Argumentieren können wir uns nicht denken, eben weil in einem solchen Denken schon wieder gedacht und argumentiert wird. Allerdings wird das absolute Nichts auch nicht gedacht. Wir können uns einem solchen schlechthinnigen Nichtdenken, dem Nichts, aber durch eine bestimmte Operation, durch die ein Grenzbegriff erzeugt wird, annähern. Unter einem Grenzbegriff wird hier ein Vorzustellendes verstanden, dem wir uns in der Vorstellung nur annähern können. Das Nichtargumentieren wird gedacht durch Negation des Argumentierens. In dieser Negation ist gedanklich das Argumentieren, das negiert wird, als dasjenige, in Bezug auf welches die Negation sich vollzieht und dessen sie zu diesem Zwecke bedarf, vorausgesetzt. Versucht man sich vorzustellen, daß die Negation ohne Bedürfnis eines zu Negierenden und ohne Beziehung auf es sei, daß sie also nicht Negation, sondern Nichts sei, so nähert man sich der hier im Grenzbegriff gemeinten gänzlichen Nichtargumentation. Im Ansatz dieses Grenzbegriffes wird dieser seinerseits in einem Argumente angesetzt („Es gibt eine Nichtargumentation"). Versucht man nun zu denken, diese höhere (die gänzliche Nichtargumentation ansetzende) Argumentation sei ihrerseits nicht, dennoch aber sei die gänzliche Nichtargumentation (als Nichts), so nähert man sich der gänzlichen Nichtargumentation. Zweifellos erfolgt dieser neue Ansatz wiederum in einer noch höheren Argumentation. Der Versuch führt also in einen unendlichen Regreß, bei dem sich auf jeder neuen Stufe wieder herausstellt, daß doch argumentiert wird. Logisch gesehen begehen wir mit der Annahme völliger Nichtargumentation einen Widerspruch. Aber dabei ist die Gültigkeit der Aussage, daß argumentiert wird, schon vorausgesetzt. Stellt man aber die Frage so, daß man fragt, ob in unserem putativen Argumentieren wahre Gültigkeit gegeben sein müsse, so sieht man, daß dies nicht der Fall zu sein braucht. Ohne wahre Gültigkeit fallen aber die Aussagen über das Wesen des Arguments und dessen notwendige Implikationen dahin.

X X X I V . Die unzureichende faktische Denknotwendigkeit

149

241. Die Möglichkeit, das Gegenteil dessen, was notwendig gedacht werden muß, in einer Scheinbehauptung zu formulieren, könnte an dieser Stelle irreleiten. Es wurde aber bereits dargelegt (212/213), daß Scheinbehauptungen garkeine Behauptungen, sondern bloße Systasen von Elementen und Momenten sind, die sich nicht zur Einheit eines Arguments vereinigen lassen. Der Aufforderung zu einer Bildung, die angeblich ein Argument sein soll, in Wahrheit aber eine Scheinbehauptung darstellt, läßt sich nicht nachkommen, denn sie verlangt, was unmöglich ist. 242. Im vorphilosophischen Bereich würde der im philosophischen Bereich angesetzten völligen Nichtargumentation ein völliges Nichtsein entsprechen, ein Nicht-sich-Identifizieren mit irgendetwas. 243. Durch die Nichtnotwendigkeit des Gegebenseins von Gültigkeit (240) wird nicht nur der grundfaktische Ansatz des Arguments infragegestellt; es werden auch alle Implikate desselben suspendiert. Das Argument wird dadurch bis in seine letzte, es tragende Voraussetzung, daß nämlich Wahrheit evident sei, vernichtet. 244. Die bedingte Notwendigkeit des Komplexes des am Argumente Denknotwendigen beruht als Notwendigkeit in sich auf zwei verschiedenen Faktoren. Mit dem bloßen Ansatz von Etwas als Etwas treten die logischen Prinzipien der Identität und (eventuell) des Ausschlusses des Widersprechenden in Funktion. Hier besagt die Denknotwendigkeit nur die Identität mit sich selbst und (eventuell) die Nichtidentität mit dem Verschiedenen.

150

XXXIV. Die unzureichende faktische Denknotwendigkeit

Darüber hinaus tritt aber mit dem Ansatz von Etwas als einem bestimmten Etwas noch eine andere Notwendigkeit in Funktion, nämlich die Notwendigkeit, alles das als gegeben und geltend zu denken, was durch das grundlegend material Angesetzte in jenem bestimmten Etwas mitgedacht werden muß (d. i. die inhaltlichen Folgen). Das zugrundeliegende Etwas ist in diesem Ansatz jedoch immer nur faktisch angesetzt. 245. Es ist dabei aber zu beachten, daß wir nicht erst dem mit dem Ansatz eines bestimmten Etwas (als Etwas überhaupt und als bestimmtes Etwas) Denknotwendigen Wahrheit zuerkennen müssen, sondern auch dem grundlegend faktisch Angesetzten. Wir gehen also immer von einer apodiktischen und einer faktischen Wahrheit aus. Im Vorhergehenden (235) wurde gezeigt, daß im Sichsetzen des Argumentes als selbst seienden Seinsbildes (als imago ens) Faktizität und Notwendigkeit ineinander verschränkt sind: das Argument kann sich nicht phänomenal gegeben sein, ohne sich als ontisch unmittelbar anzusetzen. In dieser Verschränkung in der Grundwesenheit sind alle anderen Implikate begründet. Diejenige Denknotwendigkeit, die uns in diesem Zusammenhang insbesondere interessiert, ist die der Voraussetzung der Authentizität der Annahme.

X X X V . Die grundlegende Hypothese der Authentizität und ihre Ineffizienz, sich aus sich zu bewähren 246. Eine der mit der grundwesentlich notwendigen Faktizität sich als inhaltliche Konsequenz einstellenden Notwendigkeiten, und zwar die in dem jetzigen Untersuchungszusammenhange entscheidende Konsequenz, ist diejenige der vorauszusetzenden Authentizität des Argumentseins seihst. Soll das in Ansatz Gebrachte ein Argument sein, so muß sein (Argument)Sein an und in ihm bewährt sein. Das faktisch Angesetzte (nämlich das Argumentsein), das in dem hier behandelten Falle des philosophischen Ansatzes durch einen freien Akt des Geistes angesetzt ist („Soll etwas derartiges gesetzt sein . . ."), führt, unaufhebbar mit dem faktisch angesetzten Grundwesen verknüpft, die Notwendigkeit mit sich, bewährt sein zu sollen. Wer ansetzt, daß ein Argument sei, setzt notwendig ineins damit an, daß dies wahrhaft ein Argument, also daß das Angesetzte (Argument) als Argument bewährt sei („. . . so muß es wahrhaft etwas derartiges sein, d. i. als derartiges bewährt sein"). 247. Die Bewährtheit des Angesetzten als Argument wird hierbei aus dem Grundwesen des Angesetzten gefolgert, und zwar wird sie notwendig mit dem Angesetzten mitgedacht. Der Berechtigungsgrund für die Annahme, daß wahrhaft so gedacht werde, wird hierbei aber aus der notwendigen Grundfaktizität genommen. Eben darum ist die Evidenz der Authentizität des Ansatzes nicht energisch realisiert.

152

XXXV.

Die insuffiziente H y p o t h e s e der Authentizität

248.

Der Ansatz eines Arguments inklusive seiner Authentizität resultiert im Falle des philosophischen Arguments aus einem freien Entschluß. Da im philosophischen Argument nichts angesetzt wird, was nicht vollbewußt ist, so sind wir uns in seinem Falle des freien Ansetzens bewußt; wir intuieren den freien Willen, der den Ansatz des Arguments als wahrhaft Argument vollzieht und der es als solches hält. Wir intuieren auch, daß von dieser Seite her nur der freie Wille das Argument als solches hält. 249.

Die sich mit dem faktischen Ansatz des Arguments manifestierende notwendige (faktische) Grundwesenheit einschließlich ihrer inhaltlichen und formalen Konsequenzen (und unter diesen auch einschließlich der Konsequenz des Wahrhaftseins) ergreift die im faktischen Ansetzen handelnde Freiheit als ein sie bindender Zwang, der im Vollzug des Ansetzens als solcher erfaßt wird. Die Freiheit muß nicht handeln; aber wenn sie handelt, so kann sie nur so handeln. Das lateinische Wort necessitas bringt durch seinen Zusammenhang mit dem Verbum necare (vernichten, töten) diesen Charakter der Denknotwendigkeit noch besser zum Ausdruck als das deutsche Wort Notwendigkeit. Das necessarium ist Bedingung des Seins selbst des freien Ansatzes, für den es deshalb seinskonstituierend und für den sein Fortfall seinsaufhebend bzw. -verhindernd ist. 250.

Das Freisein im Ansetzen und Halten ebenso wie das Gezwungensein in der Weise des Ansetzens werden als modi des Willens ebenso wie dieser selbst ein- bzw. angeschaut. Freisein und Gezwungensein sind voluntative Komponenten des Arguments, und zwar wesentliche Konstitutiva desselben. Nur durch die Vereinigung des Setzen- und Haltenwollens und des dieses treffenden Zwanges ist das philosophische Argument als solches gegeben.

X X X V . Die insuffiziente Hypothese der Authentizität

153

251. Das verschränkt faktisch und notwendig erfolgende Ineinandergreifen der beiden Konstitutivfaktoren Freiheit und Zwang artikuliert sich in der grundlegenden Hypothese des Arguments wie folgt: Soll (Ausdruck der Freiheit!) das Angesetzte Argument sein, so muß (Ausdruck des Zwanges!) es evident als solches bewährt sein. Diese Hypothese liegt in der Notwendigkeit des Faktums beschlossen, daß die Freiheit sich nur in der Wesenheit des Argumentes ansetzen kann. 252. Wir haben bereits erkannt, daß der Intuitus des Zwanges und die eingesehene Notwendigkeit nichts zu legitimieren vermag. Da aber das philosophische Argument auch durch einen Akt der Freiheit in Ansatz kommt, so fragt sich, ob es nicht von der Freiheit her legitimiert werden kann. Der Zwang manifestiert sich ja niemals substantiell, sondern immer nur an der sich setzenden Freiheit; und insofern ist die Denknotwendigkeit selbst von der ansetzenden Freiheit getragen. Wir sind uns unseres Willensaktes durch Einschauung faktisch bewußt. Dies gilt auch für den Modus des Genötigtseins, in den er sich im Vollzug seiner als Arguments versetzt sieht. Zu dieser Nötigung gehört auch der Zwang, Authentizität des Angesetzten annehmen zu müssen. Der Wille unterliegt diesem Zwange nur faktisch, wenn es sich auch bei dieser Faktizität um eine notwendige handelt. Die Einsicht einer Faktizität aber vermag nichts zu legitimieren. 253. So gewiß sich also phänomenal und ineins damit ontisch unmittelbar im Ansatz des Arguments als solchen der Ansatz seiner wahren Authentizität vollzieht, wo immer argumentiert wird, so vermag doch weder die Einsicht in die Notwendigkeit in diesem Vollzuge noch die in seinen freien Ansatz etwas zur Legitimation desselben beizubringen.

154

X X X V . Die insuffiziente Hypothese der Authentmtät

254.

Es ist wertvoll, einzusehen, warum sich bloß vom Ansatz der Grundhypothese her keine Einsicht in deren Legitimität ergeben kann. Wir haben in dem zuvor Dargelegten zwei Arten der Einsicht: die Einsicht in den eigenen freien Ansatz und die Einsicht in die mit diesem sich einstellende und ihn ergreifende und zwingende Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit ist ihrerseits wiederum eine doppelte: die Notwendigkeit eben dieses Faktums (daß das Argument als Seinsbild und darin Bild seiner selbst angesetzt wird) und die Notwendigkeit, die sich aus der Bestimmtheit dieses Faktums ergibt (u. a. — und hier wesentlich! — daß das in Ansatz Gebrachte für authentisch es selber angesehen werden muß). 255.

Im Falle des freien Ansetzens wird das geistige Handeln selbst in dem, was es aus sich setzt, eingeschaut. (In unserem Falle ist das Gesetzte eben gerade dieses geistige Handeln selbst, als einfachhin Behauptetes in seinem Behaupten.) In diesem Intuitus geht das Schauen mit dem Akte zu seinem Produkt über; wir sehen also das Hervorgehen des Kausierten aus dem Kausierenden. d. i. wir sehen ein Sichbegründen. Nichtsdestoweniger ist dies Sehen nur das Sehen eines Faktums. Das Begründete ist nur faktisch begründet, d.i. durch den faktischen Willen hingestellt und gehalten. Ein Sehen eines solchen Kausierens, Hinstellens und Haltens ist nur Sehen eines Faktums, aus dem keine Legitimation gewonnen werden kann.

256.

Wir schauen uns ineins mit dem freien Ansetzen als von der Notwendigkeit, so und nur so anzusetzen, gezwungen ein und schauen das Nötigende an. Der Unterschied zum Einschauen des freien Aktes ist dabei der, daß wir den Zwang und das sich in ihm Manifestierende wohl eintreten sehen, eine Ursache dafür aber

X X X V . Die insuffiziente Hypothese der Authentizität

155

nicht zu sehen vermögen. Das sich aufnötigende Faktum seinerseits führt für unsere Einsicht notwendige Konsequenzen mit sich. Auch darin wird die Freiheit genötigt, aber nicht zu einer Wirkung, zu der keine Ursache gesehen werden kann, sondern zum Fortgang aus dem Grunde zu den in ihm beschlossenen Folgen. Mit Α sind B, C, D usw. gesetzt, und zwar so gesetzt, daß das Einsehen mit dem Ansatz von Α ohne Hiatus in dessen Konsequenzen übergeht. Der Zwang, einsichtig überzugehen (— immer unter Voraussetzung der ansetzenwollenden Freiheit —), ist hierbei seinerseits ebenso ein in seiner Ursache uneinsichtiges notwendiges Faktum wie im Falle des faktischen Grundansatzes. Wir sind zum sich ergebenden Zusammenhang gezwungen ineins damit, daß wir im Erschauen des Zwanges zu einer Zusammenhanglosigkeit (desselben) gezwungen sind.

257.

Die Basis des Ganzen bleibt auf der einen Seite ein faktisches Wollen, auf der anderen Seite das Faktum der Notwendigkeit. Das Faktum bloß als solches gibt aber nicht zu erkennen, ob es in Wahrheit ist, wie es sich präsentiert. Es kann also mit allem, was es mit sich bringt, keine energische Evidenz gewähren.

XXXVI. Die unmittelbare Selbstbewährung der Wahrheit 258.

Es ist außer dem Vollzug der Freiheit in einem kausierenden Akte und der doppelten, damit einsetzenden Notwendigkeit noch etwas weiteres im Spiele, nämlich der die sich entscheidende Freiheit betreffende Wert. Das freie Sichbestimmen erfolgt ja immer mit Bezug auf einen "Wert10, in unserem Falle auf den Wert der Wahrheit. Dieser Wert der Wahrheit ist seinerseits eine praktische Komponente des Arguments. Jeder Wert — und so auch der Wert der Wahrheit — ist von einem immanenten Willen11 konstituiert. Das in ihm sich manifestierende Quale soll sein — sein im Sinne des Geltens und Bejahtwerdens. Dieser wertimmanente Wille manifestiert sich nach außen, d. i. für eine auf ihn eröffnete formale Freiheit, als Forderung des Anerkennens. Der Wert will von der auf ihn bezogenen Freiheit anerkannt werden, er soll nicht gleichgültig sein oder verworfen werden. Die betreffende Freiheit soll ihn bejahen; sie soll ihn positiv annehmen. Durch diese Manifestation nach außen wird der Wert zugleich zur Forderung der Realisierung. Denn die Anerkennung durch die formale Freiheit, der er sich manifestiert, kann nicht energisch erfolgen, ohne auch faktisch zu erfolgen. Sie soll aber erfolgen; 10

d. h. es geht uns im Aussagen darum, Wahrheit zu realisieren; die Verwirklichung der Wahrheit ist uns angelegen, sie soll erfolgen. Das, was hier sein soll, was uns ein Anliegen ist, um das es uns geht, ist der Wert.

11

Anders ausgedrückt: dem Wert ist eine Tendenz immanent, eine Bejahung seiner selbst, ein willentliches Bekunden, daß er gelten und sein soll. Werte sind nur Werte, weil ihnen ein solcher Wille immanent ist. Sie sind keine gleichgültigen bloß faktischen Gebilde.

X X X V I . Die unmittelbare Selbstbewährung der Wahrheit

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sie soll also auch faktisch erfolgen. Damit erweist sich die vom Wert emanierende Forderung nicht nur als Geltungs-, sondern auch als Realisierungsforderung. In unserem Falle fordert die Wahrheit mit ihrem Erscheinen im Wissen realisierenden Ich nicht nur ihre wertmäßige Bejahung, sondern ineins damit auch ihre faktische Bejahung, d. i. ihre Realisierung im sie erfassenden wissenbegründenden Ich. 259.

Jeder Wert fordert, aber nicht jeder Wert rechtfertigt und bewährt seine Forderung. Nur ausgezeichnete Werte tun dies. Der Wert der Wahrheit gehört zu den letzteren; er fordert nicht nur, er rechtfertigt auch aus seinem Sein diese Forderung. Er ist selbstbewährend·, und darin liegt seine spezifische erkenntnistheoretische Relevanz. Wahrheit als Wahrheit offenbart unmittelbar aus und an ihr selbst ihr absolutes Recht. Die Absolutheit dieses Rechts besagt, daß es durch nichts rechtmäßig aufgehoben werden kann. Ihr Wertquale ist vollkommen rechtgebend. Das Recht der Geltung kann weder rechtmäßig bezweifelt noch erschütten werden. 260.

Da diese Absolutheit im qualitativen Wesen und Sein der Wahrheit gegeben ist, so kann sie auch nur durch Erfassung des qualitativen Wesens der Wahrheit erkannt werden. Formal läßt sich nur soviel einsehen und als notwendigerweise in allem Argumentieren als geltend angesetzt nachweisen, daß Affirmativität nur mit der Bewährung eines gebildeten Seins als Sein selbst gegeben sein kann. Daß aber etwas auf diese Weise bewährend ist und was es ist, das sich dergestalt bewährt, bleibt dem bloß formalen Denken verschlossen. Diese Qualität muß von demjenigen, der zur Einsicht des Wesens der Wahrheit kommen soll, selbst evidiert werden; und diese qualitative Evidenz kann die Philosophie von ihrer nur formalen Seite her nicht geben. Mit dem Aufgang dieser qualitativen Evidenz aber wird die zuvor nie erreichte, sondern immer

158

X X X V I . Die unmittelbare Selbstbewährung der Wahrheit

nur faktisch und in dieser Faktizität notwendig angesetzte Wahrheit gewonnen. Die Wahrheit ist in ihrem Quale in und aus sich selbst wahr — diese Erkenntnis wird mit dem Eintreten der qualitativen Einsicht der Wahrheit energisch vollzogen. 261. Formal läßt sich darauf hinweisen, daß die Authentizität von Wahrheit als Wahrheit in dem ihr immanenten Willen liegt. Das Quale dieses Willens ist in ihm selbst in seinem absoluten Rechte licht. Diese Lichtheit ist untrüglich, weil jener immanente Wille der Wille zu sich selbst und damit kein Wille zum Trug ist, und weil er eben aus seinem qualitativen Sein heraus und in diesem licht ist. Dieses Licht ist im energischen Evidieren der Wahrheit (in ihrer Qualität) hell und einsichtig und gewährt vollwertige Erkenntnis. 262. Die qualitative Wesenheit des absoluten Recht- und Lichtseins ist der Grund des quantitativen Charakters der Unwandelbarkeit der Wahrheit als Wahrheit. Der immanente Wille der Wahrheit ist ein sich absolut haltender und eben darum in allen Fällen, wo Wahrheit als Wahrheit vorhanden ist, unabänderlicher und unerschütterlicher. Dieser Wille ist zwar Wille, aber nicht Willkürwille, d. i. kein Wille, der sich ständig die Freiheit des Andersentscheidens vorbehält. Er ist vielmehr im Gegensatz dazu ein Wille, der sich so vollkommen bejaht, daß er alle anderen Möglichkeiten ein für alle Mal verwirft — eine absolut in ihrem Quale sich bejahende Freiheit. Die aus sich erfolgende Sichbegründung und die sich in ihrer Selbstbejahung bewährende Qualität sind hier nicht voneinander geschieden, sondern eine Einheit, die nicht zertrennt wird. Diese doxische Einheit besitzt ineins mit ihrer inneren Absolutheit äußere Unerschütterlichkeit. Es kann überhaupt nichts Rechtkräftiges gegen sie rechtens eingewendet werden, und sie wird in sich niemals ihre Rechtlichkeit beheben. Es ist ein vollkommen in sich geschlossener, sichbejahender Wille.

X X X V I . Die unmittelbare Selbstbewährung der Wahrheit

159

263.

Mit der energischen Evidenz der Wahrheit in ihrem qualitativen Wahrsein ist eine erste, unmittelbare und de iure unanfechtbare Erkenntnis gewonnen. Von ihr aus muß das Argument als solches und die Seinsaussage im Argument gerechtfertigt werden. Gelingt dies, so werden die in faktischer und apodiktischer Evidenz erstellten Aussagen des Arguments, die bisher nur provisorisch gelten konnten, bewährt, und es wird ein Fundament gefunden, das alle weiteren Wahrheitsaussagen zu tragen vermag.

Sachregister

Aberkennen der Geltung 9, 14, 56, 60 Abstraktion 23, 60, 67, 115f Adäquation 2f Affirmation 51, 55, 62, 74f, 77, 104, 120f, 142, 145, 157 Aggregat 131 f Akt, geistiger 8f, 22, 24, 26, 28, 30, 59, 61, 101, 118, 143, 154 Alternative, gedankliche 128, 147 Ambivalenz 19 Anerkennung 10, 156 Annahme 59, 100, 137 Ansatz des Arguments 11 Of, 126ff, 151 ff Anspruch 65 f Antwort 101 Anwendung, Selbst- 21 Applikabilität 79f, 127, 138 Apposition 31 Argument passim objektives 22, 83, 104, 106, 117 —, (speziell) philosophisches 122, 126ff, 152 - , primäres 67, 111, 114, 133ff —, transzendentales llOff - überhaupt 23ff, 93, 134, 147, 149 — als Sprachgebilde 1 Argumentation 57, 64 Artefakt (siehe: Zweckgebilde) Assertion 12, 13, 19, 31 f, 51, 65 Attention 116, 118 Aufforderung 63, 65, 126, 149 Aufgabe 59, 98, lOOf, 133, 137 Ausdruck 22 Ausgangsposition 5 Aussage 2, lOff, 16ff, 34, 50, 134 Ausschließen 13 ff Authentizität 50, 68, 75, 80, 107, 123, 138, 140, 142, 145, 151, 158

Beanspruchung von Wahrheit 49ff, 60, 62, 74f, 77, 84, 103, 105, 118, 120f, 138 Behauptetes, einfachhin 23ff, 43, 52, 67, 80, 82, 101, 111, 154 Behauptung 12, 13ff, 24ff, 33, 35, 37, 39, 41, 45ff, 51, 55f, 77, 82 —, wahre 62 Bejahung 59, 63f, 156ff Bekundung 10, 70 Bemühung um Erkenntnis 86 Bestätigung 135 Bestimmtheit 32, 59, l l l f , 150, 154 Beurteilung 120f, 122ff, 130, 132, 135 Bewährung (siehe auch: Legitimation) 3, 62ff, 69, 72ff, 142, 145, 151, 157 - , Idee der 62, 138 Bewältigung einer Aufgabe 99 Bewertung 16f Bewußtsein 31, 136 Bewußtseinseinheit 31 Beziehung (siehe: Relation) —, intentionale 13 Beziehungseinheit 8f, 12, 26, 27 Bezugnahme auf Wahrheit 42f, 127 Bezweiflung, metaphysische 140ff - , methodische 108, 122, 133ff —, transzendentale 134 —, universelle 133ff Bild 38f, 73, 84, 87, 99, 123, 136, 144 —, anhebendes 99 bloßes 55, 123 - , dubiöses 75, 98, 108 -

des Bildes von sich 48, 68, 87, 91, 95 ff, 103ff, 113, 136, 144 des Seins 12, 38ff, 42, 44, 48, 51, 54, 72ff, 83, 85, 88ff, 93f, 95, 98ff, 103, 107, 110, 112f, 117, 136, 144, 157

162

Sachregister

— des wahren Seins 98, 103 Bilden 112, 114, 128 Bildform 90f Bildgehalt 90f Bildsein 88f, 95ff, 110, 143f Billigung 135 Dekret, freies 104 Denknotwendigkeit 69, 133, 139, 140ff, 147ff, 151 f Determiniertheit 137 Dialog 124 Differenz von Bild und Sein 39, 55, 73, 82, 87ff, 136 — von Meinung und Erkenntnis 85ff — des objektiven und subjektiven Status 48ff, 66, 73, 95 — von Prae- und Performation 103 ff — des Wissens- und Erkenntnisbildes 107ff, 112f, 121 Distanz zum Sein selbst 110 Doxische 2, 3 Du 28 Effizienz 121 Einbildungskraft 6 Eindeutigkeit 112 Einheit, doxische 158 —, objektive 9, 25, 31 —, subjektive 9, 25, 31 — ', systematische 122 —, völlige 39 Einschauung 89, 152ff Einseitigkeit 116 Element 8f, 13, 17, 25f, 31, 32, 65, 126f, 130f, 138 Energischer Vollzug 18f, 121, 123f, 130, 132, 140, 143, 151, 155, 156ff Enthymem 2, 19, 23, 32 Entscheidung, freie 44f, 58f, 61, 64f, 93, 103ff, 117f, 137f — der Wahrheitsfrage 5 2 , 5 4 , 1 3 8 Entsprechung 63 f Erfüllung 63 Erkenntnis 39f, 43, 53, 66ff, 72ff, 107ff, 123, 126, 138, 145 —, Existenz der 79ff - , Fehlbegriff von 69ff Erkenntniserkenntnis 67ff, 72ff, 77f, 79 f, 92

Erkenntnislosigkeit 78 Erkenntnistheorie 1, 122 Esselbigkeit 3 I f f , 75, 89f, 131, 141, 144 Evidenz 74, 80f, 103ff, 110, 115f, 118, 125, 128, 143, 147, 155ff Existenz 38, 138 Experiment, gedankliches 128 Faktische 3, 18f, 38, 59, 120, 142, 144, 150, 154f Fakultative 37 Feststellung 18f, 123f Figment 10, 131 Fiktion 121 ff, 126ff, 129, 131 Fixation unselbständiger Momente 120 Forderung 1, 11, 16, 17f, 38, 48, 63ff, 86, l l l f - , absolute 97ff, 105, 112, 118, 137, 156 - der Realisierung 156f Formierung, willkürliche 105 Frage 1 7 , 5 2 , 5 4 , 6 5 Freiheitsakt 6, 16, 18, 21, 44f, 50, 56, 58f, 62, 78, 80, 84, 86, 91 f, 93, 97ff, 104f, 107, 110, 114, 118, 120, 128, 131, 136f, 151 ff, 156 Gebilde, objektiviertes 28 Gehalt, einfacher 23, 25, 31 Geist 29, 100, 127, 132, 133, 134f, 136f, 140 Gelöstheit vom Handlungszwang 116 - des Seinsbildes vom Sein selbst 93ff, 98, 107, 110, 112 - des Wissensbildes von sich 97ff, 107, 120 Geltung 9, 12, 14, 28, 32f, 68, 83, 104, 157 Geltungsanspruch 122 Geltungserhebung 9f, 12f, 18, 26, 31, 44, 46, 49f, 53, 56, 58, 60, 83, 103ff, 110, 120, 125, 126, 129, 132, 133 Geltungssuspension 108, 122, 123 Geschichtlichkeit 137 Gewißheit 68, 70 Grenzbegriff 148 Grund 155 Grundsatz 64 Grundintention des Arguments 61, 76,97,98f, 115,117f, 123,128, 138, 140

Sachregister Gültigkeit, objektive 45ff, 49f, 61, 74, 103, 148, 157 —, provisorische 142 ff Halten einer Position 152, 158 Handeln, praktisches l l l f , 114, 143 Handelnszwang 111, 116 Helligkeit 38, 41, 54, 73ff, 85, 89f, 136 Hypothese 121 - Grund- des Arguments 151 ff Ich 1, 28ff, 44f, 64, 87f, 157 Identifizieren 127 Identität 149 - des Ich 87, 95, 144 - von Bild und Sein 39f, 145 Imagination 90 Implikation 6, 21, 31, 48, 148 Individuum 1, 30 Ineinandergreifen 13ff, 101 Initialproblematik 98ff, 106, 107, 119, 136 Innesein, helles 89 Insich 75 Intelligieren 26, 89 Intention 2, lOf, 16ff, 34, 38, 41, 43, 48, 52, 57, 61, 66, 70, 75, 76, 77, 86, 93, 97, 100, 108, 128, 129f, 132, 140 Interesse, philosophisches 102 Interpersonalität 1, 124f, 135, 137 Intuitus (siehe: Einschauung) Inversion 123f, 127f Irrtum 42 Kategorizität 28, lOlf, 104, llOff, 114, 116 Kausation 31, 154f, 156 Koinzidenz des subj. u. obj. Status 50 Konsideration 114ff Konstitutionsmoment, voluntatives l f , 53, 56, 59ff, 63, 81, 124 Kontention (siehe: Beanspruchung) Leben 57 Legitimation 7, 75, 102, 104, 108f, 142f, 153f, 157 Lichtheit 38, 39, 73ff, 80, 145, 158 Lösung der Aufgabe 5 9 , 9 8 , lOOf, 133, 137 Lüge 1, 42, 60, 80, 117ff, 131

163

Manifestation 10, 16, 45, 52f, 63, 65, 74, 80, 93, 99, 156 Maxime 64 Meinung (opinio) 10, 32, 85f Meinung (primum dictum) 121 ff, 130 Meinung (visum immediatum) 3 I f f , 37, 44, 51, 53, 68, 82, 83f, 85, 126, 131, 136, 138, 140f, 144 Methode 115f Minimum an Behauptung 134 - von Erkenntnis 77ff, 82, lOOf, 134 Moment 17, 26, 31, 32, 65, 126f, 130f, 138 Negation 8, 13, 14f, 17, 43, 148 Nicht-Argument 8, 10, 14, 23, 57, 147ff Nichtdifferenz von gebild. Sein und Sein selbst 73f, 85, 138, 145 Nichterkenntnis 83 Nichtsein 147ff Nichtwissen, relatives 115 Notwendigkeit 147f, 153f, 156 Performation 98, 104, 107f, 116, 118, 120, 133, 136ff Pertinenz 59ff, 65 Philosophie 5ff, 21, 28, 44ff, 50f, 91, 97, 106, 117, 127, 130, 151 Plan, methodischer 115 Position 14f, 38 Postulat 17, 65, 126ff Praeformation 103f, 107f, 116, 119, 120, 125, 133, 136ff Praekonzeption 25, 98 Praesupposition 63 Problem 12, 15, 19f, 24f, 26, 31ff, 37f, 39, 41, 42, 44, 46f, 48, 49, 52, 54, 55, 57, 58, 60, 61, 64, 67, 74, 77, 80, 82f, 86, 96, 102, 106, 107, 111, 114 Problematizität 46f, 54, 65, 69, 102, 104, 110, 118f, 143 Projekt 101, 115 Qualität, absolute, der Wahrheit 157f Realisationswert 64 Rechtfertigung (siehe: Legitimation) Rechtmäßigkeit 157 Rechtsbeständigkeit 65 Rechtsein 157f

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Sachregister

Reflektiertheit, freie 6, 21, 31, 33, 45, 50, 52, 60, 67, 69f, 86, 123, 152 Reflex 26, 28f, 87 Reflexion 27, 28, 68, 69, 75, 88, 100, 107, 110, 114f, 117, 122, 125 —, primäre 122 —, transzendentale 102 Regreß in infinitum 26, 29, 82 Rekognoszieren 127 Relation 8, 25, 31, 38, 40 Reproduzieren 127 Rhetorik 1 , 8 , 6 3 Rückgebundenheit an primäre Setzungen 134 Schein 53, 70 Scheinargument 129 ff, 149 Schwanken 47f, 52, 54, 111, 118 Sein 12, 38, 47, 87ff —, einfaches (unreflexes) 88, 136 —, bloß imaginiertes 90f - , putatives 40, 66, 73, 83, 88ff, 94, 98, 117 —, transphänomenales ( = transimaginatives) 90ff, 93, 98, 137f - , wahres 100, 112, 117, 157 Sein im Bilde 94 Sein selbst 37ff, 44, 47, 55, 66, 73, 75, 80, 85, 86, 87ff, 94, 95, 98, 100, 128, 144f, 157 Seinsollen 18, 58, 63 Selbstbestimmung 97ff, 137, 156 Selbstbewußtsein 87f Selbstlegitimation 145 Selbstrechtfertigung 75 Selektion 114ff Setzung, willentliche 51 Sichaufgeben 100 Sichbehauptung 21, 23ff, 43, 67, 82 Sichbildung 100f, 125 Sichbegründen 154 Sichbejahung 63 Sichsehen 28, 30, 87, 99, 100 Soll 98, 153 Spielverfahren 123, 126 Spontaneität 114, 137 Sprache 8, 14, 16f, 19, 22, 23, 25, 32, 89, 129 Status, subjektiver 61 Stellungnahme, freie 137

Subjektivität 45ff, 49, 87f, 105 Subjekt-Objekt 28ff, 95 Supposition (Hypothesis) 56, 61, 63, 123 Suspension der Geltungserhebung 121, 125, 127, 130, 133 Synthesis, Grund- 8ff, 12, 15, 20, 25f, 33, 54, 60, 83, 104, 120, 127, 129, 133 - , willkürliche 129 Systasis 10, 25 f, 129f Teilerkenntnis 116 Thematisierung des Bezweifeins 134 — der Esselbigkeit 33, 35, 68 — der Sichbehauptung 27ff Transphänomenalität 34f, 38, 84, 86, 90ff, 93, 95ff, 107f, 136, 138 Transzendentalität 67, 75, 102, l l l f Ubergang, einsichtiger 154f Überprüfung des Geltungsanspruchs 122 Überredung 1 Uberzeugung 1 Unanfechtbarkeit 159 Unentschiedenheit 136 Ungesichertheit 55 Ungewißheit 47, 54 Unhintergehbarkeit 100 Unmittelbarkeit, phänomenale 34ff, 37, 38, 84, 88, 90, 95, 143, 153 Unmittelbarkeit, ontische 88f, 95, 143, 153 —, phänomenale und ontische 143f Unterstellung 55 Untrüglichkeit 158 Unverbindbare 129 Unwandelbarkeit 158 Unwahrheit 106, 110, 116, 117ff, 137 Ursache/Wirkung 6f Urteilskraft 6f Valenz 43, 94, 97ff, 104, 108 Verbindbarkeit 129ff Verbot 21 f Verfahrensweise 127 Verifizierbarkeit 2 Verneinung 59, 64 Vernunft, reine 30, 45, 47, 104

Sachregister Verobjektivierung 28f, 88 Verschränkung von Faktizität und Notwendigkeit 144, 150, 153 Versicherung 51, 55 Verständnis 22, 130 Verwerfung 59 f Verwirklichung (auch: Realisation) 59, 63f, 79, 86, 93, 101, 132f, 137, 156 Virtuelle Verbindbarkeit 13 l f Vollzug, freier 100 — des Arguments 104 Voraussetzungen im Argument 5, 139ff, 153 Vorbegriff im Argument 66ff, 72ff, 82, 108 Vorstellung 12, 148 Wähnen 82, 138 Wahrhaben 60 Wahrheit 2f, 39, 42ff, 49, 51 ff, 58ff, 74f, 80, 101, 108f, 115, 127, 137f, 143, 156ff —, Existenz der 80, 97 —, Voraussetzung der 140ff, 145 - als Wert 58ff, 63, 65, 101, 105,112, 137, 156f Wahrheitsbehauptung 83, 136 Wahrheitswille 52, 60, 128, 156

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Wert 17, 38, 48, 58, 59, 63f, 97, 111, 131, 156f Wertung 18, 58, 105 Widerspruch 52, 53f, 76, 82f, 105, 147f Widerstreit 118 Wille 16f, 19, 52f, 58f, 80, 86, 93, 97ff, 111, 114f, 152 ff —, wertimmanenter 63, 156, 158 Willensbekundung 11, 16ff, 48 Willkür 65, 103, 111, 115, 129, 158 Wissen 37ff, 68f, 73, 83, 85, 88, 90f, 107, 118, 136 Wissensbild 40, 90f, 96ff, 107ff, 122, 136, 144f Wissenschaftlichkeit 7, 17f, 70, 113, 115, 117 Wollen 42, 53, 59f, 64, 138 —, prinzipielles 64 Zeichen 22, 26, 132 Zirkel im Denken 75 Zusprechen 62 Zurücknahme 56 Zwang 152f Zweck, argumentativer 128 Zweckgebilde 59 Zweifel (siehe: Problem) Zweifelsfreiheit 73, 75