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German Pages 500 Year 2014
Gerhard Schreiber Apriorische Gewissheit
Kierkegaard Studies
Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Heiko Schulz, Jon Stewart and Karl Verstrynge in cooperation with Peter Šajda
Monograph Series 30 Edited by Heiko Schulz
Gerhard Schreiber
Apriorische Gewissheit Das Glaubensverständnis des jungen Kierkegaard und seine philosophisch-theologischen Voraussetzungen
DE GRUYTER
Kierkegaard Studies Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Heiko Schulz, Jon Stewart and Karl Verstrynge in cooperation with Peter Šajda Monograph Series Volume 30 Edited by Heiko Schulz
ISBN 978-3-11-031560-8 e-ISBN 978-3-11-031577-6 ISSN 1434-2952 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.dnb.de.
© 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com
Meinen Eltern Monika und Hermann Schreiber in tiefer Dankbarkeit
Danksagung Die vorliegende Untersuchung wurde im Juli 2012 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main als Inauguraldissertation angenommen. Für den Druck wurde der Text durchgesehen und an einigen Stellen ergänzt. Mein Dank gilt all jenen, die mir in der Zeit meiner Promotion mit Rat und Unterstützung zur Seite gestanden haben. Ganz besonders danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Heiko Schulz, für seine uneingeschränkte Förderung und Unterstützung. Seine scharfsinnigen Hinweise und Impulse haben mir bei der Bearbeitung des Themas ungemein geholfen! Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Deuser sei für die Übernahme des Zweitgutachtens und seine hilfreichen Bemerkungen vielmals gedankt. Mein herzlicher Dank gilt zudem Herrn Prof. Dr. Wilfried Härle, der mich auf die Idee zu dieser Untersuchung gebracht und ihr Werden während meiner Zeit in Kopenhagen mit stets wohlwollendem Interesse und konstruktiver Kritik begleitet hat. Den ebenso kompetenten wie hilfsbereiten Mitarbeitern der Bibliothek der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau (Herrn Dipl.-Bibl. Markus Bomba, Frau Dipl.-Bibl. Eva-Susanne Graffmann, Herrn Dipl.-Bibl. Armin Stephan und Herrn Thomas Riesch) sei für ihre Unterstützung bei der Literaturbeschaffung freundlich gedankt. Auch während meines Aufenthalts am Søren-Kierkegaard-Forschungszentrum in Kopenhagen von Juli 2005 bis März 2010 habe ich auf vielerlei Weise Hilfe und Unterstützung erfahren. Namentlich danken möchte ich Herrn Prof. Dr. h.c. mult. Niels Jørgen Cappelørn für die unzähligen, langen Gespräche, in denen ich von seiner formidablen Kierkegaard-Kenntnis profitieren konnte, und der mich fortwährend unterstützt hat. Gleiches gilt für Herrn Prof. Dr. Bruce H. Kirmmse, mit dem ich das Vergnügen hatte, mehr als vier Jahre das Büro teilen zu dürfen, und der mir fachlich und freundschaftlich immer zur Seite gestanden hat; Herrn Dr. habil. theol. & phil. Jon Stewart für seine vielen wichtigen Hinweise auf die philosophischen Hintergründe von Kierkegaards Position im Kontext der Philosophie seiner Zeit; last, not least dem Sekretär des Forschungszentrums, Bjarne Still Laurberg, dafür, dass er mir auch in der Hetze des Arbeitsalltags stets freundlich und hilfsbereit begegnet ist. Dankbar nennen möchte ich zudem Herrn Dr. Ettora Rocca, Herrn Dr. David Possen, Frau Prof. Dr. Claudia Welz, Herrn Dr. Richard Purkarthofer sowie Herrn Dr. Markus Kleinert vor allem für seine humorvolle Art, mit der er mir gezeigt hat, dass die größte Ironie doch eigentlich die ist, dass die Zeit vorwärts läuft.
VIII
Danksagung
Mein ausdrücklicher Undank, auch Undank ist eine Form des Dankes, gilt hingegen derjenigen Person, die durch den Diebstahl meines Laptops und der Sicherungsdateien im Juli 2008 die Fertigstellung dieser Arbeit erheblich verzögert hat. Ein besonderes Anliegen ist es mir, die großzügige ideelle und materielle Förderung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in den Jahren 2005 bis 2008 dankend hervorzuheben. Die im Rahmen der Förderung besuchten Seminare unter der Leitung von Frau Dr. Daniela Tandecki boten mir wiederholt die Chance zum Blick über den Tellerrand. Den Herausgebern der Kierkegaard Studies Monograph Series und dem Verlag De Gruyter, namentlich Herrn Dr. Albrecht Döhnert und Frau Sophie Wagenhofer, sei für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe bzw. für die kompetente verlegerische Betreuung und angenehme Zusammenarbeit gedankt. Ohne die Unterstützung und das ermutigende Vertrauen meiner Familie und meiner Freunde (samt NF) wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen! Meinem Schwiegervater, Herrn Pfr. Dr. Günter Meyer-Mintel, sei für das Korrekturlesen des Manuskripts vielmals gedankt. Vor allem aber möchte ich meiner wunderbaren Frau, Susanna Meyer-Mintel, für ihre Unterstützung und große Geduld mit mir bei der Fertigstellung dieser Arbeit von Herzen danken! Meinen Eltern, Monika und Dr. Hermann Schreiber, die mir mein Theologiestudium ermöglicht und mich auf meinem Wege immer unterstützt haben, sei dieses Buch in tiefer Dankbarkeit gewidmet. Düsseldorf, Silvester 2013
Gerhard Schreiber
Inhalt Einleitung
1 1 Thema der Untersuchung Gegenstand der Untersuchung 9 17 Methodik der Untersuchung 23 Zur Übersetzung und Zitierung Zur Vorveröffentlichung einzelner Abschnitte dieser 24 Untersuchung
26 Frühe Reflexionen über den Glauben . Abgrenzung 26 27 . Theologische Notizen bis zum Frühsommer 1835 28 .. Exegetica 32 .. Dogmatica ... Clausen 34 39 ... Schleiermacher 46 . Der Bruch mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘ . Distanzierung vom Überkommenen 54 .. „Philosophie und Christentum lassen sich doch niemals 58 vereinen“ .. Hamann 61 72 . Papir 92 (I) .. Der sachliche Kontext des Ausdrucks ‚das erste 76 Unmittelbare‘ .. „Das, was Schleiermacher ‚Religion‘ nennt“ 82 88 .. Marheineke . Der apriorische Charakter des Glaubens (Papir 81:1) 97 . Ergebnis 103 106 Exkurs : Kierkegaard und der dänische Hegelianismus Die Blütezeit des dänischen Hegelianismus (1837 – 49) 110 Das Verhältnis des jungen Kierkegaard zum dänischen 118 Hegelianismus . . ..
Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838) 131 131 Vorbemerkung und Abgrenzung I.H. Fichte 139 140 Die Idee der Persönlichkeit (1834)
X
.. .. . .. .. .. . .. .. ... ... ... ... .. . .. .. ... ... ... .
Inhalt
Die Auseinandersetzung mit Fichte (AA:22) 144 Die philosophische ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs 162 Papir 92 (II) Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag Heibergs Replik auf Martensen in Perseus 176 187 Hegel: Glaube als vermittelte Unmittelbarkeit Erdmann 192 194 Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) Kritik und Ablehnung (Notizbuch 4) 200 Not4:41 201 205 Not4:42 – 43 Fazit zu Not4:41 – 43 210 Not4:44 212 216 Anknüpfung und Weiterführung (Journal DD) Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) 220 225 Die Argumentation der Erstlingsschrift 234 Lebensanschauung und Glaube 236 Hirschs Position Klenkes Position 239 Vergleich 243 249 Ergebnis
150 163
Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung 253 253 . Abgrenzung . Die Zeit der Examensvorbereitung 255 258 .. Wiederaufnahme und Weiterführung .. Ein neues Merkmal 265 . Die Zeit zwischen dem Examen und der Magister269 abhandlung .. HH:2 – 5 270 ... Die dänische Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen 274 Logik .... Mynster: „Rationalismus. Supranaturalismus“ (1839) 274 279 .... Heiberg: „Eine logische Bemerkung“ (1839) .... Martensen: „Rationalismus, Supranaturalismus und das principium 282 exclusi medii“ (1839) ... „…mein Standpunkt für eine spekulative christliche Erkenntnislehre“ 285
Inhalt
.. ... ... ... ... ... .. . .. ... ... Exkurs : .. .
XI
Weitere Aufzeichnungen aus der Zeit bis zur Magisterabhandlung 298 Die im Glauben gegebene Einheit des Menschen mit Gott und ihre 299 Bedingung (Papir 264:4) Der Übergang vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sün306 denvergebung (Not5:23, HH:25, EE:192 und Papir 288) Die apriorische „Gewissheit des Sieges“ (Not5:20) 320 Eine spekulative Momentaufnahme des christlichen Lebens (Papir 323 289) „Die Idee des Christentums [ist] das Paradox“ (Not7:22) 335 340 Kierkegaards Seminarpredigt (Papir 270) Über den Begriff der Ironie (1841) 352 Sokrates und Christus 355 356 Baur: Ähnlichkeit trotz Verschiedenheit Kierkegaard: Ähnlichkeit in der Unähnlichkeit 359 369 Zur Ausbildung der Paradox-Christologie 383 Das Verhältnis von Glaube und Wirklichkeit 398 Ergebnis
Rück- und Ausblick
404
Siglen- und Literaturverzeichnis 433 Verzeichnis der verwendeten Siglen 433 . Kierkegaard 433 .. Dänische Ausgaben .. Deutsche Ausgaben 434 435 .. Englische Ausgaben . Sonstige Siglen 435 Verzeichnis der verwendeten Literatur 436 . Quellen . Hilfsmittel 451 452 . Sekundärliteratur Namen- und Personenregister Sachregister
483
476
433
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Einleitung 1 Thema der Untersuchung Thema der vorliegenden Untersuchung ist das Glaubensverständnis des jungen Søren Kierkegaard. In Verschränkung von werkimmanenter und rezeptionsgeschichtlicher Analyse soll dieses einerseits anhand von Kierkegaards Schriften und Aufzeichnungen aus der Studienzeit (1830 – 41) herausgearbeitet, andererseits zugleich auf seine philosophisch-theologischen Quellen und Voraussetzungen hin untersucht werden, um zu klären, inwieweit Kierkegaard bei der Herausbildung seiner Position durch seine Auseinandersetzung mit anderen Denkern ebenso wie durch philosophisch-theologische Diskussionen in seinem zeitgenössischen Umfeld beeinflusst und geprägt worden ist.¹ Dabei soll gezeigt werden, dass sich wichtige Aspekte und Elemente der Glaubenstheorie des späteren Schriftstellers bereits beim Theologiestudenten Kierkegaard präformiert finden und ihrerseits erst auf dem Hintergrund seiner frühen Überlegungen voll verständlich werden.
Selbstverständlich können und dürfen auch die persönlich-biographischen Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen sich Kierkegaards Glaubensverständnis entwickelt hat, nicht außer Acht gelassen werden. Aufgrund der engen Beziehung zwischen Leben und Werk, zwischen dem Denker Kierkegaard und seinem Denken gilt von ihm wohl „in besonderer Weise: das Denken ist das Denken des Denkers“ (Walter Ruttenbeck, Sören Kierkegaard. Der christliche Denker und sein Werk, Berlin und Frankfurt an der Oder 1929, S. 40). Eine psychologischhistorische bzw. psychobiographische Analyse, wie sie in der älteren nordischen Kierkegaardforschung (vor allem von Peter Andreas Heiberg, Eduard Geismar und Torsten Bohlin), aber auch von deutschen Kierkegaardforschern wie Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes versucht worden ist, erscheint für die hier angestrebte Untersuchung aber nicht gangbar. „Man meinte [scil. in der früheren Kierkegaardforschung], das Werk aus den biographischen Voraussetzungen Kierkegaards verstehen zu können und zu müssen und ließ dabei sachliche Problemzusammenhänge häufig ins Biographische zurückfallen“ (Helmut Fahrenbach, „Die gegenwärtige Kierkegaard-Auslegung in der deutschsprachigen Literatur von 1948 bis 1962“, Philosophische Rundschau, Beiheft 3, 1962 [Sonderheft Kierkegaard-Literatur], S. 1– 82, hier S. 7). Was zum Beispiel die von Hirsch und Gerdes, aber auch von Theodor Haecker, Martin Thust und Johannes Hohlenberg so genannte und in ihrer Bedeutung hervorgehobene ‚Bekehrung‘ Kierkegaards im Mai 1838 (vgl. hierzu Kap. 1, Anm. 128) betrifft, finden sich unter Kierkegaards persönlichen Aufzeichnungen aus der Zeit von Frühjahr bis Sommer 1838 durchaus Hinweise auf ein „intensiviertes religiöses Erleben“ (DSKE 1, 495). Dass dieser persönliche Wandel Kierkegaards eine Einwirkung auf sein theoretisches Verständnis des Glaubens – und darum geht es hier – gehabt hat, lässt sich aus seinen Schriften und Journalen und Aufzeichnungen als Gegenstand dieser Untersuchung aber nicht erkennen.
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Einleitung
Hinsichtlich der Begründung des Themas dieser Untersuchung ist zwischen einem äußeren und einem inneren Grund zu unterscheiden. Der äußere Grund liegt darin, dass das Glaubensverständnis des jungen Kierkegaard bisher noch nicht eingehend untersucht worden ist. „Glaube ist bei Kierkegaard das Thema seines Lebens“² bzw. „systematisches Zentrum seines Denkens“³. Die Zentralität dieses Themas für Kierkegaard unterstreichen auch die zahlreichen Monographien und Aufsätze, die sich zum Teil sehr ausführlich mit Kierkegaards Glaubensverständnis in (einzelnen) pseudonymen Schriften, insbesondere in Furcht und Zittern (1843)⁴ sowie in den beiden Climacus-Schriften Philosophische Brocken (1844) und Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift (1846)⁵, oder aber mit (einzelnen) Aspekten seines Glaubensverständnisses wie etwa dem ‚Sprung‘⁶, dem
Reinhard Slenczka, Art. „Glaube VI. Reformation/Neuzeit/Systematisch-theologisch“, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1– 36, hg. von Gerhard Müller et al., Berlin und New York 1976 – 2004; Bd. 13, 1984, S. 318 – 365, hier S. 351. Thomas Baumeister, „Kierkegaards Glaubensbegriff als systematisches Zentrum seines Denkens“, Bijdragen. Tijdschrift voor filosofie en theologie, Bd. 46, 1985, S. 411– 429, hier S. 411 (Überschrift). Vgl. besonders Jeremy Walker, „The Paradox in ‚Fear and Trembling‘“, Kierkegaardiana, Bd. 10, 1977, S. 133 – 151; David Patterson, The Literary and Philosophical Expressions of Existential Faith. A Study of Kierkegaard, Tolstoi, and Shestov, Ph.D.-thesis, Univ. of Oregon, 1978, S. 33 – 92; Peter Tschuggnall, Das Abraham-Opfer als Glaubensparadox. Bibeltheologischer Befund – Literarische Rezeption – Kierkegaards Deutung, Frankfurt am Main et al. 1990 (zugleich Diss., Univ. Innsbruck, 1989), S. 84– 156 und S. 176 – 194; Edward F. Mooney, Knights of Faith and Resignation. Reading Kierkegaard’s „Fear and Trembling“, Albany, NY 1991; Ricardo Q. Gouvêa, Kierkegaard’s „Catch 22“. The Idea of Faith by Virtue of the Absurd and the Double-Movement of Faith in „Fear and Trembling“. A Study on the Relation Between Faith and Reason, Ph.D.-thesis, Westminster Theological Seminary, 1999; Joachim Boldt, Kierkegaards „Furcht und Zittern“ als Bild seines ethischen Erkenntnisbegriffs, Berlin und New York 2006 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 13), S. 80 ff.; John J. Davenport, „Faith as Eschatological Trust in ‚Fear and Trembling‘“, in Ethics, Love, and Faith in Kierkegaard. Philosophical Engagements, hg. von Edward F. Mooney, Bloomington und Indianapolis 2008, S. 196 – 233. Vgl. besonders Alvaro Valls, Der Begriff „Geschichte“ in den Schriften Søren Kierkegaards, Diss., Univ. Heidelberg, 1980, S. 172– 245; C. Stephen Evans, Kierkegaard’s „Fragments“ and „Postscript“. The Religious Philosophy of Johannes Climacus, Atlantic Highlands, NJ 1983, S. 207– 280; Ralph McInerny, „Fideism in the ‚Philosophical Fragments‘“, in Faith, Knowledge, and Action. Essays Presented to Niels Thulstrup on His Sixtieth Birthday, hg. von George L. Stengren, Kopenhagen 1984, S. 74– 85; Baumeister, „Kierkegaards Glaubensbegriff“; Robert C. Roberts, Faith, Reason, and History. Rethinking Kierkegaard’s „Philosophical Fragments“, Macon, GA 1986; Murray Rae, Kierkegaard’s Vision of the Incarnation. By Faith Transformed, Oxford 1997; David E. Mercer, Kierkegaard’s Living-Room. The Relation between Faith and History in „Philosophical Fragments“, Montréal 2001. Vgl. besonders Philip Anyaehe Ogbonna, The leap of faith. A dialectical inquiry into Kierkegaard’s theory of the leap of faith as foundational for a „philosophy of life“, Rom 1997 (Auszug aus
1 Thema der Untersuchung
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‚Paradox‘⁷, der ‚Gleichzeitigkeit‘⁸, ‚Unmittelbarkeit‘⁹, Subjektivität¹⁰ und ‚Autopsie‘¹¹ des Glaubens sowie mit der Frage des Verhältnisses von Glaube und Ver-
Diss., Univ. Rom, 1997); Jamie Ferreira, „Faith and the Kierkegaardian Leap“, in The Cambridge Companion to Kierkegaard, hg. von Alastair Hannay und Gordon D. Marino, Cambridge 1998, S. 207– 234. Dagegen untersucht Christa Kühnhold, Der Begriff des Sprunges und der Weg des Sprachdenkens. Eine Einführung in Kierkegaard, Berlin und New York 1975 (zugleich Diss., Univ. Freiburg, 1972), den ‚Sprung‘ hauptsächlich als Existenzbewegung, weshalb Kierkegaards Glaubensverständnis nur am Rande tangiert wird. Dies gilt auch für die (zum Teil einseitig) existenzial-dialektischen Interpretationen des Wiederholungsbegriffs von Louis Reimer, „Die Wiederholung als Problem der Erlösung bei Kierkegaard“, Kierkegaardiana, Bd. 7, 1968, S. 19 – 63; Victor Guarda, Die Wiederholung. Analysen zur Grundstruktur menschlicher Existenz im Verständnis Sören Kierkegaards, Königstein/Ts. 1980; Dorothea Glöckner, Kierkegaards Begriff der Wiederholung. Eine Studie zu seinem Freiheitsverständnis, Berlin und New York 1998 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 3) und Niels Nymann Eriksen, Kierkegaard’s Category of Repetition, Berlin und New York 2000 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 5). Vgl. jedoch die wichtigen Bemerkungen bei Georg Schückler, Die Existenzkategorie der „Wiederholung“ dargestellt am Werk Sören Kierkegaard‘s, Diss., Univ. Bonn, 1952, besonders S. 263 – 329, sowie Joachim Ringleben, „Kierkegaards Begriff der Wiederholung“, Kierkegaard Studies Yearbook, 1998, S. 318 – 344, besonders S. 324– 334. Vgl. besonders Henning Schröer, Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem. Eine Untersuchung zu Kierkegaard und der neueren Theologie als Beitrag zur theologischen Logik, Göttingen 1960 (zugleich Diss., Univ. Heidelberg, 1959), S. 55 – 96; Hayo Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard. Ein Beitrag zur Erläuterung des Paradox-Gedankens, Itzehoe 1962, S. 11– 21 (für die Zeit zwischen 1834 und 1841); Leroy Kay Seat, The Meaning of „Paradox“. A Study of the Use of the Word „Paradox“ in Contemporary Theological and Philosophical Writings with Special Reference to Søren Kierkegaard, Th.D.-thesis, Southern Baptist Theological Seminary, 1967; Timothy Lin, Paradox in the Thought of Søren Kierkegaard, Ph.D.-thesis, Boston Univ., 1969; Hermann Fischer, Die Christologie des Paradoxes. Zur Herkunft und Bedeutung des Christusverständnisses Sören Kierkegaards, Göttingen 1970, S. 22– 72; Jean Malaquais, Sören Kierkegaard. Foi et paradoxe, Paris 1971; Kristoffer Olesen Larsen, „Über den Paradoxbegriff. 2. Seine Entstehung nach den ‚Papieren‘“, in: ders., Søren Kierkegaard. Ausgewählte Aufsätze, Gütersloh 1973, S. 15 – 33; Hermann Deuser, Sören Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik des politischen Christen. Voraussetzungen bei Hegel. Die Reden von 1847/48 im Verhältnis von Politik und Ästhetik, München und Mainz 1974, S. 42– 107; Josef Steilen, Der Begriff „Paradox“. Eine Begriffsanalyse im Anschluß an Sören Kierkegaard, Trier 1974. Speziell zum Paradoxbegriff in den ClimacusSchriften vgl. ferner C. Stephen Evans, Passionate Reason. Making Sense of Kierkegaard’s „Philosophical Fragments“, Bloomington und Indianapolis 1992, S. 58 – 118. Vgl. besonders Helmut Fritzsche, Das Problem der Gleichzeitigkeit bei Søren Kierkegaard, Diss., Humboldt-Univ. Berlin, 1960; Klaus Wolff, Das Problem der Gleichzeitigkeit des Menschen mit Jesus Christus bei Sören Kierkegaard im Blick auf die Theologie Karl Rahners, Würzburg 1991, S. 20 – 137; ders., „Die Offenbarungstheologie Søren Kierkegaards als Theologie der ‚Gleichzeitigkeit‘“, in Kierkegaard Revisited. Proceedings from the Conference „Kierkegaard and the Meaning of Meaning It“, Copenhagen, May 5 – 9, 1996, hg. von Niels Jørgen Cappelørn et al., Berlin und New York 1997 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 1), S. 481– 501 sowie die ver-
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Einleitung
nunft¹² bzw. Leiden¹³ beschäftigen. Auf den jungen Kierkegaard und die möglichen philosophisch-theologischen Quellen und Voraussetzungen seines Glauschiedenen Beiträge zur ‚Gleichzeitigkeit‘ im Sammelband Liber Academiæ Kierkegaardiensis, Bd. 6, 1984 – 85, hg. von Niels Thulstrup, Kopenhagen 1986. Vgl. besonders Kevin E. Donohue, Reflection and Faith in Søren Kierkegaard, Ph.D.-thesis, Catholic Univ. of America, Washington, 1973; Heiko Schulz, „Second Immediacy. A Kierkegaardian Account of Faith“, in Immediacy and Reflection in Kierkegaard’s Thought, hg. von Paul Cruysberghs et al., Leuven 2003 (Louvain Philosophical Studies, Bd. 17), S. 71– 86; Arne Grøn, „Mediated Immediacy? The Problem of a Second Immediacy“, ibid., S. 87– 95. Anton Hügli, Die Erkenntnis der Subjektivität und die Objektivität des Erkennens bei Søren Kierkegaard, Zürich 1973 (zugleich Diss., Univ. Basel, 1970) (Basler Beiträge zur Philosophie und ihrer Geschichte, Bd. 7); ders., „Von der Subjektivität des Glaubens und der Objektivität des Wissens“, Studia philosophica, Bd. 67, 2008, S. 127– 150; C. Stephen Evans, Subjective Justifications of Religious Belief. A Comparative Study of Kant, Kierkegaard, and James, Ph.D.-thesis, Yale Univ., 1974, S. 92– 154; ders., Subjectivity and Religious Belief. An Historical, Critical Study, Grand Rapids 1978, S. 74– 123; Klaus Kienzler, „Sören Kierkegaard: Subjektivität und Glaube“, in Sein und Schein der Religion, hg. von Alois Halder et al., Düsseldorf 1983, S. 194– 248; Heiko Schulz, „‚Gott selbst ist ja dies: welcherart man sich mit ihm einlässt.‘ Subjektivität und Objektivität dogmatischer Reflexion bei Søren Kierkegaard“, in Dialektik der Freiheit. Religiöse Individualisierung und theologische Dogmatik, hg. von Hermann Deuser und Saskia Wendel, Tübingen 2012, S. 65 – 84. Vgl. die in Kap. 2, Anm. 485 angegebene Literatur. Vgl. besonders Wilhelm Anz, „Philosophie und Glaube bei Sören Kierkegaard“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 51, 1954, S. 50 – 105; Cornelio Fabro, „Faith and Reason in Kierkegaard’s Dialectic“, in A Kierkegaard Critique. An International Selection of Essays Interpreting Kierkegaard, hg. von Howard Johnson und Niels Thulstrup, New York 1962, S. 156 – 206; Niels H. Søe, „Kierkegaard’s Doctrine of the Paradox“, ibid., S. 207– 227; Herbert M. Garelick, „The Irrationality and Supra-rationality of Kierkegaard’s Paradox“, The Southern Journal of Philosophy, Bd. 2, 1964, S. 75 – 86; Robert L. Perkins, „Kierkegaard’s Epistemological Preferences“, International Journal for Philosophy of Religion, Bd. 4, 1973, S. 197– 217; Frank Russell Sullivan, Faith and Reason in Kierkegaard, Ph.D.-thesis, Boston Univ., 1973; Hermann Deuser, „‚In Kraft des Absurden‘. Die Verborgenheit des Glaubens bei Sören Kierkegaard“, in Auf der Suche nach dem verborgenen Gott. Zur theologischen Relevanz neuzeitlichen Denkens, Düsseldorf 1987, S. 288 – 298 (wiederabgedruckt in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee? Kierkegaards Existenzdenken und die Inspiration des Pragmatismus. Gesammelte Aufsätze zur Theologie und Religionsphilosophie, hg. von Niels Jørgen Cappelørn und Markus Kleinert, Berlin und New York 2011, S. 61– 72); C. Stephen Evans, „Is Kierkegaard an Irrationalist? Reason, Paradox, and Faith“, Religious Studies, Bd. 25, 1989, S. 347– 362; Michael Wayne Bollenbaugh, Faith and Fideism, Ph.D.-thesis, Univ. of Oregon, 1994. Vgl. besonders Merold Westphal, „Kierkegaard’s Phenomenology of Faith as Suffering“, in Writing the Politics of Difference, hg. von Hugh J. Silverman, Albany 1991, S. 55 – 71 und S. 307– 311; Norris Karl Haden, Sufferings of Inwardness. An Analysis of Religious Belief and Existence in the Thought of Kierkegaard and Wittgenstein, Ph.D.-thesis, Univ. of Georgia, 1991; Anthony Imbrosciano, „Inevitable Martyrdom. The Connection between Faith and Suffering in Kierkegaard’s Later Writings“, International Journal for Philosophy of Religion, Bd. 36, 1994, S. 105 – 116.
1 Thema der Untersuchung
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bensverständnisses wird in diesen Detailstudien jedoch meist überhaupt nicht oder allenfalls am Rande eingegangen. Speziell mit dem Glaubensverständnis des jungen Kierkegaard hat sich bisher als einziger Ulrich Klenke in seiner Dissertation Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard. Kritische Strukturanalyse seiner Grundlegung der dialektischen Wahrheitsbestimmungen humaner und christlicher Existenz (1969)¹⁴ ausführlicher beschäftigt. Allerdings setzt Klenkes Untersuchung erst bei Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) ein und behandelt, abgesehen von der Erstlingsschrift, hauptsächlich Kierkegaards Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841). Auf Kierkegaards frühe Journale und Aufzeichnungen, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, und überhaupt auf die Frage nach den Voraussetzungen und Quellen von Kierkegaards Glaubensverständnis geht Klenke, der Kierkegaard den Versuch einer Loslösung des christlichen Glaubens vom geschichtlichen Heilshandeln Gottes in Jesus Christus attestiert¹⁵, aber nicht ein. Am ergiebigsten sind in dieser Hinsicht noch immer die verstreuten Bemerkungen zu Kierkegaards Glaubensverständnis in Emanuel Hirschs Kierkegaard-Studien (1930 – 33)¹⁶, wenngleich Hirsch im Rahmen dieser Gesamtdarstellung die Auseinandersetzung des jungen Kierkegaard mit anderen Denkern zum Teil nur summarisch und die philosophisch-theologischen Diskussionen in Kierkegaards zeitgenössischem Umfeld höchstens ansatzweise behandelt hat. Der bisherige Mangel einer eingehenden Untersuchung des Glaubensverständnisses des jungen Kierkegaard – will man nicht unterstellen, dass die Relevanz einer solchen Untersuchung bislang unterschätzt worden ist – dürfte, was den deutschen Sprachraum betrifft, wohl auch darauf zurückzuführen sein, dass Kierkegaards frühe Journale und Aufzeichnungen bis zum Erscheinen der Deutschen Søren Kierkegaard Edition (DSKE)¹⁷ nur fragmentarisch in Auswahlausgaben
Ulrich Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard. Kritische Strukturanalyse seiner Grundlegung der dialektischen Wahrheitsbestimmungen humaner und christlicher Existenz, Diss., Univ. Münster, 1969; vgl. Kap. 2, Anm. 451. Zur Kritik an dieser Annahme Klenkes vgl. die Ausführungen in Kap. 2.5.2.2 und Kap. 2.5.2.3. Emanuel Hirsch, Kierkegaard-Studien, Bd. 1– 2, Gütersloh 1933 (zuerst als Heft 29, 31, 32 und 36 der Studien des apologetischen Seminars, hg. im Auftrag des Vorstandes von Carl Stange, Gütersloh 1930 – 33; die Zitierung der Kierkegaard-Studien erfolgt nach der in eckige Klammern gesetzten fortlaufenden Seitenzählung der Gesamtausgabe von 1933), vgl. besonders S. 20 – 24, S. 29 – 32, S. 49 f., S. 55 f., S. 58 f., S. 75, S. 461 f., S. 463 f., S. 467– 469, S. 477, S. 480 – 490, S. 499 – 501, S. 502– 529, S. 532– 551, S. 555, S. 559 – 563, S. 569, S. 570 – 579, S. 589 – 602. Deutsche Søren Kierkegaard Edition, Bd. 1– 11, hg. von Heinrich Anz (bis Bd. 2), Niels Jørgen Cappelørn, Hermann Deuser, Joachim Grage (ab Bd. 3) und Heiko Schulz, Berlin und New York/
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Einleitung
auf Deutsch zugänglich waren. Mit den ersten beiden, 2005 und 2008 erschienenen Bänden von DSKE liegen nun alle frühen Journale und mit dem dritten, 2011 erschienenen Band erstmals auch sämtliche Notizbücher Kierkegaards vollständig in deutscher Sprache vor.¹⁸ Ein Großteil der von Kierkegaard in der Zeit von 1830 bis 1841 auf lose Zettel, Blätter oder in kleine Hefte notierten Aufzeichnungen (darunter auch solche, die für die vorliegende Untersuchung relevant sind, wie zum Beispiel die von Kierkegaard Ende Mai 1835 in ein kleines Heft eingetragene Auseinandersetzung mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘¹⁹) ist jedoch bis heute noch nicht ins Deutsche übersetzt. Zudem muss bemerkt werden, dass mehrere der für die Interpretation des Glaubensverständnisses des jungen Kierkegaard wichtigen Aufzeichnungen an entscheidenden Stellen falsch übersetzt sind.²⁰ Was die Identifizierung möglicher Quellen und Voraussetzungen von Kierkegaards Glaubensverständnis betrifft, gibt es einige, zum Teil umfangreiche Arbeiten über Kierkegaards Verhältnis zu bedeutenden Vertretern der deutschen Theologie (vor allem zu Luther²¹ und Schleiermacher²²) und Philosophie (vor al-
Boston 2005 ff. (DSKE). Vgl. hierzu „Richtlinien für die Edition und Übersetzung von Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen“ in DSKE 1, 275 – 295. Im Oktober 2013 ist zudem der vierte Band von DSKE erschienen, der eine Übersetzung und Kommentierung von Kierkegaards Journalen NB-NB5 enthält. SKS 27, 101– 105, Papir 69; siehe Kap. 1.3. Um drei Beispiele zu nennen: (1) SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50 (vgl. Kap. 1, Anm. 191); (2) SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 44 (vgl. Kap. 2, Anm. 74); (3) SKS 27, 282, Papir 289 / T 1, 281 f. (vgl. Kap. 3, Anm. 317). Vgl. Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 534– 590; Johannes Sløk, „Kierkegaard og Luther“, Kierkegaardiana, Bd. 2, 1957, S. 7– 24; Ernest B. Koenker, „Søren Kierkegaard on Luther“, in Interpreters of Luther. Essays in Honor of Wilhelm Pauck, hg. von Jaroslav Pelikan, Philadelphia 1968, S. 231– 252; Viggo Mortensen, „Luther og Kierkegaard“, Kierkegaardiana, Bd. 9, 1974, S. 163 – 195; Regin Prenter, „Luther and Lutheranism“, in Kierkegaard and Great Traditions, op. cit., S. 121– 172; Henning Schröer, „Kierkegaard und Luther“, Kerygma und Dogma, Bd. 30, 1984, S. 227– 248; Craig Quentin Hinkson, Kierkegaard’s Theology: Cross and Grace. The Lutheran and Idealist Traditions in His Thought, Ph.D. diss., Univ. Chicago, 1993; ders., „Luther and Kierkegaard. Theologians of the Cross“, International Journal of Systematic Theology, Bd. 3, 2001, S. 27– 45; Hermann Deuser, „Kierkegaard and Luther. Kierkegaard’s ‘One Thesis’“, in The Gift of Grace. The Future of Lutheran Theology, hg. von Niels Henrik Gregersen, Minneapolis 2004, S. 205 – 212 (wiederabgedruckt in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 199 – 208); Harald Steffes, „Luther und Kierkegaard oder: der Reformator und das Polizeitalent“, in Erinnerte Reformation. Studien zur Luther-Rezeption von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Rochus Leonhardt und Christian Danz, Berlin und New York 2008 (Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 143), S. 169 – 200; David Yoon-Jung Kim und Joel Rasmussen, „Martin Luther: Reform, Secularization, and the Question of His ‚True Successor‘“, in Kierkegaard and the Renaissance and Modern Traditions, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart,
1 Thema der Untersuchung
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lem zu Hamann²³, Hegel²⁴ und Schelling²⁵) sowie Untersuchungen allgemeinerer Art über Kierkegaards kulturellen und geistesgeschichtlichen Kontext im ‚Goldenen Zeitalter‘ Dänemarks in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.²⁶ Zahlreiche Beiträge zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit seinen deutschen und dänischen Zeitgenossen finden sich auch in mehreren Bänden der von Niels Thulstrup und Marie Mikulová Thulstrup herausgegebenen Reihe Bibliotheca Kierkegaardiana (1978 – 88)²⁷ sowie vor allem in der von Jon Stewart herausgegebenen Reihe Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources (2007 ff.)²⁸. Auf den jungen Kierkegaard wird jedoch auch in den meisten dieser Beiträge, die in ihrer Ausführlichkeit und Qualität stark variieren, nur überblicksartig eingegangen, wobei man sich dabei zuweilen auf das Anführen der über Register und mittels elektronischer Konkordanzen leicht auffindbaren Zitate und (expliziten) Verweise Kierkegaards auf den entsprechenden Denker beschränkt hat. Auf die wenigen für Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 5), S. 173 – 217. Vgl. die in Kap. 1, Anm. 55, Anm. 233 und Anm. 235 angegebene Literatur. Vgl. die in Kap. 1, Anm. 141 angegebene Literatur. Vgl. besonders Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken (siehe Kap. 1, Anm. 73); Niels Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel und zum spekulativen Idealismus 1835 – 1846. Historisch-analytische Untersuchung, Stuttgart et al. 1972 [1967]; ders., Kierkegaards Verhältnis zu Hegel. Forschungsgeschichte, Stuttgart et al. 1969; Stephen Crites, In the Twilight of Christendom. Hegel vs. Kierkegaard on Faith and History, Chambersburg 1972; Heiko Schulz, „Kierkegaard über Hegel. Umrisse einer kritisch-polemischen Aneignung“, Kierkegaardiana, Bd. 21, 2000, S. 152– 178; Jon Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, New York 2003 (zugleich Habil., Univ. Kopenhagen, 2002). Wolfgang Struve, „Kierkegaard und Schelling“, Orbis litterarum, Bd. 10, 1955, S. 252– 258; Niels Thulstrup, „Kierkegaard and Schelling’s Philosophy of Revelation“, in Kierkegaard and Speculative Idealism (siehe Anm. 27), S. 144– 159 sowie die verschiedenen Beiträge im Sammelband Kierkegaard und Schelling. Freiheit, Angst und Wirklichkeit, hg. von Jochem Hennigfeld und Jon Stewart, Berlin und New York 2003 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 8). Vgl. besonders Bruce H. Kirmmse, Kierkegaard in Golden Age Denmark, Bloomington und Indianapolis 1990; George Pattison, Kierkegaard, Religion and the Nineteenth-Century Crisis of Culture, Cambridge und New York 2002. Bibliotheca Kierkegaardiana, hg. von Niels Thulstrup und Marie Mikulová Thulstrup, Bd. 1– 16, Kopenhagen 1978 – 1988; vgl. besonders Bd. 2, The Sources and Depths of Faith in Kierkegaard, Kopenhagen 1978; Bd. 3, Concepts and Alternatives in Kierkegaard, Kopenhagen 1980; Bd. 4, Kierkegaard and Speculative Idealism, Kopenhagen 1979; Bd. 5, Theological Concepts in Kierkegaard, Kopenhagen 1980; Bd. 6, Kierkegaard and Great Traditions, Kopenhagen 1981 und Bd. 10, Kierkegaard’s Teachers, Kopenhagen 1982. Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, hg. von Jon Stewart, Bd. 1– 21, Aldershot/Farnham und Burlington 2007 ff.; vgl. besonders Bd. 6, Kierkegaard and his German Contemporaries, Tome 1– 3, Aldershot und Burlington 2007– 08 und Bd. 7, Kierkegaard and his Danish Contemporaries, Tome 1– 3, Farnham und Burlington 2009.
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Einleitung
die vorliegende Untersuchung substantiellen Beiträge wird an gegebener Stelle hinzuweisen sein.²⁹ Der innere Grund, der eine eingehende Untersuchung des Glaubensverständnisses speziell des jungen Kierkegaard erst zum Desiderat werden lässt (die bloße Feststellung des Nichtvorhandenseins einer solchen Untersuchung reicht hierzu nicht aus), liegt darin, dass Kierkegaard bereits in seiner „vita ante acta“³⁰ zu Einsichten über die Eigenart und die lebenspraktischen Konsequenzen des christlichen Glaubens gelangt ist, die er später im schriftstellerischen Werk aufnehmen, fortführen und literarisch fruchtbar machen sollte in einer Weise, die ihrerseits erst als Reflex jener frühen Überlegungen voll verständlich wird. Der spätere Schriftsteller Kierkegaard hat bei der Ausarbeitung seiner Schriften immer wieder auf seine frühen Journale und Aufzeichnungen zurückgegriffen und dort formulierte Gedanken und Überlegungen als Vor- oder Grundlage für einzelne Passagen oder ganze Abschnitte verwertet.³¹ Dem nicht selten experimentierenden und zuweilen vorläufigen Charakter seiner Notizen zum Trotz sind in Kierkegaards frühen Journalen und Aufzeichnungen zentrale Motive, Ideen und The-
Dass Kierkegaards Auseinandersetzung mit seinen dänischen Zeitgenossen im deutschen Sprachraum bisher nur ganz vereinzelt untersucht worden ist, dürfte wohl auch dadurch mitbedingt sein, dass ein Großteil der Veröffentlichungen von Kierkegaards dänischen Zeitgenossen nicht auf Deutsch zugänglich ist, zumal auch die Bemühungen einer englischen Übersetzung erst vor wenigen Jahren intensiviert worden sind, vgl. Between Hegel and Kierkegaard. Hans L. Martensen’s Philosophy of Religion, übers. und hg. von Curtis L. Thompson und David Kangas, Atlanta 1997, und vor allem die Bände der Reihe Texts from Golden Age Denmark, übers. und hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2005 ff. Eine Ausnahme bildet Hans Lassen Martensen, von dem fast sämtliche Veröffentlichungen schon zu seinen Lebzeiten in deutscher Übersetzung erschienen sind (vgl. Jon Stewart, „Bibliography“, in Hans Lassen Martensen. Theologian, Philosopher and Social Critic, hg. von dems., Kopenhagen 2012 (Danish Golden Age Studies, Bd. 6), S. 321– 339, hier S. 327 f.), wenngleich auf das erstaunliche Faktum hinzuweisen ist, dass im deutschen Sprachraum bis dato nur eine einzige Monographie über Martensen erschienen ist, und zwar Hermann Brandt, Gotteserkenntnis und Weltentfremdung. Der Weg der spekulativen Theologie Hans Lassen Martensens, Göttingen 1971 (zugleich Diss., Univ. Göttingen, 1969) (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Bd. 25). SKS 16, 58 / GWS, 75, wo Kierkegaard diesen Ausdruck als Bezeichnung für sein Leben „von der Kindheit an bis ich Schriftsteller wurde“ (meine Übers.) verwendet; vgl. ferner Pap. X 5 B 155 sowie SKS 19, 434 f., Not15:4 / DSKE 3, 472 f. Zu Kierkegaards frühen Journalen und Notizbüchern vgl. vor allem die editorischen Berichte zu Journal BB in DSKE 1, 383 – 389, hier 387; Journal DD in DSKE 1, 487– 498, hier 497 f.; Journal EE in DSKE 2, 399 – 409, hier 408 f.; Journal FF in DSKE 2, 457– 463, hier 461– 463; Journal HH in DSKE 2, 497– 501, hier 500; Journal JJ in DSKE 2, 511– 529, hier 520 – 525; Notizbuch 5 in DSKE 3, 637– 641, hier 641; Notizbuch 7 in DSKE 3, 673 – 677, hier 677; Notizbuch 8 in DSKE 3, 691– 698, hier 698; Notizbuch 11 in DSKE 3, 769 – 784, hier 782– 784; Notizbuch 12 in DSKE 3, 837– 842, hier 840 f. und Notizbuch 13 in DSKE 3, 857– 864, hier 860 – 862.
2 Gegenstand der Untersuchung
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men der auto- und pseudonymen Schriften bis zur Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) schon in nuce enthalten oder angelegt.³² Es ist das Anliegen dieser Untersuchung, zu zeigen, dass dies auch für wichtige Aspekte und Elemente seiner Glaubenstheorie gilt.
2 Gegenstand der Untersuchung Untersuchungsgegenstand sind Kierkegaards Schriften³³ und Journale und Aufzeichnungen aus der Zeit vom Beginn des Studiums an der Universität Kopenhagen
Um zwei Beispiele zu nennen: (1) Wie Heiko Schulz gezeigt hat, bilden Rosenkranz‘ religionstypologische Überlegungen im Aufsatz „Eine Parallele zur Religionsphilosophie“ (siehe Kap. 2, Anm. 10), wie sie Kierkegaard in den am 29. Mai und 8. Juni 1837 entstandenen Journalaufzeichnungen SKS 17, 213, DD:1 / DSKE 1, 175 und SKS 17, 219 – 222, DD:10 / DSKE 1, 182– 185 kommentiert und exzerpiert hat (vgl. ferner SKS 17, 218 f., DD:7 / DSKE 1, 181), den argumentativen Hintergrund des bekannten Beispiels vom König und dem Bettelmädchen im zweiten Kapitel der Philosophischen Brocken (1844; vgl. SKS 4, 233 – 238 / PB, 24– 30), vgl. Heiko Schulz, „Traces of Hegelian Psychology and Theology: Søren Kierkegaard and Karl Rosenkranz“ (2007), in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 1, Studien zur Rezeption Søren Kierkegaards, Berlin und Boston 2011 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 24), S. 349 – 384, hier S. 357– 364 (eine solche Beeinflussung vermutet auch Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher (siehe Kap. 1, Anm. 55), S. 304). (2) In der zwischen Mai und Dezember 1842 entstandenen Journalaufzeichnung JJ:511 findet sich die erste Skizze der in Der Begriff Angst (1844) durchgeführten Theorie der Angst, deren Hauptpointe die Verbindung von Angst und Erbsünde ist: „Oft genug hat man nun das Wesen der Erbsünde entwickelt, und dennoch ermangelte man einer Hauptkategorie – das ist Angst, denn sie ist deren eigentliche Bestimmung; Angst ist nämlich ein Begehren dessen, was man fürchtet, eine sympathetische Antipathie; Angst ist eine fremde Macht, die das Individuum ergreift, und doch kann man sich nicht losreißen davon, und will es auch nicht, denn man fürchtet, aber was man fürchtet, das begehrt man. Angst macht das Individuum nun ohnmächtig, und die erste Sünde geschieht immer in Ohnmacht; ihr fehlt es daher scheinbar an Zurechenbarkeit, aber dieser Mangel ist die eigentliche Bestrickung“ (SKS 18, 311, JJ:511 / DSKE 2, 322; dt. Übers. modifiziert). Zur Entstehungsgeschichte von Der Begriff Angst vgl. Søren Kierkegaard, Værker i Udvalg, mit Einleitungen und Texterklärungen hg. von Frederik Julius Billeskov Jansen, Bd. 1– 4, Kopenhagen 1950; Bd. 4, S. 139 f. sowie die Ausführungen in SKS K4, 317– 332. Kierkegaards vornehmlich politische Zeitungsartikel aus seiner Studienzeit („Ogsaa et Forsvar for Qvindens høie Anlæg“ [Noch eine Verteidigung der hohen Anlage der Frau], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblad, 1834, Nr. 34 vom 17. Dezember (vgl. SKS 14, 9 f. / ES, 3 – 6); „Kjøbenhavnspostens Morgenbetragtninger i Nr. 43“ [Die Morgenbetrachtungen in Nr. 43 der Kjøbenhavnsposten], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblad, 1836, Nr. 76 vom 18. Februar (vgl. SKS 14, 13 – 16 / ES, 7– 13); „Om Fædrelandets Polemik“ [Zur Polemik von Fædrelandet], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblad, 1836, Nr. 82 vom 12. März, Sp. 1– 8, und Nr. 83 vom 15. März, Sp. 1– 4 (vgl. SKS 14, 19 – 26 / ES, 14– 26); „Til Hr. Orla Lehmann“ [An Hrn. Orla
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Einleitung
im Wintersemester 1830/31 bis zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie im Herbst 1841.³⁴ Die Untersuchung konzentriert sich damit auf den ‚jungen Kierkegaard‘ als den Kierkegaard der Studienzeit, die mit der Verteidigung der Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie am 29. September 1841 zum Abschluss gekommen ist.³⁵ Die Wahl des Einsatzpunktes der Untersuchung ergibt sich aus dem Umstand, dass in Kierkegaards literarischem Nachlass, abgesehen von zwei Briefen³⁶, keine Aufzeichnungen aus der Zeit vor seiner Immatrikulation an der Universität Kopenhagen am 30. Oktober 1830³⁷ erhalten sind.³⁸ Die Verteidigung der Magisterabhandlung erscheint als Endpunkt des Untersuchungszeitraums wiederum dadurch begründet, dass Kierkegaard seine Magisterab-
Lehmann], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblad, 1836, Nr. 87 vom 10. April (vgl. SKS 14, 29 – 35 / ES, 27– 38)) und sein am 28. November 1835 im Studentenverein gehaltener Vortrag „Unsere Journal-Literatur. Studium nach der Natur im Mittagslicht“ (SKS 27, 189 – 204), dessen Wortlaut nur indirekt durch Barfods Ausgabe von Kierkegaards nachgelassenen Papieren überliefert ist (vgl. EP I-II, S. 80 – 99 samt B-fort. 448), tragen für die Untersuchung von Kierkegaards Glaubensverständnis hingegen nichts aus. Zur Skizzierung der persönlich-biographischen Hintergründe und Umstände wird dabei auch auf in SKS 28 abgedruckte Briefe und in B&A (darüber hinaus) abgedruckte biographische Dokumente Kierkegaards sowie auf Aussagen seiner Zeitgenossen zurückgegriffen, wie sie insbesondere von Bruce H. Kirmmse, Søren Kierkegaard truffet. Et liv set af hans samtidige, Kopenhagen 1996 gesammelt, herausgegeben und kommentiert worden sind. Nach öffentlicher lateinischer Disputation über die Abhandlung Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates am 29. September 1841 wurde Kierkegaard dem Protokoll der Philosophischen Fakultät zufolge am 26. Oktober 1841 die Magisterurkunde mit Datum vom 20. Oktober 1841 zugestellt (vgl. SKS K1, 145). Dies muss dann allerdings in Kierkegaards Abwesenheit geschehen sein, da er bereits am 25. Oktober 1841 nach Berlin gereist ist, vgl. SKS 19, 225, Not8:2 / DSKE 3, 241 samt Kommentar zu DSKE 3, 241,24 in DSKE 3, 699. Vgl. die beiden Briefe Søren Kierkegaards an seinen sich zu dieser Zeit in Berlin zu Studienzwecken aufhaltenden älteren Bruder Peter Christian Kierkegaard (1805 – 88) vom 8. und 25. März 1829 (NKS 3174.4°), abgedruckt in: SKS 28, 9 – 11, Brev 1 und SKS 28, 11– 13, Brev 2; vgl. ferner die von Søren Kierkegaard seiner Abschrift eines Briefes seines Vaters Michael Pedersen Kierkegaard (1756 – 1838) an Peter Christian Kierkegaard vom 13. und 15. Juli (NKS 3174.4°) hinzugefügte persönliche Bemerkung in SKS 28, 16,25 – 29, Brev 3. Zu dieser Briefkorrespondenz zwischen Søren und Peter Christian Kierkegaard vgl. ferner SKS K28, 37– 47, besonders 37– 40 sowie die Übersicht 44– 47. Vgl. den auf den 30. Oktober 1830 datierten, bei der Immatrikulation von den neuen Studenten persönlich (mit Handschlag) entgegenzunehmenden ‚akademischen Bürgerbrief‘ Kierkegaards, abgedruckt in: B&A, Bd. 1, S. 7 (Nr. VIII; KA, D pk. 6 læg 3). Die Herausgeber von Pap. nennen als terminus post quem für die Entstehung der ältesten Aufzeichnungen in Kierkegaards literarischem Nachlass, Pap. I C 1– 6 (SKS 27, 9 – 28, Papir 1– 3), den Abschluss des sog. zweiten Examens (Examen philologico-philosophicum) Ende Oktober 1831, während die Herausgeber von SKS m. E. mit Recht das Wintersemester 1830/31 als Entstehungszeitraum von Papir 1– 3 angeben, vgl. SKS K27, 24 und 66 sowie Kap. 1, Anm. 4.
2 Gegenstand der Untersuchung
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handlung in der Retrospektive zwar als Teil seines Schaffens³⁹, nicht aber als Teil seines schriftstellerischen Werkes betrachtet hat, das für ihn mit Entweder – Oder (1843) beginnt.⁴⁰ Für die Gleichsetzung des Abschlusses von Kierkegaards Studienzeit im engeren Sinne⁴¹ mit seiner Promotion zum Magister der Philosophie spricht ferner, dass Kierkegaard am 25. Oktober 1841 – knapp einen Monat nach Verteidigung seiner Magisterabhandlung und knapp zwei Wochen nach Auflösung seiner Verlobung mit Regine Olsen (1822– 1904) am 12. Oktober 1841⁴² – nach Berlin gereist ist, wo er bis zum 6. März 1842 bleiben und mit der Ausarbeitung von Entweder – Oder beginnen sollte. Was den Untersuchungsgegenstand selbst betrifft, bedarf der Ausdruck Journale und Aufzeichnungen einer Klärung. Mit Journale und Aufzeichnungen werden die „Texte in Kierkegaards dritter Schreibform“ bezeichnet, worunter all das fällt, „was weder dem pseudonymen Werk noch den Erbaulichen Reden zuzurechnen ist und auch nicht zur Veröffentlichung im Rahmen des vom Autor
Vgl. SKS 13, 408 / A, 332 sowie SKS 8, 26 / LA, 23, wo Kierkegaard auch seine Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) (mit)einbezieht; ferner Kierkegaards Bemerkungen in SKS 20, 360 f., NB4:158 / DSKE 4, 411 f. und SKS 21, 328,19, NB10:141 sowie SKS 20, 398, NB5:62 / DSKE 4, 455. Vgl. Kierkegaards Bemerkungen einerseits in der zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Schrift Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller (1851) in SKS 13, 7– 26 / WS, 1– 17, hier SKS 13, 12 / WS, 4 f.; SKS 13, 14 f. / WS, 6 – 8 und SKS 13, 18 / WS, 10; andererseits und vor allem in der posthum veröffentlichten Schrift Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller (1859) in SKS 16, 7– 106 / GWS, 21– 120, hier SKS 16, 11 / GWS, 21; SKS 16, 15 / GWS, 25 (Anm.); SKS 16, 16 f. / GWS, 26 f.; SKS 16, 20 / GWS, 30 f.; SKS 16, 63 / GWS, 80 und SKS 16, 64 / GWS, 81 (Anm.); ferner SKS 12, 281 / RAF, 19 sowie SKS 21, 13,22 ff., NB6:5; SKS 21, 41, NB6:64; SKS 21, 187,28, NB8:104; SKS 21, 364 f., NB10:199 / T 3, 215; Pap. X-5 B 207, S. 389 und SKS 27, 329,1– 2, Papir 318 (zusammen mit dem editorischen Bericht zu Papir 318 in SKS K27, 713 f. (gegen EP I-II, S. 280); vgl. hierzu auch SKS 7, 170,24– 25, Pap. VI B 98:40 und SKS 18, 259, JJ:363 / DSKE 2, 268). Im engeren Sinne, d. h. auf die akademische Laufbahn bezogen nicht nur deshalb, weil Kierkegaard zeit seines Lebens mit philosophisch-theologischen Studien beschäftigt war, Studienzeit und Lebenszeit mithin in gewissem Sinne koinzidierten, sondern auch deshalb, weil Kierkegaard während seines ersten Aufenthalts in Berlin vom 25. Oktober 1841 bis zum 6. März 1842 zwar mit der Arbeit an seinem ersten schriftstellerischen Werk Entweder – Oder (1843) begonnen hat, daneben aber auch Vorlesungen von Schelling, Werder, Steffens und Marheineke besucht hat, vgl. die Briefe an Emil Boesen vom 31. Oktober 1841 in SKS 28, 144– 146, Brev 80 / B, 63 (Nr. 39) und Frederik Christian Sibbern vom 15. Dezember 1841 in SKS 28, 268 – 270, Brev 162 / B, 78 (Nr. 43). Zu dieser Datierung der Auflösung der Verlobung – für Hirsch dasjenige „Ereignis, das Kierkegaard zum Dichter und Schriftsteller machte“ (Kierkegaard-Studien, S. 457; vgl. ferner S. 249) – vgl. SKS 19, 433,19 – 434,9, Not15:4 / DSKE 3, 471,20 – 472,12 sowie SKS 22, 369, NB14:44.a / T 4, 43 – 46 zusammen mit dem bemerkenswerten Kommentar zu SKS 22, 369m,1 (NB14:44.a) in SKS K22, 462 f.
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selbst verantworteten Gesamtwerkes gedacht war“⁴³. Genauer betrachtet kann das unter dieser Bezeichnung rubrizierte Material aus Kierkegaards Nachlass oder, wie er selbst schreibt, seinen „nachgelassenen Papiere[n]“⁴⁴ in drei Gruppen⁴⁵ unterteilt werden: (1) Journale, worunter einerseits – als die ‚frühen Journale‘ – diejenigen Bände (soweit erhalten) unterschiedlichen Aussehens verstanden werden, in die Kierkegaard ab Juni 1835⁴⁶ Eintragungen gemacht und die er kurze Zeit nach der Ingebrauchnahme von Journal JJ im Mai 1842⁴⁷ mit den Doppelbuchstaben AA, BB, CC, DD, EE, FF, GG, HH, JJ und KK gekennzeichnet hat; andererseits – als die ‚späteren Journale‘ bzw. ‚NB-Journale‘ – diejenigen Bände in Quart, die Kierkegaard von März 1846 bis mindestens Dezember 1854 beschrieben und auf dem Etikett auf der Vorderseite des jeweiligen Bandes mit der Aufschrift NB bis NB36 versehen hat. (2) Notizbücher. (3) Lose Papiere. Alle drei Begriffe, insbesondere der erste, bedürfen wiederum einer näheren Erläuterung. (1) Die hier als Journale bezeichneten Bände wurden von Kierkegaard selbst an einer Stelle in seinem Nachlass als „Tagebücher“⁴⁸ sowie an mehreren Stellen in Aufzeichnungen aus der Zeit von 1837 bis 1847 als „Bücher“⁴⁹ bezeichnet, was sich lediglich auf deren äußere Form bezieht. Die Bezeichnung ‚Journal‘ wurde von
Hermann Deuser, „‚Philosophie und Christentum lassen sich doch niemals vereinen‘. Kierkegaards theologische Ambivalenzen im Journal AA / BB (1835 – 37)“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 1– 19, hier S. 1 (wiederabgedruckt in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 178 – 198, hier S. 178). Vgl. ferner die Charakterisierung der „nicht enden wollenden Tagebuchproduktion Kierkegaards“ als „dritte Mitteilungsform“ (S. 79) bei Deuser, Sören Kierkegaard. Die paradoxe Dialektik, S. 79 – 82. SKS 21, 57, NB6:75. Zur Differenzierung von Journalen, Notizbüchern und (losen) Papieren vgl. „Richtlinien“ in DSKE 1, 278 f. Vgl. hierzu den editorischen Bericht zu Journal AA in DSKE 1, 311– 322, hier 316 f. Vgl. hierzu den editorischen Bericht zu Journal JJ in DSKE 2, 511– 529, hier 519. Der früheste Beleg dafür, dass dieses (neue) Kennzeichnungssystem in Gebrauch gewesen ist, findet sich in der (vermutlich) im Dezember 1842 entstandenen Aufzeichnung SKS 19, 386, Not13:7 / DSKE 3, 424; vgl. ferner SKS 19, 418, Not13:53 / DSKE 3, 456. Und zwar in der Randbemerkung SKS 22, 81, NB11:135.a, in der Kierkegaard auf „eine[s] meiner allerältesten Tagebücher (bevor ich [theologischer] Kandidat wurde)“ verweist; vgl. ferner die Bezeichnung von Notizbuch 6 als „Tagebuch“ in SKS 19, 206, Not7:2 / DSKE 3, 220 sowie der allgemeine Ausdruck „Journale und Tagebücher“ in SKS 16, 52 / GWS, 67. Vgl. SKS 17, 234, DD:36 / DSKE 1, 199; SKS 17, 242, DD:61 / DSKE 1, 207; SKS 17, 261, DD:139.a / DSKE 1, 229; SKS 18, 80, FF:24 / DSKE 1, 82; SKS 18, 53, EE:151.a / DSKE 2, 54; SKS 18, 279, JJ:417 / DSKE 2, 289; SKS 20, 91, NB:129 / DSKE 4, 101; SKS 20, 171, NB2:72 / DSKE 4, 191; SKS 20, 171, NB2:72.c / DSKE 4, 192; SKS 20, 203, NB2:157.c / DSKE 4, 230; SKS 20, 204, NB2:157.d / DSKE 4, 231; SKS 20, 213, NB2:181 / DSKE 4, 241; SKS 20, 214, NB2:186.a / DSKE 4, 243; SKS 20, 219, NB2:201.a / DSKE 4, 249; SKS 20, 230, NB2:237.a / DSKE 4, 261; SKS 19, 418, Not13:53 / DSKE 3, 456; SKS 27, 172, Papir 249.
2 Gegenstand der Untersuchung
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Kierkegaard erst Anfang 1844 in Verbindung mit der Arbeit an Der Begriff Angst (1844) und dabei zunächst exklusiv für den Band mit der Aufschrift JJ⁵⁰ und später dann auch für die Bände mit der Aufschrift NB bis NB36 gebraucht, wobei er an ganz wenigen Stellen⁵¹ – stets in der Retrospektive und oft allgemein – auch für die mit AA bis KK gekennzeichneten Bände die Bezeichnung ‚Journal‘ verwendet hat. Wenn in dieser Untersuchung auch für diese letzteren Bände die von SKS und DSKE gebrauchte Bezeichnung ‚Journal‘ beibehalten wird und diese als ‚frühe Journale‘ bezeichnet werden, so deshalb, weil für die literarische Form ‚Tagebuch‘ vor allem „das chronologisch geordnete, regelmäßige Aufzeichnen von inneren
Und zwar an drei Stellen: (1) Im Kladdeheft mit der Aufschrift „Vokalisationen / zu / Über den Begriff Angst. / loquere ut videam te“ (B-fort. 420; KA, A pk. 45; Pap. V A 102– 108 [nicht in SKS 27, jedoch in SKS K4, 338 f. abgedruckt]; Ms. 2 in SKS K4, 314), das zum Teil (Vokalisation 1 und 2) im April 1844 noch vor, zum Teil (Vokalisation 3 bis 5) während der Anfertigung der Reinschrift im April und Mai 1845 von Der Begriff Angst (1844) beschrieben worden ist, verweist Kierkegaard in Vokalisation 3 auf SKS 18, 180, JJ:121 / DSKE 2, 186 als eine Aufzeichnung „im Journal“ (Pap. V A 105; vgl. SKS K4, 339). (2) Im Kladdeheft Nr. 8 (L-fort. 387 + B-fort. 417; KA, B pk. 15, læg 1; Pap. V B 55:21– 26 und 56 – 60; Ms. 1.8 in SKS K4, 313) mit der vorläufigen Ausarbeitung von unter anderem Kapitel 4 (nicht vor Frühjahr 1844 entstanden) heißt es: „cfr. mein Journal“ (Pap. V B 58), womit sich Kierkegaard auf SKS 18, 172, JJ:104 / DSKE 2, 177 bezieht. (3) Im unnummerierten Kladdeheft (L-fort. 387 + B-fort. 417; KA, B pk. 15, læg 1; Pap. V B 60 – 70; Ms. 1.9 in SKS K4, 313 f.) heißt es: „cfr. irgendwo im Journal“ (Pap. V B 68), womit sich Kierkegaard auf SKS 18, 197, JJ:177 / DSKE 2, 204 (Januar 1844) bezieht; vgl. hierzu – wenngleich in einigen Punkten ungenau – Peter Tudvad, „On Kierkegaard’s Journalism“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 214– 233, vor allem S. 215 f. Dass Journal JJ tatsächlich das erste Journal gewesen ist, das Kierkegaard von Anfang an – und eben nicht erst in der Retrospektive wie die anderen frühen Journale (vgl. die folgende Anm.) – als ‚Journal‘ betrachtet und auch so bezeichnet hat, zeigt sich in der auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung Papir 324 von 1845, wo Kierkegaard schreibt: „cfr. das Journal S. 158 u.“ (SKS 27, 337,30 – 31, Papir 324; vgl. SKS K27, 722, wo als terminus ante quem dieses Verweises (auf SKS 18, 232, JJ:291 / DSKE 2, 240 von Januar 1845) der 9. März 1846 angegeben wird), während es in der kurze Zeit nach der Ingebrauchnahme von Journal NB entstandenen Randbemerkung Not13:39.a bezeichnenderweise heißt: „cfr. das Journal J.J.“ (SKS 19, 403, Not13:39.a / DSKE 3, 442). Vgl. ferner SKS 22, 235, NB12:147 / T 3, 291, wo Kierkegaard von Journal JJ als „dem ältesten Journal aus meiner Zeit als Schriftsteller“ (meine Übers.) spricht, sowie SKS 22, 328, NB13:87 / T 4, 24 („in dem ersten Journal, dem Journal JJ, dem in Oktav“; meine Übers.). Vgl. SKS 20, 187, NB2:117 / DSKE 4, 210 („in meinem alten Journal von 1839 (E.E.)“); Pap. IX B 33:3 („in einem meiner älteren Journale (aus der Zeit der Hamann-Lektüre)“); SKS 23, 427, NB20:62 / T 4, 214 (in Bezug auf die Journalaufzeichnung SKS 17, 52 f., AA:51 / DSKE 1, 55 f.: „in einem meiner frühesten Journale (aus einer Zeit, ehe ich begann, Schriftsteller zu sein)“; dt. Übers. modifiziert). Vgl. ferner Pap. VIII-2 B 190 („in einem der Journale von 47, oder einem jüngeren“), die in SKS K18, 167 angeführte Notiz aus Kierkegaards Hand: „Aus einem alten Journal, genannt GG“ (nicht im Ms.) sowie die von Tudvad, „On Kierkegaard’s Journalism“, S. 216 (Anm. 7) referierte Bemerkung Finn Gredal Jensens.
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und äußeren Erfahrungen“⁵² charakteristisch ist, während der „hinreichend unscharfe Ausdruck ‚Journal‘“ gerade der Vielfalt und Heterogenität des darin versammelten Materials Rechnung trägt, das eben nicht einfach „auf Privates und bloß biographisch Relevantes“⁵³ reduziert werden kann. Kierkegaards frühe Journale als Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind ein Potpourri, ein Sammelsurium verschiedenartigster Aufzeichnungen.⁵⁴ Neben Eintragungen persönlicher Erlebnisse und Gedanken finden sich solche, die im Zusammenhang mit seinem theologischen Studium oder seinen ästhetischen Studien entstanden sind, wie etwa Predigt- und Gebetsentwürfe, Bücherlisten, Buchexzerpte, Exegesen von Bibelstellen, lateinische Übersetzungen aus dem griechischen Neuen Testament, dogmatisch-theologische und philosophische Reflexionen, Zusammenfassungen von und Bemerkungen zu interessanten Stellen oder auch bloß Inhaltsverzeichnissen und Registern in gelesenen Schriften sowie Vorlesungsnotizen. Hinzu kommen Entwürfe zu (literarischen) Briefen, Ideen zu (zum Teil nie) realisierten literarischen Projekten, bei der Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre notierte oder beim Spaziergang durch Kopenhagen aufgeschnappte Bemerkungen sowie lose hingeworfene Gedanken und Situationen, die später in den Schriften verwertet werden oder sich zu deren Vorstudien und Entwürfen auswachsen sollten. In Journal DD findet sich überdies der vermutlich in den ersten Monaten des Jahres 1838 angefertigte Dramenentwurf „Der Streit zwischen dem alten und dem neuen Seifenkeller / heroisch-patriotisch-kosmopolitisch-philanthropisch-fatalistisches Drama / in mehreren Aufzügen“⁵⁵. Ist demnach die Bezeichnung ‚Journal‘ der Bezeichnung ‚Tagebuch‘ für diese Bände vorzuziehen, muss gleichwohl auf die Differenz zwischen Kierkegaards frühen und seinen späteren Journalen hingewiesen werden. Während letztere Journale von Kierkegaard selbst nacheinander, „und zwar in der Reihenfolge ihrer Ingebrauchnahme“⁵⁶ mit der Aufschrift NB bis NB36 versehen und chronologisch geführt worden sind⁵⁷, weshalb die NB-Journale insofern am ehesten mit ‚Tagebüchern‘ vergleichbar sind, entspricht die von Kierkegaard im Nachhinein vorgenommene alphabetische Ordnung der frühen Journale nicht unbedingt der So im Abschnitt „Zur Charakterisierung des Nachlasses und zum vorliegenden Band“ in DSKE 3, XIV-XVIII, hier XIV. Richard B. Purkarthofer, „Zur deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte von Kierkegaards Nachlass“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 316 – 345, hier S. 318. Vgl. hierzu Markus Kleinert und Gerhard Schreiber, „Einleitung“, in Søren Kierkegaard, Ausgewählte Journale, Bd. 1, hg. von dens., Berlin und Boston 2013, S. XI-XX, hier S. XV. SKS 17, 280 – 297, DD:208 / DSKE 1, 253 – 272. Zur Datierungsproblematik von Kierkegaards Seifenkellerschrift vgl. Exkurs 1, Anm. 45. „Richtlinien“ in DSKE 1, 278. Vgl. hierzu den editorischen Bericht zu Journal NB in DSKE 4, 495 – 504, hier 500.
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chronologischen Folge. Tatsächlich wurden die frühen Journale teilweise synchron geführt, teilweise zu verschiedenen Zeitpunkten von der Vorderseite oder von der Rückseite des Bandes her beschrieben. Überdies greift Kierkegaard immer wieder, auch noch Jahre später auf seine frühen Journale zurück, um nachträgliche Eintragungen in Form von Einschüben oder Randbemerkungen vorzunehmen. Aufgrund des nicht nur nach heutigen Maßstäben unverantwortlichen Umgangs Hans Peter Barfods (1834– 92) mit den Manuskripten⁵⁸ sind viele Aufzeichnungen in den frühen Journalen aber nur indirekt durch Barfods Ausgabe von Kierkegaards nachgelassenen Papieren⁵⁹ überliefert. Da Barfod die Originalmanuskripte mit seinen Anmerkungen versah und als Druckvorlage benutzte, sind von einigen Aufzeichnungen, die aus der Setzerei nicht mehr zurückkamen, allein die Anfangsworte oder (Barfods) Stichworte zum Inhalt in dem von Barfod erstellten Manuskriptverzeichnis⁶⁰ bekannt oder sie sind ganz verlorengegangen. (2) Zu Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen gehören ferner insgesamt fünfzehn Bände und Hefte (soweit erhalten) unterschiedlichen Aussehens, die zum Teil bereits vor den frühen Journalen begonnen⁶¹ und (mit Ausnahme von Notizbuch 15) gleichzeitig mit ihnen beschrieben worden sind: die Notizbücher. ⁶² „Die Bezeichnung ‚Notizbücher‘ stammt nicht von Kierkegaard selbst, sondern von den SKS-Herausgebern“⁶³, die diese Bände und Hefte nach dem Zeitpunkt
Vgl. hierzu Deuser, „Philosophie und Christentum“, S. 2 (Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, S. 178 f.) und Purkarthofer, „Zur deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte“, S. 321 f. Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer, Bd. I-IX, hg. von Hans Peter Barfod und Hermann Gottsched, Kopenhagen 1869 – 81 (EP). Gut ein Fünftel der Eintragsnummern der ersten beiden Bände von EP sind nur durch Barfods Ausgabe überliefert. Dass Barfod es auch bei der Abschrift bzw. Wiedergabe der Aufzeichnungen nicht sonderlich genau genommen hat, zeigt der Blick auf diejenigen Aufzeichnungen, die sowohl in Kierkegaards Manuskript erhalten als auch in Barfods Ausgabe gedruckt sind, vgl. die Beispiele aus Journal AA in DSKE 1, 316. Von daher erstaunt es wenig, dass gewisse Stellen dieser indirekt überlieferten Aufzeichnungen mitunter auch (berechtigten) Anlass zur Konjektur gegeben haben, wie etwa in der für diese Untersuchung wichtigen Aufzeichnung SKS 27, 112, Papir 91 / T 1, 45 (EP I-II, S. 26), siehe Kap. 1.3. „Fortegnelse over de efter Søren Aabye Kierkegaards Død forefundne Papirer. – 1856 (24/2– 3/ 11) optaget af H.P. Barfod. Aalborg“ (B-fort.), Kierkegaard-Archiv der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen (KA). Mit den Eintragungen in Notizbuch 1 (SKS 19, 7– 95 / DSKE 3, 3 – 90) wurde bereits im Wintersemester 1833/34 begonnen, während Notizbuch 2 (SKS 19, 89 – 96 / DSKE 3, 93 – 100) in der Zeit von März bis Dezember 1835 beschrieben worden ist. Zur Charakterisierung speziell der Notizbücher vgl. „Zur Charakterisierung des Nachlasses und zum vorliegenden Band“ in DSKE 3, XVII. Ibid., (Anm. 8); vgl. unten Anm. 66. Kierkegaard selbst bezeichnet Notizbuch 6 (SKS 19, 191– 202 / DSKE 3, 203 – 216) als „mein Tagebuch von meiner Reise“ (SKS 19, 206, Not7:2 / DSKE 3,
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ihrer Ingebrauchnahme nummeriert haben. Dabei können zwei Gruppen von Notizbüchern⁶⁴ unterschieden werden: Die eine Gruppe enthält vor allem Buchexzerpte und Notizen zu verschiedenen theologischen und philosophischen Vorlesungen, wobei diese Notizen zum Teil während des Besuchs der Vorlesungen selbst entstanden sind, zum Teil aber auch den Charakter einer Reinschrift tragen und somit eigene Notizen oder die anderer (d. h. sogenannte Kolleghefte⁶⁵) als Vorlage gehabt haben.⁶⁶ Die andere Gruppe von Notizbüchern enthält vermischte Bemerkungen und Reflexionen teils fachlicher, teils persönlicher Art (bei Notizbuch 6 handelt es sich z. B. um das Tagebuch von Kierkegaards Jütlandreise im Sommer 1840) und sind insofern mit den frühen Journalen vergleichbar. (3) Unter Kierkegaards losen Papieren ⁶⁷, die größtenteils⁶⁸ in Band 27 von SKS versammelt sind, werden schließlich seine Aufzeichnungen auf einzelnen (gefalteten) Bogen oder Halbbogen, losen Blättern und Zetteln (als Bezeichnung für kleinere, z. B. abgetrennte Einheiten) sowie auf zu einer selbstständigen Einheit zusammengehefteten Blättern (von mir ‚Heft‘ genannt) verstanden, die eine ähnlich breite thematische Vielfalt aufweisen wie die frühen Journale. Den Großteil der losen Papiere aus den Jahren 1830 bis 1841 hat Kierkegaard selbst in
220), während er von Notizbuch 9 (SKS 19, 249 – 282 / DSKE 3, 267– 305) und Notizbuch 10 (SKS 19, 285 – 302 / DSKE 3, 309 – 329), bei denen es sich um zwei kleine Taschenbücher in Oktav handelt, als „die kleinen Bücher“ (SKS 19, 415, Not13:50 / DSKE 3, 453) spricht, was sich also nur auf deren äußere Form bezieht. Zu Notizbuch 15, das erst im Sommer 1849 beschrieben worden ist und weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe von Notizbüchern passt, aber auch von den NB-Journalen deutlich abweicht, vgl. Kleinert und Schreiber, „Einleitung“, S. XIXf., sowie den editorischen Bericht zu Notizbuch 15 in DSKE 3, 909 – 916. Zu dieser (auch) zu Kierkegaards Zeit verbreiteten Einrichtung des ‚Kollegabonnements‘ vgl. den editorischen Bericht zu Journal KK in DSKE 2, 663 – 673, hier 664 und 669 – 673. Beispielsweise handelt es sich bei Kierkegaards Notizen zu Schellings Vorlesung über „Philosophie der Offenbarung“ in Notizbuch 11 (SKS 19, 305 – 367 / DSKE 3, 333 – 405) um eine Reinschrift seiner eigenen Vorlesungsnotizen (vgl. hierzu den Brief Kierkegaards an Emil Boesen vom 6. Februar 1842 in SKS 28, 168, Brev 85 / B, 101 (Nr. 47) zusammen mit dem editorischen Bericht zu Notizbuch 11 in DSKE 3, 769 – 784, hier 775), während Marheinekes Dogmatikvorlesung in Notizbuch 9 und Notizbuch 10 (vgl. oben Anm. 63) wahrscheinlich während der Vorlesung selbst mitgeschrieben worden ist (vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 9 – 10 in DSKE 3, 711– 719, hier 716). Der Großteil der Aufzeichnungen in Notizbuch 1 (genauer SKS 19, 7– 74, Not1:1– 8 / DSKE 3, 3 – 78) hat den Charakter einer Reinschrift, wobei nicht zu entscheiden ist, ob Kierkegaards eigene Notizen oder die anderer als Vorlage gedient haben, siehe Kap. 1.2.2.1. Zu diesem Terminus als Bezeichnung des nachfolgend beschriebenen Materials, der von Kierkegaard selbst in der 1848 auf einen aus einem Bogen Papier gefalteten Umschlag notierten Aufzeichnung SKS 27, 481, Papir 400 (L-fort. und B-fort. 144; KA, A pk. 48) gebraucht wird, vgl. die Einleitung in SKS K27, 5 – 18, hier 9 f. Vgl. unten Anm. 86.
3 Methodik der Untersuchung
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drei aus je einem Blatt Papier gefalteten Umschlägen mit den Aufschriften „Philosophica. Ältere“, „Theologica. Ältere“ und „Aesthetica. Ältere“⁶⁹ in „einer großen Pappschachtel“ mit dem Zeichen „A“ sowie der Aufschrift „Journale und anderes Derartiges aus einer älteren Zeit“⁷⁰ hinterlassen, während er den Inhalt von insgesamt 215 Aufzeichnungen, die in der Zeit zwischen September 1836 und September 1838 zunächst auf lose Blätter oder Zettel notiert waren, in das Journal FF abschriftlich eingetragen hat.⁷¹ Die zeitliche Spanne dieser losen Papiere reicht also über den der frühen Journale und der Notizbücher hinaus,wobei allgemein zu bemerken ist, dass Kierkegaard für seine Aufzeichnungen bis mindestens Anfang 1837 hauptsächlich lose Blätter und Zettel benutzt hat. Da die meisten der auf lose Blätter und Zettel notierten Aufzeichnungen undatiert sind, gestaltet sich deren genaue Datierung, die für die vorliegende Untersuchung von wesentlicher Bedeutung sein kann, nicht selten schwierig. In vielen Fällen kann der Entstehungszeitpunkt jedoch aufgrund verschiedener äußerer Umstände ebenso wie expliziter oder impliziter Verweise und Anspielungen Kierkegaards approximativ bestimmt werden.
3 Methodik der Untersuchung Die Herausarbeitung von Kierkegaards Glaubensverständnis anhand seiner Schriften und Journale und Aufzeichnungen im angegebenen Untersuchungszeitraum soll zum Zwecke der Rekonstruktion seiner Entwicklung⁷² möglichst chro-
Die Aufzeichnungen im Umschlag mit der Aufschrift „Philosophica. Ältere“ (SKS 27, 85, Papir 30) sind abgedruckt in SKS 27, 85 – 89, Papir 31– 47 (B-fort. 434; KA, A pk. 1[I] und 1[II] sowie pk. 41 læg 1; D pk. 9 læg 1), die im Umschlag mit der Aufschrift „Theologica. Ältere“ (SKS 27, 93, Papir 48) in SKS 27, 93 – 113, Papir 49 – 94 (B-fort. 433; KA, A pk. 1[I] und 1[II], pk. 2 læg 3 sowie pk. 41 læg 1; C pk. 3 læg 1 und 2; D pk. 9 læg 1) und die im Umschlag mit der Aufschrift „Aesthetica. Ältere“ (SKS 27, 117, Papir 95) in SKS 27, 117– 168, Papir 96 – 246 (B-fort. 435; KA, A pk. 1[I] und 1[II] sowie pk. 41 læg 1; C pk. 2 læg 3 und 4 sowie pk. 3 læg 7; D pk. 9 læg 1). So Barfod in B-fort., S. 189. Vgl. den editorischen Bericht zu Journal FF in DSKE 2, 457– 463, hier 461. Wann Kierkegaard die Aufzeichnungen in das Journal übertragen hat, kann nicht mit Sicherheit entschieden werden; da die drittletzte Aufzeichnung, SKS 18, 115, FF:213 / DSKE 2, 119, nach dem 1. September 1838 entstanden sein muss (vgl. den Kommentar zu DSKE 2, 119,2 in DSKE 2, 486), kann dies jedenfalls nicht vor September 1838 geschehen sein. Dem editorischen Bericht in DSKE 2, 460 f. zufolge könnte dies womöglich auch erst im Mai 1842 erfolgt sein, als Kierkegaard kurze Zeit nach der Ingebrauchnahme von Journal JJ seine frühen Journale mit den Doppelbuchstaben AAKK gekennzeichnet hat. Mit der Verwendung des Entwicklungsbegriffs in diesem Zusammenhang soll freilich nicht suggeriert werden, die Herausbildung von Kierkegaards Glaubensverständnis könne als ge-
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nologisch erfolgen.⁷³ Bei der Untersuchung von Detailproblemen und in thematischen Zusammenhängen kann es jedoch angebracht sein, auch Schriften und Aufzeichnungen aus späterer Zeit miteinzubeziehen – insbesondere dann, wenn terminologische und/oder sachlich-inhaltliche Übereinstimmungen zwischen den Überlegungen des jungen Kierkegaard und den Ausführungen in seinen späteren auto- oder pseudonymen Schriften vorliegen oder sich gar eine Abhängigkeit letzterer von ersteren belegen oder zumindest vermuten lässt. Bei der mit dieser werkimmanenten einhergehenden werktranszendierenden rezeptionsgeschichtlichen Fragestellung der vorliegenden Untersuchung nach den philosophisch-theologischen Quellen und Voraussetzungen von Kierkegaards Glaubensverständnis bilden den methodischen Ausgangspunkt stets die Aussagen Kierkegaards, die auf eine mögliche Beeinflussung durch seine Auseinandersetzung mit anderen Denkern ebenso wie durch philosophisch-theologische Diskussionen in seinem zeitgenössischen Umfeld hin zu untersuchen sind.⁷⁴ In dem für die Untersuchung günstigsten Fall finden sich in den betreffenden Aufzeichnungen bzw. an den betreffenden Stellen mehr oder weniger wörtliche Zitate oder explizite Verweise⁷⁵ auf andere Denker und deren Texte. Diese für gewöhnlich mit einem entsprechenden Hinweis auf eine (schriftliche) Quelle versehenen expliziten Verweise kritischer oder affirmativer Art können dabei entweder auf Kierkegaard selbst, d. h. auf seine Lektüre der betreffenden Texte im Original zurückgehen und insofern direkt-explizit oder durch Texte Dritter vermittelt und insofern explizit-indirekt sein. Ungleich schwieriger gestaltet sich die Untersuchung jedoch, wenn lediglich textliche, terminologische und konzeptuelle Übereinstimmungen oder implizite Verweise und Anspielungen Kierkegaards ohne schlossener Prozess verstanden werden. Jeder „Versuch“, um mit Hirsch zu sprechen, „das Denken Kierkegaards…nach seinem Gehalte als in und aus sich verständliche, ein Prinzip entfaltende geschlossene Einheit zu verstehen“, würde „dem geschichtlichen Tatbestande Gewalt“ (Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 452 f.) antun. Der chronologische Ansatz prägt auch den Gang der Untersuchung und ihre Gliederung. Zur (Begründung der) Abgrenzung der einzelnen Kapitel siehe Kap. 1.1, Kap. 2.1 und Kap. 3.1. Sind methodischer Ausgangspunkt bei der rezeptionsgeschichtlichen Fragestellung dieser Untersuchung also stets die Aussagen Kierkegaards, kann es bei der Darstellung der Untersuchung von komplexen Aufzeichnungen und Zusammenhängen gleichwohl zweckmäßig sein, zunächst die für das Verständnis der Aussagen Kierkegaards relevanten Ausführungen anderer zu skizzieren, bevor die Aussagen Kierkegaards näher betrachtet und interpretiert werden sollen. Im Anschluss an Heiko Schulz, „Die spekulative Verflüchtigung des Christentums. Philipp Marheinekes System der christlichen Dogmatik und seine Rezeption bei Søren Kierkegaard“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 20 – 47, insbesondere S. 30 f., unterscheide ich hier und im Folgenden „explizite (d. h. sachliche und/oder namentliche) von impliziten (d. h. rein sachlichen) sowie quer hierzu direkte (d. h. auf Kierkegaard selbst zurückgehende) von indirekten (d. h. durch dritte [sic!] im Werk des ersteren vermittelte)“ (S. 30) Verweise.
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Kennzeichnung einer konkreten Quelle vorliegen, die es dann überhaupt erst als solche zu erkennen und deren Bezugspunkt oder Anlass es zu identifizieren gilt. Auch diese impliziten Verweise kritischer oder affirmativer Art können entweder durch eine Bekanntschaft Kierkegaards mit den betreffenden Texten im Original und insofern direkt-implizit oder durch Texte Dritter vermittelt und insofern implizit-indirekt sein. Rezeptionstypologisch betrachtet geht es bei der rezeptionsgeschichtlichen Fragestellung dieser Untersuchung vor allem um die Klärung der Frage, inwieweit Kierkegaard bei der Herausbildung seines Glaubensverständnisses andere Denker produktiv rezipiert hat. Unter ‚produktiver Rezeption‘ wird hier – unter Anwendung der von Heiko Schulz erstellten Typologie der Kierkegaard-Rezeption⁷⁶ auf die Rezeption Kierkegaards selbst – eine solche Rezeption verstanden, bei der dem Werk eines von Kierkegaard rezipierten Autors eine „zentrale Rolle“ bei der Herausbildung und Profilierung von Kierkegaards eigener Position oder sogar „die einer regelrechten Initialzündung“⁷⁷ zukommt, ohne dass deshalb die Position Kierkegaards, wenn es sich um eine „genuin produktive“⁷⁸ Rezeption handeln soll, „der Sache nach“⁷⁹ auf die des rezipierten Autors reduziert werden kann. Diese produktive Rezeption kann auf terminologischer, konzeptueller und methodischer Ebene erfolgen, sich also auf Begriffe und Motive ebenso erstrecken wie auf Überlegungen und Einsichten und eben methodische Grundentscheidungen, wobei die vom rezipierten Autor ausgegangenen Impulse nicht zwingend nur positiver Natur gewesen sein müssen, sondern auch dazu geführt haben können, dass Kierkegaard sich – durchaus auch unter Rückgriff auf die vom Autor verwendete Terminologie – kritisch von der Position des nichtsdestotrotz produktiv rezipierten Autors absetzt. Dass die Rezeption von Begriffen, Motiven und Gedanken (mögen diese nun für den rezipierten Autor zentral sein oder nicht) im Falle Kierkegaards nicht nur dann produktiver Art sein kann, wenn lediglich vereinzelt Reflexe des rezipierten Werkes erkennbar sind, sondern selbst dann, wenn aus der Sicht des rezipierten Vgl. Schulz, „Die Welt bleibt immer dieselbe. Typologisch orientierende Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte Søren Kierkegaards“, in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 1, op. cit., S. 3 – 26. Schulz differenziert zur rezeptionshistorischen Beschreibungsgrundlage im Blick auf Kierkegaard sechs Idealtypen: ‚Rezeption ohne Produktion‘, ‚Produktion ohne Rezeption‘, ‚unproduktive Rezeption‘, ‚produktive Rezeption‘, ‚Einheit von produktiver Rezeption und rezeptiver Produktion‘ sowie ‚rezeptive Produktion‘. Dass diese Aufzählung um einen weiteren Rezeptionstypus erweitert werden kann, soll an anderer Stelle dieser Untersuchung wenigstens angedeutet werden, vgl. Exkurs 1, Anm. 11. Ibid., S. 8. Ibid., S. 15 (Anm. 23) (meine Hervorhebung). Ibid. (ohne Hervorhebungen).
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Autors die Aneignung seines Denkens „im Prozess seiner produktiven Transformation“⁸⁰ durch Kierkegaard einer Fehldeutung gleichkommen mag, legt eine Äußerung Kierkegaards in einem Gespräch mit Hans Brøchner (1820 – 75), einem entfernten Verwandten⁸¹, nahe: „Ich habe nie die Fähigkeit gehabt, andere objektiv aufzufassen.“⁸² Tatsächlich war Kierkegaard weniger an „einer objektiven Auffassung der Gedanken anderer“⁸³ interessiert als vielmehr an der betreffenden Denkerpersönlichkeit selbst, aus deren Gedankenwelt er sich das aneignete und weiterführte, was ihm verwandt und (be)merkenswert erschien. „Nicht er stellte sich in den Dienst der Autoren, die er rezipierte, sondern so, wie er sie rezipierte, stellte er sie in den Dienst seiner Idee.“⁸⁴ Inwieweit das auch für Kierkegaards Verständnis des christlichen Glaubens gilt, muss die Untersuchung zeigen. Ein unentbehrliches Hilfsmittel zum Nachweis sowohl von Zitaten als auch von expliziten und impliziten Verweisen und Anspielungen sind die bibliographischen Hinweise in den Anmerkungen der älteren dänischen Ausgabe von Kierkegaards Nachlass, Søren Kierkegaards Papirer (1968 – 78)⁸⁵, sowie – und vor allem – der Realkommentar der neuen historisch-kritischen Gesamtausgabe Søren Kierkegaards Skrifter (1997– 2013)⁸⁶. In den Fällen jedoch, in denen Angaben so-
Ibid., S. 8; vgl. ferner S. 8 f. Vgl. Encounters with Kierkegaard. A Life as Seen by His Contemporaries, übers. von Bruce H. Kirmmse und Virginia R. Laursen, Princeton, NJ 1996, S. 286. Hans Brøchner, „Erindringer om Søren Kierkegaard“, Det nittende Aarhundrede. Maanedsskrift for Literatur og Kritik, Bd. 5, 1877, S. 337– 374 (Märzheft), hier S. 351 (Nr. 19). Wie aus der Anmerkung Harald Høffdings, dem Herausgeber von Brøchners ‚Erinnerungen an Søren Kierkegaard‘, auf S. 374 hervorgeht, hatte Brøchner sie in der Zeit vom 27. Dezember 1871 bis zum 10. Januar 1872 niedergeschrieben. So in der von Brøchner im selben Paragraphen festgehaltenen Äußerung Kierkegaards ihm gegenüber, welche in Gänze lautet: „eigentlich fehlt Genies immer die Fähigkeit zu einer objektiven Auffassung der Gedanken anderer; sie finden überall ihre eigenen“ („Erindringer om Søren Kierkegaard“, S. 351). Vgl. hiermit Kierkegaards vielzitierte Journalaufzeichnung BB:46 von Februar oder März 1837: „Eine These: große Genies können eigentlich kein Buch lesen, sie werden nämlich während des Lesens ständig mehr sich selbst entwickeln als den Verfasser verstehen“ (SKS 17, 137, BB:46 / DSKE 1, 148; dt. Übers. modifiziert). Peter Fonk, Zwischen Sünde und Erlösung. Entstehung und Entwicklung einer christlichen Anthropologie bei Søren Kierkegaard, Kevelaer 1990 (zugleich Diss., Univ. Würzburg, 1989), S. 56. Søren Kierkegaards Papirer, Bd. I – XI,3, hg. von Peter Andreas Heiberg, Victor Kuhr und Einer Torsting, Kopenhagen 1909 – 48; 2. erw. Ausg., Bd. I – XI,3, von Niels Thulstrup, Bd. XII – XIII Ergänzungsbände, hg. von Niels Thulstrup, Bd. XIV – XVI Index von Niels Jørgen Cappelørn, Kopenhagen 1968 – 78 (Pap.). Søren Kierkegaards Skrifter, Bd. 1– 28, K1– K28, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Jette Knudsen, Johnny Kondrup, Alastair McKinnon und Finn Hauberg Mortensen, Kopenhagen 1997– 2013 (SKS). Vgl. hierzu Johnny Kondrup und Jette Knudsen, „Textkritische Richtlinien für Søren Kierkegaards Skrifter (SKS), unter besonderer Berücksichtigung der Journale und Auf-
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wohl in den dänischen Ausgaben als auch in der einschlägigen Sekundärliteratur fehlen oder sich als unzureichend erweisen, mag es zweckmäßig sein, auch andere Aufzeichnungen Kierkegaards aus etwa gleicher Zeit in die Untersuchung miteinzubeziehen, um so wenigstens einen Hinweis auf den Gegenstand von Kierkegaards Lektüre zur betreffenden Zeit als möglichen Hintergrund für die infrage stehende Aussage zu erhalten. Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel ist überdies das anlässlich der Versteigerung von Kierkegaards Bibliothek vom 8. bis 10. April 1856 angefertigte Protokoll.⁸⁷ Gleichwohl kann die (fehlende) Auflistung eines Buches in diesem zahlreiche Fehler und Ungenauigkeiten enthaltenden Auktionsprotokoll⁸⁸ nicht als alleiniges Kriterium für die Beantwortung der Frage dienen, ob Kierkegaard ein bestimmtes Buch zu einem bestimmten Zeitpunkt gekannt und (auch) gelesen haben konnte oder nicht – und zwar, wie ich meine, aus mindestens vier Gründen: (1) Bei der großen Mehrzahl der im Auktionsprotokoll aufgelisteten Bücher ist nicht bekannt, wann genau sich Kierkegaard das Buch gekauft hat. Zwar sind verschiedene Rechnungen von den Buchhändlern P.G. Philipsen und C.A. Reitzel erhalten⁸⁹, anhand derer sich die Anschaffung von nicht wenigen Büchern exakt datieren
zeichnungen. (Als Manuskript gedruckt)“, Kierkegaard Studies Yearbook, 1997, S. 336 – 370. Es muss allerdings bemerkt werden, dass SKS – entgegen dem eigenen Anspruch, „eine vollständige…Neuausgabe all dessen [zu sein], was aus Søren Kierkegaards Feder stammt“ (DSKE 1, XI) – bis auf Weiteres unvollständig bleibt, da weder Kierkegaards Entwürfe und vorläufige Ausarbeitungen zu veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften, die in der Pap.-Ausgabe hauptsächlich in den B-Sektionen zu finden sind, noch zahlreiche, zum Teil umfängliche Aufzeichnungen meist polemischen Charakters aus späterer Zeit auf losen Bogen, Blättern, Zetteln oder in kleineren Heften (wie etwa Pap. X-6 B 68 – 107, 109 – 155 und 157– 236) in SKS enthalten sind und nach jetzigem Stand der Dinge bedauerlicherweise auch in der elektronischen Ausgabe SKS-E nicht veröffentlicht werden. Zu der für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis überaus wichtigen Auseinandersetzung Kierkegaards mit Magnús Eiríksson in Pap. X-6 B 68 – 82 siehe Kap. 3.3.2.4, S. 330 f. Auktionsprotokol over Søren Kierkegaards Bogsamling, hg. von Hermann Peter Rohde, Kopenhagen 1967 (ktl.). Zur Anordnung von Kierkegaards Bibliothek vgl. Niels Jørgen Cappelørn, „Kierkegaard som bogkøber og bogsamler“, in: ders., Gert Posselt und Bent Rohde, Tekstspejle. Om Søren Kierkegaard som bogtilrettelægger, boggiver og bogsamler, Esbjerg 2002, S. 105 – 219. Eine zuverlässige Neuausgabe des Auktionsprotokolls erscheint voraussichtlich Ende 2014 unter dem Titel The Auction Catalogue of Kierkegaard‘s Library, hg. von Katalin Nun, Gerhard Schreiber und Jon Stewart, Farnham und Burlington (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 20). Vgl. den Abdruck dieser Rechnungen bei Hermann Peter Rohde, „Om Søren Kierkegaard som bogsamler. Studier i hans efterladte papirer og bøger paa Det kongelige Bibliotek“, Fund og Forskning, Bd. 8, 1961, S. 79 – 127, hier S. 116 – 127 (Beilage 7). Als Beilage 6 (S. 115 f.) sind zudem mehrere Rechnungen vom Buchbinder N.C. Møller abgedruckt, aus denen sich die Anschaffung eines Buches zumindest annäherungsweise datieren lässt.
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Einleitung
lässt, doch decken die darin aufgeführten Bücher bei Weitem nicht den Bestand von Kierkegaards Bibliothek zum Zeitpunkt ihrer Versteigerung ab. (2) Zudem ist es keineswegs ausgemacht, sondern im Gegenteil zweifelhaft, ob sich die in den beiden Appendizes des Auktionsprotokolls aufgelisteten Bücher⁹⁰ auch tatsächlich in Kierkegaards Bibliothek befunden haben. (3) Kierkegaard hatte während seiner Studienzeit Zugang nicht nur zur Universitätsbibliothek, sondern auch zur Bibliothek des dänischen Studentenvereins sowie (über Dritte?)⁹¹ zur Bibliothek der literarischen Lesegesellschaft Athenæum, wo er besonders in seinen späteren Jahren ein häufiger Gast war.⁹² Dass nun auch der junge Kierkegaard von diesen anderen Möglichkeiten zur Lektüre eines Buches oder einer Zeitschrift als Alternative zur Anschaffung immer wieder Gebrauch gemacht hat (nicht auszuschließen ist überdies, dass sich Kierkegaard auch bei seinem Bruder, Peter Christian Kierkegaard (1805 – 88), oder anderen Kommilitonen Bücher ausgeliehen hat), verdeutlichen zum einen die Hinweise auf die (Kataloge der) Bibliotheken des Studentenvereins⁹³ und der Lesegesellschaft Athenæum⁹⁴, die sich in
Vgl. Rohde (Hg.), Auktionsprotokol over Søren Kierkegaards Bogsamling, S. 117– 126 (ktl. A I 1– 226) und S. 127– 137 (ktl. A II 1– 325). Kierkegaard war Mitglied des Athenæum spätestens ab 1844, vgl. SKS 28, 29, Brev 12 (samt Kommentar zu SKS 28, 29,15 – 18 in SKS K28, 81 f.) sowie ktl. 985 – 986. Laut „Bestemmelser angaaende Udlaanet fra Athenæums Bibliothek, vedtagne i Generalforsamlingen den 23de Mai 1839“, in Første Tillæg til Athenæums Hovedcatalog, den 31. December 1840, Kopenhagen 1841 (ohne Paginierung) durften jedoch nur feste Mitglieder der Lesegesellschaft deren Bibliothek benutzen. Angesichts der Hinweise auf den Bibliothekskatalog des Athenæum in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen (vgl. unten Anm. 95) kann vermutet werden, dass der junge Kierkegaard – falls er erst später Mitglied geworden sein sollte – über Dritte, etwa seinen Bruder Peter Christian (vgl. jedoch den Kommentar zu SKS 28, 29,18 in SKS K28, 82), Zugang zur Bibliothek hatte. Vgl. hierzu Niels Thulstrup, „Die historische Methode in der Kierkegaard-Forschung durch ein Beispiel beleuchtet“, Orbis Litterarum, Bd. 10, 1955, S. 280 – 296, hier S. 289 f. Vgl. hierzu die beiden (erhaltenen) Verzeichnisse der Büchersammlung des Studentenvereins samt Beilagen aus den Jahren 1833 und 1844, Fortegnelse over Studenterforeningens Bogsamling, Kopenhagen 1833 und Fortegnelse over Studenterforeningens Bogsamling, Kopenhagen 1844. Vgl. hierzu die verschiedenen Kataloge der Athenæum-Bibliothek samt Beilagen (soweit erhalten) aus der Zeit von 1830 bis 1841, vor allem Fortegnelse over Selskabet Athenæums Bogsamling, Kopenhagen 1834 und Fortegnelse over Selskabet Athenæums Bogsamling, den 31te December 1838, Kopenhagen 1839; vgl. ferner die Auflistungen von theologischen und philosophischen Werken in Første Tillæg til Athenæums Hovedkatalog, den 31te December 1848, Kopenhagen 1849, S. 475 – 480, sowie Andet Tillæg til Athenæums Hovedkatalog, den 31te December 1850, Kopenhagen 1851, S. 561– 564. Der Vergleich zwischen den Katalogen von 1834 und 1838 und dem Auktionsprotokoll zeigt, dass die meisten der darin aufgelisteten Werke aus Theologie und Philosophie bis 1838 auch in der Athenæum-Bibliothek zu finden waren.
4 Zur Übersetzung und Zitierung
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Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen bereits ab 1835 finden⁹⁵, zum anderen die zahlreichen Stellen in seinem Werk, an denen er sich nachweislich auf Bücher bezogen hat, die nicht im Auktionsprotokoll aufgelistet sind.⁹⁶ (4) Schließlich und vor allem beweist der bloße Besitz eines Buches nicht dessen Lektüre. Die Angaben des Auktionsprotokolls können demnach allenfalls als Indiz für eine Kenntnis und/oder Lektüre eines bestimmten Buches durch Kierkegaard gewertet werden, die es dann anhand von Zitaten, Verweisen oder Anspielungen erst noch zu belegen gilt. Von den im Auktionsprotokoll aufgelisteten, für die Untersuchung der Beeinflussung von Kierkegaards Glaubensverständnis als relevant erscheinenden Büchern ausgehen und daraufhin die entsprechenden Aussagen Kierkegaards über den Glauben untersuchen zu wollen, erscheint, ganz abgesehen von den obigen Einwänden, schon angesichts der schier nicht zu bewältigenden Fülle an Material als wenig zielführend, geschweige denn als praktikabel. Den methodischen Ausgangspunkt bei der rezeptionsgeschichtlichen Fragestellung der vorliegenden Untersuchung bilden daher, dies sei nochmals betont, stets die Aussagen Kierkegaards, die auf eine mögliche Beeinflussung durch andere Denker sowie Diskussionen in seinem zeitgenössischen Umfeld hin zu untersuchen sind.
4 Zur Übersetzung und Zitierung Aus Kierkegaards Schriften und Journalen und Aufzeichnungen wird zuerst die Stelle im Original und dann, soweit vorhanden, die zitierte Übersetzung nachgewiesen. Zitate Kierkegaards werden im Deutschen entsprechend der 2006
Vgl. SKS 19, 92m,13, Not2:2.c / DSKE 3, 96m,22 und SKS 19, 92m,15, Not2:2.d / DSKE 3, 96m,25 (die Randbemerkungen Not2:2.c und Not2:2.d wurden vermutlich vor dem 16.März 1835 eingetragen) zusammen mit dem Kommentar zu DSKE 3, 96m,22– 25 in DSKE 3, 569. Um wenigstens drei Beispiele zu nennen, die für diese Untersuchung von Interesse sind: (1) Jacob Christian Lindberg, Historiske Oplysninger om den danske Kirkes symbolske Bøger, Kopenhagen 1830, aus dem sich nicht nur in SKS 27, 21– 24, Papir 1:2 (1830/31) ein Exzerpt Kierkegaards findet, sondern das zugleich auch Grundlage bzw. Bezugspunkt von Kierkegaards Bemerkungen zu Lindberg in seiner Auseinandersetzung mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘ Ende Mai 1835 in SKS 27, 101– 105, Papir 69 gewesen ist (siehe Kap. 1.3). (2) Immanuel Hermann Fichte, Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie. Erster kritischer Theil, Heidelberg 1832, worauf sich Kierkegaard in SKS 27, 87, Papir 42:1 bezieht (siehe Kap. 2.2.3). (3) Adolph Peter Adler, Den isolerede Subjectivitet i dens vigtigste Skikkelser. Første Deel, Kopenhagen 1840, worauf sich Kierkegaard zumindest in einem Teil der ursprünglich in der Zeit zwischen dem 4. Juli und Mitte August 1840 auf verschiedene lose Blätter oder Zettel notierten Aufzeichnungen SKS 27, 233 – 238, Papir 264 bezieht (siehe Kap. 3.3.2.1).
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Einleitung
eingeführten dritten Fassung der reformierten Rechtschreibregeln wiedergegeben. Die hierzu vorgenommenen Änderungen der Orthographie und Interpunktion bei der Zitierung deutscher Kierkegaard-Ausgaben werden nicht eigens gekennzeichnet. Kleine, inhaltlich unbedeutende Abweichungen von der zitierten Übersetzung (z. B. Umstellung einzelner Wörter und etwaige Ersetzung der von Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes ins Deutsche übertragenen lateinischen oder griechischen Wörter sowie Fremdwörter lateinischer oder griechischer Provenienz durch die von Kierkegaard selbst gebrauchten Wörter bzw. Fremdwörter) werden beim Nachweis der betreffenden Stelle durch den Zusatz ‚dt. Übers. modifiziert‘ markiert. Bei inhaltlich bedeutenden Modifikationen (insbesondere fehlerhafter Übersetzungen) wird der Nachweis der betreffenden Stelle mit dem Zusatz ‚meine Übers.‘ versehen. Wo keine Übersetzung nachgewiesen ist, stammt sie von mir. Der besseren Lesbarkeit halber werden die von Kierkegaard selbst gebrauchten Abkürzungen entsprechend dem von Julia Watkin erstellten Key to Kierkegaard’s Abbreviations and Spelling (1981)⁹⁷ sowie der Angaben im Anhang der Kommentarbände von SKS bei der Zitierung bzw. Übersetzung aufgelöst und beim Nachweis der betreffenden Stelle, wenn eine deutsche Übersetzung zitiert wird, ebenfalls durch den Zusatz ‚dt. Übers. modifiziert‘ markiert. Inhaltlich relevante Zweifelsfälle bei der Auflösung einer Abkürzung werden in den Fußnoten erläutert. Hervorhebungen bei deutschen und dänischen Autoren im Original mittels Sperrung, Kursivierung, Kapitalschrift und Unterstreichung werden bei der Zitierung bzw. Übersetzung allesamt kursiv, Fettdruck wird als Fettdruck wiedergegeben. Bei Texten Kierkegaards werden die Hervorhebungen entsprechend SKS und DSKE wiedergegeben. Eigene Hervorhebungen sind als solche gekennzeichnet. Titel von Veröffentlichungen Kierkegaards und anderer dänischer Autoren werden im Fließtext auf Deutsch wiedergegeben und in den Fußnoten im dänischen Original nachgewiesen. Sämtliche An- und Bemerkungen sowie Ergänzungen in eckigen Klammern innerhalb von Zitaten stammen, soweit nicht anders angegeben, von mir.
5 Zur Vorveröffentlichung einzelner Abschnitte dieser Untersuchung Folgende Abschnitte dieser Untersuchung wurden in geringfügig veränderter und/ oder gekürzter Form bereits an anderer Stelle veröffentlicht:
Julia Watkin, A Key to Kierkegaard’s Abbreviations and Spelling/Nøgle til Kierkegaards forkortelser og stavemåde, hg. von Alastair McKinnon, Montreal und Kopenhagen 1981.
5 Zur Vorveröffentlichung einzelner Abschnitte dieser Untersuchung
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Kapitel 1.5 und Kapitel 2.3.1– 2 unter dem Titel „Die eigentlichen Adressaten von Kierkegaards Kritik, den Glauben als ‚das Unmittelbare‘ zu bezeichnen“ in Kierkegaard Studies Yearbook, 2011, S. 115 – 153. Kapitel 2.2 unter dem Titel „Die philosophische Verflüchtigung des Glaubensbegriffs. Kierkegaards Auseinandersetzung mit Immanuel Hermann Fichte“ in Kierkegaard Studies Yearbook, 2013, S. 345 – 376. Kapitel 2.5 unter dem Titel „Lebensanschauung und Glaube beim jungen Kierkegaard“ in Kierkegaard Studies Yearbook, 2012, S. 171– 200.
Überdies sind Teile meines Aufsatzes „Glaube und ‚Unmittelbarkeit‘ bei Kierkegaard“ in Kierkegaard Studies Yearbook, 2010, S. 391– 425, in veränderter und stark gekürzter Form in Kapitel 2.3.3, Kapitel 3.3.2.2 und Kapitel 3.3.2.4 eingegangen, worauf an gegebener Stelle verwiesen wird. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die von mir im Zuge der Untersuchung der Beschäftigung Kierkegaards mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) gewonnenen Erkenntnisse in Kapitel 2.4 zum Teil in die von mir erstellte Übersetzung und Bearbeitung des Kommentars zu Notizbuch 4 in Deutsche Søren Kierkegaard Edition, Bd. 3, Notizbücher 1 – 15, hg. von Markus Kleinert und Heiko Schulz, Berlin und Boston 2011, S. 605 – 634, mit eingeflossen sind, vgl. insbesondere Kapitel 2.4.2.1– 2 mit dem Kommentar zu den Aufzeichnungen Not4:41 bis Not4:45 in DSKE 3, S. 628 – 633.
1 Frühe Reflexionen über den Glauben 1.1 Abgrenzung Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels sind Kierkegaards Journale und Aufzeichnungen aus der Zeit vom Beginn des Studiums an der Universität Kopenhagen im Wintersemester 1830/31 bis zur Jahreswende 1836/37.¹ Der Einsatzpunkt der Untersuchung ergibt sich dabei aus dem bereits in der Einleitung angesprochenen Umstand, dass in Kierkegaards literarischem Nachlass (mit Ausnahme zweier Briefe) keine älteren Aufzeichnungen erhalten sind. Die Jahreswende 1836/37 erscheint als zeitlicher Endpunkt der Untersuchung dieses Kapitels wiederum dadurch begründet, dass Kierkegaards philosophische Bildung seit Anfang 1837 eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung erfahren hat und seine denkerische Entwicklung nunmehr durch die eingehende Beschäftigung vor allem mit Vertretern der Hegelschule und des spekulativen Theismus geprägt war. Die Untersuchung von Kierkegaards Glaubensverständnis soll im Folgenden zunächst anhand seiner frühen theologischen Notizen bis zum Frühsommer 1835 erfolgen (1.2), bevor speziell auf den in Aufzeichnungen aus der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 1835 sich abzeichnenden Bruch Kierkegaards mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘ eingegangen wird (1.3). Im Anschluss daran werden Kierkegaards Aufzeichnungen vom Sommer 1835 bis Herbst 1836 untersucht, einer Zeit, in der Kierkegaard eine Phase der Orientierungslosigkeit und der Zweifel an der Überzeugungskraft des Christentums durchlaufen hat (1.4). Besonderes Augenmerk gilt dabei zum einen Kierkegaards Verhältnisbestimmung von Philosophie und Christentum (1.4.1), zum anderen seiner im September 1836 beginnenden intensiven Beschäftigung mit Hamann (1.4.2). Hierauf folgt der erste Teil der Untersuchung² der für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis wichtigen Aufzeichnung Papir 92, in der Kierkegaard das von Schleiermacher ‚Religion‘ und von den ‚hegelschen Dogmatikern‘ ‚Glaube‘ Genannte mit ‚dem ersten Unmittelbaren‘ gleichsetzt (1.5), bevor schließlich die um die Jahreswende 1836/37 entstandene Aufzeichnung Papir 81:1 behandelt wird, in der Kierkegaard den Glauben als ‚apriorische Sicherheit‘ bestimmt (1.6).
Zu Kierkegaards Zeitungsartikel aus der Studienzeit und seinem Vortrag „Unsere JournalLiteratur“ vom 28. November 1835 vgl. Einleitung, Anm. 33. Zur Begründung der Aufteilung dieser Untersuchung auf Kap. 1.5 und Kap. 2.3 siehe S. 74 f.
1.2 Theologische Notizen bis zum Frühsommer 1835
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1.2 Theologische Notizen bis zum Frühsommer 1835 Kierkegaards theologisches Interesse hat in den ersten Jahren seines Studiums, soweit sich dies aus seinem Nachlass sowie aus Vorlesungsverzeichnissen und vorhandenen Hörerlisten rekonstruieren lässt, vor allem den Gebieten der Exegese des Neuen Testaments und der Dogmatik gegolten.³ Daneben finden sich unter den erhaltenen Aufzeichnungen, die Kierkegaards tatsächlichen Besuch von Veranstaltungen allerdings nur unvollständig widerspiegeln, auch einzelne Exzerpte aus und Bemerkungen zu kirchengeschichtlichen Werken hauptsächlich über die deutsche und dänische Reformation, die aber keine Rückschlüsse auf Kierkegaards Glaubensverständnis zulassen.⁴ Auch in seinen zum Teil umfangreichen, meist jedoch kürzeren exegetischen und dogmatisch-theologischen Notizen bis zum Frühsommer 1835, die Kierkegaard großenteils in Verbindung mit dem Besuch entsprechender Vorlesungen an der Theologischen Fakultät zu Papier gebracht hat⁵, begegnen nur wenige explizite Aussagen (Kierkegaards) über den
Zu Kierkegaards Studienzeit vom Wintersemester 1830/31 bis zum Wintersemester 1835/36 vgl. Valdemar Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom. Hans Slægt og hans religiøse Udvikling, Kopenhagen 1912, vor allem S. 78 – 93 und S. 118. Zu Vorlesungsverzeichnissen und (vorhandenen) Hörerlisten aus dieser Zeit vgl. außerdem die Nachweise in den Anmerkungen zu den editorischen Berichten zu Journal CC in SKS K17, 269 – 273; zu Papir 1 in SKS K27, 24; zu Papir 2 – 29 in SKS K27, 66 – 68; zu Papir 48 – 94 in SKS K27, 187 f. sowie zu Papir 247 – 251 in SKS K27, 383. In Kierkegaards Examensanmeldung vom 2. Juni 1840 heißt es dagegen: „quum priora examina hujus nostræ universitatis…absolvissem, ad theologiam animum et mentem ita contuli, ut exegeticas et historicas disciplinas amplecti atque retinere maxime mihi haberem propositum“ (SKS 28, 202, Brev 121, meine Hervorhebung). Eine solche Gewichtung lässt sich aus den im Nachlass erhaltenen Aufzeichnungen aber nicht ersehen. Vgl. die hauptsächlich aus Exzerpten bestehenden Aufzeichnungen Papir 1– 3 (SKS 27, 9 – 28), die womöglich in Verbindung mit Kierkegaards Besuch von Jens Møllers Vorlesung über die Kirchengeschichte der Reformationszeit im Wintersemester 1830/31 entstanden sind, obgleich Kierkegaards Name nicht auf der Hörerliste dieser Vorlesung erscheint und er sich zu dieser Zeit in der Vorbereitung auf den ersten Teil des Examen philologico-philosophicum am 25. April 1831 befand (vgl. hierzu SKS K27, 24 (samt Anm. 1) und 66 (samt Anm. 1), sowie bereits Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 90 (Anm. 1)). Bemerkungen zu Luthers Glaubensverständnis finden sich dabei im Exzerpt aus Philipp Konrad Marheinekes Geschichte der teutschen Reformation, Bd. 1, Berlin 1816, in SKS 27, 9 – 21, Papir 1:1, hier 14,35 – 40 und 16,5 – 6. Zum Charakter dieser von Kierkegaard im Zusammenhang mit seinem Studium angefertigten Aufzeichnungen bemerkt Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 86: „Die erhaltenen Aufzeichnungen von S. K., welche die Studien betreffen, sind fast nie eigentliche Kolleghefte, sondern Notizen verschiedener Art, zu Hause im Anschluss an Vorlesungen oder Bücher oder als ganz freie Reflexionen niedergeschrieben; zuweilen hat er auf demselben Zettel unzusammenhängende Wörter oder Gesichter aufgekritzelt (die nicht auf künstlerisches Talent schließen
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
Glauben. Wie im Folgenden jedoch zu zeigen sein wird, enthalten die im Zuge dieser frühen exegetischen und dogmatisch-theologischen Beschäftigung entstandenen Notizen Kierkegaards gleichwohl einige Überlegungen, die für die Untersuchung seines Glaubensverständnisses interessant und aufschlussreich sind.
1.2.1 Exegetica Von Kierkegaards früher exegetischer Beschäftigung zeugen in seinem Nachlass neben verschiedenen Exzerpten aus exegetischen Werken und eigenen Exegesen einzelner Stellen insbesondere aus den Synoptikern und dem Corpus Paulinum auch von ihm selbst angefertigte lateinische Übersetzungen aus der Apostelgeschichte und der neutestamentlichen Briefliteratur.⁶ Für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse ist dabei die in ein kleines, aus drei Doppelblättern bestehendes Heft eingetragene Aufzeichnung Papir 4:1, in der Kierkegaard vermutlich in Verbindung mit seinem Besuch von Henrik Nicolai Clausens (1793 – 1877) Privatvorlesung über die Synoptiker im Wintersemester 1832/33 einzelne Stellen aus den synoptischen Evangelien kommentiert hat.⁷ Hinsichtlich der Erzählung von der Heilung der zehn Aussätzigen in Lk 17,11– 19 wundert sich Kier-
lassen).“ Zu Letzterem vgl. die photomechanischen Abdrücke z. B. in SKS 27, 36, 43 f., 55, 65, 68, 71, 75 und 78. Vgl. SKS 27, 28 – 34, Papir 4:1; SKS 27, 34, Papir 4:2; SKS 27, 35, Papir 5:3; SKS 27, 35 – 40, Papir 6 – 8; SKS 27, 52, Papir 14:5; SKS 27, 53 – 64, Papir 15 – 18; SKS 27, 171, Papir 247 und SKS 17, 145 – 197, CC:1-CC:11 (nicht in DSKE 1) zusammen mit SKS K17, 269 f. und 277– 286. Vgl. ferner Kalle Sorainen, „Einige Beobachtungen im Bezug auf die lateinischen Übersetzungen Søren Kierkegaards aus dem griechischen Neuen Testament“, Kierkegaardiana, Bd. 9, 1974, S. 56 – 74 sowie Niels W. Bruun und Finn Gredal Jensen, „Die lateinischen Übersetzungen Søren Kierkegaards aus dem Neuen Testament“, Neulateinisches Jahrbuch, Bd. 4, 2002, S. 17– 29. Zum Zusammenhang dieser Aufzeichnungen aus der Zeit vom Wintersemester 1832/33 bis zum Wintersemester 1835/36 mit Kierkegaards Besuch entsprechender Vorlesungen an der Theologischen Fakultät vgl. Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 86 – 89 zusammen mit SKS K17, 270 f. sowie SKS K27, 66 f. und 383. SKS 27, 28 – 34, Papir 4:1 (B-fort. 459.[25]; KA, C pk. 1 læg 1); vgl. hierzu Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 86 f., zusammen mit dem Kommentar zu SKS 27, 28,30 in SKS K27, 75. Die Reihenfolge der Stellen entspricht (mit Ausnahme der johanneischen Schriften) der bei Henrik Nicolai Clausen, Quatuor evangeliorum tabulae synopticae, Kopenhagen 1829 (ktl. 467). Die Bemerkungen korrespondieren an vielen Stellen (vgl. jedoch unten Anm. 9!) mit denen Clausens in dessen Fortolkning af de synoptiske Evangelier, Bd. 1– 2, Kopenhagen 1850 (ktl. 106 – 107).
1.2 Theologische Notizen bis zum Frühsommer 1835
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kegaard über das Wort Jesu: „dein Glaube hat dir geholfen“ (Lk 17,19)⁸ zu dem einen der zehn geheilten Aussätzigen, der zu ihm zurückgekehrt war, um Gott zu ehren und ihm zu danken. Die Tatsache nämlich, dass man glaube, sei von Jesus doch stets als eine Bedingung für die Rettung angegeben worden. Wie aber seien dann die neun anderen gerettet worden, „die nicht ihren Glauben zeigten, ja die ihn nicht einmal gehabt zu haben scheinen, weil sie nicht zurückkehrten, um Gott die Ehre zu geben“⁹? In der vermutlich im Herbst 1833 auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 5:1¹⁰, die mittels eines Einweisungszeichens auf die eben angeführte Stelle in Papir 4:1 bezogen ist, hat Kierkegaard sich selbst eine erste Antwort auf diese Frage gegeben. Anlass dafür war eine im Aftensang ¹¹ am 8. September 1833 in der deutschen Frederikskirke in Christianshavn gehaltene Predigt Nikolai Frederik Severin Grundtvigs (1783 – 1872) über eben Lk 17,11– 19, in der dieser für alle zehn geheilten Aussätzigen den Glauben annahm, da sonst bei ihnen keine Heilung eingetreten wäre.¹² Grundtvig unterscheidet dabei zwischen dem Glauben an Jesus
Ich gebe die von Kierkegaard – entsprechend Π ΚΑΙΝΗ ΔΙΑΘΗΚΗ. Novum Testamentum graece, hg. von Georg Christian Knapp, 4. Aufl., Bd. 1– 2, Halle 1829 [1797] (ktl. 14– 15) – auf Griechisch zitierte Stelle aus Lk 17,19 (ἡ πίστις σου σέσωκέ σε) nach Lut84 wieder. In NT-1819 heißt es: „din Tro haver frelst dig“, wobei dän. ‚at frelse‘ (σᾠζω) in diesem Zusammenhang m. E. eher im religiösen Sinne von ‚(er)retten‘ oder ‚erlösen‘ verwendet wird. Vgl. hierzu auch Hirschs Bemerkung in 4R43, 206 (Anm. 113) zur Stelle SKS 5, 168 / 4R43, 68 („rette seine Seele“ [frels Din Sjel]). SKS 27, 31, Papir 4:1. Vgl. damit Clausen, Quatuor evangeliorum tabulae synopticae, S. 111 (Nr. XC), zusammen mit Clausens Bemerkungen zu Lk 17,11– 19 in Fortolkning af de synoptiske Evangelier, Bd. 2, S. 557– 559 (Nr. 71), hier S. 559 zu Lk 17,19: „ἡ πίστις σου σέσωκέ σε] wohl kaum allein im Hinblick auf die Rettung der Heilung…– denn ihr waren sie alle teilhaftig geworden –, sondern in weiterer Bedeutung: ‚suche deine Rettung in deinem Glauben, wie du sie bereits darin gefunden hast‘.“ Die Abweichung dieser Bemerkung Clausens von der von Kierkegaard aufgeworfenen Fragestellung (und seinem in Papir 5:1 (siehe Anm. 10) skizzierten Lösungsversuch) verdeutlicht, dass es sich in Papir 4:1 um Kierkegaards eigene Reflexion über diese Stelle handelt. SKS 27, 34, Papir 5:1 (B-fort. 459.[26]; KA, C pk. 1 læg 1); vgl. den photomechanischen Abdruck von Blatt [2v] des Manuskripts in SKS 27, 32. Im Unterschied zum morgendlichen Hauptgottesdienst war der ‚Aftensang‘ (bei Svenn Henrik Helms, Ny fuldstændig Ordbog i det Danske og det Tydske Sprog. Tilligemed et kort Udtog af begge Sprogs Formlære, Bd. 1– 2, Leipzig 1858; Bd. 1, S. 16 mit „Nachmittags-Vesperpredigt“ und „Nachmittags-Gottesdienst“ übersetzt) zu Kierkegaards Zeit ein kurzer Gottesdienst, der an allen Sonn- und Feiertagen (und damit auch am 8. September 1833, dem 14. Sonntag nach Trinitatis 1833) üblicherweise um 13 oder 14 Uhr stattfand. Vgl. Grundtvigs Predigt vom 14. Sonntag nach Trinitatis 1833 (8. September) in der Frederikskirke (heute: Christianskirke) in Christianshavn in N.F.S. Grundtvigs Prædikener 1822 – 26 og 1832 – 39, hg. von Christian Thodberg, Bd. 1– 12, Kopenhagen 1983 – 86; Bd. 6, 1984, S. 304– 308,
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
Christus, der allen Menschen helfen könne, und jedem anderen Glauben, der einigen Menschen (wenn auch freilich nicht für die Ewigkeit, so doch) zumindest im Augenblick helfen könne. Das besagte Heilungswunder sei ein Beispiel für den Glauben an Jesus Christus, der „eine wunderbare, unvergleichliche Kraft“¹³ zur Heilung sämtlicher Krankheiten besitze, weshalb alle zehn Aussätzigen gereinigt worden seien – „denn wahrlich, wären es nur Worthülsen gewesen, da sie riefen: Jesus, Meister, erbarme dich unser, dann wären sie nicht gereinigt, nicht von der Plage geheilt worden, aber sie glaubten wirklich, dass Jesus, wenn er wolle, zweifelsohne auch ihnen helfen könne und ihr Glaube half ihnen wirklich, so dass sie der Plage quitt wurden“¹⁴. Mit kritischem Bezug auf diesen Passus der Predigt merkt Kierkegaard nun in der wohl kurze Zeit später niedergeschriebenen Aufzeichnung Papir 5:1 an, dass beim gemeinsamen Hilferuf aller Zehn (Lk 17,13) allerdings von „dem unmittelbaren Glauben“ die Rede sei, „der durch Leiden etc. hervorgerufen werden“ könne, während bei dem von Jesus dem zurückgekehrten Einen als Grund für die Rettung attestierten Glauben von einem „gesteigerten Glauben“¹⁵ gesprochen werden könne. Der Unterschied zwischen dem einen und den neun anderen Aussätzigen liegt für Kierkegaard interessanterweise also nicht in der Frage, ob auch alle Zehn den Glauben gehabt haben, sondern in der Beschaffenheit des Glaubens.¹⁶ Während
worauf der Kommentar zu SKS 27, 34,15 in SKS K27, 90 zu Recht verweist. Die Herausgeber von Pap. verweisen dagegen auf Grundtvigs Predigt über dieselbe Perikope am gleichen Ort am 14. Sonntag nach Trinitatis 1832 (23. September), vgl. Pap. I, S. 193 (Anm.) zusammen mit N.F.S. Grundtvigs Prædikener 1822 – 26 og 1832 – 39, Bd. 5, 1984, S. 324– 330. Grundtvig nimmt Lk 17,11– 19 in dieser Predigt als Ausgangspunkt für den Gedanken, dass Jesus Christus einen jeden Menschen erhöre, der ihn in seiner Not um Hilfe anflehe. Obwohl Jesus nur von dem Einen gedankt worden sei, habe er in seiner Allmacht und Seligkeit auch den neun anderen Aussätzigen geholfen. Der Welt müsse durch unser Zeugnis wieder zu dem Glauben verholfen werden, „dass Jesus, ohne die geringste Schwierigkeit zu machen, diejenigen erhören kann und will, die ihm ihre Not klagen“ (ibid., S. 326). Der Frage, ob denn auch alle zehn geheilten Aussätzigen den Glauben gehabt haben und ob es zwischen dem Glauben des Einen und dem der neun anderen einen Unterschied gibt, geht Grundtvig in dieser Predigt, in deren Zentrum der gemeinsame Hilferuf aller Zehn (Lk 17,13) steht, jedoch nicht nach. N.F.S. Grundtvigs Prædikener 1822 – 26 og 1832 – 39, Bd. 6, S. 307. Ibid., S. 306. Der Umstand, dass auch Kierkegaard in Papir 5:1 in Bezug auf Lk 17,13 von „Worthülsen“ [Mundsveir] spricht (vgl. SKS 27, 34,17), ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Anlass für diese Aufzeichnung die Predigt Grundtvigs vom 8. September 1833 gewesen ist. SKS 27, 34, Papir 5:1. Damit unterscheidet sich Kierkegaard nicht nur von Grundtvig, der bei allen Zehn unterschiedslos den Glauben an Jesus Christus vorausgesetzt hat, der allen Menschen helfen könne, sondern gleichermaßen auch von Clausens Deutung von Lk 17,19 in Quatuor evangeliorum ta-
1.2 Theologische Notizen bis zum Frühsommer 1835
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der gemeinsame Hilferuf aller Zehn lediglich als Ausdruck des ‚unmittelbaren Glaubens‘ im Sinne einer spontanen, unvermittelten Reaktion auf ein dem Menschen widerfahrendes Geschehen zu verstehen ist, setzt der ‚gesteigerte Glaube‘¹⁷ des Einen das individuierende Moment der persönlichen Entscheidung voraus. Emanuel Hirsch sieht in dieser Unterscheidung denn auch „de[n] erste[n] nachweisliche[n] Ansatz zu seinen [scil. Kierkegaards] Reflexionen über die christliche Subjektivität; von hier bis zur Unterscheidung der Religiosität A und der Religiosität B in der Nachschrift gibt es einen Weg.“¹⁸ Gleichwohl sollte Kierkegaard im Laufe seines Lebens zu durchaus unterschiedlichen Deutungen der Heilung der zehn Aussätzigen kommen.¹⁹ Als er gut fünf Jahre später in der Journalaufzeichnung DD:144 vom 18. September 1838 erneut auf diese Erzählung zurückkommt, sieht er darin nun die „objektive Realität der Versöhnung Christi…sehr klar angedeutet“, welche unabhängig auch von der sie sich aneignenden Subjektivität sei. Schließlich seien alle zehn Aussätzigen geheilt worden, während es doch nur von dem zurückgekehrten Einen heiße, dass sein Glaube ihm geholfen habe. „Was war es denn“, notiert Kierkegaard am Rand zu DD:144, „das den Anderen geholfen hatte?“²⁰ Im Hintergrund dieser späteren Deutung der Heilung der zehn Aussätzigen in DD:144 steht offenbar Kierkegaards Auseinandersetzung mit Clausens Soteriologie. Diese dogmatisch-theologische Beschäftigung Kierkegaards wird in Kapitel 1.2.2.1 zu behandeln sein.
bulae synopticae, wie sie oben in Anm. 9 wiedergegeben worden ist. Vgl. zudem auch Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34), wo es in § 56 (mit Anführung von Röm 5,10 und II Kor 5,21 als Beleg) heißt: „Wenn die Rettung durch Christus dem Menschen unmittelbar zugerechnet wird, ohne dass der Glaube genannt wird, muss er doch in Gedanken ergänzt werden“ (SKS 19, 59,18 – 19, Not1:8 / DSKE 3, 60,20 – 22; dt. Übers. modifiziert). Zu Kierkegaards Rede von einem ‚gesteigerten Glauben‘ [potenseret Troe] bzw. der ‚Steigerung des Glaubens‘ [Troens Potensation] vgl. SKS 27, 77, Papir 27:1; SKS 23, 347, NB19:27 / T 4, 189 und SKS 23, 364, NB19:52 / T 4, 198. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 461. Vgl. SKS 17, 262, DD:144 / DSKE 1, 231; SKS 18, 56, EE:161 / DSKE 2, 57; SKS 20, 357, NB4:153 / DSKE 4, 407; SKS 22, 33, NB11:50 / T 3, 231; SKS 22, 295, NB13:34 / T 4, 11 f.; SKS 22, 366, NB14:40; SKS 23, 425, NB20:57 / T 4, 213; SKS 25, 208, NB27:88 / T 5, 149; vgl. ferner SKS 3, 56 / EO2, 53; SKS 6, 219 / SLW, 247 sowie SKS 24, 124, NB22:39. SKS 17, 262, DD:144.a / DSKE 1, 231. Anlass für diese erneute Beschäftigung Kierkegaards mit Lk 17,11– 19 war möglicherweise wiederum das Hören einer Predigt über diese Perikope am 14. Sonntag nach Trinitatis, der 1838 auf den 16. September (zwei Tage vor Entstehung von DD:144) fiel. Eine konkrete Predigt konnte jedoch nicht ermittelt werden. Zur Interpretation dieser Aufzeichnung vgl. auch Heiko Schulz, „Kierkegaard and the Problem of Miracles“, in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 2, Studien zur Philosophie und Theologie Søren Kierkegaards, Berlin und Boston 2014 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 28), S. 452– 490, besonders S. 480 f.
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
1.2.2 Dogmatica Für die Ausbildung der eigenen dogmatisch-theologischen Position hat sich für den jungen Kierkegaard zum einen der Besuch von bzw. die Auseinandersetzung mit Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34)²¹, zum anderen die intensive Beschäftigung mit Friedrich Schleiermachers (1768 – 1834) Glaubenslehre (1830/31)²² als wichtig und einflussreich erwiesen.²³ Während Kierkegaard Clausen zwei Vgl. Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) in SKS 19, 7– 74, Not1:1– 8 / DSKE 3, 3 – 78. Auch mehrere Aufzeichnungen auf losen Zetteln weisen Verbindungen zu Kierkegaards Notizen auf, vgl. SKS 27, 93, Papir 49 / T 1, 33 zusammen mit SKS 19, 69 f., Not1:8 / DSKE 3, 71 f. (§ 66); SKS 27, 93,32– 94,1, Papir 51:1 / T 1, 34 zusammen mit SKS 19, 68, Not1:8.f / DSKE 3, 71 (§ 65); SKS 27, 95, Papir 53:1 / T 1, 39; SKS 27, 97, Papir 56 / T 1, 39 und SKS 27, 111, Papir 87 / T 1, 39 f. zusammen mit SKS 19, 38,14– 29, Not1:7 / DSKE 3, 37 (§ 41); SKS 27, 98,32– 33, Papir 61:1 / T 1, 42 zusammen mit SKS 19, 68, Not1:8 / DSKE 3, 70 (§ 64); SKS 27, 113, Papir 94:2 und SKS 27, 166, Papir 236 zusammen mit SKS 19, 31 f., Not1:6 / DSKE 3, 29 f. (§ 30.3); SKS 27, 141, Papir 165 / T 1, 80 zusammen mit SKS 19, 43 f., Not1:7 / DSKE 3, 43 f. (§ 46). Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2. Aufl., Bd. 1– 2, Berlin 1830 – 31 (in ktl. 258 ist ein Exemplar der 3. Aufl., Berlin 1835 – 36 aufgelistet); auf die 2. Aufl. beziehen sich die 1834 angefertigten Exzerpte und Bemerkungen Kierkegaards (vgl. unten Anm. 53). Die Zitierung der Glaubenslehre erfolgt nach Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1830/31), Nachdruck der 7. Aufl., hg. von Martin Redeker, Berlin und New York 1999 [1960], mit Angabe der Originalpaginierung (1830/31) in eckigen Klammern. Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit Schleiermacher in der Zeit vom Frühsommer 1834 bis zum Sommer 1838 vgl. SKS 27, 40 – 52, Papir 9:1– 14:2; SKS 27, 93, Papir 50 / T 1, 33 f.; SKS 27, 95, Papir 52:2 / T 1, 35; SKS 27, 108 f., Papir 79 / T 1, 36; SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50; SKS 27, 112,22– 23, Papir 93; SKS 27, 127, Papir 119; SKS 27, 137, Papir 148; SKS 27, 142, Papir 167 / T 1, 81; SKS 27, 163, Papir 223:2 / T 1, 55; SKS 17, 31, AA:13 / DSKE 1, 32; SKS 17, 41 f., AA:22 / DSKE 1, 43 f.; SKS 17, 219, DD:9 / DSKE 1, 182; SKS 17, 249, DD:86 / DSKE 1, 215; SKS 17, 258, DD:125 / DSKE 1, 225 f.; SKS 19, 93, Not2:5 / DSKE 3, 97; SKS 19, 99, Not3:2 / DSKE 3, 103; SKS 19, 169, Not4:45 / DSKE 3, 179 f.; SKS 27, 76,16 – 30, Papir 26; vgl. ferner die Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) in SKS 19, 9,14– 17, Not1:2 / DSKE 3, 5,15 – 18 und SKS 19, 64, Not1:8.d / DSKE 3, 66. Die Exzerpte aus der Einleitung von Marheinekes Dogmatik (siehe Anm. 266) in Papir 19 und Papir 250 (Pap. I C 25 – 26), als deren Entstehungszeitraum die Herausgeber von Pap. die Jahre 1834/35 angeben, stammen den Herausgebern von SKS zufolge erst aus dem Wintersemester 1837/38. Die Exzerpte auf drei losen Zetteln, einem Blatt und einem Bogen (in Quart gefaltet) aus den ersten drei Heften von Baaders Vorlesungen über speculative Dogmatik (1828 – 33; siehe Kap. 2, Anm. 9) in SKS 27, 64, Papir 20; SKS 27, 64– 66, Papir 21; SKS 27, 66 f., Papir 22; SKS 27, 67, Papir 23 und SKS 27, 68 – 74, Papir 24 (vgl. B-fort. 459.[12], 459.[14– 16], 459.[19]; KA, C pk. 1 læg 5) werden in SKS K27, 68 auf das Wintersemester 1837/38 datiert, während in Pap. I C 27– 33 (in Bd. XII), S. 132– 139 die Jahre 1834/35 als Entstehungszeitraum angegeben werden. Die in SKS angegebenen Datierungen sowohl der Baader- als auch der Marheineke-Exzerpte sind m. E. jedoch keineswegs zwingend, siehe Kap. 1.5.3 sowie Kap. 2, Anm. 9. Im Hinblick auf Kierkegaards Glaubensverständnis lässt sich jedenfalls weder für diese (frühe) Beschäftigung mit Marheinekes
1.2 Theologische Notizen bis zum Frühsommer 1835
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felsohne als Vertreter des theologischen Rationalismus betrachtete²⁴, lässt sich aus Kierkegaards Notizen aus dieser Zeit nicht eindeutig erkennen, inwieweit er auch Schleiermacher zu den Rationalisten gezählt hat. Zwar stimmen Schleiermachers Ausführungen zur Versöhnungslehre in der Glaubenslehre mit der von Kierkegaard an Clausen kritisierten und dabei explizit als ‚rationalistisch‘²⁵ apostrophierten Deutung des Versöhnungswerkes Christi grundsätzlich überein.²⁶ Da jedoch Kierkegaards Charakterisierung des theologischen Rationalismus in der Journalaufzeichnung AA:12 vom Sommer 1835²⁷ überhaupt nicht auf SchleierDogmatik noch für die mit Baaders Vorlesungen über speculative Dogmatik eine tiefergehende Beeinflussung feststellen, siehe Kap. 1.5.3 bzw. Kap. 2.1. Vgl. die in der folgenden Anm. angeführten Belege. Vgl. SKS 27, 97, Papir 56 / T 1, 39 und SKS 27, 111, Papir 87 / T 1, 39 f. Ob eine Charakterisierung Clausens als ‚Rationalisten‘ sachlich gerechtfertigt ist, steht freilich auf einem anderen Blatt. Zwar kann Clausen in einem Brief an Peter Erasmus Müller vom 16. November 1818 „Glaube an Gott“ und „Glaube an Vernunft und Bibel“ gleichsetzen (der Brief ist abgedruckt bei Skat Arildsen, „Bidrag til Belysning af Forholdet mellem Teologerne Henrik Nicolai Clausen (1793 – 1877) og Peter Erasmus Müller (1776 – 1834)“, Personalhistorisk Tidsskrift, 10. Reihe, Bd. 3, 1936, S. 114– 131, hier S. 116 – 122; das Zitat findet sich S. 120), doch ist seine Position seit 1818/19 stark von Schleiermacher beeinflusst gewesen. Auf eine kurze Formel gebracht kann sie als „Zwischenposition“ (Kommentar zu DSKE 3,1 (Not1:1) in DSKE 3, 497) zwischen theologischem Rationalismus und lutherisch-orthodoxer Offenbarungstheologie bezeichnet werden. Zudem ist zu bemerken, dass Clausen zeit seines Lebens das Label ‚Rationalist‘ für sich abgelehnt hat. Als Jens Møller einmal die in seiner Reihe Neue theologische Bibliothek veröffentlichenden Autoren in die theologischen Parteiungen der ‚strengeren‘ und ‚milderen Supranaturalisten‘ sowie der ‚konsequenten Rationalisten‘ einteilte und Clausen zur letzten Gruppe rechnete (vgl. Jens Møller, „Om Ubilligheden i de tvende theologiske Partiers Domme“, in Nyt theologisk Bibliothek, hg. von dems., Bd. 1– 20, Kopenhagen 1821– 32 (ktl. 336 – 345); Bd. 15, 1829, S. 182– 302, hier S. 226), erwiderte Clausen, dass die Richtung des Rationalismus seiner „geistigen Persönlichkeit fremd“ (Henrik Nicolai Clausen, „Sendebrev til Udgiveren“, in Nyt theologisk Bibliothek, Bd. 16, 1830, S. 280 – 300, hier S. 300; vgl. hierzu auch Kap. 3, Anm. 95) sei. Zu Clausens ‚Rationalismus‘ und seinem Verhältnis zu Schleiermacher vgl. ferner die Ausführungen von Søren Holm, H. N. Clausen. Bidrag til en Karakteristik, Kopenhagen 1945, S. 13 – 30. Vgl. Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) in SKS 19, 38 f., Not1:7 / DSKE 3, 37 f. (§§ 41– 42); SKS 19, 52– 57, Not1:7 / DSKE 3, 53 – 59 (§§ 50 – 54) und SKS 19, 59 – 61, Not1:8 / DSKE 3, 60 – 62 (§§ 57– 58) zusammen mit Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 458 f. [S. 520 – 522] (§ 85); Bd. 2, S. 62 [S. 68] (§ 97.2), S. 125 – 133 [S. 148 – 158] (§ 104.4) und S. 180 – 182 [S. 219 – 221] (§ 109.4). Vgl. SKS 17, 22, AA:12 / DSKE 1, 21. Der Rationalismus mache „eine ziemlich mäßige Figur“. In seinem Bemühen, sich wesentlich an das Christentum zu binden, wolle er die biblischen Texte nur als dicta probantia für seine Darstellung heranziehen: er „gründet seine Darstellungen auf die Schrift und schickt jedem einzelnen Punkt eine Legion von Bibelstellen voraus; doch die Darstellung selbst ist davon nicht durchdrungen.“ Die Berufung der Rationalisten auf die Schrift gehe vielmehr nur so weit, wie sie sich mit ihr einig wüssten – „ansonsten aber nicht“, weshalb sie im Grunde „auf zwei fremdartigen Standpunkten“ (ibid.) stünden.
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
machers Glaubenslehre, durchaus aber auf die ihm von den Vorlesungen her bekannte Dogmatik Clausens²⁸ passt, kann mit Hirsch vermutet werden, dass Kierkegaard Schleiermacher, wenn nicht von Anfang an, so doch „bald danach als eine eigne Größe“²⁹ verstanden hat. Ungleich wichtiger als die theologische Positionierung Clausens und Schleiermachers ist für diese Untersuchung freilich die Frage, inwieweit die aus der Beschäftigung mit ihnen beiden erwachsenen dogmatisch-theologischen Reflexionen Kierkegaards Rückschlüsse auf sein Glaubensverständnis zulassen.
1.2.2.1 Clausen In Notizbuch 1 finden sich umfangreiche Notizen zu Dogmatikvorlesungen Clausens. Während die Aufzeichnungen Not1:1– 8³⁰ Notizen zu den von Clausen im Wintersemester 1833/34 und Sommersemester 1834 gehaltenen Dogmatikvorlesungen enthalten, sind die Vorlesungsnotizen in Not1:9³¹ vermutlich im Zusammenhang mit der Wiederholung dieser Vorlesungen in überarbeiteter Form in den Jahren 1839/40 entstanden, als Kierkegaard im Zuge seiner (erneuten) Examensvorbereitung die früheren Notizen durch zahlreiche Randbemerkungen ergänzt und um die in Not1:1– 8 gänzlich fehlende Lehre von Gottes Wesen, Schöpfung und Vorsehung erweitert hat. Gleichwohl ist zu betonen, dass die Mitschrift bei Weitem nicht vollständig ist. Da die Notizen in Not1:1– 8 offenbar nicht während der Vorlesung mitgeschrieben wurden, sondern den Charakter einer Reinschrift haben, muss zudem offen bleiben, ob – und wenn ja, wie weit – Kierkegaard persönlich Clausens Vorlesungen (1833/34) besucht (die Hörerlisten dieser Vorle Zu der von Kierkegaard in AA:12 angesprochenen ‚Legion von Bibelstellen‘, die den einzelnen Punkten vorausgeschickt werde, vgl. z. B. Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) in SKS 19, 17– 20, Not1:5 / DSKE 3, 14– 17 (§§ 14– 17.b); SKS 19, 23 – 28, Not1:6 / DSKE 3, 20 – 26 (§§ 22– 28); SKS 19, 38 – 42, Not1:7 / DSKE 3, 37– 41 (§§ 41– 44); SKS 19, 50 – 54, Not1:7 / DSKE 3, 51– 56 (§§ 49 – 51) und SKS 19, 60 – 62, Not1:8 / DSKE 3, 62 f. (§ 58). Zwar möglich, aber eher unwahrscheinlich ist, dass Kierkegaard hier an die Dogmatiken von Wegscheider oder Bretschneider gedacht hat, vgl. Julius Wegscheider, Institutiones Theologiae Christianae Dogmaticae, 6. Aufl., Halle 1829 (ktl. I 27) zusammen mit dem Hinweis auf Wegscheider in SKS 19, 57, Not1:7 / DSKE 3, 58 und Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 466 bzw. Karl Gottlieb Bretschneider, Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 3. Aufl., Bd. 1– 2, Leipzig 1828 (ktl. I 25 – 26); 4. Aufl., Bd. 1– 2, Leipzig 1838 (ktl. 437– 438) zusammen mit den (möglichen) Anspielungen auf Bretschneiders Dogmatik in SKS 27, 95 f., Papir 54 / T 1, 37 (10. Oktober 1834); SKS 27, 100, Papir 65 / T 1, 37 f. (5. Februar 1835) und SKS 27, 108, Papir 78 / T 1, 49 f. (9. September 1836). Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 466. SKS 19, 7– 74, Not1:1– 8 / DSKE 3, 3 – 78; vgl. hierzu im Folgenden den von mir übersetzten und bearbeiteten editorischen Bericht zu Notizbuch 1 in DSKE 3, 489 – 495, besonders 494 f. SKS 19, 77– 85, Not1:9 / DSKE 3, 81– 90; vgl. DSKE 3, 492, im Unterschied zu Pap. XII, S. 49.
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sungen sind nicht erhalten) und er dann seine eigenen Notizen als Vorlage für die Eintragungen in Notizbuch 1 benutzt hat oder ob er sich auch hier (wie später in Journal KK ³²) eines Kollegheftes bedient hat.³³ So weit sich dies aus den Vorlesungsnotizen in Notizbuch 1 ersehen lässt, stimmen Clausens Vorlesungen in wesentlichen Punkten (wie etwa in der Sakramentenlehre oder der Lehre von den Engeln und bösen Geistern) mit seiner späteren Dogmatik Christliche Glaubenslehre (1853)³⁴ überein, wobei Not1:5 – 8 in der Abfolge exakt der in Clausens Schrift Entwicklung der christlichen Hauptlehren (1844)³⁵ entspricht, die auf Vorlesungen vom Herbst 1841 basieren.³⁶ Clausens Grundbestreben in seinen Dogmatikvorlesungen von 1833/34 lässt sich dabei mit den Worten Ammundsens als ein doppeltes bestimmen: „das Christentum als eine positive geschichtliche Offenbarung zu verstehen, zusammengefasst in der Person Jesu, überliefert durch die heilige Schrift – und zugleich hervorzuheben, dass diese Offenbarung kein fertiges äußeres Gesetz ist, sondern eine geistige Realität, welche Selbsttätigkeit erfordert, um den Geist aus dem Buchstaben herauszulösen, den ewigen Inhalt aus der zeitgeschichtlichen Einkleidung.“³⁷ Da in die Vorlesungsnotizen in Not1:1– 8 bis auf eine Ausnahme³⁸ keine persönlichen Bemerkungen oder Kommentare Kierkegaards eingeschoben sind, Vgl. Kierkegaards im Juli 1838 angefertigtes unvollständiges Exzerpt aus einem Kollegheft zu Martensens Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ (Sommersemester 1838 und Wintersemester 1838/39) in SKS 18, 374– 386, KK:11 / DSKE 2, 384– 396 zusammen mit dem editorischen Bericht zu Journal KK in DSKE 2, 663 – 673, hier 664 und 669 – 673 (zur Datierung vgl. 665). Vgl. Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 82 (Anm. 1) sowie DSKE 3, 494. Bei den Vorlesungsnotizen in Not1:9, die nicht den Charakter einer Reinschrift haben und in die zwei persönliche Bemerkungen Kierkegaards eingeschoben sind (vgl. SKS 19, 81,27– 33, Not1:9 / DSKE 3, 86,16 – 23 und SKS 19, 84,3 – 7, Not1:9 / DSKE 3, 89,1– 6), handelt es sich m. E. eindeutig um Kierkegaards eigene Notizen, die er mithin beim persönlichen Besuch der Vorlesungen (von den Aufzeichnungen Not1:1– 8 durch zwei unbeschriebene Seiten abgetrennt) in das Notizbuch 1 eingetragen hat. Henrik Nicolai Clausen, Christelig Troeslære, Kopenhagen 1853 (ktl. 256). Zur Sakramentenlehre vgl. ibid., S. 390 – 393 (§ 140) und S. 396 – 406 (§§ 142– 144) mit SKS 19, 73 f., Not1:8 / DSKE 3, 76 – 78 (§§ 71– 74); zur Lehre von den Engeln und bösen Geistern vgl. Christelig Troeslære, S. 158 – 165 (§§ 59 – 62) und S. 205 – 216 (§§ 81– 84) mit SKS 19, 17– 22, Not1:5 / DSKE 3, 14– 19 (§§ 17– 21) und SKS 19, 80 f., Not1:9 / DSKE 3, 85. Henrik Nicolai Clausen, Udvikling af de christelige Hovedlærdomme, Kopenhagen 1844 (ktl. 253); vgl. die Abfolge in ibid., S. XII-XV bzw. S. 213 – 453 (Kapitel XI-XXI) zusammen mit SKS 19, 17– 74, Not1:5 – 8 / DSKE 3, 14– 78. Vgl. hierzu ferner DSKE 3, 495. Vgl. Clausen, Udvikling af de christelige Hovedlærdomme, S. III. Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 82. Und zwar in Bezug auf die Frage der Annahme einer positiven Akkommodation bei den Reformatoren: „Clausen meint, dass sie [scil. die Reformatoren] auch die positive annahmen, und bemerkt, dass die Reformatoren annahmen, dass die Apostel gewisse Vorschriften gegeben
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können sie über Kierkegaards Glaubensverständnis und die Frage einer diesbezüglichen Beeinflussung durch Clausen nur sehr bedingt Aufschluss geben. Interessant sind jedoch mehrere von Kierkegaard offensichtlich im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung mit Clausens Dogmatikvorlesungen auf lose Zettel notierte Aufzeichnungen, in denen er Gedanken zur Soteriologie festgehalten hat.³⁹ Kierkegaard hat in der unterschiedlichen Deutung des Versöhnungswerkes Christi – als Wiederherstellung der Gemeinschaft Gottes und der Menschen im objektiven Sinne einerseits, als bloßer Manifestation der unveränderlichen Liebe Gottes zum Menschen und eo ipso als Ermöglichungsgrund einer vom Menschen selbst (noch) zu vollziehenden Versöhnung mit Gott im subjektiven Sinne andererseits⁴⁰ – das „Scheidezeichen zwischen Orthodoxie und Rationalismus“⁴¹ gesehen. Gewichtige Einwände gegen die von Clausen vertretene ‚rationalistische‘ Gestalt der Versöhnungslehre, wie sie in der undatierten Aufzeichnung Papir 87⁴² von vermutlich Mitte 1834, die nur indirekt durch Barfods Ausgabe von Kierkegaards nachge-
hatten, die nur temporär in Gebrauch sein sollten, und führt die Augsb.[urger] Konfess.[ion] 7. Artik.[el] an…Aber ich sehe nicht, wie das eine positive Akkommodation genannt werden kann“ (SKS 19, 11, Not1:2 / DSKE 3, 7; vgl. den Kommentar zu DSKE 3, 7,19 – 28 in DSKE 3, 499). Am Rand zu dieser Stelle bemerkt Kierkegaard: „Man muss doch beachten, dass überall, wo eine wirkliche Akk.[ommodation] angewendet wird, das bemerkt wird. z. B. I Kor 7. Act 15 etc.“ (SKS 19, 11, Not1:2.d / DSKE 3, 7). Vgl. von den oben in Anm. 21 angegebenen Stellen vor allem SKS 27, 95, Papir 53:1 / T 1, 39; SKS 27, 97, Papir 56 / T 1, 39 und SKS 27, 111, Papir 87 / T 1, 39 f. zusammen mit SKS 19, 38,14– 29, Not1:7 / DSKE 3, 37 (§ 41); SKS 19, 52– 57, Not1:7 / DSKE 3, 53 – 59 (§§ 50 – 54) und SKS 19, 59 – 62, Not1:8 / DSKE 3, 60 – 63 (§§ 56 – 58). Der ‚orthodoxen‘ Deutung des Versöhnungswerkes Christi (durch bzw. im Anschluss an Anselm) ist an der Betonung von dessen objektivem Charakter gelegen, mithin als Wiederherstellung der Gemeinschaft Gottes und der Menschen im objektiven Sinne. Durch Christi Kreuzestod als Selbsthingabe Gottes und satisfaktorische Kompensation für die menschliche Sünde (vgl. II Kor 5,19) ist eine objektive Veränderung in der Gesinnung Gottes gegenüber den Menschen eingetreten: von Gottes Zorn hin zu Liebe und Barmherzigkeit. Gegenüber dieser unhintergehbaren Bindung der Versöhnungstat Gottes an die geschichtliche Einmaligkeit des Heilswerkes Christi als objektiver, geschichtlich wirksamer Vorgang, sieht die ‚rationalistische‘ Deutung in Jesus Christus allen voran eine Manifestation der unveränderlichen und dem Menschen bedingungslos zugesprochenen Liebe Gottes, die der Einzelne nun für sich selbst anzunehmen hat (vgl. II Kor 5,20). Der Tod Christi wird hierdurch zur bloßen Offenbarung der Liebe Gottes zu den Menschen als Sündern reduziert, wodurch die Gegenliebe im Menschen geweckt und (folglich) die Gemeinschaft Gottes und der Menschen im subjektiven Sinne wiederhergestellt wird. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 462. SKS 27, 111, Papir 87 / T 1, 39 f. (B-fort. 433e.[3]; KA, A pk. 1[I]); vgl. EP I-II, S. 26 sowie zur Datierung SKS K27, 187.
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lassenen Papieren überliefert ist, und in der Aufzeichnung Papir 56⁴³ vom 8. November 1834 festgehalten sind, haben Kierkegaard schon früh zum Anschluss an die ‚orthodoxe‘ Deutung des Versöhnungswerkes Christi als Wiederherstellung der Gemeinschaft Gottes und der Menschen im objektiven Sinne bewogen.⁴⁴ Unter Voraussetzung der Unveränderlichkeit Gottes, wie sie ein allgemeiner „Hauptsatz“ in „rationalistischen Dogmatiken“ sei, könne man sonst nämlich einen „scharfen philosophischen Kopf“ – sofern er bloß an diesem Gedanken festhielte – auf „den christlichen Standpunkt“⁴⁵ bringen, ohne den Namen Jesu Christi erwähnen zu brauchen. Für den Menschen würde damit aber „der Beweggrund“ für ein persönliches religiöses Leben verschwinden, den die Schrift so eindrücklich hervorhebe: „Liebe zu Gott.“⁴⁶ Mit der Annahme der Unveränderlichkeit Gottes sei man deshalb auf „einen völlig kantianischen Standpunkt“ zurückgeworfen: „wir müssten uns dann bessern, weil unsere Vernunft es uns
SKS 27, 97, Papir 56 / T 1, 39 (B-fort. [433a].8; KA, A pk. 1[I]). Weder die Annahme Bohlins, dass sich Kierkegaard aufgrund seiner Beeinflussung durch Clausen zeitweilig kritisch gegenüber der objektiven Versöhnungslehre geäußert habe (vgl. Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 10 – 15), noch Hirschs Postulat eines diesbezüglichen „Jugendschwanken[s]“ Kierkegaards zwischen Rationalismus und Orthodoxie (vgl. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 462 und S. 552 f. (Anm. 5)), erst recht aber nicht die Behauptung Ammundsens, dass Kierkegaard bei der Lehre von der subjektiven Versöhnung „stehen geblieben zu sein scheint“ (Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 103 (Anm. 1), wo Ammundsen auch auf EP I-II, S. 443 f. [= SKS 27, 356 – 358, Papir 340:14 / T 2, 106 – 108] verweist), lassen sich an Kierkegaards Aufzeichnungen aus dieser Zeit verifizieren. Bohlin, Hirsch und Ammundsen stützen ihre Annahme, dass Kierkegaard der subjektiven Versöhnungslehre vorübergehend oder dauerhaft zugeneigt war, allesamt allein auf die Aufzeichnung Papir 53:1 (Pap. I A 21) vom 29. September 1834, in der Kierkegaard die „Entdeckung“ der Unveränderlichkeit Gottes innerhalb der Dogmatik mit der „Entdeckung“ des heliozentrischen Weltbildes durch Kopernikus in der Astronomie in Beziehung setzt: „Es dünkt mich, dass man in der Dogmatik die gleiche Entdeckung machte wie Kopernikus in der Astronomie, als man entdeckte, dass Gott nicht der sei, der sich verändere (Gott könne weder barmherzig sein noch zornig), sondern dass der Mensch seine Stellung zu ihm verändere – mit anderen Worten: Die Sonne gehe nicht um die Erde, sondern die Erde um die Sonne“ (SKS 27, 95, Papir 53:1 / T 1, 39; dt. Übers. modifiziert). Kierkegaard geht es hier m. E. jedoch nicht um eine Gleichsetzung beider Entdeckungen im Sinne einer positiven Zustimmung zur subjektiven Versöhnungslehre, sondern um eine Beschreibung der Analogie des Charakters dieser beiden Entdeckungen. Zum Beleg für die Zustimmung (zumindest) des jungen Kierkegaard zur objektiven Versöhnungslehre vgl. SKS 17, 262, DD:144 / DSKE 1, 231 (siehe S. 31); SKS 18, 23, EE:50 / DSKE 2, 21; SKS 18, 176, JJ:112 / DSKE 2, 182. Zur ‚rationalistischen‘ Lehre von Gottes Unveränderlichkeit vgl. ferner SKS 18, 55 f., EE:160 / DSKE 2, 56 und SKS 18, 57 f., EE:166 / DSKE 2, 59. SKS 27, 97, Papir 56 / T 1, 39. SKS 27, 111, Papir 87 / T 1, 39; vgl. I Joh 4,19.
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gebietet, und Gott spielte dann eine sehr untergeordnete Rolle.“⁴⁷ Wenn die Sendung Jesu Christi demnach aber nur den Zweck erfüllte, die Menschen von Gottes Liebe „zu unterrichten“⁴⁸, bekäme man von seiner Person und seinem Werk ein völlig falsches Bild. Letzteres verdeutlicht Kierkegaard in zwei auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnungen von Anfang und Ende November 1834 (Papir 55:1 und Papir 55:2)⁴⁹. Christus „lehrte nicht, dass es eine Erlösung für die Menschen gebe, sondern er erlöste die Menschen.“⁵⁰ Statt in Christi Lehre sieht Kierkegaard daher in Christi Wirken die eigentliche Hauptsache, weshalb auch eine christliche Dogmatik „eine Entwicklung der Wirksamkeit Christi“ sein müsse, demgegenüber alles übrige nur als „Einleitung“ betrachtet werden könne. Christi „ganzes Leben in allen seinen Momenten müsste die Norm abgeben für das Leben der folgenden Christen und somit für das Leben der ganzen Kirche. Man müsste dann jedes einzelne Moment des Lebens Christi nehmen und nun zeigen, auf welche Weise das Entsprechende in der Kirche da sei, angefangen von seiner Taufe und bis hin zu seiner Auferstehung…Aber ungeachtet [möglicher Einwände hiergegen] meine ich, dass sein Wirken doch die Hauptsache war, weil nämlich jenes Leben, das er einschärft (Mt 5), nicht eher aufblühen kann als nach der Wiedergeburt, so dass also diese die conditio sine qua non ist, und auf der anderen Seite dieses Leben sich bei dem wirklich Wiedergeborenen notwendig entfalten muss.“⁵¹
Dass für Kierkegaard eine Zustimmung zur ‚orthodoxen‘ Deutung des Versöhnungswerkes Christi das Moment der individuellen Aneignung der Heilstat Christi durch den Einzelnen im Glauben aber keineswegs bedeutungslos macht, beides vielmehr konstruktiv zu vermitteln ist, wird in seinen aus der Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre hervorgegangenen Notizen und Bemerkungen deutlich.
SKS 27, 111, Papir 87 / T 1, 40. SKS 27, 97, Papir 56 / T 1, 39. SKS 27, 96, Papir 55:1 / T 1, 38 (5. November 1834) und SKS 27, 96 f., Papir 55:2 / (zum Teil übersetzt in) T 1, 38 f. (26. November 1834) (B-fort. [433a].7; KA, A pk. 1[I]). SKS 27, 96, Papir 55:1 / T 1, 38 (dt. Übers. modifiziert); vgl. hierzu Schleiermachers Ausführungen über Inhalt und Aufgabe des „Lehramtes Christi“ in Der christliche Glaube, Bd. 2, S. 108 – 113 [S. 127– 133] (§ 103.1– 2), hier vor allem S. 111 [S. 130]. SKS 27, 96 f., Papir 55:2 / T 1, 38 (dt. Übers. modifiziert); vgl. hierzu Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 2, S. 150 f. [S. 180 f.] (§ 107.1). Zur Christologie des jungen Kierkegaard in seinen Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen 1834 und 1838 siehe Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 11– 15.
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1.2.2.2 Schleiermacher Kierkegaards Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre, bei der er sich im Frühsommer 1834 einer privaten Manuduktion ⁵² durch keinen Geringeren als Hans Lassen Martensen (1808 – 84) persönlich bediente, um mit diesem „die Hauptpunkte“⁵³ der Glaubenslehre zu diskutieren, wurde ihm zum Anlass für erste mehr oder weniger tiefgehende Reflexionen über verschiedene theologische Problemund Fragestellungen. Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem die durch diese Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre motivierte Auseinandersetzung Kierkegaards mit der Prädestinationslehre und der Lehre von der Inspiration von Bedeutung.⁵⁴ Die zwischen Mai und Dezember 1834 auf mehrere lose
‚Manuduktion‘ ist die zu Kierkegaards Zeit geläufige Bezeichnung für den privaten Unterricht Studierender als Ergänzung zu den oder an Stelle der von Universitätslehrern (mit der venia docendi) gehaltenen Lehrveranstaltungen. Bestand das Ziel der vom Manudukteur [Manuduktør] gegenüber dem Manuduzenten [Manuducend/t] durchgeführten Manuduktion gewöhnlich in der gezielten Vorbereitung auf die Examensprüfung, konnte die Manuduktion (wie im Falle Kierkegaards) zudem auch als Privatmanuduktion Einzelner über ein bestimmtes Thema abgehalten werden, vgl. Ordbog over det Danske Sprog, Bd. 1– 28, begründet von Verner Dahlerup, hg. von Det Danske Sprog- og Litteraturselskab, Kopenhagen 1919 – 56; Bd. 13, 1932, Sp. 969 f. (s. v. „Manuduktion“) und Sp. 970 (s. v. „Manuduktør“). So Martensen in seiner Autobiographie Af mit Levnet. Meddelelser, Abt. 1, Kopenhagen 1882; Abt. 2– 3, Kopenhagen 1883; Abt. 1, S. 78 (zitiert nach Aus meinem Leben. Mittheilungen, übers. von Alexander Michelsen, Abt. 1, Karlsruhe und Leipzig 1883; Abt. 2– 3, Karlsruhe und Leipzig 1884; Abt. 1, S. 91). Die in SKS 27, 40 – 52, Papir 9:1– 14:2 abgedruckten Exzerpte Kierkegaards aus der 2. Aufl. der Glaubenslehre auf einem gefalteten Bogen, in einem aus sechs Blättern in Quart bestehenden Heft sowie auf mehreren losen Zetteln (vgl. B-fort. 459.[18], 459.[22], 459.[20], 459.[21], 459; KA, C pk. 1 læg 3 und 5 samt NKS 1577 II, 2o) in Verbindung mit seiner Manuduktion durch Martensen stammen aus §§ 4– 6, 9 – 11, 16, 19 und 22 der Einleitung in Bd. 1 sowie §§ 94, 96 und 97 im ersten Abschnitt von Bd. 2 der Glaubenslehre; die in diese Exzerpte eingeschobenen Bemerkungen in SKS 27, 40 – 45, Papir 9:1– 8 und SKS 27, 46 – 51, Papir 13:1– 12 (Papir 13:10 datiert auf den 1. Oktober 1834) beziehen sich auf §§ 2– 6, 9 und 10 der Einleitung in Bd. 1 sowie §§ 44– 45 und 54– 56 im ersten Abschnitt sowie den Zusatz zum zweiten Abschnitt von Bd. 1 der Glaubenslehre. Auch die Auseinandersetzung Kierkegaards mit dem Absolutheitsanspruch des Christentums in der ersten Jahreshälfte 1835 ist wohl durch seine Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre motiviert gewesen, vgl. SKS 27, 100, Papir 64:1 / T 1, 43; SKS 27, 101, Papir 68:1 / T 1, 43; SKS 27, 101, Papir 68:2 / T 1, 44 und SKS 27, 109, Papir 80 / T 1, 44 zusammen mit Schleiermachers Überzeugung vom Christentum als die de facto „vollkommenste unter den am meisten entwickelten Religionsformen“ (Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 56 [S. 53] (§ 8.4)) in ibid., Bd. 1, S. 51– 58 [S. 47– 55] (§ 8) und S. 83 – 86 [S. 84– 88] (§ 12) sowie Bd. 2, S. 34– 37 [S. 32– 36] (§ 93.2) und S. 112 f. [S. 132] (§ 103.2). In der Aufzeichnung SKS 27, 93, Papir 50 / T 1, 33 f. vom 8. Juli 1834, der argumentativen Voraussetzung von Papir 64:1, bezieht sich Kierkegaard dabei explizit auf Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 51 [S. 47] (§ 8.1) und S. 55 f. [S. 52] (§ 8.4). Hinsichtlich der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Frage Kierkegaards, ob das
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Zettel notierten Bemerkungen zur Prädestinationslehre⁵⁵ zeigen nämlich deutlich, dass Kierkegaard zusammen mit der Zustimmung zur orthodoxen Deutung des Christentum nicht ebenso wie das Judentum „nur ein Durchgangspunkt“ (SKS 27, 101, Papir 68:2 / T 1, 44) sei, wenn es das Judentum für „nur relativ wahr“ anerkenne und, indem es selbst daran anknüpfe, folglich „niemals die absolute Wahrheit sein“ (SKS 27, 100, Papir 64:1 / T 1, 43; dt. Übers. modifiziert) könne, sei bemerkt, dass Schleiermacher das Christentum zwar insofern „in einem besonderen geschichtlichen Zusammenhange mit dem Judentum“ (Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 83 [S. 84], § 12) sehen kann, als die christliche Frömmigkeit wie jede andere einzelne Gestaltung gemeinschaftlicher Frömmigkeit „ein von einem bestimmten Anfang ausgehendes Geschichtlichstetiges“ (S. 64 [S. 62], § 10) repräsentiere und daher nicht „gleichsam von selbst“ entstanden sein könne, also „ganz außerhalb alles geschichtlichen Zusammenhanges mit dem von Christo ausgegangenen Impuls“ (S. 64 [S. 62], §10.1). In grundsätzlicher Übereinstimmung mit Kierkegaards Bemerkungen über die radikale Neuheit des Christentums und des in ihm sich aussprechenden, aus dem allgemein menschlichen Bewusstsein unableitbaren spezifisch christlichen Bewusstseins in der Journalaufzeichnung AA:22 vom Frühjahr 1837 (siehe Kap. 2.2.2) betont Schleiermacher aber im Anschluss daran, dass dies keineswegs im Widerspruch zu seiner Überzeugung vom „schlechthin Neue[n] des Christentums“ (S. 67 [S. 65], § 10.2) stehen solle: dass die christliche Frömmigkeit mit ihrem „besonderen Anfang“, der „Erscheinung des Erlösers in der Geschichte“ (S. 86 [S. 88], § 13), aus der jüdischen Frömmigkeit „weder damaliger noch früherer Zeit“ heraus nicht zu begreifen sei, und das Christentum folglich auch nicht „als eine Umbildung oder erneuernde Fortsetzung des Judentums“ (S. 84 [S. 86], § 12.2) betrachtet werden könne. Diese Indifferenz des Christentums gegenüber dem Judentum bestehe in gleicher Weise auch gegenüber dem Heidentum. Vom Heidentum zum Christentum könne daher kein größerer „Sprung“ stattfinden als vom Judentum zum Christentum – „komme einer her von dem einen oder von dem anderen, so wird er, was seine Frömmigkeit betrifft, ein neuer Mensch“ (S. 84 f. [S. 85 f.], § 12.2). Vgl. SKS 27, 42,8 – 9, Papir 9:7; SKS 27, 93, Papir 49 / T 1, 33; SKS 27, 93 f., Papir 51:1 / T 1, 34; SKS 27, 94, Papir 51:3 / T 1, 34; SKS 27, 94, Papir 52:1 / T 1, 35; SKS 27, 95, Papir 52:2 / T 1, 35; SKS 27, 95, Papir 53:2 / T 1, 36; SKS 27, 98, Papir 59 / T 1, 41; SKS 27, 111, Papir 86 / T 1, 35; SKS 27, 118, Papir 96:3 / T 1, 34; vgl. ferner SKS 27, 108 f., Papir 79 / T 1, 36 und SKS 27, 109, Papir 79.1 / T 1, 36 (1. Dezember 1836). Dass Kierkegaard dieses Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Prädestinationslehre tatsächlich aus seiner Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre heraus erwachsen ist, geht (1) aus seinem Exzerpt aus der Glaubenslehre in SKS 27, 42,8 – 9, Papir 9:7, (2) aus der Abhängigkeit bestimmter Aussagen in den angeführten Aufzeichnungen von Ausführungen Schleiermachers in der Glaubenslehre (vgl. unten Anm. 64) und nicht zuletzt (3) aus den Erinnerungen seines damaligen Manudukteurs Martensen hervor. Dieser berichtet in seiner Autobiographie, dass Kierkegaard mit seinen spitzfindigen Fragen sehr ermüdend sein konnte und sein „Hang zur Sophistik“ besonders zum Vorschein kam, als sie beide „die Lehre von der Gnadenwahl durchgingen“ (Af mit Levnet, Abt. 1, S. 78 (Aus meinem Leben, Abt. 1, S. 91 f.)). Zu dieser frühen Auseinandersetzung Kierkegaards mit der Prädestinationslehre vgl. ferner Gregor Malantschuk, Fra Individ til den Enkelte. Problemer omkring Friheden og det etiske hos Søren Kierkegaard, Kopenhagen 1978, S. 10 – 13; Heiko Schulz, Eschatologische Identität. Eine Untersuchung über das Verhältnis von Vorsehung, Schicksal und Zufall bei Sören Kierkegaard, Berlin und New York 1994 (zugleich Diss., Univ. Wuppertal, 1993) (Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 63), S. 70 – 91 sowie Andreas Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher. Eine
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Versöhnungswerkes Christi als eines objektiven Geschehens extra nos und der damit einhergehenden Hervorhebung der Wirksamkeit Christi das notwendige Vorhandensein auch eines freiheitlich-voluntativen Momentes bei der individuellen Aneignung der Heilstat Christi durch den Einzelnen im Glauben (pro me) annehmen kann und beides miteinander zu vermitteln sucht. Die Lehre von der Prädestination versteht Kierkegaard dabei als einen gescheiterten Versuch, die Vorstellung der menschlichen Freiheit mit der Vorstellung von Gottes Allmacht und Weltlenkung in Verbindung zu setzen.⁵⁶ Dies könne ihr nämlich nicht gelingen, wenn und insofern durch die Annahme einer göttlichen Vorherbestimmung des Menschen zur Seligkeit oder Verdammnis – wolle man diese nicht lediglich in Gottes Präszienz begründet sehen – die menschliche Freiheit aufgehoben werde.⁵⁷ Ohne deshalb einen Synergismus vertreten zu wollen, wie es sich beim Zugeständnis einer wirklichen Freiheit an den Menschen nahelege⁵⁸, ist es Kierkegaard daher an der Hervorhebung der notwendigen Zugehörigkeit eines voluntativen Moments bei der Glaubensentscheidung des Einzelnen gelegen. Dieses Letztere macht Kierkegaard auch in zwei auf lose Zettel notierten Aufzeichnungen von Ende 1834 deutlich. In Papir 58 vom 25. November 1834⁵⁹ konstatiert er zunächst: „Zum Glauben gehört doch wohl sicherlich eine Willensäußerung, und das sogar in einer anderen Bedeutung, als wenn ich z. B. sagen muss, dass zu jeder Erkenntnis eine Willensäußerung gehört; denn wie kann ich es mir sonst erklären, dass es im NT heißt, der, welcher nicht glaube, solle gestraft werden.“⁶⁰ Und in Papir 62 vom 31. Dezember 1834⁶¹ heißt es dann: „Als ein Beitrag zur Bestimmung des Begriffs ‚Glaube‘ ist zu bemerken, dass man von einem Kranken, der Angst vor dem Sterben hat, sagt, dass er glaube, sterben zu müssen,wo eben die Willensäußerung fehlt; ebenso auch von einem, der Angst vor Gespenstern hat – dass man andererseits sagen kann: ‚ich möchte gerne glauben, aber ich kann nicht‘; denn hier scheint ja gerade die Willensäußerung zugegen zu sein.“⁶²
historisch-systematische Studie zum Religionsbegriff, Berlin und New York 2008 (zugleich Diss., Univ. Frankfurt am Main, 2007) (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 18), S. 40 – 46. Vgl. SKS 27, 93 f., Papir 51:1 / T 1, 34 und SKS 27, 94, Papir 51:3 / T 1, 34. Vgl. SKS 27, 95, Papir 52:2 / T 1, 35; SKS 27, 98, Papir 59 / T 1, 41 und SKS 27, 111, Papir 86 / T 1, 35. Vgl. SKS 27, 95, Papir 52:2 / T 1, 35. SKS 27, 97, Papir 58 / T 1, 40 (B-fort. [433a].10; KA, A pk. 1[I]). Ibid. (dt. Übers. modifiziert); vgl. Mk 16,16. SKS 27, 99, Papir 62 / T 1, 41 (B-fort. 433a.13; KA, A pk. 1[I]). Ibid. (meine Übers.). Vgl. ferner Kierkegaards Exzerpt aus August Neander, Geschichte der Pflanzung und Leitung der christlichen Kirche durch die Apostel, als selbstständiger Nachtrag zu der allgemeinen Geschichte der christlichen Religion und Kirche, Bd. 1– 2, Hamburg 1832– 33 [‚komprimierte Version‘, vgl. den Kommentar zu SKS 27, 53,1 in SKS K27, 114]; Bd. 1, S. 115 – 121 in
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Dass für Kierkegaard das Zugegensein menschlicher Freiheit und damit die persönliche Verantwortung des Einzelnen bei der Glaubensentscheidung (selbst) bei der Annahme einer göttlichen Erwählung nicht ausgeschlossen werden darf, zeigt sich denn auch bei seiner eigenen „Lösung der Prädestination“, die er in der auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 79 vom 1. Dezember 1836⁶³ in prätendierter Übereinstimmung mit „Schleiermachers relativer Prädestination“⁶⁴ festgehalten hat. Die (zur Seligkeit oder zur Verdammnis) Erwählten seien genau diejenigen, „quos vocavit“⁶⁵, womit niemand anderes gemeint sei als „diejenigen, in deren Bewusstsein das Christentum aufgegangen“⁶⁶ sei. Wenn die Erwählten aber genau die zum Christentum in der Zeit Berufenen seien, könne über die Seligkeit oder Verdammnis eines Menschen erst entschieden werden, nachdem das Christentum in seinem Bewusstsein „ins Verhältnis zu seiner übrigen Lebensanschauung“ getreten sei – „denn die, welche wohl hier in der Welt gelebt SKS 27, 53, Papir 14:6 (vermutlich ebenfalls von 1834), wo Neander πίστις als dasjenige Charisma beschreibt, aus dem die beiden Gaben der Wunderverrichtung und der Wunderheilung hervorgehen. Der Ausdruck πίστις könne in diesem Zusammenhang nicht den allgemeinen christlichen Glauben bezeichnen, sondern etwas Besonderes, und zwar: „die durch den Glauben beseelte, gesteigerte praktische Willens-Kraft“ (meine Rückübersetzung aus Kierkegaards dänischer Übersetzung von Neander, Geschichte der Pflanzung, S. 121,25 – 26). SKS 27, 108 f., Papir 79 / T 1, 36 (B-fort. [433c.7]; KA, A pk. 1[II]). Ibid. Zu Schleiermachers Modifikation der klassischen Prädestinationslehre dahingehend, dass von Verwerfung lediglich im Sinne einer Nicht-Erwählung gesprochen werden könne, wobei sowohl Erwählung wie Nicht-Erwählung als geschichtliche modi und nicht als ewige Entscheidungen eines göttlichen Ratschlusses zu qualifizieren seien, vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 2, S. 231– 238 [S. 284– 293] (§ 119), vor allem S. 237 [S. 292] (§ 119.3). Wie Gerdes in T 1, 359 (Anm. 67) hervorhebt, stimmt auch Kierkegaards Annahme in Papir 27:2, dass eine Prädestination zwar nicht vom Einzelnen, wohl aber „vom ganzen Christentum“ ausgesagt werden könne, insofern dessen „ganzes Erscheinen…von Ewigkeit beschlossen“ (SKS 27, 77, Papir 27:2 / T 1, 36) sei, mit Schleiermachers Position überein, vgl. Der christliche Glaube, Bd. 2, S. 245 f. [S. 303] (§ 120.4). Zu Clausens Stellung zur Prädestinationslehre vgl. Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) in SKS 19, 65 – 70, Not1:8 / DSKE 3, 67– 73 (§§ 62– 66). In Christelig Troeslære, S. 357 (Anm. 1) verweist Clausen in diesem Zusammenhang explizit auf Schleiermachers Verständnis der Prädestination als die befriedigendste „Lösung“ des Prädestinationsproblems. SKS 27, 108, Papir 79 / T 1, 36. Mit dem Ausdruck „quos vocavit“ spielt Kierkegaard offenbar auf Röm 8,30 in der Vulgata an (vgl. Sebastian Castellio (Hg.), Biblia sacra ex Sebastiani Castellionis interpretatione eiusque postrema recognitione praecipue in usum studiosae iuventutis denuo evulgata, Leipzig 1778 (ktl. 2), Teil 3, S. 165 (hier Röm 8,29!)). Dagegen verweist der Kommentar zu SKS 27, 108,28 in SKS K27, 232 einerseits auf Röm 8,30 in NT-1819, andererseits auf Art. 11 („De aeterna Praedestinatione et Electione Dei“) in Formula Concordiae, 1. Teil, Kap. 11,13 („Quos elegit, hos vocavit“), in Libri symbolici ecclesiae evangelicae sive concordia, hg. von Karl August Hase, Leipzig 1827 (vgl. ktl. 624), S. 619 (vgl. BSLK, S. 819). SKS 27, 109, Papir 79 / T 1, 36 (dt. Übers. modifiziert).
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haben, zu denen aber kein Ruf gekommen ist, die sind natürlich nicht prädestiniert, da sie nicht berufen sind“⁶⁷. Die Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre stand gleichermaßen im Hintergrund, als sich Kierkegaard im Herbst 1834 mit der Lehre von der Inspiration kritisch auseinanderzusetzen begann.⁶⁸ In der auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 54⁶⁹ vom 10. Oktober 1834 versucht Kierkegaard zu zeigen, inwiefern die Lehre von der Inspiration als Versuch einer Antwort auf „die Frage, wie ein bestimmter Gedankeninhalt von einem zum andern übermittelt werden kann“⁷⁰, sich selbst ad absurdum führt: „Eine Inspiration muss entweder so gedacht werden, dass sie allein auf die Tätigkeit der Apostel beschränkt ist, während sie das NT verfassten, oder sie muss auch auf ihre ganze Lebenszeit ausgedehnt sein. Für Ersteres finden wir keinen Grund im NT, vielmehr ist ja das, was man anführt: die Mitteilung des Heiligen Geistes, etwas, was man auf ihre ganze Lebenszeit erstreckt denken muss…Dächten wir uns nun eine Inspiration im strengsten Sinne, dann müsste sie ja über ihre ganze Lebenszeit erstreckt sein. Aber, wenn wir nicht annehmen können, dass die,welche Christus selbst erwählt und unterwiesen hatte, imstande waren, das Christentum richtig aufzufassen, dann waren sie zwar durch diese Inspiration gesichert, aber die folgende Generation würde sie dann missverstehen usw., es sei denn, wir nähmen auch für diese eine Unfehlbarkeit durch Inspiration an, und sagten dann damit, dass das Christentum etwas sei, das sich überhaupt nicht mit dem Menschenleben vereinen lasse, denn durch eine Inspiration wären sie ja gerade außerhalb des allgemein menschlichen Standpunkts gerückt.“⁷¹
Wenn die mit Christus unmittelbar Gleichzeitigen das Christentum nicht ohne Inspiration verstehen konnten, dann können die nachfolgenden Generationen ebenfalls nicht ohne Inspiration sein. Nimmt man jedoch konsequenterweise für
Ibid.; vgl. auch Kierkegaards Bemerkung zu dieser Stelle in SKS 27, 109, Papir 79.a / T 1, 36: „es sei denn, man sagte: eben dass sie nicht berufen wurden, sei die Prädestination; aber dann käme man ja in Widerspruch mit der ersten Aussage, dass die Erwählten die Berufenen seien“ (dt. Übers. modifiziert). Vgl. SKS 27, 95 f., Papir 54 / T 1, 37; SKS 27, 100, Papir 65 / T 1, 37 f. und SKS 27, 106 f., Papir 74 / T 1, 47 f. Zur Abhängigkeit dieser Auseinandersetzung Kierkegaards mit der Inspirationslehre von Ausführungen Schleiermachers in der Glaubenslehre vgl. unten Anm. 71 und 76. Zu Kierkegaards Bemerkungen zur Inspirationslehre vgl. ferner SKS 27, 102, Papir 69 (siehe Anm. 83). SKS 27, 95 f., Papir 54 / T 1, 37 (B-fort. 433a.6; KA, A pk. 1[I]). Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken (siehe Anm. 73), S. 12 SKS 27, 95f., Papir 54 / T 1, 37 (dt. Übers. modifiziert). Gerdes verweist in T 1, 359 (Anm. 68) auf die Abhängigkeit dieser Aufzeichnung von Schleiermachers Ausführungen im § 130.2 der Glaubenslehre über die „Ausdehnung der Eingebung“ des Heiligen Geistes bei den Aposteln, vgl. Der christliche Glaube, Bd. 2, S. 293 – 295 [S. 363 – 366] (§ 130.2). Zur folgenden Interpretation dieser Aufzeichnung vgl. Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 102 f.
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
jeden Einzelnen eine Inspiration an, dann wäre das Christentum nicht nur unvereinbar mit dem allgemein menschlichen Standpunkt, da man diesem durch die Inspiration gerade entrückt wäre, sondern auch die Lehre von der Inspiration der Schrift würde entbehrlich – „denn“, so folgert Ammundsen, „was sollen diejenigen, die selbst inspiriert sind, mit einer inspirierten Schrift?“⁷² Auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, dass für Kierkegaard „allein das einzelne Subjekt für sich die religiöse Wahrheit sich aneignen kann“, womit er, wie Reuter konstatiert, „einen Ton an[schlägt], der harmonisch und klar ausklingt in der Lösung des Lehrer-Schüler-Problems“⁷³ in den Philosophischen Brocken (1844). Während Climacus jedoch betont, dass zwischen dem in späterer Zeit lebenden ‚Jünger zweiter Hand‘ und dem mit dem Christusereignis unmittelbar gleichzeitigen ‚Jünger erster Hand‘ kein wesentlicher Unterschied bestehe, da sich gegenüber dem ‚absoluten Paradox‘⁷⁴ des Gottmenschen in der Zeit alle Menschen in der gleichen Situation befänden („Mit jenem historischen Faktum…hat es nun eine eigene Bewandtnis, da es kein unmittelbar historisches Faktum ist, sondern ein Faktum, das in einem Selbstwiderspruch gründet (was genügt, um zu zeigen, dass kein Unterschied zwischen dem unmittelbar Gleichzeitigen und dem Späteren besteht; denn gerade gegenüber einem Selbstwiderspruch und dem Risiko, das mit der Zustimmung dazu verbunden ist, ist die unmittelbare Gleichzeitigkeit überhaupt keine Begünstigung)“⁷⁵), kann der junge Kierkegaard den später lebenden Menschen hinsichtlich der wahrheitsgemäßen Auffassung von Jesus Christus durchaus einen Vorzug gegenüber den im nahen Verhältnis zu ihm stehenden Aposteln zugestehen. In der auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 65 vom 5. Februar 1835 heißt es hierzu: „Man spricht bei der Entwicklung des Begriffs der Inspiration von dem nahen Verhältnis, in dem die Apostel zu Christus standen, als einer Bedingung für ihre richtige Auffassung, die sie allen anderen voraus hatten – bedenkt aber nicht, dass andererseits die, welche leben,
Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 103. Hans Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken im Verhältnis zu Hegels religionsphilosophischem System, Leipzig 1914 (Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, Bd. 23), S. 12. Zu Kierkegaards Rede vom ‚absoluten Paradox‘ vgl. SKS 4, 242– 252 / PB, 34– 46; SKS 4, 253 – 257 / PB, 46 – 51; SKS 4, 291 f. / PB, 90 – 92; SKS 7, 54 / AUN1, 46; SKS 7, 198 – 200 / AUN2, 209 – 211; SKS 7, 344 f. / AUN2, 83; SKS 7, 491 / AUN2, 250; SKS 7, 511 f. / AUN2, 273 f.; SKS 7, 527 f. / AUN2, 293 f.; SKS 19, 418, Not13:53 / DSKE 3, 456; SKS 18, 176, JJ:111 / DSKE 2, 181. SKS 4, 285 / PB, 83 (meine Übers.); vgl. SKS 4, 301 / PB, 101 f. („Es gibt keinen Jünger zweiter Hand. Wesentlich gesehen sind der erste und der letzte einander gleich, nur dass die spätere Generation im Bericht der gleichzeitigen die Veranlassung hat, während die gleichzeitige sie in ihrer unmittelbaren Gleichzeitigkeit hat und insofern keiner Generation etwas schuldet“; dt. Übers. modifiziert) sowie im Ganzen SKS 4, 287– 301 / PB, 85 – 102. Vgl. ferner folgende Anm.
1.2 Theologische Notizen bis zum Frühsommer 1835
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nachdem das Christentum 1800 Jahre bestanden hat, einen großen Vorzug haben, da das Christentum sich jetzt in allen Lebensverhältnissen geltend gemacht, sich mehr entwickelt hat, während dagegen die Apostel mit allerlei Missbräuchen, Missverständnissen etc. kämpfen mussten, eben weil das Christentum damals erst sich zu entwickeln begann.“⁷⁶
Im ersten Teil der auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung Papir 74⁷⁷ vom 3. November 1835 mit der Überschrift „Hat die Kirche das Recht, im konkreten Zeitpunkt eine Bibel zu schreiben?“ sollte Kierkegaard zudem bezweifeln, dass der kräftigste und unmittelbarste Eindruck der Apostel, die Christus als Quelle ihrer Anschauung am nächsten gestanden haben, deshalb auch der reinste sein müsse. Vielmehr sei auf den sehr wesentlichen Umstand hinzuweisen, „dass jetzt nach dem Verlauf von 1800 Jahren das Christentum das ganze Leben durchsäuert hat, so dass das ganze Leben in der christlichen Kirche wesentlich vom Christlichen durchdrungen ist (christliche Philosophie; christliche Ästhetik, christliche Geschichte.)“⁷⁸. Gegenwärtig dürfe es deshalb „womöglich leichter sein…, das wesentlich Christliche zu ermitteln. Man muss die Pflanze nicht in der Knospe, sondern in der Blüte studieren.“⁷⁹
SKS 27, 100, Papir 65 / T 1, 37 f. (B-fort. 433b.4; KA, A pk. 1[I]; meine Übers.). Wie der Kommentar zu SKS 27, 100,13 in SKS K27, 202 bemerkt, spielt Kierkegaard zu Beginn offenbar auf Bretschneider, Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 3. Aufl., Bd. 1, S. 296 f. (§ 37) an. Gerdes verweist in T 1, 359 (Anm. 69) überdies auf die Abhängigkeit dieser Aufzeichnung Kierkegaards von Schleiermachers Ausführungen im § 103.4 der Glaubenslehre über Jesu „Wundertun“. Schleiermacher zufolge wirken Jesu Wunder „nur vermöge ihrer unmittelbaren Anschaulichkeit“, die mit zunehmender zeitlicher und räumlicher Entfernung von ihnen jedoch abnehme, weshalb sie für den Glauben in der heutigen Zeit „gänzlich überflüssig“ (S. 116 [S. 136] (§ 103.4)) seien. „Was aber für unsere Zeit an die Stelle der Wunder tritt, das ist die geschichtliche Kunde von der Beschaffenheit, sowie von dem Umfang und Bestand der geistigen Wirkungen Christi. Diese haben wir vor den Zeitgenossen des Erlösers voraus, und an ihnen ein Zeugnis, dessen Kraft in demselben Maß zunimmt, nach welchem die Anschaulichkeit der Wunder sich verliert“ (S. 116 [S. 136 f.] (§ 103.4)). Zudem ist, worauf Gerdes in T 1, 360 (Anm. 69) mit Recht verweist, bemerkenswert, dass auch Kierkegaards spätere Position in den Philosophischen Brocken (1844) als Aufnahme und Weiterführung von Schleiermachers Ausführungen im § 14.1 der Glaubenslehre gedeutet werden kann, vgl. nämlich Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 96 [S. 97 f.] (§ 14.1): „Der Eindruck aber, den alle Späteren auf diesem Wege [scil. durch das Zeugnis der christlichen Verkündigung] bekamen von dem durch Christum Bewirkten…, war eben derselbe Eindruck, den die Zeitgenossen unmittelbar von ihm empfingen…Und so ist der Grund des Unglaubens zu allen Zeiten derselbe, wie auch der Grund des Glaubens derselbe ist.“ SKS 27, 106 f., Papir 74 / T 1, 47 f. (B-fort. 433b.12; KA, A pk. 1[I]). SKS 27, 106, Papir 74 / T 1, 47. SKS 27, 107, Papir 74 / T 1, 47.
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
Auch wenn diese aus der Beschäftigung mit Clausen und Schleiermacher erwachsenen dogmatisch-theologischen Reflexionen teilweise noch nicht ausgereift erscheinen mögen⁸⁰, bleibt doch festzuhalten, dass Kierkegaard schon zu dieser Zeit auf Aspekte und Probleme hingewiesen hat, die er später vor allem in den Climacus-Schriften zum Gegenstand eingehender Erörterung machen sollte.⁸¹ Aus dieser frühen dogmatisch-theologischen Beschäftigung Kierkegaards sticht nun aber eine Auseinandersetzung heraus, bei der sich für ihn bereits im Frühsommer 1835 eine endgültige Klärung der eigenen Position ergeben und auf die er viele Jahre später, bei der Ausarbeitung der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846), zurückgreifen sollte: die Auseinandersetzung mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘.
1.3 Der Bruch mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘ Wie aus mehreren Aufzeichnungen auf losen Zetteln⁸² und einer kleinen Abhandlung mit dem Titel „Einige Bemerkungen bezüglich der Kirchentheorie Grundtvigs“ in einem kleinen Heft⁸³ aus der Zeit von Ende Mai bis Anfang Juni 1835 hervorgeht, hat Kierkegaard bereits zu dieser Zeit einen Bruch mit Grundtvig und dessen Versuch einer Neubegründung des christlichen Glaubens aus dem ‚le-
Vgl. z. B. Schulz, Eschatologische Identität, S. 83 – 87, der den Anspruch des jungen Kierkegaard, das Prädestinationsproblem im Wesentlichen gelöst zu haben, als unberechtigt zurückweist. Vgl. ferner den Predigtentwurf über I Tim 3,16 in der Journalaufzeichnung BB:26 (SKS 17, 119, BB:26 / DSKE 1, 128 f.) von Anfang 1837, an dem deutlich wird, dass Kierkegaard schon zu dieser Zeit auf „die hermeneutische Differenz zwischen historischem Textzugang und der theologisch allein ausschlaggebenden Gleichzeitigkeit des Glaubens“ (Deuser, „Philosophie und Christentum“, S. 18 (Anm. 29) (Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, S. 196 (Anm. 78)) aufmerksam gewesen ist, wie sie später in den Philosophischen Brocken (1844) ausgearbeitet werden sollte. In den Christlichen Reden (1848) hat Kierkegaard I Tim 3,16 schließlich tatsächlich zum Thema eines ‚Christlichen Vortrages‘ gemacht (vgl. SKS 10, 241– 252 / CR, 253 – 266), wobei dies in inhaltlicher Übereinstimmung mit dem Predigtentwurf in BB:26 geschehen ist. Vgl. SKS 27, 85 f., Papir 34 / T 1, 45 f.; SKS 27, 105 f., Papir 70; SKS 27, 111, Papir 89; SKS 27, 111 f., Papir 90 / T 1, 46; SKS 27, 112, Papir 91 / T 1, 45; vgl. ferner SKS 27, 99, Papir 63 / T 1, 43; SKS 17, 202, CC:12 / DSKE 1, 162 sowie SKS 27, 139, Papir 155 / T 1, 46 und SKS 27, 139, Papir 155.1 / T 1, 46 zusammen mit SKS 17, 209,29 – 30, CC:25 / DSKE 1, 170,35 – 36. Vgl. SKS 27, 101– 105, Papir 69 (B-fort. 433b.1; KA, A pk. 1[I]). In dieses Heft aus vier Blättern in Quart und ohne Paginierung, das am Ende der kleinen Abhandlung auf Bl. [4v] das Datum vom 28. Mai 1835 trägt (die Randbemerkung SKS 27, 101, Papir 69.a / T 1, 46 stammt vom 1. Juni 1835), war Papir 70 eingelegt und (vermutlich von Kierkegaard selbst) an das Heft mithilfe des Heftdrahtes festgemacht, vgl. den editorischen Bericht zu Papir 48 – 94 in SKS K27, 177– 188, hier 182.
1.3 Der Bruch mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘
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bendigen Wort‘ des Apostolikums vollzogen. Kierkegaards eigene Auseinandersetzung mit der ‚Kirchentheorie‘ Grundtvigs geschah dabei vor dem Hintergrund einer Mitte der 1820er Jahre einsetzenden erbitterten Kontroverse um die Grundlagen der Kirche zwischen Clausen auf der einen und Grundtvig und seinen Anhängern – neben Andreas Gottlob Rudelbach (1792– 1862) und Jakob Christian Lindberg (1797– 1857) gehörte hierzu auch Sørens Bruder P.C. Kierkegaard – auf der anderen Seite, die in die dänische Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung unter der Bezeichnung ‚Kirchenkampf‘ eingegangen ist.⁸⁴ Aus Kierkegaards Aufzeichnungen geht dabei hervor, dass er Grundtvig und seine Anhänger als Vertreter der ‚Orthodoxie‘⁸⁵ betrachtet hat,was nicht überrascht, da sich Grundtvig und seine Anhänger auch selbst als ‚die Orthodoxen‘ verstanden und gewöhnlich so bezeichnet haben.⁸⁶ Entscheidend für den Durchbruch der sogenannten ‚kirchlichen Anschauung‘ Grundtvigs war seine ‚unvergleichliche Entdeckung‘⁸⁷ im Juli 1825, dass „die
Vgl. Ludvig Koch, Den danske Kirkes Historie i Årene 1817 – 1854, Kopenhagen 1883, S. 48 – 92; Hal Koch, Den danske Kirkes Historie, Bd. 6, Tiden 1800 – 1848, Kopenhagen 1954, S. 200 – 202 und S. 221– 233; ferner Jørgen Larsen, H.N. Clausen. Hans Liv og Gerning, Teil 1, Aarene 1793 – 1848, Kopenhagen 1945, S. 154– 187 zusammen mit Clausens Rückblick auf diese Kontroverse in seiner Autobiographie Optegnelser om mit Levneds og min Tids Historie, Kopenhagen 1877, S. 108 – 123. Vgl. SKS 27, 99, Papir 63 / T 1, 43; SKS 27, 85 f., Papir 34 / T 1, 45 f. sowie aus späterer Zeit SKS 27, 142 f., Papir 170 / T 1, 81 (10. August 1836) und SKS 18, 71, EE:196 / DSKE 2, 73 (1839). Vgl. die verschiedenen Selbstbezeichnungen in Grundtvigs Skribenten Nik. Fred. Sev. Grundtvigs Literaire Testamente, Kopenhagen 1827, S. 35 („der luthersche hyperorthodoxe Pfarrer“); Om den Clausenske Injurie-Sag, Kopenhagen 1831, S. 15 („die Hyper-Orthodoxen und die altmodischen Christen“); „Om Daabspagten, det Theologiske Seminarium og Hr. Stiftsprovst Clausen“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 5 vom 2. Februar, Sp. 67 („einem altmodischen Orthodoxen“); Om Sogne-Baandets Løsning og Hr. Professor Clausen, Kopenhagen 1834, S. 21 (die „Orthodoxen“); Tale til Folkeraadet om Dansk Kirkefrihed savnet, Kopenhagen 1839, S. 13 („uns sogenannte übertrieben Rechtgläubige (Ultra-Orthodoxe)“); ferner den Kommentar zu SKS 27, 85,30 (Papir 34) in SKS K27, 168 sowie den Kommentar zu SKS 28, 486,23 (Brev 317) in SKS K28, 644 f. Der Ausdruck ‚unvergleichliche Entdeckung‘ [mageløse Opdagelse], womit dieser geistliche Durchbruch Grundtvigs von seinen Anhängern im Nachhinein bezeichnet wurde, findet sich bei Grundtvig selbst nicht. Grundtvig spricht von ‚einem unvergleichlichen Zeugnis‘ [et mageløst Vidnesbyrd], das ihm als die Grundlage und Quelle allen Christenlebens gewahr geworden sei, vgl. z. B. die Artikelreihe „Om Christendommens Sandhed“, Theologisk Maanedsskrift (vgl. ktl. 346 – 351), Bd. 6, 1826, S. 18 – 38, S. 117– 153, S. 212– 244; Bd. 7, 1826, S. 1– 30, S. 226 – 275; Bd. 8, 1827, S. 223 – 251; Bd. 9, 1827, S. 30 – 62, S. 97– 148; hier Bd. 6, S. 20 und Bd. 8, S. 235. Sehr aufschlussreich ist auch Grundtvigs eigener Rückblick auf die Zeit seiner ‚Entdeckung‘ im KirkeSpejl (1861– 63), in Nik. Fred. Sev. Grundtvigs udvalgte Skrifter, hg. von Holger Begtrup, Bd. 1– 10, Kopenhagen 1904– 09; Bd. 10, 1909, S. 80 – 363, vor allem S. 85 f. und S. 353 f. Die Datierung
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
unverrückbare und unveränderliche Grundlage der christlichen Kirche“⁸⁸ und Quelle alles Glaubens nicht die Bibel, sondern ‚das lebendige Wort‘⁸⁹ Gottes sei, wie es in der christlichen Gemeinde von Anfang an und durch die Jahrhunderte hindurch im Apostolikum bei der Taufe und in den Einsetzungsworten beim Abendmahl überliefert und ausgesprochen worden ist.⁹⁰ Diese Vorstellung vom ‚lebendigen Wort‘ Gottes ist der articulus stantis et cadentis des grundtvigschen Kirchenverständnisses, wobei Grundtvig im Apostolikum nicht nur den Inhalt des
dieses Durchbruchs auf Juli 1825 legt der Vergleich zweier aufeinanderfolgender Predigten Grundtvigs nahe: Während Grundtvig seine Hörer in der Predigt vom 24. Juli 1825 (vgl. N.F.S. Grundtvigs Prædikener 1822 – 26 og 1832 – 39, Bd. 3, S. 199 – 202) als Maßnahme gegen die Rationalisten, „die falschen Propheten im Schafskleid“ (ibid., S. 201), zum gründlichen Bibelstudium aufrief – dies stand also noch ganz in Übereinstimmung mit dem Standpunkt des orthodox-lutherischen Bibelchristentums, wie ihn Grundtvig etwa in der Weltchronik von 1812 (vgl. Nik. Fred. Sev. Grundtvigs udvalgte Skrifter, Bd. 2, 1905, S. 165 – 422) und in der daran anschließenden Auseinandersetzung mit Hans Christian Ørsteds Naturphilosophie vertreten hatte –, verweist er dagegen in der darauffolgenden Predigt vom 31. Juli (vgl. N.F.S. Grundtvigs Prædikener 1822 – 26 og 1832 – 39, Bd. 3, S. 202– 211, hier S. 209) in diesem Zusammenhang auf die kirchliche Überlieferung, die Sakramente und das Apostolikum. Zum Hintergrund der ‚kirchlichen Anschauung‘ Grundtvigs vgl. Hal Koch, Grundtvig, Kopenhagen 1943, S. 93 – 109. Nikolai Frederik Severin Grundtvig, Kirkens Gienmæle mod Professor Theol. Dr. H. N. Clausen (1825), in Nik. Fred. Sev. Grundtvigs udvalgte Skrifter, Bd. 4, S. 396 – 429, hier S. 400. Der Ausdruck ‚das lebendige Wort‘ [det levende ord] geht auf die ‚Worte des Lebens‘ in Act 7,38 (in NT-1819: „de levende Ord“) zurück und wurde von Grundtvig in Kirkens Gienmæle (1825) im Hinblick auf das Apostolikum verwendet, das aus Christi ‚eigenem Mund‘ gekommen sei (letztere Behauptung findet sich m.W. zum ersten Mal in Grundtvigs Artikelreihe „Kirkelige Oplysninger især for Lutherske Christne“, Nordisk Tidsskrift for christelig Theologi, Bd. 1, 1840, S. 1– 48 (I); Bd. 2, 1840, S. 171– 207 (II); Bd. 4, 1842, S. 13 – 42 (III); hier vor allem Bd. 1, S. 40; vgl. ferner „Mine Christelige Grund-Sætninger“, Dansk Kirketidende, Bd. 8, 1853, Nr. 428 vom 4. Dezember, Sp. 817– 832, besonders Sp. 818, Sp. 823 und Sp. 830, sowie die in der folgenden Anm. angegebenen Schriften und Artikel Grundtvigs). In den 1830er Jahren hat Grundtvig seine Theorie vom ‚lebendigen Wort‘ weiterentwickelt und hierunter in erster Linie ‚das mündliche Wort‘ im Gegensatz zum ‚toten Wort‘ (der Schrift) verstanden, vgl. z. B. Nikolai Frederik Severin Grundtvig, Christelige Prædikener eller Søndags-Bog, Bd. 1– 3, Kopenhagen 1827– 30 (ktl. 222– 224); Bd. 3, 1830, S. 463 f. (Nr. 20), S. 487 f. (Nr. 21), S. 586 f. und S. 591 (Nr. 26), sowie die Einleitung zu Nordens Mythologi eller Sindbilled-Sprog, 2. Aufl., Kopenhagen 1832 (ktl. 1949), S. 59 – 63, vor allem S. 59 und S. 62. Vgl. besonders Grundtvig, Kirkens Gienmæle, S. 407, S. 416 und S. 419, sowie seine Artikel „Nye Skrifter om Troes-Regelen i den Christne Kirke“, Theologisk Maanedsskrift, Bd. 12, 1828, S. 29 – 84 (I); S. 130 – 158 (II); hier S. 32 f.; „Samtaler om den Christelige Børnelærdom“, Dansk Kirketidende, Bd. 5, 1849, Nr. 215 vom 17. November, Sp. 97– 111; vgl. ferner die in der vorigen Anm. angegebenen Stellen aus Grundtvigs Christelige Prædikener eller Søndags-Bog sowie den Kommentar zu SKS 27, 101,29 – 32 in SKS K27, 204– 207.
1.3 Der Bruch mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘
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christlichen Glaubens vollständig und zureichend wiedergegeben⁹¹, sondern zugleich auch das Kriterium dafür angegeben sieht, was christlicher Glaube ist und was nicht. Die Bibel wird demgegenüber in den Rang einer „heilsamen und nützlichen, aber nicht unbedingt notwendigen historischen Erläuterung des im Apostolikum niedergelegten christlichen Glaubens“⁹² degradiert, welches die Grundlage auch der Bibel darstellt, nicht aber umgekehrt. Im Unterschied zum Apostolikum als der aller historischen Kritik entzogenen Grundurkunde der Kirche könne die Bibel deshalb auch zum Zwecke der Erforschung ihrer historischen Genese der theologischen Wissenschaft überstellt und der Herrschaft des „neuen exegetischen Papsttum[s]“⁹³ unterstellt werden. In weitgehender, teilweise sogar bis in den Wortlaut einzelner Formulierungen hineingehender Übereinstimmung mit den späteren Ausführungen im § 2 („Von der Kirche“) des ersten Kapitels des ersten Teils der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846)⁹⁴ argumentiert nun der junge Kierkegaard in der in SKS als Papir 69 registrierten kleinen Abhandlung, dass, wenn Grundtvig (im Apostolikum) einen Ausdruck gefunden zu haben glaube, der ein für alle Mal entscheide, was christlicher Glaube sei und was nicht, man dann natürlich auf „jeden Buchstaben, ja jeden tausendsten Teil eines Tüttelchens“⁹⁵ den größten Vgl. Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 1– 5, Gütersloh 1949 – 54; Bd. 5, S. 221– 231, hier S. 228. Ibid. Grundtvig, Kirkens Gienmæle, S. 420 (ohne Hervorhebung). Vgl. SKS 7, 41– 52 / AUN1, 31– 43 bzw. die Hinweise in den folgenden Anm. Auf diese sachliche Übereinstimmung haben bereits Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 106 und Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 8 (Anm. 2) hingewiesen. Im Unterschied zu den frühen Aufzeichnungen (vgl. oben Anm. 82 und 83) bietet die Nachschrift zudem eine ausführliche Kritik an Grundtvigs Tauflehre (vgl. SKS 7, 49 f. / AUN1, 40 – 42) und eine sehr kritische Charakterisierung Grundtvigs als Person, wohingegen der nicht zuletzt wegen seiner unerbittlichen, pedantischen Akribie im Detail von vielen Zeitgenossen angefeindete Lindberg von Climacus als „ein kluger Kopf“ (SKS 7, 52 / AUN1, 43) gelobt wird. Überdies findet sich im Manuskriptmaterial zur Nachschrift (vgl. Pap. VI B 28 und 29 zur Stelle SKS 7, 43,13 ff. / AUN1, 33) ein Entwurf zu einer Auseinandersetzung mit Grundtvigs Theorie vom ‚lebendigen Wort‘ (vgl. oben Anm. 89), der mit den frühen Aufzeichnungen Kierkegaards in wesentlichen Punkten übereinstimmt. SKS 27, 102,16, Papir 69; vgl. SKS 7, 49 / AUN1, 39 f. („Soll das Historische am Glaubensbekenntnis (dass es von den Aposteln stammt usw.) das Entscheidende sein, so muss auf jedes Tüttelchen der größte Nachdruck gelegt werden, und da sich dies nur approximando erreichen lässt, befindet sich das Individuum in dem Widerspruch, seine ewige Seligkeit daran zu knüpfen, d. h. knüpfen zu wollen und nicht dazu kommen zu können, weil die Approximation niemals fertig wird, woraus wiederum folgt, dass es in alle Ewigkeit nicht dazu kommt, seine Seligkeit daran zu knüpfen“; dt. Übers. modifiziert).
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
Nachdruck legen müsse, so wie dies auch Lindberg konsequent getan habe.⁹⁶ Denn andernfalls sei „die Türe sofort wieder geöffnet für Bestimmungen von Seiten des Menschen darüber, was christlich ist [und] was nicht“⁹⁷.Wenn man aber diesen Ausdruck des christlichen Glaubens, den Grundtvig für die Grundlage der Kirche halte, genauer betrachte, müsse man konzedieren, dass es schlichtweg unmöglich sei, „dass eine Idee den völlig adäquaten Ausdruck im Wort finden“ könne. Es bliebe dann nämlich immer – auch dann, wenn „die Gottheit selbst diese Worte ausspräche“ – „ein kleiner Haken dabei“⁹⁸, sobald der Mensch es verstehen solle. Auch die Annahme einer Inspiration hilft in Kierkegaards Augen hier nicht weiter, da man deren Wirksamkeit auf diejenige Sprache beschränken müsse, in der das Apostolikum ursprünglich (ein)gegeben worden sei. Alle Kirchen aber, „die wesentlich dasselbe Symbolum haben“⁹⁹, haben es in einer (la-
Kierkegaard bezieht sich hier (wie in SKS 7, 47 f. / AUN1, 37 f.) auf Jacob Christian Lindbergs Artikel „Om den christne Troes-Bekjendelses Form i den sidste Udgave af den danske Alterbog“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 49 [vom 7. Dezember], Sp. 817– 832 (I); Nr. 50 [vom 14. Dezember], Sp. 844– 848 (II), in dem Lindberg die Veränderungen unter anderem im Wortlaut des Apostolikums durch Carl Holger Visby in der dänischen Agende von 1830, Forordnet Alter-Bog for Danmark, Kopenhagen 1830 [1688] (ktl. 381), gegenüber der älteren Ausgabe Forordnet Alter-Bog udi Dannemark og Norge, hvori findes de nyelig allernaadigst giorte Forbedringer, Kopenhagen 1812, minutiös dargelegt und scharf kritisiert hat, vgl. besonders Lindberg, „Om den christne Troes-Bekjendelses Form“, Sp. 820 f. und Sp. 824 sowie Koch, Den danske Kirkes Historie i Aarene 1817 – 1854, S. 152 f.; vgl. ferner Lindbergs Artikel „En Bemærkning angaaende de tre Troes-Artikler, af Ambrosius Erkebiskop i Mailand“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 23 [vom 8. Juni], Sp. 396 – 398 sowie seine Schrift Historiske Oplysninger om den danske Kirkes symbolske Bøger, Kopenhagen 1830, vor allem S. 47– 77, aus dem sich in SKS 27, 21– 24, Papir 1:2 (1830/31) ein Exzerpt Kierkegaards findet. SKS 27, 102,17– 18, Papir 69; vgl. SKS 27, 105, Papir 69. SKS 27, 102,24– 27, Papir 69. SKS 27, 102,33, Papir 69. Kierkegaard bezeichnet das Apostolikum in dieser Aufzeichnung gewöhnlich als ‚das Symbolum‘, weshalb auf der Begriffsebene keine Differenzierung zwischen dem Symbolum Apostolorum (um 390 zuerst bei Ambrosius von Mailand) bzw. Symbolum Apostolicum (dessen neuzeitliche Bezeichnung) und dem altrömischen Symbolum Romanum als dessen Vorgänger besteht. Die griechische Fassung des Symbolum Romanum (um 340 bei Marcell von Ankyra) ist kürzer als das lateinische Symbolum Apostolicum, da ihr z. B. im ersten Artikel der Hinweis auf Gott als ‚den Schöpfer‘ fehlt. Wenn Kierkegaard nun vom Symbolum „aus dem 4. Jahrhundert“ spricht, das nicht ganz dasselbe „wie unseres“ (SKS 27, 104,36, Papir 69) bzw. wie „das jetzige Symbolum“ (SKS 27, 104,40, Papir 69) sei, da ihm „der eine oder andere Artikel“ (SKS 27, 105,1, Papir 69) fehle (vgl. das zur Anm. 100 gehörende Zitat), rekurriert er damit m. E. auf das Symbolum Romanum in der griechischen Fassung. Dagegen verweist der Kommentar zu SKS 27, 104,35 in SKS K27, 219 f. diesbezüglich auf die von Rufinus von Aquileia um 400 überlieferte lateinische Fassung des Symbolum Romanum, wie diese sich bei Lindberg, Historiske Oplysninger, S. 81 f. (Anm.) findet. Kierkegaards Aussage in SKS 27, 102,33 – 34, Papir 69, dass die griechische Kirche in ihrem Symbolum von den anderen Kirchen abweiche, versteht der Kom-
1.3 Der Bruch mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘
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teinischen) Übersetzung und gerade die griechische Kirche weiche in ihrem Symbolum von den anderen Kirchen ab. Wenn also „das jetzige Symbolum“ und „das aus dem 4. Jahrhundert“ nicht ganz dasselbe seien, da letzterem „der eine oder andere Artikel“¹⁰⁰ fehle, dann könne man daraus nur schließen, dass (auch) wir nicht das ursprüngliche Symbolum hätten.¹⁰¹ Diese Schlussfolgerung sei jedoch nur für denjenigen „schlimm“, der mit der Preisgabe der Ursprünglichkeit des jetzigen Symbolums auch die ganze Kirche preisgegeben sähe – „für uns dagegen nicht, die wir meinen, dass sich die Kirche wesentlich im konkreten Zeitpunkt in ihren Symbolen ausspricht, und dass sie also als Meilensteine auf dem Weg der christlichen Entwicklung zu betrachten sind.“¹⁰² Auch das Apostolikum sei den Anfragen der historischen Kritik weder entzogen noch entziehbar, da man dieselben Einwände, die gegen die Bibel erhoben werden können, auch gegen das Apostolikum vorbringen könne.¹⁰³ Selbst wenn Grundtvigs Theorie vom Symbolum allgemein angenommen wäre – sollte es dann „einem Gegner schwerer fallen, bloß das einzelne Wort: ‚Sündenvergebung‘ anzugreifen, als die ganze Lehre in der Bibel?“¹⁰⁴ Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass sich Grundtvigs ‚kirchliche Anschauung‘ für Kierkegaard nicht nur bei historischer Prüfung¹⁰⁵, sondern auch, mentar zu SKS 27, 102,34 in SKS K27, 212 f. zudem als Anspielung darauf, dass die griechischorthodoxe Kirche nicht das Apostolikum, sondern das Nizänum (ohne Filioque) als Symbolum gebrauche. SKS 27, 104,40 – 105,1, Papir 69. Vgl. hierzu auch SKS 27, 104,9 – 10, Papir 69 zusammen mit Lindbergs Artikel „Om Hans Høiærværdigheds Hr. Biskop Dr. R. Møllers og Hr. Pastor C. C. Boisens offentlige Yttringer om Daabs-Pagten“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 11 [vom 16. März], Sp. 164– 176 (I); Nr. 12 [vom 23. März], Sp. 177– 191 (II); Nr. 13 [vom 30. März], Sp. 219 – 224 (III); Nr. 14 [vom 6. April], Sp. 225 – 234 (IV); Nr. 16 [vom 20. April], Sp. 257– 284 (V); hier Sp. 168 f. und Sp. 171 f. SKS 27, 105,4– 7, Papir 69. Vgl. SKS 27, 112, Papir 91 / T 1, 45 und SKS 27, 105 f., Papir 70 zusammen mit SKS 7, 47 f. / AUN1, 38 und SKS 7, 46 / AUN1, 36 („Es geht mit Einwänden wie mit dem (sprichwörtlichen) Kobold: Ein Mann zieht um – der Kobold zieht mit“). SKS 27, 105,16 – 17, Papir 69; vgl. SKS 7, 47 f. / AUN1, 38, wo als Beispiel für einen möglichen Angriff auf das Apostolikum die „Personhaftigkeit des Heiligen Geistes“ angeführt wird. Vgl. zu diesem Kritikpunkt auch die beiden auf lose Zettel notierten Aufzeichnungen Papir 90 und Papir 34. In Papir 90 macht Kierkegaard deutlich, dass – ganz wie die konsequente Entwicklung der protestantischen Anschauung von der Bibel als das die Kirche Konstituierende zur Begründung der Einleitungswissenschaft geführt habe, in der man zu beweisen suchte, „dass sie [scil. die Bibel] wegen ihres ursprünglichen Ursprungs [oprindelige Udspringen] von den Aposteln das Recht habe, die Kirche zu konstituieren“ – auch „die Theorie vom apostolischen Symbolum zu einer Einleitungswissenschaft führen“ müsse (SKS 27, 111 f., Papir 90 / T 1, 46 (dt. Übers. modifiziert); vgl. ferner SKS 27, 105 f., Papir 70; SKS 27, 111, Papir 89 und SKS 27, 106 f., Papir 74 / T 1, 47 f. zusammen mit SKS 7, 46 / AUN1, 36 f.: Bei Grundtvigs Theorie vom
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
wenn sie auf ihre innere Logik hin untersucht wird, als unhaltbar erweist. Für unseren Zusammenhang am interessantesten ist jedoch der von Kierkegaard gleichsam vom Standpunkt der persönlichen Religiosität aus formulierte Einwand gegen die ‚kirchliche Anschauung‘ in den beiden auf lose Zettel notierten Aufzeichnungen Papir 70 und Papir 91.¹⁰⁶ Durch die Erhebung des Apostolikums zum entscheidenden Bestimmungskriterium des Christlichen werde nämlich die menschliche Subjektivität auszuschließen versucht, da diese Bestimmung, wie es in Papir 70 heißt, auf ganz „äußerliche Weise“¹⁰⁷ (in der Diktion der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift: ‚objektiv‘) erfolgen solle.¹⁰⁸ In wesentlicher Übereinstimmung mit der später von ihm in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift vertretenen „Subjektivitätstheorie“¹⁰⁹, derzufolge alle
Apostolikum werde wiederum „eine Einleitungswissenschaft notwendig, die die Ursprünglichkeit des Glaubensbekenntnisses und seine Bedeutungsgleichheit überall und in jedem Augenblick der verflossenen achtzehn Jahrhunderte beweist…; dann wird auch hier wieder in alten Büchern nachgestöbert werden. Das lebendige Wort hilft da nichts“). In Papir 34 bemerkt Kierkegaard dabei, dass „die Orthodoxen“ mit der Forderung, „dass sich die Kirche ihrer Existenz unmittelbar bewusst werden“ müsse, in gewisser Hinsicht Recht hätten, doch dürfe daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass die sich ihrer Existenz bewusste Kirche ebendeshalb auch „die ursprüngliche apostolische Kirche“ sei, weil dies „eine geschichtliche Frage“ (SKS 27, 85 f., Papir 34 / T 1, 45 f.; dt. Übers. modifiziert) sei; vgl. hierzu Lindberg, Historiske Oplysninger, S. 51 sowie SKS 7, 45 / AUN1, 35 f. SKS 27, 105 f., Papir 70 (B-fort. [ad 433b.1]; KA, A pk. 1[I]) und SKS 27, 112, Papir 91 / T 1, 45 (Bfort. [433e.5]; KA, A pk. 1[I]) (zur Datierung vgl. SKS K27, 187). Wie oben in Anm. 83 bemerkt, war Papir 70 in das kleine Heft (mit Papir 69) eingelegt und (von Kierkegaard) daran festgemacht. Zur hier vorgenommenen Unterteilung von Kierkegaards Kritik an Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘ in ‚historische Prüfung‘, Überprüfung hinsichtlich der ‚inneren Logik‘ und Betrachtung vom Standpunkt der ‚persönlichen Religiosität‘ aus vgl. Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 104– 107. SKS 27, 105,36, Papir 70. Vgl. SKS 27, 105 f., Papir 70 mit SKS 7, 44 / AUN1, 34 („Wenn die Wahrheit Geist ist, so ist die Wahrheit Verinnerlichung und nicht ein unmittelbares und höchst ungeniertes Verhältnis eines unmittelbaren Geistes zu einer Summe von Sätzen, wenn man auch dieses Verhältnis, neue Verwirrung stiftend, mit dem entscheidendsten Ausdruck der Subjektivität Glauben nennt. Die Richtung der Unreflektiertheit geht beständig nach außen, hin zu etwas, auf etwas zu, strebt zum Ziel, auf das Objektive hin; das sokratische Geheimnis, das im Christentum…nur durch eine tiefere Innerlichkeit unendlich gemacht sein kann, besteht darin, dass die Bewegung nach innen geschieht, dass die Wahrheit in der Verwandlung des Subjekts in sich selbst besteht“). Zur Kritik an Kierkegaards Bezeichnung der ‚kirchlichen Anschauung‘ Grundtvigs als ‚objektiv‘ vgl. Harald Östergaard-Nielsen, „Das Erbe Kierkegaards und Grundtvigs im Widerstreit“, in Kontroverse um Kierkegaard und Grundtvig, hg. von Knud Ejler Lögstrup und Götz Harbsmeier, Bd. 1, München 1966, S. 13 – 49, hier S. 42– 48. Vgl. jedoch auch Holm, „Grundtvig und Kierkegaard. Parallelen und Kontraste“ (siehe Exkurs 1, Anm. 85), S. 167 ff. SKS 7, 50 / AUN1, 41.
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Versuche, die Wahrheit des Christentums auf dem Wege der historischen Betrachtung ‚objektiv‘ zu beweisen, zum Scheitern verurteilt seien, das Christentum vielmehr „wesentlich die Subjektivität“ sei und der Glaubende sich seiner ewigen Seligkeit nur im innerlichen und eo ipso unveräußerlichen „unendlichen leidenschaftlichen Interesse“¹¹⁰ an ihr gewiss sein könne, ist es Kierkegaard also bereits auch in dieser frühen Auseinandersetzung mit Grundtvig an der Betonung der für den Glaubensvollzug des Einzelnen unabdingbaren wesentlichen Subjektivität gelegen. Dies zeigt sich vor allem in der auf einen nunmehr verlorengegangenen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 91, deren Wortlaut in Barfods Ausgabe von Kierkegaards nachgelassenen Papieren folgendermaßen überliefert ist: „Die Subjektivität, zu der es, wie ich glaube, in Bezug auf die Kirche zuerst kommen muss, – da sich gegen jede neue Norm, die man über die Kirche stellen will, das Gleiche einwenden lässt, was man richtig gegen die Bibel eingewendet hat – liegt bereits vorbildlich darin, dass das Objektivste im Glaubensbekenntnis [at det meest Objective i Troesbekjendelsen] folgendermaßen beginnt: Ich glaube.“¹¹¹
Die kryptische Aussage, „das Objektivste im Glaubensbekenntnis“ (d. h. das Objektivste, das sich im Glaubensbekenntnis findet) beginne mit „Ich glaube“ (also der erste (und der dritte) Artikel des Apostolikums?), hat Ammundsen zu der m. E. berechtigten Konjektur „das Objektivste: das Glaubensbekenntnis“¹¹² veranlasst. Barfod hätte dann bei der Abschrift dieser Aufzeichnung einen Doppelpunkt oder ein Komma, möglicherweise aber auch das von Kierkegaard gewöhnlich für ‚d. h.‘ gebrauchte Zeichen ‚ɔ:‘ versehentlich als ‚in‘ [i] gelesen. Für Ammundsens Konjektur und damit die Interpretation dieser Aufzeichnung dahingehend, dass sich für Kierkegaard die unaufhebbare Subjektivität des Glaubens beispielhaft darin zeigt, dass auch das Apostolikum als öffentlicher, allgemeiner und insofern ‚objektivster‘ Ausdruck des Glaubens mit der subjektiven Aussage ‚Ich glaube‘ beginnt, sprechen überdies zwei spätere Äußerungen des jungen Kierkegaard. So konstatiert Kierkegaard in der wohl 1840/41 auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung Papir 289¹¹³, der Glaube sei zugleich „das Subjektivste und das Objektivste“, weshalb er sich „niemals von diesem: ich glaube emanzipieren“ könne, „auch wenn dieses ‚Ich‘ ein ideales Ich“¹¹⁴ sei. Und in der Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) bemerkt Kierkegaard in
SKS 7, 57 / AUN1, 49; vgl. SKS 7, 57 f. / AUN1, 49 – 51. EP I-II, S. 26 bzw. SKS 27, 112, Papir 91 / T 1, 45 (dt. Übers. modifiziert). Ammundsen, Søren Kierkegaards Ungdom, S. 106. Siehe Kap. 3.3.2.4. SKS 27, 282, Papir 289 / T 1, 281 (dt. Übers. modifiziert); siehe Kap. 3.3.2.4.
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
einer Anmerkung zu der Stelle, dass man in den Wolken des Aristophanes (423 v.Chr. uraufgeführt) in dem Symbol des Chors, den Wolken, die Gedanken des Sokrates objektiv angeschaut finde: „Deshalb wird es als ein Glaubensbekenntnis aufgestellt, welches, wie jedes Glaubensbekenntnis, sowohl die subjektive wie die objektive Seite umfasst“¹¹⁵.
1.4 Distanzierung vom Überkommenen Kierkegaards Aufenthalt in Gilleleje vom 17. Juni bis zum 22./23. August 1835¹¹⁶, dessen Zweck wohl in der Vorbereitung auf das theologische Examen bestand, markiert einen Einschnitt im Leben des jungen Kierkegaard. Nicht nur wollte er sein Theologiestudium von nun an konsequenter als bisher betreiben, sondern auch mit sich selbst über sein Leben und zukünftiges Tun ins Reine kommen: „Es kommt darauf an“, schreibt er, „meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, dass ich tun soll; es gilt, eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will.“¹¹⁷ Den Vorsatz, sich von nun an für die Examensprüfung „ins Zeug legen“¹¹⁸ zu wollen, hat Kierkegaard allerdings schon bald aufgegeben. Abgesehen von der
SKS 1, 188,20 – 22 / BI, 141 (Anm.). Zu Kierkegaards Aufenthalt in Gilleleje (Nordseeland), den Eduard Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1– 6, Kopenhagen 1926 – 28; Bd. 1, S. 29 als „Sommerferien zur Selbstbesinnung“ (zitiert nach ders., Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, Göttingen 1929, S. 22) bezeichnet, vgl. SKS 17, 7– 18, AA:1– 11 / DSKE 1, 3 – 16 und den zweiten, auf den 1. August 1835 datierten Teil von AA:12 (SKS 17, 23 – 30, AA:12 / DSKE 1, 23 – 31) zusammen mit dem editorischen Bericht zu Journal AA in DSKE 1, 311– 322, hier 319 – 322. SKS 17, 24, AA:12 / DSKE 1, 23 f. Zur Einwirkung von Johann Gottlieb Fichtes Die Bestimmung des Menschen, Berlin 1825 (vgl. vor allem ibid., S. 137– 190 [Berlin 1838, S. 115 – 159 (ktl. 500)]) auf die Journalaufzeichnung AA:12 vgl. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 471– 477 sowie SKS 17, 16, AA:6 / DSKE 1, 14 (samt Kommentar zu SKS 17, 16,5 in SKS K17, 43 f. sowie Gerdes in T 1, 356 (Anm. 21)); SKS 17, 25, AA:12.4.1 / DSKE 1, 25 (samt Kommentar zu SKS 17, 25,34 in SKS K17, 64) und SKS 27, 185, Papir 252:5 (samt Kommentar zu SKS 27, 185,12 in SKS K27, 407 f.); ferner Gerdes in T 1, 357 (Anm. 41) zu SKS 17, 30,23 – 26, AA:12 (Pap. I A 81) im Unterschied zum Kommentar zu SKS 17, 30,23 in SKS K17, 71. Zur im Haupttext angeführten Stelle aus AA:12 vgl. aber auch Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 83 [S. 84] (§ 11.5). Zur Rezeption Fichtes beim jungen Kierkegaard vgl. ferner Wolfdietrich von Kloeden, „Søren Kierkegaard und J.G. Fichte“, in Kierkegaard and Speculative Idealism, hg. von dems. und Marie Mikulová Thulstrup, Kopenhagen 1979 (Bibliotheca Kierkegaardiana, Bd. 4), S. 114– 143, besonders S. 114– 129 sowie Heinrich Schmidinger, „Kierkegaard und Fichte“, Gregorianum, Bd. 62, 1981, S. 499 – 541, besonders S. 518 – 521. SKS 17, 23, AA:12 / DSKE 1, 22.
1.4 Distanzierung vom Überkommenen
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Beschäftigung mit den „drei großen Ideen“ Don Juan, Faust und Ahasverus als Repräsentanten des „Lebens außerhalb der Religion in seiner dreifachen Richtung“¹¹⁹ sollte Kierkegaards Studium in den darauffolgenden eineinhalb Jahren vor allem in einer eingehenden Beschäftigung mit Vertretern der Romantik¹²⁰ oder überhaupt dem Romantischen¹²¹ bestehen. Auch die beiden für Kierkegaards spätere religiöse Anschauung wichtigen Standpunkte oder Grundhaltungen der Ironie und des Humors werden jetzt Gegenstand seines Interesses, wenngleich er den Humor bzw. das Humoristische erst ab Mitte 1837, veranlasst durch die Lektüre Hamanns, in wesentliche Beziehung zum Christentum setzen sollte.¹²² Die bei der „Generalabrechnung mit sich selber“¹²³ im ersten, auf den 1. Juni 1835 datierten Teil der Journalaufzeichnung AA:12¹²⁴ zum Ausdruck gebrachten
SKS 27, 134, Papir 140 / T 1, 65. Zu Kierkegaards Beschäftigung mit der Gestalt des Faust als des personifizierten Zweifels in der Zeit zwischen März 1835 und März 1837 vgl. SKS 19, 89 – 93, Not2:1– 3 / DSKE 3, 93 – 97; SKS 19, 94, Not2:6 – 8 / DSKE 3, 98; SKS 19, 94 f., Not2:10 / DSKE 3, 98 f.; SKS 19, 95 f., Not2:14 / DSKE 3, 99 f.; SKS 19, 106 f., Not3:6 / DSKE 3, 112 f.; SKS 17, 19, AA:12 / DSKE 1, 18; SKS 17, 76 – 91, BB:7– 9 / DSKE 1, 82– 98; SKS 17, 92– 106, BB:12– 15 / DSKE 1, 99 – 114; SKS 27, 124, Papir 109; SKS 27, 125, Papir 112; SKS 27, 128, Papir 120; SKS 27, 134, Papir 140; SKS 27, 136, Papir 142; SKS 27, 144 f., Papir 178; SKS 27, 146, Papir 180; SKS 27, 153, Papir 196; SKS 27, 153, Papir 197; SKS 27, 154, Papir 202; SKS 27, 162, Papir 220; SKS 27, 167, Papir 244; SKS 27, 173, Papir 249.g; SKS 27, 181– 185, Papir 252; SKS 27, 181– 185, Papir 253; SKS 17, 116, BB:24 / DSKE 1, 126; SKS 17, 138 – 140, BB:49 / DSKE 1, 150 – 153; vgl. ferner (aus 1837) SKS 17, 49, AA:36 / DSKE 1, 52; SKS 17, 49, AA:38 / DSKE 1, 52; SKS 17, 50 f., AA:41– 44 / DSKE 1, 53 f.; SKS 17, 244, DD:69 / DSKE 1, 209 und SKS 27, 110, Papir 82. Vor allem mit maßgeblichen Vertretern der Frühromantik wie Novalis (SKS 17, 28, AA:12.9 / DSKE 1, 29; SKS 27, 125, Papir 111:1 / T 1, 66), Ludwig Tieck (SKS 17, 76, BB:6 / DSKE 1, 81 f.; SKS 17, 91, BB:10 / DSKE 1, 98; SKS 17, 91, BB:11 / DSKE 1, 98; SKS 27, 137, Papir 146 / T 1, 73; SKS 27, 139, Papir 156; SKS 27, 172, Papir 249 / T 1, 66), Friedrich Schlegel (SKS 17, 67, BB:2.d / DSKE 1, 72; SKS 19, 99, Not3:2 / DSKE 3, 103; SKS 27, 141, Papir 162; SKS 27, 141, Papir 163; SKS 27, 141, Papir 164; SKS 27, 142, Papir 169; SKS 27, 145, Papir 179:5; SKS 27, 155, Papir 205; vgl. ferner SKS 17, 135, BB:42.f / DSKE 1, 147 und SKS 27, 173, Papir 249.h), August Wilhelm Schlegel (SKS 17, 62, BB:2.a / DSKE 1, 67; SKS 17, 89, BB:7 / DSKE 1, 96; SKS 17, 107, BB:17 / DSKE 1, 115; SKS 27, 162, Papir 221), aber auch Heinrich Heine (SKS 17, 76, BB:6 / DSKE 1, 81 f.; SKS 27, 129 f., Papir 126 / T 1, 69 f.; SKS 27, 140 f., Papir 161 / T 1, 80; SKS 27, 162, Papir 221). Vgl. vor allem die Aufzeichnung SKS 27, 131, Papir 131 / T 1, 71, in der Kierkegaard den Anknüpfungspunkt zwischen dem Christlichen und dem Romantischen in der Behauptung von Gegensätzen liegen sieht, die nicht zum Gegenstand einer Vermittlung gemacht werden können. Vgl. z. B. (zwischen April und September 1836) SKS 27, 136, Papir 142 / T 1, 72; SKS 27, 140, Papir 160 / T 1, 79 f. und SKS 27, 149, Papir 182:2 / T 1, 82 f. sowie die Stellen in Anm. 141 und Anm. 167. Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 30 (zitiert nach ders., Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 23).
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
Zweifel an der Überzeugungskraft und Redlichkeit sowohl der lutherischen Orthodoxie wie des theologischen Rationalismus¹²⁵ sollten sich ab Herbst desselben Jahres zu einem Zweifel an der Überzeugungskraft des Christentums in toto verdichten. Obwohl sich bei der Interpretation von Kierkegaards Aufzeichnungen aus dieser Zeit die Unterscheidung von Dichtung und Wirklichkeit schwierig gestaltet, kann doch festgestellt werden, dass es im Frühsommer 1836, der Zeit einer tiefen persönlichen Krise mit starken Depressionen und Selbstmordgedanken¹²⁶, nicht nur zu einem Abbruch des Theologiestudiums, sondern auch zu einer zeitweiligen Distanzierung Kierkegaards vom Christentum (des Vaters) gekommen ist¹²⁷, auf
SKS 17, 18 – 23, AA:12 / DSKE 1, 16 – 23. Hirsch hält – wie zuvor Barfod in EP I-II, S. 186 (Anm.) und Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 28 (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 21) und später dann z. B. auch Johannes Hohlenberg, Søren Kierkegaard, Basel 1949, S. 58 f. und Thulstrup in B&A, Bd. 1, S. 32– 37 (Nr. 3) / B, 1– 8 (Nr. 1) – diesen ersten Teil der Journalaufzeichnung AA:12 (Pap. I A 72) für einen „wirklichen historischen Brief“ (Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 491 (Anm.)) an den Naturforscher (und Bruder von Kierkegaards Schwäger Johan Christian Lund und Henrik Ferdinand Lund) Peter Wilhelm Lund (1801– 80), während Henning Fenger, Kierkegaard-myter og Kierkegaard-kilder. 9 kildekritiske studier i de Kierkegaardske papirer, breve og aktstykker, Odense 1976 (Odense University studies in Scandinavian languages and literatures, Bd. 7), S. 76 – 82 annimmt, dass AA:12 (Pap. I A 72) „ein fiktiver Brief mit fiktivem Datum“ (S. 80; ohne Hervorhebungen) und Teil einer nicht fertiggestellten Briefnovelle sei, an der Kierkegaard (erst) im Jahre 1836 gearbeitet habe, wobei Fenger diese Datierung m. E. nicht zu belegen vermag. Vgl. SKS 17, 22, AA:12 / DSKE 1, 21; vgl. hierzu oben Anm. 27. Vgl. z. B. SKS 27, 164, Papir 225 / T 1, 73; SKS 27, 165, Papir 233:1 / ES, 130; SKS 27, 166, Papir 235:1 / ES, 130; SKS 27, 166, Papir 235:2 / T 1, 73 zusammen mit SKS 20, 81– 83, NB:107 / DSKE 4, 89 – 92 und SKS 16, 61 / GWS, 78. Zur Interpretation der beiden vermutlich im Frühjahr 1836 entstandenen Aufzeichnungen Papir 233:1 [Pap. I A 158] und Papir 235:1 [Pap. I A 161] vgl. Hirschs Anmerkung in ES, 189 f. (Anm. 157), der beide Aufzeichnungen, wie ich meine, mit Recht für einen „dichterische[n] Ausdruck einer persönlichen Stimmung“ (ibid.) hält. Für eine Deutung der Lücke in Kierkegaards Tagebüchern in der Zeit vom 18. April bis zum 6. Juni 1836 im Zusammenhang mit Irrungen und Ausschweifungen vgl. Peter Andreas Heiberg, En Episode i Søren Kierkegaards Ungdomsliv, Kopenhagen und Kristiania 1912 zusammen mit der Kritik an dieser Deutung bei Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 45 – 52 (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 37– 43); dagegen Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 14. Hirsch spricht neben einer „Abwendung“ (Kierkegaard-Studien, S. 491 (Anm.)) Kierkegaards vom Christentum auch von einer „Empörung wider“ bzw. einem „Bruch mit“ dem Christentum (ibid., S. 477– 479; vgl. ferner Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 13 und S. 16), was sich m. E. aber weder aus den Aufzeichnungen aus dieser Zeit ersehen (vgl. vielmehr SKS 27, 147,18 – 22, Papir 180 vom 8. September 1836 sowie unten Anm. 126 und Anm. 138) noch mit Kierkegaards eigenem Rückblick auf diese Zeit im posthum veröffentlichten Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller (1859) vereinbaren lässt, vgl. insbesondere SKS 16, 59 /
1.4 Distanzierung vom Überkommenen
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die jedoch noch im Verlauf des Sommers 1836 zunächst eine vorsichtige und in der ersten Jahreshälfte 1838 dann schließlich eine entschiedene Wiederannäherung an das Christentum folgen sollte.¹²⁸ Für die vorliegende Untersuchung ist diese frühe Phase der Orientierungslosigkeit und der Zweifel zum einen deshalb interessant, weil Kierkegaard in
GWS, 75: „Niemals aber habe ich mit dem Christentum gebrochen oder es aufgegeben“ (meine Übers.). Hirsch sieht in der Journalaufzeichnung DD:113 vom 19. Mai 1838 („Es gibt eine unbeschreibliche Freude, die uns ebenso unerklärbar durchglüht wie der Ausbruch des Apostels ohne Motivation hervortritt: ‚Freuet Euch, und abermals sage ich: freuet Euch‘. – Nicht eine Freude über dieses oder jenes, sondern der kräftige Ausruf der Seele ‚mit Zung‘ und Mund aus Herzens Grund‘: ‚ich freue mich an meiner Freude, aus, in, mit, bei, auf, an und mit meiner Freude‘ – ein himmlischer Kehrreim, der gleichsam plötzlich unseren sonstigen Gesang unterbricht; eine Freude, die gleich einem Windhauch kühlt und erfrischt, eine Böe vom Passat, der vom Hain Mamre zu den ewigen Hütten weht“, SKS 17, 254 f., DD:113 / DSKE 1, 222; dt. Übers. modifiziert) ein Dokument über eine „Bekehrung“, vgl. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 41 f. sowie im Ganzen S. 32– 43 und S. 119 – 128; ferner Hohlenberg, Søren Kierkegaard, S. 106 f.; Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 59 – 67; Gerdes in T 1, [174] („Wiederhinwendung zum Christentum“) und T 1, 385 (Anm. 447) sowie ders., Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 56; Joakim Garff, SAK. Søren Aabye Kierkegaard. En biografi, 2. unv. Aufl., Kopenhagen 2005, S. 114 f.; vgl. dagegen Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 52, S. 65 – 68 und S. 74 (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 43, S. 54– 56 und S. 63) sowie Fenger, Kierkegaard-myter og Kierkegaard-kilder, S. 110 f. Der unter anderem bei Hirsch, Gerdes und Garff zu beobachtenden Wertung der genauen Datierung der Niederschrift dieser Aufzeichnung auf „19. Mai, Vormittag 10½ Uhr“ (SKS 17, 254 f., DD:113 / DSKE 1, 222) als Indiz für „eine ‚Bekehrung‘ in Gestalt der pietistischen ‚Gnadenminute‘“ (so Gerdes in T 1, 385 (Anm. 447)) steht m. E. aber bereits der Umstand entgegen, dass Kierkegaard in der Zeit vor und nach Mitte Mai 1838 auch mehrere andere Journalaufzeichnungen mit einer präzisen Zeitangabe versehen hat, die allesamt (ebenfalls) nur schwerlich als – und sei es: bildlich-dichterischer – Ausdruck oder Niederschlag eines ‚Bekehrungserlebnisses‘ gedeutet werden können, vgl. z. B. SKS 17, 249, DD:87 / DSKE 1, 215 f.; SKS 17, 251, DD:94 / DSKE 1, 217 f.; SKS 17, 272, DD:183 / DSKE 1, 242; SKS 17, 273, DD:184 / DSKE 1, 243; SKS 17, 275, DD:194 / DSKE 1, 245. So sehr sich DD:113 stimmungsmäßig von den anderen Aufzeichnungen vom Frühsommer 1838 auch unterscheiden mag, muss doch konstatiert werden: „Was an jenem Vormittag eigentlich geschah, ist ungewiß. Die angrenzenden Aufzeichnungen geben nicht den geringsten Hinweis, vielleicht ist es nur ein dichterischer Entwurf“ (Garff, SAK, S. 114 f.; zitiert nach ders., Sören Kierkegaard. Biographie, übers. von Herbert Zeichner und Hermann Schmid, München 2005, S. 166). Unbestreitbar ist jedenfalls, dass sich unter Kierkegaards persönlichen Aufzeichnungen aus der Zeit von Frühjahr bis Sommer 1838 mehrere Hinweise auf ein „intensiviertes religiöses Erleben“ (DSKE 1, 495) finden. Dies ist auch Kierkegaards älterem Bruder Peter Christian nicht entgangen, der im Mai 1838 in sein Tagebuch schreibt, dass Søren begonnen habe, „nicht bloß einzelnen Christen,…sondern [auch] dem Christentum näherzukommen“ (P.C. Kierkegaards Tagebuch 1830 – 1850 (NKS 2656, 4°), S. 98; zitiert nach DSKE 1, 495).
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dieser Zeit die für sein Denken grundlegende Überzeugung von der Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum zugewachsen ist (1.4.1), zum anderen aber deshalb, weil in diese Phase auch der Beginn seiner intensiven Beschäftigung mit Hamann fällt (1.4.2), durch den er sich in seiner Überzeugung bestätigt gefühlt hat.
1.4.1 „Philosophie und Christentum lassen sich doch niemals vereinen“¹²⁹ In mehreren Aufzeichnungen vom Herbst 1835 hat Kierkegaard deutlich gemacht, dass Philosophie und Christentum miteinander nicht vereinbar seien.¹³⁰ Am wichtigsten ist in diesem Zusammenhang die Journalaufzeichnung AA:13 vom 17. Oktober 1835, in der Kierkegaard verschiedene Möglichkeiten der Zuordnung von Philosophie und Christentum diskutiert.¹³¹ Zwar könne er sich durchaus „eine Philosophie nach dem Christentum“ vorstellen, also nachdem ein Mensch Christ geworden sei, doch wäre eine solche Philosophie auf der Basis des Christentums eo ipso eine „christliche Philosophie“ und das Verhältnis „dann nicht das der Philosophie zum Christentum, sondern das des Christentums zur christlichen Erkenntnis oder – wenn man unbedingt will – zur christlichen Philosophie“¹³². SKS 17, 30, AA:13 / DSKE 1, 31 (ohne Hervorhebungen). Vgl. SKS 17, 30 – 32, AA:13 / DSKE 1, 31– 33; SKS 17, 32– 34, AA:14 / DSKE 1, 33 – 35; SKS 17, 34, AA:16 / DSKE 1, 36; SKS 17, 34, AA:17 / DSKE 1, 36; SKS 17, 34– 36, AA:18 / DSKE 1, 36 – 39; SKS 27, 86, Papir 35 / T 1, 46 und SKS 27, 86, Papir 36 / T 1, 53 (zur Datierung vgl. SKS K27, 165). AA:16 – 18 sind undatiert, angesichts des inhaltlichen Anschlusses an AA:13 – 14 und der Bezüge von AA:13 – 18 unter- und zueinander aber wahrscheinlich noch im Herbst 1835 entstanden. Die Behauptung von Gerdes, dass Kierkegaard in eben diesen Aufzeichnungen „seine eigene Loslösung vom Christentum“ (T 1, 2) ausgesprochen habe, lässt sich m. E. nicht belegen, vgl. unten Anm. 138. Vgl. die Analyse dieser Zuordnungsmöglichkeiten bei Deuser, „Philosophie und Christentum“, S. 11– 17 (Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, S. 188 – 195). Zur Beeinflussung von Kierkegaards Argumentation in der Journalaufzeichnung AA:13 durch Schleiermacher (vgl. unten Anm. 135) bzw. der Rezeption Schleiermacherscher Gedanken durch Frederik Christian Sibbern (vgl. Sibberns Artikel „Ueber das Verhältniß des christlichen Glaubens zum philosophischen Erkennen“, Theologische Zeitschrift, Bd. 3, 1822, S. 74– 120, vor allem S. 95, sowie „Bidrag til Besvarelsen af det Spørsmaal: Hvad er Dogmatik. Indledet ved en Kritik af Schleiermachers Begreb derom“, in: ders., Philosophiskt Archiv og Repertorium, Bd. 1– 4, Kopenhagen 1829 – 30 [mit fortlaufender Paginierung]; Bd. 3, S. 266 – 304; Bd. 4, 305 – 400, vor allem Bd. 3, S. 268) vgl. Jon Stewart, „Kierkegaard’s Claim about the Relation between Philosophy and Christianity in the Journal AA“, in Kierkegaard and Christianity, hg. von Roman Králik et al., Toronto und Šaľa 2008 (Acta Kierkegaardiana, Bd. 3), S. 35 – 58, hier S. 45 – 56, sowie Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 46 – 52. SKS 17, 30 f., AA:13 / DSKE 1, 31 f. (meine Hervorhebung).
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Würde man dagegen von der „Philosophie vor oder im Christentum“ verlangen, entgegen ihrem Grundanspruch „als ein Sich-Rechenschaft-Geben über das Verhältnis zwischen Gott und Welt“ gerade die Unerklärbarkeit dieses Verhältnisses als Ergebnis festzuhalten, dann würde dieser Widerspruch der Philosophie zu ihrer eigenen Bestimmung „ihren totalen Untergang“¹³³ bedingen und ihr nicht einmal von diesem Standpunkt aus (betrachtet) einen Übergang zum Christentum ermöglichen. Die Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum zeige sich gerade am „Wesentlichsten im Christentum“¹³⁴, der Erlösung, die sich aus christlicher Sicht auf den ganzen Menschen erstrecken und sowohl seine moralischen Fähigkeiten wie auch seine Erkenntnis umfassen müsse.¹³⁵ Die Philosophie möge wohl die Überzeugung der Menschen von ihrer Erlösungsbedürftigkeit zu verstehen versuchen, aber deswegen würde der Philosoph noch nicht die Notwendigkeit der Erlösung anerkennen. Genau an dieser Stelle liege „der klaffende Abgrund: das Christentum behauptet die Mangelhaftigkeit der menschlichen Erkenntnis aufgrund der Sünde, was im Christentum richtig gestellt wird; der Philosoph versucht gerade sich qua Mensch Rechenschaft zu geben über das Verhältnis von Gott und der Welt“¹³⁶. Der Philosoph könne freilich auch zu einer Vorstellung von der menschlichen Sünde kommen, doch folge daraus nicht, dass er deshalb auch das Erlösungsbedürfnis des Menschen (an)erkenne – schon gar nicht das Bedürfnis „nach einer Erlösung, die – korrespondierend mit der allgemeinen Sündhaftigkeit
SKS 17, 31, AA:13 / DSKE 1, 32. SKS 17, 31, AA:13 / DSKE 1, 31 (dt. Übers. modifiziert). Dass Kierkegaard an dieser Stelle die Erlösung als das Spezifikum des Christentums ausmacht, dem der Begriff der Sünde (als Grund für die prinzipielle Erlösungsbedürftigkeit) des Menschen korrespondiert, ist zweifelsohne eine Einwirkung seiner intensiven Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre, vgl. Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 74 [S. 74] (§ 11) und Kierkegaards Wiedergabe der Passagen in ibid., Bd. 1, S. 79,4– 8 [S. 79,12– 17] (§ 11.3) und S. 80,9 – 17 [S. 80,22– 81,1] (§ 11.4) in SKS 27, 45, Papir 10 sowie das Exzerpt aus bzw. die Bezugnahme auf Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 130 [S. 137 f.] (§ 22.2) in SKS 27, 46, Papir 12. Auch die Aussage Kierkegaards, dass „die ganze Vorstellung vom Erlösungsbedürfnis…notwendigerweise von einer ganz anderen Seite in den Menschen kommen [müsste], nämlich zuerst gefühlt und dann erkannt werden“ (SKS 17, 31, AA:13 / DSKE 1, 32), ist auf seine Beschäftigung mit der Glaubenslehre zurückzuführen, vgl. vor allem Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 14– 23 [S. 7– 16] (§ 3) zusammen mit dem Kommentar zu DSKE 1, 32,19 in DSKE 1, 348 f., wo zudem auf die in der 2. Aufl. fehlende einleitende Anmerkung zu § 8 in der 1. Aufl. der Glaubenslehre verwiesen wird (vgl. Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Bd. 1– 2, Berlin 1821– 22; Bd. 1, S. 26), deren Inhalt Kierkegaard aufgrund seiner Manuduktion durch Martensen über Schleiermachers Glaubenslehre gekannt haben könnte; vgl. ferner Gerdes in T 1, 357 (Anm. 42). SKS 17, 31, AA:13 / DSKE 1, 32 f. (meine Übers.).
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der Kreatur – auf Gott übertragen werden muss, wohl aber nach einer relativen Erlösung (d. h. er erlöst sich selbst).“¹³⁷ Interessanterweise hat Kierkegaard diese Bemerkungen über das eingeschränkte Erklärungspotential der Philosophie und die naturgegebene Begrenztheit ihrer Möglichkeiten bei der Deutung des Verhältnisses zwischen Gott und Welt, dessen Kern sie aus christlicher Sicht entscheidend verfehlen müsse, in einer Phase der eigenen Zweifel an der Überzeugungskraft des Christentums niedergeschrieben.¹³⁸ Es ist weniger, und dies ist zu betonen, Kierkegaards Ver-
SKS 17, 31, AA:13 / DSKE 1, 33 (dt. Übers. modifiziert). In der Journalaufzeichnung AA:17 kann Kierkegaard dann konstatieren, dass man die Folgen einer Vereinigung von Philosophie und Christentum auch an der „Sprachverwirrung“ im Rationalismus sehen könne. Denn so wie man bemerkt habe, dass viele Wörter die verschiedenen Sprachen durchliefen, „so haben die Rationalisten, ungeachtet dessen, dass sie einander schlecht machen, dennoch diese Worte gemeinsam: philosophisches, vernünftiges Christentum (das Christentum und das ganze Auftreten Christi ist eine – Akkommodation)“ (SKS 17, 34, AA:17 / DSKE 1, 36). Dieser Vorwurf der durch die unzulässige Vereinigung von Philosophie und Christentum bedingten ‚Sprachverwirrung‘ bildete auch einen Hauptaspekt von Kierkegaards späterer Kritik an der spekulativen Philosophie im Allgemeinen (siehe Kap. 2.2.3). Hinsichtlich der Frage, wen Kierkegaard in AA:17 mit ‚den Rationalisten‘ meint, betont Thulstrup, dass Kierkegaard hier selbstverständlich „an den Rationalismus im kirchengeschichtlichen, nicht im philosophischen Sinne gedacht hat“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 70). Entsprechend der in Anm. 28 angestellten Überlegungen zu konkreten Adressaten von Kierkegaards Kritik am theologischen Rationalismus in AA:12 könnte sich Kierkegaard hier auf die Bemerkungen zur Akkommodation bei Wegscheider, Institutiones Theologiae Christianae Dogmaticae, S. 104– 107 (§ 26) und S. 449 (§ 139); Bretschneider, Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 3. Aufl., Bd. 1, S. 325 – 338 (§ 42) oder eben (m. E. am wahrscheinlichsten) auf die Clausens beziehen, wie er sie in seinen Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) festgehalten hat, vgl. vor allem SKS 19, 10 f., Not1:2 / DSKE 1, 6 f. (§ 27) und SKS 19, 57, Not1:7 / DSKE 3, 58 (§ 54). Drei Stellen aus Journalaufzeichnungen vom Herbst 1835 seien genannt, die KierkegaardInterpreten wie Geismar, Hirsch, Hohlenberg oder Gerdes als Beleg für Kierkegaards ‚Abwendung‘ oder ‚Loslösung‘ vom bzw. ‚Empörung‘ gegen das Christentum anführen: (1) der Christ „mit seinem ganzen Leben und Glauben“ müsse leicht den Eindruck erwecken, ein Mensch zu sein, „der auf eine bestimmte Idee fixiert“ (SKS 17, 32, AA:14 / DSKE 1, 33) sei; (2) das Christentum wirke auf die Ausbildung der Individualität seiner Anhänger hemmend, die im Vergleich zum Heidentum „ihrer Mannheit beraubt“ erscheinen und sich nun gleichsam „wie der Wallach zum Hengst“ (SKS 17, 34, AA:15 / DSKE 1, 35) verhalten würden; (3) die Tatsache, dass so viele Menschen den Übertritt zum Christentum nicht wagen würden, habe darin ihren Grund, dass „das Christentum eine Radikalkur ist, gegen die man sich sträubt, und…ihnen die Kraft fehlt, den verzweifelnden Sprung zu tun. Dazu kommt auch die seltsam stickige Luft, die uns im Christentum entgegenkommt und die jeden Einzelnen einem sehr gefährlichen Tropenfieber aussetzt (…Anfechtungen), bevor er akklimatisiert ist“ (SKS 17, 35, AA:18 / DSKE 1, 37; vgl. auch SKS 27, 86, Papir 35 / T 1, 46). Es fällt mir schwer, solche Sätze, die gewiss von einer distanzierten, kühlen Haltung gegenüber dem Christentum zeugen und auch christentumskritische Bemerkungen
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ständnis von Philosophie „als kritische[m] Denkvermögen innerhalb klarer Grenzen des Vernunftgebrauchs“¹³⁹ als vielmehr sein Verständnis des Christentums und des christlichen Menschenbildes gewesen, aus dem ihm im Herbst 1835 diese Überzeugung von der Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum zugewachsen ist, die nun ein dauernder „Stachel“¹⁴⁰ in seinem Denken bleiben sollte. Bemerkenswert ist zudem, dass Kierkegaard in seinen Aufzeichnungen vom Herbst 1835 die hegelsche Philosophie offensichtlich noch nicht im Blick gehabt hat. Als Kierkegaards philosophische Bildung in der Zeit von Anfang 1837 bis Sommer 1838 eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung erfahren und er sich nun auch mehreren (deutschen) Vertretern der Hegelschule sowie des spekulativen Theismus zuwenden sollte (siehe Kapitel 2.1), hat er diese negative Verhältnisbestimmung von Philosophie und Christentum allerdings beibehalten. In der Zwischenzeit aber ist Kierkegaard unter den Einfluss eines Denkers geraten, den er im September 1836 zu lesen begonnen und durch den er sich in dieser seiner Überzeugung bestätigt gefühlt hat: Hamann.
1.4.2 Hamann Wie aus Kierkegaards Nachlass hervorgeht, hat in der Zeit zwischen September 1836 und Mai 1839 eine intensive Beschäftigung mit Johann Georg Hamann (1730 –
enthalten, als Beleg für eine ‚Abwendung‘ oder ‚Loslösung‘ Kierkegaards vom Christentum zu sehen. Vielmehr ist Kierkegaard hier bemüht, „das Verhältnis von außen, objektiv, als Zuschauer zu betrachten“ (so Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 69 in Bezug auf AA:13 (Pap. I A 94)), was auch in der Rede von ‚den Christen‘ deutlich wird. Es geht daher m. E. zu weit, wenn Hirsch behauptet, Kierkegaard komme in diesen Aufzeichnungen als „Empörer“ (KierkegaardStudien, S. 481) gegen das Christentum, ja als „Gegner des Christentums“ (ibid., S. 482, ohne Hervorhebungen) zu Wort und spreche „von ‚den Christen‘ wie von einer ihm fremdartigen – und…fast gehaßten – Merkwürdigkeit der Religions- und Geistesgeschichte“ (ibid., S. 478). So zu Recht Deuser, „Philosophie und Christentum“, S. 11 (Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, S. 189) unter der Annahme, dass für Kierkegaard bei dieser Verhältnisbestimmung von Philosophie und Christentum als einander ausschließend ein solches Verständnis von Philosophie im Sinne Kants naheliegend ist. Vgl. auch Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 63 – 69 und S. 70, der betont, dass Kierkegaard hier einen „umfassenderen Begriff von Philosophie“ (S. 64) verwende als den spezifisch hegelschen, was freilich nicht ausschließe, dass die hegelsche Philosophie als in die allgemeine Philosophie einbegriffen gedacht werden könne. Gleichwohl habe Kierkegaard, wie Thulstrup im Blick auf AA:13 (Pap. I A 94) resümiert, seine Behauptung der Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum „aller Wahrscheinlichkeit nach ohne besondere Rücksicht auf Hegel ausgebildet“ (S. 69). Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 481 (ohne Hervorhebung); vgl. S. 482.
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88) stattgefunden.¹⁴¹ Kierkegaard hat Hamann von Anfang an als originellen Geist betrachtet¹⁴², wenngleich er an manchen überspitzten Äußerungen Hamanns
Vgl. für diese Zeit SKS 17, 32, AA:14.1 / DSKE 1, 33; SKS 17, 120, BB:27 / DSKE 1, 129; SKS 17, 121, BB:32 / DSKE 1, 131 (vgl. hierzu Kap. 2, Anm. 143); SKS 17, 128, BB:37.8 / DSKE 1, 139; SKS 17, 129, BB:37.9 / DSKE 1, 140; SKS 17, 209 f., CC:25 / DSKE 1, 170 f.; SKS 17, 214, DD:3 / DSKE 1, 176; SKS 17, 216 u. 218, DD:6 / DSKE 1, 180; SKS 17, 225, DD:18 / DSKE 1, 188; SKS 17, 225, DD:18.c / DSKE 1, 188; SKS 17, 230, DD:28 / DSKE 1, 194; SKS 17, 234, DD:36 / DSKE 1, 199; SKS 17, 235, DD:37 / DSKE 1, 199 f.; SKS 17, 235, DD:37.a / DSKE 1, 199; SKS 17, 253, DD:100 / DSKE 1, 220; SKS 18, 27 f., EE:64 / DSKE 2, 25 f.; SKS 18, 31, EE:78.a / DSKE 2, 30; SKS 18, 32, EE:82 / DSKE 2, 31; SKS 18, 81, FF:32 / DSKE 2, 83; SKS 18, 87, FF:60 / DSKE 2, 90; SKS 18, 93, FF:89 / DSKE 2, 96; SKS 18, 94, FF:92 / DSKE 2, 96 f.; SKS 27, 148, Papir 181; SKS 27, 149 f., Papir 185; vgl. ferner SKS 27, 148, Papir 182:1 / ES, 189 (Anm. 154); SKS 27, 150 f., Papir 188 / T 1, 55 (samt T 1, 365 (Anm. 117)). Ich zitiere Hamann nach der Kierkegaard vorliegenden Ausgabe von Hamann’s Schriften, Bd. 1– 6, hg. von Friedrich Roth, Berlin 1821– 24; Bd. 7, Leipzig 1825; Bd. 8,1– 2 (Register), hg. von Gustav Adolph Wiener, Berlin 1842– 43 (ktl. 536 – 544). Kierkegaard lag zudem der Briefwechsel zwischen Hamann und Jacobi in Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Bd. 1– 6, hg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 1812– 25 (ktl. 1722– 1728) vor, vgl. Bd. 1, S. 359 – 404 und Bd. 4,3, S. 3 – 430. Zum Verhältnis Kierkegaards zu Hamann vgl. Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 55 – 60; Niels Thulstrup, „Incontro di Kierkegaard e Hamann“, in Studi Kierkegaardiani, hg. von Cornelio Fabro, Brescia 1957, S. 323 – 357; Ronald Gregor Smith, „Hamann and Kierkegaard“, Kierkegaardiana, Bd. 5, 1964, S. 52– 67; Steffen Steffensen, „Kierkegaard und Hamann“, Orbis Litterarum, Bd. 22, 1967, S. 399 – 417; Craig Quentin Hinkson, Kierkegaard’s Theology: Cross and Grace. The Lutheran and Idealist Traditions in His Thought, Ph.D. diss., Univ. Chicago, 1993, S. 95 – 120; Joachim Ringleben, „Søren Kierkegaard als Hamann-Leser“, in: ders., Arbeit am Gottesbegriff, Bd. 1– 2, Tübingen 2004– 05; Bd. 2, S. 91– 102. Smith, „Hamann and Kierkegaard“, S. 53 (Anm.) und Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 55 setzen den Beginn von Kierkegaards Hamann-Lektüre bereits 1835 an. Während Bohlin einen Beleg für diese Annahme schuldig bleibt, bemüht Smith den Vergleich zwischen einer Äußerung Kierkegaards im zweiten, auf den 1. August 1835 datierten Teil der Journalaufzeichnung AA:12 (SKS 17, 24, AA:12 / DSKE 1, 24: „Was nützte es mir, dass die Wahrheit kalt und nackt vor mir stünde, dabei gleichgültig, ob ich sie anerkennen würde oder nicht, eher ein ängstliches Schaudern bewirkend als eine vertrauensvolle Hingabe?“) mit einer Äußerung Hamanns in seinem Brief an Kant vom 27. Juli 1759 (Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 429 – 445 (Nr. 49), hier S. 445: „Die Wahrheit wollte sich von Straßenräubern nicht zu nahe kommen lassen; sie trug Kleid auf Kleid, daß man zweifelte, ihren Leib zu finden. Wie erschracken sie, da sie ihren Willen hatten, und das schreckliche Gespenst, die Wahrheit, vor sich sahen!“). Aus diesem Vergleich lässt sich m. E. aber keineswegs auf eine Hamann-Lektüre Kierkegaards schon zu dieser Zeit schließen. Der erste explizite Hinweis auf Hamann findet sich jedenfalls in Papir 181 (9. September 1836). Steffensen, „Kierkegaard und Hamann“, S. 400 und Hinkson, Kierkegaard’s Theology, S. 100 vermuten ferner, dass Kierkegaards Interesse an Hamann ursprünglich durch die Lektüre von Hegels Rezension der ersten Bände der Rothschen Ausgabe von Hamann’s Schriften geweckt worden sei. In Hegels Werken wurde diese Besprechung zuerst 1835 abgedruckt, vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. 1– 18, Berlin 1832– 45; Bd. 17, 1835 (ktl. 556), S. 38 – 110. Da jedoch die oberflächlichen Bezüge und Anspielungen auf
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(zunächst) Anstoß nehmen konnte.¹⁴³ Die Intensität dieser frühen Beschäftigung Kierkegaards mit dem Magus in Norden, die sich zunächst auf dessen Gedanken über meinen Lebenslauf (1758)¹⁴⁴ und vor allem die Briefe im ersten Band von Hamann’s Schriften ¹⁴⁵ beschränkte, indiziert auch eine Randbemerkung in der vorläufigen Ausarbeitung von Einübung im Christentum (1850) aus dem Jahre 1848, in der Kierkegaard die Einfügung eines Passus erwägt, „der in einem meiner älteren Journale (aus der Zeit der Hamann-Lektüre) steht“¹⁴⁶. Als den jungen Kierkegaard aber Henrik Hertz (1798 – 1870) nach der Lektüre von Kierkegaards gerade veröffentlichter Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) auf der Straße ansprach und die Meinung äußerte, der Stil des Buches sei von Hamann übernommen, gab er diesem zur Antwort: „Ich habe nichts von ihm gelesen!“¹⁴⁷ Es steht außer Frage, dass Kierkegaard von Hamann nachhaltig beeinflusst worden ist. Hamanns Schriften und Briefe sind nicht nur die Quelle verschiedener Motive Kierkegaards¹⁴⁸, sondern auch die Form der Darstellung in Kierkegaards
Hegel in Kierkegaards Nachlass bis zum September 1836 (vgl. SKS 17, 19, AA:12 / DSKE 1, 17; SKS 27, 137, Papir 148; SKS 27, 138, Papir 154:1 / T 1, 78; SKS 27, 141, Papir 165 / T 1, 80; SKS 27, 143, Papir 172 / T 1, 82; SKS 27, 144, Papir 176 / T 1, 54; SKS 27, 144, Papir 177 / T 1, 54) nicht auf eine intensive Lektüre von Hegels Werken im Original schließen lassen (vgl. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 51– 63, S. 69 f., S. 76 und S. 94), ist Kierkegaards Interesse an Hamann sehr wahrscheinlich durch etwas anderes als durch die Lektüre der besagten Rezension Hegels geweckt worden. Vgl. z. B. SKS 17, 214, DD:3 / DSKE 1, 176 und SKS 17, 234, DD:36 / DSKE 1, 199. Vgl. z. B. SKS 17, 128, BB:37.8 / DSKE 1, 139 und SKS 17, 225, DD:18.c / DSKE 1, 188. Insofern ist der These von Harald Steffes, „Erziehung zur Unwissenheit? Kierkegaards ‚Über die Kunst, Kindern Geschichten zu erzählen‘ und Johann Georg Hamanns Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2006, S. 165 – 206 zuzustimmen, „dass sich zwischen 1837 und 1844 nicht die Themen von Kierkegaards Hamann-Rezeption ändern, sondern die Wertungen. Was er vor der biographischen Wende des Jahres 1838 (‚Bekehrung‘) polemisch und blasphemisch findet, das dient Mitte der 40er Jahre der Explikation seines Standpunkts“ (S. 192). Johann Georg Hamann, „Gedanken über meinen Lebenslauf“ (1758), in Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 149 – 242. Vgl. ibid., S. 243 – 518. Pap. IX B 33:3 (zur Stelle SKS 12, 29,20 ff. / EC, 14). Kierkegaard denkt hier an einen Passus in der Journalaufzeichnung EE:64 (vgl. SKS 18, 27,23 ff., EE:64 / DSKE 2, 26,2 ff.) von Mai 1839. In Übersetzung zitiert nach Kirmmse, Søren Kierkegaard truffet, S. 298 (Nr. 6). Auch die Motti von Furcht und Zittern (1843) und „‚Schuldig?‘ – ‚Nicht Schuldig?‘“ in Stadien auf des Lebens Weg (1845) haben ihren Ursprung bei Hamann (vgl. SKS 4, 100 / FZ, [2] zusammen mit Hamann’s Schriften, Bd. 3, S. 190 sowie SKS 6, 182 / SLW, 204 zusammen mit Hamann’s Schriften, Bd. 3, S. 224); vgl. ferner SKS 4, 310 / BA, [2] mit Hamann‘s Schriften, Bd. 2, S. 12. Zur Bedeutung und Rolle der Motti bei Kierkegaard vgl. Walther Rehm, „Mottostudien. Kierkegaards Motti“, in Beiträge zu Philosophie und Wissenschaft. Wilhelm Szilasi zum 70. Geburtstag, hg. von Helmut Höfling, Bern und München 1960, S. 267– 300.
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Schriften scheint durch Hamann (vor allem durch die von ihm entwickelte „Strategie der mäeutisch konzipierten indirekten Mitteilung“¹⁴⁹ und das von ihm meisterhaft gehandhabte stilistische Mittel der Ineinanderwirkung verschiedener Zitate¹⁵⁰) mit beeinflusst worden zu sein. Die genaue Bestimmung dieser Beeinflussung über die bloße Feststellung der Rezeption von Motiven hinaus erweist sich gleichwohl als überaus schwierig. Es ist, um mit Bohlin zu sprechen, „viel leichter, Ähnlichkeiten und Berührungspunkte zwischen der Geistesart und den religiösen Anschauungen Hamanns und Kierkegaards zu finden, als das Vorhandensein eines religiös-theologischen Einflusses von jenen [sic!] auf diesen nachzuweisen.“¹⁵¹ Überhaupt hat Kierkegaard weniger an zentralen Ideen von Hamanns Hauptschriften als vielmehr an mehr oder weniger peripherischen Gedanken und zufälligen Reflexionen Hamanns Interesse gezeigt, wie etwa an der Interjektion „Bah!“¹⁵² Was nun die von Kierkegaard im Herbst 1835 festgehaltenen Bemerkungen über die Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum betrifft, hat er sich durch Hamann in dieser seiner Überzeugung bestätigt gefühlt, was ihn auch zu
Sven-Aage Jørgensen, Johann Georg Hamann, Stuttgart 1976 (Sammlung Metzler, Bd. 143), S. 39; vgl. ferner Wolfgang-Dieter Baur, Johann Georg Hamann als Publizist: Zum Verhältnis von Verkündigung und Öffentlichkeit, Berlin und New York 1991 (zugleich Diss., Univ. Tübingen, 1989), vor allem S. 262– 279 und S. 346 – 354. Zu diesem „abbreviierte[n] Centostil“ (so Arthur Henkel, „In telonio sedens. J.G. Hamann in den Jahren 1778 – 1782“, in Insel-Almanach auf das Jahr 1959, Frankfurt am Main 1960, S. 136 – 151, hier S. 146) vgl. Josef Nadler, Johann Georg Hamann. 1730 – 1788. Der Zeuge des Corpus mysticum, Salzburg 1949, S. 463 f.; Sven-Aage Jørgensen, „Zu Hamanns Stil“, Germanisch-Romanische Monatsschrift, Bd. 16 (Neue Folge), 1966, S. 374– 387 sowie Max L. Baeumer, „Hamanns Verwendungstechnik von Centonen und Conzetti aus der antiken, jüdischen und christlichen Literatur“, in Johann Georg Hamann. Acta des Internationalen Hamann-Colloquiums in Lüneburg 1976, hg. von Bernhard Gajek, Frankfurt am Main 1979, S. 117– 134. Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 59, der schließlich konstatiert: „Das einzige, was in dieser Beziehung mit Fug und Recht behauptet werden kann, ist eigentlich nur: erstens, daß Hamanns allgemeine Lebensauffassung und Lebensstimmung mit seinem leidenschaftlichen Protest gegen die Rationalisierung des Daseins zu einem ‚System‘ und mit seinem offenen Blick für die Unmittelbarkeit und Innerlichkeit des individuellen Lebens und mit seinem unermüdlichen Streben danach, Kierkegaard in seiner Lebensanschauung und in seinem Kampf gegen eine oberflächliche und in falschen Vorstellungen befangene Zeit befestigt hat; zweitens, daß einzelne Gedanken Hamanns Kierkegaard dazu angeregt haben, sich selbständig in die Probleme zu vertiefen, die sie berührten“ (S. 59 f.). Vgl. z. B. SKS 18, 217, JJ:240 / DSKE 2, 224; SKS 6, 90 / SLW, 97; SKS 6, 113 / SLW, 124 und SKS 22, 24, NB11:29 / T 3, 227. Kierkegaard bezieht sich hier auf Hamanns Brief an Friedrich Heinrich Jacobi (1743 – 1819) vom 22. Januar 1785 in Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Bd. 4,3, S. 27– 34 (Nr. 5), hier S. 34: „Es giebt Zweifel, die mit keinen Gründen noch Antworten, sondern schlechterdings mit einem Bah! abgewiesen werden müssen“.
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nachträglichen Eintragungen in ältere Aufzeichnungen in Form von Einschüben oder Anmerkungen bewegen sollte. Aus dieser Zeit der frühen Hamann-Lektüre Kierkegaards interessieren an dieser Stelle¹⁵³ vor allem zwei Aufzeichnungen vom September 1836. Zum einen die durch Barfod überlieferte Bemerkung AA:14.1, die Kierkegaard am 10. September 1836 nach dem Ende des Satzes: „Der Christ mit seinem ganzen Leben und Glauben muss doch leicht den Eindruck erwecken, er sei ein Mensch, der auf eine bestimmte Idee fixiert ist“¹⁵⁴ in der Journalaufzeichnung AA:14 vom 19. Oktober 1835 „ebendort eingeschoben“¹⁵⁵ hat: „Im Hinblick auf die Ansichten eines Christen über das Heidentum cfr. Hamann 1. T. S. 406, 418 und 19, besonders S. 419: ‚Nein – wenn Gott selbst mit ihm redete, so ist er genöthigt das Machtwort zum voraus zu senden und es in Erfüllung gehen zu lassen –: Wache auf, der Du schläfst.‘ Aus S. 406 ersieht man das vollkommene Missverständnis zwischen einem Christen und einem Nicht-Christen, indem Hamann auf einen Einwand von Hume antwortet: Ja, gerade so verhält es sich.“¹⁵⁶
Die im ersten Teil von AA:14.1 zitierte Äußerung Hamanns, die Kierkegaard im Hinblick auf die Ansichten eines Christen über das Heidentum wichtig erscheint, stammt aus einem Brief Hamanns an Johann Gotthelf Lindner (1729 – 76) vom 16./ 20. Juli 1759.¹⁵⁷ Hamann vergleicht darin das Verhältnis eines „Mensch[en], der in Gott lebt“, zu einem „natürlichen Menschen“ mit dem eines wachen Menschen „zu einem schnarchenden in tiefem Schlaf – zu einem Träumenden – zu einem Mondsüchtigen.“¹⁵⁸ Ein Träumender könne lebhaftere Vorstellungen haben als ein Wacher und der Somnambule könne bestimmte Dinge mit größerer Sicherheit ausführen, als wenn er dies mit offenen Augen täte. Wenn nun ein Wacher einen Träumenden ausfragen würde, könne dieser durchaus mit Verstand antworten. Der Wache könne ihn aber niemals durch Räsonnements davon überzeugen, dass er schliefe, denn hierzu sei eben ein „Machtwort“¹⁵⁹ notwendig. Dieses Bild soll nach der Intention Hamanns veranschaulichen, dass in derselben Weise allein
Zum Paradoxbegriff siehe auch Kap. 3.2.2 und Kap. 3.3.2.5. SKS 17, 32, AA:14 / DSKE 1, 33 (dt. Übers. modifiziert). EP I-II, S. 71 (Anm.), wo ibid., S. 71– 73 die Aufzeichnungen AA:14 und AA:14.1 indirekt überliefert sind. Wahrscheinlich handelt es sich bei AA:14.1 um eine Randbemerkung mit Einweisungszeichen (vgl. hierzu DSKE 1, 292 (Abschnitt 6.5.1)), welches sich dann entsprechend auch in AA:14 nach „fixiert ist“ gefunden haben dürfte. SKS 17, 32, AA:14.1 / DSKE 1, 33 (dt. Übers. modifiziert; das von mir in einfache Anführungszeichen gesetzte Zitat von S. 419 wird von Kierkegaard auf Deutsch angeführt). Zur Interpretation dieser Aufzeichnung vgl. ferner Olesen Larsen, „Über den Paradoxbegriff“, S. 17. Vgl. Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 409 – 423 (Nr. 47). Ibid., S. 418. Ibid., S. 419.
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Gottes ‚Machtwort‘ aus einem Ungläubigen einen Gläubigen machen könne. Unser Geist sei nur dann wach, wenn er sich Gottes bewusst sei, ihn denke und empfinde; wenn dagegen ein Mensch nur sich seiner selbst bewusst sei, dann sei dieser Zustand nicht Wachsein, sondern „Seelenschlaf“¹⁶⁰. Das im zweiten Teil von AA:14.1 angesprochene Missverständnis zwischen einem Christen und einem Nichtchristen sieht Kierkegaard dagegen in einem Brief Hamanns an Lindner vom 3. Juli 1759¹⁶¹ zutage treten. Hamann zitiert darin die Bemerkung David Humes (1711– 76), die christliche Religion könne bis auf den heutigen Tag „von keiner vernünftigen Person ohne ein Wunderwerk geglaubt werden.“¹⁶² Die bloße Vernunft, so Hume weiter, könne uns niemals von der Wahrheit der christlichen Religion überzeugen, weshalb der Glaube selbst für den Gläubigen ein Wunder sei, welches „alle Grundsätze seines Verstandes“¹⁶³ umkehre und der Gewohnheit und Erfahrung offen widerspreche. Hamann wertet die Ansicht Humes jedoch nicht als Kritik, sondern als Bestätigung der christlichen Religion und bemerkt im Anschluss an das Hume-Zitat: „Hume mag das mit einer höhnischen oder tiefsinnigen Miene gesagt haben; so ist dieß allemal Orthodoxie, und ein Zeugniß der Wahrheit in dem Munde eines Feindes und Verfolgers derselben.“¹⁶⁴ Kierkegaard hat in den angeführten Äußerungen Hamanns eine Bestätigung dessen gefunden, was er selbst zuvor im Herbst 1835 über die Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum und die damit einhergehende Perspektivdifferenz
Ibid., S. 417. Vgl. ibid., S. 402– 408 (Nr. 45). Ibid., S. 406. Vgl. hierzu den 10. Versuch von David Humes Philosophical Essays Concerning Human Understanding, London 1748, S. 173 – 203, welche Hamann teilweise (vgl. nämlich Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 405; vgl. dagegen den Kommentar zu DSKE 1, 33,33 in DSKE 1, 350) unter Beiziehung der deutschen Übersetzung von Johann Georg Sulzer, Philosophische Versuche über die Menschliche Erkenntniß, Hamburg und Leipzig 1755 (Vermischte Schriften, Bd. 2), gelesen hat, vgl. ibid., S. 254– 302 („Zehenter Versuch. Von den Wunderwerken. Erster Theil“), insbesondere die Stelle auf S. 297 („Wir können demnach aus diesem allen schließen, die christliche Religion sey nicht allein im Anfange mit Wunderwerken begleitet gewesen, sondern sie könne, auch selbst heut zu Tage, von keiner vernünftigen Person ohne ein Wunderwerk geglaubet werden“), die von Hamann (S. 406) mit kleinen Abweichungen zitiert wird. Hamann’s Schriften, Bd. 1, S, 406. Ibid. Hamanns Antwort auf Humes Bemerkung über die Unvernünftigkeit des Glaubens, die Kierkegaard in AA:14.1 in die Worte „Ja, gerade so verhält es sich“ fasst, sollte er später in den Stadien auf des Lebens Weg (1845) als allgemeinen argumentativen Schachzug verstehen, wenn er Wilhelm sagen lässt: „Wenn ein Gegner die ganze Schwierigkeit des Einwandes triumphierend darstellt, um zu erschrecken, so gilt es, den Mut zu haben, mit Hamann zu sprechen: ‚ja, gerade so ist es‘. Das ist eine gute Antwort und am rechten Ort“ (SKS 6, 101 f. / SLW, 110 f.; vgl. ferner SKS 6, 113 / SLW, 124 sowie das zur Anm. 177 gehörende Zitat aus SKS 4, 256 / PB, 49 f.).
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zwischen dem Standpunkt der Vernunft und dem Christentum entwickelt hatte¹⁶⁵, woraufhin er die im Oktober 1835 niedergeschriebene Journalaufzeichnung AA:14 durch die Bemerkung AA:14.1 mit den Hamann-Zitaten ergänzt hat. Seine eigenen Gedanken über den Gegensatz von Philosophie und Christentum erschienen ihm in einem neuen Licht. Während er noch im Herbst 1835 die Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum in einer Phase der eigenen Zweifel an der Überzeugungskraft des Christentums herausgestellt hat, begegnet er jetzt im September 1836 mit Hamann einem Denker, der dieselbe Unvereinbarkeit geltend macht, aber mit polemischem Humor auf der Seite des Christentums steht und einen Angriff auf das Christentum gleichsam ‚im Namen der Vernunft‘ durch Hume mit einer spöttischen Bemerkung quittiert. Die Standpunkte oder Grundhaltungen der Ironie und des Humors, die schon zuvor Kierkegaards Interesse geweckt hatten, werden ihm nun durch Hamann, den er dem Humor zuordnen und Ende Mai 1837 sogar als den „größte[n] Humorist[en] im Christentum“¹⁶⁶ betrachten sollte, zu neu zu überdenkenden, ernsthaften Fragen, wobei er spätestens ab Mitte 1837 den Humor bzw. das Humoristische in wesentliche Beziehung zum Christentum setzen sollte.¹⁶⁷ In der zweiten hier interessierenden Aufzeichnung Papir 185¹⁶⁸, die Kierkegaard zwei Tage nach der Einfügung der Bemerkung AA:14.1, am 12. September 1836, auf einen losen Zettel notiert hat, rekurriert er zunächst erneut auf den bereits erwähnten Brief Hamanns an Lindner vom 3. Juli 1759. Im Hinblick auf den Unterschied zwischen dem Standpunkt der Vernunft und dem Christentum sieht
Zu Letzterem vgl. vor allem die Journalaufzeichnung AA:18 (SKS 17, 34– 36, AA:18 / DSKE 1, 36 – 39). Wenn Steffensen Hamann als Triebkraft auch für Kierkegaards Bemerkungen in AA:18 begreifen möchte (vgl. „Kierkegaard und Hamann“, S. 404 f.), wird allerdings den unterschiedlichen Entstehungszeiten von Kierkegaards Aufzeichnungen – nämlich einerseits die im Herbst 1835 entstandenen Aufzeichnungen, zu der eben auch AA:18 gehört (vgl. oben Anm. 130), andererseits die durch die Hamann-Lektüre ab September 1836 bedingten Aufzeichnungen und Nachträge (vgl. oben Anm. 141) – nicht Rechnung getragen. SKS 17, 214, DD:3 / DSKE 1, 176 (dt. Übers. modifiziert); vgl. auch die in Kap. 3, Anm. 60 angegebenen Stellen. Vgl. (für die Zeit vor Mitte 1837) SKS 27, 140, Papir 160 / T 1, 79 f. und SKS 17, 141, BB:50 / DSKE 1, 153 sowie (für die Zeit von Mitte bis Ende 1837) SKS 17, 49, AA:36 / DSKE 1, 52; SKS 17, 141, BB:50 / DSKE 1, 153; SKS 17, 214, DD:3 / DSKE 1, 176; SKS 17, 216 u. 218, DD:6 / DSKE 1, 180; SKS 17, 225, DD:18 / DSKE 1, 188; SKS 17, 225, DD:18.c / DSKE 1, 188; SKS 17, 234, DD:36 / DSKE 1, 199; SKS 17, 235, DD:39 / DSKE 1, 200; SKS 17, 236, DD:41 / DSKE 1, 201; SKS 17, 246, DD:75 / DSKE 1, 211 f.; SKS 18, 83, FF:37 / DSKE 2, 85; SKS 18, 95, FF:46 / DSKE 2, 98; ferner SKS 18, 94, FF:91 / DSKE 2, 96 und SKS 18, 95, FF:102 / DSKE 2, 96. Vgl. jedoch bereits auch SKS 27, 140, Papir 160 / T 1, 79 f. vom 19. Juli 1836, und damit vor Beginn der Hamann-Lektüre. SKS 27, 149 f., Papir 185 (B-fort. 435cVIII.6; KA, A pk. 1[II]).
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Kierkegaard Hamann eine „recht interessante Parallele“¹⁶⁹ zwischen dem mosaischen Gesetz und der menschlichen Vernunft bilden, wenn dieser auf Humes Aussage, dass die „letzte Frucht aller Weltweisheit…die Bemerkung der menschlichen Unwissenheit und Schwachheit“¹⁷⁰ sei, zur Antwort gebe: „Unsere Vernunft ist also eben das, was Paulus das Gesetz nennt – und das Gebot der Vernunft ist heilig, gerecht und gut. Aber ist sie uns gegeben – uns weise zu machen? eben so wenig als das Gesetz der [sic!] Juden, sie gerecht zu machen, sondern uns zu überführen von dem Gegentheil, wie unvernünftig unsere Vernunft ist, und daß unsere Irrthümer durch sie zunehmen sollen, wie die Sünde durch das Gesetz zunahm.“¹⁷¹
Die paulinischen Aussagen über das Gesetz lassen sich für Hamann also auf die Vernunft übertragen.¹⁷² Im Anschluss an das Zitat von Hamanns Entgegnung auf Hume fügt Kierkegaard eine Äußerung Hamanns in dessen Brief an seinen Bruder vom 16. Juli 1759 an: „Ist es nicht ein alter Einfall, den d[u] oft von mir gehört: Incredibile sed verum? Lügen und Romane müssen wahrscheinlich seyn, Hypothesen und Fabeln; aber nicht die Wahrheiten und Grundlehren unseres Glau-
Ibid. Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 405 (in SKS 27, 149, Papir 185 mit ein paar unbedeutenden orthographischen Abweichungen auf Deutsch angeführt). Hamann zitiert hier mit Umkehrung der Satzteile (!) Sulzer, Philosophische Versuche über die Menschliche Erkenntniß, S. 64– 101 („Vierter Versuch. Sceptische Zweifel, in Ansehung der Wirkungen des Verstandes“), hier S. 75: „Also ist die Bemerkung der menschlichen Unwissenheit und Schwachheit die letzte Frucht aller Weltweisheit“. Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 405 (in SKS 27, 149 f., Papir 185 mit ein paar unbedeutenden orthographischen Abweichungen auf Deutsch angeführt). Vgl. auch Hamanns Brief an Immanuel Kant (1724– 1804) vom 27. Juli 1759 in Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 429 – 445 (Nr. 49), hier S. 442: „Der attische Philosoph, Hume, hat den Glauben nöthig, wenn er ein Ey essen und ein Glas Wasser trinken soll. Er sagt: Moses, das Gesetz der Vernunft, auf das sich der Philosoph beruft, verdammt ihn. Die Vernunft ist euch nicht dazu gegeben, dadurch weise zu werden, sondern eure Thorheit und Unwissenheit zu erkennen; wie das mosaische Gesetz den Juden, nicht sie gerecht zu machen, sondern ihnen ihre Sünden sündlicher. Wenn er den Glauben zum Essen und Trinken nöthig hat: wozu verläugnet er sein eigen Principium, wenn er über höhere Dinge, als das sinnliche Essen und Trinken, urtheilt!“ Ferner Wolken. Ein Nachspiel Sokratischer Denkwürdigkeiten (1761) in Hamann’s Schriften, Bd. 2, S. 51– 102, z. B. S. 100: „Die Vernunft ist heilig, recht und gut; durch sie kommt aber nichts als Erkenntniß der überaus sündigen Unwissenheit…Niemand betrüge sich also selbst“ (ohne Hervorhebung) sowie Hamanns Brief an Jacobi vom 16. Januar 1785 in Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Bd. 4,3, S. 17– 21, hier S. 19: „Ich hab’ es bis zum Eckel und Ueberdruß wiederholt, daß es den Philosophen wie den Juden geht; und beide nicht wissen, weder was Vernunft noch was Gesetz ist, wozu sie gegeben: zur Erkenntniß der Sünde und Unwissenheit – nicht der Gnade und Wahrheit, die geschichtlich offenbart werden muß, und sich nicht ergrübeln noch ererben noch erwerben läßt.“ Vgl. ibid., S. 405 f.
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bens.“¹⁷³ Hamann geht es an dieser Stelle um den Gedanken der Wahrscheinlichkeit, den er – wie später auch Kierkegaard vor allem in den ClimacusSchriften¹⁷⁴ – wiederholt aufgreift, wenn die Wahrheitsfrage (hier: des christlichen Glaubens) zu einer Frage des Wahrscheinlichkeitsgrades gleichsam degradiert zu werden droht.¹⁷⁵ Die Wahrscheinlichkeit kann für Hamann aber niemals ein Indikator der Wahrheit, schon gar nicht der Wahrheiten des christlichen Glaubens sein.¹⁷⁶ Die bleibende Bedeutung dieser Äußerung Hamanns für Kierkegaards Glaubensverständnis wird daran sichtbar, dass Kierkegaard mit ihr (und anderen Äußerungen Hamanns) gut acht Jahre später in den Philosophischen Brocken (1844) das Ärgernis-Nehmen des Verstandes am ‚absoluten Paradox‘ des Gottmenschen exemplifizieren sollte. Hamanns Worte im Brief an seinen Bruder werden von Climacus dabei in leicht veränderter Gestalt dem Paradox selbst in den Mund gelegt: „Das Ärgernis bleibt außerhalb des Paradoxes und behält die Wahrscheinlichkeit, wogegen das Paradox das Unwahrscheinlichste ist.Wieder ist es nicht der Verstand, der dies entdeckt, denn er redet dem Paradox nur nach dem Munde, wie wunderlich [underligt] es auch scheint; denn das Paradox sagt selbst: Komödien und Romane und Lügen müssen wahrscheinlich sein; aber wie sollte ich wahrscheinlich sein? Das Ärgernis bleibt außerhalb des Paradoxes, was Wunder, da das Paradox das Wunder ist? Dies hat der Verstand nicht entdeckt, im Gegenteil, es war das Paradox, das dem Verstand den Platz auf dem Verwunderungsstuhl anwies und ihm antwortet: nun, worüber wunderst Du Dich, es ist gerade, wie Du sagst, und das Wunderliche [Forunderlige] ist, dass Du glaubst, es sei ein Einwand; aber die Wahrheit im Munde eines Heuchlers ist mir lieber, als sie von einem Engel und einem Apostel zu hören.“¹⁷⁷
Ibid., S. 423 – 429 (Nr. 48), hier S. 425. Vgl. vor allem SKS 4, 256 / PB, 49 f. (vgl. das zu Anm. 177 gehörende Zitat); SKS 4, 291 f. / PB, 90 f. (siehe Kap. 3.3.2.4, S. 329); SKS 7, 21 / AUN1, 10; SKS 7, 193 / AUN1, 202 f. und SKS 7, 212 f. / AUN1, 224 f. Vgl. etwa Hamanns Brief an Johann Gottfried Herder (1744– 1803) vom 17. November 1782 in Hamann’s Schriften, Bd. 6, S. 296 – 302 (Nr. 308), hier S. 301 („Wahrscheinlichkeit sticht mehrentheils die Wahrheit aus, wenigstens durch ihr Gewand“) oder Hamanns Brief an Johann George Scheffner (1736 – 1820) vom 17. Oktober 1784 in Hamann’s Schriften, Bd. 7, S. 176 f. (Nr. 347), hier S. 177 („Wahrscheinlichkeiten sind nach meiner Bildersprache oder hieroglyphischen Logik bloß die Provinzen oder vielmehr Gränzen vom Reich der Wahrheit“); ferner Steffes, „Erziehung zur Unwissenheit?“, S. 193. Vgl. Steffes, ibid. Für eine andere Deutung (auch von Papir 185 (Pap. I A 237)) vgl. Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 58. SKS 4, 256 / PB, 49 f. (meine Übers. und Hervorhebungen). Vgl. hierzu den Entwurf zur späteren „Beilage“ zum dritten Kapitel der Philosophischen Brocken, Ms. 2 in SKS K4, 175, Blatt [1r] (B-fort. 416; KA, B pk. 14 læg 2; Pap. V B 6:1), in dem Kierkegaard notiert: „Hamann. Lügen,
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An dieser wichtigen Stelle in der mit „Das Ärgernis am Paradox“ überschriebenen „Beilage“¹⁷⁸ zum dritten Kapitel („Das absolute Paradox“) der Philosophischen Brocken hat Kierkegaard auf raffinierte Weise gleich mehrere der während seiner frühen Hamann-Lektüre festgehaltenen Äußerungen Hamanns verwendet, auf die dieser Passus aufgebaut ist. Neben der in Papir 185 zitierten und am Ende der Beilage explizit auf Hamann zurückgeführten¹⁷⁹ Äußerung über die Unwahrscheinlichkeit der christlichen Glaubenswahrheiten wird hier also auch die Kierkegaards Interesse erregende Antwort Hamanns (von Kierkegaard in der Bemerkung AA:14.1 in die Worte: „Ja, gerade so verhält es sich“ gefasst) auf Humes Bemerkung über die Unvernünftigkeit des christlichen Glaubens, der selbst für den Gläubigen ein Wunder sei, mit eingeflochten, wobei Kierkegaard bei den Worten von dem Ärgernis, das außerhalb des Paradoxes als des Wunders bleibe, sicherlich Hume im Blick hat. Auch die Aussage am Ende dieses Passus, lieber die Wahrheit aus dem Munde eines Heuchlers hören zu wollen als von einem Engel und einem Apostel, hat (wie ebenfalls am Ende der Beilage explizit ausgewiesen wird¹⁸⁰) ihre Quelle bei Hamann, und zwar in dessen Brief an Lindner vom 12. Oktober 1759, wo Hamann schreibt: „und ich höre öfters mit mehr Freude das Wort Gottes im Munde eines Pharisäers, als eines Zeugen wider seinen Willen, als aus dem Munde eines Engels des Lichts.“¹⁸¹ Von dieser letzten Äußerung Hamanns war Kierkegaard offensichtlich derart angetan, dass er sie nach der Lektüre dieser Stelle (vermutlich) im Frühjahr 1837 innerhalb von kurzer Zeit gleich an drei Stellen in seinen Journalen festgehalten hat, wobei er sie interessanterweise zunächst als „höchste[n] Grad an Ironie“¹⁸², dann als Ausdruck von Hamanns „sonderbare[r] Polemik“¹⁸³, die zuweilen etwas Komödien und Romane müssen wahrscheinlich sein. Ich will lieber die Wahrheit aus dem Munde eines Pharisäers hören als von einem Engel oder Apostel.“ Vgl. SKS 4, 253 – 257 / PB, 46 – 51. Vgl. SKS 4, 257 / PB, 51. Vgl. ibid. Hamann’s Schriften, Bd. 1, S. 490 – 497 (Nr. 58), hier S. 497. SKS 17, 120, BB:27 / DSKE 1, 129 (Frühjahr 1837), im Kontext: „Ist es nicht der höchste Grad an Ironie, wenn Hamann irgendwo sagt: dass er lieber die Wahrheit aus dem Mund eines Pharisäers wider seinen Willen hören will, als von einem Apostel oder Engel“ (dt. Übers. modifiziert). SKS 17, 128, BB:37.8 / DSKE 1, 139 (Frühjahr 1837), im Kontext: „…etwas anderes ist es, mit Sokrates – was Hamann ebenso fordert, – wie ein Kind zu fragen, aber es ist diese sonderbare Polemik, die macht, dass er [scil. Hamann] die Weisheit lieber von Bileams Esel als vom weisesten Mann hören würde, lieber von einem Pharisäer wider seinen Willen als von einem Apostel oder Engel (wie er selber irgendwo sagt). Seine Polemik geht zu weit und involviert zuweilen, so scheint es mir, etwas Blasphemisches, etwas, wodurch er gleichsam ‚Gott versuchen‘ zu wollen scheint“.
1.4 Distanzierung vom Überkommenen
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Blasphemisches zu involvieren scheint, und schließlich als Humor nahe am Blasphemischen gewertet hat.¹⁸⁴ Als Kierkegaard dann in der Aufzeichnung Not5:33 vom November 1840 ein weiteres Mal auf diese Äußerung Hamanns rekurrieren sollte, hat er in ihr einen Ausdruck des Humors gesehen, der „das Absolute ohne das Relative haben“ wolle, weshalb er in den „verzweifeltsten Sprüngen“ und der „entsetzlichsten Relativität“¹⁸⁵ umhertappe. In einem Entwurf zu den hinteren Kapiteln der Philosophischen Brocken schließlich findet sich diese Äußerung Hamanns zu Beginn des 4. Kapitels, der späteren „Beilage“ zum dritten Kapitel, zusammen mit der in Papir 185 festgehaltenen Äußerung Hamanns im Brief an dessen Bruder angeführt, die hier dieselbe eigentümliche Abweichung vom Original aufweist („Lügen, Komödien und Romane müssen wahrscheinlich sein“¹⁸⁶) wie in der veröffentlichten Schrift. Obwohl der Begriff des Paradoxes bei Kierkegaard bis zum Sommer 1840 noch keine spezifisch christliche, geschweige denn christologische Bedeutung gehabt hat und erst Mitte 1837 zum ersten Mal in seinem Werk begegnen sollte¹⁸⁷, gilt Kierkegaards Interesse bereits hier der von Hamann betonten Unzulänglichkeit, ja Ohnmacht der Vernunft, wenn und sobald sie die Wahrheit der christlichen Religion verstehen soll. Der Glaube ist – und darin stimmen (der spätere) Kierkegaard und Hamann grundsätzlich überein – keine Sache der Vernunft, sondern von dieser unabhängig, weshalb er auch von keinem Angriff ‚im Namen der Vernunft‘ seitens der Philosophie erschüttert werden kann. Es ist wohl kein Zufall, sondern ebenfalls durch die Lektüre Hamanns bedingt gewesen, wenn Kierkegaard, ohne Hamann zu nennen, nur eine Woche nach Papir 185 in der auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 188 vom 19. September 1836 schreibt, dass „der Verstand in spekulativer Hinsicht“ das Höchste bestenfalls in „einem sich selbst widersprechenden Ausdruck“¹⁸⁸ zu erklären versuchen könne.
Vgl. SKS 17, 225, DD:18.c / DSKE 1, 188 (nach dem 6. Juli 1837 entstanden und damit gerade in der Zeit, in der Kierkegaard, veranlasst durch die Lektüre Hamanns, den Humor bzw. das Humoristische in wesentliche Beziehung zum Christentum zu setzen begann): „Deshalb kann der Humor sich dem Blasphemischen nähern / Haman [sic!] will die Weisheit lieber von Bileams Esel oder von einem Philosophen wider seinen Willen hören, als von einem Engel oder einem Apostel“ (dt. Übers. modifiziert). SKS 19, 187, Not5:33 / DSKE 3, 198. Ms. 2 in SKS K4, 175, Blatt [1r] (B-fort. 416; KA, B pk. 14 læg 2; Pap. V B 6:1). Siehe Kap. 3.2.2, Kap. 3.3.2.5 sowie Kap. 3.4.1.2. SKS 27, 150 f., Papir 188 / T 1, 55 (B-fort. [435cVIII].10; KA, A pk. 1[II]; dt. Übers. modifiziert). Eine konkrete Stelle in Hamanns Schriften oder Briefen, die Kierkegaard zu dieser Aussage veranlasst haben bzw. die Kierkegaard hier im Blick haben könnte, konnte nicht identifiziert werden. Gleichwohl ist deutlich, dass sich, wie auch Gerdes in T 1, 365 (Anm. 117) bemerkt, „[d]as hier von Kierkegaard über den Verstand gefällte Urteil…mit dem Hamanns“ deckt.
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
Kierkegaard hat diese im Zuge seiner frühen Hamann-Lektüre entdeckten Stellen in Hamanns Briefen also keineswegs vergessen – „sie haben sich“, wie Steffensen schreibt, „in sein Bewusstsein eingebrannt“, wobei sich hier einmal mehr zeigt, „dass wir in seinen [scil. Kierkegaards] Schriften dasjenige in gereifter und durchdachter Gestalt antreffen, was uns bereits in den Tagebüchern begegnet ist.“¹⁸⁹
1.5 Papir 92 (I)¹⁹⁰ Auf einem losen Zettel grünlichen, gerippten Schreibpapiers, der sonst unbeschrieben ist, findet sich folgende undatierte Aufzeichnung: „Das, was Schleiermacher ‚Religion‘ nennt, die hegelschen Dogmatiker ‚Glaube‘, ist im Grunde nichts anderes als das erste Unmittelbare, die Bedingung für alles – das vitale Fluidum – die Atmosphäre, die wir im geistigen Sinne einatmen – und das sich deshalb nicht mit Recht mit diesen Wörtern bezeichnen lässt.“¹⁹¹
Diese Aufzeichnung, die in Pap. unter der Archivnummer I A 273 und in SKS als Papir 92 registriert ist, ist für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis von großer Bedeutung. Kierkegaard formuliert darin erstmals eine Kritik an einem Verständnis des Glaubens, welches ihm von nun an als Negativfolie für sein eigenes Glaubensverständnis dienen sollte: das Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘¹⁹². Kierkegaard hat diese Kritik später mit leichten Variationen
Steffensen, „Kierkegaard und Hamann“, S. 406. Vgl. auch Hinkson, Kierkegaard’s Theology, S. 101 zu Kierkegaards Bemerkung AA:14.1: „Hamann’s conception of faith as contrarational and a miracle has reinforced SK’s prior conviction of a gulf between Christianity’s and paganism’s world-view. The difference is that now he regards faith’s possibility as deriving, not from the power of an illusion [scil. as in AA:18], but from God.“ Dieser Abschnitt ist eine geringfügig überarbeitete Fassung meines Aufsatzes „Die eigentlichen Adressaten von Kierkegaards Kritik, den Glauben als ‚das Unmittelbare‘ zu bezeichnen“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2011, S. 115 – 153, hier S. 116 – 136. SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50 (B-fort. 433e.4; KA, A pk. 1[II]; meine Übers.). Gerdes übersetzt statt „das erste Unmittelbare, die Bedingung für alles [det første umidd., Betingelsen for alt]“ fehlerhaft „die erste unmittelbare Bedingung für alles“ (T 1, 50). Zum Ausdruck „vitale[s] Fluidum“ vgl. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 61 f. Vgl. vor allem SKS 4, 161 / FZ, 75 f.; SKS 4, 172 / FZ, 92; SKS 4, 188 / FZ, 112; SKS 4, 318 / BA, 7 (samt Pap. V B 49:2); SKS 4, 345 / BA, 37; SKS 6, 271 / SLW, 308; SKS 7, 238 / AUN1, 257; SKS 7, 265 f. / AUN1, 287; SKS 7, 317 f. / AUN2, 51 f.; SKS 7, 453 / AUN2, 209; SKS 12, 144 / EC, 136; vgl. ferner SKS 15, 200 / BÜA, 90 (Anm.) und SKS 15, 211 (nicht in BÜA) sowie aus Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen vor allem SKS 18, 203, JJ:196 / DSKE 2, 210; SKS 19, 185, Not5:23 / DSKE 3, 196; SKS
1.5 Papir 92 (I)
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auch in vielen seiner pseudonymen Schriften zum Ausdruck gebracht. So kritisiert etwa Johannes de silentio in Furcht und Zittern (1843) den Sprachgebrauch der „neuere[n] Philosophie…, anstelle von ‚Glaube‘ ohne Weiteres das Unmittelbare zu setzen“, wodurch der Glaube „in ziemlich einfache Gesellschaft mit Gefühl, Stimmung, Idiosynkrasie, Vapeurs usw.“¹⁹³ komme, während Vigilius Haufniensis in der Einleitung zu Der Begriff Angst (1844) moniert, dass man „in der Dogmatik Glaube ohne jede nähere Bestimmung das Unmittelbare“¹⁹⁴ nenne. Zwar gewinne man dadurch den Vorteil, einen jeden von der Notwendigkeit überzeugen zu können, „nicht beim Glauben stehenzubleiben“¹⁹⁵, doch werde dem Glauben damit „seine historische Voraussetzung“ geraubt. Die Dogmatik ignoriere nämlich ihren eigentlichen, früheren Anfang und beginne so, als wäre sie die Logik, die ja gerade mit dem „Allerflüchtigsten“ beginne, „was die allerfeinste Abstraktion zustande gebracht“ habe, und das sei das Unmittelbare. „Was nun logisch gedacht richtig ist – dass das Unmittelbare eo ipso aufgehoben ist –, das wird in der Dogmatik Geschwätz, denn wem fiele es wohl ein, beim Unmittelbaren (ohne nähere Bestimmung) stehenzubleiben, denn es ist ja im gleichen Augenblick, da man es nennt, gerade aufgehoben“¹⁹⁶. Doch was meint Kierkegaard, wenn er in der Aufzeichnung Papir 92 schreibt, das von den ‚hegelschen Dogmatikern‘ ‚Glaube‘ Genannte sei im Grunde nur ‚das
20, 59, NB:70 / DSKE 4, 64; SKS 20, 374, NB5:10 / DSKE 4, 426; SKS 20, 382, NB5:30 / DSKE 4, 436 und SKS 27, 282, Papir 289 / T 1, 281 f. Negativ konnotiert sind bei Kierkegaard zudem der ‚Glaube der Unmittelbarkeit‘ (SKS 6, 350 / SLW, 400; SKS 7, 396 / AUN2, 143; SKS 7, 419 / AUN2, 169), ‚unmittelbare Glaube‘ (SKS 27, 34, Papir 5:1 (siehe Kap. 1.2.1); SKS 2, 204 / EO1, 225; SKS 20, 374,17, NB5:10 / DSKE 4, 426; SKS 26, 78, NB31:103), ‚unmittelbar Glaubende‘ (SKS 23, 176, NB17:19 / T 4, 142) sowie „die unmittelbare Bestimmung des Glaubens“ (SKS 21, 170 f., NB8:58 / T 3, 114). Zu Kierkegaards eigener Position, wie sie später vor allem in den Wendungen ‚die neue Unmittelbarkeit‘ oder ‚die Unmittelbarkeit nach der Reflexion‘ zum Ausdruck kommen sollte, vgl. SKS 18, 211, JJ:221 / DSKE 2, 218; SKS 4, 172 / FZ, 91 f.; SKS 7, 318 / AUN2, 51 f. (Anm.); SKS 20, 362– 365, NB4:159 / DSKE 4, 413 – 416; Pap. X-6 B 78 / T 5, 386 f. Zu den Ausdrücken ‚neue Unmittelbarkeit‘, ‚spätere Unmittelbarkeit‘ oder ‚höhere Unmittelbarkeit‘ vgl. ferner SKS 18, 204, JJ:201 / DSKE 2, 211; SKS 18, 205, JJ:203 / DSKE 2, 211; SKS 18, 217, JJ:237 / DSKE 2, 224; SKS 4, 188 / FZ, 111 f.; SKS 6, 151 f. / SLW, 170 f.; SKS 6, 157 / SLW, 177; SKS 6, 370 / SLW, 424; SKS 7, 239 / AUN1, 257; SKS 7, 257 / AUN1, 277 und SKS 7, 265 / AUN1, 285. Zum Glauben (positiv wie negativ) als ‚unmittelbarem Bewusstsein‘ (SKS 17, 41, AA:22 / DSKE 1, 43; SKS 17, 201, CC:12 / DSKE 1, 161; vgl. Kap. 2, Anm. 112) siehe Kap. 2.2.2 und Kap. 2.2.3. SKS 4, 161 / FZ, 75 f. (dt. Übers. modifiziert). SKS 4, 318 / BA, 7 (dt. Übers. modifiziert). Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Zu der damit korrespondierenden Kritik Kierkegaards an einem ‚Weitergehen‘ als der Glaube vgl. SKS 4, 102 / FZ, 5; SKS 4, 128 / FZ, 30; SKS 4, 161 / FZ, 76; SKS 6, 271 / SLW, 308 und SKS 7, 265 / AUN1, 287. SKS 4, 318 / BA, 7 (meine Übers.).
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erste Unmittelbare, die Bedingung für alles‘? Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist das Verständnis des Ausdrucks ‚das erste Unmittelbare‘, der sich in Kierkegaards Werk allein in dieser Aufzeichnung findet. Offenbar ist damit etwas gemeint, das als ‚das erste Unmittelbare‘ noch ganz am Anfang (s)einer Entwicklung ist, etwas, das als ‚das erste Unmittelbare‘ noch nicht in das Vermittelte übergegangen ist. Angesichts der Apposition ‚die Bedingung für alles‘ ist dann aber zu fragen, ob Kierkegaard mit ‚dem ersten Unmittelbaren‘ nicht speziell an das unbestimmte Unmittelbare am Anfang der hegelschen Logik gedacht hat? Dieser Zusammenhang legt sich auch von der bereits angeführten Stelle aus der Einleitung zu Der Begriff Angst her nahe: wenn die Dogmatik ‚Glaube‘ ohne nähere Bestimmung ‚das Unmittelbare‘ nenne, beginne sie unberechtigterweise so, als wäre sie die Logik, die mit dem durch die ‚allerfeinste Abstraktion‘ zustande gebrachten ‚Allerflüchtigsten‘ beginne – eben dem Unmittelbaren. Ist es aber plausibel anzunehmen, dass der junge Kierkegaard bereits vor der Abfassung von Papir 92 den berühmten Abschnitt „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“¹⁹⁷ in der Wissenschaft der Logik gelesen hatte, mit dem Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) die Lehre vom Sein eröffnet, um „die logische Konstellation“¹⁹⁸ von Anfang und Resultat in seiner spekulativen Philosophie mithilfe der Termini Unmittelbarkeit und Vermittlung zu erläutern? Angesichts der Tatsache, dass sich in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen bis zum Juli 1840 kein Hinweis auf eine intensive Lektüre von Hegels Werken im Original findet¹⁹⁹, erscheint eine Kenntnis aus erster Hand ziemlich unwahrscheinlich. Anders verhielte es sich freilich, wenn dem jungen Kierkegaard der Gedankengang dieses einleitenden Abschnitts der Seinslogik aus zweiter Hand bekannt gewesen, ihm mithin die Kenntnis der darin entwickelten Problematik des Anfangs der Logik und damit der ganzen Philosophie durch Sekundärquellen vermittelt worden wäre – quod esset demonstrandum. Um Kierkegaards Kritik in Papir 92 angemessen verstehen zu können, müssen auch ihre Adressaten in die Untersuchung miteinbezogen werden. Wen meint Kierkegaard mit den ‚hegelschen Dogmatikern‘? Die Beantwortung dieser Frage hängt wiederum von der Datierung von Papir 92 ab.Während die Herausgeber von
Siehe Anm. 203. Klaus Rosen, Evidenz in Husserls deskriptiver Transzendentalphilosophie, Meisenheim am Glan 1977 (zugleich Diss., Univ. Bonn, 1977) (Monographien zur philosophischen Forschung, Bd. 153), S. 139. Vgl. Kap. 2, Anm. 10.
1.5 Papir 92 (I)
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Pap. diese Aufzeichnung auf November 1836 datieren²⁰⁰, geben die Herausgeber von SKS das Wintersemester 1837/38 als Entstehungszeitraum an.²⁰¹ Da Kierkegaards philosophische Bildung seit Anfang 1837 aber eine wesentliche Vertiefung erfahren hat²⁰², erweitert sich der Kreis möglicher Adressaten dieser Kritik bei einer späteren Datierung beträchtlich. Angesichts dieser Problemlage und entsprechend dem (möglichst) chronologischen Vorgehen dieser Untersuchung empfiehlt es sich, die Untersuchung dieser für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis wichtigen Aufzeichnung in zwei Teile aufzuteilen.Während Papir 92 in diesem Abschnitt zunächst unter Voraussetzung der von Pap. angenommenen Datierung auf Ende 1836 zu untersuchen ist, wird die Untersuchung dieser Aufzeichnung in Kapitel 2.3 unter Voraussetzung der von SKS angenommenen Datierung auf das Wintersemester 1837/38 fortgesetzt werden. Im Folgenden soll zuerst die im besagten Abschnitt der Seinslogik entwickelte Problematik des Anfangs skizziert werden, die als der sachliche Kontext des Ausdrucks ‚das erste Unmittelbare‘ in Papir 92 zu betrachten ist (1.5.1) und, wie später in Kapitel 2.3 gezeigt werden soll, Kierkegaard aus Sekundärquellen bekannt gewesen ist, deren Lektüre ihn zu der Kritik in dieser Aufzeichnung veranlasst hat. Sodann soll Kierkegaards Kritik im Hinblick auf den von ihm namentlich genannten Schleiermacher und dessen Verständnis von ‚Religion‘ untersucht werden (1.5.2), bevor schließlich die von mehreren Kierkegaardforschern in Übereinstimmung mit Pap. und unter Voraussetzung einer Datierung von Papir 92 auf 1836 vertretene Annahme zu überprüfen sein wird, Kierkegaard habe seine Kritik an den ‚hegelschen Dogmatikern‘ in Auseinandersetzung mit Marheineke entwickelt – eine Annahme, die trotz der späteren Datierung auch vom Kommentar von SKS geteilt wird (1.5.3).
Die Datierung auf November 1836 legt jedenfalls die Einordnung von Pap. I A 273 (Papir 92) zwischen den datierten Aufzeichnungen Pap. I A 271 (SKS 18, 75, FF:5 / DSKE 2, 77) vom 8. November 1836 und Pap. I A 274 (SKS 27, 154, Papir 202) vom 12. November 1836 nahe. Vgl. den editorischen Bericht zu Papir 48 – 94 in SKS K27, 187 f., demzufolge sich Papir 92 und 93 an Kierkegaards Besuch von Martensens Dogmatikvorlesung im Wintersemester 1837/38 („Prolegomena ad dogmaticam speculativam“) geknüpft haben, vgl. SKS 19, 125 – 143, Not4:3 – 12 / DSKE 3, 132– 151, hier SKS 19, 126, Not4:3 / DSKE 3, 133 (1. Vortrag). Zum Bezugspunkt der auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 93 vgl. jedoch Kap. 2, Anm. 251 – im Unterschied zum Kommentar zu SKS 27, 112,18 – 26 in SKS K27, 241 f. Siehe Kap. 2.1.
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1.5.1 Der sachliche Kontext des Ausdrucks ‚das erste Unmittelbare‘ Zu Beginn des einleitenden Abschnitts der Seinslogik mit dem Titel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“²⁰³ macht Hegel deutlich, dass der Anfang der Philosophie entweder ein Vermitteltes oder ein Unmittelbares sein muss, wobei es „leicht zu zeigen“ sei, „daß er weder das eine noch das andere sein könne; somit findet die eine oder die andere Weise des Anfangens ihre Widerlegung.“²⁰⁴ Denn ist der Anfang vermittelt, so hat er eine Beziehung zu einem ihm Vorhergegangenen, aus dem er als Resultat hervorgegangen ist, und dieser relative Anfang wäre nicht erster Anfang; ist der Anfang aber unmittelbar, ein absoluter Anfang ohne Voraussetzung, so ist seine Notwendigkeit nicht einsehbar und er wäre „etwas Willkürliches und Zufälliges.“²⁰⁵ Dieses negative Dilemma, dass der Anfang der Philosophie weder unmittelbar noch vermittelt sein kann, überführt Hegel im Hinblick auf den logischen Anfang jedoch in das positive Dilemma, dass dieser Anfang sowohl unmittelbar als auch vermittelt zu sein habe.²⁰⁶ Vor dem Hintergrund seiner Überzeugung, dass Unmittelbarkeit und Vermittlung untrennbar zusammengehören, ist für Hegel der Anfang der Logik einerseits dadurch vermittelt, dass die Logik (als „die reine Wissenschaft, d. i. das reine Wissen in dem ganzen Umfange seiner Entwicklung“²⁰⁷) dasjenige zur Voraussetzung hat, was sich in der Phänomenologie des Geistes als das Resultat erwiesen hatte: „die Idee als reines Wissen.“²⁰⁸ Die Wissenschaft der Logik beginnt also dort, wo die Phänomenologie des Geistes geendet hat. Indem andererseits aber nur das aufgenommen werde, was vorhanden sei,
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 65 – 79 [= 2. Aufl. von 1832 (vgl. ktl. 552– 554)]. Im Fokus der folgenden Darstellung steht die „einfache[] Darlegung“ (S. 69) des zum logischen Anfang Gehörenden in ibid., S. 66 – 69. Die sich hieran anschließenden „weitere[n] Reflexionen“ (S. 69) werden nur herangezogen, sofern sie zur Erläuterung der Unmittelbarkeit des reinen Seins und des Anfangs selbst dienen. Dies gilt auch für den entsprechenden Abschnitt in der 1. Aufl. der Seinslogik, Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik. Erstes Buch. Das Sein (1812), neu hg. von Hans-Jürgen Gawoll, Hamburg 1986 (Philosophische Bibliothek, Bd. 375; im Folgenden Wissenschaft der Logik (1812)), S. 35 – 44. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 65. Hegel, Wissenschaft der Logik (1812), S. 36. Vgl. hierzu Michael Wolff, „Die ‚Momente‘ des Logischen und der ‚Anfang‘ der Logik in Hegels philosophischer Wissenschaft“, in Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, hg. von Hans Friedrich Fulda und Rolf-Peter Horstmann, Stuttgart 1996, S. 226 – 243, besonders S. 238 – 240; ferner Stephan Grotz, Negationen des Absoluten: Meister Eckhart, Cusanus, Hegel, Hamburg 2009 (Paradeigmata, Bd. 30), S. 282– 293. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 67. Ibid.
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„mit Beiseitsetzung aller Reflexionen“²⁰⁹, erweise sich dieser Anfang als ein der Logik immanent bleibender, mithin als ein unmittelbarer Anfang, der als solcher nicht Resultat von etwas anderem sein könne. Das reine Wissen habe alles Äußere, alle Gegenständlichkeit zu einer Einheit zusammengezogen, in der jeder Unterschied und damit jede Beziehung auf ein Anderes und auf Vermittlung aufgehoben sei. Es sei dann nur „einfache Unmittelbarkeit“ vorhanden, was aber noch ein Reflexionsausdruck sei und sich auf den Unterschied von dem Vermittelten beziehe. „In ihrem wahren Ausdrucke ist daher diese einfache Unmittelbarkeit das reine Sein“, was nichts anderes heißen wolle als „Sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung.“²¹⁰ Als Reflexionsausdruck meint ‚einfache Unmittelbarkeit‘ bloß die Negation von Vermittlung und kann folglich nur vermittels des Begriffs der Vermittlung gedacht werden. Dergestalt würde das anfängliche reine Sein allerdings als vermittelte Unmittelbarkeit zu verstehen sein, da es, indem es das reine Wissen voraussetzt, als durch eine sich selbst aufhebende Vermittlung entstanden dargestellt wäre. Hegel will aber die anfängliche Unmittelbarkeit, die Unmittelbarkeit des reinen Seins, als die bloße Negation von Vermittlung verstanden wissen, d. h. als „Vermittlungslosigkeit schlechthin“²¹¹, und damit den Anfang selbst unmittelbar nehmen, als absoluten oder abstrakten Anfang, wobei nur der Entschluss, das Denken als solches zu betrachten, vorhanden sei.²¹² Dieser Anfang „darf so nichts voraussetzen, muß durch nichts vermittelt sein noch einen Grund haben; er soll vielmehr selbst Grund der ganzen Wissenschaft sein. Er muß daher schlechthin ein Unmittelbares sein oder vielmehr nur das Unmittelbare selbst. Wie er nicht gegen Anderes eine Bestimmung haben kann, so kann er auch keine in sich, keinen Inhalt enthalten, denn dergleichen wäre Unterscheidung und Beziehung von Verschiedenem aufeinander, somit eine Vermittlung. Der Anfang ist also das reine Sein.“²¹³
Dieses ‚also‘ ist nicht konklusiv zu verstehen, da sonst der Anfang mit dem reinen Sein „als Resultat einer wie auch immer gearteten Vermittlung erscheint.“²¹⁴ Der Ibid., S. 68. Ibid. Dieter Henrich, „Hegels Logik der Reflexion“, in: ders., Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 1971, S. 95 – 156, hier S. 110. Vgl. auch ders., „Anfang und Methode der Logik“, in ibid., S. 73 – 94, hier S. 85. Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 69. Ibid.; vgl. S. 72. Andreas Arndt, „Die anfangende Reflexion. Anmerkungen zum Anfang der Wissenschaft der Logik“, in Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, hg. von dems. und Christian Iber, Berlin 2000, S. 126 – 139, hier S. 128. Vgl. auch ders. Unmittelbarkeit, Bielefeld 2004 (Bibliothek dialektischer Grundbegriffe), S. 23 – 25.
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Anfang kann nicht vermittelt sein, ohne eo ipso als absoluter, voraussetzungsloser Anfang destruiert zu werden.²¹⁵ Das reine Sein am und als Anfang der Logik ist das unbestimmte Unmittelbare, das von jedem Bezug auf die reflexionslogische Bestimmung der Unmittelbarkeit in der Wesenslogik freigehalten werden soll.²¹⁶ Wäre es nicht diese reine Unbestimmtheit, dann würde das reine Sein „als Vermitteltes, schon Weitergeführtes“²¹⁷ zu verstehen sein, das, als ein Bestimmtes, eine Beziehung auf ein anderes enthält. Insofern aber der Anfang das unbestimmte Unmittelbare ist, könnte – wie Hegel in seinen an diese „einfache[] Darlegung“ des logischen Anfangs sich anschließenden „weitere[n] Reflexionen“²¹⁸ bemerkt – auch die Bestimmung des Seins weggelassen werden und es wäre dann zu untersuchen, was denn der Anfang selbst ist: „Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern ein Nichts, von dem Etwas ausgehen soll; das Sein ist also auch schon im Anfang enthalten. Der Anfang enthält also beides, Sein und Nichts; ist die Einheit von Sein und Nichts, – oder ist Nichtsein, das zugleich Sein, und Sein, das zugleich Nichtsein ist.“²¹⁹ Demnach zeige sich im Anfang sowohl die Unterschiedenheit von Sein und Nichts als auch deren ununterschiedene Einheit und die „Analyse des Anfangs gäbe somit den Begriff der Einheit des Seins und des Nichtseins“²²⁰ – und damit die erste und abstrakteste Definition des Absoluten. Trotz der von Hegel behaupteten ‚Einfachheit‘ des Anfangs der Logik wirft dieser Anfang gleichwohl eine Reihe von Fragen auf. Hier interessiert allein Hegels Antwort auf das obenerwähnte positive Dilemma, dass der logische Anfang sowohl unmittelbar als auch vermittelt zu sein hat. Dass das reine Sein, weil und insofern es der Anfang der Logik ist, als das „Absolut-Unmittelbare…ebenso absolut Vermitteltes ist“²²¹, gilt in retrospektiver wie in prospektiver Hinsicht.²²² Was die Vermittlung des logischen Anfangs in der Retrospektive betrifft, lässt sich der scheinbare Widerspruch, dass die als voraussetzungslos statuierte Logik dennoch die Phänomenologie des Geistes voraussetzt, dadurch beheben, dass die in der Phänomenologie des Geistes geleistete „Befreiung von dem Gegensatze des Be-
Vgl. hierzu Christoph Asmuth, „Hegel und der Anfang der Wissenschaft“, in Die Grenzen der Sprache. Sprachimmanenz – Sprachtranszendenz, hg. von dems., Friedrich Glauner und Burkhard Mojsisch, Amsterdam und Philadelphia 1998, S. 175 – 202, besonders S. 183 f. Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 82 und S. 104. Ibid., S. 72. Ibid., S. 69; vgl. Wissenschaft der Logik (1812), S. 44. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 73. Ibid., S. 74. Ibid., S. 72. Vgl. hierzu Giancarlo Movia, „Über den Anfang der Hegelschen Logik“, in G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik, hg. von Anton Friedrich Koch und Friedrike Schick, Berlin 2002, S. 11– 26, besonders S. 13 – 15.
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wußtseins“²²³ nicht in einem geltungstheoretischen, sondern allein in einem psychologisch-genetischen Sinne als Voraussetzung für die Logik gedeutet wird.²²⁴ Das Sein ist logisch, nicht psychologisch ohne Voraussetzungen. Das Voraussetzungsverhältnis von Wissenschaft der Logik und Phänomenologie des Geistes ist allein von psychologisch-genetischer Bedeutung aus dem Grund, weil durch den Entschluss, das Denken als solches zu betrachten, der Begriff der Wissenschaft als derjenigen Erkenntnisform, die den Gegensatz des Bewusstseins überwunden hat, „innerhalb der Logik selbst hervorgeht.“²²⁵ Im geltungstheoretischen Sinne kann es daher in der Tat keine Voraussetzung für die sich selbst begründende Logik und damit für das mit Absolutheitsanspruch auftretende philosophische System geben, ohne dass dessen absoluter Charakter bereits a priori destruiert würde.²²⁶
Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 43; vgl. ferner S. 45. Zur Überwindung des Gegensatzes zwischen dem erkennenden Subjekt und seinem nicht damit zu vereinenden Objekt als Bedingung für den Standpunkt der Wissenschaft (der Logik) vgl. auch Hegels Heidelberger Enzyklopädie (1817), §§ 35 – 36, in Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817), hg. von Wolfgang Bonsiepen und Klaus Grotsch, Hamburg 2000 (Gesammelte Werke, Bd. 13), S. 34, sowie Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 81 (§ 24, Zusatz 1). Vgl. hierzu Vittorio Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Bd. 1, Systementwicklung und Logik, Hamburg 1987, S. 58 f. (Anm.), S. 66 und S. 80. Vgl. ferner Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin 1990, S. 10 (Anm. 8); Petra Braitling, Hegels Subjektivitätsbegriff. Eine Analyse mit Berücksichtigung intersubjektiver Aspekte, Würzburg 1991, S. 54– 57; Gerhard Martin Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik“. Versuch einer Rekonstruktion und Kritik unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Tradition, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 99. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 42 (meine Hervorhebung); vgl. S. 49. Ein derartiger Entschluss sei daher alles andere als „Willkür“ (S. 68). Die schwierige Frage, ob die Wissenschaft der Logik oder die Phänomenologie des Geistes den Anfang des Systems bildet, ist mit dieser Differenzierung freilich noch nicht beantwortet. Zum einen nämlich impliziert die Phänomenologie des Geistes eine irgendwie geartete Logik, die jedenfalls nicht die der Wissenschaft der Logik ist. Zum anderen ist Hegel in dieser Frage zu keiner eindeutigen Entscheidung gekommen. Wenn er etwa schreibt, der Anfang der Logik könne durch den Entschluss gewonnen werden, das Denken als solches zu betrachten (vgl. Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 69 sowie Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 168 (§ 78, (Anm.)), so schließt dieser Umstand, dass der phänomenologische Gang durch eine solche Entscheidung substituiert werden kann, die Möglichkeit nicht aus, dass die Phänomenologie des Geistes weiterhin einen Zugang zur Logik eröffnet (vgl. hierzu Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke, „Einleitung“, in Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832), neu hg. von Hans-Jürgen Gawoll, Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek, Bd. 385), S. IX-XXXIII, hier S. XXXI). Auch wenn die Phänomenologie des Geistes kein Teil des Systems ist, kann sie dennoch eine notwendige Einleitung zu diesem darstellen und als dessen „systemexterne Beglaubigung“ (Hans Friedrich
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Was dagegen die Vermittlung des logischen Anfangs in der Prospektive betrifft (d. h. diejenige Vermittlung, die das anfängliche reine Sein durch den Fortschritt in der Entwicklung der logischen Gedankenbestimmungen selbst erfährt), ist dieses logische Vorwärtsgehen nur „ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften …, aus welchem das Erste hervorgeht, das zuerst als Unmittelbares auftrat.“²²⁷ Indem der Anfang in sich selbst als in den Grund zurückgeht, verliert er seine Grundlosigkeit und erweist sich als Begründetes. Eben damit erfüllt der Anfang der Logik die Bedingung, sowohl unmittelbar, voraussetzungslos als auch vermittelt, Resultat zu sein. Die Linie der wissenschaftlichen
Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt am Main 1965, S. 300) verstanden werden; vgl. auch Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 57, sowie den im Unterschied zur 2. Aufl. der Wissenschaft der Logik (1832) die Phänomenologie des Geistes stärker in ihrer Einleitungsfunktion herausstellenden Beginn des Abschnitts „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ in Wissenschaft der Logik (1812), S. 35. Auch Kierkegaard hat sich Mitte Dezember 1837 mit diesem Problem einer Einleitung in Hegels System beschäftigt, wie aus seinem Exzerpt aus dem ersten Teil von Christian Hermann Weißes Abhandlung „Die drei Grundfragen der gegenwärtigen Philosophie. Mit Bezug auf die Schrift: Die Philosophie unserer Zeit. Zur Apologie und Erläuterung des Hegelschen Systemes. Von Dr. Julius Schaller. Leipzig, Hinrichs. 1837“, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 1, 1837, S. 67– 114 hervorgeht, welches sich in den Aufzeichnungen SKS 19, 170, Not4:46 / DSKE 3, 180 f. und SKS 19, 171, Not4:47 / DSKE 3, 181 findet. Vgl. hierzu besonders SKS 19, 170,5 – 34, Not4:46 / DSKE 3, 180,10 – 181,3 (samt meinem Kommentar zu DSKE 3, 180,20 in DSKE 3, 633 f.) mit S. 82– 86 von Weißes Abhandlung, wo dieser gegenüber Schaller betont, dass die Phänomenologie des Geistes zwar am Anfang des hegelschen Werkes, aber nicht am Anfang des hegelschen Systems stehe. Schallers Verortung der Phänomenologie des Geistes am Anfang des Systems (d. h. noch vor der Logik) als dessen wesentlicher Bestandteil widerspreche sowohl Hegels eigener Intention wie auch dem aus der Betrachtung der hegelschen Hauptschriften sich ergebenden Befund. Weiße zufolge fehlt dem hegelschen System eine derartige Erkenntniskritik und eben damit auch die rechte Begründung der in diesem System durchgeführten philosophischen Methode. Da Hegel deshalb einen Standpunkt übersprungen habe, werde es notwendig, wie Kierkegaard in Anlehnung an Weiße schreibt, „noch einmal auf den ehrlichen Weg Kants zurückzukehren“ (SKS 19, 170,15 – 16, Not4:46 / DSKE 3, 180,20 – 21). Zu dieser später wiederholt im kritischen Gegenüber zur hegelschen (‚neueren‘) Philosophie gebrauchten Rede Kierkegaards vom ‚ehrlichen Weg Kants‘, die sich also nicht seiner Lektüre von Schellings Freiheitsschrift (vgl. „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freyheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände“, in F. W. J. Schelling’s philosophische Schriften, Bd. 1, Landshut 1809 (ktl. 763), S. 397– 511, hier S. 479 (Anm. 2)) verdankt, wie Tonny Aagaard Olesen, „Kierkegaards Schelling. Eine historische Einführung“, in Kierkegaard und Schelling. Freiheit, Angst und Wirklichkeit, op. cit., S. 1– 102, hier S. 60 (Anm. 196) mit falscher Stellenangabe vermutet, sondern eben der von Weißes „Die drei Grundfragen der gegenwärtigen Philosophie“ (vgl. S. 83,25 und S. 86,20), vgl. SKS 27, 390, Papir 365:2; SKS 27, 400, Papir 366:1.f; SKS 27, 415, Papir 369; SKS 6, 142,25 / SLW, 159; SKS 22, 215, NB12:121 / T 3, 284. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 70.
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Fortbewegung als Vorwärtsschreiten und Rückgang, Aufstieg und Abstieg zugleich beschreibt somit einen „Kreislauf in sich selbst“²²⁸, in dem das Erste vermittelt wird durch das Letzte, das reine Sein durch die absolute Idee, weshalb die unbestimmte Unmittelbarkeit des reinen Seins eine erste Manifestation des Absoluten ist. Es ist hier nicht notwendig, auf die schwierige Frage einzugehen, wie die unbestimmte Unmittelbarkeit des reinen Seins in der Lage sein soll, „einen immanenten Fortschritt im Prozeß der logischen Gedankenbestimmungen zu initiieren, d. h. die Unmittelbarkeit aus ihr selbst heraus…in die vermittelte und vermittelnde Bewegung der Reflexion zu überführen.“²²⁹ Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass Kierkegaard in der Aufzeichnung Papir 92 mit ‚dem ersten Unmittelbaren‘ – unter der noch zu belegenden Annahme, dass ihm die in diesem einleitenden Abschnitt der Seinslogik entwickelte Problematik des Anfangs als sachlicher Kontext dieses Ausdrucks aus Sekundärquellen bekannt gewesen ist – auf das unbestimmte Unmittelbare am Anfang der Logik anspielt, welches, um mit den Worten Arndts zu sprechen, noch nicht „in das Vermittelte als das Negative des Unmittelbaren“²³⁰ übergegangen ist. Das von Schleiermacher ‚Religion‘ und von den ‚hegelschen Dogmatikern‘ ‚Glaube‘ Genannte lässt sich für Kierkegaard nicht mit Recht so bezeichnen, wenn und in-
Ibid. Arndt, „Die anfangende Reflexion“, S. 130; vgl. S. 130 – 139. Folgende Fragen lassen sich daran anschließen: (1) Wie soll eine reine Unmittelbarkeit, die als einfache selbst frei vom Gegensatz zum Vermittelten ist, durch sich selbst in dieses übergehen können, ohne damit nicht zugleich eine Bestimmung dieser Unmittelbarkeit zur Vermittlung präsupponiert zu haben? (2) Bedeutet die dieser anfänglichen Unmittelbarkeit zugeschriebene Unbestimmtheit abstrakte Bestimmungslosigkeit oder kann etwas unbestimmt nicht auch deshalb sein, weil es, quasi strukturanalog zum ersten unbewegt Bewegenden bei Aristoteles, schlechthin bestimmend ist? (3) Beginnt das System unmittelbar mit dem Unmittelbaren oder mit einer reflexionslogischen Bestimmung des Unmittelbaren? (4) Ist der immanente Fortschritt vom unbestimmten Unmittelbaren zum Vermittelten als eine Bewegung zu denken? (5) Ist die Struktur des Anfangs der Logik im Unterschied zur Logik reflektierter Gedankenbestimmungen zu interpretieren oder müssen auch schon in ihrem Anfang reflektierte Momente vorausgesetzt werden (vgl. hierzu Henrich, „Anfang und Methode der Logik“, S. 84)? Mit den Fragen 3 und 4 und dem ersten Teil der Frage 1 hat sich Kierkegaard – zum Teil durch Vermittlung von und unter Berufung auf Trendelenburgs Kritik an Hegel, vgl. vor allem Friedrich Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen, Bd. 1– 2, Berlin 1840 (ktl. 843); Bd. 1, S. 23 – 30, S. 31 f., S. 44, S. 56 – 59 und S. 95; Bd. 2, S. 36; Die logische Frage in Hegel’s System, Leipzig 1843 (ktl. 846), S. 16 f. – in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift beschäftigt, vgl. besonders SKS 7, 108 – 111 / AUN1, 104– 108. Andreas Arndt, Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994 (Paradeigmata, Bd. 15), S. 226.
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sofern es diesem unbestimmten, einfachen Unmittelbaren entspricht. Diese Kritik soll nun im Hinblick auf Schleiermacher untersucht werden.
1.5.2 „Das, was Schleiermacher ‚Religion‘ nennt“²³¹ Hinsichtlich der Frage, auf welche der Schriften Schleiermachers sich Kierkegaard in Papir 92 (Pap. I A 273) bezieht, verweisen Pap. und SKS ²³² sowie mehrere Kierkegaardforscher²³³ auf die zweite Auflage der Glaubenslehre (1830/31), in der Schleiermacher in den Lehnsätzen aus der Ethik seine berühmte Definition der Frömmigkeit als des „Gefühl[s] schlechthinniger Abhängigkeit“²³⁴ gibt. Dass sich Kierkegaard in der Tat auf die Glaubenslehre und nicht etwa auf die Reden über die Religion (1799)²³⁵ bezieht, in denen Schleiermacher in der zweiten Rede „Religion“ SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50. Die Herausgeber von Pap. verweisen auf Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 45 ff. [S. 40 ff.] (§ 6, Zusatz), was erstaunt, da Schleiermacher in diesem Zusatz gerade erklärt, er wolle sich in der Glaubenslehre des „Ausdruck[s] Religion…bis auf einen flüchtigen, nur der Abwechslung dienenden Gebrauch möglichst enthalten“ (S. 45 [S. 40]; vgl. auch S. 47 [S. 42]). Dagegen verweist der Kommentar zu SKS 27, 112,10 in SKS K27, 240 f. auf Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 14 [S. 7] (§ 3, Leitsatz) und S. 23 [S. 16] (§ 4, Leitsatz). Schleiermachers Glaubenslehre als Bezugspunkt der Aufzeichnung Pap. I A 273 (Papir 92) betrachten z. B. Louis K. Dupré, Kierkegaard As Theologian. The Dialectic of Christian Existence, New York 1963, S. 118; Murray Rae, Kierkegaard’s Vision of the Incarnation. By Faith Transformed, Oxford 1997, S. 42 f.; Hermann Deuser, „Existenz-Mitteilung – nicht unmittelbares Selbstbewusstsein: Kierkegaards Kritik transzendentaler Religionsbegründung“, in Schleiermacher und Kierkegaard. Subjektivität und Wahrheit. Akten des Schleiermacher-Kierkegaard-Kongresses in Kopenhagen, Oktober 2003, hg. von Niels Jørgen Cappelørn et al., Berlin und New York 2006, S. 197– 215, hier S. 204– 206 (wiederabgedruckt in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 209 – 228, hier S. 216 – 218); David Kangas, „The Metaphysics of Interiority: The Two Paths of Schleiermacher and Kierkegaard“, in ibid., S. 655 – 672, hier S. 665 f. sowie Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 67. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 33 [S. 27] (§ 5.2). [Friedrich Schleiermacher], Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin 1799. Kierkegaard kaufte am 31. März 1843 ein Exemplar der 5. Aufl., Berlin 1843 (ktl. 271), vgl. den Abdruck der Rechnung vom 31. Dezember 1843 vom Buchhändler P.G. Philipsen bei Rohde, „Om Søren Kierkegaard som bogsamler“, S. 118 (Beilage 7). Im ersten Appendix des Auktionsprotokolls findet sich zudem ein Exemplar der 3. Aufl., Berlin 1821 (ktl. A I 40) aufgelistet, was jedoch nicht viel besagt (vgl. meine Bemerkungen zum Auktionsprotokoll im dritten Abschnitt der Einleitung). Die Zitierung der Reden erfolgt nach Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), hg. von Günter Meckenstock, Berlin und New York 2001 [1999], mit Angabe der Originalpaginierung (1799) in eckigen Klammern. Schleiermachers Reden als Bezugspunkt von Pap. I A 273 (Papir 92) betrachten z. B. Wilhelm Anz, „Schleiermacher und Kierkegaard. Übereinstimmung und Differenz“, Zeitschrift für Theologie
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als „Sinn und Geschmak fürs Unendliche“²³⁶ und als „Anschauen des Universums“²³⁷ bestimmt, legt sich vor allem aus drei Gründen nahe: (1) Es gibt in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen keinen Beleg für eine Lektüre der Reden (bis) zu dieser Zeit.²³⁸ (2) Dagegen existieren von Kierkegaards Hand umfangreiche Exzerpte aus und zahlreiche Bemerkungen zu Stellen hauptsächlich im ersten Kapitel der Einleitung zur Glaubenslehre, die in engem Zusammenhang mit Kierkegaards Manuduktion über Schleiermachers Glaubenslehre im Frühsommer 1834 durch Martensen stehen.²³⁹ (3) Obwohl sich Schleiermacher in der Glaubenslehre des Gebrauchs des Religionsbegriffs „möglichst enthalten“²⁴⁰ wollte und stattdessen den Frömmigkeitsbegriff bevorzugte, hat man sich (auch) zu Kierkegaards Zeit auf jene Definition der Frömmigkeit gemeinhin als auf eine Definition des Begriffs der ‚Religion‘ bezogen.²⁴¹ Haben wir damit zwar guten Grund zur Annahme, dass sich Kierkegaard in Papir 92 auf die Glaubenslehre bezogen hat, muss allerdings betont werden, dass diese Kritik an Schleiermacher keineswegs gerechtfertigt ist. Wie Schleiermacher in seiner allgemeinen Theorie der Frömmigkeit, noch unter Absehung von ihrer besonderen Ausprägung als christliche, in den Lehnsätzen aus der Ethik aus-
und Kirche, Bd. 82, 1985, S. 409 – 429, hier S. 415; Henning Schröer, „Wie verstand Kierkegaard Schleiermacher?“, in Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. von Kurt-Victor Selge, Bd. 1– 2, Berlin und New York 1985; Bd. 2, S. 1147– 1155, hier S. 1149. Schleiermacher, Über die Religion, S. 80 [S. 53]. Ibid., S. 81 [S. 55]. Abgesehen von den Bezugnahmen auf Schleiermachers Glaubenslehre (vgl. oben Anm. 22) finden sich in Kierkegaards Nachlass bis 1838 sonst nur noch eine Anspielung auf Schleiermachers Monologen. Eine Neujahrsgabe, Berlin 1800 (vgl. SKS 27, 127, Papir 119; vgl. ferner SKS 27, 163, Papir 223:2) sowie zwei Aufzeichnungen mit Verweisen auf Schleiermachers Vertraute Briefe über die Lucinde, mit einer Vorrede von Karl Gutzkow, Hamburg 1835 (vgl. SKS 19, 93, Not2:5 / DSKE 3, 97 und SKS 19, 99, Not3:2 / DSKE 3, 103). Der erste Hinweis auf eine Lektüre von Schleiermachers Reden findet sich in SKS 27, 76,16 – 30, Papir 26 von (vermutlich) Wintersemester 1838/39 (vgl. den Kommentar zu SKS 27, 76,16 – 28 in SKS K27, 148 f.; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Papir 2 – 29 in SKS K27, 66 – 68, hier 68). Der einzige explizite Verweis auf Schleiermachers Reden in Kierkegaards Werken findet sich m.W. in SKS 6, 441 / SLW, 510 (vgl. den Kommentar zu SKS 6, 441,25 in SKS K6, 390); vgl. ferner die mögliche Anspielung in SKS 4, 493 / V, 202 (samt Kommentar zu SKS 4, 493,2 in SKS K4, 599 f.; vgl. dagegen Hirsch in V, 278 (Anm. 359)). Vgl. oben Anm. 22 und Anm. 53. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 45 [S. 40] (§ 4, Zusatz), vgl. oben Anm. 232. Vgl. z. B. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen (siehe Kap. 2, Anm. 251), S. 250; Erdmann, „Pantheismus die Grundlage der Religion“ (siehe Anm. 257), S. 143; vgl. auch Clausens von Schleiermacher inspirierte Definition von ‚Religion‘: „Über den Begriff Religion? Definition: Das unmittelbare Bewusstsein, in dem der Mensch sich bewusst von Gott abhängig zu sein fühlt, und erhoben und aufgenommen in das göttliche Wesen (SKS 19, 9, Not1:2 / DSKE 3, 5).
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führt²⁴², nimmt der Mensch in seinem Gefühl oder unmittelbaren Selbstbewusstsein sich wahr in seinem Verhältnis zur Welt, zu sich selbst und zu seinem transzendenten Ursprung, seinem „Woher“²⁴³, als derjenigen in seinem unmittelbaren Selbstbewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit mitgesetzten Instanz, die in diesem als ‚Gott‘ ausgesprochen wird. Dieses Wahrnehmen ist für Schleiermacher unmittelbar in dem Sinne, als es verschiedene Weisen des „Gestimmtsein[s]“²⁴⁴ des Selbstbewusstseins repräsentiert, die nicht dadurch vermittelt sind, dass der Mensch auf sich selbst reflektierte und so durch Introspektion zu dem jeweiligen Bewusstsein gelangte. Jede Stimmung des unmittelbaren Selbstbewusstseins als Ganzes genommen wirkt sich dabei aus in allen drei Weisen, wobei eine über die beiden anderen zwar dominieren, keine aber ganz abwesend sein kann.²⁴⁵ Auch das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl, wie es sich als die höchste Stufe des unmittelbaren Selbstbewusstseins: als unmittelbares Gottesbewusstsein ausspricht, existiert nach Schleiermacher daher „niemals für sich, sondern immer an und mit den beiden anderen Modifikationen des unmittelbaren Selbstbewusstseins [scil. dem unmittelbaren Selbstbewusstsein und dem unmittelbaren Weltbewusstsein], die Schleiermacher als sinnliche charakterisiert, weil der Mensch nur kraft seiner mit Sinnen ausgerüsteten Körperlichkeit in einem Wechselverhältnis zur Welt stehen und durch die Welt gestimmt werden kann.“²⁴⁶ Obwohl das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl auf einen weder räumlich noch zeitlich abgrenzbaren Gegenstand (‚Woher‘) bezogen und daher selbst nicht sinnlicher Art ist, kann es für Schleiermacher nur unter gleichzeitiger Einbeziehung des unmittelbaren sinnlichen ²⁴⁷ Selbstbewusstseins „der Vollendungspunkt des Selbstbewußtseins“²⁴⁸ werden und sein.
Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 14– 42 [S. 7– 42] (§§ 3 – 6). Die Ausführungen in diesem und dem folgenden Absatz stützen sich insbesondere auf Theodor Jørgensen, „Selbstbewusstsein und Gesamtbewusstsein im Reich der Sünde und der Erlösung bei Schleiermacher“, in Schleiermacher und Kierkegaard. Subjektivität und Wahrheit, op. cit., S. 519 – 535, hier S. 523 f.; vgl. ferner ders., Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späteren Schleiermacher, Tübingen 1977 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 53), besonders S. 73 – 77 und S. 223 – 230. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 28 [S. 22] (§ 4.4) (ohne Hervorhebung). Jørgensen, „Selbstbewusstsein und Gesamtbewusstsein“, S. 523 (meine Hervorhebung). Vgl. ibid., S. 523. Ibid., S. 523 f. (meine Hervorhebung). Sinnlichkeit und Unmittelbarkeit schließen sich für Schleiermacher nicht aus; vgl. hierzu Jørgensen, Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis, S. 221, der diese Vereinbarkeit von Sinnlichkeit und Unmittelbarkeit anhand der Unterscheidung von Anlass und Inhalt der Gefühle verdeutlicht: „Der Anlaß, die jeweilige Empfindung, ist sinnlicher Art und insofern auf
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Bereits in dieser allgemeinen Wesensbestimmung der Frömmigkeit hat Schleiermacher den weiteren Ausführungen in der Glaubenslehre damit gleichsam zugrunde gelegt, dass das fromme Selbstbewusstsein (‚Religion‘) nicht losgelöst vom zeitlichen Vollzug des endlichen Selbstbewusstseins Wirklichkeit werden und sein kann. Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist als wirkliches, obgleich es auf unmittelbare Weise im Bewusstsein präsent ist, immer zugleich auch eine sowohl geschichtlich-kulturell wie sprachlich bedingte und vermittelte „Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins“²⁴⁹, weshalb die Rede von einer „natürliche[n] Religion“ nur den Sprachgebrauch „verwirrt“²⁵⁰. Im Unterschied zu den Modifikationen des unmittelbaren sinnlichen Selbstbewusstseins, die durch die Wechselwirkung mit der Welt bedingt sind, hat das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl seinen Ursprung anderswo als im Menschen. Es entsteht im Menschen nicht von selbst, sondern ist in ihm geweckt worden.²⁵¹ Aber auch diese „ursprüngliche[] Offenbarung Gottes an den Menschen
einen Gegenstand oder ein gegenständliches Verhältnis bezogen. Der Gefühlsinhalt dagegen ist die innere Bewegtheit des Gefühls selbst, welcher der Mensch unmittelbar innewird. Indem er diese Bewegtheit auf ihren Anlaß hin reflektiert, findet er erst das in dem betreffenden Gefühl Mitgesetzte und Mitbestimmende.“ Zwar findet sich der Ausdruck ‚unmittelbares sinnliches Selbstbewusstsein‘ nur an einer einzigen Stelle in der Glaubenslehre (vgl. Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 40 [S. 34] (§ 5.5)), während Schleiermacher sonst gewöhnlich von dem ‚sinnlichen Selbstbewusstsein‘ oder dem ‚sinnlich bestimmten Selbstbewusstsein‘ als Bezeichnung der im Vergleich zum animalischen Selbstbewusstsein höheren, gegenüber dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl niedrigeren Stufe des (unmittelbaren) Selbstbewusstseins spricht (vgl. ibid., S. 32 f. [S. 26] (§ 5.1)). Die Einzelauslegung von § 5 der Glaubenslehre zeigt jedoch, wie Jørgensen betont, dass das unmittelbare Selbstbewusstsein in der Bestimmung Schleiermachers das sinnliche Selbstbewusstsein umfasst, vgl. Doris Offermann, Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre. Eine Untersuchung der „Lehnsätze“, Berlin 1969 (zugleich Diss., Univ. Marburg, 1968) (Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 16), S. 84– 108, hier besonders S. 88 f. und S. 97– 108; ferner S. 54– 57. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 35 [S. 29] (§ 5.3); vgl. S. 36 – 38 [S. 30 – 32] (§ 5.4); S. 39 f. [S. 33 f.] (§ 5.5); S. 40 f. [S. 34 f.] (§ 5, Zusatz) sowie S. 59 f. [S. 56] (§ 9.1). Ibid., S. 14 [S. 7] (§ 3, Leitsatz). Ibid., S. 46 [S. 41] (§ 6, Zusatz; ohne Hervorhebungen); vgl. auch S. 68 – 70 [S. 66 – 68] (§ 10, Zusatz) sowie Schleiermacher, Über die Religion, S. 164 f. [S. 243 f.]. Vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 1, S. 43 [S. 38] (§ 6.2). Zur Differenzierung zwischen dem von Schleiermacher hier intendierten Nachweis, dass fromme Gemeinschaften durch eine unableitbare Urtatsache entstehen, dem Wie eines solchen Ursprungsgeschehens (worüber sich Schleiermacher nicht näher äußert, auch nicht in den Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie (§§ 7– 10), in denen er über den Rahmen der ethischen Lehnsätze hinausgehen kann) und dem Was, mithin dem Inhalt der verschiedenen Urtatsachen, welcher immer und nur eine eigentümliche „Abartung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls“ (ibid., S. 66 [S. 63] (§ 10.2)) sei, vgl. Jørgensen, Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis, S. 297 f.
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oder in dem Menschen“²⁵² ereignet sich stets in einem bestimmten Sprach- und Geschichtszusammenhang, mithin in einer bestimmten Gemeinschaft. Die Unmittelbarkeit des ‚religiösen‘ Gefühls verdankt sich bei Schleiermacher daher immer auch geschichtlich-sprachlicher Vermittlungsprozesse, ist also keine unbestimmte, noch unvermittelte, sondern eine vermittelte Unmittelbarkeit. Dass Kierkegaard in Papir 92 das von Schleiermacher ‚Religion‘ Genannte aber dennoch mit ‚dem ersten Unmittelbaren‘ gleichsetzt, hat seinen Grund möglicherweise in einem bemerkenswerten Übersetzungsfehler Kierkegaards. Zu Beginn von § 6.1 der Glaubenslehre heißt es bei Schleiermacher: „Wenn das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl, wie es sich als Gottesbewußtsein ausspricht, die höchste Stufe des unmittelbaren Selbstbewußtseins ist: so ist es auch ein der menschlichen Natur wesentliches Element.“²⁵³ In Kierkegaards Exzerpten aus der Glaubenslehre wird dieser Satz jedoch so übersetzt: „Wenn das absolute Abhängigkeitsgefühl, so wie es sich als Gottesbewusstsein ausspricht, die erste Stufe des unmittelbaren Selbstbewusstseins ist, so ist es auch ein der menschlichen Natur wesentliches Element.“²⁵⁴ Dadurch bekommt dieser Satz aber eine ganz andere Bedeutung und Intention, was (zumindest) eine mögliche Erklärung für Kierkegaards Kritik an Schleiermacher wäre, die mir nicht gerechtfertigt erscheint.²⁵⁵ Was auch immer Kierkegaard zu dieser Kritik an Schleiermacher veranlasst haben mag, er hat diese Kritik (später) nicht mehr wiederholt. In der Journalaufzeichnung DD:9 von Anfang Juni 1837 sieht Kierkegaard den „Fehler in Schleiermachers Definition der Religion“ darin, dass sie im Pantheismus verbleibe, da Schleiermacher „jenes außerhalb der Zeit liegende Verschmelzungs Schleiermacher, Der christliche Glaube, S. 30 [S. 23] (§ 4.4). Ibid., S. 41 [S. 36] (§ 6.1; meine Hervorhebung). SKS 27, 41,25 – 26, Papir 9:6 (meine Übers. und Hervorhebung). Vgl. damit SKS 27, 42,1– 2, Papir 9:6 weiter unten auf demselben (!) Blatt [2r] (B-fort. 459.[18]; KA, C pk. 1 læg). Erstaunlicherweise übersetzt auch Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 33 diese Stelle des Exzerpts falsch mit „die höchste Stufe des unmittelb.[aren] Selbstbew.[usstseins]“, weshalb er Kierkegaards fehlerhafte Übersetzung auch nicht als – und sei es wenigstens mögliche – Erklärung für Kierkegaards Kritik an Schleiermacher in Pap. I A 273 (Papir 92) in Erwägung ziehen kann. Stattdessen sieht Krichbaum diese Kritik Kierkegaards durch ein begriffslogisches Anliegen (!) motiviert: „Die Gleichstellung des Glaubensverständnisses der Hegel’schen Dogmatiker mit Schleiermachers Religionsbegriff an den angegebenen Textstellen [scil. Pap. I A 273 und SKS 17, 201, CC:12 / DSKE 1, 161 (!)] zeigt, dass Kierkegaard seine Kritik an der Auffassung des Glaubens als erste Unmittelbarkeit auch auf Schleiermacher und dessen Begriff des Gefühls oder unmittelbaren Selbstbewusstseins überträgt. Hier wie dort ist es die logisch-restriktive Verwendung des Begriffs der Unmittelbarkeit, die die unsachgemäße Verwendung des Religions- bzw. Glaubensbegriffs und, daraus folgend, die Verflüchtigung christlich-dogmatischer Begrifflichkeit bedingt“ (S. 67 f.).
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moment des Universellen und des Endlichen…zur Religion“²⁵⁶ mache. Hinter dieser Kritik steht Kierkegaards Lektüre von Johann Eduard Erdmanns Artikel „Pantheismus die Grundlage der Religion“ (1836)²⁵⁷, in dem Erdmann Schleiermachers „Lehre von der schlechthinigen [sic!] Abhängigkeit von Gott als den (subjektiven) Standpunkt des Pantheismus“ bestimmt. Dieser Pantheismus sei jedoch kein konsequenter, da Schleiermacher den Menschen in seinem Abhängigkeitsgefühl, „wenn auch mit einem Minimum der Selbstthätigkeit, der Gottheit gegenüber stehn“²⁵⁸ lasse. Dagegen kann Kierkegaard in der Journalaufzeichnung DD:86 vom 7. Dezember 1837 Schleiermachers Aufnahme des Wunderbegriffs in dessen System lobend hervorheben und über Schleiermachers Standpunkt sagen: „sein ganzer Standpunkt ist Wunder und sein ganzes Selbstbewusstsein ist ein reines neues christliches Selbstbewusstsein.“²⁵⁹ Ein Grund für diese Veränderung von Kierkegaards Schleiermacherbild könnte seine Beschäftigung mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837)²⁶⁰ in der Zeit von Anfang November bis Mitte Dezember 1837 gewesen sein.²⁶¹ An einer Stelle in Erdmanns 26. Vorlesung, die
SKS 17, 219, DD:9 / DSKE 1, 182. Johann Eduard Erdmann, „Pantheismus die Grundlage der Religion“, Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 1, 1836, Heft 2, S. 133 – 157; vgl. hierzu den Kommentar zu DSKE 1, 182,7– 11 in DSKE 1, 506. Erdmann, „Pantheismus die Grundlage der Religion“, S. 143. SKS 17, 249, DD:86 / DSKE 1, 215 (dt. Übers. modifiziert). In der auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung SKS 27, 142, Papir 167 / T 1, 81 vom 4. August 1836 konnte Kierkegaard Schleiermacher dagegen noch zusammen mit den „Hegelianern“ dem Standpunkt der „Antike“ zurechnen, der im Unterschied zum „Romantischen“ nicht mit „Wunder“ aufwarten könne. Siehe Kap. 2, Anm. 251. Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit Schleiermachers „Lehre hinsichtlich des Gefühls“ (SKS 15, 54 / JC, 154 (Anm.)) und der Rolle Erdmanns in diesem Zusammenhang vgl. auch SKS 15, 54 / JC, 154 (Anm.) zusammen mit SKS 23, 58, NB15:83 / T 4, 98 f. Siehe Kap. 2.4. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 88 – 95 sieht – offenbar im Anschluss an den Kommentar zu DSKE 1, 215,14 in DSKE 1, 535 – im Hintergrund des in der Journalaufzeichnung DD:86 zum Ausdruck gekommenen, gegenüber früheren Bemerkungen deutlich (und zwar: positiv) veränderten Schleiermacherbildes Kierkegaards die Lektüre von Immanuel Hermann Fichtes Aufsatz „Spekulation und Offenbarung“, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 1, 1837, Heft 1, S. 1– 31, vgl. vor allem S. 9 [= „Speculation og Aabenbaring“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur, Bd. 5, 1837, S. 747– 777, hier S. 755 f.]. Da Kierkegaards Charakterisierung von Schleiermachers ‚ganzem Standpunkt‘ als ‚Wunder‘ jedoch keine Entsprechung oder Grundlage in Fichtes Aufsatz hat, verweist Krichbaum als Hintergrund hierfür auf Kierkegaards Lektüre von Daubs Abhandlung „Die Form der christlichen Dogmen- und Kirchen-Historie“ (siehe Kap. 2, Anm. 26), vgl. vor allem Bd. 1, 1836, Heft 2, S. 96 – 105 und S. 119 ff. sowie Bd. 2, 1837, Heft 1, S. 133 f. In der Tat könnte dies eine Erklärung für Kierkegaards Bemerkungen zum Wunderbegriff in DD:86 sein, nicht aber für die darin erfol-
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Kierkegaard in seinen Bemerkungen zu Erdmann als „überaus richtig“²⁶² bezeichnet und auf Deutsch zitiert, attestiert Erdmann dem schleiermacherschen Standpunkt „das große Verdienst, daß er das Gefühl der bloßen Accidentalität des Einzelwesens geltend gemacht hat. Eben aber, weil es dies specifische Gefühl ist, welches er geltend machte, treffen ihn die Einwände, welche die Gefühlstheologie überhaupt treffen, nicht.“²⁶³ Das von manchen Theologen unter Berufung auf Schleiermacher zum Prinzip der Religion gemachte Gefühl sei vom schleiermacherschen Abhängigkeitsgefühl gerade „toto capite verschieden“: jenes Gefühl sei nämlich „nichts Anderes, als das sogenannte unmittelbare Wissen, d. h. eine Ueberzeugung, die nicht von dem steten Bewußtseyn der Gründe derselben begleitet ist, jedenfalls aber ein gegenständliches Bewußtseyn“, wohingegen Schleiermacher „ganz richtig einsah, daß man nichts fühlt, als seine eigne Affection, und also das Gefühl nie auf ein Object geht. Im schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl schaut man nur sich an als Verschwindendes gegen ein allein Substanzielles.“²⁶⁴ Es ist hier nicht notwendig, auf diese Veränderung von Kierkegaards Schleiermacherbild weiter einzugehen. Festzuhalten bleibt, dass die Kritik an Schleiermachers Verständnis von ‚Religion‘ in der Aufzeichnung Papir 92 der von Schleiermacher in der Glaubenslehre entwickelten Frömmigkeitstheorie nicht gerecht wird und Kierkegaard diese Kritik im Verlaufe seiner weiteren Beschäftigung mit Schleiermacher nicht mehr wiederholt hat. Dagegen sollte die von Kierkegaard in Papir 92 formulierte Kritik am Glaubensverständnis der ‚hegelschen Dogmatiker‘, wie bereits erwähnt, ein Bestandteil vieler seiner pseudonymen Schriften sein. Diese Kritik soll nun im folgenden Abschnitt daraufhin untersucht werden, ob Kierkegaard damit Marheineke im Blick gehabt hat.
1.5.3 Marheineke In Übereinstimmung mit den Herausgebern von Pap., die die Aufzeichnung Pap. I A 273 (Papir 92) auf November 1836 datieren²⁶⁵, verweisen verschiedene Kierke-
gende Charakterisierung von Schleiermachers Standpunkt als ‚Wunder‘, die – wie Krichbaum mit Recht konzediert – „nur bedingt Anhalt am Text der Glaubenslehre“ (Kierkegaard und Schleiermacher, S. 94) hat. SKS 19, 169, Not4:45 / DSKE 3, 179. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen (siehe Kap. 2, Anm. 251), S. 251. Ibid., S. 251 f. Vgl. oben Anm. 200. Der Grund für diese Datierung liegt womöglich darin, dass Marheineke – vermeintlich als einer der in Pap. I A 273 (Papir 92) angesprochenen ‚hegelschen Dogmatiker‘ –
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gaardforscher in Bezug auf Kierkegaards Kritik am Glaubensverständnis der ‚hegelschen Dogmatiker‘ entweder allgemein auf die von Hegel beeinflusste zweite Auflage von Philipp Konrad Marheinekes (1780 – 1846) Hauptwerk Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft (1827)²⁶⁶ oder speziell auf bestimmte Abschnitte in dessen Einleitung.²⁶⁷ Da sich Kierkegaard Marheinekes Grundlehren jedoch erst am 14. Dezember 1836 beim Buchhändler C.A. Reitzel gekauft hat²⁶⁸, müsste er zuvor mit einem geborgten oder einem ausgeliehenen Exemplar (etwa aus der Universitätsbibliothek) gearbeitet haben. Dies würde dann auch für die Exzerpte aus der Einleitung zu den Grundlehren in Pap. I C 25 – 26 (Papir 19 und Papir 250)²⁶⁹ gelten, als deren Entstehungszeitraum die Herausgeber von Pap. die Jahre 1834/35 angeben. Im Unterschied zu Pap. gibt SKS als Entstehungszeitraum sowohl von Papir 92 als auch von den Exzerpten aus den Grundlehren das Wintersemester 1837/38 an.²⁷⁰ Der Impuls zu dieser eingehenderen Beschäftigung Kierkegaards mit Marheinekes Dogmatik könnte dann, wie SKS annimmt, von seinem Besuch von Martensens Dogmatikvorlesung im Wintersemester 1837/38 („Prolegomena ad dogmaticam
am Reformationsjubiläum an der Kopenhagener Universität 1836 teilgenommen hat. Zu dieser Verbindung vgl. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 42 (Anm.) sowie unten Anm. 274. Philipp Konrad Marheineke, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, 2. Aufl., Berlin 1827 [1819] (ktl. 644). Vgl. z. B. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 42 f., S. 75 und S. 79; Jean Malaquais, Sören Kierkegaard. Foi et paradoxe, Paris 1971, S. 223; Henri-Bernard Vergote, Sens et répétition. Essai sur l’ironie Kierkegaardienne, Bd. 1– 2, Paris 1982; Bd. 1, S. 187; Schulz, „Die spekulative Verflüchtigung“, S. 31 f. und S. 44 (Anm. 114); Richard E. Crouter, „Schleiermacher: Revisiting Kierkegaard’s Relationship to Him“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Aldershot und Burlington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 197– 231, hier S. 207; Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 63 – 67; Darío González, „Religious Truth as Earnestness: Kierkegaard and Faith as a Process of Education“, in Religion und Irrationalität. Historisch-systematische Perspektiven, hg. von Jochen Schmidt und Heiko Schulz, Tübingen 2013, S. 199 – 209, hier S. 203 (in Bezug auf SKS 4, 318 / BA, 7). Vgl. den Abdruck der Rechnung vom 31. Dezember 1836 von C.A. Reitzels Buchhandlung bei Rohde, „Om Søren Kierkegaard som bogsamler“, S. 117. Die auf einen losen Zettel gelblichen, gerippten Schreibpapiers notierte Aufzeichnung SKS 27, 64, Papir 19 (Pap. I C 26) (B-fort. 459.[10]; KA, C pk. 1 læg 5) besteht aus einem Zitat aus S. 4 (§ 4), während die auf einem Doppelblatt gelblichen, gerippten Schreibpapiers in Quart sich befindenden Exzerpte in SKS 27, 173 f., Papir 250 (Pap. I C 25 (in Bd. XII), S. 131 f.) (B-fort. 456c; KA, C pk. 1 læg 5) aus S. 4 (§ 4), S. 6 f. (§ 8) und S. 14– 16 (§§ 24– 26 und 28) der Einleitung zu den Grundlehren stammen. Vgl. SKS K27, 67 f. und 383 sowie oben Anm. 201.
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speculativam“) ausgegangen sein.²⁷¹ Zwingend erscheint mir diese Annahme jedoch nicht. Zwar findet sich in Kierkegaards Notizen zu Martensens Dogmatikvorlesung ein (einziger) unbestimmter Hinweis auf Marheineke²⁷², doch gibt es in Kierkegaards Nachlass bereits in Aufzeichnungen aus nachweislich früherer Zeit mehrere Hinweise auf Marheinekes Grundlehren. ²⁷³ Zudem erklärt die Datierung des Beginns von Kierkegaards eingehenderer Beschäftigung mit Marheinekes Dogmatik auf das Wintersemester 1837/38 nicht die Anschaffung dieses Werkes bereits Mitte Dezember 1836. Die relative zeitliche Nähe, mehr jedoch nicht, spräche dafür, die Anschaffung der Grundlehren im Zusammenhang mit Marheinekes Teilnahme am Reformationsjubiläum an der Kopenhagener Universität 1836 zu sehen.²⁷⁴ Trotz der unterschiedlichen Datierung sowohl von Papir 92 als auch des m. E. nicht exakt bestimmbaren Einsatzpunktes von Kierkegaards eingehenderer Beschäftigung mit den Grundlehren stimmen Pap. und SKS jedoch in der Annahme überein, dass Kierkegaard mit seiner Kritik in Papir 92 Marheineke im Blick gehabt hat.²⁷⁵ Oberflächlich betrachtet erscheint dies insofern denkbar, als Marheineke in § 86 der Einleitung zu den Grundlehren dem Glauben ein „unmittelbare[s] Be-
Vgl. Kierkegaards Notizen zu den ersten zehn Vorlesungen in der Zeit vom 15. November bis zum 23. Dezember 1837 in SKS 19, 125 – 143, Not4:3 – 12 / DSKE 3, 132– 151. Vgl. SKS 19, 126,32, Not4:3 / DSKE 3, 133,7 (1. Vortrag vom 15. November 1837). Und zwar in Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34), vgl. SKS 19, 16, Not1:4 / DSKE 3, 13; SKS 19, 30, Not1:6 / DSKE 3, 28; SKS 19, 57, Not1:7.z6 / DSKE 3, 58 und SKS 19, 58, Not1:7.z8 / DSKE 3, 59. Die beiden Randbemerkungen Not1:7.z6 und Not1:7.z8 hat Kierkegaard zwar wohl erst nachträglich, wahrscheinlich 1839/40, eingetragen; im Haupttext der 1833/34 entstandenen Aufzeichnungen Not1:4 und Not1:6 bezieht sich Clausen (bzw. Kierkegaard) aber eindeutig auf Marheinekes Grundlehren: in Not1:4 auf deren trichotomische Gliederung und in Not1:6 auf Marheinekes Annahme einer partiellen Identität zwischen Christi gegenwärtigem Leib und seinem zukünftigen Auferstehungsleib, vgl. Marheineke, Grundlehren, S. 384– 391 (§§ 598 – 607). Zur möglichen Anspielung auf Marheineke in CC:12 (Frühjahr 1837) vgl. Kap. 2, Anm. 107. Thulstrups Vermutung, dass Kierkegaard auf Marheineke „zuerst“ durch dessen Teilnahme am Reformationsjubiläum 1836 „aufmerksam geworden“ sei (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 42 (Anm.)), missachtet die früheren Hinweise auf Marheineke (vgl. SKS 27, 9 – 21, Papir 1:1 sowie die vorige Anm.) und erklärt auch nicht die laut Pap. zuvor entstandenen Exzerpte (siehe Anm. 269), die Thulstrup deshalb (?) ebenfalls auf 1836 zu datieren scheint, wenn er schreibt, Kierkegaard habe sich mit den Grundlehren „vermutlich erst 1836“ bzw. „im Herbst 1836“ (S. 42) beschäftigt. Da die Herausgeber von Pap. „sicher zu Recht“ auf die Grundlehren verwiesen, müsse Pap. I A 273 (Papir 92) „entweder später als Mitte November datiert werden…oder es muß eingefügt sein“ (S. 75). Die Herausgeber von Pap. verweisen auf S. 6 f. (d. h. §§ 6 – 10), während der Kommentar zu SKS 27, 112,10 in SKS K27, 241 sich auf S. 6 f. (§ 8), S. 19 (§ 34), S. 48 f. (§ 86) und S. 67 (§ 116) in der Einleitung zu den Grundlehren bezieht.
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wußtseyn der Wahrheit“²⁷⁶ zuschreibt und den Übergang vom Glauben zum Wissen als notwendig herausstellt. Betrachtet man jedoch diesen Übergang und die Begründung seiner Notwendigkeit genauer und im Kontext der Argumentation, so wird es durchaus zweifelhaft, ob Kierkegaard mit seiner Kritik in Papir 92 tatsächlich Marheineke gemeint hat. Vor dem Hintergrund der „skeptischen Relativierung“ christlich-dogmatischer Glaubenswahrheiten und des „drohenden Hiatus zwischen Glaube und Vernunft“ als Folge und Ausdruck des „umfassende[n] Plausibilitätsverlust[es] von wissenschaftlicher Theologie und christlicher Religion“²⁷⁷ zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand Marheinekes theologisches Grundanliegen in der Versöhnung von Glauben und Wissen im Medium dogmatisch-spekulativen Begreifens.²⁷⁸ Damit sollte nicht nur der Inhalt des Glaubens seiner der Vorstellung verhafteten Form entkleidet und in die Form des begrifflichen Wissens überführt, sondern zugleich auch, wie Marheineke in der Vorrede zu den Grundlehren betont, die Positionalität der Theologie selbst überwunden werden, wie sie sich ihm und seiner Zeit als der Gegensatz von Rationalismus und Supranaturalismus präsentiert hatte. Beide seien nur unwahre Formen der dogmatischen Wissenschaft, da sie Vernunft und Offenbarung nicht ins rechte Verhältnis zueinander zu setzen verstünden, die in Wahrheit eine Einheit bildeten. Aufgabe und Anfang der dogmatischen Wissenschaft sei es daher, sich vom Gegensatzverhältnis von Rationalismus und Supranaturalismus zu befreien und eo ipso das darin liegende „Wahre und Vernünftige…frei zu machen und in würdigerer Weise wieder herzustellen.“²⁷⁹ Die angesprochene Notwendigkeit des Übergangs vom Glauben zum Wissen begründet Marheineke dabei zum einen mit dem Bedürfnis des Glaubens nach Sicherheit angesichts des ihm immanenten Zweifels und Irrtums, zum anderen mit der formalen Defizienz des Glaubens. Was das Bedürfnis des Glaubens nach Si-
Marheineke, Grundlehren, S. 49 (§ 86). Speziell auf S. 48 f. (§ 86) der Grundlehren beziehen sich z. B. Schulz, „Die spekulative Verflüchtigung“, S. 44 (Anm. 114) und Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 66; vgl. ferner Kommentar zu SKS 4, 318,10 in SKS K4, 351; Kommentar zu SKS 6, 271,15 in SKS K6, 272; Kommentar zu SKS 7, 317,35 in SKS K7, 286 f.; Kommentar zu SKS 17, 201,24 (CC:12) in SKS K17, 339 (zur Ungenauigkeit dieses Kommentars vgl. Kap. 2, Anm. 105); Kommentar zu SKS 18, 203,13 (JJ:196) in SKS K18, 322; Kommentar zu SKS 20, 382,31 (NB5:30) in SKS K20, 397 sowie Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 388. Volker Drehsen, Art. „Marheineke, Philipp Konrad (1780 – 1846)“, in Theologische Realenzyklopädie, op. cit., Bd. 22, 1992, S. 109 – 115, hier S. 110. Vgl. Marheineke, Grundlehren, S. XXV und S. 38 f. (§ 68); ferner Drehsen, „Marheineke“, S. 112 f. sowie Schulz, „Die spekulative Verflüchtigung“, S. 22 f. und S. 37. Marheineke, Grundlehren, S. XVIII.
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cherheit betrifft²⁸⁰, würden mit dem Erscheinen der ewigen Wahrheit zugleich immer auch deren Entstellungen und Verdrehungen im Aber- und Unglauben offenbar werden, weshalb dem Glauben das Bedürfnis des vernünftigen Wissens als etwas entstehe, in dem er allein seine Wahrheit und seine Unterscheidung vom Aber- und Unglauben habe. Dieses Bedürfnis habe der Glaube „überall, wo er in das Selbstbewußtseyn getreten und zur Reflexion gekommen“ sei, da ihm hier zwangsläufig bewusst werde, „daß er den Zweifel und Irrthum nicht absolut außer sich, sondern auch in sich habe und somit zugleich die Störung und Erschütterung seines Glaubens.“²⁸¹ In diesem Bewusstsein des durch Zweifel und Irrtum angefochtenen Lebens im Glauben werde der Glaubende daher „über den Glauben hinausgetrieben“ und es entstehe in ihm „das Bedürfniß, mittelst des Wissens vom Glauben, sich ein beharrliches Leben im Glauben zu sichern.“²⁸² Das Wissen sei dem Glauben notwendig, um ihn „in seiner Reinheit, Freiheit und Kraft“ „zu schützen und zu bewahren“²⁸³. Hinsichtlich der formalen Defizienz des Glaubens²⁸⁴ betont Marheineke dagegen, dass die christlichen Lehren zwar an sich die Wahrheit und eben damit zugleich die Gewissheit der Wahrheit enthielten.²⁸⁵ Jedoch eigne ihnen diese Gewissheit zunächst nur als Glaube und in der Form der Vorstellung, nicht aber als Vgl. ibid., S. 8 f. (§§ 11– 12) und S. 10 (§ 15); ferner S. 88 f. (§§ 149 – 150). Ibid., S. 8 (§ 12; meine Hervorhebung). Ibid. Ibid., S. 10 (§ 15). Vgl. ibid., S. 38 – 42 (§§ 67– 74), S. 44 f. (§§ 78 – 79) und S. 48 f. (§§ 85 – 86). Zu Marheinekes Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen vgl. einerseits auch Marheinekes Lehrbuch des christlichen Glaubens und Lebens für denkende Christen und zum Gebrauch in den oberen Klassen an den Gymnasien, 2. Aufl., Berlin 1836 [1823] (ktl. 257; vgl. ktl. 646), S. 98 f. (§§ 171 und 173), S. 105 (§ 180) und S. 108 (§§ 182– 183) sowie D. Philipp Marheineke’s theologische Vorlesungen, hg. von Stephan Matthies und Wilhelm Vatke, Bd. 1– 4, Berlin 1847– 49; Bd. 2, System der christlichen Dogmatik, 1847, S. 14– 20; andererseits und hier vor allem Ewald Stübinger, Die Theologie Carl Daubs als Kritik der positionellen Theologie, Frankfurt am Main et al. 1993 (Beiträge zur rationalen Theologie, Bd. 1), S. 134– 137; speziell zum Verhältnis von Glauben und Wissen in der 2. Aufl. der Grundlehren vgl. ferner Eva-Maria Rupprecht, Kritikvergessene Spekulation. Das Religions- und Theologieverständnis der spekulativen Theologie Ph. K. Marheinekes, Frankfurt am Main et al. 1993 (zugleich Diss., Univ. München, 1992) (Beiträge zur rationalen Theologie, Bd. 3), S. 160 – 170. An anderer Stelle in der Einleitung hält Marheineke fest, dass die christliche Religion als „die Wahrheit an und für sich“ (Grundlehren, S. 13 (§ 22); vgl. jedoch S. 18 – 20 (§§ 32– 35)) an dem „im Glauben mit enthaltenen Wissen“ (S. 7 (§ 10)) genug habe. Die Religion an sich bedürfe der Theologie daher nicht, sondern die Theologie bedürfe umgekehrt vielmehr der Religion, um auch nur anfangen zu können. Wenn die Theologie aber das im Glauben implizit enthaltene Wissen expliziere, gehe sie eo ipso weiter als der Glaube und hebe den Glauben in sich, als dem Wissen vom Glauben, (im positiv-bewahrenden Sinne) auf.
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Wissen und in der Form des Begriffs: „Als Inhalt der Religion ist die Wahrheit ihrer Gewißheit noch nicht gleich.“²⁸⁶ Diese Inadäquanz von Inhalt und Form,Wahrheit und Gewissheit, lasse sich erst dadurch beheben, dass das im Glauben implizit enthaltene, noch (in) sich selbst verborgene Wissen²⁸⁷ durch die Dogmatik als Wissenschaft expliziert werde. Diese Verborgenheit sei „zugleich der allem Glauben einwohnende Mangel des Wissens selbst und Trieb zum Wissen.“²⁸⁸ Wenn die Wahrheit aber als diese Gewissheit gewusst werde, dann gehe die Gewissheit im Glauben über in das Wissen und das allein in der christlichen Religion mögliche Wissen von Gott sei für uns wirklich geworden. Als das den Glauben begreifende Wissen bzw. als der in ihr sich selbst begreifende Glaube sei die Wissenschaft daher „die Vollendung des im Glauben anhebenden und darin noch sich selbst verborgenen Wissens.“²⁸⁹ Zwischen Glauben und Wissen besteht für Marheineke demnach eine Nichtidentität der Form bei Identität des Inhalts. Der höheren Würde (‚Dignität‘) des Wissens im Vergleich zum Glauben hinsichtlich der Form korrespondiert die höhere Würde des Glaubens im Vergleich zum Wissen hinsichtlich des Inhalts, da dieser, obgleich für beide identisch, dem Wissen durch den Glauben vorgegeben ist.²⁹⁰ In diesem Zusammenhang heißt es nun in § 86 der Einleitung zu den Grundlehren: „In seiner Unschuld und Heiligkeit, in dem unmittelbaren Bewußtseyn der Wahrheit oder dem Inhalte nach hat also wohl der Glaube den Vorzug vor dem Wissen und der Wissenschaft, und der Uebergang in die Wissenschaft ist als Fall desselben anzusehn: so fern dieser aber ein nothwendiger ist, und der Glaube in seiner kindlichen Unschuld nicht beharren kann, oder der Form nach, hat das Wissen und die Wissenschaft eine höhere Dignität, wie überhaupt der Befreite und Erlösete höher steht, als der noch nicht Gefallene.“²⁹¹
Sind Glauben und Wissen für Marheineke aber „in ihrer Dignität wechselseitig ausgeglichen“²⁹², kann der von ihm unter Verweis auf die Nichtidentität der Form bei Identität des Inhalts als notwendig begründete Übergang vom Glauben zum
Ibid., S. 40 (§ 71). Vgl. S. 39 f. (§ 70), S. 41 (§ 73) und S. 48 (§ 85). Ibid., S. 40 (§ 70). Ibid., S. 41 (§ 73). Vgl. hierzu Stübinger, Die Theologie Carl Daubs, S. 135 f. Marheineke, Grundlehren, S. 49 (§ 86). Stübinger, Die Theologie Carl Daubs, S. 135, der jedoch den Beginn der von mir soeben zitierten Stelle aus § 86 der Grundlehren fehlerhaft zitiert; vgl. ferner S. 137 und S. 269 (Anm. 241).
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Wissen weder als Aufhebung im hegelschen Sinne²⁹³ noch, wie bei Carl Daub (1765 – 1836) als dem anderen hervorragenden Vertreter des theologischen Rechtshegelianismus neben Marheineke der Fall, als Überführung in eine zwar nicht qualitativ andere, jedoch „prinzipiell höhere Stufe“²⁹⁴ verstanden werden. Indem die dogmatische Wissenschaft der ihr durch den Glauben vorgegebenen ewigen Wahrheit „nachdenk[t] und denkend sich auf sie ein[lässt]“²⁹⁵, hebt sie diese Selbstoffenbarung Gottes „zwar in ihr Wissen auf, aber dieser Aufhebung fehlt das Moment der Negation; Aufheben vollzieht sich nur als ein positiv bewahrendes Höherheben.“²⁹⁶ Hinsichtlich der Konstitution des Glaubensinhaltes selbst ist das Wissen also nicht produktiv, sondern rezeptiv, da es „nur darauf
Zumindest unter Zugrundelegung der Deutung der hegelschen ‚Aufhebung‘ von Falk Wagner, „Die Aufhebung der religiösen Vorstellung in den philosophischen Begriff“, Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 18, 1976, S. 44– 73. Vgl. dagegen Karl Löwith, „Hegels Aufhebung der christlichen Religion“, in Heidelberger HegelTage 1962. Vorträge und Dokumente, hg. von Hans-Georg Gadamer, Bonn 1964 (Hegel-Studien, Beiheft 1), S. 193 – 236; ferner Jan Rohls, „Die Aufhebung der religiösen Vorstellung in den philosophischen Begriff. Hegels These und die Theologie der Junghegelianer“, in Kritik der Religion. Zur Aktualität einer unerledigten philosophischen und theologischen Aufgabe, hg. von Ingolf Dalferth und Hans-Peter Großhans, Tübingen 2006 (Religion in Philosophy and Theology, Bd. 23), S. 17– 51, hier besonders S. 18 – 28. Stübinger, Die Theologie Carl Daubs, S. 135 (meine Hervorhebung). Marheineke, Grundlehren, S. 18 (§ 32) (meine Hervorhebung); vgl. ferner S. 14 f. (§§ 24– 25) und S. 69 f. (§ 117). Falk Wagner, „Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Ph. Marheineke. Repristination eines vorkritischen Theismus“, Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 10, 1968, S. 44– 88, hier S. 55, wo Wagner fortfährt: „Der vorausgesetzte Inhalt der christlichen Religion erfährt in seiner spekulativen Darstellung nur eine Reinigung und Läuterung, nicht aber eine Entgegenständlichung; Läuterung und Reinigung vollziehen sich nicht im Durchgang durch die Negation, sondern nur als Sichtbarmachung dessen, was in der Religion selbst schon, wenn auch noch verworren, vorhanden ist.“ Zum Vergleich der Positionen Marheinekes und Daubs vgl. Stübinger, Die Theologie Carl Daubs, S. 118 – 129 und S. 134– 137, der Marheinekes Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen als „bloß äußerliche Synthese“ (S. 136) bezeichnet, da ihr der für das spekulativ-dialektische Denken charakteristische Durchgang durch die Negation fehle. Bei Daub dagegen sei das Moment der Negation insofern prinzipiell vorhanden, als die bestimmte Negation „zum integralen Bestandteil des zu Negierenden selbst“ (gemacht) werde: „der Glaube selbst soll seine defiziente Form negieren und sich so in das höherstehende Wissen überführen können“ (ibid.). Diese Selbstüberführung des Glaubens ins Wissen versteht Stübinger an anderer Stelle dabei – analog zu Wagners Verständnis von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion – als Ausdruck eines „bildungspraktischen Interesses“ (ibid., S. 127), das in positiver Anknüpfung an das religiöse Bewusstsein diesem „die Leiter“ reiche, „damit es sich zur gedanklichen Aneignung der Religion erheben kann“ (so Falk Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986, S. 84).
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ausgehen [kann], den Glauben in sich aufzuheben, aber so hat es den Glauben in sich.“²⁹⁷ Bei genauerer Betrachtung von Marheinekes Argumentation in der Einleitung zu den Grundlehren ²⁹⁸ wird man daher kaum behaupten können, das von Marheineke ‚Glaube‘ Genannte sei, um mit Kierkegaards Worten in Papir 92 zu sprechen, im Grunde nur ‚das erste Unmittelbare, die Bedingung für alles‘²⁹⁹ – zumal wenn man annimmt, dass Kierkegaard mit ‚dem ersten Unmittelbaren‘ auf das unbestimmte Unmittelbare am Anfang der Logik anspielt. Auch die Kritik in der Einleitung zu Der Begriff Angst, dass in der Dogmatik ‚Glaube‘ ohne nähere Bestimmung ‚das Unmittelbare‘ genannt werde und die Dogmatik daher unberechtigterweise so beginne, als wäre sie die Logik, passt demnach überhaupt nicht auf Marheinekes Dogmatik.³⁰⁰ Angesichts der Tatsache, dass Kierkegaard in der in Kapitel 1.6 zu untersuchenden Aufzeichnung Papir 81:1 von der Jahreswende 1836/ 37 den Glauben gerade als ‚apriorische Sicherheit‘ bestimmt hat, läge es näher,
Marheineke, Grundlehren, S. 38 (§ 67); vgl. ibid., S. 40 (§ 70) sowie wiederum Stübinger, Die Theologie Carl Daubs, S. 135 f. Dies gilt auch für Marheinekes Argumentation in den drei Hauptteilen der Grundlehren, vgl. nämlich allenfalls S. 210 (§ 352), S. 211 (§ 353), S. 213 (§ 356) sowie die Aussage im kurzen dogmengeschichtlichen Abriss der Gotteslehre in § 226, dass es am „Anfang des vierten Jahrhunderts, da die Wahrheit aus der Ruhe des Glaubens in den Unfrieden des Streits getreten, und die Unmittelbarkeit des wahren Glaubens zur Reflexion gekommen war“ (S. 133 f.), darauf angekommen sei, zu bestimmen, ob die Kirche sich der sabellianischen oder der arianischen Lehre anschließen solle. Thulstrups Argumentation ist in diesem Punkt weder überzeugend oder zwingend. Sie lautet in Gänze: „Kierkegaard behauptet [scil. in Pap. I A 273 (Papir 92)], daß ‚die hegelschen Dogmatiker‘ mit Glauben nichts anderes meinen als ‚die erste unmittelbare Bedingung [sic!] für alles – das lebendig [sic!] Fluidum – die Athmosphäre [sic!], die wir im geistigen Sinne einatmen.‘ / Was sagt nun Marheineke vom Glauben? / In der Einleitung zu seiner Dogmatik definiert Marheineke die Theologie als ein System von Erkenntnissen, die aus der Religion hervorwachsen. Die Religion verhält sich zur Theologie wie das Leben zu seinem Begriff (§ 6). Das Wesen der Religion ist nicht nur Glaube und Wissen, sondern auch Leben und Handeln (§ 8). Der Glaube ist die Voraussetzung der Theologie, die das Wissen herstellt, und die Theologie ist notwendig zur Rechtfertigung des Glaubens, damit der Glaube von Aberglauben und Unglauben unterschieden werden kann (§ 11). Wesentlich mehr hat Marheineke vom Glauben nicht zu sagen und Kierkegaards Charakteristik muß treffend genannt werden“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 75). Vgl. SKS 4, 318 / BA, 7. Auf Marheineke als Adressaten der Kritik Kierkegaards an dieser Stelle verweisen gleichwohl z. B. der Kommentar zu SKS 4, 318,10 in SKS K4, 351 und Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 388.
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anzunehmen, dass er die von Marheineke glaubensimmanent³⁰¹ sowohl mit der formalen Defizienz des Glaubens als auch mit dessen Bedürfnis nach Sicherheit begründete Notwendigkeit des Übergangs vom Glauben zum Wissen kritisiert hätte. Jedoch finden sich in Kierkegaards Exzerpten aus der Einleitung zu den Grundlehren keinerlei persönliche Bemerkungen, welche diese Annahme bestätigen (oder widerlegen) können.³⁰² Es bleibt daher festzuhalten, dass Kierkegaards Kritik in Papir 92 Marheinekes Argumentation nicht gerecht wird und Kierkegaard, sollte er tatsächlich Marheineke im Blick gehabt haben, ihn missverstanden hätte. Auch wenn ein Missverständnis oder eine Fehlinterpretation seitens Kierkegaards nicht ausgeschlossen werden kann, stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob Kierkegaard zu dieser Kritik am Glaubensverständnis der ‚hegelschen Dogmatiker‘ nicht etwas oder jemand anderes veranlasst haben könnte. Kierkegaards Journale und Aufzeichnungen bis Ende 1836 als der von Pap. angenommenen Entstehungszeit von Pap. I A 273 (Papir 92) bieten dafür allerdings keinen Anhaltspunkt.³⁰³
Vgl. abgesehen von den bereits angeführten Stellen aus S. 38 – 42 (§§ 67– 74) von Marheinekes Grundlehren z. B. S. 39 (§ 68): „Es giebt einen Uebergang vom Glauben zum Wissen, und der Glaube hat diese Bewegung in ihm selbst und ist nur so der wahre“ (meine Hervorhebung). Dass Papir 92 einerseits, die Exzerpte aus Marheinekes Grundlehren in Papir 19 und Papir 250 andererseits nicht zusammenpassen, legt auch ein im wahrsten Sinne des Wortes ‚äußerlicher‘ Umstand nahe. Während Papir 19 und Papir 250 jeweils auf gelblichem, geripptem Schreibpapier notiert sind (vgl. oben Anm. 269), befindet sich Papir 92 auf einem losen Zettel grünlichen, gerippten Schreibpapiers (vgl. oben Anm. 191) – einem unter Kierkegaards losen Papieren nur sehr vereinzelt anzutreffenden Papiertyp, auf dem z. B. auch das Exzerpt aus Baaders Vorlesungen über speculative Dogmatik in SKS 27, 64, Papir 20 (B-fort. 459.[16]; KA, C pk. 1 læg 5) festgehalten ist. Gewiss lassen sich aus diesem äußerlichen Umstand keine Schlüsse inhaltlicher Art ziehen, doch könnte darin – nämlich dann, wenn es sich anders verhielte und derselbe, selten anzutreffende Papiertyp vorläge – ein erstes Indiz für einen (sachlich dann freilich erst noch zu begründenden) Zusammenhang zwischen den Exzerpten aus Marheinekes Dogmatik und der Aufzeichnung Papir 92 gesehen werden (vgl. jedoch Anm. 303). Dies gilt auch für Baaders Vorlesungen über speculative Dogmatik, mit denen sich der junge Kierkegaard – wie z. B. SKS 28, 528, Papir 592 zeigt (vgl. Kap. 2, Anm. 9) – durchaus auch schon vor Ende 1836 eingehender beschäftigt haben kann. Was dagegen die von Henrik Nicolai Clausen und Matthias Hagen Hohlenberg seit 1833 herausgegebene Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur betrifft, die Kierkegaard seit 1833 subskribiert hatte (vgl. ktl. U 29), kann ihm von den Artikeln der bis zum Jahresende 1836 erschienenen Band(teile) allein die auszugsweise Übersetzung von Julius Müllers kritischer Rezension von Göschels Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen (1829) theologisch-spekulatives Denken bekannt gemacht haben, vgl. Julius Müller, „Bemærkninger angaaende den Hegelske Philosophies Forhold til den christelige Tro“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur, Bd. 2, 1834, S. 85 – 106 [= Julius Müller, „C.F. Göschel‘s neuere Schriften“, Theologische Studien und Kritiken, Bd. 6, 1833, S. 1069 – 1104]. Tat-
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Setzt man aber die von SKS angegebene Datierung von Papir 92 auf Wintersemester 1837/38 voraus, ändert dies zwar nichts an der Beurteilung von Kierkegaards Kritik im Hinblick auf Marheineke, doch wird dadurch der Kreis möglicher Adressaten dieser Kritik beträchtlich erweitert und es wird deutlich werden, dass Kierkegaards Kritik durchaus als treffend zu bezeichnen ist, weil ihre eigentlichen Adressaten nicht in Deutschland, sondern in Kopenhagen zu finden sind. Dies nachzuweisen, ist die Aufgabe des Kapitels 2.3, in dem die Untersuchung von Papir 92 unter Voraussetzung der Datierung dieser Aufzeichnung auf frühestens Juni 1837 fortgesetzt wird.
1.6 Der apriorische Charakter des Glaubens (Papir 81:1) Auf einen losen Zettel gelblichen Schreibpapiers hat Kierkegaard um die Jahreswende 1836/37 folgende, in SKS als Papir 81:1 registrierte Aufzeichnung notiert: „Ebenso wie es eine apriorische Sicherheit gibt, im Vergleich zu der jedes empirische Faktum ein verschwindendes ist, so ist der Glaube (nach dem protestantischen Lehrbegriff) die apriorische Sicherheit, vor welcher alle Empirie des Tuns verschwindet. – Merkwürdig ist jedoch in dieser Hinsicht, dass es die Katholiken sind, die lehren, dass einer den Glauben haben kann, obschon er in Todsünde ist, wohingegen die Protestanten dies verneinen. (cfr. die Apologie der augsburgischen Konfession).“³⁰⁴
Diese Aufzeichnung ist die erste von insgesamt drei Aufzeichnungen, in denen Kierkegaard den Begriff des ‚Apriorischen‘ zur Charakterisierung des Glaubens herangezogen hat.³⁰⁵ An diesem „apriorische[n] Charakter des Glaubens“³⁰⁶ hat
sächlich finden sich in dieser Rezension einige Bemerkungen, die in diesem Zusammenhang Beachtung verdienten (vgl. vor allem Müller, „Bemærkninger“, S. 96 und S. 100 f. [„C.F. Göschel‘s neuere Schriften“, S. 1083 und S. 1094 f.]), jedoch gibt es in Kierkegaards Nachlass keinerlei Hinweis darauf, dass er diese Rezension (jemals) gelesen hat. SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50 (B-fort. [433d].1; KA, A pk. 1[II]; meine Übers.). Die Relativkonstruktion „die apriorische Sicherheit, vor welcher alle Empirie des Tuns verschwindet“ [den aprioriske Sikkerhed for hvilken al Gjerningens Empirie forsvinder] (SKS 27, 109,17– 18) kann auch übersetzt werden mit: „die apriorische Sicherheit, für die alle Empirie des Tuns [oder: des Handelns (Gerdes in T 1, 50: der Werke)] verschwindet“. Die unterhalb von Papir 81:1 auf diesem Zettel notierte Aufzeichnung SKS 27, 109, Papir 81:2 / ES, 186 (Anm. 133) datiert auf den 5. Januar 1837. Abgesehen von Papir 81:1 sind dies SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213 (siehe Kap. 2.4.3) und SKS 19, 185, Not5:20 / DSKE 3, 195 (siehe Kap. 3.3.2.3); vgl. außerdem – jedoch ohne Verwendung des Begriffs des ‚Apriorischen‘ – SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228 (siehe Kap. 2.5.2). SKS 19, 185, Not5:20 / DSKE 3, 195 (meine Hervorhebung).
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Kierkegaard, wie Ringleben betont, „zeitlebens festgehalten“³⁰⁷, wenngleich bemerkt werden muss, dass der junge wie der spätere Kierkegaard sich hierzu verschiedener Begriffe und Motive bedient hat, was beispielsweise an der Rede vom Glauben als archimedischem „Punkt außerhalb der Welt“³⁰⁸ oder als die Welt überwindendem „Sieg“³⁰⁹ deutlich wird, und nach 1840 an die Stelle des Begriffs des ‚Apriorischen‘ zur Charakterisierung des Glaubens vor allem der Terminus ‚Unmittelbarkeit‘ getreten ist.³¹⁰ Was nun die Bestimmung des Glaubens als ‚apriorischer Sicherheit‘ im ersten Teil der Aufzeichnung Papir 81:1 betrifft, verdeutlicht der in Klammern gesetzte Zusatz „nach dem protestantischen Lehrbegriff“, dass Kierkegaard ein solches Verständnis als das traditionelle protestantische betrachtet, „die wirkliche subjektive Aneignung“ dieses Verständnisses, wie Reuter bemerkt, durch Kierkegaard selbst aber offenbar „noch nicht vollzogen ist“³¹¹. Der Kommentar von SKS verweist in diesem Zusammenhang auf die Aussagen über den Glauben im vierten („Von der Rechtfertigung“), sechsten („Vom neuen Gehorsam“) und zwanzigsten Artikel („Vom Glauben und guten Werken“) der Confessio Augustana.³¹² Es ist aber ebenso möglich und vielleicht wahrscheinlicher, dass im Hintergrund von Kierkegaards Bestimmung des Glaubens als ‚apriorischer Sicherheit‘ die Lektüre einer anderen Stelle der Bekenntnisschriften gestanden hat – und zwar derjenigen Stelle aus der Apologie der Confessio Augustana, auf die Kierkegaard ohne nähere Angabe im zweiten Teil von Papir 81:1 verweist. Die Bemerkung über die katholisch-protestantische Differenz in der Frage, ob mit dem Glauben Todsünden zusammenbestehen können, was aus protestantischer Sicht verneint werden muss, wenn Todsünde als diejenige definiert wird, die den völligen Verlust des Glaubens nach sich zieht, bezieht sich deutlich auf § 48 zu
Joachim Ringleben, Aneignung. Die spekulative Theologie Søren Kierkegaards, Berlin und New York 1983 (Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 40), S. 429; vgl. auch die auf S. 430 angeführten Beispiele für „Kierkegaards Behauptung des Erfahrung transzendierenden und dadurch wesentlich organisierenden Charakters des Glaubens“ (ibid.). Vgl. z. B. SKS 23, 136, NB16:60; vgl. bereits SKS 19, 200, Not6:24 / DSKE 3, 214. Vgl. z. B. SKS 20, 76 f., NB:94 / DSKE 4, 84; siehe Kap. 3.3.2.3. Ab der zweiten Hälfte der 1840er Jahre sollte es bei Kierkegaards Charakterisierung des Glaubens erneut zu einem (allmählichen) Wandel in der Begrifflichkeit kommen, und zwar vom Terminus ‚Unmittelbarkeit‘ hin zu dem der ‚Ursprünglichkeit‘ [Oprindelighed], vgl. (als m.W. frühestem Beleg dafür) SKS 9, 34 / LT, 32 bzw. SKS 9, 36 / LT, 34. Vgl. auch Kap. 3, Anm. 270. Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken, S. 24. In der Journalaufzeichnung DD:79 vom 6. November 1837 sollte sich Kierkegaard dann auch selbst einem solchen Verständnis des Glaubens zugeneigt zeigen, siehe Kap. 2.4.3. Vgl. BSLK, S. 56, S. 60, S. 75 – 81 zusammen mit dem Kommentar zu SKS 27, 109,16 in SKS K27, 233.
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Beginn des mit „Quid sit fides iustificans“³¹³ überschriebenen Abschnitts im vierten Artikel der Apologie. Im lateinischen Text der Apologie, der (auch) an dieser Stelle gegenüber der paraphrasierenden deutschen Übersetzung durch Justus Jonas deutlich kürzer ist, lautet dieser Paragraph folgendermaßen: „Adversarii tantum fingunt fidem esse notitiam historiae, ideoque docent eam cum peccato mortali posse existere. Nihil igitur loquuntur de fide, qua Paulus toties dicit homines iustificari, quia, qui reputantur iusti coram Deo, non versantur in peccato mortali. Sed illa fides, quae iustificat, non est tantum notitia historiae, sed est assentiri promissioni Dei, in qua gratis propter Christum offertur remissio peccatorum et iustificatio. Et ne quis suspicetur tantum notitiam esse, addemus amplius: est velle et accipere oblatam promissionem remissionis peccatorum et iustificationis.“³¹⁴
Bezugspunkt von Kierkegaards Bemerkung über die umstrittene Frage der Vereinbarkeit von Glaube und Todsünde im zweiten Teil von Papir 81:1 sind also offenbar die Aussagen zu Beginn dieses Paragraphen der Apologie. Wie aber verhält es sich mit Kierkegaards Bestimmung des Glaubens ‚nach dem protestantischen Lehrbegriff‘ als ‚apriorischer Sicherheit‘ im ersten Teil von Papir 81:1? Angesichts der im lateinischen Text anschließend erfolgenden Bestimmung des BSLK, S. 169,32– 170,2 (§ 48); vgl. ferner (jeweils im lateinischen Text) BSLK, S. 167,9 – 44 (§§ 36 – 38), besonders S. 167,21– 25 (§ 37), BSLK, S. 173,9 – 13 (§ 64; hierauf verweist Gerdes in T 1, 363 f. (Anm. 104)) sowie BSLK, S. 182,54– 183,11 (§§ 109 – 110), besonders S. 183,1– 3 (§ 109). BSLK, S. 169,33 – 170,2 (§ 48; meine Hervorhebungen). Vgl. hierzu die sich in Kierkegaards Bibliothek befindende lateinische Ausgabe Libri symbolici ecclesiae evangelicae sive Concordia, hg. von Karl August Hase, 2. Aufl., Leipzig 1837 [1827] (ktl. 624), S. 68 f. Die längere deutsche Übersetzung dieses Paragraphen von Jonas lautet dagegen: „Die Widersacher wöllen wähnen, der Glaub sei dieses, daß ich wisse oder gehört habe die Historien von Christo; darum lehren sie, ich könne wohl gläuben, ob ich gleich in Todsunden sei. Darum von dem rechten christlichem Glauben, davon Paulus an allen Orten so oft redet, daß wir durch den Glauben fur Gott fromm werden, da wissen oder reden sie gar nichts von. Denn welche vor Gott heilig und gerecht geacht werden, die sind je nicht in Todsunden. Darum der Glaube, welcher fur Gott fromm und gerecht macht, ist nicht allein dieses, daß ich wisse die Historien, wie Christus geboren, gelitten &c. (das wissen die Teufel auch), sondern ist die Gewißheit oder das gewisse, starke Vertrauen im Herzen, da ich mit ganzem Herzen die Zusag Gottes für gewiß und wahr halte, durch welche mir angeboten wird ohne mein Verdienst Vergebung der Sunde, Gnade und alles Heil durch den Mittler Christum. Und damit daß niemands wähne, es sei allein ein bloß Wissen der Historien, so setze ich das dazu, der Glaub ist, daß sich mein ganz Herz desselbigen Schatzes annimmt, und ist nicht mein Tun, nicht mein Schenken noch Geben, nicht mein Werk oder Bereiten, sondern daß ein Herz sich des tröstet und ganz darauf verlässet, daß Gott uns schenkt, uns gibt, und wir ihme nicht, daß er uns mit allem Schatz der Gnaden in Christo überschüttet“, BSLK, S. 169,33 – 170,11). Dagegen verweist der Kommentar zu SKS 27, 109,19 in SKS K27, 233 f. in diesem Zusammenhang auf einen Abschnitt im zweiten Artikel der Apologie in Rudelbachs Übersetzung (siehe Anm. 315), S. 126 – 128 (BSLK, S. 148 – 150).
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rechtfertigenden Glaubens als einer willentlichen Zustimmung zu und Annahme der von Gott ‚gratis propter Christum‘ verheißenen Sündenvergebung und Rechtfertigung (im Gegensatz zur Bestimmung des Glaubens als bloßer ‚notitia historiae‘) kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Lektüre dieses Paragraphen im lateinischen Text der Apologie im Hintergrund dieser Bestimmung des Glaubens gestanden hat, wirklich überzeugend wäre diese Annahme aber nicht. Anders verhält es sich jedoch, wenn man berücksichtigt, dass Kierkegaard hier die Apologie der Confessio Augustana in der von ihm verschiedentlich herangezogenen dänischen Übersetzung von Rudelbach (1825)³¹⁵ vorgelegen hat. Wie aus dem unpaginierten Vorwort Rudelbachs hervorgeht, handelt es sich bei seiner Übersetzung der Apologie um eine Übersetzung von „Melanchthons lateinischem Original, obgleich hier und dort die deutsche Übersetzung von Justus Jonas berücksichtigt worden ist.“³¹⁶ Tatsächlich wird in Rudelbachs Übersetzung der Apologie auch die Bestimmung des Glaubens als „assentiri promissioni Dei“ und als „velle et accipere oblatam promissionem remissionis peccatorum et iustificationis“ im lateinischen Text von § 48 unter Einbeziehung der paraphrasierenden deutschen Übersetzung von Jonas wiedergegeben und dieser Paragraph folgendermaßen übersetzt: „Unsere Widersacher bilden sich ein, der Glaube sei nur etwas,was man wisse, oder dass man die Historien von Christo gehört habe und annehme, und darum lehren sie, einer könne wohl glauben, obwohl er in Todsünden sei. Also sagen sie nichts über den rechten wahren Glauben, von dem St. Paul so oft sagt, dass wir durch ihn gerechtfertigt werden; denn die vor Gott gerecht geachtet werden, können ja nicht in Todsünden sein. Denn der Glaube, der gerecht macht, ist nicht allein ein geschichtliches Wissen, dass ich wisse und glaube, wie Christus geboren ist, gelitten hat usw.; sondern er ist eine Gewissheit oder ein festes Vertrauen im Herzen zu Gottes gnädiger Zusage und Verheißungen, durch welche mir angeboten werden ohne mein Verdienst Vergebung der Sünden und Rechtfertigung durch Christum. Und dass niemand meine, er sei ein nur geschichtliches Wissen und geschichtlicher Begriff, so setzen wir noch dazu: der Glaube ist, dass ich mit meinem ganzen Willen, von meinem ganzen Herzen Gottes Verheißungen und den Schatz seiner Gnade, die Vergebung der Sünden und die Rechtfertigung, auffasse und mir aneigne.“³¹⁷
Den rette uforandrede Augsburgske Troesbekjendelse med sammes, af Ph. Melanchthon forfattede, Apologie, übers. und hg. von Andreas Gottlob Rudelbach, Kopenhagen 1825 (ktl. 386). Auf Rudelbachs Übersetzung der Confessio Augustana bezieht sich der junge Kierkegaard vermutlich auch in der Journalaufzeichnung SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228 vom 23. August 1838, vgl. Kap. 2, Anm. 427. Den rette uforandrede Augsburgske Troesbekjendelse, S. [III]; vgl. S. 115. Ibid., S. 154 f. (der von mir kursivierte Teil entspricht den Bestimmungen des Glaubens als „assentiri promissioni Dei“ und als „velle et accipere oblatam promissionem remissionis peccatorum et iustificationis“ im lateinischen Text von § 48 der Apologie).
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Angesichts dieser Bestimmung des rechtfertigenden Glaubens (im Gegensatz zur fides historica) unter anderem als sichere Gewissheit der und festes Vertrauen auf die dem Menschen von Gott durch Christus angebotene Vergebung der Sünden und Rechtfertigung ist es demnach gut denkbar, dass im Hintergrund von Kierkegaards Bestimmung des Glaubens ‚nach dem protestantischen Lehrbegriff‘ als ‚apriorischer Sicherheit‘, vor der ‚alle Empirie des Tuns verschwindet‘, die Lektüre dieses Paragraphen der Apologie in Rudelbachs Übersetzung gestanden hat, die ihn auch zur Bemerkung über die umstrittene Frage der Vereinbarkeit von Glaube und Todsünde im zweiten Teil von Papir 81:1 veranlasst hat. Was nun den von Kierkegaard verwendeten Ausdruck ‚apriorische Sicherheit‘ selbst betrifft, wird aus dem Zusammenhang deutlich, dass ‚apriorisch‘ an dieser Stelle offenbar nicht ‚(rein) aus der Vernunft gewonnen‘ oder ‚aus Vernunftgründen erschlossen‘ (und deshalb denknotwendig und allgemeingültig)³¹⁸ bedeutet, sondern ‚nicht durch Erfahrung bedingt‘, mithin ‚unabhängig von der Erfahrung (gültig)‘³¹⁹. Auch wenn Kierkegaard nichts darüber sagt, wie diese erfahrungsunabhängige Sicherheit zustande kommt oder erlangt werden kann, und diese Bestimmung des Glaubens überhaupt abstrakt bleibt, wird zudem deutlich, dass es ihm um die Entgegensetzung von Glaubens-Apriori und Lebenserfahrung geht. Eine wie immer geartete konstruktive Beziehung zwischen Apriorität und Empirie wird von ihm zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht erwogen.³²⁰ Interessant ist schließlich der Vergleich der Aufzeichnung Papir 81:1 einerseits mit der bereits in Kapitel 1.5 untersuchten Aufzeichnung Papir 92 (sei es, dass diese Aufzeichnung auf November 1836 zu datieren ist, oder sei es, dass sie erst später, womöglich im Wintersemester 1837/38 entstanden ist), in der Kierkegaard deutlich macht, dass der Glaube nicht als etwas dem ‚ersten Unmittelbaren‘ Entspre-
Diese Bedeutung von ‚apriorisch‘ wird deutlich z. B. bei Kierkegaards Anspielung auf Kants Versuch einer transzendentalen Deduktion der Kategorien als reiner Verstandesbegriffe in der Journalaufzeichnung DD:176 (SKS 17, 270 / DSKE 1, 240) vom 2. Dezember 1838. Vgl. jedoch die am selben Tag entstandene Journalaufzeichnung DD:177 (siehe folgende Anm.). Zu dieser Verwendung von ‚apriorisch‘ vornehmlich im Sinne von ‚erfahrungsunabhängig‘ in Kierkegaards Werk bis 1841 vgl. (abgesehen von den in Kap. 3, Anm. 270 angegebenen Stellen) SKS 1, 22 / LP, 51; SKS 17, 271, DD:177 / DSKE 1, 241; SKS 27, 87, Papir 41; SKS 27, 160, Papir 210:2 / T 1, 51; SKS 27, 236, Papir 264:9 / T 1, 230 sowie, was das Substantiv ‚Apriorität‘ betrifft, SKS 1, 292 / BI, 258 und SKS 1, 357 / BI, 334. Vgl. ferner den entsprechenden Eintrag in dem sich in Kierkegaards eigener Bibliothek befindlichen Fremdwörterbuch von Ludvig Meyer, Fremmedordbog eller Kortfattet Lexikon over fremmede, i det danske Skrift- og Omgangs-Sprog forekommende Ord, Kunstudtryk og Talemaader, tilligemed de i danske Skrifter meest brugelige fremmede Ordforkortelser, 3. Aufl., hg. von Frederik Peter Jacob Dahl, Kopenhagen 1853 (ktl. 1035), S. 647 f. (s.v. „Prior“). Siehe Kap. 2.5.2.
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chendes zu verstehen ist, andererseits mit der von ihm am 12. Juni 1836 in Jostys Pavillon, einem Konditor im Frederiksberger Park, auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 150, in der es heißt, dass das Christentum „eigentlich das Bewusstsein von dem mittelbaren Verhältnis“ sei, in das der Mensch zum Göttlichen stets treten müsse. Daher erfolge zum Beispiel auch das Beten „im Namen Christi“, was nichts anderes besage als „so zu beten, wie es das Bewusstsein mit sich führt, dass wir jeder ein Glied in einer Entwicklung eines Geschlechtes sind, nur als ein solches nämlich kann sich der Mensch zu Gott verhalten, ob er nun handelt oder betet“³²¹. Hirsch sieht in diesen drei Aufzeichnungen „zwei widersprechende Bestimmungen über den Glauben vereint“: dass der Glaube zum einen „ein mittelbares, geschichtlich bedingtes Verhältnis zu Gott“ darstelle und nicht „mit dem unmittelbaren [Verhältnis]“ verwechselt werden dürfe, zum anderen aber „trotz dieser seiner Mittelbarkeit ganz die Art der apriorischen Unmittelbarkeit“³²² habe. In der Tat steht hier die Einsicht in die geschichtliche Bedingtheit des Gottesverhältnisses unvermittelt neben der Herausstellung gerade der Apriorität des Glaubens. Wenn Kierkegaard überdies in Papir 92 unterstreicht, dass der Glaube keinem (solchen) Unmittelbaren entspricht, dessen Unmittelbarkeitsstatus erst noch aufgehoben werden muss, während er ihn in Papir 81:1 als erfahrungsunabhän-
SKS 27, 138, Papir 150 / T 1, 49 (B-fort. [435cV.8]; KA, A pk. 1[II]; dt. Übers. modifiziert); vgl. hierzu den „in höchstem Maße irreführend[en] und tendenziös[en]“ (Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 132, Anm. 39) Kommentar von Gerdes in T 1, 363 (Anm. 101). Vgl. ferner SKS 27, 108, Papir 76 / T 1, 49 vom 6. Juni 1836 („Sollte man Mt 11,12 nicht auf die Mystiker hin erklären…, die ja glauben, sie stünden in einem unmittelbaren Verhältnis zu Gott, und also nicht anerkennen wollen, dass alle Menschen nur in einem mittelbaren stehen“) und SKS 27, 88, Papir 44 / T 1, 85 vom 11. Dezember 1836 („Wenn das Dialektische (das Romantische) weltgeschichtlich durchlebt ist (eine Periode, die ich gewiss auch sehr bezeichnend Individualitäts-Periode nennen könnte…), muss das soziale Leben wieder im höchsten Grade seine Rolle spielen, und Ideen wie der Staat (z. B. wie er bei den Griechen war; die Kirche in älterer katholischer Bedeutung) müssen notwendigerweise reicher und voller wiederkommen, das will heißen, mit all dem Inhalt, den die durchlebte Individualitäts-Verschiedenheit der Idee geben kann, dergestalt dass das Individuum als solches nichts zu bedeuten hat, aber alles als Glied in der Kette. Deshalb beginnt auch der Begriff Kirche sich stärker geltend zu machen, der Begriff eines festen, objektiven Glaubens usw.; ebenso ist auch die Neigung, Gesellschaften zu gründen, ein, obschon bisher dürftiger, Vorläufer dieser Entwicklung“). In der Journalaufzeichnung DD:27 vom 11. Juli 1837 stellt für Kierkegaard der Wunsch des „besorgte[n], unruhige[n] Individuum[s]“ nach einem „Mittler“ dagegen etwas dar, „das wir gerade als unprotestantisch erklären müssen“ (SKS 17, 229, DD:27 / DSKE 1, 193). Vgl. jedoch auch SKS 17, 275, DD:195 / DSKE 1, 246 vom 11. Januar 1839. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 486. Zum Verhältnis von Papir 150 und Papir 92 vgl. ferner Deuser, „Existenz-Mitteilung“, S. 204– 206 (Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, S. 216 – 218).
1.7 Ergebnis
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gige, weil prinzipielle ‚apriorische Sicherheit‘ bestimmt, so eignet dem Glauben doch trotz alledem eine Form von Unmittelbarkeit. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird daher nicht nur darauf zu achten sein, ob und wie die beiden von Hirsch angesprochenen gegensätzlichen, einander scheinbar widersprechenden Bestimmungen über den Glauben von Kierkegaard aufeinander bezogen werden, sondern darüber hinaus auch darauf, ob und wie er diese Unmittelbarkeit des Glaubens weiter präzisiert.
1.7 Ergebnis Die Untersuchung von Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen aus der Zeit vom Beginn des Studiums im Wintersemester 1830/31 bis zur Jahreswende 1836/37 hat gezeigt, dass Kierkegaard schon früh zu Einsichten über die Eigenart des christlichen Glaubens gelangt ist, die für die weitere Herausbildung seines Glaubensverständnisses von prägender Bedeutung sein sollten. Obwohl in Kierkegaards Aufzeichnungen aus dieser Zeit nur wenige explizite Aussagen (Kierkegaards) über den Glauben begegnen und seine Überlegungen oft skizzenhaften und teilweise vorläufigen Charakter haben, hat er bereits jetzt auf Aspekte und Probleme hingewiesen, die er später unter Rückgriff auf seine früheren Aufzeichnungen vor allem in den Climacus-Schriften zum Gegenstand eingehender Erörterung machen sollte. Im Rahmen seiner frühen exegetischen Beschäftigung hat Kierkegaard, veranlasst durch eine Bemerkung Grundtvigs in einer Predigt vom September 1833, zwischen einem ‚unmittelbaren‘ und einem ‚gesteigerten Glauben‘ unterschieden. Während ersterer im Sinne einer spontanen Reaktion auf ein dem Menschen widerfahrendes Geschehen zu verstehen ist, setzt letzterer das individuierende Moment der persönlichen Entscheidung voraus. Diese Akzentuierung des subjektiv-personalen Aspekts des Glaubens tritt auch in Kierkegaards frühen dogmatisch-theologischen Reflexionen zutage, die aus seinem Besuch von Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) und seiner intensiven Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre (1830/31) erwachsen sind. Die Zustimmung zur orthodoxen Deutung des Versöhnungswerkes Christi und die damit einhergehende Hervorhebung der Wirksamkeit Christi schließt für Kierkegaard das Zugegensein eines freiheitlich-voluntativen Momentes bei der individuellen Aneignung der Heilstat Christi durch den Einzelnen im Glauben keineswegs aus. Vielmehr versucht Kierkegaard göttliches Handeln und personale Teilhabe konstruktiv zu vermitteln, wobei er im Unterschied zur Position der Philosophischen Brocken (1844) den später lebenden Menschen hinsichtlich der wahrheitsgemäßen Auf-
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fassung von Jesus Christus durchaus einen Vorzug gegenüber den im nahen Verhältnis zu ihm stehenden Aposteln zugestehen kann. Mit der Distanzierung von grundlegenden Lehren der traditionellen wie von vorherrschenden Ansichten seiner zeitgenössischen Theologie einher geht der im Frühsommer 1835 vollzogene Bruch Kierkegaards mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘. Weder könne die (apostolische) Ursprünglichkeit des heute im Gebrauch befindlichen Apostolikums als gesichert gelten noch sei dieses den Anfragen der historischen Kritik entzogen und entziehbar. Durch die Erhebung des Apostolikums zum entscheidenden Bestimmungskriterium des Christlichen werde überdies die für den Glaubensvollzug des Einzelnen unabdingbare wesentliche Subjektivität auszuschließen versucht, die sich vorbildlich darin zeige, dass auch das Apostolikum als ‚objektivster‘ Ausdruck des Glaubens mit der subjektiven Aussage ‚Ich glaube‘ beginne. Die Bemerkungen des 22-jährigen Studenten Kierkegaard stehen somit in wesentlicher Übereinstimmung mit der ‚Subjektivitätstheorie‘ in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846), bei deren Ausarbeitung Kierkegaard auf die von ihm schon zehn Jahre zuvor niedergeschriebene Auseinandersetzung mit Grundtvig zurückgegriffen und einzelne Formulierungen bis in den Wortlaut hinein übernommen hat. Die frühe Phase der Orientierungslosigkeit und der Zweifel an der Überzeugungskraft des Christentums hat sich für Kierkegaards Glaubensverständnis in zweifacher Hinsicht als bedeutsam erwiesen. Zum einen ist Kierkegaard schon im Herbst 1835 und damit noch vor seiner Bekanntschaft mit der hegelschen Philosophie die für sein Denken grundlegende Überzeugung von der Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum zugewachsen, aus der auch seine Aversion gegen alle Versuche erwachsen ist, ausgehend von einer positiven Verhältnisbestimmung von Philosophie und Christentum zwischen den Sphären des Glaubens und der (spekulativen) Vernunft zu vermitteln. Zum anderen fällt in diese Phase der Beginn seiner intensiven Beschäftigung mit Hamann, dessen Hervorhebung sowohl der Unwahrscheinlichkeit der christlichen Glaubenswahrheiten als auch des Unvermögens der Vernunft, diese verstehen zu können, Kierkegaard so beeindruckt hat, dass er in den Philosophischen Brocken (1844) mehrere der von ihm auch bereits gut acht Jahre zuvor festgehaltenen Äußerungen des Magus in Norden dazu verwenden sollte, das Ärgernis-Nehmen des Verstandes am ‚absoluten Paradox‘ zu exemplifizieren. Die Aufzeichnung Papir 92 ist für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis von großer Bedeutung, hat Kierkegaard darin doch erstmals die von ihm später auch in vielen seiner pseudonymen Schriften vorgebrachte Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ formuliert. Wie noch zu zeigen sein wird, spielt Kierkegaard, wenn er in Papir 92 das von Schleiermacher ‚Religion‘ und von den ‚hegelschen Dogmatikern‘ ‚Glaube‘ Genannte mit ‚dem
1.7 Ergebnis
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ersten Unmittelbaren‘ gleichsetzt, auf das noch nicht in das Vermittelte übergegangene, unbestimmte Unmittelbare am Anfang der Logik an. Die verschiedentlich unter Voraussetzung der Datierung dieser Aufzeichnung auf Ende 1836 vertretene Annahme, Kierkegaard habe seine Kritik in Auseinandersetzung mit Marheinekes Grundlehren der christlichen Dogmatik (1827) entwickelt, lässt sich sachlich ebenso wenig rechtfertigen wie Kierkegaards womöglich auf einem Übersetzungsfehler beruhende Kritik an Schleiermachers Religionsverständnis. In Kapitel 2.3 wird die Untersuchung von Papir 92 unter Voraussetzung der Datierung dieser Aufzeichnung auf frühestens Juni 1837 fortzusetzen und die eigentlichen Adressaten von Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ zu ermitteln sein. In der abschließend in diesem Kapitel behandelten Aufzeichnung Papir 81:1 von der Jahreswende 1836/37 thematisiert Kierkegaard zum ersten Mal den apriorischen Charakter des Glaubens, an dem er unter Heranziehung verschiedener Begriffe und Motive bis ins Spätwerk festgehalten hat. Wenn Kierkegaard in dieser Aufzeichnung – vermutlich mit Rücksicht auf die Bestimmung des Glaubens im vierten Artikel der Apologie der Confessio Augustana – den Glauben ‚nach dem protestantischen Lehrbegriff‘ als erfahrungsunabhängige, weil prinzipielle ‚apriorische Sicherheit‘ bestimmt, so eignet dem Glauben für Kierkegaard also durchaus eine Form von Unmittelbarkeit, ohne dass deshalb, wie die Aufzeichnung Papir 92 zeigt, jede Form von Unmittelbarkeit Glaube wäre.
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Exkurs 1: Kierkegaard und der dänische Hegelianismus Die geistesgeschichtliche Entwicklung Dänemarks in der Zeit von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vollzog sich unter dem ständigen Einfluss des deutschen Geisteslebens. Pietismus, Aufklärung, Romantik und Idealismus bildeten auch in Dänemark den Hintergrund, auf dem sich die verschiedenen philosophisch-theologischen Standpunkte und Konzeptionen herausgebildet und weiterentwickelt haben. Auch die führenden Köpfe der dänischen Theologie und Philosophie in der nationalromantischen Epoche, dem ‚Goldenen Zeitalter‘ Dänemarks in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen in lebendiger Beziehung zum deutschen Geistesleben und haben insofern die dortige Entwicklung im eigenen Land widergespiegelt.¹ Dies zeigt sich auch am dänischen Hegelianismus, der, nachdem der Rationalismus in seiner „klassischen Ausformung“² seit Anfang der 1820er Jahre immer mehr an Anziehungskraft verloren und sich zu einer mehr positiv-biblisch be-
Es wäre jedoch übertrieben und in Missachtung der eigentümlichen Verhältnisse, unter denen sich die geistesgeschichtliche Entwicklung Dänemarks vollzogen hat, zu behaupten, dass Dänemark „in geistiger Beziehung…beinahe nur als eine Provinz Deutschlands“ (Folmer Elle Jensen, Rationalismen i Danmark. Et Blad af den danske Kirkes Historie, Kopenhagen 1926, S. 27) betrachtet werden könne. Gerade die dänische Kirchen- und Theologiegeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt eine Entwicklung, die trotz aller Beeinflussung durch das deutsche Geistesleben durchaus eigentümlich und eigenständig verlief. Zwar waren es hüben wie drüben, im Großen gesehen, dieselben Fragen und Probleme, die Kirche und Theologie zu lösen aufgegeben waren, doch hatten vor allem Persönlichkeiten wie Jakob Peter Mynster und Nikolai Frederik Severin Grundtvig unverkennbaren und auch, zumindest im Falle Grundtvigs, nachhaltigen Eindruck auf den eigentümlichen dänischen Weg einer Auseinandersetzung damit ausgeübt. Zur Geschichte der dänischen Kirche von Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. die beiden grundlegenden Abhandlungen von Ludvig Koch, Den danske Kirkes Historie i Aarene 1801 – 1817, Heft 1– 2, Kopenhagen 1879 – 80, und Den danske Kirkes Historie i Aarene 1817 – 1854, Kopenhagen 1883, sowie Hal Koch, Den danske Kirkes Historie, Bd. 6, Tiden 1800 – 1848, Kopenhagen 1954. Zu den Entwicklungen speziell an der Theologischen Fakultät der Universität Kopenhagen in dieser Zeit vgl. Knud Banning, „Det teologiske Fakultet 1732 – 1830“, in Københavns Universitet 1479 – 1979, Bd. 5, Det teologiske Fakultet, hg. von Leif Grane, Kopenhagen 1980, S. 213 – 323, hier S. 283 – 323, und Leif Grane, „Det teologiske Fakultet 1830 – 1925“, in ibid., S. 325 – 499, hier S. 325 – 381. Koch, Tiden 1800 – 1848, S. 11.
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gründeten Gestalt hin weiterentwickelt hatte³, seit 1837 eine kurze Blüte erleben durfte. Der junge Kierkegaard hat also diesen mitten in seine Studienzeit fallenden Aufstieg der hegelschen Philosophie im dänischen Geistesleben aus nächster Nähe miterlebt. Diese Phase der intensivierten Hegelrezeption in Dänemark und das Verhältnis des jungen Kierkegaard zum dänischen Hegelianismus und seinen Protagonisten sollen in diesem Exkurs skizziert werden.
Die dänische Theologie stand in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts deutlich im Zeichen des Rationalismus. Zum einen waren die dogmatischen Lehrbücher von Ove HøeghGuldberg (1731– 1808) und Christian Bastholm (1740 – 1819), die bis ins frühe 19. Jahrhundert eine herausragende Rolle spielten, von der rationalistischen Philosophie Christian Wolffs (1679 – 1754) und ihrer Anwendung auf die Theologie bei Peder Rosenstand-Goiske (1704– 69) tiefgreifend beeinflusst. Rosenstand-Goiske war der festen Überzeugung, dass es zwischen der gesunden Vernunft und den christlichen Lehren keinen Streit geben könne, da sich die Wahrheit des Christentums durch Vernunftschlüsse vollständig beweisen lasse. ‚Unbillige Freidenkerei‘ entstehe daher in dem Augenblick, in dem die Vernunft auf Abwege gerate, und wenn Menschen nicht gläubig seien, habe dies allein darin seinen Grund, dass sie ihre Vernunft nicht (recht) gebrauchten (vgl. Billige Frie-Tanker over ubillig Frie-Tænkeri, Kopenhagen 1753, S. 3 – 16 (Vorrede) und S. 47– 50 (§§ 58 – 64); zum Einfluss Rosenstand-Goiskes auf Høegh-Guldberg und Bastholm vgl. Høegh-Guldberg, En omvendt Fritænkers Levnets-Beskrivelse, Kopenhagen 1760, S. 156 f., sowie Bastholms Autobiographie (1806) in Portræter med Biographier af Danske, Norske og Holsteenere, hg. von Gerhard Ludvig Lahde, Heft 1– 6, Kopenhagen 1805 – 06; Heft 5, Christian Bastholm, Doctor og Kongelig Confessionarius, S. 9; ferner Michael Neiiendam, Christian Bastholm. Studier over Oplysningens Teologi og Kirke, Kopenhagen 1922, S. 100 – 104 und S. 146 – 152). Von der Dominanz des Rationalismus, der jedoch, wie zu betonen ist, weder bei Høegh-Guldberg noch bei Bastholm je die Radikalität des vorkantischen Rationalismus etwa eines Heinrich Philipp Konrad Henke (1752– 1809) erreicht hat, zeugt zum anderen aber auch, dass das sich von 1791 bis 1856 (und damit zu Kierkegaards Schulzeit an der Borgerdydskole von 1821 bis 1830) in Gebrauch befindliche Lærebog i den evangelisk-christelige Religion, indrettet til Brug i de danske Skoler, Kopenhagen 1791 (bis 1860 unverändert erschienen; vgl. ktl. 183, eine Ausgabe von 1824) des konservativen Schrifttheologen und Bischofs von Seeland, Nicolai Edinger Balle (1744– 1816), einen rationalistischen Einschlag zeigt (vgl. hierzu Jensen, Rationalismen i Danmark, S. 56 f.; Bjørn Kornerup, Den danske Kirkes Historie, Bd. 5, Oplysningstiden 1746 – 1799, Kopenhagen 1951, S. 437 f.; Koch, Tiden 1800 – 1848, S. 34 f.; ferner Christopher B. Barnett, „Nicolai Edinger Balle: The Reception of His Lærebog in Denmark and in Kierkegaard’s Authorship“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 23 – 39). Die Anpassung an den rationalistischen Zeitgeist wird sogar an dem von Balle maßgeblich gestalteten und sich von 1798 bis 1855 in Gebrauch befindlichen Evangelisk-kristelig Psalmebog, til Brug ved Kirke- og Huus-Andagt, Kopenhagen 1798 (vgl. ktl. 195 – 197) erkennbar, in dem zahlreiche ältere Lieder entsprechend umgedichtet worden sind (vgl. hierzu Jensen, Rationalismen i Danmark, S. 61– 66, und Kornerup, Oplysningstiden 1746 – 1799, S. 440 – 444; zu der ab 1840 einsetzenden Gesangbuchreform und der damit einhergehenden erbitterten Auseinandersetzung vgl. den Kommentar zu SKS 20, 290,1– 4 in SKS K20, 300 – 302). Anfang der 1820er Jahre gewannen schließlich neue, antirationalistische Strömungen und Tendenzen sowohl im allge-
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meinen Kulturleben wie auch innerhalb von Theologie und Kirche immer mehr an Einfluss. Gleichwohl kam es auf diese Weise zu keiner ‚Überwindung‘ des Rationalismus (so Kaj Baagø, Jacob Christian Lindberg. Studier over den grundtvigske bevægelses første kampe, Kopenhagen 1958, S. 41, demzufolge der Rationalismus an der Kopenhagener Universität gegen 1820 „überwunden“ war. Baagø beruft sich hierbei auf J. Møllers Aussage in Eusebia og Sophrosyne, eller Andagts- og Viisdoms-Bog for velforberedte Confirmander, Kopenhagen 1820, dass „diese böse Zeit nun bald vorbei zu sein scheint“ und „Christi Kirche…über den Unglauben gesiegt [hat] und aufs Neue in ihrem ursprünglichen Glanz und Herrlichkeit erstrahlt“ (S. 21); vgl. dagegen Koch, Den danske Kirkes Historie i Årene 1817 – 1854, S. 142, der J. Møller und P.E. Müller (vgl. unten) m. E. zutreffend als Repräsentanten der „Vermittlungstheologie“ charakterisiert, die sich „niemals richtig von den rationalistischen Voraussetzungen hatten losreisen können, obgleich sie selbst glaubten, über diese hinausgekommen zu sein“, sowie Koch, Tiden 1800 – 1848, S. 190 – 203, der pointiert formuliert: „Das, was man die Überwindung des Rationalismus zu nennen pflegt, hätte [auch] ohne Romantik, Mynster und Grundtvig stattgefunden, wenngleich das Ergebnis natürlich ein anderes Aussehen bekommen hätte“ (S. 191)). Der Rationalismus wurde weder durch die aufkommende Romantik noch durch den Grundtvigianismus oder die Erweckungsbewegung ‚überwunden‘, so sehr alle diese Strömungen, jeweils auf ihre Weise, zur Veränderung des geistigen Klimas mit beigetragen haben. Vielmehr hatte sich der Rationalismus, wie er in seicht-optimistischer Prägung etwa bei Bastholm oder aber stark kantisch-moralisch gefärbt wie bei Stiftspropst Henrik Georg Clausen (1759 – 1840) zum Ausbildung gekommen war, selbst überlebt. Dass die Theologische Fakultät in Kopenhagen von dieser Veränderung des geistigen Klimas nicht unbeeindruckt geblieben ist, zeigt sich an der denkerischen Entwicklung zweier ihrer maßgeblichen Repräsentanten. Zum einen Peter Erasmus Müller (1776 – 1834), der von 1801 bis 1830 fast ausschließlich Dogmatik lehrte und in seinen frühen Schriften Kristeligt Moralsystem (1808) und Kristelig Apologetik (1810) noch stark vom kantischen Rationalismus beeinflusst war, während sein Standpunkt (spätestens) in der Dogmatik (1826) der eines rationalen Supranaturalisten ist (vgl. z. B. Müllers Argumentation in System i den christelige Dogmatik til Brug ved academiske Forelæsninger, Kopenhagen 1826, S. 19 – 21 (§§ 22– 24), dass zwar zwischen geoffenbarter und natürlicher Religion insofern unterschieden werden könne, als erstere auf einem „allgemeingültigen Offenbarungsglauben“ basiere, während letztere sich dem Nachdenken verdanke; da beide aber auch auf Vernunft und Erfahrung gegründet sein müssten, könne die offenbarte Religion trotz ihres (supranaturalen) Mehrinhalts gegenüber den natürlichen Religionswahrheiten nichts diesen Widersprechendes enthalten; vgl. hierzu auch das Vorwort zur 2. Aufl. von Kristeligt Moralsystem (1827), S. V-VI.). Zum anderen der Alttestamentler und Kirchengeschichtler Jens Møller (1779 – 1833), der in seiner Autobiographie von 1832 resümiert, dass sein theologisches System in der Zeit seines Studiums (1797– 1800) noch „zwischen dem kantischen Rationalismus und dem döderleinschen Supranaturalismus schwankte“ („Professor, Dr. theol. Jens Møllers Optegnelser om sit Levned“, hg. von Holger Frederik Rørdam, in Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 4. Reihe, Bd. 4, Kopenhagen 1895 – 97, S. 246– 289, hier S. 256) und er die kantische Religionsphilosophie in vielen Punkten lange Zeit nicht hat widerlegen können. Zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Autobiographie hatte sich Møller jedoch vom kantischen Rationalismus distanziert und ebenfalls dem rationalen Supranaturalismus angenähert (vgl. ibid., S. 288: „Wie die Vernunft das Vermögen ist, mit dem wir zum Glauben kommen: so kann der christliche Offenbarungsglaube nur
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mit Hilfe der Vernunft verteidigt werden.“ Die Vernunft dürfe aber nicht wie im Rationalismus über die Offenbarung gestellt werden, da diese „ein Werk der göttlichen Vernunft“ sei, welche die menschliche „in ihrer Totalität und Klarheit“ notwendig übersteigen müsse; vgl. bereits Møllers programmatische Vorrede in Theologisk Bibliothek, Bd. 1– 20, hg. von dems., Kopenhagen 1811– 21 (ktl. 326 – 335); Bd. 1, 1811, S. V-X, hier vor allem S. VIII über das von jedem Theologen zu erstrebende Ziel „eine[r] klarere[n] und sicherere[n] Überzeugung von dem göttlichen Ursprung und der göttlichen Kraft des Christentums zur Seligmachung in dieser und jener Welt“, zusammen mit seiner kritischen Anmerkung zu Franz Volkmar Reinhards (1753 – 1812) Distanzierung von einer ‚Vernunftauslegung‘ der Bibel in dessen Geständnisse seine Predigten und seine Bildung zum Prediger betreffend in Briefen an einen Freund, Sulzbach 1810, S. 97, in Møllers Auszug daraus in Theologisk Bibliothek, Bd. 2, 1812, S. 232– 312, hier S. 275 f., die sein Festhalten an der rationalistischen Bibelexegese deutlich macht). Vor allem in der Zeit von 1815 bis 1825 haben sich viele Theologen und Geistliche eine ‚Vermittlungstheologie‘ zwischen Supranaturalismus und Rationalismus zu eigen gemacht. Diese Veränderung des geistigen Klimas bekam z. B. der Alttestamentler Claus Frees Hornemann (1751– 1830) zu spüren, ein „Vollblutrationalist“ (so Frederik Nielsen, Art. „Hornemann, Claus Frees“, in Dansk biografisk Lexikon, hg. von Carl Frederik Bricka, Bd. 1– 19, Kopenhagen 1887– 1905; Bd. 8, 1894, S. 89 – 91, hier S. 90) mit großen Vorbehalten gegenüber der kantischen Philosophie (vgl. etwa die Ausführungen Hornemanns in seinen Afhandlinger henhørende til Philosophie, Moral og Theologie, Bd. 1– 2, Kopenhagen 1817– 23, zur Epistemologie (Bd. 1, S. 3 – 35), Ethik (Bd. 1, S. 133 – 150) und zu den Gottesbeweisen (Bd. 2, S. 51– 190)). Als Hornemann auch bei seiner Mitarbeit an der dänischen Übersetzung des Neuen Testaments von 1819 (NT-1819) seinen rationalistisch-moralistischen Standpunkt Ausdruck verleihen und Röm 1,17 mit: „der Rechtschaffene soll glücklich werden durch seine Rechtschaffenheit und Tugend“ (in Übersetzung zitiert nach Baagø, Magister Jacob Christian Lindberg, S. 43) übersetzt sein lassen wollte, wurde er auf Bestreben seiner Kollegen von der weiteren Mitarbeit an der Übersetzung ausgeschlossen. Der ‚rationalistische‘ Feind, den seit Mitte der 1820er Jahre namentlich Grundtvig und seine Anhänger unerbittlich zu bekämpfen suchten, war insofern teilweise „something of a straw man“ (Kirmmse, Kierkegaard in Golden Age Denmark, S. 38), als sich der Rationalismus der 1820er und 1830er Jahre von dem HøeghGuldbergs und Bastholms grundlegend unterschieden hat. Diese Weiterentwicklung des Rationalismus gilt es sich jedoch auch bei der Beschäftigung mit dem jungen Kierkegaard in Erinnerung zu rufen, wenn er, wie zu seiner Zeit üblich, den bis über die Mitte der 1830er Jahre hinaus führenden Theologen der Kopenhagener Fakultät, H.N. Clausen, den Sohn H.G. Clausens, mit dem Etikett des ‚Rationalisten‘ versehen hat. Obwohl unter den seeländischen Pfarrern noch weit verbreitet (Bjørn Kornerup zufolge scheinen zur Zeit der Visitationen Mynsters in den seeländischen Gemeinden bis weit in die 1840er Jahre gut drei Viertel (!) der dortigen Geistlichkeit „mehr oder minder dem Rationalismus angehört zu haben“ („J. P. Mynster som Visitator i Sjællands Stift“, in J. P. Mynsters Visitatsdagbøger 1835 – 1853, Bd. 1– 2, hg. von dems., Kopenhagen 1937, S. XI–CXXVI, hier S. LVII; vgl. ferner Hans Jensen, „Brud og Sammenhæng“, in Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 6. Reihe, Bd. 4, Kopenhagen 1942– 44, S. 270 – 364, hier S. 277), hatte der Rationalismus an der Theologischen Fakultät bis zum Ende der 1830er Jahre deutlich an Anziehungskraft verloren, als sich die akademische Theologie einer neuen philosophischen Modeströmung öffnen sollte, durch die sie bis zur Mitte der 1840er Jahre wesentlich beeinflusst wurde: dem Hegelianismus.
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1 Die Blütezeit des dänischen Hegelianismus (1837 – 49) Der dänische Idealismus des 19. Jahrhunderts war ein Kind des deutschen Idealismus.⁴ Während jedoch der Einfluss Immanuel Kants (1724– 1804) und Johann Gottlieb Fichtes (1762– 1814) auf das dänische Geistesleben insgesamt relativ begrenzt geblieben ist⁵, hat die Naturphilosophie des jungen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854) für die denkerische Entwicklung einiger hervorragender Persönlichkeiten des geistigen Lebens wesentliche Bedeutung gehabt⁶, wobei in den 1840er Jahren auch Schellings Offenbarungsphilosophie größere Bekanntheit erlangte. Noch wirkungsreicher als Schelling sollte sich allerdings die Gedankenwelt Hegels erweisen, die insbesondere in der Zeit von der Mitte der 1830er bis zur Mitte der 1840er Jahre auf die verschiedensten Bereiche des geistigen und kulturellen Lebens in Dänemark ausgestrahlt hat.⁷ Zur großen Nähe zwischen dänischer und deutscher Philosophiegeschichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts (vorbehaltlich des oben in Anm. 1 Bemerkten) vgl. etwa den Brief Jens Immanuel Baggesens (1764– 1826) an Carl Leonhard Reinhold (1757– 1823) vom 20. November 1801 aus Paris in Aus Jens Baggesen’s Briefwechsel mit Karl Leonhard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi, hg. von Karl und August Baggesen, Bd. 1– 2, Leipzig 1831; Bd. 2, S. 349 – 366, wo Baggesen über die Gründe seiner Auswanderung nach Paris Folgendes schreibt: „Es schien in Deutschland und Dänemark, als ich Euch Himmelsbewohner dort oben verließ, Alles sich dazu anzuschicken, entweder consequenter Kantianer oder inconsequenter Fichtist zu werden. Ich konnte zuletzt mit keinem Menschen sprechen, ohne in Streit zu gerathen, weil Die, die nicht blos mit dem Herzen, allein mit dem Kopfe sprachen….Gehabt Euch wohl, Ihr Seligen! rief ich; ich eile zu den Verdammten. – Ernsthaft gesprochen, mein Reinhold! die Wendung der philosophischen Revolution in Deutschland (Dänemark ist eine Provinz von Deutschland in wissenschaftlicher Hinsicht) hat mit zu meiner Emigration beigetragen. Ich fand zuletzt weder Wort, noch Brot“ (S. 352). Zur Rezeption der kantischen Philosophie in Dänemark, welche vor allem in dem kurzen Zeitraum von 1790 bis 1800 eine wichtigere Rolle im dänischen Geistesleben spielte und in der Zeit danach insbesondere für die nach Frantz Gotthard Howitz (1789 – 1826) benannte ‚HowitzFehde‘ über die Freiheit des Willens (1824/25) von größerer Bedeutung sein sollte, vgl. Harald Høffding, Danske Filosofer, Kopenhagen 1909, S. 25 – 39 und S. 81 ff.; Anders Thuborg, Den Kantiske Periode i Dansk Filosofi 1790 – 1800, Kopenhagen 1951; Søren Holm, Filosofien i Norden før 1900, Kopenhagen 1967, S. 33 – 43; Carl Henrik Koch, Den danske filosofis historie, Bd. 3, Dansk oplysningsfilosofi 1700 – 1800, Kopenhagen 2003, S. 34– 39, sowie ders., Den danske filosofis historie, Bd. 4, Den danske idealisme 1800 – 1880, Kopenhagen 2004, S. 177– 208. Zur produktiven Rezeption der Gedanken Fichtes etwa bei Hans Christian Ørsted (1777– 1851) und F.C. Sibbern vgl. Koch, Den danske idealisme 1800 – 1880, S. 21 ff. Zum Einfluss der Schellingschen Philosophie auf die Denkentwicklung z. B. von Henrich Steffens (1773 – 1845), H.C. Ørsted und F.C. Sibbern vgl. Olesen, „Kierkegaards Schelling. Eine historische Einführung“, S. 8 – 28. Zur Geschichte des dänischen Hegelianismus vgl. Helweg, „Hegelianismen i Danmark“ (siehe Anm. 39); Jens Holger Schjørring, Teologi og filosofi. Nogle analyser og dokumenter vedrørende
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Bevor diese Blütezeit des dänischen Hegelianismus skizziert werden soll, ist es notwendig, zwei Präzisierungen vorzunehmen. Zum einen ist es eine grobe Vereinfachung der tatsächlichen Verhältnisse, hier kurzweg von einer Zeit der Dominanz des Hegelianismus im dänischen Geistesleben zu sprechen.⁸ Dies gilt schon gar nicht für die Universität Kopenhagen. Der Hegelianismus hat weder an der Philosophischen noch an der Theologischen Fakultät jemals die herrschende Richtung repräsentiert.⁹ Was den Lehrkörper der Theologischen Fakultät betrifft, ist es allein der im Juli 1837 zum Lizentiaten, im April 1838 zum Lektor und 1840 schließlich zum Professor extraordinarius der Theologie promovierte bzw. ernannte H.L. Martensen gewesen, der, gleichwohl mit einigem Erfolg, seine Konzeption einer zwischen christlicher Dogmatik und hegelscher Philosophie zu vermitteln suchenden spekulativen Theologie propagierte. Die übrigen Mitglieder der Fakultät standen einer solchen spekulativen Durchdringung und Entfaltung des christlichen Lehrbegriffs allerdings mit skeptischer Zurückhaltung oder gar,
hegelianismen i dansk teologi, Kopenhagen 1974; Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 13 – 49; Grane, „Det teologiske Fakultet 1830 – 1925“, S. 360 – 369; Svend Erik Stybe, „Filosofi“, in Københavns Universitet 1479 – 1979, Bd. 10, Det filosofiske Fakultet 3. Del, hg. von Povl Johannes Jensen, Kopenhagen 1980, S. 1– 132; Koch, Den danske idealisme 1800 – 1880, S. 211– 522; Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, New York 2003, S. 50 – 69; ders., „Kierkegaard and Hegelianism in Golden Age Denmark“, in Kierkegaard and His Contemporaries. The Culture of Golden Age Denmark, hg. von dems., Berlin und New York 2003 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 10), S. 106 – 145; ders., A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, Tome 1, The Heiberg Period: 1824 – 1836; Tome 2, The Martensen Period: 1837 – 1842, Kopenhagen 2007– 08 (Danish Golden Age Studies, Bd. 3). Um vier Beispiele zu nennen: (1) Georg Lukács, Die Zerstörung der Vernunft, Berlin 1955, S. 199 (Kierkegaards „philosophischer Hauptkampf ist gegen Hegel gerichtet, der damals auch in Dänemark die philosophisch herrschende Richtung repräsentierte“); (2) Eva Lewy und Schunkar Supichanow, „Sören Kierkegaards erste Reise nach Berlin. Der Einfluß des späten Schelling auf Kierkegaard und die Herausbildung seiner philosophischen Grundposition“, Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, Bd. 33, 1984, S. 41– 44, hier S. 41 („Seine philosophischen Grundanschauungen arbeitet Kierkegaard zu Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts in unmittelbarer Polemik gegen Hegel und den im dänischen Geistesleben vorherrschenden Hegelianismus aus“); (3) Louis P. Pojman, The Logic of Subjectivity. Kierkegaard’s Philosophy of Religion, Tuscaloosa 1984, S. 5 („Between his [sc. Kierkegaard’s] first steps toward Christianity and his conversion in 1838, a number of entries record his struggle with the significance of Christianity vis-à-vis the intellectual world of his day, dominated by Hegelian speculation“); (4) Joachim Ringleben, Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard. Erklärung und Kommentar, Göttingen 1995, S. 50: „…unbestreitbar stellt dieser Satz Kierkegaards [scil. ‚der Mensch ist Geist‘ (in SKS 11, 129 / KT, 8)] sich ganz allgemein gesehen auch in den Horizont der Hegelschen Philosophie, die zu seiner Zeit auch in Dänemark weithin führend war.“ Vgl. hierzu Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 28 und S. 33 – 36, sowie Stewart, The Heiberg Period: 1824 – 1836, S. 57.
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wie H.N. Clausen und Carl Emil Scharling (1803 – 77), deutlicher Ablehnung gegenüber. Zum anderen kann angesichts der Rede Kierkegaards von ‚den Hegelianern‘ in seinem Umfeld¹⁰ leicht der Eindruck entstehen, als handle es sich dabei um eine in sich homogene Gruppe von Hegelanhängern, die gleichsam als Apologeten Hegels einer vermeintlich ebenfalls klar abgrenzbaren Gruppe von Hegelgegnern gegenübergestellt werden könnten. Tatsächlich aber haben weder die Hegel oft nur in einer bestimmten Phase ihrer denkerischen Entwicklung (re)produktiv rezipierenden¹¹ noch die ihm mit Skepsis oder Ablehnung begegnenden hervorragenden Repräsentanten des dänischen Geisteslebens jemals¹² eine distinkte
Als Beispiel instar omnium sei auf SKS 7, 277,29 / AUN2, 5 („Auch bei uns sind Hegelianer mehrmals auf der Jagd“) hingewiesen, wobei sowohl in der vorläufigen Ausarbeitung (Pap. VI B 54:4) als auch in der Reinschrift (Pap. VI B 98:58) der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) statt „Hegelianer“ noch „die Herren Prof. Martensen und Heiberg“ stand; vgl. auch das in Kap. 2, Anm. 220 genannte Beispiel aus der Nachschrift. Zur Rezeptionsform der ‚produktiven Rezeption‘, bei der dem rezipierten Autor eine zentrale Funktion bei der Profilierung des eigenen (sei es philosophischen, sei es theologischen) Ansatzes zukommt, samt deren Unterscheidung von einer ‚rezeptiven‘ oder ‚sekundären Produktion‘ und ihrer (möglichen) Einheit in rezeptionstypologischen Mischformen vgl. die Typologie von Rezeptionsarten bei Schulz, „Die Welt bleibt immer dieselbe“, S. 8 – 22. Als Beispiele für die von mir hier im Blick auf die dänische Hegelrezeption zusätzlich zu diesem Typenspektrum durch Anfügung des Präfixes re- in Klammern postulierte, bei bestimmten Autoren mit der produktiven Rezeption einhergehenden Rezeptionsform der zwar nicht unproduktiven, wohl aber nicht-kreativen und insofern ‚reproduktiven Rezeption‘, die weder eine reine Sekundärproduktion noch eine genuin produktive Rezeption darstellt (Letzteres schon deshalb nicht, da im betreffenden Werk keine wesentlichen Bestandteile enthalten sind, die nicht in Auseinandersetzung mit Hegel entstanden sind), betrachte ich die beiden Darstellungen der hegelschen Logik von Adolph Peter Adler, Populaire Foredrag over Hegels objective Logik, Kopenhagen 1842 (ktl. 383), und Rasmus Nielsen, Den speculative Logik i dens Grundtræk, Heft 1– 4, Kopenhagen 1841– 44. D.h. eben auch nicht in der Zeit vor dem Aufkommen des Linkshegelianismus in Dänemark ab 1842, dessen Katalysator Brøchners öffentliches Bekenntnis zu Strauß im Dezember 1841 und die daraufhin verweigerte Zulassung Brøchners zur theologischen Examensprüfung war. Vgl. auch Kierkegaards Reaktion auf dieses Herauskristallisieren einer linken Seite in Konfrontation mit der von Martensen repräsentierten rechten Seite des dänischen Hegelianismus im Zeitungsartikel „Aabenbart Skriftemaal“ [Öffentliche Beichte], Fædrelandet, 1842, Nr. 904 vom 12. Juni, Sp. 7245 – 7252 (vgl. SKS 14, 41– 46 / CS, 3 – 13), hier Sp. 7248: „Wir haben Kantianer, Schleiermacherianer, wir haben Hegelianer. Diese haben sich wiederum in zwei große Parteien geteilt: die eine Partei sind die, welche nicht in Hegel hineingekommen sind, die aber doch Hegelianer sind; die andere sind die, welche über Hegel hinausgekommen sind, die aber doch Hegelianer sind; von der dritten Partei, den wirklichen Hegelianern, haben wir sehr wenige“ (SKS 14, 43 / CS, 7; dt. Übers. modifiziert).
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Gruppe gebildet.¹³ Da vielmehr auch der von Kierkegaard kurzerhand als ‚Hegelianer‘ apostrophierte Martensen die Philosophie Hegels keineswegs unkritisch rezipiert hat¹⁴, während gemeinhin als ‚Hegelgegner‘ geltende Zeitgenossen Kierkegaards wie Frederik Christian Sibbern (1785 – 1872) und Poul Martin Møller (1794– 1838) entweder (wie Møller) selbst eine hegelianische Phase durchlebt haben oder (wie Sibbern) von bestimmten Aspekten des hegelschen Denkens wesentlich beeinflusst worden sind¹⁵, lässt sich angesichts dieser, so Stewart, Ambiguität in der dänischen Hegelrezeption nur mit Vorbehalt von den dänischen ‚Hegelianern‘ und ‚Antihegelianern‘ im Sinne zweier klar gegeneinander abgrenzbarer Gruppen sprechen: „Instead it is better to speak of the general discussion of the reception of Hegel’s philosophy in Denmark and to resist the urge to place the individual figures into neat categories, which are invariably misleading.“¹⁶ Dies vorausgeschickt, kann im Anschluss an Stewarts A History of Hegelianism in Golden Age Denmark (2007– 08)¹⁷ die erste Phase der dänischen Hegelrezeption auf die Zeit von 1824 bis Ende 1836 datiert werden, die durch das Werk und die Persönlichkeit des Schriftstellers, Dichters und Literaturkritikers Johan Ludvig Heiberg (1791– 1860) geprägt war. Heiberg wollte mit großem Eifer die hegelsche Vgl. hierzu Stewart, The Heiberg Period: 1824 – 1836, S. 56. Zur Hegelrezeption Martensens und dessen durchgängiger Kritik am säkularen, autonomen Charakter der hegelschen Philosophie vgl. Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 18 – 37, S. 95 – 117, S. 238 – 245 und S. 284– 287 sowie David D. Possen, „Martensen’s Theonomic Enterprise: An Advance Beyond Hegel?“, in Hans Lassen Martensen. Theologian, Philosopher and Social Critic, hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2012 (Danish Golden Age Studies, Bd. 6), S. 239 – 270. Zu Sibbern und Møller vgl. Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 70 – 77; The Heiberg Period: 1824 – 1836, S. 98 – 111, S. 198 – 216, S. 331– 338, S. 452– 472, S. 501– 507; The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 37– 53, S. 118 – 123, S. 175 – 238. Selbst Mynster, der gegen den Hegelianismus in seinem Umfeld von Anfang an eine tiefe Abneigung empfand (vgl. z. B. Mynsters Brief an Wolf Frederik Engelbreth vom 22. Oktober 1830: „Eine schlechtere Schule als Hegel hat kaum ein Philosoph gebildet“, abgedruckt in: Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 4. Reihe, Bd. 4, S. 713), wenngleich er eine öffentliche Auseinandersetzung scheute (vgl. Mynsters Bemerkung in Meddelelser om mit Levnet. Af Dr. J. P. Mynster, hg. von F.J. Mynster, Kopenhagen 1854, S. 235 f.), konnte der Philosophie Hegels durchaus Respekt zollen, vgl. z. B. Meddelelser om mit Levnet, S. 234 sowie Kts. [Jakob Peter Mynster], „Om den religiøse Overbeviisning“, Dansk Ugeskrift, Bd. 3, 1833, Nr. 76 – 77, S. 241– 258, hier S. 255, zusammen mit Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 77– 80; ders., The Heiberg Period: 1824 – 1836, S. 421– 433; Olafur Waage, J.P. Mynster og de philosophiske Bevægelser paa hans Tid i Danmark, Kopenhagen 1867, S. 104– 160. Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 82. Vgl. Stewarts Skizze (insgesamt) dreier Phasen der dänischen Hegelrezeption in The Heiberg Period: 1824 – 1836, S. 61 f.; vgl. ferner The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 710 – 714.
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Philosophie seinen Zeitgenossen nahebringen, doch war seinen Bemühungen zunächst nur bescheidener Erfolg beschieden. Dies sollte sich ab Anfang 1837 durch Heibergs jungen Protegé Martensen merklich ändern. Obgleich Martensen später im Rückblick auf diese Zeit der philosophischen Fermentation der Theologie monieren sollte, dass deren Niederschlag in der philosophisch-theologischen Literatur großenteils nur vorläufiger Natur und wenig fruchtbringend gewesen sei¹⁸, markierte die von ihm „inspirierte Hegelsche Welle“¹⁹ gleichwohl eine neue, bis 1842 dauernde Phase der dänischen Hegelrezeption, in der „Hegel came to occupy a central point of discussion and debate in Danish cultural life.“²⁰ Martensens Wirken ist es zu verdanken, dass die von Heiberg angestrebte ‚Popularisierung‘²¹ der hegelschen Philosophie unter den Zeitgenossen, wie Heiberg 1841 selbst in der Retrospektive nicht ohne Genugtuung feststellen konnte, zu einer „Causa victrix“²² geworden zu sein schien. Am Anfang dieser Phase der intensivierten Hegelrezeption in Dänemark stand Martensens „Debüt im dänischen Geistesleben“²³: seine kurz nach der Rückkehr
Vgl. etwa Martensens Replik in Dogmatiske Oplysninger. Et Leilighedsskrift, Kopenhagen 1850 (ktl. 654) auf die zum Teil harsche Kritik an seiner Dogmatik (1849), dass sich fast alle Kritiker nur an die Einleitung seiner Dogmatik gehalten hätten, ohne auf die Dogmen selbst als eigentlichem Gegenstand der Dogmatik einzugehen. Diese Vorgehensweise sei doch sehr verwunderlich, „denn es muss doch wohl noch in frischer Erinnerung sein, wie wir in einer kürzlich vergangenen Periode durch die theologischen und philosophischen Einleitungsfragen ermüdet und gelangweilt wurden, wie die theologische und philosophische Literatur zu einem großen Teil nur aus Einleitungen und vorläufigen Anstalten zum Aufbau eines Systems bestanden, wie jeder wissenschaftliche Dilettant im Allgemeinen meinte, seine Gedanken über Glauben und Wissen und darüber, wie ein System sein sollte, mitteilen zu müssen; und wie sich dann endlich die Einsicht herausbildete, dass diese allgemeinen Untersuchungen doch nicht recht fruchtbringend geführt werden konnten, wenn sie nicht im Zusammenhang mit der wirklichen Erkenntnis, der wirklichen Darstellung der betreffenden Gegenstände behandelt wurden“ (S. 5). Leif Grane, Art. „Kopenhagen, Universität“, in Theologische Realenzyklopädie, op. cit., Bd. 19, 1990, S. 587– 591, hier S. 589. Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 11. Wenn Stewart aber zur Bekräftigung seiner Behauptung, der Hegelianismus „have affected virtually every major thinker of the period“ (The Heiberg Period: 1824 – 1836, S. 53), das Argument ins Felde führt, dass „[e]ven such a unphilosophical author as Hans Christian Andersen wrote a satirical theater piece [scil. En Comedie i det Grønne (1840)] mocking Hegelians“ (ibid., (Anm. 1)), so ist das doch recht bemerkenswert. Vgl. das zu Anm. 53 gehörende Zitat. Johan Ludvig Heiberg, „Fortale“, in: ders., Prosaiske Skrifter, Bd. 1– 3, Kopenhagen 1841– 43; Bd. 1, 1841, S. V-XVIII, hier S. XV, worauf Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 2 et passim verweist. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“ (siehe Kap. 2, Anm. 139), S. 508; siehe Kap. 2.3.1. Bereits 1834 hatte Martensen eine Rezension von Ernst Wilhelm Kolthoffs Abhandlung Apocalypsis Joanni Apostolo vindicata (1834) veröffentlicht, die jedoch ohne
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von einer zweijährigen Auslandsreise²⁴ im Januar 1837 erschienene Rezension von Heibergs Einführungsvortrag (1835).²⁵ In dieser Rezension hat Martensen erstmals vor der dänischen Öffentlichkeit sein theologisches Programm rechtshegelianischer Prägung konturiert, welches er „bei anderer Gelegenheit“²⁶ weiter ausarbeiten wollte. Abgesehen von seiner im Sommer 1837 erschienenen Lizentiatenabhandlung De autonomia conscientiæ sui humanæ ²⁷ und anderen einschlägigen Veröffentlichungen sind es vor allem die von Martensen seit dem Wintersemester 1837/38 wiederholt gehaltenen Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ an der Theologischen Fakultät gewesen²⁸, die bei vielen Studierenden großes Interesse, ja Begeisterung für diese Art des Theologisierens und die dahinter stehende Philosophie hervorriefen.²⁹ Die Begeisterung für Martensen ging so weit, dass man mit seiner Lizentiatenabhandlung den Beginn einer neuen „Ära in der Theologie“³⁰
durchschlagende Wirkung blieb. Vgl. die Bibliographie der Veröffentlichungen Martensens in Mindre Skrifter og Taler af Biskop Martensen, hg. von Julius Martensen, Kopenhagen 1885, S. 1– 24. Zur dieser Auslandsreise von 1834 bis 1836, auf der Martensen zahlreiche Theologen, Philosophen und Künstler besucht hat, wie z. B. Baader, Daub, Lenau, Marheineke, Schelling, Steffens und Strauß, vgl. Martensens detaillierte Darstellung in seiner Autobiographie Af mit Levnet, Abt. 1, S. 85 – 231 zusammen mit Skat Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen. Hans Liv, Udvikling og Arbejde, Kopenhagen 1932, S. 75 – 112. Siehe Kap. 2, Anm. 139 und 140. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“ (siehe Kap. 2, Anm. 139), S. 522 [S. 527]. Martensen hat damit seine Lizentiatenabhandlung De autonomia conscientiæ sui humanæ (siehe Kap. 2, Anm. 165) im Blick. Siehe Kap. 2, Anm. 165. Vgl. die Auflistung von Martensens Vorlesungen in der Zeit von 1836 bis 1854 bei Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen, S. 156 – 158, hier S. 156. Zu der durch Martensens Vorlesungen hervorgerufenen Begeisterung unter den Studierenden vgl. abgesehen von Martensens eigenem Rückblick in Af mit Levnet. Meddelelser, Abt. 2, S. 3 – 7 (Aus meinem Leben, Abt. 2, S. 3 – 8) auch die Memoiren verschiedener Augenzeugen wie Clausen, Optegnelser om mit Levneds og min Tids Historie, S. 211– 213; Frederik Nielsen, Minder. Oplevelser og Iagttagelser, Aalborg 1881, S. 35 f.; Carl Ploug, „Akademicum, en Episode af Studenterlivet for 40 Aar siden. Et Foredrag i Studenterforeningen“, Illustreret Tidende, Bd. 24, 1883, Nr. 1224 vom 11. März, S. 294– 296; Nr. 1225 vom 18. März, S. 309 – 312; hier Nr. 1224, S. 295 (rechte Spalte); Jens Christian Hostrup, Erindringer fra min Barndom og Ungdom, Kopenhagen 1891, S. 80 – 83; Johannes Fibiger, Mit Liv og Levned som jeg selv har forstaaet det, hg. von Karl Gjellerup, Kopenhagen 1898, S. 73 f., sowie Kierkegaards Bemerkungen in SKS, 22, 325 f., NB13:86 und Pap. X-6 B 171, S. 262. Vgl. ferner Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen, S. 162– 164. So der Theologiestudent Lauritz Vilhelm Petersen (1817– 79) im unpaginierten Vorwort zu seiner dänischen Übersetzung von Martensens lateinischer Lizentiatenabhandlung, Den menneskelige Selvbevidstheds Autonomie i vor Tids dogmatiske Theologie, Kopenhagen 1841, S. [I]-[II], hier S. [I]: „Dies war die erste Schrift, die bei uns in der neueren spekulativen Richtung herauskam und die Ära in der Theologie ankündigte, von der man nun schon zu rechnen
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gekommen sah. Bezeichnend für das durch die frühen Veröffentlichungen und Vorlesungen Martensens hervorgerufene Interesse der Zeitgenossen an seiner modisch anmutenden Theologie ist nicht zuletzt die Tatsache, dass die einzige theologische Vorlesung, die Kierkegaard während der zeitweiligen Unterbrechung seines Theologiestudiums zwischen Frühjahr 1836 und Sommer 1838 trotz alledem besucht und mitgeschrieben hat, die von Martensen im Wintersemester 1837/38 noch vor seiner Anstellung an der Universität privat vorgetragenen „Prolegomena ad dogmaticam speculativam“ gewesen ist.³¹ Dieser von Heiberg euphorisch zum Siegeslauf deklarierte Aufstieg der hegelschen Philosophie im dänischen Geistesleben und seinen verschiedenen Verzweigungen sollte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Nachdem es zunächst ab 1842 durch die Bemühungen vor allem von Andreas Frederik Beck (1816 – 61) und H. Brøchner zu einem Erstarken des Linkshegelianismus gekommen war, hat die hegelsche Philosophie spätestens ab Mitte der 1840er Jahre zusehends an Bedeutung und Einfluss verloren. So konnte Jakob Peter Mynster (1775 – 1854) bereits in seinen größtenteils im Laufe des Jahres 1846 niedergeschriebenen, aber erst posthum 1854 veröffentlichten Memoiren konstatieren, dass „die hegelsche Philosophie in den letzten Jahren so ganz den Platz hat räumen müssen“³². Erst im Juli 1849, und damit am Ende seiner Blütezeit, kam es zur unbestreitbar bedeutendsten Veröffentlichung des dänischen Hegelianismus auf theologischem Gebiet: Martensens opus magnum Die christliche Dogmatik (1849).³³ Bereits in der Titelgebung ‚Christliche Dogmatik‘ statt – wie es von seinen früheren Vorlesungen her zu erwarten gewesen wäre – ‚Spekulative Dogmatik‘³⁴ dokumentiert sich jedoch Mar-
begonnen hat.“ Es überrascht nicht wirklich, dass Kierkegaard diese Aussage wiederholt zum Gegenstand des Spottes gemacht hat, vgl. SKS 4, 216 / PB, 4; SKS 4, 313 / BA, 4; SKS 8, 14 / LA, 8; SKS 22, 325, NB13:86. Vgl. Kierkegaards Notizen zu diesen Vorlesungen in SKS 19, 125 – 143, Not4:3 – 12 / DSKE 3, 132– 151 sowie Kap. 2, Anm. 182. Mynster, Meddelelser om mit Levnet, S. 236 f. Die Vorrede trägt das Datum vom 2. Februar 1846 und wurde, wie der Vergleich mit S. 286 zeigt, demnach zu Beginn der Niederschrift der Memoiren verfasst. Hans Lassen Martensen, Den christelige Dogmatik, Kopenhagen 1849. Diese Titelgebung wird in der Dogmatik selbst nicht weiter begründet. Am Anfang des Vorworts heißt es: „Nachdem ich zu wiederholten Malen die christliche Dogmatik an der Hochschule des Landes vorgetragen habe, lege ich hier die Grundzüge meiner dogmatischen Anschauung dar. Schon seit längerer Zeit wünschte ich meine Zuhörer auf eine gedruckte Darstellung verweisen zu können…Doch ist es daneben auch mein Wunsch, vor einem größeren Leserkreis die theologische Überzeugung auszusprechen, die unter verschiedenen Einflüssen, unter einer inneren Wechselwirkung, ja ich kann in mancher Beziehung sagen einem inneren Wechselkampf mit gleichzeitigen Anschauungen, bei mir sich ausgebildet hat und jetzt zu einem relativen Abschluss gelangt ist“ (Martensen, Den christelige Dogmatik, S. [I]). Der Ausdruck
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tensens spätere, zumindest nach außen hin veränderte Einstellung gegenüber dem Hegelianismus, die, abgesehen von seinen Ambitionen auf ein Bischofsamt, vor allem durch seine entschiedene Distanzierung vom erstarkenden Linkshegelianismus in Dänemark bedingt gewesen ist.³⁵ Der isländische Theologe Magnús Eiríksson (1806 – 81), zweifellos Martensens hartnäckigster Kritiker, wollte sich durch diese wider Erwarten vieler vorgenommene ‚Umtaufung‘³⁶ der Dogmatik allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen lassen, „dass die Grundanschauung, der Standpunkt und die Methode des Verfassers“ keine wesentlichen Veränderungen gegenüber den früheren Vorlesungen zeigten: „das Ganze [ist] doch auf denselben Grund gebaut wie früher, so wie die wichtigsten Grundlehren in allem wesentlich dieselben sind“³⁷. Auch Kierkegaard bemerkt in einer Journalaufzeichnung von Anfang November 1849 zur kurz zuvor erschienenen Dogmatik Martensens: „Das sind die Vorlesungen, die ‚spekulative Dogmatik‘ hießen, jedoch ist dieses Prädikat weggenommen“³⁸. Anfang der 1850er Jahre hat der dänische Hegelianismus insgesamt, wie es Hans Friedrich Helweg (1816 – 1901) in seiner in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Studie über den „Hegelianismus in Dänemark“ (1855) formuliert hat, seine
‚spekulative Dogmatik‘ findet sich m.W. an keiner Stelle in dieser fast 600 Seiten umfassenden Schrift, wohl aber „theologische Spekulation“ (z. B. S. II) oder „dogmatisches System“ (z. B. S. 7, § 3). Zum Gebrauch des Terminus ‚Spekulation‘, der an einigen der wenigen Stellen, an denen er überhaupt vorkommt, zudem negativ konnotiert ist (z. B. S. 116 f. (§ 69) und S. 172 (§ 106)), vgl. z. B. S. 9 (§ 2, Anm.). Diese Distanzierung zeigt sich erstmals deutlich in Martensens Artikel „Nutidens religiøse Crisis“ (siehe Kap. 2, Anm. 186), S. 54– 57 und S. 67– 71; vgl. hierzu Schjørring, Teologi og filosofi, S. 27– 35 sowie Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 705 – 710. Vgl. Magnús Eiríksson, Speculativ Rettroenhed, fremstillet efter Dr. Martensens „christelige Dogmatik“, og Geistlig Retfærdighed, belyst ved en Biskops Deeltagelse i en Generalfiskal-Sag, Kopenhagen 1849, S. 1. Ibid., S. IV (ohne Hervorhebungen). Bereits 1844 hatte Eiríksson in seiner Schrift Om Baptister og Barnedaab, samt flere Momenter af Den kirkelige og speculative Christendom, Kopenhagen 1844, S. 336 ff. ohne Martensens Zustimmung Auszüge aus seiner eigenen Mitschrift von Martensens bis dato unveröffentlichten Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ (1838/39) abgedruckt, um auf diese Weise der Öffentlichkeit Martensens Hang zum Pantheismus und zur Autoapotheose des Menschen darzulegen, vgl. Om Baptister og Barnedaab, S. XXVI-XLI, S. 234 f. und S. 281 f. Zu Eiríkssons Auseinandersetzung mit Martensen vgl. meine beiden Artikel „Magnús Eiríksson: An Opponent of Martensen and an Unwelcome Ally of Kierkegaard“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 49 – 94, hier S. 50 – 66, sowie „‚Like a Voice in the Wilderness‘: Magnús Eiríksson’s Tenacious Critique of Martensen – and Martensen’s ‚Lofty Silence‘“, in Hans Lassen Martensen. Theologian, Philosopher and Social Critic, op. cit., S. 155 – 191. SKS 22, 327, NB13:86.
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„Rolle…ausgespielt“³⁹ gehabt. In dieser kurzen Darstellung der von Helweg dabei als abgeschlossen betrachteten Geschichte des dänischen Hegelianismus, der mit Kierkegaards (!) Tod zu seinem Ende gekommen sei, heißt es an anderer Stelle noch deutlicher: „Das Nest ist leer, der Hegelianismus existiert nicht mehr unter uns. Er kam kaum zu Wort, ehe der Geist aus ihm wich.“⁴⁰
2 Das Verhältnis des jungen Kierkegaard zum dänischen Hegelianismus Kierkegaards denkerische Entwicklung ist von diesem Aufstieg der hegelschen Philosophie im dänischen Geistesleben tiefgreifend beeinflusst worden. Nicht von ungefähr hat Kierkegaards philosophische Bildung seit eben 1837 eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung erfahren, wobei seine Lektüre, wie entsprechende Bemerkungen, Notizen und Exzerpte in seinen Journalen und Aufzeichnungen zeigen, einschlägige Veröffentlichungen sowohl seiner dänischen Zeitgenossen als auch verschiedener prominenter deutscher Vertreter der Hegelschule und des spekulativen Theismus umfasst hat.⁴¹ Die zwischen Mitte und Ende der 1830er Jahre eingetretene Interessensverlagerung spiegelt sich beispielsweise auch in der Entwicklung von Kierkegaards Seifenkellerschrift wider. In seiner ersten Idee zu einer literarischen Bearbeitung der alten Kopenhagener Anekdote von den durch verschiedene Schilder und Annoncen miteinander konkurrierenden Seifenkellern⁴² in der am 10. August 1836 auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung Papir 170 heißt es:
Hans Friedrich Helweg [dänische Namensform: Frederik Helveg], „Hegelianismen i Danmark“, Dansk Kirketidende, 1855, Nr. 51 vom 16. Dezember, Sp. 825 – 837; Nr. 52 vom 23. Dezember, Sp. 841– 852, hier Sp. 826. Ibid., Sp. 827. Siehe Kap. 2.1. Zur Abwehr eines aufdringlichen Konkurrenten in der Nachbarschaft ließ Seifenhändler A. Møller um 1810 über den Zugang zu seinem Kellerladen am heutigen Gråbrødretorv ein Schild mit der Aufschrift: „Hier ist der richtige alte Seifenkeller, wo die richtigen alten Seifenkellerleute wohnen“ aufstellen. Der Konkurrent ließ daraufhin ein Schild mit der Aufschrift: „Hier ist der neue Seifenkeller, wo die alten Seifenkellerleute wohnen“ anbringen, vgl. Torkild Vogel-Jørgensen, Bevingede ord, Kopenhagen 1963, Sp. 930. Oscar Arlaud, Bevingede Ord. De i daglig Tale og i Skriftsproget hyppigst anvendte Citater, Kopenhagen 1906, S. 421 berichtet dagegen von drei sich gegenseitig zu übertrumpfen versuchenden Seifenläden mittels der Schilder „Der alte Seifenkeller“, „Der richtige alte Seifenkeller“ und „Hier ist der richtige alte Seifenkeller, wo die richtigen alten Seifenkellerleute wohnen“. Hirschs Wiedergabe und Deutung dieser Anekdote in Kierkegaard-Studien, S. 556 (Anm.) und in ES, 194 (Anm. 183) ließ sich nicht verifizieren.
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„Der Streit zwischen Orthodoxen und Rationalisten ließe sich als der Streit zwischen dem alten und neuen Seifenkeller begreifen, der auch dies mit den religiösen Streitigkeiten gemein hat, dass er eine Menge von Terminologien entwickelt, die dann darauf hinausliefen: 1) der alte Seifenkeller, wo die neuen Seifenkeller-Leute wohnen (die Rationalisten, welche die alten Seifenkeller-Leute aus dem Haus herausgekauft, d. h. sich der Kirche bemächtigt hatten); 2) der neue Seifenkeller, wo die alten Seifenkeller-Leute wohnen (Orthodoxe, die Fortschritte machen (Grundtvig), Luther verlassen etc.[)].“⁴³
Kierkegaard hatte also ursprünglich die Diskussionen zwischen ‚Orthodoxen‘ und ‚Rationalisten‘ in seinem eigenen Umfeld, d. h. zwischen Grundtvigianern und Clausenianern (H.G. Clausen und H.N. Clausen) im Blick gehabt.⁴⁴ Als er jedoch vermutlich in den ersten Monaten des Jahres 1838 in Journal DD seinen Entwurf für ein dreiaktiges Drama mit eben dem Titel „Der Streit zwischen dem alten und dem neuen Seifenkeller“⁴⁵ ausgearbeitet hat, war es vor allem „Martensens eifriges Werben für die hegelsche Philosophie“⁴⁶, welches er zum Gegenstand seiner Satire machen wollte. Für Kierkegaards denkerische Entwicklung hat sich vor allem die Begegnung und Auseinandersetzung mit den Hauptprotagonisten des dänischen Hegelianismus, Heiberg und Martensen, als wichtig und wirkungsvoll erwiesen.⁴⁷ Wäh SKS 27, 142– 143, Papir 170 / T 1, 81 (B-fort. [435cVII].9; KA, A pk. 1[II]; meine Übers.). Vgl. hierzu den Kommentar zu SKS 27, 142,26 in SKS K27, 326 f. Die Wichtigkeit einer Berücksichtigung des spezifischen Kontextes Kierkegaards zeigt sich nicht zuletzt daran, welche Theologen von ihm in diese gängige Nomenklatur eingeordnet worden sind, sei es – wie im Falle Grundtvigs und seiner Anhänger als Vertreter der ‚Orthodoxie‘ – aufgrund von deren Selbstbezeichnung (vgl. Kap. 1, Anm. 86) oder sei es – wie im Falle H.N. Clausens als Vertreter des ‚Rationalismus‘ – aufgrund des Usus. Ob beides deshalb auch (aus heutiger Sicht) als zutreffend betrachtet werden kann, ist freilich eine andere Frage. Zur Position H.N. Clausens vgl. Kap. 1, Anm. 25. Vgl. SKS 17, 280 – 297, DD:208 / DSKE 1, 253 – 272 zusammen mit dem editorischen Bericht zu Journal DD in DSKE 1, 487– 498, hier 493. Zur Datierung der (selbst undatierten) Seifenkellerschrift vgl. Jon Stewart, „The Dating of Kierkegaard’s The Conflict between the Old und the New Soap-Cellars: A New Proposal“, Kierkegaardiana, Bd. 24, 2007, S. 220 – 244. Stewart widerlegt in überzeugender Weise die von SKS angenommene Frühdatierung des Dramenentwurfs auf die Zeit zwischen 27. Januar und 29. Mai 1837 (vgl. SKS K17, 363) und gibt als Entstehungszeitraum die Zeit zwischen 26. Dezember 1837 und 1. April 1838 an. Zur Kritik an einer Spätdatierung des Dramenentwurfs (wie etwa der von Frithiof Brandt, Den unge Søren Kierkegaard. En Række nye Bidrag, Kopenhagen 1929, S. 419 ff., auf die Zeit „zwischen Juli 1839 und dem Frühjahr 1840“ (S. 420)) vgl. ferner Fenger, Kierkegaard-myter og Kierkegaard-kilder, S. 116. DSKE 1, 493. Für Adolph Peter Adler, Kierkegaards ehemaligen Schulkameraden und eingefleischten Hegelianer bis 1842, gilt dies nur bedingt. Zwar finden sich in Kierkegaards literarischem Nachlass auch einige für diese Untersuchung interessante Aufzeichnungen aus der Zeit von Anfang Juli bis Mitte August 1840, deren Hintergrund zum Teil jedenfalls die Lektüre von Adlers
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rend der junge Kierkegaard aber Heiberg und dem um ihn versammelten Kreis eine Zeit lang zugeneigt war und als ein Anhänger Heibergs betrachtet werden kann, war er gegenüber Martensen – spätestens ab dem Zeitpunkt, als dieser als Theologe zu reüssieren begann – durchweg kritisch eingestellt. Was zunächst Kierkegaards Verhältnis zu Heiberg betrifft, wird die von Kierkegaard angestrebte Nähe zu Heiberg⁴⁸ nicht zuletzt daran deutlich, dass Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838), eine geharnischte Rezension von Andersens Roman Nur ein Spielmann (1837)⁴⁹, ursprünglich als Beitrag für die zweite Nummer von Heibergs Zeitschrift Perseus gedacht war, die den Titelzusatz Journal für die spekulative Idee trug.⁵⁰ Zuvor hatte Kierkegaard bereits in den Jahren 1835 – 36 seine ersten Artikel in Heibergs ästhetischer Zeitschrift Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblad veröffentlicht⁵¹ und schien daraufhin für einige Zeit in Heibergs Haus zu verkehren. Wie nun aus Heibergs programmatischem Vorwort „An die Leser“⁵² in der ersten Nummer von Perseus hervorgeht, war diese Zeitschrift,von der jedoch nur zwei Nummern in den Jahren 1837– 38 erschienen sind, als literarisches Organ des dänischen Hegelianismus gedacht: „Aus all dem hier Angeführten wird man ersehen, worin die Hauptabsicht dieses Unternehmens besteht, und man wird diese auch folgendermaßen ausdrücken können: dass es darauf abzielt, die spekulative Erkenntnis zu popularisieren.“⁵³ Der junge Kierkegaard war sich also dessen bewusst, dass er seine Abhandlung über Andersen in einer Zeitschrift veröffentlichen würde, „which had, as a conditio sine qua non that all contributions should be speculative, that is Hegelian.“⁵⁴
Magisterabhandlung Den isolerede Subjectivitet (1840) gewesen sein kann (siehe Kap. 3.3.2.1), doch sollte Adler erst später in den Blickpunkt von Kierkegaards Interesse rücken. Dabei waren es aber weniger Adlers Schriften als vielmehr sein bewegtes Schicksal, insbesondere sein (angebliches) Offenbarungserlebnis, das Kierkegaard derart faszinieren sollte, dass er von Mitte Juni bis Ende September 1846 die erste Fassung eines ganzen Buches über Adler ausgearbeitet hat (SKS 15, 89 – 295 / BÜA), welches er noch mehrere Male umarbeiten, jedoch nie veröffentlichen sollte. Vgl. hierzu Brandt, Den unge Søren Kierkegaard, S. 126 – 129; Sejer Kühle, „Søren Kierkegaard og den heibergske Kreds“, Personalhistorisk Tidsskrift, 12. Reihe, Bd. 2, 1947, S. 1– 13; Fenger, Kierkegaard-myter og Kierkegaard-kilder, S. 113 – 115. Siehe Kap. 2.5. Perseus, Journal for den speculative Idee, hg. von Johan Ludvig Heiberg, Nr. 1, Juni 1837, und Nr. 2, August 1838 (ktl. 569). Vgl. Einleitung, Anm. 33, sowie SKS 28, 125, Brev 70. Johan Ludvig Heiberg, „Til Læserne“, Perseus, Nr. 1, 1837, S. V-XIV. Ibid., S. XI; vgl. ferner S. V-VIII. Fenger, Kierkegaard-Myter og Kierkegaard-Kilder, S. 275; vgl. S. 113 – 115. Die Behauptung Thulstrups, man solle sich „nicht allzusehr daran klammern, daß die Zeitschrift Heibergs das
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Aus einem Brief Kierkegaards an Heiberg vom 28. Juli 1838 geht dabei hervor, dass Heiberg nach der Lektüre des Manuskripts offensichtlich unzufrieden mit dem Stil Kierkegaards war und er ihm sowohl mündlich wie schriftlich stilistische Verbesserungsvorschläge unterbreitete.⁵⁵ Kierkegaard scheint sich Heibergs Kritik zu Herzen genommen zu haben, da er bei der sprachlich-stilistischen Revision der Abhandlung seinen früheren Schulkameraden Hans Peter Holst (1811– 93) um Hilfe gebeten hat.⁵⁶ Warum Kierkegaards Abhandlung über Andersen dann aber trotzdem nicht in Perseus veröffentlicht wurde, ist nicht bekannt. Nachdem Heiberg Kierkegaards Ersuchen abschlägig beschieden hatte, entschied sich Kierkegaard, seine Abhandlung gesondert als Monographie zu veröffentlichen.⁵⁷ Angesichts einerseits des ursprünglichen Plans einer Veröffentlichung der Abhandlung in einer dezidiert hegelianischen Zeitschrift, andererseits ihres „etwas schwerfälligen Stil[s]“⁵⁸ sowie der in ihr enthaltenen positiven Bemerkungen über Hegel selbst⁵⁹ – wobei auch das nach dem Vorbild der hegelschen Dialektik gestaltete dreigliedrige Entwicklungsschema vom Lyrischen durch das Epische zum Dramatischen in Heibergs Gattungsästhetik bei der Beurteilung von Andersens Persönlichkeit zum Tragen kommen sollte⁶⁰ – überrascht es nicht, dass sowohl
Organ des Hegelianismus war“, da es für den jungen Kierkegaard „wahrscheinlich hauptsächlich darauf an[kam], an einer Stelle zu Worte zu kommen, wo sein Beitrag beachtet werden würde“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 139), ist so nicht haltbar. Zum Hintergrund dieser Zeitschrift vgl. Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 116 – 118; ders., The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 61– 68 sowie Horn, Positivity and Dialectic (siehe Kap. 2, Anm. 139), S. 120 – 126. Vgl. SKS 28, 125 f., Brev 71; vgl. ferner SKS K1, 68 – 72 sowie Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 115 f. Vgl. den Brief von Holst an H.P. Barfod vom 11. September 1869, abgedruckt in: EP I-II, S. LLI. Eine Anspielung auf diese Begebenheit findet sich, wie ich meine, zu Beginn des achten der Vorworte (1844), wo Kierkegaard alias Nikolaus Notabene auf ironische Weise erzählt, wie sich seinerzeit sein jugendlicher Sinn von der Gewissheit berauscht fühlte, „dass ein Beitrag [scil. in Heibergs Perseus] nicht würde verschmäht werden“ (SKS 4, 508 f. / V, 218; meine Übers.). So Kierkegaards enger Freund Emil Boesen in einem Brief an dessen Cousin Martin Hammerich vom 20. Juli 1838, wo die Stelle im Zusammenhang lautet: „Søren Kjerkegaard…hat vor Kurzem ein Stück über Andersen geschrieben, das in Heibergs Perseus soll; es ist in einem etwas schwerfälligen Stil, sonst aber gekonnt“ (Carl Weltzer, „Stemninger og Tilstande i Emil Boesens Ungdomsaar“, in Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 7. Reihe, Bd. 1, Kopenhagen 1951– 53, S. 379 – 441; der Brief ist abgedruckt S. 408 – 414, hier S. 413). Vgl. Kap. 2, Anm. 10. Vgl. Kap. 2, Anm. 399 und Anm. 400.
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Andersen selbst⁶¹ wie auch andere Zeitgenossen Kierkegaards (wie H. Hertz⁶²) ihn nach der Veröffentlichung dieser Schrift für einen Hegelianer gehalten haben. Anlass für den endgültigen Bruch Kierkegaards mit Heiberg war dessen ablehnende Besprechung von Entweder – Oder (1843)⁶³, auf die Kierkegaards sarkastische „Danksagung an Hrn. Professor Heiberg“ (1843)⁶⁴ folgte. Nach seinem öffentlichen Bruch mit Heiberg sparte Kierkegaard (auch) gegen ihn nicht mit Kritik. So heißt es beispielsweise in der Journalaufzeichnung JJ:165 vom Herbst 1843, dass man bei „Prof. Heiberg und Konsorten…selten oder nie einen einzigen ursprünglichen Gedanken findet.Was sie wissen, entlehnen sie von Hegel. Und Hegel ist ja tiefsinnig, – ergo ist das, was Prof. Heiberg sagt, auch tiefsinnig. Auf diese Weise kann jeder theologische Student, der sich in seiner Predigt auf lauter Bibelzitate beschränkt, der Tiefsinnigste von allen werden; denn die Bibel ist doch wohl das tiefsinnigste Buch.“⁶⁵
Was dagegen Kierkegaards Verhältnis zu Martensen betrifft, mit dem er noch im Frühsommer 1834 im Rahmen einer privaten Manuduktion die Hauptpunkte von Schleiermachers Glaubenslehre diskutiert hatte⁶⁶, war die am Anfang von Martensens erfolgreicher Karriere als Theologe stehende Rezension von Heibergs Einführungsvortrag zugleich Ausgangspunkt der tiefen Abneigung Kierkegaards gegen Martensen. Kierkegaard hat Martensen stets als unbedeutenden und unoriginellen Denker gleichsam zweiter Hand betrachtet, der die Gedanken Hegels bloß ‚nachplappere‘⁶⁷, dem Publikum jedoch immerzu versichere, „über Hegel
Vgl. Hans Christian Andersen, Mit Livs Eventyr, Kopenhagen 1855, S. 198, sowie das zu Anm. 80 gehörende Zitat aus Kierkegaards „Einen Augenblick, Hr. Andersen!“ (1840). Vgl. den undatierten Brief von Hertz (vermutlich von 1840), abgedruckt in: Kirmmse, Søren Kierkegaard truffet, S. 298 (Nr. 6); ferner Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 126 – 128 und S. 598. Johan Ludvig Heiberg, „Litterær Vintersæd“, Intelligensblade, Bd. 2, 1843, Nr. 24 vom 1. März, S. 285 – 292. „Taksigelse til Hr. Professor Heiberg“ [Danksagung an Hrn. Professor Heiberg], Fædrelandet, 1843, Nr. 1168 vom 5. März, Sp. 9373 – 9376 (vgl. SKS 14, 55 – 57 / CS, 19 – 23). SKS 18, 193, JJ:165 / DSKE 2, 200 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. Kap. 1, Anm. 53. Vgl. z. B. SKS 17, 50, AA:40 / DSKE 1, 53; SKS 19, 136,3 – 5, Not4:9 / DSKE 3, 143,9 – 11; SKS 19, 375, Not12:7 / DSKE 3, 414; Pap. X-6 B 103, S. 130. Vgl. ferner Kierkegaards Brief an seinen Bruder Peter Christian vom Dezember 1849, in dem er seinem Bruder vorwirft, ihn und Martensen (im Artikel „Betragtninger over Forholdet mellem Martensen og S. Kierkegaard“, Dansk Kirketidende, Bd. 5, 1849, Nr. 219 vom 16. Dezember, Sp. 171– 193 – einer Gedächtnisrekonstruktion des auf dem Roskilde Pfarrkonvent in Ringsted am 30. Oktober 1849 gehaltenen Vortrags des Bruders) als Schriftsteller einander gegenübergestellt zu haben: „Wenn ich aber qua Schriftsteller mit Martensen zusammengestellt werde, scheint mir doch, es hätte der wesentlichere Unterschied an-
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hinausgekommen zu sein“⁶⁸. Bereits in der ersten Reaktion Kierkegaards auf Martensens Rezension in der Journalaufzeichnung BB:32 von (vermutlich) Ende Januar 1837 klingt dieser Vorwurf der fehlenden Originalität Martensens an: „Marthensens [sic!] Abhandlung in der Maanedsskrift ist von ganz sonderbarer Art. Nachdem er nämlich über alle seine Vorgänger Bocksprünge gemacht hat, ist er in eine unbestimmbare Unendlichkeit hinaus avanciert; denn da sein Standpunkt nicht gegeben ist, dies nämlich verkündigt er, ist seine Kritik an Hegel äußerlich und seine Existenz schwebend. Und da die Abhandlung selbst nicht durch eine höchst individuelle Darstellung und Färbung mit seinem Bild geprägt ist, so dass man, wohin sie auch kommt, sagen müsste: so gebt doch dem Kaiser, was des Kaisers ist, so könnte man auch im Hinblick auf sein Verhältnis zu einem einzelnen Gelehrten in München, seine Abhandlung ein fliegendes Blatt aus München nennen, das nun in der Maanedsskrift niet- und nagelfest geworden ist.“⁶⁹
Gewiss ist die Charakterisierung Martensens als bloßen „Berichterstatter und Korrespondenten für deutsche Denker und Professoren“⁷⁰, wie Kierkegaard im Herbst 1849 in einer Polemik gegen Martensens Dogmatik (1849) schreibt, eine maßlose Übertreibung Kierkegaards, die weniger sachlich als persönlich motiviert war.⁷¹ Was beispielsweise Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag
gedeutet werden müssen, dass ich in ungewöhnlichem Maße Opfer gebracht habe, er in ungewöhnlichem Maße profitiert hat. Und auch daran hätte doch vielleicht erinnert werden müssen, dass Martensen ja eigentlich nichts Ursprüngliches hat, sondern sich erlaubt, die gesamte deutsche Wissenschaftlichkeit als ihm gehörende Einkunft ohne Weiteres einzustreichen“ (SKS 28, 42 f., Brev 21 / B, 239 f. (Nr. 111); meine Übers.; vgl. hierzu auch SKS 22, 392, NB14:81 / T 4, 56 f.; SKS 22, 401 f., NB14:95 / T 4, 61 f.; SKS 22, 403 f., NB14:97; SKS 22, 405 f., NB14:102 / T 4, 63). Pap. V B 60, S. 137. Die Wendung ‚über Hegel hinauskommen‘ oder ‚hinausgehen‘, deren Verwendung im dänischen Hegelianismus ziemlich verbreitet gewesen zu sein scheint (vgl. den Kommentar zu SKS 4, 263,8 in SKS K4, 257 f. und den Kommentar zu SKS 7, 56,21 in SKS K7, 131 f.), hat Kierkegaard wiederholt mit kritischem Bezug auf Martensen gebraucht, vgl. z. B. SKS 17, 262, DD:141 / DSKE 1, 230; SKS 18, 109, FF:176 / DSKE 2, 112; SKS 1, 315 / BI, 284; Pap. V B 72:33; Pap. XI3 B 57, S. 107. Vgl. ferner Martensens Bemerkung über seine Dogmatikvorlesungen in seiner Autobiographie: „Ich hatte denn auch meine Zuhörer durch Hegels System hindurch zu führen; wir konnten aber nicht bei ihm stehen bleiben, mußten vielmehr, wie man es nannte, über ihn hinaus“ (Af mit Levnet, Abt. 2, S. 4 (zitiert nach Aus meinem Leben, Abt. 2, S. 5)). SKS 17, 121 f., BB:32 / DSKE 1, 130 f. (dt. Übers. modifiziert; „ein fliegendes Blatt aus München“, eine Anspielung auf Franz Baader, bei Kierkegaard deutsch). Pap. X-6 B 103, S. 130. Dass auch der blanke Neid Kierkegaards auf den famosen universitären Aufstieg Martensens zum akademischen Star der Theologischen Fakultät eine gewisse Rolle bei dieser Kritik gespielt hat, legt zudem Martensen selbst in seiner Autobiographie nahe: „In jener frühesten Periode der Angriffe [scil. auf Martensens Dogmatik (1849)] war es beständig Sören Kierkegaard, welcher als der inspirirende Geist im Hintergrunde stand. Auch dessen Verhältniß zu mir nahm immer mehr
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betrifft, ist zwar unbestreitbar, dass sich einige wesentliche Gedanken Martensens auf Ausführungen Hegels vor allem in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie und in der Logik der Enzyklopädie stützen, ohne dass darauf explizit verwiesen wird.⁷² Aller Beeinflussung durch und aller Bewunderung für Hegel zum Trotz will sich Martensen aber als ein Hegel gegenüber selbstständiger Denker profilieren, der sich auch kritisch mit Hegel auseinandersetzt⁷³ – so kritisch jedenfalls, dass sich Heiberg seinerseits zu einer Verteidigung der hegelschen Philosophie gegen Martensens Kritik, insbesondere dessen Vorwurf der Unvereinbarkeit von hegelscher Philosophie und Christentum, genötigt sehen sollte.Wie in Kapitel 2.3 zu zeigen sein wird, sind in dieser Replik Heibergs auf Martensen einige Bemerkungen über den Glauben enthalten, die Kierkegaard zur Abfassung der für die Interpretation seines Glaubensverständnisses überaus wichtigen Aufzeichnung Papir 92 veranlassen sollten. Die angesprochene Beeinflussung von Kierkegaards denkerischer Entwicklung durch den skizzierten Aufstieg der hegelschen Philosophie im dänischen Geistesleben, so unterschiedlich seine persönliche Beziehung zu den Hauptprotagonisten des dänischen Hegelianismus gewesen ist, wird auch von ihm selbst in der Retrospektive zugestanden. So heißt es etwa in der Journalaufzeichnung
einen feindlichen Charakter an. Er verhehlte dabei nicht, daß die Anerkennung, die mir bei den Studenten und sonst zutheil ward, ihn verdroß“ (Af mit Levnet, Abt. 2, S. 140 (zitiert nach Aus meinem Leben, Abt. 2, S. 150)). Dass der junge Kierkegaard Martensen als einen Konkurrenten auf akademisch-theologischem Gebiet betrachtet hat, zeigt schließlich seine Reaktion auf Martensens Veröffentlichung einer Abhandlung über Faust in SKS 27, 167, Papir 244 / ES, 136 (vgl. hierzu Kap. 2, Anm. 126). Vgl. hierzu Stewarts Kommentar in Heiberg’s Introductory Lecture to the Logic Course and Other Texts, hg. von dems., Kopenhagen 2007 (Texts from Golden Age Denmark, Bd. 3), S. 182 f., S. 185 f., S. 193 f., S. 200 – 203. Um ein Beispiel zu nennen: Martensens Darstellung des cartesianischen Zweifels in seiner Rezension (vgl. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“ (siehe Kap. 2, Anm. 139), S. 514– 517 [S. 518 – 522]) ist zweifelsohne im Wesentlichen inspiriert von Hegels Darstellung des (cartesianischen) Skeptizismus insbesondere in Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 167 f. (§ 78) und S. 172– 176 (§ 81) sowie in Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, in TWA, Bd. 20, S. 127– 129. Gleichwohl muss bemerkt werden, dass im Vergleich zu Hegels Darstellung des „sich vollbringende[n] Skeptizismus“ in der Phänomenologie des Geistes (vgl. TWA, Bd. 3, S. 72) Martensens Darstellung des Zweifels nicht nur provozierend, sondern auch „fragwürdig“ ist, wie Markus Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus. Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard, Berlin und New York 2005 (zugleich Diss., Univ. München, 2005) (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 12), S. 66 f. gezeigt hat; vgl. hierzu ferner Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, S. 25 – 28, S. 30 – 42 und S. 46 – 54. Siehe Kap. 2.3.1.
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NB21:35 vom Herbst 1850 mit Blick auf die Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841): „Beeinflusst, wie ich es war, von Hegel und all dem Modernen, ohne genügend Reife, um das Große richtig zu begreifen, habe ich es irgendwo in meiner Magisterabhandlung [Disputats] nicht lassen können, es als eine Unvollkommenheit bei Sokrates zu bezeichnen, dass er kein Auge habe für die Totalität, sondern nur numerisch auf die Einzelnen sehe. / Oh, ich hegelianischer Narr, gerade dies ist der große Beweis dafür, ein wie großer Ethiker Sokrates war.“⁷⁴
Eine weitere wichtige, zu verschiedenartiger Interpretation Anlass gebende Bemerkung Kierkegaards in diesem Zusammenhang findet sich in der von ihm in der Zeit vom 27. bis zum 31. Oktober 1840 ausgearbeiteten, aber unveröffentlicht gebliebenen und bis dato noch nicht ins Deutsche übertragenen Replik auf Andersens Eine Komödie im Grünen (1840)⁷⁵ unter dem Titel „Einen Augenblick, Hr. Andersen!“⁷⁶ In Bezug auf den in Andersens Vaudeville als „ein geschwätziger
SKS 24, 32, NB21:35 / T 4, 233 (dt. Übers. modifiziert; zur Aussage, Sokrates sehe „nur numerisch auf die Einzelnen“, vgl. SKS 1, 275,30 – 35 / BI, 239 f.; zur Übersetzung von „Disputats“ vgl. Kap. 3, Anm. 438). Bezüglich des hegelianischen Charakters von Kierkegaards Magisterabhandlung seien noch zwei weitere retrospektive Bemerkungen Kierkegaards erwähnt. In einer vor dem Druck gestrichenen Passage der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) bemerkt Johannes Climacus über „Mag. Kierkegaard“, dass dieser in seiner Magisterabhandlung zwar darauf aufmerksam gewesen sei, „das Sokratische herauszufinden“, doch habe er dieses augenscheinlich „nicht verstanden, vermutlich weil er mit Hilfe der hegelschen Philosophie superklug und objektiv und positiv geworden war oder nicht den Mut gehabt hat, sich zur Negation zu bekennen“ (Pap. VI B 35:24; zur Aussage, dass ‚Mag. Kierkegaard‘ ‚positiv geworden‘ sei, vgl. auch SKS 7, 89 / AUN1, 83 (Anm.) samt Kommentar zu SKS 7, 89,28 in SKS K7, 150). In der Journalaufzeichnung NB33:34 vom November 1854 heißt es schließlich: „Dass es, christlich, so sein sollte, wie es von Hegel doziert worden ist: der Staat habe sittliche Bedeutung, nur im Staat könne die wahre Tugend sich zeigen (was ich ihm ja auch in meiner Magisterabhandlung [Disputats] kindlich nachgeredet habe, das Ziel des Staats sei die Veredelung des Menschen usw., ist natürlich dummes Zeug“ (SKS 26, 273, NB33:34 / T 5, 318; dt. Übers. modifiziert; vgl. den Kommentar zu SKS 26, 273,29 – 31 in SKS K26, 276 f. sowie SKS 1, 271– 275 / BI, 235 – 240). Zum Verständnis der angeführten Stellen aus NB21:35, Pap. VI B 35:24 und NB33:34 vgl. ferner Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 141– 143 und S. 599 (wo es in Anm. 19 jedoch „Pap. VI B 34.24“ heißt); zur sog. ‚Ironie-These‘ vgl. unten Anm. 88. Hans Christian Andersen, En Comedie i det Grønne, Vaudeville i een Akt efter det gamle Lystspil „Skuespilleren mod sin Villie“, Kopenhagen 1840 (ktl. U 14). SKS 15, 7– 11 (B-fort. 428; indirekt überliefert in EP I-II, S. 267– 271; Pap. III B 1). Bei diesem Vaudeville handelt es sich um Andersens Bearbeitung der von Niels Thoroup Bruun 1809 unter dem Titel Skuespilleren imod sin Villie eller Comedien paa Landet. Lystspil i een Act ins Dänische übertragenen freien deutschen Bearbeitung der französischen Komödie von Louis Archambault Dorvigny, La fête de campagne, ou l’intendant, comédien malgré lui; comédie-épisodique en un
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Hegelianer“⁷⁷ auftretenden Friseur, dem Andersen – als Revanche für Kierkegaards harsche Kritik an seinem Roman Nur ein Spielmann in der Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden ⁷⁸ – einige zum Teil wörtliche Zitate („ganze lange Tiraden“⁷⁹) daraus in den Mund gelegt hatte, bemerkt Kierkegaard: „Wenn ich jetzt zu Andersen sagen würde, dass ich mich niemals für einen Hegelianer ausgegeben habe und es insofern töricht von Andersen sei, Sätze aus meiner kleinen Piece zu nehmen und einem Hegelianer in den Mund zu legen, dann würde ich mir selbst fast verrückt vorkommen. Denn entweder müsste ich mit dem Wort ‚Hegelianer‘ die Vorstellung von einem Mann verbinden, der mit Ernst und Energie die Welt-Anschauung dieses Denkens umfasst, sie sich angeeignet, in ihr Ruhe gefunden hätte und nun mit einem gewissen wahren Stolz von sich selbst sagte: Auch ich habe die Ehre gehabt, unter Hegel zu dienen, – und in diesem Fall wäre es eine Tollheit von mir, das in einem Gespräch mit Andersen zu sagen, da er vermutlich keinen vernünftigen Gedanken damit verknüpfen könnte, ebenso wie ich wenigstens Anstand nehmen würde, ein so bedeutsames Prädikat von mir selbst zu gebrauchen, auch wenn ich mir bewusst wäre, dass ich mich bemüht hätte, mich mit Hegels Philosophie vertraut zu machen. Oder ich würde unter einem Hegelianer einen Menschen verstehen, der, flüchtig von diesem Denken berührt, nun sich selbst zum Narren halten würde mit einem Ergebnis, das er nicht besäße, – und dann wäre es nicht weniger töricht, dies zu Andersen zu sagen, wenn anders man mir Recht geben wird, dass derjenige, der nicht weiß, was ein Hegelianer in Wahrheit ist, auch nicht weiß, was ein Hegelianer in seiner Unwahrheit ist, das heißt: keine konkrete Vorstellung davon haben kann.“⁸⁰
Es geht Kierkegaard an dieser Stelle also um die Unsinnigkeit des Unterfangens, Andersen gegenüber zu erklären, kein Hegelianer zu sein, da Andersen mit diesem
acte, en prose et en vers, Paris 1784, durch August von Kotzebue in Der Schauspieler wider Willen. Ein Lustspiel in einem Act, Leipzig 1803. Das Stück war seit 1811 mehr als 30-mal am Königlichen Theater in Kopenhagen aufgeführt worden und erlebte in Andersens Bearbeitung am 13. Mai 1840 (ohne Kierkegaards Beisein) eine Wiederaufführung, bevor es unter dem Titel En Comedie i det Grønne am 26. Oktober 1840 im Druck erscheinen und von Kierkegaard, der von Andersens polemischen Spitzen gegen ihn gehört hatte, bereits am Tage darauf erworben werden sollte (vgl. den editorischen Bericht in SKS K15, 11– 13, den Kommentar zu SKS 15, 7,19 in SKS K15, 17 samt Abdruck von J.H. Schubothes „Hoved-Journal“ bei Rohde, „Om Søren Kierkegaard som bogsamler“, S. 124). Die Behauptung von Lone Koldtoft, „Hans Christian Andersen: Andersen was Just an Excuse“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome III, Literature, Drama and Aesthetics, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 1– 31, hier S. 25, bereits die Wahl des Untertitels ‚Ein Schauspieler wider Willen‘ sei als bewusste Anspielung auf Kierkegaards Erstlingsschrift zu verstehen, ist so nicht aufrechtzuerhalten. SKS 15, 9,7– 8. Siehe Kap. 2.5.1. SKS 15, 7,28 – 29; vgl. hierzu den Kommentar zu SKS 15, 7,28 in SKS K15, 18 – 20. SKS 15, 9,8 – 27.
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Wort wohl nichts Rechtes anzufangen wüsste und einen echten von einem unechten Hegelianer nicht würde unterscheiden können. Damit ist freilich noch nichts darüber gesagt, ob Kierkegaard sich selbst – trotz seiner Bedenken gegen den Gebrauch dieses Prädikats und wenn auch nicht publici juris, so doch privatim – als ‚Hegelianer‘ (vorzugsweise im ersteren Sinne) verstanden und (dem)entsprechend mit Hegels Philosophie ‚vertraut‘ gemacht hat. Ich stimme deshalb Stewart bei, der diese Stelle dahingehend deutet, „[that] there is no denial that Kierkegaard ever studied Hegel’s primary texts but merely that he would not be so immodest as to claim publicly that he is a Hegelian…Kierkegaard does not want to bother to explain to him [scil. Andersen] his position vis-à-vis Hegel, regardless of what that position might be. But it should be noted that in either case Kierkegaard values Hegel’s philosophy sufficiently to criticize Andersen for his ignorance of it.“⁸¹
Die Anmerkung Gerdes‘ zu einer Aufzeichnung vom Sommer 1836, Kierkegaard habe „Hegel selber erst im Sommer 1838 gelesen“, da er in diesem „polemischen Entwurf gegen Andersen“ (von Herbst 1840!) erkläre, „er sei (vor Erscheinen seiner Erstlingsschrift im September 1838) bestrebt gewesen, sich mit Hegels Philosophie vertraut zu machen“⁸², ist angesichts der tatsächlichen Argumentation Kierkegaards ex concessis deshalb mindestens als fragwürdig zu bezeichnen. Vielmehr ist festzustellen, dass sich in Kierkegaards Werk bis zum theologischen Examen im Juli 1840 kein Beleg für eine intensive Lektüre von Hegels Schriften im Original findet.⁸³ Bis zu der nach dem Examen erfolgenden Ausarbeitung der Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) hat Kierkegaard seine Hegelkenntnis vor allem aus seiner Auseinandersetzung mit den Protagonisten des dänischen Hegelianismus sowie mit Anhängern und Kritikern der hegelschen Philosophie in Deutschland bezogen: „Kierkegaards Kenntnis des Hegelianismus geht“, wie Thulstrup in diesem Punkt mit Recht betont, „zweifellos seiner Kenntnis der eigenen Werke des Meisters voraus.“⁸⁴
Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 128. Dagegen betrachtet Thulstrup diese Stelle als „deutliche[n] Beleg dafür, daß Kierkegaard nicht zu den Hegelianern gerechnet zu werden wünschte“. Den Umstand, dass Andersen „einfach keinen Begriff davon geschaffen [hat], was ein Hegelianer für eine Größe ist“, habe Kierkegaard als Anlass zur Erklärung dessen benutzt, „was er selbst unter einen [sic!] Hegelianer“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 174) verstehe, wobei Kierkegaard in keiner der von ihm angeführten beiden Bedeutungen ein Hegelianer sei. T 1, 365 (Anm. 113 zu Pap. I A 229 [SKS 27, 144, Papir 176] vom 25. August 1836). Vgl. hierzu Kap. 2.1, hier besonders Kap. 2, Anm. 10. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 95; vgl. ferner die Anmerkungen von Gerdes in T 1, 365 (vgl. das zur Anm. 82 gehörende Zitat) und in T 1, 372 (Anm. 203 zu Pap. I A 217 [SKS 27, 142, Papir 167] vom 4. August 1836).
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Allerdings ist die von Thulstrup in seiner einflussreichen und wirkmächtigen Studie Kierkegaards Verhältnis zu Hegel und zum spekulativen Idealismus (1972 [1967]) vertretene „grundlegende Hauptthese“, Hegel und Kierkegaard hätten „als Denker prinzipiell nichts gemein, weder hinsichtlich des Gegenstandes, des Zieles oder der Methode noch hinsichtlich der für sie indiskutablen Voraussetzungen“⁸⁵, nicht haltbar. In Auseinandersetzung insbesondere mit Thulstrup hat Stewart in seiner theologischen Dissertation Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered (2003) vielmehr zeigen können, dass gerade der junge Kierkegaard „stark und positiv von Hegels Philosophie beeinflußt“⁸⁶ war. Diese positive Beeinflussung durch Hegel nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf terminologischer und methodischer Ebene ist in Kierkegaards Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) derart offensichtlich⁸⁷, dass manche Kierkegaardforscher die m. E.
Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 11. Weitere, allesamt frühere Vertreter dieser von Stewart als „standard view“ (vgl. Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 3 – 32) bezeichneten Deutung des Verhältnisses Kierkegaards zu Hegel als ein von (zum Teil) radikaler Diskontinuität geprägtes sind z. B. Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 92– 97 (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 78 – 83); Søren Holm, „Grundtvig und Kierkegaard. Parallelen und Kontraste“, Zeitschrift für systematische Theologie, Bd. 23, 1954, S. 158 – 176, besonders S. 161 („Es war Kierkegaards Aufgabe, gegen diese [scil. Hegels] Philosophie den tiefst gehenden Angriff zu richten, dem sie jemals ausgesetzt gewesen ist“); ders., Grundtvig und Kierkegaard. Parallelen und Kontraste, übers. von Günther Jungbluth, Kopenhagen und Tübingen 1956, S. 13 und S. 28; Niels H. Søe, Fra Renæssancen til vore Dage. Filosofisk tænkning med særligt henblik på de moralske og religiøse problemer, 4. Aufl., Kopenhagen 1964 [1945], S. 186 sowie Gregor Malantschuk, Dialektik og Eksistens hos Søren Kierkegaard, Kopenhagen 1968, S. 60. Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 657 (deutsche Zusammenfassung). Stewart zufolge durchlief „Kierkegaard in seiner intellektuellen Entwicklung in Bezug auf Hegel drei verschiedene Phasen“ (ibid.), wobei Stewart als erste Phase die Zeit von 1834 (!) bis 1843 ausmacht, „in which Hegel exerted a more or less straightforwardly positive influence on Kierkegaard“ (S. 597; vgl. hierzu S. 90 – 237 und S. 597– 605). Jedoch ist zu bemerken, dass die Tatsache, dass „[i]n Kierkegaard’s early journal entries and published essays, one finds no hint of any anti-Hegel polemic“ (S. 597), zum Teil auch darauf zurückzuführen ist, dass Hegel in Kierkegaards Zeitungsartikeln und Journalen und Aufzeichnungen bis zum Sommer 1836 keine Rolle gespielt hat. Vgl. ibid., S. 132– 181, vor allem S. 134 ff., S. 141– 143 sowie die Übersicht auf S. 177– 179. Der Versuch von Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 95 – 101 (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 81– 86), zwei Schichten im Gedankengang der Magisterabhandlung zu unterscheiden, und zwar eine allgemein religiöse (in hegelschen Bahnen) und eine christliche Schicht, überzeugt m. E. nicht. Zur Auseinandersetzung mit Thulstrup, demzufolge der „eigene Standpunkt Kierkegaards“ in der Magisterabhandlung „nicht direkt oder voll durchdacht formuliert“ worden ist und „nur zu Unrecht als hegelsch bezeichnet werden“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 217) kann, vgl. auch Fenger, Kierkegaard-myter og Kierkegaard-kilder, S. 120: „Man kann auch als Historiker
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schwerlich haltbare These vertreten haben, Kierkegaards Berufung auf Hegel und seine positiven Bemerkungen über Hegel seien selbst ironisch gewesen.⁸⁸ Obwohl sich der junge Kierkegaard in seinen Veröffentlichungen ⁸⁹ nicht an den in seinem Umfeld stattfindenden Diskussionen über Hegels Philosophie und die Frage ihrer Vereinbarkeit mit den christlichen Glaubenswahrheiten beteiligt hat, hat er diese Diskussionen, wie aus seinen Journalen und Aufzeichnungen hervorgeht, doch genau verfolgt. Von Interesse für diese Untersuchung ist dabei vor allem die durch eine Bemerkung Mynsters am Ende seines im Frühjahr 1839 erschienenen Artikels „Rationalismus. Supranaturalismus“⁹⁰ entfachte Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik, vor deren Hintergrund und in Auseinandersetzung mit der Kierkegaard kurz nach seinem Examen auf den ersten beiden Seiten von Journal HH seinen eigenen ‚Standpunkt für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ skizziert hat.⁹¹ Wenn in dieser Untersuchung angenommen wird, dass der hegelschen Philosophie bei der Herausbildung und Profilierung von Kierkegaards Position eine entscheidende Rolle zukommt, „Kierkegaards Auseinandersetzung mit Hegel
Kierkegaards Magisterabhandlung als eine hegelsche Schrift lesen, welche, ohne in allen Einzelheiten Hegel zu folgen, dennoch als eine respektable Arbeit im Geiste der hegelschen Schule betrachtet werden muss.“ Zur Kritik (an) dieser ‚Ironie-These‘ vgl. Stewart, „Hegel und die Ironiethese zu Kierkegaards Über den Begriff der Ironie“, Jahrbuch für Hegelforschung, Bd. 3, 1997, S. 157– 181, sowie ders., Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 135 – 141. Als Vertreter dieser These betrachtet Stewart (in Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 135 (Anm. 12 und Anm. 13)) unter anderem bereits Hans Friedrich Helweg (vgl. „Hegelianismen i Danmark“, Sp. 830), Pierre Mesnard (vgl. Le vrai visage de Kierkegaard, Paris 1948, S. 178 f.), Thulstrup (vgl. Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, besonders S. 178 und S. 216 f.) und Louis Mackey (vgl. „Starting from Scratch. Kierkegaard Unfair to Hegel“, in: ders., Points of View. Readings of Kierkegaard, Tallahassee 1986, S. 1– 22, hier S. 1). Vgl. ferner Jacob Bøggild, Ironiens tænker Tænkningens ironi. Kierkegaard læst retorisk, Kopenhagen 2002 (Teori & Æstetik, Bd. 12), S. 19 – 24; Steen Tullberg, „More than Meets the Eye. On the Danish Reception of On the Concept of Irony“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2009, S. 355 – 371, besonders S. 362– 365; K. Brian Söderquist, „A Short Story. The English Language Reception of On the Concept of Irony“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2009, S. 493 – 506, besonders S. 499 f., sowie Philipp Schwab, Der Rückstoß der Methode. Kierkegaard und die indirekte Mitteilung, Berlin und Boston 2012 (zugleich Diss., Univ. Freiburg, 2009) (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 25), S. 459 – 465. Und zwar nicht nur in Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) und der Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841), sondern auch in den Zeitungsartikeln aus seiner Studienzeit und seinem Ende November 1835 im Studentenverein gehaltenen Vortrag „Unsere Journal-Literatur“ (vgl. Einleitung, Anm. 33). Vgl. Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“ (siehe Kap. 3, Anm. 91), S. 266 f.; siehe Kap. 3.3.1.1.1. Siehe Kap. 3.3.1.
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1 Frühe Reflexionen über den Glauben
(bzw. dem zeitgenössischen Hegelianismus in Dänemark)“, um mit Schulz zu sprechen, also „wesentlich produktiver Art“⁹² gewesen ist, so ist damit nicht gesagt, dass die von Hegel bzw. den Protagonisten des dänischen Hegelianismus ausgegangenen Impulse zwangsläufig nur positiver Natur gewesen sein müssen. Wie bereits in der Einleitung dieser Untersuchung bemerkt, kann eine produktive Rezeption eben auch dann vorliegen, wenn Kierkegaard sich kritisch von der Position des rezipierten Autors absetzt. Inwiefern dies auch auf Kierkegaards Verständnis des Glaubens zutrifft, wird im Folgenden zu zeigen sein. Die Behauptung Thulstrups, die „erste Begegnung, die Kierkegaard noch als Student mit dem Hegelianismus hatte“, habe „ihn sogleich sehr kritisch reagieren“⁹³ lassen, ist jedenfalls zu pauschal und undifferenziert.
Heiko Schulz, „Kierkegaard über Hegel. Umrisse einer kritisch-polemischen Aneignung“, Kierkegaardiana, Bd. 21, 2000, S. 152– 178, hier S. 153. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 165. Nicht anders als grotesk zu bezeichnen ist Thulstrups Argumentation hinsichtlich Kierkegaards Seifenkellerschrift. Thulstrup sieht den Beweis für die Richtigkeit seiner Deutung, dass Kierkegaard kein Hegelianer geworden sei, unter anderem darin, dass Kierkegaard die Seifenkellerschrift geschrieben hat: „Ein überzeugter Hegelianer hätte niemals ein solches Drama schreiben können, denn das System verbot eine Position, wie sie Kierkegaard hier bewußt einnahm“ (S. 158).
2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838) 2.1 Vorbemerkung und Abgrenzung Kierkegaards Bildungsstand zu Beginn des Jahres 1837 wird von Hirsch pointiert, aber treffend mit folgenden Worten charakterisiert: „Kierkegaard darf Anfang 1837 als ein ausgezeichneter Kenner der neueren deutschen und dänischen schönen Literatur und als ein recht guter Kenner der Märchenliteratur, zudem auch als genauer Beobachter von Zeitung,Theater und Kunstkritik in Kopenhagen gelten, und auch seine Kenntnis von Theologie und Erbauungsschriften ist recht tiefgehend. Was ihm indes – wenn man von dem Stückchen [J. G.] Fichte, Schleiermacher und Hamann absieht – so gut wie ganz fehlt, ist eine philosophische Bildung. Was etwa kennt er vom bekämpften Hegeltum? J. L. Heibergs ästhetischen Hegelianismus und jenen Aufsatz Martensens, daneben noch das, was sich etwa aus deutscher Kunstkritik vermittelte, das ist alles sicher Nachweisbare, und alle Kritik des Hegeltums in den Tagebüchern knüpft sich ausschließend an diese Quellen. Was etwa durch P. M. Møllers Vorlesungen und Umgang an Kenntnis des Hegeltums hinzugekommen ist, läßt sich mangels äußerer Zeugnisse nicht abschätzen; viel kann es nicht gewesen sein. D. h. der junge Kämpe weiß von dem Feind, den er erschlagen will, kaum mehr als Uhlands ‚Jung Siegfried‘ von den ‚Riesen und Drachen in aller Welt‘.“¹
Wie nun aus Kierkegaards Nachlass hervorgeht, hat seine philosophische Bildung in der Zeit von Anfang 1837 bis Sommer 1838 eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung erfahren. In diesen gut eineinhalb Jahren ist Kierkegaard „als Denker unendlich gereift.“² Damit soll freilich nicht behauptet werden, Kierkegaards „philosophische Durchbildung“³ sei schon im Sommer 1838 zum Abschluss gekommen. Der Tod seines Vaters am 9. August 1838 wurde für den Sohn allerdings „zu einem inneren Vermächtnis“⁴, das Theologiestudium wiederaufzunehmen und abzuschließen, weshalb seine Konzentration, wenn auch nicht sofort, so doch recht bald der Vorbereitung auf das theologische Examen gelten sollte.⁵ Von daher Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 494 f. Mit dem „Aufsatz Martensens“ ist Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag gemeint (siehe Kap. 2.3.1). Ibid. S. 502. Dagegen Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 90 (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 76 f.). Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 503. Henning Schröer, Art. „Kierkegaard, Søren Aabye (1813 – 1855)“, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1– 36, hg. von Gerhard Müller et al., Berlin und New York 1976 – 2004; Bd. 18, 1989, S. 138 – 155, hier S. 139,49. Siehe hierzu Kap. 3.1.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
scheint mir die in diesem Kapitel vorgenommene Eingrenzung des Untersuchungszeitraums auf die Zeit von Anfang 1837 bis zum Erscheinen von Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden am 7. September 1838 als unmittelbarem literarischem Niederschlag seiner philosophischen Vertiefung sinnvoll und begründet. Zwar lässt sich Kierkegaards Aufzeichnungen nicht entnehmen, was den konkreten Anstoß zu dieser philosophischen Vertiefung gegeben hat⁶, doch ist es gewiss kein Zufall, dass der Beginn seiner eingehenden Beschäftigung mit Veröffentlichungen verschiedener deutscher Vertreter der Hegelschule, die nach dem Einteilungsversuch von David Friedrich Strauß (1808 – 74) deren theistisch orientierten rechten Seite und gemäßigtem Zentrum zugeordnet werden können⁷, zeitlich mit dem markanten Aufstieg der hegelschen Philosophie im dänischen Geistesleben zusammenfällt. Wie im Exkurs skizziert, stand am Anfang dieser Phase der zunehmenden Intensivierung der dänischen Hegelrezeption Marten-
Hirschs Argumentation, dass Kierkegaard der erste Anstoß zur philosophischen Vertiefung „fast zufällig“ (Kierkegaard-Studien, S. 499), nämlich bei der Lektüre von Poul Martin Møllers Abhandlung „Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed, med Hensyn til den nyeste derhen hørende Literatur“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 17, 1837, Teil 1, S. 1– 72 (Januarheft) und Teil 2, S. 422– 453 (Maiheft) (wiederabgedruckt in: Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 1– 3, hg. von Christian Winther, F.C. Olsen und Christen Thaarup, Kopenhagen 1839 – 43 (ktl. 1574– 1576); Bd. 2, S. 158 – 272) gekommen sei und er aufgrund von Møllers Literaturhinweisen „noch im Februar [1837]“ (Hirsch, ibid., S. 500) zu I.H. Fichtes Die Idee der Persönlichkeit (siehe Kap. 2.2) gegriffen habe, überzeugt nicht, da Møller die Schrift Fichtes erst im zweiten Teil seiner Abhandlung erwähnt und bespricht, der im Maiheft der Maanedsskrift for Litteratur erschienen ist. David Friedrich Strauß, „Verschiedene Richtungen innerhalb der Hegel’schen Schule in Betreff der Christologie“ (1837), in: ders., Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie, Heft 1– 3, Tübingen 1837; Heft 3, S. 95 – 126, hier S. 95. Vgl. Kierkegaards Notizen und Bemerkungen (alle aus der Zeit zwischen Mitte 1837 und August 1838) zu Carl Daub (SKS 17, 213, DD:1.c / DSKE 1, 175; SKS 17, 213, DD:2 / DSKE 1, 175; SKS 17, 216, DD:6.a / DSKE 1, 178; SKS 17, 222 f., DD:12 / DSKE 1, 186 f.; SKS 17, 223, DD:13 / DSKE 1, 187; SKS 18, 87, FF:61 / DSKE 2, 90; vgl. ferner SKS 19, 127, Not4:4 / DSKE 3, 134; SKS 19, 129, Not4:5 / DSKE 3, 135; SKS 19, 130, Not4:6 / DSKE 3, 137; SKS 19, 130, Not4:6.a / DSKE 3, 137), Johann Eduard Erdmann (SKS 17, 218 f., DD:7 / DSKE 1, 181; SKS 17, 219, DD:8 / DSKE 1, 182; SKS 17, 219, DD:9 / DSKE 1, 182; SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213 (siehe Kap. 2.4.3); SKS 17, 248, DD:81 / DSKE 1, 214; SKS 19, 129, Not4:5.d / DSKE 3, 136; SKS 19, 145 – 169, Not4:13 – 45 / DSKE 3, 153– 180; SKS 27, 112, Papir 93 (vgl. unten Anm. 251)), Carl Friedrich Göschel (SKS 17, 213, DD:1.a / DSKE 1, 175; vgl. ferner SKS 19, 167, Not4:44 / DSKE 3, 177), Philipp Konrad Marheineke (SKS 27, 64, Papir 19; SKS 27, 173 f., Papir 250 (vgl. Kap. 1, Anm. 269)), Karl Rosenkranz (SKS 17, 213, DD:1 / DSKE 1, 175; SKS 17, 218 f., DD:7 / DSKE 1, 181; SKS 17, 219 – 222, DD:10 / DSKE 1, 182– 185; SKS 17, 236, DD:36 / DSKE 1, 199; SKS 17, 239, DD:50.a / DSKE 1, 204) und Julius Schaller (SKS 18, 318 – 337, KK:2 / DSKE 2, 328 – 347). Vgl. ferner SKS 18, 317, KK:1 / DSKE 2, 327.
2.1 Vorbemerkung und Abgrenzung
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sens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag, die Kierkegaard spätestens Ende Januar 1837 gelesen hat. Daneben umfasste seine Lektüre aber auch Veröffentlichungen führender Köpfe des spekulativen Theismus⁸ sowie (mindestens) die ersten drei Hefte von Franz von Baaders (1765 – 1841) Vorlesungen über speculative Dogmatik (1828 – 33).⁹ Was dagegen Kierkegaards Hegelkenntnis betrifft, lassen die zahlreichen Verweise und Anspielungen auf Hegel in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen aus der Zeit von Juni 1836 bis zum theologischen Examen Anfang Juli 1840 zwar ein deutliches Interesse am hegelschen Denken erkennen, nicht aber auf eine
Und zwar sowohl von Immanuel Hermann Fichte (SKS 17, 41 f., AA:22 / DSKE 1, 43 f.; SKS 27, 87, Papir 42:1; SKS 18, 250, DD:91 / DSKE 1, 216; siehe Kap. 2.2) wie auch von Christian Hermann Weiße (SKS 19, 170, Not4:46 / DSKE 3, 180 f.; SKS 19, 171, Not4:47 / DSKE 3, 181; vgl. Kap. 1, Anm. 226). Auch mit Anton Günther, der – wie Baader (vgl. Anm. 9) – dem spekulativen Theismus „nahestand[‐] oder doch zumindest als verwandt empfunden wurde[]“ (Tobias Trappe, Art. „Theismus, Spekulativer“, in Theologische Realenzyklopädie, op. cit., Bd. 33, 2002, S. 206 – 209, hier S. 206), hat sich Kierkegaard in dieser Zeit beschäftigt, vgl. SKS 17, 15, AA:6.1 / DSKE 1, 13; SKS 17, 42, AA:22.2 / DSKE 1, 44 (samt Kommentar zu DSKE 1, 44,20 in DSKE 1, 363 f.); SKS 17, 229, DD:27 / DSKE 1, 193; vgl. ferner SKS 17, 30,36 – 37, AA:13.1 / DSKE 1, 31,35 – 36 (samt Kommentar zu DSKE 1, 31,35 in DSKE 1, 347 f.); SKS 17, 203,40, CC:13 / DSKE 1, 164,5 – 6 sowie aus späterer Zeit (von Februar 1839) SKS 18, 11, EE:14 / DSKE 2, 10 und SKS 18, 13, EE:22 / DSKE 2, 7. Franz von Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 1, Stuttgart und Tübingen 1828; Heft 2– 3, Münster 1830 – 33 (ktl. 396). Die Exzerpte aus diesen ersten drei Heften in SKS 27, 64, Papir 20; SKS 27, 64– 66, Papir 21; SKS 27, 66 f., Papir 22; SKS 27, 67, Papir 23 und SKS 27, 68 – 74, Papir 24 (vgl. Kap. 1, Anm. 23) werden von den Herausgebern von SKS auf 1837/38 (vgl. SKS K27, 68), von den Herausgebern von Pap. dagegen auf 1834/35 (vgl. Pap. I C 27– 33 (in Bd. XII), S. 132– 139) datiert. Zur Beschäftigung mit Baader vgl. ferner (alle von 1837) SKS 17, 41, AA:22.2 / DSKE 1, 44; SKS 17, 248, DD:82 / DSKE 1, 214 sowie SKS 27, 207, Papir 255:2 / T 1, 77 zusammen mit SKS 17, 53, AA:51 / DSKE 1, 56. Von nachweislich 1835 stammen die Anspielungen SKS 17, 30,23 ff., AA:12 / DSKE 1, 30,22 ff.; SKS 17, 24,32– 34, AA:12 / DSKE 1, 24,25 – 27 (der Hinweis in SKS K17, 61 hinsichtlich SKS 17, 23,27– 28, AA:12 / DSKE 1, 23,14– 15 auf Baaders Ueber den Paulinischen Begriff des Versehenseins des Menschen im Namen Jesu vor der Welt Schöpfung, Heft 1– 3, Würzburg 1837 (ktl. 409 – 410 und 413) ist anachronistisch). Da sich aber SKS 17, 24,32– 34, AA:12 / DSKE 1, 24,25 – 27 auf die Aufzeichnung SKS 27, 74, Papir 24:8 bezieht, die in SKS K17, 62 auf 1834/35 datiert wird (in SKS K17, 126 wird Papir 255:2 [Pap. I A 174] auf 1836 datiert), ist die von SKS K27 angenommene späte Datierung der Exzerpte m. E. keineswegs zwingend. Überhaupt: Warum findet sich in diesen Exzerpten kein einziger Hinweis auf das 1836 erschienene vierte Heft von Baaders Vorlesungen (vgl. ktl. 396)? Dass sich Kierkegaard mit Baader bereits im Frühjahr 1834 zu beschäftigen begonnen hat bzw. sich zumindest beschäftigen wollte, geht aus der auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung Papir 592 hervor, in der Kierkegaard auf das erste Heft von Baaders Vorlesungen zusammen mit der Datumsangabe „26. Febr. – 14. März [18]34“ verweist. Die Aufzeichnungen auf diesem ‚fliegenden Blatt aus Kopenhagen‘ wurden in SKS 28, 525 – 528 erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, vgl. hier SKS 28, 528, Papir 592 ([1v] im Ms.). Ich danke Niels Jørgen Cappelørn für diesen Hinweis.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
intensive Lektüre von Hegels Schriften im Original schließen.¹⁰ Dies gilt auch für die allgemeinen Verweise affirmativer Art auf Hegel und die Wissenschaft der Logik zu Beginn von Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)¹¹ und die verschiedenen Anspielungen auf Hegel und die Phänomenologie des Geistes ebenso wie die Grundlinien der Philosophie des Rechts in der vermutlich in den ersten Monaten des Jahres 1838 ausgearbeiteten Seifenkellerschrift in
Vgl. SKS 27, 137, Papir 148; SKS 27, 138, Papir 154:1 / T 1, 78; SKS 27, 141, Papir 165 / T 1, 80; SKS 27, 143, Papir 172 / T 1, 82; SKS 27, 144, Papir 176 / T 1, 54; SKS 27, 144, Papir 177 / T 1, 54; SKS 27, 109, Papir 81:2 / ES, 186 (Anm. 133); SKS 17, 41, AA:22 / DSKE 1, 43; SKS 17, 49, AA:36 / DSKE 1, 52; SKS 17, 49, AA:37 / DSKE 1, 52; SKS 17, 117– 119, BB:25 / DSKE 1, 126 – 128; SKS 17, 121, BB:32 / DSKE 1, 131; SKS 17, 199 f., CC:12 / DSKE 1, 159 f.; SKS 17, 262, DD:141 / DSKE 1, 230; SKS 17, 277, DD:203 / DSKE 1, 248; SKS 18, 14, EE:26 / DSKE 2, 10 f.; SKS 18, 17, EE:35 / DSKE 2, 14; SKS 18, 34 f., EE:93 / DSKE 2, 33 f.; SKS 18, 96, FF:108 / DSKE 2, 99; SKS 18, 109, FF:176 / DSKE 2, 112; SKS 18, 113, FF:196 / DSKE 2, 116; vgl. ferner SKS 17, 19, AA:12 / DSKE 1, 17. Die Hinweise auf Hegel in SKS 17, 222, DD:11.a / DSKE 1, 185 und SKS 17, 239, DD:50.a / DSKE 1, 204 sowie das Zitat aus der Phänomenologie des Geistes in SKS 17, 221, DD:10 / DSKE 1, 184 entstammen der Lektüre von Karl Rosenkranz, „Eine Parallele zur Religionsphilosophie“, Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 2, 1837, Heft 1, S. 1– 31 (vgl. ktl. 354– 357). Das Zitat aus Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte in der undatierten Randbemerkung DD:161.b zur Aufzeichnung SKS 17, 266, DD:161 / DSKE 1, 235 (29. Oktober 1838) stammt nicht aus den von Eduard Gans herausgegebenen Vorlesungen in der 1. Aufl. von Georg Wilhelm Friedrich Hegel‘s Werke (vgl. Bd. 9, Berlin 1837, S. 156), sondern aus der von Karl Hegel besorgten Ausgabe der Vorlesungen in der 2. Aufl. von Hegels Werken (Bd. 9, Berlin 1840, S. 183), was Hirschs Annahme in Kierkegaard-Studien, S. 501 (samt Anm. 6) und S. 565 (samt Anm. 6) den Boden entzieht. Vermutlich ist die Randbemerkung DD:161.b bei der Ausarbeitung von Über den Begriff der Ironie in den Jahren 1840/41 entstanden. Hierfür spricht jedenfalls die Anmerkung in SKS 1, 245 / BI, 205, in der Kierkegaard aus demselben Abschnitt („Indien“) in der 2. Aufl. von Hegels Werken zitiert. Zur Hegelrezeption des jungen Kierkegaard im Ganzen vgl. ferner Jon Stewart, „Hegel: Kierkegaard’s Reading and Use of Hegel’s Primary Texts“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome I, Philosophy, hg. von dems., Aldershot und Burlington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 97– 165, hier S. 98 – 103 und S. 139. Zu den Hinweisen auf Hegel speziell in Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) vgl. die folgende Anm. Stewart zufolge hat Kierkegaard überhaupt nur in der Zeit von 1840 bis 1843 intensiven Gebrauch von Hegels Originaltexten gemacht, wobei er generell dazu tendierte, Hegel in einer „ad hoc fashion“ zu lesen: „he never made an exhaustive study of any one of Hegel’s works but rather carefully explored individual sections and passages in Hegel’s texts which were relevant for his own intellectual agenda“ (ibid., S. 98; vgl. ferner S. 97 f. und S. 138 f.). Vgl. SKS 1, 17 f. / LP, 46 f. und SKS 1, 20 / LP, 49 samt Kommentaren zu SKS 1, 17,15; SKS 1, 18,27; SKS 1, 18,29 und SKS 1, 20,8 in SKS K1, 81, 83 und 85 zusammen mit Stewart, „Hegel: Kierkegaard’s Reading and Use of Hegel’s Primary Texts“, S. 101– 103 sowie – in gewissem Unterschied dazu – ders., Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 118 – 123 und S. 597 f., hier besonders S. 123 und S. 597 f.; ferner Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 20 f. und S. 749 f. sowie unten Anm. 387.
2.1 Vorbemerkung und Abgrenzung
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Journal DD ¹², wenngleich bemerkt werden muss, dass sich in Kierkegaards Nachlass aus der Zeit seiner konzentrierten Examensvorbereitung zwischen Ende September 1839 und eben Anfang Juli 1840 überhaupt nur sehr wenige Notizen (allesamt theologischer Art) finden.¹³ Erst im Zuge der nach dem theologischen Examen unter Rückgriff auf frühere Vorarbeiten und Entwürfe erfolgenden Ausarbeitung der Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841)¹⁴ hat sich Kierkegaard ausführlich mit den ihm in diesem Zusammenhang als relevant erscheinenden Texten Hegels beschäftigt.¹⁵ Bis dahin ist ihm die Kenntnis der hegelschen Philosophie in erster Linie durch seine dänischen Zeitgenossen¹⁶ sowie
Vgl. SKS 17, 280 – 297, DD:208 / DSKE 1, 253 – 272, hier besonders SKS 17, 281, DD:208 / DSKE 1, 253; SKS 17, 292, DD:208 / DSKE 1, 265 f.; SKS 17, 294– 296, DD:208 / DSKE 1, 268 – 270 samt Kommentar zu SKS 17, 281,17– 19; SKS 17, 292,10; SKS 17, 294,27; SKS 17, 295,3 – 4 und SKS 17, 295,22 in SKS K17, 491, 502 f., 504 und 505 f. zusammen mit Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 105 – 114. Zur Datierung der Seifenkellerschrift vgl. Exkurs 1, Anm. 45. Siehe S. 254. Siehe S. 353. Dies schließt freilich nicht aus, dass das in der Magisterabhandlung zum Vorschein kommende Verständnis der Philosophie Hegels unzureichend oder „mangelhaft“ (Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 211; vgl. hierzu S. 211– 217) gewesen sein kann. Für die Zeit bis zum Sommer 1840 vgl. Kierkegaards Verweise und Anspielungen auf Johan Ludvig Heiberg (SKS 17, 22, AA:12 / DSKE 1, 21; SKS 17, 36 f., AA:19 / DSKE 1, 39; SKS 17, 37, AA:20 / DSKE 1, 39 f.; SKS 17, 113, BB:23 / DSKE 1, 121; SKS 17, 119, BB:25 / DSKE 1, 128 (zusammen mit SKS K17, 233); SKS 17, 200,11– 12, CC:12 / DSKE 1, 159,27– 28; SKS 27, 76,8 – 13, Papir 25; SKS 27, 143, Papir 172 / T 1, 82; vgl. ferner SKS 19, 94, Not2:8 / DSKE 3, 98; SKS 27, 89, Papir 47:2; SKS 27, 146 – 148, Papir 180; SKS 27, 150, Papir 187; SKS 27, 156, Papir 206:2; SKS 27, 207, Papir 256:1 / T 1, 74; SKS 27, 121, Papir 99:1 / T 1, 61; SKS 27, 121, Papir 99:2; SKS 27, 122, Papir 102:1 / T 1, 62; SKS 27, 189 – 204, Papir 254, besonders 195,20 – 21; außerdem SKS 28, 125 f., Brev 71), Hans Lassen Martensen (SKS 17, 121 f., BB:32 / DSKE 1, 130 f.; SKS 17, 198,15 – 20, CC:12 / DSKE 1, 157,18 – 25; SKS 17, 198,23 – 24, CC:12 / DSKE 1, 157,27– 30; SKS 17, 198,28 – 29, CC:12 / DSKE 1, 158,5 – 6; SKS 17, 199,12– 18, CC:12 / DSKE 1, 158,1– 8; SKS 17, 222, DD:11.a / DSKE 1, 185; SKS 17, 239, DD:51 / DSKE 1, 204; SKS 17, 253, DD:100 / DSKE 1, 220; SKS 17, 262, DD:141/ DSKE 1, 230; SKS 17, 288, DD:208 / DSKE 1, 261; SKS 17, 291 f., DD:208 / DSKE 1, 265 f.; SKS 17, 295, DD:208 / DSKE 1, 269; SKS 18, 109, FF:176 / DSKE 2, 112; SKS 19, 125 – 143, Not4:3 – 12 / DSKE 3, 132– 151 (zusammen mit Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 280 – 331); SKS 18, 374– 386, KK:11 / DSKE 2, 384– 396 (zusammen mit Pap. II C 26 – 28 (in Bd. XIII), S. 3 – 116); vgl. ferner SKS 17, 49, AA:38 / DSKE 1, 52; SKS 17, 50, AA:40 / DSKE 1, 53; SKS 18, 83, FF:38 / DSKE 2, 85; SKS 27, 167, Papir 244 / ES, 136; SKS 27, 112,22 (zusammen mit SKS K27, 242)), Poul Martin Møller (SKS 17, 122– 133, BB:37 / DSKE 1, 132– 143; SKS 17, 134, BB:41 / DSKE 1, 145; SKS 17, 209, CC:25 / DSKE 1, 170; SKS 18, 24 f., EE:55 / DSKE 2, 22; SKS 18, 30, EE:74 / DSKE 2, 29; SKS 18, 44, EE:116 / DSKE 2, 44; SKS 27, 74,28 – 31 und 76,1– 6, Papir 25; vgl. ferner SKS 17, 37, AA:19 / DSKE 1, 39; SKS 17, 225, DD:18 / DSKE 1, 188; SKS 17, 229, DD:28.a / DSKE 1, 194; SKS 19, 208, Not7:9 / DSKE 3, 223) sowie Frederik Christian Sibbern (SKS 17, 136, BB:44 / DSKE 1, 136; SKS 17, 271, DD:179 / DSKE 1, 241; SKS 17, 288, DD:208 / DSKE 1, 261; SKS 18, 52, EE:147.b / DSKE 2, 52; vgl. ferner SKS 18, 44, EE:116 / DSKE 2, 44 und SKS 27, 215, Papir 259:2 / T 1, 176).
136
2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
durch Anhänger und Kritiker der hegelschen Philosophie in Deutschland vermittelt worden. Neben der Untersuchung von Kierkegaards Auseinandersetzung einerseits mit dem jüngeren Fichte im Frühjahr 1837 (2.2), andererseits mit Erdmann im November und Dezember 1837 (2.4) wird in diesem Kapitel auch der zweite und abschließende Teil der Untersuchung von Papir 92 erfolgen (2.3). Im ersten Teil der Untersuchung dieser für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis wichtigen Aufzeichnung in Kapitel 1.5 wurde argumentiert, dass Marheineke schwerlich die Zielscheibe von Kierkegaards Kritik gewesen ist, unter ‚Glaube‘ im Grunde nur ‚das erste Unmittelbare‘ zu verstehen. Im Rahmen dieses Kapitels gilt es zu plausibilisieren, dass der Schlüssel zum Verständnis dieser Kritik und zur Identifizierung ihrer eigentlichen Adressaten in Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag und Heibergs Replik darauf in der Zeitschrift Perseus liegt. Abschließend wird auf die Frage nach dem Verhältnis von Lebensanschauung und Glaube in Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) eingegangen, die, wie bereits angesprochen, ein¹⁷ unmittelbarer literarischer Niederschlag seiner philosophischen Vertiefung ist (2.5). Mit der Konzentration der Untersuchung auf Kierkegaards Auseinandersetzung mit den genannten Autoren soll nicht behauptet werden, die zum Teil intensive Beschäftigung des jungen Kierkegaard mit hervorragenden Denkern wie Franz von Baader (1765 – 1841), C. Daub, Anton Günther (1783 – 1863), Ph.K. Marheineke, Karl Rosenkranz (1805 – 79), Julius Schaller (1807– 68) und Christian Hermann Weiße (1801– 66) habe keinen oder keinen nachhaltigen Einfluss auf seine denkerische Entwicklung gehabt. Im Hinblick auf Kierkegaards Glaubensverständnis lässt sich eine tief(er)gehende Beeinflussung aber nicht feststellen. Was zum Beispiel Kierkegaards Beschäftigung mit Baaders Vorlesungen über speculative Dogmatik womöglich¹⁸ im Wintersemester 1837/38 betrifft, hat Kierkegaards Interesse unter anderem Baaders Ausführungen über das Wesen der Versuchung als des Ursprungs sowohl des kreatürlich Bösen wie auch des kreatürlich Guten¹⁹ sowie über die Geschichte der menschlichen Freiheit²⁰ gegolten, Auch die Seifenkellerschrift (vgl. oben Anm. 12 und Exkurs 1, Anm. 45) ist ein solcher literarischer Niederschlag, trägt für die Untersuchung von Kierkegaards Glaubensverständnis aber nichts aus. Vgl. oben Anm. 9. Vgl. SKS 27, 64,13 – 18, Papir 20 zusammen mit Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 1, S. 103 – 110 (17. Vorlesung), hier S. 104 f., sowie SKS 27, 67, Papir 22:3 zusammen mit Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 2, S. 80 – 84 (16. Vorlesung), hier S. 84. Vgl. SKS 27, 67, Papir 22:4 zusammen mit Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 2, S. 84– 91 (17. Vorlesung), hier S. 86 f., sowie SKS 27, 70, Papir 24:3 zusammen mit Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 2, S. 84 f.
2.1 Vorbemerkung und Abgrenzung
137
worauf Kierkegaard später auch in Der Begriff Angst (1844) Bezug nehmen sollte.²¹ Jedoch finden sich in Kierkegaards Aufzeichnungen weder zu Baaders Anliegen einer Versöhnung von Glauben und Wissen²² noch zu dessen Versuch einer Neubegründung einer christlichen Philosophie²³, innerhalb derer die aus dem „Fall des Menschen“ herrührende „Impotenz“²⁴ der menschlichen Intelligenz ausdrücklich anerkannt wird, eine wie auch immer geartete Reaktion.²⁵ Etwas anders verhält es sich mit Kierkegaards Lektüre von Daubs Abhandlung „Die Form der christlichen Dogmen- und Kirchen-Historie“ (1836/37)²⁶ in der Zeit von Ende Mai bis Mitte Juni 1837.²⁷ Vor allem Hirsch hat auf die mächtige Einwirkung Daubs auf Kierkegaards Glaubensverständnis hingewiesen, sei es doch Daubs Abhandlung gewesen, durch die Kierkegaard an die Grundfrage des Verhältnisses von Glaube und Geschichte herangeführt und seine Konzeption der ‚Gleichzeitigkeit‘ (als Lösungsversuch der Frage nach dem rechten Verhältnis des Glaubenden zu Jesus Christus) vorbereitet worden sei.²⁸ Nun findet sich zwar in
Vgl. SKS 4, 345 / BA, 37 f. (Anm.) zusammen mit Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 1, S. 85 – 91 (14. Vorlesung), hier S. 85, sowie SKS 4, 349 / BA, 41 und SKS 4, 363 / BA, 58 zusammen mit Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 1, S. 107 f. und S. 108 f. (Anm. 3). Vgl. Baader, Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 1, S. 25 – 30 (3. Vorlesung), hier S. 25 f. Vgl. ibid., S. 30 – 37 (4. Vorlesung). Ibid., S. 35. Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 62 übersieht, dass sich das von ihm aus Baaders Vorlesungen über speculative Dogmatik (Heft 1, 3. Vorlesung) angeführte Zitat („Wissen und Glauben verhalten sich wie Bewegen und Ruhen. Der Mensch kann nur wissend glauben, nur glaubend wissen“) nicht in der Kierkegaard vorliegenden Ausgabe, sondern erst in der späteren Ausgabe Franz von Baader’s sämmtliche Werke. Systematisch geordnete, durch reiche Erläuterungen von der Hand des Verfassers bedeutend vermehrte, vollständige Ausgabe der gedruckten Schriften sammt dem Nachlasse, der Biographie und dem Briefwechsel, hg. von Franz Hoffmann et al., Bd. 1– 16, Leipzig 1851– 60 findet, vgl. Bd. 8, 1855, S. 29 (Anm.). Carl Daub, „Die Form der christlichen Dogmen- und Kirchen-Historie“, Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 1, 1836, Heft 1, S. 1– 60, Heft 2, S. 63 – 132; Bd. 2, 1837, Heft 1, S. 88 – 161. Vgl. SKS 17, 213, DD:1.c / DSKE 1, 175; SKS 17, 213, DD:2 / DSKE 1, 175; SKS 17, 222 f., DD:12 / DSKE 1, 186 f.; SKS 17, 223, DD:13 / DSKE 1, 187; SKS 18, 87, FF:61 / DSKE 2, 90. Vgl. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 539 – 551 („Die Einführung in die Frage Glaube und Geschichte durch Karl Daub“), besonders S. 548 – 551; ferner – Hirschs Annahme aufnehmend bzw. folgend – Ehrhard Pfeiffer, „Zur Erinnerung an Karl Daub“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 44 (N.F. Bd. 17), 1936, S. 273 – 279, hier S. 279 (Anm. 1); Uwe Schott, Art. „Daub, Karl (1765 – 1836)“, in Theologische Realenzyklopädie, op. cit., Bd. 8, 1981, S. 376 – 378, hier S. 377, und Jon Stewart, „Daub: Kierkegaard’s Paradoxical Appropriation of a Hegelian Sentry“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von dems., Aldershot und Bur-
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Kierkegaards Aufzeichnungen ein Zitat aus Daubs Abhandlung, aus dem unter anderem Daubs Differenzierung zwischen dem „Geschichts-Glauben“ und dem „jenseits-geschichtlichen“ Glauben ersichtlich wird²⁹, und man kann auch ein Interesse Kierkegaards sowohl an Daubs Verhältnisbestimmung zwischen dem natürlichen und dem geschichtlichen Sinn³⁰ als auch an Daubs Bemerkungen zur Frage der Beweisbarkeit der biblischen Wunder konstatieren.³¹ Die von Hirsch postulierte tiefgreifende Bedeutung von Daubs Abhandlung lässt sich anhand von Kierkegaards Aufzeichnungen jedoch nicht belegen.³² Zweifellos hat Daub einen Themenkomplex angesprochen, mit dem sich auch Kierkegaard in den nächsten Jahren immer wieder beschäftigen sollte. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest der erste Impuls für diese Beschäftigung auf die Lektüre von Daubs Abhandlung zurückgeht, doch war Daub keineswegs die einzige mögliche Quelle für Kierkegaard in diesem Zusammenhang und, worin ich Thulstrup beistimme³³, wohl auch nicht die wichtigste. Wesentlich eingehender mit dem Verhältnis von Glaube und Geschichte sollte sich Kierkegaard nämlich gut ein Jahr später anlässlich seiner Exzerpierung von Schallers Der historische Christus und die Philosophie (1838)³⁴ befassen. Doch auch
lington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 53 – 78, hier S. 59 – 63. Vgl. SKS 17, 213, DD:1.c / DSKE 1, 175 zusammen mit Daub, „Die Form der christlichen Dogmen- und Kirchen-Historie“, Bd. 2, Heft 1, S. 135. Vgl. SKS 17, 213, DD:2 / DSKE 1, 175 zusammen mit Daub, „Die Form der christlichen Dogmenund Kirchen-Historie“, Bd. 2, Heft 1, S. 126 f. Vgl. SKS 17, 222 f., DD:12 / DSKE 1, 186 f. zusammen mit Daub, „Die Form der christlichen Dogmen- und Kirchen-Historie“, Bd. 1, Heft 2, S. 103 f. Dies gilt auch für die weitere Beschäftigung Kierkegaards mit Daub, vgl. SKS 18, 172, JJ:102 / DSKE 2, 177; SKS 18, 194, JJ:167 / DSKE 2, 200; SKS 20, 75, NB:91 / DSKE 4, 83; SKS 20, 192, NB2:130 / DSKE 4, 216; SKS 21, 183, NB8:95; SKS 23, 49, NB15:71; SKS 23, 70 f., NB15:101 (vgl. ferner SKS 19, 273, Not9:1 / DSKE 3, 296). Das einzige direkte Zitat aus Daubs „Die Form der christlichen Dogmen- und Kirchen-Historie“ in Kierkegaards veröffentlichten Schriften findet sich in SKS 4, 279,29 / PB, 76 (vgl. Daub, ibid., Bd. 1, Heft 1, S. 1). Das vermeintliche Zitat in SKS 1, 33,16 – 17 / LP, 64 stammt wahrscheinlich aus Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (siehe unten Anm. 251); die Anspielungen in SKS 4, 144,27 / FZ, 53 und SKS 8, 202,31 / ERG, 105 stammen aus Karl Rosenkranz, Erinnerungen an Karl Daub, Berlin 1837 (ktl. 743), S. 24 f. (vgl. hierzu SKS 18, 172, JJ:102 / DSKE 2, 177). Vgl. hierzu Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 89 und S. 130 (Anm. 18); vgl. jedoch – in gewissem Unterschied dazu – ders., „Daub“, in Kierkegaard’s Teachers, hg. von dems. und Marie Mikulová Thulstrup, Kopenhagen 1982 (Bibliotheca Kierkegaardiana, Bd. 10), S. 208 – 211, hier S. 210. Julius Schaller, Der historische Christus und die Philosophie. Kritik der Grundidee des Werks das Leben Jesu von Dr. D. F. Strauss, Leipzig 1838 (ktl. 759); vgl. hierzu Kierkegaards Exzerpt in SKS 18, 318 – 337, KK:2 / DSKE 2, 328 – 347 samt Analyse von Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis
2.2 I.H. Fichte
139
aus diesem Exzerpt, in das zwei interessante persönliche Bemerkungen Kierkegaards über das Ungenügen der philosophischen (spekulativen) Betrachtungsweise eingeschoben sind³⁵, lässt sich nicht ersehen, dass Kierkegaards Beschäftigung mit Schaller für sein Glaubensverständnis wichtig oder einflussreich gewesen ist. Dass dies jedoch für Kierkegaards Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte und mit Erdmann gilt, wird in diesem Kapitel zu zeigen sein.
2.2 I.H. Fichte³⁶ Die Journalaufzeichnung AA:22 mit Datum vom 19. März 1837³⁷ ist die Abschrift einer Auseinandersetzung Kierkegaards mit Systemen der „Wechselwirkung“³⁸, unter die neben Schleiermacher und Schelling auch Immanuel Hermann Fichte (1796 – 1879), der Sohn J.G. Fichtes, fällt. Obwohl diese im Februar 1837 zunächst auf einen losen Zettel notierte und dann kurze Zeit später in das Journal AA abschriftlich eingetragene³⁹ Auseinandersetzung nur skizzenhaft und einigermaßen im Vagen bleibt, finden sich in den kritischen Bemerkungen gegenüber dem jüngeren Fichte, von dem Kierkegaard, wie er schreibt, zu diesem Zeitpunkt „nur
zu Hegel, S. 128 – 134 und George Pattison, Kierkegaard and the Theology of the Nineteenth Century. The Paradox and the ‘Point of Contact’, Cambridge und New York 2012, S. 65 – 71. Aus der Randbemerkung SKS 18, 318, KK:2.a / DSKE 2, 328 geht dabei hervor, dass Kierkegaard sein Exzerpt in der Zeit zwischen dem 23. Juli und dem 21. August 1838 angefertigt hat. Vgl. SKS 18, 330 f., KK:2 / DSKE 2, 340 f. (vgl. unten Anm. 82) zusammen mit dem editorischen Bericht zu Journal KK in DSKE 2, 665 samt Abbildung auf 342– 343. Auch an Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen hat Kierkegaard diese Kritik festgemacht, siehe Kap. 2.4.2.1. Dieser Abschnitt ist eine geringfügig überarbeitete Fassung meines Aufsatzes „Die philosophische Verflüchtigung des Glaubensbegriffs. Kierkegaards Auseinandersetzung mit Immanuel Hermann Fichte“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2013, S. 345 – 376. Vgl. SKS 17, 41 f., AA:22 / DSKE 1, 43 f. Zum Begriff der Wechselwirkung bei Schleiermacher, Schelling und Fichte vgl. den Kommentar zu DSKE 1, 43,6 – 8 in DSKE 1, 359 f. Der erste Teil der Abschrift (SKS 17, 41,5 – 22, AA:22 / DSKE 1, 43,6 – 24), in dem Kierkegaard begründet, warum diese Denker in seinen Augen nicht über die Wechselwirkung hinausgekommen sind, kann hier übergangen werden, da sich daraus keine Rückschlüsse auf Kierkegaards Glaubensverständnis ziehen lassen. Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit Schleiermacher in dieser Aufzeichnung vgl. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 76 – 88, der S. 82 auch direkte textliche Parallelen zwischen Kierkegaard und Schleiermacher anführt. Vgl. den in der folgenden Anm. wiedergegebenen Anfang der Journalaufzeichnung AA:22. Zu diesem für den jungen Kierkegaard keineswegs ungewöhnlichen Vorgehen vgl. die Bemerkungen zu Kierkegaards losen Papieren in der Einleitung.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
flüchtig“⁴⁰ Die Idee der Persönlichkeit (1834)⁴¹ gelesen hatte, sowie in den daran anschließenden Überlegungen wichtige Aussagen über den christlichen Glauben. Bevor diese näher betrachtet werden sollen (2.2.2), gilt es zunächst, die hierfür relevanten Ausführungen Fichtes darzustellen (2.2.1). Schließlich soll der Zusammenhang zwischen Kierkegaards Kritik an Fichte in AA:22 und dem von ihm in der Journalaufzeichnung CC:12 gegen die Philosophen erhobenen Vorwurf der ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs untersucht werden (2.2.3).
2.2.1 Die Idee der Persönlichkeit (1834) Fichtes Schrift Die Idee der Persönlichkeit (1834) steht im Kontext der religionsphilosophischen Auseinandersetzungen der 1830er Jahre über die Persönlichkeit Gottes und die persönliche Unsterblichkeit.⁴² Fichte ist neben Christian Hermann Weiße der bedeutendste Vertreter des spekulativen Theismus, worunter „diejenige philosophische Richtung“ zu verstehen ist, „welche die durch Schelling und Hegel angehobene Entwicklung der Philosophie zum entschiedenen Theismus fortzu-
SKS 17, 41, AA:22 / DSKE 1, 43. Der Anfang dieser Aufzeichnung, als Einleitung zur nachfolgenden Abschrift, lautet: „Das, was ich hier abschreibe, befand sich auf einem Fetzen Papier und ist älter als meine Kenntnis des jüngeren Fichte, von dem ich nur flüchtig ‚Idee der Personlichkeit‘ [sic!] gelesen hatte [havde læst], zweifelsohne ist es vom Februar“ (meine Übers. und Hervorhebung). DSKE übersetzt statt „gelesen hatte“ perfektisch „gelesen habe“, was jedoch im Widerspruch zu Kierkegaards Bemerkung am Ende der Aufzeichnung steht, es freue ihn zu sehen, dass ein Teil der abgeschriebenen Bemerkungen mit dem übereinstimme, worauf er „beim späteren Lesen des jüngeren Fichte gestoßen“ (SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 44) sei. Als Kierkegaard seine Bemerkungen zu Fichte im Februar 1837 erstmals zu Papier brachte, geschah dies also, wie er ja selbst bemerkt, allein auf dem Hintergrund seiner kursorischen Lektüre von Fichtes Die Idee der Persönlichkeit, weshalb mir die in Kap. 2.2.1 vorgenommene Beschränkung der Darstellung der fichteschen Position auf diese Schrift als gerechtfertigt erscheint. Immanuel Hermann Fichte, Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer, Elberfeld 1834 (ktl. 505). Vgl. hierzu Gerald Frankenhäuser, Die Auffassungen von Tod und Unsterblichkeit in der klassischen deutschen Philosophie von Immanuel Kant bis Ludwig Feuerbach, Frankfurt am Main 1991 (zugleich Diss., Univ. Halle, 1988), S. 75 ff., sowie, was Kierkegaards Stellung zur Unsterblichkeitsfrage angeht, István Czakó, „Unsterblichkeitsfurcht. Ein christlicher Beitrag zu einer zeitgenössischen Debatte in Søren Kierkegaards ‚Gedanken, die hinterrücks verwunden – zur Erbauung‘“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2007, S. 227– 254; ders., „Becoming Immortal: the Historical Context of Kierkegaard’s Concept of Immortality“, in Kierkegaard and Christianity, hg. von Roman Králik et al., Šaľa und Toronto 2008 (Acta Kierkegaardiana, Bd. 3), S. 59 – 71; ders., „Die kritische Rezeption der Philosophie Hegels in der dänischen Debatte über die Unsterblichkeit“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2012, S. 235 – 266; Tamara Monet Marks, „Kierkegaard’s ‘New Argument’ for Immortality“, Journal of Religious Ethics, Bd. 38, 2010, S. 143 – 186.
2.2 I.H. Fichte
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führen sich bestrebte“⁴³. Den kritischen Ausgangspunkt von Fichtes Argumentation bildet die Annahme, dass sich „alle bloß dialektisch-rationalistischen Systeme“⁴⁴ als unzureichend erweisen, weil sie Gott nur als dialektischen Prozess, nicht aber als absolute Persönlichkeit fassen können. Persönlichkeit impliziere Freiheit, und das Freie sei „das dialektisch Unberechenbare“⁴⁵, so dass Gott als Persönlichkeit nicht apriorisch erkannt, sondern „nur durch die That, die Selbstoffenbarung seines Willens, erfahren werden“⁴⁶ könne. Wenn darum Carl Friedrich Göschel (1781– 1861) in seiner Rezension von F. Richters Die neue Unsterblichkeitslehre (1833)⁴⁷, dem äußeren Anlass für Fichtes Schrift, die Idee der absoluten Persönlichkeit Gottes „als den wahren Geist und Inhalt der Hegelschen Philosophie“⁴⁸ erkläre, bemerke er nicht, eben damit „durch Hegel über Hegel hinausgeschritten“⁴⁹ zu sein. Nach der Auseinandersetzung mit Göschel im ersten Teil der Schrift rekapituliert Fichte im zweiten Teil die Grundzüge seines eigenen philosophischen Systems, um auf der Grundlage dieser „spekulativen Grundansicht“⁵⁰ in den physiologischen Überlegungen des abschließenden dritten Teils das mit der Idee der Persönlichkeit zusammenhängende Problem einer persönlichen Unsterblichkeit der Seele zu erörtern. Kierkegaard bezieht sich in der Journalaufzeichnung AA:22 ausschließlich auf den zweiten Teil der Schrift⁵¹, in dem Fichte im Rückgriff auf den ersten Band
Immanuel Hermann Fichte und Hermann Ulrici, „Ankündigung der vom Jahre 1847 an erscheinenden Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, als Fortsetzung der Fichteschen Zeitschrift für Philosophie und speculative [sic!] Theologie. (Als Vorwort des neuen Jahrgangs.)“, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 17, 1847, S. 1– 6, hier S. 1. Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 10. Ibid., S. 11. Ibid. Carl Friedrich Göschel, „Die neue Unsterblichkeitslehre. Gespräch einer Abendgesellschaft, als Supplement zu Wielands Euthanasia. Herausgg. von Dr. Friedr. Richter, von Magdeburg. Breslau, bei Georg Friedrich Aderholz. 1833. 79 S. kl. 8.“, Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, 1834, Bd. 1, Artikel I, Nr. 1, Sp. 1– 4; Nr. 2, Sp. 9 – 16; Nr. 3, Sp. 17– 21; Artikel II, Nr. 17, Sp. 131– 135; Nr. 18, Sp. 137– 144; Nr. 19, Sp. 145 – 147. Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 2; vgl. hierzu Göschel, „Die neue Unsterblichkeitslehre“, Sp. 15, Sp. 21, Sp. 139 f. und Sp. 145 – 147. Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 8; vgl. auch S. 41: „So bin ich auch der Partei, als deren Vorkämpfer man Göschel gewöhnlich anzusehen pflegt, absonderlich mißfällig…Ganz anders ist mein Verhältniß zu Göschel, der immer viel zu gut war für jene Gesellschaft, welche sich ihm angedrängt. Nicht gegen ihn kämpfe ich, sondern mit ihm und für ihn; denn einzig darin besteht unsere Differenz, daß er seinem bisherigen Standpunkte noch allzuviel zutraut und Unmögliches von ihm verlangt.“ Ibid., S. 15. Vgl. ibid., S. 40 – 122.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
seiner Grundzüge zum Systeme der Philosophie (1833)⁵² sein (bislang ausgeführtes) philosophisches System skizziert. Aufgabe und Inhalt der Erkenntnistheorie als erstem Teil des Systems sei es, die „unmittelbare und unbedingte Apriorität“⁵³ der Idee des Absoluten als der allem Denken schlechthin (unbewusst) zugrunde liegenden Voraussetzung nachzuweisen, um diese eo ipso in ihrer Universalität gesicherte Idee der Ontologie als zweitem Teil des Systems zu übergeben. In der Ontologie (diese entspricht in Fichtes Diktion Hegels spekulativer Logik) werde die Idee des Absoluten einer vollständigen dialektischen Analyse unterzogen und das Verhältnis des Absoluten zum Endlichen erschöpfend entwickelt. Hierin bestehe zugleich die ontologische Deduktion der Kategorien, insofern diese „apriorischen Denkformen nichts Anderes ausdrücken, als die im Denken allmählig sich vollendenden Stufen dieses Verhältnisses.“⁵⁴ Ziel und Grenze dieser Deduktion seien die Ideen der Person und der Persönlichkeit Gottes, womit für Fichte aber weder Gottes inneres Wesen wirklich erkannt noch seine Persönlichkeit wirklich erwiesen seien, da dieser a priori abgeleitete und ontologisch-dialektisch aufgebaute Gottesbegriff als reiner Gedanke nur „ein unwirklicher oder vorwirklicher“⁵⁵ Gottesbegriff bleibe. Der a priori erkannte Gott müsse deshalb „zugleich als der wirkliche und lebendige…in einer, jenes apriorische Thun ergänzenden, Anschauung oder Erfahrung“⁵⁶ noch bewährt werden. Erst im „spekulativ anschauende[n] Erkennen“ sei Gott „nach seiner Idee, darin aber als das schlechthin und unendlich Wirkliche“⁵⁷ erkannt. Ausgangs- und Bezugspunkt von Kierkegaards Aussagen über den christlichen Glauben sind dabei die von Fichte mit dieser Systemskizze – zum Teil im Rückgriff auf seine Sätze zur Vorschule der Theologie (1826)⁵⁸ – verbundenen Ausführungen über Gottes Schöpfung und Offenbarung im Gottmenschen. Die Idee der absoluten Persönlichkeit Gottes kann für Fichte „nur als die unendlich schöpferische“⁵⁹ gedacht werden. Diese Schöpfung stelle nicht das Produkt einer mechanischen oder dialektischen Notwendigkeit in Gott dar, sondern sei auf Gottes freien Willen zurückzuführen, der, „in unendlich schöpferischer Selbstoffenbarung“⁶⁰ sich betätigend, nicht auf einen einmaligen anfänglichen
Siehe Anm. 122. Ibid., S. 53 f. (ohne Hervorhebung). Ibid., S. 57 (ohne Hervorhebung). Ibid., S. 88. Ibid., S. 54. Ibid., S. 89. Siehe Anm. 119. Ibid., S. 75 (ohne Hervorhebung). Ibid., S. 76.
2.2 I.H. Fichte
143
Schöpfungsakt beschränkt bleibe, sondern sich ununterbrochen in der Welt vollziehe: „Er schuf und schafft sie unablässig…in jeder Uranlage, jeder Existenz des Vollkommenen bethätigt sich der Wille Gottes und seine Vollziehung.“⁶¹ Gott sei daher ebenso sehr als unendlich in der Welt wie als schlechthin über der Welt zu denken, die, als Schöpfung Gottes, zugleich der Ort seiner Selbstverwirklichung, mithin real erfüllte Schöpfung sei. Alle Wirklichkeit sei deshalb immer schon vorgängig als positive Wirklichkeit qualifiziert, was jedoch nicht apriorisch deduziert, sondern nur erfahren werden könne. Für das Verhältnis Gottes zum Menschen bedeute dies nun, dass Gott einerseits, da „in Allem und Allen (Kreaturpersönlichkeiten) gegenwärtig“⁶², mit dem Menschen unauflöslich verbunden, andererseits aber durch das Prinzip der Persönlichkeit von ihm geschieden sei, und zwar in doppelter Hinsicht: sowohl von Seiten Gottes, der als absolute Persönlichkeit ein von der Welt freies Selbst sei, als auch von Seiten des Menschen, der, eben weil als Kreatur Gottes zugleich Person, eine selbstische Kreatur sei, die sich, obgleich in Gott, nur frei, durch ihre eigene Entwicklung verwirklichen könne. Die so aus dem Prinzip der Persönlichkeit resultierende Unterschiedenheit Gottes und des Menschen als die ihrer Einheit immanente Bestimmung könne sich bis hin zum Zwiespalt der Kreatur mit Gott steigern, worin Fichte die Möglichkeit des Ursprungs des Bösen gegeben sieht.⁶³ Diese Selbstverhärtung oder Selbstverkehrung des Menschen könne nur eine aus ihm selbst, aus seiner Einheit mit Gott stammende Macht lösen: „es ist Kampf und Krisis seiner gesammten geistigen Natur; aber nicht durch Selbstbefreiung, sondern durch Ergänzung, Erlösung aus Gott wird er entschieden.“⁶⁴ Gott als „der Ewige, zeitlich Allerfüllende“ erscheine deshalb zugleich „in besonderer Zeitlichkeit“: „der persönliche Gott wird eine geschichtliche Macht besonderer Offenbarung an den Menschen“⁶⁵. Die zeitliche Vollendung dieser Offenbarung Gottes sei sein vollständiges Gegenwärtigwerden im Menschen als Gottmensch, woran der Geschichte ihre Scheidung und ihr Wendepunkt gegeben sei. Die rein spekulative Gedankenbewegung könne auf diese Weise zwar „die Idee der göttlichen Persönlichkeit bis zu ihrer höchsten Selbstbewährung im zeitlich-geschichtlichen Erscheinen“⁶⁶ hindurchverfolgen. Da diese Selbstbewährung Gottes als Gottmenschen – wobei es der Gottmensch selbst sei, der bei seinem zeitlichen Erscheinen „den Beweis für sich“ führen müsse: durch Lehre
Ibid., S. 78. Ibid., S. 114. Vgl. ibid., S. 115. Ibid., S. 117. Ibid., S. 120. Ibid., S. 121.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
und Taten sowie, nach seinem persönlichen Verschwinden, durch „die völlige Umgestaltung der Geschichte von ihm aus“⁶⁷ – aber nur rein geschichtlich erwiesen werden könne, stoße die spekulative Gedankenbewegung hier an ihre Grenze. Deshalb müsse sie sich „auch hier der ihr nothwendigen Ergänzung durch das Zeugniß der Geschichte“ öffnen: „Diese Selbstbewährung als Gottmenschen, dieses innere und äußere Zeugniß hat nur Christus für sich gegeben, was nun keinesweges mehr spekulativer, sondern rein geschichtlicher Erweisung unterliegt. Dies ist das unvertilgbare historische Element des Christenthums; es ist nicht bloße Spekulation, sondern es fordert Anerkenntniß, Vertrauen (πίστις, und daraus ergiebt sich zugleich die ursprüngliche Bedeutung von Glaube) – zu einer besondern göttlich-menschlichen Thatsache, und von diesem unverrückbaren Gesichtspunkte geht Alles in ihm aus. Erst in Christo und durch ihn hat Gott das höchste Zeugniß, die thatsächliche Gewißheit von sich gegeben.“⁶⁸
In ihrem eigentlichen Ziel könne die im Begriff der Persönlichkeit Gottes durch diese geschichtliche Tatsächlichkeit ergänzte und übertroffene Spekulation deshalb „nur in eine Art von praeparatio evangelica auslaufen“⁶⁹. Dennoch sei Christus, wie Fichte im Anschluss daran betont, „zugleich die tiefste spekulative Erscheinung, der gewaltigste Durchbruch und die größte Siegbewährung der Idee über den bloß zeitlichen Verlauf und dessen Entwicklung.“⁷⁰
2.2.2 Die Auseinandersetzung mit Fichte (AA:22) In der Journalaufzeichnung AA:22 kann Kierkegaard bei Fichte zwar insofern einen Fortschritt konstatieren, als er „über Hegels Abstraktion hinaus zur Anschauung gekommen“⁷¹ sei. Jedoch bleibe dieses System (auch wenn Fichte an einer Stelle über eine „besondere Zeit“⁷² spreche) hinter der „christliche[n] Lehre von der Zeit – vom Sündenfall des Teufels von Ewigkeit her und dadurch des Menschen in der Zeit“ – zurück und erreiche „nicht die Genugtuung in der Zeit, nicht den Glauben (bloß das unmittelbare Bewusstsein).“⁷³ Letzteres erläutert Kierkegaard wie folgt: Ibid. Ibid., S. 121 f. Ibid., S. 122. Ibid. SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 43. Ibid. („besondere Zeit“ bei Kierkegaard deutsch). Kierkegaard bezieht sich hier auf Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 120 (vgl. das zur Anm. 65 gehörende Zitat). SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 43 (dt. Übers. modifiziert).
2.2 I.H. Fichte
145
„Die erste Schöpfung gibt das unmittelbare Bewusstsein (das ist der Eindruck; aber wie beim Wind weiß man weder, woher es kommt, noch wohin es weht), darüber hinaus können wir nicht kommen; das Christentum ist die zweite Schöpfung (daher wird Christus von einer reinen Jungfrau geboren, was wiederum ein Schöpfen aus dem Nichts ist; daher beschattete der Geist Gottes die Jungfrau Maria, ebenso wie er einstmals über dem Meer schwebte), ein neues Moment, das Hören des Wortes – Glaube, der das unmittelbare Bewusstsein des zweiten Stadiums ist“⁷⁴.
Als die ‚zweite Schöpfung‘⁷⁵, die, wie die Idee der Parthenogenese zeige, kraft einer erneuten creatio ex nihilo in die Welt gekommen sei, repräsentiert das Christentum für Kierkegaard also etwas aus der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung unableitbares Neues. Als das ‚unmittelbare Bewusstsein‘ dieses ‚zweiten Stadiums‘ sei der Glaube von dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘, wie es dem Menschen durch die ‚erste Schöpfung‘ zuteil werde, radikal unterschieden. Der Glaube kommt für Kierkegaard aber nicht aus dem Nichts, sondern aus dem ‚Hören des Wortes‘. Die für den Glauben konstitutive Bezogenheit auf etwas aus der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung unableitbares Neues impliziert also keineswegs seine Geschichtslosigkeit. Die Kontinuität des Glaubens
SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 44 (meine Übers.). Wie bereits Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 531 und DSKE übersetzt auch Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 84 die Wendung „das unmittelbare Bewusstsein des zweiten Stadiums [det andet Stadiums umidd. Bevidsthed]“ falsch mit „das zweite Stadium des unmittelb.[aren] Bewusstseins“. Dies ergibt jedoch einen erheblichen Bedeutungsunterschied. Wäre der Glaube nämlich ‚das zweite Stadium des unmittelbaren Bewusstseins‘, dann wäre (und bliebe) er – und sei es als dessen zweites Stadium – im Binnenraum ein und desselben unmittelbaren Bewusstseins angesiedelt, das dem Menschen durch ‚die erste Schöpfung‘ zuteil wird. Als ‚das unmittelbare Bewusstsein des zweiten Stadiums‘ (und zwar des Christentums) ist der Glaube aber ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ von etwas aus der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung unableitbares Neues, weshalb auch der Glaube selbst eine Bewusstseinsform repräsentiert, die vom „allgemein menschliche[n] unmittelbare[n] Bewusstsein“ (SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 44) radikal unterschieden ist. Siehe auch Kap. 2.4.2.4 über Kierkegaards Bestimmung des (supranaturalistischen) Glaubens als ‚neues Bewusstsein‘ in seiner Auseinandersetzung mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837). Der hier ausgesprochene Gedanke, dass das Christentum im Unterschied zur ‚ersten Schöpfung‘ die ‚zweite Schöpfung‘ darstelle, findet sich in der eingeschobenen Bemerkung AA:14.2 vom 14. Januar 1837 (vgl. EP I-II, S. 71 mit DSKE 1, 292) materialiter vorbereitet, in der Kierkegaard das System Augustins dem des Pelagius konfrontiert. Während das pelagianische System sich an den Menschen wende, „wie er ist (Christentum passt in die Welt)“, wolle das augustinische System zuerst „alles zerschlagen, um es dann wieder aufzurichten“. Das augustinische System kenne im Hinblick auf das Christentum daher drei Stadien: „die Schöpfung – den Sündenfall und dadurch bedingt einen Todes- und Ohnmachts-Zustand – und eine neue Schöpfung, wobei der Mensch auf den Standpunkt gestellt wird, dass er wählen kann, und dann folgt – wenn er wählt – das Christentum“ (SKS 17, 33, AA:14.2 / DSKE 1, 34); vgl. auch SKS 19, 35 f., Not1:6 / DSKE 3, 34 (§ 38) und SKS 19, 68 – 70, Not1:8 / DSKE 3, 70 – 73 (§§ 65 – 66).
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zu seinem geschichtlichen Grund, der Inkarnation Gottes in Jesus Christus, begründet nicht nur seine Geschichtlichkeit, sondern ist zugleich Voraussetzung für das Entstehen von Tradition. Dagegen ist „das ganze Reden über Tradition auf philosophischem Gebiet“, wie Kierkegaard in den daran anschließenden Überlegungen betont, nur „eine Verschleierung, ein uneheliches Kind des Christentums.Was nun freilich den Anstoß zu dieser Rede über Tradition gegeben hat, ist dies, dass man, da man die Philosophie zur theoretischen Vollendung des Bewusstseins machte, um jedoch dem Einwand zu entgehen, dass es dafür, dass man das normale Bewusstsein getroffen habe, eigentlich doch keine Garantie gab, nun die Tradition hinzufügte. – Deshalb kann es hier zu der Frage kommen, weshalb Gott die Welt erschuf, worauf ja auch die alten Dogmatiker eingegangen sind – weil sie eine Offenbarung kennen – während Fichte etc. natürlich nie hinauskamen über das allgemein menschliche unmittelbare Bewusstsein.“⁷⁶
Die Kierkegaard im Herbst 1835 zugewachsene Überzeugung von der Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum (vgl. Kapitel 1.4.1) wird von ihm gegenüber dem jüngeren Fichte also bewusstseinstheoretisch als radikale Differenz zwischen dem allgemein menschlichen und dem spezifisch christlichen Bewusstsein gefasst.⁷⁷ Während ‚Fichte etc.‘ nicht über das ‚allgemein menschliche unmittelbare Bewusstsein‘ hinausgekommen seien, spreche sich im Christentum ein Bewusstsein aus, das auf einem Offenbarungsereignis gründe und darauf bezogen bleibe. Als dieses unmittelbare Bewusstsein des Christentums ist der Glaube für Kierkegaard deshalb von dem ‚allgemein menschlichen unmittelbaren Bewusstsein‘ radikal unterschieden.
SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 44 (dt. Übers. modifiziert; „Verschleierung“ bei Kierkegaard „Subreption“). Der Ausdruck „das allgemein menschliche unmittelbare Bewusstsein“ [den almdl. msklige umidd. Bevidsthed] könnte womöglich in Anlehnung an Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 110 formuliert sein, wo es heißt, dass die Ahnung der individuellen Fortdauer des Geist gewordenen Menschen über den Tod hinaus „die Grundvoraussetzung, der natürliche Ausdruck des unmittelbar menschlichen Selbstbewußtseins“ sei. Vgl. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 4. Zu Kierkegaards Differenzierung zwischen dem ‚allgemein‘ oder ‚rein menschlichen Bewusstsein‘ und dem ‚christlichen Bewusstsein‘ sowie der damit einhergehenden Differenzierung zwischen dem ‚allgemein menschlichen‘ oder ‚humanen Standpunkt‘ (als Standpunkt der Philosophie) und dem (Standpunkt des) Christentum(s) vgl. (allesamt aus der Zeit zwischen Sommer 1837 und Sommer 1839) SKS 17, 216, DD:5 / DSKE 1, 178; SKS 17, 248, DD:82 / DSKE 1, 214; SKS 17, 249, DD:86 / DSKE 1, 215; SKS 17, 258, DD:125 / DSKE 1, 225 f.; SKS 17, 259, DD:131 / DSKE 1, 227; SKS 18, 31 f., EE:80 / DSKE 2, 30; SKS 18, 32, EE:83 / DSKE 2, 31; SKS 18, 34, EE:90 / DSKE 2, 32 f.; SKS 18, 34, EE:92 / DSKE 2, 33; SKS 18, 46, EE:124 / DSKE 2, 46; SKS 18, 51 f., EE:147 / DSKE 2, 51 f.; SKS 18, 54, EE:153 / DSKE 2, 54; SKS 18, 330 f., KK:2 / DSKE 2, 340 f.; vgl. ferner SKS 19, 167, Not4:44 / DSKE 3, 177 f.
2.2 I.H. Fichte
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Jedoch ist zu fragen, warum auch Fichte in Kierkegaards Augen nicht über das ‚allgemein menschliche unmittelbare Bewusstsein‘ hinausgekommen ist und sein System weder das christliche Zeitverständnis noch den Glauben erreicht hat? Diese Kritik scheint erstaunlich, da Fichtes Argumentation, dass die spekulative Gedankenbewegung an der Selbstbewährung Gottes als Gottmenschen an ihre Grenze stoße, weil diese nicht mehr spekulativer Erweisung unterliege, sondern – als das „unvertilgbare historische Element des Christenthums“⁷⁸ – die Anerkennung eines bestimmten historischen Faktums als Fundament des Glaubens fordere, nicht nur mit den von Kierkegaard später erhobenen grundsätzlichen Einwänden gegen eine die Eigentümlichkeit des Christlichen nivellierende Spekulation⁷⁹, sondern auch mit seinen bereits Ende 1837 notierten kritischen Bemerkungen zu Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) etwas Wesentliches gemein hat. Wie in Kapitel 2.4.2 zu zeigen sein wird, besteht für Kierkegaard das Defizitäre an Erdmanns spekulativer Betrachtungsweise gerade in der unzulässigen Verknüpfung der beiden durch einen ‚klaffenden Abgrund‘ geschiedenen Ebenen der dialektischen Gedankenbewegung und der geschichtlichen Wirklichkeit sowie in der damit einhergehenden Nichtbeachtung der besonderen Geschichtlichkeit des Christentums, dessen Grundtatsache sich keineswegs als (denk)notwendiges Moment einer abstrakten Deduktion erweisen lässt. Hinsichtlich der Betonung des Unterschiedes zwischen der Immanenz der Gedankenbewegung und der die Immanenz transzendierenden geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes im Gottmenschen Jesus Christus stimmt (der junge wie der spätere) Kierkegaard mit Fichte also grundsätzlich überein.⁸⁰ Im Hintergrund jener Kritik Kierkegaards an Fichte – will man diese nicht einfach durch den Hinweis auf Kierkegaards lediglich kursorische Lektüre von Fichtes Schrift erklären⁸¹ – steht offenbar die Überzeugung, dass Fichte, indem er zwar über die hegelsche Abstraktion zum spekulativ anschauenden Erkennen Gottes hinausgehen, die Inkarnation Gottes in Jesus Christus zugleich aber als „die tiefste spekulative Erscheinung“ und „größte Siegbewährung der Idee über den Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 122. Vgl. unten Anm. 338. Zur Übereinstimmung zwischen Kierkegaard und Fichte vgl. ferner Kap. 3, Anm. 55. So Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 87 f., der Kierkegaard eine „Vernachlässigung gerade derjenigen Aspekte der Fichte’schen Philosophie“ attestiert, „die Kierkegaards Erwartungen an eine ihr Verhältnis zum Christentum mitreflektierende Philosophie möglicherweise hätten erfüllen können“ (S. 87). Dass Fichtes Philosophie, wenn Fichte jenes ‚unvertilgbare historische Moment des Christentums‘ herausstelle, „damit möglicherweise nicht mehr ohne weiteres als ‚unmittelbares Bewusstsein‘ bezeichnet werden kann, ist eine Einsicht, die Kierkegaard im Rahmen seiner eingestandenermaßen kursorischen und oberflächlichen Lektüre von Die Idee der Persönlichkeit im Februar 1837 dann doch verborgen geblieben ist“ (S. 88).
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
bloß zeitlichen Verlauf“⁸² verstanden wissen will, damit die radikale Neuheit des Christentums und des in ihm sich aussprechenden Bewusstseins nicht hinreichend beachtet hat. Deshalb bleibt Fichtes System hinter dem christlichen Zeitverständnis und den zentralen christlichen Kategorien zurück.⁸³ Auch eine sich der Ergänzung durch das Zeugnis der Geschichte öffnende Spekulation kann für Kierkegaard nicht als praeparatio evangelica betrachtet werden. Dass Fichtes System ebenso nicht den Glauben erreicht hat, sondern ‚bloß das unmittelbare Bewusstsein‘, mag für Kierkegaard dabei auch darin begründet gewesen sein, dass es Fichte an der nötigen Reflexion auf das Sündenbewusstsein und den dadurch bedingten Bruch zwischen dem christlichen und dem allgemein menschlichen Bewusstsein gefehlt hat.⁸⁴ Während Fichte den „Grund aller Unvollkommenheit des kreatürlichen Daseins“ lediglich „in irgend einer Hemmung der göttlichen Uranlage“⁸⁵, nicht aber in der Sünde als schuldhafter Tat des
Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 122. Ähnlich argumentiert Kierkegaard gegenüber Schaller, dessen Schrift Der historische Christus und die Philosophie (1838) er im Sommer 1838 exzerpiert hat (vgl. oben Anm. 34 und Anm. 35). Wie Kierkegaard in Bezug auf Schallers Darstellung der „Idee der Versöhnung“ (vgl. Der historische Christus und die Philosophie, S. 66 – 85) in zwei in sein Exzerpt eingeschobenen persönlichen Bemerkungen deutlich macht, liege „der Grund dafür, dass viele Schriften der neueren Philosophie…eine im eigentlichen Sinne so wenig zufriedenstellende Ausbeute ergeben“, darin, „dass sich ihre ganze Aufmerksamkeit auf Fragen richtet, die im christlichen Bewusstsein niemals zu Worte gekommen sind, [und die] um Probleme kreisen, welche die Annahme der Wirklichkeit eines Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen rechtfertigen sollten, während das christliche Bewusstsein, ohne nach dieser conditio sine qua non zu fragen, nun die Konkretionen zu erfassen sucht, die jenes Verhältnis sich gegeben hat“ (SKS 18, 330 f., KK:2 / DSKE 2, 340; dt. Übers. modifiziert). Wenn Schaller in der persönlichen Immanenz Gottes im Menschen jeden „Gegensatz Gottes und der Welt in der That vernichtet“ (Der historische Christus und die Philosophie, S. 81) sehe, dann zeige dies gerade, dass dieser Gegensatz „ein bloß logischer war, und dass derjenige Gegensatz, der unter die religiös-moralischen Anschauungen gehört (Sünde etc.), nicht berührt ist, was natürlich seinen einfachen Grund darin hat, dass man dahin noch gar nicht gekommen ist“ (SKS 18, 331, KK:2 / DSKE 2, 341; dt. Übers. modifiziert). Vgl. hierzu auch die Differenzierung zwischen dem Medium der Möglichkeit und dem der Wirklichkeit in SKS 7, 527 / AUN2, 293. Vgl. hierzu auch die Gegenüberstellung der Positionen Kierkegaards und Fichtes bei Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 509 – 529, dem es wohlgemerkt nicht um „literarkritisch nachweisliche Abhängigkeit…, sondern um Verwandtschaft der allgemeinen Unterlagen des Denkens“ (S. 515, Anm. 5) geht, hier insbesondere S. 528: „I. H. Fichtes Zusammenordnen von unmittelbarem Bewußtsein und Glaube an die eigentliche Offenbarung aber mangelt es zwar nicht an scharfer Unterscheidung, wohl aber an Reflexion auf diesen Bruch: die Offenbarung ist das schlechthin Neue, aber nicht das zu dem unmittelbaren Bewußtsein als in Sünde gefangen in Widerstreit tretende Neue.“ Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 118 (meine Hervorhebung).
2.2 I.H. Fichte
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Menschen liegend gesehen hat⁸⁶, hat der junge Kierkegaard in zahlreichen Aufzeichnungen die Erkenntnis und das Bewusstsein der Sünde als unerlässliche Bedingung bzw. wesentlichen Bestandteil des im Christentum sich aussprechenden Bewusstseins herausgestellt⁸⁷, was ihn deshalb zu der obigen Kritik an Fichte veranlasst haben könnte. Am Ende der Journalaufzeichnung AA:22 bemerkt Kierkegaard: „Wenn ich das Vorhergehende abschreibe, heißt das nicht, dass ich glaube, dass damit etwas Großes gesagt ist; sondern weil es mich freut zu sehen, dass ein Teil der vorliegenden Bemerkungen im Wesentlichen mit dem übereinstimmt, worauf ich bei der späteren Lektüre des jüngeren Fichte gestoßen bin. Dasselbe gilt für das folgende Stück.“⁸⁸ Dieses ‚folgende Stück‘ ist nicht erhalten und auch nicht indirekt durch Barfods Ausgabe von Kierkegaards nachgelassenen Papieren überliefert.⁸⁹ Hirsch sieht in dem Faktum des Ausbleibens dieser Fortsetzung einen Hinweis darauf,
Vgl. hierzu Karl Hartmann, Art. „Fichte: Immanuel Hermann“, in Allgemeine deutsche Biographie, hg. von Rochus Liliencron et al., Bd. 48, Leipzig 1904, S. 539 – 552, hier S. 548. Fichte spricht überhaupt nur auf S. 166 von „Sünde“. Ist Kierkegaards Kritik, dass Fichtes System auch hinsichtlich der Vorstellung vom Sündenfall des Menschen hinter dem christlichen Zeitverständnis zurückbleibt, somit nachvollziehbar, muss gleichwohl betont werden, dass es zwischen den Ausführungen Fichtes und den späteren Kierkegaards in Der Begriff Angst (1844) durchaus Übereinstimmungen gibt. Vgl. etwa Kierkegaards Beschreibung des Zustandes des „träumenden Geistes“ (SKS 4, 347 / BA, 40) vor dessen Selbstsetzung als Geist mit Fichtes Überlegungen zur Person-Werdung des Menschen in Die Idee der Persönlichkeit, S. 98 – 103: dass der Mensch als „seelisch-leibliche[s] Individuum“ (S. 98) zum Bewusstsein dieser „Selbstigkeit“ erst „erwachen“ (S. 100) und Geist werden müsse und als solcher „damit ein Dunkel der Bewußtlosigkeit hinter sich, wie sich unmittelbar gegenüber [scil. als seinen Leib]“ (ibid.) behalte. Solche Überstimmungen belegen freilich keine literarische Abhängigkeit, zumal Kierkegaard in dieser Hinsicht nachweislich von Karl Rosenkranz, Psychologie oder die Wissenschaft vom subjectiven Geist, Königsberg 1837 (ktl. 744), tiefgehend beeinflusst worden ist, vgl. Schulz, „Traces of Hegelian Psychology and Theology“, S. 366 – 383. Vgl. (für die Zeit von Herbst 1835 bis Sommer 1840) SKS 27, 86, Papir 36 / T 1, 53; SKS 27, 111, Papir 88 / T 1, 40; SKS 27, 125, Papir 111:2 / T 1, 66; SKS 27, 131, Papir 131 / T 1, 71; SKS 17, 30, AA:12 / DSKE 1, 31; SKS 17, 30 – 32, AA:13 / DSKE 1, 32 f; SKS 17, 33, AA:14.2 / DSKE 1, 34; SKS 17, 35, AA:18 / DSKE 1, 37; SKS 17, 52 f., AA:51 / DSKE 1, 55 f.; SKS 17, 228 f., DD:27 / DSKE 1, 192; SKS 17, 246, DD:76 / DSKE 1, 212; SKS 17, 259, DD:131 / DSKE 1, 227; SKS 18, 8, EE:2 / DSKE 2, 4; SKS 18, 11, EE:16 / DSKE 2, 8; SKS 18, 23, EE:50 / DSKE 2, 20 f.; SKS 18, 29, EE:71 / DSKE 2, 28; SKS 18, 33, EE:86 / DSKE 2, 32; SKS 18, 67, EE:192 / DSKE 2, 69; SKS 18, 67 f., EE:193 / DSKE 2, 70; SKS 18, 82, FF:35 / DSKE 2, 84; SKS 18, 102, FF:140 / DSKE 2, 105; SKS 18, 104, FF:154.a / DSKE 2, 107; SKS 18, 130 f., HH:10 / DSKE 2, 134; SKS 18, 133, HH:14 / DSKE 2, 137; SKS 18, 138 f., HH:25 / DSKE 2, 143; SKS 18, 333, KK:2 / DSKE 2, 341. Vgl. ferner die in Kap. 3, Anm. 225 angegebenen Stellen zur Frage (bzw. dem Problem) der Vergebung der Sünden. SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 44 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. EP I-II, S. 38 – 67, S. 69 – 75 und S. 100 – 104 zusammen mit B-fort. 437.
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dass Kierkegaard sich des Defizits seiner vorliegenden Bemerkungen zu Fichte bewusst geworden sei.⁹⁰ Was jedoch zumindest Kierkegaards Überzeugung von der unzureichenden Aufmerksamkeit Fichtes auf die radikale Neuheit des Christentums und des in ihm sich aussprechenden Bewusstseins betrifft, die offenbar im Hintergrund seiner kritischen Bemerkungen zu Fichte in AA:22 steht, sollte diese Überzeugung auch in der Journalaufzeichnung EE:147 von Juli 1839 zum Ausdruck kommen, deren Anlass Kierkegaards Lektüre von Fichtes Abhandlung „Aphorismen über die Zukunft der Theologie“ (1839) gewesen ist.⁹¹ Überdies ist im folgenden Abschnitt zu untersuchen, ob Kierkegaards Auseinandersetzung mit Fichte nicht auch im Hintergrund des von ihm in der Journalaufzeichnung CC:12 gegen die Philosophen erhobenen Vorwurfs der ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs stehen könnte.
2.2.3 Die philosophische ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs Bei der undatierten Journalaufzeichnung CC:12⁹² handelt es sich womöglich um einen Entwurf zu einem Zeitungsartikel. Da jedoch der Briefcharakter an manchen Stellen nicht von der Hand zu weisen ist, hat Hirsch diese Aufzeichnung als Teil der Entwürfe zu einer Schrift mit dem Titel „Briefe“ betrachtet, mit der Kierkegaard im Frühjahr 1837„schwanger gegangen“ sei, wobei Hirsch präzisiert: „Briefe…eines jungen Zweiflers, der sich selbst als einen modernen Faust fühlt“⁹³. Ob CC:12 nun
Vgl. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 531: „Jene erste Äußerung über I. H. Fichte vom März 1837 II A 31 [scil. AA:22] war ganz gewiß im Irrtum, wenn sie meinte, das Bild, das Kierkegaard sich nach der Lektüre der Schrift über die Idee der Persönlichkeit zurecht gemacht hatte, als treffend festhalten zu können, und der Verzicht auf die geplanten weiteren Eintragungen jener Vorstudien redet deutlich genug.“ Siehe Kapitel 3.2.1. SKS 17, 198 – 202, CC:12 / DSKE 1, 157– 162; vgl. DSKE 1, 319 und 446. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 491 f.; vgl. S. 490 – 494 zusammen mit Hirschs Rekonstruktion der „Briefe“ in ES, 111– 137. Hirsch sieht dabei in Kierkegaards Anmerkung CC:12.3 [Pap. I A 329]: „cfr. Chr. Mystik., 1. T., Vorrede, S. VII unten – die Stelle muss zitiert werden“ (SKS 17, 199,31– 32, CC:12.3 / DSKE 1, 158,29 – 30; vgl. Joseph Görres, Die christliche Mystik, Bd. 1, Regensburg 1836 (ktl. 528)) den schlagenden „Beweis“ dafür, dass es sich bei CC:12 [Pap. I A 328] „um den Entwurf zu einem literarischen Plan Kierkegaards handelt“ (Kierkegaard-Studien, S. 490 (Anm.); ohne Hervorhebungen). Der Titel dieses „ersten literarischen Plan[s]“ (ibid., S. 490) gehe aus der mit „Eine Vorrede“ überschriebenen Journalaufzeichnung AA:34 hervor („…darum habe ich dieser Schrift einen so allgemeinen Titel gegeben (sie sollte ‚Briefe‘ heißen)“, SKS 17, 48, AA:34 / DSKE 1, 51 (dt. Übers. modifiziert)). Abgesehen von den Aufzeichnungen CC:13 – 24 (vgl. SKS 17, 202– 208, CC:13 – 24 / DSKE 1, 162– 169) hat Kierkegaard, so Hirsch, auch den bereits erwähnten „wirklichen historischen Brief“ (S. 491 (Anm.)) an Lund (AA:12; vgl. Kap. 1, Anm. 124) mit für
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tatsächlich Teil eines solchen literarischen Plans Kierkegaards gewesen ist, welcher dann offenbar aus seiner intensiven Beschäftigung mit der Faustidee vor allem in der Zeit von März 1835 bis März 1837⁹⁴ erwachsen ist, muss dahingestellt bleiben. Was die Datierung dieser Aufzeichnung betrifft, und das ist in diesem Zusammenhang wichtiger, legen mehrere Anspielungen auf Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag ⁹⁵, die Kierkegaard, wie bereits mehrfach erwähnt, spätestens Ende Januar 1837 gelesen hat, und verschiedene Bezüge auf andere Aufzeichnungen Kierkegaards oder Veröffentlichungen Anderer sowie auf das Zeitgeschehen⁹⁶ das Frühjahr 1837 als Entstehungszeitraum nahe.⁹⁷
seinen (unausgeführten) literarischen Plan verwenden wollen. Zur Frage dieser Briefnovelle vgl. auch Fenger, Kierkegaard-myter og Kierkegaard-kilder, S. 71– 108, der Hirsch, der diese Idee m.W. zuerst durchzuführen versucht hat, jedoch mit keinem Wort erwähnt. Vgl. Kap. 1, Anm. 119. Zu den Anspielungen auf Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag (siehe Anm. 139) vgl. die Kommentare zu SKS 17, 196,15 [sic!], SKS 17, 196,24 [sic!]; SKS 17, 196,25 [sic!]; SKS 17, 199,12 und SKS 17, 199,18 in SKS K17, 328 – 331 sowie SKS 17, 121 f., BB:32 / DSKE 1, 130 f. samt Kommentar zu SKS 17, 121,19 in SKS K17, 238. Vgl. die Kommentare zu SKS 17, 196,15 [sic!]; SKS 17, 196,25 [sic!]; SKS 17, 196,31 [sic!] (zusammen mit SKS 18, 82, FF:34 / DSKE 2, 84 vom 30. Januar 1837); SKS 17, 199,2 (zusammen mit SKS 27, 162, Papir 221); SKS 17, 199,31 (zusammen mit Rohde, „Om Søren Kierkegaard som bogsamler“, S. 116 f.) und SKS 17, 201,39 in SKS K17, 328 – 341. Wichtigstes Beispiel für Kierkegaards Bezüge auf das aktuelle Zeitgeschehen ist dabei die Aussage: „so wollen wir ihnen zumindest mit unseren Finanzleuten zurufen: Einsparungen, energische und durchgreifende Einsparungen“ (SKS 17, 201, CC:12 / DSKE 1, 161). Bezugspunkt ist hier insbesondere der Artikel von Tage Algreen-Ussing, „Om Danmarks Finantsforfatning“, Fædrelandet, 1836, Nr. 114 vom 3. Dezember, Sp. 421– 434, hier Sp. 433 f. (SKS K17, 341 verweist diesbezüglich auf Kjöbenhavnsposten, 1836, Nr. 340 vom 3. Dezember, S. 1376), der Teil der Diskussion über Einsparungen gewesen ist, die durch die von Peter Adolf Tutein konzipierte, von allen vier Ständeversammlungen im Laufe des Jahres 1836 verabschiedete Petition bezüglich der Finanzen und Staatsschulden in Dänemark (vgl. Kjöbenhavnsposten, 1836, Nr. 94 vom 29. März, S. 375 – 378) ausgelöst wurde. Diese rigorosen Einsparungsforderungen sind noch bis in den Februar 1837 hinein in zahlreichen Artikeln in Fædrelandet lebhaft diskutiert worden, vgl. etwa Christian Nathan David, „Om det projecterede Stats-Laan“, Fædrelandet, 1837, Nr. 126 vom 25. Februar, Sp. 625 – 648, hier vor allem Sp. 626 f., Sp. 644 und Sp. 648. Kierkegaard begann Ende 1836 damit, in den später von ihm als „CC“ bezeichneten Journalband von der Rückseite her Aufzeichnungen auf Dänisch einzutragen, wobei CC:14 das Datum vom „2. Dez. [1836]“ trägt und folglich vor CC:12 entstanden ist. Vgl. auch den editorischen Bericht zu Journal CC in SKS K17, 267– 275, hier 271, sowie den Kommentar zu SKS 17, 204,31 in SKS K17, 345 bzw. den Kommentar zu DSKE 1, 165,5 in DSKE 1, 479. Die Datierung von CC:12 auf 1837/38 [sic!] in SKS und 1836/37 in DSKE ist falsch bzw. ungenau, da Kierkegaard bereits am Anfang der Aufzeichnung (vgl. SKS 17, 198,15 ff. / DSKE 1, 157,19 ff.) auf Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag anspielt, die erst 1837 erschienen sein kann (der letzte Artikel des Heftes der Maanedsskrift for Litteratur, in dem sich auch Martensens Rezension
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
In CC:12 begegnet zum ersten Mal in Kierkegaards Werk der Vorwurf der philosophischen ‚Verflüchtigung‘ zentraler christlicher Begriffe, den Kierkegaard später unter anderem auch gegen Marheineke⁹⁸ und, wie insbesondere im Buch über Adler (ca. Juni 1846 bis November 1847) gegen die hegelsche Philosophie im Allgemeinen erheben sollte.⁹⁹ An der für diese Untersuchung entscheidenden
findet, trägt das Datum vom 28. Dezember 1836, vgl. ibid., Bd. 16, 1836, S. 581). Wenn aber das Frühjahr 1837 als Abfassungszeitraum von CC:12 angenommen wird, dann ist der Hintergrund der Aussage Kierkegaards zu klären, dass nun alles in Bewegung gesetzt werde, um „das System auch populär zu machen“ (SKS 17, 200,11, CC:12 / DSKE 1, 159,27). SKS K17, 334 deutet diese Aussage als Anspielung auf das Vorwort des ersten, im Juni 1837 erschienenen Bandes von Heibergs Zeitschrift Perseus, in dem Heiberg schreibt: „Aus all dem hier Angeführten wird man ersehen, worin die Hauptabsicht dieses Unternehmens besteht, und man wird diese auch folgendermaßen ausdrücken können: dass es darauf abzielt, die spekulative Erkenntnis zu popularisieren“ („Til Læserne“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 1, 1837, S. V-XIV, hier S. XI). Jedoch könnte Kierkegaard hier auch allgemeiner auf Heibergs Vorhaben angespielt haben, das hegelsche System für die Allgemeinheit zugänglich machen zu wollen, wie z. B. in der als Einleitung in die hegelsche Philosophie konzipierten Schrift Heibergs Om Philosophiens Betydning for den nuværende Tid. Et Indbydelses-Skrift til en Række af philosophiske Forelæsninger [Über die Bedeutung der Philosophie für die Gegenwart. Eine Einladungsschrift zu einer Reihe von philosophischen Vorlesungen], Kopenhagen 1833 (ktl. 568), vgl. vor allem S. 48 f., S. 50 und S. 53. Eine Datierung von CC:12 auf frühestens Juni 1837 allein aufgrund dieser keineswegs eindeutigen Anspielung Kierkegaards scheint mir deshalb weder zwingend noch überzeugend. Vgl. hierzu Schulz, „Die spekulative Verflüchtigung“, S. 34 ff. Das Substantiv ‚Verflüchtigung‘ [Forflygtigelse] und das Verb ‚verflüchtigen‘ [forflygtige] begegnen in Kierkegaards Gesamtwerk gut 80-mal. Wichtige Stellen zur Begriffsverflüchtigung speziell in Bezug auf die christliche Terminologie sind dabei SKS 18, 52, EE:147 / DSKE 2, 52; SKS 1, 342 / BI, 316; SKS 19, 246, Not8:52 / DSKE 3, 264; SKS 4, 341 / BA, 32 f.; SKS 4, 385 / BA, 84 (Anm.); SKS 15, 258 f. / BÜA, 118 f.; SKS 15, 270 / BÜA, 131 f.; SKS 15, 273 / BÜA, 135; SKS 15, 274 / BÜA, 136; SKS 15, 275 / BÜA, 137; SKS 15, 276 f. / BÜA, 139 f.; SKS 15, 283 / BÜA, 147; Pap. VII-2 B 265:8; Pap. VII-2 B 266:21; Pap. VII-2 B 266:23; vgl. auch (in Vorlesungsnotizen und Exzerpten Kierkegaards) die in diesem Zusammenhang interessante Stelle SKS 19, 142, Not4:12 / DSKE 3, 149 sowie SKS 18, 335, KK:2 / DSKE 2, 344. Bereits im Zeitungsartikel „An Orla Lehmann“, Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblad, Nr. 87, 10. April 1836, Sp. [1]-[8] (SKS 14, 29 – 35 / ES 27– 38) spricht Kierkegaard von der ‚Verflüchtigung‘ des Begriffs der Tüchtigkeit (vgl. SKS 14, 32 / ES, 32). Zur ‚Verflüchtigung‘ anderer wichtiger Begriffe (wie etwa Widerspruch oder Existenz) durch die Spekulation oder allgemein der ‚Verflüchtigung‘ der Spekulation (Genitivus subiectivus) vgl. SKS 4, 285 / PB, 83 (Anm.); SKS 7, 117 / AUN1, 115; SKS 7, 198 / AUN1, 208; SKS 7, 521 / AUN2, 285; SKS 7, 526 / AUN2, 292. Zur ‚Verflüchtigung‘ des Christentums, des Christlichen, der christlichen Tradition oder des im Christentum sich aussprechenden Bewusstseins (jeweils ein Genitivus obiectivus) vgl. SKS 17, 119, BB:26 / DSKE 1, 128; SKS 20, 334, NB4:100 / DSKE 4, 382; SKS 23, 86, NB15:122 / T 4, 114; SKS 23, 360, NB19:44; SKS 24, 243, NB23:68; SKS 24, 315, NB23:222; SKS 24, 315, NB23:225 / T 4, 312; SKS 24, 349, NB24:51; SKS 24, 524 f., NB25:110; vgl. ferner SKS 19, 194, Not6:10 / DSKE 3, 207; SKS 15, 184 / BÜA, 74; SKS 15, 186 / BÜA, 76; SKS 15, 194 (nicht in BÜA); SKS 15, 253 /
2.2 I.H. Fichte
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Stelle der Journalaufzeichnung pflichtet Kierkegaard seinem (fiktiven) Gegenüber in der Missbilligung dessen bei, „dass jeder christliche Begriff so verflüchtigt worden ist, so gänzlich in eine Nebelmasse aufgelöst, dass man ihn unmöglich wiedererkennen kann. Den Begriffen Glaube, Inkarnation, Tradition, Inspiration, die auf christlichem Gebiet auf ein bestimmtes historisches Faktum zurückzuführen sind, wurde nach dem Gutdünken der Philosophen eine ganz andere, gewöhnliche Bedeutung gegeben, wobei/wodurch [hvorved] Glaube zum unmittelbaren Bewusstsein wird, das im Grunde nichts anderes ist als das vitale Fluidum des geistigen Lebens, dessen Atmosphäre; Tradition ist zum Inbegriff einer gewissen Welt-Erfahrung geworden, wohingegen Inspiration zu nichts anderem als dem Resultat von Gottes Einhauchen des Lebensgeistes in den Menschen geworden ist, und Inkarnation ist zu nichts anderem geworden als das Vorhandensein irgendeiner Idee in einem oder mehreren Individuen. – Und dabei habe ich noch nicht den Begriff genannt, der nicht nur wie die anderen verflüchtigt, sondern sogar profaniert worden ist: den Begriff Erlösung“¹⁰⁰.
Gegen diese ‚Verflüchtigung‘ der christlichen Begriffe gelte es, „die verlorene Kraft und Bedeutung der Worte“ wieder zurückzugewinnen – „so wie Luther für seine Zeit den Begriff Glaube zurückgewann.“¹⁰¹ Im Rahmen dieser Untersuchung interessiert vor allem die von Kierkegaard den Philosophen unterstellte ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs. Was meint Kierkegaard damit, dass der Glaube zum ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ werde? Besteht darin die ‚Verflüchtigung‘ oder ist dies die Folge der ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs? Wenn aber Letzteres der Fall wäre, worin bestünde dann die ‚Verflüchtigung‘? Entscheidend für das Verständnis dieser Stelle ist dabei – so unbedeutend es auf den ersten Blick erscheinen mag – die Übersetzung des diesen Nebensatz einleitenden Relativadverbs hvorved, das sowohl ‚wobei‘ wie ‚wodurch‘ bedeuten kann. Mit ‚wobei‘ eingeleitet¹⁰² würde dieser Relativsatz zur Konkretisierung jener anderen, gewöhnlichen Bedeutung dienen, die den genannten christlichen Begriffen im Zuge ihrer ‚Verflüchtigung‘ von den Philosophen gegeben wird, wobei ‚Glaube‘ auf philosophischem Gebiet dabei als ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ verstanden wird. Mit ‚wodurch‘ eingeleitet¹⁰³ wäre dieser Relativsatz BÜA, 111. Zur verwickelten Entstehungsgeschichte des sog. Buches über Adler vgl. SKS K15, 154– 173. SKS 17, 201, CC:12 / DSKE 1, 161 (dt. Übers. modifiziert). SKS 17, 202, CC:12 / DSKE 1, 161. So z. B. von Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken, S. 28 und DSKE 1, 161 übersetzt. Vgl. auch Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 63. So z. B. von Liselotte Richter, Immanenz und Transzendenz im nachreformatorischen Gottesbild, Göttingen 1955 (Forschungen zur systematischen Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 1), S. 9 (Anm.) und Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 79 übersetzt (Hirsch in ES, 117: „damit“).
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
jedoch als Kierkegaards kritische Folgerung aus der ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs durch die Philosophen zu verstehen, wodurch ‚Glaube‘ zu etwas wird, das in Kierkegaards Augen lediglich dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ entspricht. Die ‚Verflüchtigung‘ bestünde dann in der die Konturen eines christlichen Begriffs verwischenden, ihn seines eigentlichen Inhalts beraubenden Verwendung auf philosophischem Gebiet. Während es also im ersteren Fall die Philosophen sind, die ‚Glaube‘ als ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ verstehen, ist es im letzteren Fall Kierkegaard selbst, der das von den Philosophen ‚Glaube‘ Genannte als ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ expliziert. Um dieses Übersetzungsproblem lösen und damit die Intention von Kierkegaards Verflüchtigungsverdikt erschließen zu können,wird es notwendig sein, den Blick zugleich auf die Frage nach den Adressaten dieser Kritik zu lenken. Wie bei der Frage nach den Adressaten der von Kierkegaard in Papir 92 zum Ausdruck gebrachten Kritik, unter ‚Glaube‘ im Grunde nichts anderes als ‚das erste Unmittelbare‘ zu verstehen¹⁰⁴, verweist der Kommentar von SKS auch in diesem Zusammenhang auf die Einleitung von Marheinekes Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft (1827), in der Marheineke im § 86, wie SKS behauptet, „den Glauben im Gegensatz zum Wissen als ‚ein unmittelbares Bewußtsein der Wahrheit‘ bestimmt“¹⁰⁵. Wie in Kapitel 1.5.3 dargestellt, wird der Glaube von Marheineke in diesem Paragraphen jedoch keineswegs einfach als ‚ein unmittelbares Bewusstsein der Wahrheit‘ bestimmt, sondern er schreibt, dass der Glaube „in dem unmittelbaren Bewußtseyn der Wahrheit oder dem Inhalte nach…den Vorzug vor dem Wissen und der Wissenschaft“¹⁰⁶ habe. Überdies spricht Kierkegaard ausdrücklich von den Philosophen und nicht von den Theologen. Marheineke kann also nur schwerlich als Adressat von Kierkegaards Kritik in CC:12 infrage kommen, zumal es in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen bis zum Frühjahr 1837 als wahrscheinlichem Entstehungszeitraum dieser Aufzeichnung keinen sicheren Beleg für eine Lektüre von Marheinekes
Siehe Kap. 1.5. Kommentar zu SKS 17, 201,24 (CC:12) in SKS K17, 339 (meine Übers. und Hervorhebung; „ein [sic!] unmittelbares Bewußtsein [sic!] der Wahrheit“ bei SKS deutsch). Auch für Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 63 kommt „[a]ls Kandiat [sic!]“ von Kierkegaards Kritik in CC:12 und Pap. I A 273 (Papir 92) „neben den Hegelianern Heiberg und Martensen sowie später J. E. Erdmann vor allem der deutsche Philosoph [sic!] und Dogmatiker Philipp Karl [sic!] Marheineke…in Frage.“ Marheineke, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, S. 49 (§ 86). Die gleiche Ungenauigkeit der Argumentation ist auch Rupprecht, Kritikvergessene Spekulation, S. 163 f. vorzuhalten.
2.2 I.H. Fichte
155
Dogmatik gibt.¹⁰⁷ Auch – worauf SKS ebenfalls verweist – die Bestimmung des Glaubens als „das unmittelbare Bewußtseyn der Versöhnung“¹⁰⁸ in Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837), welche Kierkegaard erst Ende 1837 exzerpiert und kommentiert hat¹⁰⁹, oder aber, wie Thulstrup behauptet, die von Heiberg in der ersten Nummer seiner Zeitschrift Perseus von Juni 1837 Martensen zugeschriebene „Bestimmung des Glaubens als unmittelbares Erkennen“¹¹⁰ können daher schon rein zeitlich gesehen nicht die Zielscheibe der Kritik Kierkegaards gewesen sein.¹¹¹
Kierkegaards Exzerpt aus Marheinekes Grundlehren in SKS 27, 173 f., Papir 250 sowie das Zitat in SKS 27, 64, Papir 19 stammen vermutlich aus dem Wintersemester 1837/38 (siehe Kap. 1.5.3). Was CC:12 betrifft, verweisen SKS K17, 330 f. und DSKE 1, 471 in Bezug auf die Stelle SKS 17, 199,12– 13, CC:12 / DSKE 1, 159,1– 2 („dass die Philosophie einen so langen historischen Schwanz wie von Cartesius zu Hegel bekam…“) auf Marheinekes Vorrede in Die Grundlehren, S. XXVI („In der Philosophie, besonders von Cartesius bis auf Hegel, zeigt sich der in der Wahrheit forschende Geist in seiner Bewegung durch alle seine wesentlichen Momente“). Kierkegaard kann sich aber ebenso gut – wie auch SKS K17, 330 f. und DSKE 1, 471 konzedieren – auf Martensens philosophiegeschichtlichen Abriss in seiner Rezension von Heibergs Einführungsvortrag beziehen, in dem Hegel als Abschluss einer Ära betrachtet wird, die ihren Ausgangspunkt bei Descartes genommen habe. Dieser habe als Erster das ‚de omnibus dubitandum est‘ als Forderung eines voraussetzungslosen Anfangs der Philosophie aufgestellt, die nun von Hegel erfüllt worden sei, vgl. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“ (siehe Anm. 139), S. 514– 518 [S. 517– 522]. Vgl. auch Martensen, Ueber Lenau’s Faust, Stuttgart 1836, S. 11 f. und den Kommentar zu SKS 17, 199,18 in SKS K17, 331. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen (siehe Anm. 251), S. 29 (ohne Hervorhebungen); vgl. hierzu den Kommentar zu SKS 17, 201,24 in SKS K17, 339. Siehe Kap. 2.4. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 80; vgl. S. 78 – 80. Thulstrup denkt hier an Heibergs Replik auf Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag in der ersten Nummer seiner Zeitschrift Perseus (Juni 1837), wo Heiberg schreibt, man finde „bei Hrn. Martensen die unmittelbare Erkenntnis als die Idee selbst in ihrer Unmittelbarkeit bestimmt…nämlich als den Glauben“ (Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“ (siehe Anm. 187), S. 35 [S. 44]). Vgl. aber die im offenen Widerspruch zu dieser Behauptung stehende Datierung von CC:12 (Pap. I A 328) auf „Anfang 1837“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 78). Zeitlich möglich, aber kaum wahrscheinlich ist ferner, dass Kierkegaard in CC:12 auf eine Passage aus Hegels Wesenslogik angespielt hat, an der Hegel im Zusammenhang mit seiner Kritik an Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises bemerkt: „In der Bestimmung einer Unmittelbarkeit genommen, ist das Auffassen der Existenz Gottes für etwas Unbeweisbares und das Wissen von ihr als ein nur unmittelbares Bewußtsein, als ein Glauben ausgedrückt worden. Das Wissen soll zu diesem Resultate kommen, daß es nichts weiß, d. h. daß es seine vermittelnde Bewegung und die in ihr vorkommenden Bestimmungen selbst wieder aufgibt“ (Wissenschaft der Logik II, in TWA, Bd. 6, S. 127; vgl. auch die unten in Anm. 225 angegebenen Stellen). Kaum wahrscheinlich ist eine solche Anspielung deshalb, weil es in Kierkegaards
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Der Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach der Intention und den Adressaten des von Kierkegaard in CC:12 gegen die Philosophen erhobenen Vorwurfs der ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs liegt in den von ihm anlässlich der Lektüre von Fichtes Schrift Die Idee der Persönlichkeit etwa zur gleichen Zeit zu Papier gebrachten Aussagen über den christlichen Glauben in AA:22. Dass zwischen Kierkegaards Verflüchtigungsverdikt in CC:12 und den Bemerkungen in AA:22 ein Zusammenhang besteht, zeigt sich zum einen daran, dass Kierkegaard selbst in seinem Werk den Ausdruck ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ allein in AA:22 und CC:12 im Gegenüber zum Glauben gebraucht hat, wobei er in AA:22, wie in Kapitel 2.2.2 dargestellt, zugleich auch positiv vom Glauben als dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ des Christentums sprechen kann.¹¹² Zum anderen wird diese innere Beziehung zwischen AA:22 und CC:12 auch bei den anderen christlichen Begriffen deutlich, die Kierkegaard in CC:12 durch die Philosophen ‚verflüchtigt‘ sieht. Neben der hier wie dort begegnenden Kritik an der Rede über Tradition auf philosophischem Gebiet kann Kierkegaards Bemerkung in CC:12 über die Inkarnation, dass diese zu nichts anderem „als das Vorhandensein irgendeiner Idee in einem oder mehreren Individuen“¹¹³ geworden sei, als eine Anspielung auf Fichtes Charakterisierung der Inkarnation Gottes in Christus als höchste Bewährung der Idee der göttlichen Persönlichkeit im zeitlichen Verlauf der Geschichte verstanden werden.¹¹⁴ Überdies hat Kierkegaard den jüngeren Fichte auch später in der im Sommer 1839 entstandenen Journalaufzeichnung EE:147 einer Begriffsverflüchtigung beschuldigt, und zwar hinsichtlich des Offenbarungsbegriffs.¹¹⁵ Mit all dem ist zwar nicht bewiesen, aber doch einigermaßen wahrscheinlich gemacht, dass im Hintergrund des von Kierkegaard in CC:12 gegen die Philoso-
Nachlass keinen Beleg für eine Lektüre der Großen Logik Hegels (zu dieser Zeit) gibt, wie überhaupt seine Journale und Aufzeichnungen bis zum theologischen Examen Anfang Juli 1840 keine intensive Lektüre von Hegels Werken im Original erkennen lassen (vgl. oben Anm. 10 sowie die Argumentation im Blick auf Papir 92 in Kap. 1.5). Der Ausdruck ‚ein unmittelbares‘ oder ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ begegnet lediglich an 13 Stellen in Kierkegaards Gesamtwerk, dabei zum Teil in Vorlesungsnotizen oder Exzerpten (vgl. SKS 18, 336, KK:2 / DSKE 2, 346; SKS 18, 341, KK:3 / DSKE 2, 351; SKS 19, 346, Not11:28 / DSKE 3, 381 sowie Kierkegaards Erdmann-Exzerpt in SKS 19, 146, Not4:15 / DSKE 3, 154: „Das unmittelbare Bewusstsein der Versöhnung nennen wir Glauben“). In SKS 1, 249 f. / BI, 209 f. und SKS 26, 76 f., NB31:103 wird dabei ‚unmittelbares Bewusstsein‘ im Gegenüber zu ‚Reflexion‘ bzw. ‚reflektiertes Bewusstsein‘ gebraucht. Vgl. ferner SKS 19, 9, Not1:2 / DSKE 3, 5; SKS 27, 41, Papir 9:6; SKS 1, 271 / BI, 235 sowie SKS 18, 205, JJ:203 / DSKE 2, 211. SKS 17, 201, CC:12 / DSKE 1, 161 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. Fichte, Die Idee der Persönlichkeit, S. 120 – 122. Auf Fichte verweist an dieser Stelle m. E. zu Recht auch der Kommentar zu SKS 17, 201,28 in SKS K17, 340. SKS 18, 52, EE:147 / DSKE 2, 52; siehe Kap. 3.2.1.
2.2 I.H. Fichte
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phen erhobenen Vorwurfs der ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs seine Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte steht. In Bezug auf das angesprochene Problem der Übersetzung des Relativadverbs hvorved und die damit zusammenhängende Frage nach der Intention von Kierkegaards Verflüchtigungsverdikt muss dann aber betont werden, dass Kierkegaard in AA:22 nicht kritisiert, dass Fichte den Glauben explizit als ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ bestimmt hätte (eine solche Kritik hätte in Fichtes Schrift auch keinen Anhalt¹¹⁶), sondern er kritisiert, dass Fichtes System de facto nicht den Glauben erreicht habe, sondern ‚bloß das unmittelbare Bewusstsein‘. Wie in Kapitel 2.2.2 dargestellt, stand hinter dieser Kritik in AA:22 offenbar die Überzeugung Kierkegaards, dass Fichte sowohl die radikale Neuheit des Christentums und des in ihm sich aussprechenden Bewusstseins als auch den durch das Sündenbewusstsein bedingten Bruch zwischen dem christlichen und dem allgemein menschlichen Bewusstsein nicht hinreichend beachtet hat. Deshalb sind ‚Fichte etc.‘ in Kierkegaards Augen nicht über das ‚allgemein menschliche unmittelbare Bewusstsein‘ hinausgekommen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, das Relativadverb hvorved an der besagten Stelle mit ‚wodurch‘ zu übersetzen und den so eingeleiteten Relativsatz folglich nicht als Konkretisierung der dem Glaubensbegriff auf philosophischem Gebiet gegebenen Bedeutung (‚das unmittelbare Bewusstsein‘), sondern als Kierkegaards kritische Folgerung aus der dann als ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs zu verstehenden unsachgemäßen, weil seinen spezifisch christlichen Inhalt entleerenden Verwendung zu verstehen, wodurch ‚Glaube‘ zu etwas wird, das für Kierkegaard lediglich dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ entspricht. Zur Überprüfung dieser Interpretation empfiehlt es sich, auch die von Kierkegaard am Ende von AA:22 angesprochene ‚spätere Lektüre‘ des jüngeren Fichte ins Auge zu fassen, bei der er sich, wie er schreibt, in seinen abgeschriebenen Bemerkungen (zumindest teilweise) bestätigt gesehen hat. Diese ‚spätere Lektüre‘ muss also in der Zeit nach der erstmaligen Niederschrift der Auseinandersetzung mit Fichte im Februar 1837 und noch vor dem 19. März 1837 als terminus ad quem für deren Abschrift in AA:22 erfolgt sein.¹¹⁷ Welche Schrift Fichtes könnte Gegenstand dieser Lektüre gewesen sein?
Fichte spricht in Die Idee der Persönlichkeit überhaupt nur an zwei Stellen vom ‚unmittelbaren Bewusstsein‘, und zwar S. 44 und S. 199. An letzterer Stelle ist dabei von den „Protestationen eines an sich richtigen, doch nicht gerade wissenschaftlich ausgebildeten, unmittelbaren Bewußtseins“ die Rede – „mochten sie sich in der Ausdrucksweise christlichen Glaubens oder einer allgemein menschlichen Ueberzeugung vernehmen lassen“ (S. 199). Vgl. ferner S. 47 und S. 110. Vgl. oben Anm. 39.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Ausgehend vom Auktionsprotokoll¹¹⁸ kommen zeitlich gesehen die von Fichte als spekulative Vorbereitung „auf die Lehre und den Geist des Christenthums“¹¹⁹ verstandenen Sätze zur Vorschule der Theologie (1826)¹²⁰ sowie die separat mit dem Titel Ueber die Bedingungen eines spekulativen Theismus (1835)¹²¹ veröffentlichte positive Beurteilung der Vorrede Schellings zu Cousins Fragmenten infrage. Eine Bestimmung des Glaubens als ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ findet sich darin nicht. Dies gilt auch für die ersten beiden Bände von Fichtes Grundzügen zum Systeme der Philosophie (1833 – 36)¹²², die Kierkegaard erst am 17. November 1846 bei C.A. Reitzel gekauft hat¹²³, was eine frühere Lektüre freilich nicht ausschließt. Überdies bezieht sich Kierkegaard in der auf einen losen Zettel geschriebenen undatierten Aufzeichnung Papir 42:1¹²⁴ auf die nicht im Auktionsprotokoll aufgelistete Schrift Fichtes Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie (1832)¹²⁵. Da Papir 42:1 vermutlich aus dem Frühjahr 1837¹²⁶ stammt, kann dem Zum Auktionsprotokoll als Hilfsmittel für diese Untersuchung siehe S. 21– 23. Fichte, Sätze zur Vorschule der Theologie (siehe folgende Anm.), S. 236. Immanuel Hermann Fichte, Sätze zur Vorschule der Theologie, Stuttgart und Tübingen 1826 (ktl. 501). Die Ausführungen auf S. 220 – 229 (§§ 113 – 117) können dabei als Vorstufe zu dem von Fichte in Die Idee der Persönlichkeit, S. 120 – 122 über den Gottmenschen (als Hauptfaktum, Scheidung und Wendepunkt der Geschichte) und die Geschichtlichkeit des Christentums Entwickelten verstanden werden. Immanuel Hermann Fichte, Ueber die Bedingungen eines spekulativen Theismus; in einer Beur-theilung der Vorrede Schellings zu dem Werke von Cousin: über französische und deutsche Philosophie, Elberfeld 1835 (ktl. 506). Immanuel Hermann Fichte, Grundzüge zum Systeme der Philosophie, Abt. 1, Das Erkennen als Selbsterkennen, Heidelberg 1833 (ktl. 502); Abt. 2, Die Ontologie, Heidelberg 1836 (ktl. 503). Zum ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ vgl. vor allem Das Erkennen als Selbsterkennen, S. 8 f. (§ 7), S. 13 (§ 12), S. 16 f. (§ 14), S. 24 (§ 22), S. 27 ff. (§§ 24 ff.), S. 85 (§ 67), S. 87 f. (§ 70), S. 295 f. (§ 214); zur Bestimmung des Glaubens als ‚unmittelbare Zuversicht‘ vgl. ferner S. 288 (§ 210). Vgl. Rohde (Hg.), Auktionsprotokol over Søren Kierkegaards Bogsamling, S. 34. SKS 27, 87, Papir 42:1 (B-fort. [434.15]; KA, A pk. 41 læg 1). Immanuel Hermann Fichte, Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie. Erster kritischer Theil, Heidelberg 1832. Vgl. auch ibid., S. 80 (§ 25) mit SKS 18, 46, EE:127 / DSKE 2, 46 und T 1, 396 (Anm. 612 zu Pap. II A 496). Die von SKS K27, 165 vorgeschlagene Datierung von Papir 42:1 auf 1836 ist haltlos, da SKS zum Beleg dafür auf Kierkegaards Bemerkungen zu J.G. Fichte (!) in SKS 27, 152, Papir 193:1 / T 1, 54 (1. Oktober 1836) und SKS 27, 152, Papir 193:2 / T 1, 54 (August 1836) verweist. Die Herausgeber von Pap. legen dagegen durch die Einordnung von Pap. II A 592 (Papir 42:1) nach den im Februar 1837 entstandenen Aufzeichnungen Pap. II A 585 – 587 (SKS 27, 156, Papir 207; SKS 27, 156, Papir 208; SKS 27, 88 f., Papir 46 / T 1, 55) das Frühjahr 1837 als Entstehungszeitraum nahe. Die kurz darauf folgende Aufzeichnung Pap. II A 597 (SKS 27, 167, Papir 244 / ES, 136: „O, wie unglücklich bin ich doch – Martensen hat eine Abhandlung über Lenaus Faust geschrieben“) braucht ebenfalls nicht viel später entstanden zu sein, da sich Kierkegaard darin wahrscheinlich auf Martensens deutsche Abhandlung Ueber Lenau’s Faust (1836) bezieht, die im November 1836
2.2 I.H. Fichte
159
nach angenommen werden, dass der Gegenstand jener ‚späteren Lektüre‘ Kierkegaards diese von Fichte als erster kritischer Teil zu seinem philosophischen System konzipierte Schrift gewesen ist. Kierkegaard hinterfragt in Papir 42:1 Fichtes Rubrizierung von F.H. Jacobi, Jakob Friedrich Fries (1773 – 1843) und Carl August von Eschenmayer (1768 – 1852) unter die als die reflektierende bezeichnete subjektive Richtung der Philosophie¹²⁷, die, so Fichte, zusammen mit der objektiven (d. h. konstruierenden und dialektischen, aber auch mystischen) Richtung die beiden philosophischen Hauptrichtungen bilden, welche in der gegenwärtigen Philosophie zum Gegenstand von Vermittlungsversuchen gemacht worden sind. Der Glaube wird dabei auf dem Standpunkt der reflektierenden Philosophie unterschiedlich bestimmt, etwa „als das unmittelbare…Vertrauen auf unser Wissen“¹²⁸ bei Friedrich Bouterwek (1766 – 1828) oder „als die unmittelbare, dem Geiste eingeborne Gewißheit von der Existenz des Göttlichen“¹²⁹ bei Eschenmayer, und Fichte selbst sieht den wahren „Urquell“ des Streites zwischen Glaube und Reflexion darin, dass der Glaube gegen die Reflexion unzulänglich bleibe, „weil er ein unmittelbarer ist dem sich begründenden, überhaupt entwickeltern Selbstbewußtsein jener gegenüber“¹³⁰. Eine Gleichsetzung von ‚Glaube‘ und ‚unmittelbarem Bewusstsein‘ findet sich aber auch in diesem Zusammenhang nicht.¹³¹
erschienen ist (vgl. SKS K27, 373), und nicht etwa (wie Barfod in EP I-II, S. 124 und im Anschluss daran Hirsch in ES, 136 behaupten) auf dessen dänische Überarbeitung, die im Juni 1837 unter dem Titel „Betragtninger over Ideen af Faust. Med Hensyn paa Lenaus Faust“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 1, 1837, S. 91– 164 (ktl. 569) erschienen ist; vgl. hierzu auch SKS 17, 49, AA:38 / DSKE 1, 52 (vor Mitte Mai 1837 entstanden). Die Datierung von Papir 42:1 auf Frühjahr 1837 bestätigt sich ferner durch die zweite Aufzeichnung auf diesem losen Zettel (SKS 27, 87, Papir 42:2), die Ähnlichkeiten mit dem Anfang der wohl Ende März oder Anfang April 1837 entstandenen Journalaufzeichnung AA:28 hat, vgl. SKS 17, 46,1– 3, AA:28 / DSKE 1, 48,11– 14. Vgl. Fichte, Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie, S. 165 – 202 (§§ 44– 57) zusammen mit der unpaginierten „Wissenschaftlichen Uebersicht“ auf S. [XXXI]-[XXXII]. Vgl. ferner die Zusammenfassung dieses Standpunktes der reflektierenden Philosophie auf S. 201 f. (§ 57) und S. 298 f. (§ 87). Ibid., S. 191 (§ 55); vgl. hierzu Friedrich Bouterwek, Der Religion der Vernunft. Ideen zur Beschleunigung der Fortschritte einer haltbaren Religionsphilosophie, Göttingen 1824, S. 76 – 80. Fichte, Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie, S. 198 (§ 57; ohne Hervorhebungen); vgl. hierzu Carl August Eschenmayer, Psychologie in drei Theilen als empirische, reine und angewandte, 2. Aufl., Stuttgart und Tübingen 1822, S. 118 f. (§ 141) und S. 120 (§ 143). Fichte, Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie, S. 196 (§ 56). Vgl. ferner die Bestimmung des Glaubens als „unmittelbare[] Zuversicht“ (ibid., S. 166, § 44) bei Fichtes allgemeiner Charakterisierung des Standpunktes der reflektierenden Philosophie. Bemerkenswert ist auch die Aussage Fichtes in der Einleitung, dass die Philosophie das „unmittelbare religiöse Bewußtsein“ (S. 20 f.) über sich selbst zur Klarheit und Selbsterkenntnis
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Unter Voraussetzung der Annahme, dass hinter dem von Kierkegaard in CC:12 gegen die Philosophen erhobenen Vorwurf der ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs seine Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte steht, scheint mir deshalb die vorstehende Interpretation des Verflüchtigungsverdikts gerechtfertigt. Es ist also nicht so, dass Fichte oder einer der von ihm behandelten Philosophen auf dem Standpunkt der reflektierenden Philosophie ‚Glaube‘ in irgendeiner Weise mit dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ identifiziert hätten, was Kierkegaard nun als ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs verstehen und kritisieren würde, sondern Kierkegaard selbst hat das, was die Philosophen ‚Glaube‘ nennen, als ‚das unmittelbare Bewusstsein‘ expliziert.¹³² Der Grund dafür liegt in der philosophischen ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs, die aus der Vermengung der beiden streng zu unterscheidenden Gebiete der Philosophie und des Christentums resultiert. Während der Glaubensbegriff auf christlichem Gebiet auf ein bestimmtes histobringen solle und dass sie, zu ihrem Ziel gelangt, zugleich die Selbstorientierung des Bewusstseins über das in ihm niedergelegte religiöse Element sei. Dadurch sei „die völlige Restitution des ursprünglichen religiösen Bewußtseins im Menschen begründet“, welches „recht eigentlich Glauben zu heißen verdient“ (S. 21), der eo ipso zu seiner Reinheit zurückgeführt und von dem abergläubischen Element an ihm abgeschieden werde (vgl. hierzu auch Fichte, Das Erkennen als Selbsterkennen, S. 271, § 196 (Anm.)). Falls Kierkegaards Verflüchtigungsverdikt in CC:12 unter dem Eindruck auch seiner Lektüre von Fichtes Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie entstanden ist, ist es durchaus denkbar, dass der Vorwurf der ‚Verflüchtigung‘ und ‚Profanierung‘ des Erlösungsbegriffs durch die Philosophie mit Blick auf Ausführungen Fichtes wie ibid., S. 167 (§ 45) formuliert worden ist, wo es heißt: „Das Bewußtsein wird aus seiner unmittelbaren Einheit mit dem Objekte zur Entzweiung und Trennung von demselben fortbestimmt; die letztere aber, bis zu ihrer höchsten Spannung durchgeführt, zerbricht in sich selbst, und kehrt zur umfassendern [sic!] und bewußten Eintracht mit der Objektivität zurück. Diesen Proceß von der Unschuld des Bewußtseins durch die Verstrickung in sein Ich hindurch bis zu seiner theoretischen Erlösung und Wiedergeburt hat die vollständig gewordene Philosophie in sich zu vollziehen. Bisher meinte man, eines Theils, daß eine solche wissenschaftliche Erlösung nicht möglich sei, wodurch es mit dieser Partei der Philosophen bloß bei einer theoretischen Negation und Verzweiflung blieb: andern Theils, daß jene schon gewonnen werden könne durch einen willkührlichen Akt der Abstraktion, nicht durch ein gründliches Eingehen und Besiegen des dazwischen sich eindrängenden Negativen.“ Diese Interpretation des mit hvorved eingeleiteten Nebensatzes legt sich auch bei der Betrachtung der anderen christlichen Begriffe nahe, die Kierkegaard auf philosophischem Gebiet gleichermaßen ‚verflüchtigt‘ sieht. Denn welcher Philosoph sollte z. B. ‚Tradition‘ derart vage als ‚Inbegriff einer gewissen Welt-Erfahrung‘ (der Ausdruck ‚Welt-Erfahrung‘ [Verdens-Erfarenhed] findet sich bei Kierkegaard außer in CC:12 nur noch in der am 9. September 1836 auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung SKS 27, 148, Papir 181: „die gewöhnliche goethesche Welt-Erfahrung“) bestimmt haben? Die Verlegenheit, in die man kommt, wenn man konkret nach Vertretern einer derartigen Position fragt, spricht Bände, vgl. Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken, S. 28; Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 80; Kommentar zu SKS 17, 201,26 (CC:12) in SKS K17, 340 bzw. Kommentar zu DSKE 1, 161,10 (CC:12) in DSKE 1, 476.
2.2 I.H. Fichte
161
risches Faktum zurückzuführen ist, wird ihm auf philosophischem Gebiet eine andere, alltägliche oder gewöhnliche Bedeutung gegeben, wodurch seine Konturen verwischt werden, so dass man ihn, so gänzlich in eine ‚Nebelmasse‘ aufgelöst, unmöglich wiedererkennen kann.¹³³ Das, was die Philosophen in dieser „Sprachverwirrung“¹³⁴ ‚Glaube‘ nennen, entspricht für Kierkegaard deshalb dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘, welches „im Grunde nichts anderes ist als das vitale Fluidum des geistigen Lebens, dessen Atmosphäre“¹³⁵ – etwas also, das, wie es in AA:22 heißt, dem Menschen durch ‚die erste Schöpfung‘ zuteilwird und einem unbestimmten Eindruck gleicht, den man erhalten hat, ohne zu wissen, woher er kommt. Von einem solchen präreflexiven, den Keim zu seiner Überwindung in sich tragenden ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ ist der christliche Glaube als das ‚unmittelbare Bewusstsein‘ des Christentums aber radikal zu unterscheiden. Aufgrund dieser mit der konstitutiven Bezogenheit des Glaubens auf ein aus der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung unableitbares Neues einhergehenden bzw. damit erst gegebenen bewusstseinstheoretischen Differenz des spezifisch christlichen gegenüber dem allgemein menschlichen Bewusstsein eignet dem Glauben für Kierkegaard – wie schon angesichts seiner Bestimmung des Glaubens als ‚apriorischer Sicherheit‘ in der Aufzeichnung Papir 81:1 von der Jahreswende 1836/37¹³⁶ deutlich wurde – eine Form von Unmittelbarkeit, ohne dass deshalb jede Form von Unmittelbarkeit Glaube wäre. Die Charakterisierung dieses ‚unmittelbaren Bewusstseins‘ in CC:12 erinnert dabei deutlich an Kierkegaards Kritik in Papir 92, dass das von den ‚hegelschen Dogmatikern‘ ‚Glaube‘ Genannte „im Grunde nichts anderes“ sei „als das erste Unmittelbare, die Bedingung für alles – das vitale Fluidum – die Atmosphäre, die wir im geistigen Sinne einatmen“¹³⁷. Die in Kapitel 1.5 begonnene Untersuchung
Diese Bedeutung von ‚(Begriffs‐)Verflüchtigung‘ legt sich auch an anderen Stellen nahe, an denen Kierkegaard diesen Vorwurf erhebt, vgl. z. B. SKS 1, 342 / BI, 316; SKS 15, 270 / BÜA, 131 f. und SKS 15, 275 / BÜA, 137. Damit soll aber nicht behauptet sein, der Verflüchtigungsbegriff sei an allen Stellen in Kierkegaards Werk so zu verstehen, vgl. nämlich Schulz, „Die spekulative Verflüchtigung“, S. 41 und S. 45 (Anm.). Wenn aber Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 67 – aufbauend auf die Analyse von Schulz, der CC:12 jedoch nicht behandelt – mit Bezug auf CC:12 behauptet, Gegenstand dieser Kritik Kierkegaards sei ein Glaubensbegriff, „der durch die Assoziation mit dem (im spekulativ-logischen Sinn) Unmittelbaren in Kierkegaards Sicht verflüchtigt“ werde, dann entspricht dies nicht der Intention Kierkegaards in CC:12. So bereits am Anfang dieser Aufzeichnung in SKS 17, 198,4, CC:12 / DSKE 1, 157. SKS 17, 201, CC:12 / DSKE 1, 161. Siehe Kap. 1.6. SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50 (meine Übers.).
162
2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
dieser für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis wichtigen Aufzeichnung gilt es nun fortzusetzen.
2.3 Papir 92 (II) Die Untersuchung von Papir 92 in Kapitel 1.5 sollte deutlich machen, dass die in dieser Aufzeichnung formulierte Kritik Kierkegaards am Glaubensverständnis der ‚hegelschen Dogmatiker‘ schwerlich als Kritik an Marheineke zu verstehen ist. Dabei wurde angenommen, dass der sachliche Kontext des in diesem Zusammenhang entscheidenden Ausdrucks ‚das erste Unmittelbare‘ die von Hegel im einleitenden Abschnitt der Seinslogik entwickelte Problematik des Anfangs der Logik und damit der ganzen Philosophie ist, Kierkegaard mit diesem Ausdruck also auf das unbestimmte Unmittelbare anspielt, welches noch nicht in das Vermittelte übergegangen ist. Da sich in den Journalen und Aufzeichnungen jedoch kein Hinweis darauf findet, dass der junge Kierkegaard bereits vor der Abfassung von Papir 92 diesen Abschnitt in Hegels Wissenschaft der Logik gelesen hatte, ist ihm dessen Gedankengang, wie zu erweisen ist, aus zweiter Hand bekannt gewesen. Zudem kann Kierkegaards Kritik in Papir 92 nicht ohne Einbeziehung der Frage nach ihren Adressaten angemessen verstanden werden. Da die Beantwortung dieser Frage aber wiederum von der Datierung von Papir 92 abhängt, wurde Papir 92 in Kapitel 1.5 zunächst unter Voraussetzung der von Pap. angenommenen Datierung auf Ende 1836 untersucht. In diesem Abschnitt soll die Untersuchung dieser Aufzeichnung unter Voraussetzung der von SKS angenommenen Datierung auf das Wintersemester 1837/38 fortgesetzt und unter Einbeziehung von Gesichtspunkten sachlicher Plausibilität eine weitere Präzisierung des terminus post quem auf Juni 1837 begründet werden. Die Voraus-Setzung dieser späteren Datierung hat zur Folge, dass sich der Kreis möglicher Adressaten von Kierkegaards Kritik beträchtlich erweitert, da, wie eingangs dieses Kapitels skizziert, seine philosophische Bildung seit Anfang 1837 eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung erfahren und er sich nun auch in verstärktem Maße mit der hegelschen Philosophie, wie sie ihm vor allem durch seine dänischen Zeitgenossen sowie durch seine eingehende Beschäftigung mit Vertretern der Hegelschule vermittelt worden ist, auseinandergesetzt hat. Wie in Kapitel 1.5 bemerkt, hat Kierkegaard in Papir 92 erstmals seine Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ formuliert, die später mit leichten Variationen auch in vielen seiner pseudonymen Schriften wiederkehren sollte. Ein wichtiger Hinweis darauf, wen Kierkegaard damit im Blick gehabt hat, findet sich dabei in „‚Schuldig?‘ – ‚Nicht-Schuldig?‘“ von Frater Taciturnus in den
2.3 Papir 92 (II)
163
Stadien auf des Lebens Weg (1845). Der Quidam der Leidensgeschichte schreibt darin in seinem Tagebucheintrag vom 6. April: „man höre Gottes Stimme: ‚hast Du geglaubt?‘ – man höre die Antwort: ‚der Glaube ist das Unmittelbare, beim Unmittelbaren darf man nicht stehenbleiben, das tat man im Mittelalter, seit Hegel aber geht man weiter, doch räumt man ein, dass er das Unmittelbare ist und [dass] das Unmittelbare ist, sieht aber einer neuen Schrift entgegen.‘“¹³⁸
Angesichts des Kontextes, in den die Aussage ‚der Glaube ist das Unmittelbare‘ eingebettet ist, besteht kein Zweifel, dass Kierkegaard an dieser Stelle auf Martensen anspielt – und zwar auf dessen Anfang Januar 1837 erschienene Rezension¹³⁹ von Heibergs Einführungsvortrag zu dem im November 1834 begonnenen logischen Cursus an der Königlichen Militärhochschule (1835).¹⁴⁰ Diese Anspielung Kierkegaards ist nun im Hinblick auf die Frage zu untersuchen, ob Martensens Argumentation in der Rezension auch die Kritik Kierkegaards am Glaubensverständnis der ‚hegelschen Dogmatiker‘ in Papir 92 motiviert haben und diese als sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen kann.
2.3.1 Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag ¹⁴¹ Im philosophiegeschichtlichen Abriss zu Beginn seiner Rezension betont Martensen zunächst die unermessliche Bedeutung des hegelschen Systems für die
SKS 6, 271 / SLW, 308 (meine Übers.). Hans Lassen Martensen, „Indledningsforedrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole. Af J. L. Heiberg, Lærer i Logik og Æsthetik ved den kgl. militaire Høiskole. 42 S. 8“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 16, 1836, S. 515 – 528 [dt. Übersetzung bei Markus Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 506 – 522, hier S. 512– 522]. Die Zitierung von Martensens Rezension erfolgt nach der Übersetzung Kleinerts mit Angabe der Original-Paginierung in eckigen Klammern. Zu Hintergrund und Interpretation der Rezension vgl. Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen, S. 115 – 117; Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 76 – 80; Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 506 – 511; Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 18 – 37; ders., Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 107– 114; Robert Leslie Horn, Positivity and Dialectic: A Study of the Theological Method of Hans Lassen Martensen, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 2), S. 91– 95. Johan Ludvig Heiberg, Indlednings-Foredrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1835. Dieser und der folgende Abschnitt ist eine geringfügig überarbeitete und erweiterte Fassung meines Aufsatzes „Die eigentlichen Adressaten von Kierkegaards Kritik, den Glauben als ‚das Unmittelbare‘ zu bezeichnen“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2011, S. 115 – 153, hier S. 138 – 153.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Gegenwart. Da es „die vollendetste und umfassendste Entwicklung des rationalen Wissens“ beinhalte, scheine es nämlich den Höhepunkt und Abschluss einer ganzen Ära in der Geschichte der Philosophie zu bilden, „die unabhängig von aller Tradition und gegebenen Positivität das Rätsel des Daseins zu lösen suchte.“¹⁴² Damit stehe die hegelsche Philosophie und das ihr – wie auch der Philosophie der modernen Zeit überhaupt – zugrunde liegende Prinzip im scharfen Kontrast zur christlichen Philosophie des Mittelalters, deren Grund und Mittelpunkt der Glaube und deren Prinzip das anselmsche „credam ut intelligam“¹⁴³ gewesen sei, was nichts anderes als das biblische Wort „Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit“¹⁴⁴ bezeichne:
Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 512 [S. 515]; vgl. S. 513 [S. 516] und S. 519 [S. 524]. Ibid., S. 513 [S. 516]; vgl. S. 514 [S. 517]. Vgl. hiermit Anselm von Canterbury, „Proslogion seu Alloquium de Dei existentia“, in Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Bd. 1– 221, Paris 1844– 65; Bd. 158, 1853, Sp. 223 – 242, hier Sp. 227C (Kap. 1): „Neque enim quæro intelligere, ut credam; sed credo, ut intelligam.“ Die Abweichung der Formulierung Martensens vom Original bei Anselm einerseits, von der auch zur Zeit Martensens üblichen (wörtlichen) Wiedergabe von Anselms Diktum mit ‚credo ut intelligam‘ andererseits, ist wahrscheinlich auf den Einfluss Baaders zurückzuführen, den Martensen auf seiner Auslandsreise (vgl. Exkurs 1, Anm. 24) besucht hatte, vgl. Franz Baader, Vorlesungen, gehalten an der Königlich-Bayerischen Ludwig-Maximilians-Hochschule über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen, älterer und neuer Zeit, Heft 1, Einleitender Theil oder vom Erkennen überhaupt, München 1827 (ktl. 395), S. 43: „Alles Erkennen der Kreatur, insofern selbes von einer Gabe und einem Empfangen ausgeht…und durch dieses Empfangen vermittelt wird, geht vom Glauben aus, und Anselmus hat darum Recht, wenn Er sagt: credam ut intelligam“ (Hervorhebungen teilweise weggelassen). Diese Vermutung erhärtet sich beim Blick auf Martensens Ueber Lenau’s Faust, S. 11 f., wo Martensen in diesem Zusammenhang auf Baaders Vorlesungen verweist: „Die Philosophie der modernen Zeit, das alte credam ut intelligam aufgebend und mit Cartesius ihren Ausgangspunkt in Zweifel nehmend, hat ihr Cogito ergo sum, diese Selbstposition des menschlichen Geistes, in seiner Abstraction vom Schöpfer* [* Man vergleiche die wichtige Schrift Fr. Baaders: Vorlesungen über religiöse Philosophie. München 1827.], in Hegel vollendet, und die verschiedenen Formen des philosophischen Rationalismus sind in den Hegelschen Pantheismus als Momente aufgenommen worden.“ Kierkegaard spricht in seiner ersten Reaktion auf Martensens Rezension in der Journalaufzeichnung BB:32 von (vermutlich) Ende Januar daher nicht zu Unrecht davon, dass man Martensens Abhandlung „auch im Hinblick auf sein Verhältnis zu einem einzelnen Gelehrten in München…ein fliegendes Blatt aus München nennen [könnte]“ (SKS 17, 121, BB:32 / DSKE 1, 131; „ein fliegendes…München“ bei Kierkegaard deutsch; zum Ausdruck „ein fliegendes Blatt“ vgl. Hamanns „Fliegender Brief an Niemand den Kundbaren“ in Hamann’s Schriften, op. cit., Bd. 7, S. 71– 128, hier S. 121 („jedes fliegende Blatt meiner Muse“), auf den auch Hirsch in BI, 358 (Anm. 266) in Bezug auf SKS 1, 248 / BI, 208 verweist; vgl. dagegen den Kommentar zu SKS 17, 121,29 in SKS K17, 240); vgl. ferner unten Anm. 153. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 513 [S. 516]; vgl. Hi 28,28; Ps 111,10; Spr 1,7; 9,10; 15,32.
2.3 Papir 92 (II)
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„Der Glaube war in jener Zeit der gemeinsame Mittelpunkt, der die Geister vereinte, die heilige Überlieferung der Wahrheit strömte ewig jung und lebendig durch die Geschichte, die religiös-poetische Anschauung warf ihren Glanz über das ganze Leben und gestaltete dessen verschiedene Verhältnisse. Die Anschauung galt in ihrer Unmittelbarkeit als ewige Wahrheit, es gab keinen Kampf zwischen der Vorstellung und dem Begriff, denn dieser Kampf kann nicht eintreten, solange der Glaube feste Voraussetzung und Halt der Erkenntnis ist. Der Glaube ist sich dessen gewiss: sein Inhalt ‚ist‘ die Wahrheit, die Wahrheit ist nicht anders als sie geglaubt wird.“¹⁴⁵
Der Glaube könne nicht zugestehen, dass es jenseits der Vorstellung eine andere und höhere Wahrheit gebe, die anzunehmen nur „die unendliche Gewissheit, die das Wesen des Glaubens ist“¹⁴⁶, stören würde. Die gläubige Erkenntnis strebe deshalb nur danach, sich die Anschauung als höchste Form der Wahrheit, ihre absolute Offenbarung, in ihrer Tiefe anzueignen. Der Konflikt zwischen Vorstellung und Begriff trat zu dem Zeitpunkt ein, als sich der in der Reformation äußernde Drang nach geistiger Selbstständigkeit auch innerhalb der Philosophie Geltung verschaffte. Diese von Descartes „als Reformator der Philosophie“¹⁴⁷ eingeleitete moderne philosophische Revolution, in der sich das Denken von dem Grund des Glaubens und jeder religiösen Autorität losgerissen habe und als selbstständige und unabhängige Macht aufgetreten sei, wird von Martensen anhand der beiden cartesianischen Formulierungen „cogito ergo sum“¹⁴⁸ und „de omnibus dubitandum est“¹⁴⁹ charakterisiert – zwei Schlagworte, die Kierkegaard an zahlreichen Stellen in seinem Werk zur Kritik an Mar-
Ibid., S. 513 [S. 516 f.] (dt. Übers. modifiziert). Ibid., S. 513 [S. 517]. Ibid., S. 514 [S. 517 f.]. Vgl. René Descartes, „Dissertatio de Methodo“ (1677), in Renati Des-Cartes opera philosophica, editio ultima, Amsterdam 1677– 78 (ktl. 473) [bestehend aus Meditationes de Prima Philosophia (samt Epistola ad Celeberrimum virum D. Gisbertum Voetium), Principia Philosophiæ, Dissertatio de Methodo, Dioptrice, Meteora, Passiones Animæ mit jeweils separater Paginierung und eigenem Titelblatt], S. 1– 48, hier S. 21: „Ego cogito, ergo sum“. Vgl. hierzu auch Martensens Ueber Lenau’s Faust, S. 11 f. sowie seine Lizentiatenabhandlung De autonomia conscientiæ sui humanæ (siehe Anm. 165), vor allem S. 19 (§ 5), S. 49 (§ 12) und S. 96 (§ 24) zusammen mit Kierkegaards Notizen zu Martensens Dogmatikvorlesung (Wintersemester 1837/38) in SKS 19, 131, Not4:7 / DSKE 3, 138 (5. Vortrag). Vgl. René Descartes, „Principia philosophiæ“ (1677), in Renati Des-Cartes opera philosophica, S. 1– 23, hier S. 1 (Überschrift): „Veritatem inquirenti, semel in vita de omnibus, quantum fieri potest, esse dubitandum“ (ohne Hervorhebungen). Vgl. hierzu auch Martensens De autonomia conscientiæ sui humanæ (siehe Anm. 165), S. 19 (§ 5) zusammen mit SKS 19, 131, Not4:7 / DSKE 3, 138 (5. Vortrag).
166
2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
tensen herangezogen hat.¹⁵⁰ Im cartesianischen cogito ergo sum, verstanden als die absolute Autonomie des Gedankens, spreche sich das Prinzip dieser rationalistischen Philosophie aus, deren Wahlspruch nun „Zweifel ist der Anfang der Weisheit“¹⁵¹ laute. Im Unterschied nämlich zur Gewissheit des Glaubens, die nicht absolut identisch mit der Wahrheit sei, da die Wahrheit als das Objekt der Gewissheit stets eine Selbstständigkeit gegenüber dem Subjekt des Gewissseins behalte und deshalb der Zweifel hier noch möglich sei, sei die mit der Wahrheit absolut identische, jeden (weiteren) Zweifel ausschließende Gewissheit des cogito ergo sum durch den absoluten Zweifel an jeder gegebenen Voraussetzung bedingt. „Aber dann kann von Glauben nicht länger die Rede sein, sondern nur von absolutem, göttlichem Wissen.“¹⁵² Descartes habe als Erster das de omnibus dubitandum est als Forderung eines voraussetzungslosen Anfangs der Philosophie aufgestellt und damit die letzte Entwicklung der autonomen Philosophie eingeleitet. Alle philosophischen Systeme von Descartes an hätten jedoch, als sie einen absoluten und voraussetzungslosen Ausgangspunkt gewinnen wollten, stets eine Voraussetzung stehengelassen, die nicht durch das „dialektische[] Feuer“¹⁵³ hindurchgegangen sei, wie etwa die spinozistische Substanz oder das kantische ‚Ich denke‘. Erst Hegel habe den cartesianischen Zweifel auch wirklich durchgeführt und von aller Bestimmtheit abstrahiert. Das Einzige, was dabei zurückgeblieben sei, „ist das rein Abstrakte selbst, das reine Sein = Nichts. Das ist die leerste und inhaltsloseste aller Gedankenbestimmungen, aber zugleich die,von der unmöglich zu abstrahieren ist.
Zum ‚cogito ergo sum‘ vgl. z. B. SKS 17, 239, DD:51 / DSKE 1, 204; SKS 17, 290 f., DD:208 / DSKE 1, 264; SKS 19, 386, Not13:8 / DSKE 3, 424; Pap. IV B 2:10; SKS 7, 288 / AUN2, 18; SKS 7, 290 / AUN2, 19; SKS 11, 206 / KT, 93; SKS 11, 231 / KT, 120 f.; SKS 20, 391, NB5:46 / DSKE 4, 447; zum ‚de omnibus dubitandum (bzw. disputandum) est‘ vgl. z. B. SKS 17, 288, DD:208 / DSKE 1, 261; SKS 17, 290 f., DD:208 / DSKE 1, 264; SKS 7, 179 / AUN1, 186 sowie Kierkegaards unvollendet gebliebene Lehrerzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est in SKS 15, 13 – 59 / JC, 109 – 159, deren Ausarbeitung er vermutlich Mitte 1842 begonnen hat, bevor er im Frühjahr 1843 entschied, diesen Plan nicht weiter zu verfolgen. Vgl. ferner Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 110 – 112, S. 242– 249, S. 457, S. 460 f., S. 506 – 508 und S. 556. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 514 [S. 518]. Ibid., S. 515 [S. 518]. Ibid., S. 515 [S. 519]; vgl. hiermit Franz Baader, Fermenta Cognitionis, Heft 1– 5, Berlin 1822– 24 (ktl. 394); Heft 1, S. VI-VII: „Und in der That, seitdem von Hegel das dialektische Feuer (das auto-da-fé der bisherigen Philosophie) einmal angezündet worden, kann man nicht anders als durch selbes selig werden, d. h. indem man sich und seine Werke durch dieses Feuer führt, nicht etwa indem man von selbem abstrahiren, oder es wohl gar ignoriren möchte.“
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Es ist die einzige Kategorie, die ohne Voraussetzung ist, selbst jedoch vorausgesetzt wird und in allen anderen enthalten ist“¹⁵⁴. Mit dem reinen Sein habe Hegel das Ideal eines voraussetzungslosen Anfangs der Philosophie erreicht – wiederum eine Behauptung, die Kierkegaard später wiederholt zum Gegenstand seiner Kritik gemacht hat.¹⁵⁵ Als absoluter Rationalismus sei die hegelsche Philosophie darum „die letzte und höchste Folge des cartesianischen Prinzips. Aus dem Gedanken geht alle Wirklichkeit hervor, und zu dem Gedanken kehrt sie zurück.“¹⁵⁶ Wie Martensen am Ende seiner Rezension jedoch betont, scheitere Hegels Versuch, aus dem Begriff die Wirklichkeit abzuleiten, an der Existenz des Nichtbegrifflichen in Natur und Geschichte – dem Zufälligen. „Diese Kategorie ist gewissermaßen die Kloake, in welche die hegelsche Philosophie alles das abscheidet, was für das reine Denken anstößig ist, das sogenannte Schlechte.“¹⁵⁷ Poesie und Religion, die beide besonders das Gepräge der Freiheit trügen, enthielten jedoch mehr als das, was sich mit logischer Notwendigkeit ableiten lasse, ohne dass dieses deshalb als das Schlechte oder Zufällige abgewiesen werden könnte: „in beiden liegt etwas Unerklärliches, etwas, das nur vom Glauben erfasst werden kann“¹⁵⁸. Die hegelsche Philosophie sei mit dem Christentum deshalb letztlich unvereinbar: „[s]ie kennt nur das Ewige, nicht aber das Heilige“¹⁵⁹, für welches es keinen Platz in ihrem System gebe. Falls Hegel, statt den ewigen Gedanken zu suchen, das ewige Wort gesucht hätte, „wäre er zu dem christlichen Logos gekommen, und statt im Dasein nur den Begriff und die Vernunft zu finden, hätte er das Wort und die Offenbarung gefunden.“¹⁶⁰ Wie allerdings eine solche christliche Philosophie als Repristination des anselmschen
Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 517 [S. 521 f.]. Martensen betrachtet „das reine Sein = Nichts“ offenbar als eine Kategorie; vgl. hiermit die Darstellung bei Johan Ludvig Heiberg, Grundtræk til Philosophiens Philosophie eller den speculative Logik. Som Ledetraad ved Forelæsninger paa den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1832 [auch erschienen als: Ledetraad ved Forelæsningerne over Philosophiens Philosophie eller den speculative Logik ved den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1831– 32] S. 11 f. (§§ 26 – 28). Vgl. z. B. SKS 27, 237 f., Papir 264:11 / T 1, 231 f.; SKS 4, 251 / PB, 44; SKS 4, 384 / BA, 82; SKS 18, 217, JJ:239 / DSKE 2, 224; SKS 18, 223 f., JJ:262 / DSKE 2, 231; SKS 18, 224, JJ:264 / DSKE 2, 232 f.; SKS 7, 24 / AUN1, 13; SKS 7, 108 – 111 / AUN1, 104– 108; SKS 7, 286 / AUN2, 15; SKS 9, 220 f. / LT, 242 sowie SKS 28, 36,5, Brev 16. Vgl. ferner Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 488 – 496. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 518 [S. 522] (dt. Übers. modifiziert). Vgl. auch Martensens Ueber Lenau’s Faust, S. 11 f. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 520 [S. 525] (dt. Übers. modifiziert). Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Ibid., S. 521 [S. 526]. Ibid., S. 522 [S. 527].
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credam ut intelligam, deren objektiver Ausgangspunkt über die abstrakte Kategorie hinausgekommen wäre, konkret auszusehen hat, lässt Martensen offen. Stattdessen äußert er die Hoffnung, dies „bei anderer Gelegenheit darlegen und begründen zu können.“¹⁶¹ Angesichts einerseits der Nebeneinanderstellung der durch den Gebrauch der Vernunft charakterisierten, von Hegel auf ihren Höhepunkt und zum Abschluss geführten modernen Philosophie und der im Glauben gründenden christlichen Philosophie des Mittelalters, andererseits der Ankündigung am Ende der Rezension, den über Hegel hinausgehenden Standpunkt „bei anderer Gelegenheit“ weiter ausführen zu wollen¹⁶², besteht also kein Zweifel, dass Kierkegaard an der eingangs dieses Abschnitts angeführten Stelle aus den Stadien auf des Lebens Weg auf Martensens Rezension anspielt. Doch wie verhält es sich nun mit der für unseren Zusammenhang entscheidenden Aussage, der Glaube sei ‚das Unmittelbare‘? Im philosophiegeschichtlichen Abriss zu Beginn der Rezension wird das Wesen des (mittelalterlichen) Glaubens als unendliche Gewissheit bestimmt, wobei Martensen diesem Glauben insofern eine formale Defizienz attestiert, als die Glaubensgewissheit nicht (wie bei der Gewissheit des cogito ergo sum) absolut identisch mit der Wahrheit und der Zweifel hier deshalb noch möglich sei. Bei diesem Glauben, der (noch) nicht vom Konflikt zwischen der Vorstellung und dem Begriff bestimmt gewesen sei, da die Anschauung „in ihrer Unmittelbarkeit“¹⁶³ als die höchste Form der Wahrheit gegolten habe, habe die moderne Philosophie, in der – zumindest idealiter gesehen – jede Voraussetzung dem ‚dialektischen Feuer‘ ausgesetzt werde, nicht stehenbleiben können. Gleichwohl spricht Martensen an keiner Stelle seiner Rezension vom Glauben als dem Unmittelbaren und er kann demnach auch nicht konzedieren, wie es in den Stadien auf des Lebens Weg heißt, dass der Glaube ‚das Unmittelbare‘ sei.¹⁶⁴ Andererseits rekurriert Martensen auf
Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Martensen denkt hier offenbar an seine im Juli 1837 erschienene Lizentiatenabhandlung De autonomia conscientiæ sui humanæ (siehe Anm. 165 und Anm. 166). In seiner ersten Reaktion auf Martensens Rezension in der Journalaufzeichnung BB:32 bemerkt Kierkegaard daher nicht ganz zu Unrecht: „Marthensens [sic!] Abhandlung in der Maanedsskrift ist von ganz sonderbarer Art. Nachdem er nämlich über alle seine Vorgänger Bocksprünge gemacht hat, ist er in eine unbestimmbare Unendlichkeit hinaus avanciert; denn da sein Standpunkt nicht gegeben ist, dies nämlich verkündet er, ist seine Kritik an Hegel äußerlich und seine Existenz schwebend“ (SKS 17, 121, BB:32 / DSKE 1, 131; dt. Übers. modifiziert). Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 513 [S. 516]. An der einzigen, eben angeführten und in der vorigen Anm. nachgewiesenen Stelle, an der Martensen in seiner Rezension das Substantiv ‚Unmittelbarkeit‘ [Umiddelbarhed] überhaupt
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die von Hegel im einleitenden Abschnitt der Seinslogik entwickelte Problematik des Anfangs, die der sachliche Kontext des Ausdrucks ‚das erste Unmittelbare‘ in Papir 92 ist. Doch auch in diesem Zusammenhang spricht Martensen nicht vom Glauben. Kierkegaards Anspielung auf Martensens Rezension ist bezüglich der Aussage, dass der Glaube ‚das Unmittelbare‘ sei, so nicht nachzuvollziehen. Dies gilt im Übrigen auch für Martensens Ausführungen in seiner Lizentiatenabhandlung De autonomia conscientiæ sui humanæ (1837)¹⁶⁵, die wahrscheinlich im Juli 1837¹⁶⁶ erschienen ist und daher zeitlich gesehen ebenfalls Anlass für Kierkegaards Kritik in Papir 92 (unter Voraussetzung der von SKS angenommenen Datierung dieser Aufzeichnung) gewesen sein kann. Auch in dieser Veröffentlichung versteht oder bezeichnet Martensen selbst an keiner Stelle den Glauben als ‚das Unmittelbare‘¹⁶⁷, weshalb die in der Sekundärliteratur gelegentlich begegnenden Verweise auf Martensens Lizentiatenabhandlung im Zusammenhang mit Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ sich bei genauerer Betrachtung als unhaltbar entpuppen. Dies sei an zwei Beispielen erläutert: (1) Der Kommentar von SKS ¹⁶⁸, die Herausgeber von Pap. ¹⁶⁹ sowie Thulstrup¹⁷⁰ verweisen diesbezüglich auf „S. 2 ff.“ von Martensens Lizentiatenabhandlung, womit vermutlich insbesondere ein Passus auf S. 3 in § 1 gemeint ist:
gebraucht, ist dieses also auf ‚Anschauung‘ bezogen. Das Adjektiv ‚unmittelbar‘ [umiddelbar] findet sich insgesamt viermal, und zwar ibid., S. 517 [S. 521], S. 518 [S. 522] sowie (zweimal) S. 519 [S. 523]. Hans Lassen Martensen, De autonomia conscientiæ sui humanæ, in theologiam dogmaticam nostri temporis introducta, Kopenhagen 1837. Die öffentliche Disputation fand am 12. Juli 1837 statt. Gleichwohl ist Martensen der Lizentiatengrad erst im Jahr darauf durch den damaligen Dekan der Kopenhagener Theologischen Fakultät, H.N. Clausen, offiziell verliehen worden, vgl. Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen, S. 119 f., den Kommentar zu DSKE 3, 132,4 (Not4:3) in DSKE 3, 606 sowie Martensens Bemerkungen in seiner Autobiographie Af mit Levnet, Abt. 2, S. 2. Dass Martensens Lizentiatenabhandlung jedoch schon im Sommer 1837 veröffentlicht worden ist, geht unter anderem aus einem Brief F.C. Sibberns an Frederik Ludvig Bang Zeuthen (1805 – 74) vom 12. September 1837 hervor, vgl. Breve til og fra F.C. Sibbern, hg. von Christian Ludvig Nicolai Mynster, Bd. 1– 2, Kopenhagen 1866; Bd. 1, S. 192. Zum Hintergrund von Martensens Lizentiatenabhandlung und ihrer Interpretation vgl. Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen, S. 119 – 141; Koch, Den danske idealisme 1800 – 1880, S. 279 – 282; Horn, Positivity and Dialectic, S. 77– 91 und Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 95 – 117. Vgl. hierzu vor allem die Ausführungen Martensens in De autonomia conscientiæ sui humanæ, S. 3 (§ 1), S. 7 (§ 2), S. 27– 30 (§ 7), S. 36 (§ 9), S. 48 und S. 53 (§ 12), S. 66 (§ 15), S. 67 (§ 16), S. 96 (§ 24), S. 97 f. (§ 25) sowie S. 121 f. (§ 31). Vgl. z. B. den Kommentar zu SKS 4, 318,10 in SKS K4, 351 f. und den Kommentar zu SKS 18, 203,13 (JJ:196) in SKS K18, 322.
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„Quare si – quod hic solummodo hypothetice ponitur, multis vero philosophis placet – fides, ut Verum evidenter intelligatur, seponenda est; si speculativus eius intellectus, Veri in ipsa veritate cognitio, nonnisi puræ, quæ dicitur, cogitationis via ab homine comparari potest; si absoluta Veri manifestatio non per fidei sed per dubitationis medium fit: sequitur, mediationem theologicam, cuius obiectum est absolute Verum, non intra sed supra fidem fieri debere, ut naturæ obiecti congruat.“¹⁷¹
Der von Martensen hier wohlgemerkt nur hypothetisch angeführten Behauptung ‚vieler Philosophen‘ zufolge sei der Glaube zur klaren Erkenntnis des Wahren ‚beiseitezusetzen‘, da diese nur auf dem Wege des reinen Denkens erreicht werden könne, weshalb das theologische Denken nicht ‚innerhalb‘ (intra), sondern ‚oberhalb‘ (supra) des Glaubens stehen müsse, um dem Wesen des absolut Wahren als seinem Objekt zu entsprechen. Zwar kann in Anbetracht der Ende 1837 notierten kritischen Bemerkungen Kierkegaards zu Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837)¹⁷² durchaus vermutet werden, dass Kierkegaard einer solchen Unterordnung¹⁷³ der Theologie unter die Philosophie und damit auch des Glaubens unter das (spekulative) Erkennen mit Ablehnung gegenübergestanden hätte. Jedoch passt dieser Abschnitt ebenso wenig wie die beiden anderen Abschnitte, in denen Martensen in § 1 seiner Abhandlung auf den Glauben zu sprechen kommt¹⁷⁴, weder terminologisch noch sachlich zur infrage stehenden Kritik Kierkegaards.
In Pap. V, S. 107 (Anm. 2) in Bezug auf Kierkegaards Bemerkung Pap. V B 49:2 („und dies geschieht ja jeden Tag gleich vor unseren Augen“) in der vorläufigen Ausarbeitung der Einleitung zu Der Begriff Angst zur dortigen Kritik (SKS 4, 318,10 – 11), dass Glaube ohne nähere Bestimmung das Unmittelbare genannt werde (vgl. unten Anm. 222). In Thulstrups Kommentar zu Rosemarie Løgstrups Übersetzung von Der Begriff der Angst, in Sören Kierkegaard. Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, hg. von Hermann Diem und Walter Rest, München 1976 (dtv-bibliothek, Bd. 6070), S. 704 zur Stelle S. 447,24 (= SKS 4, 318,10 – 11). Martensen, De autonomia conscientiæ sui humanæ, S. 3 (§ 1). Siehe Kap. 2.4. Vgl. Martensen, De autonomia conscientiæ sui humanæ, S. 4 (§ 1): „…quam ob rem arbitrarie agunt, qui absolutam veritatis cognitionem philosophiæ relinquentes, theologiam in inferiore loco manere, in relativa cognitione acquiescere iubent“ (meine Hervorhebung). Und zwar ibid., S. 2 („Quæ methodi diversitas [scil. wie das sowohl der Theologie wie auch der Philosophie gemeinsame Objekt mit dem menschlichen Denken vermittelt wird] vario modo fit et describitur; omnes vero eius modificationes in hoc convenire videntur, theologiam pro principio cognoscendi habere fidem, philosophiam meram rationem“) und S. 4 („Si vero ab altera parte veritas nonnisi sub conditione fidei ab homine cognosci potest, si hæc conditio non a theologis ficta et excogitata est, sed ab ipsa veritate præcepta, lex necessaria, quam veritas in communicatione sui sequitur: efficitur, philosophiam minime discedere posse a fide, omnesque eius meditationes fieri debere intra fidem. Itaque philosophia est theologia. Utut vero res se
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(2) Stewart verweist hinsichtlich der bereits in Kapitel 1.5 angesprochenen Kritik in der Einleitung zu Der Begriff Angst (1844), dass man „in der Dogmatik Glaube ohne jede nähere Bestimmung das Unmittelbare“ nenne, auf eine Stelle in § 21 von Martensens Lizentiatenabhandlung, „where the view is set forth that human beings have a primordial consciousness of God, which is the basis of faith. Thus, faith is grounded in an immediate consciousness of the divine.“¹⁷⁵ Dieser Abschnitt ist Teil der kritischen Auseinandersetzung Martensens mit den Prinzipien der ‚Moraltheologie‘¹⁷⁶, die Folge und Frucht der kantischen kritischen Philosophie sei und derzufolge der religiöse Glaube auf dem ‚moralischen Selbstbewusstsein des Menschen‘ ruhe, so dass das ethische Moment die Norm sei, an der alle Dogmen der Religion ohne Rücksicht auf ihre Wahrheit oder Unwahrheit gemessen werden müssten.¹⁷⁷ Wie Martensen nun in § 21 ausführt, ist für die Methode der christlichen Dogmatik dabei zum einen die Trennung der Theologie von der Philosophie, zum anderen die damit eng verbundene historisch-kritische Methode charakteristisch.¹⁷⁸ Da in Missachtung der spekulativen Idee innerhalb der Religion alle Theorie außerhalb der Religion verlegt und diese selbst auf die bloße Praxis beschränkt werde, bleibe für die christliche Dogmatik nur jenes nüchterne und leere ‚religiös-praktische Selbstbewusstsein‘ als Objekt übrig, welches unter dem Namen des ‚unmittelbaren religiösen‘ bzw. ‚christlichen Bewusstseins‘ bekannt sei und in der Dogmatik (unter Zuhilfenahme der Geschichte und dogmatischer Werke älterer Zeit) lediglich expliziert oder vielmehr beschrieben werde. Die dogmatische Theologie sei mithin ‚explikative‘, ‚deskriptive‘, nicht aber ‚speku-
habet, sive meditatio de deo pro principio habere debet fidem, sive puram rationis necessitatem, hoc ex obiectiva methodi natura patere videtur, methodum theologicam a philosophica diversam esse non posse“). Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 389. Stewart verweist in Anm. 40 dabei konkret auf S. 82 (§ 21) von Martensens Lizentiatenabhandlung, womit er vermutlich speziell die erste Hälfte der unten in Anm. 178 angeführten und im Haupttext skizzierten Stelle im Blick hat. Vgl. Martensen, De autonomia conscientiæ sui humanæ, S. 48 – 86 (§§ 12– 21). Vgl. ibid., S. 48 (§ 12): „In theologia morali, ut supra monuimus, fides religiosa conscientia sui hominis morali superstruitur, ita quidem, ut momentum ethicum sit norma, secundum quam exigenda sint omnia religionis dogmata, num vera an falsa…Systema illud theologicum, quod Rationalismus (sensu vulgari) dicitur, philosophiæ criticæ, quæ auctore Kantio versus finem sec. 18 prodiit, sequela et fructus est.“ Vgl. ibid., S. 82 (§ 21): „Quod vero in universum attinet ad methodum dogmaticam christianam tractandi…referri potest ad duo momenta, separationem scilicet theologiæ a philosophia et rationem historico-criticam cum illa separatione intime coniunctam.“
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lative Wissenschaft‘ geworden.¹⁷⁹ Vom religiösen Glauben ist jedoch weder an dieser Stelle noch sonst in § 21 die Rede¹⁸⁰, weshalb auch in diesem Zusammenhang konstatiert werden muss, dass es weder zwingend noch überzeugend ist, Martensens Ausführungen in seiner Lizentiatenabhandlung als Anlass für Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ zu betrachten.¹⁸¹
Vgl. ibid., S. 82 f. (§ 21): „Quum scilicet neglecta fuerit idea speculativa in ipsa religione, omnis theoria extra religionem posita, ipsa vero religio ad meram πρᾶξιν [sic!] restricta esset, nullum aliud obiectum relictum est dogmaticæ christianæ nisi conscientia sui illa religiosopractica, quæ postea varia ratione modificata, nomine conscientiæ immediatæ religiosæ…vel christianæ (quatenus nimirum sistitur religione christiana modificata), notissima est. Scientia illa dogmatica explicat vel potius describit conscientiam sui religiosam, ita ut theologia dogmatica facta sit scientia explicativa, descriptiva, non speculativa. Quum vero conscientia sui illa immediata, idea obiectiva totum systema speculativum implicite continente carens, admodum ieiuna sit et vacua: scientia dogmatica, ne inopia argumenti pereat, in auxilium vocat historiam et opera dogmatica antiquioris temporis“. Vgl. ferner S. 87 (§ 22) und S. 94 (§ 24). Mit Ausnahme allenfalls von De autonomia conscientiæ sui humanæ, S. 84 („nullam fere fidem habentes“); vgl. auch das Zitat aus Immanuel Kants Die Religion innerhalb der bloßen Vernunft, Königsberg 1793, S. 85 ganz am Ende von § 21 in De autonomia conscientiæ sui humanæ, S. 86 (Martensen zitiert aus der 2. Aufl., 1794, S. 117). Dies gilt auch für Adlers Populaire Foredrag, den Stewart als „the real target“ (Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 380) von Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ in der Einleitung zu Der Begriff Angst (1844) ausmacht. Stewart bezieht sich dabei explizit und exklusiv auf Adlers Ausführungen in § 5 der Einleitung zu seinen Populaire Foredrag, S. 7– 13 (NB: auch der anschließende Abschnitt S. 13 f. wird von Adler irrtümlich als § 5 gezählt!). Zu Beginn der Einleitung bestimmt Adler Aufgabe und Ziel der Philosophie dahingehend, den Gegensatz zwischen Denken und Sein, zwischen dem Gedanken und der Realität bzw. den Werken des Gedankens aufzulösen und beides miteinander zu versöhnen (vgl. ibid., S. 1 (§ 1)). Wenn das Moment des Seins fehle und die Philosophie allein vom Denken (losgerissen vom Sein) ausgehe, werde sie nur ‚subjektives Denken‘ und ‚formelle Logik‘, weil sie dann alles nach einem nur gedachten System reguliere und a priori konstruiere (vgl. ibid., S. 3 f. (§ 2)). Im Gegensatz zu diesem Extrem, bei dem das Denken das Alleinbestimmende und das Ich selbst das die Welt Setzende sei, werde das Ich im anderen Extrem (nämlich dann, wenn das Denken als selbstbestimmendes Moment fehle und der Gedanke vom Sein als dem Alleinbestimmenden gesetzt werde) zu einem Produkt des Seins und von diesem gesetzt. Der Gedanke werde hier vom Sein gleichsam „zum Schweigen gebracht“, das Ich sei „ein bloßer Schatten, den die Unmittelbarkeit wirft“ (ibid., S. 6 (§ 3)). „Als ein Mittelding und eine Mediation“ zwischen diesen beiden seltenen Extremen stehe „die gewöhnliche Philosophie“, in der „sich beide, Denken und Sein, finden und sich ineinander reflektieren. Aber das eine findet sich als Resultat des anderen, das Sein als Resultat einer Gedankenreihe, oder der Gedanke als Resultat einer Erfahrungsreihe“ (ibid., S. 7 (§ 5)). Denn entweder sei es der Gedanke, der experimentiere und uns Resultate gebe (‚Reflexionsphilosophie‘), oder es sei die Erfahrung, die dies tue (‚Erfahrungsphilosophie‘). In der ‚Reflexionsphilosophie‘ sei das Sein dabei nur dann Resultat, wenn es aus den Betrachtungen des Gedankens ‚herausgebracht‘ [udbringes] werde: „So z. B., wenn ich
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das Christentum aus Betrachtungen der Notwendigkeit herausbringe, eine sittliche Anstalt zur Aufklärung und Verbesserung der Menschen zu haben…Ebenso, wenn ich z. B. den Staat aus der Notwendigkeit deduziere, dass die Menschen Sicherheit für ihr Eigentum und ihre persönliche Freiheit haben können“ (ibid., S. 7 f. (§ 5)). Beide Male sei es „eine Gedankenreflexion, die mir ein Sein [durch Betrachtung des Gedankens] gebe“, was aber nur „ein abstraktes Wesen“ (ibid., S. 8 (§ 5)) sei. Denken und Sein fänden sich daher in der ‚Reflexionsphilosophie‘ (ebenso wenig wie in der ‚Erfahrungsphilosophie‘, vgl. ibid., S. 8 (§ 5), sowie S. 10 – 13 (§ 5)) „nicht in der rechten unzertrennlichen Vereinigung“, weshalb der Standpunkt der ‚Reflexionsphilosophie‘ (wie auch der der ‚Erfahrungsphilosophie‘) in Wirklichkeit „geistesabwesend“ (ibid., S. 8 (§ 5)) sei. In der sich daran anschließenden, für Stewarts Argumentation entscheidenden Passage heißt es bei Adler nun: „So ist das Christentum, das mir als Resultat der oben angeführten Betrachtung gegeben wird, nur ein abstrakter Begriff des Christentums, der nicht mehr als die Reflexion enthält, also nur die abstrakte Aufklärung und Verbesserung. Das spezifische, substantielle Wesen wird mir erst gegeben, wenn das Christentum nicht nur als Resultat einer Gedankenreihe verstanden wird, sondern als die Einheit des Gedankens selbst und der Unmittelbarkeit, als das Wort im Fleisch, die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur. Ebenso ist der Begriff, den wir durch Reflexion aus dem Staat herausbringen [det Begreb, vi ved Reflexion udbringe af Staten], nur ein abstrakter Begriff. Das Wahre erhalten wir nur, wenn auch er als Gedanke in der Unmittelbarkeit gefasst wird, der sittliche Geist und Wille in der Realität und im Leben [Det Sande faae vi kun naar ogsaa den fattes som Tanken i Umiddelbarheden, den sædelige Aand og Villie i Realiteten og Livet]“ (ibid., S. 8 f. (§ 5)). Stewart zitiert diese Stelle in eigener Übersetzung jedoch so: „Thus, the Christianity which is given to me as a result of the aforementioned observation is only an abstract conception of Christianity, which does not contain more than reflection, that is, only the abstract instruction and improvement. The specific, substantial essence is given to me only when Christianity is conceived not merely as the result of a series of thoughts, but as the unity of thought itself and immediacy, as the Word in the flesh….We only receive the truth when it is conceived as thought in immediacy, the ethical spirit and will in reality and life“ (Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 389; Auslassung von Stewart). Indem Stewart sowohl Adlers Bezugnahme auf die Ableitung des (lediglich) abstrakten Begriffs des Staates durch die Reflexion – als zweites Beispiel dafür, inwiefern uns die Reflexion zwar eine wesentliche Seite der Wirklichkeit, nicht aber die Wirklichkeit in ihrer Fülle zu geben vermag, weil „das Sein, das Unmittelbare, nicht selbst im Gedanken liegt“, während der wahre Begriff, „der die Unmittelbarkeit ist, die sich in den Gedanken versenkt und vom Gedanken reproduziert wird“ (Adler, Populaire Foredrag, S. 9 (§ 5)), von der Reflexion nicht erfasst werden könne, die sich dem Wahren deshalb nur annähern, es aber nie erreichen könne – als auch das ‚auch‘ des letzten Satzes in seinem Zitat auslässt, scheint es, als bezöge sich dieser ebenfalls auf das Christentum. Wir erhielten ‚das Wahre‘ [det Sande] nur dann, wenn das Christentum (bzw. das Wahre selbst – beides ist nach Stewarts Übersetzung möglich) als Gedanke in der Unmittelbarkeit gefasst wird. Das Personalpronomen ‚den‘ kann sich hier jedoch nur auf ‚Staten‘ beziehen. Dagegen fasst Stewart ohne weitere Textbelege Adlers Position abschließend so zusammen: „Adler’s position is that immediate faith requires conceptual knowing to be understood adequately, but the immediate element is essential on its own terms if faith is not to dissolve into abstract ideas. Thus, faith must ultimately be aufgehoben by knowing, yet immediacy is necessary“ (Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 389). Diese Deutung
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Soweit man es aus Kierkegaards Vorlesungsnotizen und aus erhaltenen Kollegheften von fremder Hand ersehen kann, gilt dies schließlich auch für die von Martensen in der Zeit vom Wintersemester 1837/38 bis zum Wintersemester 1838/39 an der Universität Kopenhagen gehaltenen Dogmatikvorlesungen. Gleichwohl sind in unserem Zusammenhang die ersten vier Vorträge von Martensens privater Vorlesung „Prolegomena ad dogmaticam speculativam“¹⁸² im Wintersemester 1837/38 erwähnenswert, in denen Martensen unter anderem die Disziplin einer theologischen Phänomenologie skizziert hat. Deren erstes Stadium sei das der apostolischen Kirche, auf dem Glaube und Glaubensgegenstand (noch) koinzidierten¹⁸³, während wir auf allen folgenden Entwicklungsstufen „Christus nur reflektiert durch das Selbstbewusstsein der Apostel in unserem“¹⁸⁴ hätten. Aufgrund der Nähe der Beschreibung dieses ersten Stadiums zur Darstellung der christlichen Philosophie des Mittelalters in Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag wäre hier eine eingehendere Untersuchung reizvoll. Außer den spärlichen Notizen von Kierkegaards Hand sind jedoch keine anderen Mitschriften
hat m. E. jedoch keinen Anhalt in Adlers Ausführungen, zumal Adler ‚Unmittelbarkeit‘ an den oben zitierten Stellen aus § 5 in ontologischer Verwendungsweise als Synonym zu Sein, Wirklichkeit, Existenz versteht (zu dieser Unterscheidung der Verwendung von ‚Unmittelbarkeit‘ im erkenntnistheoretischen und im ontologischen Sinne vgl. meinen Aufsatz „Glaube und ‚Unmittelbarkeit‘ bei Kierkegaard“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2010, S. 391– 425, hier S. 392– 396). Die Problematik von Stewarts Argumentation in diesem Zusammenhang zeigt sich auch in Bezug auf Ferdinand Christian Baur, den Stewart – abgesehen von Adler als eigentlichem Ziel – zusammen mit Martensen (siehe oben) und Marheineke (siehe Kap. 1.5.3) zu den „possible candidates for targets“ (Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 388) von Kierkegaards Kritik in der Einleitung zu Der Begriff Angst zählt, da Baur, so Stewart, „conceived of faith as the immediate that must be penetrated by conceptual knowing“ (ibid., S. 388 f.). Zum Beleg dafür verweist Stewart auf Baurs Abhandlung Die christliche Gnosis (siehe Kap. 3, Anm. 444), S. 95, wo es heißt: „Der Inhalt der πίστις ist somit immer nur das Unmittelbare, durch dessen Negation erst die γνῶσις zum wahren Begriff hindurchdringt“. Diese Stelle gibt jedoch nicht die Auffassung Baurs, sondern die Position der Gnosis nach Baurs Darstellung wieder. Vgl. Kierkegaards Notizen zu diesen Vorlesungen in SKS 19, 125 – 143, Not4:3 – 12 / DSKE 3, 132– 151, hier SKS 19, 126 – 131, Not4:3 – 6 / DSKE 3, 132– 138; zum Hintergrund dieser Vorlesungen vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 4 in DSKE 3, 599 – 604, hier 602 f., samt Kommentar zu DSKE 3, 132,4 in DSKE 3, 606; ferner Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 123 – 133. Vgl. SKS 19, 129,13 – 14, Not4:5 / DSKE 3, 136,3 – 4; vgl. damit auch Kierkegaards Exzerpt aus einem Kollegheft zu Martensens Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ (vgl. Kap. 1, Anm. 32 sowie unten Anm. 186) in SKS 18, 374– 386, KK:11 / DSKE 2, 384– 396, hier speziell SKS 18, 374,17– 19, KK:11 / DSKE 2, 384,18 – 20 („andere [suchten Zuflucht] bei der Zeit der Apostel und der apostolischen Väter, als der Glaube nur im Herzen verschlossen war“) sowie Kap. 2.4 in Bezug auf Erdmanns Rede vom ‚unbefangenen Glauben‘. SKS 19, 129,16 – 17, Not4:5 / DSKE 3, 136,6 – 7 (dt. Übers. modifiziert).
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dieser Vorlesung erhalten, was umso bedauerlicher ist, als Martensen bei der Wiederholung dieser Vorlesung im Wintersemester 1838/39 unter dem Titel „Historia philosophiæ recentioris (inde a Kantio ad Hegelium usque) ejusque ad theologiam relatio“¹⁸⁵ seine frühere Vorlesung entsprechend dem philosophiegeschichtlichen Schwerpunkt der späteren Vorlesung umgearbeitet und umstrukturiert hat, weshalb darin die ersten vier Vorträge vom Wintersemester 1837/ 38 keine Entsprechung gefunden haben.¹⁸⁶ Vgl. das in Kierkegaards Nachlass erhaltene Kollegheft zu dieser Vorlesung in Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 280 – 331 zusammen mit Kierkegaards Vorlesungsnotizen in Notizbuch 4 – im Einzelnen: Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 281,19 – 283,21 zusammen mit Not4:7 (5. Vortrag) in SKS 19, 131,10 – 132,16 / DSKE 3, 138,4– 139,12; Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 283,22– 284,31 zusammen mit Not4:7 (5. Vortrag) in SKS 19, 132,17– 133,4 / DSKE 3, 139,13 – 140,4 und Not4:8 (6. Vortrag) in SKS 19, 133,5 – 19 / DSKE 3, 140,5 – 24; Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 284,32– 286,6 zusammen mit Not4:8 (6. Vortrag) in SKS 19, 133,20 – 135,7 / DSKE 3, 140,25 – 142,13; Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 286,7– 288,5 zusammen mit Not4:9 (7. Vortrag) in SKS 19, 135,8 – 136,36 / DSKE 3, 142,14– 144,11; Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 288,7– 289,32 zusammen mit Not4:10 (8. Vortrag) in SKS 19, 137,1– 139,13 / DSKE 3, 144,12– 146,32; Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 289,33 – 291,25 zusammen mit Not4:11 (9. Vortrag) in SKS 19, 139,14– 141,6 / DSKE 3, 146,33 – 148,32; Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 291,25 – 293,15 zusammen mit Not4:12 (10. Vortrag) in SKS 19, 141,7– 143,11 / DSKE 3, 148,33 – 151,5. Von Kierkegaards im Juli 1838 angefertigtem Exzerpt aus einem Kollegheft zu Martensens Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ (vgl. Kap. 1, Anm. 32) vgl. in diesem Zusammenhang SKS 18, 374 f., KK:11 / DSKE 2, 384 f. (§ 1; vgl. damit Pap. II C 27 (in Bd. XIII), S. 5); SKS 18, 384 f., KK:11 / DSKE 2, 394 f. (§ 20; vgl. damit Pap. II C 27 (in Bd. XIII), S. 37 zusammen mit SKS 19, 129,13 ff., Not4:5 / DSKE 3, 136,3 ff.); SKS 18, 385 f., KK:11 / DSKE 2, 395 (§ 21; vgl. damit Pap. II C 27 (in Bd. XIII), S. 39) und SKS 18, 386, KK:11 / DSKE 2, 396 (§ 23; vgl. damit Pap. II C 27 (in Bd. XIII), S. 42 f.); zum Hintergrund dieser Vorlesungen vgl. den editorischen Bericht zu Journal KK in DSKE 2, 663 – 673, hier 668 f.; ferner Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 238 – 245. Aus späterer Zeit vgl. schließlich die Bemerkungen Martensens einerseits über die ‚erste Unmittelbarkeit‘ der Religion in seinem Artikel „Nutidens religiøse Crisis“, Intelligensblade, Bd. 1, 1842, Nr. 3 (15. April), S. 53 – 73, besonders S. 58, andererseits und vor allem über die Unmittelbarkeit des Christentums im Unterschied zur Unmittelbarkeit der natürlichen Religion in seinem Nachruf auf Jakob Peter Mynster, Til Erindring om J. P. Mynster, Kopenhagen 1855. Darin heißt es nämlich in erstaunlicher Nähe zu Kierkegaards Position, wie er sie zum Teil in pseudonymen und autonymen Schriften ab 1845, vor allem aber in Journalaufzeichnungen aus der Zeit von 1847 bis 1849 skizziert hatte (vgl. hierzu Gerhard Schreiber, „Kierkegaard’s Account of Faith as ‚The New Immediacy‘“, Filozofia, Bd. 68, 2013, S. 27– 37, hier vor allem S. 34– 36), die erst ab 1869 veröffentlicht worden sind und Martensen zu diesem Zeitpunkt deshalb unbekannt waren: „die wahre Unmittelbarkeit in der Religion“ sei nicht „die erste [Unmittelbarkeit], die Unmittelbarkeit der natürlichen Religion“, sondern „die durch das Christentum wiedergewonnene Unmittelbarkeit“, der eine tiefe Trennung im Inneren des Menschen vorhergehe – „ein Bruch im natürlichen Herzen, ein Tod, aus dem ein neues Leben, eine neue Unmittelbarkeit, ein Kind Gottes geboren“ (Martensen, Til Erindring om J. P. Mynster, S. 38) werde. Zur Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen vgl. schließlich auch Martensens Stellungnahme zur zweiten Phase des sog. Streites über Glauben und Wissen in den 1860er Jahren in seiner Abhandlung Om
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Doch zurück zu Kierkegaards Anspielung auf Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag in den Stadien auf des Lebens Weg und zu der Frage, ob auch Kierkegaards Kritik am Glaubensverständnis der ‚hegelschen Dogmatiker‘ in Papir 92, dass das von ihnen ‚Glaube‘ Genannte im Grunde nichts anderes sei als ‚das erste Unmittelbare‘, durch Martensens Rezension motiviert worden sein kann. Wenn es angesichts der tatsächlichen Argumentation Martensens weder sachlich zu rechtfertigen noch nicht einmal als ironische Verzerrung der Position Martensens zu deuten ist, dass Kierkegaard in diesem Zusammenhang auf Martensens Rezension anspielt – warum spielt er dann überhaupt darauf an? Es stellt sich mithin die Frage, ob es nicht ein Missing Link gibt, das diesen Umstand zu erklären vermag. Dieses Missing Link ist Heibergs Replik auf Martensens Rezension in der im Juni 1837 erschienenen ersten Nummer von Heibergs Zeitschrift Perseus. ¹⁸⁷
2.3.2 Heibergs Replik auf Martensen in Perseus Heibergs Perseus, Journal für die spekulative Idee war als literarisches Organ des dänischen Hegelianismus gedacht¹⁸⁸, doch erschienen nur zwei Nummern, die erste im Juni 1837, die zweite im August 1838. Kierkegaard besaß ein Exemplar dieser Zeitschrift und gehörte zu den Subskribenten.¹⁸⁹ Heibergs Replik auf Martensens Rezension findet sich in Heibergs Rezension von Valdemar Henrik Rothes (1777– 1857) Die Lehre von der Dreieinigkeit und Versöhnung. Ein spekulativer
Tro og Viden. Et Leilighedsskrift, Kopenhagen 1867, hier insbesondere die Bemerkungen über den Glauben auf S. 12 f., S. 14 f. sowie S. 22 und S. 27. Johan Ludvig Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 1, 1837, S. 1– 89 (wiederabgedruckt in: ders., Prosaiske Skrifter, Bd. 1– 11, Kopenhagen 1861– 62; Bd. 2, 1861, S. 1– 112). Die Zitierung dieser Rezension erfolgt nach der Perseus-Ausgabe mit zusätzlicher Angabe der 1861-Paginierung in eckigen Klammern. Zum Hintergrund dieser Rezension und ihrer Interpretation vgl. Smail Rapic, Ethische Selbstverständigung. Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Ethik Kants und der Rechtsphilosophie Hegels, Berlin und New York 2007 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 16), S. 254– 260; Horn, Positivity and Dialectic, S. 114– 120; Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 69 – 83; ders., „Johan Ludvig Heiberg: Kierkegaard’s Criticism of Hegel’s Danish Apologist“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome 1, Philosophy, Politics and Social Theory, hg. von dems., Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 35 – 76, hier S. 50 – 54. Zur Charakterisierung dieser Zeitschrift vgl. Exkurs 1, S. 120. Vgl. ktl. 569 sowie das 133 Namen zählende Subskribentenverzeichnis in Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 2, 1838, S. V-VIII, hier S. VII.
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Versuch anlässlich des Reformationsfestes (1836)¹⁹⁰ zu Beginn der ersten Nummer von Perseus. Im zweiten Abschnitt dieser Rezension, der den Titel „Philosophie und System“¹⁹¹ trägt, nimmt Heiberg die von Martensen vorgebrachte Kritik an der hegelschen Philosophie auf, wobei sein Bemühen deutlich wird, gegen Martensens Behauptung der Unvereinbarkeit von hegelscher Philosophie und Christentum deren Vereinbarkeit herauszustellen. Ausgangspunkt dieses Abschnitts ist Rothes Argumentation zu Beginn seiner Ausführungen über die Trinität, dass Gott – obwohl ‚unbegreiflich‘, da Sinn und Verstand sich als völlig unzureichend zur Erkenntnis Gottes erweisen – in den Zuständen der Begeisterung, Andacht und Ekstase dennoch ‚erkennbar‘ sei.¹⁹² So nahe der Mensch in diesen Zuständen Gott aber auch kommen möge, werde er nicht eins mit ihm, sondern sei und bleibe stets im Gegensatz zu ihm. In der Erinnerung als der bewussten Erneuerung dieser Zustände aber „leuchtet der Seele das Licht der Ewigkeit, welches die Vernunft erfasst und in welchem der Verstand reflektiert und sich die Begriffe bildet, die Lehren des Glaubens, Dogmen, die äußerer Ausdruck des Zeugnisses des inneren Geistes von Gott sind, dem Urheber der Welt und allmächtigen Lenker des Lebens.“¹⁹³ Heiberg vermag nun in Rothes Argumentation allenfalls eine psychologische Erklärung des Faktums zu erkennen, dass der Mensch in jenen Zuständen zur Kenntnis Gottes gelangen könne. In die Sprache des Begriffs oder der Idee übersetzt, so wie es sich für eine spekulative Abhandlung in Wirklichkeit gehöre, könne dieses Faktum wohl nur so lauten: „Alle mittelbare Erkenntnis ist unzureichend, wenn sie von der unmittelbaren getrennt wird; die zu erkennende Wahrheit muss zuerst unmittelbar gegenwärtig sein, sei es als Anschauung oder als Gefühl (und hierunter kann einbezogen werden, was der Verf. Begeisterung, Andacht, Ekstase nennt); aber danach muss jene ursprüngliche, unmittelbare Erkenntnis, um ihre Gültigkeit zu dokumentieren, ihren Inhalt an den Tag legen, sich mittelbar durch endliche Glieder explizieren, und sich dadurch als fähig erweisen, sich zu objekti-
Valdemar Henrik Rothe, Læren om Treenighed og Forsoning. Et speculativt Forsøg i Anledning af Reformationsfesten, Kopenhagen 1836 (ktl. 746). Vgl. Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, S. 31– 41 [S. 39 – 52]. Vgl. Rothe, Læren om Treenighed og Forsoning, S. 20 – 25, wo §§ 12 und 13 mit „Gott unbegreiflich“ bzw. „Gott erkennbar“ überschrieben sind. Ibid., S. 25 (§ 14). Die seltsame Formulierung „äußerer Ausdruck des Zeugnisses des inneren Geistes von Gott“ [udvortes Udtryk af den indre Aandens Vidnesbyrd om Gud] – der theologischen Tradition näherstehend wäre: „äußerer Ausdruck des inneren Zeugnisses des Geistes von Gott“ – wird bei Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, S. 32 [S. 40], daher (?) abweichend mit „äußerer Ausdruck des inneren Zeugnisses des Geistes von Gott“ [udvortes Udtryk af det indre Aandens Vidnesbyrd om Gud] zitiert.
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vieren, und als dazu berechtigt, verwirklicht zu werden; und schließlich muss die derart mediierte und zerstückelte Wahrheit sich aufs Neue zu unmittelbarer Einheit versammeln; erst nach diesem Kreislauf ist sie Begriff und Idee.“¹⁹⁴
Angesichts der dialektischen Zusammengehörigkeit von mittelbarer und unmittelbarer Erkenntnis erweist sich aber nicht nur die von der unmittelbaren getrennte mittelbare, sondern umgekehrt auch die von der mittelbaren getrennte unmittelbare Erkenntnis als unzureichend. Ein derartiges Bestreben, die unmittelbare von der mittelbaren Erkenntnis unabhängig zu machen, sieht Heiberg auch in Martensens Rezension seines Einführungsvortrags zum Ausdruck gekommen, wenn es dort heiße, dass „z. B. in Kunst und Religion etwas übrig bleibt, was sich nicht auf den Begriff reduzieren lässt, und was trotzdem nicht zufällig oder schlecht genannt werden kann.“¹⁹⁵ Heiberg konzediert zunächst, dass die unmittelbare und die mittelbare Erkenntnis tatsächlich oft getrennt erschienen und niemand in der Lage sei, beide immer in die rechte Verbindung miteinander zu bringen. Die Menschheit müsse eine große Menge unmittelbarer Erkenntnisse besitzen, bevor der Drang, sie in der Form des Begriffs zu entwickeln, erwachen könne: „Man kann also wohl einräumen, dass die Philosophie etwas unmittelbar Gewisses und Gegebenes voraussetzt, aber hieraus folgt nicht, dass dieser Umstand die Gestalt der Wissenschaft verändern oder ein neues System hervorbringen muss, welches qualitativ weitergeht“¹⁹⁶. Jenes unmittelbar Gegebene sei in derselben Weise die Voraussetzung für die Philosophie wie z. B. Eltern für ihr Kind. So wie das Kind müsse aber auch die Philosophie einmal ihre selbstständige Entwicklung beginnen und alle Voraussetzungen ignorieren, von denen sie gleichwohl ihren Ursprung habe. Diese unmittelbare Erkenntnis als Voraussetzung der Philosophie werde nun auf verschiedene Weise bestimmt: „Während Hr. Dr. Rothe die unmittelbare Erkenntnis in der Begeisterung, der Andacht und der Ekstase sucht, und sie demnach rein subjektiv bestimmt; während andere, die sie in dem schwankenden Begriff der ‚Tradition‘ suchen, sich in die Arme einer noch willkürlicheren Subjektivität werfen: finden wir dagegen bei Hrn. Martensen die unmittelbare Erkenntnis als
Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, S. 32 [S. 41]. Das von Rothe Dargestellte sei daher im Grunde nichts anderes als das altbekannte Resultat der Philosophie Jacobis und es sei nur ein Irrtum Rothes, wenn er glaube, „mit diesem Resultat oder doch nur mit dessen erster Prämisse (der Unmittelbarkeit) außerhalb von Vernunft, Spekulation und Philosophie zu stehen“ (ibid.). Ibid., S. 33 f. [S. 43]; vgl. Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 520 [S. 525]. Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, S. 34 [S. 43 f.]; vgl. ferner Kap. 1, Anm. 195.
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die Idee selbst in ihrer Unmittelbarkeit bestimmt, also ebenso objektiv wie subjektiv, nämlich als den Glauben. Dieser soll, als von Gott gegeben, die Grundlage der Philosophie sein, und ein zukünftiges philosophisches System soll auf den alten Satz: ‚Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit‘ gegründet sein, im Gegensatz zur gegenwärtigen Philosophie, die auf dem Wahlspruch: ‚Zweifel ist der Anfang der Weisheit‘ beruht“¹⁹⁷.
Dass sich diese beiden Sätze aber nicht gegenseitig ausschließen dürfen, die Wahrheit vielmehr deren Vereinigung fordert, begründet Heiberg mit dem Hinweis auf die Ambiguität des Ausdrucks „der Anfang der Philosophie“ – einerseits könne man darunter nämlich das verstehen, „woher ihr Ursprung ihr gegeben“ sei, andererseits aber das, was die Philosophie selbst im System zu ihrem Anfang mache: „Gewiss ist die unmittelbare Erkenntnis Gottes die Mutter der Philosophie und insofern der Anfang der Weisheit; der Zweifel aber ist dagegen der Anfang des philosophischen Systems und insofern ebenfalls der Anfang der Weisheit.“¹⁹⁸ Zur Erläuterung dieser Behauptung geht Heiberg schließlich exkursorisch auf die Problematik des Anfangs der Philosophie und des philosophischen Systems Hegels ein: „Bekanntlich bewegt sich das hegelsche System durch lauter Trilogien hindurch. In einer jeden solchen ist das erste Glied die Unmittelbarkeit (relativ, nämlich in dieser oder jener bestimmten Dreiheit), das zweite die Mediation oder die Entwicklung des ersten, und schließlich das dritte die durch die Mediation hervorgebrachte neue und synthetische Einheit, die nicht länger unmittelbar ist. Jedes erste oder unmittelbare Glied aber ist gegeben, nämlich von der nächst vorhergehenden Dreiheit, deren Resultat oder nicht unmittelbare Einheit sie war. Wenn wir nun also immer weiter zurückgehen, dann kommen wir zu dem allerersten Glied, zu der nicht länger relativen, sondern absoluten Unmittelbarkeit, die selbst der absolute Anfang des Systems ist.“¹⁹⁹
Allein mit dem „Sein = Nichts“ als diesem allerersten Glied könne die an die Philosophie gestellte Forderung erfüllt werden, dass das Ursprüngliche, mit dem sie beginne, sowohl gegeben wie nicht-gegeben sein solle: „Aufgrund der Identität von Sein und Nichts sind beide dasselbe Ursprüngliche; aber als Sein ist es gegeben, als Nichts ist es nicht-gegeben.“²⁰⁰ Insofern die Philosophie mit dem Nichts beginne, beginne sie ohne Voraussetzung; der Anfang, den das philosophische System zu seinem Anfang mache, sei daher wirklich voraussetzungsloser Anfang. Zugleich müsse die Philosophie aber mit einem Gegebenen, einer Voraussetzung
Ibid., Ibid., Ibid., Ibid.,
S. S. S. S.
35 [S. 44]. 35 [S. 45]. 35 f. [S. 45]; zum Begriff ‚Mediation‘ vgl. Kap. 3, Anm. 160. 37 [S. 47].
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beginnen: mit dem Sein, welches ihr von der unmittelbaren Erkenntnis Gottes gegeben sei: „Ja, das Sein, mit dem die Logik beginnt, ist in sich Gottes eigenes Dasein, welches das System aber unkenntlich macht, indem es dieses auf die grundabstrakte Bestimmung des Seins im Allgemeinen reduziert, weil es sonst nicht mit dem voraussetzungslosen Anfang identisch sein könnte: mit dem Nichts. Deshalb werden auch Sein und Nichts ausdrücklich als die ersten und abstraktesten logischen Definitionen Gottes angegeben; aber diese Angabe gehört nicht zum System, welches an dieser Stelle noch nicht von Gott reden kann; es ist eine exoterische Anmerkung, die aber eben zeigt, dass die Philosophie eine Voraussetzung hat, die das System ignoriert. So meine ich denn, dass die hegelsche Philosophie den Ursprung der Philosophie aus der unmittelbaren Erkenntnis Gottes oder einer göttlichen Offenbarung anerkennt.“²⁰¹
Im letzten Teil dieses Abschnitts versucht Heiberg schließlich zu zeigen, dass diese Offenbarung die christliche sei, wobei er zugleich auf die von Martensen vorgebrachte Kritik an der hegelschen Philosophie rekurriert. Nach Martensens Meinung hätten alle rationalistischen Systeme der neueren Zeit eine gegebene Voraussetzung gehabt und erst das hegelsche System habe den Zweifel zu Ende geführt und jede Voraussetzung aufgehoben. „Auf verschiedene Weise ist diese Voraussetzung bestimmt gewesen, jedoch niemals als Glaube“²⁰², weshalb alle diese Systeme, vornehmlich aber das hegelsche System „als deren Vollendung“, einen Gegensatz zu der aus dem Glauben entsprungenen Philosophie des Mittelalters darstellten. Die hegelsche Philosophie habe, so Martensens Einwand nach Heibergs Darstellung, zwar „das Verdienst, die früheren Voraussetzungen auf ihre Nullität reduziert zu haben“, doch habe sie nicht begriffen, „dass die Nullität daher kam, dass sie nicht aus dem Glauben entsprangen, welcher jetzt, in einer höheren Entwicklung der Philosophie, in den leeren Raum eingesetzt werden muss, den Hegel entdeckt, aber unausgefüllt stehen gelassen hat.“²⁰³ Gegen Martensens Kritik will Heiberg jedoch zeigen, dass der von der hegelschen Philosophie vorausgesetzte Gott, als Geist bestimmt, in Wirklichkeit der Gott der christlichen Religion sei, der Hegels System von Anfang bis Ende durchdringe. Die von Martensen an eine „Glaubens-Philosophie“ gestellte Forderung scheine daher bereits in der hegelschen Philosophie erfüllt zu sein: „Denn dass diese sich trotzdem am Anfang ihres Systems zum Ignoranten dessen macht, was sie weiß, und zum Zweifler, ja sogar Leugner des Gottes, den sie erkennt, geschieht nur, um die gleichzeitige Forderung eines voraussetzungslosen Anfangs zu erfüllen…Alle wahre
Ibid., S. 37 [S. 47]. Ibid., S. 38 [S. 48]. Ibid.
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Philosophie muss die beiden von Hrn. Martensen angeführten Wahlsprüche vereinen: die Gottesfurcht muss sie in ihrem Herzen haben, den Zweifel in ihrem Auge. Sollte Hr. Martensen hiergegen einwenden, dass auch, wenn der Geist Gottes das letzte Resultat der hegelschen Philosophie ist, dieses doch nur logisch dargestellt wird, nicht mit der ganzen Fülle der christlichen Offenbarung für das Herz oder das Gefühl, dann muss ich darauf antworten, dass gerade darin der ewige Unterschied zwischen Philosophie und Religion besteht, denn wenn dieser Unterschied nicht ewig wäre, würde die Philosophie ja alles werden, und die Religion, ebenso wie die Kunst, überflüssig. Doch bevor ich mich darauf einlasse, wird es zweckmäßig sein, die nähere Darlegung abzuwarten, die uns zu schenken Hr. Martensen uns Hoffnung gemacht hat“²⁰⁴.
Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, auf die sich aufdrängende Frage einzugehen, inwieweit die Zugeständnisse, die Heiberg Martensen macht, um die Vereinbarkeit von hegelscher Philosophie und Christentum zu zeigen, „have any mandate in Hegel’s own thought“²⁰⁵. Entscheidend ist, dass Heiberg bei seiner Darstellung der Position Martensens ihm ein solches Verständnis des Glaubens zuschreibt, wie es von Kierkegaard erstmals in der Aufzeichnung Papir 92 zum Gegenstand der Kritik gemacht worden ist.²⁰⁶ Wie im Vorhergehenden dargestellt, möchte Heiberg mittels der Unterscheidung zwischen dem Anfang der Philosophie und dem Anfang des philosophischen Systems zeigen, dass die Philosophie zur Voraussetzung die unmittelbare Erkenntnis Gottes hat, die am Anfang des philosophischen Systems jedoch ignoriert werden muss, um die Forderung der Voraussetzungslosigkeit zu erfüllen. Die Aufhebung der systematischen Voraussetzung impliziert für Heiberg aber nicht die Aufhebung der philosophischen Voraussetzung. Diese unmittelbare Erkenntnis Gottes als Voraussetzung und Ursprung der Philosophie hat Martensen, so Heiberg, „als die Idee selbst in ihrer Unmittelbarkeit bestimmt…nämlich als den Glauben“²⁰⁷, welcher die Grundlage der Philosophie sein soll. Heiberg „will Martensen zugestehen“, wie Frederik Christian Sibbern im ersten, im April 1838 erschienenen Artikel seiner umfangreichen Rezension der ersten Nummer von
Ibid., S. 40 f. [S. 51 f.]; vgl. auch S. 33 [S. 42]. Jon Stewart, „Heiberg’s Defense of Hegelianism in the Introductory Lecture to the Logic Course“, in Heiberg’s Introductory Lecture to the Logic Course and Other Texts, hg. von dems., Kopenhagen 2007 (Texts from Golden Age Denmark, Bd. 3), S. 3 – 38, hier S. 27. Unter Voraussetzung der Annahme, dass Papir 92 durch Heibergs Replik auf Martensens Rezension veranlasst worden und damit später als Juni 1837 entstanden ist, wird daher verständlich, warum Kierkegaard in seiner zuvor niedergeschriebenen ersten Reaktion auf Martensens Rezension in BB:32 (siehe Anm. 162) zwar Martensens ‚Bocksprünge‘ über seine Vorgänger sowie die Unklarheit und Unoriginalität von Martensens Position kritisiert, nicht aber Martensens Glaubensverständnis. Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, S. 35 [S. 44].
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Heibergs Perseus treffend bemerkt, „dass die Philosophie zwar wohl mit dem Glauben beginnen muss, will aber, dass das philosophische System mit dem Zweifel beginnen soll.“²⁰⁸ Wenn Kierkegaard an der besagten Stelle in den Stadien auf des Lebens Weg schreibt, dass man konzediere, der Glaube sei ‚das Unmittelbare‘, und dass man einer neuen Schrift entgegensehe²⁰⁹, hat er also Heibergs Replik auf Martensens Rezension in der ersten Nummer von Perseus im Blick. Doch inwiefern entspricht ‚Glaube‘ dann dem unbestimmten Unmittelbaren am Anfang der Logik und ist deshalb, wie Kierkegaard in Papir 92 kritisiert, im Grunde nichts anderes als ‚das erste Unmittelbare, die Bedingung für alles‘? Diese Kritik wird verständlich vor dem Hintergrund von Heibergs Exkurs über die Problematik des Anfangs der Philosophie und des philosophischen Systems sowie in Anbetracht der Art und Weise, wie Heiberg in diesem Zusammenhang die Position Martensens wiedergibt und in die eigene Argumentation integriert. Allein mit dem ‚Sein = Nichts‘, das als allererstes Glied des Systems absolute Unmittelbarkeit ist, kann für Heiberg die an den Anfang der Philosophie gestellte, sich selbst widersprechende Forderung erfüllt werden, voraussetzungslos und dennoch nicht ohne Voraussetzung zu sein. Wenn Martensen nun in diesen ‚leeren Raum‘, den Hegel nach der konsequenten Durchführung des dialektischen Zweifels unausgefüllt stehen gelassen hat, den Glauben einsetzt, dann entspricht der Glaube dem unbestimmten Unmittelbaren am Anfang der Logik. Der Glaube wird dann als ein solches Unmittelbares verstanden, das noch ganz am Anfang (s) einer Entwicklung steht und bei dem man deshalb, wie es in Der Begriff Angst und in den Stadien auf des Lebens Weg heißt, nicht ‚stehenbleiben‘ kann.²¹⁰ Frederik Christian Sibbern, „Perseus, Journal for den speculative Idee. Udgiven af Johan Ludvig Heiberg. Nr. 1, Juni 1837. Kjøbenhavn. Reitzels Forlag. XIV og 264 S. 8. Priis 1 Rbd. 84 Skill. – (Med stadigt Hensyn til Dr. Rothes: ‚Læren om Treenighed og Forsoning. Et speculativt Forsøg i Anledning af Reformationsfesten.‘)“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, Nr. 4, S. 283 – 360 (I); Nr. 5, S. 424– 460 (II); Nr. 6, S. 546 – 582 (III); Bd. 20, 1838, Nr. 1, S. 20 – 60 (IV); Nr. 2, S. 103 – 136 (V); Nr. 3, S. 193 – 244 (VI); Nr. 4, S. 293 – 308 (VII); Nr. 5, S. 405 – 449 (VIII) (die Artikel I-III erschienen zudem als eigenständige Monographie mit dem Titel Bemærkninger og Undersøgelser, fornemmelig betreffende Hegels Philosophie, betragtet i Forhold til vor Tid, Kopenhagen 1838 (ktl. 778); hier Bd. 19, 1838, Nr. 4, S. 346 (Bemærkninger og Undersøgelser, S. 64)). Zum Hintergrund von Sibberns Rezension vgl. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 123 – 127 und Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 175 – 238. Vgl. die ähnliche Kritik z. B. in SKS 7, 340 / AUN2, 78. Vgl. die in Kap. 1, Anm. 192 angegebenen Stellen; zur damit korrespondierenden Kritik Kierkegaards an einem ‚Weitergehen‘ als der Glaube vgl. die in Kap. 1, Anm. 195 angegebenen Stellen. Dass in Kierkegaards Augen eben damit auch die Behauptung der Voraussetzungslosigkeit der Philosophie ad absurdum geführt wird, macht er unter anderem (vgl. die oben in Anm. 155 angegebenen Stellen) in der Einleitung zur Abschließenden unwissenschaftlichen
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Kierkegaard hat also mit ‚dem ersten Unmittelbaren‘ in Papir 92 auf das unbestimmte Unmittelbare am Anfang der Logik angespielt. Die im einleitenden Abschnitt der Seinslogik entwickelte Problematik des Anfangs war ihm zu diesem Zeitpunkt zum einen aus Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag, zum anderen und vor allem aber aus Heibergs Rezension von Rothes Die Lehre von der Dreieinigkeit und Versöhnung in der ersten Nummer von Perseus bekannt gewesen, wobei sich in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen mehrere Hinweise finden, dass er auf diese Problematik auch schon zuvor durch andere Veröffentlichungen Heibergs aufmerksam geworden war.²¹¹ Dass Kierkegaard diesen Abschnitt in Heibergs Perseus tatsächlich schon zu dieser Zeit gelesen hatte, wird auch in der auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung Papir 25 (ver-
Nachschrift (1846) deutlich: „das System setzt den Glauben als gegeben voraus (ein System, das keine Voraussetzungen hat!); ferner setzt es voraus, dass es den Glauben interessiere, sich selbst auf andere Weise zu verstehen als dahin, in der Leidenschaft des Glaubens zu bleiben, was eine Voraussetzung ist (eine Voraussetzung für ein System, das keine Voraussetzungen hat!), und zwar für den Glauben eine beleidigende Voraussetzung, eine Voraussetzung, die gerade darum zeigt, dass der Glaube dem System niemals gegeben gewesen ist. Die Voraussetzung des Systems, dass der Glaube gegeben sei, löst sich in eine Einbildung auf, in der das System sich eingebildet hat, es wisse, was der Glaube sei“ (SKS 7, 24 / AUN1, 13). Der Verweis im Kommentar zu SKS 7, 24,6 (‚das System setzt den Glauben als gegeben voraus‘) in SKS K7, 104 zuerst auf § 63 von Hegels Enzyklopädie (1830) (vgl. TWA, Bd. 8, S. 150 – 152) entbehrt jeder Grundlage. Der früheste Bezug auf Heibergs Darstellung des Einleitungsabschnitts der hegelschen Seinslogik in Grundtræk til Philosophiens Philosophie findet sich m.W. in Kierkegaards Skizze der (vier) „Stadien des Lebens“ in der Journalaufzeichnung BB:25 vom 27. Januar 1837, vgl. vor allem SKS 17, 119,1– 11, BB:25 / DSKE 1, 128,1– 13 zusammen mit Grundtræk til Philosophiens Philosophie, S. 11 f. (§§ 26 – 28) samt Kommentar zu SKS 17, 119,1– 4 in SKS K17, 233. Insofern ist Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 97– 105 zu korrigieren, wenn er im Rahmen seiner Untersuchung von BB:25 schreibt, „Kierkegaard’s immediate source of information about Hegel’s dialectic is almost certainly Heiberg“ (S. 98), um dann lediglich auf Heibergs Artikel „Svar paa Hr. Prof. Oehlenschlägers Skrift: ‚Om Kritiken i Kjøbenhavns flyvende Post, over Væringerne i Miklagard‘“ (siehe Anm. 399) von 1828 zu verweisen (zu Kierkegaards Rezeption der Gedanken Heibergs in diesem Artikel vgl. ferner SKS 17, 113, BB:23 / DSKE 1, 121; SKS 19, 94, Not2:8 / DSKE 3, 98 sowie den m.W. frühesten Bezug auf diesen Artikel in der auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung SKS 27, 143, Papir 172 / T 1, 82 vom 19. August 1836). Weitere Bezugnahmen Kierkegaards auf die Darstellung der Problematik des Anfangs in Heibergs Grundtræk til Philosophiens Philosophie in der Zeit bis zum Juni 1837 finden sich in der Journalaufzeichnung CC:12 vom Frühjahr 1837 (siehe Kap. 2.2.3; vgl. insbesondere SKS 17, 200,30 – 31, CC:12 / DSKE 1, 160,15 – 16 zusammen mit Grundtræk til Philosophiens Philosophie, S. 11 f. (§§ 26 – 28)) sowie in der Randbemerkung DD:11.a vom 23. Juni 1837 (SKS 17, 222, DD:11.a / DSKE 1, 185), wobei diese Randbemerkung m. E. deutlich macht, dass Kierkegaard Hegels Wissenschaft der Logik zu diesem Zeitpunkt sicherlich nicht aus erster Hand gekannt hat; vgl. ferner oben Anm. 10.
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mutlich) vom Wintersemester 1837/38²¹² deutlich. Während sich Kierkegaard im ersten Teil dieser Aufzeichnung auf die Darstellung des (reinen) Seins in Poul Martin Møllers unvollendet gebliebener Ontologie-Vorlesung²¹³ vom Wintersemester 1837/38²¹⁴ bezieht, rekurriert er im zweiten Teil zum einen auf Heibergs Grundzüge der Philosophie der Philosophie oder der spekulativen Logik (1832)²¹⁵ und zum anderen eben auf Heibergs exkursorische Bemerkungen zum Anfang der Philosophie in Perseus. ²¹⁶ Gleichwohl muss bemerkt werden, dass bei der voranstehenden Interpretation von Kierkegaards Kritik in Papir 92 insofern eine gewisse Unschärfe in Kauf genommen werden muss, als Kierkegaard im Plural von den ‚hegelschen Dogmatikern‘ spricht, was auf den spekulativen Theologen Martensen passt, der im Wintersemester 1837/38 an der Theologischen Fakultät die auch von Kierkegaard besuchte, auf große Resonanz stoßende Dogmatikvorlesung „Prolegomena ad dogmaticam speculativam“²¹⁷ gehalten hat, nicht aber auf den Dichter und Literaturkritiker Heiberg. Obwohl Heibergs Bemerkungen über Martensens Position Kierkegaard zu seiner Kritik in Papir 92 veranlasst haben, weshalb Martensen und Heiberg als ihre eigentlichen Adressaten zu betrachten sind, stellt sich daher die
SKS 27, 74– 76, Papir 25 (B-fort. 459.[11]; KA, C pk. 3 læg 7; vgl. den photomechanischen Abdruck von Papir 25 in SKS 27, 79); zur Datierung vgl. SKS K27, 68. Vgl. SKS K27, 68 (Anm. 1). Vgl. hierzu die Wiedergabe des Fragments dieser Vorlesung („Die Ontologie oder das System der Kategorien“), zu der die Hörerliste nicht erhalten ist, in Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 3, S. 331– 350. Vgl. SKS 27, 74,28 – 31 und 76,1– 6, Papir 25 zusammen mit Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 3, S. 347– 350 samt Kommentar zu SKS 27, 74,28 – 76,6 in SKS K27, 142– 146. Vgl. SKS 27, 76,9 – 10, Papir 25 zusammen mit Johan Ludvig Heiberg, Grundtræk til Philosophiens Philosophie eller den speculative Logik. Som Ledetraad ved Forelæsninger paa den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1832, S. 90 f. (§ 144, Anm. 3.α) samt Kommentar zu SKS 27, 76,9 in SKS K27, 146 f. Vgl. SKS 27, 76,11– 13, Papir 25 („Der abstrakte Anfang ist weder etwas noch nichts; denn wäre er nichts, hätte er ja nicht angefangen, wäre er etwas[,] wäre er ja mehr als der Anfang“) zusammen mit Heiberg, „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, S. 35 – 37 [S. 45 – 47] samt Kommentar zu SKS 27, 76,11 in SKS K27, 147 f.; vgl. ferner Heibergs Grundtræk til Philosophiens Philosophie, S. 4 f. (§§5 – 7), S. 7 (§§ 14– 15) und S. 11 f. (§§ 26 – 28). Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Problematik des Anfangens mit dem reinen Sein am und als Anfang der Logik und dessen Voraussetzungslosigkeit vgl. ferner SKS 1, 18 / LP, 48 (Anm.); SKS 19, 81,29 – 33, Not1:9 / DSKE 3, 86,19 – 23; SKS 19, 187, Not5:32 / DSKE 3, 197 f.; SKS 4, 343 / BA, 35; SKS 4, 385 / BA, 85 (Anm.); SKS 6, 84 / SLW, 90; SKS 6, 445 / SLW, 514; SKS 7, 80 / AUN1, 72; SKS 7, 91 / AUN1, 85; SKS 7, 102 / AUN1, 97 (Anm.); SKS 7, 108 / AUN1, 105; SKS 7, 275 / AUN2, 3; SKS 7, 277 f. / AUN2, 4 f.; SKS 7, 279 / AUN2, 7; SKS 7, 476 / AUN2, 233; SKS 7, 508 / AUN2, 270; SKS 7, 518 f. / AUN2, 282; SKS 7, 522 / AUN2, 286; SKS 7, 547 / AUN2, 316; SKS 15, 41 / JC, 139; SKS 15, 256 / BÜA, 115 sowie die oben in Anm. 155 angegebenen Stellen. Vgl. Kap. 1, Anm. 201 und Anm. 271.
2.3 Papir 92 (II)
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Frage, ob es noch andere Kandidaten in diesem Zusammenhang gibt. Wie die Untersuchung in Kapitel 2.4.2.2 zeigen wird, käme als ein solcher Erdmann in Betracht, mit dessen Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) sich Kierkegaard Ende 1837 beschäftigt hat, wenngleich der Philosoph und Philosophiehistoriker Erdmann, streng genommen, ebenfalls nicht als ‚hegelscher Dogmatiker‘ bezeichnet werden kann. Von der Bedeutung, sozusagen ihrem kritischen Potenzial, die Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag und Heibergs Replik darauf in Perseus für Kierkegaard gehabt haben, zeugen die zahlreichen Verweise und Anspielungen darauf sowohl in Kierkegaards Schriften als auch in seinen Journalen und Aufzeichnungen. ²¹⁸ Wie bereits bei der Darstellung von Martensens Rezension erwähnt, finden sich darin mehrere Aussagen, die Kierkegaard später wiederholt zum Gegenstand seiner Kritik gemacht hat, wobei er, wie auch sonst (meistens²¹⁹) bei der Auseinandersetzung mit seinen Kopenhagener Zeitgenossen, seine Kritik nicht offen, mit namentlicher Nennung der Adressaten, sondern versteckt mittels Anspielungen und Schlagworten artikuliert hat.²²⁰ Dies gilt, wie mir scheint, eben auch für Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘. Die voranstehende Untersuchung hat zu plausibilisieren versucht, dass die eigentlichen Adressaten dieser auch in vielen der pseudonymen Schriften Kierkegaards begegnenden, für die Interpretation seines Glaubensverständnisses wichtigen Kritik nicht in der Ferne, in Deutschland zu suchen, sondern in seinem Kopenhagener Umfeld zu finden sind²²¹, wobei der Schlüssel zum Verständnis
Wichtige Hinweise und Anspielungen auf Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag und/oder Heibergs Replik darauf in Perseus finden sich z. B. in SKS 3, 97 f. / EO2, 100 f.; SKS 4, 445 f. / BA, 151 f. (Anm.); SKS 4, 506 / V, 216; SKS 5, 408 / DRG, 134; SKS 7, 24 / AUN1, 13; SKS 7, 340 / AUN2, 78; SKS 7, 108 / AUN1, 104; SKS 8, 288 / ERG, 199; SKS 8, 356 / ERG, 272; SKS 15, 41 / JC, 139; SKS 19, 185 f., Not5:23 / DSKE 3, 196; SKS 19, 187, Not5:32 / DSKE 3, 197 f.; vgl. ferner die oben in Anm. 16 angegebenen Stellen aus der Zeit bis zum Sommer 1840. Eine wichtige Ausnahme bildet z. B. Kierkegaards Auseinandersetzung mit Grundtvig in SKS 6, 30 / SLW, 24; SKS 7, 42– 47 / AUN1, 32– 37 und SKS 7, 49 – 52 / AUN1, 40 – 43. Vgl. hierzu Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 278, S. 452– 454, S. 465 f. und S. 508. Um neben dem im Exkurs 1, Anm. 10 genannten Beispiel ein weiteres aus der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift zu nennen: Martensen und dessen Schrift Den christelige Daab (siehe Kap. 3, Anm. 191) werden sowohl in der vorläufigen Ausarbeitung (Pap. VI B 24:1) am Rand als auch in der Reinschrift (Pap. VI B 98:15) in einer Anmerkung zu SKS 7, 49,30 / AUN1, 40,34 genannt und kritisiert, die in der endgültigen Fassung gestrichen ist. Vgl. ferner Pap. V B 60, S. 137 aus dem Entwurfsmaterial zu Der Begriff Angst. In der vorläufigen Ausarbeitung der Einleitung zu Der Begriff Angst notiert Kierkegaard am Rand zu der Stelle, dass „Glaube ohne jede nähere Bestimmung das Unmittelbare“ (SKS 4, 318 / BA, 7; dt. Übers. modifiziert) genannt werde: „und dies geschieht ja jeden Tag gleich vor unseren Augen“ (Pap. V B 49:2). Anlass für diese Bemerkung war vermutlich die Anfang 1844 beginnende
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
dieser Kritik in der auf einen kleinen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 92 liegt, als deren terminus post quem Juni 1837 zu betrachten ist. Wenn im letzten Abschnitt dieser Untersuchung von Papir 92 noch auf Hegels Glaubensverständnis eingegangen werden soll, so deshalb, weil Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ immer wieder auch als
Beschäftigung Kierkegaards mit Jacobi und dessen umstrittener Bezeichnung der nicht durch Vernunftgründe vermittelten, ‚unmittelbaren Gewissheit‘ empirisch-sinnlicher Gegenstände als ‚Glaube‘, vgl. z. B. „Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn“ (1785), in Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Bd. 4,1, 1819, S. 210 (in Werke. Gesamtausgabe, hg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Hamburg und Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 ff.; Bd. 1,1, 1998, S. 115,15 – 23) zusammen mit Kierkegaards Kritik in SKS 4, 292,14 / PB, 92 (vgl. jedoch bereits auch SKS 19, 146, Not4:16 / DSKE 3, 154). Dieser Umstand, dass Kierkegaard seine Kritik später auch gegenüber anderen Denkern artikuliert hat, steht jedoch nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung, dass die eigentlichen Adressaten dieser Kritik Martensen und Heiberg gewesen sind. Dagegen erweisen sich die in diesem Zusammenhang gelegentlich in der Sekundärliteratur begegnenden Verweise auf Rasmus Nielsens (1809 – 84) Lizentiatenabhandlung De speculativa historiæ sacræ tractandæ methodo, Kopenhagen 1840 (ktl. 697) als untauglich. Die Herausgeber von Pap. in Pap. V, S. 107 (Anm. 2) in Bezug auf Kierkegaards Bemerkung Pap. V B 49:2 (siehe Anm. 169), der Kommentar zu SKS 18, 203,13 (JJ:196) in SKS K18, 323, Thulstrup in seinem Kommentar zu Løgstrups Übersetzung von Der Begriff der Angst, op. cit., S. 704 zur Stelle S. 447,24 (= SKS 4, 318,10 – 11) sowie der Kommentar zu eben dieser Stelle in SKS K4, 351 f. verweisen allesamt auf „S. 6“ in § 2 („Fides subjectiva; logica speculativa“) von Nielsens Abhandlung, wo es heißt: „In vita practica immediata objectorum circumcirca obviorum ad subjectivitatem individualem relatio plurimum | valet; sensibus et externis et internis omnia percipiuntur, et percepta defenduntur. Verum quisque prædicat, quod profitetur, quod immediata ejus ad veritatem relatio ita comparata est, eadem confitendi formula alius quoque utitur, longe alia prædicans. Ita sibi invicem, manu in fidem bonam pectori admota, contradicunt. Cur iis assensum præbeamus? Pendet veritas ex affirmatione subjectiva. Quare si fidem denegas, non veritatem solum in universum, sed personam etiam veritatem confitentis offendis. Fides hæc subjectiva uniuscujusque vitæ valetudinem et quasi medullam efficit, nec mutari potest nisi ingenio hominis prorsus mutato; quare, si eam ei eripis, vitam cripis“ (De speculativa historiæ sacræ tractandæ methodo, S. 5 f.). Inwiefern sich Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ an diesen Bemerkungen Nielsens über den zu unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Auffassungen der und Diskussionen über die Wahrheit Anlass gebenden ‚subjektiven Glauben‘ hätte entzünden (oder hierauf beziehen) können, der, als Ausdruck des durch ‚die inneren und äußeren Sinne‘ (nichtsdestotrotz) vermittelten unmittelbaren Verhältnisses zur Wahrheit, unentbehrlicher wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens ist und in dem zugleich die Überwindung dieses (nicht absolut zu verstehenden) ‚Dissenses‘ im Medium des Denkens angelegt ist (vgl. ibid., S. 6), erschließt sich mir allerdings nicht. Gleiches gilt für Geismars Verweis auf „§ 20“ („Continuatio. Transitus in Panlogismum“) von Nielsens Abhandlung (vgl. ibid., S. 113 – 127) in Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 145 (Anm. 91,2) (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 78 (Anm. 1)).
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Kritik an Hegel selbst gedeutet worden ist.²²² Dass eine solche Kritik jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen wäre, soll nun kurz gezeigt werden.
2.3.3 Hegel: Glaube als vermittelte Unmittelbarkeit²²³ Hegel wollte den Gegensatz von Unmittelbarkeit und Vermittlung dadurch überwinden, dass er zur durchgängigen Vermittlung der Unmittelbarkeit überging.²²⁴ Unmittelbarkeit und Vermittlung gehören für ihn dabei untrennbar zusammen, da es, indem die Philosophie die unbestimmte Unmittelbarkeit des reinen Seins am (und als) Anfang der Logik vermittelt, „nichts gibt, nichts im Himmel oder in der Natur oder im Geiste oder wo es sei, was nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält
Vgl. z. B. Thomas Henry Croxall, Kierkegaard Commentary, London 1956, S. 149; ders., „Assessment“, in Johannes Climacus or, De Omnibus Dubitandum Est And A Sermon, übers. von dems., Stanford 1958, S. 43; Søren Kierkegaards Dagbøger, ausgewählt und kommentiert von Peter P. Rohde, Bd. 1– 4, Kopenhagen 1961– 64; Bd. 2, 1962, S. 212 (in Bezug auf SKS 18, 203, JJ:196 / DSKE 2, 210; S. 5 in Rohdes Ausgabe); Guarda, Die Wiederholung, S. 176 (Anm. 48); Fear and Trembling, hg. und übers. von Alastair Hannay, Harmondsworth 1985, S. 9 und S. 156 (Anm. 84); Kommentar zu SKS 7, 317,35 in SKS K7, 286; Paul Cruysberghs, „Must Reflection Be Stopped? Can It Be Stopped?“, in Immediacy and Reflection in Kierkegaard’s Thought, op. cit., S. 11– 24, hier S. 15; Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 166 (in Bezug auf SKS 4, 318 / BA, 7); ferner Robert L. Perkins, „Abraham’s Silence Aesthetically Conceived“, in Fear and Trembling and Repetition, hg. von dems., Macon 1993 (International Kierkegaard Commentary, Bd. 6), S. 155 – 176, hier S. 160 – 167 und Horn, Positivity and Dialectic, S. 117. Vgl. dagegen bereits Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 91 (samt S. 145 f., Anm. 91,2); Bd. 3, S. 73 – 75 und S. [111] (Anm. 20,2) (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 78 samt Anm. 1, S. 264 (Anm. 1) und S. 313 – 315) sowie vor allem Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 388 – 390, dem ich, wie im folgenden Abschnitt verdeutlicht werden soll, hinsichtlich der Deutung der bereits mehrfach angesprochenen Kritik Kierkegaards in der Einleitung zu Der Begriff Angst, dass Glaube ohne nähere Bestimmung das Unmittelbare genannt werde (vgl. SKS 4, 318,10 – 11), der von mir oben in Anm. 181 genannten Vorbehalte zum Trotz darin zustimme, dass „the criticism here cannot rightly be conceived as a criticism either of Hegel’s logic or of his conception of religion“ (S. 390). Dies gilt jedoch nicht für die Folgerung, die Stewart daraus für den Vergleich der Positionen Kierkegaards und Hegels zieht, vgl. unten Anm. 248. Dieser Abschnitt ist eine geringfügig überarbeitete Fassung meines Aufsatzes „Glaube und ‚Unmittelbarkeit‘ bei Kierkegaard“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2010, S. 391– 425, hier S. 397– 399 und S. 408 – 410. Zu Hegels Verständnis von Unmittelbarkeit, wie es in diesem Absatz dargestellt wird, vgl. Arndt, Unmittelbarkeit, S. 15 f. und S. 23 f.; ferner ders., Dialektik und Reflexion, S. 161– 167 und S. 189 – 194.
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als die Vermittlung“²²⁵. Insofern es nach diesem logischen Anfang weder reine, unvermittelte Unmittelbarkeit noch reine, unmittelbarkeitslose Vermittlung mehr geben kann, hat jedwede Unmittelbarkeit nunmehr nur den Schein von Unmittelbarkeit, weshalb sie ihres Vermitteltseins zu überführen ist. Die dialektische Bewegung bleibt bei diesem Schritt der Vermittlung der Unmittelbarkeit aber nicht stehen, da die Vermittlung in dieser Vermittlung selbst wiederum zur Unmittelbarkeit aufgehoben wird.²²⁶ Das (stets) relative Resultat dieses Kreislaufs von Unmittelbarkeit und Vermittlung ist diese (in sich) vermittelte oder reflektierte Unmittelbarkeit, in der, als Einheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung, die vermeintlich unvermittelte Unmittelbarkeit als vermittelte Unmittelbarkeit wiederhergestellt wird, welche nun ihrerseits der Grund des Scheins von Unmittelbarkeit und eben damit (der) Grund weiterer Vermittlung ist. Wie wenig gerechtfertigt Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ gegen Hegel selbst wäre (obwohl die von Hegel im einleitenden Abschnitt der Seinslogik entwickelte, Kierkegaard durch seine eigenen Zeitgenossen vermittelte Problematik des Anfangs gewissermaßen im Hintergrund von Kierkegaards Kritik steht), verdeutlicht ein Blick auf Hegels Kritik am Standpunkt des unmittelbaren Wissens im Vorbegriff zur Logik der Enzyklopädie (1830).²²⁷ Die Eigentümlichkeit dieses – auch in der Nachfolge Hegels für gewöhnlich²²⁸ – Jacobi²²⁹ zugeschriebenen Standpunktes, „der das nur unmittelbare
Hegel, Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832), S. 56 (im Unterschied zu Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 66); vgl. Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 56 (§ 12); Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 63 f. und S. 155 – 161 sowie Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, in TWA, Bd. 17, S. 367. Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik II, in TWA, Bd. 6, S. 125 – 129; Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 132 (§ 50), S. 229 (§ 111) und S. 293 f. (§ 149); Enzyklopädie (1830) III, in TWA, Bd. 10, S. 212 (§ 423); ferner Wissenschaft der Logik II, in TWA, Bd. 6, S. 565; Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 261 (§ 131); Enzyklopädie (1830) III, in TWA, Bd. 10, S. 200 (§ 413, Zusatz); Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 430. Vgl. Hegel, Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 148 – 168 (§§ 61– 78), vor allem S. 148 – 165 (§§ 62– 75). Vgl. dagegen Stefan Schick, Vermittelte Unmittelbarkeit. Jacobis „Salto mortale“ als Konzept zur Aufhebung des Gegensatzes von Glaube und Spekulation in der intellektuellen Anschauung der Vernunft, Würzburg 2006 (Epistemata Philosophie, Bd. 423), der berechtigte Zweifel an dieser „communis opinio in der Literatur zu Jacobi“ (S. 301) anmeldet. Vgl. Hegel, Enzyklopädie (1830) I, S. 149 – 151 (§§ 62– 63); ferner Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 116 f. und S. 155 – 163; Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, in TWA, Bd. 17, S. 366 – 371 und S. 496; Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, in TWA, Bd. 20, S. 322– 329.
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Wissen von Gott und von dem Wahren behauptet“²³⁰, besteht nach Hegel darin, dass dieses Wissen als ein die Vermittlung ausschließendes behauptet wird. Durch die Bezeichnung dieses unmittelbaren Wissens als ‚Glauben‘ werde jedoch der falsche Eindruck erweckt, als ob es sich bei diesem „ganz abstrakten Glauben“²³¹ um den „christlich-religiösen Glauben“²³² handele: „der Glaube aber jenes philosophierenden Standpunktes…ist nichts als das trockene Abstraktum des unmittelbaren Wissens, eine ganz formelle Bestimmung, die nicht mit der geistigen Fülle des christlichen Glaubens, weder nach der Seite des gläubigen Herzens und des ihm inwohnenden heiligen Geistes noch nach der Seite der inhaltsvollen Lehre, zu verwechseln noch für diese Fülle zu nehmen ist.“²³³
Vor dem Hintergrund seiner oben skizzierten Überzeugung, dass Unmittelbarkeit und Vermittlung untrennbar zusammengehören, muss dieses unmittelbare Wissen für Hegel jedoch nicht erst in die Vermittlung übergeführt, sondern vielmehr seiner Vermittlung überführt werden, da, wie alle Formen des Wissens, auch das unmittelbare Wissen bereits vermittelt ist. Die Unmittelbarkeit des unmittelbaren Wissens besteht mithin lediglich in der Art und Weise, wie es im Bewusstsein präsent ist, was eben gerade nicht ausschließt, dass es selbst „Produkt und Resultat des vermittelten Wissens ist.“²³⁴ Dass für Hegel der wahre christliche Glaube nicht als „unmittelbares, schlechthin anfangendes Wissen“²³⁵ verstanden werden kann, bestätigt zudem die anhand seiner religionsphilosophischen Vorlesungen durchgeführte Einzelauslegung des § 555 der Enzyklopädie (1830) zu Beginn des Abschnitts über den absoluten Geist: „Das subjektive Bewußtsein des absoluten Geistes ist wesentlich in sich Prozeß, dessen unmittelbare und substantielle Einheit der Glaube in dem Zeugnis des Geistes als die Gewißheit von der objektiven Wahrheit ist. Der Glaube, zugleich diese unmittelbare Einheit und sie als das Verhältnis jener unterschiedenen Bestimmungen enthaltend, ist in der Andacht, dem impliziten oder expliziteren Kultus, in den Prozeß übergegangen, den Gegensatz zur geistigen Befreiung aufzuheben, durch diese Vermittlung jene erste Gewißheit zu bewähren
Hegel, Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 148 (§ 62). Ibid., S. 167 (§ 77). Ibid., S. 151 (§ 63). Ibid., S. 152 (§ 63). Ibid., S. 156 (§ 66); vgl. auch S. 159 (§ 68) und S. 164 (§ 74) sowie Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 159 – 161. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in TWA, Bd. 5, S. 66.
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und die konkrete Bestimmung derselben, nämlich die Versöhnung, die Wirklichkeit des Geistes zu gewinnen.“²³⁶
Der Glaube wird hier bestimmt als die ‚unmittelbare und substantielle Einheit‘ desjenigen Prozesses, den ‚das subjektive Bewusstsein des absoluten Geistes‘ in sich zu durchlaufen hat, um ‚das absolute Wissen‘²³⁷, woraufhin es angelegt ist, aus sich selbst herauszusetzen. Dem darin enthaltenen Gegensatz von unmittelbarer, substantieller Einheit und prozesshafter Vermittlung korrespondiert nun der dem Glauben eignende und doch immer schon in ihm aufgehobene Gegensatz von Unmittelbarkeit und Vermittlung.²³⁸ Einerseits charakterisiert Hegel den Glauben als eine unbegründete, weder von außen noch innerlich vermittelte Gewissheit des Gefühls²³⁹, mithin als einfache, unvermittelte Unmittelbarkeit. Indem sich der Glaube andererseits aber „vom Gefühl über die Vorstellung zum Denken fortentwickelt“²⁴⁰, vermittelt er selbst die unvermittelte Unmittelbarkeit und die Vermittlung miteinander, wenn er zunächst im Reich der Vorstellung in die äußere Vermittlung eingeht, mit der er sodann im begreifenden Denken die aus der Aufhebung der äußeren, die Unmittelbarkeit aus sich ausschließenden Vermittlung in die absolute Vermittlung des Begriffs hervorgehende vermittelte Unmittelbarkeit erreicht.²⁴¹ Dieser in der Andacht, als einem ‚impliziten Kultus‘, sowie in ‚expliziteren‘ Formen des Kultus
Hegel, Enzyklopädie (1830) III, in TWA, Bd. 10, S. 366 f. (§ 555). Vgl. hierzu Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 49, S. 114 f., S. 117 ff., S. 203, S. 209; Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, in TWA, Bd. 17, S. 312 f., zusammen mit Michael Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970, S. 128 – 147, besonders S. 130 – 135 und S. 138 f., worauf sich die folgende Argumentation wesentlich stützt. Vgl. Hegel, Enzyklopädie (1830) III, in TWA, Bd. 10, S. 32 (§ 384); ferner S. 366 (§ 553). Vgl. hierzu und im Folgenden Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, S. 131– 134. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 49 und S. 115. Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, S. 132. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 203 („Indem der Glaube bestimmt werden muß als das Zeugnis des Geistes vom absoluten Geist oder als eine Gewißheit von der Wahrheit, so enthält dies Verhältnis, in Rücksicht auf den Unterschied des Gegenstandes und des Subjekts, eine Vermittlung – aber in sich selbst –, denn in dem Glauben, wie er sich hier bestimmt, ist bereits die äußere Vermittlung und jede besondere Art derselben verschwunden“), worauf auch Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, S. 134 verweist; vgl. ferner Theunissen, ibid., S. 139: „Statt daß zunächst ein bloß unmittelbarer und sodann ein bloß äußerlich vermittelter Glaube existierte, sind reine Unmittelbarkeit und reine Vermittlung lediglich die Formen, in denen der sich noch undurchsichtige Glaube auf dem Wege zu sich selbst sein Wesen versteht, d. h. mißversteht. Um sein zu können, was er ist, muß er an sich immer schon das Stadium der absoluten Vermittlung erreicht haben, in welchem diese sich auch mit der Unmittelbarkeit vermittelt hat.“
2.3 Papir 92 (II)
191
verlaufende Prozess, in den der Glaube immer schon übergegangen ist, stellt demnach nichts anderes dar als „die Selbstkonstitution des gleichermaßen vermittelten wie unmittelbaren Glaubens.“²⁴² Wenn nämlich die substantielle Unmittelbarkeit nicht mit der Vermittlung des Prozesses verbunden wird, „so bleibt“, um mit Theunissen zu sprechen, „völlig unbegreiflich, warum Hegel [scil. im § 555 der Enzyklopädie] den Glauben als Zeugnis des Geistes und als Gewißheit der objektiven Wahrheit anspricht.“²⁴³ Diese beiden „Hauptbestimmungen Hegelschen Glaubens“, so Theunissen weiter, „charakterisieren ihn…auf seiner höchsten Ebene, auf der einer absoluten Vermittlung“, weshalb dem Glauben eine solche Unmittelbarkeit beizumessen sei, „welche die Vermittlung in sich enthält.“²⁴⁴ Es zeigt sich also, wie wenig Hegels Glaubensverständnis sich in dieser Hinsicht als Zielscheibe von Kierkegaards Kritik eignet. Ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen²⁴⁵, sei die grundsätzliche Gemeinsamkeit der Positionen Hegels und Kierkegaards betont, den wahren christlichen Glauben nicht als unbestimmte, einfache Unmittelbarkeit, sondern als eine solche Unmittelbarkeit zu verstehen, die notwendig Vermittlung voraussetzt.²⁴⁶ Die entscheidende Differenz zwischen Hegels Verständnis des Glaubens als vermittelte Unmittelbarkeit und Kierkegaards Verständnis des Glaubens als, wie er später schreiben sollte, ‚neuer Unmittelbarkeit‘²⁴⁷ gründet dann jedoch in der unterschiedlichen Deutung des
Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, S. 139. Ibid., S. 134. Ibid., S. 134 f. Ich habe diesen Vergleich zwischen Hegel und Kierkegaard an anderer Stelle zu umreißen versucht, vgl. Schreiber, „Glaube und ‚Unmittelbarkeit‘ bei Kierkegaard“, S. 407– 417. Darüber hinaus sei hier die Differenz genannt, dass nach Hegel der Glaube in den oben beschriebenen Prozess ‚geistiger Befreiung‘, dessen Einheit er ist, übergegangen ist, „der seinerseits über ihn hinausgeht…Der Weg der geistigen Befreiung ist länger als derjenige, den der Glaube zurücklegt“ (Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, S. 142 (meine Hervorhebung); vgl. auch S. 146). Im Unterschied zu diesem in seinem Wesen selbst als notwendig behaupteten Durchgang des Glaubens durch die Vermittlung hin zum Begriff als dem ihn zugleich vollendenden und übersteigenden Ziel eignet für Kierkegaard dem Glauben als ‚die neue Unmittelbarkeit‘ oder ‚die Unmittelbarkeit nach der Reflexion‘ gerade eine Unmittelbarkeit an und für sich im Sinne unhintergehbarer Selbstbezüglichkeit, als die das Unmittelbare des Glaubens nicht vermittelt werden kann, ohne eben dadurch den Status dieser Unmittelbarkeit als der Unmittelbarkeit des wahren christlichen Glaubens zu verlieren. Siehe auch Kap. 3.3.2.4. Zu Kierkegaards Position siehe Kap. 3.3.2.4 sowie (aus späterer Zeit) z. B. SKS 18, 211, JJ:221 / DSKE 2, 218; SKS 4, 172 / FZ, 91 f.; SKS 20, 362– 365, NB4:159 / DSKE 4, 413 – 416 sowie Pap. X-6 B 78 / T 5, 386 f. Vgl. die in Kap. 1, Anm. 192 angegebenen Stellen.
192
2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Übergangs in die (jeweilige) Unmittelbarkeit des Glaubens.²⁴⁸ Denn während es für Hegel entsprechend seiner Konzeption der durchgängigen Vermittlung der Unmittelbarkeit nichts in Natur und Geist geben kann, „was nicht die Bestimmung der Vermittlung, ebenso wie die der Unmittelbarkeit in sich schlösse“²⁴⁹, repräsentiert für Kierkegaard ‚die neue Unmittelbarkeit‘ des Glaubens sowohl ein nicht selbst aus der ihr vorhergehenden Vermittlung hervorgegangenes Unvermitteltes wie auch ein der Vermittlung selbst entzogenes Unvermittelbares, zu dem bzw. in das es allein einen diskontinuierlichen Übergang geben kann – einen Sprung.²⁵⁰
2.4 Erdmann Zwischen Anfang November und Mitte Dezember 1837 exzerpierte und kommentierte Kierkegaard die Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837)²⁵¹ des
In diesem Punkt weicht meine Deutung von Kierkegaards Glaubensverständnis deshalb von der anderer Kierkegaard-Interpreten ab, die, wie mir scheint, diese Differenz zwischen Hegel und Kierkegaard nicht ausreichend beachtet haben. Um drei Beispiele zu nennen: (1) Merold Westphal, „Abraham and Hegel“, in Kierkegaard’s Fear and Trembling. Critical Appraisals, hg. von Robert L. Perkins, Tuscaloosa 1981, S. 62– 80, hier S. 67 („More important, when Kierkegaard speaks of faith as a second immediacy,…he too affirms that whatever immediacy faith involves is relative and permeated with mediation“); (2) Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 390 („Kierkegaard’s conception of faith as a second immediacy in fact has much in common with Hegel’s concept of mediated immediacy. According to Kierkegaard’s own account, faith is not supposed to stop at the first immediacy but is only the result of a movement through reflection and to something else“); (3) Grøn, „Mediated Immediacy? The Problem of a Second Immediacy“, S. 87 („A second immediacy is an immediacy which is not dissolved by reflection, but an immediacy after reflection and maybe an immediacy through reflection“). Es ist der Bemerkung wert, dass der Ausdruck ‚(die) zweite Unmittelbarkeit‘ [(den) anden Umiddelbarhed] – mit Ausnahme mehrerer indirekter Identifikationen allesamt in SKS 6, 444 f. / SLW, 513 f. – an keiner Stelle in Kierkegaards Œuvre zu finden ist. Hegel, Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, in TWA, Bd. 17, S. 367. Zum ‚Sprung‘ siehe Kap. 3.3.2.2, S. 308 – 310. Zu Kierkegaards Verständnis des Glaubens als ‚neuer Unmittelbarkeit“ siehe Kap. 3.3.2.4, S. 329 ff. Johann Eduard Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen als Einleitung in die Dogmatik und Religionsphilosophie gehalten und auf den Wunsch seiner Zuhörer herausgegeben, Berlin 1837 (ktl. 479). Erdmann hatte diese Vorlesungen zuerst in seinem ersten Semester (Wintersemester 1834/35) in Berlin und dann nochmals im Wintersemester 1836/37 in Halle gehalten und deren geringfügige Überarbeitung in Buchform in der Retrospektive als ein „unreifes Product“ (Grundriss der Geschichte der Philosophie, Bd. 1– 2, Berlin 1866; Bd. 2, S. 648 (§ 335,2)) bezeichnet. Zu Kierkegaards Beschäftigung mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen im November und Dezember 1837 vgl. SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213 (siehe Kap. 2.4.3); SKS 17, 248, DD:81 / DSKE 1, 214; SKS 17, 249, DD:86 / DSKE 1, 215 (vgl. Kap. 1,
2.4 Erdmann
193
gewöhnlich dem rechten Flügel der Hegelschule zugerechneten Hallenser Philosophen und Philosophiehistorikers Johann Eduard Erdmann (1805 – 92).²⁵² Inwiefern sich diese intensive Beschäftigung Kierkegaards mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen – „eines der recht wenigen neuen Bücher auf dem
Anm. 259); SKS 19, 129, Not4:5.d / DSKE 3, 136; SKS 19, 145 – 169, Not4:13 – 45 / DSKE 3, 153 – 180 sowie SKS 27, 112,15 – 18, Papir 93 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 210; SKS 27, 112,19 – 21, Papir 93 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 209; SKS 27, 112,24– 30, Papir 93 zusammen mit SKS 19, 136,23 – 24, Not4:9 / DSKE 3, 134 und SKS 19, 136,29 – 31, Not4:9 / DSKE 3, 134,32 f.; aus späterer Zeit vgl. auch SKS 1, 33,16 – 17 / LP, 64 zusammen mit Erdmann Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 39 (vgl. hierzu unten Anm. 410); SKS 1, 324,8 – 11 / BI, 295 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 86; SKS 19, 209,6 – 7, Not7:10 / DSKE 3, 223 und SKS 2, 28,11– 13 / EO1, 20 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 72 (vgl. hierzu unten Anm. 358) sowie SKS 23, 58, NB15:83 / T 4, 98 zusammen mit SKS 19, 169,28 – 36, Not4:45 / DSKE 3, 179 f. Zur Datierung und Eigenart von Kierkegaards umfangreichem Exzerpt (Not4:13 – 40), welches hauptsächlich aus einer mehr oder weniger freien Übersetzung bestimmter Passagen aus den von Erdmann im Großdruck wiedergegebenen „Uebergangssätze[n]“ (Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. IX) besteht, mit denen die einzelnen Vorlesungen eingeleitet oder bestimmte Abschnitte zusammengefasst werden, und Kierkegaards während der Lektüre angefertigtem Kommentar (Not4:41– 45) vgl. den von mir bearbeiteten editorischen Bericht zu Notizbuch 4 in DSKE 3, 599 – 604. Vgl. ferner Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 532– 536; Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 96 – 105; Stephan Bitter, „Erdmann: Appropriation and Criticism, Error and Understanding“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Aldershot und Burlington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 79 – 100. Erdmann hat sich stets als ein Schüler Hegels verstanden, seine eigene Stellung sogar „mit der des letzten Mohicaners“ (Grundriss der Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 693 (§ 342,4)) der Hegelschule verglichen. Zur meist vorbehaltlosen Charakterisierung Erdmanns als Rechtshegelianer vgl. Stefan Bitter, Johann Eduard Erdmann. Kirchliche Predigt und philosophische Spekulation in der Entwicklung eines theologischen Hegelianers, Rheinbach-Merzbach 1994 (Arbeiten zur Theologiegeschichte, Bd. 1), S. 157 ff. Bitter zufolge zeigen bereits Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen, dass diese Zuweisung Erdmanns „Selbstständigkeit nicht gerecht wird“ (ders., Art. „ERDMANN, Johann Eduard (1805 – 1892)“, in Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, begründet und hg. von Friedrich Wilhelm Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz, Hamm (bis Bd. 2), Herzberg (bis Bd. 18), Nordhausen (ab Bd. 19) 1975 ff.; Bd. 28, 2007, Sp. 578 – 607, hier Sp. 590; vgl. dagegen Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 102: „Entscheidend ist, daß Erdmann sich als Rechtshegelianer versteht und daß er von seinem Leser, dem Studenten Kierkegaard, so verstanden worden ist.“) Zu den Übereinstimmungen zwischen Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen und Hegels Phänomenologie des Geistes vgl. den – sonst unergiebigen – unveröffentlichten Vortrag von Jørgen Huggler, „About Johann Eduard Erdmann’s Vorlesungen über Glauben und Wissen“, gehalten auf der International Kierkegaard Conference in Kopenhagen, 24. bis 26. August 2011, S. 2 im Ms.
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Gebiet der Religionsphilosophie, die er ganz zu Ende las“²⁵³ – für sein Glaubensverständnis als wichtig und einflussreich erwiesen hat, soll zum einen an Kierkegaards vorwiegend kritischem Kommentar zu Erdmanns Buch in Notizbuch 4 (2.4.2), zum anderen an seiner positiven Anknüpfung an und Weiterführung von Gedanken Erdmanns in Journal DD (2.4.3) gezeigt werden.²⁵⁴ Zunächst aber ist der Gedankengang von Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen zu skizzieren (2.4.1).
2.4.1 Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) Gegenstand und Aufgabe der als Einleitung in die Dogmatik und Religionswissenschaft²⁵⁵ verstandenen Vorlesungen über Glauben und Wissen ist die Nachzeichnung der verschiedenen Entwicklungsstufen des religiösen Bewusstseins in den Bereichen des Glaubens und des Wissens als den beiden Hauptteilen des Buches. In den Vorbemerkungen des ersten Hauptteils²⁵⁶ wird zudem die Darstellung des „unbefangnen Glaubens“²⁵⁷ von der aller weiteren Bewusstseinsstufen im Bereich des Glaubens abgerückt, da es in ihm noch zu keiner – für die nachfolgenden Bewusstseinsstufen jedoch konstitutiven – Ausdifferenzierung
Niels Thulstrup, „Kierkegaards Kenntnis der philosophischen und theologischen Tradition“, Theologische Zeitschrift, Bd. 35, 1979, S. 351– 362, hier S. 359. Die Gewissenhaftigkeit des Exzerptes sieht man auch daran, dass Kierkegaard sein Exzerpt aus Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 181,26 – 30, in SKS 19, 156, Not4:31 / DSKE 3, 165 entsprechend dem Druckfehlerverzeichnis am Buchende geändert hat (vgl. den Kommentar zu DSKE 3, 165,29 in DSKE 3, 626). Bemerkenswert, für den gegenwärtigen Zusammenhang aber unerheblich ist die Tatsache, dass sich in Kierkegaards veröffentlichten Werken nur ein einziger expliziter Verweis auf Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen findet, und zwar in SKS 1, 324 / BI, 295. Die aufgrund dieses einen Verweises aufgestellte Behauptung im editorischen Bericht zu Notizbuch 4 in SKS K19, 183, dass sich in Kierkegaards „schriftstellerischem Werk…nur ein einziger direkter Niederschlag [nedslag] seiner eingehenden Beschäftigung mit Erdmanns Buch“ (hier zitiert nach DSKE 3, 604; meine Hervorhebung) finde, ist allerdings schwerlich haltbar. Abgesehen von der m. E. wahrscheinlichen Beeinflussung einer wichtigen Stelle in Kierkegaards Erstlingsschrift (vgl. unten Anm. 410) verdankt sich nämlich (mindestens) auch das sechste Diapsalma in Entweder – Oder I (vgl. SKS 2, 28 / EO1, 20) der Beschäftigung Kierkegaards mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen, siehe Kap. 3.3.2.1, S. 303 ff. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 19 und S. 22 f.; im Untertitel des Buches heißt es dagegen „Einleitung in die Dogmatik und Religionsphilosophie“. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 22– 45 (Vorlesungen 3 – 4) zusammen mit SKS 19, 146 f., Not4:15 – 16 / DSKE 3, 154 f. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 43; vgl. S. 46 – 48, S. 54 et passim.
2.4 Erdmann
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zwischen dem Bewusstsein und dem Glauben als Gegenstand des Bewusstseins gekommen sei. Mehr oder weniger durchgängige Struktur der einzelnen Vorlesungen ist dabei, dass zunächst die abstrakte Deduktion der jeweiligen Bewusstseinsstufe und die Rechtfertigung der hierbei verwendeten Begrifflichkeit mittels entsprechender Beispiele aus der modernen Sprache erfolgen, bevor der Nachweis des jeweiligen Standpunkts in der religiösen oder theologischen Wirklichkeit angetreten wird. Gleichwohl sollen die verschiedenen Entwicklungsstufen des religiösen Bewusstseins als dem Gegenstand der „begreifende[n] Betrachtung“²⁵⁸ nicht konstruiert, sondern durch das Nachdenken seiner eigenen dialektischen Entwicklung erst wirklich hervorgebracht, reproduziert werden, weshalb die in den Vorlesungen zur Anwendung gebrachte Methode „Dialektik des Inhaltes selbst“²⁵⁹ sein müsse. Das Wesen der christlichen Religion bestimmt Erdmann als „Einheit Gottes und der Menschen.“²⁶⁰ Diese Einheit sei näherhin als „Wiedervereinigung“ oder „Versöhnung“ zu bestimmen, da sie keine unmittelbare Einheit (Indifferenz), sondern eine vermittelte Einheit (Identität) darstelle, der eine Trennung des Menschen von Gott durch die Sünde vorhergegangen sei.²⁶¹ In der Religion im subjektiven Sinne (d. h. als ein gewisser Gemütszustand des Menschen, und zwar als „Bewußtseyn des Versöhntseyns mit Gott“²⁶² verstanden) wisse der Mensch von seiner Versöhnung mit Gott zuerst auf ganz unmittelbare Weise. Dieses „unmittelbare Bewußtseyn der Versöhnung“²⁶³ als erste Stufe des religiösen Bewusstseins nennt Erdmann Glaube, der als unmittelbares oder, damit gleichbedeutend, unbefangenes Bewusstsein noch vor jedem Zweifel und aller Reflexion nichts weiter als die Gewissheit der eigenen Seligkeit enthalte. Insofern nun die Identität Gottes und des Menschen als unmittelbare Gewissheit („Ich bin selig“²⁶⁴) Glaube, als unmittelbare Wahrheit („Ihr seyd, oder die Menschheit ist, selig“²⁶⁵) aber die Glaubenslehre sei, seien Religion im subjektiven und Religion im ob-
Ibid., S. 260. Ibid., S. 19; vgl. damit SKS 19, 146, Not4:14 / DSKE 3, 15. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 24 (ohne Hervorhebungen). Vgl. ibid., S. 24 sowie Kap. 3.3.2.1. Ibid., S. 27. Ibid., S. 29 (ohne Hervorhebung); vgl. auch S. 27 f., S. 30, S. 32 und S. 35 zusammen mit SKS 19, 146, Not4:15 / DSKE 3, 154. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 41 (ohne Hervorhebung); vgl. SKS 19, 146, Not4:16 / DSKE 3, 154 sowie Kap. 3, Anm. 216. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 41 (ohne Hervorhebung).
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jektiven Sinne (d. h. als Religionslehre verstanden)²⁶⁶ identisch und das glaubende Bewusstsein (fides qua creditur) und das Objekt des Glaubens (fides quae creditur) noch nicht auseinandergefallen. Dass in diesem ‚unbefangenen Glauben‘ als dem Anfangspunkt der Untersuchung jedoch ein Trieb zur Entwicklung liege, zeige die genauere Betrachtung des Versöhnungsbegriffs. Im Begriff der Versöhnung liege nämlich, dass sie keine unmittelbare, sondern eine nach vorheriger Trennung durch die Sünde wiedererlangte Einheit des Menschen mit Gott darstelle, weshalb im glaubenden Subjekt mit der Seligkeit als dem Sich-eins-Wissen mit Gott zugleich die Erinnerung an seine der eigenen Seligkeit vorhergegangene Unseligkeit gesetzt sei.²⁶⁷ Das glaubende Subjekt könne andererseits momentweise in die frühere Unseligkeit zurückfallen („Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben“²⁶⁸), wobei mit dem einen Moment zugleich auch immer das Bewusstsein des gewesenen anderen gesetzt sei. Beides sei also zu gleicher Zeit (als) aufeinander bezogen im Bewusstsein, welches sich vergleichend auf jene beiden Entgegengesetzte – das (selige oder unselige) Bewusstsein und die ihm gegenüberstehende Seligkeit oder Unseligkeit – beziehe: „Das Bewußtseyn bezieht sich also, da es sich ja auf Beide bezieht, auf sich selbst, indem es sich auf ein Anderes bezieht. Eine solche Beziehung des Bewußtseyns auf sich selbst, welche vermittelt ist durch eine Beziehung auf Anderes, nennen wir…Reflexion“²⁶⁹. Bei näherer Betrachtung zeige sich demnach, „wie das unmittelbare religiöse Bewußtseyn eigentlich reflectirtes Bewußtseyn“²⁷⁰ oder, damit gleichbedeutend, wie jenes zu diesem übergegangen sei. Das auf sich selbst reflektierende Bewusstsein gewahre in dieser Reflexion, wenn es selig sei, die gewesene (und Ibid., S. 41 f. In der Religion im objektiven Sinne (Vorlesung 4, vgl. SKS 19, 146, Not4:16 / DSKE 3, 154) müssten die religiösen Wahrheiten einem Menschen notwendigerweise in der Form historischer Fakta erscheinen, da der Mensch die Wahrheit nur in der Form der Faktizität perzipieren könne. Jedoch könne ein kontingentes Faktum die ewige und notwendige Wahrheit nur mangelhaft repräsentieren, weshalb die Entstellung der Wahrheit in der Abbildung eines Faktums zugleich durch ein diesem Faktum widersprechendes – die Wahrheit dabei auf seine Weise ebenso entstellendes – anderes Faktum korrigiert werden müsse („Neutralisation“ (S. 38)). Der „eigentliche Totalinhalt“ dieser „sich corrigirenden und ergänzenden Facta oder Dogmen“ (S. 40) sei die Identität oder Versöhnung Gottes und der Menschen. Zu diesem Zusammenhang vgl. ferner Erdmanns Aufsatz „Ueber Widersprüche unter den christlichen Glaubenslehren“, Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 3, Heft 1, 1837, S. 1– 48, hier S. 41 f.; vgl. hierzu auch Kap. 3, Anm. 218. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 44 zusammen mit SKS 19, 146 f., Not4:16 / DSKE 3, 155 sowie Kap. 3, Anm. 216. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 44. Ibid. S. 45. Ibid.; vgl. SKS 19, 14, Not4:17 / DSKE 3, 155.
2.4 Erdmann
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wieder mögliche) Unseligkeit, und wenn es unselig sei, die gewesene (und wieder mögliche) Seligkeit. Dem Ich als Subjekt stehe daher die Seligkeit, d. h. die Versöhnung Gottes mit dem Menschen, als ein von ihm getrenntes Anderes: als (s)ein Objekt gegenüber. Da diese Versöhnung aber gerade Glaube war, sei der ‚unbefangene Glaube‘ damit irreversibel in die Diremtion zwischen dem Bewusstsein und dem Glauben als Gegenstand des Bewusstseins getreten, mithin „Glauben an ein Geglaubtes“²⁷¹ geworden. Dieses Auseinanderfallen von fides qua creditur und fides quae creditur ist nun der Grund für die weitere Entwicklung des religiösen Bewusstseins, deren denkerische Reproduktion und Verifikation an Erscheinungen der religiösen Wirklichkeit Erdmann in den Abschnitten „Reflectirter Glaube“²⁷² (Vorlesungen 5 – 8), „Zweifel“²⁷³ (Vorlesungen 9 – 12) und „Mystik“²⁷⁴ (Vorlesungen 13 – 15) vollzieht.
Ibid., S. 46 (ohne Hervorhebungen). Vgl. ibid., S. 45 – 73 zusammen mit SKS 19, 147 f., Not4:17– 20 / DSKE 3, 155 – 157. Im reflektierten Glauben, bei dem die Wahrheit für das Ich allein auf Seiten des Objektes zu finden sei, repräsentiere der Glaube auf dem Standpunkt des Dogmatismus (Vorlesung 6) nur ein Anerkennen und Annehmen eines ihm positiv gegenübergesetzten Glaubensobjektes. Dieses habe seine Wahrheit für das Ich bloß dadurch, dass es ein ihm Gegenübergesetztes sei und nicht vom Ich rational, durch eigene Tätigkeit hervorgebracht werde. Auf dem Standpunkt des dogmatischen Aberglaubens (Vorlesung 7) hingegen werde die Rationalität des Glaubensobjektes gerade bewusst ausgeschlossen, da die Wahrheit des Objektes nun als allein in dessen Irrationalität und Unbegreiflichkeit begründet gesehen werde, d. h. nur insofern es „das Gegentheil vom Ich“ (S. 70) darstelle. Wenn das dem Ich gegenüberstehende Objekt aber nur insofern Wahrheit sei, als es vom Ich repelliert werde, dann sei „es ja gerade das repellirende Ich, welches die Wahrheit dahin stellt, wo sie Wahrheit ist“ (S. 71). Folglich komme es zu einem dialektischen Umschlagen ins Entgegengesetzte, wodurch das zuvor geknechtete Ich zur herrschenden Instanz werde, die nun selbst dem Objekt seine Wahrheit gebe. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 74– 102 zusammen mit SKS 19, 149 f., Not4:21– 24 / DSKE 3, 157– 159. Wenn das Ich im dogmatischen Aberglauben dem Glaubensobjekt seine Wahrheit gebe, entstehe dem Ich dadurch aber die Frage nach der Wahrheit dieses Objektes, „d. h. ob es vom Ich gesetzt sey und mit ihm übereinstimme“ (Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 74). Erscheine dem Ich diese Wahrheitsfrage nun als ungewiss, dann befinde sich das Bewusstsein auf dem Standpunkt des religiösen Zweifels, der für Erdmann jedoch bloß einen notwendigen „Durchgangspunkt“ (S. 79) in der Entwicklung des glaubenden Bewusstseins darstellt. Im religiösen Nihilismus oder Indifferentismus (Vorlesung 10), dem Gegensatz zum Dogmatismus, sei das Glaubensobjekt dagegen nicht aufgrund seines Inhalts wahr, sondern nur insofern bei seiner Annahme durch das Ich die Übereinstimmung des Ichs mit sich selbst nicht „turbirt“ (S. 81) werde. Zur religiösen Ironie könne sich dieser religiöse Nihilismus steigern, wenn das Ich zugleich das Bewusstsein habe, dass es ihm erlaubt sei, das Glaubensobjekt beliebig zu wechseln. Im Unterschied zur religiösen Ironie, die ebenso wie der religiöse Nihilismus noch an ein Objekt als Gegenüber gebunden sei, wolle der Unglaube (Vorlesung 11), der Gegensatz zum dogmatischen Aberglauben, seine Wahrheit gerade in der Negierung eines
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Auf dem Standpunkt der Mystik, dem „Blüthpunkt des Glaubens“²⁷⁵, werde zwar eine Verbindung zwischen dem Ich und dem Glaubensobjekt herzustellen versucht. Die Aufhebung jener Diremtion könne so aber nicht gelingen, da diese Verbindung „eine gewaltsame oder mechanische Vereinigung“²⁷⁶ sei, ohne Modifikation der beiden miteinander verbundenen Instanzen, die beide das blieben, was sie auch zuvor schon gewesen seien.²⁷⁷ Die Mystik gehe deshalb in einen „religiösen Trieb“ über, der „eine wahrhafte, organische, Vereinigung“²⁷⁸ des Ichs mit dem Objekt zum Ziel habe – eine Bewußtseinsform also, die zugleich subjektiv und objektiv sei: „Das Ich aber, wie es nicht nur subjectiv ist, sondern zugleich objectiv, und wie es sich nicht als Einzelnes verhält, sondern als Allgemeines, ist nicht mehr bloßes Ich, sondern ist Vernunft oder Denken“²⁷⁹. Die Gestalten des religiösen Bewusstseins, bei denen sich nicht mehr das individuelle Ich zu einem ihm gegenüberstehenden Objekt verhalte, sondern die Vernunft als allgemeines
jeden Glaubensobjektes finden – eine Differenzierung, die Kierkegaard im zweiten Teil von DD:81 (siehe Kap. 2.4.3) positiv hervorhebt. Wie schon beim Übergang vom dogmatischen Aberglauben zum religiösen Zweifel komme es an dieser Stelle erneut zu einem dialektischen Umschlagen, nun aber mit entgegengesetztem Ziel: vom Unglauben in den dogmatischen Aberglauben. In den Aberglauben übergegangen, schlage der Unglaube aber wiederum in jenen um und ein unendlicher Progress eines sich gegenseitigen Aufhebens und Wieder-Erzeugens entstehe, dem ein „religiöser Trieb“ (99) zugrunde liege, der die Vereinigung dieses Widerspruchs und damit die Aufhebung des Gegensatzes von Ich und Glaubensobjekt zum Ziel habe. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 102– 138 zusammen mit SKS 19, 151– 154, Not4:25 – 27 / DSKE 3, 159 – 163. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 111. Ibid., S. 103. Trotz der Ähnlichkeit von ‚unbefangenem Glauben‘ und Mystik gibt es für Erdmann zwischen beiden deshalb einen entscheidenden Unterschied. Während beim ‚unbefangenen Glauben‘ die Einheit von Ich und Glaubensobjekt Indifferenz vor Eintritt der Trennung gewesen sei, stelle die unio mystica eine gewaltsame Identifikation beider nach erfolgter Trennung dar (vgl. ibid., S. 109 zusammen mit SKS 19, 151,13 – 24, Not4:25 / DSKE 3, 160,5 – 15). Vgl. auch Kierkegaards Anmerkung in seinem Exzerpt mit Datum vom 13. November 1837: „Das ist eine meiner Ansicht nach besonders geglückte Bestimmung an dem Begriff der Mystik, die Erdmann p. 104 gibt. [‚]Das Objekt soll bleiben, was es war, d. h. ein dem Ich gegenüberstehendes und das Ich das, was es war, d. h. ein sich als einzelnes Ich verhaltendes‘; denn der Mystiker geht der Gemeinschaft gerade verlustig und hat sein Ich ja sogar polemisch abgesondert, und dennoch will es mit diesem isolierten ‚Ich‘ in ein Verhältnis zum Allgemeingültigen treten“ (SKS 19, 151, Not4:25.1 / DSKE 3, 160). Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 134 f. Ibid., S. 136.
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Selbstbewusstsein sich geltend mache, seien daher nicht mehr Gestalten des Glaubens, sondern des Wissens.²⁸⁰ Da die Vernunft aber nicht nur allgemeines Selbstbewusstsein sei, sondern ihr zugleich auch das Prädikat der Objektivität zukomme, sei das Ziel der weiteren Entwicklung des religiösen Bewusstseins im Bereich des Wissens das spekulative Erkennen, in dem die Vernunft in den Objekten nichts anderes als sich selbst erkenne – „tamquam in speculo“²⁸¹. Bis dahin habe die Vernunft aber noch einen langen, mühevollen Weg zurückzulegen, auf dem sich ihr die Erwartung der Identität des Subjektiven und Objektiven (‚Subjekt-Objekt‘) erst immer mehr als wahr bestätige, und der von Erdmann in den Abschnitten „Empirisches Wissen“²⁸² (Vorlesungen 17– 20), „Kritisches Wissen“ (Vorlesungen 21– 24)²⁸³ und „Spekulatives Wissen“ (Vorlesungen 25 – 28)²⁸⁴ nachgezeichnet wird.
Vgl. ibid., S. 136 und S. 141– 146. Dass mit dieser Annahme einer notwendigen Aufhebung des einzelnen Bewusstseins zur Vernunft als dem allgemeinen Selbstbewusstsein jedoch keineswegs die Vernunftlosigkeit der zuvor behandelten Bewusstseinsstufen ausgesagt sein soll, verdeutlicht Erdmann mittels der aristotelischen Verhältnisbestimmung von (δυνάμει) potentia und (ἐνέϱγεια) actus. Im und mit dem Übergang zur Vernunft werde lediglich das, was zuvor nur an sich gewesen sei, explizit als dieses gesetzt und bestimmt. Die Vernunft sei also bereits in den Gestalten des Glaubens gegenwärtig gewesen, aber latent und unbewusst, noch nicht als Vernunft oder Denken bestimmte, vgl. S. 145 zusammen mit SKS 19, 155, Not4:29 / DSKE 3, 164 und meinem Kommentar zu DSKE 3, 164,4 in DSKE 3, 625. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 149. Die übergeordnete Bezeichnung dieser verschiedenen Entwicklungsstufen des religiösen Bewusstseins als Wissen sieht Erdmann einerseits durch die Unbestimmtheit dieses Begriffs zur Kennzeichnung verschiedener Weisen der Überzeugung, andererseits dadurch gerechtfertigt, „daß unsere gewöhnliche Vorstellung bei dem Worte Wissen wirklich das denkt, was wir als Wesen der Vernunfterkenntniß erkannt haben. Sehen wir einen ganz gewöhnlichen Fall an, wo man vom Wissen im Gegensatz gegen das Glauben spricht, so sagt man vielleicht: Ich hatte dies gehört, und glaubte das, itzt sah ich selber zu, nun bin ich selber dahinter gekommen, itzt weiß ich es. In diesem Fall besteht also das Wissen darin, daß man selber dabei gewesen ist; Glauben kann man auch, was gar keine Bedeutung für uns hat“ (S. 149 f.). In seinem Exzerpt bemerkt Kierkegaard hierzu in einer Anmerkung vom 16. November: „Es scheint seltsam, dass Erdmann hier plötzlich das Wort ‚glauben‘ in einer gewissermaßen gewöhnlichen Bedeutung nimmt, wogegen er gerade in den früheren Vorträgen protestiert hat, weil er es nur in einer bestimmten geschichtlichen Bedeutung haben wollte“ (SKS 19, 154, Not4:28 / DSKE 3, 163). Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 151– 186 zusammen mit SKS 19, 155 – 157, Not4:30 – 33 / DSKE 3, 164– 166; siehe Kap. 2.4.2.1. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 187– 234 zusammen mit SKS 19, 157– 159, Not4:34– 37 / DSKE 3, 167– 169; siehe Kap. 2.4.2.2. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 234– 276 zusammen mit SKS 19, 159 – 162, Not4:38 – 40 / DSKE 3, 169 – 172. Im praktischen Idealismus (Vorlesung 25) sei die Vernunft wesentlich Wille und der religiöse Inhalt allein Sache des Wollens. Der Vernunft gehe es allein um die Tätigkeit des Realisierens der Wahrheit als eines Postulates, die Wahrheit sei also
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Die Vernunft als empirisches Wissen gehe vom Objekt als von einem ihr entgegengesetzten, opaken Anderen aus, bei dem sie bloß eine Ahnung davon habe, dass sie im Objekt nur sich selbst suche. Als kritisches Wissen schlage die Vernunft den umgekehrten Weg ein, da sie nun aus sich selbst a priori die Kriterien angebe, denen ein Objekt zu entsprechen habe, um als wahr gelten zu können. Da die Vernunft die Wahrheit auf diese Weise aber nur durch Hinzufügen ihrer abstrakten Kategorien wahrnehmen könne, werde die Wahrheit stets verändert und die Vernunft in die Sphäre des spekulativen Wissens getrieben. Erst auf dieser Stufe erkenne die Vernunft, dass die Wahrheit über den Gegensatz des Subjektiven und Objektiven hinaus sei, da sie in der Identität beider liege: im ‚Subjekt-Objekt‘. Mit dem spekulativen Wissen als dem Wissen der Identität des Subjekts mit Gott ist die ‚begreifende Betrachtung‘ der Entwicklungsstufen des religiösen Bewusstseins zu eben jenem Anfangspunkt zurückgekehrt, von dem sie ausgegangen war: dem ‚unbefangenen Glauben‘ – nur gleichsam „in der zweiten Potenz“²⁸⁵, da dieses Wissen der Identität nun in der Sphäre des Wissens erreicht und durch dasselbe bestätigt worden sei. „Unsere Untersuchung aber, indem sie so in ihren Anfang zurückgekehrt ist, ist nichts Andres gewesen, als eine Ilias und Odyssee des religiösen Bewußtseyns.“²⁸⁶
2.4.2 Kritik und Ablehnung (Notizbuch 4) Kierkegaards Kommentar zu Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen in Notizbuch 4 (Not4:41– 45) ist in erster Linie eine kritische Stellungnahme zu Ausführungen im zweiten Hauptteil des Buches (Wissen), während dessen erster
allein Sache des Sollens. Würde das Postulat nun aber tatsächlich realisiert werden, dann wäre die Wahrheit keine Aufgabe des Sollens mehr, sondern ein Sein. Diese Realisierung der Wahrheit sei in der Anschauung des Absoluten (Vorlesung 26) eingetreten, bei der die Wahrheit Gegenstand einer nicht durch Gründe vermittelten, „unmittelbaren Anschauung“ (S. 245) auf Seiten des religiösen Subjektes sei. Der höchste Standpunkt der spekulativen Vernunft sei schließlich im Begreifen der Wahrheit (Vorlesung 27) erreicht, wie er in der spekulativen Theologie zum Ausdruck komme. Hier seien die beiden (zuvor) entgegengesetzten Standpunkte des praktischen Idealismus und der Anschauung des Absoluten zur Identität beider aufgehoben, da im Werden die Wahrheit sowohl als Sein wie auch als Sollen gefasst werde. Als Verbindung des unmittelbaren Anschauens (im Verhalten zur Wahrheit als einem Seienden) auf der einen und des Produzierens als dem „durch eigne Thätigkeit vermittelten Hervorbringen“ (im Verhalten zur Wahrheit als einem Sollenden) auf der anderen Seite sei die Vernunft als „Begreifen oder speculatives Erkennen im engern Sinne“ (S. 256) zu bezeichnen. Ibid., S. 275. Ibid., S. 276.
2.4 Erdmann
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Hauptteil (Glauben) ihm „viel besser gehalten“²⁸⁷ scheine. Diesen längeren, während der Lektüre angefertigten Kommentar gilt es nun zu untersuchen.²⁸⁸
2.4.2.1 Not4:41²⁸⁹ Bereits Erdmanns Übergang von den Entwicklungsstufen des religiösen Bewusstseins im Bereich des Glaubens zu denen im Bereich des Wissens ist Gegenstand von Kierkegaards Kritik in Not4:41. Erdmann beginne den zweiten Hauptteil nämlich damit, „die Person (das Ich) ganz verschwinden zu lassen und dafür ein Subjekt-Objekt…zu substituieren, zu dem die vorhergehende Darlegung nicht berechtigt“²⁹⁰. Kierkegaards Kritik zielt darauf ab, dass im Bereich des Wissens – scheinbar grundlos – nicht mehr das nur subjektive, individuelle Ich das Verhältnis des Bewusstseins zu einem ihm gegenüberstehenden Objekt klärt, sondern eine unpersönliche Vernunft als Einheit des Subjektiven und Objektiven. Sogar unter der Annahme, dass das Subjekt in einem wesentlichen Verhältnis zum Objekt stehen müsse (dessen tieferer Grund dann später „in der ewigen Konzentrizität beider“²⁹¹ nachzuweisen wäre), könne Erdmann an dieser Stelle seiner Abhandlung doch nur durch eine logische Erschleichung „zu einem vernünftigen Ich gelangen, das sich eines Verwandtschaftsverhältnisses mit dem Objekt bewusst“²⁹² werde. In diesem Falle sei es auch richtig, dass „die Vernunft zur Vernunft erzogen“²⁹³ werde, was denn nichts anderes heißen wolle, als dass „das vernünftige Ich… durch eine Genesis im wahren Subjekt-Objekt“ aufgehe, welches „alle endlichen Subjekt-Objekte“²⁹⁴ in sich zu befassen vermöge. Erdmann könne zwar insofern mit Recht die Vernunft als allgemeines Selbstbewusstsein bezeichnen, doch sei er deshalb noch nicht berechtigt, die Frage nach dem Allgemeinen im Selbstbe-
SKS 19, 163, Not4:41 / DSKE 3, 172. Die Aufzeichnung SKS 19, 168 f., Not4:45 / DSKE 3, 178 – 180, in der sich Kierkegaard teils kritisch mit Erdmanns Verhältnisbestimmung von Kant und Fichte in der 25. Vorlesung, teils zustimmend mit Erdmanns Bestimmung des Standpunktes Schleiermachers in der 26. Vorlesung (vgl. Kap. 1, S. 87 f.) auseinandersetzt, enthält für diese Untersuchung dagegen nichts Wesentliches. Zu diesem und dem folgenden Abschnitt vgl. im Ganzen meine Bearbeitung des Kommentars zu Notizbuch 4 in DSKE 3, 605 – 634, hier 628 – 633 (Not4:41 bis Not4:45). SKS 19, 163, Not4:41 / DSKE 3, 172 (dt. Übers. modifiziert). Ibid. SKS 19, 163, Not4:41 / DSKE 3, 172 f. SKS 19, 163, Not4:41 / DSKE 3, 173; vgl. hierzu Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 145 und S. 148 f. SKS 19, 163, Not4:41 / DSKE 3, 173.
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wusstsein für gleichbedeutend zu halten mit der Frage nach dem Unterscheidungsmerkmal des seiner selbst bewussten Menschen von allen anderen Geschöpfen.²⁹⁵ Die Vernunft kann für Kierkegaard nicht als differentia specifica des Menschen gegenüber den anderen Geschöpfen bestimmt werden: „denn die Vernunft als solche liegt über den Menschen hinaus.“²⁹⁶ Doch auch unter einem anderen Aspekt zeigt sich für Kierkegaard eine „ähnliche Verschleierung“, die symptomatisch für die neuere Zeit sei und „die geschichtliche Seite des Christentums“²⁹⁷ übersehe. Gegenstand von Kierkegaards Kritik ist an dieser Stelle Erdmanns Argumentation im Abschnitt „Empirisches Wissen“ (Vorlesungen 17– 20), die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:²⁹⁸ Im Wissen durch Erfahrung (Vorlesung 17) nehme sich die Vernunft aus den einzelnen Objekten das Allgemeine als das Wesentliche heraus. Da das Allgemeine in der Wirklichkeit aber stets mit der Verschiedenheit der einzelnen Fälle versetzt sei, müsse die Vernunft zuerst diese ‚Maske‘ des Akzidentellen abziehen, um das Allgemeine rein zu haben. Im Wissen durch Beobachtung (Vorlesung 18) solle dies nun durch das Experiment geschehen, in dem die Vernunft zu den Objekten mit einer Hypothese trete, um so ihr (hypothetisches) Wissen des Allgemeinen im einzelnen Objekt zu bestätigen. Wenn die Vernunft in der Beobachtung erst durch das Experiment die Bestätigung der Wahrheit erhalte, das Experiment selbst aber nur ein einzelner Fall sei, dann sei die Wahrheit von etwas Einzelnem abhängig. Die Vernunft, für die als beobachtende nur das Allgemeine wesentlich sei, entspreche damit ihrem eigenen Begriff nicht. Im Wissen durch Zeugnis (Vorlesung 19) müsse deshalb, damit die Vernunft ihrem Begriff entspreche, das die Wahrheit Bestätigende selbst den Charakter der Allgemeinheit haben, mithin selbst eine Erfahrung sein. Der scheinbar darin liegende Zirkel, dass nur die durch Erfahrung beglaubigte Erfahrung den Charakter der Wahrheit habe, verschwinde jedoch, sobald „die beglaubigende und zu beglaubigende Erfahrung nicht von demselben Subjecte gemacht“²⁹⁹ werde, sobald also die beglaubigende Erfahrung die Er-
Kierkegaard bezieht sich hier auf Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 141, wo Erdmann – ausgehend vom Verständnis des Allgemeinen im Sinne der „Begriffs-Allgemeinheit“ (d. h. Allgemeinheit nicht als Summe der in ihrer (bisherigen) Beschaffenheit bestehen bleibenden Einzelnen verstanden, sondern als etwas, worin die Einzelnen ihre Selbstständigkeit gegenüber dem Allgemeinen als dessen Glieder verlieren und das Allgemeine folglich als das Ganze vor den Einzelnen besteht, wie etwa als Gattung) – das allgemeine Selbstbewusstsein als „die Substanz des Bewußtseyns, das, was ein Selbstbewußtseyn überhaupt möglich macht“ bezeichnet. „Ist aber dies so“, fährt Erdmann fort, „so ist die Frage, was denn das Allgemeine im Selbstbewußtseyn sey, gleich bedeutend mit der, wodurch sich der seiner selbstbewußte Mensch von allen andern Geschöpfen unterscheide.“ In Kierkegaards Exzerpt der 16. Vorlesung in SKS 19, 154 f., Not4:29 / DSKE 3, 163 f. wird dieser letzte Satz Erdmanns mit einer unbedeutenden Abweichung vollständig auf Deutsch wiedergegeben. SKS 19, 163, Not4:41 / DSKE 3, 173 (dt. Übers. modifiziert). Ibid. (dt. Übers. modifiziert; „Verschleierung“ bei Kierkegaard „Subreption“). Vgl. hierzu meinen Kommentar zu DSKE 3, 173,14– 19 in DSKE 3, 628. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 173.
2.4 Erdmann
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fahrung Anderer sei. Im Unterschied zum Wissen durch Beobachtung, in dem die Vernunft im einzelnen Objekt das beglaubigende Beispiel des Allgemeinen erkannt habe, habe sie nun im Wissen durch Zeugnis, um das Wahre und Wesentliche zu erkennen, nicht mehr jedes einzelne Objekt zu prüfen, sondern bloß zu fragen: „was ist als solches (von Anderen) bereits erfahren worden?“³⁰⁰ Auf dem theologischen Gebiet stehe auf dieser Stufe des Wissens „die Theologie der Historie oder der Tradition.“³⁰¹
Kierkegaard hält Erdmann nun entgegen, dass es, wenn man „das heidnische Selbstbewusstsein“ darstelle, zwar wahr sei, „dass die Hypothese erst in einem Allgemeinen, einer Erfahrung, ihre Bestätigung“ finde und der Begriff der Tradition demnach „erst auf einer späteren Stufe“³⁰² eintrete. Bei der christlichen Darstellung sei die Tradition jedoch „bereits früher gegeben“, denn das durch das Experiment zu bestätigende Beispiel einer Hypothese sei doch schließlich „der Glaube (oder in diesem Abschnitt: die Glaubenslehre), also eine Erfahrung (Anderer).“³⁰³ „Der Fehler liegt in diesem Falle immer in einem Hinausgehen über eine gewisse traditionellsprachliche Relativität, einem Hinausgehen, das sich oft für spekulativ ausgibt; denn das Christentum hat den Begriff der Tradition eigentlich entwickelt, doch nun entdeckte man hinterher die entsprechende heidnische Analogie, und was zuvor eine Haupteinteilung war, wird nun eine Unterteilung – Eine allgemein in der geschichtlichen Seite des Menschen (der seines Geschlechtes) begründete allgemeine menschliche Kommunikation, ein in jedem Moment gegebenes (natürlich, da es geschichtlich ist), über jedem Menschen liegendes Relief für ihre Ideen – als Unterabteilung kommt dann diese allgemeine Tradition, und die eigentliche, streng sogenannte Tradition.“³⁰⁴
In Reminiszenz an die anlässlich der Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte in der Journalaufzeichnung AA:22 gemachte Bemerkung Kierkegaards, dass „das ganze Reden über Tradition auf philosophischem Gebiet…eine Verschleierung“³⁰⁵ sei, wird hier der geschichtliche Ursprung des christlichen Glaubens als Ursprung Ibid. Ibid. SKS 19, 163, Not4:41 / DSKE 3, 173. Kierkegaard meint hier also, dass Erdmann den Begriff der Tradition erst auf dem Standpunkt des Wissens durch Zeugnis (19. Vorlesung) einführt. Tatsächlich begegnet bei Erdmann der Begriff der Tradition im theologischen Sinne zum ersten Mal in der 19. Vorlesung, vgl. Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 173 f.; vgl. ferner S. 177 und S. 224 sowie meinen Kommentar zu DSKE 3, 173, 24 in DSKE 3, 628 f. SKS 19, 164, Not4:41 / DSKE 3, 173 (dt. Übers. modifiziert). SKS 19, 164, Not4:41 / DSKE 3, 173 f. (dt. Übers. modifiziert; „Unterteilung“ bei Kierkegaard „Subdivision“); mit „Relief“ meint Kierkegaard hier offenbar ‚das, was den Hintergrund für etwas bildet‘ (vgl. meinen Kommentar zu DSKE 3, 173,40 in DSKE 3, 629). Die Klammern um „(natürlich, da es geschichtlich ist)“ wurden von mir zum besseren Verständnis hinzugefügt. SKS 17, 42, AA:22 / DSKE 1, 44.
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der Tradition im eigentlichen Sinne verstanden. Indem er unmittelbar nach der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Jesus Christus seinen Anfang nimmt, ist der Begriff der Tradition für Kierkegaard vom Christentum eigentlich entwickelt worden.³⁰⁶ Die Tradition im eigentlichen Sinne müsse deshalb richtigerweise am Anfang der Darstellung eingeführt werden und nicht wie bei Erdmann erst später, in einen übergreifenden Zusammenhang ein- und ihm untergeordnet, im zweiten Teil der Schrift. Die Quelle dieses Fehlers liegt für Kierkegaard aber nicht nur in der Nichtbeachtung der Geschichtlichkeit des Christentums, sondern gleichermaßen in der Äquivokation des Wortes ‚Tradition‘. Überdies sieht sich Kierkegaard durch Erdmanns Buch zu der Frage veranlasst, wie es sich denn eigentlich mit dem Verhältnis zwischen der abstrakten Deduktion eines Standpunktes und dessen Nachweis in der geschichtlichen Wirklichkeit verhalte. Letzteres erscheine ihm an mehreren Stellen nämlich nur als „eine Karikatur, die als solche natürlich das Gepräge der Zufälligkeit, die Äußerung des Willens an sich trägt,wodurch er [scil. der in der geschichtlichen Wirklichkeit nachgewiesene Standpunkt] sich der Notwendigkeit des Gedankens zum Trotz abschließt und kristallisiert. Je mehr nun die Deduktion hierauf Rücksicht nimmt, desto mehr läuft sie Gefahr, ein möglichst gutes Ordnen der zufälligen Konkretionen des Lebens zu werden, und nicht der notwendigen Fleischwerdung der Idee. Dies ist überhaupt der klaffende Abgrund zwischen der abstrakten Deduktion und dem geschichtlich Wirklichen, dass, selbst wenn sie zeigen kann, dass die Notwendigkeit des Gedankens ein solches Gedankenmoment absetzt, sie doch deshalb keineswegs seine geschichtliche Wirklichkeit gezeigt hat: cur deus homo?“³⁰⁷
In ähnlicher Weise hatte Kierkegaard schon in seinem Exzerpt aus Erdmanns 8. Vorlesung zum dialektischen Umschlagen des reflektierten Glaubens, bei dem die Wahrheit für das Ich allein auf Seiten des Objektes zu finden ist, in den religiösen Zweifel als das Entgegengesetzte, bei dem das Ich nun selbst nach der Wahrheit dieses Objektes fragt, ihm also insofern seine Wahrheit erst gibt, angemerkt: „Der Grund, warum es so schwierig ist, die Leute dazu zu bringen, diese dialektische Bewegung einzusehen, und warum ihnen das viel leichter fällt bei den phänomenologischen Analogien, die Erdmann anführt, ist, dass ein solcher Übergang die Inkommensurabilität des
Am Rand zur eben angeführten Stelle aus Not4:41 notiert Kierkegaard entsprechend: „Während Erdmann daher so gelungen den Glaubena [a cfr. die ersten Vorlesungen] in seiner rein geschichtlichen Seite als nicht außerhalb des Christentums seiend festhält, tut er dies dagegen nicht bei der Tradition“ (SKS 19, 164, Not4:41.a / DSKE 3, 173; dt. Übers. modifiziert). Zu diesem Sachverhalt vgl. ferner Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 103. SKS 19, 164, Not4:41 / DSKE 3, 174 (dt. Übers. modifiziert).
2.4 Erdmann
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Lebens zu involvieren scheint, die der abstrakten, durch die Gedankenknoten der Notwendigkeit sich entwickelnden Dialektik unzugänglich ist. – Kierkegaard. d. 7. Nov. 37.“³⁰⁸
Dieses prinzipielle Problem der Darstellung Erdmanns, die zweifelhafte „Verknüpfung von dialektischer Gedankenentwicklung und historischer Exemplifikation“³⁰⁹, veranschaulicht Kierkegaard in Not4:41 anschließend mit einem Beispiel „aus der 19.Vorlesung“³¹⁰. Auch hier werde ohne Rücksicht darauf, ob es sich so in der Wirklichkeit verhalte, die abstrakte Deduktion eines Standpunktes scheinbar willkürlich angehalten, „um eine Karikatur darzustellen“³¹¹, so dass für Kierkegaard nicht nur die Deduktion, sondern auch der (dargestellte) geschichtliche Standpunkt als korrumpiert erscheinen.
2.4.2.2 Not4:42 – 43 In der Aufzeichnung Not4:42 sieht sich Kierkegaard in Erdmanns 21. Vorlesung („Die natürliche Theologie und der Naturalismus“³¹²) zu Beginn des Abschnitts „Kritisches Wissen“ (Vorlesungen 21– 24) mit einer „neue[n] Schwierigkeit“³¹³ konfrontiert. Zwar müsse man Erdmann darin zustimmen, dass Erfahrung gar nicht so passivisch sei, wie man gemeinhin zu glauben geneigt sei, was zum Beispiel in der Bemerkung Erdmanns zum Ausdruck komme, dass es „Erfahrung
SKS 19, 148, Not4:20.1 / DSKE 3, 157 (dt. Übers. modifiziert). Mit „den phänomenologischen Analogien“ bezieht sich Kierkegaard offenbar auf Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 71 f., wo Erdmann dem dialektischen Umschlagen ins Gegenteil anhand von Redensarten (z. B. „daß wo die Noth am größten ist, dort auch Gottes Hülfe am nächsten sey“, S. 71), Beispielen aus den Sphären der Natur (z. B. der Moment der Befruchtung als Moment des Todes, vgl. Kap. 3, Anm. 211– 213) sowie der Gemeinschaft und Familie (z. B. Kinder, die gerade aufgrund ihrer absoluten Abhängigkeit „ein ganzes Haus tyrannisiren“ können, S. 72) in der konkreten Wirklichkeit nachspüren will. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 103. SKS 19, 164, Not4:41 / DSKE 3, 174; vgl. hierzu SKS 19, 164 f., Not4:41 / DSKE 3, 174 f., wo sich Kierkegaard tatsächlich aber auf Erdmanns 18. Vorlesung (vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 160 – 171) bzw. deren Rekapitulation zu Beginn der 19. Vorlesung (vgl. ibid., S. 171– 173) bezieht. Ein näheres Eingehen auf dieses den grundsätzlichen Einwand Kierkegaards gegenüber Erdmanns Darstellung lediglich konkretisierende Beispiel kann hier unterbleiben (vgl. hierzu meinen Kommentar zu DSKE 3, 174,23 – 175m,16 in DSKE 3, 629 f.). SKS 19, 165, Not4:41 / DSKE 3, 175. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 187– 197. SKS 19, 165, Not4:42 / DSKE 3, 175.
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machen“³¹⁴ heiße. Aber gerade indem Erdmann „auf christlichem Gebiet“ davon Anwendung mache, wage er sich „auf das allergefährlichste Gebiet“ – „denn wirkt, was man doch wohl mit Recht sagen kann, im Allgemeinen alle Erfahrung weckend, so wirkt die christliche befruchtend, und hier entsteht dann eine Grenzstreit, denn die Frage bleibt dann, wieweit ich das Christentum im selben Sinne wie jedes andere Faktum meiner apriorischen Beurteilung unterwerfen kann.“³¹⁵
Dieses Letzte sei nicht klar dargelegt, wenn Erdmann schreibe: „so wird also die Vernunft sich damit beruhigen können, daß irgend ein religiöser Inhalt durch die innere Erfahrung sich als wahr zeigt.“³¹⁶ Tatsächlich aber schreibt Erdmann: „Machen wir die Anwendung auf dasjenige Gebiet, mit dem wir es zu thun haben, so wird also die Vernunft sich nicht damit beruhigen können, daß irgend ein religiöser Inhalt durch die innere Erfahrung sich als wahr zeigt, noch damit, daß es mit der Analogie des Glaubens zusammenstimmt, noch endlich damit, daß es den Aposteln oder der Kirche für wahr gegolten hat“³¹⁷.
Aufgrund eines Lesefehlers hat Kierkegaard Erdmanns Argumentation also ins Gegenteil verkehrt.³¹⁸ Denn während die Vernunft als empirisches Wissen für Erdmann noch durch ein Objekt bedingt war, das sie als Wahrheit enthaltend vorausgesetzt hat, ist der Vernunft als kritischem Wissen diese Voraussetzung gerade zweifelhaft geworden. Für Erdmann kann die Wahrheit der religiösen Lehre daher eben nicht mehr a posteriori bestätigt werden (sei es durch die innere Erfahrung wie im Wissen durch Erfahrung, sei es durch die Analogie zur regula fidei wie im Wissen durch Beobachtung oder sei es durch das Zeugnis der Kirche wie im Wissen durch Zeugnis), sondern die Vernunft als kritisches Wissen muss nun aus sich selbst a priori die Kriterien angeben, denen ein Objekt zu entsprechen hat, um als wahr gelten zu können: „Allgemeinheit und Objectivität“³¹⁹.
SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 175; vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 187. Zum „Erfahrung machen“ vgl. außerdem die aus der Zeit 1840/41 stammenden Predigtentwürfe Kierkegaards SKS 18, 135 f., HH:19 / DSKE 2, 139 f. („Was es bedeutet, Erfahrung machen zu wollen mit dem Evangelium über Nikodemus“); SKS 18, 136 f., HH:20 / DSKE 2, 140 f. („Christliche Erfahrung“) und SKS 18, 140 f., HH:30 / DSKE 2, 145 („Über das Erfahrung machen wollen“). SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 175 f. (dt. Übers. modifiziert). SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 176 (bei Kierkegaard deutsch). Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 189 (meine Hervorhebung). Vgl. hierzu meinen Kommentar zu DSKE 3, 176,6 in DSKE 3, 630. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 189; vgl. SKS 19, 157 f., Not4:34 / DSKE 3, 167.
2.4 Erdmann
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Jene von ihm missverstandene Stelle aus Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen sollte Kierkegaard nun aber zum Anlass nehmen, seine kritische Betrachtung der seines Erachtens von Erdmann nur unzureichend durchgeführten Grenzziehung zwischen allgemein menschlicher und christlicher Erfahrung, ja überhaupt zwischen dem Gebiet der von Erdmann als empirisches und kritisches Wissen bestimmten Vernunft und dem ‚christlichen Gebiet‘ weiter fortzuführen, wobei Kierkegaard Erdmanns Ausführungen hinsichtlich ihrer Aussagekraft für die Charakterisierung des christlichen Glaubens grundsätzlich hinterfragen sollte.³²⁰ Bei Erdmanns durchaus richtiger Darstellung des Naturalismus³²¹ scheine nämlich auf einmal „der ganze Standpunkt [scil. die Vernunft als kritisches Wissen] eine Exzentrizität zu bekommen“, durch die er aus dem mit „Glauben und Wissen“ bezeichneten Horizont herausfalle – wenn denn „Glauben auf diese rein geschichtliche, christliche Weise verstanden werden soll.“³²² Dadurch werde er in der Meinung bestärkt, „dass alle die Ausführungen, die von ‚Erfahrung und Beobachtung[‘] handeln, eigentlich nicht in einen so richtig christlich bestimmten Glauben hineingehören, wie er hier gegeben ist, sondern dass der erste Standpunkt der ist, auf dem nicht die Vernunft, sondern die christliche Erfahrung ihre Bestätigung in einer anderen Erfahrung sucht.“³²³
Die Problematik einer Anwendung der Ausführungen Erdmanns auf das ‚christliche Gebiet‘ zeigt sich für Kierkegaard bereits darin, dass Erdmann an der besagten Stelle (Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 189) wie auch sonst nach der Darlegung eines neuen Standpunktes „nun den Übergang zur spezielleren Applikation davon mit den Worten macht: ‚Machen wir die Anwendung auf dasjenige Gebiet, mit dem wir es zu thun haben‘. Aber so dürfte es möglich sein, dass das Verhältnis zwischen diesen beiden Gebieten nicht so ganz genau untersucht ist“ (SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 176; dt. Übers. modifiziert; Erdmanns Satz bei Kierkegaard deutsch). Kierkegaard bezieht sich hier auf Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 196 f., wo Erdmann das Verhalten der Vernunft im Naturalismus mit dem im Wissen durch Beobachtung vergleicht. Beides scheine auf den ersten Blick „ganz dasselbe“ zu sein, doch zeige sich bei genauerer Betrachtung der Unterschied, dass das beobachtende Wissen „von der Voraussetzung der Zusammengehörigkeit der Erscheinungen einer gewissen Sphäre“ ausgehe und ebendeshalb „nur innerhalb dieses Kreises“ Übereinstimmung finden wolle. Im Naturalismus dagegen verlange die Vernunft, dass „überhaupt Alles“ in Übereinstimmung stehe – „sie hält sich daher nicht innerhalb eines bestimmten Kreises, sondern diesen selbst, wie jeden andern Kreis, unterwirft sie ihrer Beurtheilung“ (S. 196 f.). Beide Standpunkte zeigen hinsichtlich ihres Vernunftgebrauchs also durchaus einen Unterschied. Wenn Erdmann aber, so wendet Kierkegaard ein, auch bei der Beschreibung des ersteren Standpunktes (Wissen durch Beobachtung) den Ausdruck Vernunft gebraucht, dann hätte er, „falls er konsequent sein will…, einen anderen, engeren Ausdruck gebrauchen“ (SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 176) müssen. SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 176 („Glauben und Wissen“ und „Glauben“ bei Kierkegaard deutsch). Ibid. (dt. Übers. modifiziert).
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Mit ‚Erfahrung und Beobachtung‘ (das schließende Anführungszeichen fehlt im Manuskript) bezieht sich Kierkegaard auf Erdmanns Ausführungen zum Wissen durch Erfahrung und zum Wissen durch Beobachtung. Der damit kontrastierte ‚erste Standpunkt‘ (einer Darstellung?) des christlichen Glaubens im strengen Sinne des Wortes, auf dem anstelle der Vernunft die christliche Erfahrung ihre Bestätigung in einer anderen Erfahrung sucht, kann demnach als Kierkegaards Analogiebildung zum Wissen durch Zeugnis verstanden werden, demzufolge nur die durch die Erfahrung Anderer, mithin durch die Tradition beglaubigte Erfahrung den Charakter der Wahrheit haben kann. Die Tradition im eigentlichen Sinne war es ja gerade, deren Platz Kierkegaard am Anfang der christlichen Darstellung sah (vgl. Not4:41). In sachlichem Anschluss an Not4:42 interpretiert Kierkegaard in der Aufzeichnung Not4:43 die Position Erdmanns schließlich dahingehend, dass „die Exzentrizität des späteren Standpunktes [scil. der Vernunft als kritischem Wissen] durch seinen Übergang zu dem eigentlich Spekulativen bedingt ist, wodurch seine eigene Voraussetzung (der Glaube) mit in den Zweifel hineingezogen ist, wodurch man also entdeckt, dass im Unmittelbaren ein Moment liegt, das nun den späteren Standpunkt, als ein Moment in der Totalität, zwingt, seine Voraussetzung zu bezweifeln.“³²⁴
Der Naturalismus gehöre hier insofern mit dazu, als er als „ein Bezweifeln eines positiven Standpunktes“³²⁵ eben diesen zur Voraussetzung habe und dessen Inhalt zum Gegenstand des Zweifels mache. Nach Erdmann, so Kierkegaards Interpretation, liegt also bereits im Glauben, oder, damit gleichbedeutend, im Unmittelbaren ein Moment, das den späteren Standpunkt zum Zweifel an eben dieser Voraussetzung treibt. Der Glaube trägt also den Keim zu seiner Überwindung bereits in sich. Obwohl eine missverstandene Stelle bei Erdmann den Anstoß zu Kierkegaards Erklärungsversuch jener Exzentrizität gegeben hat, stimmt seine Interpretation mit der Position Erdmanns in einem bestimmten Punkt – nämlich was die Begründung des Übergangs vom Glauben in eine andere Gestalt betrifft – dennoch überein. Wie in Kapitel 2.4.1 gezeigt, begründet Erdmann die Notwendigkeit des Übergangs vom ‚unbefangenen Glauben‘ als unmittelbarem Bewusstsein der Versöhnung in den ‚reflektierten Glauben‘ durch die genauere Betrachtung des Begriffs der Versöhnung als nicht unmittelbarer, sondern wiedererlangter Einheit des Menschen mit Gott. Indem das selige oder unselige Bewusstsein sich durch die SKS 19, 167, Not4:43 / DSKE 3, 177 (dt. Übers. modifiziert). Die Klammer „(der Glaube)“ wurde von Kierkegaard im Manuskript hinzugefügt, vgl. den textkritischen Apparat in SKS 19, 167. SKS 19, 167, Not4:43 / DSKE 3, 177.
2.4 Erdmann
209
Beziehung auf die ihm gegenüberstehende Seligkeit oder Unseligkeit auf sich selbst bezieht, die Beziehung des Bewusstseins auf sich selbst also durch die Beziehung auf ein Anderes vermittelt ist, reflektiert das Bewusstsein nun auf sich selbst. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich für Erdmann daher, wie das unmittelbare zum reflektierten Bewusstsein übergegangen und der ‚unbefangene Glaube‘ in die Diremtion zwischen dem glaubenden Bewusstsein und dem Objekt des Glaubens getreten ist, die nun wiederum die weitere Entwicklung des religiösen Bewusstseins begründet. Die Notwendigkeit des Übergangs vom ‚unbefangenen Glauben‘ in etwas anderes wird von Erdmann also nicht durch ein dem Glauben externes Anderes, sondern als aus ihm selbst kommend begründet – oder mit Erdmanns Worten: „Diese Nothwendigkeit kann bloß dadurch erkannt werden, daß man…in dem unbefangnen Glauben schon etwas Anderes als Keim findet“³²⁶. In diesem Punkt stimmt Kierkegaards Interpretation mit der Position Erdmanns überein.³²⁷ Dagegen hat die Deutung (der Rolle) der kritischen Vernunft als einem durch den eigenen Übergang zum spekulativen Wissen bedingten Zweifel am Glauben keinen Anhalt bei Erdmann. Deutlich ist aber, dass auch für Kierkegaard das spekulative Wissen dann nicht als schlichte Rückkehr zur ursprünglichen Position zu verstehen ist (Erdmann spricht ja von der Rückkehr zum ‚unbefangenen Glauben‘ in der Sphäre des Wissens und damit sozusagen „in der zweiten Potenz“³²⁸), sondern als der dialektische Prozess einer Negation der Negation, in der sowohl die unmittelbare Position (Glaube) wie deren Negation (Naturalismus) als Momente einer Totalität aufgehoben sind. Kierkegaards (indirekte) Gleichsetzung von Glaube und Unmittelbarem bei der Interpretation der Position Erdmanns in Not4:43 gibt jedoch Anlass zur Frage, ob Erdmann nicht einer der ‚hegelschen Dogmatiker‘ sein könnte, die, wie Kier-
Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 43. Vgl. dagegen Bitter, „Erdmann: Appropriation and Criticism“, S. 94 f., demzufolge Kierkegaard in der Aufzeichnung Not4:43 „projects the coexistence of faith and doubt back onto the beginning of the entire development of consciousness“ (S. 94). Nach Kierkegaards Dafürhalten verstehe Erdmann „the beginning as an immediacy, which is not just that of faith on its own, but which already carries in it the germ of the eccentricity of a priori reason vis-à-vis faith“ (ibid.). Damit aber werde Kierkegaard, dessen Missdeutung der Position Erdmanns in jener von ihm – nicht durch einen „lapsus calami“, sondern durch „aberratio oculi“ (S. 93) – missverstandenen Stelle aus Erdmanns 21. Vorlesung gründe, der Intention Erdmanns nicht gerecht: „Erdmann tried to define the beginning [scil. of the development of the religious consciousness] more precisely…in order to distinguish what is distinctly Christian from an immediacy, in which there would be space for something other than the naive faith in the reconciliation, which has come about“ (S. 94 f.). Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 275.
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kegaard in der Aufzeichnung Papir 92 kritisiert, unter ‚Glaube‘ im Grunde nur ‚das erste Unmittelbare‘ verstehen (siehe Kapitel 2.3). Als das unmittelbare Bewusstsein der Versöhnung ist der Glaube für Erdmann diejenige „Weise des religiösen Bewußtseyns“³²⁹, in der dem Menschen sein Versöhntsein mit Gott zuerst zu Bewusstsein kommt. Die Unmittelbarkeit dieses ‚unbefangenen Glaubens‘ besteht für Erdmann also in der Art und Weise, wie sich der Mensch der Versöhnung bewusst ist: er weiß von ihr auf ganz unmittelbare Weise.³³⁰ Indem der ‚unbefangene Glaube‘ damit aber den Anfangspunkt der Untersuchung bildet, kann Erdmann, da „der Anfang immer das Unmittelbare“³³¹ sei, von dieser ersten Stufe des religiösen Bewusstseins auch als „Stufe der Unmittelbarkeit“³³² sprechen. Auch wenn Erdmann ‚Glaube‘ nicht einfach mit dem Unmittelbaren gleichsetzt, ist es – unter der Voraussetzung, dass Papir 92 nach Anfang November 1837 entstanden ist – also durchaus möglich, dass Kierkegaard auch Erdmann im Blick gehabt hat.³³³ Dass Kierkegaard durch Erdmanns Darstellung des ‚unbefangenen Glaubens‘ in einem bestimmten Punkt, und zwar im Hinblick auf seine Überzeugung vom apriorischen Charakter des Glaubens, aber durchaus eine positive Beeinflussung erfahren hat, wird in Kapitel 2.4.3 zu zeigen sein.
2.4.2.3 Fazit zu Not4:41 – 43 Die Untersuchung der Aufzeichnungen Not4:41– 43 hat gezeigt, dass die von Kierkegaard zuvor in der Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte zum Ausdruck gebrachte Überzeugung von der radikalen Neuheit des Christentums gegenüber der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung auch den Hintergrund seiner Kritik an Erdmann bildet. Erdmann habe die notwendige Grenzziehung zwischen allgemein menschlicher und christlicher Erfahrung nur unzureichend durchgeführt. Das „Christentum mit seiner eigenartigen Erfahrungswirkung“³³⁴ kann für Kierkegaard eben nicht einfach in demselben Sinne wie jedes andere Faktum einer ‚apriorischen Beurteilung‘ unterworfen werden. In seiner wesentlichen Bezogenheit auf die Inkarnation Gottes in Jesus Ibid., S. 27. Vgl. ibid., S. 27, S. 36 und S. 42. Ibid., S. 27; vgl. auch S. 25 f.: „Ein jeder Anfang ist etwas Unmittelbares, und es liegt so sehr im Begriff des Anfangs, ein Unmittelbares zu seyn, daß auch das, was sonst ein Vermitteltes ist, sofern es Anfang ist, den Charakter der Unmittelbarkeit hat.“ Ibid., S. 43. Vgl. hierzu bereits Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 3, 1927, S. [111] (Anm. 20,2) (Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 264 (Anm. 1)). Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken, S. 29.
2.4 Erdmann
211
Christus ist das Christentum auf ein bestimmtes geschichtliches Faktum als Grund bezogen, durch das es und die darauf fußende Tradition einer Rubrizierung in den allgemeingeschichtlichen Zusammenhang sozusagen von Grund auf entzogen bleiben. Diese geschichtliche Grundtatsache des Christentums kann daher auch Erdmanns ‚begreifender Betrachtung‘ des religiösen Bewusstseins als NachDenken seiner eigenen dialektischen Entwicklung nur unbegreiflich sein – cur deus homo? Erdmanns Ausführungen über das empirische Wissen mögen als Darstellung des ‚heidnischen Selbstbewusstseins‘ zutreffend sein. Als Charakterisierung des christlichen Glaubens im eminenten Sinne können sie nicht gelten. Gleichwohl wäre es eine zu große Vereinfachung, würde man aus Kierkegaards Kritik an Erdmanns Übergang von den Entwicklungsstufen des religiösen Bewusstseins im Bereich des Glaubens zu denen im Bereich des Wissens, dass dabei unbegründeterweise das persönliche Ich durch eine unpersönliche Vernunft substituiert worden sei, die Folgerung ziehen, Kierkegaard hätte eben damit auch den Übergang Erdmanns vom Glauben zum Wissen als solchen kritisiert. Dies aber macht Hirsch, wenn er die Kritik Kierkegaards dahingehend fasst, „den Übergang Erdmanns vom Glauben zum Wissen als eine logische Erschleichung“³³⁵ anzusehen. Auch Hirschs Interpretation jener in das Exzerpt aus der 8. Vorlesung eingefügten kritischen Anmerkung Kierkegaards³³⁶ ist ungenau. Hirsch zufolge sieht Kierkegaard „den Übergang zwischen den einzelnen Gestalten des Glaubens als in der ‚Inkommensurabilität des Lebens‘ liegend an und meint darum, als solcher bliebe er der ‚abstrakten durch notwendige Gedankenknoten sich bewegenden Dialektik‘ unzugänglich“³³⁷. Tatsächlich aber spricht Kierkegaard nicht davon, dass der in der ‚Inkommensurabilität des Lebens‘ liegende Übergang der Dialektik unzugänglich bleibe, sondern davon, dass dieser Übergang die ‚Inkommensurabilität des Lebens‘ zu involvieren scheine und diese der Dialektik unzugänglich bleibe, weshalb Erdmanns ‚dialektische Bewegung‘ nur schwer eingesehen werden könne.
Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 534. Hirsch begründet jene von ihm Kierkegaard unterstellte Kritik an Erdmann dabei folgendermaßen: „der Übergang hätte innerhalb des einzelnen Ich bleiben müssen und nur zu zeigen gehabt, wie dem einzelnen Ich seine innere Verwandtschaft mit dem Objektiven aufgeht; indem als Grund dafür die ewige Konzentrizität beider aufgewiesen wäre, hätte sich der Gang dieses einzelnen Ich hin zum ewigen Subjekt-Objekt zeigen lassen, welches alle endlichen Subjekt-Objekte unter sich befaßt. Das ist die Umdenkung des Hegelianismus von den Voraussetzungen einer streng personalistischen Anschauung aus, und bedeutet, daß an die Stelle des über den Glauben sich erhebenden Wissens das Wissen im Glauben tritt“ (S. 534 f.). So aber wird Kierkegaards tatsächliche Argumentation verzerrt. SKS 19, 148, Not4:20.1 / DSKE 3, 157; vgl. oben S. 204 f. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 534.
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Neben dieser prinzipiellen Kritik an Erdmanns Darstellung, die beiden durch einen ‚klaffenden Abgrund‘ geschiedenen Ebenen der dialektischen Gedankenbewegung und der geschichtlichen Wirklichkeit unzulässigerweise miteinander zu verknüpfen, ist es vor allem die damit einhergehende Kritik Kierkegaards an Erdmanns Nichtbeachtung der besonderen Geschichtlichkeit des Christentums, die für diese Untersuchung von wesentlicher Bedeutung ist. Erdmanns spekulative Betrachtungsweise sieht sozusagen am Wesentlichen des Christentums und des christlichen Glaubens vorbei. Die später von Kierkegaard insbesondere in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) erhobenen grundsätzlichen Einwände gegen eine die Eigentümlichkeit des Christentums nivellierende Spekulation sind in dieser Auseinandersetzung des jungen Kierkegaard mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen bereits in nuce angelegt.³³⁸ Dass diese Wiederaufnahme und Weiterführung der Fichte-Kritik aber nicht nur die radikale Neuheit des Christentums gegenüber der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung, sondern gleichermaßen die damit verbundene Überzeugung von der radikalen Neuheit auch des im Christentum sich aussprechenden Bewusstseins betrifft, zeigt die Aufzeichnung Not4:44 vom 4. Dezember 1837.
2.4.2.4 Not4:44 In der Aufzeichnung Not4:44 bezieht sich Kierkegaard auf Erdmanns kritische Darstellung des Supranaturalismus und Rationalismus in der 23. Vorlesung („Die transscendentale Kritik. Das System des Nichtwissens. Der Supranaturalismus und Rationalismus“³³⁹), die wie folgt zusammengefasst werden kann: Der Supranaturalismus gehe davon aus, dass die Vernunft – sei es aufgrund ihrer Verderbnis durch die Sünde, sei es ursprünglich – unfähig sei, Gott und die Wahrheit zu erkennen. Diese dem Wissen verborgene Wahrheit müsse mit dem Glauben von einer besonderen Offenbarung empfangen werden, welche etwas anderes sei als die allen Menschen ursprünglich gegebene Vernunfterkenntnis. Die nicht durch die Vernunft gefundene, sondern lediglich angenommene Wahrheit könne daher nicht bewiesen werden – „sie bedarf aber der Beweise auch nicht, weil die Zweifel des Verstandes auf diesem Gebiet, das über den Verstand hinausreicht, keine Autorität mehr haben.“³⁴⁰ Auf eine kurze Formel gebracht könne der Su-
Vgl. vor allem SKS 7, 54– 61 / AUN1, 46 – 54; SKS 7, 195 / AUN1, 204; SKS 7, 201 / AUN1, 212; SKS 7, 247 f. / AUN1, 267 f.; SKS 7, 341 / AUN2, 79. In diesem Punkt stimme ich Hirsch, KierkegaardStudien, S. 536 zu. Vgl. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 209 – 228. Ibid. S. 216.
2.4 Erdmann
213
pranaturalismus daher als „Dogmatismus…gepfropft auf den Standpunkt des Nichtwissens“³⁴¹ bestimmt werden. Wenn nun aber Repräsentanten des supranaturalistischen Standpunktes diesen als Anknüpfung an den durch Kant geltend gemachten Standpunkt des Nichtwissens betrachteten, verkennten sie, dass „der Sinn des kantischen Resultats“ gerade der sei, dass man „überhaupt keine theoretische Kenntniß (nenne man sie nun Wissen oder Glauben) vom Uebersinnlichen“³⁴² habe. Der Supranaturalismus als Zusammenschmelzen zweier wesentlich verschiedener Bestandteile komme deshalb „nothwendig mit sich selber in Widerspruch…,weil dieses eine Ingrediens (das Nichtwissen) der Art ist, daß es jedes Percipiren der Wahrheit unmöglich macht. Göschel hat es daher unwiderleglich schön zeigen können in seinen Aphorismen, daß das Nichtwissen consequenter Weise im Nichtglauben endige.“³⁴³ Dagegen gehe der Rationalismus davon aus, dass die Vernunft zwar auf die Notwendigkeit komme, „das Daseyn eines Uebersinnlichen anzuerkennen“³⁴⁴, sie dessen Wesen aber nicht erkennen könne, weshalb sie diesbezüglich auf den Glauben angewiesen sei. Auch wenn unter Glauben von den einzelnen Rationalisten durchaus Unterschiedliches verstanden werde, sei den verschiedenen Ausprägungen des Rationalismus doch einerseits die Behauptung gemeinsam, dass die Erforschung des Übersinnlichen in leere Spekulationen führe, andererseits die Polemik gegen alles Übernatürliche. Kurz gefasst könne Rationalismus somit als „Nihilismus…gepfropft auf den Standpunkt des Nichtwissens“³⁴⁵ bestimmt werden. Auch bei den Rationalisten sei es „allgemein Mode, sich auf Kant zu berufen“³⁴⁶, weshalb der Rationalismus an demselben Widerspruch wie der Supranaturalismus leide, nämlich aus zwei sich einander ausschließenden Bestandteilen zusammengesetzt zu sein.
Kierkegaard sieht sich bei Erdmanns Darstellung des Supranaturalismus erneut mit einer „Schwierigkeit“ konfrontiert. Es sei zwar sicher richtig, dass, wenn Kant gezeigt habe, „dass es kein theoretisches Wissen [scil. vom Übersinnlichen]“³⁴⁷
Ibid. Ibid., S. 217 (vgl. hierzu unten Anm. 347); vgl. S. 215: „Nicht erkennbar seyn heißt bei Kant verschlossen seyn; ist daher das Gebiet der Wahrheit nicht dem Wissen zugänglich, so ist es auch dem Glauben verschlossen.“ Ibid., S. 218. Erdmann bezieht sich hier (ohne Stellenangabe) auf Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenserkenntniß. Ein Beytrag zum Verständnisse der Philosophie unserer Zeit. Von Carl Friedrich G…..l [Göschel], Berlin 1829. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 218. Ibid., S. 219. Ibid. SKS 19, 167, Not4:44 / DSKE 3, 177. Dass es sich hier und beim folgenden Zitat um die von Kant bestrittene theoretische Kenntnis vom Übersinnlichen handelt, geht unzweifelhaft aus dem Kontext bei Erdmann hervor, vgl. Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 217. Ohne (gedankliche) Berücksichtigung ihres Kontextes bliebe diese Stelle unverständlich: denn in welcher Hinsicht hätte Kant dann gezeigt, „dass es kein theoretisches Wissen gibt“ [at der ikke gives nogen theoretisk Viden]? Oder soll dies etwa absolut verstanden werden? Und inwiefern wäre dann „die ganze Sphäre in ihm [etwa im theoretischen Nichtwissen?] dem menschlichen Bewusstsein an sich verschlossen“ [den hele Sphære i den an sich er lukket for den msklige Bevidsthed] und könnte „folglich…auch nicht durch das Bewusstsein in den Menschen“ [alt-
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gebe, dies offenbar bedeute, „dass die ganze Sphäre in ihm dem menschlichen Bewusstsein an sich verschlossen ist, und folglich kommt es auch nicht durch das Bewusstsein in den Menschen“³⁴⁸. Göschel möge daher gern zugestanden werden, „dass das Nicht-Wissen konsequenterweise im Nicht-Glauben endet. – aber deshalb meint auch der Supranaturalist, dass eine totale Veränderung mit dem Bewusstsein vorgehen muss, [dass] eine Entwicklung ganz von vorn und in der Idee ebenso ewig wie die erste beginnen muss.“³⁴⁹ Daher sei es sicherlich ein Fehler des Supranaturalismus, seinen Glauben an Kants Nichtwissen zu knüpfen, da von diesem nur Nichtglauben kommen könne – „und der supranaturalistische Glaube ist gerade ein neues Bewusstsein.“³⁵⁰ Der Fehler zeige sich deshalb noch deutlicher im Rationalismus, der „innerhalb der Grenzen desselben Bewusstseins“³⁵¹ bleibe und nicht bemerke, dass, wenn das Nichtwissen in der kantischen Bedeutung zugestanden werde, „er niemals Glauben (in seinem Sinne) innerhalb desselben Bewusstseins haben kann, und dass das einzige Mittel, um auf diese Weise zum Glauben zu kommen, eine tiefere Untersuchung des Wesens des Bewusstseins ist.“³⁵² Kierkegaard stimmt Erdmann also darin zu, dass eine Anknüpfung des Glaubens an das kantische Nichtwissen, wie sie vom Supranaturalismus nach Erdmanns Darstellung vollzogen wird, ein Fehler ist.Wenn Kant gezeigt habe, dass saa…hell. ikke ind i Msk. gjenem Bevidstheden] kommen? Ein Hinweis auf diesen Kontext bei Erdmann findet sich aber weder bei Hirsch (der diese Problematik umgeht, indem er Kierkegaards Argumentation so wiedergibt: „Er [scil. Kierkegaard] gibt zu, daß die Aufpfropfung auf das kantische Nichtwissen…falsch ist; denn wovon es kein Wissen gibt, das ist dem menschlichen Bewußtsein überhaupt verschlossen, kann also auch nicht im Glauben sein“; KierkegaardStudien, S. 535) noch bei Thulstrup (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 102– 105) noch bei Bitter („Erdmann: Appropriation and Criticism“, S. 92– 95). Wie unverständlich diese Stelle ohne Berücksichtigung ihres Kontextes bei Erdmann erscheinen muss, lässt sich auch an den beiden englischen Übersetzungen dieser Stelle beobachten, und zwar einerseits JP 2, 2252 („if there is no theoretical knowledge, then this obviously means that the entire sphere of the an sich is excluded from human consciousness and therefore never comes to man through consciousness either“; meine Hervorhebung), andererseits KJN 3, 164 („if K[ant] has shown that there is no theoretical knowledge, this obviously would mean that the whole sphere is an sich closed to hum. consciousness and thus neither does it enter into a hum[an] being through consciousness“; meine Hervorhebung). SKS 19, 167, Not4:44 / DSKE 3, 177 (dt. Übers. modifiziert; „an sich“ bei Kierkegaard deutsch). Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Ibid. SKS 19, 167, Not4:44 / DSKE 3, 177 f. (dt. Übers. modifiziert); die Klammern um „in seinem Sinne“ [i sin Forstand] (d. h. nach dem Verständnis des Rationalismus) wurden von mir zum besseren Verständnis hinzugefügt.
2.4 Erdmann
215
die Sphäre des Übersinnlichen dem menschlichen Bewusstsein überhaupt (‚an sich‘) verschlossen sei, dann müsse das, was nicht dem Wissen zugänglich sei, auch dem Glauben verschlossen sein. Das Nichtwissen könne nur zum Nichtglauben führen. Der Supranaturalismus kann für Kierkegaard daher nicht mit der kantischen Lehre in Übereinstimmung gebracht werden, ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten. Interessanterweise aber setzt Kierkegaard Erdmann ein anderes Verständnis von Supranaturalismus als einem von kantischer Philosophie unabhängigen Standpunkt entgegen. Diesem supranaturalistischen Standpunkt zufolge müsse gerade eine völlige Veränderung mit dem Bewusstsein geschehen, denn dieser supranaturalistische Glaube sei eben ein ‚neues Bewusstsein‘. Auch wenn die Charakterisierung des – hier: supranaturalistischen – Glaubens als ‚neues Bewusstsein‘ in Kierkegaards Werk nur an dieser Stelle begegnet³⁵³, wird doch deutlich, dass dem Glauben damit dieselbe Eigenständigkeit und Unabhängigkeit – hier: gegenüber dem Standpunkt des Nichtwissens – zugeschrieben wird, die Kierkegaard zuvor in der Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte anhand der Unterscheidung zwischen dem ‚allgemein menschlichen unmittelbaren Bewusstsein‘ und dem Glauben als dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ des Christentums zum Ausdruck gebracht hat. Als eine völlige Veränderung des Bewusstseins in sich begreifendes ‚neues Bewusstsein‘ kann der Glaube nicht mit dem Standpunkt des Nichtwissens vermittelt (gleichsam darauf ‚gepfropft‘) werden, ohne eben dadurch den Status eines ‚neuen Bewusstseins‘ zu verlieren. Eine nähere inhaltliche Bestimmung dieser Bewusstseinsveränderung wird an dieser Stelle jedoch nicht gegeben. Wenn Hirsch deshalb in Kierkegaards Herausstellung der „tiefere[n] Meinung des Supranaturalismus“ das „Geltendmachen des Gedankens des Neuwerdens in der Gnade“³⁵⁴ sieht, hat er, mit den Worten Thulstrups gesprochen, „aus Kierkegaards kritischen Bemerkungen zu Erdmann mehr herausgelesen…, als Grund dafür ist.“³⁵⁵
Der Ausdruck „neues Bewusstsein“ [ny Bevidsthed] begegnet in Kierkegaards Werk sonst überhaupt nur noch zweimal in der Krankheit zum Tode (1849), vgl. SKS 11, 176 / KT, 61 (Das Bewusstsein habe sich in der „Verzweiflung über seine Schwachheit…zu einem neuen Bewusstsein…potenziert“) und SKS 11, 221 / KT, 109 (in der „Sünde, über seine Sünde zu verzweifeln“ habe sich die Sünde „in einem neuen Bewusstsein“ potenziert). Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 535. Hirsch meint daher sagen zu können: „Kierkegaard sieht den Glauben wohl als ein neues wunderbares Bewußtsein, aber als ein alles echt Humane in sich habendes Bewußtsein an: der Glaube ist ebenso ewig in der Idee, ebenso Wissen in sich tragend wie das erste unmittelbare Bewußtsein“ (ibid., ohne Hervorhebungen). Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 104. Zu diesem Zusammenhang vgl. auch Bitter, „Erdmann: Appropriation and Criticism“, S. 93 f., der zu Recht auf die Unhaltbarkeit, ja Unsinnigkeit von Hirschs Behauptung (vgl. Kierkegaard-Studien, S. 535) hinweist, die von Erdmann abweichende Analyse des Supranaturalismus sei die ‚Antwort‘ auf jene in Not4:42 auf-
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Kierkegaards (lediglich) formale Bestimmung des supranaturalistischen Glaubens als ‚neues Bewusstsein‘ ist für diese Untersuchung aber noch aus einem anderen Grund interessant. Im Hintergrund des von Kierkegaard im Sommer 1840 in Journal HH skizzierten ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ stand die durch eine Bemerkung Mynsters in seinem Artikel „Rationalismus. Supranaturalismus“³⁵⁶ entfachte Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik, wobei Anlass und Grund für Mynsters Artikel die Bemerkung J.A. Bornemanns³⁵⁷ war, dass in der gegenwärtigen Theologie Rationalismus und Supranaturalismus ‚veraltete Standpunkte‘ aus einer vergangenen Zeit seien. In dieser Skizze hat Kierkegaard den Standpunkt des ‚Alles ist neu in Christo‘ im Anschluss an die von Mynster in seiner Replik auf Bornemann dargestellte supranaturalistische Position charakterisiert und diesen als einen dem Standpunkt des ‚Nichts ist neu unter der Sonne‘ (als dem Standpunkt der ‚Mediation‘) überlegenen Standpunkt herausgestellt. Darauf wird in Kapitel 3.3.1 zurückzukommen sein.
2.4.3 Anknüpfung und Weiterführung (Journal DD) Im Unterschied zur in erster Linie kritischen Auseinandersetzung mit Ausführungen Erdmanns im zweiten Hauptteil (Wissen) der Vorlesungen über Glauben und Wissen in Notizbuch 4 zeugen nun aber mehrere Aufzeichnungen in Journal DD aus der Zeit der Erdmann-Lektüre von einer positiven Beeinflussung Kierkegaards durch Ausführungen im ersten Hauptteil des Buches (Glauben).³⁵⁸ So weist etwa geworfene ‚Frage‘ Kierkegaards, „wieweit ich das Christentum im selben Sinne wie jedes andere Faktum meiner apriorischen Beurteilung unterwerfen kann“ (SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 176; dt. Übers. modifiziert). Auch Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 103 stimmt Hirsch in diesem Frage-Antwort-Komplex bei. Vgl. Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“ (siehe Kap. 3, Anm. 91), S. 266 f. Siehe Kap. 3.3.1.1.1 Vgl. Bornemann, „De autonomia conscientiæ sui humanæ“ (siehe Kap. 3, Anm. 93), S. 3. Zur positiven Beeinflussung Kierkegaards durch Erdmann vgl. abgesehen von den im Folgenden behandelten Stellen auch SKS 1, 33,16 – 17 / LP, 64 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 39 (vgl. hierzu unten Anm. 410); SKS 1, 324,8 – 11 / BI, 295 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 86; SKS 19, 209, Not7:10 / DSKE 3, 223 und SKS 2, 28,11– 13 / EO1, 20 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 72 (siehe Kap. 3.3.2.1) sowie SKS 23, 58, NB15:83 / T 4, 98 zusammen mit SKS 19, 169,28 – 36, Not4:45 / DSKE 3, 179 f. Auch Kierkegaards (gegenüber Papir 92) veränderte Beurteilung der Schleiermacherschen Frömmigkeitstheorie in SKS 17, 249, DD:86 / DSKE 1, 215 (7. Dezember 1837) verdankte sich vermutlich seiner Beschäftigung mit Erdmann, vgl. hierzu Kap. 1, S. 87 f.
2.4 Erdmann
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im ersten Teil der Journalaufzeichnung DD:81 vom 9. November 1837 die Bemerkung über die Ironie – dass sich ihr momentanes Befreien von einer neuen Abhängigkeit von der anderen Seite betrachtet gerade als ihre totale Abhängigkeit erweise – eine deutliche Nähe zu Erdmanns Rekapitulation der 10.Vorlesung über die ‚religiöse Ironie‘ zu Beginn der 11. Vorlesung auf.³⁵⁹ Im zweiten Teil von DD:81 verweist Kierkegaard dann explizit und zustimmend auf Erdmanns Bestimmung der ‚religiösen Ironie‘ und deren Unterscheidung vom ‚Unglauben‘: während Erstere noch an ein Objekt als Gegenüber gebunden sei, wolle Letzterer seine Wahrheit gerade in der Negierung eines jeden Glaubensobjektes finden.³⁶⁰ Für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse ist jedoch die Journalaufzeichnung DD:79 vom 6. November 1837, in der Kierkegaard den apriorischen Charakter des Glaubens thematisiert. Bereits in der in Kapitel 1.6 untersuchten Aufzeichnung Papir 81:1 von der Jahreswende 1836/37 bestimmte Kierkegaard den Glauben („nach dem protestantischen Lehrbegriff“) als „die apriorische Sicherheit, vor welcher alle Empirie des Tuns verschwindet.“³⁶¹ In DD:79 wird nun dieser apriorische Charakter des Glaubens in einem für unseren Zusammenhang entscheidenden Punkt näher bestimmt: „Das Apriorische des Glaubens, das über allem Aposteriori des Tuns schwebt, ist so schön in den Worten ausgedrückt: Ich weiß, dass nichts in der Welt – Fürstentümer etc. mich Christus Jesus unserem Herrn entreißen kann. Wo sein Glaube ihn auf einen über alle Empirie erhabenen Felsen stellt, während er doch andererseits unmöglich diese ganze hier erwähnte Empirie durchlebt haben kann.“³⁶²
Vgl. SKS 17, 248,5 – 9, DD:81 / DSKE 1, 214,5 – 10 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 88 f., sowie S. 95 die analoge Argumentation zum Umschlagen des religiösen Zweifels zurück zum dogmatischen Aberglauben. Vgl. SKS 17, 248,11– 15, DD:81 / DSKE 1, 214,12– 17 sowie SKS 17, 248, DD:83 / DSKE 1, 214 (15. November 1837) zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 80 – 94; vgl. hierzu ferner Markus Kleinert, „Leere und Fülle. Möglichkeiten der Läuterung bei Hegel und Kierkegaard“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 168 – 188, hier S. 181. SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50 (meine Übers.). SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213 (dt. Übers. modifiziert). Dass diese Apriorität des Glaubens aber nicht unabhängig von der Sinneserfahrung zustandekommt, macht Kierkegaard kurze Zeit später in der Journalaufzeichnung DD:82 vom 15. November 1837 deutlich: „Die historische Antizipation des christlichen Credo ut intelligam wie auch der diesem korrespondierende Standpunkt im rein humanen Bewusstsein ist das alte Nihil est in intellectu quod non antea fuerit in sensu“ (SKS 17, 248, DD:82 / DSKE 1, 214; dt. Übers. modifiziert). Krichbaum hebt – im Anschluss an Perkins und Schulz – hervor, dass Kierkegaards Erkenntistheorie „damit eine gewisse Nähe zum Empirismus“ aufweist, ohne jedoch „auf eine rein empiristische Auffassung des Erkennens hinauszulaufen“ (Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 206).
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Der apriorische Charakter des Glaubens wird von Kierkegaard also durch den Hinweis auf die von Paulus in Röm 8,38 f. ausgesprochene Glaubensgewissheit als „apriorische[r] Vorwegnahme des Bestehens aller künftigen Erfahrung“³⁶³ konkretisiert. Allen gegenteiligen Erfahrungen (in) der diesseitigen Welt zum Trotz antizipiert der Glaube eine eschatische Wirklichkeit, die, obwohl ihre volle Verwirklichung noch aussteht, im Glauben das wird, was sie schon ist: die Gemeinschaft mit Christus. Diese Wirklichkeit ist im Glauben bereits gegenwärtig, auch wenn sie in dieser Welt immer zugleich noch im Werden begriffen ist. Damit ist im Prinzip die Position erreicht, die Kierkegaards Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Wirklichkeit in seiner Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) kennzeichnet (siehe Kap. 3.4.2.), wobei zu bemerken ist, dass Kierkegaard die am Ende von DD:79 stehende Aussage, Paulus könne „unmöglich diese ganze hier [scil. in Röm 8,38 f.] erwähnte Empirie durchlebt haben“, gut sechseinhalb Jahre später in der erbaulichen Rede über „Die Erwartung einer ewigen Seligkeit“ (1844)³⁶⁴ insofern revidieren sollte, als er dort ausführlich darstellt, „wie Paulus mit Hilfe des Glaubens-Apriori die Erfahrung durchlebt hat“³⁶⁵. Was könnte Kierkegaard in DD:79 zur Konkretisierung des apriorischen Charakters des Glaubens durch den erstmals in seinem Werk von ihm selbst angeführten Hinweis auf die paulinische Glaubensgewissheit in Röm 8,38 f.³⁶⁶ bewogen haben? Die nähere Untersuchung macht es wahrscheinlich, dass es Kierkegaards Beschäftigung mit Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen gewesen ist – und zwar genauer: mit der Darstellung des ‚unbefangenen Glaubens‘ in Erdmanns dritter Vorlesung.³⁶⁷ Wie in Kapitel 2.4.1 dargestellt, ist es bei diesem So Gerdes in Anm. 424 zu Pap. II A 191 [SKS 17, 248, DD:80 / DSKE 1, 214] in T 1, 384. SKS 5, 250 – 268 / 3R44, 163 – 184. Ringleben, Aneignung, S. 430. Vgl. vor allem SKS 5, 257,19 – 259,33 / 3R44, 171– 174, zusammen mit den Bemerkungen von Hermann Deuser, „Die Inkommensurabilität des Kontingenten. Zwei Reden Kierkegaards: Über Besorgnis und Ewigkeit“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2000, S. 163 – 190, besonders S. 186 [wiederabgedruckt in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 149 – 177, besonders S. 173]. Abgesehen von DD:79 und der Kernstelle der Erstlingsschrift (SKS 1, 32,16 – 19 / LP, 63; siehe Kap. 2.5.1) bezieht sich der junge Kierkegaard auf Röm 8,38 f. noch in SKS 19, 185, Not5:20 / DSKE 3, 195 (1840; siehe Kap. 3.3.2.3), SKS 19, 216, Not7:43 / DSKE 3, 231 (1840; siehe S. 322), im Homilieentwurf SKS 18, 141, HH:32 / DSKE 2, 146 (1840/41; siehe S. 322) sowie möglicherweise auch in SKS 1, 135,31 f. / BI, 80. Vgl. ferner bereits in Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) SKS 19, 17,14, Not1:5 / DSKE 3, 14,15 (§ 14); SKS 19, 25,8, Not1:6 / DSKE 3, 22,18 (§ 25). Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 22– 35 („Begriff der Religion als Anfangspunkt der Untersuchung; A. Religion im subjectiven Sinne (Glaube)“); vgl. hierzu Kierkegaards Exzerpt aus dieser Vorlesung in SKS 19, 146, Not4:15 / DSKE 3, 154 (vgl. Kap. 3, Anm. 216).
2.4 Erdmann
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‚unbefangenen Glauben‘ noch zu keiner Ausdifferenzierung zwischen dem Bewusstsein und dem Glauben als Gegenstand des Bewusstseins gekommen. Der Mensch weiß in dieser „Weise des religiösen Bewußtseyns“, bei der jeder Zweifel und alle Reflexion (noch) abwesend sind,von seiner Versöhnung mit Gott auf ganz unmittelbare Weise: „Er weiß von ihr, nicht weil er etwa Gründe anführen kann, sondern er weiß davon, weil er einmal weiß, d. h. auf ganz unmittelbare Weise. Würde er erst Reflexionen darüber anstellen und sich sagen, warum er dessen so gewiß sey und woher er dies wisse, so wäre seine Gewißheit eine vermittelte, itzt ist sie einmal sein.“³⁶⁸ Bemerkenswerterweise konkretisiert Erdmann im Anschluss daran dieses zweifelsfreie Sich-eins-Wissen mit Gott ebenfalls durch den Hinweis auf die paulinische Glaubensgewissheit in Röm 8,38 f. („Wenn der Apostel etwa sagt: Ich weiß, daß nichts mich scheiden kann von der Gnade Gottes“³⁶⁹), deren verkürzte Paraphrase zu Beginn dieselbe Abweichung (‚wissen‘ versus ‚gewiss sein‘) vom Lutherschen Wortlaut („Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben“³⁷⁰) zeigt, wie Kierkegaards Paraphrase dieser Bibelstelle in DD:79 („Ich weiß, dass nichts in der Welt [Jeg veed at Intet i Verden]“) von der autorisierten dänischen Übersetzung des Neuen Testaments von 1819 („Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben [Thi jeg er vis paa, at hverken Død, ei heller Liv]“³⁷¹). Damit ist zwar nicht zweifelsfrei bewiesen, aber eben doch wahrscheinlich gemacht, dass Kierkegaard – aller Kritik an Erdmann zum Trotz – in diesem wichtigen Aspekt seines Glau-
Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 27. Die Anmerkung SKS 19, 148, Not4:20.1 / DSKE 3, 157 zum Exzerpt aus Erdmanns 8. Vorlesung (SKS 19, 148, Not4:20 / DSKE 3, 156 f.) trägt das Datum vom 7. November 1837, weshalb eine Beeinflussung Kierkegaards in der am 6. November niedergeschriebenen Aufzeichnung DD:79 durch Erdmanns Darstellung des ‚unbefangenen Glaubens‘ in der 3. Vorlesung auch zeitlich plausibel scheint. Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 27; vgl. auch S. 32: „Dieses nennen wir ein unmittelbares oder unbefangenes [scil. Bewusstsein der Versöhnung mit Gott], wo es noch durch keinen Zweifel, wie durch keine Reflexion ein ganz einfaches Bewußtseyn ist, das nichts weiter in sich enthält, als die eine Gewißheit: Ich bin selig, ich weiß, daß nichts mich scheiden kann von der Gnade Gottes.“ So übrigens auch in der bereits vom jungen Kierkegaard gelegentlich herangezogenen (vgl. z. B. Kap. 3, Anm. 633) Karlsruher Bibelausgabe Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments, nach der deutschen Uebersetzung D. Martin Luthers. Mit einer Vorrede vom Prälaten Dr. Hüffell, Carlsruhe und Leipzig 1836 (ktl. 3). Kierkegaard war diese unter anderem von Friedrich Münter besorgte Revision des Neuen Testaments (NT-1819) in seiner Bibelausgabe Biblia, det er: den ganske Hellige Skrifts Bøger, med Flid efterseete og rettede efter Grundtexten, saa og med mange Parallelsteder og udførlige Indholdsfortegnelser forsynede, 18. Aufl., Kopenhagen 1830 (ktl. 7) zugänglich; vgl. auch ktl. A I 4.
220
2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
bensverständnisses, der Überzeugung vom apriorischen Charakter des Glaubens, eine positive Beeinflussung durch Erdmann erfahren hat.³⁷² Für die vorliegende Untersuchung ist dieser Umstand nicht zuletzt deshalb interessant, weil die in Papir 81:1 und DD:79 zur Charakterisierung des Glaubens herangezogenen Merkmale auch an der Kernstelle von Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) begegnen: bei der Bestimmung von ‚Lebensanschauung‘. Dies gilt es im Folgenden zu erörtern.
2.5 Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)³⁷³ Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden. Gegen seinen Willen herausgegeben von S. Kjerkegaard (1838)³⁷⁴ ist ein unmittelbarer literari Wenn Thulstrup behauptet, dass „Kierkegaard sich mit der ganzen Tendenz bei Erdmann prinzipiell uneinig erklären muß, der Tendenz, dem Glauben eine niedrigere Stelle als dem Wissen anzuweisen und zweitens eine kontinuierliche Fortsetzung von dem (niedrigeren) Gebiet zum (höheren) des Wissens zu behaupten“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 105), so argumentiert er vom späteren Kierkegaard her (vgl. z. B. SKS 18, 203, JJ:196 / DSKE 2, 210). In Kierkegaards Auseinandersetzung mit Erdmann ist diese Kritik nicht explizit ausgesprochen. Wie oben dargestellt, kritisiert Kierkegaard nicht den Übergang Erdmanns vom Glauben zum Wissen als solchen, sondern die dabei in seinen Augen unbegründeterweise vorgenommene Substituierung des persönlichen Ichs durch eine unpersönliche Vernunft als eine logische Erschleichung. Es ist nicht ausgemacht, dass sich (bereits) der junge Kierkegaard mit jener Tendenz bei Erdmann ‚prinzipiell uneinig erklären‘ musste. Dieser Abschnitt ist eine geringfügig überarbeitete und erweiterte Fassung meines Aufsatzes „Lebensanschauung und Glaube beim jungen Kierkegaard“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2012, S. 171– 200. Vgl. SKS 1, 7– 57 / LP, 39 – 91. Zur Frage des Verhältnisses von Autor und Herausgeber dieser Schrift und ihrer Pseudo- oder Anonymität vgl. Joseph Westfall, The Kierkegaardian Author. Authorship and Performance in Kierkegaard’s Literary and Dramatic Criticism, Berlin und New York 2007 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 15), S. 31– 74, besonders S. 31– 34 und S. 53 – 63. Die Bevorzugung der älteren Schreibweise des Familiennamens („Kjerkegaard“) bei der Angabe des Herausgebers mutet merkwürdig an, doch kann angesichts der gelegentlichen Verwendung dieser Schreibweise nicht nur von Kierkegaard selbst (vgl. Niels Jørgen Cappelørn et al., Skriftbilleder. Søren Kierkegaards journaler, notesbøger, hæfter, ark, lapper og strimler, Kopenhagen 1996, S. 40 (Nr. 24) und S. 50 (Nr. 32)), sondern auch von seinen Zeitgenossen (vgl. z. B. B&A, Bd. 1, S. 9 (Nr. XII); S. 21 (Nr. XX); SKS 28, 308, Brev 192; SKS 28, 374, Brev 248; SKS 28, 376, Brev 250; SKS 28, 431, Brev 276 (vgl. SKS 21, 11, NB6:2); SKS 28, 433, Brev 278; ferner Kommentar zu SKS 18, 52,7 (EE:147) in SKS K18, 75; Kommentar zu SKS 19, 113m,1 (Not3:14) in SKS K19, 165 und Kommentar zu SKS 28, 29,18 (Brev 12) in SKS K28, 82) m. E. nur mit Vorbehalt von einem fiktiven Herausgeber gesprochen werden. Zu den vielen, allesamt nicht stichhaltigen bisherigen Deutungsversuchen des enigmatischen Titels der Erstlingsschrift vgl. Jørgen Bonde Jensen, „Af en endnu Levendes Papirer. Titlen på Søren Kierkegaards papir om H.C. Andersen“,
2.5 Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)
221
scher Niederschlag seiner philosophischen Vertiefung. Die Entstehungsgeschichte dieser am 7. September 1838 in Kommission bei C.A. Reitzel in Kopenhagen erschienenen Schrift, die ursprünglich als Beitrag für die zweite Nummer von Heibergs Zeitschrift Perseus gedacht war³⁷⁵, liegt im Dunkel, da kein Manuskriptmaterial erhalten ist und sich auch in Kierkegaards Nachlass kein direkter Hinweis auf die Zeit der Ausarbeitung findet. Da jedoch von Ende April 1838 an die Häufigkeit seiner Journalaufzeichnungen merklich abnimmt und erst Mitte Juli wieder steigt, ist die Ausarbeitung wohl hauptsächlich in der Zeit von Ende April bis Mitte Juli 1838 erfolgt.³⁷⁶
in Hindsgavl Rapport. Litteraturteori i praksis, hg. von Thomas Bredsdorff und Finn Hauberg Mortensen, Odense 1995 (Odense University Literary and Cultural Studies, Bd. 4), S. 161– 176 und S. 343 – 345; Westfall, The Kierkegaardian Author, S. 46 – 53 sowie Exkurs 1, Anm. 76. Ein Beispiel instar omnium: Hirsch sieht im Hintergrund des Titels die religiöse Schwermut von Kierkegaards Vater und dessen Tod am 9. August 1838. Der Glaube des Vaters daran, „daß das Geschlecht der Kierkegaard dem zeitlichen Verderben und dem Tode geweiht sei“ (LP, 175 (Anm. 28)), habe sich im Frühjahr 1838 auf den Sohn übertragen, der dann wider Erwarten am 5. Mai seinen 25. Geburtstag erleben und wenig später seinen Vater überleben sollte. „Es ist also dem jungen Kierkegaard, der nunmehr zum christlichen Glauben heimgefunden hat, aber irgend einen Sinn seines irdischen Lebens nicht sieht, ein wunderliches Ding, daß er noch lebt und sogar ein Buch herausgibt. Wider den Willen des gleichsam schon der Ewigkeit zugehörenden eigenen wahren Menschen, der er ist, gibt Kierkegaard die Schrift also insofern heraus, als er dem ganzen literarischen Getriebe wie ein Fremder mit einem mißbilligenden Nein gegenübersteht“ (LP, 176 (Anm. 28)). Eine solche biographische Deutung des Titels steht und fällt aber mit der Bewertung des Umstandes, dass sich der Titel wortwörtlich auch auf der in SKS K17, 359 (Ms. 2) mit „[1a]“ bezeichneten (und von – wie ich meine – H.P. Barfod mit Graphit- oder Bleistift mit „β“ (vgl. KA, B pk. 2) gekennzeichneten) Seite des ersten unpaginierten losen Blattes von Kierkegaards Dramenentwurf „Der Streit zwischen dem alten und dem neuen Seifenkeller“ (SKS 17, 280 – 297, DD:208 / DSKE 1, 252– 272, hier SKS 17, 280, DD:208 / DSKE 1, 252) findet, den er irgendwann in der Zeit zwischen Frühjahr 1837 und Frühjahr 1838 ausgearbeitet hat (vgl. Exkurs 1, Anm. 45). Wenn Kierkegaard nun aber bereits längere Zeit vor Mai 1838 jenen Titel als Titel(teil) der Seifenkellerschrift erwogen hat, dann ist Hirschs Deutung die argumentative Grundlage entzogen. Hirsch selbst nimmt als Abfassungszeit der Seifenkellerschrift „Winter 1838/39“ (Kierkegaard-Studien, S. 557) bzw. „gleich nach Oktober 1838“ (S. 558 (Anm.)) an, also in jedem Fall nach der Veröffentlichung der Erstlingsschrift. Kierkegaard habe auf dem besagten Blatt einen neuen Titel für die Seifenkellerschrift erwogen, „nachdem die tastende Aufnahme einer Idee von 1836 [SKS 27, 143, Papir 170 / T 1, 81 (Pap. I A 220)] sich als untunlich erwiesen hatte“ (S. 558). Warum aber hätte Kierkegaard den Titel seiner kurz zuvor erschienenen Erstlingsschrift nochmals als Titel(teil) der Seifenkellerschrift verwenden wollen sollen? Vgl. hierzu Exkurs 1, S. 120 f. Vgl. SKS K1, 70 – 72. Hinsichtlich der Frage nach dem Hintergrund von Kierkegaards Erstlingsschrift ist verschiedentlich auf zwei Rezensionen Poul Martin Møllers verwiesen worden, und zwar „Om Poesie og Konst i Almindelighed, med Hensyn til alle Arter deraf, dog især Digte-, Maler-, Billedhugger- og Skuespillerkonst; eller: Foredrag over almindelig Æsthetik og Poetik. Af
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
Dr. Frederik Christian Sibbern, Professor i Philosophien. Første Deel. Kiøbenhavn. Paa Forfatterens Forlag, trykt hos Fabritius de Tengnagel. 1834.“, Dansk Literatur-Tidende for Aaret 1835, Nr. 12, S. 181– 194; Nr. 13, S. 205 – 209 (wiederabgedruckt in: Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 2, 1842, S. 105 – 126) sowie „Nye Fortællinger af Forfatteren til en Hverdagshistorie. Udgivne af Johan Ludvig Heiberg. Andet Bind: Extremerne. Kjøbenhavn. Paa Universitets-Boghandler Reitzels Forlag, trykt hos J. D. Qvist, Bog- og Nodetrykker. 1835. 223 S. 8“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 15, 1836, S. 135 – 163 (wiederabgedruckt in: Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 2, S. 126 – 157). Angesichts der zahlreichen Übereinstimmungen sowohl in wesentlichen Aussagen (nicht zuletzt in der grundsätzlich positiven Beurteilung der Alltagsgeschichten Gyllembourgs) als auch in Terminologie und Motivik (vgl. vor allem „Om Poesie og Konst i Almindelighed“, S. 186 f., S. 193 f. und S. 206 sowie „Nye Fortællinger af Forfatteren til en Hverdagshistorie“, S. 145 – 147, S. 149 f., S. 153, S. 156 und S. 161) ist eine tiefergehende Beeinflussung Kierkegaards durch seinen „geliebte[n] Lehrer“ (so Emanuel Hirsch über P.M. Møller in EO1, S. XIV im Anmerkungsteil (Anm. 187)) durchaus anzunehmen, weshalb der kurz vor der Veröffentlichung von Kierkegaards Erstlingsschrift verstorbene Møller – hätte er zu dieser Zeit noch gelebt – bei der Lektüre der Abhandlung seines Schülers „would undoubtedly have enjoyed Kierkegaard’s similar critique“ (so Finn Gredal Jensen, „Poul Martin Møller: Kierkegaard and the Confidant of Socrates“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome 1, Philosophy, Politics and Social Theory, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 101– 167, hier S. 141 f.). Vilhelm Andersen sieht hierin gar den Grund für den Titel von Kierkegaards Erstlingsschrift: „Kurz gesagt: es sind die Gedanken des kürzlich Verstorbenen, die den Inhalt der Papiere des noch Lebenden ausmachen“ (Poul Møller. Hans Liv og Skrifter. Efter trykte og utrykte Kilder. I Hundreaaret for hans Fødsel, Kopenhagen 1894, S. 395). Vgl. ferner Richard M. Summers, „Aesthetics, Ethics, and Reality: A Study of From the Papers of One Still Living“, in Early Polemical Writings, hg. von Robert L. Perkins, Macon, GA 1999 (International Kierkegaard Commentary, Bd. 1), S. 45 – 68, besonders S. 54 ff.; Johan de Mylius, „Offenbare und unsichtbare Schrift in Sören Kierkegaards Aus eines noch Lebenden Papieren“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2006, S. 22– 37, besonders S. 35 – 37; Jensen, „Poul Martin Møller“, S. 129 und S. 136 – 140 sowie, was den Einfluss von Møllers Rezensionen auf Kierkegaards Behandlung der Ironie in seiner Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) betrifft, K. Brian Söderquist, „Kierkegaard’s Contribution to the Danish Discussion of ‚Irony‘“, in Kierkegaard and His Contemporaries. The Culture of Golden Age Denmark, hg. von Jon Stewart, Berlin und New York 2003 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 10), S. 78 – 105, hier S. 90 – 95. Gleichwohl muss betont werden, dass Møller in seinen beiden Rezensionen den Begriff der Lebensanschauung jeweils nur an einer einzigen Stelle und dabei en passant gebraucht hat (und zwar „Nye Fortællinger af Forfatteren til en Hverdagshistorie“, S. 158 (Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 2, S. 152) – ich verdanke den Hinweis auf diese Stelle Markus Kleinert! – und „Om Poesie og Konst i Almindelighed“, S. 188 (Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 2, S. 113) bei der Wiedergabe der Argumentation Sibberns in dessen zweitem Vortrag). Die Behauptung W. Glyn Jones’, Møller habe in seiner Sibbern-Rezension die Theorie vertreten, „that much of Danish literature is written without a view of life as its basis“ („Søren Kierkegaard and Poul Martin Møller“, The Modern Language Review, Bd. 60, 1965, S. 73 – 82, hier S. 81), lässt sich deshalb nicht halten. Da sich überdies aber auch kein Einfluss der Argumentation Møllers auf Kierkegaards Bestimmung von ‚Lebensanschauung‘ vor allem an der Kernstelle der Erst-
2.5 Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)
223
Mit seiner Erstlingsschrift liefert der 25-jährige Kierkegaard eine beißende Kritik von Hans Christian Andersens (1805 – 75) Roman Nur ein Spielmann (1837).³⁷⁷ Der auf einer eigenen Seite zwischen Vorwort des Herausgebers und eigentlicher, anonymer Abhandlung befindliche Untertitel lautet: „Über Andersen als Romandichter, mit ständiger Rücksicht auf sein letztes Werk: ‚Nur ein Spielmann‘“³⁷⁸. Da der anonyme Kritiker als Hauptpunkt seiner Kritik an Andersen aber das Nichtvorhandensein einer „Lebens-Anschauung“³⁷⁹ [Livs-Anskuelse] ausmacht, die er für einen Romandichter wie Andersen als schlechterdings unentbehrlich betrachtet, kann er im Rahmen dieser Literaturkritik zugleich auch zentrale Fragen der Lebensanschauung erörtern. Dass der Kritiker, indem er auf der Grundlage von Andersens Romanen nicht nur Aussagen über ‚Andersen als Romandichter‘ macht, sondern zugleich Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Menschen Andersen zieht, sowohl den Titel seiner Abhandlung konterkariert als auch den Horizont seiner „ästhetischen Richtergewalt“³⁸⁰ ebenso wie die Grenzen
lingsschrift feststellen lässt, ist ein weiteres Eingehen auf Møllers Rezensionen in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, so sehr diese auch an anderen Stellen in Kierkegaards Werk ihre Spuren hinterlassen haben, vgl. z. B. „Om Poesie og Konst i Almindelighed“, S. 186 f. zusammen mit SKS 27, 125 f., Papir 113:1 / T 1, 66 (Gerdes Verweis in T 1, 368 (Anm. 155) auf Heinrich Heine entbehrt jeder Grundlage); „Om Poesie og Konst i Almindelighed“, S. 193 f. zusammen mit SKS 27, 126, Papir 113:2 / T 1, 53; vgl. ferner SKS 27, 137, Papir 145 / T 1, 73; SKS 19,99, Not3:2.a / DSKE 3, 103; SKS 2, 233,35 – 36 / EO1, 257; SKS 6, 103 / SLW, 112 (samt Kommentar zu SKS 6, 103,7 in SKS K6, 158); SKS 8, 8 / LA, [2] (samt Kommentar zu SKS 8, 8,1 in SKS K8, 48); SKS 8, 19 / LA, 14 (samt Kommentar zu SKS 8, 19,13 in SKS K8, 58) und SKS 8, 72 / LA, 79 (samt Kommentar zu SKS 8, 72,26 in SKS K8, 122). Hans Christian Andersen, Kun en Spillemand. Original Roman i tre Dele, Kopenhagen 1837 (ktl. 1503). Zum Hintergrund von Andersens Roman, mit dem ihm der große Durchbruch auch in Deutschland gelang, sowie seine Position um diese Zeit vgl. Mylius, „Offenbare und unsichtbare Schrift“, S. 23 – 27. SKS 1, 15 / LP, 46 (dt. Übers. modifiziert). Im Ordbog over det Danske Sprog, Bd. 12, 1931, Sp. 1072 (s. v. „Livs-anskuelse“) wird „Lebens-Anschauung“ bestimmt als „die (rein subjektive) Ansicht des einzelnen Menschen vom Leben“ bzw. seine (rein subjektiven) „Gedanken über das Leben, die Stellung des Menschen in der ganzen Weltentwicklung, den Zustand nach dem Tod o.Ä.“ Zur Unterscheidung zwischen „Lebens-Anschauung“ und „Lebens-Entwicklung“ [Livs-Udvikling] (letzterer Begriff begegnet in Kierkegaards Erstlingsschrift in SKS 1, 26 / LP, 56; SKS 1, 27 / LP, 57 und SKS 1, 41 / LP, 73) vgl. Sylvia Walsh, Living Poetically. Kierkegaard’s Existential Aesthetics, University Park, PA 1994, S. 31– 37. Der von Kierkegaard lediglich 15-mal in seinem Werk gebrauchte Begriff der „WeltAnschauung“ [Verdens-Anskuelse] (zum Vorkommen von ‚Lebens-Anschauung‘ vgl. unten Anm. 491) ist an mehreren Stellen nahezu deckungsgleich gebraucht (vgl. z. B. SKS 15, 94 / BÜA, 8), was nicht zuletzt auch die Rede von der „Lebens- und Welt-Anschauung“ in SKS 15, 99 / BÜA, 13; SKS 26, 167, NB32:67 und SKS 16, 22 / GWS, 33 zeigt. SKS 1, 38 / LP, 70 („æsthetiske Jurisdiction“).
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
der poetischen Wirklichkeit seiner Literaturkritik hin zur faktischen Wirklichkeit transzendiert – dies kann durchaus gegen die Ausführungen des Kritikers vorgebracht werden.³⁸¹ Für unseren Zusammenhang ist es jedoch nicht von Belang. Wichtig ist vielmehr, dass sich in der Erstlingsschrift zwei verschiedene Verwendungsweisen von ‚Lebensanschauung‘ unterscheiden lassen.³⁸² Einerseits bezeichnet dieser Begriff eine Eigenschaft des Charakters eines Menschen – hier vor allem: eines Autors. Lebensanschauung in diesem Sinne bedeutet dann gleichsam „eine die Erfahrung eines Menschen zu einer Ganzheit zusammenschließende Idee, die der bewußten Lebensgestaltung…zugrundeliegt.“³⁸³ Insofern das dichterische Werk eines Autors in wesentlicher Beziehung zu dessen Wirklichkeit und Persönlichkeit steht, „wahre Dichtung aus wahrem Leben entspringt“³⁸⁴, muss die Lebensanschauung eines Autors andererseits aber auch in seinem Werk selbst enthalten und zu finden sein.Wie eine Lebensanschauung das Leben eines Menschen in der faktischen Wirklichkeit prägen und bestimmen kann, so kann eine Lebensanschauung in diesem zweiten Sinne, nämlich als Prinzip der Einheit in einem literarischen Werk, auch in der poetischen Wirklichkeit Sinn und Orientierung geben.³⁸⁵
So vor allem Westfall, The Kierkegaardian Author, S. 34– 46, der den Kritiker der Erstlingsschrift eines „literary boundary-crossing (into factual actuality)“ (S. 42) bezichtigt. Überhaupt gehe aus der Lektüre der Abhandlung keineswegs deutlich hervor, „whether the reviewer takes H. C. Andersen to be a factually actual individual, or the poetically actual author of Only a Fiddler“ (S. 34). Vgl. dagegen Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 43, demzufolge Kierkegaard im Rahmen seiner Literaturkritik „die Gelegenheit wahrgenommen“ habe, „seine Auffassung von einer wahren Lebensanschauung zu veranschaulichen. Er konnte dies – aufgrund der Voraussetzung, daß jeder Dichter eine Lebensanschauung besitzen müsse, – erreichen, ohne die Grenzen der ‚ästhetischen Richtergewalt zu überschreiten, selbst wo er über Andersen als Mensch‘ [vgl. SKS 1, 38 / LP, 70] ein negatives Urteil fällt. Dichtung läßt den Rückschluß auf den Dichter selbst zu.“ Zu dieser Differenzierung vgl. Westfall, The Kierkegaardian Author, S. 46 f. Michael Bösch, Søren Kierkegaard: Schicksal – Angst – Freiheit, Paderborn et al. 1994 (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie, Soziologie der Religion und Ökumenik, N.F., Heft 47), S. 204. Mylius, „Offenbare und unsichtbare Schrift“, S. 29. Kierkegaard zufolge ist „das eigentliche poetische Schaffen, vor allem auf dem Gebiet von Novelle und Roman,…nichts anderes als eine volle, in eine freiere Welt sich hineinbildende und in dieser sich bewegende, reproduzierende 2. Potenz des in erster Potenz bereits auf vielfältige Weise poetisch Erlebten“ (SKS 1, 38 / LP, 70; dt. Übers. modifiziert). Dem Kritiker in der Erstlingsschrift zufolge ist eine Lebensanschauung in diesem zweiten Sinne „eigentlich die Vorsehung im Roman, sie ist dessen tiefere Einheit, die dazu führt, dass dieser den Schwerpunkt in sich selbst hat; sie befreit ihn davon, willkürlich oder absichtslos zu werden, indem die Absicht überall immanent im Kunstwerk zugegen ist“ (SKS 1, 36 / LP, 68; meine Übers.). Zu diesem Zusammenhang und den damit verbundenen Detailbeobachtungen zu
2.5 Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)
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Im Rahmen dieser Untersuchung geht es allein um die erstgenannte Verwendungsweise von Lebensanschauung zur Bezeichnung einer Eigenschaft des menschlichen Charakters, und zwar im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Lebensanschauung und Glaube. Wie am Ende des vorigen Abschnitts erwähnt, korrespondiert die Bestimmung von Lebensanschauung in Kierkegaards Erstlingsschrift in wesentlichen Merkmalen mit seiner Charakterisierung des Glaubens in den beiden früheren Aufzeichnungen Papir 81:1 und DD:79. Überdies soll die kurz vor Erscheinen der Erstlingsschrift entstandene Journalaufzeichnung DD:134 in die Untersuchung mit einbezogen werden, da sie sowohl in der Terminologie als auch inhaltlich eine deutliche Nähe zur Bestimmung von Lebensanschauung in der Erstlingsschrift aufweist (2.5.2). Da die Frage nach dem Verhältnis von Lebensanschauung und Glaube beim jungen Kierkegaard in der Kierkegaardforschung sehr unterschiedlich beantwortet worden ist, soll der Versuch einer Verhältnisbestimmung beider (2.5.2.3) in exemplarischer Auseinandersetzung mit den gegensätzlichen Positionen von Hirsch (2.5.2.1) auf der einen und Klenke (2.5.2.2) auf der anderen Seite erfolgen. Zunächst ist jedoch eine Nachzeichnung der Argumentation von Kierkegaards Erstlingsschrift erforderlich (2.5.1).
2.5.1 Die Argumentation der Erstlingsschrift Die Andersen-Kritik beginnt mit einer Beschreibung der allgemeinen Tendenz der Zeit, das geschichtlich Gewordene gering zu schätzen und „erneut von vorn anzufangen“³⁸⁶. Diese Tendenz trete im Bereich der Philosophie, „in Hegels großem Versuch, mit Nichts anzufangen“³⁸⁷, ebenso in Erscheinung wie im Bereich des
Andersens Nur ein Spielmann vgl. Schulz, Eschatologische Identität, S. 478; Maria Davidsen, „Poesie er Seier over Verden. Om Søren Kierkegaards H.C. Andersen-kritik“, Nordica, Bd. 12, 1995, S. 205 – 228, besonders S. 219 – 226; Vanessa Rumble, „Eternity Lies Beneath: Autonomy and Finitude in Kierkegaard’s Early Writings“, Journal of the History of Philosophy, Bd. 35, 1997, S. 83 – 103, besonders S. 87– 89, sowie Westfall, The Kierkegaardian Author, S. 36 – 38 und S. 46. SKS 1, 17 / LP, 46 (meine Übers.). Ibid. (meine Übers.). Kierkegaard bezieht sich hier offensichtlich auf das Postulat der Voraussetzungslosigkeit der (hegelschen) Philosophie, wie es kurze Zeit zuvor H.L. Martensen und J.L. Heiberg erhoben haben (vgl. oben Anm. 155). Thulstrup entgeht dieser Zusammenhang, weshalb er Kierkegaards anerkennende Bemerkung über Hegels Beginn des Systems „mit Nichts“ (vgl. SKS 1, 18 / LP, 47 und SKS 1, 20 / LP, 49) auf Kierkegaards mangelnde Kenntnis der hegelschen Logik zurückführen (vgl. jedoch Hegels Charakterisierung des Anfangs selbst in Wissenschaft der Logik (1832), S. 63,8 – 10 [TWA, Bd. 5, S. 73]: „Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern ein Nichts, von dem Etwas ausgehen soll; das Sein ist also auch schon im
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Politischen, wo sie sich „eines Attentats auf die gegebene Wirklichkeit schuldig“ mache, weil ihre Losung laute: „vergiss das Wirkliche (und bereits dies ist ein Attentat)“³⁸⁸. Auch in der zeitgenössischen dänischen Roman- und Novellenliteratur begegne man einem solchen Versuch des Neuanfangens, wenn nämlich Thomasine Gyllembourg (1773 – 1856)³⁸⁹ ihren Zyklus von Novellen „mit einer
Anfang enthalten“) und die unbestreitbar von Kierkegaards Kenntnis (der Rezeption) jenes Abschnitts (durch seine Kopenhagener Zeitgenossen) zeugende Fußnote SKS 1, 18 / LP, 47 f. als eine spätere Hinzufügung (!) erklären muss, vgl. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 139 – 141. Vgl. ferner Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 123. SKS 1, 19 / LP, 49 (dt. Übers. modifiziert). Nach ihrem schriftstellerischen Debüt 1827 mit der anonym veröffentlichten „Fortællingen om Lieutnanten og Lydia“ – in Noveller, gamle og nye, af Forfatteren til „En Hverdags-Historie.“, hg. von Johan Ludvig Heiberg, Bd. 1– 3, Kopenhagen 1833 – 34; Bd. 3, S. 1– 129, mit dem Titel „Familien Polonius“ – in der von ihrem Sohn, J.L. Heiberg, herausgegebenen Zeitschrift Kjöbenhavns flyvende Post veröffentlichte Thomasine Christine Gyllembourg-Ehrensvärd (geb. Buntzen) darin im Jahr darauf (wiederum anonym) die beiden Novellen „Den magiske Nøgle“ und eben „En Hverdags-Historie“ [Eine Alltags-Geschichte]. Mit ihrem Sohn als Herausgeber war Gyllembourg unter dem Decknamen „Forfatteren til ‚En Hverdags-Historie‘“ [Der Verfasser von ‚Eine Alltags-Geschichte‘] in den darauffolgenden Jahren bis zu ihrem letzten Werk To Tidsaldre (1845) – dem Gegenstand von Kierkegaards Rezension in Buchform Eine literarische Anzeige (1846) – eine der meistgelesenen dänischen Autorinnen ihrer Zeit. Vermutlich war Kierkegaard die Autorschaft Gyllembourgs aus seinem Umgang mit dem Kreis um Heiberg bekannt (vgl. Mylius, „Offenbare und unsichtbare Schrift“, S. 34, sowie die gedruckte Widmung in Eine literarische Anzeige, SKS 8, 8; ferner die Widmung SKS 28, 524, Ded 119), doch spricht er zur Wahrung ihrer Anonymität sowohl in der Erstlingsschrift als auch in Eine literarische Anzeige stets mit maskulinen Pronomina vom ‚Verfasser der Alltagsgeschichte‘. Weitere (mögliche) Anspielungen des jungen Kierkegaard auf Gyllembourgs ‚Alltagsgeschichten‘ finden sich in SKS 18, 110, FF:186 / DSKE 2, 114 (vgl. hierzu den Kommentar zu DSKE 2, 114,3 in DSKE 2, 483); SKS 27, 139, Papir 154:2 / T 1, 79; SKS 27, 151, Papir 189 und SKS 27, 228,17, Papir 263:3; vgl. ferner die oben in Anm. 376 angeführten Anspielungen Kierkegaards auf Møllers 1836 erschienene Rezension von Gyllembourgs Nye Fortællinger (1835). Zu Kierkegaards durchgängiger Anerkennung der Novellen Gyllembourgs – wenn auch mit unterschiedlicher Bewertung (siehe S. 426) – vgl. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 27– 31; Grethe Kjær, „Thomasine Gyllembourg, Author of A Story of Everyday Life“, in Early Polemical Writings, hg. von Robert L. Perkins, Macon, GA 1999 (International Kierkegaard Commentary, Bd. 1), S. 87– 108, sowie Katalin Nun, „Thomasine Gyllembourg: Kierkegaard‘s Appreciation of the Everyday Stories and Two Ages“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome III, Literature, Drama and Aesthetics, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009, S. 151– 167, vor allem S. 152– 156. Im Hinblick auf Kierkegaards Beurteilung der ‚Alltagsgeschichten‘ in der Erstlingsschrift verweist Klenke, ibid., S. 28 mit Recht auf die von Kierkegaard bereits am 2. Juli 1836 auf ein loses Blatt notierte Aufzeichnung Papir 154:2, in der er die die Alltagswirklichkeit des menschlichen Daseins affirmierenden ‚Alltagsgeschichten‘ mit denen die Wirklichkeit der Alltagswelt negierenden, in eben dieser Abwendung von der Welt geradezu den Weg zur Ewigkeit sehenden ‚Erbauungsschriften‘ kontrastiert, wobei aus dem Zusammenhang von Papir 154:2 mit der am
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Alltagsgeschichte (mit Nichts)“³⁹⁰ beginne, nur dass dieses literarische Unternehmen gerade kraft des ihr eigenen Wahren gegen ein Unwesen gerichtet sei, das sich in diesen Literaturzweig eingeschlichen und ausgebreitet habe. Dieses Wahre sei die in den Novellen enthaltene „Lebens-Anschauung, welche ihr korrespondierendes Element im Dasein ebenso sicher zu ihrer Voraussetzung gehabt hat,wie sie auch eine Wachheit zu ihrer Wirkung hat“³⁹¹. „Das Sublimat…der Freude am Leben, das als Ertrag des Lebens sich ergebende, durchkämpfte Vertrauen zur Welt“³⁹² und zu den Menschen, dass selbst in deren „trivialsten Erscheinungsformen“ sich ein das ganze Leben durchglühender „göttlicher Funke“ suchen und finden lassen könne, verleihe diesen Novellen „einen evangelistischen Anstrich“ und mache ihre Lektüre „zu einem wahrlich erbauenden Studium.“³⁹³ Und wenngleich der Leser fühle, dass der Weg zu dieser Freude „sicherlich über die Seufzerbrücke“³⁹⁴ führe, und trete auch gelegentlich an die Stelle „der echten religiösen, apriorischen Genialität ein gewisses SichWohlbefinden innerhalb der traulichen Wände lieblicher häuslicher Verhältnisse“³⁹⁵, so tue dies dem durch diese Novellen gehenden, so erfreuenden Geist doch keinen Abbruch. Den Politikern könnten diese Novellen, die von der Lebensan-
selben Tag auf dieses lose Blatt notierten Aufzeichnung SKS 27, 139, Papir 154:1 / T 1, 78 hervorgeht, dass Kierkegaard die ‚Alltagsgeschichten‘ ob der sich in ihnen manifestierenden ‚Versöhnung mit der Welt‘ priorisiert. Wie Kierkegaard dann in der Erstlingsschrift deutlich machen sollte, in der seine negative Beurteilung von Andersens Romanen vor dem Hintergrund seiner positiven Beurteilung von Gyllembourgs ‚Alltagsgeschichten‘ erfolgt, vermögen diese in der Alltagswirklichkeit sogar einen „göttliche[n] Funken“ (SKS 1, 21 / LP, 51) zu finden. Dies setzt jedoch (beim Autor der ‚Alltagsgeschichten‘) das Vorhandensein einer Lebensanschauung voraus, die nicht unmittelbar aus der Wirklichkeit geschöpft werden kann, sondern Resultat eines das unmittelbare Wirklichkeitsverhältnis transzendierenden Verhältnisvollzugs im Gegenüber zur Wirklichkeit ist. SKS 1, 20 / LP, 49. SKS 1, 21 / LP, 50 (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 21 / LP, 51 (meine Übers.). Die von Kierkegaard angesprochene ‚Freude am Leben‘ könnte eine Anspielung auf eine Stelle in Gyllembourgs Novelle Extremerne sein, wo Palmer seine Jugend als „etwas, das ich Freude am Leben nennen würde“, charakterisiert, vgl. Nye Fortællinger af Forfatteren til „En Hverdags-Historie“, hg. von Johan Ludvig Heiberg, Bd. 1– 3, Kopenhagen 1835 – 36 (ktl. U 46); Bd. 2, 1835, S. 17, sowie den Kommentar zu SKS 8, 16,30 in SKS K8, 56; vgl. auch den Hinweis auf eine Stelle (wenige Seiten später) in Extremerne, in Nye Fortællinger af Forfatteren til „En Hverdags-Historie“, S. 19 f., in SKS 1, 22,21– 25 / LP, 52. SKS 1, 21 / LP, 51 (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 22 / LP, 51. Zum Bild der „Seufzerbrücke“, als die (bereits) zu Kierkegaards Zeit der Verbindungsgang über der Slutterigade zwischen dem Gerichtsgebäude am Kopenhagener Nytorv und dem Untersuchungsgefängnis bezeichnet wurde, vgl. SKS 17, 207, CC:19 / DSKE 1, 166 und SKS 18, 85, FF:48 / DSKE 2, 87. SKS 1, 22 / LP, 51 (dt. Übers. modifiziert).
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schauung eines Individuums getragen seien, „das den Lauf vollendet und den Glauben bewahrt hat“³⁹⁶, nur unverständlich sein, da ihnen „eine Resignation, welche nicht Folge eines Drucks von außen ist…, sondern sich aus einer inneren Elastizität entwickelt, aus der Freude, die die Welt besiegt hat“³⁹⁷, völlig unbegreiflich erscheinen müsse. So wie sich Gyllembourgs Persönlichkeit auf der Ebene ihrer Novellen Ausdruck verschafft, so schlägt sich auch Andersens Persönlichkeit in seinen Romanen nieder, nur dass der Kritiker aus der Inkonsistenz von Andersens Romanen Rückschlüsse auf Andersens Persönlichkeitsentwicklung ziehen will, die er für defizient hält. Das sich in Andersens Romanen äußernde grundlegende Misstrauen gegen das Leben sieht der Kritiker darin begründet, dass Andersen in seiner Persönlichkeitsentwicklung das epische Stadium übersprungen habe, welches er normalerweise nach dem lyrischen Stadium hätte durchlaufen müssen.³⁹⁸ Grundlage dieses Urteils über Andersens Persönlichkeit, die für den Kritiker deshalb bloß die Möglichkeit einer Persönlichkeit, keine wirkliche Persönlichkeit darstellt, ist das nach dem Vorbild der hegelschen Dialektik gestaltete dreigliedrige Entwicklungsschema vom Lyrischen durch das Epische zum Dramatischen in Heibergs Gattungsästhetik.³⁹⁹ Es ist in unserem Zusammenhang nicht notwendig, SKS 1, 25 / LP, 55 (meine Übers.); vgl. II Tim 4,7. SKS 1, 23 / LP, 53 (meine Übers.). Kierkegaard spielt mit „der Freude, die die Welt besiegt hat [den Glæde, der har seiret over Verden]“ (SKS 1, 23,7) auf I Joh 5,4 in NT-1819 an: „und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat [og vor Tro er den Seier, som haver overvundet Verden]“; siehe Kap. 3.3.2.3. Vgl. SKS 1, 26 / LP, 56 und SKS 1, 31 / LP, 62; ferner SKS 1, 42 / LP, 75. Johan Ludvig Heiberg, „Svar paa Hr. Prof. Oehlenschlägers Skrift: ‚Om Kritiken i Kjøbenhavns flyvende Post, over Væringerne i Miklagard‘“, Kjöbenhavns flyvende Post, 1828, Artikel I, Nr. 7 (25. Januar), [S. 37– 40]; Artikel II, Nr. 8 (28. Januar), [S. 41– 44]; Artikel III, Nr. 10 (4. Februar), [S. 50 – 52]; Artikel IV, Nr. 11 (8. Februar), [S. 54– 56]; Artikel V, Nr. 12 (11. Februar), [S. 59 f.]; Artikel VI, Nr. 13 (15. Februar), [S. 61– 64]; Artikel VII, Nr. 14 (18. Februar), [S. 65 – 68]; Artikel VIII, Nr. 15 (22. Februar), [S. 69 – 72]; Artikel IX, Nr. 16 (25. Februar), [S. 73 – 76] (wiederabgedruckt in: ders., Prosaiske Skrifter, Bd. 3, 1861, S. 194– 284), hier besonders Artikel III, IV und VI (in Prosaiske Skrifter, S. 215 – 234 und S. 237– 249). Jedoch muss betont werden, dass der Kritiker in der Erstlingsschrift den Zusammenhang zwischen diesem gattungsästhetischen Entwicklungsschema und dem Erlangen einer Lebensanschauung im Vagen lässt. Zwar steht außer Frage, dass man dem Kritiker zufolge zum Erwerb einer verlässlichen Lebensanschauung eine „läuternde Entwicklung“ (Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 81) zu durchlaufen hat. Wie dies(e) jedoch im Detail vollzogen werden soll, wird nicht dargestellt, zumal keine dem Dramatischen korrespondierende Stufe in der Persönlichkeitsentwicklung angeführt ist. Vgl. auch Hirschs interessanten Vergleich der Aussagen Kierkegaards über das Lyrische und Epische mit Aussagen in Hegels Ästhetik in Kierkegaard-Studien, S. 13 – 20, wenngleich Hirsch „die Frage nach dem Ob und Wie der geschichtlichen Abhängigkeit“ (S. 13; meine Hervorhebung) mangels „literarische[r] Hilfsmittel“ (S. 14) ausklammern muss. Hirsch macht dabei deutlich, dass Kier-
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auf dieses Entwicklungsschema, von dem der Kritiker nur die ersten beiden Stufen nennt, sowie auf die Frage der Abweichung der Systematik Heibergs vom hegelschen Vorbild näher einzugehen.⁴⁰⁰ Es genügt die Feststellung, dass nach Meinung des Kritikers das Epische – wohlgemerkt nicht gattungstheoretisch, sondern psychologisch als „poetische Stimmung“⁴⁰¹ verstanden – bei Andersen zu einer „tiefe[n] und ernsthafte[n] Umarmung einer gegebenen Wirklichkeit“ hätte führen müssen, zu einem „für das Leben stärkende[n] Ausruhen darin“⁴⁰². Die Realisierung einer solchen „eigentlich epische[n] Entwicklung“⁴⁰³ und damit des Übergangs vom Lyrischen zum Epischen sei Andersen jedoch nicht zuletzt durch die Zeitumstände versagt geblieben. Im Gegensatz zu den Novellen Gyllembourgs zeugten deshalb Andersens Romane durch das in ihnen herrschende „Zwielicht“⁴⁰⁴ von der „Verstimmung und Bitterkeit“⁴⁰⁵, die er selbst als Romandichter gegen die Welt hege, und die sich nun in seiner Poesie, bei seinen poetischen Geschöpfen ‚wiederhole‘⁴⁰⁶. Da Andersen das Poetische nicht von sich absondern könne, verflüchtige sich seine eigene Wirklichkeit, seine eigene Person zur Dichtung, weshalb der Leser zuweilen zu glauben geneigt sei, „Andersen sei eine Figur, welche aus einer von einem Dichter komponierten, noch nicht fertig gewordenen Gruppe fortgelaufen sei“⁴⁰⁷. Andersens defiziente Persönlichkeitsentwicklung habe ihren eigentlichen Grund darin, dass ihm ganz und gar eine Lebensanschauung fehle, die aber für einen Romandichter wie Andersen, so wie überhaupt für jeden Roman- und Novellendichter, eine unerlässliche Bedingung sei, und die der Kritiker an der Kernstelle der Erstlingsschrift wie folgt bestimmt: „Eine Lebens-Anschauung ist nämlich mehr als ein Inbegriff oder eine Summe von Sätzen, festgehalten in ihrer abstrakten Wederheit; sie ist mehr als die Erfahrung, die als solche immer atomistisch ist, sie ist nämlich die Transsubstantiation der Erfahrung, sie ist eine errungene, von keiner Empirie zu erschütternde Sicherheit in sich selbst, möge sie sich denn
kegaard mit seiner „neuen Theorie der Poesie auf Grund der ihm eigentümlichen Verankerung alles Nachdenkens in den Fragen des persönlichen Lebens“ (S. 24) einen Standpunkt jenseits von Hegel eingenommen hat. Zur Abhängigkeit der Ausführungen Kierkegaards von Heibergs Gattungsästhetik vgl. ferner Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 123 – 126. Vgl. hierzu Morten Borup, Johan Ludvig Heiberg, Bd. 1– 3, Kopenhagen 1947– 49; Bd. 2, S. 110 f., und Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 98 f. und S. 123 – 126. SKS 1, 27 / LP, 57. SKS 1, 26 / LP, 57 (meine Übers.). SKS 1, 26 / LP, 56. SKS 1, 30 / LP, 61 (bei Kierkegaard deutsch). SKS 1, 29 / LP, 59 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 1, 30 f. / LP, 61. Vgl. SKS 1, 31,5 / LP, 61. SKS 1, 31 / LP, 62 (dt. Übers. modifiziert).
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entweder lediglich in allen weltlichen Verhältnissen orientiert haben (ein rein menschlicher Standpunkt, z. B. Stoizismus), die sich dadurch außerhalb jeder Berührung mit einer tieferen Empirie hält – oder möge sie in ihrer Richtung auf den Himmel (das Religiöse) in diesem das Zentrale gefunden haben, sowohl für ihre himmlische wie für ihre irdische Existenz, die wahre christliche Gewissheit gewonnen haben: ‚dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch irgendein anderes Geschöpf uns wird scheiden können von der Liebe Gottes in Christo Jesu, unserem Herrn.‘“⁴⁰⁸
Im Hinblick auf die Frage, wie eine solche Lebensanschauung zustande komme, räumt der Kritiker zwar ein, dass eine gewisse Annäherung an den Punkt dazugehöre, an dem sich eine Lebensanschauung bilde. Dieser Annäherung müsse jedoch rechtzeitig Halt geboten werden, damit man nicht die diese ganze Betrachtung aufhebende Folgerung ziehen müsse, „dass sich die eigentliche LebensAnschauung erst…in jemandes Todesstunde einstelle“⁴⁰⁹. Für denjenigen aber, „der es seinem Leben nicht erlaubt, allzu sehr zu verpuffen, sondern so weit wie möglich versucht, dessen einzelne Äußerungen wieder zu sich selbst zurückzuführen, muss notwendig ein Augenblick eintreten, in dem sich ein sonderbares Licht über das Leben verbreitet, ohne dass man darum im Entferntesten alle möglichen Einzelheiten verstanden zu haben braucht, zu deren sukzessivem Verständnis man nun jedoch den Schlüssel hat, muss, sage ich, der Augenblick eintreten, in welchem man, wie Daub bemerkt, das Leben rückwärts versteht mittels der Idee.“⁴¹⁰
SKS 1, 32 / LP, 63 (meine Übers.); Röm 8,38 f. wird von Kierkegaard (mit unbedeutender Abweichung in der Interpunktion) gemäß NT-1819 zitiert. Die Übersetzung von „Hverkenhed“ (SKS 1, 32,8) – eine der zahlreichen Wortneuschöpfungen Kierkegaards – mit „Wederheit“ (Hirsch in LP, 63: „Unwirklichkeit“) legt sich dabei auch durch Kierkegaards Verwendung dieses Wortes in SKS 1, 155,16 nahe: „Das Mythische dagegen liegt in jener Wederheit [Hverkenhed] und Doppelheit [Dobbelthed], jenem Zwischenzustand, aus dem sich die Interessen des Bewusstseins noch nicht losgerungen haben“ (SKS 1, 155 / BI, 103 (Anm.); meine Übers.); vgl. auch Ordbog over det Danske Sprog, Bd. 8, 1926, Sp. 838 (s. v. „Hverkenhed“). SKS 1, 33 / LP, 64 (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 33 / LP, 64 (dt. Übers. modifiziert; vgl. SKS 1, 33 / LP, 65). Zur Anspielung auf Daub ist zu bemerken, dass dem Kommentar zu SKS 1, 33,16 in SKS K1, 100 zufolge sich die hier von Kierkegaard gemeinte Stelle nicht bei Daub, sondern bei Franz von Baader findet, und zwar in Baaders Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 1, Stuttgart und Tübingen 1828, S. 80. Der Kommentar von SKS meint offenbar die Anmerkung auf S. 79 f., in der Baader von der Weise spricht, „regressiv von der Gegenwart aus die Vergangenheit (die Geschichte) gleichsam zu reconstruiren…Der Seher (Prophet) sieht nur darum zugleich in die Zukunft wie in die Vergangenheit, weil ihm ein Blick in die Gegenwart aufgeschlossen wird, in welcher alles Vergangene (Geschehene) noch ist“ (S. 79 f., Anm.). Dies ist aber sicherlich nicht die von Kierkegaard gemeinte Stelle. Falls Baader die Quelle war, dann findet sich das vermeintliche Daub-Zitat, das bei Daub jedoch so nicht nachgewiesen werden konnte, in Vorlesungen über speculative Dog-
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Habe man es nicht dahin gebracht, komme man dazu, „sich parodisch eine Lebens-Aufgabe zu stellen“⁴¹¹ – entweder auf die Weise, dass diese bereits gelöst sei, oder auf die Weise, dass sie niemals gelöst werden könne. Beide Weisen findet der Kritiker auch in Andersens Romanen wieder. Überdies könne man Andersen auch nicht unter Berufung darauf, dass in seinen Romanen ja doch fortwährend eine bestimmte Idee vorkomme, deshalb eine Lebensanschauung zuschreiben, da diese Idee Andersens darauf hinauslaufe, „dass das Leben nicht ein EntwicklungsProzess ist, sondern ein Untergangs-Prozess des Großen und Ausgezeichneten, das aufkeimen wollte“⁴¹². Eine solche Untergangstheorie sei so wenig eine Lebensanschauung wie Skepsis als solche eine Erkenntnistheorie; wahr sei ein solches Misstrauen gegen das Leben allein als die Tiefe, in der man das Vertrauen finde, nicht aber als Ausdruck einer endgültigen Entscheidung.⁴¹³ Gleichwohl will der Kritiker, wie er anmerkt, demgegenüber keine bestimmte Lebensanschauung geltend machen, sondern lediglich – „ohne irgendein Interesse an einer bestimmten Lebens-Anschauung“⁴¹⁴ – gegen diesen negativen Standpunkt Andersens und die Anwendung des Prädikats Lebensanschauung darauf protestieren. Für die vorliegende Untersuchung ist es nicht erforderlich, die Berechtigung von Kierkegaards Kritik unter Einbeziehung seiner Detailbeobachtungen zu Andersens Nur ein Spielmann ⁴¹⁵ zu überprüfen. Worauf es hier ankommt, ist der Umstand, dass Kierkegaard das Zustandekommen einer Lebensanschauung als Geschehen im Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit versteht, das in einem von seinem unmittelbaren Wirklichkeitsverhältnis, einem bloßen ‚Sich-Wohlbefinden‘ in der Wirklichkeit der Alltagswelt, qualitativ verschiedenen Wirklich-
matik, Heft 4, Münster 1836, S. 6 f.: „Die Historie ist nämlich nur ihres Verständnisses, wie das Gewächse seiner Frucht, die Zeit der Ewigkeit wegen da, und der zeitlich-örtliche Grund, das historisch Positive weiset, wie Daub sagt, auf einen innern ewigen Grund, welcher als der ponirende jenes ersten Grundes der positive par excellence heißen muß, und welcher, nachdem er einmal erforscht und gewußt ist, die Historie rückwärts erweiset“. Wahrscheinlicher ist indes, dass Erdmann die Quelle des vermeintlichen Daub-Zitats war, wenn er in der 4. Vorlesung seiner Vorlesungen über Glauben und Wissen schreibt: „Eben weil die Idee das Wesentliche ist und der Zweck der, daß sie als Idee gewußt werde, die Form des Factums aber das Mittel dazu, eben deswegen muß das Factum dem vorhergehn, daß die Idee als Idee gewußt werde, oder wie Daub das unübertrefflich schön gesagt hat: ‚Das Daseyn der Idee beweist die Geschichte rückwärts.‘“ (S. 39). SKS 1, 33 / LP, 64 (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 35 / LP, 66 (meine Übers.). Vgl. SKS 1, 35 / LP, 66 f. SKS 1, 35 / LP, 66 (Anm.; meine Übers.). Vgl. SKS 1, 36 – 56 / LP, 68 – 90.
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keitsverhältnis resultiert.⁴¹⁶ Wahre Lebensanschauung ist mithin Ausdruck nicht des unmittelbar mit der Wirklichkeit selbst gegebenen, sondern eines die Bedeutung der unmittelbaren Lebensumstände eines Menschen, seine unmittelbare Wirklichkeit aufgebenden und ihm daher als erst zu erringendes aufgegebenen Wirklichkeitsverhältnisses.
Vgl. hierzu Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 30, S. 33, S. 36 – 38 und S. 43, der von einer für Kierkegaard „wesentliche[n] Unterscheidung zweier Wirklichkeitsverhältnisse“ (S. 30) des Menschen spricht: dem „unmittelbar mit der Wirklichkeit selbst gegeben[en]“ und dem vom Menschen „aufgrund seines innersten Vermögens, des ‚religiösen Apriori‘“ (ibid.) und auf „de[m] Weg über die ‚Seufzerbrücke‘ der Resignation“ (S. 43) erreichten, für eine wahre Lebensanschauung charakteristischen Wirklichkeitsverhältnis. Wie mir scheint, lassen sich innerhalb des von Klenke als unmittelbar qualifizierten, weil unmittelbar der Wirklichkeit verhafteten Wirklichkeitsverhältnisses (mindestens) zwei Spielarten unterscheiden, die beide gleichermaßen Ausdruck fehlender Lebensanschauung sind: ein bloßes „Sich-Wohlbefinden“ (SKS 1, 22 / LP, 51) in der trauten, heimeligen Welt der (Alltags‐)Wirklichkeit sowie ein von Misstrauen gegen das Leben, von „Verstimmung und Bitterkeit“ (SKS 1, 29 / LP, 59; dt. Übers. modifiziert) geprägtes Verhältnis zur Welt. Wie das positive bleibt auch dieses negative Wirklichkeitsverhältnis unmittelbar der Wirklichkeit verhaftet, wenn der Mensch, gleichsam auf den Wellen und Wogen des Lebens treibend, das ihm zugeteilte Los schicksalsergeben hinnimmt und dabei den Lauf des Lebens nicht als progressiven, auf (s)eine letztendliche Versöhnung mit der Wirklichkeit zielenden, sondern als degressiven Entwicklungsprozess im Sinne eines „Untergangs-Prozess[es] des Großen und Ausgezeichneten, das aufkeimen wollte“ (SKS 1, 35 / LP, 66), versteht. Dieses negative Verständnis der und Verhältnis zur Wirklichkeit, deren wahre Fülle so notwendigerweise im Verborgenen bleiben muss, exemplifiziert und kritisiert Kierkegaard an Andersen. Indem dieser sich starr an einzelne Gegenstände seiner Erfahrung klammert, als läge darin jeweils „die ganze Welt beschlossen“ (SKS 1, 42 / LP, 75), vernachlässigt er „die gegebene Wirklichkeit als ganze“ (Klenke, ibid., S. 34). Der „Mangel an Lebensanschauung“ führt bei Andersen daher zu einem „Unglauben an die Welt“ (SKS 1, 43 / LP, 75), der sich – „von der anderen Seite gesehen“ – als „Aberglaube an die Individuen, Aberglaube an das Genie und die Tüchtigkeit seiner poetischen Helden“ (ibid.; dt. Übers. modifiziert) erweist. Dieser Aberglaube an die (unmittelbar) gegebene Wirklichkeit, dass diese dem menschlichen Leben letzten Sinn und Halt geben könne, hindert Andersen gerade daran, die „tiefe und ernsthafte Umarmung einer gegebenen Wirklichkeit“ (SKS 1, 26 / LP, 57; meine Übers.) zu erreichen. Wie das positive, noch vor aller „Läuterung der Resignation“ (Klenke, ibid., S. 37) stehende bloße ‚Sich-Wohlbefinden‘ in der (Alltags‐)Wirklichkeit ist daher auch dieses im Negativen verbleibende Wirklichkeitsverhältnis unmittelbar der Wirklichkeit verhaftet und, als Ausdruck fehlender Lebensanschauung, ein ‚verkehrtes‘ Wirklichkeitsverhältnis, wohingegen allein das eine wahre Lebensanschauung kennzeichnende ‚rechte‘ Wirklichkeitsverhältnis durch das Negative der Resignation hindurchgegangen ist (vgl. S. 30 f. und S. 40) und dem Menschen „die eigene Wirklichkeit des Selbst und seiner Alltagswelt“ (S. 35) erst eigentlich – d. h. „in ihrem Vollgewicht“ (ibid.) – zu schenken vermag. Diese dem Menschen zuteil gewordene Wirklichkeit ist dann aber nicht (mehr) die unmittelbare, sondern die in der Resignation zuvor aufgegebene und „erst danach in ihrem Vollgewicht wiedergewonnen[e]“, „‚geläuterte Wirklichkeit‘“ (S. 36 f.).
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In diesem eine wahre Lebensanschauung kennzeichnenden Wirklichkeitsverhältnis ist die Wirklichkeit des menschlichen Selbst und seiner Welt „durch die Läuterung der Resignation hindurchgegangen“⁴¹⁷ und wird vom Menschen in ihrer ganzen Fülle wiedergewonnen. Die wahre Freude an der Wirklichkeit des Lebens und das in den Kämpfen des Lebens bewährte Vertrauen zur Welt und zu den Menschen können also nicht unmittelbar aus der gegebenen Wirklichkeit geschöpft werden, sondern müssen vom Einzelnen kraft einer ‚inneren‘ Bewegung der ‚Resignation‘⁴¹⁸ gegenüber eben dieser Wirklichkeit – auf dem Wege ‚über die Seufzerbrücke‘ – erst errungen werden. „Wahre Lebensanschauung besteht so in der Dialektik von Aufhebung und Bejahung aller unmittelbaren Wirklichkeit.“⁴¹⁹ Obwohl eine Lebensanschauung als ‚Transsubstantiation der Erfahrung‘ (in) der Wirklichkeit die Erfahrung voraussetzt, kann sie nicht auf rein empirischem Wege, etwa als Ergebnis unmittelbarer Lebens- und Welterfahrung⁴²⁰ oder durch Anhäufung einzelner Erfahrungen⁴²¹ zustande kommen, da sie ‚mehr als die Erfahrung‘ ist. Dieses Mehr der Lebensanschauung ist die von keiner Einzelerfahrung zu erschütternde,von der Erfahrung insofern unabhängige ‚Sicherheit in sich selbst‘. Die in dieser apriorischen Sicherheit zum Ausdruck kommende Unabhängigkeit gegenüber der Wirklichkeit führt aber – und das muss betont werden – zu keiner Abwendung des Menschen von ihr, sondern ermöglicht ihm gerade ein positives Verhältnis zu ihr.⁴²² Mit dem Erlangen einer Lebensanschauung wird die gegebene Wirklichkeit selbst daher weder transsubstantiiert noch durch eine neu geschaffene Wirklichkeit substituiert, sondern, wie bemerkt, das Verhältnis des Menschen zu ihr ist ein qualitativ anderes geworden.⁴²³ Die Wirklichkeit, seine
Ibid., S. 37. Vgl. das zu Anm. 397 gehörende Zitat aus SKS 1, 23 / LP, 53 in meiner Übersetzung. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 52; vgl. S. 64 f. Vgl. hierzu ibid., S. 39 f. und S. 51 f. Vgl. hierzu die rund drei Wochen vor Erscheinen der Erstlingsschrift entstandene Journalaufzeichnung SKS 17, 259, DD:130 / DSKE 1, 227 (17. August 1838): „Empirie ist der fortwährend sich wiederholende falsche Sorites, sowohl im progressiven als auch im regressiven Sinn.“ Vgl. hierzu Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 24, S. 28, S. 30, S. 32 und S. 52 f. Wenn Klenke konstatiert, in Kierkegaards Erstlingsschrift sei „die ‚Versöhnung‘ mit der Wirklichkeit…Ausdruck wahrer ‚religiöser‘ Lebensanschauung“ (S. 32), muss jedoch bemerkt werden, dass sich in Kierkegaards Erstlingsschrift der Begriff der ‚Versöhnung‘ weder in diesem noch in einem anderen Zusammenhang findet – im Unterschied zu Kierkegaards Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie, was in Kap. 3.4.2 zu erörtern sein wird. Dies wird von Klenke m. E. nicht genau genug beachtet. Einerseits konstatiert Klenke mit Recht, dass „[d]ie Wahrheit der Lebensanschauung, die ein ‚transsubstantiierendes‘ Wirklichkeitsverhältnis sein will, eine Wahrheit des Verhaltens“ (ibid., S. 55; meine Hervorhebung) und die Verwirklichung wahrer Lebensanschauung demnach als ein Geschehen nicht der Wirklichkeit selbst, sondern „im Verhältnis zur Wirklichkeit“ zu verstehen sei, welches weder die
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Wirklichkeit erscheint dem Menschen nunmehr in einem anderen – und sei es: ‚sonderbaren‘ – Licht.
2.5.2 Lebensanschauung und Glaube Es fällt auf, dass die Bestimmung von Lebensanschauung an der Kernstelle der Erstlingsschrift als eine „von keiner Empirie zu erschütternde Sicherheit in sich selbst“⁴²⁴ in wesentlichen Merkmalen mit der Charakterisierung des Glaubens in den früheren Aufzeichnungen Papir 81:1 und DD:79 übereinstimmt. Nachdem Kierkegaard in der Aufzeichnung Papir 81:1 den Glauben („nach dem protestantischen Lehrbegriff“) zunächst als „die apriorische Sicherheit, vor welcher alle Empirie des Tuns verschwindet“⁴²⁵, bestimmt hatte, konkretisierte er in der zur Zeit und wahrscheinlich auch unter dem Einfluss seiner Lektüre von Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) entstandenen Journalaufzeichnung DD:79 dieses „Apriorische des Glaubens, das über allem Aposteriori des Tuns schwebt“⁴²⁶, durch den auch an der Kernstelle der Erstlingsschrift begegnenden Hinweis auf die paulinische Glaubensgewissheit in Röm 8,38 f. Ferner zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die am 23. August 1838, also kurze Zeit vor Erscheinen der Erstlingsschrift entstandene Journalaufzeichnung DD:134, in der Kierkegaard erklärt, dass es im christlichen Leben auf die Vereinigung der beiden folgenden Momente ankomme: „a) eine unerschütterliche Sicherheit, unerschütterliche Gewissheit über sein Verhältnis zu Gott, über Gottes Gnade und Liebe, die jedoch nicht in ihrer Abstraktion verstanden werden darf, in der sie doch durch eine lange Reihe von Modifikationen hindurch den Menschen zuletzt beinahe zum Sündigen bringen kann, um dennoch gerade darin seiner Seligkeit
Wirklichkeit des Menschen „verändert“ noch eine „neue, empirisch oder theoretisch erfaßbare Wirklichkeit“ „schafft“ (S. 54). Andererseits versteht Klenke unter der „‚Transsubstantiation der Erfahrung‘“ jedoch nicht nur eine durch die innere Bewegung der Resignation bewirkte „qualitative Wandlung des Menschen“ (S. 53), sondern auch eine „‚Transsubstantiation‘ der vorhandenen, sich in Empirie und Theorie darstellenden Wirklichkeit von Selbst und Welt des Menschen“ (ibid.; die letzte Hervorhebung stammt von mir), mag diese „Verwandlung der Wirklichkeit des menschlichen Selbst“ auch „empirisch…niemals feststellbar[]“ (S. 54) sein. So verstanden ist die Transsubstantiation für Klenke Resultat der Dialektik von „Wirklichkeitsaufhebung und Wirklichkeitsbejahung“, durch die eine wahre Lebensanschauung eben auch „ein qualitatives ‚Mehr‘ als der Inbegriff dieser Wirklichkeit, eben ihre ‚Transsubstantiation‘“ (ibid.; meine Hervorhebung) sei; vgl. hierzu ferner S. 54 f. und S. 64 f. SKS 1, 32 / LP, 63 (dt. Übers. modifiziert). SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50 (meine Übers.); siehe Kap. 1.6. SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213 (dt. Übers. modifiziert); siehe Kap. 2.4.3.
2.5 Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)
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gewiss zu sein, b) eine empirische Entwicklung, die sich jedoch nicht in ihren diskreten Momenten verlieren darf, damit sie das Individuum nicht auf einem stürmischen Meer umherwirbelt – (sie in Wüsten hinausjagt, wie es in der Augsburgischen Konfession heißt).“⁴²⁷
Erst die Einheit dieser beiden Momente sei, wie Kierkegaard am Rand zu dieser Aufzeichnung ergänzt, „die wahre πλεϱοϕοϱια [sic!], die allmählich an Kraft zunimmt und alle Windstöße immer weiter wegtreibt und den Menschen siegreich über alle Hindernisse führt“⁴²⁸. Diese im christlichen Leben zu bewerkstelligende, ‚siegreich über alle Hindernisse‘ führende Vereinigung einer ‚unerschütterlichen Sicherheit‘⁴²⁹ oder ‚Gewissheit‘ mit einer ‚empirischen Entwicklung‘ weist nicht nur in der Terminologie, sondern auch inhaltlich eine deutliche Nähe zur Bestimmung von Lebensanschauung in der Erstlingsschrift auf. Was das Verhältnis von GlaubensApriori und Lebenserfahrung betrifft, lässt sich in dieser Aufzeichnung zudem eine interessante Akzentverschiebung⁴³⁰ beobachten: Während in Papir 81:1 und SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228. Kierkegaards Verweis auf die Confessio Augustana am Ende der Aufzeichnung („sie in Wüsten hinausjagt“ [jage dem ud i Ørkener]) bezieht sich vermutlich auf Artikel 20 in Rudelbachs dänischer Übersetzung einer Kombination des deutschen und lateinischen Textes (vgl. Den rette uforandrede Augsburgske Troesbekjendelse, S. [III] und S. 36), wo es heißt: „Etliche hat…das Gewissen in Wüsten hinausgetrieben [drev…ud i Ørkener] und zu einsamen Orten, in Klöster“ (S. 65). Nicht auszuschließen ist allerdings, dass sich Kierkegaard auch direkt auf den lateinischen Text von Artikel 20 bezogen haben könnte, der ihm z. B. von Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) her bekannt war, vgl. SKS 19, 64,11– 20, Not1:8 / DSKE 3, 65,39 – 66,9 (§ 60) zusammen mit Hase (Hg.), Libri symbolici (2. Aufl. 1837), S. 17 bzw. Confessio Augustana invariata, Kopenhagen 1817 (ktl. 469), S. 30 („Quosdam conscientia expulit in desertum, in monasteria“). Dagegen heißt es im deutschen Text der Confessio Augustana: „etliche hat das Gewissen in die Klöster gejaget, der Hoffnung, daselbst Gnad zu erwerben durch Klosterleben“ (BSLK, S. 78,18 – 21). Vgl. ferner Clausens dänische Übersetzung der Confessio Augustana, Den Augsburgske Confession, oversat og belyst ved historisk-dogmatisk Udvikling, übers. und hg. von Henrik Nicolai Clausen, Kopenhagen 1851 (ktl. 387), S. 107 („Etliche suchten in ihrer Gewissensangst Zuflucht in Wüsten oder in Klöstern“). SKS 17, 260, DD:134.a / DSKE 1, 228 (dt. Übers. modifiziert). Zum Begriff der πληϱοϕοϱία vgl. Kol 2,2. Der Ausdruck „eine unerschütterliche Sicherheit“ [en urokkelig Sikkerhed] (SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228) ist im Dänischen mit der „von keiner Empirie zu erschütternde[n] Sicherheit“ [en…af al Empirie urokkelig Sikkerhed] (SKS 1, 32 / LP, 63) an der Kernstelle der Erstlingsschrift identisch. Die wörtliche, etwas unbeholfen wirkende Wiedergabe letzterer Stelle wäre: „eine von aller Empirie unerschütterliche Sicherheit“. Auf diese Akzentverschiebung hat bereits Ringleben, Aneignung, S. 429 f. hingewiesen, der allerdings die Journalaufzeichnung DD:134 vom 23. August 1838 nicht erwähnt und erst die 1844 erschienene erbauliche Rede über „Die Erwartung einer ewigen Seligkeit“ (vgl. oben Anm. 364 und Anm. 365) als Ausdruck der Verlagerung der „Akzente im Verhältnis von religiösem Apriori
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DD:79 noch die Entgegensetzung beider bestimmend war, hat Kierkegaard in DD:134 (erstmals) eine konstruktive Beziehung zwischen Apriorität und Empirie ins Auge gefasst. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der in der Erstlingsschrift beschriebenen christlich-religiösen Verwirklichungsmöglichkeit einer Lebensanschauung, wie sie in der von aller Erfahrung unabhängigen und eben dadurch erst Erfahrung bedingenden ‚christlichen Gewissheit‘ zum Ausdruck kommt. Die angesichts der wesentlichen Übereinstimmung zwischen Kierkegaards Bestimmung von Lebensanschauung in der Erstlingsschrift und seiner Charakterisierung des Glaubens bzw. der für das christliche Leben konstitutiven Momente in den oben angeführten Aufzeichnungen⁴³¹ dringend notwendige Klärung des Verhältnisses von Lebensanschauung und Glaube soll im Folgenden in exemplarischer Auseinandersetzung mit Hirsch auf der einen und Klenke auf der anderen Seite herbeigeführt werden.
2.5.2.1 Hirschs Position⁴³² Hirsch sieht in Kierkegaards Erstlingsschrift im Kern bereits die großen Themen angelegt, die dann in seinen späteren Werken so wichtig werden sollten. Schon in der Erstlingsschrift habe sich für Kierkegaard der Begriff der Lebensanschauung „zu dem entscheidenden und höchsten Begriffe durchgeklärt, der Grund und Maß und Ziel seines ganzen Denkens ist.“⁴³³ Demnach ist es nur konsequent, wenn Hirsch selbst in seinen Kierkegaard-Studien (1933) die von Kierkegaard bis 1841 begrifflich erarbeitete Lebensanschauung „als normsetzende Zielvorgabe bei der
und wirklicher Erfahrung“ vom „schroffe[n] Gegensatz“ hin zur Betonung der „Funktion dieses Apriori fürs Empirische“ (S. 429) betrachtet. Vgl. ferner die Bestimmung des Humors als „die von keiner Empirie zu erschütternde, echt geniale Gemütsstimmung“ in SKS 17, 248, DD:81 / DSKE 1, 214 (meine Übers.; vgl. hierzu Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 88 f.; ähnlich verläuft die Bestimmung der ‚Ironie im strengeren Sinne‘ in SKS 1, 292 / BI, 258 (vgl. das zu Kap. 3, Anm. 572 gehörende Zitat) sowie der ‚ersten Liebe‘ in SKS 3, 52 f. / EO2, 49 f.) vom 9. November 1837 sowie die Rede von einer „religiöse[n] Sicherheit…, die die Welt überwunden hatte“ in SKS 17, 249, DD:88 / DSKE 1, 216 vom 8. Dezember 1837. Zu der aus der Zeit nach der Erstlingsschrift in diesem Zusammenhang zweifelsohne wichtigsten Aufzeichnung Not5:20 (1840) siehe Kap. 3.3.2.3. Ich beziehe mich im Folgenden zum einen auf Hirschs Kierkegaard-Studien, S. 20 – 24, S. 29 – 32, S. 49 f., S. 55 f. [allesamt Heft 1 (1930)] und S. 502– 508 [Heft 3,1 (1931)], zum anderen auf Hirschs Anmerkungen zu seiner Übersetzung in LP, 175 – 184, besonders 183. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 503 f.; vgl. Hirsch in diesem Punkt zustimmend Elfriede Tielsch, Kierkegaards Glaube. Der Aufbruch des frühen 19. Jahrhunderts in das Zeitalter moderner, realistischer Religionsauffassung, Göttingen 1964, S. 22.
2.5 Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)
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Interpretation aller von Kierkegaard bis 1855 verfaßten Werke“⁴³⁴ mitführt. Der aus der Analyse der Erstlingsschrift gewonnene Begriff der Lebensanschauung, den Hirsch in Heft 1 (1930) der Kierkegaard-Studien im kritischen Gegenüber zu Hegels Begriff der Weltanschauung⁴³⁵ profiliert, fungiert dabei „als Zentralbegriff, um das Kierkegaard Eigentümliche herauszuarbeiten.“⁴³⁶ Was nun die Kernstelle von Kierkegaards Erstlingsschrift betrifft, sieht Hirsch in der in dieser (sonst) rein ästhetisch-kritischen Schrift außerordentlich „auffallende[n] Einfügung der Definition der religiös-christlichen Lebensanschauung“⁴³⁷ – fast möchte man, so Hirsch, „von einer pietistischen Entgleisung“⁴³⁸ Kierkegaards sprechen – einen deutlichen Beleg dafür, dass Kierkegaards bestimmtere Aussagen über die Lebensanschauung und ihr Werden im Menschen von der Aneignung des Christentums durch den Glauben handelten. Es sei „klar“, dass das, was Kierkegaard hier Lebensanschauung nenne, „im gewöhnlichen christlichen Sprachgebrauch Glaube, und zwar der rechtfertigende Glaube“⁴³⁹ heiße. „Im ganzen Ernste“ sei Kierkegaard allein das Christentum eine Lebens-
Matthias Wilke, Die Kierkegaard-Rezeption Emanuel Hirschs. Eine Studie über die Voraussetzungen der Kommunikation christlicher Wahrheit, Tübingen 2005, S. 216. Vgl. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 20 f. und S. 749 f.; vgl. ferner Vincent McCarthy, The Phenomenology of Moods in Kierkegaard, Den Haag 1978, S. 136. Hjördis Becker, „From Weltanschauung to Livs-Anskuelse: Kierkegaard’s Existential Philosophy“, Humana. Mente Journal of Philosophical Studies, Bd. 18, 2011, S. 1– 18, betrachtet dagegen „Schleiermacher’s Weltanschauung as the core of Kierkegaard’s conception of Livs-Anskuelse“ (S. 5). Seine SchleiermacherLektüre habe den jungen Kierkegaard zu einer Umdeutung des im deutschen Idealismus vornehmlich epistemologisch verstandenen Begriffs der „Weltanschauung“ in den von Kierkegaard ethisch-existentiell verstandenen Begriff der „Lebensanschauung“ veranlasst. Beckers Versuch einer Herleitung von Kierkegaards „Lebensanschauung“ aus Schleiermachers „Weltanschauung“ beruht jedoch auf einer ausgesprochen dünnen Quellenbasis. Allein Kierkegaards Bemerkung zu Schleiermachers Vertraute Briefe über die Lucinde (1835) in SKS 19, 99, Not3:2 / DSKE 3, 103, und die Ähnlichkeiten (!) zwischen einer Äußerung Kierkegaards in SKS 17, 24,14– 15, AA:12 / DSKE 1, 24,4– 5 (vgl. aber Kap. 1, Anm. 117) und Schleiermachers Monologen (1800) sind freilich kein Beleg für Beckers Annahme, „[that] there is strong evidence that Kierkegaard develops his concept of life view by reading Friedrich Schleiermacher“ („From Weltanschauung to Livs-Anskuelse“, S. 3 f.); vgl. ferner oben Anm. 379. Wilke, Die Kierkegaard-Rezeption Emanuel Hirschs, S. 221. LP, 183 (Anm. 66). Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 29. In seinen späteren Schriften habe Kierkegaard es „dem Leser nicht mehr so bequem gemacht, seine letzte Meinung festzustellen“ (ibid.). Ibid., S. 30. Als Beleg dafür verweist Hirsch (S. 30 f.) auf Pap. II A 190 [SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213] und Pap. II A 252 [SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228]. Auch für Gerdes handelt es sich bei der Kernstelle der Erstlingsschrift um „das erste gedruckte Bekenntnis Kierkegaards zum christlichen Glauben, welches die…Stelle aus Röm. 8 zum Ausdruck des Wesens des Glaubens benutzt“ (so in Anm. 424 zu Pap. II A 191 [SKS 17, 248, DD:80 / DSKE 1, 214] in T 1, 384).
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anschauung, neben (oder vielmehr: unter) der „er auch andere, den Begriff nicht voll verwirklichende und darum zuletzt nicht wahre, Möglichkeiten einer Lebensanschauung“⁴⁴⁰ kenne. Auch die an der Kernstelle angeführte „andre humane Möglichkeit“ brauche man deshalb „nicht allzu ernst zu nehmen“, zumal Kierkegaard selbst kritisch bemerke, dass „diese humane Möglichkeit…ja eben die tiefere Empirie, die wir als Verzweiflung kennen, aus der Erfahrung, mit der sie rechnet, aus[schaltet].“⁴⁴¹ Bei der Beschreibung des Zustandekommens dieser christlichen Lebensanschauung als der einzig wahren und tiefen im Verhältnis zu allen anderen Möglichkeiten einer Lebensanschauung wolle Kierkegaard deutlich machen, dass der Mensch „das ganze Leben hindurch in einer steten, sich immer noch vertiefenden Annäherung an das Christliche bleibe“, von einer solchen Annäherung „im Ernst“ aber nur die Rede sein könne, wenn der Mensch „einmal in einem bestimmten Augenblick der Wahl, der Entscheidung, dem Glauben sich zu eigen gebe.“⁴⁴² Diesen für den „Ursprung des Glaubens“ entscheidenden Augenblick, wie er in der Erstlingsschrift als der Augenblick des Werdens der Lebensanschauung beschrieben sei, könne man „theologisch nur die Bekehrungsstunde nennen“⁴⁴³, wobei Kierkegaard dabei „sämtliche Stichworte“⁴⁴⁴ gebracht habe, unter denen man auch seine eigene Bekehrung im Mai 1838 verstehen müsse: „Das sonderbare Licht, welches in sein Leben fiel, kam zu ihm durch die Selbsterschließung des Vaters. Diese Selbsterschließung war der junge Kierkegaard fähig zu empfangen, weil er sich aus dem aufgeregten Verflackernlassen seines Daseins unter dem Druck eines ungeheuren religiösen Schuldbewußtseins verzweifelt in sich selbst zurückgerufen hatte. Diese Selbsterschließung aber ließ ihn sein Leben in der Zurückschau nun verstehen gemäß der christlichen Idee, so wie sie seinem Vater in individueller Ausprägung zur Deutung des innern Geschicks seiner selbst wie seiner Kinder geworden war. Damit aber besaß nun Kierkegaard den Schlüssel, mit dem er in fortschreitendem Verständnis alle ihm vorläufig noch rätselhaften Einzelheiten seines Geschicks aufzuschließen sich bemühte. Dies ganze Geschehen aber drängte sich zusammen in dem, was man geistig verstanden einen Augenblick nennen muß.“⁴⁴⁵
Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 504. Die Kierkegaard „allein noch einigermaßen gewognen“ Möglichkeiten einer Lebensanschauung, fährt Hirsch fort, „sind die stoisch-fatalistische Resignation und die als Verzweiflung sich in der Tiefe verstehende [Möglichkeit], die bei Dichtern bestimmter Prägung sich finden kann“ (ibid.). Ibid., S. 29; vgl. dagegen LP, 183 (Anm. 65): „Mit der tieferen Empirie meint Kierkegaard die Gotteserfahrung.“ LP, 183 (Anm. 67). Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 31. LP, 183 (Anm. 68). Die Beschreibung jenes Augenblicks sei daher „Bruchstück eines persönlichen Bekenntnisses“ (Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 32). LP, 183 (Anm. 68).
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In Bezug auf den Begriff der Lebensanschauung betont Hirsch in Heft 1 (1930) der Kierkegaard-Studien zwei Kennzeichnen: zum einen müsse eine Lebensanschauung „in einer persönlichen Geschichte persönlich errungen“ werden, zum anderen könne es ebendeshalb im strengen Sinne nur eine „wahre Lebensanschauung“ geben, und zwar diejenige, die „durch den persönlich durchlebten Widerspruch der Erfahrung hindurch persönliche Gewißheit gefunden“⁴⁴⁶ habe. In Heft 3,1 (1931) der Kierkegaard-Studien differenziert Hirsch darüber hinaus zwischen zwei sich im Begriff der Lebensanschauung zu einer Totalität durchdringenden Momenten: einem apriorischen Moment, d. h. dem Glauben, und einem aposteriorischen Moment, d. h. der „ganze[n] Lebenswirklichkeit“⁴⁴⁷, mit der sich der Mensch im Glauben versöhnt wisse. Eine Lebensanschauung kann für Hirsch daher nicht vom Bereich der Erfahrungswirklichkeit losgelöst, sondern nur an ihn gebunden gedacht werden. Erst durch diese ihre aposteriorische Gebundenheit und Bedingtheit könne eine Lebensanschauung eine „alles Einzelne im Wirklichkeitsverständnis bedingende Einheit“⁴⁴⁸ sein. Das Verhältnis von Apriori und Aposteriori sei von Kierkegaard daher in ganz bestimmter Weise aufgefasst: das Kierkegaard „Eigentümliche“ sei nämlich, „daß dies Apriorische als in einer persönlichen Geschichte werdend gesetzt ist, d. h. unter die Labilität der persönlichen Entwicklung tritt.“⁴⁴⁹
2.5.2.2 Klenkes Position Im Gegensatz zur „apologetischen Kierkegaard-Interpretation“ Hirschs, die von vornherein Kierkegaards Wahrheitskriterien „in einem geschichtlich bestimmten Sinne als christlich zu verstehen sucht“⁴⁵⁰, möchte Klenke in seiner Dissertation Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard (1969)⁴⁵¹ der Existenzdialektik Kier-
Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 21 (Hervorhebungen zum Teil getilgt); „eine Lebensanschauung haben“ sei für Kierkegaard dasselbe wie „durch Sterben und Auferstehen eine Persönlichkeit sich errungen haben“ (ibid., S. 23). Ibid., S. 505. Ibid. Ibid., S. 508. „Dies labile Apriori“, fährt Hirsch fort, „welches an der Geschichte der Person sich erst vollzieht, aus dem Aposteriori also sich erhebt und es dennoch im Banne hält, ist wohl – freilich nie in formeller Schärfe reflektiert – eine der formellen Grundeigenheiten seines Denkens als Denkens unter dem Begriff der Lebensanschauung“ (ibid.; ohne Hervorhebungen). Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 14 f.; zur Kritik Klenkes an Hirsch vgl. auch S. 179 – 186 (Anm. 133). Siehe Einleitung, Anm. 14. Ausgangspunkt von Klenkes Untersuchung ist die Annahme, dass „Kierkegaard in seinem letzten Anliegen nur auf dem Hintergrund der spezifischen Problematik des neuzeitlichen Wahrheitsverständnisses [Stichwort: ‚Entdogmatisierung‘] in seinem
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kegaards als einem in seinem eigenen Sachzusammenhang stehenden Denken mit eigenständigen Wahrheitskriterien ihr Recht zukommen lassen. Dieses dürfe nicht unkritisch mit dem paulinisch-lutherischen Rechtfertigungs- und Glaubensverständnis gleichgesetzt werden, sondern könne vielmehr erst „in einem zweiten, unabhängigen Schritt auf seine christliche Bedeutung hin befragt werden.“⁴⁵² Analog zur Unterscheidung zwischen der Wahrheit des Denkens und der Wahrheit des Glaubens sei auch bei Kierkegaard zwischen dem Denker der Lebensanschauung (als dem Kritiker in der Erstlingsschrift) und dem Menschen Kierkegaard (als deren Herausgeber) zu unterscheiden.⁴⁵³ Während Letzterer in seinen damaligen Tagebuchaufzeichnungen „in der Aneignung des Christlichen die vollgültige Verwirklichung wahrer Lebensanschauung“ sehe, könne Ersterer mit seiner „‚ästhetischen Richtergewalt‘…zwar einen ‚archimedischen Punkt‘ im Selbst des Menschen und den Vollzug der Doppelbewegung der Resignation als unabdingbare Merkmale wahrer Lebensanschauung erkennen, aber darüber hinaus nichts mehr über die Verwirklichung apriorischer Sicherheit im Leben des Menschen aussagen.“⁴⁵⁴ Der Denker der Lebensanschauung vermöge nämlich
Gegensatz zur vorgegebenen geschichtlich-dogmatischen Wahrheit des christlichen Glaubens“ (ibid., S. 3) verstanden werden könne. Diese Kluft zwischen Denken und Glauben habe Kierkegaard überwinden wollen, wobei er seinen Weg in der Verantwortlichkeit sowohl für das neuzeitliche Wahrheitsbewusstsein undogmatischer Wahrheit als auch für den „letztlich immer dogmatischen Christusglauben zu gehen“ versuchte. Dies habe „zu einer paradoxen Dialektik antithetischer Wahrheitsmomente“ (S. 2) geführt, welche als radikale Gegensätze weder vermittelt werden könnten noch dürften. Da die Wahrheit im Zeitalter des geschichtlichen Denkens „grundsätzlich nicht mehr objektiv, d. h. im Zusammenhang mit der Wirklichkeit des Menschen erfahren und erkannt werden“ (S. 4 f.) könne, müsse sie vom Menschen immer erst verwirklicht werden. Kierkegaards eigentliches Thema sei daher die „Dialektik des Existierens als Verwirklichung der letztgültigen Wahrheit im Leben des einzelnen Menschen“ (S. 9 f.). Zu diesem Zweck habe er das traditionelle Koordinatensystem von Offenbarung und Denken in der christlichen Glaubensbesinnung durch die Koordinaten der Existenz substituiert. Die ursprünglich die Funktion einer Feststellung inhaltlich feststehender Sachverhalte innehabenden traditionellen Begriffe seien in Kierkegaards Existenzdialektik „zu Chiffren der Relationen und Funktionen der ‚innerlichen Bewegung‘ des Existierens und ihrer Wahrheit“ (S. 12) radikal umorientiert worden. In Kierkegaards Erstlingsschrift sei erstmals diese „neue Koordination der Existenz und ihrer Wahrheit maßgebend gemacht worden“ (S. 14), weshalb sie auch den Ausgangspunkt von Klenkes Untersuchung bildet. Ibid., S. 15. Vgl. ibid., S. 44, S. 50, S. 57– 59, S. 61 f. und S. 69. Ibid., S. 50. Vgl. auch S. 60 f.: „die persönliche Entwicklung und das ‚Bekehrungserlebnis‘ [führen] Kierkegaard über sich als Denker hinaus. Kierkegaard widerfährt in der pietistischen ‚Gnadenminute‘ die Möglichkeit der Verwirklichung ‚apriorischer Sicherheit‘ im christlichen Glauben und der Anfang der Verwirklichung dieser Sicherheit selbst. Insofern unterscheidet sich der Mensch Kierkegaard von sich als Denker der Lebensanschauung, der lediglich den grund-
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„lediglich die allgemeinen Kriterien wahrer Lebensanschauung zu erheben“⁴⁵⁵, an denen sich auch der christliche Glaube ausweisen können müsse, um dem Begriff einer Lebensanschauung vollgültig zu entsprechen. Diese Kriterien wahrer Lebensanschauung sind für Klenke nun keine Sach-, sondern reine Verhältniskriterien, die kein Wahrheitsurteil über die verschiedenen möglichen Inhalte der Verhältnisse erlaubten.⁴⁵⁶ Die Wahrheit einer Lebensanschauung sei nicht die Wahrheit einer „Sache“ oder „Lehre“, sondern gründe allein „im ‚wahren‘ Verhältnis des Menschen zu aller vorhandenen Wirklichkeit, in der ‚inneren‘ Bewegung der Resignation“, die der Mensch kraft eines außerhalb der Welt und seines vorfindlichen empirischen Selbst liegenden „‚archimedischen Punktes‘“⁴⁵⁷ vollziehe. Im Zusammenhang der Verwirklichung wahrer Lebensanschauung werde vom Denker der Lebensanschauung daher „[d]ie grundsätzliche Möglichkeit eines variablen Horizontes verschiedener Wirklichkeits- und Erfahrungsinhalte“ angenommen, weshalb sich wahre Lebensanschauung im Verhältnis zu einem weltlichen Erfahrungshorizont ebenso verwirklichen lasse wie im Verhältnis zu einem „Horizont religiöser Wirklichkeit“⁴⁵⁸. Insofern nun aber die Wahrheit einer Lebensanschauung nicht die Wahrheit eines bestimmten Inhalts sein könne, könne „auch der ‚Inhalt‘ des christlichen Glaubens, seine Lehre, etwa die Versöhnung des Menschen mit Gott in Jesus Christus, nicht das entscheidende Merkmal wahrer Lebensanschauung sein.“⁴⁵⁹ Kierkegaard müsse deshalb das Wesen des christlichen Glaubens, wenn dieser Inbegriff wahrer Lebensanschauung sein solle, als den „‚archimedischen Punkt‘ im Leben des Menschen verstehen“⁴⁶⁰, vermöge dessen die innere Bewegung der
sätzlich ‚theoretischen‘ Aspekt des ‚Daß‘ der Sicherheit in sich selbst als Kriterium wahrer Lebensanschauung, nicht aber ihre Verwirklichung durch die Aneignung des Christlichen maßgebend machen kann.“ Ibid., S. 56. Vgl. ibid., S. 55. Ibid., S. 45; vgl. auch S. 16 f. zusammen mit SKS 17, 157, AA:6 / DSKE 1, 12 (8. Juli 1835). Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 56. Dass dieser religiöse Horizont dabei einen spezifisch christlichen ‚Inhalt‘ umfasse, indiziere das Römerbriefzitat, welches in der Tat, wie Klenke Hirsch konzediert, „eine ungeheuer auffallende Einfügung“ (vgl. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 29) sei: „Es ist das Bekenntnis des Menschen Kierkegaard zum Christentum, der in seiner ‚Bekehrung‘ die Möglichkeit der Verwirklichung apriorischer Sicherheit erfahren hat“ (Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 58; vgl. hierzu auch unten Anm. 461). Der Mensch Kierkegaard gehe damit aber über sich selbst als Denker der Lebensanschauung und über das für diesen „grundsätzlich unaufhebbare Entweder/Oder des variablen Wirklichkeitshorizontes“ (S. 57) hinaus; vgl. auch oben Anm. 451. Ibid., S. 45. Ibid., S. 46. Als Beleg dafür verweist Klenke auf eine Passage über die Aneignung des Christlichen in Kierkegaards Die Taten der Liebe (1847): „eigne Dir das Christliche an, und dann
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Resignation vollzogen werde. Indem Kierkegaard sowohl in der Erstlingsschrift wie überhaupt in allen seinen späteren Schriften von der Voraussetzung ausgehe, dass „die ‚Aneignung‘ des Christlichen die vollgültige Verwirklichung wahrer Lebensanschauung“ bedeute, sei seine „Auffassung des Christentums in spezifischer Weise festgelegt“: der Glaube als Aneignung des Christlichen sei „nicht Aneignung des vom Menschen unabhängigen Versöhnungshandeln [sic!] Gottes in Jesus Christus, sondern die Verwirklichung eines ‚archimedischen Punktes‘ im Selbst des Menschen oder, wie es auch heißen kann, einer ‚apriorischen Sicherheit‘.“⁴⁶¹ Bereits beim jungen Kierkegaard zeige sich daher der Glaube als „das Paradox“⁴⁶², dass ein Anzueignendes für den Menschen zum Grund der Möglichkeit werde, eine von aller vorhandenen Wirklichkeit unabhängige ‚apriorische Sicherheit‘ seines Selbst zu verwirklichen.⁴⁶³ Von dieser „paradoxen Verhältnisbestimmung“⁴⁶⁴, dass das Selbst (des Christen) die eigene Unabhängigkeit von aller Wirklichkeit aufgrund der Abhängigkeit von einem bestimmten „Faktum“⁴⁶⁵ gewinne (weshalb diese aufgrund einer Abhängigkeit ermöglichte Unabhängigkeit des Selbst formal gesehen „die paradoxe Struktur einer abhängigen Unabhängigkeit“⁴⁶⁶ aufweise), ist es für Klenke „nur noch ein weiterer Schritt“ zur Bestimmung des Wesens des Christentums als „das Paradox der Gewinnung der eigenen Unabhängigkeit in der Aneignung des Christlichen“ – ein Schritt, den Kierkegaard als Denker des Christlichen in seinen späteren Schriften dann auch „konsequent getan“⁴⁶⁷ habe.
wird es Dir einen Punkt außerhalb der Welt zeigen, mit dessen Hilfe Du Himmel und Erde bewegen wirst, ja, Du wirst das noch Wunderbarere tun, Du wirst Himmel und Erde so still, so leicht bewegen, dass niemand es merkt“ (SKS 9, 138 / LT, 151; dt. Übers. modifiziert). Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 46 (mit anschließendem Verweis auf Pap. I A 316 [SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50]; vgl. unten Anm. 479). Vgl. ferner S. 62: „Im Glauben des Christen widerfährt, indem Glaube von Kierkegaard nicht mehr als geschichtliches Heilshandeln Gottes in Jesus Christus verstanden werden kann, kein Geschehen, das der Grund des eigenen Heils ist, sondern ein Paradox. Der Glaube des Christen wird zu dem Paradox der Verwirklichung einer ‚apriorischen Sicherheit‘ des Menschen durch die Aneignung des Christlichen.“ Ibid., S. 47; vgl. S. 48 und S. 62 f. Vgl. ibid., S. 47. Ibid., S. 62. Ibid., S. 48. Ibid., S. 48; vgl. S. 69. Ibid., S. 62.
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2.5.2.3 Vergleich Hält man die Positionen Hirschs und Klenkes gegeneinander, so ist Klenke darin zuzustimmen, dass Kierkegaard (als der Kritiker) in der Erstlingsschrift offenlässt, ob wahre Lebensanschauung allein in der Aneignung des Christlichen vollgültig verwirklicht werden kann. Von daher ist es wohl kein Zufall, dass Hirsch in seiner zahlreiche Quellenzitate enthaltenden Interpretation der Erstlingsschrift ausgerechnet diejenige Anmerkung weder erörtert noch überhaupt erwähnt, in der sich der Kritiker ausdrücklich dagegen verwahrt, eine bestimmte Lebensanschauung zu propagieren, da er ohne Interesse an einer bestimmten Lebensanschauung lediglich Andersens negativen Standpunkt und dessen Recht, sich für eine Lebensanschauung auszugeben, zu bekämpfen suche.⁴⁶⁸ Indem Kierkegaard an der stilistisch wie terminologisch auffälligen Kernstelle der Erstlingsschrift statt eines inhaltlich-konkreten ein formal-abstraktes Kriterium – und zwar: ein bestimmtes Wirklichkeitsverhältnis des Menschen – zum Kriterium wahrer Lebensanschauung erhebt (auch hierin ist Klenke zuzustimmen), ist es ihm möglich, unter diesem anämischen Begriff der nichtsdestotrotz erfahrungsgesättigten Lebensanschauung⁴⁶⁹ sowohl eine humane als auch eine christlich-religiöse Möglichkeit als reale Möglichkeiten zu subsumieren. Obwohl man fragen kann, wie jene human begründete Verwirklichungsmöglichkeit gleichermaßen Inbegriff wahrer Lebensanschauung sein können soll, wenn sie „außerhalb der Berührung mit einer tieferen Empirie“⁴⁷⁰ bleibt (dieser Einwand
Vgl. SKS 1, 35 / LP, 66 (Anm.). Dass diese Vermeidung einer eindeutigen Positionierung durchaus beabsichtigt war, geht auch aus der Journalaufzeichnung FF:200 hervor, die Teil der von Kierkegaard vermutlich Ende August oder Anfang September 1838 im Zusammenhang mit dem Abschluss und der Veröffentlichung der Erstlingsschrift niedergeschriebenen Aufzeichnungen FF:198 – 215 ist, und in der Kierkegaard lakonisch erklärt: „Mein Standpunkt ist die bewaffnete Neutralität“ (SKS 18, 114, FF:200 / DSKE 2, 117; vgl. ferner SKS 21, 44, NB:6:61 / T 2, 322 (Anm. 48), wo Kierkegaard „die bewaffnete Neutralität“ als Titel einer Zeitschrift erwägt, sowie SKS 16, 111– 123 / EC, 301– 314). Der Ausdruck ‚die bewaffnete Neutralität‘ könnte auf Kierkegaards (frühe) Hamann-Lektüre zurückgehen, vgl. Johann Georg Hamann, Golgatha und Scheblimini (1784), in Hamann’s Schriften, Bd. 7, S. 17– 70, hier S. 58 f.: „Diese sichtbaren, öffentlichen, gemeinen Anstalten [scil. „Erziehungs- und Verwaltungs-Anstalten“] sind weder Religion, noch Weisheit, die von oben herabkommt; sondern irdisch, menschlich und teufelisch nach dem Einfluß welscher Cardinäle oder welscher Ciceroni, poetischer Beichtväter oder prosaischer Bauchpfaffen, und nach dem abwechselnden System des statistischen Gleich- und Uebergewichts, oder bewaffneter Toleranz und Neutralität.“ Ich verdanke diese Einsicht Markus Kleinert. SKS 1, 32 / LP, 63.
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Hirschs ist nicht von der Hand zu weisen⁴⁷¹, zumal die Beschreibung des Zustandekommens einer Lebensanschauung nicht wirklich auf einen solchen ‚rein menschlichen Standpunkt‘ passt), verbietet sich deshalb eine vorbehaltlose Gleichsetzung von Lebensanschauung und Glaube, wie sie Hirsch (noch) in Heft 1 der Kierkegaard-Studien vornimmt.⁴⁷² Die gleiche Gültigkeit verschiedener Wirklichkeits- und Erfahrungsinhalte bei der Verwirklichung wahrer Lebensanschauung impliziert aber keine Gleichgültigkeit des christlichen Glaubensinhalts selbst. Zu dieser Annahme tendiert Klenke, wenn er, ausgehend von einem grundsätzlich ‚variablen Horizont‘ der Inhalte bei der Verwirklichung wahrer Lebensanschauung, zu dem Schluss kommt, der Glaube sei für den jungen Kierkegaard nicht Aneignung des vom Menschen unabhängig im Christusereignis geschehenen Versöhnungshandelns Gottes, sondern das – von Klenke im Wesentlichen formal verstandene – „Paradox“⁴⁷³ der Verwirklichung einer von aller Wirklichkeit unabhängigen ‚apriorischen Sicherheit‘ durch die Abhängigkeit von einem bestimmten Faktum.⁴⁷⁴ Ab-
Vgl. übereinstimmend Ringleben, Aneignung, S. 427 f.; anders Schröer, Art. „Kierkegaard, Søren Aabye (1813 – 1855)“, S. 141,7– 8. Zum Stoizismus unter anderem als ironisch-distanzierter Lebensanschauung vgl. Schulz, Eschatologische Identität, S. 171– 173. Demgegenüber identifiziert Hirsch in Heft 3,1 (1931) der Kierkegaard-Studien, S. 505, lediglich das sich im Begriff der Lebensanschauung mit dem ‚aposteriorischen Moment‘ zu einer Einheit durchdringende ‚apriorische Moment‘ mit dem Glauben. Zum Vergleich von Hirschs Darstellung des Dichters Kierkegaard in Heft 1 (1930) und der demgegenüber sachlich vertieften Darstellung des Denkers Kierkegaard in Heft 3 (1931/33) der Kierkegaard-Studien vgl. Wilke, Die Kierkegaard-Rezeption Emanuel Hirschs, S. 214 f. und S. 220 – 224. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 47. Vgl. die oben in Anm. 453 angegebenen Stellen sowie ibid., S. 58. Diese problematische Annahme beeinflusst dann auch Klenkes Interpretation der „Bekehrung“ Kierkegaards bzw. Kierkegaards „Deutung seiner Bekehrung“ (S. 59) in der Journalaufzeichnung Pap. II A 228 [SKS 17, 254 f., DD:113 / DSKE 1, 222; vgl. hierzu Kap. 1, Anm. 128], deren Zusammenhang mit Kierkegaards Bestimmung der Kriterien wahrer Lebensanschauung als reiner Verhältniskriterien für Klenke „auf der Hand“ (S. 60) liegt. Die „in der Bekehrung empfangene unbeschreibliche Freude“ sei als Verwirklichung der apriorischen Sicherheit zugleich „eine völlig unbegründete Freude“, die als solche „grundsätzlich keine Freude über etwas sein“ könne – „etwa eine Freude, die gegründet ist im Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus. Die Freude der Bekehrungsminute bei Kierkegaard ist Freude an der Freude selbst, unbegründete, allein auf sich selbst als Freude verweisende Freude…Freude durch Freude ist der Abweis jeder möglichen Begründung der Freude durch eine bestimmte Wirklichkeit und insofern ist eine solche auf sich selbst gerichtete und in sich selbst begründete Freude Ausdruck der Unabhängigkeit des Menschen und einer apriorischen Sicherheit des Menschen in sich selbst, die durch nichts begründet und erschüttert werden können“ (ibid.; vgl. auch S. 63).
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gesehen von dieser fragwürdigen Verwendung des Paradoxbegriffs⁴⁷⁵ zur Charakterisierung von Kierkegaards Position wird damit die Erstlingsschrift, die den Ausgangspunkt von Klenkes Untersuchung bildet, aus der ihr vorhergehenden denkerischen Entwicklung Kierkegaards herausgelöst. Die Kierkegaard von Klenke attestierte Emanzipation des Glaubens vom „geschichtliche[n] Heilshandeln Gottes in Jesus Christus“⁴⁷⁶ steht nämlich einerseits in Spannung zu dem von Kierkegaard bereits in seiner frühen Auseinandersetzung mit Clausen und Schleiermacher gezeigten Bemühen um eine konstruktive Vermittlung zwischen der sogenannten ‚objektiven‘ Versöhnungslehre und einer freien, individuellen Aneignung der Heilstat Christi durch den Einzelnen im Glauben.⁴⁷⁷ Andererseits läuft dies der insbesondere in der Auseinandersetzung mit Erdmann zum Ausdruck kommenden Intention Kierkegaards zuwider, die geschichtliche Seite des Christentums herauszustellen, deren Vernachlässigung er für symptomatisch für die neuere Zeit hält.⁴⁷⁸ Ungeachtet der wesentlichen Übereinstimmung zwischen Kierkegaards Bestimmung von Lebensanschauung in der Erstlingsschrift und seiner Charakterisierung des Glaubens bzw. der für das christliche Leben konstitutiven Momente in den oben angeführten Aufzeichnungen werden von Klenke weder DD:79 noch DD:134 überhaupt erwähnt.⁴⁷⁹ Für die vorliegende Untersuchung ist die Erstlingsschrift vor allem deshalb interessant, weil Kierkegaard mittels des Begriffs der Lebensanschauung den zuvor von ihm in Papir 81:1 und DD:79 herausgestellten apriorischen Charakter des Glaubens als Manifestation eines positiven Verhältnisses des Menschen zur Wirklichkeit expliziert. Dieses vom unmittelbaren qualitativ verschiedene Wirklichkeitsverhältnis, wie es eine wahre Lebensanschauung kennzeichnet, ist nicht unmittelbar mit der Wirklichkeit selbst gegeben, sondern muss vom Menschen „in einer persönlichen Geschichte persönlich“⁴⁸⁰, kraft einer inneren Bewegung der
Gewiss sind die frühesten Belege für ‚Paradox‘ bei Kierkegaard allesamt (noch) ohne spezifisch christliche Bedeutung (siehe Kap. 3.2.2 und Kap. 3.3.2.5). Die Journalaufzeichnung SKS 18, 58 f., JJ:58 / DSKE 2, 163 von vermutlich Ende Februar 1843 markiert aber doch den entscheidenden Schritt zu dem für Kierkegaards Denken charakteristischen christologischen Paradox, wie es in den Climacus-Schriften seinen vollen Ausdruck findet. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 62. Siehe Kap. 1.2.2.1. Siehe Kap. 2.4.2.3. Klenke erwähnt allein Pap. I A 316 [SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50], wobei er die von Kierkegaard paraphrasierte Stelle aus der Apologie der Augsburger Konfession (siehe Kap. 1.6) als Aussage Kierkegaards (!) versteht, vgl. Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 47; ferner S. 63. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 21 (ohne Hervorhebungen).
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‚Resignation‘ gegenüber eben dieser Wirklichkeit erst errungen werden. Die Negation der gegebenen Wirklichkeit ist und kann daher nur eine vorläufige Position, „allenfalls als Moment in der Entwicklung auf eine Lebensanschauung hin“⁴⁸¹ zu rechtfertigen sein, in der dem Menschen ein positives Verhältnis zur zuvor negierten unmittelbaren Wirklichkeit (wieder) möglich geworden ist. Das Erlangen einer Lebensanschauung als Vollzug dieser Doppelbewegung von Entfremdung und Wiederaneignung, von Negation und Affirmation der Wirklichkeit ist jedoch kein einmalig abgeschlossener Vorgang, sondern ein fortgesetzter, ständig zu vollziehender Prozess, weshalb es Kierkegaard auch ausschließt, dass sich „die eigentliche Lebens-Anschauung erst…in jemandes Todesstunde einstelle“⁴⁸². Als Ausdruck einer solchen ‚Transsubstantiation der Erfahrung‘ (in) der Wirklichkeit ist die Gewissheit des Glaubens dann aber nicht nur eine von keiner Erfahrung (mehr) zu erschütternde, erfahrungsunabhängige, sondern auch eine eben dadurch erst erfahrungsbedingende Gewissheit.⁴⁸³ Als Einheit und stimmigen Zusammenhang im Leben stiftendes Moment vermag der Glaube nämlich die in lauter Einzelerfahrungen auseinanderfallende, insofern ‚atomistische‘ Lebens-, Welt- und Selbsterfahrung des Menschen in eine zentrale, kontinuierliche Erfahrung als definitives Zentrum zu transzendieren, „von der aus die Brüche in aller aktuellen endlichen Erfahrung sich relativieren lassen.“⁴⁸⁴ Die Wirklichkeit, seine Wirklichkeit erscheint dem Glaubenden nunmehr, wie bemerkt, in einem anderen Licht oder, wie ich an dieser Stelle hinzufügen möchte, der Glaubende nimmt seine Wirklichkeit anders wahr. So betrachtet, erscheint diese dem Glauben zugeschriebene eigentümliche Wahrnehmung als Präfiguration von Kierkegaards Vorstellung von der „Autopsie des Glaubens“⁴⁸⁵, die allerdings nicht mehr nur als Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 82 (in Bezug auf den Andersen von Kierkegaard zugeschriebenen Pessimismus, der „der weltlichen wie der religiösen Sicherheit“ ermangelt). SKS 1, 33 / LP, 64 (dt. Übers. modifiziert). Hierauf verweist auch Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 66, der diesbezüglich konstatiert: „Eine Lebensanschauung kann der Mensch nur im ständigen Erwerb der Lebensanschauung verwirklichen, eine erworbene Lebensanschauung verlangt nach dauernder Verwirklichung eben dieser Lebensanschauung.“ Vgl. hierzu Ringleben, Aneignung, S. 429 zur Stelle Pap. I A 316 [SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50]. Ibid., S. 425; vgl. auch S. 430 – 432. Vgl. hierzu sowie zur damit analogen Rede Kierkegaards von den ‚Augen‘ und ‚Ohren‘ des Glaubens SKS 4, 265 / PB, 62; SKS 4, 270 f. / PB, 67; SKS 4, 299 / PB, 99; Pap. V B 6,8; SKS 27, 297– 311, Papir 306 / DP, 75 – 92; SKS 27, 349, Papir 340:1 / T 2, 101; SKS 12, 299 / RAF, 36; ferner SKS 22, 162, NB12:34 / T 3, 270. Zur Interpretation der Autopsie des Glaubens vgl. Ettore Rocca, „Die Wahrnehmung des Glaubens. Kierkegaards Dimis-Predigt und die ‚Philosophischen Brocken‘“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 18 – 38; ders., „Vier Thesen zur Anthropologie Kierkegaards“ (siehe folgende Anm.); ferner Peter Fenves, „Autopsies of Faith in Kierkegaard’s ‚Philosophiske Smuler‘“, Modern Language Notes, Bd. 102, 1987, S. 1062– 1089.
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‚ein Anders-Wahrnehmen‘, geschweige denn als ein bloßes ‚ein Anderes Wahrnehmen‘, sondern vielmehr als ‚ein anderes Wahrnehmen‘ zu verstehen ist.⁴⁸⁶ Diese die unmittelbare Sinneswahrnehmung auf paradoxe Weise transformierende spezifische Wahrnehmung des Glaubens trägt in sich „eine qualitative Differenz“⁴⁸⁷ zur natürlichen Wahrnehmung und markiert einen „Bruch mit der Einbildungskraft“⁴⁸⁸. Die daraus folgende Koexistenz zweier Wahrnehmungsweisen beim Glaubenden zeigt sich nicht zuletzt beim Abendmahl, wie eine Passage aus der dritten der Abendmahlsreden über Joh 10,27 („Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir“) in der vierten Abteilung von Kierkegaards Christlichen Reden (1848) vor Augen führt: „Und am Altar gilt es vor allem, Seine Stimme zu hören. Denn freilich soll eine Predigt auch von Ihm zeugen, Sein Wort und Seine Lehre verkündigen; darum aber ist eine Predigt doch noch nicht Seine Stimme. Am Altar hingegen ist es Seine Stimme, die du hören sollst. Spräche auch ein anderer Mensch zu dir, was da am Altar gesprochen wird…falls du nicht Seine Stimme hörst, dann gingst du vergebens zum Altar. Wenn am Altar vom Diener des Herrn sorgsam jedes Wort gesprochen wird, wie es von den Vätern überliefert ist; wenn du sorgsam auf jedes Wort lauschst, so dass dir nicht das Mindeste, nicht ein Tüttel entgeht – falls du nicht Seine Stimme hörst, so dass Er es ist, der es spricht, dann gingst du vergebens zum Altar…Es muss Seine Stimme sein, die du hörst, wenn er spricht: kommet her alle, die ihr mühselig und beladen seid, also Seine Stimme, die dich einlädt; und es muss Seine Stimme sein, die du hörst, wenn Er spricht: dies ist mein Leib. Denn am Altar wird nicht über Ihn gesprochen; dort ist Er selbst persönlich gegenwärtig, dort ist Er es, der da spricht – wenn nicht, dann bist du nicht am Altar. Sinnlich verstanden kann man freilich auf den Altar zeigen und sagen: ‚dort ist er [scil. der Altar]‘; geistig verstanden jedoch ist er eigentlich nur dort, wenn du dort Seine Stimme hörst.“⁴⁸⁹
Abschließend noch eine Bemerkung zur Bedeutung des Begriffs der Lebensanschauung für Kierkegaards Rede vom Glauben. Zweifellos ist der Begriff der Lebensanschauung nicht nur für die Literaturkritik in Kierkegaards Erstlingsschrift, sondern zum Beispiel auch für die Kennzeichnung der Standpunkte des Ästhetikers und des Ethikers in Entweder – Oder (1843)⁴⁹⁰ von zentraler Bedeutung. Die Charakterisierung (der Gewissheit) des Glaubens unter Heranziehung des Begriffs
Vgl. Ettore Rocca, „Vier Thesen zur Anthropologie Kierkegaards“, in Schleiermacher und Kierkegaard. Subjektivität und Wahrheit. Akten des Schleiermacher-Kierkegaard-Kongresses in Kopenhagen, Oktober 2003, hg. von Niels Jørgen Cappelørn [et al.], Berlin und New York 2006 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 11), S. 543 – 560, hier S. 552– 560. Ibid., S. 556. Ibid., S. 558. SKS 10, 289 f. / CR, 291 f. (meine Übers.). Vgl. hierzu Rocca, „Vier Thesen zur Anthropologie Kierkegaards“, S. 557, sowie ders., „Die Wahrnehmung des Glaubens“, S. 21– 30. Vgl. z. B. SKS 2, 21 / EO1, 15.
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der Lebensanschauung sollte für Kierkegaard jedoch eine kurze Episode bleiben. Überhaupt hat Kierkegaard nach der Erstlingsschrift nur noch ganz vereinzelt den Begriff der Lebensanschauung direkt oder indirekt mit dem Christentum in Verbindung gebracht.⁴⁹¹ Wenn daher Klenke behauptet, Kierkegaards Auffassung des
Der Begriff „Lebens-Anschauung“ [Livs-Anskuelse] bzw. (ganz selten) „Lebensanschauung“ [Livsanskuelse] begegnet in Kierkegaards Gesamtwerk (ohne Entwurfsmaterial) gut 210 Mal; zuweilen hat auch „Anschauung des Lebens“ [Anskuelse af Livet] denselben semantischen Gehalt (zu ‚Welt-Anschauung‘ vgl. oben Anm. 379). In den veröffentlichten Werken liegt die Konzentration klar auf Entweder – Oder II (65-mal), Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift (30-mal), Eine literarische Anzeige (28-mal), Aus den Papieren eines noch Lebenden (25-mal) und Stadien auf des Lebens Weg (25-mal). In den sonstigen veröffentlichten Werken und Artikeln: Entweder – Oder I (5-mal), Der Augenblick (5-mal, allesamt in Nr. 7), Erbauliche Reden in verschiedenem Geist (3-mal), Über den Begriff der Ironie (2-mal), „Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin“ (2-mal), Drei erbauliche Reden 1844 (1-mal), Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten (1-mal), Zwei Reden beim Altargang am Freitag (1-mal) und „Danksagung an Hrn. Professor Heiberg“ (1-mal) (im unveröffentlicht gebliebenen Das Buch über Adler (7-mal)). Während Kierkegaard in den veröffentlichten Werken an vielen Stellen von einer ‚ästhetischen‘ oder ‚ethischen Lebens-Anschauung‘ (in SKS 6, 403 / SLW, 464: „ästhetisch-ethische LebensAnschauung“) und insgesamt sieben Mal von einer ‚religiösen Lebens-Anschauung‘ oder ‚Lebens-Anschauung der Religiosität‘ spricht (vgl. SKS 6, 151 / SLW, 170; SKS 7, 75 / AUN1, 67; SKS 7, 16 / AUN2, [VI]; SKS 7, 392 / AUN2, 138; SKS 7, 399 / AUN2, 146; SKS 7, 416 / AUN2, 166; SKS 8, 85 / LA, 95; vgl. auch SKS 7, 522 / AUN2, 286; SKS 8, 16 / LA, 11), begegnet lediglich an zwei Stellen die Rede von einer ‚Lebensanschauung des Christentums‘ (SKS 13, 305 / A, 248; SKS 14, 173 / Z, 44; vgl. auch ‚christliche Anschauung des Lebens‘ in SKS 13, 298 / A, 239; SKS 13, 305 / A, 247; SKS 13, 312 / A, 254; vgl. ferner SKS 8, 428 / ERG, 352 und SKS 12, 281 / RAF, 19). In Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen gibt es aus der Zeit vor der Erstlingsschrift 19 Belege für „LebensAnschauung“ (vgl. SKS 27, 109, Papir 79 / T 1, 36; SKS 27, 135, Papir 141; SKS 27, 173, Papir 249; SKS 17, 106, BB:14 / DSKE 1, 113; SKS 17, 123, BB:37 / DSKE 1, 133; SKS 17, 200, CC:12 / DSKE 1, 160; SKS 17, 209, CC:25 / DSKE 1, 170; SKS 17, 214, DD:3 / DSKE 1, 176 (2-mal); SKS 17, 216 u. 218, DD:6 / DSKE 1, 180 (2-mal); SKS 17, 221, DD:10 / DSKE 1, 184; SKS 17, 225, DD:18 / DSKE 1, 189 (2-mal); SKS 17, 232, DD:31 / DSKE 1, 197; SKS 17, 234, DD:35 / DSKE 1, 199; SKS 17, 240, DD:55 / DSKE 1, 205; SKS 17, 254, DD:108 / DSKE 1, 221; SKS 18, 83, FF:39 / DSKE 2, 85; SKS 18, 106, FF:161 / DSKE 2, 109 (2mal); vgl. ferner die Mitschrift von Martensens Dogmatikvorlesung in SKS 19, 132, Not4:7 / DSKE 3, 138 und SKS 19, 133, Not4:8 / DSKE 3, 140), wobei in BB:14, DD:3, DD:6, DD:10 und DD:18 direkt oder indirekt vom Christentum als Lebensanschauung bzw. von der im Christentum enthaltenen Lebensanschauung gesprochen wird (vgl. auch DD:108: „die protestantische Lebensanschauung“). Nach der Erstlingsschrift wird in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen nur noch an zwei Stellen vom Christentum als Lebensanschauung (SKS 23, 81, NB15:114.a / T 4, 109; SKS 24, 38 f., NB21:50) und jeweils einmal von der „christlichen Lebens-Anschauung“ (Pap. III B 11; vgl. das zu Kap. 3, Anm. 645 gehörende Zitat) und der „Lebens- und Welt-Anschauung des Christentums“ (SKS 26, 167, NB32:67) gesprochen (vgl. auch SKS 20, 55, NB:64 / DSKE 4, 60; SKS 22, 150, NB12:8; SKS 23, 378, NB19:74; SKS 25, 422, NB30:49; SKS 26, 320, NB34:9 / T 5, 333; SKS 26, 331, NB34:20). Eine Identifikation von Lebensanschauung und Glaube findet sich konsequen-
2.6 Ergebnis
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Christentums sei „in spezifischer Weise festgelegt“, weil er „in der Erstlingsschrift wie in seiner gesamten folgenden Schriftstellerei von der Voraussetzung ausgeht, daß die ‚Aneignung‘ des Christlichen die vollgültige Verwirklichung wahrer Lebensanschauung“⁴⁹² bedeute, so wird der faktisch geringen Bedeutung des Begriffs der Lebensanschauung in diesem Zusammenhang nicht ausreichend Rechnung getragen.
2.6 Ergebnis Die Untersuchung von Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen aus der Zeit seiner eingehenden Beschäftigung mit Vertretern der Hegelschule und des spekulativen Theismus von Anfang 1837 bis Sommer 1838 und Kierkegaards Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) als unmittelbarem literarischem Niederschlag seiner philosophischen Vertiefung hat gezeigt, dass sich für Kierkegaards Glaubensverständnis vor allem seine Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte im Frühjahr 1837 und mit Erdmann Ende 1837 als wichtig und einflussreich erwiesen hat. In seinen auf der Grundlage einer kursorischen Lektüre von Fichtes Die Idee der Persönlichkeit (1834) gemachten Bemerkungen in der Journalaufzeichnung AA:22 hat Kierkegaard die ihm im Herbst 1835 zugewachsene Überzeugung von der Unvereinbarkeit von Philosophie und Christentum bewusstseinstheoretisch als radikale Differenz zwischen dem allgemein menschlichen und dem spezifisch christlichen Bewusstsein gefasst. Durch seine wesentliche Bezogenheit auf etwas aus der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung unableitbares Neues sei der Glaube als das ‚unmittelbare Bewusstsein‘ des Christentums von dem ‚allgemein menschlichen unmittelbaren Bewusstsein‘ von Grund auf unterschieden. Infolge der unzureichenden Aufmerksamkeit Fichtes auf diese Neuheit des Christentums und des in ihm sich aussprechenden Bewusstseins bleibe sein System hinter dem christlichen Zeitverständnis und den zentralen christlichen Kategorien zurück. Überdies steht Kierkegaards Auseinandersetzung mit Fichte wahrscheinlich auch im Hintergrund des in der Journalaufzeichnung CC:12 erstmals erhobenen und später auch an vielen Stellen seiner Schriften geäußerten Vorwurfs der philosophischen ‚Verflüchtigung‘ zentraler christlicher Begriffe. Die aus der Vermengung von Philosophie und Christentum resultierende ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensterweise weder in Kierkegaards veröffentlichten Werken noch in seinen Journalen und Aufzeichnungen. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 46; vgl. auch das in oben in Anm. 433 nachgewiesene Zitat Hirschs.
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begriffs besteht für Kierkegaard in der unsachgemäßen, weil seinen spezifisch christlichen Inhalt entleerenden Verwendung, wodurch ‚Glaube‘ zu etwas wird, das lediglich dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘ entspricht. Während der Glaubensbegriff auf christlichem Gebiet auf ein bestimmtes historisches Faktum zurückzuführen ist, wird ihm auf philosophischem Gebiet eine andere, alltägliche oder gewöhnliche Bedeutung gegeben, so dass sein christliches Proprium nicht mehr erkennbar ist. Durch Kierkegaards Auseinandersetzung mit Erdmann, in der seine später vor allem in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) erhobenen Einwände gegen eine die Eigentümlichkeit des Christentums nivellierende Spekulation angelegt sind, ist seine Überzeugung von der radikalen Neuheit des Christentums und des christlichen Bewusstseins weiter gefestigt worden. Im Kommentar zu Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) in Notizbuch 4 kritisiert Kierkegaard dabei, dass Erdmann nicht nur grundsätzlich den ‚klaffenden Abgrund‘ zwischen der abstrakten Deduktion eines Standpunktes und dessen Nachweis in der geschichtlichen Wirklichkeit verkannt, sondern speziell auch die Eigentümlichkeit des Christentums – sowohl was dessen besondere Geschichtlichkeit als auch was die von der allgemein menschlichen streng zu unterscheidende spezifisch christliche Erfahrung betrifft – nicht hinreichend berücksichtigt habe. Durch seine wesentliche Bezogenheit auf die Inkarnation Gottes in Jesus Christus bleibe das Christentum und die auf diese seine geschichtliche Grundtatsache fußende Tradition einer Rubrizierung in den allgemeingeschichtlichen Zusammenhang gleichsam im Grunde entzogen. Kierkegaards Überzeugung von der radikalen Neuheit auch des im Christentum sich aussprechenden Bewusstseins tritt vor allem bei seiner von Erdmann abweichenden Charakterisierung des Supranaturalismus zu Tage. Auch wenn Kierkegaards Bestimmung des (supranaturalistischen) Glaubens als eine Totalveränderung des Bewusstseins implizierendes ‚neues Bewusstsein‘ formal und inhaltsleer bleibt, wird deutlich, dass er dem Glauben dieselbe Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zuschreibt, die er zuvor auch in der Auseinandersetzung mit Fichte herausgestellt hat. Aller Kritik an Erdmann in Notizbuch 4 zum Trotz zeugt die Journalaufzeichnung DD:79 insofern von einer positiven Beeinflussung Kierkegaards durch Erdmann, als Kierkegaard in Anlehnung an Erdmanns Darstellung des ‚unbefangenen Glaubens‘ den von ihm zuvor in Papir 81:1 thematisierten apriorischen Charakter des Glaubens durch den Hinweis auf die paulinische Glaubensgewissheit in Röm 8,38 f. konkretisiert. Die Fortsetzung der Untersuchung von Papir 92 unter Voraussetzung der Datierung dieser Aufzeichnung auf das Wintersemester 1837/38 hat dann gezeigt, dass der Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach der Intention und den Adressaten der darin erstmals formulierten und später auch in vielen der
2.6 Ergebnis
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pseudonymen Schriften vorgebrachten Kritik Kierkegaards am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ in Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag und Heibergs Replik darauf in Perseus liegt. Kierkegaards Kritik wird verständlich vor dem Hintergrund von Heibergs Exkurs über die Problematik des Anfangs der Philosophie und des philosophischen Systems sowie in Anbetracht der Art und Weise, wie Heiberg in diesem Zusammenhang die Position Martensens wiedergibt und in die eigene Argumentation integriert. Indem Martensen – nach Heibergs Darstellung – in den ‚leeren Raum‘, den Hegel nach Aufhebung jeder (früheren) Voraussetzung der Philosophie unausgefüllt an bzw. als deren Anfang stehen gelassen hat, den Glauben einsetzt, entspricht dieser dem unbestimmten Unmittelbaren am Anfang der Logik. Ein solches Verständnis des Glaubens lediglich als des noch nicht in das Vermittelte übergegangenen, ersten ‚Unmittelbaren‘, das sich bei Martensen zwar ebenso wenig wie bei Hegel findet, Martensen von Heiberg aber – und via Heiberg dann auch von Kierkegaard – zugeschrieben wird, sollte Kierkegaard als steten Kontrapunkt zu seinem eigenen Verständnis des Glaubens betrachten, wie es später vor allem in den Wendungen ‚die neue Unmittelbarkeit‘ oder ‚die Unmittelbarkeit nach der Reflexion‘ zum Ausdruck gekommen ist.⁴⁹³ In seiner Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) hat Kierkegaard schließlich mittels des formal-abstrakt gefassten Begriffs der Lebensanschauung den apriorischen Charakter des Glaubens als Manifestation eines positiven Verhältnisses des Menschen zur Wirklichkeit expliziert. Das Zustandekommen einer Lebensanschauung ist ein Geschehen im Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit, das in einem von seinem unmittelbaren qualitativ verschiedenen Wirklichkeitsverhältnis resultiert. Das Wirklichkeitsverhältnis, wie es eine wahre Lebensanschauung kennzeichnet, ist nicht unmittelbar mit der Wirklichkeit selbst gegeben, sondern muss vom Menschen kraft einer inneren Bewegung der ‚Resignation‘ gegenüber eben dieser Wirklichkeit erst errungen werden. Als Ausdruck einer solchen ‚Transsubstantiation‘ nicht der Wirklichkeit selbst, sondern des Verhältnisses zur Wirklichkeit ist die Gewissheit des Glaubens dann aber nicht nur eine von keiner Erfahrung (mehr) zu erschütternde, erfahrungsunabhängige, sondern auch eine eben dadurch erst erfahrungsbedingende Gewissheit. Statt auf eine schroffe Entgegensetzung zielt Kierkegaard nun also auf eine konstruktive Beziehung zwischen GlaubensApriori und Lebenserfahrung. Als Einheit und stimmigen Zusammenhang im Leben stiftendes Moment vermag der Glaube die ‚atomistische‘ Lebens- und Selbsterfahrung des Menschen in eine zentrale, kontinuierliche Erfahrung als
Vgl. Kap. 1, Anm. 192 sowie Kap. 3.3.2.4.
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2 Die Zeit der philosophischen Vertiefung (Anfang 1837 bis Sommer 1838)
definitives Zentrum zu transzendieren, weshalb der Glaubende seine Wirklichkeit nunmehr anders wahrnimmt. Diese dem Glauben zugeschriebene eigentümliche Wahrnehmung kann als Präfiguration der späteren Vorstellung von der ‚Autopsie des Glaubens‘ verstanden werden.
3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung 3.1 Abgrenzung Die Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) „ist gewissermaßen der vorläufige Abschied Kierkegaards von seiner romantisch-ästhetischen Jugendepoche.“¹ Der Tod des Vaters, M.P. Kierkegaard, in der Nacht vom 8. auf den 9. August 1838² war wohl der Hauptgrund für den Entschluss des Sohnes, seine eigenen literarischen Pläne zurückzustellen und sein Theologiestudium wiederaufzunehmen, um es zum Abschluss zu bringen. In Kierkegaards Examensanmeldung vom 2. Juni 1840 heißt es hierzu bemerkenswert offen: „Frequentavi igitur assidue prælectiones hujus nostræ universitatis…Decursu vero temporum, quum in dies magis magisque fines theologiæ egrederer, pleno vento ad illud philosophiæ studium, quod tunc temporis præcipue inter nos innotuit atque esplenduit, delatus, in animum induxi neque me, qui theologiæ, neque theologiam esse, quæ mihi satisfaceret, et omnino theologiæ valedixi. Quæ quum ita essent, libere fateor, me, ni mors patris me voto quodammodo obstrinxisset, nunquam a me impetrasse, ut vestigia jam derelicta studia jam oblivioni tradita denuo succeperem.“³
Diese Motivation zum Abschluss des Theologiestudiums legen auch Brøchners „Erinnerungen an Søren Kierkegaard“ (1871/72)⁴ nahe, denen zufolge Kierkegaard in einem Gespräch mit Brøchner kurze Zeit nach seinem am 3. Juli 1840 bestandenen theologischen Examen erzählt habe, dass der Abschluss des Theologiestudiums der inständige Wunsch seines Vaters gewesen sei: „Solange Vater lebte, konnte ich jedoch meine Theorie, dass ich es [scil. das theologische Examen] nicht zu machen brauche, verteidigen, aber als er gestorben war und ich auch seinen Part in der Debatte übernehmen musste, da konnte ich mich nicht länger zur Wehr setzen, und so musste ich mich entschließen, mich aufs Examen vorzubereiten.“⁵ Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 5. Vgl. SKS 17, 258, DD:126 / DSKE 1, 226. SKS 28, 202, Brev 121 (meine Hervorhebungen). Vgl. auch die Journalaufzeichnung JJ:297 von Dezember 1844: „Als Vater gestorben war, sagte Sibbern zu mir: ‚Nun machen Sie ja niemals die theologische Prüfung‘, und dann machte ich sie gerade; wäre Vater am Leben geblieben, hätte ich sie niemals gemacht“ (SKS 18, 234, JJ:297 / DSKE 2, 241 f.; meine Übers.). Vgl. Einleitung, Anm. 82. Brøchner, „Erindringer om Søren Kierkegaard“, S. 341 (Nr. 6). Vgl. auch den undatierten Brief von Johannes C. Barth (1833 – 88) an Barfod aus dem Jahre 1870, abgedruckt in: Kirmmse, Søren Kierkegaard truffet, S. 145 – 147, hier S. 147.
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
Gleichwohl sollte diese „längste Parenthese, die ich erlebt habe“⁶ – wie Kierkegaard die ihm schwerfallende Zeit der Examensvorbereitung im Rückblick bezeichnet – in vollem Ernst erst ein dreiviertel Jahr nach dem Tod des Vaters beginnen. Im Frühjahr 1839 nimmt die Häufigkeit der nicht im Zusammenhang mit der Examensvorbereitung stehenden Aufzeichnungen merklich ab, obgleich es auch dann noch mehrere kürzere Unterbrechungen dieser Beschäftigung, sozusagen „Erholungsstunden im Geistigen“⁷, geben sollte, in denen er sich wieder ganz seinen eigenen Gedanken und Fragen hingegeben hat.⁸ Etwa Ende September 1839 konnte sich Kierkegaard dann endgültig zur Konzentration allein auf die Examensvorbereitung durchringen, womit ein vollständiger Abbruch der Eintragungen in das Journal EE ⁹, dem wichtigsten Journal aus dieser Zeit der Examensvorbereitung, einherging, dem Kierkegaards melancholischer Abschied von seinen ‚lichten Augenblicken‘ in der Journalaufzeichnung EE:189 vorausging: „Auch Euch, meinen lucida intervalla, muss ich entsagen, und Ihr, meine Gedanken, die Ihr in meinem Kopf gefangen sitzt, Euch kann ich nicht länger einen Spaziergang in der Kühle des Abends erlauben, aber verliert nicht den Mut, lernt einander näher kennen, verkehrt miteinander, und zwischendurch kann ich denn wohl heimlich zu Euch hineingucken – a revoir! / S. K. / weiland Dr. Exstaticus“¹⁰.
SKS 19, 185, Not5:19 / DSKE 3, 195; vgl. ferner SKS 18, 28, EE:66 / DSKE 2, 26; SKS 18, 46, EE:128 / DSKE 2, 47 und SKS 18, 55, EE:157 / DSKE 2, 55. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 554. Vgl. ibid. sowie die innerhalb kurzer Zeit entstandenen Journalaufzeichnungen EE:59 – 74 (SKS 18, 26 – 30 / DSKE 2, 24– 29; 10. bis 17. Mai 1839); EE:76 – 85 (SKS 18, 31– 33 / DSKE 2, 30 f.; 21. bis 24. Mai 1839); EE:115 – 142 (SKS 18, 43 – 49 / DSKE 2, 43 – 49; 20. bis 22. Juli 1839, wobei Kierkegaard die Aufzeichnungen EE:120 – 138 als Parenthese in der Parenthese der Examensvorbereitung bezeichnet hat, vgl. ferner EP I-II, S. 227); EE:143 – 150 (SKS 18, 49 – 53 / DSKE 2, 50 – 53; 25. bis 28. Juli 1839) und EE:153 – 160 (SKS 18, 54– 56 / DSKE 2, 54– 56; 7. bis 9. August 1839, also die Zeit um den ersten Todestag des Vaters). Vgl. SKS 18, 7– 63, EE:1– 188 / DSKE 2, 3 – 65. Die indirekt durch Barfods Ausgabe von Kierkegaards nachgelassenen Papieren überlieferten, undatierten Predigtentwürfe in EE:190 – 194 (SKS 18, 64– 69 / DSKE 2, 66 – 71; vgl. EP I-II, S. 238 – 243), die ursprünglich von den vorhergehenden Aufzeichnungen des Journals durch mehrere unbeschriebene Seiten abgesetzt waren (vgl. B-fort. 441), sind dagegen erst im Zusammenhang mit Kierkegaards Teilnahme an Übungen im Predigerseminar zwischen November 1840 bis September 1841, vermutlich im Wintersemester 1840/41, entstanden. Der Terminus post quem für die von der Rückseite des Bandes her in das Journal EE eingetragenen Aufzeichnungen EE:195 – 197 (SKS 18, 70 f. / DSKE 2, 72 f.) ist der 1. Februar 1839, vgl. den editorischen Bericht zu Journal EE in DSKE 2, 399 – 409, hier 402 f. SKS 18, 63, EE:189 / DSKE 2, 65 (meine Übers.). Zu den wenigen (erhaltenen) Aufzeichnungen auf losen Zetteln und Blättern sowie den Exzerpten in Journal KK, die Kierkegaard in Verbindung mit der Examensvorbereitung nach dieser Aufzeichnung im Wintersemester 1839/40 zu Papier gebracht hat, vgl. die Angaben unten in Anm. 12 und Anm. 13.
3.2 Die Zeit der Examensvorbereitung
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Durch diese zeitliche Lücke ist allerdings keine sachliche Lücke entstanden, die eine Untersuchung der Aufzeichnungen aus der Zeit der mehr oder minder intensiven Examensvorbereitung und der aus der Zeit nach dem Examen bis zur Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) als Abschnitte eines Kapitels als problematisch erscheinen ließe. Vielmehr hat Kierkegaard nach dem Examen „den geistigen Kampf genau da aufgenommen, wo er ihn etwa ein Jahr vorher hatte liegen lassen, am Verhältnis des Christentums zur Philosophie.“¹¹ Die Untersuchung von Kierkegaards Glaubensverständnis anhand seiner Journale und Aufzeichnungen aus diesem Zeitraum steht vor der Schwierigkeit, dass viele der in diesem Zusammenhang relevanten Aufzeichnungen nur knapp und skizzenhaft gehalten sind, wobei sich die meisten dieser Aufzeichnungen aus der Zeit nach dem Examen zudem nicht exakt datieren lassen. Gleichwohl wird zu fragen sein, inwieweit Kierkegaard sowohl in der Zeit der Examensvorbereitung (3.2) als auch in der Zeit der Ausarbeitung der Magisterabhandlung (3.3), in der er überdies an Übungen im Predigerseminar teilnahm, an frühere Einsichten über den Glauben angeknüpft hat und zu neuen Einsichten gekommen ist. Nach der Untersuchung der aus Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen aus der Zeit nach dem Examen herausstechenden Skizze seines ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH (3.3.1) sowie weiterer Aufzeichnungen aus dieser Zeit (3.3.2) samt der im Januar 1841 gehaltenen Seminarpredigt Kierkegaards (3.3.3) wird schließlich auf die von ihm Anfang Juni 1841 eingereichte Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie einzugehen sein (3.4). Im Zentrum der Untersuchung der Magisterabhandlung steht dabei zum einen die im ersten Teil durchgeführte Verhältnisbestimmung von Sokrates und Christus (3.4.1), zum anderen die im zweiten Teil explizit gemachten oder implizit enthaltenen Annahmen über das Verhältnis von Glaube und Wirklichkeit (3.4.2).
3.2 Die Zeit der Examensvorbereitung Wie bei den in Kapitel 1.2 untersuchten theologischen Notizen Kierkegaards aus der Zeit vom Beginn des Studiums im Wintersemester 1830/31 bis zum Frühsommer 1835 lässt sich auch bei den im Zusammenhang mit der Examensvorbereitung in der Zeit vom Wintersemester 1838/39 bis zum Wintersemester 1839/40 entstandenen Aufzeichnungen, die ebenfalls zum großen Teil in Verbindung mit dem Besuch entsprechender Veranstaltungen an der Theologischen Fakultät
Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 567 f.; vgl. auch die Bemerkungen Gerdes’ in T 1, [174] und [226].
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
niedergeschrieben worden sind, eine Konzentration auf die Gebiete der Exegese des Neuen Testaments und der Dogmatik erkennen. Von Kierkegaards exegetischer Beschäftigung zeugen dabei verschiedene Exzerpte aus einschlägigen Werken sowie Notizen und Bemerkungen zu einzelnen Stellen oder ganzen Kapiteln (vor allem aus den Synoptikern und dem Corpus Paulinum) hauptsächlich in den von ihm teilweise synchron geführten Journalen DD, EE, GG und KK. ¹² Dagegen spiegelt sich seine dogmatisch-theologische Beschäftigung in verschiedenen Buchexzerpten in Journal KK, Bemerkungen und Reflexionen vor allem in Journal EE sowie in den wahrscheinlich in Verbindung mit dem Besuch von Martensens Vorlesung über ‚Christliche Symbolik‘ im Wintersemester 1839/40 auf eine Papptafel notierten Bemerkungen über die (vornehmlich) protestantische Beicht- und Abendmahlslehre (Papir 260) wider.¹³ Überdies hat Kierkegaard vermutlich im Zusammenhang mit Clausens Wiederholung der Dogmatikvorlesungen von 1833/34 in überarbeiteter Form in den Jahren 1839/40 seine früheren Notizen in Notizbuch 1 ergänzt und erweitert.¹⁴ Ferner findet sich in Journal KK ein Exzerpt aus einem dogmengeschichtlichen Werk¹⁵, während in den Journalen DD und EE verschiedene Überlegungen zu
Vgl. vor allem SKS 17, 274– 278, DD:188 – 207 / DSKE 1, 244– 249; SKS 18, 8, EE:6 / DSKE 2, 4; SKS 18, 11, EE:13 / DSKE 2, 7; SKS 18, 12, EE:17 / DSKE 2, 8; SKS 18, 13, EE:21 / DSKE 2, 9; SKS 18, 13, EE:23 / DSKE 2, 10; SKS 18, 16, EE:33 / DSKE 2, 13; SKS 18, 119 – 121, GG:2– 6 / DSKE 2, 123 – 125 (Wintersemester 1838/39); SKS 18, 361– 372, KK:7– 8 / DSKE 2, 371– 382 sowie die auf mehrere lose Zettel und ein Doppelblatt notierten Aufzeichnungen SKS 27, 77– 81, Papir 27– 29 (Wintersemester 1839/40) zusammen mit den Angaben in den editorischen Berichten zu Journal DD in DSKE 1, 487– 498, hier 491 und 494; Journal EE in DSKE 2, 399 – 409, hier 406 f.; Journal GG in DSKE 2, 489 – 491, hier 491; Journal KK in DSKE 2, 663 – 673, hier 664– 668 sowie zu Papir 2 – 29 in SKS K27, 59 – 68, hier 68. Vgl. SKS 18, 343 – 352, KK:4 / DSKE 2, 353 – 362; SKS 18, 360, KK:6 / DSKE 2, 370 (Wintersemester 1838/39); SKS 27, 219 – 222, Papir 260 (B-fort. 462; KA, C pk. 3 læg 6; Wintersemester 1839/ 40) zusammen mit den Angaben in den in der vorhergehenden Anm. genannten editorischen Berichten sowie zu Papir 260 in SKS K27, 513 f., hier 514 (samt Anm. 1). In SKS 18, 28 – 36, EE:66 – 95 / DSKE 2, 26 – 35 finden sich mehrere Aufzeichnungen, die sich der Lektüre von unter anderem Bretschneider, Handbuch der Dogmatik; Schleiermacher, Der christliche Glaube sowie Hutterus redivivus oder Dogmatik der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Ein dogmatisches Repertorium für Studirende, hg. von Karl August Hase, 4. Aufl., Leipzig 1839 [1829] (ktl. 581) verdanken, vgl. hierzu DSKE 2, 406 f. Ferner ist anzunehmen, dass das Exzerpt von §§ 1– 23 aus einem Kollegheft zu Martensens Vorlesung über ‚Spekulative Dogmatik‘ im Sommersemester 1838 in Journal KK während des Sommersemesters oder kurz danach angefertigt worden ist (vgl. den editorischen Bericht zu Journal KK in DSKE 2, 669 – 673). Vgl. SKS 19, 77– 85, Not1:9 / DSKE 3, 81– 90 sowie die näheren Angaben hierzu in Kap. 1.2.2.1. Und zwar aus Johann Adam Möhler, Athanasius der Grosse und die Kirche seiner Zeit, besonders im Kampfe mit dem Arianismus, Bd. 1– 6, Mainz 1827 (ktl. 635 – 636) in SKS 18, 353 – 359, KK:5 / DSKE 2, 363 – 369.
3.2 Die Zeit der Examensvorbereitung
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Themen und Problemstellungen der Ethik¹⁶, Kirchen- und Dogmengeschichte¹⁷ sowie der alttestamentlichen Exegese¹⁸ begegnen.¹⁹ Für die Untersuchung von Kierkegaards Glaubensverständnis haben sich allerdings weniger diese in unmittelbarem Zusammenhang mit der Examensvorbereitung stehenden als vielmehr die in den besagten ‚Erholungsstunden im Geistigen‘ auf lose Zettel und Blätter sowie vor allem in Journal EE notierten Aufzeichnungen als wichtig erwiesen.²⁰ Diese verdanken sich zum Teil auch der Fortsetzung der im Zuge seiner philosophischen Vertiefung begonnenen Lektüre der von I.H. Fichte 1837 ins Leben gerufenen Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie ²¹, dem Diskussionsforum des spekulativen Theismus, sowie der von Bruno Bauer 1836 begründeten Zeitschrift für spekulative Theologie ²², dem neben den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik wichtigsten literarischen Organ der rechten Seite und des Zentrums der Hegelschule. Obwohl nicht wenige dieser Aufzeichnungen nur andeutend und aphoristisch gehalten sind, lässt sich in ihnen nicht nur die Wiederaufnahme und Weiterführung früherer Überlegungen
Vgl. vor allem die Notizen und Bemerkungen in SKS 18, 38 – 45, EE:101– 118 / DSKE 2, 37– 45 anlässlich der Lektüre von Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Lærebog i den christelige Sædelære og sammes Historie, übers. von Carl Emil Scharling, Kopenhagen 1835 [1833] (ktl. 871). In SKS 17, 257– 272, DD:121– 180 / DSKE 1, 224– 242 finden sich gut 20 Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen dem 11. Juli und dem 18. Dezember 1838, die sich wahrscheinlich an Kierkegaards Teilnahme am Repetitorium (privatissime) für Kirchengeschichte von Christian Thorning Engelstoft im Sommersemester 1838 und dessen Privatvorlesung über die Geschichte der Alten Kirche im Wintersemester 1838/39 knüpfen und aus denen hervorgeht, dass sich Kierkegaard (wenigstens) in dieser Zeit mit drei Überblickswerken zur Kirchengeschichte vertraut gemacht hat: Dr. Wilhelm Münschers Lærebog i den christelige Kirkehistorie til Brug ved Forelæsninger, übers. von Frederik Münter, umgearbeitet und neu hg. von Jens Møller, Kopenhagen 1831 (ktl. 168); Karl Hase, Kirkehistorie. Lærebog nærmest for akademiske Forelæsninger, übers. von Christian Winther und Peter Theodor Schorn, Kopenhagen 1837 (ktl. 160 – 166) und Heinrich Ernst Ferdinand Guerike, Handbuch der Kirchengeschichte, 3. Aufl., Bd. 1– 2, Halle 1838 [1833] (ktl. 158 – 159); vgl. den editorischen Bericht zu Journal DD in DSKE 1, 494. Vgl. SKS 18, 53 f., EE:152 / DSKE 2, 54 und SKS 18, 54, EE:152.a / DSKE 2, 54 sowie mehrere der in SKS 18, 8 – 25, EE:6 – 57 / DSKE 2, 4– 23 (Wintersemester 1838/39) und SKS 18, 57– 59, EE:163 – 173 / DSKE 2, 58 – 61 (Sommersemester 1839) abgedruckten Aufzeichnungen; vgl. auch den editorischen Bericht zu Journal EE in DSKE 2, 406 f. Die Journalaufzeichnung SKS 17, 271, DD:179 / DSKE 1, 241 vom 17. Dezember 1838 lässt zudem vermuten, dass Kierkegaard F.C. Sibberns Vorlesung über ‚Christentumsphilosophie‘ im Wintersemester 1838/39 besucht hat, vgl. den Kommentar zu DSKE 1, 241,17 in DSKE 1, 558. Vgl. oben Anm. 8. In ktl. 877– 911 sind Bd. 1– 20/I (1837– 48) sowie Bd. 23 – 27/I (1853 – 55) der Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie bzw. Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik (so der Titel dieser Zeitschrift ab 1847) aufgelistet. In ktl. 354– 357 sind Bd. 1– 3 (1836 – 38) der Zeitschrift für spekulative Theologie aufgelistet.
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
(3.2.1), sondern auch die Andeutung eines neuen Merkmals erkennen, das für Kierkegaards Glaubensverständnis spätestens Anfang 1843 eine zentrale Bedeutung erlangen sollte (3.2.2).
3.2.1 Wiederaufnahme und Weiterführung Die Wiederaufnahme und Weiterführung früherer Überlegungen betrifft vor allem das Verhältnis von Philosophie und Christentum, deren Unvereinbarkeit Kierkegaard bereits im Herbst 1835 konstatiert hatte.Waren die damaligen, in einer Phase der eigenen Zweifel an der Überzeugungskraft des Christentums niedergeschriebenen Bemerkungen über das aus christlicher Sicht eingeschränkte Erklärungsund Deutungspotential der Philosophie im Blick auf das Verhältnis zwischen Gott und Welt²³ noch vor Kierkegaards Bekanntschaft mit der hegelschen Philosophie entstanden, sollte er diese negative Verhältnisbestimmung von Philosophie und Christentum auch nach seiner eingehenden Beschäftigung mit Vertretern der Hegelschule und des spekulativen Theismus im Zuge seiner philosophischen Vertiefung²⁴ beibehalten und weiter bedenken. In mehreren Aufzeichnungen in Journal EE vor allem vom Frühsommer und Sommer 1839 ist es Kierkegaard an der Herausstellung des Unvermögens der Philosophie gelegen, den Standpunkt des Christentums adäquat (er)fassen und verstehen zu können.²⁵ In der Journalaufzeichnung EE:124 vom 20. oder 21. Juli 1839 bemerkt er hierzu: „Es geht der Philosophie im Verhältnis zum Christentum wie einem Inquisiten, der direkt gegenüber seinem Inquisitor eine Geschichte fabriziert, die in allen wesentlichen Momenten koinzidiert und doch gänzlich verschieden ist.“²⁶ Dass das Unvermögen der Philosophie sich dabei auch auf die (An‐)Erkenntnis einer transzendenten Offenbarung erstreckt, macht Kierkegaard in der Journalaufzeichnung EE:151 vom 30. Juli 1839 deutlich: „Die Philosophen meinen, alle Erkenntnis, ja das Dasein der Gottheit selbst sei etwas, das die Menschheit selbst produziert und dass nur im uneigentlichen Sinne von einer Offenbarung die Rede sein kann, ungefähr im selben Sinne, wie man sagen kann, dass der Regen vom
Siehe Kap. 1.4.1. Siehe Kap. 2.1. Vgl. SKS 18, 31 f., EE:80 / DSKE 2, 30; SKS 18, 32, EE:83 / DSKE 2, 31; SKS 18, 46, EE:124 / DSKE 2, 46; SKS 18, 53, EE:151 / DSKE 2, 54 (zusammen mit SKS 18, 53, EE:151.a / DSKE 2, 54 und SKS 18, 53, EE:151.b / DSKE 2, 54 sowie bereits SKS 17, 270, DD:176.a / DSKE 1, 240); SKS 18, 54, EE:153 / DSKE 2, 54 (zusammen mit SKS 18, 46, EE:127 / DSKE 2, 46 und SKS 18, 330 f., KK:2 / DSKE 2, 340); SKS 18, 59, EE:171 / DSKE 2, 60; ferner SKS 18, 113, FF:195 / DSKE 2, 116. SKS 18, 46, EE:124 / DSKE 2, 46 (meine Übers.).
3.2 Die Zeit der Examensvorbereitung
259
Himmel herabfällt, da doch dieser Regen nichts anderes als der von der Erde produzierte Nebel ist; sie vergessen aber, um im Bilde zu bleiben, dass Gott im Anfang die Wasser des Himmels und der Erde schied, und dass es etwas Höheres gibt als die Atmosphäre.“²⁷
Überhaupt setze das christliche Bewusstsein, wie es in der Journalaufzeichnung EE:83 vom 24. Mai 1839 heißt, „sowohl in weltgeschichtlicher als auch in individueller Hinsicht beim Einzelnen“ „ein ganzes vorhergehendes menschliches Bewusstsein voraus“, und während der Christ deshalb „mit dem Bewusstsein einer Sintflut“ dastehe, welche „das vorhergehende Dasein vernichtet“ habe, glaube die Philosophie, „dass hier der Anfang des Daseins“²⁸ geschehe. Gleichwohl werde, wie Kierkegaard kurze Zeit später in der Journalaufzeichnung EE:90 vom 5. Juni 1839 ergänzt, dem allgemein menschlichen Standpunkt von Seiten des Christentums durchaus ein Existenzrecht zugestanden – solange er seine Grenzen einhalte und nicht in den Standpunkt des Christentums einzugreifen trachte: „Der Standpunkt des Christentums im Verhältnis zu einem allgemein humanen Standpunkt ist wie jener der Kirche zum Staat, die den Staat nicht negiert, außer insofern dieser einen Eingriff in jene machen will.“²⁹ Für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse ist nun zum einen der unter Kierkegaards losen Papieren befindliche Entwurf zu einer Schrift mit dem Titel „Telegraphien von einem Mousvoyant an einen Clairvoyant über das Verhältnis zwischen Christentum und Philosophie“³⁰, den er bereits in der Zeit SKS 18, 53, EE:151 / DSKE 2, 54 (dt. Übers. modifiziert), wobei Kierkegaard (mit Anspielung auf I Kor 13,9.12) am Rand zu dieser Aufzeichnung ergänzt: „Die Erkenntnis dieses Höheren ist natürlich stückweise“ (SKS 18, 53, EE:151.b / DSKE 2, 54). Vgl. auch EE:171 vom 30. August 1839: „Das ist die Beschreibung der menschlichen Erkenntnis, wie sie vor dem Christentum war, die man bei Mk 7,31– 37 findet. ‚er konnte nicht hören‘ denn der Himmel war ihm nicht geöffnet, und Gottes Wort hatte nicht wiedergeklungen (denn geschaffen war zwar alles von Gott, aber der Wiederklang, die Resonanz in der Schöpfung gab es noch nicht)“ (SKS 18, 59, EE:171 / DSKE 2, 60; dt. Übers. modifiziert). SKS 18, 32, EE:83 / DSKE 2, 31 (meine Übers.). DSKE 2, 31 übersetzt „en heel foregaaende msklig Bevidsthed“ mit: „ein heiles vorhergehendes m[en]schliches Bewusstsein“, was das anschließende Bild von der Sintflut als Vernichtung eines vorhergegangenen Daseins, dessen Zustand Gott gerade nicht ‚heil‘ und deshalb bewahrenswert erschien, unverständlich macht. SKS 18, 34, EE:90 / DSKE 2, 32 f. (dt. Übers. modifiziert). Zum Verhältnis von allgemein menschlichem und christlichem Standpunkt vgl. ferner SKS 18, 10, EE:10 / DSKE 2, 6; SKS 18, 15, EE:30 / DSKE 2, 12; SKS 18, 20 – 22, EE:43 / DSKE 2, 16 – 18; SKS 18, 22, EE:47 / DSKE 2, 20 sowie SKS 18, 34, EE:92 / DSKE 2, 33; außerdem Kap. 2, Anm. 77. SKS 27, 213,1– 3, Papir 259:1 / T 1, 175 (meine Übers.). Die Pluralform ‚Telegraphien‘ [Telegrapheringer] begegnet in Kierkegaards Werk sonst nur noch in SKS 3, 79 / EO2, 83 („mit Deinem Winken aus der Ferne“); SKS 3, 111 / EO2, 116 („Blinkzeichen von ferne“) und SKS 7, 171 / AUN1, 177 („das Telegraphieren“). Vgl. auch SKS 4, 133 / FZ, 38 („Spiegelblitz“ [Brøks-Telegraphering]; vgl. hierzu FZ, 147 (Anm. 40), wo Hirsch auf „den rein optischen, mit gespiegelten
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vom 22. Oktober bis zum 17. Dezember 1838 auf zwei lose Blätter und ein Doppelblatt kittfarbenen Schreibpapiers notiert hat.³¹ Soweit es sich aus diesem von den Herausgebern von Pap. in insgesamt sechzehn Aufzeichnungen (Pap. II A 786 – 801) eingeteilten, von den Herausgebern von SKS als Papir 259 registrierten Entwurf rekonstruieren lässt, sollte (das) Ziel dieser ‚Telegraphien‘-Schrift³² offenbar sein, das Verhältnis von Philosophie und Christentum auf polemische Weise³³ als Gegensatz des Antiken und des Christlichen abzuhandeln und das Nein des Christentums zum antiken Ideal der Schönheit zur Sprache zu bringen.³⁴ Auf eben diese ‚Telegraphien‘ hat Kierkegaard in einem Entwurf zu den hinteren Kapiteln der Philosophischen Brocken (1844) – dabei direkt unter der Überschrift „Kapitel. IV. / Das Ärgernis am Paradox“ und über der auch bereits im September 1836 in der Aufzeichnung Papir 185 festgehaltenen Äußerung Hamanns über die Unwahrscheinlichkeit der christlichen Glaubenswahrheiten – explizit verwiesen und zurückgegriffen.³⁵ Auch wenn der merkwürdige Titel der ‚Tele-
Lichtzeichen arbeitenden Telegraphen“ verweist) sowie SKS 4, 430 / BA, 134 („Winkzeichen“ [Telegraphering]). Vgl. SKS 27, 213 – 216, Papir 259 / T 1, 175 – 177 (teilweise übersetzt) (B-fort. 426; KA, A pk. 41 læg 3). Laut B-fort., S. 189 gehört dieser Entwurf zu dem Teil der losen Papiere, die sich bei Kierkegaards Tod in „einer großen Pappschachtel“ mit dem Zeichen „A“ sowie der Aufschrift „Journale und anderes Derartiges aus einer älteren Zeit“ befunden haben; vgl. die Angaben im editorischen Bericht zu Papir 259 in SKS K27, 497 f. Eine erste Spur dieses Planes findet sich in der Journalaufzeichnung DD:123 vom 1. August 1838: „Über das Verhältnis zwischen Christentum und Philosophie / Motto: Trifft ’n Mann ’n Mann auf ’n’m Weg, und ’n Mann hat ’n Rechen und ’n Mann hat ’n Spaten, kann dann ’n Mann ’n’m Mann schaden?“ (SKS 17, 257 / DSKE 1, 225; dt. Übers. modifiziert). Dieses „in einer Art jütländischem Dialekt“ (Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 148) verfasste Motto, das auf seine eigene Art die Inkommensurabilität der beiden ‚Größen‘ Christentum und Philosophie zum Ausdruck bringt, wird in SKS 27, 213,5 – 9, Papir 259:1 (Pap. II A 786) als eines von drei Motti für die geplante Schrift angeführt. Vgl. hierzu Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 561 f. Vgl. SKS 27, 213,13 – 15, Papir 259:1 / T 1, 175 (Pap. II A 790): „Das Christentum will nicht mit der Philosophie unterhandeln, auch wenn diese die Beute mit ihm teilen will, es will nicht, dass Sodoms König sagen wird: ich habe Abraham reich gemacht“ (meine Übers.). Vgl. SKS 27, 213,18 – 29, Papir 259:1 / T 1, 176 (Pap. II A 791): „Das Christentum akzentuiert überhaupt nicht die Idee der irdischen Schönheit, welche bei den Griechen doch alles war; im Gegenteil spricht Paulus mit echt humoristischem Aufschwung von dem irdenen Gefäß, in dem der Geist wohnt – Eine Frage ist, wieweit Christus als ein Ideal menschlicher Schönheit dargestellt werden soll. – und recht sonderbar: während man sonst so viel Ähnlichkeit zwischen ihm und Sokrates gefunden hat, hat man an diese Seite überhaupt nicht gedacht; denn Sokrates war bekanntlich hässlicher als die Erbsünde“ (meine Übers.). Ms. 2 in SKS K4, 175, Blatt [1r] (B-fort. 416; KA, B pk. 14 læg 2; Pap. V B 6:1; vgl. Kap. 1, Anm. 177 und Anm. 186). Zur Einarbeitung der ‚Telegraphien‘ vgl. auch Ms. 4 in SKS K4, 175, Blatt [16r] (L-fort. 388; KA, B pk. 14 læg 2; nicht in Pap. V B 11 abgedruckt). Siehe Kap. 1.4.2.
3.2 Die Zeit der Examensvorbereitung
261
graphien‘-Schrift keinen Eingang in das fertige Werk gefunden hat, in dem das ursprüngliche vierte Kapitel die „Beilage“³⁶ zum dritten Kapitel („Das absolute Paradox“) bildet, lassen sich in den Philosophischen Brocken die mehr als fünfeinhalb Jahre zuvor entstandenen ‚Telegraphien‘ wiedererkennen. Dies betrifft nicht nur das Thema an sich, den unglücklichen „Zusammenstoß“³⁷ von Paradox und Verstand, und den polemischen Stil dieses Abschnitts, sondern auch den Gebrauch einzelner Formulierungen.³⁸ Bemerkenswert ist überdies, dass auch der ursprünglich angedachten Einteilung der Philosophischen Brocken – und damit zugleich der später daraus als eigenständige Schrift hervorgegangenen Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) – in die drei Abschnitte „Propositio / Positio / historisches Kostüm“³⁹, wie diese sich in den ersten Entwürfen zu den Philosophischen Brocken findet, bereits ebenfalls in den ‚Telegraphien‘ vorgegriffen ist⁴⁰, wo es (Papir 259:2 und Papir 259:3) heißt: „1. Position / pathologisches⁴¹ Muskelspiel / und / physiognomische Stellungen / im Kostüm /… / 2. Position / exacerbatio cerebri.“⁴²
Vgl. SKS 4, 253 – 257 / PB, 46 – 51. SKS 4, 253 / PB, 46. Vgl. hierzu SKS K4, 188 f. Ms. 1.1 in SKS K4, 174, Blatt [3r] (B-fort. 390; KA, B pk. 14 læg 1; Pap. V B 1:12). Vgl. hierzu SKS K4, 189. Die Verwendung von ‚pathologisch‘ [pathologisk] an dieser Stelle mit der Bedeutung ‚sinnlich-leidenschaftlich‘ ist offensichtlich von Sibberns ‚Psychologischer Pathologie‘ beeinflusst, vgl. Frederik Christian Sibbern, Menneskets aandelige Natur og Væsen. Et Udkast til en Psychologie, Bd. 1– 2, Kopenhagen 1819 – 28; Bd. 2, S. 3 f. (§ 1) zusammen mit dem Kommentar zu SKS 27, 215,28 in SKS K27, 507; vgl. auch unten Anm. 209. Auch Kierkegaards Lehrer P.M. Møller verwendet ‚pathologisch‘ in dieser Bedeutung, vgl. z. B. Møllers Rezension von Sibberns „Om Poesie og Konst i Almindelighed“, S. 208 (Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 2, S. 125). SKS 27, 215,27– 216,7, Papir 259:2– 3 / T 1, 176 f. (dt. Übers. modifiziert; vgl. Pap. II A 799 und 801); vgl. hierzu die Angaben im Kommentar zu SKS 27, 215,28 – 31 in SKS K27, 507 f. sowie zu SKS 27, 216,7 in SKS K27, 510. Zum Ausdruck „exacerbatio cerebri“ (Kierkegaard schreibt eigentlich „exacerberatio“, was also seine eigene Wortbildung ist (vgl. den Kommentar zu seiner Bibelübersetzung im Journal CC in SKS K17, 286), in SKS jedoch zu „exacerbatio“ geändert wurde), der hier m. E. am ehesten im Sinne einer (durch eine Provokation des Verstandes o.Ä. hervorgerufenen) ekstatischen ‚Erregung des Gehirns‘ zu verstehen ist, vgl. SKS 27, 213,9 f., Papir 259:1 und SKS 2, 296 / EO1, 328. Hirsch glaubt im Entwurf zur ‚Telegraphien‘-Schrift nicht nur eine Verwandtschaft mit der Fragestellung der späteren Climacus-Schriften zu erkennen, sondern auch in nuce ein Moment der späteren Pseudonymität (dieser (?) Schriften): „Kierkegaard wollte nach dem Plan [scil. zur ‚Telegraphien‘-Schrift] entschieden das Verhältnis zwischen Christentum und Philosophie nicht thetisch, sondern durch Aufwerfen von Problemen…entwickeln, und er wollte die Schwierigkeiten durch ‚pathologisches Muskelspiel und physiognomische Stellungen in Kostüm‘ veranschaulichen. Das heißt, es liegt in dem Plane keimhaft schon ein Moment, wel-
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Neben dem Entwurf zur ‚Telegraphien‘-Schrift interessiert in diesem Zusammenhang zum anderen die Weiterführung der im Frühjahr 1837 begonnenen Auseinandersetzung Kierkegaards mit dem jüngeren Fichte in der Journalaufzeichnung EE:147 vom 28. Juli 1839.⁴³ Wie in Kapitel 2.2.2 gezeigt, stand im Hintergrund der von Kierkegaard im Frühjahr 1837 niedergeschriebenen kritischen Bemerkungen zu Fichte vermutlich die Überzeugung von dessen unzureichender Aufmerksamkeit auf die radikale Neuheit nicht nur des Christentums gegenüber der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung, sondern auch des im Christentum sich aussprechenden Bewusstseins gegenüber dem allgemein menschlichen Bewusstsein. Als das ‚unmittelbare Bewusstsein‘ des Christentums sei der Glaube von dem ‚unmittelbaren Bewusstsein‘, wie es dem Menschen durch die ‚erste Schöpfung‘ zuteil werde, gerade von Grund auf unterschieden. Da ‚Fichte etc.‘ dies nicht hinreichend berücksichtigt hätten, seien sie nicht über das ‚allgemein menschliche unmittelbare Bewusstsein‘ hinausgekommen. Anlass für die Weiterführung der Auseinandersetzung mit Fichte in EE:147 war Kierkegaards Lektüre von Fichtes Abhandlung „Aphorismen über die Zukunft der Theologie, in ihrem Verhältnisse zu Spekulation und Mythologie“ (1839)⁴⁴. Zwar kann Kierkegaard nun den „neuesten Bestrebungen der Philosophie (bei Fichte usw.) im Hinblick auf das Christentum“ das ernsthafte Bemühen attestieren, die Eigentümlichkeit des Christentums respektieren zu wollen: „sie [scil. die Philosophie] nimmt sich doch jetzt Zeit, auf ihrer mühseligen Wanderung ein klein wenig Einkehr zu halten, sie hemmt ein wenig ihre Eile, sie hat doch Geduld und Platz für einen Monolog von ihm [scil. dem Christentum], wenn sie auch wünscht, es möge sich so kurz fassen wie möglich“⁴⁵. Jedoch gingen bei all dem die Bestrebungen der Philosophie aus „auf die Anerkennung der Übereinstimmung des Christentums mit dem allgemein humanen Bewusstsein und die bei dieser Anschauung nur geschichtlich verschiedene, im Begriff aufgehobene konzentrische Duplizität von Christentum und Philosophie“⁴⁶. Damit aber werde die wahre christliche Anschauung verkannt, dass nicht „die allgemein menschliche Existenz“ das Christentum erkläre und dieses nicht „nur ein Moment in der Welt“ darstelle, sondern dass das Christentum vielmehr selbst das die Welt Erklärende
ches später in der Pseudonymität seinen Ausdruck gefunden hat“ (Kierkegaard-Studien, S. 562; ohne Hervorhebungen). SKS 18, 51 f., EE:147 / DSKE 2, 51 f. Immanuel Hermann Fichte, „Aphorismen über die Zukunft der Theologie, in ihrem Verhältnisse zu Spekulation und Mythologie“, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 3, 1839, S. 199 – 285. SKS 18, 51, EE:147 / DSKE 2, 51 (meine Übers.). SKS 18, 51, EE:147 / DSKE 2, 51 f. (meine Übers.).
3.2 Die Zeit der Examensvorbereitung
263
sei. Die vorchristliche Entwicklung könne folglich auch nicht „konzentrisch mit dem Christentum“ genannt werden, „weil sie überhaupt kein Zentrum hatte, also auch nicht Christus, sondern nur die unendlich gebrochene Gerade, der unaufhörlich wiederholte exzentrische Versuch war“⁴⁷. So mache Fichte in den „Aphorismen über die Zukunft der Theologie“ zwar richtigerweise darauf aufmerksam, dass sich der Monotheismus niemals aus dem Polytheismus erklären lasse⁴⁸, jedoch müsse man, so richtig dies auch sei, „mit ebensolcher Strenge einschärfen, dass sich der christliche Monotheismus in alle Ewigkeit nicht aus dem heidnischen [Polytheismus] erklären“⁴⁹ lasse. Dass dies bei Fichte aber nicht deutlich (genug) herausgestellt werde, exemplifiziert Kierkegaard in der Randbemerkung EE:147.a an Fichtes Gegenüberstellung von Judentum und den heidnischen Religionen. Zwar bestreitet Fichte an der von Kierkegaard gemeinten Stelle seiner Abhandlung, dass man die mosaische Religion und die heidnischen Religionen „in ein dialektisches Verhältniß von auseinander hervorgehenden Stufen“ bringen könne, doch sieht er sie im Christentum als „Zusammentreten und höher vermitteltes Einswerden“⁵⁰ (des dem einen in dem anderen jeweils Fehlenden) nichtsdestotrotz vereinigt. Das Christentum ist daher, wie Fichte an dieser von Kierkegaard auch in der Randbemerkung zitierten Stelle schreibt, „nicht nur der Beschluß und Vollender des jüdischen Kultus, sondern ebenso der Schlüssel und Deuter des heidnischen Polytheismus“⁵¹. Damit aber wird das Heidentum, wie Kierkegaard kritisiert, scheinbar „auf die gleiche Stufe mit dem Judentum gegenüber dem Christentum“⁵² gestellt. Für Kierkegaard ist also die prinzipielle Unerklärbarkeit des christlichen Monotheismus aus dem heidnischen Polytheismus unbedingt einzuschärfen, „damit der Offenbarungsbegriff nicht verflüchtigt und uns durch solche Streiche entrissen“ werde. Dieser enthalte nämlich nicht nur nichts, was der Mensch sich selbst gegeben habe, sondern vielmehr „etwas, das niemals in eines Menschen Sinn gekommen wäre, nicht einmal als Wunsch, Ideal oder was immer man auch
Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Kierkegaard bezieht sich hier vermutlich auf Fichte, „Aphorismen über die Zukunft der Theologie“, S. 240, wo Fichte die Annahme, „daß das monotheistische Princip der wahre, verborgene Sinn des polytheistischen Kultus gewesen sei, der jedoch etwa nur von den Priestern und in den Mysterien bewahrt worden wäre“, als unhistorisch und sich selbst aufhebend bezeichnet. SKS 18, 52, EE:147 / DSKE 2, 52 (dt. Übers. modifiziert). Fichte, „Aphorismen über die Zukunft der Theologie“, S. 252. Ibid. SKS 18, 52, EE:147.a / DSKE 2, 52 (dt. Übers. modifiziert).
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will.“⁵³ Wie bei Kierkegaards Auseinandersetzung mit Fichte im Frühjahr 1837 – wobei der von ihm vermutlich im Zuge dessen in der Journalaufzeichnung CC:12 gegen die Philosophen erhobene Vorwurf der ‚Verflüchtigung‘ zentraler christlicher Begriffe⁵⁴ nun auf den Begriff der Offenbarung bezogen wird – besteht also auch bei der Weiterführung der Auseinandersetzung gut zweieinhalb Jahre später der Hauptpunkt von Kierkegaards Kritik an Fichte darin, dass es diesem an der nötigen Reflexion auf die radikale Neuheit des Christentums und des in ihm sich aussprechenden Bewusstseins gefehlt habe.⁵⁵ Die Unvereinbarkeit von Philoso-
SKS 18, 52, EE:147 / DSKE 2, 52 (dt. Übers. modifiziert); zur Anspielung auf I Kor 2,9 (NT-1819) vgl. unten Anm. 153. Siehe Kap. 2.2.3. Trotz dieses bleibenden Einwandes Kierkegaards gegenüber Fichte hat es aber, wie in Kap. 2.2.2 bereits angedeutet, durchaus auch grundsätzliche Übereinstimmungen zwischen den Positionen beider Denker gegeben. Dem in Kap. 2.2.2 Gesagten sei an dieser Stelle noch hinzugefügt, dass Kierkegaard die hegelsche Philosophie nicht minder radikal als Fichte des Pantheismus sowie der „Verflüchtigung der Bedeutung des Individuums“ in der bloßen Abstraktion bezichtigen und demgegenüber „den Wert des einzelnen Menschen als Persönlichkeit“ (so der Kommentar zu DSKE 1, 43,2 in DSKE 1, 359) hervorheben konnte. Was den Vorwurf der Abstraktheit betrifft, ist aus der Zeit der Examensvorbereitung der Entwurf zu einer Schrift mit dem Titel „Diskursive Raisonnements und unbegreifliche Apropos bezüglich der Kategorie des höheren Wahnsinns“ (vgl. SKS 18, 70 f., EE:195 – 197 / DSKE 2, 72 f. zusammen mit dem editorischen Bericht zu Journal EE in DSKE 2, 403; vgl. auch SKS 1, 295,21 / BI, 261; SKS 3, 166,33 / EO2, 181 und SKS 4, 499,11 / V, 208) vom Frühjahr oder Frühsommer 1839 zu erwähnen. Bei dieser Schrift sollte es sich offenbar um eine Satire gegen Hegels konkreten Begriff „als Prinzip der Disjunktion in Extreme“ (Hegel, Wissenschaft der Logik II, in TWA, Bd. 6, S. 434) und damit zugleich um einen literarischen Ausdruck von Kierkegaards Kritik an der Abstraktheit der hegelschen Philosophie handeln, wie sie eben auch von Fichte kritisiert wurde. Hirsch betrachtet diesen Entwurf als einen mittelbaren Beitrag zur Frage des Verhältnisses von Philosophie und Christentum – mittelbar insofern, als darin „lediglich das Mißverhältnis der Philosophie zu der persönlichen Verzweiflung, die im Christentum ernst genommen ist als Sünde, die Vergebung verlangt und findet“ (Kierkegaard-Studien, S. 560; ohne Hervorhebung), aufgezeigt werde. Zudem sei in diesem Entwurf „die Keimzelle zu Kierkegaards Verständnis der ästhetischen Lebensanschauung in Entweder/Oder“ (ibid.; ohne Hervorhebung) zu sehen, wofür m. E. (zumindest) seine Verwandtschaft mit den von den Herausgebern von Pap. im Anschluss daran eingeordneten Diapsalmata-Entwürfen auf losen Zetteln von 1839 sprechen würde, vgl. Pap. II A 815 – 824 (= SKS 27, 225, Papir 261; SKS 27, 225 f., Papir 262; SKS 27, 226 – 229, Papir 263; Pap. II A 824 hat keine Entsprechung in SKS). Zur weiteren Auseinandersetzung Kierkegaards mit Fichte, die jedoch außerhalb des Untersuchungsbereiches dieser Arbeit liegt, vgl. SKS 27, 276, Papir 283:1; SKS 27, 431, Papir 371:2; SKS 20, 67, NB:74 / DSKE 4, 73; SKS 22, 153, NB12:15; SKS 22, 167, NB12:47; SKS 23, 75, NB15:107; SKS 23, 104, NB16:14; SKS 24, 244, NB23:72; SKS 24, 247 f., NB23:81; SKS 27, 621, Papir 494; eine Anspielung auf Fichte (aufgrund der Rede vom ‚Theozentrischen‘) könnte zudem in SKS 20, 250, NB3:15 / DSKE 4, 283 und SKS 22, 215, NB12:121 / T 3, 284 vorliegen. Gerade NB:74 vom Herbst 1846 und NB12:15 vom Sommer 1849 (an deren Rand sich ein Verweis
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phie und Christentum resultiert nicht einfach nur aus dem eingeschränkten Erklärungs- und Deutungspotential der Philosophie im Blick auf das Verhältnis zwischen Gott und Welt, sondern gründet in der prinzipiellen Differenz zwischen dem allgemein menschlichen und dem daraus unableitbaren spezifisch christlichen Bewusstsein als solcher.
3.2.2 Ein neues Merkmal In der Journalaufzeichnung EE:79 vom 22. Mai 1839 begegnet der Begriff des Paradoxes in Abgrenzung zu dem des Systems. Lakonisch und ohne weitere Erläuterung schreibt Kierkegaard: „Aber es gibt eine Anschauung der Welt, derzufolge das Paradox [Paradoxen] höher ist als jedes System.“⁵⁶ Bereits in der zwischen April und Juli 1838 entstandenen Journalaufzeichnung FF:152 hatte Kierkegaard bemerkt: „Das Paradox [Paradoxen] ist das eigentliche Pathos des intellektuellen Lebens, und wie nur große Seelen Leidenschaften ausgesetzt sind, so sind nur große Denker dem ausgesetzt, was ich Paradoxe [Paradoxer] nenne, welche nichts anderes sind als unausgereifte grandiose Gedanken.“⁵⁷ Zwar begegnet der Paradoxbegriff in diesen beiden Aufzeichnungen noch ganz allgemein, ohne besonderen Bezug zum Christentum, doch kennzeichnen die mit ihm assoziierten Motive der Leidenschaft und der Unvollendetheit bereits seine „Funk-
auf NB:74 findet) zeigen eine deutliche inhaltliche Nähe zu der Kritik, die Kierkegaard zuerst in AA:22 zum Ausdruck gebracht und dann in EE:147 weitergeführt hat. SKS 18, 31, EE:79 / DSKE 2, 30 (dt. Übers. modifiziert). Zu Kierkegaards Zeit wurde das Substantiv ‚Paradox‘ im Dänischen sowohl (und üblicherweise) als Neutrum (mit ‚et‘) als auch als Utrum (mit ‚en‘) dekliniert. Kierkegaard gebraucht ‚Paradox‘ in seinem Gesamtwerk m.W. sechsmal als Utrum: SKS 18, 104, FF:152 / DSKE 2, 107; EE:79; SKS 27, 234, Papir 264:2; Pap. III B 5 (also alle zwischen Mitte 1838 und der Zeit der Ausarbeitung der Magisterabhandlung 1840/41); SKS 1, 84,17 / BI, 21 sowie SKS 19, 418, Not13:53 / DSKE 3, 456 (1843). Zudem hat SKS zu Beginn der Journalaufzeichnung JJ:111 von Mai 1843 (in der Rekonstruktion aus B-fort. 368) ‚Den absolute Paradox‘ (SKS 18, 176; vgl. DSKE 2, 181), während EP I-II, S. 413 und Pap. IV A 103 ‚Det absolute Paradox‘ haben. Mit Ausnahme von Not13:53 (und JJ:111) kommt ‚Paradox‘ als Utrum keine spezifisch christliche Bedeutung zu. Dies gilt auch für die beiden frühen Belege der bei Kierkegaard nur selten begegnenden Pluralform ‚Paradoxer‘: SKS 17, 226, DD:21 / DSKE 1, 189 f. (8. Juli 1837) und FF:152. Überhaupt gebraucht Kierkegaard das Substantiv ‚Paradox‘ bis zur Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) sonst nur noch in SKS 19, 211, Not7:22 / DSKE 3, 226 (zweite Jahreshälfte 1840) und SKS 1, 169,1 / BI, 118, wobei es beim erstmaligen Gebrauch als Neutrum in Not7:22 in wesentliche Beziehung zum Christentum gesetzt wird (siehe Kap. 3.3.2.5). SKS 18, 104, FF:152 / DSKE 2, 107 (dt. Übers. modifiziert).
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tion…, gegen jedes abgeschlossene System des leidenschaftslosen Denkens aufzutreten: Das Paradox ist die Kategorie der intellektuellen Leidenschaft.“⁵⁸ Obwohl sich in der Journalaufzeichnung EE:79 kein expliziter Verweis auf andere Denker und deren Texte findet und auch in den von Kierkegaard zu dieser Zeit (nachweislich) gelesenen Büchern oder Zeitschriften ein konkreter Bezugspunkt nicht erkennbar ist, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass im Hintergrund von Kierkegaards Gegeneinanderstellung von Paradox und System seine intensive Beschäftigung mit Hamann in der Zeit zwischen September 1836 und eben Mai 1839 steht. Wie in Kapitel 1.4.2 gezeigt, hatte Kierkegaard in der Aufzeichnung Papir 185 von September 1836 und damit gleich zu Beginn seiner Beschäftigung mit Hamann eine Äußerung Hamanns über die Unwahrscheinlichkeit der christlichen Glaubenswahrheiten festgehalten, die er gut acht Jahre später im dritten Kapitel der Philosophischen Brocken dem Paradox selbst in den Mund legen sollte. Überdies hatte er unter dem Eindruck seiner Hamann-Lektüre in Papir 188 von ebenfalls September 1836 bemerkt, dass „der Verstand in spekulativer Hinsicht“ das Höchste bestenfalls in „einem sich selbst widersprechenden Ausdruck“⁵⁹ zu erklären versuchen könne.Veranlasst durch die Lektüre Hamanns sollte Kierkegaard schließlich auch die Standpunkte oder Grundhaltungen der Ironie und des Humors neu in ihrer Ernsthaftigkeit überdenken, wobei er ab Mitte 1837 den Humor bzw. das Humoristische in wesentliche Beziehung zum Christentum setzte und Hamann selbst dabei als den „größte[n] Humorist[en] im Christentum“⁶⁰ betrachtete. Jenes „humoristische Element im Christentum“ war für Kierkegaard, wie Thulstrup bemerkt, ein „Vorläufer der späteren Bestimmung: das Paradoxale“⁶¹. Schröer, Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem, S. 69 (meine Hervorhebung), demzufolge diese Funktion des Paradoxbegriffs auch später in den unterschiedlichen Sachzusammenhängen, in denen Kierkegaard diesen Begriff verwendet, „konstant“ bleibt: „Er drückt den Gegensatz zwischen existierendem Denker und abstraktem systematischem Denken aus“ (ibid.). Speziell zur Aufzeichnung FF:152 vgl. etwa SKS 4, 242 f. / PB, 35. SKS 27, 150 f., Papir 188 / T 1, 55 (dt. Übers. modifiziert); zur diesbezüglichen Position Hamanns vgl. die gründliche Analyse von Erwin Metzke, J.G. Hamanns Stellung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Darmstadt 1967 [Halle 1934], S. 172 f. [S. 52 f.] und S. 253 – 255 [S. 133 – 135]. Zu Hamanns Verwendung des Paradoxbegriffs vgl. ferner „Hamburgische Nachricht aus dem Reiche der Gelehrsamkeit“ (1762), in Hamann’s Schriften, Bd. 2, S. 457– 471, hier S. 459 f. (Anm.) und S. 466 (Anm.), an beiden Stellen u. a. in Bezug auf Luther. SKS 17, 214, DD:3 / DSKE 1, 176 (dt. Übers. modifiziert); vgl. auch SKS 17, 234, DD:36 / DSKE 1, 199 („Nein, Hamann ist doch der größte und eigentlichste Humorist, der echte humoristische Robinson Crusoe…im Lärm des Lebens“) sowie die in Kap. 1, Anm. 167 angegebenen Stellen; ferner SKS 4, 398 / BA, 97 zusammen mit SKS 4, 310 / BA, [2]. Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 90; vgl. ferner Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 536 – 539 sowie Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 70 – 79. Als Beispiel instar omnium
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In der Journalaufzeichnung DD:21 vom 8. Juli 1837 gebraucht Kierkegaard erstmals überhaupt den Paradoxbegriff („die Hyperbeln der humoristischen Lebens-Paradoxa [Livs-Paradoxers] überbieten jedes Schema“⁶²), was ebenfalls im Zusammenhang mit seiner Hamann-Lektüre geschehen sein könnte, wie ein Blick auf die im Juni oder Juli 1837 entstandene Journalaufzeichnung FF:60 („Hamann und überhaupt das persönliche Leben im unmittelbaren Entspringen aus der Tiefe des Charakters ist die Hyperbel allen Lebens“⁶³) nahelegt. Auch unmittelbar vor wie nach der Journalaufzeichnung EE:79 erscheint der Name Hamanns. Zum einen in der Randbemerkung EE:78.a („Hamann 6. Teil p. 144“⁶⁴) zur Journalaufzeichnung EE:78 vom 21. Mai 1839, in der Kierkegaard konstatiert: „Die Ewigkeit ist die Fülle der Zeit (dieses Wort auch so verstanden, wie es gebraucht wird, wenn es heißt, dass Christus gekommen ist in der Fülle der Zeit.).“⁶⁵ Zum anderen in der Journalaufzeichnung EE:82 vom 22. Mai 1839: „Von Hamann gilt, was auf einem Kachelofen bei Kold in Fredensborg geschrieben steht: allicit atque terret.“⁶⁶ Jedoch ergibt der Verweis in der wohl ebenfalls in dieser Zeit entstandenen Randbemerkung EE:78.a auf „p. 144“ im sechsten Teil von Hamann’s Schriften in Bezug auf die gerade im Blick auf Kierkegaards spätere christologische Position interessante Aufzeichnung EE:78 keinen Sinn.⁶⁷ Sehr sei der Beginn der Journalaufzeichnung DD:6 vom 3. Juni 1837 angeführt: „Das Humoristische, das überhaupt im Christentum liegt, ist in einem Hauptsatz ausgedrückt, wo es heißt, dass die Wahrheit im Mysterium verborgen ist (εν μυστηριῳ αποκρυφη [sic!]), wo ja nicht nur gelehrt wird, dass sich die Wahrheit hier in einem Mysterium findet (eine Aussage, die zu hören die Welt im Ganzen mehr Lust gehabt hat, da sich ja oft genug Mysterien gebildet haben, obgleich die darin Eingegliederten dann sofort wieder die übrige Welt im humoristischen Licht auffassten); sondern sogar, dass sie verborgen im Mysterium ist, welches gerade die über die Klugheit der Welt im höchsten Maße humorisierende Lebens-Anschauung [ist]; sonst pflegt doch die Wahrheit im Mysterium offenbart zu sein. Insofern das Christentum nicht das Romantische aus sich ausscheidet, wird es stets, wie sehr auch die christliche Erkenntnis zunimmt, seines Ursprungs gedenken und deshalb alles εν μυστηριῳ wissen“ (SKS 17, 216 / DSKE 1, 178 u. 180; dt. Übers. modifiziert). SKS 17, 226, DD:21 / DSKE 1, 189 f. SKS 18, 87, FF:60 / DSKE 2, 90; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal FF in DSKE 2, 457– 463, hier 460. SKS 18, 31, EE:78.a / DSKE 2, 30 (dt. Übers. modifiziert). SKS 18, 31, EE:78 / DSKE 2, 30 (dt. Übers. modifiziert). SKS 18, 32, EE:82 / DSKE 2, 31. Kierkegaard verweist damit auf eine Seite im zweiten Teil von Hamanns Brief an Johann Gottfried Herder vom 26. Juni 1780 in Hamann’s Schriften, Bd. 6, 1824, S. 140 – 146, in dem Hamann schreibt: „Dieses Viereck [scil. Judenthum, Christenthum, Papstthum und Lutherthum] ist mein ältestes und jüngstes The|ma und, so Gott will, das Ey zu meinem Schiblemini. Das Motto der erste Vers aus einem Liede von Luther: / Sie ist mir lieb die werthe Magd. / Meine Schürzen von Feigenblättern sind cassirt. Häfeli ist der Verfasser der Auflösung im Merkur, und
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wohl Sinn ergeben würde in diesem Zusammenhang hingegen ein Verweis auf Hamanns Betrachtung vom 7. Mai 1758, in der es heißt: „Der Gott Mensch, das Wort offenbart im Fleisch, der Sohn Gottes, der von Ewigkeit das Geheimnis seiner Menschwerdung und der Erlösung in ihrer Gestalt beschlossen hatte, ist der Schöpfer, ungeachtet er erst in der Fülle der Zeit geboren wurde, so sahe er sich als ein Bruder unsers Fleisches und Blutes an und schuf in unserm Namen, machte die göttliche Natur zur Figur und nach der Ähnligkeit [sic!] und dem Bilde der Menschlichen, die er annehmen wollte aus eben dem Grund der Liebe, warum er den Menschen nach dem Bilde Gottes schuf.“⁶⁸
Jedoch findet sich diese Betrachtung nicht in der Kierkegaard vorliegenden Rothschen Ausgabe von Hamann’s Schriften, sondern wurde erst 1949 im ersten Band der von Nadler besorgten historisch-kritischen Ausgabe der Werke Hamanns veröffentlicht, weshalb sie Kierkegaard nicht gekannt haben kann. Summa summarum: Trotz der aufgezeigten Verbindungen zwischen Kierkegaard und Hamann lässt sich eine direkte literarische Abhängigkeit auch der Aufzeichnung EE:79 von Hamann nicht nachweisen, weshalb man es, um mit Schröer zu sprechen, für „wahrscheinlich“ halten kann, dass in dieser Aufzeichnung „eine spezielle eigene Pointe [Kierkegaards] sich neu geltend macht.“⁶⁹ mit Wieland bin ich ausgesöhnt. Starken traue ich nimmermehr ein Buch wie die freymüthigen Betrachtungen zu. Es scheint mir zu stark für ihn, oder wenigstens ist es seine Eigenliebe, hinter dem Schrein zu arbeiten. / Gott gebe Segen und Gedeihen zur Brunnen-Cur! / Die Reihe zu reisen wird auch an mich kommen. Hat keiner mehr göttlichen Beruf dazu, als dieser arme stipes in terra. Asmus hat mir noch nicht zum Podagra Glück gewünscht. Ein recht tief geholter Seufzer thut mir so wohl wie eine Motion. An Kraft zum Athemholen scheint es mir also nicht zu fehlen. Alles was mir gefällt macht meine Augen wässerig. Scheint ein Charakter der finstern Schriftsteller zu seyn und der Fehler mehr aus dem Herzen als dem Verstande zu quillen“ (S. 143 f.). Zu den verschiedenen Anspielungen Hamanns auf Zeitgenossen an dieser Stelle vgl. die Erklärungen im Kommentar zu DSKE 2, 30m,1 in DSKE 2, 426. Johann Georg Hamann, Sämtliche Werke, hg. von Josef Nadler, Bd. 1– 6, Wien 1949 – 57; Bd. 1, S. 292,20 – 27; vgl. auch die bei Metzke, J.G. Hamanns Stellung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, S. 174 f. [S. 54 f.] angeführten Stellen aus Hamanns Werk samt Metzkes Analyse derselben. Henning Schröer, Art. „Paradox II. Theologisch“, in Theologische Realenzyklopädie, op. cit., Bd. 25, 1995, S. 731– 737, hier S. 734; vgl. auch ders., Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem, S. 54 (Anm. 4): „Kierkegaard hat Hamann sehr eifrig gelesen, doch hat bei Hamann der Paradoxiebegriff keine so dominante Stellung wie bei Kierkegaard. Eine geistesgeschichtliche Ableitung wäre reine Hypothese.“ Vgl. dagegen Olesen Larsen, „Über den Paradoxbegriff“, S. 17 ff. Dagegen supponieren Reuter und Bohlin einen Einfluss von Hegels Religionsphilosophie auf Kierkegaards Paradoxverständnis (vgl. Reuter, S. Kierkegaards religionsphilosophische Gedanken, S. 124; Bohlin, Kierkegaards dogmatische Anschauung, S. 526 – 532), während Teisen und Thomas vor allem Athanasius von Alexandria im Hintergrund von Kierkegaards Verständnis der Inkarnation als ‚absolutem Paradox‘ stehen sehen (vgl. Niels
3.3 Die Zeit zwischen dem Examen und der Magisterabhandlung
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3.3 Die Zeit zwischen dem Examen und der Magisterabhandlung Nach seinem am 3. Juli 1840 bestandenen theologischen Examen reiste Kierkegaard anlässlich einer Einladung seiner Tante väterlicherseits am 19. Juli nach Jütland, um dort unter anderem Sædding, den Geburtsort seines Vaters, zu besuchen.⁷⁰ Nach der Rückkehr nach Kopenhagen am 8. August verlobte er sich am 10. September mit Regine Olsen, wobei diese Verlobung bekanntlich bereits nach elf Monaten – und zwar am 12. Oktober 1841⁷¹ – wieder aufgelöst wurde. Am 17. November 1840 ist Kierkegaard in das Königliche Predigerseminar eingetreten, um dort sowohl im Wintersemester 1840/41 als auch im Sommersemester 1841 an homiletischen und katechetischen Übungen teilzunehmen.⁷² Da er in dieser Zeit aber wohl auch den Großteil seiner Anfang Juni 1841 eingereichten und Ende September 1841 verteidigten Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie ausgearbeitet hat, dürfte seine Teilnahme an den Übungen im Predigerseminar nicht sehr engagiert gewesen sein. Ist damit der äußere Hintergrund der im Folgenden zu untersuchenden Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen Juli 1840 und Juni 1841 in aller Kürze skizziert, so muss auf den bereits im Exkurs 1 angesprochenen Umstand hingewiesen Teisen, Om Søren Kierkegaard’s Betydning som kristelig Tænker, Kopenhagen 1903, S. 69 – 71; John Heywood Thomas, Subjectivity and Paradox, Oxford 1957, S. 106 – 108 sowie – in gewissem Unterschied dazu – ders., „Paradox“, in Concepts and Alternatives in Kierkegaard, op. cit., S. 192– 219, hier S. 199 f.), was in der Tat, um Schröers Worte aufzugreifen, reine Hypothese ist. Hirsch zufolge hat sich aus Kierkegaards Polemik gegen Hegel in der Journalaufzeichnung AA:36 von Mitte 1837 [Pap. II A 48], dass dieser das im Christentum liegende „humoristische Element…auszuscheiden“ (SKS 17, 49, AA:36 / DSKE 1, 52) versucht habe, „später die Paradoxlinie in Kierkegaards Denken entfaltet“ (Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 538). Aus dem Umstand, dass der Paradoxbegriff zunächst im Kontext der Rede vom Humoristischen begegnet (vgl. das zu Anm. 62 gehörende Zitat aus DD:21), kann m. E. aber nicht gefolgert werden, dass Kierkegaard den Paradoxbegriff bereits vor Anfang 1843 auch im christologischen Sinne verstanden hat, was Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 539 offenbar annimmt; siehe Kap. 3.3.2.5 und Kap. 3.4.1. Vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 6, dem Tagebuch der Jütlandreise, in DSKE 3, 651– 656. Die Aufzeichnungen dieses Notizbuchs, die allesamt nur indirekt durch Barfods Ausgabe von Kierkegaards nachgelassenen Papieren überliefert sind, da das kleine Taschenbuch (vgl. B-fort. 447), in das sie ursprünglich eingetragen waren, nicht erhalten ist, sind vornehmlich Reiseeindrücke und tragen – anders als die in Notizbuch 5 und Notizbuch 7 eingetragenen Aufzeichnungen – für die Untersuchung von Kierkegaards Glaubensverständnis nichts aus. Vgl. SKS 19, 433,19 – 434,9, Not15:4 / DSKE 3, 471,20 – 472,12 sowie SKS 22, 369, NB14:44.a / T 4, 43 – 46 zusammen mit dem bemerkenswerten Kommentar zu SKS 22, 369m,1 in SKS K22, 462 f. Vgl. den editorischen Bericht zu Journal HH in DSKE 2, 497– 501, hier 499 f., sowie den Kommentar zu SKS 27, 245m,1 in SKS K27, 577 samt B&A, Bd. 1, S. 14 f. (Nr. XIV) (SKS-E, Dok 12) und S. 18 (Nr. XVI) (SKS-E, Dok 13).
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
werden, dass sich der junge Kierkegaard in seinen Veröffentlichungen an den Diskussionen seiner Zeitgenossen über Hegels Philosophie und die Frage ihrer Vereinbarkeit mit den christlichen Glaubenswahrheiten zwar nicht beteiligt, er diese Diskussionen aber dennoch genau verfolgt hat. Eben dies bestätigt sich auch bei der zunächst durchzuführenden Untersuchung der unmittelbar nach dem Examen entstandenen Journalaufzeichnungen HH:2– 5, in denen Kierkegaard seinen ‚Standpunkt für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ skizziert hat. Anschließend sollen weitere, für die Interpretation von Kierkegaards Glaubensverständnis relevante Aufzeichnungen auf losen Papieren und in den von Kierkegaard teilweise synchron geführten Notizbüchern 5 und 7 aus der Zeit nach dem Examen betrachtet werden (3.3.2).
3.3.1 HH:2 – 5 Die von Kierkegaard vermutlich im Juli 1840⁷³ in den Aufzeichnungen HH:2– 5 auf den ersten beiden Seiten von Journal HH entworfene Skizze seines „Standpunkt[es] für eine spekulative christliche Erkenntnislehre“⁷⁴ entstand vor dem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit der Ende der 1830er Jahre in seinem Umfeld stattfindenden Kontroverse um die durch Hegel vermeintlich aufgehobene unumschränkte⁷⁵ Gültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten.⁷⁶
Vgl. unten Anm. 146. SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129 (dt. Übers. modifiziert). Zu dieser Einschränkung der Gültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, im Unterschied zu einer Aufhebung seiner Gültigkeit auf allen Gebieten, vgl. besonders die unten in Anm. 120 wiedergegebenen bzw. paraphrasierten Ausführungen Heibergs. Auf diesen Zusammenhang hat m.W. zuerst der Kommentar zu HH:2– 5 in SKS K18, 185 – 189 (vgl. DSKE 2, 503 f.) sowie im Anschluss daran Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 135– 137, hingewiesen. Dagegen misst Stewart in seinen umfänglichen Veröffentlichungen zu dieser Kontroverse (vgl. unten Anm. 87) – wie auch sämtliche von Stewart in The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 293 f. (Anm. 4) und von mir unten in Anm. 87 angeführte Veröffentlichungen anderer – diesem Zusammenhang keine Bedeutung bei. Zwar interpretiert Stewart zahlreiche Passagen aus Kierkegaards pseudonymen Schriften mit Recht als Reflex dieser Kontroverse und verweist dabei mehrmals auch auf die in Kap. 3.3.1.2 behandelte Journalaufzeichnung EE:93 (vgl. Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 192 (Anm. 40); The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 372 f.; „Introduction“ (siehe Anm. 86), S. 33). Die entscheidende Aufzeichnung HH:2 wird von Stewart jedoch lediglich als Beispiel einer Kritik Kierkegaards an der Idee der Mediation verstanden und angeführt, nicht aber auf andere mögliche Verbindungen zu dieser Kontroverse hin untersucht, vgl. Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 342; „The Paradox and the Criticism of Hegelian Mediation in Philosophical Fragments“ (siehe
3.3 Die Zeit zwischen dem Examen und der Magisterabhandlung
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In der klassischen Logik besagt das aus dem principium contradictionis (d. h. zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzte Urteile können nicht beide wahr, sondern entweder das eine oder das andere Urteil muss falsch sein; ist das eine Urteil wahr, muss das andere falsch sein, und umgekehrt⁷⁷) abgeleitete principium exclusi tertii sive medii inter duo contradictoria, dass zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzte Urteile nicht beide falsch sein können und sie auch nicht die Wahrheit eines dazugehörigen dritten oder mittleren Urteils zulassen, sondern entweder das eine oder das andere Urteil wahr sein muss.⁷⁸ Hegel kritisiert nun an diesem Satz vom ausgeschlossenen Dritten als „Satz des abstrakten Verstandes“⁷⁹, dass die logische Forderung, etwas müsse entweder A oder Nicht-A (d. h. „ein entweder als positiv oder als negativ Bestimmtes“⁸⁰) und könne nicht ein gegen diesen Gegensatz Gleichgültiges sein, unweigerlich zur Frage führe, was denn dieses Etwas als „Drittes“⁸¹ sei. „Denn dieses ‚Dritte‘ kann weder nur A noch nur Nicht-A sein und muß doch ebenso das eine wie das andere sein können. Das erstere deshalb, weil das fragliche ‚Dritte‘ beides sein kann; das letztere, weil es nicht nur eines von beiden sein kann.“⁸² Wenn dem aber so ist, dann
Anm. 361), S. 191; „Mynster’s ‚Rationalism, Supernaturalism‘“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 565 – 582, hier S. 569 (Anm. 17) und The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 293 (Anm. 2). Vgl. hierzu Friedrich Ueberweg, System der Logik und Geschichte der logischen Lehren, 3. Aufl., Bonn 1868 [1857], S. 186 (§ 77) zusammen mit Aristoteles, Metaphysik IV 3, 1005b11– 12.18 – 20.23 – 24 (βεβαιοτάτη δ᾽ ἀρχὴ πασῶν περὶ ἣν διαψευσθῆναι ἀδύνατον…τίς δ᾽ ἔστιν αὕτη, μετὰ ταῦτα λέγομεν. τὸ γὰρ αὐτὸ ἅμα ὑπάρχειν τε καὶ μὴ ὑπάρχειν ἀδύνατον τῷ αὐτῷ καὶ κατὰ τὸ αὐτό… ἀδύνατον γὰρ ὁντινοῦν ταὐτὸν ὑπολαμβάνειν εἶναι καὶ μὴ εἶναι; zitiert nach Aristoteles’ Metaphysik, griechisch-deutsch, Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz, griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ, hg. von Horst Seidl, 1. Halbbd. (I-VI), 3. Aufl., Hamburg 1989, S. 136) und IV 4, 1006a3 – 5 (ἡμεῖς δὲ νῦν εἰλήφαμεν ὡς ἀδυνάτου ὄντος ἅμα εἶναι καὶ μὴ εἶναι, καὶ διὰ τούτου ἐδείξαμεν ὅτι βεβαιοτάτη αὕτη τῶν ἀρχῶν ἁπασῶν; zitiert nach Aristoteles’ Metaphysik, S. 138). Vgl. hierzu Ueberweg, System der Logik und Geschichte der logischen Lehren, S. 204 f. (§ 78) zusammen mit Aristoteles, Metaphysik IV 7, 1011b23 – 29 (ἀλλὰ μὴν οὐδὲ μεταξὺ ἀντιφάσεως ἐνδέχεται εἶναι οὐδέν, ἀλλ᾽ ἀνάγκη ἢ φάναι ἢ ἀποφάναι ἓν καθ᾽ ἑνὸς ὁτιοῦν. δῆλον δὲ πρῶτον μὲν ὁρισαμένοις τί τὸ ἀληθὲς καὶ ψεῦδος. τὸ μὲν γὰρ λέγειν τὸ ὂν μὴ εἶναι ἢ τὸ μὴ ὂν εἶναι ψεῦδος, τὸ δὲ τὸ ὂν εἶναι καὶ τὸ μὴ ὂν μὴ εἶναι ἀληθές· ὥστε καὶ ὁ λέγων εἶναι ἢ μὴ ἀληθεύσει ἢ ψεύσεται· ἀλλ᾽ οὔτε τὸ ὂν λέγεται μὴ εἶναι ἢ εἶναι οὔτε τὸ μὴ ὄν; zitiert nach Aristoteles’ Metaphysik, S. 170). Hegel, Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 246 (§ 119, Zusatz 2). Hegel, Wissenschaft der Logik II, in TWA, Bd. 6, S. 73 (Anm. 2). Ibid. Wilhelm Lütterfelds, Das Erklärungsparadigma der Dialektik. Zur Struktur und Aktualität der Denkform Hegels, Würzburg 2006, S. 74; vgl. auch S. 293.
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„gibt es in diesem Satze [scil. des ausgeschlossenen Dritten] selbst das Dritte, das gleichgültig gegen den Gegensatz ist, nämlich A selbst ist darin vorhanden. Dies A ist weder +A noch –A und ebensowohl auch +A als –A. – Das Etwas, das entweder +A oder Nicht-A sein sollte, ist hiermit auf +A sowohl als Nicht-A bezogen; und wieder, indem es auf A bezogen ist, solle es nicht auf Nicht-A bezogen sein, sowie nicht auf A, indem es auf Nicht-A bezogen ist. Das Etwas selbst ist also das Dritte, welches ausgeschlossen sein sollte.“⁸³
Indem der Verstand im „Satz des ausgeschlossenen Dritten…den Widerspruch von sich abhalten“⁸⁴ wolle, begehe er mithin selbst denselben. Während in Deutschland Hegels Kritik der Prinzipien der klassischen Logik seit Erscheinen der Wissenschaft der Logik (1812– 16)⁸⁵ Gegenstand einer intensiven Diskussion war, die noch einige Jahre über Hegels Tod hinaus andauerte⁸⁶, ging in Dänemark⁸⁷ der Anstoß zu einer wirklichen Kontroverse um Hegels
Hegel, Wissenschaft der Logik II, in TWA, Bd. 6, S. 74 (Anm. 2; ‚selbst‘ ist meine Hervorhebung). Dieses ‚Dritte‘ sei im Grunde „die Einheit der Reflexion, in welche als in den Grund die Entgegensetzung zurückgeht“ (ibid.). Hegel, Enzyklopädie (1830) I, in TWA, Bd. 8, S. 244 (§ 119). Vgl. auch Hegels Argumentation in § 32, dass die von ihm als erste Stellung des Gedankens zur Objektivität charakterisierte vorkantische Metaphysik, „weil sie nach der Natur der endlichen Bestimmungen annehmen mußte, daß von zwei entgegengesetzten Behauptungen, dergleichen jene Sätze waren, die eine wahr, die andere aber falsch sein müsse“ (S. 98), zum Dogmatismus geworden sei. „Das Dogmatische im engeren Sinn besteht…darin, daß einseitige Verstandesbestimmungen mit Ausschluß der entgegengesetzten festgehalten werden. Es ist dies überhaupt das strenge Entweder–Oder, und es heißt demgemäß z. B.: die Welt ist entweder endlich oder unendlich, aber nur eines von beiden. Das Wahrhafte, das Spekulative ist dagegen gerade dieses, welches keine solche einseitige Bestimmung an sich hat und dadurch nicht erschöpft wird, sondern als Totalität diejenigen Bestimmungen in sich vereinigt enthält, welche dem Dogmatismus in ihrer Trennung als ein Festes und Wahres gelten“ (S. 98 f. (§ 32, Zusatz)). Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Bd. 1.1– 2 und Bd. 2, Nürnberg 1812– 16. Vgl. hierzu Bernd Burkhardt, Hegels „Wissenschaft der Logik“ im Spannungsfeld der Kritik. Historische und systematische Untersuchungen zur Diskussion um Funktion und Leistungsfähigkeit von Hegels „Wissenschaft der Logik“ bis 1831, Hildesheim et al. 1993 (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Bd. 18), S. 9 – 298 und S. 376 – 422 sowie die angegebene Literatur bei Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 291 f. und S. 371 f.; ders., „Introduction: The Debate Surrounding Hegel’s Criticism of the Laws of Classical Logic in Golden Age Denmark“, in Mynster’s „Rationalism, Supernaturalism“ and the Debate about Mediation, übers. und hg. von dems., Kopenhagen 2009 (Texts from Golden Age Denmark, Bd. 5), S. 3 – 45, hier S. 17 f. Vgl. hierzu Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen, S. 142– 150; Anton Hügli, „The Principle of Contradiction“, in Concept and Alternatives in Kierkegaard, hg. von Marie Mikulová Thulstrup, Kopenhagen 1980 (Bibliotheca Kierkegaardiana, Bd. 3), S. 272– 280; Friedrich Hauschildt, Die Ethik Søren Kierkegaards, Gütersloh 1982 (zugleich Diss., Univ. Kiel 1980) (Studien zur evangelischen Ethik, Bd. 15), S. 109 f.; Arild Waaler und Christian Fink Tolstrup, „Philosophical Fragments – in Response to the Debate between Mynster and Martensen“, Kierkegaard Studies Yearbook,
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Kritik der klassischen Logik erst im Frühjahr 1839 von einer kritischen Bemerkung Jakob Peter Mynsters über Hegels Behandlung des principium exclusi medii am Ende seines Artikels „Rationalismus. Supranaturalismus“⁸⁸ aus. Im Unterschied zu der vor allem von Philosophen geführten Diskussion in Deutschland ist in den hauptsächlich von Theologen verfassten Beiträgen der dänischen Kontroverse nicht zuletzt auf die theologischen Implikationen dieses eigentlich logischen Problems reflektiert worden.⁸⁹ Nach der Nachzeichnung der Argumentation der zentralen Beiträge dieser Kontroverse von Mynster, Heiberg und Martensen (3.3.1.1)⁹⁰ soll Kierkegaards Skizze seines ‚Standpunktes für eine spekulative
2004, S. 208 – 234, besonders S. 210 – 218; István Czakó, „Das Unbekannte. Die Aufhebung der klassischen theologia naturalis in der negativen Theologie des Johannes Climacus“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 235 – 249, besonders S. 241– 244; Horn, Positivity and Dialectic, S. 147– 161 sowie vor allem die Veröffentlichungen von Stewart, besonders Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 54, S. 78 f., S. 188 – 192, S. 195 – 198, S. 347– 355, S. 510 – 515; „The Paradox and the Criticism of Hegelian Mediation in Philosophical Fragments“ (siehe Anm. 361); The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 289 – 373 (vgl. die angegebene Literatur S. 293 f., Anm. 4) sowie Mynster’s „Rationalism, Supernaturalism“ and the Debate about Mediation, op. cit. So einflussreich diese Kontroverse für die dänische Hegelrezeption auch gewesen sein mag, kann angesichts des Umstandes, dass in Reaktion auf Mynsters Artikel in der Tidsskrift for Litteratur og Kritik (siehe Anm. 91) insgesamt gerade einmal zwei kürzere Beiträge in derselben Zeitschrift – nämlich von Heiberg (siehe Anm. 115) und Martensen (siehe Anm. 128) – sowie in Reaktion auf Heibergs Beitrag der anonym veröffentlichte, kurze Artikel von Schiødte wiederum in derselben Zeitschrift (siehe Anm. 90) erschienen sind, aber m. E. weder gesagt werden, „that the year 1839 was dominated by a single debate, namely, that of Hegelian mediation or more specifically, Hegel’s criticism of the laws of classical logic“ (so Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 289), noch dass „jene heftige Diskussion in Tidskrift for Litteratur og Kritik…gegen Ende der 1830er im dänischen Geistesleben viel Aufsehen erregte“ (so Czakó, „Das Unbekannte“, S. 241). Siehe Anm. 91. Bereits ein Jahr vor Mynster hatte Sibbern im Rahmen seiner Rezension der ersten Nummer von Heibergs Perseus (vgl. Kap. 2, Anm. 208) Kritik an der hegelschen Aufhebung des principium contradictionis geübt und sich für die unverminderte Gültigkeit der Prinzipien der klassischen Logik ausgesprochen, vgl. Sibbern, „Perseus, Journal for den speculative Idee“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, Nr. 5, S. 424– 460 (darin S. 424– 437: „II. Om den Maade, hvorpaa Contradictionsprincipet behandles i den Hegelske Skole, med Mere, som henhører til de logiske Grundbetragtninger“; zum principium exclusi medii vgl. besonders S. 428 – 433 (Bemærkninger og Undersøgelser, S. 83 – 88)). Jedoch lösten Sibberns Ausführungen keine Kontroverse aus, wie es durch Mynsters keineswegs unwichtige, aber nicht eben zentrale Bemerkung am Ende seines Artikels „Rationalisme. Supranaturalisme“ (siehe Anm. 91) geschehen sollte. Dies gilt auch für Adlers Kritik am principium exclusi medii im Rahmen seiner Darstellung der hegelschen Wesenslogik, vgl. Populaire Foredrag, S. 137– 139 (§ 25). Vgl. hierzu Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 294. Der in Reaktion auf Heibergs Beitrag (siehe Anm. 115) vom damaligen Theologiestudenten Andreas Ferdinand Schiødte verfasste und im Juli-Heft 1839 der Tidsskrift for Litteratur og Kritik anonym veröffentlichte Artikel „Et Par Ord til nærmere Overveielse angaaende de tre saakaldte
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christliche Erkenntnislehre‘ betrachtet und auf ihre Verbindungen zu dieser Kontroverse hin untersucht werden (3.3.1.2).
3.3.1.1 Die dänische Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik 3.3.1.1.1 Mynster: „Rationalismus. Supranaturalismus“ (1839)⁹¹ Anlass und Grund für Mynsters Artikel, der im April-Heft 1839 der Zeitschrift für Literatur und Kritik erschienen ist, war eine Bemerkung des Martensens spekulativer Theologie zugeneigten Theologen Johan Alfred Bornemann (1813 – 90).⁹² Dieser schrieb zu Beginn seiner Anfang 1839 erschienenen Rezension von Martensens Lizentiatenabhandlung De autonomia conscientiæ sui humanae (1837)⁹³, dass in der gegenwärtigen Theologie „sowohl Rationalismus wie Supranaturalismus veraltete Standpunkte“ seien, „die einer verschwundenen Zeit“⁹⁴ ange-
logiske Principer“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 2, 1839, S. 120 – 128, trägt für diese Untersuchung dagegen nichts aus. Zur Interpretation dieses Artikels vgl. Stewart, The Martensen Period: 1837 – 1842, S. 337– 342. Interessant wäre in diesem Zusammenhang überdies eine genauere Untersuchung des § 21 von Adlers Magisterabhandlung Den isolerede Subjectivitet (siehe Anm. 199), in dem Adler einer Mediation zwischen den Standpunkten des Supranaturalismus und des Rationalismus das Wort redet: „Dieser wahren Mediation [vgl. hierzu unten Anm. 160 sowie das zur Anm. 205 gehörende Zitat] stehen die einseitigen Anschauungen entgegen, wo die Offenbarung nicht aus ihrer Unmittelbarkeit heraustritt, das ist der Standpunkt des Supranaturalismus, und wo die Subjektivität sich von der Offenbarung nicht begrenzen lässt, das ist der Standpunkt des Rationalismus“ (S. 63). Jakob Peter Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 249 – 268 (Heft 4). Im Rahmen seiner Mitte 1842 erschienenen Rezension zweier einschlägiger Veröffentlichungen hat Mynster zu der von ihm selbst gut drei Jahre zuvor ausgelösten Kontroverse Stellung genommen und dabei erneut die Gültigkeit der Prinzipien der klassischen Logik zu verteidigen versucht, vgl. Jakob Peter Mynster, „De principio logico exclusi medii inter contradictoria non negligendo commentatio, qua ad audiendam orationem…invitat…Jo. Fr. Herbart. Gottingæ 1833. 29 S. 8. / De principiorum contradictionis, identitatis, exclusi tertii in logicis dignitate et ordine commentatio. Scripsit J. H. Fichte. Bonnæ 1840. 31 S. 8.“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 7, 1842, S. 325 – 352, besonders S. 334 ff. (wiederabgedruckt unter dem Titel „Om de logiske Principer“ in: ders., Blandede Skrivter, Bd. 1– 6 (Bd. 4– 6 hg. von Just Henrik Voltelen Paulli), Kopenhagen 1852– 57; Bd. 2, S. 116 – 144, hier S. 126 ff.). Zu Bornemanns theologischer Position vgl. Frederik Nielsen, Art. „Bornemann, Johan Alfred“, in Dansk biografisk Lexikon, op. cit., Bd. 2, 1888, S. 536 f. und Martensen, Af mit Levnet, Abt. 1, S. 80 – 84 (Aus meinem Leben, Abt. 1, S. 93 – 98). Johan Alfred Bornemann, „De autonomia conscientiæ sui humanæ, in theologiam dogmaticam nostri temporis introducta. Scripsit Ioh. Martensen. Haun. 1837. p. 135“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 1– 40 (Heft 1). Ibid., S. 3; vgl. hierzu Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 249.
3.3 Die Zeit zwischen dem Examen und der Magisterabhandlung
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hörten. Von dieser Behauptung Bornemanns provoziert, suchte Mynster nun seinerseits darzulegen, dass Rationalismus und Supranaturalismus keineswegs ‚veraltete‘, sondern im Gegenteil noch immer geläufige Standpunkte in der gegenwärtigen Theologie seien. Die argumentative Strategie Mynsters besteht dabei darin, jeweils zunächst die Standpunkte des Rationalismus, Naturalismus und Supranaturalismus begrifflich-theoretisch⁹⁵ zu bestimmen, um dann jeweils anschließend (bedeutende) zeitgenössische Vertreter dieser Positionen in der Theologie zu benennen, um so deren unverminderte theologische Aktualität zu erweisen. Unter Rückgriff auf Clausens Definition des ‚konsequenten Rationalismus‘⁹⁶ bestimmt Mynster den Rationalismus als diejenige Lehre, „die die Vernunft als einzige Quelle der Religion und einzigen Maßstab und Regel der Wahrheit annimmt“ und „die Notwendigkeit und die Wirklichkeit einer Offenbarung, als einer
Im Rückblick auf diese Kontroverse in seiner Autobiographie Af mit Levned, Abt. 2, S. 72– 74 (Aus meinem Leben, Abt. 2, S. 77– 79) moniert Martensen insofern eine gewisse begriffliche „Unklarheit“, als Bornemann bei seiner diese Kontroverse entfachenden Bemerkung die theologischen Parteien im Blick gehabt habe, während Mynster Rationalismus und Supranaturalismus in einer rein theoretischen Weise betrachtet habe. „Der Recensent [scil. Bornemann] hatte nur gewisse theologische Parteien so bezeichnet, ungefähr wie Marheineke in der bekannten Vorrede zu seiner Dogmatik, einseitige Richtungen, die zu einer Zeit aufgetreten waren, jetzt aber mit Recht veraltet heißen konnten. Mynster dagegen faßte die in den beiden Namen angedeuteten Begriffe an und für sich und behauptete nun: dieser Gegensatz sei keineswegs veraltet; vielmehr handle es sich um Prinzipien, die fortwährend mit einander kämpften“ (Af mit Levned, S. 73 (hier zitiert nach Aus meinem Leben, S. 78)). In Reaktion auf J. Møllers Rubrizierung der Position Clausens unter die des ‚konsequenten Rationalismus‘ in einem Artikel in Band 15 (1829) von Møllers Nyt theologisk Bibliothek (siehe Kap. 1, Anm. 25) hat Clausen zu zeigen versucht, dass seine „theologische Betrachtungsweise“ vielmehr mit der Møllers übereinstimme, der sich selbst zu den „biblischen Theologen“ zähle, da „sie [scil. Clausens theologische Betrachtungsweise] den christlichen Glauben auf die Bibel als rechtem Grund und Regel der Lehre gründet und das Wesen der Theologie in einer wissenschaftliche Entwicklung der Lehre der Bibel sieht und ihrem Verhältnis zu allgemeinen religiösen und moralischen Ideen“ (Clausen, „Sendebrev til Udgiveren“, S. 298). Unter der Bezeichnung ‚konsequenter Rationalismus‘ pflege man dagegen „den Glauben und die Lehre zu verstehen, die die Vernunft als einzige Quelle der Religion und einzigen Maßstab und Regel der Wahrheit annimmt, die die Notwendigkeit und die Wirklichkeit einer Offenbarung, als einer auf übernatürliche Weise veranstalteten Mitteilung Gottes an seine Menschen, verwirft, die folglich an Christus nur die menschliche Tugend und Weisheit der Lehre bewundert und bei der Auslegung und dem Gebrauch der Schrift eine gegebene Summe von Voraussetzungen zugrunde legt, als Christentum [gerade] so viel vom Inhalt der Schrift huldigt, welcher sich als Ausdruck und Bezeichnung dieser Sätze betrachten lässt und dagegen alles das verwirft, was sich auf dem Wege des menschlichen Denkens nicht begreiflich und durchsichtig machen lässt“ (S. 288). Mynster zitiert diese Definition in Gänze und ohne nennenswerte Abweichung.
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auf übernatürliche Weise veranstalteten Mitteilung Gottes an seine Menschen, verwirft“⁹⁷. Neben klassischen Rationalisten wie Julius Wegscheider (1771– 1849) und August Hahn (1792– 1863) sieht Mynster den Rationalismus in einer neueren, „jugendlich[en]“⁹⁸ Gestalt auch in der Schlussabhandlung von Straußens Leben Jesu (1835/36)⁹⁹ zum Ausdruck gekommen.¹⁰⁰ Strauß habe darin nämlich „im Wesentlichen nichts Neues hervorgebracht“, sondern bloß das „ganz gesagt, was andere lange Zeit halb gesagt haben“¹⁰¹, und dieserart das Alte in Verbindung mit dem Neuen gebracht. Da gegenüber dem Supranaturalismus aber nicht der Rationalismus, sondern der Naturalismus der richtige Gegensatz zu sein scheint, möchte Mynster vor der Bestimmung des Supranaturalismus noch auf den Naturalismus eingehen, wobei es ihm nicht um den Naturalismus gehe, der sich allein auf die natürliche Religion stütze und die ganze christliche Offenbarung verwerfe, sondern um den „in neuerer Zeit“ aufgekommenen „christlichen Naturalismus“¹⁰². Dieser beruhe auf der Annahme, „dass das Bewusstsein der absoluten Abhängigkeit alles Endlichen von Gott mit der Einsicht zusammenfällt, dass alles durch den Natur-Zusammenhang bedingt und in ihm begründet ist“¹⁰³. Auch die Inkarnation Gottes in Jesus Christus müsse deshalb durch den Naturzusammenhang bedingt sein und „als ein Werk der menschlichen Natur“ betrachtet werden, welches in deren ursprünglicher Einrichtung begründet und durch alles Frühere vorbereitet sei. Da die Menschwerdung Gottes jedoch auch auf das göttliche Handeln zurückzuführen sei, könne Christi Offenbarung und das von ihm gestiftete Gemeinschaftsleben zugleich als „die nun erst vollendete Schöpfung der menschlichen Natur“¹⁰⁴ betrachtet werden. Als zeitgenössische Repräsentanten des ‚christlichen Naturalismus‘ identifiziert Mynster neben Schleiermacher auch C.H. Weiße, da auch diesem zufolge die Inkarnation Gottes ein Akt sowohl der Menschheit wie der
Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 251. Ibid., S. 253. David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. 1– 2, Tübingen 1835 – 36; Bd. 2, S. 686 – 744 („Schlussabhandlung. Die dogmatische Bedeutung des Lebens Jesu“). Mynster bezieht sich dabei auf die dänische Übersetzung der Schlussabhandlung in Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (ktl. U 29), Bd. 4, 1836, S. 80 – 221, hier S. 180 – 218. Vgl. Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 253 – 256. Ibid., S. 255; vgl. S. 257. Ibid., S. 258; vgl. S. 257 und S. 260 f. Ibid., S. 259. Ibid.
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Gottheit sei und „in der Reihe aller anderen herausragenden Ereignisse im weltgeschichtlichen Entwicklungsprozess der Menschheit“¹⁰⁵ liege. Im Gegensatz sowohl zum Rationalismus, demzufolge die Vernunft sich selbst helfen könne, als auch zum Naturalismus, demzufolge die Natur sich selbst helfen könne, werde im Supranaturalismus „der Drang des Menschen nach einer anderen und höheren Hilfe“¹⁰⁶ erkannt. Mynster macht dabei keinen Hehl daraus, dass sein Bekenntnis dem Supranaturalismus gilt, denn „falls Christus, der absolut Sündenfreie, Heilige und Selige, nach dem Laufe der Natur hervortreten könnte, durch den natürlichen Entwicklungsprozess der Menschheit, dann ist die Menschennatur nicht verdorben, sondern dann ist sie noch, was sie ursprünglich war, eine reine Emanation oder Manifestation der Gottheit…Aber wenn nicht, dann kommt unsere Erlösung nicht durch einen Akt der Menschheit, sondern ‚unsere Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat‘, und so wie die erste Schöpfung nicht in einer früheren Reihe liegen konnte, nicht das haben konnte, was wir Naturzusammenhang nennen – obgleich gewiss Zusammenhang mit der göttlichen Natur – so ist auch die neue Schöpfung in Christus, obschon durch göttliche Veranstaltungen vorbereitet, das erste Glied in einer neuen Reihe, eine neue unmittelbare Eingießung des göttlichen Lebens in das menschliche.“¹⁰⁷
Als zeitgenössische Vertreter des Supranaturalismus macht Mynster neben Baader vor allem den jüngeren Fichte und die sich um dessen Zeitschrift für Philosophie
Ibid., S. 260; vgl. S. 259 f. Als Beleg für die Zugehörigkeit Weißes zum ‚christlichen Naturalismus‘ gibt Mynster dabei die folgende Passage aus Christian Hermann Weiße, Die evangelische Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet, Bd. 1– 2, Leipzig 1838, Bd. 2, S. 513 in eigener wortgetreuer Übersetzung wieder: „Wir läugnen die Mirakel, durch welche Gott, erst vor Christus, aber nur unter dem israelitischen Volke, dann in Christus selbst, seine äußerliche Macht über die Natur in Durchbrechung des gesetzmäßigen Naturlaufes offenbart haben soll, und geben nur solche Wunder zu, welche in Manifestationen der Macht des Geistes auch über Gebiete, die ihm in den gewöhnlichen Zuständen unzugänglich bleiben, bestehen; von diesen Wundern aber behaupten wir, daß sie sich unter Heiden nicht minder, wie unter Juden, und in Christus nur auf ausgezeichnetere Weise, als anderwärts, zugetragen haben.“ Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 261. Ibid., S. 261 f.; vgl. hierzu Jakob Peter Mynster, Om Begrebet af den christelige Dogmatik, Kopenhagen 1831, S. 20 – 30 (§§ 20 – 24) (wiederabgedruckt in: ders., Blandede Skrivter, Bd. 1, S. 39 – 80, hier S. 54– 61) sowie den von 1826 bis 1830 ausgearbeiteten, 1850 überarbeiteten und posthum erschienenen Grundrids af den christelige Dogmatik, in Blandede Skrivter, Bd. 6, S. 1– 400 (die dogmatische Grundlage von Mynsters Hauptwerk Betragtninger over de christelige Troeslærdomme, Bd. 1– 2, Kopenhagen 1833), wo es S. 18 (§ 11) heißt: „Das Christentum ist also Supranaturalismus, ein Wort, dem wir nicht entgehen können oder sollen, weil die Anschauung und das Denken vieler Supranaturalisten in einem blinden Autoritäts-Glauben verdunkelt gewesen ist. Der Gegensatz des Christentums in dieser Hinsicht ist der Naturalismus, oder die Lehre, dass sich alles aus der Natur dieser Welt und den Gesetzen dieser Natur entwickelt.“
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und spekulative Theologie versammelnden Anhänger des spekulativen Theismus aus.¹⁰⁸ Damit hält er Bornemanns Behauptung für widerlegt, da, wie bereits zuvor vom Rationalismus gezeigt, auch der Supranaturalismus in der gegenwärtigen Theologie keineswegs veraltet sei und sie vielmehr beide zur selben Zeit „bestehen und blühen“¹⁰⁹ könnten. „Aber“, so fragt Mynster fast ganz am Ende seines Artikels, „können sie auch zur selben Zeit veraltet sein? Falls es für den konsequenten Rationalismus charakteristisch ist – und hierin macht, wie oben gezeigt, der Naturalismus gemeinsame Sache mit ihm –, ‚die Notwendigkeit und die Wirklichkeit einer Offenbarung als einer auf übernatürliche Weise veranstalteten Mitteilung Gottes an die Menschen zu verwerfen‘, und der Supranaturalismus dagegen sich just auf eine solche Offenbarung gründet: dann scheint es, als ob die Religion stets aus einer dieser Perspektiven [Synsmaader] betrachtet werden muss, und dass, falls die eine von ihnen wirklich veraltet wäre, dann die andere um so mehr vorherrschend sein müsste, es sei denn, auch das principium exclusi medii inter duo contradictoria sollte veraltet sein.“¹¹⁰
In Hegels Wissenschaft der Logik werde das principium exclusi medii „mit offenbarer Ungunst“¹¹¹ behandelt und mittels trivialer Beispiele ins Lächerliche gezogen. Zweifelsohne aber könnten die Beispiele auch so gewählt werden, dass man sehen könne, dass dieses Prinzip keineswegs unfruchtbar sei. Wenn nämlich gesagt werde, die Offenbarung, auf der das Christentum beruhe, sei entweder übernatürlich oder nicht-übernatürlich, so zeige sich sogleich, „dass alles Mediieren hier unmöglich ist, und dass alle Versuche in dieser Richtung nur zu einer Halbheit führen, ein Wanken und Schweben zwischen rationalistischem Supranaturalismus und supranaturalistischem Rationalismus…Aut, aut; man kann zwischen Gegensätzen mediieren, aber nicht zwischen Widersprüchen. Für die eine oder die andere der
Vgl. ibid., S. 263 – 266. Zu Hauptvertretern und Anhängern des spekulativen Theismus vgl. Trappe, Art. „Theismus, Spekulativer“, S. 206 f.; vgl. ferner Kap. 2, Anm. 8. Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 266. Ibid.; vgl. hierzu die oben zur Anm. 97 gehörende, geringfügig abweichende Stelle. Ibid., S. 266; auf S. 267 bezieht sich Mynster dabei explizit auf Hegel, Wissenschaft der Logik II, in TWA, Bd. 6, S. 73 f. (vgl. die oben zu Anm. 80, Anm. 81 und Anm. 83 gehörenden Zitate) und zitiert in eigener Übersetzung (etwas verkürzt) die folgende Aussage Hegels: „Wenn die Bestimmungen süß, grün, viereckig genommen – und es sollen alle Prädikate genommen werden – und nun vom Geiste gesagt wird, er sei entweder süß oder nicht süß, grün oder nicht grün usf., so ist dies eine Trivialität, die zu nichts führt.“ Vgl. hierzu auch Heiberg, Grundtræk til Philosophiens Philosophie, S. 43 f. (§ 87, Anm. 5).
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einander kontradiktorisch entgegengesetzten Anschauungen muss sich doch jede gründliche wissenschaftliche Theorie entscheiden“¹¹².
Es war diese Beteuerung der unverminderten Gültigkeit des „Exklusionsprinzip[s]“¹¹³ und die damit einhergehende Kritik an Hegel im letzten Abschnitt von Mynsters Artikel, in dem er seiner Argumentation gegenüber Bornemann eine logische Grundlage und Rechtfertigung geben wollte, durch die sich nun gerade diejenigen Repräsentanten des dänischen Geisteslebens zum Widerspruch herausgefordert fühlen mussten, die Hegels Kritik der klassischen Logik für berechtigt hielten: Heiberg und Martensen.¹¹⁴
3.3.1.1.2 Heiberg: „Eine logische Bemerkung“ (1839)¹¹⁵ Heiberg will in seinem Beitrag weniger auf die theologische Problematik der Aktualität bzw. Überkommenheit von Rationalismus und Supranaturalismus als
Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 267. So die von Heiberg als Äquivalent für ‚principium exclusi medii‘ gebrauchte Bezeichnung in „En logisk Bemærkning“ (siehe Anm. 115), S. 448 (vgl. auch S. 452: „Exklusions-Prinzip“), der sich Martensen in „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“ (siehe Anm. 128) mit der Rede vom „Ausschließungsprinzip“ (vgl. S. 459 f.) angeschlossen hat. In Heibergs Grundtræk til Philosophiens Philosophie (1832) wird „Exklusions-Prinzip“ hingegen noch als anderer Name für „Kontradiktionsprinzip“ eingeführt, insofern ersteres überhaupt nichts anderes als letzteres besage, sondern „nur die größere Weitläufigkeit im Ausdruck“ (S. 44) besitze. Die Veränderung der Wortwahl in „En logisk Bemærkning“ ist womöglich auf den Einfluss Sibberns zurückzuführen, der in seiner Rezension von Heibergs Perseus das principium exclusi medii inter duo contradictoria als „Ausschließungsprinzip“ („Perseus, Journal for den speculative Idee“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, Nr. 5, S. 428 (Bemærkninger og Undersøgelser, S. 83)) bezeichnet, auch wenn dieses eher „das Dezisions- oder Determinationsprinzip“ („Perseus, Journal for den speculative Idee“, S. 431 (Bemærkninger og Undersøgelser, S. 86)) genannt werden müsse. Vgl. z. B. den Brief Sibberns an Frederik Ludvig Bang Zeuthen vom 4. Juni 1839: „Bekommen Sie Petersens ‚Tidsskrift for Litteratur og Kritik‘ in Ihrer Gegend zu sehen?…Neulich, nämlich im Aprilheft, hat darin ein Artikel von Mynster unter der Überschrift: ‚Rationalisme. Supranaturalisme‘ gestanden. Er sucht darin darzutun, dass die Distinktion zwischen diesen Zweien keineswegs ‚veraltet‘ sei, wie in einem anderen Artikel früher in der Zeitschrift gesagt worden war, und meint, dass hier ein aut – aut sei, wozwischen sich jeder entscheiden müsse. Dieser Artikel hat einige Bewegung unter den jungen spekulativen Theologen bei uns bewirkt, die damit wenig zufrieden gewesen sind. Ein paar Repliken, eine von Prof. Heiberg, eine andere von Lektor Martensen, die sich besonders aufgefordert sehen müssen, werden im nächsten Heft kommen“ (Breve til og fra F.C. Sibbern, Bd. 2, S. 194– 196, hier S. 194 f.). Johan Ludvig Heiberg, „En logisk Bemærkning i Anledning af H. H. Hr. Biskop Dr. Mynsters Afhandling om Rationalisme og Supranaturalisme, i forrige Hefte af dette Tidskrift“, Tidsskrift
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vielmehr auf das von Mynster am Ende des Artikels angeführte, „in letzter Instanz entscheidende, logische Argument“¹¹⁶ eingehen: dass selbst, wenn das eine dieser beiden „theologischen Systeme“¹¹⁷ veraltet wäre, das andere es, gemäß dem principium exclusi medii, eo ipso nicht sein könne. Mynsters Anwendung dieses Prinzips auf diese Weise müsse vom gegenwärtigen Standpunkt der Wissenschaft aus nicht nur als „logischer oder metaphysischer Irrtum“¹¹⁸ betrachtet werden, sondern bedeute zugleich einen Rückschritt hinter die von der neuesten Philosophie gewonnenen Resultate, zu deren „allerunbestreitbarsten“ gerade die bloß „eingeschränkte Bedeutung“¹¹⁹ des principium contradictionis und des daraus abgeleiteten principium exclusi medii gehöre. Die Gültigkeit des letztgenannten Prinzips beschränke sich auf die Sphäre des Empirischen bzw. „auf den Standpunkt der Reflexion“¹²⁰, wohingegen es in der Sphäre des Idealen bzw. „auf dem
for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 441– 456 (Heft 5 vom Juni 1839) (wiederabgedruckt unter dem Titel „Om Contradictions- og Exclusions-Principet. En logisk Bemærkning i Anledning af H. H. Hr. Biskop Dr. Mynsters Afhandling om Rationalisme og Supranaturalisme, i første Aargangs 4de Hæfte af ‚Tidsskrift for Litteratur og Kritik‘“ in: ders., Prosaiske Skrifter, Bd. 2, 1861, S. 167– 190). Zur Auseinandersetzung Heibergs mit dem Kontradiktions- und Exklusionsprinzip vgl. auch seine Darstellung in Grundtræk til Philosophiens Philosophie, S. 43 – 47 (§ 87, Anm. 5). Heiberg, „En logisk Bemærking“, S. 442 (Übers. angepasst; meine Hervorhebung). Ibid. Ibid., S. 443. Ibid., S. 441. Ibid., S. 444; vgl. ibid., S. 443: „Das Prinzip [vom ausgeschlossenen Dritten] läuft nämlich darauf hinaus, gewisse Gegensätze, die kontradiktorischen, als solche zu behandeln, die keine Mediation zulassen. Fragen wir jedoch, auf welchem der Gebiete des Gedankens die unmediierten Gegensätze zu finden sind, dann lautet die Antwort, dass sie weder in der Unmittelbarkeit noch im Begriff zu finden sind, sondern nur auf dem dazwischenliegenden Feld der Reflexion, also nur in der logischen Region, die das Endliche und Empirische repräsentiert.“ Im unmittelbaren Sein sei das Subjekt selbst die Mediation zwischen A und Nicht-A, weshalb man nur, indem man vom Subjekt abstrahiere und sich allein an die Prädikate halte, sagen könne, dass es außer A und Nicht-A keine „dritte Sphäre von losen Prädikaten“ (ibid.) gebe. Da es jedoch zur Natur eines Prädikats gehöre, nicht lose zu sein, sondern in einem Subjekt zu existieren, würde diese Anwendung des principium exclusi medii nichtssagend sein. „Dagegen im Reflexionsverhältnis, wo der Gegensatz in divergierende Richtungen heraustritt, nämlich als positiv und negativ, da ist das medium unstreitig exclusum, denn es versteht sich von selbst, dass entgegengesetzte Richtungen in demselben Subjekt einander ausschließen“ (S. 443 f.). Vgl. ferner S. 448, wo Heiberg asseriert, „die ganze wissenschaftliche Bedeutung“ des Kontradiktions- und des Exklusionsprinzips bestehe darin, „dass sie zum Ausdruck bringen, wie die Mediation – das Ziel des spekulativen Geistes – unmöglich ist, solange man auf dem Standpunkt der Endlichkeit stehen bleibt.“ Auf diesen Standpunkt der empirischen Endlichkeit reduziert seien diese beiden Prinzipien zwar „richtig, aber ihre Gültigkeit ist sofort so erheblich eingeschränkt, dass es nicht länger der Mühe wert sein kann, sie als eigene Prinzipien zu behalten…Es ist denn auch kein Wunder, dass die veraltete Logik, die an diesen Sätzen festhalten will, ihnen eine ausgedehnte
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Standpunkt des Begriffs und der Idee“ gerade „aufgehoben“¹²¹ sei und sein müsse, denn „wäre das principium exclusi medii nicht selbst von der Idee ausgeschlossen, dann würde der Mensch, als Einheit von Seele und Leib, eine Unmöglichkeit; der Staat könnte nicht die Einheit der entgegengesetzten Mächte sein; Christus würde als medium zwischen Gott und dem Menschen exclusus sein; keine Religion, Kunst, Poesie, Philosophie könnte existieren, denn überall würde es sich zeigen, dass das principium exclusi medii das principium exclusi Dei wäre.“¹²²
Wie eingangs seines Beitrages angekündigt, geht es Heiberg jedoch um die logische Problematik von Mynsters Argumentation.¹²³ Im letzten Abschnitt nimmt Heiberg dabei Mynsters „Äußerungen über das ‚Veraltete‘ in der Wissenschaft, oder das, was man für veraltet ausgibt“¹²⁴, zum Anlass für die Frage, ob das hegelsche System einmal von einem neueren System verdrängt werden könne.¹²⁵ Für Heiberg steht fest, dass Hegel die Philosophie zu dem Punkt geführt habe, an dem
Anwendung gibt, und sie so in einer völlig unwissenschaftlichen Bedeutung zutage treten lässt“ (ibid.). Ibid., S. 445. Ibid., S. 445 f. Zum einen thematisiert Heiberg dabei den Unterschied zwischen unvermittelbaren kontradiktorischen („direkten“) und vermittelbaren „einfachen Gegensätzen“ (vgl. S. 446 – 448), zum anderen die Angemessenheit des dem „Kontradiktions- und Exklusionsprinzip“ (S. 448) beigefügten „korrektiven Satz[es]: diversus respectus tollit contradictionem“ (vgl. S. 448 – 453). Im Rahmen seiner Kritik am Satz diversus respectus tollit [omnem] contradictionem (offenbar in Reaktion auf Sibbern, „Perseus, Journal for den speculative Idee“, S. 429 f.), demzufolge ein und demselben Subjekt zwei kontradiktorisch entgegengesetzte Bestimmungen unter verschiedenen Hinsichten oder zu verschiedenen Zeitpunkten zukommen können, kommt Heiberg nochmals auf die Unannehmbarkeit einer Anwendung der formalen Logik für die Christologie zu sprechen. Ein aristotelischer Logiker müsse konsequenterweise nämlich behaupten, dass Jesus Christus die Prädikate menschlich und göttlich (nur) in verschiedener Hinsicht zukämen, was aber im offensichtlichen Widerspruch zum christologischen Dogma stehe: „In derselben Weise erscheint es äußerst plausibel, diversus respectus anzubringen, um den Widerspruch in Christi doppelter Natur aufzuheben: in einer gewissen Hinsicht ist er Gott, in einer anderen ist er Mensch; aber worauf es hier ankommt, ist die menschliche Natur als die zu sehen, die selbst göttlich ist, und Gott als den, der selbst Mensch geworden ist. Um dieses Selbst geht es in allem Spekulativen; das Subjekt soll nicht A in dieser Hinsicht sein, und Nicht-A in jener, sondern es soll das Eine sein, weil es das Andere ist, mithin beides in derselben Hinsicht, denn es ist A selbst, das Nicht-A ist“ (ibid., S. 451). Ibid., S. 453. Vgl. S. 453 – 456.
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„ein plötzlicher Wechsel von Standpunkten, die bloß durch einen Sprung erreicht werden können, nicht länger stattfinden wird, sondern alles Neue wird durch konstitutionelle Entwicklung des Bestehenden zum Vorschein kommen, also nur insofern dieses in Ehren gehalten wird….Denn hier ist die Dialektik der ewige Correcteur und Erweiterer des Systems.“¹²⁶
Durch die Einführung der dialektischen Methode habe Hegel die Philosophie „unstreitig abgeschlossen“, da er damit keinen „neuen relativen…Standpunkt“, sondern „den absoluten Wendepunkt“ eingeführt habe, der nicht in einer neuen Relation zum Gegenstand bestehe, „sondern in der Bemächtigung dieses [Gegenstandes] selbst in seiner eigenen freien Bewegung. So wird denn die konstitutionelle Form der Philosophie herbeigeführt und diese trägt selbst die Quelle ihrer Verjüngung in sich.“¹²⁷
3.3.1.1.3 Martensen: „Rationalismus, Supranaturalismus und das principium exclusi medii“ (1839)¹²⁸ Wie Heiberg geht auch Martensen von Mynsters Ausführungen am Ende des Artikels aus, wobei sein Augenmerk – kaum überraschend – weniger Mynsters logischer Argumentation als solcher als vielmehr der dadurch begründeten theologischen Argumentation gilt, dass sich „jede gründliche Theorie“¹²⁹ in der theologischen Wissenschaft entweder für den Supranaturalismus oder für den Rationalismus entscheiden müsse und es ein Drittes nicht gebe. Indem Mynster seinen Beweis für die Unmöglichkeit einer Mediation zwischen beiden auf das principium exclusi medii stütze, verkenne er die Problematik einer solchen Anwendung dieses Prinzips auf die Theologie, deren Aufgabe es gerade sei, „auf jedem Punkt die Identität des dem Verstande Widersprechenden zu fassen.“¹³⁰ Dass dieses Prinzip „keine letzte Instanz in der Theologie“ sein könne, zeige sich auch in Anbetracht der Art und Weise, wie das Christentum selbst es beständig aufhebe: „Der Mittelpunkt des Christentums, die Inkarnationslehre, die Lehre vom Gottmenschen, zeigt doch gerade, dass die christliche Metaphysik nicht in einem
Ibid., S. 455. Ibid., S. 455 f. Hans Lassen Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii i Anledning af H. H. Biskop Mynsters Afhandling herom i dette Tidskrifts forrige Hefte“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 456 – 473 (Heft 5 vom Juni 1839). Ibid., S. 456; vgl. Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 267. Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“, S. 457; zum Begriff ‚Mediation‘ vgl. unten Anm. 160.
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Entweder[‐]Oder ruhen kann, sondern dass sie die Wahrheit nur in dem Dritten findet, welches jenes Prinzip ausschließt.“¹³¹ Mynsters konkreter Anwendung des principium exclusi medii auf die Weise, dass die Offenbarung, auf der das Christentum beruhe, entweder übernatürlich oder nicht-übernatürlich und alles Mediieren hier unmöglich sei, setzt Martensen die Behauptung entgegen, „dass der Begriff des Übernatürlichen nicht wirklich werden kann, ohne durch das Natürliche mediiert zu werden, und also dieses als sein eigenes Moment enthalten muss.“¹³² Auch Mynster selbst habe auf vielerlei Weise den Weg zur Mediation dieses Gegensatzes gewiesen. Wenn sich Mynster etwa in der Einleitung zu seiner Dogmatik zu dem Satz bekenne, „dass Christus…dennoch gekommen wäre, selbst wenn die Sünde nicht in die Welt gekommen wäre“¹³³, so scheine der scharfe Gegensatz zwischen Supranaturalismus und Naturalismus aufgehoben und auf jenes Dritte verwiesen zu sein, das durch die formale Logik ausgeschlossen sei. Das Kommen Christi habe eben nicht bloß eine relative, sondern eine absolute Bedeutung, und die Notwendigkeit der Inkarnation sei nicht bloß praktisch, sondern rein metaphysisch. „Aber diese metaphysische Notwendigkeit des Christentums, die hiermit zugestanden ist, scheint nur entwickelt zu werden brauchen, damit auch der Gegensatz zwischen Supranaturalismus und Rationalismus, Vernunft und Offenbarung, Glauben und Wissen aufgehoben sein wird.“¹³⁴
Ibid., S. 458. Ibid. S. 459; vgl. S. 460 f.: „Denn so gewiss wie das Christentum, indem es lehrt, dass das Wort Fleisch geworden ist, lehrt, dass das Übernatürliche Natur geworden ist, und so gewiss wie das Übernatürliche und das Nicht-Übernatürliche im Christentum selbst mediiert sind, nicht halb, sondern ganz, so gewiss muss auch die Wissenschaft nach einer ganzen Mediation streben.“ Ibid., S. 461; vgl. auch S. 457 und S. 467 f. Martensen bezieht sich hier auf Mynsters Om Begrebet af den christelige Dogmatik, S. 44 (§ 34) (Blandede Skrivter, Bd. 1, S. 71), wo es heißt: „Die Richtung der gesamten Natur geht auf Christus. Wäre die menschliche Natur unverdorben, dann würde sie dennoch – obgleich, ohne göttliche Offenbarung, nur mit dunklem Bewusstsein – auf Christus harren, denn niemand wird doch behaupten, dass das Herrlichste in der Welt, Christi Offenbarung, nur durch die Sünde erreicht ist, nicht stattgefunden hätte ohne Sünde.“ Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“, S. 461. Dass sich der Glaube nicht exklusiv gegen das Wissen verhalten dürfe, macht Martensen auch am Ende des Artikels im Rahmen seiner Kritik an Jacobis Offenbarungsbegriff deutlich. Das einseitige – da bloß passive und rezeptive – Verhältnis, in das Jacobi die Vernunft zur Offenbarung gesetzt habe, habe dieselbe Einseitigkeit im Verhältnis zwischen Glauben und Wissen hervorgebracht: „Denn indem er [Jacobi] den bloß rezeptiven Charakter der Vernunft festhielt, verhielt sich der Glaube exklusiv zur Erkenntnis, die auf einen formalen Verstandesgebrauch beschränkt wurde, anstatt dass seine Lehre vom Glauben vollkommene Gültigkeit gehabt hätte, wenn er ihn als notwendigen Ausgangspunkt und Anfang der Mediation aufgefasst hätte, der das ganze Wissen
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Jener Satz Mynsters, der „zu den fruchtbarsten Fermenta cognitionis für die spekulative Theologie“ gehöre, könne auch so ausgedrückt werden „dass die neue Schöpfung nicht nur eingetreten ist, um eine gestörte Beziehung wiederherzustellen…, sondern dass im Gegenteil die ganze Weltentwicklung nur auf die zweite Schöpfung angelegt ist, die die Negation der ersten ist; und dass also das Erscheinen Christi und das durch ihn gestiftete Gesamtleben als etwas absolut Notwendiges eintritt, als etwas, das nicht nur nicht ausbleiben konnte, sondern Mittelpunkt des Universums und Ziel der ganzen teleologischen Weltentwicklung ist, zu dem sich alles andere nur als Mittel- oder Durchgangspunkt verhält.“¹³⁵
Das Christentum werde damit „als immanente Bestimmung im Wesen Gottes und der göttlichen Weltordnung“ betrachtet, weshalb man, wie Martensen Mynster konzediert, unbedingt einschärfen müsse, dass Christus nicht nach dem Laufe der Natur hervortrete, sondern die neue Schöpfung in Christus das erste Glied in einer neuen Reihe sei: „Christus ist nicht das Produkt des Menschengeschlechtes, sein Eintritt in die Geschichte ist nicht das Resultat des Entwicklungsprozesses des Geschlechtes, obgleich wohl durch diesen mediiert.“¹³⁶ Zwar könne man sagen, Christus sei vom Himmel herabgestiegen, wodurch ihm ein supranaturalistischer Charakter zukomme, doch müsse man ebenso sehr festhalten, dass Christus zugleich „aus der eigenen Mitte der Menschenwelt“ hervorgetreten und – wie Schleiermacher dies ausdrücke – „die nun erst vollendete Schöpfung der menschlichen Natur“¹³⁷ sei. In der Christologie des alten Supranaturalismus habe die Seite des Göttlichen allerdings ein solches Übergewicht bekommen, dass die wahre Menschennatur Christi nicht zu ihrem Recht gekommen sei. Die Homousie Christi mit der menschlichen Natur sei zwar ausgesprochen, aber nicht wirklich gedacht worden. Ein notwendiges Korrektiv gegen diese Einseitigkeit des alten Supranaturalismus habe schließlich das durch Kant und Fichte eröffnete „Reich des Selbstbewusstseins“¹³⁸ gebildet, durch das „eine immanente Erkenntnis der Christologie oder die wirklich gedachte Identität der göttlichen und menschlichen Natur in Christus“¹³⁹ substantiell in sich enthält“ (ibid., S. 472). Zu Martensens Kritik an Jacobis Glaubensbegriff vgl. auch seine Dogmatikvorlesung „Prolegomena ad dogmaticam speculativam“ vom Wintersemester 1837/38, wie sie Kierkegaard in SKS 19, 142, Not4:12 / DSKE 3, 149 f. mitgeschrieben hat; ferner Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 301– 307. Ibid., S. 462 f. Ibid., S. 463; vgl. hierzu auch Kierkegaards Exzerpt aus einem Kollegheft zu Martensens Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ (1838/39) in SKS 18, 383, KK:11 / DSKE 2, 393 (§ 16). Ibid.; vgl. Schleiermacher, Der christliche Glaube, Bd. 2, S. 23 [S. 16 f.] (§ 89, Leitsatz). Ibid., S. 465. Ibid., S. 466 f.
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eingeleitet worden sei. Jedoch habe man hier nur das rein Menschliche in Christus sehen wollen und das Göttliche aufgegeben. Die rationalistischen Vorstellungen der Christologie seien gleichwohl „als Mediationsmomente im Dogma von der Homousie der Natur Christi mit der menschlichen zu betrachten“¹⁴⁰, die jede „gründliche Christologie“ in sich enthalten müsse, und es sei Aufgabe unserer Zeit, „jenes unglückselige aut aut“, bei dem der Gegensatz zwischen Pantheismus und Theismus in der gegenwärtigen Christologie zu stehen komme, „aufzuheben“¹⁴¹.
3.3.1.2 „…mein Standpunkt für eine spekulative christliche Erkenntnislehre“¹⁴² Bereits in Kierkegaards Journalaufzeichnung EE:93 vom 14. Juni 1839 findet sich eine erste Reaktion auf die Frage der Vermittelbarkeit von Gegensätzen, wie sie Gegenstand der Kontroverse zwischen Mynster auf der einen und Heiberg und Martensen auf der anderen Seite war: „Dass relative Gegensätze mediiert werden können, dazu brauchen wir wahrlich Hegel nicht, da dies in dem Altbekannten liegt, dass sie unterschieden werden können; dass absolute Gegensätze mediiert werden könnten, dagegen wird [die] Persönlichkeit in alle Ewigkeit protestieren (und dieser Protest ist inkommensurabel für das Assertum der Mediation), sie wird in alle Ewigkeit ihr unsterbliches Dilemma wiederholen: sein oder nicht sein, das ist die Frage. (Hamlet.)“¹⁴³.
Bezugspunkt dieser Aufzeichnung ist offenbar der Schlussabschnitt von Mynsters Artikel, in dem dieser Hegels Behandlung des principium exclusi medii kritisiert und darauf insistiert, dass man zwischen Gegensätzen, nicht aber zwischen Widersprüchen mediieren könne.¹⁴⁴ Zwar spricht Kierkegaard statt von ‚Widersprüchen‘ von unvermittelbaren ‚absoluten Gegensätzen‘, die er mit den vermittelbaren ‚relativen Gegensätzen‘ kontrastiert, doch wird deutlich, dass er mit Mynsters Behauptung der Unvermittelbarkeit bestimmter – und zwar: kontradiktorischer – Gegensätze konform geht. Da die beiden durch Mynsters Bemerkungen provozierten Stellungnahmen Heibergs und Martensens kurz vor der Niederschrift von EE:93 erschienen sind, ist es gut denkbar, dass dies den Anstoß zu Kierke-
Ibid., S. 466. Ibid., S. 467. SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129 (dt. Übers. modifiziert). SKS 18, 34 f., EE:93 / DSKE 2, 33 f. (dt. Übers. modifiziert); vgl. hierzu den Kommentar zu DSKE 2, 33,30 – 34,2 in DSKE 2, 429 f. Zu Kierkegaards Rede von ‚absoluten Gegensätzen‘ vgl. unten Anm. 362. Vgl. Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 267.
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gaards Aufzeichnung gegeben hat, wenngleich sich darin kein Hinweis auf die beiden Artikel findet.¹⁴⁵ Dies sollte sich ändern, als Kierkegaard vermutlich im Juli 1840 in den auf den ersten beiden Seiten von Journal HH eingetragenen Aufzeichnungen HH:2– 5¹⁴⁶ den Standpunkt des „Alles ist neu in Christo“¹⁴⁷ – „Neu nicht nur insofern, als es etwas anderes ist, sondern auch als das Verhältnis des Erneuerten, des Verjüngten zum Veralteten, Überlebten“¹⁴⁸ – als seinen eigenen „Standpunkt für eine spekulative christliche Erkenntnislehre“¹⁴⁹ bestimmt hat, den er mit dem Standpunkt des „Nichts ist neu unter der Sonne“¹⁵⁰, von dem aus man bisher das Christentum
Die Artikel Heibergs und Martensens finden sich beide im 5. Heft des ersten Bandes der Tidsskrift for Litteratur og Kritik (1839), welches (zusammen mit dem 6. Heft) laut Kjøbenhavns kongelig alene privilegerede Adressecomptoirs Efterretninger (Adresseavisen) vom 12. Juni 1839 (Nr. 135) gerade „aus der Presse…gekommen [ist]“. Kierkegaard konnte zum Zeitpunkt der Entstehung von EE:93 also durchaus Kenntnis – und sei es: der Existenz – der Artikel Heibergs und Martensens haben, zumal Sibbern im oben erwähnten und zitierten Brief an Zeuthen vom 4. Juni 1839 (siehe Anm. 114) schreibt, dass Mynsters Artikel ‚einige Bewegung unter den jungen spekulativen Theologen bei uns bewirkt‘ habe, was freilich auch Kierkegaard nicht entgangen sein dürfte. SKS 18, 125 f., HH:2– 5 / DSKE 2, 129 f. Diese Aufzeichnungen befinden sich zusammen mit SKS 18, 125, HH:1 / DSKE 2, 129 auf dem ersten losen Blatt von Journal HH, wobei dieses erste Blatt quer gefaltet ist. HH:1 besteht allein aus der Angabe: „Kopenhagen, den 14. Juni 1840“ und steht quer zum übrigen Text auf der ersten Seite ganz oben in der rechten Ecke, vgl. SKS 18, 127 f. / DSKE 2, 131 f. Es ist daher keineswegs ausgemacht, dass HH:2– 5 in zeitlicher Nähe zu HH:1 niedergeschrieben wurden, doch geschah dies vermutlich kurz nach Abschluss des Examens, vgl. SKS K18, 181 / DSKE 2, 498 f. Sind HH:2– 5 aber spätestens im Juli 1840 niedergeschrieben worden, dann hat Kierkegaard das Journal HH danach zur Seite gelegt und es erst im Wintersemester 1840/41 während seiner Teilnahme an den Übungen im Predigerseminar wieder in Gebrauch genommen, um darin die homiletischen Skizzen in SKS 18, 129 – 142, HH:8 – 34 / DSKE 2, 133 – 146 einzutragen. SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129 (dt. Übers. modifiziert); vgl. II Kor 5,17 (NT-1819): „Daher, wenn jemand in Christo ist, dann ist er eine neue Schöpfung: das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden [Saa at, dersom Nogen er i Christo, da er han en ny Skabning: det Gamle er forbiganget, see, Alt er blevet nyt].“ Zur Wendung ‚Alles ist neu in Christo‘ vgl. auch SKS 17, 226, DD:18 / DSKE 1, 189; SKS 18, 85, FF:46 / DSKE 2, 87 sowie die unten in Anm. 170 angegebenen Stellen. Vgl. ferner SKS 19, 177, Not5:9 / DSKE 3, 187 (siehe Anm. 343) von spätestens Herbst 1840 (zur Datierung vgl. den editorischen Notizbuch 5 in DSKE 3, 637– 641, hier 638 – 640). SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129 (dt. Übers. modifiziert). Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Ibid. (dt. Übers. modifiziert). Vgl. Koh 1,9 (AT-1740): „Das, was war, dasselbe wird werden, und das, was geschehen ist, dasselbe wird geschehen; daher gibt es gar nichts Neues unter der Sonne [saa er der slet intet Nyt under Solen].“ Zur Wendung „Nichts ist neu unter der Sonne“ vgl. zudem Pap. III B 179:30 und 33; SKS 5, 27 / 2R43, 395; SKS 5, 224 / 2R44, 140; SKS 6, 322 / SLW, 368; SKS 8, 173 / ERG, 71 sowie SKS 27, 433, Papir 371:2 und SKS 23, 91,22– 30, NB15:128.
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ins Verhältnis zur Vergangenheit gesetzt habe, kontrastiert. Während letzterer Standpunkt, wie Kierkegaard in HH:2 schreibt, sich „negativ zum Phänomen“ verhalte und das Leben durch die hier dozierte „abstrakte Monotonie“ totschlage, sei ersterer „befruchtend“ und wolle zeigen, dass das Christentum „kein Zusammenziehen um einen einzelnen Gegenstand, um eine einzelne Normal-Gesinnung ist, – nicht wie ein neuer Lappen auf ein altes Kleid, sondern wie ein Verjüngungs-Trank.“¹⁵¹ In HH:3 heißt es hierzu weiter: „Wenn ich sage, alles sei neu in Christo, so gilt dies insbesondere von all den anthropologischen Standpunkten; denn das eigentliche Wissen von Gott (die göttliche Metaphysik, die Dreieinigkeit) ward zuvor nie gehört und ist also in einem anderen Sinne neu in Christo.; hier sieht man ausgezeichnet die Gültigkeit des Offenbarungsbegriffs gegenüber dem rein humanen Standpunkt. Man muss die beiden Sätze unterscheiden: Alles ist neu, was eine ästhetische Anschauung ist – Alles ist neu in Christo, was eine dogmatische, weltgeschichtlich spekulative Anschauung ist.“¹⁵²
Dagegen ordnet Kierkegaard in HH:2 „die Idee der Mediation“ – „die Losung der neueren Philosophie“ – dem Standpunkt des ‚Nichts ist neu unter der Sonne‘ zu. Sie sei „gerade der Gegensatz zum Christlichen“, da für dessen Standpunkt „die vorangegangene Existenz nicht so leicht verdaulich ist, sondern schwer in ihm und auf ihm liegt, wie auch für das einzelne Individuum seine Existenz vor dem Glauben keineswegs bloß sorglos mediiert, sondern mit tiefem Leid versöhnt wird; wie überhaupt die beiden Gedankenbestimmungen gleich notwendig sind: [1] dass das Christentum das ist, was in keines Menschen Gedanken aufging, und doch, wenn es dem Menschen gegeben wird, ihm natürlich ist, [2] dass auch Gott hier schöpferisch ist [at Χstd. er det der ikke opgik i noget Msks Tanke, og dog i det det gives Msk. er ham naturligt, at ogsaa Gud her er skabende].“¹⁵³
Die erste dieser beiden Bestimmungen des christlichen Standpunktes ist also die, dass das Christentum etwas radikal Neues und, wenn es dem Menschen gegeben wird, ihm dennoch ‚natürlich‘ ist; die zweite Bestimmung ist die, dass auch Gott hier ‚schöpferisch‘ tätig ist. Damit steht meine Übersetzung in Spannung sowohl
SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129 (meine Übers.); vgl. unten Anm. 158. SKS 18, 125 f., HH:3 / DSKE 2, 130 (meine Übers.). SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129 (meine Übers.). Zu Kierkegaards Rede von der ‚Mediation‘ als ‚Losung‘ der neueren Philosophie vgl. die unten in Anm. 160 angegebenen bzw. angeführten Stellen aus Veröffentlichungen Heibergs, Martensens und Adlers. Zum Verständnis von Sorg – hier mit ‚Leid’ übersetzt – in der Wendung ‚med dyb Sorg‘ siehe Kap. 3.3.3. Zur Wendung „was in keines Menschen Gedanken aufging“ vgl. I Kor 2,9 (NT-1819): „was kein Auge gesehen, und kein Ohr gehört hat, und in keines Menschen Herz aufgekommen ist [ikke er opkommet i noget Menneskes Hierte]“.
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zu DSKE ¹⁵⁴ als auch zu der von Gerdes¹⁵⁵, wo jeweils der letzte Satzteil (die m. E. zweite Bestimmung) in den unmittelbar vorhergehenden Satzteil (dem m. E. zweiten Teil der ersten Bestimmung) als dessen Folgerung mittels der Übersetzung von ‚at‘ als folgerndes ‚so dass‘ hineingezogen und zugleich die Betonung von ‚Gott‘ auf das ‚hier‘ verschoben wird. So übersetzt ist m. E. aber nicht ersichtlich, inwiefern es sich hier für Kierkegaard um zwei ‚gleich notwendige‘ Bestimmungen handeln soll, bei denen innerhalb der ersten durchaus ein Gegensatzverhältnis (‚radikal neu‘ – ‚dennoch natürlich‘) angegeben ist. Bezieht man nun die dänische Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik in die Untersuchung dieser Aufzeichnungen mit ein, wird deutlich, dass nicht nur das Thema als solches, das Verhältnis von Alt und Neu, sondern auch die beiden von Kierkegaard miteinander kontrastierten Standpunkte vor dem Hintergrund dieser Kontroverse entwickelt worden sind. Der Standpunkt des ‚Nichts ist neu unter der Sonne‘ korrespondiert dabei mit dem von Mynster dargestellten Standpunkt des christlichen Naturalismus, demzufolge auch die Inkarnation Gottes in Jesus Christus keine Durchbrechung des Naturzusammenhanges bedeute, sondern durch ihn bedingt und in ihm begründet in der Reihe aller anderen „Ereignisse im weltgeschichtlichen Entwicklungsprozess der Menschheit“¹⁵⁶ liege. Bemerkenswert ist zudem, dass Kierkegaard diesem Standpunkt auch die Idee der Mediation zuordnet und sie als den ‚Gegensatz zum Christlichen‘ bestimmt. Unter der Voraussetzung, dass die Journalaufzeichnungen HH:2– 5 in Auseinandersetzung mit jener Kontroverse entstanden sind, ist deshalb anzunehmen, dass Kierkegaard bei seiner Kritik an der Idee der Mediation die Positionen Heibergs und Martensens im Blick gehabt hat. Für diese Annahme spricht zudem, begrifflich betrachtet, der Umstand, dass Kierkegaard selbst in HH:2 überhaupt erst zum zweiten Mal in seinem Gesamtwerk (nach EE:93) den Begriff ‚Mediation‘ gebraucht hat.¹⁵⁷ In Bezug gerade auf die
DSKE 2, 129,31– 34: „wie überhaupt die beiden Gedankenbestimmungen in gleicher Weise notw.[endig] sind: dass Xstt. [Christentum] das ist, was in keines M[en]schen Gedanken entstanden ist, und wenn es dem M[en]sch.[en] gegeben wird, ihm dennoch natürlich ist, so dass auch hier Gott schöpferisch ist.“ T 1, 227: „wie überhaupt die beiden Gedankenbestimmungen gleich notwendig sind: das Christentum sei das, was niemals in eines Menschen Gedanken aufgekommen ist, und welches doch, indem es dem Menschen gegeben wird, ihm natürlich ist, so daß Gott auch hier schaffend ist.“ Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 260; vgl. S. 258 – 261. Zu Kierkegaards Gebrauch von ‚Mediation‘ und ‚mediieren‘ in Mitschriften und (als Übersetzung von ‚Vermittlung‘ oder ‚Versöhnung‘ bzw. ‚vermitteln‘ oder ‚versöhnen‘) Exzerpten vor 1840 vgl. SKS 19, 77,3, Not1:9 / DSKE 3, 81,4; SKS 19, 139,16 f., Not4:11 / DSKE 3, 146,35; SKS 19, 161,28 f., Not4:40 / DSKE 3, 171,10; SKS 18, 318 – 337, KK:2 / DSKE 2, 328 – 347; SKS 18, 343 – 352,
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Ausführungen Martensens¹⁵⁸ scheint Kierkegaards Zuordnung der Idee der Mediation zum Standpunkt des ‚Nichts ist neu unter der Sonne‘ zugleich aber auch sachlich insofern naheliegend, als Martensen – ausgehend von der Behauptung der metaphysischen Notwendigkeit des Christentums als immanenter Bestimmung im Wesen Gottes – Mynster zwar konzediert, dass Christus nicht „nach dem Laufe der Natur“ hervortrete und „die neue Schöpfung in Christus das erste Glied in einer neuen Reihe“ sei, die Inkarnation Gottes in Christus aber dennoch als notwendige Mediation des Übernatürlichen durch das Natürliche und den Eintritt Christi in die Geschichte als durch den „Entwicklungsprozess[] des Geschlechtes…mediiert“¹⁵⁹ betrachtet. Kierkegaards Rede von und Kritik an der Idee der Mediation als ‚Losung‘ der neueren – und zwar: hegelschen – Philosophie und seine Entgegensetzung von der ‚Idee der Mediation‘ und dem ‚Christlichen‘ haben somit in der in seinem Umfeld stattfindenden Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik ihren
KK:4 / DSKE 2, 353 – 362; SKS 18, 374– 386, KK:11 / DSKE 2, 384– 396. Kierkegaard selbst gebraucht das Verb ‚mediieren‘ zuerst in SKS 18, 30, EE:74 / DSKE 2, 29 (17. Mai 1839) und dann (zusammen mit ‚Mediation‘) in SKS 18, 34 f., EE:93 / DSKE 2, 33 f. (14. Juni 1839). Kierkegaards Bemerkung, dass der Standpunkt des ‚Nichts ist neu unter der Sonne‘ das Leben durch die hier dozierte ‚abstrakte Monotonie‘ totschlage, könnte dagegen Heibergs Behauptung am Artikelende im Blick haben, dass Hegel die Philosophie durch die Einführung der dialektischen Methode zu dem Punkt gebracht habe, an dem „alles Neue…durch konstitutionelle Entwicklung des Bestehenden zum Vorschein kommen [wird], also nur insofern dieses in Ehren gehalten wird….So wird denn die konstitutionelle Form der Philosophie herbeigeführt und diese trägt selbst die Quelle ihrer Verjüngung in sich“ (Heiberg, „En logisk Bemærkning“, S. 455 f.). Laut SKS K18, 185 f. / DSKE 2, 503 könnte es sich (auch) bei Kierkegaards Rede vom Christentum als „Verjüngungs-Trank“ um „eine polemische Reaktion“ auf eben diese Behauptung Heibergs handeln. Doch worin sollte hier eine Polemik gegen Heiberg liegen? Kierkegaard alludiert an dieser Stelle auf die Szene in der Hexenküche in Goethes Faust (vgl. Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1– 60, Stuttgart und Tübingen 1828 – 42 (ktl. 1641– 1668); Bd. 12 (1828), S. 128 – 132), wo Faust, bevor er Margarete trifft, den Zaubertrank trinkt, der ihm jugendlichen Antrieb geben soll. Außer in SKS 18, 128, BB:37 / DSKE 1, 138 spricht Kierkegaard von einem ‚Verjüngungs-Trank‘ in seinem Gesamtwerk sonst nur noch in SKS 2, 202 / EO1, 222, wo eben die Faust-Szene den Kontext bildet. Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“, S. 463; vgl. S. 461– 463 sowie Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 261 f. Vgl. auch Kierkegaards Exzerpt von § 16 aus einem Kollegheft zu Martensens Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ (1838/39): „Die Inkarnation konnte sich erst in der Fülle der Zeit ereignen, d. h. das Kommen Christi ist mediiert durch die historische Entwicklung des Menschgeschlechtes und konnte nicht geschehen, bevor alle relativen und kreatürlichen Formen des religiösen Bewusstseins ausgeschöpft waren. Da sich Christus jedoch nicht als Produkt des Menschengeschlechtes betrachten lässt, ist seine ganze Persönlichkeit, sein Leben und seine Taten, ein Wunder“ (SKS 18, 383, KK:11 / DSKE 2, 393; dt. Übers. modifiziert).
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Hintergrund und Ausgangspunkt.¹⁶⁰ Auf diese Kontroverse sollte Kierkegaard auch später an zahlreichen Stellen sowohl in seinen Schriften als auch in seinen Ein deutliches Beispiel für die Verkennung dieses Kontextes der Kierkegaardschen Rede von ‚Mediation‘ (auch) in Journal HH findet man bei Hans-Joachim Krenzke, Ästhetik und Existenz. Eine Studie zum frühmodernen Denken unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Vorgeschichte der Kierkegaardschen „Diapsalmata ad se ipsum“, Würzburg 2002, S. 105 – 110. Krenzke möchte bei seiner Erschließung des Bedeutungsgehalts von Kierkegaards Begriff der ‚Mediation‘ vermeiden, „Mediation einfach als Heteronym von ‚Vermittlung‘ und unter dieser womöglich das zu verstehen, was sie der komfortablen Faustregel gemäß bei Hegel sein soll: daß eine jede These zu ihrer Antithese führe, die beide in derjenigen Synthese mediiert würden, die die neue These bilde, welche zu ihrer Antithese führe, usw. usf.“ (S. 106). In Pap. III A 211 [HH:2] heiße es, „Mediation sei das ‚Losungswort der neueren Philosophie‘, deren Standpunkt als ein anthropologischer bezeichnet wird“ (ibid.). Diesem anthropologischen Standpunkt (!) suche Kierkegaard seinen „Standpunkt für eine spekulativ christliche Erkenntnislehre“ entgegenzusetzen. Das Wissen, gegen das er angehe, sei „nicht das spekulative Wissen der neueren Philosophie, sondern das anthropologische, dessen eigentliche Heraufkunft in der Frühmoderne Feuerbachs Denken verzeichnet.“ Die von Kierkegaard als „neuere“ bezeichnete Philosophie sei daher „die anthropologische und – des Unsinns wegen, den er in ihr entdeckt – die anthropozentrische“ (ibid.), also die „‚neuheitliche‘ Philosophie“ (S. 107). Krenzke hat damit aber nicht nur Kierkegaards Argumentation in Journal HH missverstanden, sondern auch Feuerbach gleichsam ex nihilo als Adressaten von Kierkegaards Kritik ausgemacht, den Kierkegaard aber nicht vor 1844 eingehender gelesen hat, vgl. István Czakó, „Feuerbach: A Malicious Demon in the Service of Christianity“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Aldershot und Burlington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 25 – 47, hier S. 38 ff. Dass ‚Mediation‘ ein zentraler Begriff eben des dänischen Hegelianismus gewesen ist, der, obgleich es an Äquivalenten in der dänischen Sprache (wie Formidling oder Mægling) nicht gefehlt hat, zur Wiedergabe für die hegelsche ‚Vermittlung‘ (bzw. ‚Versöhnung‘) eingeführt und gebraucht worden ist, zeigen – abgesehen von den oben in Anm. 157 und unten in den Anm. 161– 164 angeführten Stellen aus Aufzeichnungen und Schriften Kierkegaards – nicht nur Heibergs und Martensens Beiträge zur Kontroverse (vgl. besonders Heiberg, „En logisk Bemærkning“, S. 443 f., S. 448 und Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“, S. 459, S. 460 f., S. 463, S. 466 und S. 472; ferner Heibergs „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, S. 35 f. und S. 73 sowie Kierkegaards Notizen zu Martensens Vorlesungen über ‚Spekulative Dogmatik‘ (1838/39) in Journal KK, besonders SKS 18, 377, KK:11 / DSKE 2, 387 (§ 6) und SKS 18, 383, KK:11 / DSKE 2, 393 (§ 16)) sowie Veröffentlichungen anderer der Philosophie Hegels (zumindest zeitweilig) zugeneigter Zeitgenossen Kierkegaards (vgl. z. B. Adler, Den isolerede Subjectivitet (siehe Anm. 199), besonders S. 22 (§ 8): „alle Philosophie beruht auf Mediation“ und S. 62 f. (§ 21)), sondern auch die wichtigsten dänischen Darstellungen der hegelschen Logik, vgl. Heiberg, Grundtræk til Philosophiens Philosophie, S. 102 (§ 159 samt Anm. 1), S. 103 (§ 159, Anm. 2), S. 111 (§ 173, Anm.), S. 113 (§ 177); ders., „Det logiske System. Første Afhandling, indeholdende: Paragrapherne 1– 23“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 2, 1838, S. 1– 45, hier S. 18 (§ 9), S. 21 (§ 10) und S. 30 (§ 15) sowie – aus der Zeit nach 1840 – Adler, Populaire Foredrag, besonders S. 7 (§ 5), S. 19 f. (§ 9), S. 100 f. (§ 21), S. 107– 110 (§ 22), S. 118 f. (§ 24), S. 140 (§ 26), S. 146 – 148 (§ 26), S. 149 (§ 27), S. 154– 159 (§ 28) und Nielsen, Den speculative Logik, besonders S. 124– 140 (§ 23), S. 164–
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Journalen und Aufzeichnungen explizit oder implizit Bezug nehmen¹⁶¹, wobei er speziell in der Mediation das Hauptmerkmal und die wesentliche Kategorie der hegelschen Philosophie gesehen und seine eigene Position davon abgegrenzt hat.¹⁶² Für die Fragestellung dieser Arbeit ist dies deshalb wichtig, weil Kierkegaard die Idee der Mediation dabei nicht nur mit seiner Konzeption der Wiederholung (auch im religiösen Sinne¹⁶³), sondern auch mit dem (absoluten) Paradox des Christentums und des christlichen Glaubens kontrastiert hat.¹⁶⁴ Zu Kierkegaards Skizze des eigenen ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH ist allerdings zu bemerken, dass, während Heiberg und Martensen die Bedeutung und Notwendigkeit der Idee der Mediation gerade
170 (§ 25). Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, verwende ich bei der Übersetzung oder Paraphrasierung der Texte Kierkegaards und seiner dänischen Zeitgenossen – Hirschs Vorbehalt in Kierkegaard-Studien, S. 569 (Anm. 2) zum Trotz; vgl. dagegen die Anmerkung von Junghans in AUN1, 303 f. (Anm. 63) – für ‚Mediation‘ (in der Regel) das deutsche Fremdwort ‚Mediation‘. Vgl. SKS 19, 415, Not13:50 / DSKE 3, 453; SKS 19, 418, Not13:53 / DSKE 3, 456 (vgl. dagegen Stewart, „The Paradox and the Criticism of Hegelian Mediation in Philosophical Fragments“ (siehe Anm. 361), S. 205); SKS 1, 139 f. / BI, 84 f.; SKS 1, 264,29 f. / BI, 227 (Anm.); SKS 1, 356 / BI, 333; SKS 2, 47 f. / EO1, 41 f. (samt Pap. III B 179:63); SKS 3, 164– 172 / EO2, 178 – 187 (vor allem SKS 3, 166 f. / EO2, 181); SKS 4, 304 f. / PB, 106; SKS 4, 310 / BA, [2] (samt SKS K4, 342 f.); SKS 18, 229, JJ:281 / DSKE 2, 236 f.; SKS 7, 277 f. / AUN2, 5 f. (samt Pap. VI B 54:4 und 98:58); SKS 7, 300,22– 25 / AUN2, 32; SKS 7, 341,15 – 343,4 / AUN2, 79 – 81; SKS 8, 64,24 f. / LA, 69 f.; SKS 8, 92,9 f. / LA, 103; SKS 22, 154, NB12:16 / T 2, 267 f.; SKS 22, 326, NB13:86; SKS 11, 26 / LF, 48; SKS 12, 216,28 – 33 / EC, 212; vgl. auch SKS 19, 257, Not9:1 / DSKE 3, 176 f.; Pap. III B 14; SKS 19, 398, Not13:30 / DSKE 3, 437; SKS 5, 57 / LT, 57 f.; SKS 6, 206 / SLW, 232; SKS 7, 186,7 / AUN1, 194; SKS 7, 358,20 / AUN2, 99. Vgl. (abgesehen von den in Anm. 157 angeführten Stellen) SKS 3, 167,27 f. / EO2, 182 (samt Pap. III B 42:2); SKS 18, 160, JJ:65 / DSKE 2, 164 f.; SKS 4, 319,13 – 25 / BA, 8 f.; SKS 4, 497– 499 / V, 206 – 208 und SKS 4, 506 f. / V, 216 (samt Pap. V B 47:14); SKS 7, 336 ff. / AUN2, 73 ff. (samt Pap. VI B 54:33); SKS 7, 341,15 – 343,4 / AUN2, 79 – 81; SKS 20, 46 f., NB:47 / DSKE 4, 49 – 51. Vgl. SKS 19, 415, Not13:50 / DSKE 3, 453; SKS 18, 160, JJ:65 / DSKE 2, 164 f.; SKS 4, 25 f. / W, 21 f.; SKS 7, 39,23 / AUN1, 29; zum Gegensatz von Mediation und Wiederholung im religiösen Sinne vgl. SKS 15, 73; SKS 15, 78 (samt Pap. IV B 118:1 und 118:7 [nicht in SKS]) und SKS 15, 87; zum Verhältnis von Mediation bzw. Übergang und Bewegung (in der Logik) vgl. auch SKS 27, 270, Papir 278; SKS 4, 319,13 – 25 / BA, 8 f.; SKS 4, 384,9 – 385,4 / BA, 82 f.; SKS 4, 324– 327 / BA, 14– 16 (Anm.); SKS 4, 506 / V, 216. Zum Verständnis von ‚Wiederholung‘ als (christlich‐)religiöser Kategorie vgl. vor allem SKS 18, 191 f., JJ:159 / DSKE 2, 198; SKS 18, 195, JJ:172 / DSKE 2, 202; SKS 15, 73, SKS 15, 78; SKS 15, 80 und SKS 15, 87; ferner Schückler, Die Existenzkategorie der „Wiederholung“, S. 263 – 329 und Ringleben, „Kierkegaards Begriff der Wiederholung“, S. 324– 334. Vgl. SKS 19, 211, Not7:22 / DSKE 3, 226; SKS 19, 390,25 f., Not13:23 / DSKE 3, 429,9 – 11; SKS 19, 418, Not13:53 / DSKE 3, 456; SKS 4, 150 / FZ, 59; SKS 4, 153 / FZ, 64; SKS 4, 155 / FZ, 67; SKS 4, 159 / FZ, 72; SKS 4, 162 f. / FZ, 77 f.; SKS 4, 166 / FZ, 82; SKS 4, 172 / FZ, 91 (samt Pap. IV B 91:15); SKS 7, 103 / AUN1, 98; SKS 7, 345 / AUN2, 83; SKS 15, 275 / BÜA, 137; SKS 22, 219, NB12:129; vgl. ferner SKS 15, 162 (Anm.) [nicht in BÜA]; siehe hierzu Kap. 3.3.2.5.
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für die Christologie herausstellen¹⁶⁵, es Kierkegaard vor allem um die damit verbundenen anthropologischen Implikationen geht, obgleich er seinen Standpunkt des ‚Alles ist neu in Christo‘ eben auch als „eine dogmatische, weltgeschichtlich spekulative Anschauung“¹⁶⁶ verstanden wissen will. Dieser Standpunkt des ‚Alles ist neu in Christo‘ geht konform mit Mynsters Behauptung der Superiorität des Supranaturalismus über Rationalismus und (christlichen) Naturalismus und seiner damit einhergehenden Annahme, Gott allein könne die Erlösung des Menschen nur dann zugeschrieben werden, wenn die Erscheinung Christi nicht als im Rahmen des Naturzusammenhanges liegend, sondern diese „neue Schöpfung in Christus“ als übernatürliche Offenbarung und „neue unmittelbare Eingießung des göttlichen Lebens in das menschliche“¹⁶⁷ betrachtet werde. Es ist deshalb zu vermuten, dass Kierkegaards Betonung der Gültigkeit des Offenbarungsbegriffs gegenüber dem ‚rein humanen Standpunkt‘, die bereits auch im Sommer 1839 in seiner Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte angeklungen war¹⁶⁸, und seine Deutung der Aneignung des Christentums als schöpferischen Akt Gottes im Menschen im Anschluss an die von Mynster dargestellte supranaturalistische Position erfolgt ist.¹⁶⁹ Während Mynster diese
Vgl. Heiberg, „En logisk Bemærkning“, S. 445 f. und S. 451 sowie Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“, S. 458 f. und S. 463. SKS 18, 125 f., HH:3 / DSKE 2, 130 (meine Übers.). Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 261 f.; vgl. S. 266. Vgl. Kap. 3.2.1. Im Kommentar zu SKS 18, 125,27 in SKS K18, 187 (vgl. DSKE 2, 504) wird Kierkegaards Anspielung auf I Kor 2,9 (vgl. oben Anm. 153) im Teilsatz „was in keines Menschen Gedanken aufging“ zudem als möglicher Hinweis auf Mynsters Bestimmung der „natürliche[n] Religion“ (SKS und DSKE sprechen irrtümlich vom „Rationalismus“) gedeutet, die Mynster zufolge als „der Inbegriff derjenigen Erkenntnisse über Gott und die göttlichen Dinge [zu verstehen ist], die die Vernunft selbst geben kann, und die Vernunft ist dann auch hier [scil. wie im Rationalismus] die einzige Quelle der Religion und die Norm des Glaubens“ (Mynster, „Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 258). Deutlich ist aber auch, dass Kierkegaards Charakterisierung des Standpunktes des „Alles ist neu in Christo“ keineswegs ausschließlich auf Mynsters Darstellung des Supranaturalismus gründet, da es sich hierbei zugleich auch um eine Fortsetzung und Weiterführung seiner Anfang 1837 (siehe Kap. 2.2) und im Sommer 1839 (siehe Kap. 3.2.1) gegenüber dem jüngeren Fichte zum Ausdruck gebrachten Anschauung von der radikalen Neuheit sowohl des Christentums gegenüber der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung als auch des im Christentum sich aussprechenden Bewusstseins gegenüber dem allgemein menschlichen Bewusstsein handelt – eine Weiterführung vor allem deshalb, da der Fokus in Journal HH auf der damit einhergehenden anthropologischen Problematik des Verhältnisses von altem und neuem Menschen liegt. Dass der Standpunkt des „Alles ist neu in Christo“, im Gegensatz zur „abstrakte [n] Monotonie“ des Standpunktes des „Nichts ist neu unter der Sonne“, als „befruchtend“ charakterisiert wird, erinnert zudem an Kierkegaards Auseinandersetzung mit Erdmann Ende
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(seine) Position jedoch in erster Linie in Bezug auf die Inkarnation Gottes in Jesus Christus entwickelt und eben dieses Ereignis als ‚die neue Schöpfung in Christus‘ bezeichnet, geht es Kierkegaard auch in diesem Zusammenhang vornehmlich um die darin begründete anthropologische Problematik des Verhältnisses der ‚neuen‘, christlichen Existenz des Einzelnen zu seiner ‚alten‘, vorchristlichen Existenz. Mit der Formel ‚Alles ist neu in Christo‘¹⁷⁰, auf die Kierkegaard seinen Standpunkt bringt, „ist der Bruch markiert, den das Erscheinen Christi in der Geschichte bedeutet; in der Geschichte des einzelnen Menschen erfolgt dieser Bruch mit dem Glauben an Christus, dem ‚Von-neuem-Geboren-Werden‘ des Gläubigen“¹⁷¹. Die vorchristliche wird mit der christlichen Existenz demnach „keineswegs bloß sorglos mediiert, sondern mit tiefem Leid versöhnt“¹⁷². Der Standpunkt des ‚Nichts ist neu unter der Sonne‘ und mit ihm die Idee der Mediation verkennen nicht nur die radikale Neuheit des Christentums als geschichtlicher Erscheinung, sondern auch die Problematik des Übergangs von der Existenz des Einzelnen vor dem Glauben zur christlichen Existenz. Dass die vorchristliche Existenz bei der Aneignung des Christentums eben nicht einfach vergessen wird, der Mensch sich vielmehr dafür zu verantworten hat, macht Kierkegaard in der Journalaufzeichnung HH:5 deutlich, die (zusammen mit HH:4¹⁷³) eine Art Kommentar zu HH:2– 3 bildet. Im Unterschied zum „negative[n] polemische[n] Verhältnis“ zwischen
1837 (siehe Kap. 2.4), wo Kierkegaard die christliche Erfahrung (in Abgrenzung zur Erfahrung im Allgemeinen) ebenfalls als „befruchtend“ (SKS 19, 166, Not4:42 / DSKE 3, 176) bezeichnet. Die Behauptung, alles sei in Christo bzw. im Christentum neu (geworden), begegnet auch an zahlreichen, für die Interpretation seines Glaubens- und Christentumsverständnisses wichtigen Stellen in Kierkegaards pseudonymen Schriften, vgl. etwa SKS 4, 325 / BA, 14; SKS 4, 393 / BA, 92; SKS 7, 490 / AUN2, 249 f. („Es gibt nichts derart Neues im Christentum, dass es nicht schon scheinbar zuvor in der Welt gewesen wäre, und doch ist alles neu“; vgl. SKS 7, 490 / AUN2, 250 (Anm.)); SKS 7, 521 / AUN2, 285; SKS 11, 228 / KT, 118 („Aber christlich ist alles verändert; denn du sollst die Vergebung der Sünden glauben“; meine Übers.; vgl. hierzu SKS 18, 302, JJ:486 / DSKE 2, 313); ferner SKS 1, 282 / BI, 246; SKS 4, 135 / FZ, 40 („Und doch, doch ist die ganze irdische Erscheinung, die er [scil. der Glaubensritter] hervorbringt, eine neue Schöpfung kraft des Absurden“; meine Übers.); SKS 4, 240 / PB, 32; SKS 12, 127 / EC, 115 („denn der Glaube ist ein neues Leben“). Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 136. Der Kommentar zu SKS 18, 125,1 in SKS K18, 185 (vgl. DSKE 2, 503) weist darauf hin, dass der Evangelientext am Trinitatissonntag 1840 (in diesem Jahr der 14. Juni, also genau das Datum, das sich auch in HH:1 findet, vgl. oben Anm. 146) das Gespräch Jesu mit Nikodemus in Joh 3,1– 15 war, wo es über die Wiedergeburt im Glauben unter anderem heißt: „Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Joh 3,3). SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129. „Es gehört moralischer Mut dazu, zu trauern; es gehört religiöser Mut dazu, froh zu sein (SKS 18, 126, HH:4 / DSKE 2, 130 (dt. Übers. modifiziert).
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zukünftiger und gegenwärtiger Existenz, wie es in der heidnischen Welt durch das Trinken der Lethe beim Eingang des Menschen ins Elysium symbolisiert worden sei, lehre die christliche Anschauung, „dass der Mensch Rechenschaft geben muss für jedes ungebührliche Wort, welches unter anderem wohl als die totale Präsenz des Vergangenen verstanden werden muss, wenn auch eine andere Lethe das Nagende und Verzehrende davon wegnehmen wird.“¹⁷⁴ Die Aneignung des Christentums wird von Kierkegaard als ein den Menschen erneuerndes, neue Wirklichkeit setzendes Anfangsgeschehen verstanden, wobei diese Erneuerung nicht partikular begrenzt ist (‚wie ein neuer Lappen auf ein altes Kleid‘), sondern den Menschen in allen Bezügen seiner Existenz erfasst. Eine solche Wiedergeburt des Menschen im Glauben bedeutet insofern auch eine Neuwerdung, als in dieser effektiven Veränderung des Menschen ein qualitativer Unterschied zwischen der ‚alten‘ und der ‚neuen‘ Existenz des Einzelnen impliziert ist. Die so verstandene Neuwerdung meint allerdings keine fundamentale Neuschöpfung, da die ‚alte‘ Existenz des Menschen vor dem Glauben bei der Aneignung des Christentums nicht einfach (d. h. im strengen Sinne¹⁷⁵) annihiliert wird, womit die Wiedergeburt einer neuerlichen creatio ex nihilo ¹⁷⁶ gleichkäme, sondern mit der ‚neuen‘ christlichen Existenz – wenn auch ‚mit tiefem Leid [med dyb Sorg]‘ – versöhnt wird. Bei der Aneignung des Christentums wird dem Einzelnen etwas zuteil, das etwas radikal Neues und Anderes, aber nichts mit der menschlichen Natur Inkompatibles ist, da das Christentum dem Menschen im Augenblick der Aneignung dennoch ‚natürlich‘ ist. Der Mensch kann jedoch nicht aus sich selbst
SKS 18, 126, HH:5 / DSKE 2, 130 (meine Übers.); vgl. Mt 12,36 (NT-1819): „Ich aber sage euch, dass die Menschen am Tage des Gerichts für jedes ungebührliche Wort Rechenschaft geben müssen [at Menneskene skulle giøre Regnskab…for hvert utilbørligt Ord], das sie geredet haben“. Bereits in AA:51 (Mai 1837) schreibt Kierkegaard, dass die durch Christi Tod als satisfactio vicaria bewirkte Sündenvergebung nicht die plötzliche Entledigung („wie durch einen Zauberschlag“) des Menschen aus seinen alten Verhältnissen, dem paulinischen „Leib der Sünde“, bedeute. Der Mensch „muss denselben Weg zurückgehen, den er gekommen ist, während das Bewusstsein dessen, dass ihm seine Sünden vergeben sind, ihn aufrecht hält und ihm Mut gibt und die Verzweiflung verhindert“ (SKS 17, 52, AA:51 / DSKE 1, 55 f.). Zum Verständnis von annihilatio in diesem Zusammenhang siehe Kap. 3.3.2.2, S. 314. Vgl. Niels Jørgen Cappelørn, „Gottebenbildlichkeit und Sündenfall. Aspekte der Anthropologie Grundtvigs und Kierkegaards vor dem Hintergrund des Irenäus“, in Theologie zwischen Pragmatismus und Existenzdenken. Festschrift für Hermann Deuser zum 60. Geburtstag, hg. von Gesche Linde et al., Marburg 2006 (Marburger theologische Studien, Bd. 90), S. 429 – 467, vor allem S. 449 f., wo Cappelørn konstatiert, dass in der Wortwahl (‚Erneuerung‘, ‚Verjüngung‘) ein Hinweis darauf liege, dass „nicht von einer Neuschöpfung die Rede sein kann, von einer zweiten creatio ex nihilo, sondern davon, daß das Geschaffene, das Veraltete und Überlebte in und durch Christus neu wird“ (S. 450).
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diese Erneuerung ins Werk setzen, weder sich selbst noch einen anderen zur Wiedergeburt verhelfen, weil auch Gott hier ‚schöpferisch‘ tätig ist. Dass dies im Wesentlichen auch Kierkegaards Position in den Philosophischen Brocken (1844) ist, verdeutlicht ein Blick auf die Beschreibung der Wiedergeburt in der „B“-Hypothese des ersten, mit „Denkprojekt“ überschriebenen Kapitels und die Kritik an der Naturalisierungsthese im fünften Kapitel („Der Jünger zweiter Hand“).¹⁷⁷ In dem Augenblick, in dem der durch eigene Schuld in der Unwahrheit bzw. die Unwahrheit seiende Jünger vom Gott in der Zeit als Lehrer (und nur von ihm) die Wahrheit samt Bedingung, die Wahrheit zu verstehen (d. h. den Glauben), empfange, werde er „ein Mensch von anderer Qualität, oder, wie wir es auch nennen können, ein neuer Mensch.“¹⁷⁸ Dieser Augenblick des Empfangens der Bedingung und der Wahrheit, in dem eine radikale Veränderung mit dem Menschen – „wie die von Nichtsein zu Sein“ als der Übergang der Geburt, nun allerdings zum zweiten Mal, mithin als „Wiedergeburt“¹⁷⁹ – vor sich gehe, sei als der Augenblick der Umkehr (μετάνοια) zugleich eine Abkehr vom Vorherigen, die „mit Leid [Sorg] in Seele und Sinn“¹⁸⁰ einhergehe. Wie der junge Kierkegaard in Journal HH versteht also auch Climacus die Wiedergeburt nicht als Neuschöpfung im oben angedeuteten Sinne (es ist ja das Alte, welches neu wird), sondern als „Wiederschöpfung“¹⁸¹, die einen „Bruch“ mit dem Alten voraussetzt: „der Mensch kann [zum Alten] nicht zurückkehren“¹⁸². Der wiedergeborene, neue Mensch ist demnach „nicht neu im Verhältnis zum Geschaffenen, sondern neu im Verhältnis zum Verlorenen.“¹⁸³ Da der Glaube gewiss „nichts Unmenschliches“¹⁸⁴ sei, könne er einem Menschen gewissermaßen „zur zweiten Natur“¹⁸⁵ werden, die auf das geschichtliche Faktum der Menschwerdung Gottes bezogen sei. Kann Climacus demnach die Wiedergeburt des Menschen im Glauben „als eine Geburt innerhalb einer Ge-
Vgl. SKS 4, 227– 229 / PB, 16 – 19 und SKS 4, 292– 295 / PB, 92– 94. SKS 4, 227 / PB, 17 (dt. Übers. modifiziert). Ibid. (ohne Hervorhebung). Ibid. Michael O. Bjergsø, Kierkegaards deiktische Theologie. Gottesverhältnis und Religiosität in den erbaulichen Reden, übers. von Krista-Maria Deuser und Hermann Deuser, Berlin und New York 2009 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 20), S. 126 (Anm. 10); vgl. S. 45 (Anm. 16). SKS 4, 228 / PB, 18 (meine Übers.). Cappelørn, „Gottebenbildlichkeit und Sündenfall, S. 451; vgl. S. 449 sowie das zur Anm. 148 gehörende Zitat aus HH:2. SKS 4, 294 / PB, 94. SKS 4, 293 / PB, 92 (meine Übers.; ohne Hervorhebung); vgl. SKS 4, 294 / PB, 93. Ebenso möglich ist die Übersetzung von ‚anden Natur‘ mit ‚andere Natur‘.
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burt“¹⁸⁶ bezeichnen, bedeutet dies allerdings nicht, dass deshalb auch jenes Faktum selbst „nach und nach naturalisiert worden wäre“¹⁸⁷, so dass Geburt und Wiedergeburt letztlich insofern koinzidierten, als der Einzelne „mit dem Glauben geboren“¹⁸⁸ würde, was ebenso unplausibel sei, „wie im Alter von 24 Jahren geboren [zu] werden.“¹⁸⁹ Zielscheibe dieser Kritik an der Naturalisierungsthese ist – wie auch später in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846)¹⁹⁰ – eine Passage in Martensens Schrift Die christliche Taufe (1843).¹⁹¹ Zu Beginn des Abschnitts über die Kindertaufe heißt es, dass es „an und für sich klar“ sei, „dass in derjenigen Periode, in der es wesentlich Aufgabe war, die Kirche in die Welt zu pflanzen, vieles sich anders gestalten musste, als in den nachfolgenden Zeiten, in denen die Kirche feste Wurzeln geschlagen hat in der Welt und das Reich Gottes gleichsam Natur geworden ist. So muss namentlich die Taufe, obgleich ihr sakramentales Wesen und ihr Grundverhältnis zum Glauben stets dasselbe ist, auf andere Weise hervortreten, wo das Reich Gottes durch Mission verbreitet werden soll – wo es also von außen in die Volksgeister hineingebracht werden soll – als dort, wo es mittels Inhabitation verbreitet werden soll – wo es den Volksgeistern einwohnt und von innen heraus seine weltumbildenden Kräfte entfalten soll.“¹⁹²
Die Argumentation des Climacus lässt sich also als Entfaltung jener ersten der in der Journalaufzeichnung HH:2 als ‚gleich notwendig‘ bezeichneten Gedanken-
SKS 4, 294 f. / PB, 94. SKS 4, 292 / PB, 92. SKS 4, 293 / PB, 92. SKS 4, 294 / PB, 93; vgl. SKS 4, 294 / PB, 94. Vgl. SKS 7, 334 / AUN2, 71 (Anm.): „In den Brocken habe ich die Misslichkeit [scil. dass jeder ohne Weiteres dadurch ein Christ ist, dass er vierzehn Tage nach der Geburt getauft wird] so ausgedrückt, dass man einen Versuch gemacht habe, das Christentum zu naturalisieren, so dass zuletzt das Christsein und das Menschsein identisch seien und man als Christ geboren werde, wie man als Mensch geboren wird; oder dass doch Geburt und Wiedergeburt auf ein Spatium von vierzehn Tagen zusammengerückt würden“ (dt. Übers. modifiziert). Hans Lassen Martensen, Den christelige Daab betragtet med Hensyn paa det baptistiske Spørgsmaal, Kopenhagen 1843 (ktl. 652). Ibid., S. 23 (hier mit einigen Modifikationen zitiert nach der anonymen dt. Übers. Die christliche Taufe und die baptistische Frage, Hamburg und Gotha 1843, S. 22); vgl. hierzu den Kommentar zu SKS 4, 292,16 in SKS K4, 292. Dass es eben diese Stelle ist, die Kierkegaard im Auge hat, zeigt die Journalaufzeichnung JJ:205 vom Frühsommer 1844, in der Kierkegaard unter Verweis auf „Martensens ruhmvolle Tauf-Theorie“ schreibt: „Falls das Christentum in der Welt zur Natur werden könnte, so brauchte ja nicht jedes Kind getauft werden; denn dann wäre ja das Kind, das christlichen Eltern geboren wird, schon bei der [oder: durch die] Geburt Christ. Das Sündenbewusstsein ist und bleibt conditio sine qua non für alles Christentum und könnte etwas einfach davon entbunden werden, dann könnte er [scil. das Kind] auch nicht Christ werden“ (SKS 18, 205, JJ:205 / DSKE 2, 212; meine Übers.).
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bestimmungen verstehen, dass das Christentum trotz seiner radikalen Neuheit und Andersartigkeit (‚in keines Menschen Gedanken‘) dem Menschen im Augenblick der Aneignung dennoch ‚natürlich‘ ist, während die Beschreibung der Wiedergeburt unter anderem als Präzisierung der zweiten Gedankenbestimmung gedeutet werden kann, dass der Mensch nicht aus sich selbst diese Erneuerung zu vollbringen imstande ist¹⁹³, sondern ‚auch Gott hier schöpferisch‘ tätig ist. Zeigt sich also an dieser Stelle erneut, inwiefern sich Ausführungen des Schriftstellers Kierkegaard als Anknüpfung an und Weiterführung von Überlegungen des jungen Kierkegaard verstehen lassen, muss gleichwohl auf das Fragmentarische des in Journal HH skizzierten ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ hingewiesen werden. Das Wie des mit der existentiellen Erneuerung einhergehenden Übergangs vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung bleibt darin nämlich ebenso ungeklärt wie die Frage unbeantwortet, inwiefern die umrissene anthropologische Problematik des Verhältnisses von ‚altem‘ und ‚neuem‘ Menschen als Standpunkt für eine als spekulativ und christlich apostrophierte Erkenntnislehre dienen und für eine solche fruchtbar gemacht werden könnte. Während Kierkegaard den Übergang vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung nur kurze Zeit später in verschiedenen Aufzeichnungen zum Gegenstand der Erörterung machen sollte¹⁹⁴, ist er über die auf den ersten beiden Seiten von Journal HH festgehaltenen Andeutungen zu seinem als „zugleich polemisch und ironisch“¹⁹⁵ avisierten Standpunkt einer christlich-spekulativen Erkenntnislehre nicht hinauskommen. Überhaupt ist festzuhalten, dass auch die Frage der Gültigkeit des principium exclusi medii und damit der eigentliche Gegenstand jener im Hintergrund der Skizze in HH:2– 5 stehenden Kontroverse in diesen Aufzeichnungen selbst nur insofern thematisiert wird, als die beiden miteinander kontrastierten Standpunkte nicht als komplementäre oder supplementäre, sondern als einander ausschließende Sichtweisen verstanden werden.¹⁹⁶
Vgl. hierzu auch SKS 4, 227 f. / PB, 17 f.: „Wie der, welcher mit sokratischer Geburtshilfe sich selbst geboren hat, darüber alles andere in der Welt vergaß, und in tieferem Sinne keinem Menschen etwas schuldete, so schuldet ja der Wiedergeborene keinem Menschen irgendetwas, aber jenem göttlichen Lehrer alles, und muss so, wie jener über sich selbst die ganze Welt vergaß, wiederum über diesem Lehrer sich selbst vergessen“ (dt. Übers. modifiziert). Siehe Kap. 3.3.2.2. Die Frage der existentiellen Erneuerung des Menschen wird dagegen in der etwa zur gleichen Zeit wie HH:2– 5 entstandenen Aufzeichnung Papir 264:4 tangiert, siehe Kap. 3.3.2.1. SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129. Dass sich dies bald ändern sollte, zeigt bereits der Titel des Werkes Entweder – Oder (1843). Der Ausdruck ‚Entweder-oder‘ (bzw. dessen lateinische Formulierung ‚Aut-aut‘) als eine (auch) aus jener Kontroverse bekannte abgekürzte Form des principium exclusi medii (vgl. z. B. Mynster,
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3.3.2 Weitere Aufzeichnungen aus der Zeit bis zur Magisterabhandlung Eine exakte Datierung der meisten der in diesem Abschnitt zu behandelnden Aufzeichnungen ist nicht möglich, doch kann ihr Entstehungszeitpunkt zumindest annähernd bestimmt werden. Wie die Reihenfolge der nachfolgenden Unterabschnitte und die Untersuchung der verschiedenen Aufzeichnungen in Kapitel 3.3.2.2 zeigen, kamen bei der möglichst chronologischen Anordnung des Materials¹⁹⁷ auch systematisch-sachliche Gesichtspunkte zum Tragen. Die zuerst behandelte Aufzeichnung Papir 264:4 (3.3.2.1) ist jedenfalls unmittelbar nach dem Examen und damit etwa zur gleichen Zeit wie die soeben untersuchten Journalaufzeichnungen HH:2– 5 entstanden, während HH:25, EE:192 und Papir 288 (3.3.2.2) sowie Papir 289 (3.3.2.4) aus dem Wintersemester 1840/41 stammen und wahrscheinlich im Zusammenhang mit Kierkegaards Teilnahme an den Übungen im Predigerseminar zu Papier gebracht worden sind. Die Aufzeichnungen Not5:20 (3.3.2.3), Not5:23 (3.3.2.2) und Not7:22 (3.3.2.5) hat Kierkegaard in der Zeit zwischen Juli und Dezember 1840 niedergeschrieben.
„Rationalisme. Supranaturalisme“, S. 267; Heiberg, „En logisk Bemærkning“, S. 444; Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“, S. 457 und S. 467) ist demnach nicht etwas, was Kierkegaard selbst ersonnen hat, sondern vielmehr „a slogan or catchword in the discussion about the law of excluded middle in Hegel’s philosophy that was taking place in Denmark“ (Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 192; vgl. S. 182– 195). Dass der Titel Entweder – Oder nicht nur als eine Anspielung auf jene Kontroverse gemeint war (vgl. z. B. die Randbemerkungen in der vorläufigen Ausarbeitung von Entweder – Oder in Pap. III B 177 und III B 179:63), sondern auch von den Beteiligten der Kontroverse als eine solche verstanden wurde, zeigt z. B. Heibergs Anfang März 1843 erschienene Rezension von Entweder – Oder, vgl. „Litterær Vintersæd“, S. 292 zusammen mit Kierkegaards Reaktion darauf in SKS 7, 277 / AUN2, 5. Vgl. ferner Kierkegaards Briefe aus der Zeit der Ausarbeitung von Entweder – Oder an Emil Boesen, besonders SKS 28, 159, Brev 84 / B, 91 (Nr. 46; 16. Januar 1842); SKS 28, 167, Brev 85 / B, 101 (Nr. 47; 6. Februar 1842): „Entweder – Oder ist doch ein ganz vortrefflicher Titel, er ist zugleich pikant und hat doch auch eine spekulative Bedeutung“; ferner SKS 28, 150, Brev 119 / B, 73 (Nr. 42; 14. Dezember 1841); „Entweder sie [scil. Regine Olsen] muss mich lieben oder sie muss mich hassen, ein Drittes kennt sie nicht.“ Vgl. dagegen den m. E. weder zwingenden noch überzeugenden Versuch einer Rückführung des Titels von Entweder – Oder auf Kierkegaards Lektüre von Werthers Brief vom 8. August 1771 in Goethes Die Leiden des jungen Werthers (Fassung von 1774) (vgl. Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1– 55, Stuttgart und Tübingen 1828 – 33 (ktl. 1641– 1668); Bd. 16, 1830, S. 62 f.) von Ernst Beutler, „Das ertrunkene Mädchen“, in: ders., Essays um Goethe, Bd. 1, 3. Aufl., Wiesbaden 1946 [1941] (Sammlung Dieterich, Bd. 101), S. 128 – 138, hier S. 128 f., worauf Ringleben, Die Krankheit zum Tode, S. 19 (Anm. 15) verweist. Vgl. Abschnitt 3 der Einleitung.
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3.3.2.1 Die im Glauben gegebene Einheit des Menschen mit Gott und ihre Bedingung (Papir 264:4) Die Aufzeichnung Papir 264:4 vom 5. Juli 1840 gehört zu den insgesamt dreizehn, von den Herausgebern von SKS als Papir 264 registrierten Aufzeichnungen, die Kierkegaard ursprünglich in der Zeit zwischen dem 4. Juli und Mitte August 1840 auf mehrere lose Blätter oder Zettel notiert und dann frühestens im Mai 1842 in ein Heft oder einen Band in Oktav – möglicherweise in eben den Band, den er als Journal JJ gekennzeichnet hat – chronologisch geordnet abschriftlich eingetragen hatte, aus dem er die betreffenden Blätter später wieder herausschneiden sollte.¹⁹⁸ Im Hintergrund zumindest eines Teils dieser Aufzeichnungen stand Kierkegaards Lektüre von Adolph Peter Adlers (1812– 69) Magisterabhandlung Die isolierte Subjektivität in ihren wichtigsten Gestalten (1840).¹⁹⁹ Ob dies auch, wie SKS behauptet²⁰⁰, für Papir 264:4 gilt, wird zunächst zu klären sein. Der erste, systematische Teil von Adlers Magisterabhandlung (§§ 1– 11) beginnt mit einer kurzen Darstellung der wechselseitigen Abhängigkeit und Be-
SKS 27, 233 – 238, Papir 264 / (zum Teil übersetzt in) T 1, 228 – 232 (B-fort. 431; KA, A pk. 3 læg 1). Laut B-fort, S. 189 befanden sich diese sechs (nunmehr) losen Blätter in Oktav in jener oben in Anm. 31 erwähnten ‚Pappschachtel‘ mit der Aufschrift ‚Journale und anderes Derartiges aus einer älteren Zeit‘. Im Unterschied zum editorischen Bericht zu Journal HH in SKS K18, 181 (samt Anm. 1; vgl. auch den editorischen Bericht zu Journal JJ in SKS K18, 205, Anm. 1; ferner DSKE 2, 498 f. samt Anm. 5 sowie DSKE 2, 511 (Anm. 1)), der – vermutlich aufgrund desselben Formats, Papieres und Wasserzeichens (C & I Honig) – den Band, in den diese Aufzeichnungen abschriftlich eingetragen worden sind, als das spätere Journal JJ identifiziert, ist der editorische Bericht zu Papir 264 in SKS K27, 547 f. bezüglich der Identifizierung dieses „älteren Journal[s]“ (EP I-II, S. 245) zurückhaltender und vermeidet eine nähere Angabe. Deutlich ist jedenfalls, dass die unter Papir 264 versammelten Aufzeichnungen den Charakter einer Reinschrift haben, was nicht nur aus der gut leserlichen Handschrift mit wenigen Korrekturen und Hinzufügungen, sondern auch aus den Verweisen auf andere Journale (!) in Papir 264:3 und Papir 264:5 (SKS 27, 234,22 und 235,32) hervorgeht. Da Kierkegaard seine ‚frühen Journale‘ erst kurz nach der Ingebrauchnahme von Journal JJ im Mai 1842 mit den Doppelbuchstaben AA-KK gekennzeichnet hat (vgl. Punkt 2 der Einleitung), ist diese Reinschrift nicht vor Mai 1842 erfolgt. Zu Kierkegaards Praxis der Abschrift von Aufzeichnungen auf losen Zetteln vgl. auch den editorischen Bericht zu Journal FF in SKS K18, 108 f. / DSKE 2, 458 und 460. Adolph Peter Adler, Den isolerede Subjectivitet i dens vigtigste Skikkelser. Første Deel, Kopenhagen 1840. Die Magisterabhandlung ist bei der Philosophischen Fakultät der Universität Kopenhagen am 10. Juni 1840 eingereicht und am 25. Juni verteidigt worden; spätestens am 30. Juni lag sie zum Verkauf bei C.A. Reitzel aus, vgl. Berlingske Tidende 1840, Nr. 148 (30. Juni 1840). Im Untertitel sowohl der eingereichten Abhandlung als auch in der Buchausgabe wird sie als ‚erster Teil‘ bezeichnet. Soweit dies Adlers Andeutungen in der Abhandlung selbst entnommen werden kann, hätte ein zweiter Teil, der jedoch nie erschienen ist, die isolierte Subjektivität im Hinblick auf das Denken behandeln sollen, d. h. die Subjektivität als Innerlichkeit, und die Behandlung der isolierten Subjektivität als Ganzes hätte mit einer Behandlung dieser im
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dingtheit von Sein und Denken, die zur Bestimmung des Bewusstseinsbegriffs dient, und mündet in eine Charakteristik der von der Objektivität als dem Prinzip der Allgemeinheit sich losreißenden „isolierte[n] Subjektivität“, die „die Einzelheit ihres Willens über alle Allgemeinheit, ihre isolierte Innerlichkeit als das Höchste setzt“²⁰¹. Als Moment habe die Subjektivität durchaus ewige Gültigkeit, da sie, als das Prinzip der Einzelheit, das notwendige Element sei, in dem sich die Objektivität realisiere und ohne welches sie eine abstrakte, nichtssagende Allgemeinheit bliebe.Wenn sich die Subjektivität von der Objektivität jedoch losreiße und als isolierte Einheit festgehalten werde, verliere sie ihre Gültigkeit und manifestiere sich in den Gestalten, die Adler – mit ständiger Rücksicht auf Hegels Religionsphilosophie – im zweiten, phänomenologisch ausgerichteten Teil der Magisterabhandlung (§§ 12– 25) darstellt. Adler differenziert dabei zwischen der isolierten Subjektivität als historischem Phänomen im Entwicklungsprozess des Weltgeistes und als psychologischem Phänomen im Bewusstsein, in dem die vergangenen geschichtlichen Gestalten ständig und ohne Beschränkung auf eine bestimmte Zeit „aufs Neue geboren“²⁰² werden. Während die isolierte Subjektivität als transitorisches Moment im Entwicklungsprozess des Weltgeistes (wie z. B. die Natur- und Geisterbeschwörung) durchaus eine Berechtigung habe, da sie die Voraussetzung dafür sei, dass die christliche Offenbarung in der Kulturentwicklung aufgenommen werde, sei ein Festhalten-Wollen an einem geschichtlich überwundenen Standpunkt der isolierten Subjektivität als psychologischem im Bewusstsein reproduziert Ausdruck des schuldhaften bösen Eigenwillens, der sich gegen die notwendige Aufhebung jenes Standpunktes in einen höheren sperre, ja die unvergebbare „Sünde gegen den Geist“²⁰³. Als psychologisches Moment bilde die isolierte Subjektivität zwar „eine notwendige Bedingung dafür, dass der Mensch zu wahrem Selbstbewusstsein kommen“²⁰⁴ könne, doch sei das wahre Grundprinzip der christlichen Religionsgeschichte gerade „die ewige Mediation“²⁰⁵, bei der man von der Gültigkeit
Hinblick sowohl auf das Sein wie auf das Denken abgeschlossen werden sollen, d. h. im Hinblick auf deren Einheit im menschlichen Bewusstsein. Vgl. unten Anm. 207. Adler, Den isolerede Subjectivitet, S. 25 (§ 10). Das, was Adler ‚die isolierte Subjektivität‘ nennt, entspricht dem, was Hegel „die abstrakte“ oder „die unendliche Subjektivität“ nennt, vgl. z. B. Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in TWA, Bd. 16, S. 181 und S. 411, sowie Enzyklopädie (1830) II, in TWA, Bd. 9, S. 49 (§ 257). Ibid., S. 49 (§ 18). Ibid., S. 51 (§ 18). Ibid., S. 68 (§ 23). Ibid., S. 63 (§ 21).
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der menschlichen Subjektivität wie der objektiven Offenbarung zugleich ausgehe.²⁰⁶ Zwar kann nicht mit Bestimmtheit entschieden werden, wie gründlich der junge Kierkegaard Adlers Magisterabhandlung gelesen hat und wie viele der in SKS als Papir 264 registrierten Aufzeichnungen tatsächlich in Reaktion darauf entstanden sind²⁰⁷, doch gehört Papir 264:4 sicher nicht mit dazu.²⁰⁸ Ohne Anhalts- und Bezugspunkt in Adlers Magisterabhandlung schreibt Kierkegaard:
Die menschliche Subjektivität als „das notwendige Moment, damit die Offenbarung offenbar werden wird“ (S. 62, § 21), sei gleichermaßen durch die Offenbarung bedingt, so dass sie sich nur dann als wahr bewusst werden könne, „wenn sie sich als den Inhalt der Offenbarung in seiner Fülle und Ganzheit in sich habend bewusst wird“ und diesen, in sich reproduzierend, „zum Inhalt ihres eigenen Selbstbewusstseins“ (S. 63, § 21) mache. Entsprechend SKS K18, 181 heißt es in DSKE 2, 498 f., dass Kierkegaard in diesen „13 Aufzeichnungen vom 4. Juni [sic!] bis 10. August 1840 [sic!] eine Kritik an Adlers hegelianischer Theologie skizziert“ habe. Dies ist ungenau und gilt schwerlich für SKS 27, 234– 237, Papir 264:2– 10 (Pap. III A 2– 10) und SKS 27, 238, Papir 264:12– 13 (Pap. III A 12– 13). Gerade in Papir 264:2 und Papir 264:5 (aber auch in Papir 264:4, wie im Folgenden verdeutlicht werden soll) zeigt sich, dass Kierkegaard auf ältere Aufzeichnungen zurückgreift – Papir 264:3 dabei mit explizitem Verweis auf SKS 18, 330 f., KK:2 / DSKE 2, 340 f., in Papir 264:5 auf SKS 17, 270 f., DD:176 / DSKE 1, 240 und SKS 18, 53 f., EE:151– 152 / DSKE 2, 54 sowie auf Heiberg, Om Philosophiens Betydning, S. 49 f. (Prosaiske Skrifter, Bd. 1, 1861, S. 434 f.). Wenn überhaupt, dann besteht der Einfluss der Lektüre von Adlers Magisterabhandlung hier darin, dass sie „Ausgangspunkt für antihegelische Aufzeichnungen“ (Geismar, Søren Kierkegaard. Hans Livsudvikling og Forfattervirksomhed, Bd. 1, S. 92 (zitiert nach ders., Sören Kierkegaard. Seine Lebensentwicklung und seine Wirksamkeit als Schriftsteller, S. 79)) war, in denen Kierkegaard eben auch auf ältere Aufzeichnungen zurückgegriffen hat. Dies würde dann für Papir 264:1, (Papir 264:2?), Papir 264:3 – 7 und Papir 264:11 zutreffen, nicht aber für Papir 264:8 – 10 und Papir 264:12– 13, die rein gar nichts mit diesem Thema zu tun haben, vgl. hierzu die detaillierten Nachweise im Kommentar zu SKS 27, 233,1– 238,14 in SKS K27, 549 – 563, wodurch die ungenauen Angaben in SKS K18, 181 de facto revidiert werden. Differenzierter als SKS K18 urteilt bereits Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 573 f. und Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 168 – 170, die eine Stellungnahme Kierkegaards zu Adlers Magisterabhandlung in Papir 264:1 (Hirsch) bzw. Papir 264:1 und Papir 264:11 (Thulstrup) zum Ausdruck gebracht sehen. In seiner Auseinandersetzung mit der Deutung vor allem Thulstrups argumentiert dagegen Carl Henrik Koch, En flue på Hegels udødelige Næse eller Om Adolph Peter Adler og om Søren Kierkegaards forhold til ham, Kopenhagen 1990 (zugleich Diss., Univ. Kopenhagen, 1990), S. 55 – 61, dass Thulstrup dabei „ganz unkritisch [von den Hinweisen von Pap. auf Adlers Magisterabhandlung ausgehend] weitergedichtet“ (S. 58) habe. Allein aus der „Vogelperspektive“ (S. 57) betrachtet knüpften Kierkegaards Bemerkungen an Adler an, doch gebe es weder inhaltlich noch sprachlich etwas, das beide Schriftsteller zum damaligen Zeitpunkt miteinander verbinde, obgleich Adlers Magisterabhandlung Kierkegaard durchaus zur Kritik an Hegel veranlasst haben könne. Einzig die zeitliche Koinzidenz von Papir 264 und dem Erscheinen von Adlers Magisterabhandlung Ende Juni 1840 gebe Grund, dies anzunehmen, Belege dafür gebe es aber keine. Der Charakter von Kierkegaards Aufzeichnungen – darin
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„Als Bedingung der im Glauben gegebenen Einheit des Göttlichen und des Menschlichen (die dem der im Wissen gegebenen Einheit des Göttlichen und Menschlichen, des Unendlichen und Endlichen vorhergehenden Zweifel entspricht) geht der Zweifel [vorher], ob die sündige Menschheit, nachdem das ursprüngliche Verhältnis alteriert ist, imstande ist, zur Einheit mit Gott zurückzukehren, geht ein Zweifel [vorher] oder, um einen leidenschaftlicheren und konkreteren Ausdruck zu gebrauchen, eine Sorge (wie ja alles Christliche Konkretion ist.).“²⁰⁹
stimme ich Koch bei – entspricht in der Tat eher dem einer allgemeinen Kritik des Hegelianismus, als dass diese speziell gegen bestimmte Ausführungen in Adlers Magisterabhandlung gerichtet wären. Wenn Koch jedoch seine Behauptung, es gebe keine sprachlichen Gemeinsamkeiten zwischen Kierkegaard und Adler, allein (!) dadurch begründet, dass sich „der Ausdruck ‚Phänomen‘, der hier bei Kierkegaard [sc. in Pap. III A 1] gebraucht wird, bei Adler gar nicht findet“ (S. 57), so dies weder überzeugend noch richtig. Adler gebraucht den Begriff ‚Phänomen‘ in seiner Magisterabhandlung nämlich ganze 14 Mal, vgl. Den isolerede Subjectivitet i dens vigtigste Skikkelser, S. 7, S. 16, S. 20, S. 27, S. 46 f. (2-mal), S. 49 – 51 (5-mal), S. 57, S. 68 und S. 73. Eine weitere Ungenauigkeit von Kochs Analyse zeigt sich bei seiner Behauptung, Kierkegaard habe Adlers Magisterabhandlung erst(mals) im Jahre 1847 im Manuskriptmaterial zum Buch über Adler (Pap. VIII-2 B 6, S. 12; vgl. auch SKS 15, 252,11 ff.) erwähnt. Ein deutlicher Hinweis auf Adlers Magisterabhandlung findet sich aber bereits (auch) in der vorläufigen Ausarbeitung von Entweder – Oder in Pap. III B 130 (1841/42); vgl. überdies unten Anm. 581 sowie den Kommentar zu SKS 27, 233,4 in SKS K27, 549 f. und zu SKS 27, 233,24 in SKS K27, 553 f. Ich vermag nicht einzusehen, inwiefern Papir 264:4 eine direkte inhaltliche Fortsetzung von Papir 264:3 sein soll, wie es Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 170 f. behauptet. Thulstrup zufolge wird der in Papir 264:3 angeführte Gedanke, die neuere Philosophie hegelscher Provenienz sei „eigentlich nur…eine Einleitung zu einer Ermöglichung des Philosophierens“ und nicht in die „eigentliche anthropologische Kontemplation“ (SKS 27, 234, Papir 264:3 / T 1, 229; dt. Übers. modifiziert; vgl. hierzu SKS 18, 330 f., KK:2 / DSKE 2, 340 f.) eingetreten, in Papir 264:4 dahingehend entfaltet, dass sie die Frage nur unzureichend berücksichtigt habe, „was die Sündigkeit des Menschen…als ein eventuelles Hindernis für die Wiedererlangung der ursprünglichen Einheit zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 170) bedeute. Der Zweifel werde in der „spekulativen Religionsphilosophie“ nicht als radikaler Zweifel, sondern „nur als eine notwendige Zwischenstufe zur Wiedererlangung der ursprünglichen Einheit“ betrachtet, weshalb er „im Grunde harmlos“ (ibid.) sei. Kierkegaard spricht in Papir 264:4 jedoch weder von der neueren Philosophie noch kritisiert er den erkenntnistheoretischen Zweifel als solchen, sondern setzt diesen vielmehr in Analogie zum existentiellen christlichen Zweifel. SKS 27, 234, Papir 264:4. Zur Aussage, alles Christliche sei ‚Konkretion‘, vgl. SKS 18, 330 f., KK:2 / DSKE 2, 340 und SKS 18, 31 f., EE:80 / DSKE 2, 30; zum Verständnis von ‚Sorge‘ [Sorg] in diesem Zusammenhang siehe Kap. 3.3.3, S. 348 ff. Der Komparativ ‚leidenschaftlicheren‘ ist die Übersetzung für ‚mere pathologisk‘. Mit dem Adjektiv ‚pathologisk‘ (vgl. auch oben Anm. 41) meint Kierkegaard hier also nicht ‚krankhaft‘, sondern ‚das πάθος betreffend‘, mithin ‚leidenschaftlich‘. Diese Derivation begegnet auch in SKS 7, 276 / AUN2, 3 („ohne Leidenschaft [Pathos] und ohne leidenschaftliche [pathologiske] Kämpfe“; vgl. SKS K7, 260 (zu SKS 7, 276,4) sowie AUN2, 345 f., Anm. 9) und SKS 13, 149 / A, 113 („mit Leidenschaft [Pathos] in einen leidenschaftlichen [pathologisk] Zustand versetzen“). Vgl. ferner SKS 3, 27 / EO2, 19.
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Auch wenn Kierkegaard an dieser Stelle auf eine nähere Charakterisierung dieser im Glauben gegebenen Einheit des Menschen mit Gott verzichtet, wird deutlich, dass für ihn diese Einheit keine ursprüngliche oder unmittelbare Einheit (Indifferenz), sondern eine vermittelte Einheit (Identität), mithin eine wiedererlangte Einheit darstellt, welcher der Verlust der ursprünglichen Einheit durch die Sünde des Menschen vorhergegangen ist. Fragt man nun – nicht zuletzt in Anbetracht des Umstandes, dass Kierkegaard an anderen Stellen in Papir 264 auf ältere Aufzeichnungen zurückgreift und zum Teil ausdrücklich zurückverweist²¹⁰ – nach etwaigen Anknüpfungspunkten auch der Aufzeichnung Papir 264:4 an frühere Überlegungen, so ist die Reminiszenz an Erdmanns Darstellung des ‚unbefangenen Glaubens‘ in der dritten und vierten seiner Vorlesungen über Glauben und Wissen (1837) unverkennbar. Wie in Kapitel 2.4.3 gezeigt, hatte sich Kierkegaard Ende 1837 eingehend mit Erdmanns Buch beschäftigt und durch Erdmanns Darstellung des ‚unbefangenen Glaubens‘ in seiner Überzeugung vom apriorischen Charakter des Glaubens eine positive Beeinflussung erfahren. Tatsächlich findet sich in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen ein Hinweis darauf, dass Kierkegaard im Sommer 1840 erneut Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen zur Hand genommen hat. In der Aufzeichnung Not7:10, die auf jeden Fall nach Kierkegaards Rückkehr von seiner Jütlandreise am 8. August entstanden ist, heißt es: „Es gibt bekanntlich Insekten, die just im Augenblick der Befruchtung sterben, so ist überhaupt alle Freude, der höchste und üppigste Genuss-Moment des Lebens – ist vom Tode begleitet.“²¹¹ Die Quelle dieser Aufzeichnung, die später fast unverändert das sechste Diapsalma in Entweder – Oder (1843)²¹² bilden sollte, ist eine Stelle in Erdmanns 8. Vorlesung, an der Erdmann dem dialektischen Umschlagen von dem einen Extrem in das andere anhand von Redensarten und Beispielen aus den Sphären der Natur und der Gemeinschaft in der konkreten Wirklichkeit nachspüren will. In diesem Zusammenhang wird
Vgl. oben Anm. 207. SKS 19, 209, Not7:10 / DSKE 3, 22 (dt. Übers. modifiziert); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 7 in DSKE 3, 673 – 677, hier 674. Der Kommentar zu SKS 19, 209,6 in SKS K19, 285 f. (vgl. DSKE 3, 681) verweist auf Henrich Steffens, Indledning til philosophiske Forelæsninger, Kopenhagen 1803, S. 74 f.: Bei den Insekten gehe die „Aktivität des ausgebildeten Tieres…selten über den Fortpflanzungsakt hinaus….Am auffallendsten ist dieses Verhältnis bei den Schmetterlingen. Sie ernähren sich, sie bauen, sie arbeiten nur als Larven. Der Schmetterling hat keine andere Beschäftigung als die der Blume. Viele kommen ohne Mund zur Welt, wenn der Geschlechtsakt vorbei ist, so welkt diese lebende Blume dahin, und man kann ihr Leben verlängern, wenn man die Paarung verhindert.“ Vgl. SKS 2, 28,11– 13 / EO1, 20: „Es gibt bekanntlich Insekten, die im Augenblick der Befruchtung sterben; so geht es mit aller Freude, der höchste und üppigste Genuss-Moment des Lebens ist vom Tode begleitet“ (meine Übers.).
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folgendes Beispiel aus der Sphäre der Natur angeführt: „so ist bei der Pflanze und manchen Thieren der höchste Lebensmoment (die Befruchtung) Moment des Todes“²¹³. Da weder in Kierkegaards Exzerpt aus noch in seinem Kommentar zu oder seinen Reaktionen auf Erdmanns Buch in Notizbuch 4 und Journal DD dieses Beispiel angeführt ist²¹⁴, muss er sich im Sommer 1840 – wahrscheinlich im Zuge der Ausarbeitung seiner Magisterabhandlung, in der sich auch der einzige explizite Verweis auf Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen in Kierkegaards veröffentlichtem Werk findet²¹⁵ – erneut mit Erdmann beschäftigt haben. Daher ist es durchaus möglich, dass auch Papir 264:4 im Zuge dieser erneuten Beschäftigung Kierkegaards mit Erdmann entstanden ist, wobei es dann offen bleiben muss, ob sich auch Papir 264:4 (wie Not7:10) einer Relektüre von (bestimmten Abschnitten in) Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen im Original oder aber einer Lektüre der von Kierkegaard selbst in Notizbuch 4 festgehaltenen Ausführungen Erdmanns über den ‚unbefangenen Glauben‘ in der dritten und vierten Vorlesung verdankt.²¹⁶
Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 72 (8. Vorlesung; vgl. Kap. 2, Anm. 308). Vgl. auch S. 28 f.: „Darum ist seine [scil. des erwachsenen Christen] Religiosität nicht heiter, sondern gewährt Freude, worin der Schmerz der Trennung als aufgehobenes Moment nicht liegt (Vor Freude weint man, aber nicht vor Heiterkeit).“ Ferner S. 275: „der unbefangene Glaube wußte diese Identität aber nicht als unmittelbarer, sondern als nach der Sünde eingetreten, und in seiner Freude lag das Moment des Schmerzes.“ Vgl. Kierkegaards Exzerpt aus Erdmanns 8. Vorlesung in SKS 19, 148, Not4:20 / DSKE 3, 156 f., worin Kierkegaard in der Anmerkung Not4:20.1 lediglich allgemein auf die von Erdmann angeführten „phänomenologischen Analogien“ verweist. Vgl. SKS 1, 324 / BI, 295 zusammen mit Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 86 (10. Vorlesung) und Kierkegaards Exzerpt aus Erdmanns 10. Vorlesung in SKS 19, 149 f., Not4:22 / DSKE 3, 158. Vgl. Kierkegaards Exzerpt aus Erdmanns 3. Vorlesung in SKS 19, 146, Not4:15 / DSKE 3, 154 („Das unmittelbare Bewusstsein der Versöhnung nennen wir Glauben. – Der Glaube ist nämlich keineswegs ein niederer Grad der Gewissheit – auch ist er kein bloßes Fürwahrhalten gleichgültig welchen Inhalts, wo also der Inhalt des Glaubens und das Glauben in ein äußerliches Verhältnis zueinander treten. – Glaube gehört daher eigentlich nur in die Religion und wiederum eigentlich nur in die christliche Religion. Das lehrt auch die Kirche: ‚Der Glaube ist Seligkeit‘. Aber unter Seligkeit kann doch der, der einmal den Stachel der Sünde erfahren hat, sich nichts anderes vorstellen als Friede mit Gott zu haben, demnach ist also der Glaube Bewusstsein der Versöhnung mit Gott“; dt. Übers. modifiziert) sowie das Exzerpt aus Erdmanns 4. Vorlesung in SKS 19, 146 f., Not4:16 / DSKE 3, 154 f. („Identität Gottes und des Menschen als unmittelbare Gewissheit ist Glaube – als unmittelbare Wahrheit ist sie das Dogma. – Der Glaube und sein Objekt fallen gar nicht auseinander….Glaube ist also ein Bewusstsein der Versöhnung mit Gott – eine wiedererlangte Einheit; der Glaube ist eine Seligkeit, der eine Unseligkeit vorhergegangen ist. Andererseits kommen in jedem glaubenden Subjekt Augenblicke vor, in denen
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Wie in Kapitel 2.4.1 gezeigt, bestimmt Erdmann das Wesen der christlichen Religion als „Einheit Gottes und der Menschen“ und diese Einheit näherhin als „Wiedervereinigung“ oder „Versöhnung“²¹⁷, da sie keine unmittelbare, sondern eine nach vorhergehender Trennung durch die Sünde wiedererlangte Einheit darstellt. Als das unmittelbare Bewusstsein der Versöhnung, das noch vor allem Zweifel und aller Reflexion nichts weiter als die Gewissheit der eigenen Seligkeit enthält, ist der ‚unbefangene Glaube‘ deshalb das unmittelbare Bewusstsein der wiedererlangten Einheit des Menschen mit Gott. Während für Erdmann dieser ‚unbefangene Glaube‘ aber noch durch keinen Zweifel erschüttert ist, setzt Kierkegaard den Zweifel gerade als Bedingung der im Glauben gegebenen ‚Einheit des Göttlichen und des Menschlichen‘ voraus.²¹⁸ Im Unterschied zum erkenntnistheoretischen Zweifel – Kierkegaard denkt hier wohl an den methodischen Zweifel als Ausgangspunkt der Erkenntnis im Zentrum der cartesianischen Erkenntnislehre, wie ihn Martensen nicht nur in der von Kierkegaard besuchten Dogmatikvorlesung (1837/38)²¹⁹, sondern auch in nahezu sämtlichen frühen Veröffentlichungen dargestellt hat²²⁰ – ist der dem Glauben vorhergehende Zweifel, ob der Mensch nach dem Verlust seiner ursprünglichen Einheit mit Gott durch die Sünde zu dieser Einheit zurückkehren kann, existentiellen Charakters, weshalb Kierkegaard diesen Zweifel – in Kierkegaards späterer Terminologie: ‚Verzweiflung‘²²¹ –
seine Versöhnung mit Gott sich seinem Bewusstsein verbirgt, und es in die vorhergehende Unseligkeit zurückfällt. Folgen nun darauf Momente der Seligkeit, so ist damit zugleich das Bewusstsein der vorhergehenden Unseligkeit gesetzt“; dt. Übers. modifiziert). Erdmann, Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 24 (ohne Hervorhebung); vgl. S. 44. Interessant wäre an dieser Stelle ein Vergleich der Position Kierkegaards mit der Erdmanns in dessen Aufsatz „Ueber Widersprüche unter den christlichen Glaubenslehren“ (1837; siehe Kap. 2, Anm. 266), S. 44– 48, worin Erdmann die doppelte, d. h. sowohl negative als auch positive Funktion des Zweifels für den Glauben darlegt, wenngleich der Zweifel hier ausschließlich in seiner epistemologischen Funktion beschrieben ist. Da Kierkegaard auf Erdmanns Aufsatz auch in seiner Magisterabhandlung verweist (vgl. SKS 1, 155,30 / BI, 103 (Anm.); ferner – aus späterer Zeit – SKS 15, 54 / JC, 154 (Anm.) zusammen mit SKS 23, 58, NB15:83 / T 4, 98 f. (samt Kom.)), ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihm dieser Aufsatz auch schon im Sommer 1840 bekannt gewesen ist. Vgl. SKS 19, 131, Not4:7 / DSKE 3, 138 (5. Vortrag); ferner Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 282 und S. 294. Vgl. neben den in Kap. 2, Anm. 148 genannten Belegen auch Martensen, Ueber Lenau’s Faust, S. 11 f. und Kleinert, „Martensens Rezension von Heibergs Einführungsvortrag“, S. 514 [S. 518]. Auch der Kommentar zu SKS 27, 234,25 in SKS K27, 555 verweist auf die Darstellung des der Einheit von Denken und Sein vorhergehenden allumfassenden cartesianischen Zweifels in § 5 von Martensens Lizentiatenabhandlung De autonomia conscientiæ sui humanæ, S. 19 – 23. Vgl. Malantschuk, Fra Individ til den Enkelte, S. 18.
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auch mit dem ‚leidenschaftlicheren‘ und ‚konkreteren‘ Ausdruck ‚Sorge‘ [Sorg]²²² bezeichnet.²²³
3.3.2.2 Der Übergang vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung (Not5:23, HH:25, EE:192 und Papir 288) Die von Kierkegaard in der Skizze seines ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH ²²⁴ noch offengelassene Frage nach dem Wie des mit der existentiellen Erneuerung des Menschen bei der Aneignung des Christentums einhergehenden Übergangs vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung wird von ihm in mehreren Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen Sommer 1840 und Frühjahr 1841 erörtert und einer ersten Klärung zugeführt.²²⁵ In der vermutlich im Sommer 1840 entstandenen Aufzeichnung Not5:23 heißt es: „Daraus ersieht man auch, dass Glaube eine konkretere Bestimmung als das Unmittelbare ist, weil auf dem rein humanen Standpunkt das Geheimnis allen Erkennens darin liegt, sich auf
Siehe Kap. 3.3.3, S. 348 ff. Thulstrup sieht in diesem Gedanken insofern eine Präfiguration des Sprunges, als Kierkegaard hiermit andeute, „daß es keinen kontinuierlichen Übergang vom tatsächlichen sündigen Stadium des Menschen zu dem des Glaubens gibt, sondern nur einen pathetischen Übergang, einen Sprung“ (Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 171; vgl. S. 173, wo Thulstrup Pap. III A 4 (Papir 264:4) aber irrtümlich als „III A 3“ (Papir 264:3) bezeichnet). Siehe Kap. 3.3.1.2. Zur Beschäftigung des jungen Kierkegaard mit dem Thema der Sündenvergebung – wobei er (wie auch später) allermeist das Substantiv ‚Forladelse‘ bzw. das Verb ‚at forlade‘, zuweilen aber auch ‚Tilgivelse‘ bzw. ‚at tilgive‘ (vgl. SKS 19, 218, Not7:50 / DSKE 3, 233; SKS 18, 67, EE:193 / DSKE 2, 70) oder ‚Eftergivelse‘ (vgl. SKS 27, 94, Papir 51:2 / T 1, 40) gebraucht (vgl. überdies SKS 19, 210, Not7:15 / DSKE 3, 224) – vgl. SKS 27, 94, Papir 51:2 / T 1, 40; SKS 27, 105, Papir 69 (vgl. die zu Kap. 1, Anm. 104 gehörende Stelle); SKS 17, 52, AA:51 / DSKE 1, 55 f.; SKS 17, 275, DD:195 / DSKE 1, 246; SKS 19, 185 f., Not5:23 / DSKE 3, 196; SKS 19, 210, Not7:15 / DSKE 3, 224; SKS 19, 218, Not7:50 / DSKE 3, 233; SKS 18, 67, EE:192 / DSKE 2, 69; SKS 18, 67, EE:193 / DSKE 2, 70; SKS 19, 138 f., HH:25 / DSKE 2, 143; SKS 27, 281, Papir 288 / T 1, 281. Damit sind sämtliche Stellen genannt, an denen Kierkegaard selbst bis zur Magisterabhandlung von der ‚Vergebung‘ der Sünden spricht (vgl. ferner SKS 27, 11, Papir 1:1; SKS 19, 49, Not1:7.y / DSKE 3, 50 (§ 48); SKS 19, 52 f., Not1:7 / DSKE 3, 53 f. (§ 50) und SKS 17, 275, DD:194 / DSKE 1, 245), wobei auffällt, dass er im Unterschied zum Sündenbewusstsein (vgl. die in Kap. 2, Anm. 87 angegebenen Stellen) die Sündenvergebung bis auf wenige Ausnahmen erst in Aufzeichnungen nach dem theologischen Examen thematisiert hat.
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das im Unmittelbaren Gegebene zu besinnen; im Glauben nehmen wir etwas an²²⁶, das nicht gegeben ist und sich niemals aus dem vorhergehenden Bewusstsein herausdemonstrieren lässt, dieses war nämlich das Sündenbewusstsein, und das andere ist die Gewissheit der Vergebung der Sünden, aber diese Gewissheit geht nicht auf dieselbe Weise hervor, wie Wissen aus Zweifel mit einer inneren Konsequenz hervorgeht, und jeder würde freilich das Leichtsinnige einer solchen Auffassung empfinden, oder richtiger gesagt: wer es so auffasste, hat den vorhergehenden Standpunkt (den des Sündenbewusstseins) nicht, sondern sie [scil. die Gewissheit der Sündenvergebung²²⁷] ist ein freier Akt. Das Sündenbewusstsein ist auch nicht wie der Zweifel ein willkürlicher Akt des Menschen, es ist ein objektiver Akt, denn das Gottesbewusstsein ist dem Sündenbewusstsein gerade immanent. Hinzu kommt, dass das Bewusstsein der Sündenvergebung an eine äußere Begebenheit geknüpft ist, das ganze Auftreten Christi, das zwar nicht in dem Sinne äußerlich ist, dass es uns fremd wäre, uns nichts angehend, aber äußerlich als historisch.“²²⁸
Im Glauben erlangt der Mensch die Gewissheit der Sündenvergebung. Dieser Gewissheit geht das Sündenbewusstsein vorher, doch sie geht daraus nicht, wie das Wissen aus dem Zweifel, mit innerer Konsequenz hervor. Die Gewissheit der Sündenvergebung ist vielmehr ‚ein freier Akt‘ und überdies an das geschichtliche Faktum des ‚Auftretens Christi‘ gebunden. Gott als Gottmensch ist aber nicht nur die Bedingung der Gewissheit der Sündenvergebung, sondern gleichermaßen auch die Bedingung des ihr vorhergehenden Sündenbewusstseins. Im Unterschied nämlich zum Zweifel als ‚willkürlichem Akt des Menschen‘, insofern der Mensch sich dazu, zu zweifeln oder nicht zu zweifeln, durch einen Willensakt entschließen muss, ist auch das Sündenbewusstsein als ‚objektiver Akt‘ – obwohl in der Sünde, wie Kierkegaard in der vermutlich Ende 1840 oder Anfang 1841 und damit nicht viel später als Not5:23 entstandenen Aufzeichnung Not7:32 schreibt, „ein Moment
‚Annehmen‘ [annamme] im Sinne von ‚entgegennehmen‘, ‚empfangen‘, ‚erhalten‘, vgl. auch SKS 5, 52 / 2R43, 420; SKS 10, 311 / CR, 311; SKS 12, 286 / RAF, 22 sowie SKS 21, 136, NB7:110; SKS 21, 296, NB10:76 / T 3, 195; SKS 21, 309, NB10:102. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 369 f. verkennt dies jedoch, wenn er in Bezug auf Not5:23 [Pap. III A 39] schreibt: „Die Gewissheit der Sündenvergebung geht auf einen ‚objektive[n] Akt‘ zurück, der sie von der subjektiven Gewissheit, mit der das Wissen aus dem Zweifel hervorgeht, unterscheidet. Dem ‚willkürlichen Akt‘, der dem erkenntnistheoretischen Zweifel korrespondiert, steht nun der ‚freie[] Akt‘ des im Glauben angeeigneten Sündenbewusstseins gegenüber“ (S. 370). Damit sind aber nicht nur die Begriffspaare ‚Gewissheit der Sündenvergebung – freier Akt‘ und ‚Sündenbewusstsein – objektiver Akt‘ miteinander verwirrt, sondern Kierkegaard wird überdies unterstellt, den Glauben als Aneignung des Sündenbewusstseins zu verstehen, während er diesen faktisch als Erlangung der Gewissheit der Sündenvergebung charakterisiert. Gerdes übersetzt in T 1, 236 dagegen uneindeutig: „es ist vielmehr ein freier Akt“ (meine Hervorhebung). SKS 19, 185 f., Not5:23 / DSKE 3, 196 (meine Übers.); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 5 in DSKE 3, 638 – 640.
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der Freiheit und der freien Endlichkeit mit dabei“²²⁹ ist – nicht vom Menschen selbst, sondern von Gott im Bewusstsein gewirkt. Die im Glauben erlangte Gewissheit der Sündenvergebung ist ‚an eine äußere Begebenheit geknüpft‘. Aufgrund dieser seiner wesentlichen Bezogenheit auf eine bestimmte historische Begebenheit als Bedingung und Voraussetzung ist der Glaube auch keine unbestimmte Unmittelbarkeit (wie dies etwa beim unbestimmten Unmittelbaren am Anfang der Logik der Fall ist, das, als ihr immanent bleibender, voraussetzungsloser Anfang, weder in das Vermittelte übergegangen noch Resultat einer irgendwie gearteten Vermittlung ist²³⁰), sondern eine ‚konkretere Bestimmung als das Unmittelbare‘. Gleichwohl tritt in der gläubigen Annahme der Sündenvergebung ein Neues hervor, welches sich ‚niemals‘ aus seinen Konstitutionselementen (hier: dem Sündenbewusstsein) ‚herausdemonstrieren‘ lässt, sondern Setzung einer neuen Qualität ist.Von hier ist es nur ein Schritt zu der Auffassung, nicht nur den Übergang zwischen bestimmten Bewusstseinszuständen²³¹, sondern auch den Übergang zum Glauben selbst als ‚Sprung‘²³² zu verstehen, wie es Kierkegaard später denn auch in den Climacus-Schriften – genauer: in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) in expliziter Auseinandersetzung vor allem mit Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 81)²³³ getan hat.
SKS 19, 214, Not7:32 / DSKE 3, 229 (zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 7 in DSKE 3, 674 f.); vgl. ferner SKS 19, 194 f., Not6:10 / DSKE 3, 207 und SKS 19, 212, Not7:26 / DSKE 3, 227 (zusammen mit SKS 2, 28,23 – 29 / EO1, 20 f.). Zur in der Aufzeichnung Papir 92 erstmals ausgesprochenen Kritik Kierkegaards an einer Gleichsetzung des Glaubens mit diesem ‚ersten Unmittelbaren‘ siehe Kap. 1.5 und Kap. 2.3. Vgl. vor allem Pap. V B 1:3 und SKS 27, 275,12 und 277,10 – 11, Papir 283:1 sowie SKS 7, 96 ff. / AUN1, 90 ff. Zum Begriff des ‚Sprunges‘, der in Kierkegaards Œuvre hauptsächlich in den pseudonymen Schriften von 1843 bis 1846 begegnet und zu dem Kierkegaard 1843/44 eine Materialsammlung (SKS 27, 275 – 277, Papir 283) angelegt hat, aus der zahlreiche Gedanken und Überlegungen vor allem in Der Begriff Angst und die Climacus-Schriften Eingang gefunden haben, vgl. Kühnhold, Der Begriff des Sprunges sowie (insbesondere zur angesprochenen Materialsammlung) Klaus Schäfer, Untersuchungen zu ontologischen Problemen in den Climacus-Schriften Sören Kierkegaards, Diss., Univ. Tübingen, 1966, Anmerkungsband, S. 40 – 42 (Anm. 18) und S. 51– 53 (Anm. 24). Ein eigener Versuch einer Systematisierung des Gebrauchs des Sprungbegriffs bei Kierkegaard wird voraussichtlich Ende 2014 in Kierkegaard’s Concepts, hg. von Steven Emmanuel, William McDonald und Jon Stewart, Tome IV, Farnham und Burlington (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 15) erscheinen. Vgl. auch unten Anm. 522 und Anm. 552. Vgl. hierzu SKS 27, 277,10 – 12, Papir 283:1, sowie aus dem Entwurfsmaterial zu den Climacus-Schriften vor allem Ms. 1.1 in SKS K4, 174, Blatt [1r] (B-fort. 390; KA, B pk. 14 læg 1; Pap. V B 1:1– 6; vgl. den photomechanischen Abdruck in SKS K4, 191); Ms. 1.1 in SKS K7, 8 und 10, Blatt [1r] (B-fort. 415; KA, B pk. 19 læg 1; Pap. VI B 16) sowie Ms. 1.2 in SKS K7, 10, Blatt [1r] und Blatt [3r]
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Dieser „im paradoxen Außenbezug zur Historizität des Gottmenschen“²³⁴ zu vollziehende Übergang zum Glauben ist gerade nicht im Sinne eines kontinuierlichen, graduellen Übergehens wie das eines fortgesetzt(en) quantitativen Progresses zu verstehen, aus dem selbst keine – die Immanenz dieses allein in der Kategorie der Quantität sich vollziehenden Progresses eo ipso transzendierende – neue Qualität resultieren kann, sondern steht gerade für einen diskontinuierlichen Übergang, mithin einen Sprung, durch den jeder Versuch, sich in die Qualität des Glaubens auf dem Wege der Approximation „hineinquantitieren zu wollen“²³⁵, zum Scheitern verurteilt ist.²³⁶ Zwar setzt der Sprung den ihm vorhergehenden Zustand als bestehend voraus, doch geht er daraus nicht ohne Weiteres (und d. h. vor allem nicht ohne Zugegensein eines freiheitlich-voluntativen Momentes²³⁷)
(B-fort. 414; KA, B pk. 19 læg 1; Pap. VI B 13 und 15; vgl. den photomechanischen Abdruck von Blatt [1r] in SKS K7, 67). Siehe hierzu Exkurs 2. Schulz, Eschatologische Identität, S. 481 (Anm. 264). SKS 7, 21 / AUN1, 9; vgl. auch SKS 7, 35 / AUN1, 24. Zu Kierkegaards Unterscheidung zwischen einem ‚qualitativen‘ oder ‚pathetischen Übergang‘ auf der einen und einem ‚direkten‘, ‚unmittelbaren‘ oder ‚dialektischen Übergang‘ auf der anderen Seite vgl. SKS 19, 375, Not12:4 / DSKE 3, 413; SKS 19, 386, Not13:8.a / DSKE 3, 424; SKS 19, 386, Not13:8.c / DSKE 3, 424; SKS 27, 275 – 277, Papir 283:1– 3; Pap. VI B 13; SKS 27, 399, Papir 365:24; SKS 27, 408, Papir 368.2.b; SKS 18, 241, JJ:318 / DSKE 2, 249; SKS 20, 73, NB:87 / DSKE 4, 80; SKS 21, 326 f., NB10:138 / T 3, 202; SKS 22, 40, NB11:63; SKS 4, 380 / BA, 77; SKS 7, 21 / AUN1, 10; SKS 7, 21– 24 / AUN1, 9 – 13; SKS 7, 94– 96 / AUN1, 88 – 90; SKS 7, 96 f. / AUN1, 91; vgl. ferner oben Anm. 223 Als Existenzkategorie gehört der Sprung „wesentlich in die Sphäre der Freiheit“ (Pap. V C 12), seine Substanz ist „Leidenschaft“ (Pap. V B 49:14), weshalb Kierkegaard als Umschreibung für den in Leidenschaft zu vollziehenden Sprung auch von einem ‚pathetischen Übergang‘ sprechen kann, vgl. SKS 19, 375, Not12:4 / DSKE 3, 413; SKS 19, 386, Not13:8.a / DSKE 3, 424; SKS 19, 386, Not13:8.c / DSKE 3, 424; SKS 27, 399, Papir 365:24; SKS 27, 408, Papir 368:2.b. Der Sprung tritt nicht im Zuge einer infinitesimalen Annäherung an ihn ein, sondern kommt dadurch zustande, dass ich selbst aus eigener Kraft und in eigener Regie, mithin durch Selbstbewegung springe, weshalb der Akt des Sprunges Entscheidungscharakter besitzt, vgl. SKS 7, 333 / AUN2, 69; SKS 7, 350 / AUN2, 89; SKS 27, 277,6 ff., Papir 283:1. Inwieweit Kierkegaard damit allerdings „den entscheidenden Übergang zum Glauben…in den Bereich der menschlichen Selbsttätigkeit“ legt „und, wenn auch in sehr feiner Form, doch zu einer Werkgerechtigkeit“ kommt (so Hermann Diem, Philosophie und Christentum bei Sören Kierkegaard, München 1929 (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, Reihe 2, Bd. 1), S. 305, im Kontext der Frage nach dem Verhältnis von Reue und Glauben; vgl. dazu kritisch Glöckner, Kierkegaards Begriff der Wiederholung, S. 96 f. (Anm. 85)), ist freilich eine andere Frage, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zum jungen Kierkegaard nicht beantwortet werden kann, so sehr, um zwei Beispiele zu nennen, die Kritik des jungen Kierkegaard am Verständnis des Glaubens als lediglich ‚untätiges Empfangen‘ in der Journalaufzeichnung HH:25 (vgl. den Anfang des zu Anm. 239 gehörenden Zitats) dabei ebenso in Anschlag zu bringen wäre, wie seine eindeutige Haltung zur Frage der Verdienstlichkeit der Gnade in der Journalaufzeichnung EE:192 (vgl. das zu Anm. 251
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hervor, da er, wie es in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) heißt, „den qualitativen Übergang…vom Nicht-Glaubenden zum Glaubenden“²³⁸ bildet. Doch zurück zu dem vom jungen Kierkegaard thematisierten Übergang vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung als integralem Bestandteil des Glaubens. Dass dieser im Glauben zu vollziehende Übergang nichts weniger als selbstverständlich, sondern geradezu unverständlich ist, unterstreicht Kierkegaard in einem im Wintersemester 1840/41 im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an den Übungen im Predigerseminar entstandenen Predigtentwurf mit der Überschrift „Über die Vergebung der Sünden“ in der Journalaufzeichnung HH:25. Kierkegaard moniert darin eine gewisse „Geringschätzung“, mit der man oft vom Christentum gesprochen habe, ein Spotten über seine „Bequemlichkeit, dass es überhaupt keine Selbsttätigkeit des Menschen fordere, sondern ein untätiges Empfangen, und das war es, was man unter Glauben verstand. Aber wie das Christentum das Bequemste ist, so ist es auch das Schwerste, gerade weil es dem Menschen am schwersten fällt, sich selbst zu bezwingen … so [denn] hier die Vergebung der Sünden. Es wird Dir nicht befohlen, dass Du dies oder jenes tun sollst, es wird kein Weg angewiesen, um deine Schuld abzuarbeiten; sondern Du sollst glauben, dass es eine Sündenvergebung gibt / Es ist unmöglich, sagst Du, der Du in deiner Weisheit schon fertig geworden bist mit dem Christentum, es ist unmöglich, weil es unbegreiflich ist ….. es ist unmöglich, sagst Du, der Du so gerne wünschtest, dass es wahr sei, der Du noch immer mit Deinem Blick beim Christentum verweilst,weil Du fühlst, dass es von dort kommen muss,wenn es überhaupt kommen wird …. Es ist unmöglich, sagst Du, der Du doch vernommen hast, dass es wirklich ist, Du, dessen Reue zu einer stillen Trauer verklärt ward, es ist unmöglich, sagst Du, und drückst damit deinen unaussprechlichen Dank gegen Gott aus, der in seiner unbegreiflichen Gnade und Barmherzigkeit sich in Christo mit der Welt versöhnt hat.“²³⁹
Die durch Gott in Christus ermöglichte, menschlicher Weisheit und Verständigkeit ‚unmöglich‘ und ‚unbegreiflich‘ erscheinende Vergebung der Sünden tritt dem Menschen in der ethisch-religiösen Forderung des ‚Du sollst‘ entgegen. Dieses von Kierkegaard hier erstmals ausgesprochene ‚Du sollst‘ des Glaubens wird von ihm vor allem in den Schriften und Aufzeichnungen seines Spätwerks²⁴⁰ nicht nur zu
gehörende Zitat). Vgl. ferner SKS 27, 94, Papir 51:2 / T 1, 40; SKS 27, 281, Papir 285 / T 1, 51 sowie Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/34) in SKS 19, 36, Not1:6 / DSKE 3, 34 f. (§ 39) und SKS 19, 60 f, Not1:8 / DSKE 3, 61 f. (§ 58). SKS 7, 21 / AUN1, 10. SKS 19, 138 f., HH:25 / DSKE 2, 143 (meine Übers.; die Auslassungen sind die Kierkegaards); vgl. auch SKS 19, 210, Not7:15 / DSKE 3, 224. Speziell zum ‚Du sollst‘ des Glaubens in Bezug auf die Vergebung der Sünden als Glaubensgegenstand vgl. SKS 21, 23, NB6:26; SKS 24, 209, NB23:7; SKS 11, 227 / KT, 116; SKS 11, 228 /
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einem Konstitutivum des Christlichen erhoben, sondern auch als „das einzige Regulativ“²⁴¹ im Verhältnis des Menschen zu Gott bezeichnet, dessen Abschaffung Anti-Climacus als Ursache für die Depravation des Christentums in der Christenheit seiner Zeit ausmacht.²⁴² Die Vorstellung, dass Gott Sünden vergibt und Sünde vergeben werden kann, erscheint dem Verstand nicht nur paradox und absurd²⁴³, sondern trägt in sich auch die Möglichkeit des Ärgernisses (ein Gedanke, der bereits in HH:25 anklingt, wenn es heißt: „Es ist unmöglich, sagst Du, der Du in deiner Weisheit schon fertig geworden bist mit dem Christentum, es ist unmöglich, weil es unbegreiflich ist“²⁴⁴). Da es unmöglich ist, die Vergebung der Sünden verstandesmäßig zu begreifen, kann das Christentum auch nicht verteidigt werden²⁴⁵, womit zugleich unweigerlich die Möglichkeit des „den unendli-
KT, 118. Zum ‚Du sollst‘ als Kennzeichen des Ethisch-Religiösen, des Christlichen oder der Sphäre des Glaubens vgl. SKS 20, 66, NB:73 / DSKE 4, 72 f. (samt SKS 20, 60, NB:70 / DSKE 4, 65 f. und SKS 20, 62, NB:70.a / DSKE 4, 67); SKS 20, 73, NB:87 / DSKE 4, 80; SKS 20, 222, NB2:209 / DSKE 4, 252; SKS 20, 260 f., NB3:32 / DSKE 4, 295 f.; SKS 20, 262, NB3:34 / DSKE 4, 297; SKS 20, 350 f., NB4:133 / DSKE 4, 399; SKS 20, 374, NB5:10 / DSKE 4, 426; SKS 20, 420, NB5:123 / DSKE 4, 426; SKS 21, 23, NB6:26; SKS 21, 313, NB10:110; SKS 23, 45 f., NB15:66 / T 4, 94; SKS 23, 432, NB20:70; SKS 24, 209, NB23:7; SKS 24, 428, NB24:164 / T 5, 45; SKS 25,57, NB26:52; SKS 25, 255, NB28:52; SKS 9, 41 / LT, 39; SKS 10, 155 / CR, 155 (samt SKS 10, 165 / CR, 167); SKS 10, 250 – 252 / CR, 264– 266; SKS 11, 65 / ZKA, 83 (hier durchaus mit Vorbehalt!); SKS 11, 227 / KT, 116; SKS 11, 228 / KT, 117; SKS 11, 228 / KT, 118; SKS 16, 102 / GWS, 116. Dass dieses ‚Du sollst‘ des Glaubens einen noch stärkeren Druck als das credo quia absurdum ausübt, verdeutlicht Kierkegaard dabei in der Journalaufzeichnung NB10:109 vom Frühjahr 1849: „Für die Einfalt heißt es bloß: Du sollst eben nur glauben. Für den begreifenden Verstand heißt es: es ist geradewegs gegen den Verstand, aber Du sollst glauben. Hier ist dieses soll stärker, eben weil es im Gegensatz zu etwas steht. Im Verhältnis zum witzigsten Spott der gesamten Intellektualität heißt es: nun ja, von diesem Gesichtspunkt aus gesehen ist es lächerlich, ungeheuer lächerlich, das Allerlächerlichste – aber du sollst glauben, es gilt Himmel oder Hölle, du sollst. Dies ist ein fürchterliches soll, eben weil es dem Gegensatz eine so große Einräumung macht…Aber je größer die Einräumung, desto fürchterlicher ist dieses soll. Die Einräumung ist sozusagen die Höhe des Sturzbads“ (SKS 21, 313, NB10:109 / T 3, 200; dt. Übers. modifiziert). Zur Bedeutung dieses Imperativs des Glaubens für die christliche Predigt vgl. vor allem SKS 12, 299 / RAF, 35 und SKS 20, 420, NB5:123 / DSKE 4, 426 sowie Gottfried van Randenborgh, „Wie beantwortet Kierkegaard die Frage nach der rechten Verkündigung“, Neue Zeitschrift für Systematische Theologie, Bd. 4, 1962, S. 158 – 196, vor allem S. 191– 196, und Hartmut Metzger, Kriterien christlicher Predigt nach Sören Kierkegaard, Göttingen 1964 (Arbeiten zur Pastoraltheologie, Bd. 3), S. 121– 134. SKS 11, 226 / KT, 116; vgl. auch SKS 20, 260 f., NB3:32 / DSKE 4, 295 f. Vgl. SKS 11, 227 / KT, 116 Vgl. z. B. SKS 7, 204– 208 / AUN1, 215 – 220; SKS 20, 187, NB2:115 / DSKE 4, 210; SKS 27, 481, Papir 402 / T 2, 240. SKS 19, 139, HH:25 / DSKE 2, 143 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. SKS 11, 197 / KT, 82; SKS 11, 200 / KT, 86; SKS 11, 215 f. / KT, 104; SKS 12, 44 / EC, 27; SKS 12, 124 / EC, 112; SKS 12, 224 f. / EC, 222 f.
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chen qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch“²⁴⁶ befestigenden Ärgernisses gegeben ist, kann es für Anti-Climacus doch nur die Alternative geben: „Du sollst entweder Ärgernis nehmen oder Du sollst glauben.“²⁴⁷ Diese Forderung, die Vergebung der Sünden zu glauben, impliziert jedoch, dass jeder die Vergebung der Sünden auch glauben kann. ²⁴⁸ Es zeigt sich also erneut, dass ein wichtiges Element der Glaubenstheorie des Schriftstellers Kierkegaard bereits beim jungen Kierkegaard präformiert ist, wobei die Frage der Sündenvergebung den späteren Kierkegaard nicht zuletzt dann beschäftigen sollte, wenn er die Frage des Glaubens vom Niveau (erkenntnis‐) theoretischer Reflexion auf die existentielle Ebene zu verlagern suchte.²⁴⁹ Wie aus dem Predigtentwurf mit der Überschrift „Über das Abendmahl“ in der Journalaufzeichnung EE:192 hervorgeht, die wie HH:25 im Wintersemester 1840/41 im Zusammenhang mit Kierkegaards Besuch des Predigerseminars entstanden ist, hat aber auch schon der junge Kierkegaard auf „die vorzügliche Bedeutung des Abendmahls“²⁵⁰ als Ort der Vergewisserung der Versöhnung des Menschen mit Gott hingewiesen. Bei der Vorbereitung auf das Abendmahl müsse man sich allerdings
SKS 12, 143 / EC, 135; vgl. auch SKS 11, 211 / KT, 99; SKS 11, 229 / KT, 118; SKS 11, 233 / KT, 123; SKS 12, 43 / EC, 26; SKS 12, 75 / EC, 62; SKS 12, 146 / EC, 138. Zum Verhältnis von Ärgernis und Paradox vgl. Schröer, Die Denkform der Paradoxalität, S. 81– 83 sowie Hermann Deuser „Einübung im Christentum: Kritische Anmerkungen zu Kierkegaards Theologie“ (1988), in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 73 – 89, hier S. 78 – 82. SKS 11, 234 / KT, 124 (meine Übers.); vgl. im Ganzen den Abschnitt „B. Die Sünde, an der Vergebung der Sünden zu verzweifeln (Ärgernis)“ in SKS 11, 225 – 236 / KT, 113 – 126 sowie SKS 11, 210 / KT, 98 und SKS 12, 54 / EC, 39. Vgl. SKS 20, 374, NB5:10 / DSKE 4, 426; SKS 11, 227 / KT, 116; vgl. ferner Kierkegaards Bemerkung zu Jacobis Aussage im Vorwort zu Bd. 4,1 von Jacobis Werken, der Glaube sei „nicht, wie die Wissenschaft, Jedermanns Ding, das heißt, nicht Jedwedem, der sich nur gehörig anstrengen will, mittheilbar“ (Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Bd. 4,1, S. XLIV) am Fuß derselben Seite: „So bleibt der Glaube wiederum nur eine Genialität, welche Einzelnen vorbehalten ist“ (Pap. V C 13:4; vermutlich 1844). So heißt es – um ein Beispiel zu nennen – in der Ende Juli 1848 entstandenen Journalaufzeichnung NB6:26: „Dies ist eigentlich das ewig Tröstliche an der Lehre von der Vergebung der Sünden: Du sollst es glauben. Denn wenn das geängstigte Gewissen sich schwere Gedanken zu machen beginnt und es einem in alle Ewigkeit unmöglich erscheint, zu vergessen: dann heißt es, Du sollst vergessen, Du sollst aufhören, an Deine Sünde zu denken, es ist Dir nicht nur erlaubt, aufzuhören, Du darfst nicht nur Gott um Erlaubnis bitten, vergessen zu dürfen, nein, Du sollst vergessen, denn Du sollst glauben, dass Deine [Sünde] Dir vergeben ist“ (SKS 21, 23, NB6:26; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB6 in SKS K21, 7– 14, hier 10). Zur angesprochenen Verlagerung vgl. Slenczka, Art. „Glaube VI“, S. 351. SKS 18, 66, EE:192 / DSKE 2, 68.
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„hüten, dass sich hier nicht etwas einschleicht, das verdienstlich erscheinen könnte, als ob wir durch unsere Vorbereitung, unsere Reue über unsere Sünden, unsere Zerknirschung, uns die Gnade verdient hätten. Aber die Gewissheit der Vergebung der Sünden und unserer Gemeinschaft mit Christo, die uns hier zugesagt wird, ist keine Belohnung, sondern eine Gnadengabe; und die allzu große Ängstlichkeit, zum Tisch des Herrn zu gehen, kann oft ihren Grund darin haben, dass man so wenig wie möglich als Gnade annehmen will.“²⁵¹
Wenn nun die Vergebung der Sünden geglaubt, zur Wirklichkeit des Glaubens wird, inwiefern kommt es dann zu einer Wiederherstellung bzw. Zurückversetzung in den Zustand, der durch die Sünde verlorengegangen ist?²⁵² In der von Kierkegaard vermutlich ebenfalls noch im Wintersemester 1840/41 auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 288 heißt es: „In welchem Sinne geschieht bei der Vergebung der Sünden eine wirkliche redintegratio in statum pristinum ²⁵³, auch wo es um eine Vergebung von Tatsünden geht? Dies ist von äußerster Wichtigkeit in Bezug auf die Wirklichkeitsauffassung des Christentums. In welches Verhältnis tritt der Reumütige, der die Vergebung der Sünden empfangen hat, zu der Strafe, welche die Wirklichkeit selbst enthalten kann. Soll er sie [scil. diese Strafe] weiter als Strafe behandeln, oder ist eine Verwandlung geschehen, womit sie sich als Fügung verstehen lässt?“²⁵⁴
Die zu Beginn der Aufzeichnung gestellte Frage wird Kierkegaard später an verschiedenen Stellen sowohl in seinen Schriften als auch in seinen Journalen und Aufzeichnungen im Zusammenhang der Frage nach der ‚Wiedererlangung der
SKS 18, 67, EE:192 / DSKE 2, 69 (meine Übers.); vgl. auch den kurz danach entstandenen Predigtentwurf mit der Überschrift „Was es heißt, seine Freude zu heiligen“ in SKS 18, 67, EE:193 / DSKE 2, 70. Vgl. hierzu auch die bereits in Kap. 3.3.2.1 behandelte, von Kierkegaard in der (erneuten) Auseinandersetzung mit Erdmann notierte Aufzeichnung Papir 264:4 von Anfang Juli 1840. Diese von Kierkegaard selbst gebildete Wendung begegnet später noch an einer Stelle in seinem Werk, und zwar in der Wiederholung (1843): Eine gelingende Wiederholung bewirkte eine redintegratio in statum pristinum (vgl. SKS 4, 21 / W, 17) zwischen dem ‚jungen Menschen‘ und der Geliebten, die der ‚junge Mensch‘ durch „die Liebe der Erinnerung“ (SKS 4, 14 / W, 9, vgl. SKS 4, 9 / W, 5 und SKS 4, 11 / W, 5 samt SKS 2, 50 / EO1, 44) aber nicht zuwege zu bringen vermag. SKS 27, 281, Papir 288 / T 1, 281 (B-fort. 409; KA, A pk. 42; meine Übers.). Diese Aufzeichnung auf einem Zettel gelblichen Konzeptpapiers wird im editorischen Bericht zu Papir 284 – 304 in SKS K27, 637– 642, hier 641 f., zusammen mit Papir 289 (siehe Anm. 317) auf 1840/41 datiert und aufgrund des Inhalts im Zusammenhang mit Kierkegaards Besuch des Predigerseminars von November 1840 bis September 1841 gesehen. Von den Herausgebern von Pap. wird diese Aufzeichnung (Pap. III A 215) zwischen Pap. III A 211– 214 [= HH:2– 5] (Juli 1840) und Pap. III A 217 (15. November 1840) eingeordnet.
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Unmittelbarkeit‘ thematisieren²⁵⁵, wobei ‚Unmittelbarkeit‘ dabei weniger in einem epistemischen als vielmehr in einem ontologisch-existentiellen Sinne zu verstehen ist, insofern ‚Unmittelbarkeit‘ etwas über das Existieren, über die Art und Weise des Vollzugs der Existenz behauptet.²⁵⁶ Bereits die Untersuchung des von Kierkegaard im Sommer 1840 in Journal HH skizzierten ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ zeigte, dass für ihn die Neuwerdung des Menschen bei der Aneignung des Christentums keine radikale Neuschöpfung im Sinne einer erneuten creatio ex nihilo meint, sondern die ‚alte‘ Existenz des Menschen vor dem Glauben mit der ‚neuen‘ christlichen Existenz – wenn auch ‚mit tiefem Leid‘ – versöhnt wird.²⁵⁷ Unter Einbeziehung des annihilatio-Gedankens kann Kierkegaards Position dahingehend gedeutet werden, dass die vorchristliche Existenz des Einzelnen bei der Aneignung des Christentums nicht im strengen Sinne annihiliert, d. h. radikal vernichtet, in nichts aufgelöst wird, sondern in einem weiteren Sinne, weil die annihilatio der vorchristlichen Existenz darin besteht, dass diese sich radikal wandelt und insofern vergeht.²⁵⁸ Auch der spätere Kierkegaard versteht diese Wiedergeburt des Menschen im Glauben als ein den Menschen erneuerndes, neue Wirklichkeit setzendes Anfangsgeschehen, ist doch die Sündenvergebung, wie es in der Journalaufzeichnung JJ:486 vom Frühsommer 1846 heißt, „die neue Schöpfung“, die dem Einzelnen nicht bloß „einst (d. h. in der Ewigkeit)“²⁵⁹,
Zu Kierkegaards Rede von der ‚Wiedererlangung‘ oder, wie es auch heißt, ‚Rückkehr‘ der bzw. zur Unmittelbarkeit vgl. vor allem SKS 20, 358, NB4:154 / DSKE 4, 408; SKS 21, 229, NB9:50 / T 3, 170; SKS 22, 40, NB11:62; SKS 22, 198, NB12:102 / T 3, 278; SKS 6, 444 f. / SLW, 513 f.; SKS 7, 318 / AUN2, 51 f. (Anm.); SKS 27, 481 f., Papir 402 / T 2, 240 f.; SKS 27, 487 f., Papir 409:1 / T 2, 242; ferner SKS 3, 118 / EO2, 125; SKS 6, 114 / SLW, 125; SKS 6, 391 / SLW, 449; SKS 6, 398 / SLW, 458. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Terminus ‚Unmittelbarkeit‘ – im Zuge seiner „metaphysischen Transformation“ (Arndt, Unmittelbarkeit, S. 8) und einhergehend mit seiner Verwendung im erkenntnistheoretischen Sinne – auch ontologisch als „eine verdinglichende Kategorie“ verwendet, „die etwas über die interne Verfasstheit von Seiendem oder des Seins überhaupt behauptet“ (ibid.). Letztere Verwendungsweise begegnete zum Beispiel in Kap. 1.5.1 bei der Untersuchung der im einleitenden Abschnitt von Hegels Seinslogik entwickelten Problematik des Anfangs als sachlichem Kontext des Ausdrucks ‚das erste Unmittelbare‘ in Papir 92 (vgl. aber auch Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, in TWA, Bd. 16, S. 158: „Unmittelbarkeit heißt Sein überhaupt, diese einfache Beziehung auf sich; es ist unmittelbar, insofern wir das Verhältnis entfernen“). Siehe Kap. 3.3.1. Zu dieser Unterscheidung der Verwendungsweise von annihilatio in einem weiteren und in einem strengeren Sinne vgl. Wilfried Härle, Dogmatik, 3. Aufl., Berlin und New York 2007, S. 621. SKS 18, 302, JJ:486 / DSKE 2, 313; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal JJ in DSKE 2, 511– 529, hier 515. Während der Kontext dieser präsentischen Zusage der Sündenver-
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sondern bereits in der Gegenwart zugesagt wird. Allerdings sollte Kierkegaard im Rahmen seiner Überlegungen zur ‚Wiedererlangung der Unmittelbarkeit‘ die diesem totalen Neuanfang des Menschen vorausgehende Bewegung in einem anderen Sinne als die soeben angedeuteten als annihilatio verstehen. ‚Unmittelbarkeit‘²⁶⁰ meint in diesem Zusammenhang die Art und Weise, wie sich der Mensch im Vollzug seiner Existenz zunächst vorfindet, weshalb sie in Kierkegaards bekannter Differenzierung verschiedener „Stadien“ oder „Sphären“²⁶¹ der Existenz als verschiedener Möglichkeiten, in denen sich der Mensch als Existierender zu sich selbst verhalten kann, als wesentlich dem Stadium des Ästhetischen zugehörig erscheint, ist das Ästhetische in einem Menschen doch das, „wodurch er unmittelbar das ist, was er ist“²⁶². Die Unmittelbarkeit ist der „Boden unter den Füßen“ [Fodfæste], den der Mensch „nie ganz fahren lassen“²⁶³ kann. Als „Realität des eigenen welthaften Erlebens“ gehört die Unmittelbarkeit damit aber „zu den konstitutiven Merkmalen jedes…Selbstverhältnisses“²⁶⁴ und bleibt grundlegender Bezugspunkt auch für die Stadien des Ethischen und des Religiösen, die sich demnach durch ihr unterschiedliches Verhältnis zur Unmittelbarkeit unterscheiden. Während im ethischen Stadium die Aufhebung dessen, was der Mensch qua Unmittelbarkeit immer schon ist, durch seine Vermittlung mit dem Sittlich-Allgemeinen im ästhetisch-ethischen „Gleichgewicht“²⁶⁵ erreicht werden soll,verhält sich die das religiöse Stadium (Religiosität A) kennzeichnende Dialektik der Verinnerlichung ungleich negativer zur Unmittelbarkeit, da der wesentliche Ausdruck des existentiellen Pathos gerade das „Leiden als das der Unmittelbarkeit Absterben“²⁶⁶ ist.
gebung in JJ:486 die Beichte ist, erfolgt sie in EE:192 (vgl. das zu Anm. 250 und Anm. 251 gehörende Zitat) beim Abendmahl. Grundlage der folgenden Ausführungen in diesem Abschnitt ist mein Aufsatz „Glaube und ‚Unmittelbarkeit‘ bei Kierkegaard“, S. 417– 425. Vgl. z. B. SKS 6, 439 / SLW, 507 und SKS 7, 455 / AUN2, 211. SKS 3, 173 / EO2, 190 (dt. Übers. modifiziert); vgl. auch SKS 3, 185 / EO2, 203 und SKS 3, 215 / EO2, 239. Zu diesem Verständnis von ‚Unmittelbarkeit‘ innerhalb von Kierkegaards Systematik der Existenzmöglichkeiten, die durch die drei zentralen Begriffe des Ästhetischen, des Ethischen und des Religiösen charakterisiert sind, vgl. hier und im Folgenden Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 360 – 371. SKS 27, 358, Papir 340:14 / T 2, 107 (meine Übers.). Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 364. SKS 3, 153 / EO2, 165. SKS 7, 478 / AUN2, 236; vgl. hierzu Krichbaum Kierkegaard und Schleiermacher, S. 367. Speziell zum Ausdruck ‚das der Unmittelbarkeit Absterben‘ [Afdøen fra Umiddelbarheden] vgl. SKS 7, 392 / AUN2, 138; SKS 7, 418 – 421 / AUN2, 169 – 172; SKS 7, 438 f. / AUN2, 192 f.; SKS 7, 451 / AUN2, 206; SKS 7, 460 / AUN2, 217; SKS 7, 478 / AUN2, 236; ferner SKS 13, 103 / ZS, 114.
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Wie die Religiosität A steht auch die spezifisch christliche Religiosität B insofern in einem negativen Verhältnis zur Unmittelbarkeit, als dem Weg zum Christentum als Prozess des Geistwerdens ein Sich-Zurücknehmen aus der Unmittelbarkeit korrespondiert.²⁶⁷ Dieses findet seinen existentiellen Ausdruck in der ‚Selbst-Vernichtung‘ des Menschen vor Gott, die von Kierkegaard allerdings nicht (mehr) nur als annihilatio im weiteren Sinne: als radikale Wandlung, aber auch nicht als annihilatio im strengen Sinne: als Selbstdestruktion, sondern als annihilatio in einem dritten, Kierkegaardschen Sinne: als ein ‚Sich-selbst-vor-Gottzu-nichts-Machen‘ verstanden wird. Es geht für Kierkegaard nicht darum, wie Cappelørn mit Recht betont, „dass ich mich selbst zunichtemachen soll, sondern dass ich mich selbst zu nichts machen soll und auf diese Weise zu nichts werde.“²⁶⁸ Als Beispiel zur Verdeutlichung sei eine Stelle aus der ersten der drei Reden über Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel (1849) angeführt, die Kierkegaard Mitte Mai 1849 unter eigenem Namen publiziert hat: „‚Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.‘ / Was aber heißt dies, was habe ich zu tun, oder was für ein Streben ist es, von dem man sagen kann, dass es nach dem Reich Gottes sucht oder trachtet?…Soll ich denn hinausgehen und diese Lehre in der Welt verkünden? Nein, Du sollst zuerst nach dem Reich Gottes trachten. Aber dann ist es ja in gewissem Sinne nichts, das ich tun soll? Ja, ganz gewiss, es ist in gewissem Sinne nichts; Du sollst in tiefstem Sinne Dich selbst zu nichts machen, vor Gott zu nichts werden, schweigen lernen; in diesem Schweigen liegt der Anfang, welcher ist, zuerst nach dem Reich Gottes zu trachten.“²⁶⁹
Im Unterschied aber zur Religiosität A wird vom Christentum eine diese ‚SelbstVernichtung‘ des Menschen vor Gott voraussetzende oder, genauer gesagt, damit einhergehende ‚Wiedererlangung der Unmittelbarkeit‘ gefordert. Diesen tieferen, christlichen Sinn der ‚Selbst-Vernichtung‘ nennt Kierkegaard auch in der an Ostern Vgl. SKS 27, 487 f., Papir 409:1 / T 2, 242 („Die Vergebung seiner Sünden zu glauben, ist die entscheidende Krisis, wodurch ein Mensch Geist wird; wer sie nicht glaubt, ist nicht Geist. Das ist die Reife des Geistes, es bedeutet, dass die ganze Unmittelbarkeit verlorengegangen ist“; meine Übers.); vgl. ferner SKS 22, 198, NB12:102 / T 3, 278 und SKS 23, 45, NB15:66 / T 4, 93. Niels Jørgen Cappelørn, „Efterskrift“, in Søren Kierkegaard, Lilien paa marken og fuglen under himlen. Tre gudelige taler, Kopenhagen 2010, S. 61– 110, hier S. 70 (meine Hervorhebungen) in Bezug auf SKS 11, 17 f. / LF, 36 (vgl. das zur Anm. 269 gehörende Zitat). Zu der so verstandenen ‚Selbst-Vernichtung‘ im christlich-religiösen Kontext vgl. SKS 5, 354 / 4R44, 79; SKS 9, 359 / LT, 400; SKS 20, 251, NB3:15 / DSKE 4, 283; SKS 21, 104, NB7:58 / T 3, 81; SKS 21, 114, NB7:75 / T 3, 86; SKS 21, 229, NB9:50 / T 3, 170; SKS 22, 277, NB13:9; SKS 11, 148 / KT, 28 f.; SKS 16, 160 – 163 / US, 134– 136. SKS 11, 17 f. / LF, 36 (meine Übers.). Das Erscheinen dieser Reden wurde in Adresseavisen vom 14. Mai 1839 (Nr. 111) annonciert, am selben Tag, an dem auch die zweite Auflage von Entweder – Oder erschienen ist, vgl. SKS K11, 7.
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1848 in der Journalaufzeichnung NB4:154 unter der Überschrift „Neue Reden über die Lilien und den Vogel“²⁷⁰ festgehaltenen ersten Idee zu den Reden von 1849: „Aber Du sagst vielleicht: oh, wäre ich nur ein Vogel, der leichter als alles irdisch Lastende sich in die Luft erhebt, so leicht, dass er sich sogar leicht genug machen kann, [sein] Nest auf dem Meer zu bauen. Wäre ich nur wie eine Blume auf der Wiese usw. Das heißt, was der Dichter als das höchste Glück anpreist, wohin der Wunsch des Menschen zurückstrebt, wie unbillig, das zum Lehrmeister für den zu machen, der vorwärts soll. / Dichterisch ist nämlich die Unmittelbarkeit das, wohin man sich zurückwünscht (man wünscht die Kindheit zurück usw.), aber christlich ist die Unmittelbarkeit verloren und sie soll nicht zurückgewünscht, sondern wiedererlangt werden.“²⁷¹
Der Wunsch und Versuch des Dichters, den Beschwernissen des irdischen Lebens gleichsam wie ein Vogel zu entfliehen und zur verlorenen Unmittelbarkeit zurückzukehren, erweist sich als illusorisch, da die dichterische Wirklichkeit nicht die reale Wirklichkeit, sondern die Möglichkeit derselben, mithin nur gedachte, ideelle Wirklichkeit ist.²⁷² Der Dichter kann nicht selbst die Wirklichkeit erschaffen, die er sich erträumt.²⁷³ Im Unterschied zur bloß dichterischen Rückkehr zur Unmittelbarkeit ist die vom Christentum zur Forderung erhobene ‚Wiedererlangung der Unmittelbarkeit‘ in (der) Wirklichkeit die Wiedergeburt des Menschen im Glauben: „Wenn ich einen Augenblick von all den näheren dogmatischen Bestimmungen über die Mitwirkung des Geistes usw. absehe, dann kann ich Wiedergeburt auf diese Weise definieren: es ist Unmittelbarkeit ethisch gewonnen“²⁷⁴, schreibt Kierkegaard in der kurze Zeit nach Veröffentlichung der drei Reden entstandenen Journalaufzeichnung NB11:62 von Ende Mai 1849.²⁷⁵ Der vor Gott sich selbst zu ‚nichts‘ gemachte und so zu ‚nichts‘ gewordene Mensch wird sich seiner selbst auf Gott als seinen
Neu im Verhältnis zu den drei Reden der zweiten Abteilung der Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist (1847): „Was wir lernen von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln des Himmels“ (vgl. SKS 8, 253 – 307 / ERG, 163 – 222). SKS 20, 358, NB4:154 / DSKE 4, 408 (meine Übers.; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB4 in DSKE 4, 663 – 670, hier 667, sowie den Kommentar zu DSKE 4, 407,22 (NB4:153) in DSKE 4, 708 und zu DSKE 4, 409,2 (NB4:155) in DSKE 4, 709); vgl. hierzu SKS 11, 13 – 15 / LF, 32– 34 und SKS 11, 22 f. / LF, 43 – 45. Zur Interpretation von NB4:154 vgl. Cappelørn, „Efterskrift“, S. 63 – 66. Zu diesem Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit vgl. SKS 7, 292 f. / AUN2, 22 f. und SKS 23, 72, NB15:103 / T 4, 106. Vgl. Cappelørn, „Efterskrift“, S. 63. SKS 22, 40, NB11:62. Zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB11 in SKS K22, 7– 19, hier 13.
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Grund hin „durchsichtig“²⁷⁶, wie es Anti-Climacus in der Krankheit zum Tode (1849) ausdrückt, und gewinnt eben damit sich selbst aufs Neue wieder – ‚aus Gottes Hand‘.²⁷⁷ Dies ist Kierkegaards relationsontologische Interpretation von Lk 17,33: „Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen.“²⁷⁸ Der Glaube an die Vergebung der Sünden bewirkt somit keine redintegratio in statum pristinum, insofern darunter eine Rückkehr zu einer anfänglichen, supralapsarischen Unmittelbarkeit zu verstehen ist, sondern ermöglicht die infralapsarische Wiedergewinnung eines nicht-entfremdeten Ursprungs, einen totalen ²⁷⁹ Neuanfang des Menschen: „er ist wie ein neuer Mensch.“²⁸⁰
SKS 11, 130 / KT, 10; SKS 11, 146 / KT, 26; SKS 11, 242 / KT, 134 et passim. Zum Begriff der Selbst-Durchsichtigkeit (bereits) im Stadium des Ethischen und in Abgrenzung zur ästhetischen Lebensform vgl. SKS 3, 246 / EO2, 275: „Der Hauptunterschied, um den sich alles dreht, ist, dass das ethische Individuum sich selbst durchsichtig ist und nicht ,ins Blaue hinein‘ lebt, wie das ästhetische Individuum es tut. Mit diesem Unterschied ist alles gegeben.“ Anti-Climacus versteht die Selbst-Konstitution des Menschen als Sich-zu-sich-selbst-verhaltendem-Verhältnis „als eine Art Losgelassenwerden aus Gottes Hand“ (Ringleben, Die Krankheit zum Tode, S. 79, der in diesem Zusammenhang auf die wörtliche Bedeutung des Begriffs Emanzipation im Sinne von ‚aus der Hand lassen‘ (ex manu cipere) verweist). An sich, d. h. „ursprünglich aus Gottes Hand“ (SKS 11, 132 / KT, 11; meine Übers.; vgl. auch SKS 9, 269 / LT, 299 und SKS 10, 71 / CR, 66) ist die Synthesis „in dem rechten Verhältnis“ (SKS 11, 132 / KT, 11) sowohl zu sich selbst als auch in durchsichtiger Übereinstimmung mit Gott als ihrem Grund. Indem sie aber aus Gottes Hand zu sich selbst kommt, d. h. „indem Gott, der den Menschen zu dem Verhältnis gemacht hat, ihn gleichsam aus seiner Hand gleiten lässt“ (ibid.; dt. Übers. modifiziert) – eine Anspielung auf Confessio Augustana, Art. 19: „so wirket doch der verkehrte Will die Sunde in allen Bösen und Verachtern Gottes, wie dann des Teufels Will ist und aller Gottlosen, welcher alsobald, so Gott die Hand abgetan, sich von Gott zum argen gewandt hat“ (BSLK, S. 75,5 – 9; meine Hervorhebung) –, entsteht mit dem sich zu sich selbst verhaltenden Verhältnis zugleich das Missverhältnis im Verhalten der Synthesis, die, da sie ihren Grund nicht in sich selbst, sondern in Gott hat, die Bedingung der Möglichkeit des vom Menschen selbst zu verantwortenden Missverhältnisses ist. Dieser verkehrte Selbstvollzug des Selbst ist im Grunde die ‚Krankheit zum Tode‘, die paradoxerweise nicht mit dem irdischen Tod endet, sondern nur durch das der Welt Absterben kuriert werden kann, indem man gleichsam „ein Nichts…in des ‚Helfers‘ Hand“ (SKS 11, 185 / KT, 72; vgl. auch SKS 11, 148 / KT, 28 f.) wird und eben damit sich von Gott ‚be-gründen‘ lässt und sein Sein von Gott her als das eigene empfängt und annimmt (vgl. Ringleben, Die Krankheit zum Tode, S. 93). Zur Übersetzung von Lk 17,33 vgl. jedoch unten Anm. 633. Die Sündenvergebung ist eine „Totalitätsbestimmung“ (SKS 21, 189, NB8:107 / T 3, 124), denn sie „betrifft das ganze Selbst des Menschen“ (SKS 27, 487 f., Papir 409:1 / T 2, 242). SKS 27, 481 f., Papir 402 / T 2, 240; vgl. auch SKS 27, 487 f., Papir 409:1 / T 2, 242 („Wer derart in Wahrheit den Glauben an die Vergebung seiner Sünden erlebt hat und erlebt, der ist dann freilich ein anderer Mensch geworden“); SKS 21, 285, NB10:56 / T 3, 192 („dass das ChristlichReligiöse eine eigene Sphäre ist, in der die ästhetischen Verhältnisse wiederkehren, aber auf
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Bis zu dieser Antwort²⁸¹ auf die eingangs in Papir 288 gestellte Frage ist es freilich ein Weg, den aber der junge Kierkegaard in der Skizze seines ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH sowie in den in diesem Abschnitt untersuchten Aufzeichnungen schon eingeschlagen hat.²⁸²
paradoxe Weise, als höher denn die ethischen, was sonst ja umgekehrt ist“; dt. Übers. modifiziert). Damit ist nicht gesagt, dass diese Antwort für Kierkegaard selbst auch eine befriedigende Antwort gewesen ist. Konnte er sowohl in den Stadien auf des Lebens Weg (vgl. SKS 6, 442– 446 / SLW, 511– 515) als auch in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (SKS 7, 317 f. / AUN2, 51 f.) die Frage nach der Beschaffenheit der im Glauben an die Sündenvergebung wiedererlangten Unmittelbarkeit unter der Prämisse als unbeantwortet stehen lassen, dass der Standpunkt sowohl des Frater Taciturnus (vgl. SKS 6, 444 / SLW, 513) als auch des Humoristen Johannes Climacus (vgl. SKS 7, 560 / AUN2, 331; SKS 7, 561 / AUN2, 332 und Pap. VII-1 B 88, S. 291) außerhalb des Glaubens zu verorten ist und die Vorstellung der Sündenvergebung aus dieser Perspektive nur schlechthin paradox und absurd erscheinen kann (vgl. die oben in Anm. 243 und unten in Anm. 326 angegebenen Stellen; siehe auch Kap. 3.3.2.4), war seine eigene, persönliche Auseinandersetzung damit keineswegs beendet. In der vermutlich im Mai 1848 kurz nach seinem 35. Geburtstag auf ein Doppelblatt notierten, mit „Etwas über die Vergebung der Sünden“ überschriebenen Aufzeichnung Papir 402 schreibt Kierkegaard: „Die Schwierigkeit liegt hier psychologisch an einer ganz anderen Stelle, als man sich gewöhnlich erträumt. Die Schwierigkeit ist: Zu welcher Unmittelbarkeit kehrt derjenige zurück, der das glaubt, oder welches ist die Unmittelbarkeit, die auf diesen Glauben folgt, wie verhält sie sich zu dem, was man sonst Unmittelbarkeit nennt?…Ich nehme also an, jemand habe den ungeheuren Mut des Glaubens gehabt, wirklich zu glauben, dass Gott buchstäblich seine Sünde vergessen habe…Was dann?…wäre es möglich, dass ein Mensch jetzt anfangen könnte, mit der Sorglosigkeit eines Jünglings zu leben? Unmöglich!…Wie wäre es möglich, dass derjenige, der die Vergebung seiner Sünden geglaubt hat, jetzt jung genug werden könnte, um sich erotisch zu verlieben. / Hier liegt die Schwierigkeit meines eigenen Lebens. Ich bin von einem Greis ungeheuer streng im Christentum erzogen worden; deshalb ist mir mein Leben furchtbar verwirrt worden; deshalb bin ich in Kollisionen gebracht worden, an die niemand denkt, geschweige denn darüber spricht. Und jetzt erst, jetzt in meinem 35. Lebensjahr habe ich mit Hilfe von schweren Leiden und unter der Bitternis der Reue vielleicht so viel Abgestorbenheit von der Welt gelernt, dass für mich wirklich die Rede davon sein kann, mein ganzes Leben und meine Seligkeit im Glauben an die Vergebung der Sünden zu finden. Aber wahrlich, wenn ich auch geistig stark bin wie nur je, so bin ich jetzt viel zu alt, um mich in eine Frau zu verlieben und dergleichen“ (SKS 27, 481 f., Papir 402 / T 2, 240 f.; meine Übers.; L-fort. 144, B-fort. 144.2; KA, A pk. 48); vgl. hierzu SKS 16, 58 – 62 / GWS, 75 – 79; ferner SKS 27, 481 f., Papir 402 / T 2, 240 f. Dass der Glaube an die Sündenvergebung nicht bewirkt, dass „der Mensch…wie durch einen Zauberschlag aus seinen alten Verhältnissen herausgerissen [wird], dem ‚Leib der Sünde‘, von dem Paulus spricht (Röm 7,25)“, bemerkt Kierkegaard bereits in der Journalaufzeichnung AA:51 vom 11. Oktober 1837: „Er muss denselben Weg zurückgehen, den er gekommen ist, während das Bewusstsein darüber, dass ihm seine Sünden vergeben sind, ihn aufrecht hält und
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3.3.2.3 Die apriorische „Gewissheit des Sieges“ (Not5:20) In der im Spätsommer oder Herbst 1840 entstandenen Aufzeichnung Not5:20 thematisiert Kierkegaard erneut den apriorischen Charakter des Glaubens.²⁸³ Nachdem er in der um die Jahreswende 1836/37 entstandenen Aufzeichnung Papir 81:1 den Glauben („nach dem protestantischen Lehrbegriff“) zunächst als „die apriorische Sicherheit, vor welcher alle Empirie des Tuns verschwindet“²⁸⁴, bestimmt hatte, konkretisierte er in der Journalaufzeichnung DD:79 vom 6. November 1837 wahrscheinlich unter dem Einfluss der Lektüre Erdmanns dieses „Apriorische des Glaubens, das über allem Aposteriori des Tuns schwebt“²⁸⁵, durch den Hinweis auf die paulinische Glaubensgewissheit in Röm 8,38 f. Der Glaube ist die apriorische Antizipation einer eschatischen Wirklichkeit, der Gemeinschaft mit Christus, die allen gegenteiligen Erfahrungen (in) der diesseitigen Welt zum Trotz im Glauben bereits gegenwärtig ist, obwohl ihre volle Verwirklichung noch aussteht. In deutlicher Nähe zur Bestimmung von Lebensanschauung an der Kernstelle der Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)²⁸⁶ supponierte Kierkegaard in der Journalaufzeichnung DD:134 vom 23. August 1838 schließlich eine konstruktive Beziehung zwischen GlaubensApriori und Lebenserfahrung, insofern im christlichen Leben die „siegreich über alle Hindernisse“ führende Vereinigung einer „unerschütterliche[n] Sicherheit“ oder „Gewissheit“ mit einer „empirische[n] Entwicklung“²⁸⁷ zu bewerkstelligen sei. In der Aufzeichnung Not5:20 hat Kierkegaard nun zum letzten Mal in seinem Werk den Begriff des ‚Apriorischen‘²⁸⁸ zur Charakterisierung des Glaubens herangezogen: ihm Mut gibt und die Verzweiflung verhindert“ (SKS 17, 52, AA:51 / DSKE 1, 55 f.; meine Übers.). Vgl. ferner SKS 17, 275, DD:195 / DSKE 1, 246 und SKS 18, 67, EE:193 / DSKE 2, 70. Vgl. SKS 19, 185, Not5:20 / DSKE 3, 195; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 5 in DSKE 3, 638 – 640. SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50 (meine Übers.; siehe Kap. 1.6). SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213 (dt. Übers. modifiziert; siehe Kap. 2.4.3). Vgl. SKS 1, 32 / LP, 63 (siehe Kap. 2.5.1). SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228 (siehe Kap. 2.5.2). Überhaupt findet sich in Kierkegaards Gesamtwerk nach 1841 das Adjektiv ‚apriorisch‘ nur noch in SKS 3, 101 / EO2, 105; SKS 6, 68 / SLW, 71; SKS 6, 379 / SLW, 434 (samt Pap. V B 182:7) und SKS 25, 350, NB29:92, während ‚Apriorität‘ lediglich in SKS 3, 66 / EO2, 64 (hier synonym mit ‚Unmittelbarkeit‘); SKS 3, 100 / EO2, 104 (3-mal) und – als einzigem Beleg aus der Zeit nach 1841 mit einem religiösen Kontext – SKS 20, 96, NB:139 / DSKE 4, 107 („Hier zeigt es sich recht, dass es eigentlich absolut auf eine religiöse Erziehung ankommt, auf die Apriorität, die dadurch gewonnen wird, dass für einen Menschen von frühester Zeit an als absolut abgemacht gilt, dass Gott Liebe ist“) begegnet. Zu Kierkegaards Darstellung der ‚ehelichen Liebe‘ in Entweder – Oder I, „die dort in merkwürdiger Parallele zum Glauben gesehen wird“ (Ringleben, Aneignung,
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„Der apriorische Charakter des Glaubens kann teils von der Erkenntnis-Seite aufgefasst werden, dann ist er der, der den Himmel hat, jeden Zweifel überwunden hat, denn der Zweifel ist das Dämonische, das zwischen Himmel und Erde liegt; teils von Seiten der Tat [Gjerningens], dann ist er die Gewissheit des Sieges Röm 8.“²⁸⁹
Wie schon in der Aufzeichnung Papir 264:4 von Anfang Juli 1840²⁹⁰ macht Kierkegaard einerseits deutlich, dass der Glaube in erkenntnistheoretischer Hinsicht nicht vor dem Zweifel liegt, wie dies etwa bei Erdmanns ‚unbefangenem Glauben‘ der Fall ist, der als das noch durch keinen Zweifel erschütterte, unmittelbare Bewusstsein der Versöhnung des Menschen mit Gott bestimmt wird. Der Glaube setzt den Zweifel vielmehr als überwundenen und damit als Bedingung dieser im Glauben gegebenen Einheit Gottes und des Menschen voraus: Der Glaube ist das Ende des Zweifels. Andererseits zeigt sich für Kierkegaard der apriorische Charakter des Glaubens auch in ethischer Hinsicht insofern, als er „die Gewissheit des Sieges Röm 8“²⁹¹ sei. Dass Kierkegaard damit – das zu erwartende Satzzeichen zwischen ‚Gewissheit des Sieges‘ und ‚Röm 8‘ fehlt – wie schon in DD:79 die paulinische Formulierung der Glaubensgewissheit in Röm 8,38 f. im Blick hat,wird deutlich, wenn man deren Einleitung Röm 8,37 hinzuliest, die in der autorisierten dänischen Übersetzung des Neuen Testaments von 1819 (NT-1819) lautet: „Aber in diesem allen siegen wir weit durch den, der uns geliebt hat.“²⁹² Diese Anspielung auf Röm 8,38 f. findet sich auch in der Aufzeichnung Not7:43, die irgendwann in der Zeit zwischen Ende 1840 und Herbst 1841 entstanden ist²⁹³ und Teil eines Predigtentwurfs sein könnte²⁹⁴, was für Kierkegaards Teilnahme an den Übungen im Predigerseminar als Hintergrund und Kontext sprechen würde, möglicherweise aber auch zu den Aufzeichnungen dieses Notizbuchs gehört, die von Regine Olsen und Kierkegaards Reflexionen über Liebe
S. 430), vgl. vor allem SKS 3, 100 f. / EO2, 104 f., wo ihr unter anderem attestiert wird, sie habe im Unterschied zur ‚experimentierenden Liebe‘ eine „Apriorität in sich, zugleich aber innere Beständigkeit“ (SKS 3, 100 / EO2, 104 (meine Übers.); vgl. bereits SKS 17, 271, DD:177 / DSKE 1, 241). SKS 19, 185, Not5:20 / DSKE 3, 195 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. SKS 27, 234, Papir 264:4 (siehe Kap. 3.3.2.1). SKS 19, 185, Not5:20 / DSKE 3, 195. „Men i alt dette mere end seire vi ved ham, som os elskede“ (NT-1819). In der vom jungen Kierkegaard gelegentlich herangezogenen Karlsruher Bibelausgabe Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments (1836) wird Röm 8,37 dagegen so wiedergegeben: „Aber in dem allen überwinden wir weit, um deß willen, der uns geliebet hat.“ Zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 7 in DSKE 3, 674. Dies gilt auch für andere Aufzeichnungen dieses Notizbuchs, wie z. B. SKS 19, 216, Not7:41 / DSKE 3, 231 und SKS 19, 219, Not7:53 / DSKE 3, 234.
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und Ehe handeln.²⁹⁵ Unter Einbeziehung auch von I Joh 5,4 (in NT-1819: „Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“²⁹⁶) schreibt Kierkegaard: „Ich weiß, dass weder Engel noch Teufel, weder das Gegenwärtige noch das Zukünftige etc. Ja, wenn Du dies sagen kannst, dann hast Du die Welt überwunden, denn wir nannten ja alles das, was Macht haben könnte, uns von Gott zu scheiden – das Gegenwärtige mit seinen Schrecken, das Zukünftige mit seinen Ängsten, das Vergangene mit seinen Schreckbildern.“²⁹⁷
Zu erwähnen ist in diesem Kontext ferner der Homilieentwurf in der Aufzeichnung HH:32, den Kierkegaard vermutlich im Wintersemester 1840/41 im Zusammenhang mit seinem Besuch des Predigerseminars ausgearbeitet hat und in dem er „zum paulinischen Katalog möglicher Gefahren des Verlustes der Gemeinschaft mit Christus“ in Röm 8,38 f. bemerkenswerterweise noch eine weitere Gefahr hinzufügt: „den Christen selbst!“²⁹⁸ Dieser Entwurf lautet: „Unsere Gemeinschaft mit Christus / eine Homilie. / über Röm: „weder Engel, Teufel, … / Engel (Gal. 1,8. / Teufel (Eph.) / Gegenwärt[iges] / Zukünft[iges] / das Hohe / das Tiefe. / …. Paulus hat alles erwähnt, nur eine Sache hat er nicht erwähnt, aber er war ja auch ein Apostel des Herrn. Wir wollen sie erwähnen: dass [auch] wir selbst nicht. Das ist noch ein Feind.“²⁹⁹
Die in diesem Abschnitt im Zentrum stehende Aufzeichnung Not5:20 ist für diese Untersuchung aber noch aus einem anderen Grund wichtig: Einhergehend mit der Bekräftigung des apriorischen Charakters des Glaubens sowohl in erkenntnistheoretischer als auch in ethischer Hinsicht hat Kierkegaard diesen zugleich in
Vgl. vor allem SKS 19, 213, Not7:28 / DSKE 3, 228; SKS 19, 213 f., Not7:31 / DSKE 3, 228; SKS 19, 217, Not7:45 / DSKE 3, 232; SKS 19, 217, Not7:46 / DSKE 3, 232; SKS 19, 218, Not7:50 / DSKE 3, 23. „Thi alt det, som er født af Gud, overvinder Verden; og vor Tro er den Seier, som haver overvundet Verden“ (NT-1819). In der Karlsruher Bibelausgabe Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments (1836): „Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ SKS 19, 216, Not7:43 / DSKE 3, 231 (dt. Übers. modifiziert). Schulz, Eschatologische Identität, S. 243 (Anm. 198). SKS 18, 141, HH:32 / DSKE 2, 146 (dt. Übers. modifiziert; die Auslassungen sind die Kierkegaards); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal HH in DSKE 2, 499. Vgl. ferner die Aufzeichnung Not6:6 im Tagebuch der Jütlandreise Kierkegaards von Juli 1840: „Zu Dir, o Gott, wenden wir uns um Frieden …. aber gib Du auch die selige Gewissheit, dass nichts uns diesen Frieden rauben kann, nicht wir selbst, nicht unsere törichten, irdischen Wünsche, meine wilden Begierden, nicht meines Herzens unruhiges Trachten!“ (meine Übers.; die Auslassung ist die Kierkegaards; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 6 in DSKE 3, 653 f.). Aus späterer Zeit vgl. SKS 5, 106 / 3R43, 148 und SKS 9, 298 / LT, 331.
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einer anderen Begrifflichkeit zum Ausdruck gebracht: der Glaube ist die unerschütterliche Gewissheit der Realität des die Welt überwindenden ‚Sieges‘. Dieses Motivs vom ‚Sieg‘ des Glaubens sollte sich Kierkegaard später auch in seinen erbaulichen Reden bedienen, in denen erkenntnistheoretische Begriffe nahezu völlig absent sind, um seine Überzeugung vom apriorischen Charakter des Glaubens auch in diesem literarischen Genre³⁰⁰ zur Sprache zu bringen.³⁰¹
3.3.2.4 Eine spekulative Momentaufnahme des christlichen Lebens (Papir 289) Eine weitere Präzisierung erfährt Kierkegaards Glaubensverständnis in der von ihm vermutlich im Wintersemester 1840/41 auf ein Folio-Blatt kittfarbenen Schreibpapiers notierten Aufzeichnung Papir 289.³⁰² Diese Präzisierung betrifft die Charakterisierung des Glaubens als ‚Unmittelbarkeit‘ und damit einen Aspekt seiner Glaubenstheorie, der in dieser Untersuchung schon mehrfach angesprochen worden ist. In der wahrscheinlich im Wintersemester 1837/38 entstandenen Aufzeichnung Papir 92 hatte Kierkegaard deutlich gemacht, dass der Glaube nicht „das erste Unmittelbare“³⁰³ ist, ein Unmittelbares also, das, wie das unbestimmte Unmittelbare am Anfang der Logik, noch nicht in das Vermittelte übergegangen ist. Der Glaube ist vielmehr „eine konkretere Bestimmung als das Unmittelbare“, konstatierte Kierkegaard in der vermutlich im Sommer 1840 entstandenen Aufzeichnung Not5:23, da die im Glauben erlangte Gewissheit der Sündenvergebung niemals aus dem ihr vorhergehenden Sündenbewusstsein „herausdemonstriert“ werden kann und an eine „äußere Begebenheit“: an das geschichtliche Faktum des Auftretens Christi „geknüpft“³⁰⁴ ist.
Vgl. hierzu George Pattison, Kierkegaard: The Aesthetic and the Religious. From the Magic Theatre to the Crucifixion of the Image, London 1992, S. 156 – 163. Vgl. vor allem SKS 5, 25 ff. / 2R43, 393 ff.; SKS 5, 45 / 2R43, 412; SKS 5, 87 ff. / 3R43, 126 ff.; SKS 5, 310 / 4R44, 27; SKS 5, 320 ff. / 4R44, 38 ff.; SKS 5, 361 ff. / 4R44, 86 ff.; SKS 8, 172 / ERG, 70; SKS 8, 177 / ERG, 75; SKS 8, 371 / ERG, 288 f.; SKS 8, 396 / ERG, 317; SKS 8, 425 / ERG, 349. Vgl. ferner SKS 9, 137 / LT, 150; SKS 9, 244 / LT, 270; SKS 9, 327 ff. / LT, 364 ff.; SKS 13, 103 / ZS, 114. SKS 27, 282, Papir 289 / T 1, 281 f. (B-fort. 408; KA, A pk. 42; Pap. III A 216). Wie Papir 288 (vgl. oben Anm. 254) wird auch Papir 289 in SKS K27, 641 f. auf 1840/41 datiert und im Zusammenhang mit Kierkegaards Teilnahme an den Übungen im Predigerseminar gesehen, während die Herausgeber von Pap. durch die Einordnung dieser Aufzeichnung die zweite Jahreshälfte 1840 als Entstehungszeitraum nahelegen. SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50 (meine Übers.; siehe Kap. 1.5 und Kap. 2.3). SKS 19, 185 f., Not5:23 / DSKE 3, 196 (siehe Kap. 3.3.2.2).
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
Bezüglich des Terminus ‚Unmittelbarkeit‘ ist allerdings eine Differenzierung erforderlich.³⁰⁵ Entsprechend seiner alltagssprachlichen Verwendung (‚unmittelbar‘ ist eine solche Beziehung zweier Relate, die ohne weiteres erfolgt und nicht durch ein Anderes als Drittes vermittelt ist³⁰⁶) kann ‚Unmittelbarkeit‘ im epistemischen Sinne einerseits als Annahme über unsere Beziehung zu einem Erkenntnisgegenstand verstanden werden, die eine unmittelbare dann ist, wenn dieser uns von selbst einleuchtet, (für) uns evident ist. Ein Unmittelbares kann andererseits aber auch etwas sein, das, eben weil es nicht vermittelt ist, uns ‚unmittelbar‘ im Sinne von ‚unzugänglich‘ ist. Dieses Unmittelbare genügt sich selbst und bleibt identisch auf sich bezogen. ‚Unmittelbarkeit‘ im epistemischen Sinne kann demnach auch als Annahme über die Beschaffenheit eines Gegenstandes unserer Erkenntnis verstanden werden, der ein Unmittelbares im Sinne eines sich-aus-sich-selbst-Verstehenden repräsentiert, das weder eines Beweises bedürftig noch einer weiteren Begründung zugänglich ist, so wie dies bei einem axiomatischen Prinzip der Fall ist.³⁰⁷
Zur folgenden systematischen Erschließung des Terminus ‚Unmittelbarkeit‘ vgl. Arndt, Unmittelbarkeit, S. 6 – 10, der betont, dass es sich dabei „nicht um einen wohl definierten Begriff, sondern um Konzeptionen [handelt], die Annahmen über Relationen enthalten“ (S. 7). An anderer Stelle habe ich diese Erschließung etwas ausführlicher gestaltet, vgl. „Glaube und ‚Unmittelbarkeit‘ bei Kierkegaard“, S. 392– 396. Zum Verständnis von ‚Unmittelbarkeit‘ in einem ontologisch-existentiellen Sinne, insofern damit ein bestimmter modus essendi bezeichnet ist, siehe S. 314. Vgl. Joachim Heinrich Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 1– 5, Braunschweig 1807– 11; Bd. 5, S. 176 (s. v. „unmittelbar“) sowie Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1– 16 in 32 Teilbdn., Leipzig 1854– 1960; Bd. 12, Sp. 1184– 1187 (s. v. „unmittelbar“). Diese Verbindung von Unmittelbarkeit und Prinzip zeigt sich bereits in der Lehre vom Schließen und Beweisen in der aristotelischen Logik. Als ‚unmittelbar‘ wird dort das Erste (Prinzip oder Prämisse) bezeichnet, das nicht aus anderem abgeleitet oder begründet werden kann, da es kein anderes vor sich hat: „Prinzip aber ist ein unmittelbarer Vordersatz eines Beweises, unmittelbar aber ist der [Vordersatz], welchem kein anderer früherer mehr vorhergeht [ἀρχὴ δ᾽ ἐστὶν ἀποδείξεως πρότασις ἄμεσος, ἄμεσος δὲ ἧς μὴ ἔστιν ἄλλη προτέρα]“ (Analytica posteriora, I 2, 72a7– 8; griechischer Text hier und im Folgenden in leicht modifizierter Schreibweise nach Aristoteles graece, hg. von Immanuel Bekker, Bd. 1– 2, Berlin 1831 (ktl. 1074– 75) [Bd. 1– 2 in Aristotelis Opera, hg. von Academia Regia Borus[s]ica, Bd. 1– 5, Berlin 1831– 1870]; Bd. 1 (meine Übers.). Wolfgang Detel übersetzt ἀποδείξεως πρότασις ἄμεσος mit „eine unmittelbare Beweis-Prämisse“, vgl. Analytica posteriora, übers. und erläutert von Wolfgang Detel, in Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 3, Teil 2,1, hg. von Ernst Grumach und Hellmut Flashar, Berlin 1993, S. 47); vgl. auch I 2, 71b19 – 23 (εἰ τοίνυν ἐστὶ τὸ ἐπίστασθαι οἷον ἔθεμεν, ἀνάγκη καὶ τὴν ἀποδεικτικὴν ἐπιστήμην ἐξ ἀληθῶν τ᾽ εἶναι καὶ πρώτων καὶ ἀμέσων καὶ γνωριμωτέρων καὶ προτέρων καὶ αἰτίων τοῦ συμπεράσματος· οὕτω γὰρ ἔσονται καὶ αἱ ἀρχαὶ οἰκεῖαι τοῦ δεικνυμένου), I 2, 72a14– 17 (᾿Aμέσου δ᾽ ἀρχῆς συλλογιστικῆς θέσιν μὲν λέγω ἣν μὴ ἔστι
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Während ‚Unmittelbarkeit‘ im ersten Fall unverstellte „Gegenwärtigkeit und Präsenz“ bedeutet, indem sie „gleichsam den Berührungspunkt mit der Oberfläche von etwas“ uns räumlich und zeitlich Präsentem bezeichnet, bedeutet ‚Unmittelbarkeit‘ im zweiten Fall „gleichsam die Oberfläche, die ein Selbst einschließt: Wir können sie berühren, aber nicht durchdringen.“³⁰⁸ Als eine solche unhintergehbare Selbstbezüglichkeit, als eine Unmittelbarkeit an und für sich ³⁰⁹ verstanden, kann das Unmittelbare nicht in der Vermittlung aufgehen, durch Reflexion erschlossen werden, ohne eben dadurch den Status der Unmittelbarkeit zu verlieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Unmittelbare sich jeder Beziehung zu ihm schlechthin entziehen würde: Selbst eine opake Oberfläche kann von uns, auch wenn wir sie nicht durchdringen können, dennoch berührt und auf diese Weise – zumindest im Umriss – beschrieben werden, womit de facto eine Beziehung von uns zu diesem Unmittelbaren und insofern Vermittlung besteht.³¹⁰ Unmittelbarkeit bedeutet also nicht Vermittlungslosigkeit, Negation von Vermittlung überhaupt, ohne dass deshalb – zumindest für Kierkegaard, wie zu zeigen sein wird – jede Form von Unmittelbarkeit entweder Ausgangspunkt oder Ergebnis von Vermittlung, d. h. entweder unbestimmte, (noch) unvermittelte oder (in sich) vermittelte Unmittelbarkeit wäre.³¹¹ Ungeachtet der zu Beginn dieses Abschnittes rekapitulierten Kritik Kierkegaards an der Gleichsetzung des Glaubens mit einem solchen Unmittelbaren, dessen Unmittelbarkeitsstatus erst noch aufgehoben werden muss, hat sich jedoch an anderen Stellen dieser Untersuchung gezeigt, dass der junge Kierkegaard dem Glauben durchaus eine Form von Unmittelbarkeit zuschreibt, ohne dass deshalb jede Form von Unmittelbarkeit Glaube wäre: (1) Bei der Bestimmung des
δεῖξαι, μηδ᾽ ἀνάγκη ἔχειν τὸν μαθησόμενόν τι· ἣν δ᾽ ἀνάγκη ἔχειν τὸν ὁτιοῦν μαθησόμενον, ἀξίωμα) sowie II 9, 93b21– 23 (ὥστε δῆλον ὅτι καὶ τῶν τί ἐστι τὰ μὲν ἄμεσα καὶ ἀρχαί εἰσιν, ἃ καὶ εἶναι καὶ τί ἐστιν ὑποθέσθαι δεῖ). Arndt, Unmittelbarkeit, S. 6 f. Vgl. ibid., S. 7 f. Auch eine unmittelbare, nicht durch ein Drittes vermittelte Beziehung zweier Relate ist gleichwohl eine Beziehung zwischen eben diesen beiden Relaten und insofern Vermittlung. Ein gutes Beispiel zur Veranschaulichung dieser Ambiguität findet sich in „Die unmittelbaren erotischen Stadien“ in Entweder – Oder I, wo A das Verhältnis von Musik (Unmittelbarkeit) und Sprache (Reflexion) als das Verhältnis zweier aneinander grenzender, sich aber nicht durchdringender ‚Reiche‘ beschreibt, vgl. SKS 2, 64 / EO1, 59 f. und SKS 2, 71– 73 / EO1, 68 – 71. Vgl. ferner SKS 4, 200 / FZ, 128. Hegel könnte dies freilich nicht gelten lassen, hat für ihn doch – indem die Philosophie die unbestimmte Unmittelbarkeit des reinen Seins vermittelt – jedwede Unmittelbarkeit nunmehr nur den Schein von Unmittelbarkeit, weshalb sie ihres Vermitteltseins zu überführen ist (siehe Kap. 2.3.3).
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Glaubens als erfahrungsunabhängiger, weil prinzipieller ‚apriorischer Sicherheit‘ in der Aufzeichnung Papir 81:1 (Jahreswende 1836/37)³¹² bzw. bei der Herausstellung des apriorischen Charakters des Glaubens als einer von keiner Erfahrung und durch keinen Zweifel mehr zu erschütternden ‚Sicherheit‘ oder ‚Gewissheit‘ in den Aufzeichnungen DD:79 (6. November 1837), DD:134 (23. August 1838), Not5:20 (Sommer 1840) sowie an der Kernstelle der Erstlingsschrift.³¹³ (2) Bei der Bestimmung des Glaubens als des aus dem ‚allgemein menschlichen unmittelbaren Bewusstsein‘ unableitbaren, weil von diesem und jedem präreflexiven, den Keim zu seiner Überwindung in sich tragenden Bewusstsein radikal zu unterscheidenden ‚unmittelbaren Bewusstseins‘ des Christentums in der Aufzeichnung AA:22 (19. März 1837).³¹⁴ (3) Bei der von Erdmann abweichenden Charakterisierung des (supranaturalistischen) Glaubens als eines eine völlige Veränderung des Bewusstseins in sich begreifenden ‚neuen Bewusstseins‘, als das sich der Glaube als unvermittelbar mit dem Standpunkt des Nichtwissens erweist, in der Aufzeichnung Not4:44 (4. Dezember 1837).³¹⁵ (4) Bei der Charakterisierung des Übergangs vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung in der Aufzeichnung Not5:23 (Sommer 1840), derzufolge die im Glauben erlangte „Gewissheit der Vergebung der Sünden“ als Setzung einer neuen Qualität „niemals“ aus dem ihr vorhergehenden Sündenbewusstsein „herausdemonstrier[t]“ werden oder daraus „mit innerer Konsequenz“³¹⁶ hervorgehen kann. An allen diesen Stellen wird der Glaube als ein solches Unmittelbares charakterisiert, das trotz seiner geschichtlichen Bedingtheit – nämlich insofern, als der Glaube konstitutiv auf ein bestimmtes geschichtliches Faktum bezogen ist – kein Ergebnis von Vermittlung, vermittelte Unmittelbarkeit ist. Allerdings hat sich Kierkegaard – von der Bestimmung des Glaubens als des ‚unmittelbaren Bewusstseins‘ des Christentums in AA:22 einmal abgesehen – zur Charakterisierung dieser Unmittelbarkeit des Glaubens nicht des Begriffs der Unmittelbarkeit bedient. Vielmehr war ‚das Unmittelbare‘ bisher gerade das, wovon der Glaube abgesetzt, abgegrenzt wurde: der Glaube ist nicht ‚das erste Unmittelbare‘ (Papir 92), sondern ‚eine konkretere Bestimmung als das Unmittelbare‘ (Not5:23). Dies hat sich nun mit der Aufzeichnung Papir 289 geändert, in der Kierkegaard „das ganze
Vgl. SKS 27, 109, Papir 81:1 / T 1, 50 (siehe Kap. 1.6); zum Verhältnis von Unmittelbarkeit und Prinzip vgl. ferner oben Anm. 307. Vgl. SKS 17, 247, DD:79 / DSKE 1, 213 (siehe Kap. 2.4.3); SKS 1, 32 / LP, 63 (siehe Kap. 2.5.1) und SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228 (siehe Kap. 2.5.2). Vgl. SKS 17, 41 f., AA:22 / DSKE 1, 43 f. (siehe Kap. 2.2.2). Vgl. SKS 19, 167, Not4:44 / DSKE 3, 177 (siehe Kap. 2.4.2.4). SKS 19, 186, Not5:23 / DSKE 3, 196 (siehe Kap. 3.3.2.2).
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christliche Leben“ nach den Momenten des Unmittelbaren, des Mittelbaren und der Identität ordnet. Als ein „vollständiges“ habe das christliche Leben sein „1) Unmittelbares, d. h. den Glauben (von dem, was in der rein menschlichen Entwicklung das Unmittelbare genannt wird, dadurch verschieden, dass es ein geschichtliches Dazwischenstehendes gibt – Sünde etc.), und dennoch unmittelbar. Der Glaube ist zugleich er selbst und die Bedingung seiner selbst, das Subjektivste und das Objektivste [Umiddelbare ɔ: Troen (forskjellig fra det, der i den blot humane Udvikling kaldes det umidd. derved, at der er et historisk Mellemværende – Synd etc.) og dog umidd. Troen er paa eengang sig selv og Betingelsen for sig selv, det meest subjektive og det meest objektive] (der Glaube kann sich also niemals von diesem: ich glaube emanzipieren, auch wenn dieses ‚Ich‘ ein ideales Ich ist). (Das Streben des Wissens ist es gerade, das Ich in seinen Gegenstand verschwinden zu lassen, das des Glaubens, es in und mit dem Gegenstand zu konservieren. / 2) Mittelbares, d. h. die Kirche. (entspricht dem, was der Staat auf dem rein humanen Standpunkt ist. / 3) Identität, wodurch jede äußere Erscheinung der Kirche überwunden ist, jedoch nicht so, dass die Kirche dadurch aufgehoben ist, sondern so, dass das Individuum jetzt nicht nur ein Moment in derjenigen Ordnung der Dinge ist, welche die Kirche ist, nicht durch das Sichtbare zum Unsichtbaren strebt, sondern kraft des Unsichtbaren (das im Einzelnen nicht nur [gegenwärtig] ist, sofern er Moment des Ganzen ist, sondern dem Einzelnen einwohnt [der er i den Enkelte ikke blot som Moment for det Hele men som blivende i den Enkelte]) das Sichtbare durchdringt und sich im Sichtbaren vollzieht.“³¹⁷
Der Glaube als das Unmittelbare des christlichen Lebens unterscheidet sich von dem Unmittelbaren ‚in der rein menschlichen Entwicklung‘ also dadurch, dass
SKS 27, 282, Papir 289 / T 1, 281 f. (B-fort. 408; KA, A pk. 42; meine Übers.). Gerdes übersetzt ‚Mellemværende‘ – bereits zu Kierkegaards Zeit und heute gewöhnlich im Sinne von ‚Auseinandersetzung‘, ‚(unentschiedene) Streitfrage‘ oder ,Abrechnung‘ gebraucht – entsprechend der Zusammensetzung des Wortes (‚Dazwischen-Seiendes‘) mit „Zwischenglied“ (T 1, 281), wodurch der Aspekt verloren geht, dass dieses Etwas, das dazwischen ist, ein Auszugleichendes in dem Sinne ist, dass es beglichen werden muss (vgl. auch SKS 7, 240 / AUN1, 259 (samt AUN1, 350, Anm. 594); SKS 8, 22 / LA, 19; SKS 1, 161 / BI, 110). Gerdes und im Anschluss an ihn Krichbaum übersehen zudem, dass ‚Troen‘ in „og dog umidd. Troen er paa eengang sig selv og Betingelsen for sig selv“ eine bestimmte Form des Substantivs ist und deshalb nicht durch das den ersten Satz zugleich abschließende Adjektiv ‚umidd.[elbar]‘ näher bestimmt sein kann, wenn sie übersetzen: „und doch ist der unmittelbare Glaube zugleich er selbst und die Bedingung für sich selbst“ (T 1, 281 bzw. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 369; denkbar und möglich wäre auch, dass es sich bei ‚umidd.‘ um die unbestimmte Substantivierung ‚Unmittelbares‘ handelt; die fehlerhafte Kleinschreibung dieses substantivierten Adjektivs spräche jedenfalls nicht dagegen, begegnet eine solche in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen doch auch an anderen Stellen, vgl. z. B. SKS 27, 112, Papir 92 (vgl. Kap. 1, Anm. 191): „det første umidd.“). Dies ergibt jedoch einen erheblichen Bedeutungsunterschied, zumal Kierkegaard dann allein an dieser Stelle seines Werkes – und im Unterschied zu den anderen Stellen, an denen er diesen Ausdruck verwendet, vgl. Kap. 1, Anm. 192 – affirmativ vom christlichen Glauben als ‚unmittelbarem Glauben‘ spräche.
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ihm, obwohl er unmittelbar ist, die ‚Sünde etc.‘ als ‚ein geschichtliches Dazwischenstehendes‘ vorhergegangen ist. Die Unmittelbarkeit des Glaubens ist keine unbestimmte, (noch) unvermittelte Unmittelbarkeit des Anfangs, sondern trägt den Charakter einer wiederhergestellten Unmittelbarkeit.³¹⁸ Der Umstand, dass dieser Unmittelbarkeit des Glaubens etwas vorhergegangen ist, impliziert aber nicht, dass der Glaube daraus auch hervorgegangen, vermittelte Unmittelbarkeit ist. Der Glaube ist vielmehr ‚zugleich er selbst und die Bedingung seiner selbst‘, wobei die daran sich anschließende Bemerkung, der Glaube sei zugleich ‚das Subjektivste und das Objektivste‘, eine Reminiszenz an Kierkegaards Auseinandersetzung mit Grundtvig vom Frühsommer 1835 ist.Wie in Kapitel 1.3 gezeigt, war es Kierkegaard schon damals an der Betonung der für den Glaubensvollzug des Einzelnen unabdingbaren wesentlichen Subjektivität gelegen, welche in Bezug auf die Kirche „vorbildlich darin“ ausgedrückt sei, „dass das Objektivste: das Glaubensbekenntnis folgendermaßen beginnt: Ich glaube.“³¹⁹ Auch gut fünf Jahre später in Papir 289 hat Kierkegaard an dieser Bestimmung festgehalten und betont, dass der Glaube vom Ich als dem Subjekt des Glaubens niemals losgelöst werden könne, auch wenn dieses, wie im Glaubensbekenntnis, ein ‚ideales Ich‘³²⁰ sei. Aufgrund seiner wesentlichen Bezogenheit auf ein bestimmtes geschichtliches Faktum als Bedingung und Voraussetzung ist der Glaube weder unbestimmte
Zur Unterscheidung von unvermittelter Unmittelbarkeit und durch die Vermittlung hindurchgegangener, wiederhergestellter Unmittelbarkeit siehe Kap. 2.3.3. SKS 27, 112, Papir 91 / T 1, 45 (meine Übers. unter Berücksichtigung der Konjektur Ammundsens; siehe Kap. 1.3). Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich dieser Aussagen mit Kierkegaards Notizen zu Martensens Dogmatikvorlesung (Wintersemester 1837/38) in SKS 19, 142, Not4:12 / DSKE 3, 149 f. (10. Vortrag): „In der älteren Metaphysik war Identität von Denken und Sein, der Gedanke enthält das Objekt. Im Glauben ist die unmittelbare Identität von Denken und Sein. Der Glaube ist der tiefste Akt im Menschen, er ist der eigentliche Akt der Freiheit, das bin ich, der den Glauben ergreift, aber andererseits ist auch Gott zugegen, das ist die Gnade, ohne den Geist kann niemand glauben, im Glauben habe ich Gott, wie sollte der Glaube sonst die Seligkeit involvieren? Ebenso im Gewissen, das im Grunde das Subjektivste und das Objektivste zugleich ist, das bin ich selbst, das ist das bessere ‚Ich‘ in mir, das spricht, und andererseits gibt es eine Macht in seinen Äußerungen, eine Heiligkeit in seinen Geboten, so dass es zugleich Gott ist“ (dt. Übers. modifiziert). Die Verwandtschaft dieser Deutung des Gewissens – sei es, dass es sich dabei um Martensens Interpretation der Position der eingangs angesprochenen ‚älteren‘ (d. h. vorkantischen) Metaphysik handelt, oder sei es, dass dies seine eigene Position ist – in diesem Abschnitt, der in dem in Kierkegaards Nachlass erhaltenen Kollegheft zu dieser Vorlesung jedoch nicht enthalten ist (vgl. Pap. II C 25 (in Bd. XII), S. 291,25 – 293,15 zusammen mit SKS 19, 141,7– 143,11, Not4:12 / DSKE 3, 148,33 – 151,5), mit Kierkegaards Aussagen über den Glauben ist nicht von der Hand zu weisen.
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noch bedingungs- und voraussetzungslose Unmittelbarkeit. Trotz seiner geschichtlichen Bedingtheit ist die Unmittelbarkeit des Glaubens aber keine vermittelte Unmittelbarkeit, sondern im Sinne einer unhintergehbaren, keiner weiteren Begründung zugänglichen Selbstbezüglichkeit zu verstehen, mithin als eine Unmittelbarkeit an und für sich, als die das Unmittelbare des Glaubens nicht vermittelt werden kann, ohne eben dadurch den Status dieser Unmittelbarkeit zu verlieren. Von den Bemerkungen des jungen Kierkegaard ist es nur ein Schritt zu seinem späteren Verständnis des Glaubens als ‚neuer Unmittelbarkeit‘³²¹ – ein Schritt, weil der spätere Kierkegaard diese die Reflexion zwar zur Voraussetzung habende, daraus aber nicht durch Vermittlung oder ohne Weiteres (d. h. ohne Sprung) hervorgegangene postreflexive Unmittelbarkeit des Glaubens in wesentliche Beziehung zum ‚absoluten Paradox‘ des Gottmenschen setzt, von dem sich jedoch in Papir 289 ebenso wenig wie überhaupt in den Journalen und Aufzeichnungen des jungen Kierkegaard auch nur eine Spur findet.³²² In Übereinstimmung mit Hamanns Hervorhebung der Indifferenz der christlichen Glaubenswahrheiten gegenüber der Frage der Wahrscheinlichkeit, wie sie der junge Kierkegaard bereits zu Beginn seiner intensiven Beschäftigung mit dem Magus in Norden in der Aufzeichnung Papir 185 vom 12. September 1836 festgehalten hatte³²³, argumentiert Climacus in den Philosophischen Brocken (1844), dass von dem „Wahrscheinlichkeitsbeweis…kein unmittelbarer Übergang zum Glauben besteht, da…der Glaube keineswegs parteiisch für die Wahrscheinlichkeit ist, was vom Glauben zu sagen ja eine Verleumdung wäre. Falls jenes Faktum [scil. der Gott in der Zeit] als das absolute Paradox in die Welt kam, hilft all das Spätere nicht, denn dies bleiben in alle Ewigkeit [die] Konsequenzen eines Paradoxes, und also definitiv genauso unwahrscheinlich wie das Paradox, es sei denn, man würde annehmen, dass [die] Konsequenzen (die ja das Abgeleitete sind) rückwirkende Kraft bekämen, das Paradox umzuschaffen, was ebenso wahrscheinlich wäre, wie dass ein Sohn rückwirkende Kraft bekäme, seinen Vater umzuschaffen.“³²⁴
Am ‚absoluten Paradox‘ der Menschwerdung des ewigen Gottes zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Menschen als Gegenstand des Glaubens, der, „menschlich gesprochen, absurdeste[n] aller Absurditäten“³²⁵, kann der Verstand
Vgl. Kap. 1, Anm. 192. Siehe S. 365 und S. 369 ff. SKS 27, 149 f., Papir 185 (siehe Kap. 1.4.2). SKS 4, 291 f. / PB, 90 – 92 (meine Übers.); vgl. auch SKS 7, 54 / AUN1, 46: „die ‚Brocken‘ [haben] oft genug eingeschärft, dass es keinen direkten und unmittelbaren Übergang zum Christentum gibt“ (meine Übers.). SKS 21, 35, NB6:45 / T 3, 48.
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nicht anders als scheitern.³²⁶ Wie Kierkegaard vor allem in Auseinandersetzung mit Eiríksson³²⁷ und dessen Kritik an Kierkegaards Glaubensverständnis in der unter dem Pseudonym Theophilus Nicolaus veröffentlichten Schrift Ist der Glaube ein Paradox und „kraft des Absurden“? (1850)³²⁸ deutlich gemacht hat, kommt dem Absurden die Funktion eines Grenzbegriffs der Vernunft zu, durch welchen die Sphäre des Glaubens als „eine Sphäre für sich“³²⁹ vom Bereich der Verstandestätigkeit negativ abgegrenzt und so einer Konfusion beider entgegengewirkt wird: „Das Absurde ist das negative Kriterium für das, was höher als menschlicher Verstand und menschliches Wissen ist.“³³⁰ Was die Darstellung des Glaubens betrifft, müsse man deshalb darauf achten, „dass die Unmittelbarkeit, von der er [scil. der den Glauben Darstellende] spricht, die neue Unmittelbarkeit ist, und eben diese wird gesichert durch das negative Merkmal.“³³¹ Eiríksson habe weder verstanden, dass das Absurde als Grenzbegriff untrennbar mit dem Glauben verbunden sei³³², noch habe er die spezifische Perspektive der Pseudonyme Johannes de silentio und Johannes Climacus berücksichtigt, mittels derer er, Kierkegaard, den Glauben vom Standpunkt des Nichtglaubens aus dargestellt habe, nämlich negativ: mit Hilfe des Absurden. Für einen Dritten verhalte sich der Glaubende „kraft des Absurden, so muss der Dritte urteilen; denn der Dritte ist ja nicht in der Leidenschaft des Glaubens.“³³³ Der Glaubende selbst aber habe eine andere Sicht der Dinge:
Vgl. SKS 4, 242– 252 / PB, 34– 46; SKS 4, 255 f. / PB, 49; SKS 4, 263 f. / PB, 59; SKS 7, 193 / AUN1, 201 f.; SKS 7, 198 – 201 / AUN1, 208 – 211; SKS 7, 345 / AUN2, 83; SKS 7, 506 – 508 / AUN2, 267– 270; SKS 7, 511 f. / AUN2, 273 – 275; SKS 7, 526 f. / AUN2, 291 f. Vgl. Pap. VII-1 B 87– 92; Pap. VIII-2 B 175 – 176; Pap. X-6 B 68 – 82 / (teilweise übersetzt in T 5, 384– 388 und 408 f. (Anm. 352, Anm. 357, Anm. 360 und Anm. 365)) sowie SKS 23, 176 f., NB17:19 / T 4, 142; SKS 23, 177 f., NB17:21; SKS 23, 182 f., NB17:28 / T 4, 145; SKS 23, 197 f., NB17:50. Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit Eiríksson vgl. Schreiber, „Magnús Eiríksson: An Opponent of Martensen and an Unwelcome Ally of Kierkegaard“, S. 71– 86; zur folgenden Argumentation zudem Schreiber, „Glaube und ‚Unmittelbarkeit‘ bei Kierkegaard“, S. 412– 417. Magnús Eiríksson [Theophilus Nicolaus], Er Troen et Paradox og „i Kraft af det Absurde“? et Spørgsmaal foranlediget ved „Frygt og Bæven, af Johannes de silentio“, besvaret ved Hjelp af en Troes-Ridders fortrolige Meddelelser, til fælles Opbyggelse for Jøder, Christne og Muhamedanere, af bemeldte Troes-Ridders Broder, Kopenhagen 1850. Pap. X-6 B 79, S. 85 / T 5, 385; vgl. SKS 27, 487, Papir 408 / T 2, 243 f. Pap. X-6 B 80, S. 87 / T 5, 388 (dt. Übers. modifiziert); vgl. Pap. X-6 B 79, S. 85 / T 5, 385; Pap. X-6 B 80, S. 87 / T 5, 388 sowie die vor der Auseinandersetzung Kierkegaards mit Eiríksson entstandene Aufzeichnung SKS 23, 24, NB15:25 / T 4, 83. Pap. X-6 B 78, S. 84 / T 5, 387 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. Pap. X-6 B 79, S. 86. Pap. X-6 B 79, S. 85 / T 5, 385 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 23, 176, NB17:19 / T 4, 142 und SKS 23, 182 f., NB17:28 / T 4, 145. Zur Kritik an Eiríksson, die spezifische Perspektive von Kier-
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„Indem der Glaubende glaubt, ist das Absurde nicht das Absurde – der Glaube verwandelt es; aber in jedem schwachen Augenblick ist es ihm wieder mehr oder weniger das Absurde. Die Leidenschaft des Glaubens ist die einzige, die des Absurden Herr wird – wenn nicht, so ist der Glaube nicht im strengsten Sinne Glaube, sondern eine Art Wissen.“³³⁴
Zwischen der Sphäre des Glaubens und dem Bereich der Verstandestätigkeit verläuft eine Bruchlinie: „Diese Bruchlinie, historisch und existentiell gesehen, heißt ‚absurd‘.“³³⁵ Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Bemühungen des Verstandes zu ignorieren oder als irrelevant abzutun wären: „Die Aufgabe ist nicht, das Christentum zu begreifen, sondern zu begreifen, dass man es nicht
kegaards Pseudonymen missachtet zu haben, vgl. vor allem die mit „Über Theophilus Nicolaus“ überschriebene Journalaufzeichnung NB17:28: „Joh. Climacus erklärt selbst, dass er den Glauben nicht hat. Theophilus Nicolaus stellt [scil. bei seiner Kritik am Verständnis des Glaubens als Paradox und als ‚kraft des Absurden‘] den Glaubenden dar. Er merkt nun gar nicht, dass er konsequenterweise der Sache diese Wendung geben müsste: dass alles das, was Joh. Climacus sagt, ja nichts beweisen kann, da er selbst sagt, er habe den Glauben nicht, sei kein Christ. Aber dergleichen ahnt Theophilus Nicolaus nicht…Ich werde ohne Weiteres mit meinen Pseudonymen identifiziert, und dann wird etwas zusammengestoppelt, was – natürlich – viel mehr Leute verstehen; ja, natürlich!“ (SKS 23, 182 f., NB17:28 / T 4, 145; meine Übers.). Dass Kierkegaard diese im Jahre 1850 gegen Eiríksson herausgestellte qualitative Differenz zwischen der Perspektive des Glaubens und der des Nichtglaubens zum Beispiel in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) durchaus mitberücksichtigt wissen wollte, zeigt die vor dem Hintergrund der Lektüre von Baruch de Spinozas (1632– 77) Ethik entstandene Aufzeichnung Not13:39 von März 1846: „Es ist völlig richtig, dass die Wahrheit aus sich selbst verstanden werden muss, und dass deshalb alle fingierten Unterstützungsmittel, mit denen man sie besser und leichter verstehen will, Sinnestäuschungen sind, wie z. B. das Wunder, denn für den Glaubenden ist das Wunder gerade die Wahrheit, aber nicht die Wahrheit für den, der nicht den Glauben ergriffen hat. (dies habe ich selbst oft genug in der abschließenden Nachschrift aufgezeigt.)“ (SKS 19, 403, Not13:39 / DSKE 3, 442). Einen solchen Hinweis auf dieses Verhältnis von Wahrheit und Absurdität in der Nachschrift sehe ich an folgender Stelle: „das Kennzeichen der religiösen Sphäre ist, dass…das Positive am Negativen kenntlich ist (im Unterschied zur Direktheit der Unmittelbarkeit und zur relativen Direktheit der Reflexion)“ (SKS 7, 393 / AUN2, 140; dt. Übers. modifiziert; vgl. ferner den Kommentar zu DSKE 3, 442,16 (Not13:39) in DSKE 3, 888), wobei Climacus hierzu anmerkt: „Der Leser möge sich erinnern: die Offenbarung ist am Geheimnis kenntlich, die Seligkeit am Leiden, die Gewissheit des Glaubens an der Ungewissheit, die Leichtigkeit an der Schwierigkeit, die Wahrheit an der Absurdität; wird dies nicht festgehalten, so vermengen sich das Ästhetische und das Religiöse in einer gemeinsamen Verwirrung“ (SKS 7, 393 / AUN2, 140 (Anm.); dt. Übers. modifiziert). Pap. X-6 B 79, S. 85 / T 5, 385; vgl. Pap. X-6 B 68, S. 75 / T 5, 408 (Anm. 357) und SKS 23, 176, NB17:19 / T 4, 142. Hermann Deuser, „‚In kraft des Absurden‘. Die Verborgenheit des Glaubens bei Søren Kierkegaard“ (1987), in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 61– 72, hier S. 63; vgl. ferner S. 65 f.
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begreifen kann. Dies ist die heilige Sache des Glaubens, und die Reflexion ist daher dadurch geheiligt, dass sie auf diese Weise benutzt wird.“³³⁶ Dass das Unmittelbare des Glaubens als einer ‚Sphäre für sich‘ aber nicht nur ein aus der vorhergehenden Vermittlung nicht selbst hervorgegangenes Unvermitteltes, sondern auch ein der Vermittlung selbst entzogenes Unvermittelbares ist, zeigt sich daran, dass das Paradox des Glaubens sich (Anderen) nicht vermitteln, sich nicht kommunizieren lässt – Abraham etwa, wie Johannes de silentio in Furcht und Zittern (1843) schreibt, nachdem er den göttlichen Befehl zur Opferung Isaaks erhalten hat, „kann nicht mediiert werden,was auch so ausgedrückt werden kann: er kann nicht reden.“³³⁷ Als eine Unmittelbarkeit an und für sich ist das Unmittelbare des Glaubens allerdings nicht, wie oben bemerkt, jeder Beziehung zu ihm schlechthin entzogen. Obwohl der Glaube kein Gegenstand begrifflicher Durchdringung ist und nicht reflexiv eingeholt, erschlossen werden kann, kann er dennoch Gegenstand der Darstellung sein. Dabei gilt es aber, wie Kierkegaard gegen Eiríksson betont, die spezifische Perspektive des den Glauben Darstellenden zu berücksichtigen, da die Darstellung des Glaubens sowohl bei Johannes de silentio³³⁸ als auch bei Johannes Climacus³³⁹ vom Standpunkt des Nichtglaubens aus und damit mit Hilfe des Absurden erfolgt. Die Aufzeichnung Papir 289 nimmt in diesem Zusammenhang jedoch insofern eine Sonderstellung ein, als in ihr der Glaube als Setzung einer aus dem vorhergehenden Zustand unableitbaren neuen Qualität zugleich Voraus-Setzung, UrSprung einer anschließenden Entwicklung ist. Die als wiederhergestellte verstandene Unmittelbarkeit des Glaubens ist in dieser „noch in stark hegelianisierender Perspektive vorgetragenen Strukturanalogie des christlichen Lebens mit den humanen Existenzverhältnissen“³⁴⁰ zugleich auch vermittelnde Unmittelbarkeit³⁴¹, da sie als substantielle Einheit eines Prozesses Grund weiterer Vermittlung ist. Als das Unmittelbare des christlichen Lebens ist der Glaube erstes Moment und damit Ausgangspunkt einer „spekulative[n] Dialektik innerhalb des
SKS 21, 68, NB6:93 / T 3, 62 (dt. Übers. modifiziert); vgl. Pap. X-6 B 80, S. 87 / T 5, 388 sowie SKS 7, 21 / AUN1, 9; SKS 7, 24 / AUN1, 13 und SKS 7, 35 / AUN1, 24. SKS 4, 153 / FZ, 64 (meine Übers. und Hervorhebung); vgl. SKS 4, 150 / FZ, 60; SKS 4, 161– 163 / FZ, 75 – 78 sowie im Ganzen SKS 4, 172– 207 / FZ, 91– 138, vor allem SKS 4, 201 / FZ, 129 samt vorläufiger Ausarbeitung dieser Stelle in Pap. IV B 91:15. Vgl. vor allem SKS 4, 128 / FZ, 30; SKS 4, 130 / FZ, 33; SKS 4, 151 / FZ, 60 f.; SKS 4, 200 / FZ, 128; SKS 4, 207 / FZ, 137 sowie Pap. X-6 B 82, S. 88. Vgl. vor allem Climacus‘ Selbstcharakterisierung in SKS 7, 25 / AUN1, 14 und SKS 7, 560 / AUN2, 331; ferner SKS 23, 182 f., NB17:28 / T 4, 145. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 369. Zu diesem genuin hegelschen Gedanken, dass die wiederhergestellte Unmittelbarkeit zugleich auch vermittelnd ist, vgl. Arndt, Unmittelbarkeit, S. 23.
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Christlichen“³⁴², deren drittes Moment die höhere Einheit der beiden anderen darstellt, in der das Individuum ebenso wenig wie die Kirche einfach ‚aufgehoben‘ ist, da beide darin – weder gegeneinander noch statisch nebeneinander, sondern vielmehr – im dynamischen Verhältnis zueinander stehen und bestehen bleiben. Diese spekulative Momentaufnahme des christlichen Lebens in Papir 289, die Kierkegaards Eindringen in die hegelsche Gedankenwelt deutlich vor Augen führt, sollte in seiner denkerischen Entwicklung aber ebenfalls nur Moment bleiben. Weder in seinen Schriften noch in seinen Journalen und Aufzeichnungen hat der spätere Kierkegaard auf dieses dreigliedrige Schema einer christlich-spekulativen Dialektik zurückgegriffen.³⁴³ Was allerdings die Frage der Unmittelbarkeit des Glaubens betrifft, enthält diese Aufzeichnung gleichsam den begrifflichen Grund, auf dem Kierkegaard sein späteres Verständnis des Glaubens als postreflexiver oder ‚neuer Unmittelbarkeit‘ errichten sollte, welches er vom Verständnis des Glaubens als eines noch nicht in das Vermittelte übergegangenen, ersten ‚Unmittelbaren‘, bei dem man deshalb nicht ‚stehenbleiben‘ kann, streng unterschieden wissen wollte.³⁴⁴ Dem Glauben eignet eine Form von Unmittelbarkeit, ohne dass damit die Notwendigkeit oder auch nur die Möglichkeit einer Aufhebung dieser Unmittelbarkeit impliziert wäre. Die Deutung des Glaubens als Unmittelbarkeit ist ein deutlicher Beleg für Kierkegaards produktive Rezeption³⁴⁵ der hegelschen Philosophie, die sich als produktive eben auch darin erweist, dass Kierkegaard unter Rückgriff auf die
Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 582 (meine Hervorhebung). Insoweit kann Papir 289 als Ergänzungsarbeit zu Kierkegaards Skizze des ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH (siehe Kap. 3.3.1.2) verstanden werden. Ausnahmecharakter hat in diesem Zusammenhang auch die spätestens im Herbst 1840 (vgl. oben Anm. 147) entstandene Aufzeichnung Not5:9. Zu Beginn dieser in mancher Hinsicht unklaren, schwer zu übersetzenden Aufzeichnung betont Kierkegaard die Unerreichbarkeit der mit der Aneignung des Christlichen zuteilwerdenden Unmittelbarkeit für die ‚durch die Reflexion gegebene Mittelbarkeit und Dialektik‘, wobei er diese Unmittelbarkeit als der Reflexion vorausgehend, nicht aber, wie später, als ihr nachfolgend deutet: „Gerade weil mit dem christlichen ein ganz neues Leben im Menschen aufgeht, wird es unmöglich sein, etwas über die Unmittelbarkeit zu befinden, die der durch die Reflexion gegebenen Mittelbarkeit und Dialektik vorausgeht und in alle Ewigkeit vorausgehen wird, so auch bei der natürlichen Geburt, wenn die Seele in einem spontanen Verhältnis zur schöpfenden Gottheit zu denken ist, so ist ersichtlich, dass es eine rein metaphysische Frage bleiben wird, womit es anfängt, und das darüber reflektierende Individuum muss sich ja immer eines Verhältnisses zum Göttlichen bewusst bleiben, aber gerade weil die geistige Geburt selbst über allem Bewusstsein liegt, muss es sie ins Göttliche legen, und dass das einzelne Individuum darüber reflektieren kann, zeigt ja die Priorität des Göttlichen“ (SKS 19, 177, Not5:9 / DSKE 3, 187; dt. Übers. modifiziert). Vgl. Kap. 1, Anm. 192 und Anm. 195 sowie Kap. 2, Anm. 210. Zum Verständnis von ‚produktiver Rezeption‘ siehe Einleitung, S. 19.
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hegelsche Terminologie sich von der Position Hegels, zumindest wie sie durch Heiberg und Martensen (re)präsentiert wurde, kritisch abgesetzt hat, indem er für den Glauben eine Unmittelbarkeit reklamiert wissen will, „die nur durch ein SichLosreißen von der Vermittlung zu gewinnen ist“³⁴⁶. Diese Unmittelbarkeit des Glaubens als differentia specifica des Glaubens gegenüber anderen Formen von Unmittelbarkeit hat ihr τέλος nicht außer sich, sondern in sich selbst, weshalb es zu ihr nur den diskontinuierlichen Übergang des ‚Sprunges‘ geben kann.³⁴⁷
Arndt, „‚Neue Unmittelbarkeit‘“ (siehe Anm. 347), S. 210. Zur Position Hegels siehe Kap. 2.3.3. Zum ‚Sprung‘ siehe S. 308 – 310. Unbeschadet der Originalität seiner Position kann Kierkegaards Deutung des Glaubens als Unmittelbarkeit (im skizzierten Sinne) damit als Ausdruck und Teil eines allgemeineren Bestrebens in der Philosophie seiner Zeit verstanden werden, dem es gegen Hegels Konzeption der durchgängigen Vermittlung der Unmittelbarkeit an einer Konoder Restitution unvermittelter und unvermittelbarer Unmittelbarkeiten gelegen war. Sei es – um zwei Beispiele zu nennen – der vor allem wirklichen Erkennen mit dem Wesen der Vernunft selbst gesetzte, ihr „an- und eingeborene Inhalt“ beim späten Schelling (vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, „Einleitung in die Philosophie der Offenbarung oder Begründung der positiven Philosophie“, in Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Bd. 1– 14 in 2 Abt. (1. Abt.: Bd. 1– 10; 2. Abt.: Bd. 1– 4), Stuttgart und Augsburg 1856 – 61; 2. Abt., Bd. 3, 1858, S. 1– 174, hier S. 64; vgl. ferner S. 62– 67 sowie Kierkegaards Notizen zu Schellings Vorlesung über die „Philosophie der Offenbarung“ in Berlin (1841/ 42) in SKS 19, 306,17– 21, Not11:3 / DSKE 3, 334,25 – 29 vom 22. November 1841) – ein „unmittelbare[r] Inhalt[]“, der „kein Gegenstand, d. h. schon ein Seyendes, sondern nur die unendliche Potenz vom Seyenden ist“ (Schelling, „Einleitung in die Philosophie der Offenbarung“, S. 74). Oder seien es die „sinnlichen, d.i. wirklichen, Dinge[]“ bei Ludwig Feuerbach (1804– 1872), zu denen die Philosophie und überhaupt die Wissenschaft „hin zu kommen“ (Ludwig Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Zürich und Winterthur 1843, S. 69 (§ 44)) und nicht etwa auszugehen haben: „Das Sinnliche ist nicht das Unmittelbare in dem Sinne, daß es das Profane, das auf platter Hand Liegende, das Gedankenlose, das sich von selbst Verstehende sei. Die unmittelbare, sinnliche Anschauung ist vielmehr später als die Vorstellung und Phantasie“ (S. 68 f. (§ 44); vgl. auch S. 64 (§ 39). Zu diesem allgemeineren Bestreben in der Philosophie des Vormärz, in der sich eine Reihe von Philosophen unterschiedlicher Couleur gleichsam „unter der Fahne der Unmittelbarkeit“ (Arndt, Unmittelbarkeit, S. 16) versammelt und gegen Hegels Konzeption der absoluten Vermittlung auf Unmittelbarkeiten im Sinne eines Unbegreiflichen und Unverfügbaren berufen haben, vgl. Andreas Arndt, „‚Neue Unmittelbarkeit‘. Zur Aktualisierung eines Konzepts in der Philosophie des Vormärz“, in Philosophie und Literatur im Vormärz. Der Streit um die Romantik (1820 – 1854), hg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1995 (Philosophischliterarische Streitsachen, Bd. 4), S. 207– 233.
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3.3.2.5 „Die Idee des Christentums [ist] das Paradox“ (Not7:22) In der Aufzeichnung Not7:22 von vermutlich Ende 1840 heißt es lakonisch: „Die Idee der Philosophie ist die Mediation – die des Christentums das Paradox.“³⁴⁸ Während Kierkegaard in der Skizze seines ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH vom Sommer 1840 ‚die Idee der Mediation‘ als ‚Losung der neueren Philosophie‘ noch allgemein als den ‚Gegensatz zum Christlichen‘ bestimmt hat³⁴⁹, kontrastiert er hier erstmals in seinem Werk die Mediation als ‚Idee der Philosophie‘ mit dem Paradox als ‚Idee des Christentums‘. Nachdem der Begriff des Paradoxes in der Journalaufzeichnung FF:152 von Mitte 1838 als „eine allgemeine Kategorie des Denkens“³⁵⁰ mit den Motiven der Leidenschaft und der Unvollendetheit assoziiert und in der Journalaufzeichnung EE:79 vom 22. Mai 1839 gegenüber dem Begriff des Systems profiliert worden ist³⁵¹, wird er nun in Not7:22 in wesentliche Beziehung zum Christentum gesetzt. Diese Opposition von Mediation und Paradox entspricht auch der Position der Philosophischen Brocken (1844), die, wie Kierkegaard in der Journalaufzeichnung NB:47 von Oktober 1846 rückblickend bemerkt, geschrieben waren, „um gegen die Mediation zu kämpfen.“³⁵² Zwar wird der Begriff der Mediation in den Philosophischen Brocken selbst nur an zwei Stellen eher en passant³⁵³ und in den Ent SKS 19, 211, Not7:22 / DSKE 3, 226 (dt. Übers. modifiziert); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 7 in DSKE 3, 674 f. Vgl. SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129 (siehe Kap. 3.3.1.2). So Gerdes in Anm. 289 zu Pap. II A 755 [SKS 18, 104, FF:152 / DSKE 2, 107] in T 1, 377 (ohne Hervorhebung). Vgl. SKS 18, 104, FF:152 / DSKE 2, 107 und SKS 18, 31, EE:79 / DSKE 2, 30; siehe Kap. 3.2.2. Dagegen versteht Thomas die Aufzeichnung EE:79 als Ankündigung der Kritik an Hegels Methode der Vermittlung, vgl. Thomas, „Paradox“, S. 193. SKS 20, 47, NB:47 / DSKE 4, 51; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB in DSKE 4, 495 – 504, hier 499. Vgl. auch SKS 20, 47, NB:47 / DSKE 4, 49 samt Kommentar zu DSKE 4, 49,30 in DSKE 4, 527 f. (1) Am Ende des 1. Absatzes des 3. Kapitels: „So ist auch der menschliche Gang, wie die Naturforscher erläutern, ein fortgesetztes Fallen; aber ein adretter und bedächtiger Mann, der morgens ins Büro geht und mittags nach Hause, er meint vermutlich, das sei eine Übertreibung, denn sein Vorwärtsschreiten ist ja die Mediation; wie sollte er darauf verfallen, dass er beständig falle, er, der ja immer der Nase nach geht“ (SKS 4, 243 / PB, 35; meine Übers.). (2) Im letzten Satz des 5. Kapitels: „Hat man zu beginnen mit ‚jenem großen Denker und Weisen, dem executor Novi Testamenti, Pontius Pilatus‘, der ja in seiner Weise verschiedene Verdienste hat um das Christentum und die Philosophie, auch wenn er nicht die Mediation erfunden hat“ (SKS 4, 305 / PB, 107; meine Übers.). Dagegen betrachtet Stewart die Anspielung auf das Prinzip der Mediation an der zweiten Stelle am Ende des Buches als „indication of its centrality for the argument of the Fragments as a whole“ (Stewart, „The Paradox and the Criticism of Hegelian Mediation in Philosophical Fragments“ (siehe Anm. 361), S. 191), während er zur ersten Stelle eingangs des 3. Kapitels bemerkt: „Here Climacus simply alludes to the principle with a seemingly trivial
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würfen zu dieser Schrift und ihrer vorläufigen Ausarbeitung sonst überhaupt nicht erwähnt³⁵⁴, doch schreibt Climacus in seiner Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift zu den Philosophischen Brocken (1846): „‚Aber‘, sagt der Spekulant vielleicht, ‚wenn so das Christentum der Spekulation direkt entgegengesetzt, der absolute Gegensatz ist, so kann ich ja gar nicht dazu kommen, darüber zu spekulieren; denn alle Spekulation wurzelt in der Mediation, und darin, dass es nur relative Gegensätze gibt.‘…Die Spekulation lässt diese vorläufige Übereinkunft [scil. darüber, was Christentum ist] aus, deshalb glückt die Mediation. Ehe sie mediiert, hat sie schon mediiert, d. h. das Christentum in eine philosophische Lehre verwandelt. Sobald dagegen die Übereinkunft das Christentum als den Gegensatz zur Spekulation setzt, so ist eo ipso die Mediation unmöglich, denn alle Mediation befindet sich innerhalb der Spekulation. Ist das Christentum das Gegenteil der Spekulation, so ist es auch das Gegenteil der Mediation, weil die Mediation die Idee der Spekulation ist; was heißt es dann, es zu mediieren? Was aber ist das Gegenteil von Mediation? Das ist das absolute Paradox.“³⁵⁵
Wie die Untersuchung der Skizze des ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH zeigte, stand im Hintergrund nicht nur von Kierkegaards Rede von und Kritik an der Mediation, sondern auch von seiner Entgegensetzung von der ‚Idee der Mediation‘ und dem ‚Christlichen‘ die in seinem Umfeld stattfindende Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik.³⁵⁶ Dass eben diese Kontroverse, auf die Kierkegaard auch später vielfach explizit oder implizit Bezug genommen hat³⁵⁷, im Hintergrund auch seiner Kontrastierung der Mediation mit dem absoluten Paradox des Gottmenschen steht, die ClimacusSchriften in dieser Hinsicht nach Entweder – Oder (1843)³⁵⁸, Die Wiederholung (1843)³⁵⁹ und Der Begriff Angst (1844)³⁶⁰ also eine Fortsetzung der öffentlichen Stellungnahme Kierkegaards zu dieser Kontroverse bilden, wird deutlich ange-
example, but its placement at the beginning of the analysis of the paradox is significant“ (S. 193). Vgl. Ms. 1– 6 in SKS K4, 174– 181 (B-fort. 390, 415 – 416; L-fort. 388; KA, B pk. 14 læg 1– 3; Pap. V B 1– 40) sowie EP I-II, S. 329 – 333 (Pap. V B 41). SKS 7, 344 f. / AUN2, 83 (dt. Übers. modifiziert). Der Einwand des ‚Spekulanten‘ ist eine Reminiszenz an die Entgegensetzung von unvermittelbaren ‚absoluten Gegensätzen‘ (vgl. unten Anm. 362) und vermittelbaren ‚relativen Gegensätzen‘ in der Journalaufzeichnung EE:93 (14. Juni 1839), die Kierkegaards erste Reaktion auf die dänische Kontroverse um Hegels Logik ist; siehe Kap. 3.3.1.2. Siehe Kap. 3.3.1.1– 2. Vgl. oben Anm. 161 und Anm. 162. Vgl. SKS 2, 47 f. / EO1, 41 f. (samt Pap. III B 179:63); SKS 3, 164– 172 / EO2, 178 – 187 sowie oben Anm. 196. SKS 4, 25 f. / W, 21 f; vgl. ferner SKS 4, 56 f. / W, 59. Vgl. SKS 4, 310 / BA, [2] (samt SKS K4, 342 f.); SKS 4, 319,13 – 25 / BA, 8 f.
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sichts der Art und Weise, wie Heiberg und Martensen die Bedeutung der Idee der Mediation für das christologische Dogma herausstellen.³⁶¹ Wie in Kapitel 3.3.1.1.2– 3 dargestellt, haben Heiberg und Martensen in ihren Repliken auf Mynsters Beteuerung der Unvermittelbarkeit kontradiktorischer oder, nach Kierkegaards Sprachgebrauch, ‚absoluter Gegensätze‘³⁶² nicht nur Hegels Konzeption der Vermittlung (‚Mediation‘) als Aufhebung der unverminderten Gültigkeit des Exklusionsprinzips verstanden, sondern zugleich die theologischen Implikationen dieses eigentlich logischen Problems herausgestellt. Während Heiberg zufolge eine Gültigkeit des principium exclusi medii auch in der Sphäre des Idealen zur Folge hätte, dass „Christus…als medium zwischen Gott und dem Menschen exclusus sein“³⁶³ müsste, zeigt für Martensen gerade die Lehre vom Gottmenschen als „Mittelpunkt des Christentums“, „dass die christliche Metaphysik nicht in einem Entweder[‐]Oder ruhen“³⁶⁴, sondern die Wahrheit nur in dem Dritten finden könne, das durch das principium exclusi medii ausgeschlossen sei. Nicht nur die Idee der Inkarnation Gottes in Christus setze jedoch notwendig die Mediation des Übernatürlichen durch das Natürliche voraus, sondern auch Christi Eintritt in die Geschichte sei, obwohl Christus nicht „nach dem Laufe der
Ich stimme hier der Ansicht Stewarts zu, dass Kierkegaards Lehre vom Paradox in den Philosophischen Brocken als Kritik an bestimmten Aussagen Martensens in dessen Replik auf Mynster (vgl. oben Anm. 128) zu verstehen ist, vgl. Jon Stewart, „The Paradox and the Criticism of Hegelian Mediation in Philosophical Fragments“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 184– 207 (vgl. hiermit ders., Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 339 – 355). Gleichwohl halte ich es für unwahrscheinlich, dass die von Stewart S. 190 f. zum Beleg seiner Behauptung, „that the doctrine of the paradox is intended as a criticism of the doctrine of mediation and of the god-man“ (S. 190; meine Hervorhebung), herangezogenen Aufzeichnungen Not7:22, HH:2 und Not13:23 (siehe Anm. 372) tatsächlich im Sinne dieser Entgegensetzung von Mediation und christologischem Paradox zu verstehen sind. Am Ende seiner Abhandlung versucht Stewart schließlich (vor allem gegen Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 300 – 306) zu zeigen, dass Kierkegaard in den Philosophischen Brocken nicht so sehr Hegel selbst, sondern in erster Linie Martensen kritisieren wollte: „there are many indications that he does not reject the principle of mediation entirely but rather uses and incorporates it into the doctrine of the paradox“ (S. 204). Vgl. dagegen Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 19 (zusammen mit seiner dazu in Spannung stehenden Anm. 113 zu Pap. I A 229 [SKS 27, 144, Papir 176] in T 1, 365) und S. 38. Vgl. SKS 18, 34 f., EE:93 / DSKE 2, 33 f. (siehe Kap. 3.3.1.2) und das zu Anm. 355 gehörende Zitat aus SKS 7, 344 f. / AUN2, 83. Zu Kierkegaards Rede von ‚absoluten Gegensätzen‘, die meines Erachtens gleichbedeutend mit der von ‚unendlichen Gegensätzen‘ (vgl. z. B. SKS 12, 119 f. / EC, 107) ist, vgl. ferner SKS 2, 94 / EO1, 95; SKS 3, 226 / EO2, 252; SKS 18, 229, JJ:281 / DSKE 2, 236; SKS 7, 331 / AUN2, 68. Heiberg, „En logisk Bemærkning“, S. 445 f.; vgl. auch S. 451 (siehe oben Anm. 123). Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii“, S. 458.
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Natur“ hervortrete, durch den „Entwicklungsprozess[] des Geschlechtes…mediiert“³⁶⁵. Diese kurze Rekapitulation mag genügen, um zu verdeutlichen, dass Kierkegaards ‚Kampf‘ gegen „die nur allzu verbreitete Verwirrung der Mediation“³⁶⁶ als Einspruch gegen die von Heiberg und Martensen vollzogene Anwendung der Idee der Mediation auf das christologische Dogma zu verstehen ist. Kontradiktorische Gegensätze können nach Kierkegaard niemals vermittelt (‚mediiert‘), sondern als Manifestation einer coincidentia contradictorum nur repräsentiert werden: als das ‚absolute Paradox‘ des Gottmenschen.³⁶⁷ Zwischen dieser Opposition von Mediation und Paradox und der in der Aufzeichnung Not7:22 gibt es allerdings einen wichtigen Unterschied: Während es in den Philosophischen Brocken um das ‚absolute Paradox‘ des menschgewordenen Gottes geht, mit dem allein der Glaube als die „glückliche Leidenschaft“, worin „der Verstand und das Paradox im Augenblick glücklich zusammenstoßen“³⁶⁸, ins Einverständnis zu kommen vermag, ist in Not7:22 nur allgemein vom ‚Paradox‘ als ‚Idee des Christentums‘ die Rede. Falls Kierkegaard mit dem Paradox in Not7:22 etwas Konkret(er)es meint, so ist es angesichts der Tatsache, dass es Kierkegaard in der vor dem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit jener Kontroverse entstandenen Skizze in Journal HH um die anthropologische Problematik des Übergangs von der Existenz des Einzelnen vor dem Glauben zur christlichen Existenz gegangen ist, durchaus möglich, dass er hier ein anthropologisches oder hamartiologisches Paradox im Sinne hat.³⁶⁹ In Fortführung der Argumentation der Skizze in Journal HH ginge es in Not7:22 dann also um das Paradox, dass die Aneignung des Christentums nicht als Mediation der ‚alten‘, vorchristlichen und der ‚neuen‘, christlichen Existenz, sondern als ein diese beiden versöhnendes und dem Menschen dadurch einen totalen Neuanfang ermöglichendes Geschehen zu verstehen ist, bei dem ihm etwas radikal Neues und Anderes, aber nichts mit der menschlichen Natur Inkompatibles zuteilwird, da das
Ibid., S. 463; vgl. auch S. 459, S. 460 f. (siehe oben Anm. 132) und S. 466. SKS 20, 47, NB:47 / DSKE 4, 51. Die Einsicht, dass kontradiktorische Gegensätze nach Meinung Kierkegaards zwar nicht vermittelt, aber repräsentiert werden können, verdanke ich einem Hinweis von Christine AxtPiscalar. SKS 4, 261 / PB, 55 f. (meine Übers.); vgl. SKS 4, 264 / PB, 58 sowie ferner SKS 4, 159 / FZ, 73. Zu Kierkegaards unterschiedlichen Verwendungsweisen des Paradoxbegriffs bzw. den unterschiedlichen Sachverhalten, die Kierkegaard mit dem Wort ‚Paradox‘ bezeichnet wissen will, vgl. Schröer, Die Denkform der Paradoxalität, S. 69 – 81. Für eine andere Einteilung vgl. Jens Himmelstrup, „Terminologisk Register“, in Søren Kierkegaard, Samlede Værker, 2. Aufl., Bd. IXV, hg. von Anders Björn Drachmann, Johan Ludvig Heiberg und Hans Ostenfeldt Lange, Kopenhagen 1920 – 36; Bd. XV, S. 509 – 770, hier S. 658 – 664 (s.v. „Paradox“).
3.3 Die Zeit zwischen dem Examen und der Magisterabhandlung
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Christentum trotz seiner Andersartigkeit dem Menschen im Augenblick der Aneignung dennoch ‚natürlich‘ ist. Es ist aber ebenso möglich, ja vielleicht sogar wahrscheinlicher, dass Kierkegaard in Übereinstimmung mit den in Kapitel 3.2.2 aufgezeigten Hintergründen das ‚Paradox‘ pistologisch ³⁷⁰ verstanden hat. Ein wichtiges Indiz dafür ist der bemerkenswerte Umstand, dass Kierkegaard auf Not7:22 an eben der Stelle anspielen sollte, an der er zum ersten Mal in seinem Werk explizit vom Glauben als Paradox gesprochen hat. In seinem vermutlich Anfang 1843 entstandenen Exzerpt aus Gottfried Wilhelm Leibniz’ (1646 – 1716) Theodizee (1710) heißt es nämlich: „Was ich auf die Weise auszudrücken pflege, dass das Christentum im Paradox liegt, die Philosophie in der Mediation, das drückt Leibniz dadurch aus, dass er einen Unterschied macht zwischen dem, was über die Vernunft und was gegen die Vernunft ist. Der Glaube ist über die Vernunft. Unter Vernunft versteht er [scil. Leibniz], wie er an mehreren Stellen sagt, eine Verkettung von Wahrheiten (enchainement), ein Schließen aus Ursachen. Der Glaube kann deshalb nicht bewiesen, begründet, begriffen werden, denn es fehlt das Glied, das eine Verkettung ermöglicht, und was heißt das anderes, als dass er [ein] Paradox ist; denn dies ist gerade das Desultorische im Paradox, dem die Kontinuität fehlt, oder das jedenfalls nur rückwärts Kontinuität hat, das heißt, sich nicht ursprünglich als eine Kontinuität zeigt. Meiner Meinung nach soll mit der Paradoxie und Ungereimtheit des Christentums nichts anderes gesagt werden, als dass es die erste Form ist, sowohl in der Weltgeschichte als auch im Bewusstsein.“³⁷¹
Allerdings ist damit nicht bewiesen, dass Kierkegaard auch das ‚Paradox‘ bereits gut zwei Jahre zuvor in Not7:22 tatsächlich pistologisch verstanden hat. Was auch immer Kierkegaard mit dem ‚Paradox‘ in dieser Aufzeichnung meint, es ist je-
Zum pistologischen im Unterschied zum ontologischen und christologischen Paradox vgl. Wolfgang Janke, Existenzphilosophie, Berlin und New York 1982 (Sammlung Göschen, Bd. 2220), S. 56 und S. 87, worauf Schulz, „Rezeptionsgeschichtliche Brocken oder die Brocken in der deutschen Rezeption. Umrisse einer vorläufigen Bestandsaufnahme“ (2004), in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 1, op. cit., S. 115 – 186, hier S. 155, verweist. SKS 19, 390 f., Not13:23 / DSKE 3, 429 (dt. Übers. modifiziert); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 13 in DSKE 3, 857– 864, hier 859. Kierkegaard bezieht sich vor allem auf Gottfried Wilhelm Leibniz, „Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l’Homme et l’Origine du Mal“ (1710), in God. Guil. Leibnitii opera philosophica quae exstant latina gallica germanica omnia, hg. von Johann Eduard Erdmann, Bd. 1– 2 (mit fortlaufender Paginierung), Berlin 1839 – 40 (ktl. 620); Bd. 2, S. 468 – 629, hier S. 486 („Discours de la Conformité de la Foi avec la Raison“, § 23); vgl. ferner ders., Herrn Gottfried Wilhelms, Freyherrn von Leibnitz, Theodicee, das ist, Versuch von der Güte Gottes, Freyheit des Menschen, und vom Ursprunge des Bösen, hg. von Johann Christoph Gottsched, 5. Ausg., Hannover und Leipzig 1763 (ktl. 619), S. 31 f. („Abhandlung von der Uebereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft“, § 23) sowie den Kommentar zu DSKE 3, 429,9 – 20 in DSKE 3, 874.
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denfalls unwahrscheinlich, dass er dieses Paradox christologisch als Bezeichnung der Inkarnation verstanden hat. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass der Paradoxbegriff in Kierkegaards Werk bis Anfang des Jahres 1843 an keiner Stelle auf Christus bezogen wird.³⁷² Zudem hat Kierkegaard in der kurze Zeit vor Not7:22 entstandenen Aufzeichnung Not5:23 die im Glauben erlangte Gewissheit der Sündenvergebung an das geschichtliche Faktum des Auftretens Christi geknüpft, ohne darin ein besonderes Problem zu sehen. Vor allem aber legt sich die Vermutung, dass ‚das Paradox‘ in Not7:22 nicht im Sinne der Paradox-Christologie der Philosophischen Brocken zu verstehen ist, durch das Bild von Jesus Christus nahe, wie es Kierkegaard im ersten Teil seiner Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) im Gegenüber zur Person des Sokrates gezeichnet hat. Bevor diese Gegeneinanderstellung von Sokrates und Christus untersucht werden soll, ist jedoch auf die zeitlich zwischen Not7:22 und der Magisterabhandlung liegende Seminarpredigt Kierkegaards einzugehen, in der die bisher im Rückgriff auf Röm 8,38 f. bestimmte Glaubensgewissheit eine weitere wichtige Konkretisierung erfährt.
3.3.3 Kierkegaards Seminarpredigt (Papir 270) Die von Kierkegaard im Rahmen seiner Ausbildung am Kopenhagener Predigerseminar auf insgesamt sieben Blättern in Quart zu Papier gebrachte und in SKS als Papir 270³⁷³ registrierte Niederschrift einer Predigt über Phil 1,19 – 25³⁷⁴ befand sich
Die erste Stelle im Sinne der Paradox-Christologie der Philosophischen Brocken findet sich in der Journalaufzeichnung JJ:58 von vermutlich Ende Februar 1843, siehe Kap. 3.4.1.2 und Exkurs 2. Vgl. SKS 27, 245 – 257, Papir 270 / ES, 93 – 110 zusammen mit dem editorischen Bericht zu Papir 270 in SKS K27, 573 f. Zu Hintergrund und Interpretation der Seminarpredigt vgl. Hirschs Bemerkungen und Anmerkungen in ES, XIVf. und 184– 186 (Anm. 80 – 125); Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 133 – 158; Tilman Beyrich, Ist Glauben wiederholbar? Derrida liest Kierkegaard, Berlin und New York 2001 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 6) (zugleich Diss., Univ. Greifswald, 2000), S. 262– 266. Der nicht nach der Perikopenreihe vorgeschriebene Abschnitt Phil 1,19 – 25 lautet in NT1819: „Denn ich weiß, dass es mir zum Heil gereichen wird durch Euer Gebet und den Beistand des Geistes Jesu Christi, [20] nach meiner sehnlichen Erwartung und meiner Hoffnung, dass ich in nichts beschämt werde, sondern dass Christus mit aller Freimütigkeit, wie immer, so auch jetzt, an meinem Leib verherrlicht wird, es sei durch Leben oder durch Tod. [21] Denn für mich ist das Leben Christus, und Sterben ein Gewinn [Thi det at leve er mig Christus, og at døe en Vinding]. [22] Wenn aber mir das Leben im Fleisch Frucht aus meiner Arbeit schafft, dann weiß ich nicht, was ich wählen soll. [23] Denn ich werde von zwei Dingen bedrängt [Thi jeg staaer beknyttet imellem tvende Ting], indem ich Lust habe abzuscheiden und bei Christus zu sein;
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nach seinem Tod zusammen mit anderen Manuskripten in einer Kiste auf der unteren Ablage seines Schreibpults.³⁷⁵ Zwar ist diese fertiggestellte, aber unveröffentlicht gebliebene Seminarpredigt undatiert, doch geht aus dem Protokoll des Predigerseminars hervor, dass Kierkegaard sie am 12. Januar 1841 mittags in der Holmens Kirke gehalten hat.³⁷⁶ Um das darin zum Ausdruck kommende Glaubensverständnis konkretisieren zu können, ist zunächst die hierfür relevante Argumentation der Predigt nachzuzeichnen. Nach der situativen Verortung des Predigttextes im Leben des Apostels Paulus, der trotz des Erfolges seiner Tätigkeit im Diesseits um ein noch viel größeres und seligeres Jenseits wisse, sich aber dennoch voll rastlosem Tatendrang dem irdischen Leben zuwende („sich abermals zum Knecht aller“³⁷⁷ mache), und der Hervorhebung des Seltenheitswertes der hinter diesem Entschluss stehenden Gedanken des Apostels auch im Vergleich zu späteren Zeiten stellt Kierkegaard seine anschließenden Überlegungen über den Sinn der Worte „für mich ist das
denn dies wäre sehr viel besser; [24] aber im Fleisch zu bleiben ist nötiger um euretwillen. [25] Und dies weiß ich, und bin dessen gewiss, dass ich bleiben und bei Euch allen bleiben werde zu eurer Förderung und Freude im Glauben“. Die Unterschiede dieser dänischen Übersetzung zur Lutherübersetzung verdeutlicht ein Blick in die Kierkegaard vorliegende Karlsruher Bibelausgabe Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments (1836): „Denn ich weiß, daß mir dasselbe gelinget zur Seligkeit, durch euer Gebet, und durch Handreichung des Geistes Jesu Christi. [20] Wie ich endlich warte und hoffe, daß ich in keinerlei Stück zu Schanden werde; sondern daß mit aller Freudigkeit, gleichwie sonst allezeit, also auch jetzt, Christus hoch gepriesen werde an meinem Leibe, es sey durch Leben oder durch Tod. [21] Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. [22] Sintemal aber im Fleisch leben dienet mehr Frucht zu schaffen; so weiß ich nicht, welches ich erwählen soll. [23] Denn es liegt mir beides hart an: Ich habe Lust, abzuscheiden, und bei Christo zu seyn, welches auch viel besser wäre; [24] Aber es ist nöthiger, im Fleisch bleiben um euretwillen. [25] Und in guter Zuversicht weiß ich, daß ich bleiben, und bei euch allen seyn werde, euch zur Förderung und zur Freude des Glaubens“. So die Henrik Lunds Manuskriptverzeichnis (L-fort.) beiliegende „Ordnung der Papiere“; vgl. SKS K27, 573 samt Abbildung 3 auf SKS K27, 15; ferner SKS K27, 6 – 8. Vgl. den Auszug aus dem Protokoll des Predigerseminars in B&A, Bd. 1, S. 14 f. (Nr. XIV) (SKS-E, Dok 12, S. 300 f.) / ES, 95 f. (vgl. hierzu unten Anm. 403). Nebenbei sei erwähnt, dass sich Kierkegaard in seinem mit „S. Kierkegaard“ unterschriebenen Artikel „En lille Forklaring“, Fædrelandet, 1843, Nr. 1236 vom 16. Mai, Sp. 9921 f. (vgl. SKS 14, 61 / CS, 24 f.) gegen das Gerücht verwahrt hat, sich als Verfasser von Entweder – Oder verraten zu haben, da die Predigt am Ende von Entweder – Oder II („Das Erbauliche, welches in dem Gedanken liegt, dass wir Gott gegenüber allezeit Unrecht haben“, vgl. SKS 3, 320 – 332 / EO2, 361– 377), angeblich mit dieser Probepredigt identisch sei. SKS 27, 247, Papir 270 / ES, 99; vgl. I Kor 9,19.
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Leben Christus, und Sterben ein Gewinn“ (Phil 1,21)³⁷⁸ unter folgenden Leitgedanken: „Wir wollen bedenken, in welchem Sinne man sagen muss, für mich ist das Leben Christus, um hinzufügen zu können: das Sterben ist Gewinn.“³⁷⁹ Kierkegaard gibt allerdings keine einfache, bestimmte Antwort auf diese Frage, sondern führt verschiedene Situationen an, in denen man so sprechen könne.³⁸⁰ Ausgangspunkt dafür ist der von der Bibel statuierte Gegensatz zwischen dem Christlichen und dem Weltlichen, der sich mehr oder weniger stark im Bewusstsein jedes Gläubigen reproduziere³⁸¹,wobei Kierkegaard drei aufeinander folgende Zustände unterscheidet, die sich mit den Stichworten Unschuld,Verzweiflung und Glaube charakterisieren lassen. Der Zustand der Unschuld repräsentiere „eine Zeit“ im Leben des Zuhörers, „als du sorglos und unbekümmert fröhlich warst mit den Fröhlichen, weintest mit den Weinenden“³⁸². Der Gedanke an Gott manifestiere sich in diesem „in gewissem Sinne unschuldige[n] Leben, das sich selbst nie zur Rechenschaft zog“³⁸³, nur als Ingrediens der weltlichen Vorstellungen und Gefühle, ohne selbst eine Bedeutung zu haben. In einer „spätere[n] Zeit“ stelle sich dann ein Zustand der Resignation und stillen Verzweiflung ein, wenn einem der Himmel gleichsam verschlossen erscheine und jedes hin und wieder aufblitzende Sehnen und Ahnen sogleich wieder zermalmt werde „durch den Gedanken, du seiest ein Nichts und deine Seele verliere sich in dem unendlichen Raum“³⁸⁴. In diesem Zustand erscheine dem Menschen der Abstand zwischen Himmel und Erde als unendlich, wobei er fühle, dass der Friede nicht in dieser Welt, sondern im Himmel zu finden sein müsse. Auch der Gedanke an Gott trete nun ins Bewusstsein des Menschen, der sich aber von Gott vergessen und verlassen glaube, während ein innerer Trotz es ihm untersage, sich „unter Gottes gewaltige Hand“³⁸⁵ zu demütigen. Die Überwindung dieses nicht anders als ‚Tod‘ und ‚Finsternis‘ zu bezeichnenden Zustandes gelinge erst im Glauben. In Reminiszenz an die Beschreibung
Zu den Unterschieden der Übersetzung dieser Stelle in NT-1819 zur Lutherübersetzung vgl. oben Anm. 374. SKS 27, 250, Papir 270 / ES, 103 (meine Übers.). Dieser Umstand wird auch im Protokoll des Predigerseminars angemerkt: „Das Thema hat folgende Form: ‚in welchem Sinne man sagen muss‘, dass […], aber die Predigt ist nicht didaktisch, so dass sie bestimmt antwortet: ‚in diesem, in solchem Sinne‘ etc., dagegen hat der Verfasser mehrere unterschiedliche Situationen angeführt, in welchen ‚man sagen kann‘, dass […] (vgl. das Thema)“ (B&A, Bd. 1, S. 15 / ES, 96; meine Übers.). Vgl. SKS 27, 250, Papir 270 / ES, 103. SKS 27, 250, Papir 270 / ES, 103 (meine Übers.). Ibid. (meine Übers.). SKS 27, 251, Papir 270 / ES, 103 f. (dt. Übers. modifiziert). SKS 27, 251, Papir 270 / ES, 104.
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des Zustandekommens einer Lebensanschauung in der Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)³⁸⁶ ebenso wie an die Beschreibung der Aneignung des Christentums durch den Einzelnen (Stichwort: ‚Wiedergeburt‘) in der Skizze des ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH ³⁸⁷ und unter Einbeziehung des Motivs des allen Zweifel überwindenden ‚Sieges‘ des Glaubens (Not5:20 und Papir 264:4³⁸⁸) charakterisiert Kierkegaard diese Überwindung wie folgt: „Wenn dann aber die Hoffnung, die Botin des Himmels, in diese Finsternis eindrang,wenn du deiner Seele Gestalt neu geworden fühltest, die Kräfte des neuen Lebens in Dir sich regen fühltest; und wenn dann der überschwängliche Reichtum der göttlichen Gnade Dich überwältigte, so dass Du Dich so fröhlich fühltest, so reich, so voller Vertrauen, so sehr Deiner Gemeinschaft mit Gott vergewissert, so stark im Glauben, so brennend im Geist, so stark, allen listigen Anläufen des Versuchers zu widerstehen, so selig, dass Dir war, als läge alle Angst und alle Unruhe, aller Streit und alle Mühe, aller Zweifel und alle Furcht hinter Dir, bekämpft und besiegt, weit hinter Dir wie an einem heiligen, stillen Abend, ja, als wäre sogar der letzte Feind überwunden, als hättest du es nicht nötig, Dein Haupt zu neigen, um durch das Schattental des Todes zu wandern, sondern als wäre der Himmel offen und deine Hand schon ausgestreckt nach dem Kleinod, nach der Siegeskrone, welche für alle den Glauben Bewahrenden bereitet ist – ist es dann nicht jubelnd aus Dir hervorgebrochen: ich, der ich tot war, ich lebe?“³⁸⁹
In diesem Zustand der nicht lediglich als „eine himmlische Freude…in einem glücklichen Augenblick“ sich einstellenden Seligkeit vergewissere sich der Einzelne mit demütigem Dank der Gegenwart Gottes und spüre, dass „der klaffende Abgrund“ zwischen Gott und ihm ausgefüllt und mit Jesus Christus ein Weg zur Einheit Gottes und des Menschen gebahnt worden sei – „Sagtest du dann nicht, für
Siehe Kap. 2.5.1. Siehe Kap. 3.3.1.2. Siehe Kap. 3.3.2.1 und 3.3.2.3. SKS 27, 251 f., Papir 270 / ES, 104 f. (dt. Übers. modifiziert). Angesichts solcher und vieler anderer Sätze in der Probepredigt überrascht die Kritik im Protokoll des Predigerseminars nicht wirklich, dass die Predigt „ziemlich schwer“ sei und „eine für den gemeinen Mann freilich allzu große Höhenlage“ (B&A, Bd. 1, S. 14 / ES, 95; dt. Übers. modifiziert) habe. Wie schon in der Erstlingsschrift (siehe Kap. 2.5.2.1) sieht Hirsch auch an dieser Stelle eine Schilderung „der unaussprechlichen seligen Freude“ von Kierkegaards „eigene[r] Bekehrung am 19. Mai 1838“, vgl. ES, 184 (Anm. 96); vgl. dagegen Kap. 1, Anm. 128. Überhaupt hält Hirsch die Seminarpredigt für „ein biographisches Dokument ersten Ranges. Sie ist während der Verlobungszeit Kierkegaards in eben dem Augenblick geschrieben worden, als ihm die unübersteigliche religiöse und seelische Kluft zu Regine klar wurde und ihm eben damit das irdische Lebensglück für immer zerbrach“ (ES, XIV).
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mich ist das Leben Christus?“³⁹⁰ Allerdings füge der Apostel dem hinzu: ‚das Sterben ist ein Gewinn‘. Obwohl der Zuhörer wisse, dass „jene verklärten Augenblicke“ eine Verheißung auch für eine kommende Zeit enthielten und Unterpfand des Geistes für diese kommende Zeit seien, würde ein solches Wort in einem solchen Augenblick gleichwohl „ein Misstrauen gegen Gott“ bekunden, dessen Grund „in einer heimlichen Furcht“³⁹¹ liegen würde, Gottes Gnade und Barmherzigkeit wären vielleicht doch nicht jederzeit so überschwänglich groß. Jedoch vernehme der Einzelne in seinem Inneren auch noch eine andere Stimme: eine Dankbarkeit gegen Gott, die in dieser Welt in der Nachfolge des Apostels Paulus als „Gottes Mitarbeiter“³⁹² zu leben begehre, eine göttliche Berufung, deren wir uns durch Menschen wie Paulus als „Gottes auserwählte Rüstzeuge“ vergewisserten, „auf dass wir Gott preisen und ihm danken mögen“³⁹³. Bedeutet für den Einzelnen ‚das Leben‘ in diesem Sinne, d. h. im Dienste des Evangeliums, ‚Christus‘, stellt sich jedoch die Frage, inwiefern man dem wie Paulus hinzufügen kann, ‚das Sterben‘ sei ‚ein Gewinn‘. Damit ist weder gemeint, dass das Sterben als solches für den Menschen ein Gewinn sei, noch wird damit einem Sich-Fortsehnen aus der Welt das Wort geredet, welches in einer Flucht aus der Welt seinen Ausdruck findet, geht es für Kierkegaard doch nicht um eine Abwendung des Glaubenden von der Welt, sondern um dessen Zuwendung zu der Welt als ‚Mitarbeiter Gottes‘.³⁹⁴ Kierkegaard beantwortet diese Frage, indem er zwischen dem inneren und dem äußeren (Leben des) Menschen unterscheidet. Hierzu führt er zunächst verschiedene Zeugnisse des Geistes an, welche „alle auch die Verheißung für das gegenwärtige Leben“³⁹⁵ hätten, obgleich sie, die ihren Ort im Inneren des Menschen hätten, nicht zugleich im Äußeren gefasst werden könnten. So gebe es etwa „eine Freude, einen Sieg über die Welt“, welche, „auch
SKS 27, 252, Papir 270 / ES, 105 (meine Übers.); vgl. Joh 14,6. Ibid. SKS 27, 254, Papir 270 / ES, 107; vgl. SKS 27, 255, Papir 270 / ES, 108 sowie SKS 27, 253, Papir 270 / ES, 106: „Und bekanntest Du auch, dass Dein Friede und Dein Heil eine Gnadengabe seien, welche mit keinem Leben, keinem Werk, ja nicht einmal mit der ganzen Welt erworben oder verdient werden könnte, und brachtest Du auch dein Dankopfer beschämt und mit abgewandtem Angesicht, weil du fühltest, wie gering es sei, weil du fühltest, Gottes Gnade und Liebe würde dadurch, dass er es beachte, nur noch größer, oh, dann war ja doch nicht Unwahrheit, nicht Eitelkeit und Stolz in Dir, wenn du begehrtest zu leben“ (meine Übers.). Zum Ausdruck ‚Gottes Mitarbeiter‘ vgl. auch unten Anm. 664. SKS 27, 253, Papir 270 / ES, 106. Insofern greift Beyrichs Einschätzung, Kierkegaards Seminarpredigt sei „eine Predigt über die christliche Weise, sich den Tod zu geben“ (Beyrich, Ist Glauben wiederholbar?, S. 263), zu kurz. SKS 27, 254, Papir 270 / ES, 107; vgl. I Tim 4,8.
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wenn die Welt nichts von ihr verspürte“, sich „in der Stille der Nacht“³⁹⁶ laut bezeuge, ebenso wie es „eine Sorge nach Gott“ gebe, welche, der Welt müde, aus dieser keine Nahrung ziehe, da sie die Welt nicht mehr achte, „sondern stille und tief…Gott in ihrer Sorge“³⁹⁷ suche. Wie diese ‚Sorge nach Gott‘ genau zu verstehen ist, soll am und als Schluss dieses Abschnittes erörtert werden. An dieser Stelle interessiert vor allem die weitere Bestimmung des Verhältnisses von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, und zwar im Hinblick darauf, inwiefern sie für das Verständnis des Satzes, das Sterben sei ein Gewinn, von Bedeutung ist. Wenn die Empfindung, dass das Äußere, das sichtbare Auftreten, dem inneren Leben oft sehr unvollkommen entspreche („wir tragen ja alle den Geist in zerbrechlichen irdenen Gefäßen“³⁹⁸), einem die Schwäche und Gebrechlichkeit des irdischen Daseins zu Bewusstsein bringe, könne man nicht mit Recht sagen, das Sterben sei ein Gewinn, ist einem dann doch das Leben, das man in sich trage, nur umso wichtiger: „Auch in Beziehung darauf sprichst Du: für mich ist das Leben Christus.“³⁹⁹ Die Seligkeit des Einzelnen bestehe darin, dass dieses innere, im Vergleich zum äußeren entscheidende Leben in seinem ganzen Reichtum entfaltet und durchlebt werde: „Es gibt [ein] Leben in Dir, das sieht man nicht, das hört man nicht, das entzieht sich aller Beobachtung, das entflieht der Welt, mitten in der Verwirrung der Welt bist Du allein mit Deinem Gott….Dieses Leben ist ein verborgenes Leben, es ist uns verhüllt; denn unser Leben ist in Christus verborgen; es ist offenbar in uns; denn dieses Leben ist Christus in uns. Nicht unser Leben, sondern das Leben des Geistes in uns wächst ein göttliches Wachstum….Es gibt eine Gegenwart Gottes in uns…dein Gott nimmt Wohnung in Dir, ist in Dir, über alle Maßen, ist gegenwärtig in Dir, obwohl du es erst gewahr wirst in seinem Entschwinden.“⁴⁰⁰
Dieses nicht nur dem Blick der anderen verborgene, sondern auch der Introspektion unzugänglich bleibende innere Leben⁴⁰¹, welches eine Beständigkeit in sich habe, die man nicht sehen, deren einzelne Äußerungen man aber vernehmen könne, kenne nur Gott allein. Wenn dieses Leben wachse und zur Entfaltung gelange, „wenn der innere Mensch, auch wenn der äußere Mensch verdirbt, von Ibid. (meine Übers.). Ibid. (meine Übers.). Ibid.; vgl. II Kor 4,7. Vgl. ferner SKS 27, 255, Papir 270 / ES, 108. SKS 27, 255, Papir 270 / ES, 108 (dt. Übers. modifiziert). SKS 27, 255 f., Papir 270 / ES, 109 (dt. Übers. modifiziert; ohne Hervorhebungen); vgl. Kol 2,19. Vgl. SKS 27, 256, Papir 270 / ES, 110 (dt. Übers. modifiziert): „Denn ebenso wie dieses Leben die Welt flieht, entzieht es sich auch deiner eigenen Betrachtung, will nicht ein Besitztum dieser sein. Denn Selbstbetrachtung nährt Unruhe, und Unruhe nährt Anfechtung, und Anfechtung nährt Verzagtheit, und Verzagtheit hemmt das Wachstum und betrübt den Heiligen Geist.“
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Tag zu Tag erneuert wird, dann, ja dann können wir sagen: das Sterben ist Gewinn; nicht etwa, weil der Tod uns der Beschwerlichkeiten der Welt entledigt, sondern weil wir im Tode einen ganzen und ungestörten Besitz von dem gewinnen, was wir hier im Leben nur stückweise und unsicher zu eigen hatten.“⁴⁰² Der Gewinn des Sterbens besteht also nicht in der Befreiung von den Mühsalen der Welt, sondern in der Vollendung des inneren Menschen. Wenn aber Gott dereinst das, was im irdischen Leben verhüllt und verborgen geblieben sei, offenbar machen werde, „dann scheidest Du nicht von hier, denn du warst ja schon geschieden…dann verlierst Du nichts, sondern gewinnst alles. Amen!“⁴⁰³ Das Kriterium nicht nur für das rechte Verständnis, sondern gleichermaßen auch für das legitime Aussprechen des Satzes, dass das Sterben ein Gewinn sei, ist also das innere, im Menschen verborgene Leben, für das es im Äußeren keine Anhaltspunkte gibt. Mit dieser Bestimmung des Verhältnisses von Innerlichkeit und Äußerlichkeit ist im Prinzip die Position erreicht, die Kierkegaard noch bis zur Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) vertreten wird.⁴⁰⁴ Für die „Religiosität der verborgenen Innerlichkeit“⁴⁰⁵, wie in der Nachschrift die Religiosität A bezeichnet wird, wobei Kierkegaard an anderer Stelle ‚Religiosität‘ und ‚Innerlichkeit‘ geradezu synonym gebraucht⁴⁰⁶, kann es im Äußeren keinen adäquaten Ausdruck geben; die Innerlichkeit des Glaubens ist, wie es in Furcht und Zittern (1843) heißt, „eine neue Innerlichkeit“, die „dem Äußeren inkommensu-
SKS 27, 256 f., Papir 270 / ES, 110 (meine Übers.); vgl. II Kor 4,16 und I Kor 13,9.12. SKS 27, 257, Papir 270 / ES, 110 (dt. Übers. modifiziert). Der im Protokoll des Predigerseminars festgehaltene „Hauptanstoß“ der beiden Rezensenten der Predigt, Kierkegaards Kommilitonen Rasmus Theodor Fenger (1816 – 1889) und Ingvard Henrik Linnemann (1818 – 1892) (sowie vermutlich auch des Seminarleiters Balthasar Münter (1794– 1867), des Sohnes des Gründers des Predigerseminars Friedrich Münter (1761– 1830)), „richtete sich gegen das Ergebnis der Predigt, nämlich dies, dass der Tod nur für diejenigen ein Gewinn sei, für welche das ewige und verborgene Leben schon hier [auf Erden] aufgegangen ‚und zur Fülle der Mannheit Christi erwachsen ist‘ [vgl. SKS 27, 256, Papir 270 / ES, 110]. Das heißt, die große Menge der Menschen des einzigen Trostes berauben, den sie beim Tode haben, denn für sie ist das verborgene Leben noch nicht so aufgegangen. Wir sollen predigen, dass [‚]der Tod ganz allgemein ein Gewinn ist‘ für die große Menschheit, welchen Trost haben wir denn sonst übrig für den sterbenden Christen, der doch an die Gnade und das Erbarmen glaubt?“ (B&A, Bd. 1, S. 14 f. / ES, 95 f.; meine Übers.). Siehe Rück- und Ausblick, S. 417. SKS 7, 486 / AUN2, 245. Zur Rede Kierkegaards von ‚der verborgenen Innerlichkeit‘ [den skjulte Inderlighed] vgl. SKS 7, 430 f. / AUN2, 183; SKS 7, 451– 453 / AUN2, 207– 209; SKS 7, 457– 464 / AUN2, 213 – 221; SKS 7, 474 f. / AUN2, 231 f.; SKS 7, 486 ff. / AUN2, 245 ff.; SKS 7, 504 / AUN2, 265 f. Vgl. z. B. SKS 18, 174, JJ:107 / DSKE 2, 179: „Dass ein Mensch mit meiner Innerlichkeit, meiner Religiosität, sich so benehmen konnte!“ (dt. Übers. modifiziert).
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rabel“⁴⁰⁷ ist. Mit dieser Betonung der Innerlichkeit einher geht die der Subjektivität des Glaubens, die sich in Kierkegaards Seminarpredigt nicht zuletzt daran zeigt, dass die innerlich verborgene, subjektive Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott die Stelle der objektiven Instanzen Wort und Sakrament einnimmt.⁴⁰⁸ Das innere Leben als Ort dieser Erfahrung ist das, was den Menschen einen ‚Einzelnen‘ vor Gott werden lässt: „Die Gottesbeziehung ist gleichzeitig Voraussetzung und Ausdruck einer radikalen Vereinzelung.“⁴⁰⁹ Der Glaubende ist weder durch die Wirklichkeit ‚diesseitigen‘ Lebens⁴¹⁰ noch durch eine von ihm ersehnte Möglichkeit ‚jenseitiger‘ Seligkeit⁴¹¹ bestimmt, sondern ‚Diesseits‘ und ‚Jenseits‘ werden in der Innerlichkeit des Glaubens erst als solche qualifiziert. Diese insofern nicht äußerlich bestimmte Innerlichkeit, in der sich der Glaubende seiner Gemeinschaft mit Gott vergewissert und in der gleichsam ein Vorgeschmack der in ihrer endgültigen Verwirklichung noch ausstehenden ‚jenseitigen‘ Seligkeit schon im ‚Diesseits‘ genossen werden kann („dann scheidest Du nicht von hier, denn du warst ja schon geschieden“⁴¹²), bedingt keine Abwendung des Glaubenden von der Welt, sondern ermöglicht vielmehr seine Zuwendung zur Welt. Diese Freiheit des Glaubenden für die Welt gründet in seiner inneren Freiheit von der Welt.⁴¹³ Die von Kierkegaard zuerst in der Journalaufzeichnung DD:79 vom 6. November 1837⁴¹⁴ und dann an der Kernstelle der Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838)⁴¹⁵ jeweils im Rückgriff auf Röm 8,38 f. bestimmte Glaubensgewissheit wird von ihm in der Seminarpredigt also dahingehend konkretisiert, dass er diese in ihrer Er-
SKS 4, 161 / FZ, 75 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. hierzu Hirsch in ES, XV zusammen mit der Kritik Fengers in B&A, Bd. 1, S. 15 / ES, 96, dass sich Kierkegaard „gegen Ende zu sehr auf mystischem Boden bewege (‚der Segen des stummen Gebets, die Seligkeit des Schauens, Gottes Gegenwart in uns‘ [vgl. SKS 27, 256, Papir 270 / ES, 109]), statt von dem zu reden, was näher liegt, dem Wort und den Sakramenten“ (dt. Übers. modifiziert). Beyrich, Ist Glauben wiederholbar?, S. 265; vgl. auch S. 264. Vgl. SKS 27, 247, Papir 270 / ES, 99 f. samt Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 138 – 140. Vgl. SKS 27, 248 f., Papir 270 / ES, 101 samt Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 140 f. SKS 27, 257, Papir 270 / ES, 110 (dt. Übers. modifiziert). Zur Anwendung dieses „soteriologisch-eschatologischen Schemas des ‚Schon‘ und ‚Noch nicht‘“ auf Kierkegaards Argumentation vgl. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 153, der betont, dass „[d]as noch ausstehende ‚Noch nicht‘, der ‚Gewinn des Sterbens‘,…über das ‚Schon‘ als das im Leben Verwirklichte nicht grundsätzlich hinaus[geht].“ Vgl. ibid., S. 134 f. Siehe Kap. 2.4.3. Siehe Kap. 2.5.2.
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fahrungsunabhängigkeit gerade erst erfahrungsbedingende Gewissheit überdies als Voraussetzung tätiger Weltgestaltung und positiven Beweggrund des Handelns des Christen in der Welt versteht, und zwar, in der Nachfolge des Paulus⁴¹⁶, als ‚Mitarbeiter Gottes‘.⁴¹⁷ Wenn im Folgenden noch, wie angekündigt, auf die Frage der Deutung des Ausdrucks ‚Sorge nach Gott‘ [Sorg efter Gud] eingegangen wird, so auch deshalb, weil das Substantiv ‚Sorg‘, welches im Dänischen zu Kierkegaards Zeit neben ‚Sorge‘ vor allem ‚Kummer‘, ‚Leid‘ und ‚Trauer‘ bedeutet⁴¹⁸, in dieser Untersuchung bereits an zwei Stellen begegnet, eine nähere Erläuterung aber bisher unterblieben ist: Zum einen in der Skizze des ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH, wo es heißt, dass die ‚alte‘, vorchristliche Existenz des Einzelnen mit seiner ‚neuen‘, christlichen Existenz „keineswegs bloß sorglos [sorgløst] mediiert, sondern mit tiefem Leid [med dyb Sorg] versöhnt“⁴¹⁹ werde; zum anderen in der Aufzeichnung Papir 264:4, in der Kierkegaard den dem Glauben vorhergehenden und als existentiell zu charakterisierenden Zweifel, ob der Mensch nach dem Verlust seiner ursprünglichen Einheit mit Gott durch die Sünde diese Einheit wiedererlangen kann, als ‚Sorge‘ [Sorg] bestimmt.⁴²⁰ Die im Dänischen nicht weniger als im Deutschen ungewöhnliche Verbindung von ‚Sorg‘ mit der Präposition ‚efter‘ (‚nach‘)⁴²¹ begegnet in Kierkegaards Werk an
Zwar hat Kierkegaard in seinen veröffentlichten Schriften erst ab den Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist (1847) von Christus als ‚Vorbild‘ und von der ‚Nachfolge Christi‘ und ihren theologischen Konsequenzen gesprochen und beide Motive kehren in seinen Journalen und Aufzeichnungen sogar erst ab 1849 regelmäßig wieder (siehe Rück- und Ausblick, Anm. 146), doch ist das erstere Motiv bereits in der „älteste[n] christologische[n] Äußerung Kierkegaards“ und „Keimzelle seiner ganzen Christologie“ (so Hirsch in ES, 185 (Anm. 120)) in SKS 27, 256, Papir 270 / ES, 109 angedeutet: „Es gibt eine Seligkeit des Schauens; sie vereint, was Gott vereint hat, sie knüpft zusammen, was Gott zusammengeknüpft hat, den Menschen mit Gott und Gott mit dem Menschen; sie zeigt Dir das Bild Deines Herrn und Meisters, des Menschen Bild in Gott und Gottes Bild im Menschen, es [scil. das Bild] demütigt Dich mit dem Gedanken, wie unähnlich du ihm bist, und Du sinkst anbetend nieder, es erhebt Dich mit der Hoffnung, dass du ihm ähnlich werdest, und Du erhebst Dich demütig und vertrauend“ (dt. Übers. modifiziert). Vgl. auch Gerdes in der Anm. 424 zu Pap. II A 191 [SKS 17, 248, DD:80 / DSKE 1, 214] in T 1, 384, dass die „Analyse der Glaubensgewißheit des Paulus in der Seminarpredigt“ „einen erheblichen Fortschritt in der Reife der Erkenntnis“ im Vergleich zur Erstlingsschrift zeige. Vgl. Helms, Ny fuldstændig Ordbog, Bd. 1, S. 395 (s.v. „Sorg“). SKS 18, 125, HH:2 / DSKE 2, 129; siehe Kap. 3.3.1.2. Siehe Kap. 3.3.2.1. Vgl. Ordbog over det Danske Sprog, Bd. 20, 1942, Sp. 1477– 1483 (s.v. „Sorg“), wo diese Konstruktion bezeichnenderweise nicht angeführt wird.
3.3 Die Zeit zwischen dem Examen und der Magisterabhandlung
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insgesamt acht Stellen im Zusammenhang mit der Rede von Gott.⁴²² Die von Kierkegaard selbst geprägte Formel ‚Sorg efter Gud‘ findet sich dabei zuerst in der Journalaufzeichnung EE:16 vom 10. Februar 1839: „Darin zeigt sich die tiefe, durchgreifende Bedeutung der Erbsünde, dass alles Christentum im Einzelnen…mit Sorge anfängt – der Sorge nach Gott [Sorgen efter Gud].“⁴²³ Der Kommentar von SKS ⁴²⁴ versteht dies als Anspielung auf das Wort des Paulus in II Kor 7,10 (in NT-1819: „Denn die Traurigkeit nach Gott[es Willen] [Bedrøvelsen efter Gud] wirkt zur Seligkeit eine Reue, die nicht gereut wird; die Traurigkeit der Welt aber
Und zwar: SKS 18, 11, EE:16 / DSKE 2, 8; SKS 27, 254, Papir 270 / ES, 107; SKS 5, 248 / 3R44, 162; SKS 21, 121, NB7:86; SKS 8, 131 / ERG, 21; SKS 10, 273 / CR, 279; SKS 10, 281 / CR, 284; SKS 12, 287,15 – 21 / RAF, 23. SKS 18, 11, EE:16 / DSKE 2, 8 (dt. Übers. modifiziert). Dagegen übersetzt Gerdes in T 1, 185 (Pap. II A 360): „Darin zeigt sich die tiefe, durchgreifende Bedeutung der Erbsünde, daß alles Christentum im einzelnen mit Traurigkeit beginnt – göttlicher Traurigkeit.“ Vgl. ferner Liselotte Richters Übersetzung dieser Aufzeichnung in Existenz im Glauben. Aus Dokumenten, Briefen und Tagebüchern Sören Kierkegaards, Berlin 1956, S. 87: „Darin zeigt sich die tiefe, durchgreifende Bedeutung der Erbsünde, daß alles Christentum in dem Einzelnen mit Leid beginnt – dem Leid um Gott.“ Aus dem unmittelbaren Kontext von EE:16 von Interesse ist in diesem Zusammenhang die am 11. Februar 1839 entstandene Journalaufzeichnung EE:18 („Eine ebenso tiefe und heilige, eine ebenso innige und stille heilige Sorge [Sorg] wie die ästhetische Bekümmerung [Bekymring], mit der Lavater von der Befleckung spricht, mit der der Mensch das Bild Gottes in sich entstellt hat, insofern sich dieses Bild Gottes im Antlitz zeigt – dieser Klangfigur der Seele – eine solche religiös-moralische Sorge wäre die Grazie der rechten christlichen Sorge, insofern sie, ohne selbst unter die Bestimmungen der Verderbnis zu fallen, bloß den großen und tiefen Fall des Menschengeschlechts einfangen würde“, SKS 18, 12, EE:18 / DSKE 2, 8; dt. Übers. modifiziert) samt der dazugehörigen Randbemerkung EE:18.a („aber für eine derartige Sorge gibt es in der Welt keinen Platz, und wenn wir zuweilen Menschen sehen, die versuchen, sich in einer solchen Intuition zu verlieren, als ob das Ganze sie doch eigentlich nichts anginge, da lauten die Worte des Herrn: Frau, weine nicht über mich, sondern über Dich selbst“, SKS 18, 12, EE:18.a / DSKE 2, 8; dt. Übers. modifiziert). Vgl. den Kommentar zu SKS 18, 11,31 in SKS K18, 25. Auch Gerdes verweist in seinem Kommentar zu Pap. II A 360 [EE:16] in T 1, 392 (Anm. 538) auf II Kor 7,10. Vgl. Kierkegaards Anspielung auf diese Stelle in SKS 8, 128 / ERG, 17, wo er m.W. das einzige Mal in seinem Werk die Wendung ‚Bedrøvelsen efter Gud‘ gebraucht: „Es gibt also etwas, das ständig getan werden soll, etwas, das nicht im Sinne der Zeitlichkeit seine Zeit haben soll…: man soll Reue und Buße tun. Man darf von Reue und Buße nicht sagen, sie hätten ihre Zeit, es habe seine Zeit, sorglos [sorgløs] zu sein, und seine Zeit, zerknirscht zu sein in Reue; eine solche Rede wäre unverzeihlich langsam im Verhältnis zur bekümmerten Eile der Reue; sie wäre gottlos im Verhältnis zur Traurigkeit nach Gott[es Willen] [Bedrøvelsen efter Gud]“ (dt. Übers. modifiziert).
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wirkt den Tod“⁴²⁵), weshalb Kierkegaard ‚Sorg‘ hier in der Bedeutung von ‚Bedrøvelse‘ (‚Betrübnis‘, ‚Traurigkeit‘, ‚Kummer‘⁴²⁶) verwende. Sollte tatsächlich II Kor 7,10 den Hintergrund der Formel ‚Sorg efter Gud‘ bilden, wäre unter ‚Sorg‘ also diejenige Sorge zu verstehen, die in Übereinstimmung mit Gottes Willen ist, wobei Gott, wie Niels Jørgen Cappelørn bemerkt, sowohl als Objekt als auch als Subjekt dieser Sorge zu verstehen ist.⁴²⁷ Berücksichtigt man allerdings auch die anderen Stellen in Kierkegaards Werk, wird in den meisten Fällen aus dem Kontext ersichtlich, dass Gott nur das Objekt sein kann, auf das sich ‚Sorg‘ bezieht. Die Präposition ‚efter‘ (‚nach‘) in der Wendung ‚Sorg efter Gud‘ kann dann gerade nicht wie in II Kor 7,10 im Sinne von lat. secundum oder gr. κατὰ (‚gottgemäße oder gottgewollte Sorge‘ bzw. ‚Sorge nach/in Einklang mit Gott[es Willen]‘) verstanden werden, sondern gibt im Sinne von lat. in oder gr. εἰς das Ziel an, worauf sich die Sorge richtet. ⁴²⁸ Zwei Stellen aus Kierkegaards Reden mögen dies verdeutlichen:
Vgl. auch die Lutherübersetzung in der Karlsruher Bibelausgabe Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments (1836): „Denn die göttliche Traurigkeit wirket zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereuet; die Traurigkeit aber der Welt wirket den Tod.“ Vgl. Helms, Ny fuldstændig Ordbog, Bd. 1, S. 32 (s.v. „Bedrøvelse“). Niels Jørgen Cappelørn, „Longing for Reconciliation with God. A Fundamental Theme in ‚Friday Communion Discourses‘, Fourth Part of Christian Discourses“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2007, S. 318 – 336, hier S. 329: „Concerning ‘godly sorrow’ [Sorgen efter Gud; the sorrow according to God] another biblical reference is the source, namely, 2 Corinthians 7:9 – 10….‘godly sorrow’ (‘godly grief’) should be understood as a sorrow that is in accordance with God’s will. It is in this sense that God is in this sorrow, both as object and subject“; vgl. S. 329 f. (zur Stelle SKS 10, 273 / CR, 279). Vgl. ferner ders., „Gottebenbildlichkeit und Sündenfall“, S. 461. Dies zeigt sich auch an anderen Stellen, an denen ‚Sorge‘ nicht auf Gott bezogen ist, sondern z. B. auf ‚das Vergangene‘ (vgl. SKS 5, 239 / 3R44, 151) oder ‚das Himmlische‘ (vgl. SKS 18, 67 f., EE:193 / DSKE 2, 69 f.: „Nun wissen wir ja wohl, dass es viele Widrigkeiten in der Welt gibt, bei denen der eine Mensch dem anderen sehr helfen kann; aber wenn nun die Sorge eines Menschen auf das Himmlische gerichtet wäre, wenn dies, wonach er strebte [Sorg var rettet paa det Himmelske, hvis det, han stræbte efter], Ausgleich und Friede mit Gott wäre, und er nun zu Gott sagen würde: ‚Es gibt da eine Sorge, die mir jegliche Freude raubt, die mir mein Leben zu einer Bürde macht, es gibt da eine Sehnsucht in meiner Seele, die mich verzehrt, wenn sie nicht befriedigt wird‘, und Gott nun…ihm das Zeugnis des Geistes auch für die Verzeihung seiner Sünden gäbe: müsste ihn da nicht eine neues Leben durchströmen, müsste da nicht die Freude in ihm Wohnstatt nehmen, so dass er in all seiner Sorge doch sagen müsste: ich habe doch ein Leid erfahren, das schmerzlicher als alles ist, was mir jetzt widerfährt; ich besitze doch eine Freude, die ebenso hoch über aller Sorge ist, wie der Himmel über der Erde ist, und wenn sich die Erde auch auftäte, um mich zu verschlingen, so sehe ich doch den Himmel offen, um mich zu empfangen“). Vgl. jedoch z. B. Kierkegaards Brief an Emil Boesen vom 17. Juli 1838: „so ist doch meine Trauer über die Welt [Sorg over Verden] und in der Welt dennoch nicht so verzweifelt in sein Gegenteil umgeschlagen, oder meine weltliche Trauer [Sorg efter Verden] noch nicht so
3.3 Die Zeit zwischen dem Examen und der Magisterabhandlung
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(1) Am Ende der erbaulichen Rede über „Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend“ (1844) heißt es: „o, es ist doch keine Jugend so gottverlassen, dass nicht die Brocken,wenn sie sorgfältig eingesammelt würden, damit nichts umkomme, mit Gottes Segen eine überreichliche Erstattung würden, und es dürfte wohl keine Jugend, so kurz sie auch wäre, so gottvergessen sein, dass nicht die Erinnerung oder die tiefe und innige Sorge nach ihr [den dybe og inderlige Sorg efter den] es vermöchte, denjenigen zu verjüngen, der niemals jung war. Denn geistig gesprochen ist die Erfüllung immer im Wunsche, die Stillung des Kummers im Kummer, ebenso wie Gott bereits in der Sorge ist, die man nach ihm trägt [ligesom Gud allerede er i den Sorg, der er efter ham].“⁴²⁹ (2) In der ersten der Zwei Reden beim Abendmahl am Freitag (1851) bemerkt Kierkegaard: „Es gibt ein Verlangen nach Gott [Længsel efter Gud], ein Vertrauen auf Gott, ein Sich-Vertrösten, ein Hoffen auf Gott, eine Liebe, eine Freimütigkeit: aber was ihn am sichersten findet, ist vielleicht doch die Sorge nach Gott [Sorgen efter Gud]; die Sorge nach Gott – das ist keine flüchtige Stimmung, die sogleich verschwindet, wenn man sich Gott nähert, im Gegenteil, sie ist vielleicht am tiefsten, gerade wenn sie Gott am nächsten kommt, wie [auch] der derart Sorgende am meisten Angst vor sich selbst hat, je näher er Gott kommt.“⁴³⁰
Für Kierkegaards Seminarpredigt bedeutet dies nun, dass unter der „Sorge nach Gott“⁴³¹ nicht eine gottgemäße Sorge, eine Sorge in Übereinstimmung mit Gottes Willen zu verstehen ist, sondern sich diese Sorge auf Gott als Ziel richtet, ihre Stillung demnach nicht in etwas Weltlichem, sondern „Gott in ihrer Sorge“⁴³² (zu finden) sucht.
gänzlich aufgegangen in eine auf Hoffmanns Art produktive Verwirklichung des Wunsches“ (SKS 28, 143, Brev 79 / B, 17 (Nr. 5); in B wird dieser Brief auf den 17. Juli 1839 datiert). SKS 5, 233 – 249 / 3R44, 144– 162, hier SKS 5, 248,26 – 33 / 3R44, 162 (meine Übers.; zu den angesprochenen ‚Brocken‘ vgl. Joh 6,12). Hirsch übersetzt den letzten Satzteil: „Denn geistlich gesprochen lebt die Erfüllung allezeit im Wunsche, des Kummers Beruhigung im Kummer, gleich wie Gott bereits in dem Leide ist, das man nach ihm trägt“. Vgl. auch SKS 10, 273 / CR, 279: „denn in dem Verlangen selbst ist das Ewige, ebenso wie Gott ist in der Sorge, die man nach ihm trägt [ligesom Gud er i den Sorg, som er efter ham]“ (meine Übers.). Hirsch übersetzt den letzten Satzteil: „ebenso wie Gott ist in dem Leid, das nach ihm verlangt.“ SKS 12, 285 – 292 / RAF, 21– 30, hier SKS 12, 287,15 – 21 / RAF, 23 (meine Übers.); auf diese Stelle verweist mit Recht der von SKS K18, 25 abweichende Kommentar zu DSKE 2, 8,8 (EE:16) in DSKE 2, 414. SKS 27, 254, Papir 270 / ES, 107 (meine Übers.; ohne Hervorhebungen). Hirsch übersetzt: „Leid tragen um Gott“ (ohne Hervorhebungen), wozu er in ES, 185 (Anm. 107) bemerkt: „Man könnte auch übersetzen: Leid tragen nach Gott.“ Allerdings wird damit die im Dänischen auch durch die Wahl der Worte deutlich werdende Gegensatzbeziehung dieser ‚Sorge‘ zum Zustand der Unschuld undeutlich, in welchem „du [scil. der Zuhörer] sorglos und unbekümmert [sorgløs og ubekymret] fröhlich warst mit den Fröhlichen, weintest mit den Weinenden“ (SKS 27, 250, Papir 270 / ES, 103; meine Übers.). SKS 27, 254, Papir 270 / ES, 107 (meine Übers.). Es ist bezeichnend, dass – wie auch bereits der Kommentar zu SKS 12, 287,17 in SKS K12, 369 – der Kommentar zu SKS 27, 254,2 in SKS K27, 584 f. bezüglich der vermeintlichen Anspielung Kierkegaards auf II Kor 7,10 nicht nur deutlich
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
Was die beiden anderen genannten Stellen dieser Untersuchung betrifft, die im Juli 1840 entstandene Skizze in Journal HH und die etwa zur gleichen Zeit entstandene Aufzeichnung Papir 264:4, kann diese Deutung von ‚Sorge‘ zu einem besseren Verständnis dieser letzteren Aufzeichnung beitragen, in der Kierkegaard den dem Glauben vorhergehenden und vom erkenntnistheoretischen (methodischen) zu unterscheidenden existentiellen Zweifel, ob der Mensch zu der durch die Sünde verlorenen Einheit mit Gott zurückkehren kann, mit dem ‚leidenschaftlicheren‘ und ‚konkreteren‘ Ausdruck ‚Sorge‘ bezeichnet.⁴³³ Im Bewusstsein der Sünde liegt demnach die Einsicht des Menschen in seine Trennung von Gott, die mit Sorge verbunden ist.⁴³⁴ Diese Sorge, eben weil sie sich auf Gott richtet, Sorge nach Gott ist und damit ihr Ziel im Blick hat, bildet einen ersten Schritt hin zur Wiedererlangung jener Einheit.
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841) Die von Kierkegaard entgegen den damaligen Gepflogenheiten nicht auf Lateinisch, sondern in seiner Muttersprache verfasste Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates (1841)⁴³⁵ ist Höhepunkt und Abschluss seiner fast elf Jahre währenden Studienzeit. Am 3. Juni 1841 wurde die Magisterabhandlung von ihm persönlich beim Dekan der Philosophischen Fakultät, F.C. Sibbern, eingereicht und am 29. September 1841, dem Tag ihres Erscheinens im Kopenhagener Buchhandel, in einer insgesamt sieben Stunden
zurückhaltender als der SKS-Kommentar zu EE:16 in SKS K18, 25 (vgl. oben Anm. 424) ist, sondern mit der sich daran anschließenden Bemerkung ein Verständnis von ‚efter‘ in der Formel ‚Sorgen efter Gud‘ im Sinne von secundum unwahrscheinlich macht: „Die Vorstellung von ‚einer Sorge nach Gott‘ hat vermutlich auch den dahinterliegenden Gedanken, dass sie auf die Trennung von Gott nach dem Sündenfall zurückzuführen ist“. Vgl. ferner Cappelørn, „Longing for Reconciliation with God“, S. 329. Siehe Kap. 3.3.2.1. Vgl. das zu Anm. 423 gehörende Zitat aus EE:16. Vgl. SKS 1, 61– 357 / BI. Auf dem Titelblatt der bei der Philosophischen Fakultät eingereichten Abhandlung ist im Unterschied zur Buchhandelsausgabe nach Angabe des Titels der Abhandlung hinzugefügt: „Herausgegeben zur Erlangung des Magistergrades / von / S. A. Kierkegaard, theologischer Kandidat“ (SKS 1, 61; vgl. SKS K1, 119 und 121, Abbildung 2). Der Magistergrad hatte an der Philosophischen Fakultät seit der Verordnung vom 9. Januar 1824 als ‚kleiner Doktorgrad‘ (entsprechend dem Lizentiatengrad an den übrigen Fakultäten der Universität) fungiert, wurde jedoch durch die Bekanntmachung vom 19. Mai 1854 abgeschafft und dem Doktorgrad gleichgestellt, vgl. hierzu SKS K1, 125 samt dortigem Verweis auf Fritze Smith, Bidrag til doktordisputatsens historie ved Københavns Universitet, Kopenhagen 1950, S. 63 ff.
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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dauernden öffentlichen lateinischen Disputation verteidigt.⁴³⁶ Wann Kierkegaard mit der Arbeit an der Magisterabhandlung begonnen hat, ist nicht bekannt, da keine zusammenhängenden Entwürfe erhalten sind.⁴³⁷ Allerdings spricht einiges dafür, dass er sie nicht allein in den elf Monaten zwischen dem Abschluss des Theologiestudiums und ihrer Einreichung ausgearbeitet, sondern dabei auf frühere Vorarbeiten zurückgegriffen hat⁴³⁸, wenngleich der Großteil der Magister-
Zur Einreichung, Verteidigung und zum Beurteilungsprozess der Magisterabhandlung vgl. SKS K1, 129 – 145 sowie insbesondere Bruce H. Kirmmse, „Socrates in the Fast Lane: Kierkegaard’s The Concept of Irony on the University’s Velocifère. Documents, Context, Commentary, and Interpretation“, in The Concept of Irony, hg. von Robert L. Perkins, Macon 2001 (International Kierkegaard Commentary, Bd. 2), S. 17– 99. Vgl. SKS K1, 122 – 125. Das einzige erhalten gebliebene Manuskript der Magisterabhandlung umfasst verschiedene Entwürfe vor allem zur „Einleitung“ (vgl. den photomechanischen Abdruck von Pap. III B 2– 24 in SKS K1, 147– 160); vgl. unten Anm. 639. Vgl. SKS K1, 125 – 129. Zur Entwicklung von Kierkegaards Ironie-Begriff und seiner Sokratesauffassung in seinen frühen Journalen und Aufzeichnungen bis zur Magisterabhandlung vgl. Jens Himmelstrup, Sören Kierkegaards Sokratesauffassung, Neumünster 1927 [1924], S. 26 – 29 und S. 32 f. sowie K. Brian Söderquist, „Irony and Humor in Kierkegaard’s Early Journals. Two Responses to an Emptied World“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 143 – 167, vor allem S. 155 – 164. In Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen finden sich vom Sommer 1835 an Aufzeichnungen über den Begriff der Ironie (dabei „im objektiven Sinne als ‚Lebens- oder WeltIronie‘ verstanden“ (SKS K1, 126)), wobei ab Herbst 1836 – und deshalb wohl nicht zufällig im Zusammenhang mit seiner intensiven Beschäftigung mit Hamann (siehe Kap. 1.4.2) – das subjektive Element in diesem Begriff stärker hervorgetreten ist, vgl. z. B. SKS 17, 27 f., AA:12 / DSKE 1, 27 f. (1. August 1835); SKS 27, 128, Papir 123 / T 1, 68 (Februar 1836); SKS 17, 78, BB:7.a / DSKE 1, 84 (27. August 1836); SKS 27, 149, Papir 182:2 / T 1, 82 f. (13. September 1836); SKS 17, 106, BB:14 / DSKE 1, 113 (3. Dezember 1836). Die Gestalt des Sokrates als Repräsentant des über der Welt schwebenden ironischen Individuums begegnet dann erstmals in der undatierten Randbemerkung SKS 17, 45, AA:27.a / DSKE 1, 48 zur zwischen Mitte März und Anfang Mai 1837 entstandenen Aufzeichnung SKS 1, 45, AA:27 / DSKE 1, 48. Andere Aufzeichnungen vom Sommer und Herbst 1837 handeln zudem von der Differenz zwischen antiker und moderner Ironie, dem Vergleich zwischen Ironie und Humor sowie vom Verhältnis von Sokrates und Christus, vgl. z. B. SKS 17, 234, DD:36 / DSKE 1, 199; SKS 17, 235, DD:37 / DSKE 1, 199 (samt SKS 18, 93, FF:89 / DSKE 2, 96); SKS 17, 235, DD:38 / DSKE 1, 200 und SKS 17, 235, DD:39 / DSKE 1, 200 (allesamt zwischen 6. Juli und 26. August 1837); speziell zum Verhältnis von Sokrates und Christus vgl. SKS 17, 225 f., DD:18 / DSKE 1, 188 f. (6. Juli 1837) und SKS 17, 245 f., DD:75 / DSKE 1 211 f. (1. November 1837). Dass Kierkegaard bereits zu dieser Zeit erwog, den philosophischen Magistergrad zu erwerben, geht aus der Journalaufzeichnung DD:58 vom 25. September 1837 hervor: „Jetzt weiß ich ein passendes Thema für eine Magisterabhandlung [Disputats]: über den Begriff Satire bei den Alten, über das gegenseitige Verhältnis der verschiedenen römischen Satiriker“ (DSKE 1, 206 / SKS 17, 241; meine Übers.). ‚Disputats‘ meint hier also nicht die mündliche Disputation, sondern die gedruckte Abhandlung, über die es zu disputieren gilt, weshalb ich dieses Wort – statt mit „Disputation“ wie in DSKE – mit „Magisterabhandlung“ übersetzt habe; dass ‚Disputats‘ beides bedeuten kann, bestätigt auch der Blick in das sich in Kierkegaards Bibliothek befindende
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abhandlung während seiner Verlobungszeit entstanden sein dürfte, in der er überdies an Übungen im Predigerseminar teilnahm. Im Zentrum der folgenden Untersuchung der Magisterabhandlung steht zunächst die von Kierkegaard im ersten Teil durchgeführte Verhältnisbestimmung von Sokrates und Christus (3.4.1), im Rahmen derer sich einige Bemerkungen über die Person Christi finden, die in schneidendem Gegensatz zur Paradox-Christologie der Climacus-Schriften stehen. Die angesichts dieser tiefgreifenden Wandlung der christologischen Position Kierkegaards sich unweigerlich stellende, über den Zeitraum dieser Untersuchung aber hinausführende Frage nach den (Hinter‐) Gründen der Ausbildung der Paradox-Christologie wird exkursorisch behandelt (Exkurs 2). Anschließend sollen die im zweiten Teil der Magisterabhandlung explizit gemachten oder implizit enthaltenen Annahmen über das Verhältnis von Glaube und Wirklichkeit herausgearbeitet werden (3.4.2).⁴³⁹ Fremdwörterbuch von Meyer, Fremmedordbog, 3. Aufl., S. 216 (s.v. „Disput“). Wahrscheinlich hat Kierkegaard schon kurze Zeit später mit der Ausarbeitung der Abhandlung begonnen und – veranlasst nicht zuletzt durch die Gespräche mit P.M. Møller, vgl. SKS 17, 225,8 – 9, DD:18 / DSKE 1, 188,12– 13 sowie SKS K1, 126 – anstelle des Begriffs Satire den Begriff Ironie zum Gegenstand der Untersuchung gemacht. In diesem Fall wird Kierkegaard die Arbeit wohl Ende April 1838 zur Seite gelegt haben, um mit der Ausarbeitung der im September 1838 erschienenen Andersenschrift zu beginnen (siehe Kap. 2.5). Da Kierkegaard seinen nach dem Tod seines Vaters am 9. August 1838 gefassten Entschluss, sein Theologiestudium wiederaufzunehmen und auf dessen Abschluss hinzuarbeiten, erst Ende September 1839 mit letzter Konsequenz in die Tat umgesetzt hat, könnte er daher auch in der Zeit seit Sommer 1838 an der Magisterabhandlung gearbeitet haben. Für die Annahme, dass Kierkegaard, als er sich spätestens nach der Verlobung mit Regine Olsen im September 1840 in die Arbeit an der Magisterabhandlung stürzte, auf eine früher begonnene Arbeit zurückgegriffen hat, spricht überdies eine Äußerung von Kierkegaards Jugendfreund Emil Boesen in einem Brief an H.P. Barfod vom 22. Mai 1868: „Es war jedoch erst später, dass es in ihm zur Klarheit gedieh, was er selbst wollte und vermochte, und dies geschah wohl besonders, während er über den Begriff Ironie schrieb, und danach, während seiner Verlobung“ (in Übers. zitiert nach Kirmmse, Søren Kierkegaard truffet, S. 51; vgl. auch EP I-II, S. LII). Die hier vorgenommene Konzentration der Untersuchung auf diese beiden Aspekte der Magisterabhandlung ergibt sich aus der Problemstellung und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit. Für eine ausführliche Untersuchung von Kierkegaards Ironie-Schrift vgl. Himmelstrup, Sören Kierkegaards Sokratesauffassung, S. 25 – 61; Diem, Philosophie und Christentum, S. 57– 75 und S. 133 – 239; Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 228 ff. und S. 566 – 602; Mesnard, Le vrai visage de Kierkegaard, S. 117– 179; Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 71– 132 und S. 187– 205; John Vignaux Smyth, A Question of Eros. Irony in Sterne, Kierkegaard, and Barthes, Tallahassee, FL 1986 (Kierkegaard and Postmodernism, [Bd. 2]), S. 99 – 222; Hans Feger, „Die umgekehrte Täuschung. Kierkegaards Kritik der romantischen Ironie als Kritik immanenten Denkens“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2002, S. 364– 394; Eivind Tjønneland, Ironie als Symptom. Eine kritische Auseinandersetzung mit Søren Kierkegaards Über den Begriff der Ironie, Frankfurt am Main et al. 2004 (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, Bd. 54); K. Brian Söderquist, The Isolated Self. Irony as Truth and Untruth in Søren
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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3.4.1 Sokrates und Christus Bereits seit der zweiten Jahreshälfte 1837 hat sich Kierkegaard mit der Frage nach dem Verhältnis von Sokrates und Christus beschäftigt, wobei man es mit Himmelstrup als eine „Tatsache“ bezeichnen kann, „daß, wenn man bei Kierkegaard nach einem Christusbild sucht, dies ein Bild ohne die Fülle und die Farbe wird, die unstreitig über seiner Sokratesdarstellung ist“⁴⁴⁰. In der Tat hat der junge Kierkegaard nur vereinzelt und meist en passant die Person Christi zum Gegenstand der Betrachtung gemacht.⁴⁴¹ Dies gilt auch für Kierkegaards Magisterabhandlung, was angesichts ihres Themas freilich wenig überrascht, doch lautet gleich die erste der von Kierkegaard seiner Abhandlung beigegebenen und in der Disputation zu verteidigenden Thesen: „Similitudo Christum inter et Socratem in dissimilitudine præcipue est posita.“⁴⁴² In der Magisterabhandlung wird das Verhältnis von Sokrates und Christus speziell in Auseinandersetzung mit Ferdinand Christian Baurs (1792– 1860) Abhandlung Das Christliche des Platonismus oder Sokrates und Christus (1837)⁴⁴³ thematisiert, mit der Kierkegaard sich fast ausschließlich im Kontext der Arbeit an
Kierkegaard’s On the Concept of Irony, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 1); Schwab, Der Rückstoß der Methode, S. 455 – 483, sowie insbesondere die Darstellung bei Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 102– 152. Himmelstrup, Sören Kierkegaards Sokratesauffassung, S. 157. Vgl. z. B. SKS 27, 158, Papir 210:2 / T 1, 51; SKS 27, 281, Papir 285 / T 1, 51; SKS 17, 254, DD:108 / DSKE 1, 221; SKS 17, 262, DD:144 / DSKE 1, 231; SKS 17, 267, DD:163 / DSKE 1, 236; SKS 18, 13 f., EE:24 / DSKE 2, 10; SKS 18, 20, EE:42 / DSKE 2, 16; SKS 18, 23, EE:50 / DSKE 2, 20 f.; SKS 18, 38 f., EE:102 / DSKE 2, 37– 39; SKS 18, 83, FF:36 / DSKE 2, 85; SKS 18, 113, FF:195 / DSKE 2, 116. SKS 1, 65 (vgl. BI, 3). Zur Einreichung der Thesen bei der Philosophischen Fakultät und der Vorab-Kommentierung dieser Thesen seitens der zum Teil bei der Disputation anwesenden Professoren vgl. Kirmmse, „Socrates in the Fast Lane“, S. 31– 33 und S. 70 f. Es verdient Beachtung, dass Peter Oluf Brøndsted (1780 – 1842), neben Sibbern offizieller Opponent, in seinem Votum zu den Disputationsthesen (vergeblich) bemerkte, dass Kierkegaard „besser daran täte“, die erste These „wegzulassen…, weil sie eine delikate Materie betrifft, die sehr schwierig öffentlich zu diskutieren wäre, ohne Anstoß zu erregen“ (Rigsarkivet. Københavns Universitets arkiv. Det filosofiske Fakultet. Dekanatssager 1841, Nr. 74 (KU 35.02.17); in Übers. zitiert nach SKS K1, 141). Ferdinand Christian Baur, Das Christliche des Platonismus oder Sokrates und Christus. Eine religionsphilosophische Untersuchung, Tübingen 1837 (ktl. 422). Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit Baur vgl. Himmelstrup, Sören Kierkegaards Sokratesauffassung, S. 157– 169 und vor allem David D. Possen, „F.C. Baur: On the Similarity and Dissimilarity between Jesus and Socrates“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Aldershot und Burlington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 23 – 38.
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der Magisterabhandlung beschäftigt hat.⁴⁴⁴ Bevor Kierkegaards im kritischen Gegenüber zu Baur durchgeführte Verhältnisbestimmung von Sokrates und Christus im Blick auf das dabei zum Vorschein kommende Christusbild zu untersuchen sein wird, soll deshalb zunächst die Durchführung dieser Verhältnisbestimmung im Gang von Baurs Abhandlung und die von ihm dieser zugrunde gelegte Voraussetzung für die Bestimmung des Verhältnisses von Platonismus und Christentum im Allgemeinen sowie von Sokrates und Christus im Besonderen skizziert werden.
3.4.1.1 Baur: Ähnlichkeit trotz Verschiedenheit Gleich zu Beginn der Einleitung macht Baur deutlich, dass im Unterschied zum religiösen Interesse, das Christentum als die eine wahre und absolute Religion in einen absoluten Gegensatz zu allem Nichtchristlichen zu setzen, das wissenschaftliche Interesse es sich nicht nehmen lassen könne, das Christentum in seinem historischen Anfangspunkt nicht nur als eine für sich abgeschlossene, gegen seine geschichtliche Umgebung sich negativ verhaltende Erscheinung zu
Wie aus der Journalaufzeichnung DD:75 (SKS 17, 245 f. / DSKE 1, 211 f.) vom 1. November 1837 hervorgeht, war Kierkegaard bereits zu diesem Zeitpunkt auf Baurs Abhandlung Das Christliche des Platonismus durch die dänische Übersetzung eines Teils daraus in der von ihm abonnierten Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur aufmerksam geworden, vgl. „Det Christelige i Platonismen eller Sokrates og Christus. En religionsphilosophisk Undersøgelse af Dr. Ferdinand Christian Baur, Professor i den evangeliske Theologie ved Universitetet i Tübingen. 1837“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur, Bd. 5, 1837, S. 485 – 533 (Heft 3) (von Baurs Das Christliche des Platonismus sind dort der Schluss des ersten (S. 83 – 89) sowie der ganze zweite Abschnitt (S. 90 – 154) jeweils ohne Baurs Anmerkungen wiedergegeben; das von Kierkegaard in DD:75 mit geringfügigen Abweichungen übersetzte Zitat aus „Det Christelige i Platonismen“, S. 529 entspricht Baur, Das Christliche des Platonismus, S. 149). Abgesehen von SKS 17, 245 f., DD:75 / DSKE 1, 211 f., einer möglichen Anspielung auf Baurs Abhandlung in Kierkegaards Entwurf zur ‚Telegraphien‘-Schrift von Ende 1838 (siehe Kap. 3.2.1) in SKS 27, 213,25, Papir 259:1 / T 1, 176 (vgl. den Kommentar zu SKS 27, 213,25 in SKS K27, 502) und der Magisterabhandlung selbst findet sich in Kierkegaards Gesamtwerk noch ein Verweis auf Baurs Die christliche Gnosis oder die christliche Religions-Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwi[c]klung, Tübingen 1835 (ktl. 421) in SKS 17, 257, DD:124 / DSKE 1, 225 (2. August 1838; womöglich auch in SKS 17, 253, DD:104 / DSKE 1, 221) sowie ein kurzes Exzerpt aus Baurs Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung von der ältesten Zeit bis auf die neueste, Tübingen 1838 (ktl. 423), S. 118 – 120 samt Anmerkung auf S. 136 – 138, in SKS 18, 360, KK:6 / DSKE 2, 370 (Dezember 1838) und ein Verweis darauf bzw. ein Zitat daraus in SKS 27, 215,9, Papir 259:1 und SKS 27, 215,16, Papir 259:1. Baurs Name begegnet zudem in der vorläufigen Ausarbeitung vom Buch über Adler in Pap. VIII-2 B 19, S. 72; vgl. ferner Pap. II C 26 – 27 (in Bd. XIII), S. 7 (§ 2) und S. 16 (§ 7); Pap. II C 28 (in Bd. XIII), S. 48 (§ 60; „Bauer“) sowie SKS 15, 274,33 ff. / BÜA, 136 (samt Kommentar zu SKS 15, 274,33 in SKS K15, 319 – 321).
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
357
betrachten. „Auch das Absolute muß zu demjenigen, von welchem es absolut verschieden ist, doch immer zugleich auch wieder in einem relativen Verhältniß stehen.“⁴⁴⁵ Trotz absoluter Verschiedenheit sei daher auch in Hinsicht auf das Verhältnis des Christentums zum Heidentum ein relatives Verhältnis zwischen beiden anzunehmen, wobei man bei der Frage danach, „was im Kreise der heidnischen Welt dem Christenthum am nächsten gekommen sey“⁴⁴⁶, zuerst an die platonische Philosophie gewiesen sei. So viel der Platonismus dem Christentum Verwandtes und Analoges aber auch enthalten möge, verhalte er sich „doch immer nur annähernd zum Christenthum“⁴⁴⁷ und sei keineswegs selbst das wahre und wirkliche Christentum. Ausgehend von dieser Verhältnisbestimmung, die „bei dieser ganzen Untersuchung von Anfang an vorausgesetzt werden muß“⁴⁴⁸, will Baur im ersten Abschnitt der Abhandlung die Verwandtschaft des Platonismus mit dem Christentum hinsichtlich des Inhalts und Charakters der Hauptlehren der platonischen Philosophie betrachten⁴⁴⁹, um dann im zweiten und letzten Abschnitt auch deren jeweilige Stifter, Sokrates und Christus, einander gegenüberzustellen und miteinander zu vergleichen.⁴⁵⁰ Die Verwandtschaft zwischen Platonismus und Christentum zeigt sich für Baur nämlich auch darin, dass die platonische Philosophie der Person des Sokrates eine ähnliche Stellung im Verhältnis zu sich gibt, wie es im Christentum mit der Person Christi der Fall ist. Sowohl im Platonismus wie im Christentum gehe „alles von dem Mittelpunkt eines als Offenbarung des Göttlichen angeschauten Menschenlebens aus[], in welchem ein neues Princip hervortrat, um auf das entscheidendste und heilsamste in die Geschichte der Menschheit einzugreifen, und sie auf eine neue höhere Stufe ihres, in der Verwandtschaft mit der Gottheit begründeten, geistigen Lebens zu erheben.“⁴⁵¹ Wenn Platon in der Person des Sokrates eine Konzentration alles dessen gesehen habe, „was er als das Höchste und Göttlichste und für die Menschheit Segensvollste erkannte“⁴⁵², und Sokrates deshalb unter diesem Gesichtspunkt habe darstellen wollen, dränge sich allerdings die Frage auf, ob der platonische Sokrates bloß ein frei entworfenes Ideal oder auch der geschichtliche sei und der Baur, Das Christliche des Platonismus, S. [1]. Ibid., S. 2. Ibid., S. 12. Ibid. Vgl. ibid., S. 20 – 89, im Inhaltsverzeichnis und auf S. 20 betitelt mit: „Die Verwandtschaft des Platonismus und des Christenthums, nach dem Charakter der Hauptlehren der platonischen Philosophie und dem allgemeinen Standpunkt derselben betrachtet“. Vgl. ibid., S. 90 – 154; vgl. unten Anm. 460. Ibid., S. 103 f. Ibid., S. 103.
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
ihm von Platon gegebenen Bedeutung objektive Realität zukomme. Der Vergleich der Aussagen Platons mit denen Xenophons erweise dabei, dass der platonische Sokrates zwar „eine unverkennbar idealisirende Tendenz an sich“ trage, aber „ganz auf der Grundlage des geschichtlichen“ Sokrates ruhe und, bei inniger Durchdringung des Realen und Idealen, „in ihm seinen festen objektiven Haltpunkt“⁴⁵³ habe. Das nahe Verhältnis der durch Sokrates und Christus bezeichneten Epochen zueinander zeige sich aber nicht nur bei der Bestimmung dessen, „was als der geschichtliche Kern und Mittelpunkt des platonischen Sokrates zu betrachten“⁴⁵⁴ sei, sondern gerade auch angesichts der Bedeutung, die Platon der Person des Sokrates zugemessen habe: „Wie im Christenthum alles von der Person Christi ausgeht, und in der wesentlichsten und nothwendigsten Beziehung zu ihr steht, so war auch dem Plato das Bewußtseyn des neuen, durch Sokrates zu seiner objektiven geschichtlichen Bedeutung gekommenen, Princips einzig nur durch die Person des Sokrates vermittelt“⁴⁵⁵. Unbeschadet aller Berührungspunkte und Ähnlichkeiten zwischen Sokrates und Christus, die zugleich von der tiefen Verwandtschaft des Platonismus mit dem Christentum zeugten, weist Baur am Ende seiner Abhandlung⁴⁵⁶ jedoch nochmals auf die fundamentale Differenz zwischen beiden hin. Die platonische Darstellung des Sokrates könne bei aller Idealisierung und Verklärung nämlich „nie entschieden über die Grenzen des Menschlichen hinauskommen“ und Sokrates „ein eigentlich göttliches Prädikat“⁴⁵⁷ beilegen. Sokrates werde zwar als der Weiseste und Gerechteste unter den Menschen gerühmt, doch nirgends als ein Prophet oder als ein höheres göttliches Wesen betrachtet. „Für diesen Glauben fehlte dem heidnischen Gottesbewußtseyn jeder Anknüpfungspunkt, da ihm das Göttliche, je unmittelbarer es mit dem Menschlichen zusammenfloß, selbst nur eine andere Form des Menschlichen war.“⁴⁵⁸ Das Menschliche könne dem Menschlichen immer nur in einem relativen Gegensatz gegenüberstehen, und da das Heidentum sich allein in der Sphäre des Menschlichen bewege, sei hier der Unterschied des Menschlichen und Göttlichen – und damit zugleich auch seine mögliche Einheit – noch nicht offenbar geworden:
Ibid., S. 126. Ibid., S. 127. Ibid., S. 128. Vgl. ibid., S. 147– 154, im Inhaltsverzeichnis betitelt mit: „Sokrates, bei aller Idealität, als blos menschliche, nicht als übermenschliche Erscheinung gedacht: Unterschied wie des Heidenthums und Christenthums, so des Platonismus und Christenthums“. Ibid., S. 147. Ibid., S. 150.
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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„Das Menschliche kann sich nicht zum Göttlichen erheben, wenn nicht das Göttliche sich zum Menschlichen herabläßt, alles Menschliche ist daher nur insofern mit dem Göttlichen Eins, sofern das Göttliche selbst in ihm sich offenbart. Dieß bleibt immer der große wesentliche Unterschied, der den Standpunkt des Christenthums von dem Standpunkt des Heidenthums trennt. / Eben dieß ist es nun aber auch, was, so gewiß Heidenthum und Christenthum den entschiedensten Gegensatz bilden, eine nie auszugleichende Kluft zwischen Platonismus und Christenthum offen läßt.“⁴⁵⁹
3.4.1.2 Kierkegaard: Ähnlichkeit in der Unähnlichkeit In Kierkegaards Magisterabhandlung finden sich neben einigen expliziten und impliziten Verweisen und Anspielungen auf Baurs Abhandlung auch mehrere Zitate daraus auf Deutsch angeführt. Kierkegaard bezieht sich dabei ausschließlich auf den zweiten Abschnitt von Baurs Abhandlung⁴⁶⁰, in dem Baur die Verwandtschaft des Platonismus mit dem Christentum unter Einbeziehung des Vergleichs zwischen Sokrates und Christus darlegt. Überdies findet diese Auseinandersetzung Kierkegaards mit Baur, von zwei Ausnahmen abgesehen, allein in dem mit ‚Platon‘ überschriebenen zweiten Abschnitt des ersten Kapitels der Magisterabhandlung statt.⁴⁶¹ Eben diese beiden Ausnahmen gilt es im Folgenden jedoch näher zu betrachten, da Kierkegaard an diesen Stellen das Verhältnis von Sokrates und Christus thematisiert, wobei bemerkenswert ist, dass in der Magisterabhandlung von Christus überhaupt fast⁴⁶² nur im Kontext der Aus-
Ibid., S. 152. Es wäre nicht ohne Reiz, die in dieser Aussage zum Ausdruck kommende Position Baurs mit der Kierkegaards in den Philosophischen Brocken (1844) zu vergleichen, wie sie in deren zweitem Kapitel in dem zur Veranschaulichung der zur Wiederherstellung der Einheit Gottes und der Menschen notwendigen Kondeszendenz Gottes konstruierten Beispiel vom König und dem Bettelmädchen zutage tritt (vgl. SKS 4, 233 – 238 / PB, 24– 30), obgleich Kierkegaard auch an dieser Stelle (vgl. nämlich Kap. 2, Anm. 86) maßgeblich von Rosenkranz beeinflusst gewesen sein dürfte, wie Schulz, „Traces of Hegelian Psychology and Theology“, S. 358 – 364, dargelegt hat. Vgl. Baur, Das Christliche des Platonismus, S. 90 – 154, im Inhaltsverzeichnis und auf S. 90 betitelt mit: „Die Verwandtschaft des Platonismus mit dem Christenthum in Hinsicht der Bedeutung, welche der Person des Sokrates von Plato gegeben wird“. Vgl. SKS 1, 89 – 179 / BI, 26 – 131. Explizite Verweise und Anspielungen auf oder Zitate aus Baurs Das Christliche des Platonismus finden sich dabei an folgenden Stellen: SKS 1, 75 – 77 / BI, 11– 13 (Zitat aus und Anspielung auf Baur, ibid., S. 123); SKS 1, 92 f. / BI, 30 f. (Zitat aus S. 122 sowie (in der Anm.) Verweis auf S. 90 f. und S. 98); SKS 1, 113 / BI, 52 f. (Anspielung auf S. 107 f.); SKS 1, 122 / BI, 64 (Zitat aus S. 112); SKS 1, 128 f. / BI, 71 f. (Verweis auf S. 114 sowie Anspielung auf S. 113 f.); SKS 1, 153 f. / BI, 101 (Verweis auf S. 90 – 98); SKS 1, 161 / BI, 110 (Anspielung auf S. 96); SKS 1, 265 / BI, 227 f. (Anm.; allgemeine Anspielung auf den zweiten Abschnitt, S. 90 – 154). Es gibt drei Ausnahmen: SKS 1, 86,27 / BI, 24; SKS 1, 300,28 / BI, 268 und SKS 1, 310,22 / BI, 279 (vgl. hierzu SKS 1, 265,32 f. / BI, 228 (Anm.)). Die Passage SKS 1, 90,21 f. / BI, 28 (ohne
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3 Die Zeit von der Examensvorbereitung bis zur Magisterabhandlung
einandersetzung mit Baur die Rede ist, was nahelegt, dass die erste Disputationsthese im kritischen Gegenüber zu Baur formuliert worden ist.⁴⁶³ explizite Nennung Baurs im unmittelbaren Kontext) steht deutlich im Zusammenhang mit Baurs Abhandlung, so wie überhaupt die „Einleitenden Betrachtungen“ zu Platon (vgl. SKS 1, 90 – 102 / BI, 27– 40) wesentlich tiefgründiger durch Baur beeinflusst sind, als Kierkegaard dies explizit zu erkennen gibt; vgl. hierzu auch Hirsch in BI, 340 f. (Anm. 47). Als unwahrscheinlich erscheint mir die Annahme von Eric Ziolkowski, „From Clouds to Corsair: Kierkegaard, Aristophanes, and the Problem of Socrates“, in The Concept of Irony, op. cit., S. 193 – 233, hier S. 210 ff., ein weiterer Impuls zur ersten Disputationsthese, neben Baurs Abhandlung als deren unmittelbarer Impuls, sei womöglich von Hamanns „typological linkages drawn between Socrates and Christ“ (S. 210) in den Sokratischen Denkwürdigkeiten (1759) (vgl. Hamann’s Schriften, Bd. 2, S. 1– 50) ausgegangen. Abgesehen davon, dass Hamann in den Sokratischen Denkwürdigkeiten nicht explizit von Christus spricht (vgl. allenfalls ibid., S. 37 f.), findet sich in Kierkegaards Magisterabhandlung weder Hamanns Name noch irgendein (expliziter) Verweis auf eine seiner Schriften. Hamann mag, wie Steffes betont, „an zahlreichen Stellen“ der Magisterabhandlung „als Ideengeber und Motivspender“ (Harald Steffes, „Das Meer durchschwimmen – in der Pfütze ertrinken? Zu einer hamannschen Ironie der Quellen in Kierkegaards Über den Begriff der Ironie“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2009, S. 211– 236, hier S. 219) präsent zu sein scheinen und es mag zwischen beiden Denkern gemeinsame „Motive und Motivtableaus“ (S. 221) geben – eine direkte literarische Abhängigkeit ist durch das Aufzeigen solcher „vielleicht nur zufällige[r] Assoziationsverwandtschaft[en]“ (S. 223) aber (noch) nicht erwiesen, auch wenn Steffes die Nichterwähnung Hamanns in Kierkegaards Magisterabhandlung „eigentlich ein bisschen schade“ (S. 234) findet. Was Kierkegaards Auseinandersetzung mit Baur in der Magisterabhandlung betrifft, hat Possen gegenüber der im Gefolge Himmelstrups zum ‚Standard‘ avancierten Deutung dieser Auseinandersetzung als einer bloßen Kritik Kierkegaards an Baur, die unendliche Unähnlichkeit zwischen Sokrates und Christus unzureichend beachtet zu haben, auf die tatsächlichen Übereinstimmungen zwischen Kierkegaard und Baur hingewiesen: „Kierkegaard’s true polemical purpose is to parody Baur, not to scold him. For Baur’s Book…in fact does exactly what Kierkegaard, in The Concept of Irony, seems to be accusing it of failing to do: it dampens its own emphasis on the similarity between Jesus and Socrates by means of an abrupt appeal to the dissimilarity between Jesus and fallen humanity….Kierkegaard’s true quarrel with Baur…is provoked not by the latter’s somehow failing to ‘insist on’ [SKS 1, 265,18 / BI, 227] the dissimilarity between Jesus and Socrates, but rather by the very idea that an academic study can give that dissimilarity its proper due“ (Possen, „F.C. Baur: On the Similarity and Dissimilarity between Jesus and Socrates“, S. 30). Ich stimme Possen darin bei, dass Kierkegaards Auseinandersetzung mit Baur nicht als bloße Kritik zu verstehen ist, da Baur durchaus die absolute Verschiedenheit zwischen Sokrates und Christus voraussetzt, um dann aber, da dessen ungeachtet ein relatives Verhältnis zwischen beiden besteht, die Ähnlichkeit beider herauszustellen. Der Übergang von dieser Darstellung der Ähnlichkeit hin zur Betonung der Unähnlichkeit am Ende von Baurs Abhandlung geschieht m. E. jedoch nicht ‚abrupt‘ oder als ein unvermittelter „switch to apologetics“ (S. 31; vgl. S. 33), sondern ist von Baur, wie oben skizziert, gleich zu Beginn der Einleitung den weiteren Ausführungen zugrunde gelegt worden. Unter der Voraussetzung, dass Kierkegaard Baurs ganze Abhandlung (d. h. auch die Einleitung) gekannt hat und nicht nur deren zweiten Abschnitt, auf den er in der Magisterabhandlung ausschließlich Bezug nimmt und der ihm bereits Ende 1837 in dänischer Über-
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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Die erste Stelle, an der das Verhältnis von Sokrates und Christus thematisiert wird, findet sich in den einleitenden Bemerkungen zu Beginn des ersten Kapitels, in dem Kierkegaard mittels einer „kombinierten“⁴⁶⁴ Lektüre der zeitgenössischen Sokrates-Darstellungen bei Xenophon, Platon und Aristophanes seine Annahme, der Standpunkt (auch) des historischen Sokrates sei Ironie gewesen, zu plausibilisieren sucht. Kierkegaard kritisiert Baur zunächst, im Hinblick auf die Kenntnis des historischen Sokrates neben Platon ausgerechnet Xenophon die größte Beachtung zu schenken. Xenophon sei nämlich gerade bei der Unmittelbarkeit des Sokrates stehengeblieben und habe ihn daher oftmals missverstanden, wohingegen Platon und Aristophanes sich durch das Äußere hindurch den Weg zu einem Verständnis der Unendlichkeit gebahnt hätten, „die mit den vielfältigen Begebenheiten seines Lebens inkommensurabel“⁴⁶⁵ sei. Was dagegen das Verhältnis zwischen Xenophon und Platon angehe, bemerke Baur richtig: „Zwischen diesen Beiden tritt uns aber sogleich eine Differenz entgegen, die in mancher Hinsicht mit dem bekannten Verhältniß verglichen werden kann, welches zwischen den synoptischen Evangelien und dem des Johannes stattfindet.Wie die synoptischen Evangelien zunächst mehr nur die äussere, mit der jüdischen Messias-Idee zusammenhängende, Seite der Erscheinung Christi darstellen, das johanneische aber vor allem seine höhere Natur und das unmittelbar Göttliche in ihm ins Auge faßt, so hat auch der platonische Sokrates eine weit höhere ideellere Bedeutung als der xenophontische, mit welchem wir uns im Grunde immer nur auf dem Boden der Verhältnisse des unmittelbaren praktischen Lebens befinden.“⁴⁶⁶
Diese Bemerkung sei schlagend und treffend, wenn man daran erinnere, dass zwischen Xenophons Sokratesdarstellung und den Synoptikern immer der Un-
setzung bekannt gewesen ist (vgl. oben Anm. 444), stellt sich Kierkegaards Auseinandersetzung mit Baur dann aber nur sehr bedingt als eine ‚Parodie‘ von Baurs „apologetic turn“ (S. 35) dar und heraus. Kierkegaard kritisiert nicht die Annahme (Baurs), dass trotz absoluter Verschiedenheit und Unähnlichkeit gleichwohl eine relatives Verhältnis zwischen Sokrates und Christus besteht, womit zugleich die berechtigte Möglichkeit eines Vergleichs zwischen Sokrates und Christus und eo ipso auch die Möglichkeit (der Darstellung) relativer Ähnlichkeit beider gegeben ist. Kierkegaard betont vielmehr seinerseits, dass aller relativen Ähnlichkeit beider zum Trotz die absolute Unähnlichkeit nicht vergessen werden darf, ja – und darin unterscheidet sich Kierkegaard von Baur – dass der einzige Weg, das Wesen der Ähnlichkeit zwischen Sokrates und Christus recht darzustellen, der sei, ihrer beider Unähnlichkeit herauszustellen. SKS 1, 74 / BI, 11. SKS 1, 75 / BI, 11. Vgl. die dritte Disputationsthese: „Si quis comparationem inter Xenophontem et Platonem instituerit, inveniet, alterum nimium de Socrate detraxisse, alterum nimium eum evexisse, neutrum verum invenisse“ (SKS 1, 65; vgl. BI, 3). SKS 1, 76 / BI, 12, wo Kierkegaard dieses Zitat aus Baur, Das Christliche des Platonismus, S. 123 mit zwei unbedeutenden orthographischen Abweichungen („Beiden“ statt „beiden“ und „äussere“ statt „äußere“) auf Deutsch anführt.
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terschied bleibe, dass letztere „bloß das unmittelbar getreue Bild der unmittelbaren Existenz Christi (welche wohlgemerkt nicht etwas anderes bedeutete, als sie war) wiedergaben,…wohingegen Xenophon es mit einem Mann zu tun hat, dessen unmittelbare Existenz etwas anderes bedeutet, als sie im ersten Augenblick scheinen mag“⁴⁶⁷. Doch auch Baurs Bemerkung über Platons Verhältnis zu Johannes sei richtig, wenn man nur festhalte, „dass Johannes alles das in Christus fand⁴⁶⁸ und unmittelbar schaute,was er, gerade indem er sich selbst Schweigen auferlegt, in seiner⁴⁶⁹ ganzen Objektivität darstellt, weil sein Auge für die unmittelbare Göttlichkeit in Christus aufgetan wurde; wohingegen Platon durch eine dichterische Tätigkeit seinen Sokrates erschafft, da Sokrates eben in seiner unmittelbaren Existenz bloß negativ war.“⁴⁷⁰
Die Behauptung, die unmittelbare Existenz Christi habe nichts anderes bedeutet, als sie gewesen sei, wird von Kierkegaard dabei in einer Anmerkung zu dieser Stelle auf folgende Weise erläutert: „Christus sagt selbst: ἐγώ εἰμι ἡ ὁδὸς ϰαὶ ἡ ἀλήϑεια ϰαὶ ἡ ζωή, und was die Auffassung der Apostel angeht, war sie handgreiflich – nicht ein sinnreiches Kunstwerk. ῝Ο ἀϰηϰόαμεν, ἓ ἑωϱάϰαμεν τοῖς ὀϕϑαλμοῖς ἡμῶν, ὅ ἐϑεασάμεϑα, ϰαὶ αἱ χεῖϱες ἡμῶν ἐψηλάϕησαν I Joh 1,1. Daher sagt Christus auch, dass Könige und Fürsten danach verlangt haben, ihn zu sehen; Sokrates dagegen war, wie bereits oben bemerkt, für seine Mitwelt unsichtbar. Sokrates war unsichtbar und nur durch das Hören sichtbar (loquere ut videam te). Sokrates‘ Existenz war überhaupt apparent, nicht transparent. Dies im Hinblick auf Christi Existenz. Was seinen
SKS 1, 76 f. / BI, 12 f. (meine Übers.); vgl. auch SKS 1, 244 / BI, 204: „Er [scil. Sokrates] ist nicht; denn er ist nicht für das unmittelbare Verständnis“. Ich übersetze hier nach der Originalausgabe von 1841, Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn til Socrates, Kopenhagen 1841, S. 10 („at Johannes fandt og umiddelbart skuede…“). SKS 1, 77,7– 8 hat an dieser Stelle: „at Johannes sandt [!] og umiddelbart skuede…“ [„dass Johannes alles das in Christus wahr [!] und unmittelbar schaute…“]. Das Personalpronomen ‚sein‘ [sin] bezieht sich hier auf ‚alles das‘; Johannes stellt also ‚alles das‘ in Christus unmittelbar Geschaute in dessen ganzer Objektivität dar. SKS 1, 77 / BI, 13 (meine Übers.). Wie diese ‚unmittelbare Göttlichkeit‘ in Christus hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Mitwelt näher zu verstehen ist, beschreibt Kierkegaard an einer anderen Stelle, an der er von Platon behauptet, in der Person des Sokrates einen „unmittelbaren Inhaber des Göttlichen“ zu sehen: „Die wesentliche Wirkung einer solchen ursprünglichen Persönlichkeit auf das Geschlecht und ihr Verhältnis zu ihm vollzieht sich teils in einem Mitteilen von Leben und Geist, (wenn Christus die Jünger anhaucht und sagt: Nehmt hin den heiligen Geist), teils in einem Freimachen der gebundenen Kräfte des Individuums, (wenn Christus zum Gichtbrüchigen sagt: steh auf und geh), oder richtiger, sie vollzieht sich in beidem zugleich“ (SKS 1, 90 / BI, 28; meine Übers.); zur Wendung ‚Auge…aufgetan wurde‘ vgl. unten Anm. 480.
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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Vortrag angeht, konnte man ihn stets beim Wort nehmen, seine Worte waren Leben und Geist; Sokrates ließ sich dabei nur missverstehen, und war nur durch eine Negativität belebend.“⁴⁷¹
Der Rahmen der Magisterabhandlung gestatte es jedoch nicht, auf das Verhältnis von Sokrates und Christus (weiter) einzugehen, über das Baur so viel Bemerkenswertes geschrieben habe, obgleich Kierkegaard „doch immer ein bescheidener kleiner asthmatischer Zweifel“ bleibe, „ob nicht die Ähnlichkeit in der Unähnlichkeit besteht, und es nur eine Analogie gibt, weil es einen Gegensatz gibt.“⁴⁷² An der zweiten, in diesem Zusammenhang zu untersuchenden Stelle der Magisterabhandlung ist Kierkegaard jedoch nochmals und wiederum in expliziter Auseinandersetzung mit Baur auf das Verhältnis von Sokrates und Christus zurückgekommen und hat seine im zuletzt angeführten Satz lakonisch vorgetragene Ansicht, die Ähnlichkeit zwischen beiden bestehe in der Unähnlichkeit, etwas konkretisiert. In einer langen Anmerkung in dem mit „Hegels Sokratesverständnis“⁴⁷³ überschriebenen ersten Abschnitt der Beilage zum 3. Kapitel des ersten Teils bescheinigt Kierkegaard Baur zunächst das Verdienst, auf die Bedeutung des Sokrates als Persönlichkeit aufmerksam zu sein, „und die ganze Betrachtung, dass die Ähnlichkeit zwischen Sokrates und Christus zunächst in der Gültigkeit gesucht werden muss, die sie beide als Persönlichkeiten hatten, ist eine sehr fruchtbare Betrachtung.“⁴⁷⁴ Jedoch müsse man zugleich die „unendliche“ oder „absolute
SKS 1, 76 / BI, 12 (Anm.; meine Übers.); vgl. auch SKS 1, 74 / BI, 10. Das vom lat. apparens stammende Adjektiv ‚apparent‘ bedeutet hier nicht wie im Deutschen ‚offenbar, sichtbar, wahrnehmbar‘, sondern vielmehr ‚anscheinend, dem Anschein nach‘; vgl. auch SKS K1, 166 sowie BI, 12 („scheingebend“). Dass diese Bedeutung von ‚apparent‘ – hier bezeichnenderweise nicht im Gegensatz zu ‚inapparent‘, sondern zu ‚transparent‘ gebraucht – eine zu Kierkegaards Zeit übliche ist, verdeutlicht ein Blick in das sich in Kierkegaards Bibliothek befindende Fremdwörterbuch von Ludvig Meyer, Fremmedord-Bog, eller Kortfattet Lexikon over fremmede, i det danske Skrift- og Omgangs-Sprog forekommende Ord, Konstudtryk og Talemaader; tilligemed de i danske Skrifter mest brugelige, fremmede Ordforkortelser, 2. Aufl., Kopenhagen 1844 (ktl. 1034), S. 45 (s.v. „Apparents“) (ferner Fremmedord-Bog, 3. Aufl., S. 49). Das Adjektiv ‚apparent‘ findet sich in Kierkegaards Gesamtwerk sonst nur noch in der Journalaufzeichnung CC:13 (SKS 17, 204,35 f. / DSKE 1, 165,10 – 12), ebenfalls im Sinne von ‚anscheinend, dem Anschein nach‘, sowie in SKS 12, 128 / EC, 117, wo die Bedeutung jedoch ‚sich zeigend, (er)scheinend, offenbar‘ ist (vgl. SKS K12, 188 f.); das Substantiv ‚Apparents‘, jeweils im Sinne von ‚Erscheinung‘, findet sich allein in SKS 18, 378 – 380, KK:11 / DSKE 2, 388 f. (§§ 7 und 9) und SKS 18, 382, KK:11 / DSKE 2, 392 (§ 15). SKS 1, 76 / BI, 12 (Anm.; meine Übers.). Vgl. SKS 1, 262– 268 / BI, 226 – 232. SKS 1, 265 / BI, 227 (Anm.; meine Übers.).
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Unähnlichkeit“⁴⁷⁵ zwischen Sokrates und Christus festhalten, die doch auch innerhalb dieser Ähnlichkeit bestehen bleibe. Eine ironische Persönlichkeit wie die des Sokrates suche nämlich in sich selbst zurückzukehren und sich in sich selbst abzuschließen, weshalb sie sich aus jedem Verhältnis zur Welt „mit einer skeptischen Zurückhaltung (ἐποχή)“⁴⁷⁶ zurückziehe und ihr Verhältnis zur Welt in jedem Augenblick daher kein Verhältnis sei. Im Gegensatz zu einer solchen ironischen Persönlichkeit, die „eigentlich nur der Umriss einer Persönlichkeit“ sei, wohnte in Christus „unmittelbar die Fülle der Gottheit, und sein Verhältnis zur Welt ist ein absolut reales, so dass die Gemeinde sich bewusst ist, Glieder an seinem Leibe zu sein.“⁴⁷⁷ Der von Baur beobachteten Ähnlichkeit zwischen Sokrates und Christus kann nach Kierkegaard also nur unter gleichzeitiger Hervorhebung der unendlichen oder absoluten Unähnlichkeit beider zugestimmt werden: dass bei Sokrates unmittelbare Existenz und Bedeutung divergieren, während sie bei Christus koinzidieren.⁴⁷⁸ Die unmittelbare Existenz des Sokrates habe etwas anderes bedeutet als das, was sie dem Anschein nach gewesen sei. In Wirklichkeit sei Sokrates für seine Mitwelt unsichtbar, unkenntlich in der ironischen Negativität gewesen. Dagegen habe die unmittelbare Existenz Christi nichts anderes bedeutet als das, was sie wirklich gewesen sei, weshalb sie den Inhalt seines Lebens exakt widergespiegelt, seine Göttlichkeit durchscheinen gelassen habe. Christi Verhältnis zur Welt sei daher ein absolut reales und seine göttliche Existenz für seine Mitwelt sichtbar und palpabel gewesen. Im Gegensatz zur undurchsichtigen Existenz des Sokrates und der dadurch bedingten ungetreuen Abbildung des Sokrates durch Xenophon und Platon hätten die Synoptiker „das unmittelbar getreue Bild“⁴⁷⁹ der unmittelbaren Existenz Christi wiedergeben und Johannes das in Christus unmittelbar Geschaute in dessen ganzer Objektivität darstellen können. Der Zusatz, dass Johannes dies deshalb möglich gewesen sei, „weil sein Auge für die unmittelbare Göttlichkeit in Christus aufgetan wurde“⁴⁸⁰, zeigt zudem, dass für Kierkegaard die Wahrnehmung SKS 1, 265 / BI, 227 f. (Anm.; meine Übers.; ohne Hervorhebungen). SKS 1, 265 / BI, 228 (Anm.). Ibid. (meine Übers.). Vgl. hierzu Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 23. SKS 1, 76 / BI, 12 (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 77 / BI, 13 (meine Übers. und Hervorhebung; vgl. Lk 24,31 in NT-1819: „Da wurden ihre Augen geöffnet [bleve deres Øine aabnede] und sie erkannten ihn, und er wurde vor ihnen unsichtbar“). Hirsch übersetzt die Passivkonstruktion ‚hans Øie aabnedes‘ (SKS 1, 77,9 f.) dagegen mit „sein Auge…aufgetan war“ (BI, 13), was nicht nur fraglich, sondern auch inkonsequent ist, wenn er später ‚den, hvis Øie aabnedes for Ironi‘ (SKS 1, 348,24) richtig mit „derjenige, dessen Auge für die Ironie aufgetan ward“ (BI, 323) übersetzt; vgl. auch SKS 5, 245 / SLW, 278.
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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des unmittelbar Göttlichen in Christus, obwohl seine Existenz für seine Mitwelt grundsätzlich sichtbar und kenntlich, nicht bedingungslos gewesen ist. Diese von Kierkegaard in der Magisterabhandlung vertretene Position, dass die Göttlichkeit Christi unmittelbar kenntlich gewesen sei, steht nun in diametralem Gegensatz zu seinem späteren Verständnis Christi als des absoluten Paradoxes. Für den jungen Kierkegaard ist es die Gestalt des Sokrates, die sich durch Unkenntlichkeit auszeichnet: „Ein wesentlicher Gedanke der Paradox-Christologie, das Inkognito, dient 1841 also nicht der Deutung Jesu Christi, sondern der des Sokrates.“⁴⁸¹ Von einer Christologie des Paradoxes findet sich in Kierkegaards Werk bis Anfang 1843 „auch nicht die Spur“⁴⁸². In der Tat offenbart sich darin ein tiefgreifender, prinzipieller Unterschied zum Christusverständnis des jungen Kierkegaard, wenn Climacus in den Philosophischen Brocken (1844) behauptet, die unmittelbare Erscheinung Christi vermöge nicht den Inhalt seines Lebens, seine Göttlichkeit, auszudrücken, da es keine empirischen Kriterien für diese geben könne: „Sieh, da steht er also – der Gott. Wo? Da, kannst du ihn nicht sehen?…So steht also der Gott auf der Erde, dem Geringsten gleich durch seine allmächtige Liebe…Aber die Knechtsgestalt war kein bloßer Umhang gewesen, darum muss der Gott alles leiden, alles dulden, alles versuchen, in der Wüste hungern, in Qualen dürsten, im Tode verlassen sein, absolut gleich dem Geringsten – sehet, welch ein Mensch!“⁴⁸³ „…alles Reden von Gottes irdischer Herrlichkeit (wo er doch nur in der Knechtsgestalt war – ein einzelner Mensch, wie einer von uns – der Gegenstand des Ärgernisses), von seiner unmittelbaren Göttlichkeit (wo doch die Göttlichkeit keine unmittelbare Bestimmung ist…), von der unmittelbaren Wunderbarkeit seines Wirkens (wo doch das Wunder nicht unmittelbar ist, sondern nur für den Glaubenden ist, weil der, welcher nicht glaubt, das Wunder nicht sieht) ist hier wie überall Galimathias, ein Versuch, das Nachdenken mit Gerede hinzuhalten.“⁴⁸⁴
Wie die Untersuchung in Kapitel 3.2.2 und 3.3.2.5 zeigte, hat der junge Kierkegaard das ‚Paradox‘ aller Wahrscheinlichkeit nach nicht christologisch als Bezeichnung Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 21; vgl. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 19. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 18; vgl. auch Gerdes’ Anmerkung in T 1, 395 (Anm. 599). Vgl. Gerdes’ Anmerkung zu seiner Feststellung in Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 19, dass weder Pap. II A 755 [SKS 18, 104, FF:152 / DSKE 2, 107] noch Pap. II A 439 [SKS 18, 31, EE:79 / DSKE 2, 30] mit der Paradox-Christologie im Sinne der Philosophischen Brocken verknüpft seien: „Dies Ergebnis war mir selber überraschend. Bei einem immer erneuten Durchprüfen des Materials aber haben sich die hier ausgesprochenen Tatsachen nur immer wieder bestätigt“ (S. 77, Anm. 5). SKS 4, 238 f. / PB, 30 (meine Übers.); vgl. im Ganzen SKS 4, 238 – 240 / PB, 29 – 32. SKS 4, 290 f. / PB, 89 (meine Übers.).
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der Inkarnation verstanden.⁴⁸⁵ Einen ersten entscheidenden Schritt hin zur Paradox-Christologie, wie sie in den Philosophischen Brocken zur vollen Ausbildung gekommen ist, bilden dabei zwei Aufzeichnungen vom Frühjahr 1843. In der Journalaufzeichnung JJ:58 von vermutlich Ende Februar 1843 heißt es: „Christi Erscheinen ist und bleibt doch ein Paradox. Im Verhältnis zu seiner eigenen Zeit lag es darin, dass er, dieser bestimmte einzelne Mensch, der wie andere Menschen aussah, wie diese sprach, Sitte und Brauch folgte, dass er Gottes Sohn war. Für jede spätere Zeit ist das Paradox ein anderes; denn da sie ihn nicht mit leiblichen Augen sieht, fällt es leichter, sich ihn als Gottes Sohn vorzustellen, aber nun kommt das Anstößige, dass er im Gedankengang eines bestimmten Zeitalters sprach. Und doch, hätte er das nicht getan, wäre seiner eigenen Zeit gegenüber eine große Ungerechtigkeit geschehen; denn sie wäre dann ja die einzige gewesen, die ein Paradox gehabt hätte, an dem man Anstoß nehmen konnte. – Dass seine eigene Zeit das schlimmste Paradox hatte, das ist zumindest meine Meinung; denn die sentimentale Sehnsucht danach, gleichzeitig mit Christus gewesen zu sein, von der viele reden, hat nicht viel zu bedeuten; Zeuge eines solchen Paradoxes zu sein, ist eine höchst ernste Sache.“⁴⁸⁶
Und in der mit „Das absolute Paradox“ überschriebenen Aufzeichnung Not13:53, die auch angesichts der Verweise am Ende wohl nicht viel später als JJ:58 entstanden sein dürfte, schreibt Kierkegaard schließlich: „Insofern die Philosophie die Mediation ist, kommt es darauf an, dass sie sich nicht abschließt, bevor sie dem letzten Paradox in die Augen gesehen hat. / Dieses Paradox ist der Gott-Mensch und muss rein aus der Idee entwickelt werden, und wiederum mit ständiger Rücksicht auf das Auftreten Christi, um zu sehen, ob dieses hinlänglich paradox ist, ob die menschliche Existenz Christi nicht das Gepräge dessen trägt, dass er nicht im tiefsten Sinne der einzelne Mensch ist, wieweit seine irdische Existenz nicht unter das Metaphysische und Ästhetische fällt. / NB: Im Buch ‚JJ‘ finden sich einige einzelne Bemerkungen p. 18; 23 und 24; 28.“⁴⁸⁷
Zu der ersten Stelle, an der Kierkegaard vom Glauben als Paradox spricht, und zwar in der Aufzeichnung Not13:23 von vermutlich Anfang 1843, vgl. das zu Anm. 371 gehörende Zitat. SKS 18, 58 f., JJ:58 / DSKE 2, 163 (dt. Übers. modifiziert); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal JJ in DSKE 2, 515 f. Die Aufzeichnung JJ:12 datiert vom 20. November 1842, die Aufzeichnung JJ:109 vom 10. Mai 1843, während die Aufzeichnungen JJ:53 und JJ:54 nach dem 20. Februar 1843 und die Aufzeichnung JJ:88 nach dem 10. April 1843 entstanden sein müssen. SKS 19, 418, Not13:53 / DSKE 3, 456 (dt. Übers. modifiziert); die Verweise am Ende der Aufzeichnung beziehen sich auf JJ:58 (vgl. vorige Anm.); SKS 18, 162 f., JJ:73 / DSKE 2, 167 und SKS 18, 166, JJ:84 / DSKE 2, 170 f. (von vermutlich Ende März). Zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 13 in DSKE 3, 859. Die wohl kurze Zeit zuvor entstandene Aufzeichnung Not13:46 muss nach dem 10. März 1843 entstanden sein.
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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Der Beginn der Ausbildung der Paradox-Christologie Kierkegaards fällt also in die Zeit zwischen der Magisterabhandlung als letztem Zeugnis für die „Frühgestalt der Christologie“⁴⁸⁸ und der ersten eindeutigen Aussage im Sinne der ParadoxChristologie in JJ:58. Im Sinne der Paradox-Christologie deshalb, weil in JJ:58 im Unterschied zu den Philosophischen Brocken und in Übereinstimmung mit der Magisterabhandlung hinsichtlich der wahrheitsgemäßen Auffassung von Jesus Christus noch eine Unterscheidung zwischen der mit Jesus gleichzeitigen Generation und allen späteren Generationen gemacht wird. Diese Unterscheidung begegnete bereits in den im Herbst 1834 durch die Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre motivierten kritischen Bemerkungen Kierkegaards zur Lehre von der Inspiration, in denen er den später lebenden Menschen hinsichtlich der wahrheitsgemäßen Auffassung von Jesus Christus „einen großen Vorzug“⁴⁸⁹ gegenüber den im nahen Verhältnis zu ihm stehenden Aposteln zugestehen konnte. In den Philosophischen Brocken jedoch ist mittels der Differenzierung zwischen der unmittelbaren Gleichzeitigkeit und der wahren existentiellen Gleichzeitigkeit (des Glaubenden) mit Christus jeder Vor- oder Nachteil einer bestimmten Generation gegenüber anderen Generationen, ja jeder wesentliche Unterschied zwischen den Generationen überhaupt aufgehoben, da sich gegenüber dem ‚absoluten Paradox‘ des Gottmenschen in der Zeit alle Menschen in der gleichen Situation befinden.⁴⁹⁰ Es stellt sich unweigerlich die Frage, was sich in der Zeit zwischen der Abgabe der Magisterabhandlung Anfang Juni 1841 und dem Frühjahr 1843 ereignet hat, das diese fundamentale Wandlung der christologischen Position Kierkegaards bewirkt haben könnte, welche weitreichende Konsequenzen für sein Glaubensverständnis haben sollte. Aus Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen aus dieser Zeit (die erste Publikation nach der Magisterabhandlung war Entweder – Oder am 20. Februar 1843) lässt sich diese tiefgreifende Veränderung allerdings nicht erklärlich machen.⁴⁹¹ Im nachfolgenden Exkurs sollen die beiden wich-
Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 25; vgl. auch Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 18 – 21, der für die Zeit bis zur Magisterabhandlung von Kierkegaards „erste[r] Christologie“ (S. 19) spricht; allerdings gehörten „[a]lle christologisch entscheidenden Aussagen Kierkegaards…der Zeit von 1848 ab an“ (ders., Das Christusbild Sören Kierkegaards. Verglichen mit der Christologie Hegels und Schleiermachers, Düsseldorf und Köln 1960, S. 7). SKS 27, 100, Papir 65 / T 1, 37; siehe Kap. 1.2.2.2. Vgl. SKS 4, 285 / PB, 83 (vgl. das zu Kap. 1, Anm. 74 gehörende Zitat) und SKS 4, 301 / PB, 101 f. (vgl. Kap. 1, Anm. 74). Aus der Zeit von Oktober bis Dezember 1841 stammen die Aufzeichnungen in Notizbuch 8 (SKS 19, 223 – 246 / DSKE 3, 239 – 264). In Notizbuch 9 – 11 (SKS 19, 249 – 282 / DSKE 3, 267– 305; SKS 19, 285 – 302 / DSKE 3, 309 – 329; SKS 19, 305 – 367 / DSKE 3, 333 – 405) finden sich zudem (größtenteils) Notizen zu Vorlesungen von Marheineke, Schelling und Werder in Berlin in der
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tigsten Versuche⁴⁹² einer Antwort auf diese über den Zeitraum der vorliegenden Untersuchung hinausführende Frage skizziert und kritisch beleuchtet werden.
Zeit von November 1841 bis März 1842. Im Mai 1842 hat Kierkegaard schließlich (und zwar sowohl von der Vorderseite wie von der Rückseite des Bandes her) Journal JJ (SKS 18, 145 – 313 / DSKE 2, 149 – 324) in Gebrauch genommen, wobei er im Dezember 1842 zusätzlich Notizbuch 12 (SKS 19, 371– 379 / DSKE 3, 409 – 417) beschrieben hat; im Dezember 1842 hat er auch Notizbuch 13 (SKS 19, 383 – 420 / DSKE 3, 421– 458) in Gebrauch genommen, dessen (von der Vorderseite des Bandes her eingetragene) Aufzeichnungen fast ausschließlich aus der Zeit von Dezember 1842 bis März 1843 stammen. Das Exzerpt aus Tennemanns Philosophiegeschichte in Notizbuch 14 (SKS 19, 425 – 427 / DSKE 3, 463 – 466) hat Kierkegaard synchron mit Notizbuch 13 und Journal JJ vermutlich in der Zeit von Januar bis April 1843 angefertigt. Vgl. auch oben Anm. 69. Zur Annahme Bohlins, Kierkegaards Paradox-Christologie sei aus der kritischen Auseinandersetzung mit Hegels spekulativer Deutung der Christologie erwachsen, vgl. Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 11– 13. Dagegen vermutet Stewart im Hintergrund der Ausbildung der Paradox-Christologie die Auseinandersetzung Kierkegaards mit dem dänischen Hegelianismus, insbesondere mit Martensen (vgl. Stewart, „The Paradox and the Criticism of Hegelian Mediation in Philosophical Fragments“, S. 190 – 207). Die angesprochene fundamentale Wandlung der christologischen Position Kierkegaards wird durch diese seine Entgegensetzung von Paradox und Mediation (siehe Kap. 3.3.1.2) freilich nicht erklärt.
Exkurs 2: Zur Ausbildung der Paradox-Christologie
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Exkurs 2: Zur Ausbildung der Paradox-Christologie Hayo Gerdes versucht in seiner Abhandlung Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard (1962)⁴⁹³ diese „Wendung in Kierkegaards Denken über Christus“⁴⁹⁴ aus Kierkegaards eigener Lebensgeschichte heraus zu erklären⁴⁹⁵, allen voran dem Verlobungsdebakel mit Regine Olsen.⁴⁹⁶ Ausgehend von der Beobachtung, dass die in der Auflösung der Verlobung Mitte Oktober 1841 offenbar werdende unglückliche Liebesgeschichte zwischen Søren und Regine mit dem Beginn der Ausbildung der Paradox-Christologie zeitlich zusammenfällt, möchte Gerdes in seiner „Ineinanderschau der persönlichen inneren Geschichte Kierkegaards mit seinen denkerischen und lehrmäßigen Äußerungen“⁴⁹⁷ darlegen, dass eine enge Beziehung besteht zwischen Kierkegaards Betonung des Inkognito Christi und seinem eigenen Unvermögen, seiner ehemals Verlobten die Gründe für die Auflösung der Verlobung anders als indirekt und inkognito (und zwar in seinen eigenen Schriften) mitzuteilen: „Kierkegaard erlebte an sich selbst, daß es eine echte, tiefe Liebe gibt, welche doch dem Menschen, auf den sie sich richtet, das tiefste Leid bringen kann und von ihm als Grausamkeit mißverstanden wird. Daß Kierkegaard aber diese Liebe im Inkognito an Regine übte, ist von ihm als einfache Christenpflicht empfunden worden. So allein konnte er die Aufgabe lösen, ohne darunter zu zerbrechen.Was liegt näher, als daß für Kierkegaard dies sein eigenes für ihn christlich gebotenes Handeln zu einem Schlüssel für das Verständnis der Liebe Christi wurde. Er erkannte, daß jenes Mißverständnis bei Christus, der die tiefste und wahrste Liebe bringt und darin unendlich hoch über denen steht, die er liebt, fast mit Notwendigkeit eintreten muß. Liegt aber in der wahren Liebe die Göttlichkeit Christi, so ist diese gerade nicht unmittelbar kenntlich, sondern verhüllt sich in einer nur vom Glauben durchschaubaren Niedrigkeitsgestalt. Das ist der Ansatzpunkt für Kierkegaards Paradox-Christologie.“⁴⁹⁸
Der Gedanke einer im Paradox verhüllten Liebe habe seinen Ursprung in Kierkegaards eigener gescheiterter Beziehung zu Regine und werde von ihm auf die freiwillige Entäußerung und Menschwerdung Gottes in Jesus Christus übertragen, dessen wahren Sinn er erst infolge seiner einschneidenden Erfahrung mit Regine Hayo Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard. Ein Beitrag zur Erläuterung des Paradox-Gedankens, Itzehoe 1962. Ibid., S. 22. Vgl. bereits Teisen, Om Søren Kierkegaard’s Betydning, S. 36 ff. Vgl. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 21– 28. Ibid., S. 5. Zu möglichen Vorbehalten gegenüber einer solchen psychologisch-historischen Analyse vgl. Einleitung, Anm. 1. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 22, wo anschließend zum Beleg SKS 18, 155, JJ:44 / DSKE 2, 159; SKS 18, 166, JJ:84 / DSKE 2, 170 f. (samt JJ:84.a); SKS 18, 166 f., JJ:87 / DSKE 2, 171 f.; SKS 18, 200, JJ:185 / DSKE 2, 206 f. angeführt werden.
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verstanden habe⁴⁹⁹, wobei Kierkegaard vom Dogma der Gottheit Christi ausgegangen sei und den Gedanken des Inkognito erst nachträglich mit der geschichtlichen Erscheinung Jesu verknüpft habe.⁵⁰⁰ So einleuchtend diese ursächliche Verknüpfung von Kierkegaards Verlobungs- und Entlobungsgeschichte mit der Ausbildung der Paradox-Christologie auf den ersten Blick auch scheinen mag, bleiben dennoch, wie Hermann Fischer in seiner Studie Die Christologie des Paradoxes (1970)⁵⁰¹ gezeigt hat, „Fragen offen“⁵⁰². Die Ausführungen der Philosophischen Brocken gingen nämlich über die von Gerdes „lediglich in diesem [und zwar: biographischen] Horizont gedeutete Christologie“⁵⁰³ sachlich hinaus. Bei Gerdes solle der Gedanke des Inkognito Christi bloß die Eigenart der Liebe Christi verständlich machen, dass diese nur in Verhüllung wirken könne, wie es auch im zweiten Kapitel der Philosophischen Brocken thematisiert werde. Der Gedanke des Inkognito Christi steigere sich aber zu dem des Paradoxes und werde in den Ausführungen der späteren Kapitel der Philosophischen Brocken über das Verhältnis des Glaubens zum geschichtlichen Jesus „in Beziehung gesetzt zum Phänomen des Historischen. Es geht um den viel weiteren Rahmen des christologischen Problems, das durch die Spannung von historischer Gestalt einerseits, des Gott-Menschen andererseits umschrieben ist. Der Paradox-Gedanke wird aufgeboten, um dieser Spannung den sachgemäßen Ausdruck zu verleihen.“⁵⁰⁴ Der thematische Ort für das die Ausgestaltung der
Vgl. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 24: Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus „ist nichts anderes als die Gestalt der göttlichen Liebe, in der allein diese den Menschen zur Freiheit einer echten Liebesgemeinschaft mit Gott entbinden kann, ohne ihn zum Knecht einer alle freie Bewegung des Herzens erdrückenden Übermacht des Heiligen zu machen.“ Gleichwohl trete durch diese Übertragung der sich im Paradox verhüllenden Liebe auf Christus „eine Verschärfung“ ein, da Christus schuldlos gewesen sei, während Kierkegaard glaubte, gegenüber Regine eine Schuld zu tragen, nämlich „die, daß er sie überhaupt ‚mit in die Strömung hinausgerissen‘ hatte“ (S. 23; zum Zitat vgl. SKS 28, 247, Brev 159.1 / B 224 (Nr. 109.a)). Vgl. ibid., S. 24, wo Gerdes konstatiert: „Man wird also Kierkegaard heillos mißverstehen, wenn man…von der geschichtlichen Wahrnehmung ausgeht, und auf sie das Paradox bezieht, daß hier an Jesus schlechterdings nichts Besonderes zu sehen sei und daß dennoch der Glaube gefordert werde, ihn als Sohn Gottes anzuerkennen. Bei Kierkegaard ist es gerade umgekehrt: Die Gottheit Christi ist ihm das Selbstverständliche, auch in der geschichtlichen Wahrnehmung…sich Aufdrängende, und es ist das Ziel der Paradoxlehre, diesen Christus so tief wie möglich ‚in die Menschheit zu bringen‘.“ Hermann Fischer, Die Christologie des Paradoxes. Zur Herkunft und Bedeutung des Christusverständnisses Sören Kierkegaards, Göttingen 1970. Ibid., S. 28. Ibid. Ibid., S. 30.
Exkurs 2: Zur Ausbildung der Paradox-Christologie
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Paradox-Christologie bestimmende sachliche Motiv sei demnach das Verhältnis von Glaube und Geschichte. Mit ständiger Rücksicht auf die Leitfrage, „ob nicht die Entstehungsgeschichte Hinweise für eine genauere Erfassung der Paradox-Christologie biete“⁵⁰⁵, möchte Fischer die Ausgestaltung der in den Philosophischen Brocken vorliegenden Paradox-Christologie auf Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Religions- und Geschichtsphilosophie Lessings zurückführen, wie sie Kierkegaard in Lessings Abhandlung „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ (1777)⁵⁰⁶ begegnet sei.⁵⁰⁷ In dieser kleinen, aber gehaltvollen Abhandlung hat Lessing bekanntlich das Verhältnis von zufälligen Geschichts- und notwendigen Vernunftwahrheiten dahingehend bestimmt, dass erstere als solche der Beweis von letzteren niemals werden könnten, weil zwischen diesen beiden „Klasse[n]“ von Wahrheiten ein bloß durch einen solchen „Sprung“ überwindbarer „garstige[r] breite[r] Graben“⁵⁰⁸ liege, der dem logischen Fauxpas einer μετάβασις εἰς ἄλλο γένος gleichkäme. Auch wenn die Nachrichten von den erfüllten Weissagungen und geschehenen Wundern Christi ebenso zuverlässig seien, wie nur immer historische Wahrheiten sein könnten, könnten diese historisch erwiesenen Wahrheiten, gerade weil sie „nur eben so zuverlässig“ wie andere historische Wahrheiten seien, niemals „als demonstrirte Wahrheiten“⁵⁰⁹ und damit als Grund und Grundlage für (den Glauben an) ewige Wahrheiten dienen. Konsequenterweise konstatiert Lessing denn auch: „Wenn keine historische Wahrheit demonstrirt werden kann: so kann auch nichts durch historische Wahrheiten demonstrirt werden.“⁵¹⁰ In gewisser Spannung zu dieser geschichtsphilosophischen Argumentation seiner Abhandlung konzediert Lessing im Rahmen seiner geschichtswissenschaftlichen Argumentation⁵¹¹ jedoch mit fein nuancierter Konzilianz gegenüber
Ibid., S. 21. Lessing, Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften (siehe Anm. 531), Bd. 5, S. 75 – 85. Vgl. Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 31– 47. Lessing, Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften (siehe Anm. 531), Bd. 5, S. 82 f. Ibid., S. 79. Ibid., S. 80. Zu dieser Differenzierung zwischen einer religions- bzw. geschichtsphilosophischen und einer empirisch-historischen, geschichtswissenschaftlichen Argumentation in Lessings Abhandlung, die beide in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen, vgl. Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 32– 38. Die empirisch-historische Argumentationslinie nimmt ihren Ausgang bei der Unterscheidung zwischen den erfüllten Weissagungen und geschehenen Wundern Jesu, die man selbst als Augenzeuge erlebe und sehe, und denjenigen, von denen man nur historisch (durch den Bericht anderer) wisse, dass sie andere erlebt und gesehen haben (wollen). Im Unterschied zu den Weissagungen und Wundern „vor meinen Augen“, die unmittelbar wirkten, sollten die Nachrichten von diesen Weissagungen und Wundern mittelbar, durch
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Johann Daniel Schumann (1714– 87), dass er in dem für möglich gehaltenen Fall der Gleichzeitigkeit mit und Augenzeugenschaft von den Weissagungen und Wundern Christi „willig“ seinen Verstand dem Verstande Christi „unterworfen“ und „ihm in allen Dingen geglaubt hätte, in welchen eben so ungezweifelte Erfahrungen ihm nicht entgegen gewesen wären.“⁵¹² Lessings „Fechten e concessis“⁵¹³ zum Trotz muss daraus streng genommen aber gefolgert werden, dass dann den historischen Wahrheiten de facto Beweiskraft für die Vernunft zukäme und der hypothetisch angenommenen Augenzeugenschaft von – in Kierkegaards Diktion: unmittelbaren Gleichzeitigkeit mit – den Weissagungen und Wundern Christi ein Vorteil gegenüber späteren Generationen eingeräumt wäre. Ein unmittelbar erlebtes Historisches wäre dann also zu einem Beweis des Geistes und der Kraft geworden. Fischer argumentiert nun, dass sich Kierkegaard durch diese „unausgeglichene Gedankenführung“⁵¹⁴ in Lessings Abhandlung zur Modifizierung seiner früheren Ansichten in dieser Sache und damit zur Ausgestaltung der ParadoxChristologie veranlasst gesehen habe: „Kierkegaard brauchte gar nichts anderes zu tun, als die geschichtsphilosophische These von den zufälligen Geschichts- und den notwendigen Vernunftwahrheiten konsequent zu Ende zu denken und auf den geschichtlichen Jesus bzw. auf das Verhältnis des Glaubens zu ihm anzuwenden. Daß er sich damit zugleich kritisch gegen Lessing wenden mußte, versteht sich von selbst, denn der vermeintliche Vorzug der Gleichzeitigkeit, den Lessing im Rahmen seiner geschichtswissenschaftlichen Erwägungen meinte aufweisen zu können, ließ sich unter solchen Voraussetzungen nicht mehr durchhalten…Kierkegaard würde so durch seine kritische Anknüpfung an Lessing einen genuinen Gedanken ins Bewußtsein gerückt haben, der bei Lessing seine ursprüngliche Schärfe gerade dadurch wieder einzubüßen droht, daß er unter vielfachen Gesichtspunkten zur Diskussion gestellt wird. Kierkegaards Aussagen zum Thema der Gleichzeitigkeit im vierten und fünften Kapitel der Philosophischen Brocken
„ein Medium wirken“, das ihnen aber „alle Kraft“ (Lessing, Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften (siehe Anm. 531), Bd. 5, S. 78; vgl. S. 76 und S. 80) entziehe. Im 18. Jahrhundert als der Zeit Lessings, in der es „keine Wunder mehr“ gebe, habe der Beweis des Geistes und der Kraft daher „weder Geist noch Kraft mehr“, sondern sei „zu menschlichen Zeugnissen von Geist und Kraft herabgesunken“ (S. 77 f.). Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften (siehe Anm. 531), Bd. 5, 1825, S. 77, wo Lessing fortfährt: „Oder, wenn ich noch jetzt erlebte, daß Christum oder die christliche Religion betreffende Weissagungen, von deren Priorität ich längst gewiß gewesen, auf die unstreitigste Art in Erfüllung gingen; wenn noch jetzt von gläubigen Christen Wunder gethan würden, die ich für echte Wunder erkennen müßte: was könnte mich abhalten, mich diesem Beweise des Geistes und der Kraft…zu fügen?“ So Kierkegaard in SKS 7, 95 / AUN1, 89. Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 37.
Exkurs 2: Zur Ausbildung der Paradox-Christologie
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gewinnen jedenfalls an Durchsichtigkeit, wenn man sie als Anwendungsfall der konsequent zu Ende gedachten geschichtsphilosophischen These Lessings versteht.“⁵¹⁵
Dies schließt für Frischer freilich nicht aus, dass sich für Kierkegaard der Gedanke des Inkognito Christi aus der eigenen Lebensgeschichte: seinen Erfahrungen im Zusammenhang mit der Verlobungsgeschichte heraus als wichtig erwiesen habe, der von Kierkegaard dann jedoch „unter dem Eindruck eines sachlichen Zwanges“⁵¹⁶ zur Paradox-Christologie der Philosophischen Brocken ausgestaltet worden sei. Erst im Horizont des von Lessing durchdachten religions- und geschichtsphilosophischen Problems erschließe sich Kierkegaards Ausbildung der ParadoxChristologie in ihrer vollen Bedeutung: „Weicht man nun aber nicht der Historie aus und rettet sich – wie Lessing – zur notwendigen Vernunftwahrheit, sondern bindet trotz prinzipieller Ungleichartigkeit das Notwendige und Ewige an das Historische, dann ergibt sich ein paradoxer Sachverhalt; sieht man diese Verbindung in Christus realisiert, dann ist der Grundgedanke der Paradox-Christologie gewonnnen [sic!]. Als Ergebnis kann also einstweilen festgehalten werden: Eine durch Lessing vermittelte Einsicht in das Wesen der historischen und vernünftigen Wahrheit hätte Kierkegaard das gedankliche und begriffliche Gerüst geboten für die entscheidenden Aussagen der Philosophischen Brocken. Der Sachzwang der Argumentation wäre gefunden.“⁵¹⁷
Fischers Argumentation ist sachlich überzeugend, zumal sie den Schwachpunkt von Gerdes’ Argumentation beheben kann, dass die zeitliche Koinzidenz von Kierkegaards unglücklicher Liebesgeschichte und der fundamentalen Wandlung seiner christologischen Position im Grunde nur das Inkognito und damit den einen der „beiden Hauptbegriffe der Christologie Kierkegaards“⁵¹⁸, nicht aber auch den anderen, das (absolute) Paradox, in seinem Entstehen und Sinn erklären kann. Der von Gerdes als Hintergrund dieser Wandlung abgesteckte biographische Rahmen vermag für sich allein nämlich nicht zu plausibilisieren, warum es im Zuge der Übertragung des Gedankens einer im Paradox verhüllten Liebe auf Jesus Christus auch zu der Annahme Kierkegaards gekommen ist, dass das Faktum der Menschwerdung Gottes als Gegenstand des Glaubens selbst das ‚absolute Paradox‘ ist, gegenüber dem sich alle Menschen in der gleichen Situation befinden. Allerdings hat auch Fischers Argumentation eine entscheidende Schwachstelle, indem sie den postulierten sachlichen Zusammenhang zwischen Kierkegaards Philosophischen Brocken und Lessings Abhandlung durch den Nachweis
Ibid., S. 38. Ibid., S. 30. Ibid., S. 39; vgl. S. 47. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 5.
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eines tatsächlichen, historischen Abhängigkeitsverhältnisses „zu erhärten“⁵¹⁹ und dieser vermeintlichen ‚historischen Wahrheit‘ Beweiskraft für die Behauptung jenes als notwendig angenommenen sachlichen Zusammenhangs zuzuerkennen versucht. Fischers Argumentation steht und fällt mit der Frage, ob Kierkegaard Lessings Abhandlung tatsächlich vor der Ausarbeitung der Philosophischen Brocken gelesen und rezipiert hat.⁵²⁰ Folgerichtig vertritt Fischer die Annahme, dass
Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 44. Zur Lessing-Rezeption Kierkegaards vgl. (neben Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 31– 47) vor allem Erik Lunding, „Lessing und Kierkegaard“, Orbis Litterarum, Bd. 2, 1944, S. 159 – 187; Curtis L. Thompson, „Gotthold Ephraim Lessing: Appropriating the Testimony of a Theological Naturalist“, in Kierkegaard and the Renaissance and Modern Traditions, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 5), S. 77– 112, wo allerdings weder der Aufsatz von Hejll (vgl. unten Anm. 533) noch der von Lunding Berücksichtigung findet. Dagegen weist die mehr als 400 Seiten umfassende Untersuchung von André Kraus, Kierkegaard und Lessing. Sören Aabye Kierkegaards Rekurs auf Gotthold Ephraim Lessing in den „Philosophischen Brocken“ und der „Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift zu den Philosophischen Brocken“, Hamburg 2003 (zugleich Diss., Univ. Augsburg, 2003) (Schriftenreihe Boethiana, Bd. 62) eklatante Schwächen auf. Kraus will die Rekonstruktion des Einflusses Lessings auf Kierkegaard auf der Grundlage einer Untersuchung der Nennung von Lessings Namen durchführen (vgl. ibid., S. 148 ff.), wobei er – zwischen „Lessing“ und der Genitivform „Lessings“ unterscheidend (!) – für Kierkegaards Journale und Aufzeichnungen einzig die Register der deutschen Auswahlausgabe T konsultiert. Als Ergebnis dieser „Durchsicht der Lessingzitate“ hält Kraus dann jedoch unter anderem fest: „Wenn Kierkegaard sich auf Lessing bezieht, dann repliziert Kierkegaard Lessing in seinen Grundgedanken, ohne diesen explizit zu erwähnen oder gar exakt schriftlich zu zitieren“ (ibid., S. 167; meine Hervorhebung). Ohne eine direkte literarische Abhängigkeit Kierkegaards von Lessing auch nur an einer einzigen Stelle der Philosophischen Brocken belegen zu können, behauptet Kraus, dass Kierkegaard in dieser Schrift „die grundlegende Auseinandersetzung mit seinem ‚geistigen Übervater‘ Lessing“ aufnehme und „alle die von Lessing vorgegebenen Positionen“ „Schritt für Schritt“ (S. 284) abarbeite. Dass Kierkegaard „den Namen ‚Lessing‘“ in den Philosophischen Brocken aber „nicht mit einem Sterbenswörtchen erwähnt, verunsichert den Leser, doch darf dieser sich nicht verwirren lassen. Kierkegaard, der schlaue Fuchs, hatte seine Gründe“ (S. 198) – denn bei genauerer Betrachtung und eigentlich sei Kierkegaards Auseinandersetzung mit Lessing eine „verdeckte Auseinandersetzung“ (S. 288), und zwar mit Lessing „im Gewande des Sokrates“ (S. 193; vgl. S. 210 – 217). Aufbauend auf einer ausgesprochen dünnen Quellenbasis und unter geradezu souveräner Missachtung der tatsächlichen Zusammenhänge kommt Kraus schließlich zu folgendem Ergebnis: „Ohne die wichtigen Vorgaben bei Lessing wäre Kierkegaard wohl kaum auf die Fährte der wichtigen Begriffe ‚Sprung‘ und ‚Graben‘ gekommen und hätte an diesem ‚garstigen, breiten Graben‘ mit Sicherheit nicht seine eigenen Ideen vom ‚Sprung‘, von der ‚Wahl‘, den ‚Kategorien der Wahrheiten‘, der ‚Subjektivität[‘] und der ‚Approximation‘ entworfen“ (S. 392 f.). Trotz seiner vermeintlich kaum zu überschätzenden Bedeutung für Kierkegaards Denken sei Lessing aber weder „der Ziehvater Kierkegaards“, da dessen Bekanntschaft mit Lessings Abhandlung „Über den Beweis des Geistes
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Kierkegaard die Abhandlung nicht erst während der Ausarbeitung der Nachschrift, sondern „schon bei der Arbeit an den Philosophischen Brocken 1843/44…nicht nur gelesen, sondern das in ihr angesprochene Problem in seiner ganzen Tiefe und weitreichenden Bedeutung auch erfaßt“⁵²¹ hat. Angesichts der vermuteten Bedeutung von Lessings Abhandlung ist es jedoch bemerkenswert, dass Kierkegaard Lessing oder seine Abhandlung in den Philosophischen Brocken weder genannt noch darauf verwiesen hat (auch der Begriff des Sprunges taucht in diesem Zusammenhang nicht auf ⁵²²) und auch im Entwurfs- und Manuskriptmaterial der Name Lessings nicht begegnet – mit einer Ausnahme: die von Kierkegaard vermutlich Ende Februar oder Anfang März 1844 auf insgesamt drei lose Blätter und einen Zettel notierten ersten Entwürfe zum späteren Doppelwerk Philosophische Brocken (1844) und Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift (1846) als Ganzes, sozusagen deren Keimzelle, in Ms. 1 (Pap. V B 1:1– 12).⁵²³ Fischer verweist dabei auf die später auf der Titelseite der Philosophischen Brocken abgedruckte, dann aber in eine mehr objektive Richtung veränderte Problemformulierung in Pap. V B 1:1⁵²⁴ und zitiert anschließend die sich unmittelbar darauf beziehende, darunter stehende Aufzeichnung Pap. V B 1:2: „Dies ist und bleibt das Hauptproblem hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Christenund der Kraft“ ein „Zufallsfund“ und „Glücksfund“ sei, noch „der Vorläufer Kierkegaards“ gewesen, sondern sein „Steigbügelhalter“ (S. 392). Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 42 f.; vgl. auch S. 44, wo Fischer argumentiert, dass man in der Annahme nicht fehlgehen werde, „daß Kierkegaard die Lessing-Schrift vor Abfassung der Philosophischen Brocken gelesen hat“, angesichts der mehrdeutigen Hinweise in der Nachschrift (vgl. SKS 7, 102 / AUN1, 97) womöglich bereits in zeitlicher Nähe zu Furcht und Zittern, also „schon im Jahre 1843“. Überhaupt begegnet in den Philosophischen Brocken der Begriff des Sprunges – von der unbedeutenden Stelle SKS 4, 302 / PB, 103 (‚auf dem Sprunge stehen‘) abgesehen – allein in SKS 4, 248 / PB, 41 (2-mal) im Zusammenhang der Ausführungen über die Unsinnigkeit des Unterfangens, die Existenz Gottes beweisen zu wollen. Diese könne immer nur präsupponiert, niemals aber bewiesen werden, da sie nicht hervortreten könne, „solange ich am Beweis festhalte (d. h. fortfahre, der Beweisende zu sein)“ (SKS 4, 248 / PB, 40; dt. Übers. modifiziert). Erst indem ich den Beweis losließe, sei die Existenz (Gottes) da. Dieses Loslassen sei „meine Zuthat“ (SKS 4, 248 / PB, 40; vgl. SKS 27, 275,6, Papir 283:1) und damit etwas, das in Anschlag zu bringen sei, auch wenn es nur ein kleiner Augenblick – „ein Sprung“ (SKS 4, 248 / PB, 41) sei. Dass die Existenz selbst aus dem Beweis „durch einen Sprung“ hervorgehe, sei „die reservatio finalis“ (SKS 4, 248 / PB, 41) jedes Gottesbeweises. Ms. 1 in SKS K4, 174 f. (B-fort. 390; KA, B pk. 14 læg 1; Pap. V B 1:1– 12); zur Datierung vgl. SKS K4, 184. Die Ausarbeitung der Philosophischen Brocken ist innerhalb erstaunlich kurzer Zeit: zwischen Ende Februar und Ende Mai 1844 erfolgt. Pap. V B 1:1: „Wie bekomme ich einen geschichtlichen Ausgangspunkt für mein ewiges Bewusstsein, und wie kann ein solcher mich mehr als geschichtlich interessieren, wie kann ich meine Seligkeit auf ein geschichtliches Wissen gründen?“
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tum und Philosophie. Lessing ist der einzige, der darauf hingewiesen hat. Aber Lessing wusste über das, worum es hier gehen soll, auch um einiges besser Bescheid als Krethi und Plethi der modernen Philosophen.“⁵²⁵ Nicht zuletzt angesichts der in diesen Sätzen anklingenden Programmatik, die Erörterung des Verhältnisses zwischen Christentum und Philosophie, wie sie ausdrücklicher „Diskussionsgegenstand“⁵²⁶ auch der Philosophischen Brocken sei, sieht Fischer damit den „Einfluss[] Lessings auf Kierkegaard“ schon in den Philosophischen Brocken „endgültig gesichert[]“⁵²⁷. Allerdings findet sich auf Blatt [1r] von Ms. 1 der Name Lessings noch in einer weiteren, von Fischer aber unerwähnt gelassenen Aufzeichnung, und zwar in der quer zu Pap. V B 1:2 stehenden kurzen Notiz Pap. V B 1:3: „Lessing gebraucht das Wort: Sprung, ob das ein Ausdruck ist oder ein Gedanke, ist gleichgültig, ich verstehe es als einen Gedanken. / Sämtliche Werke 6. Band.“⁵²⁸ Dieser Verweis auf den sechsten Band der ‚Sämtlichen Werke‘ ist deshalb bemerkenswert, weil sich Lessings Abhandlung „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ sowohl in der von Kierkegaard in den 1830er Jahren verwendeten Ausgabe Gotthold Ephraim Lessings sämmtliche Schriften (1771– 94)⁵²⁹ als auch in der von ihm spätestens ab der zweiten Jahreshälfte 1842⁵³⁰ herangezogenen Ausgabe Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften (1825 – 28)⁵³¹ im fünften Band befindet.⁵³² Auf diesen scheinbar fehlerhaften Verweis Kierkegaards hat bereits Hejll⁵³³ die Annahme
Pap. V B 1:2. Vgl. hierzu das ähnliche Lob Lessings in den zur gleichen Zeit entstandenen Entwürfen zu Kap. 4, § 2, von Der Begriff Angst in Ms. 1.9 in SKS K4, 314 (L-fort. 387): „Noch hat niemand das Problem des Zweifels im Verhältnis zum Christentum frei und offen gestellt – als einziger vielleicht Lessing“ (Pap. V B 64; später mit Bleistift durchgestrichen); vgl. dazu Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 45. Fischer, Die Christologie des Paradoxes, S. 44, der in Anm. 41 auf SKS 4, 305 / PB, 107 verweist. Ibid., S. 45. Pap. V B 1:3; vgl. den photomechanischen Abdruck in SKS K4, 191. Gotthold Ephraim Lessing, Gotthold Ephraim Lessings sämmtliche Schriften, Bd. 1– 30, Berlin 1771– 94. Vgl. SKS 18, 146, JJ:4 / DSKE 2, 150. Gotthold Ephraim Lessing, Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften, Bd. 1– 32, Berlin 1825 – 28 (ktl. 1747– 1762). Vgl. Gotthold Ephraim Lessings sämmtliche Schriften, Bd. 5, 1791, S. 115 – 128 bzw. Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften, Bd. 5, 1825, S. 75 – 85. Richard Hejll, „Søren Kierkegaard och Dav. Fr. Strauss“, Edda, Bd. 40, 1940, S. 43 – 51, hier S. 49; vgl. ferner – im Anschluss an Hejll – Lunding, „Lessing und Kierkegaard“, S. 174, sowie – ohne Nennung Hejlls oder Lundings – Niels Thulstrup in seinem Kommentar zu Kierkegaards Philosophiske Smuler, 4. Aufl., Kopenhagen 1995 [1977], S. 116 f. Gleichwohl verwendete Strauß
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gegründet, Kierkegaard sei auf Lessings Abhandlung durch die Lektüre der Straußschen Glaubenslehre (1840 – 41) in der dänischen Übersetzung Brøchners (1842– 43) aufmerksam geworden, in der Strauß auf Lessings Werke unter Heranziehung der achtbändigen Donaueschinger Auswahlausgabe (1822– 23)⁵³⁴ verweist, in der sich Lessings Abhandlung im sechsten Band befindet.⁵³⁵ Ein Beleg dafür, dass Kierkegaard die Straußsche Glaubenslehre in der Übersetzung Brøchners zur Zeit der Entstehung jener ersten Entwürfe in Ms. 1 gekannt und auch gelesen hat, findet sich in der vermutlich Ende Februar 1844 entstandenen Journalaufzeichnung JJ:192: „Es ist doch merkwürdig, dass Spinoza gegen das Wunder, gegen die Offenbarung usw. ständig den Einwand erhebt, es sei eine Eigenheit der Juden, etwas unmittelbar auf Gott zurückzuführen und die Mittel-Ursachen zu überspringen [at føre noget umiddelbart tilbage til Gud og overspringe Mellem-Aarsagerne], gerade so, als ob dies bloß für die Juden eigentümlich sei und nicht das aller Religiosität Eigentümliche, ganz ebenso wie es Spinoza selbst getan hat, wenn anders er Religiosität gehabt hat, und gerade so, als ob nicht gerade hier die Schwierigkeit läge: ob, inwiefern, wie, kurz: Untersuchungen, die dem schärfsten Denken vollauf zu schaffen machen können.“⁵³⁶
Kierkegaards Aufzeichnung verdankt sich offenbar der Lektüre einer Stelle in § 14 („Die Auflösung der Lehre von der Inspiration der Schrift“⁵³⁷) der Glaubenslehre, an der Strauß bemerkt, Spinoza habe „vornehmlich auf die Sitte, die seine Landsleute hatten, aufmerksam gemacht, gewisse Wirkungen unmittelbar auf Gott zurückzuführen, indem sie die dazwischenliegenden Ursachen übersprangen
nicht, wie Hejll behauptet, „eine andere Auflage“ (S. 49) der Werke Lessings als die Kierkegaard zur Verfügung stehenden, sondern eine andere Ausgabe, vgl. die folgende Anmerkung. Gotthold Ephraim Lessing, Lessings Werke, Bd. 1– 8, Donauöschingen 1822– 23. Vgl. Lessings Werke, Bd. 6, 1822, S. 343 – 352, zusammen mit David Friedrich Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære i dens historiske Udvikling og i dens Kamp med den moderne Videnskab, übers. von Hans Brøchner, Bd. 1– 2, Kopenhagen 1842– 43 (ktl. 803 – 804); hier Bd. 1, S. 150 (§ 14) / Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft dargestellt, Bd. 1– 2, Tübingen und Stuttgart 1840 – 41; hier Bd. 1, S. 166 (§ 14). SKS 18, 201 f., JJ:192 / DSKE 2, 208 (meine Übers.); vgl. dazu Hejll, „Søren Kierkegaard och Dav. Fr. Strauss“, S. 48 f., der angibt, im Sommer 1937 Kierkegaards eigenes Exemplar der Glaubenslehre zufällig in einem alten Kopenhagener Antiquariat aufgestöbert zu haben, in dem die Worte ‚at føre visse Virkninger umiddelbart tilbage til Gud‘ (angeblich von Kierkegaards Hand) unterstrichen waren. Zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal JJ in DSKE 2, 516. Die kurze Zeit später entstandene Aufzeichnung JJ:195 muss nach dem 1. März 1844 entstanden sein, während JJ:171 vermutlich um die Jahreswende 1843/44 entstanden ist. Vgl. Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære, Bd. 1, S. 141– 163 (§ 14) / Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 156 – 181 (§ 14).
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[at føre visse Virkninger umiddelbart tilbage til Gud, idet de forbigik de mellemliggende Aarsager]“⁵³⁸. Auf diese Stelle sollte Kierkegaard auch in den in der Zeit zwischen 5. März und 20. Mai ausgearbeiteten und am 8. Juni 1844, fünf Tage vor den Philosophischen Brocken, erschienenen Drei erbaulichen Reden 1844 anspielen.⁵³⁹ Dagegen verweist der SKS-Kommentar zu JJ:192 auf eine Stelle im ersten Kapitel von Spinozas Tractatus theologico-politicus (1670) in der lateinischen Ausgabe Gfrörers⁵⁴⁰, obwohl Kierkegaard diesen Traktat wahrscheinlich erst 1846 auf Latein gelesen hat.⁵⁴¹ Entscheidend für unseren Zusammenhang ist nun der Kontext dieser Stelle, die sich innerhalb der Straußschen Darlegung der „genetisch-objektiven Kritik“⁵⁴² – genetisch-objektiv insofern, als getreu dem methodischen Grundprinzip der Glaubenslehre der zu einer wahren Vermittlung von spekulativer Philosophie und
Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære, Bd. 1, S. 153 f. (§ 14); vgl. Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 170 (§ 14): „so hatte Spinoza vornehmlich auf die Sitte seines Volkes, gewisse Wirkungen, mit Ueberspringung der Mittelursachen, unmittelbar auf Gott zurückzuführen…aufmerksam gemacht“. Vgl. überdies die von Strauß in § 17 („Auflösung des Wunderbegriffs“) gegebene ausführliche Darstellung von Spinozas Wunderkritik im sechsten Kapitel des Theologisch-politischen Traktats (vgl. Spinoza, Benedicti de Spinoza opera philosophica omnia (siehe Anm. 540), S. 133 – 144 („De Miraculis“)) in Fremstilling af den christelige Troeslære, Bd. 1, S. 199 – 223 (§ 17) / Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 224– 253 (§ 17), hier insbesondere S. 207 / S. 234. Vgl. SKS 5, 242 / 3R44, 154: „Es war einmal ein Denker, dessen Andenken Bewunderung ist, er meinte, das Wunder sei eine Eigenheit des jüdischen Volkes, dies habe auf eigentümliche Weise die dazwischenliegenden Ursachen [de mellemliggende Aarsage] übersprungen, um Gott zu erreichen“. Zur Entstehungsgeschichte der Drei erbaulichen Reden 1844 vgl. den editorischen Bericht in SKS K5, 231– 235. Vgl. SKS K18, 319 f. (vgl. DSKE 2, 576) samt Benedikt de Spinoza, Benedicti de Spinoza opera philosophica omnia, hg. von August Friedrich Gfrörer, Stuttgart 1830 (ktl. 788), S. 90 – 99 („De Prophetia“), hier S. 91: „Sed hic apprime notandum, quod Judaei nunquam causarum mediarum sive particularium faciunt mentionem, nec eas curant, sed religionis ac pietatis, sive (ut vulgo dici solet) devotionis causa ad Deum semper recurrunt“ (zitiert auch bei Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære, S. 153 f. (Anm. 33) / Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 170 (Anm. 33)); der Kommentar zu SKS 5, 242,6 in SKS K5, 245 verweist dagegen auf Benedicti de Spinoza opera philosophica omnia, S. 142– 144 im sechsten Kapitel des Traktats. Vgl. das Zitat aus der Vorrede des Theologisch-politischen Traktats in SKS 18, 290, JJ:447 / DSKE 2, 301. Ein weiteres Indiz für eine Lektüre der Glaubenslehre in der Übersetzung Brøchners zu dieser Zeit findet sich in SKS 5, 262,29 f. / 3R44, 178; vgl. damit Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære, Bd. 1, S. 149 (samt Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 164) (vgl. das zu Anm. 549 gehörende Zitat); vgl. dagegen den Kommentar zu SKS 5, 262,29 in SKS K5, 266. Friedrich Wilhelm Graf, Kritik und Pseudo-Spekulation. David Friedrich Strauß als Dogmatiker im Kontext der positionellen Theologie seiner Zeit, München 1982 (zugleich Diss., Univ. München 1978) (Münchener Monographien zur historischen und systematischen Theologie, Bd. 27), S. 440.
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christlicher Lehre gehörende kritische Prozess in der Entwicklungsgeschichte des Dogmas selbst liegt⁵⁴³ – des Inspirationsdogmas in § 14 findet.Voraussetzung bzw. Gegenstand der Auflösung ist die Position der kirchlichen Tradition, derzufolge Gott, nachdem seine unmittelbare, vor Augen- und Ohrenzeugen durch Weissagungen und Wunder bestätigte Offenbarung ein Ende genommen hatte, für den Inhalt seiner Offenbarung eine absolut verlässliche Form habe schaffen müssen, damit er „ungeschmälert und ungetrübt“⁵⁴⁴ auch den späteren Generationen überliefert werden konnte. Diese Form sei die als inspiriert zu betrachtende Schrift, wobei die altprotestantische Kirchenlehre die Göttlichkeit der Schrift „auf das innere Zeugniss des Geistes gegründet“⁵⁴⁵ habe. Wie Strauß nun zu Beginn von § 14 darlegt, stand am Anfang der Auflösung der Inspirationslehre die von Sozinianern und Arminianern vollzogene Ablösung des Beweises der Göttlichkeit der biblischen Schriften aus dem übernatürlichen inneren Zeugnis des göttlichen Geistes durch den aus ihrer Authentie.⁵⁴⁶ Die Wahrheit der biblischen Lehre sei aus der Richtigkeit der biblischen Geschichte abzuleiten, wobei man Letzteres dadurch als erwiesen betrachtet habe, dass die Evangelisten als „Augen- und Ohrenzeugen der von ihnen berichteten Vorgänge“⁵⁴⁷ die Wahrheit sagen konnten und wollten. Nach Strauß jedoch verkannte man bei dieser Gründung des dogmatischen auf den historischen Glauben, dass letzterer „nie über die blosse Wahrscheinlichkeit hinausgelangen“ könne, wie denn auch überhaupt die „Aechtheit, die Augenzeugenschaft der Verfasser“ bloß „in Bausch und Bogen“⁵⁴⁸ behauptet worden sei. Doch selbst wenn die biblische Geschichte auf diesem Weg „zu einer Stufe von historischer Evidenz“ erhoben wäre, „auf welcher sie den ausgemachtesten geschichtlichen Thatsachen gleichstünde…konnte es denen, welche die Natur des historischen Wissens kannten, nicht entgehen, dass auch die sogenannte Gewissheit in diesem Felde nur hohe Wahrscheinlichkeit, niemals absolute Gewissheit ist, mithin in ewigem Missverhältniss bleibt zum religiösen Glauben, welcher schlechthinige Gewissheit, worauf er leben und sterben könne, verlangt. Wann wird man aufhören – rief in dieser Hinsicht Lessing – an den Faden einer Spinne nichts Geringeres als die ganze Ewigkeit hängen zu wollen?“⁵⁴⁹
Vgl. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 71 (§ 6): „Die wahre Kritik des Dogma ist seine Geschichte.“ Ibid., S. 114 (§ 12); vgl. S. 80 (§ 7), S. 103 (§ 11) und S. 114 f. (§ 12). Ibid., S. 156 (§ 14); vgl. S. 134– 136 (§ 12). Vgl. ibid., S. 156 – 159 (§ 14). Ibid., S. 160 (§ 14); vgl. S. 160 f. (§ 14). Ibid., S. 163 f. (§ 14). Ibid., S. 164 (§ 14; vgl. hierzu oben Anm. 541); vgl. S. 130 und S. 134 (§ 12).
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Direkt im Anschluss an dieses von Strauß noch weiter fortgesetzte Zitat Lessings über die Bedeutungslosigkeit aller historischen Beweise für die Wahrheit der christlichen Religion aus „Eine Duplik“ (1778)⁵⁵⁰ im sechsten Band der Donaueschinger Ausgabe zitiert Strauß aus demselben Band – wiederum ohne Anführungszeichen und mit mehreren, nicht kenntlich gemachten Auslassungen sowie unter Verweis auf „Lessing, über den Beweis des Geistes und der Kraft. W. W. VI, S. 348 ff.“⁵⁵¹ – Lessings These vom Verhältnis von zufälligen Geschichts- und notwendigen Vernunftwahrheiten samt ihrer anschließenden Erläuterung im Rahmen der geschichtsphilosophischen Argumentation, dass zwischen diesen beiden Wahrheitsklassen ein nur durch einen ‚Sprung‘ überwindbarer ‚garstiger breiter Graben‘ liege.⁵⁵² Aus diesem Grund ist es plausibel anzunehmen, dass im Hintergrund der Erwähnung Lessings in Pap. V B 1:2– 3 die Lektüre von § 14 in Straußens Glaubenslehre über die Auflösung des Inspirationsdogmas steht. Dass Kierkegaards Kenntnis von Lessings Religions- und Geschichtsphilosophie, wie sie in „Eine Duplik“ und „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ entwickelt ist, zuerst durch Strauß vermittelt wurde, bekräftigt auch der Umstand, dass die etwa zur gleichen Zeit wie die ersten Entwürfe zum Projekt der Climacus-Schriften in Ms. 1 entstandene Journalaufzeichnung JJ:192 sich der Lektüre einer Stelle nur wenige Seiten später in demselben Paragraphen verdankt. Überdies gibt es weder in Kierkegaards Schriften noch in seinen Journalen und Aufzeichnungen einen Beleg dafür, dass Kierkegaard Lessings „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ im Original – seinen mehrdeutigen Bemerkungen in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift ⁵⁵³ zum Trotz – vor diesen ersten Entwürfen gekannt und gelesen hat.⁵⁵⁴ Es ist deshalb zu vermuten, dass es zu dieser Kenntnis aus erster
Vgl. Lessings Werke, Bd. 6, 1822, S. 363 – 460, hier S. 380 (vgl. Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften, Bd. 5, 1825, S. 113 f.) sowie Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære, Bd. 1, S. 149 (§ 14) / Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 164 f. (§ 14). Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære, Bd. 1, S. 150 (Anm. 23) (§ 14; vgl. Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 166 (Anm. 23) (§ 14)). Vgl. Lessings Werke, Bd. 6, 1822, S. 348 – 351 (vgl. Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften, Bd. 5, 1825, S. 80 – 83) sowie Strauß, Fremstilling af den christelige Troeslære, Bd. 1, S. 149 f. (§ 14) / Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 165 f. (§ 14). Die Bedeutung von Lessings ‚Sprung‘ für Kierkegaards Sprungtheorie sieht man ferner in der von Kierkegaard vermutlich hauptsächlich im Winter 1843/44 angelegten Materialsammlung zum Sprungbegriff in SKS 27, 275 – 277, Papir 283 (vgl. hierzu oben Anm. 231 und Anm. 232). Vgl. SKS 7, 102 / AUN1, 97. Für die Zeit bis Ende 1843 vgl. vor allem (chronologisch geordnet) SKS 19, 90, Not2:2.b / DSKE 3, 96; SKS 17, 90 f., BB:8 / DSKE 1, 97 f.; SKS 1, 96 / BI, 34; SKS 1, 314 / BI, 284; SKS 19, 296, Not10:9 / DSKE 3, 322; SKS 18, 145, JJ:3 / DSKE 2, 149; SKS 18, 146, JJ:4 / DSKE 2, 150; SKS 19, 375,
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Hand erst im Zuge der Ausarbeitung der Fortsetzung der Philosophischen Brocken in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift gekommen ist, in der sich im ersten Abschnitt des zweiten Teils („Etwas über Lessing“⁵⁵⁵) eine ebenso scharfsinnige wie treffende Kritik von Lessings Position findet, die mehrere Zitate aus Lessings Abhandlung aus dem fünften Band (1825) von Kierkegaards Ausgabe von Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtlichen Schriften enthält.⁵⁵⁶ Bemerkenswerter- und angesichts seiner Position doch verständlicherweise ist Strauß im § 14 der Glaubenslehre allein an der geschichtsphilosophischen Argumentation Lessings interessiert, weshalb er dessen Ausführungen im Rahmen der geschichtswissenschaftlichen Argumentation – und d. h. eben auch: die in Spannung dazu stehende Konzession Lessings hinsichtlich einer möglichen Augenzeugenschaft – bei der Wiedergabe von Lessings Position unerwähnt gelassen und bei den Zitaten ohne Kenntlichmachung ausgelassen hat. Die von Fischer herausgestellte ‚unausgeglichene Gedankenführung‘ in Lessings Abhandlung kann deshalb gerade nicht im Hintergrund der ersten Entwürfe gestanden und Kierkegaards Projekt der Philosophischen Brocken sich an jener Spannung von geschichtsphilosophischer und -wissenschaftlicher Argumentation entzündet haben. Das in den ersten Entwürfen bereits anklingende und in der vorläufigen Ausarbeitung der Philosophischen Brocken unter der Überschrift „Die apologetischen Voraussetzungen der christlichen Dogmatik oder Approximationen zum Glauben“ als „§ 1“ projektierte „Wort des Dankes an Lessing“⁵⁵⁷ sollte Kierkegaard später in der Nachschrift angesichts (der Kenntnis) der tatsächlichen Zugeständnisse Lessings, seines ‚Fechtens e concessis‘, in der sich an die „ironisch-sympathische[]“⁵⁵⁸ Dankrede als „Kapitel 2“ anschließenden Kritik der „Mögliche[n] und wirkliche[n] Thesen von Lessing“⁵⁵⁹ wieder etwas relativieren. Somit kann festgehalten werden, dass im Hintergrund mehrerer – und wie ich meine: der entscheidenden – Entwurfsnotizen⁵⁶⁰ zum Projekt der Climacus-
Not12:4.c / DSKE 3, 413; SKS 19, 376, Not12:9 / DSKE 3, 414; SKS 19, 377, Not12:12.a / DSKE 3, 415 f.; SKS 2, 26 / EO1, 18 (samt Pap. III B 179:1); SKS 2, 164 / EO1, 178; SKS 2, 167 / EO1, 181; SKS 4, 18 / W, 13; SKS 4, 159 / FZ, 73; SKS 4, 178 / FZ, 99. Vgl. SKS 7, 65 – 120 / AUN1, 55 – 117. Vgl. vor allem SKS 7, 92– 97 / AUN1, 86 – 91. Pap. V B 8; vgl. SKS 7, 65 – 72 / AUN1, 55 – 64 („Kapitel 1: Wort des Dankes an Lessing“). So treffend Hermann Deuser, Religionsphilosophie, Berlin und New York 2009, S. 246 (Anm. 62). SKS 7, 72 / AUN1, 64; vgl. SKS 7, 72– 120 / AUN1, 64– 117. Neben Pap. V B 1:1– 3 (vgl. oben Anm. 524 sowie die zu Anm. 525 und Anm. 528 gehörenden Zitate) sind dies – darin stimme ich Hejll, „Søren Kierkegaard och Dav. Fr. Strauss“, S. 49 bei – vor allem Pap. V B 1:4– 6: „[4] Die Frage [scil. in Pap. V B 1:1 (vgl. oben Anm. 524)] gilt bereits den Aposteln; denn hier ist keine Rede von einem Abstand von Jahrhunderten oder vom Historischen
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Schriften Kierkegaards Lektüre der Straußschen Darlegung der Kritik des Inspirationsdogmas im ersten Hauptteil der Glaubenslehre steht, den Strauß bekanntlich als „Apologetik“ im Sinne „eine[r] Erörterung der formalen Grundbegriffe“⁵⁶¹ der Dogmatik versteht, was Kierkegaards mehrfache Rede in den Entwurfsnotizen von den „apologetischen Voraussetzungen“⁵⁶² der christlichen Dogmatik bzw. den „apologetischen Fragen über Bibel und Kirche“⁵⁶³ in einem anderen Licht erscheinen lässt. Es ist hier nicht der Ort einer eingehenden Untersuchung dessen, welche Fragestellungen und Gedanken nicht nur in den ersten Entwurfsnotizen zum Projekt der Climacus-Schriften, sondern auch in diesen selbst durch Kierkegaards Lektüre der Straußschen Glaubenslehre beeinflusst gewesen sind. Wohl aber lässt sich mit gutem Grund behaupten, dass der Ausgangspunkt des Projektes der Climacus-Schriften nicht die Rezeption Lessings, sondern die Straußens ist.⁵⁶⁴ Ob damit auch die Ausbildung der Paradox-Christologie erklärlich gemacht werden kann, darf allerdings bezweifelt werden, da diese fundamentale Wandlung der christologischen Position Kierkegaards bereits in der Zeit zwischen Sommer 1841 und dem Frühjahr 1843 eingesetzt hat. Diese Frage, so das diesen Exkurs abschließende Fazit, ist bisher noch nicht überzeugend beantwortet worden.
im engeren Sinne (das Traditionelle); aber wie komme ich überhaupt dazu, einen Ausgangspunkt für mein ewiges Bewusstsein außerhalb meiner selbst zu haben – liegt das alles an Gott und an meinem Verhältnis zu ihm“; „[5] Die apologetischen Fragen über Bibel und Kirche laufen auf eins hinaus. Man bestreitet nicht, dass die Kirche da ist, sondern dass sie sagt, dass sie da gewesen ist, ja, apostolisch ist, das ist doch wohl eine historische Frage“; „[6] Die starre Buchstaben-Orthodoxie ist längst dazu verkommen, ein Seitenstück zu Don Quichotte abzugeben, wo die verschiedenen lächerlichen Spitzfindigkeiten vortreffliche Analogien abgeben werden“. Dagegen stehen Pap. V B 1:7.9 – 10 in deutlichem Zusammenhang mit Kierkegaards Auseinandersetzung mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘ (siehe Kap. 1.3); zu Pap. V B 1:12 vgl. oben Anm. 39. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, Bd. 1, S. 72. Pap. V B 7 und Pap. V B 8. Pap. V B 1:5 (vgl. oben Anm. 560); vgl. hierzu SKS 7, 24 / AUN1, 13. Überdies scheint es mir reiz- und sinnvoll zu untersuchen, ob die Ausführungen der Philosophischen Brocken über Gottesbegriff und Gottesbeweise nicht eine Frucht der Kierkegaard durch Strauß vermittelten Kenntnis der Wunderkritik Spinozas im sechsten Kapitel des Theologisch-politischen Traktats sind (vgl. oben Anm. 538).
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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3.4.2 Das Verhältnis von Glaube und Wirklichkeit Kierkegaards Magisterabhandlung „ist wesentlich eine Abhandlung über Negativität, über berechtigte und unberechtigte Formen der Negativität und deren Unterscheidung.“⁵⁶⁵ Im zweiten Teil der Magisterabhandlung, in dem Kierkegaard das im ersten Teil im Blick auf den als Ironie bezeichneten Standpunkt des Sokrates Entwickelte für eine prinzipielle Bestimmung des Begriffs der Ironie und seiner gegenwärtigen Erscheinungsformen heranzieht, wird mit der als „romantische[] Ironie“⁵⁶⁶ bezeichneten unberechtigten Form der Negativität auch eine religiöse als berechtigte Form der Negativität kontrastiert.⁵⁶⁷ Diese Kritik der Negativität ist für die vorliegende Untersuchung insofern von Interesse, als das Kriterium für die Berechtigung einer Form der Negativität das mittels ihrer realisierte Verhältnis zur Wirklichkeit ist, was zugleich Aufschluss über Kierkegaards Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Wirklichkeit gibt. Ein Grundmerkmal aller Ironie ist der Gegensatz zwischen Wesen und Erscheinung: „dass die Erscheinung nicht das Wesen, sondern das Gegenteil des Wesens ist.“⁵⁶⁸ Als Ausdruck dieses Gegensatzes, wie er etwa in der ironischen Rede dadurch zutage tritt, dass eine Aussage nicht meiner Meinung, sondern dem Gegenteil meiner Meinung entspricht⁵⁶⁹, ist Ironie demnach Ausdruck eines Verhältnisses, „in dem ständig jede bestimmte, unmittelbare Wirklichkeit aufgehoben werden kann.“⁵⁷⁰ Für den Ironiker verliert die Wirklichkeit in solchen Augenblicken „ihre Gültigkeit, er steht frei über ihr.“⁵⁷¹ Wird nun aber die Ironie nicht lediglich als momentane Äußerung, sondern als Standpunkt betrachtet, gelangt man zur ‚Ironie im strengeren Sinne‘: „Die Ironie sensu eminentiori richtet sich nicht gegen dieses oder jenes einzelne Daseiende, sie richtet sich gegen die ganze zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen gegebene Wirklichkeit. Sie hat daher eine Apriorität in sich, und sie gelangt zu ihrer Gesamtansicht nicht dadurch, dass sie allmählich ein Stück der Wirklichkeit nach dem anderen
Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 102. Kleinert differenziert dabei zwischen ironischer, skeptischer und religiöser Negativität, doch genügt im Folgenden eine weitgehende Beschränkung auf den Vergleich von ironischer und religiöser Negativität. SKS 1, 349 / BI, 324; vgl. SKS 1, 312 / BI, 281 (Anm.). Vgl. Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 120, S. 125 und S. 144. SKS 1, 286 / BI, 251 (dt. Übers. modifiziert). Sei es, „dass man etwas ernst sagt, was doch nicht ernst gemeint ist“, oder sei es, „dass man etwas zum Scherz, scherzend sagt, was ernst gemeint ist“ (SKS 1, 287 / BI, 252; dt. Übers. modifiziert). Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 73. SKS 1, 291 / BI, 257 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 1, 294 / BI, 260; SKS 1, 295 / BI, 262; SKS 1, 297 / BI, 263.
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vernichtet, sondern kraft ihrer Gesamtansicht richtet sie Zerstörungen an im Einzelnen. Nicht diese oder jene Einzelerscheinung, sondern das Ganze des Daseins wird von ihr sub specie ironiae betrachtet. Insofern sieht man die Richtigkeit der hegelschen Bezeichnung der Ironie als die unendliche absolute Negativität.“⁵⁷²
Als ‚unendliche absolute Negativität‘ ist die Ironie nicht das Unbedingte, sondern unbedingte Negation alles Bedingten vermöge „ein[es] Höhere[n], das jedoch nicht ist.“⁵⁷³ Die Ironie richtet hin, aber nicht auf, weil das, was errichtet werden soll, sozusagen „hinter ihrem Rücken“⁵⁷⁴ liegt. Indem der Ironiker die gegebene Wirklichkeit mit dieser selbst vernichtet, „tritt er in den Dienst der Weltironie“, ist doch „jede einzelne geschichtliche Wirklichkeit“ stets nur Moment in der Verwirklichung der Idee, weshalb sie „in sich selbst den Keim ihres Untergangs“⁵⁷⁵ trägt. Ein auf diese allumfassende Negation⁵⁷⁶ folgendes positives Verhältnis zur Wirklichkeit ist dem Ironiker nicht (mehr) möglich. Zwar ist das Subjekt in dieser ‚anschlussunfähigen‘⁵⁷⁷ Ironie „frei von der Gebundenheit, in welcher die gegebene Wirklichkeit das Subjekt hält, aber es ist negativ frei und als solches in der Schwebe, weil nichts da ist, das es hielte.“⁵⁷⁸
SKS 1, 292 / BI, 258 f. (meine Übers.); vgl. ferner SKS 1, 297 / BI, 263; SKS 1, 299 / BI, 266; SKS 1, 312 f. / BI, 282. Zum Verweis auf Hegel vgl. Vorlesungen über die Ästhetik I, in TWA, Bd. 13, S. 98 und S. 211 samt Kommentar zu SKS 1, 87,21 in SKS K1, 175. Zur Parallele zu Spinozas Wendung „sub specie aeternitatis“ vgl. SKS 1, 344,12 samt Kommentar in SKS K1, 368. SKS 1, 299 / BI, 266; vgl. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 75 sowie Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 123 und S. 126. Zwar wusste Sokrates um seine Unwissenheit, mit der er jedes Wissen negierte, doch war dieses Wissen „kein Wissen von etwas“, es hatte „keinen positiven Inhalt“ (SKS 1, 306 / BI, 274). SKS 1, 299 / BI, 266. SKS 1, 300 / BI, 267 (dt. Übers. modifiziert). Dies zeigt für Kierkegaard auch die Betrachtung des geschichtlichen Verhältnisses des Judentums zum Christentum. Indem es „sich mit sich selbst vernichtete“ (SKS 1, 300 / BI, 268), habe sich das Judentum als „Durchgangsmoment“ (SKS 1, 300 / BI, 267) erwiesen. „Wenn wir, ohne weiter auf eine Untersuchung der Bedeutung des Auftretens Christi einzugehen, dieses bloß als einen Wendepunkt der Weltgeschichte festhalten wollen, so wird man ja auch hier die ironische Formation nicht missen können. Sie ist nun auch mit Johannes dem Täufer gegeben“ (SKS 1, 300 / BI, 268; dt. Übers. modifiziert). Dieser habe das Judentum nicht mit dem Neuen, von dem er nicht gewusst habe, als was es komme, sondern mit dem Judentum selbst vernichtet; seine Persönlichkeit sei ganz „in den Schatten“ getreten und er selbst nichts anderes als ein „Werkzeug“ (SKS 1, 301 / BI, 268) in der Hand der Weltironie gewesen. Allerdings sei die ironische Formation hier noch nicht völlig entwickelt gewesen, wozu das Subjekt sich seiner Ironie bewusst werden müsse, vgl. unten Anm. 578. Vgl. SKS 1, 296 / BI, 263: „Für die Ironie wird alles ein Nichts“. Vgl. Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 121. SKS 1, 299 f. / BI, 267 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 1, 286 / BI, 251; SKS 1, 294 / BI, 260; SKS 1, 301 / BI, 268. Der sich seiner Ironie bewusst gewordene Ironiker berausche sich gleichsam
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Damit ist allerdings noch nichts über die weltgeschichtliche Berechtigung der Ironie als Form der Negativität gesagt. Hierfür ist eine nähere Betrachtung der Wirklichkeit erforderlich, die für das ironische Subjekt ihre Gültigkeit verloren hat. Unter Rückgriff auf die auf ein loses Blatt notierte Aufzeichnung Papir 264:1, die ursprünglich⁵⁷⁹ am 4. Juli 1840 vor dem Hintergrund der Lektüre von Adlers Magisterabhandlung Die isolierte Subjektivität (1840) verfasst worden ist⁵⁸⁰, macht Kierkegaard deutlich, dass ‚Wirklichkeit‘ einerseits „im Sinne der geschichtlichen Wirklichkeit“ die „zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen gegebene“, mithin „zu verschiedenen Zeiten jeweils eine andere“⁵⁸¹ seiende Wirklichkeit, andererseits „im metaphysischen Sinne“⁵⁸² die „Wirklichkeit überhaupt“⁵⁸³ meinen kann. Für Sokrates habe nicht die Wirklichkeit überhaupt, sondern lediglich die „Wirklichkeit der Substantialität“⁵⁸⁴ (d. h. „die konkrete in den überlieferten Ordnungen, Anschauungen und Sitten selbstverständlich le-
durch diese negative Freiheit „an der Unendlichkeit der Möglichkeiten…, indem er, sofern er eines Trostes für all das bedarf, was untergeht, seine Zuflucht zu dem ungeheuren Reservefonds der Möglichkeit nehmen kann“ (SKS 1, 300 / BI, 267; dt. Über. modifiziert). Gut acht Jahre später sollte Anti-Climacus in der Krankheit zum Tode (1849) ein derartiges Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit als Symptom der „Verzweiflung der Möglichkeit“ charakterisieren, vgl. SKS 11, 151– 153 / KT, 32– 34. Siehe Kap. 3.3.2.1, S. 299. SKS 27, 233, Papir 264:1 / T 1, 228 f. (B-fort. 431; KA, A pk. 3 læg 1); vgl. die Kommentare zu SKS 27, 233,1– 35 in SKS K27, 549 – 554. Überhaupt wäre es nach meinem Dafürhalten reizvoll, Kierkegaards Kritik der „überspannte[n] Subjektivität“ (SKS 1, 311 / BI, 281) mit Adlers Kritik der ‚isolierten Subjektivität‘ (siehe Kap. 3.3.2.1) zu vergleichen. Zu berücksichtigen wären dabei nicht nur Stellen wie SKS 1, 244 / BI, 203 („Wir haben jedoch in Sokrates die wirkliche, nicht die apparente Polhöhe [vgl. hierzu SKS 17, 204, CC:13 / DSKE 1, 165 samt Kommentar in DSKE 1, 479; ferner oben Anm. 471] der Ironie, weil Sokrates erst zur Idee des Guten, des Schönen, des Wahren als Grenze kam, d. h. zur idealen Unendlichkeit als Möglichkeit kam. Wenn dagegen in einer weit späteren Zeit [vgl. hierzu das Zitat aus SKS 1, 258 / BI, 220 (Anm.) in Anm. 598], nachdem diese Ideen ihre Wirklichkeit, die Persönlichkeit ihr absolutes Pleroma bekommen haben, wenn sich dann die Subjektivität wiederum isolieren will, wenn die unendliche Negativität wiederum ihren Abgrund auftun will, um darin diese Geisteswirklichkeit zu verschlingen, dann zeigt sich die Ironie in einer bedenklicheren Gestalt“; dt. Übers. modifiziert), sondern auch die Bemerkungen über die Isolation der Ironie (Genitivus subiectivus) in SKS 1, 287 f. / BI, 253 und SKS 1, 303 / BI, 270 f. SKS 1, 297 / BI, 263 f.; vgl. SKS 1, 292 / BI, 258. SKS 1, 297 / BI, 263. SKS 1, 307 / BI, 276. SKS 1, 302 / BI, 269 (Hervorhebung teilweise getilgt); vgl. SKS 1, 307 / BI, 276.
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bendige sittliche Welt“⁵⁸⁵) ihre Gültigkeit verloren.⁵⁸⁶ Indem Sokrates kraft seiner Ironie als ‚unendlicher, absoluter Negativität‘ das Bestehende hinsichtlich dieser für ihn „in ihrer umfassenden Ganzheit als solcher“⁵⁸⁷ ungültigen Wirklichkeit – unter der „Maske“⁵⁸⁸, dass es für ihn Gültigkeit hätte – „dem Untergang entgegenführte“ und „die Wirklichkeit der Subjektivität“⁵⁸⁹ forderte, habe sich die „weltgeschichtliche Gültigkeit“⁵⁹⁰ der sokratischen Ironie erwiesen, in Gestalt derer die Subjektivität in ihrer „anfänglich-abstrakten Form“⁵⁹¹ „zum ersten Mal ihr Recht in der Weltgeschichte geltend“⁵⁹² gemacht habe. Wie Kierkegaard im Rückgriff auf Hegels Geschichtsphilosophie⁵⁹³ expliziert, geht die weltgeschichtliche Entwicklung durch Widersprüche hindurch: „Die zu einer gewissen Zeit gegebene Wirklichkeit ist die für das Geschlecht und die Individuen im Geschlecht gültige, und doch muss, sofern man nicht sagen will, es sei mit der Entwicklung vorüber, diese Wirklichkeit von einer anderen Wirklichkeit verdrängt werden, und dies muss durch die Individuen und das Geschlecht…geschehen.“⁵⁹⁴ An einem solchen weltgeschichtlichen Wendepunkt stoße die gegebene mit einer anderen Wirklichkeit zusammen und müsse sich als die erweisen, die als solche keine Gültigkeit mehr habe. Hier begegne man dem Ironiker, für den die gegebene Wirklichkeit ihre Gültigkeit verloren, der andererseits aber das Neue, das an den Tag solle, nicht zu eigen habe, sondern bloß wisse, dass das Gegenwärtige nicht der Idee entspreche.⁵⁹⁵ Obwohl sich der Ironiker in der Retrospektive als weltgeschichtlich berechtigt erweise, könne er selbst im Verhältnis
So Hirschs an den Sprachgebrauch der hegelschen Rechtsphilosophie angelehnte Erklärung des Wortes ‚Substantialität‘ in BI, 366 (Anm. 343); vgl. auch Hegel, Geschichte der Philosophie I, in TWA, Bd. 18, S. 514– 516; ferner den Kommentar zu SKS 1, 302,10 in SKS K1, 336. Dass sich diese Interpretation der sokratischen Ironie nicht ohne Weiteres aus der prinzipiellen Bestimmung der Ironie als Standpunkt (vgl. das zu Anm. 572 gehörende Zitat aus SKS 1, 292 / BI, 258 f.) ableiten lässt, derzufolge die Ironie gerade ihre schlechthinnige Negativität (vgl. SKS 1, 256 / BI, 218 (Anm.)) kennzeichne, bemerkt zu Recht Schwab, Der Rückstoß der Methode, S. 472 f. Vgl. ferner die Aussage in SKS 1, 248 / BI, 220, die Ironie des Sokrates habe sich „wider das Bestehende insgesamt“ gerichtet. SKS 1, 307 / BI, 276. SKS 1, 301 / BI, 269. SKS 1, 307 / BI, 276. SKS 1, 297 / BI, 263; vgl. SKS 1, 255 / BI, 217. Schulz, Eschatologische Identität, S. 188; vgl. hierzu SKS 1, 302 / BI, 269: „Die Ironie ist…die erste und abstrakteste Bestimmung der Subjektivität“ (ohne Hervorhebungen). SKS 1, 282 / BI, 246 (dt. Übers. modifiziert; ohne Hervorhebungen). Vgl. hierzu Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel, S. 185 sowie im Ganzen S. 181– 186; ferner S. 217. SKS 1, 297 f. / BI, 264 (dt. Übers. modifiziert). Vgl. SKS 1, 298 / BI, 265.
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zu der von ihm siegreich bekämpften Wirklichkeit dennoch zugleich „unbefugt“ sein, weshalb sein Sieg ‚tragisch‘ sei: „er muss dadurch siegen, dass er ein Opfer wird.“⁵⁹⁶ Während sich die sokratische Ironie folglich als weltgeschichtlich berechtigte Form der Negativität erweise, durch die das Prinzip der Subjektivität „zum ersten Mal in Erscheinung“⁵⁹⁷ getreten sei, gleiche die romantische Ironie einer Depravation⁵⁹⁸ der sokratischen Ironie, die nicht nur ohne weltgeschichtliche Berechtigung, sondern zugleich eine „mangelhafte Form der Negativität“⁵⁹⁹ sei. Kierkegaard charakterisiert den Standpunkt der romantischen Ironie, auf dem das subjektive Bewusstsein sich der Ironie deutlich und bestimmt bewusst werde und die Ironie als seinen Standpunkt ausspreche⁶⁰⁰, als Derivat der fichteschen Philosophie. Indem der frühe Fichte das kantische „Ding an sich“ in das Denken hineinverlegte und im „Ich=Ich“ die abstrakte Identität von produzierendem und produziertem Ich behauptete, habe er das Denken „unendlich frei“⁶⁰¹ gemacht. Allerdings sei diese Unendlichkeit eine bloß negative ohne Endlichkeit, mithin „eine Unendlichkeit ohne allen Inhalt.“⁶⁰² Fichtes Versuch, im Ausgang von diesem absoluten Anfang die Welt konstruieren zu wollen, musste deshalb gleichsam ins Leere greifen, da der „unendliche[] Trieb des Negativen“ nur eine unendliche Kraft sei, die nichts auszurichten vermöge, „weil nichts da ist, worauf sie angewendet werden könnte.“⁶⁰³ Dieser „Akosmismus“⁶⁰⁴ des frühen Fichte ist
SKS 1, 298 / BI, 264; vgl. SKS 1, 308 / BI, 276. SKS 1, 302 / BI, 269; vgl. SKS 1, 301 / BI, 268. Vgl. SKS 1, 258 / BI, 220 (Anm.): „die Ironie des Sokrates…hat nicht das Kränkliche und das Egoistische, das ihr in einer weit späteren Zeit eigen ist, wo sie, nachdem die Idealität in vollstem Maße gegeben ist, ein überspanntes Sublimat davon begehrt“ (dt. Übers. modifiziert). Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 126. Vgl. SKS 1, 282 / BI, 246. SKS 1, 309 / BI, 278; vgl. SKS 1, 311 / BI, 280. Zur Kritik an der Hegels Geschichte der Philosophie (vgl. TWA, Bd. 20, S. 387 ff. samt Kommentar zu SKS 1, 282,16 in SKS K1, 323 f.) folgenden Interpretation Kierkegaards von Fichtes früher Wissenschaftslehre vgl. Hirsch in BI, 367 f. (Anm. 354) sowie Jørgen Huggler, „Der Anfang und das Sollen. Über Kierkegaards FichteDeutung in Über den Begriff der Ironie“, in Kierkegaard und Fichte. Praktische und religiöse Subjektivität, hg. von Jürgen Stolzenberg und Smail Rapic, Berlin und New York 2010 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 22), S. 23 – 46, hier S. 34– 40. Vgl. ferner Kierkegaards Notizen zu Fichte in seinem Exzerpt aus Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen in SKS 19, 145, Not4:14 / DSKE 3, 154; SKS 19, 159 f., Not4:38 / DSKE 3, 169 (vgl. Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 238 und S. 240 – 243); SKS 19, 160, Not4:39 / DSKE 3, 169 f. (vgl. Vorlesungen über Glauben und Wissen, S. 249 f.); SKS 19, 168, Not4:45 / DSKE 3, 178. SKS 1, 309 / BI, 278; vgl. SKS 1, 310 / BI, 279. SKS 1, 310 / BI, 279 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 1, 311 / BI, 280. SKS 1, 309 / BI, 278.
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für Kierkegaard aber nicht nur Vollendung der von Kants Kritizismus eingeleiteten Entwicklung einer substantiellen Entleerung des Ichs in der neueren Philosophie, sondern gleichermaßen Anknüpfungspunkt mehrerer anderer Standpunkte, welche die durch Fichte zum Bewusstsein gebrachte Frage des Anfangspunktes der Philosophie mit Hilfe der Ironie zu beantworten meinten.⁶⁰⁵ Namentlich Friedrich Schlegel (1772– 1829) und Ludwig Tieck (1773 – 1853) hätten jenes „fichtesche Prinzip, dass die Subjektivität, dass das Ich konstitutive Gültigkeit“⁶⁰⁶ habe, ergriffen und „gewissermaßen in die alltägliche Praxis überführt, so daß das ironische Ich sich als unbedingt und die stets bedingte Wirklichkeit als seiner Willkür unterworfen begreift“⁶⁰⁷. Durch diese vorbehaltlose Anwendung „eine[s] unausgereiften metaphysischen Standpunkt[es]…auf die Wirklichkeit“⁶⁰⁸ seien aber nicht nur das empirische und endliche mit dem ewigen Ich, sondern auch die metaphysische mit der geschichtlichen Wirklichkeit verwechselt worden.⁶⁰⁹ Dieser Ironie sei es nicht lediglich darum zu tun, „im Dienste
Vgl. SKS 1, 310 / BI, 279. SKS 1, 311 / BI, 280 (meine Übers.). Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 125. SKS 1, 311 / BI, 280; vgl. hierzu SKS 1, 297 / BI, 263 f.; SKS 1, 313 / BI, 282 und SKS 1, 314 / BI, 284. Vgl. SKS 1, 311 / BI, 280 und SKS 1, 314 / BI, 284. Es ist nicht ohne Ironie, dass auch der junge Kierkegaard selbst einer derartigen Verwechslung anheimgefallen ist. Wie F.C. Sibbern im Brief an H.P. Barfod vom 19. September 1869 schreibt, sei ihm Kierkegaard einmal „in seiner hegelschen Zeit“ (d. h. wahrscheinlich 1841, wie die Ähnlichkeit der Formulierung in SKS, 19, 245, Not8:51 / DSKE 3, 263 vom 6. Dezember 1841 nahelegt) auf dem Gammeltorv begegnet und habe ihn nach „dem Verhältnis…zwischen der Philosophie und dem Leben in der Wirklichkeit“ gefragt, was „mich verblüffte, da meine ganze Philosophie darauf hinauslief, Leben und Wirklichkeit zu studieren; doch später musste ich allerdings erkennen, dass die Frage für einen hegelianisierten Denker natürlich war, da die Hegelianer die Philosophie nicht existentiell studierten“ (in Übers. zitiert nach Kirmmse, Søren Kierkegaard truffet, S. 295 f.). Ich schließe mich, trotz anderer Übersetzung, Stewarts Interpretation dieser Bemerkung an, demzufolge „Sibbern’s confusion is evidence of the fact that Kierkegaard had not grasped the standard use of the term ‘actuality’ in philosophy at the time since Sibbern, like Schelling and Hegel, was working with a traditional understanding of the concept. Moreover, Kierkegaard’s question suggests that he had his own conception of the term more or less already worked out even at this early period“ (Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 383; vgl. auch S. 143 f.). Diese Begriffsverwirrung auf Seiten Kierkegaards sollte schließlich auch ein Grund für Kierkegaards Enttäuschung über Schelling sein, der in seiner Berliner Vorlesung über „Philosophie der Offenbarung“ (1841) den Terminus ‚Wirklichkeit‘ im philosophischen Sinne: als abstrakte, logische Kategorie statt, wie Kierkegaard (zunächst) glaubte, im existentiellen Sinne gebrauchte. Als er Schelling in der Vorlesung vom 22. November 1841 (vgl. SKS 19, 305, Not11:2 / DSKE 3, 333) das erste Mal über ‚Wirklichkeit‘ sprechen hörte, notierte Kierkegaard geradezu enthusiastisch in sein während seines ersten Aufenthaltes in Berlin verwendetes Notizbuch 8: „Ich bin so froh
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des Weltgeistes“⁶¹⁰ stehend ein Moment der gegebenen Wirklichkeit zu negieren, auf dass dieses durch ein neues Moment verdrängt werde, sondern „die Wirklichkeit selbst“⁶¹¹ bzw. „alle geschichtliche Wirklichkeit“⁶¹² gelte es zu negieren, „um für eine selbstgeschaffene Wirklichkeit Platz zu schaffen.“⁶¹³ Statt, wie Sokrates, die Subjektivität berechtigterweise in Erscheinung treten zu lassen, gehe es Schlegel und Tieck „um eine überspannte Subjektivität, eine zweite Potenz der Subjektivität.“⁶¹⁴ Diese unberechtigte Ironie habe denn auch zu Recht in Hegel „ihren Meister“⁶¹⁵ gefunden, auch wenn dieser, indem er stets abweisend von der Ironie gesprochen und alle Ironie mit der nachfichteschen Ironie gleichgesetzt habe, „die Wahrheit der Ironie übersehen“⁶¹⁶ musste. Das Missverhältnis dieser „metaphysischen Untersuchungen entsprungen[en]“⁶¹⁷, „wesentlich kritisch[en]“⁶¹⁸ romantischen Ironie zur Wirklichkeit konkretisiert Kierkegaard mittels einer näheren Betrachtung der Art und Weise, wie die geschichtliche Wirklichkeit zum Individuum ins Verhältnis tritt, und zwar sowohl als eine anzunehmende Gabe, weil die Wirklichkeit als gewordene: als Vergangenheit Gültigkeit gegenüber dem Individuum beanspruche, als auch als eine in Angriff zu nehmende Aufgabe, weil die Wirklichkeit als werdende „auf die
darüber, Schellings 2. Stunde gehört zu haben – unbeschreiblich. So habe ich doch lange genug geseufzt und die Gedanken haben in mir geseufzt; als er das Wort: ‚Wirklichkeit‘ sagte, über das Verhältnis der Philosophie zur Wirklichkeit, da hüpfte das Kind des Gedankens in mir vor Freude wie in Elisabet. Ich erinnere fast jedes Wort, das er von dem Augenblick an sagte. Hier vielleicht kann Klarheit kommen. Dieses eine Wort, das mich an all meine philosophischen Leiden und Qualen erinnert…Jetzt habe ich all meine Hoffnung auf Schelling gesetzt“ (SKS 19, 235, Not8:33 / DSKE 3, 252). Als Kierkegaard zu der Einsicht kommen musste, dass Schelling mit einer anderen ‚Wirklichkeit‘ operierte, wurde diese Hoffnung jäh enttäuscht, wie aus einem wahrscheinlich noch in Berlin verfassten Diapsalma in Entweder – Oder I hervorgeht: „Was die Philosophen über die Wirklichkeit sagen, ist oft ebenso irreführend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: Hier wird gerollt. Würde man mit seinem Zeug kommen, um es rollen zu lassen, so wäre man genasführt; denn das Schild steht bloß zum Verkaufe aus“ (SKS 2, 41 / EO1, 34; vgl. ferner SKS 28, 18 f., Brev 4 / B, 104 f. (Nr. 49) sowie Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 381). SKS 1, 311 / BI, 280. SKS 1, 312 / BI, 282. SKS 1, 311 / BI, 280 (dt. Übers. modifiziert; ohne Hervorhebungen). Ibid. (dt. Übers. modifiziert); vgl. ibid.: „Fichte wollte die Welt konstruieren; das von ihm Gemeinte aber war ein systematisches Konstruieren. Schlegel und Tieck wollten eine Welt erschaffen.“ Ferner SKS 1, 315 / BI, 285. SKS 1, 311 / BI, 281 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 1, 282 / BI, 246. SKS 1, 282 / BI, 247; vgl. SKS 1, 311 / BI, 281. SKS 1, 303 / BI, 271 (ohne Hervorhebungen). SKS 1, 313 / BI, 282. SKS 1, 312 / BI, 281 (ohne Hervorhebungen).
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Zukunft hin fortgeführt“⁶¹⁹: verwirklicht werden wolle.⁶²⁰ Bezüglich Ersterem macht Kierkegaard deutlich, dass es für die Ironie aufgrund der Verwechslung des zeitlichen mit dem ewigen, geschichtslosen Ich „eigentlich keine Vergangenheit“⁶²¹ gebe, da diese dann so beschaffen sein müsste, dass die Ironie frei und nach Belieben darüber schalten und walten könnte. In ihrem Bestreben, die geschichtliche Wirklichkeit zu überwinden und selbst die Wirklichkeit zu erschaffen, habe die Ironie deshalb die eigentliche Geschichte beiseite schaffen müssen, weshalb sich ihr Augenmerk vor allem auf den „mythische[n] Teil der Geschichte“⁶²², Sagen und Märchen, richtete. Dass in der geschichtlichen Wirklichkeit als Konkretwerden der Idee jedes einzelne Glied als Moment seine relative Gültigkeit habe, vermöge die romantische Ironie nicht anzuerkennen. Doch auch an der dem Individuum gestellten Aufgabe, die Wirklichkeit zu verwirklichen, müsse die romantische Ironie unweigerlich scheitern. Obwohl sie sich „im Besitz der unbedingten Gewalt zu binden und zu lösen“⁶²³ wisse und „in praktischer Hinsicht“ gleichsam eine „göttliche Freiheit“⁶²⁴ von den Zwängen und Zusammenhängen, aber auch von den Freuden und dem Segen der gegebenen Wirklichkeit genieße,vermöge die Ironie nichts Wirkliches an die Stelle der von ihr überwundenen Wirklichkeit zu setzen, da ihre Wirklichkeit bloß Möglichkeit sei. Diese Freiheit sei das von der Ironie Begehrte, um dergestalt „poetisch leben“⁶²⁵ zu können. Während der Ironiker dieses ‚poetische Leben‘ aber dadurch zu erreichen suche, dass er sich selbst und seine Umwelt dichte, gehe es dem Christen gerade darum, „sich dichten zu lassen“⁶²⁶. Dagegen habe für den Ironiker der bestimmte, gegebene Zusammenhang, in den er hineinpassen solle, keinerlei Gültigkeit. In
Rainer Thurnher, „Sören Kierkegaard“, in: ders. et al., Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts 3. Lebensphilosophie und Existenzphilosophie, München 2002 (Geschichte der Philosophie, Bd. 13), S. 15 – 58, hier S. 31 (ohne Hervorhebungen). Vgl. SKS 1, 312 f. / BI, 281 f.; SKS 1, 315 / BI, 285 sowie im Ganzen SKS 1, 312– 321 / BI, 281– 292. SKS 1, 313 / BI, 282 (ohne Hervorhebungen). SKS 1, 313 / BI, 283; vgl. SKS 1, 311 / BI, 280; SKS 1, 315 / BI, 285. SKS 1, 312 / BI, 281 (ohne Hervorhebungen; vgl. Mt 16,19); vgl. SKS 1, 315 / BI, 285. SKS 1, 315 / BI, 285; vgl. SKS 1, 317 f. / BI, 288: „Für den Ironiker sind alle Dinge möglich. Unser Gott ist im Himmel, er tut alles, was ihm gefällt; der Ironiker ist auf Erden, er tut alles, was ihn gelüstet“ (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 316 / BI, 286. Ibid. (meine Hervorhebung); vgl. SKS 1, 318 f. / BI, 289 f. und SKS 1, 354 f. / BI, 330 f. Anstatt ‚für sich‘ werden zu wollen, was man ‚an sich‘ sei, möchte der Ironiker gerade kein ‚an sich‘ haben: „Darum wird der Ironiker meist zu einem Nichts; denn für den Menschen gilt, was für Gott nicht gilt, dass Nichts wird aus Nichts. Aber der Ironiker bewahrt ständig seine dichterische Freiheit, und wenn er spürt, dass er zu einem Nichts wird, so dichtet er dies mit“ (SKS 1, 317 / BI, 287; dt. Übers. modifiziert).
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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fortwährender Kollision mit der Wirklichkeit, der er selbst angehöre, werde es ihm deshalb wichtig, das diese Konstituierende und Regulierende, nämlich Moral und Sittlichkeit, zu suspendieren. Alles in der gegebenen Wirklichkeit Bestehende habe für den Ironiker, dem als ewigem Ich keine Wirklichkeit die angemessene sei, „lediglich poetische Gültigkeit; denn er lebt ja poetisch.“⁶²⁷ Allerdings gerate der frei über der Wirklichkeit schwebende, sich selbst und seine Umwelt dichtende Ironiker selbst ins Schweben, weil er, sich in Abstraktionen verlierend, niemals zur Konkretheit seines Selbstseins zu gelangen vermöge („Träume machen nicht satt“⁶²⁸). Indem der Ironiker „ganz und gar hypothetisch und konjunktivisch“⁶²⁹ lebe, verliere sein Leben alle Kontinuierlichkeit, denn es bestehe aus lauter einander sich ablösenden, entgegengesetzten Stimmungen⁶³⁰, die er mitdichte und die für ihn keinerlei Wirklichkeit besäßen. Der vermeintlich freie Herr sei deshalb in Wahrheit nichts als ein Knecht seiner zufälligen Stimmungen, sozusagen „ein Spielball der Laune der Weltironie“⁶³¹. Band der Einheit dieser Stimmungsdissonanzen und zugleich Symptom der Inhalts- und Wirklichkeitslosigkeit seines Daseins sei die andauernde Langeweile. ⁶³² Während in der berechtigen Ironie die Subjektivität sich der gegebenen Wirklichkeit gegenüber in ihrer Kraft und Gültigkeit (negativ) frei fühle und eben damit sich gleichsam aus der Relativität ‚rette‘ [frelse], in deren Verstrickungen die gegebene Wirklichkeit sie festhalten wolle, gelte demnach von der romantischen als unberechtigten Ironie, „dass derjenige, der seine Seele retten [frelse sin Sjæl] will, sie verlieren wird.“⁶³³
SKS 1, 319 / BI, 289 (ohne Hervorhebungen). SKS 1, 337 / BI, 310; vgl. SKS 1, 315 / BI, 285 und SKS 1, 319 / BI, 290. SKS 1, 319 / BI, 290. Vgl. SKS 1, 320 / BI, 291: „Bald ist er auf dem Wege ins Kloster, unterwegs besucht er den Venusberg; bald auf dem Wege zum Venusberg, unterwegs betet er in einem Kloster“ (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 320 / BI, 291; vgl. hierzu Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 89: „die negative Freiheit, die allein die romantische Willkür-Ironie gewährt, führt den Menschen immer nur tiefer in die Unfreiheit, in die Abhängigkeit von der Willkür seiner Ironie.“ Vgl. SKS 1, 320 f. / BI, 291 f. SKS 1, 301 / BI, 268 (meine Übers.). Kierkegaards Anspielung auf Lk 17,33 liegt offenbar die Wiedergabe dieser Stelle in der Karlsruher Bibelausgabe Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments (1836) zugrunde: „Wer da suchet seine Seele zu erhalten, der wird sie verlieren; und wer sie verlieren wird, der wird ihr zum Leben helfen.“ Dagegen heißt es in NT-1819 sowohl hier wie auch bei allen anderen Wiedergaben dieses Jesuslogions (vgl. Mt 10,39; 16,25; Mk 8,35; Lk 9,24): „at frelse sit Liv“ [sein Leben retten bzw. erhalten]. Vgl. dagegen den Kommentar zu SKS 1, 310,22 in SKS K1, 335 f. sowie den Kommentar zu SKS 5, 168,34 in SKS K5, 174. Vgl. hierzu ferner SKS 1, 296 / BI, 262: „In der Ironie ist das Subjekt auf einem dauernden Rückzuge, bestreitet jeder Erscheinung die Wirklichkeit, um sich selber zu retten, d. h. um sich selber zu bewahren in der negativen Unabhängigkeit von allem.“
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Diese Ausführungen mögen genügen, um zu verdeutlichen, dass Ironie als Form der Negativität nur insofern berechtigt ist, als sie als ein erster Schritt: als „die Negation der Unmittelbarkeit der Substantialität“⁶³⁴ eine innere Distanz zur gegebenen Wirklichkeit schafft. Sie darf sich jedoch nicht gegen die Wirklichkeit selbst richten und muss deshalb, wie Kierkegaard im kurzen Schlussabschnitt seiner Magisterabhandlung⁶³⁵ konturiert, ‚begrenzt‘ oder ‚beherrscht‘⁶³⁶, mithin auf diesen ersten Schritt beschränkt werden, weil sie nur als beherrschtes Moment Wirklichkeit verwirklichen kann: „Die Ironie ist als das Negative der Weg; nicht die Wahrheit, sondern der Weg.“⁶³⁷ Darin liegt das Wahrheitsmoment der Ironie, gleichsam ihr „metaphysischer Zweck“⁶³⁸. Man darf allerdings nicht beim Negativen als Standpunkt stehenbleiben, sondern muss auf diesem Wege weitergehen. Dies geschieht in der religiösen als berechtigten Form der Negativität. Ein augenfälliges, weil an markanter Stelle: im allerletzten Absatz der Magisterabhandlung angeführtes Beispiel für diese religiöse Negativität, deren Erscheinungsformen dabei nicht danach unterschieden werden, „ob sie im Umkreis des Glaubens verortet oder mit dem Glauben verbunden sind“⁶³⁹, ist der Humor. Die Frage nach der ewigen Gültigkeit der Ironie könne erst auf humoristischem Gebiet beantwortet werden: „Humor enthält eine viel tiefere Skepsis als Ironie; denn hier dreht sich alles nicht um die Endlichkeit, sondern um die Sündhaftigkeit; seine Skepsis verhält sich zu der der Ironie wie Unwissenheit zu dem alten Satz: credo quia absurdum; aber er enthält auch eine viel tiefere Positivität; denn er bewegt sich nicht in humanen, sondern in theanthropischen Bestimmungen, er findet nicht Ruhe darin, dass er den Menschen zum Menschen macht, sondern darin, dass er den Menschen zum Gottmenschen macht. Doch all dies liegt jenseits der
SKS 1, 244 / BI, 204. Vgl. SKS 1, 352– 357 / BI, 328 – 335 („Ironie als beherrschtes Moment. Die Wahrheit der Ironie“). Zur schwierigen Frage der Deutung des Schlussabschnittes und der Durchführbarkeit des darin skizzierten Programms der ‚beherrschten Ironie‘, welches der von Kierkegaard zuvor in der Abhandlung gegebenen Charakterisierung der Ironie in wesentlichen Punkten zuwiderläuft (vgl. z. B. die Aussage, in der beherrschten Ironie sei „das Wesen…nichts anderes als die Erscheinung, die Erscheinung nichts anderes als das Wesen“ (SKS 1, 354 / BI, 330), mit SKS 1, 286 / BI, 251 (vgl. das zu Anm. 568 gehörende Zitat)), vgl. Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 130 – 135; ferner Tjønneland, Ironie als Symptom, S. 261– 288 sowie bereits Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 600 f. Vgl. SKS 1, 354 / BI, 331 et passim. SKS 1, 356 / BI, 332 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 1, 356 / BI, 333 sowie Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 91– 93. SKS 1, 294 / BI, 260. Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 144.
3.4 Über den Begriff der Ironie (1841)
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Grenze dieser Untersuchung, und sofern man Stoff zum Nachdenken wünschen sollte, möchte ich auf Prof. Martensens Anzeige von Heibergs neuen Gedichten hinweisen.“⁶⁴⁰
Auf den Kierkegaards Magisterabhandlung beschließenden, freilich ironisch zu verstehenden Hinweis⁶⁴¹ auf Martensens Rezension von Heibergs Neuen Gedichten (1841)⁶⁴² braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden.⁶⁴³ Viel wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Humor und Ironie als Formen der Negativität nicht nur funktional parallelisiert werden, sondern der Humor zugleich als Überbietung der (beherrschten) Ironie verstanden wird, und zwar in doppelter Hinsicht: der Humor enthält nicht nur eine im Vergleich zur Ironie ungleich radikalere Negativität, weil es ihm um die Sündhaftigkeit des Menschen zu tun ist⁶⁴⁴, sondern auch eine viel tiefere Positivität, die durch diese radikale Negation hindurch zu erlangen ist: die Versöhnung des Menschlichen und Göttlichen. Damit weist der Humor als „ein polemisches Moment in der christlichen Lebens-Anschauung“⁶⁴⁵ im Unterschied zu der sich lediglich in humanen Bestimmungen bewegenden Ironie über den allgemein menschlichen Bereich hinaus: als Kennzeichen eines religiösen Weltverhältnisses „bezeichnet der Humor den Übergang in die religiös-christliche Auffassung der Existenz“⁶⁴⁶. Diese Cha-
SKS 1, 357 / BI, 334 f. (dt. Übers. modifiziert); zum Humor vgl. ferner die Bemerkung am Ende der ersten Anmerkung in SKS 1, 294 / BI, 260 sowie, von den Entwurfsnotizen zur Magisterabhandlung, vor allem Pap. III B 11, 16 – 17, 19 – 20 und 24; ferner Pap. III B 4– 5. Diesen Verdacht hatte bereits Helweg kurz nach Kierkegaards Tod in seiner Studie über den dänischen Hegelianismus geäußert (vgl. Helweg, „Hegelianismen i Danmark“, Sp. 842), worauf Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 147 (Anm. 216) verweist. Hans Lassen Martensen, „Nye Digte af J.L. Heiberg (1841. 8. 249 S. Reitzel.)“, Fædrelandet, 1841, Nr. 398 – 400 vom 10. bis 12. Januar, Sp. 3205 – 3224. Martensen bezieht sich hauptsächlich auf Heibergs ‚apokalyptische‘ Komödie „Eine Seele nach dem Tode“, in Johan Ludvig Heiberg, Nye Digte, Kopenhagen 1841 (ktl. 1562), S. 29 – 158. Vgl. hierzu Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 144– 147 sowie Mads Sohl Jessen, „Kierkegaard’s Hidden Polemics against Heiberg and Martensen in the Last Chapter of The Concept of Irony“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2011, S. 103 – 113. Vgl. SKS 1, 294 / BI, 260; der Satz: „seine [scil. des Humors] Skepsis verhält sich zu der [Skepsis] der Ironie wie Unwissenheit zu dem alten Satz: credo quia absurdum“ ist also im Chiasmus angeordnet; vgl. Hirsch in BI, [374] (Anm. 406): „Man muß selbstverständlich die Skepsis der Ironie und die Unwissenheit als die eine Seite zusammennehmen gegen die Skepsis des Humors und den Satz: ‚ich glaube, weil es widersinnisch ist‘ als die andere Seite.“ Vgl. ferner die Entwurfsnotiz Pap. III B 24: „Humor erkennt man sofort bloß an einer solchen Replik: credo quia absurdum. Unwissenheit ist doch etwas ganz anderes.“ Pap. III B 11. Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher, S. 146.
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rakterisierung des Humors steht nicht nur in Kontinuität mit einer Reihe von früheren, aus der intensiven Beschäftigung mit Hamann hervorgegangenen Aufzeichnungen, in denen Kierkegaard den Humor bzw. das Humoristische in wesentliche Beziehung zum Christentum gesetzt hat⁶⁴⁷, sondern entspricht auch seiner späteren Verortung in Kierkegaards Schema der Existenzsphären als Konfinium zwischen dem Ethischen und dem Religiösen⁶⁴⁸ bzw. als „Inkognito des Religiösen“⁶⁴⁹. Die religiöse Negativität tritt vor allem aber im Bereich des Erbaulichen zutage, was Kierkegaard anhand einer vergleichenden Betrachtung von Ironie und Andacht verdeutlicht. In der Ironie bestreite das Subjekt nicht nur jeder Erscheinung, sondern dem Dasein selbst die Realität⁶⁵⁰, „um sich selber zu retten, d. h. um sich selber in der negativen Unabhängigkeit von allem zu bewahren.“⁶⁵¹ Deshalb könnte es so scheinen, „als ob die Ironie eine Art Andacht wäre. Auch in der Andacht verliert,wenn ich so sagen darf, die niedere Wirklichkeit, d. h. die Weltverhältnisse, ihre Gültigkeit, aber dies geschieht doch nur insofern, als die Gottesbeziehungen im selben Augenblick ihre absolute Realität geltend machen. Der andächtige Sinn sagt auch, dass alles eitel ist; aber dies geschieht doch nur insofern, als durch diese Negation alles Störende beiseite geschafft wird, und das ewig Bestehende zum Vorschein kommt. Hinzu kommt, dass, wenn der andächtige Sinn alles eitel findet, er mit der eigenen Person keine Ausnahme macht, kein Aufhebens von ihr macht, im Gegenteil, auch sie muss beiseite, damit das Göttliche durch ihren Widerstand nicht zurückgestoßen wird, sondern sich in den andächtig sich öffnenden Sinn ergießt. Ja, in den tiefer gehenden Erbauungsschriften sehen wir, dass der fromme Sinn gerade die eigene endliche Persönlichkeit für das Armseligste von allem hält.“⁶⁵²
Die religiöse Andacht unterscheidet sich von der Ironie also dadurch, dass in ihr die Weltverhältnisse nicht zugunsten der eigenen Person, sondern zugunsten der eigenen Beziehung zu Gott verneint werden. Während das ironische Subjekt alles, nur nicht sich selbst für eitel erklärt, um „seine eigene Eitelkeit“⁶⁵³ zu retten,
Vgl. Kapitel 1, Anm. 122, Anm. 141, Anm. 167, Anm. 184 sowie oben Anm. 60 und Anm. 61; ferner Pap. III B 20. Vgl. auch Hirschs Anmerkung in BI, 364 f. (Anm. 332). Vgl. SKS 7, 273 / AUN1, 296; SKS 7, 410 / AUN2, 159; SKS 7, 453 / AUN2, 209; SKS 7, 455 / AUN2, 211. SKS 7, 453 / AUN2, 209; vgl. SKS 7, 410 / AUN2, 159; SKS 7, 500 / AUN2, 261. Vgl. SKS 1, 296 / BI, 262: „…des Bewusstseins [der Ironie], dass das Dasein keine Realität hat [at Tilværelsen ingen Realitet har]…“ (meine Übers.). Hirsch übersetzt dagegen: „…des Bewußtseins, daß die Erscheinung keine Wirklichkeit hat“ (meine Hervorhebung). SKS 1, 296 / BI, 262 (dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 296 / BI, 262 f. (meine Übers.). SKS 1, 296 / BI, 263. Wie Kierkegaard an späterer Stelle an Karl Solger (1780 – 1819) exemplifiziert, kann die Ironie, wenn sie konsequent die ganze Endlichkeit als nichts betrachtet und
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schließt die andächtige Verneinung der Weltverhältnisse die eigene Person nicht nur ein, sondern hält diese gerade für ‚das Armseligste von allem‘. Dass diese radikale und vorbehaltlose Negation alles Weltlichen im Bereich des Religiösen aber eine Positivität in sich trägt, macht Kierkegaard bereits im ersten Teil der Magisterabhandlung bei der Behandlung der platonischen Dialoge deutlich, wenn er nach dem Durchgang durch die verschiedenen Denkmöglichkeiten für den Beweis der Unsterblichkeit der Seele in Platons Phaidon zwei Deutungen der Auffassung unterscheidet, „dass das Leben eigentlich im Absterben bestehe“⁶⁵⁴. Im Unterschied zu einem rein intellektuell verstandenen, in der Unwissenheit resultierenden Absterben, wie es für das Griechentum charakteristisch sei, werde im Christentum dieses Absterben im moralischen Sinne: als das der Sünde Absterben verstanden. Während das Absterben im griechisch-intellektualistischen Sinne beim Negativen stehenbleibe, stehe das Absterben im christlich-moralischen Sinne in Korrelation mit der Wiedergeburt⁶⁵⁵ des Menschen: „Auf der einen Seite ist im Christentum dasjenige, dem abgestorben werden soll, in seiner Positivität verstanden, als Sünde, als ein Reich, welches für jeden, der unter seinen Gesetzen seufzt, nur allzu überzeugend seine Gültigkeit verkündigt; auf der anderen Seite ist dasjenige, das geboren werden [der skal fødes] und auferstehen soll, ebenso positiv verstanden.“⁶⁵⁶
sich folglich auch gegen das ironische Subjekt selbst richtet, durchaus als eine Art Andacht verstanden werden, vgl. SKS 1, 343 / BI, 317 (Anm.) und SKS 1, 344 f. / BI, 318 f. Allerdings bleibt diese ‚unfruchtbar‘, weil die wahre Wirklichkeit durch die sich als „das Alleinherrschende“ und in ihrer „ganzen Unfruchtbarkeit“ (SKS 1, 341 / BI, 315) zeigende Negativität nicht zum Vorschein kommen könne. Auch wenn das Endliche „das Nichtige“ sei, gebe es doch „etwas in ihm, worin ein Halt liegt“ (SKS 1, 345 / BI, 319; dt. Übers. modifiziert). SKS 1, 134 / BI, 78; vgl. SKS 1, 134– 136 / BI, 78 – 80. Vgl. SKS 1, 135 / BI, 79: „in eben dem Maße, in dem der Mensch dem Einen abstirbt, wächst das Andere ein göttliches Wachstum, und wenn dieses Andere alle Keimkraft des sündigen Leibes, der getötet werden sollte, gleichsam eingesogen und sich angeeignet und dadurch veredelt hat, dann ist dieser auch allmählich zusammengeschrumpft, ausgedörrt, und wenn er zerbricht und zerfällt, erhebt sich daraus der ausgewachsene [Hirsch: ‚zum vollen Maß gewachsene‘] Gottes-Mensch [hæver det fuldvoxne Guds-Menneske sig ud deraf], der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (meine Übers.); vgl. Eph 4,13 und 4,24. SKS 1, 135 / BI, 79. In diesem Sinne ist auch Kierkegaards Bemerkung zu verstehen, dass das aus Fichtes Ringen um einen voraussetzungslosen Anfang der Philosophie hervorgehende inhaltslose Subjekt, um „Fülle und Wahrheit“ zu gewinnen, „sich gebären lassen [lade sig føde]“ (SKS 1, 310 / BI, 279; meine Übers.; Hirsch übersetzt: „sich nähren lassen“) müsse; zur Übersetzungsfrage vgl. Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 147 f.; Huggler, „Der Anfang und das Sollen“, S. 40.
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Das entscheidende Differenzkriterium zwischen der religiösen und der ironischen Negativität ist nicht die Radikalität der Negativität⁶⁵⁷, sondern die Frage, ob diese Negativität auf eine Positivität hin angelegt ist und auf diese hin überstiegen werden kann. Während die im Negativen verbleibende Ironie ohne Bezug auf eine solche Positivität bleibt (diese ist in ihr nicht angelegt), bildet im Bereich des Religiösen die Positivität den Grund, auf den hin sich der Mensch im Vollzug der Negation übersteigt: „der Christ verweilt nicht beim Kampf, beim Zweifel, beim Schmerz, beim Negativen, sondern ergötzt sich am Siege, an der Gewissheit, an der Seligkeit, am Positiven.“⁶⁵⁸ Eignet der romantischen Ironie ob ihrer „nihilistischen Grundtendenz“⁶⁵⁹ gerade „ein Mangel an wirklicher Wirklichkeit“⁶⁶⁰, vermag die religiöse Negativität dem Menschen die Wirklichkeit in ihrer ganzen Fülle erst zu schenken. Während von der romantischen Ironie als unberechtigter Form der Negativität, wie bereits angesprochen, gilt, „dass derjenige, der seine Seele retten will, sie verlieren wird“⁶⁶¹, gilt für die religiöse als berechtigte Form der Negativität, wie Kierkegaard mit einem (vermeintlichen⁶⁶²) Diktum von Johannes Tauler (1300 – 61) verdeutlicht, dass „dieses Verlieren, dies Entschwinden…eben das echte und rechte Finden“⁶⁶³ ist. Die Positivität im Bereich des Religiösen ist nicht mit der (bloßen) Affirmation der Wirklichkeit gegeben, sondern wird dem Menschen – und d. h. hier: dem Glaubenden – auf dem Wege der Negation zuteil. Das Moment
Und auch nicht ihre Rückhaltlosigkeit, da die Ironie, wie im Falle Solgers, sich durchaus auch gegen das ironische Subjekt selbst richten kann, vgl. oben Anm. 653. SKS 1, 135 / BI, 80. Marika Müller, Die Ironie. Kulturgeschichte und Textgestalt, Würzburg 1995 (zugleich Diss., Univ. Saarbrücken, 1994) (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 142), S. 76. Uwe Japp, Theorie der Ironie, Frankfurt am Main 1983, S. 16 (zitiert bei Müller, Die Ironie, S. 77). SKS 1, 301 / BI, 268; vgl. SKS 1, 296 / BI, 262; SKS 1, 311 / BI, 281. Vgl. Heinrich Seuse Denifle, Das Buch von geistlicher Armuth, bisher bekannt als Johann Taulers Nachfolgung des armen Lebens Christi, München 1877, S. IXff., worauf Hirsch in BI, 368 f. (Anm. 355) verweist. Vgl. ferner Peter Šajda, „Tauler: A Teacher in Spiritual Dietethics: Kierkegaard’s Reception of Johannes Tauler“, in: Kierkegaard and the Patristic and Medieval Traditions, hg. von Jon Stewart, Aldershot und Burlington 2008 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 4), S. 265 – 287, hier S. 267. SKS 1, 310 / BI, 279 (bei Kierkegaard deutsch); vgl. Johann Tauler’s Nachfolgung des armen Lebens Christi, hg. von Nikolaus Casseder, Frankfurt am Main 1821 [1621] (ktl. 282), S. 253 – 255 („V. Von der Seligkeit des Seyns in Gott“), hier S. 254: „Doch dieß Verlieren, dieß Entschwinden / Ist eben erst das wahre, ächte Finden.“ Ganz analog dazu wird auch die Wiedergewinnung des Ästhetischen innerhalb der ethischen Existenz beschrieben: „hierdurch erst wird das Dasein schön, und erst auf diesem Wege kann es einem Menschen gelingen, seine Seele zu retten und die ganze Welt zu gewinnen“ (SKS 3, 173 / EO2, 189).
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der Negation, in dem bzw. als das die romantische Ironie verharrt, wird in dieser höheren Positivität nicht aufgegeben, sondern (und zwar im doppelten Sinne von ‚vernichtet‘ und ‚bewahrt‘) aufgehoben. In dieser Negation der Negation besteht gerade die wahre Affirmation der Wirklichkeit: die Versöhnung des Menschen mit ihr.⁶⁶⁴ Entscheidend ist nun, wie diese Versöhnung zu verstehen ist. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Schlegels Lucinde (2. Ausg., 1835)⁶⁶⁵ unterscheidet Kierkegaard die Versöhnung der Poesie von der Versöhnung des Religiösen. Die Versöhnung der Poesie ist nur „eine Art von Versöhnung“, die den Menschen mit der Wirklichkeit dadurch versöhnt, dass sie ihm eine andere, „höhere und vollkommenere“⁶⁶⁶ Wirklichkeit gibt. Durch die poetische Versöhnung geschieht „keine Transsubstantiation der gegebenen Wirklichkeit“, weshalb der im Poetischen erlangte „Sieg über die Wirklichkeit…mehr in einer Auswanderung aus der Wirklichkeit als in einem in ihr Bleiben“⁶⁶⁷ besteht. Im Gegensatz zur unwirklichen Versöhnung der Poesie kann erst das Religiöse „die wahre Versöhnung“⁶⁶⁸ des Menschen mit der Wirklichkeit vollbringen, indem diese selbst verwandelt wird. Während die in der Poesie zum Vorschein kommende „ideale Wirklichkeit“⁶⁶⁹ dennoch nicht in der Poesie ist, sondern ständig erst wird, wird im Glauben die wahre Wirklichkeit das, was sie schon ist. ⁶⁷⁰ Insofern ist „der Glaube ein Sieg über die Welt, und doch ist er ein Kampf, und wenn er gekämpft hat, dann hat er über die Welt gesiegt; und doch hatte er über die Welt [schon] gesiegt, bevor er
Der Christ wisse sich als jemand, „der Wirklichkeit für Gott hat [der har Realitet for Gud]. Hier kommt der Christ auch Gott zu Hilfe, wird gleichsam sein Mitarbeiter im Vollbringen des guten Werkes, das Gott selbst begonnen hat“ (SKS 1, 316 / BI, 286; meine Übers.; ebenso möglich ist die Übersetzung: „der Wirklichkeit vor Gott hat“). Zum Ausdruck ‚Gottes Mitarbeiter‘ vgl. auch SKS 1, 82 / BI, 18 (Anm.) und SKS 1, 126 / BI, 69 (Anm.) sowie Kap. 3.3.3, S. 344. Friedrich Schlegel, Lucinde. Ein Roman, 2. unv. Ausg., Stuttgart 1835; vgl. SKS 1, 321– 334 / BI, 292– 307. SKS 1, 330 f. / BI, 303 (ohne Hervorhebungen). SKS 1, 331 / BI, 303 (dt. Übers. modifiziert). Das Aufgeben der konkreten Wirklichkeit des Menschen in der ‚Poesie‘ zugunsten der Forderung einer ‚idealen‘ Wirklichkeit führt nach Kierkegaard dazu, „dass sie [scil. diese Forderung] gerade des höchsten Genusses, der wahren Seligkeit verlustig geht, in der das Subjekt nicht träumt, sondern in unendlicher Klarheit sich selbst zu eigen hat, sich selbst absolut durchsichtig ist; denn dies ist erst möglich für das religiöse Individuum, welches seine Unendlichkeit nicht außerhalb seiner, sondern in sich selbst hat“ (SKS 1, 331 / BI, 304; meine Übers.). SKS 1, 330 / BI, 303 (ohne Hervorhebungen). SKS 1, 337 / BI, 311 (ohne Hervorhebungen). Vgl. SKS 1, 349 / BI, 324: „Insofern ist es klar, dass jene höhere Wirklichkeit, die in der Poesie zum Vorschein kommen soll, doch nicht in der Poesie ist, sondern ständig wird…aber die wahre Wirklichkeit wird, was sie ist, die Wirklichkeit der Romantik wird bloß“ (meine Übers.).
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gekämpft hatte. Der Glaube wird so das, was er ist, der Glaube ist kein ewiger Kampf, sondern er ist ein Sieg, der da kämpft. Im Glauben ist also jene höhere Wirklichkeit des Geistes nicht bloß werdend, sondern sie ist gegenwärtig, obschon sie zugleich wird.“⁶⁷¹
Was schon Wirklichkeit ist, muss für den Glaubenden erst noch Wirklichkeit werden, und zwar indem es selbst erworben und angeeignet wird. Erst im Glauben als der unerschütterlichen Gewissheit der Realität des grundsätzlichen Sieges, der „nichts anderes als Grund des ‚Kampfes‘ um seine Aneignung“⁶⁷² ist, ist deshalb ‚die wahre Versöhnung‘ des Menschen mit der gegebenen Wirklichkeit möglich (geworden). Die Wirklichkeit wird nicht, wie in der Poesie, durch eine andere Wirklichkeit substituiert, und auch nicht – wie Kierkegaard es noch in seiner Erstlingsschrift in Bezug auf das Erlangen einer Lebensanschauung im Vollzug der Doppelbewegung von Negation und Affirmation der Wirklichkeit beschrieben hat⁶⁷³ – lediglich das Verhältnis zu ihr ist nun ein anderes geworden, sondern die Wirklichkeit selbst wird transsubstantiiert.⁶⁷⁴ Diese real verwandelte Wirklichkeit ist im Glauben bereits gegenwärtig, auch wenn sie in dieser Welt immer zugleich noch im Werden begriffen ist. Der immer schon erkämpfte und doch erst noch zu erkämpfende Sieg des Glaubens führt nicht zur Weltflucht, sondern ist Ermöglichungsgrund einer positiven Freiheit des Menschen gegenüber der gegebenen Wirklichkeit: „mit der unbedingten Gewißheit im Bedingten zu leben“⁶⁷⁵.
3.5 Ergebnis Die Untersuchung von Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen aus der Zeit der nach dem Tod seines Vaters einsetzenden, mehr oder minder intensiven Examensvorbereitung und aus der Zeit nach dem theologischen Examen bis zur Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) hat gezeigt, dass Kierkegaard nicht nur an frühere Einsichten über den Glauben angeknüpft und diese
SKS 1, 349 / BI, 325 (meine Übers.); vgl. auch die Charakterisierung der „verklärte[n] Individualität“ als diejenige „Persönlichkeit, die in jedem Augenblick gesiegt hat und doch im Kampfe ist“ (SKS 1, 257 / BI, 219; dt. Übers. modifiziert). Zu dieser „eschatologischen Struktur“ sowohl der christlichen Existenz als auch des Glaubens vgl. Heiko Schulz, „Das entfallene Herz. Zur Dialektik der Anfechtung bei Søren Kierkegaard“, in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 2, op. cit., S. 491– 512, hier S. 509 f.; ferner Ringleben, Aneignung, S. 174 ff. Ringleben, Aneignung, S. 175, der zudem auf die Veranschaulichung dieser Struktur des ‚schon‘ und ‚noch nicht‘ an der Ehe als Grundparadigma von Entweder – Oder II verweist. Siehe Kap. 2.5.1. und Kap. 2.5.2.3. Vgl. SKS 1, 331 / BI, 303. Kleinert, Sich verzehrender Skeptizismus, S. 150.
3.5 Ergebnis
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entscheidend weiterentwickelt hat, sondern auch zu neuen und differenzierteren Einsichten gekommen ist, die für die weitere Entwicklung seines Glaubensverständnisses von grundlegender Bedeutung sein sollten. Von den nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Examensvorbereitung stehenden Überlegungen über das Verhältnis von Philosophie und Christentum war einerseits der im Spätherbst 1838 entstandene Entwurf zur ‚Telegraphien‘-Schrift von Interesse, auf den Kierkegaard nicht nur bei der Ausarbeitung der späteren ‚Beilage‘ zum dritten Kapitel der Philosophischen Brocken (1844) zurückgegriffen hat, sondern in dem auch der ursprünglich angedachten Einteilung der Philosophischen Brocken vorgegriffen ist. Andererseits wurde die Wiederaufnahme und Weiterführung der im Frühjahr 1837 begonnenen Auseinandersetzung Kierkegaards mit dem jüngeren Fichte in der Journalaufzeichnung EE:147 von Juli 1839 untersucht, in der Kierkegaard Fichte nun zwar das Bemühen attestieren kann, die Eigentümlichkeit des Christentums respektieren zu wollen, sich aber zugleich in seiner Kritik an Fichte bestätigt sieht, die radikale Neuheit des Christentums und des in ihm sich aussprechenden Bewusstseins nicht hinreichend berücksichtigt zu haben. In der während einer der kurzen Unterbrechungen der Examensvorbereitung entstandenen Journalaufzeichnung EE:79 von Mai 1839 konturiert Kierkegaard überdies den Begriff des Paradoxes in Abgrenzung zu dem des Systems. Obwohl eine Beeinflussung dieser Gegeneinanderstellung von Paradox und System durch Kierkegaards Beschäftigung mit Hamann vermutet werden darf, lässt sich eine direkte literarische Abhängigkeit nicht nachweisen. In den elf Monaten zwischen dem Examen Anfang Juli 1840 und der Einreichung der Magisterabhandlung Anfang Juni 1841 ist Kierkegaard zu Einsichten über den Glauben gelangt, die sein bisher entwickeltes Glaubensverständnis erheblich vertiefen und erweitern. Aus Kierkegaards Aufzeichnungen aus dieser Zeit heraus sticht die Skizze seines ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ in Journal HH, die in Auseinandersetzung mit den zentralen Beiträgen der Ende der 1830er Jahre in seinem Umfeld stattfindenden Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik entstanden ist und in der er die anthropologische Problematik des Verhältnisses der ‚neuen‘, christlichen Existenz des Einzelnen zu seiner ‚alten‘, vorchristlichen Existenz umrissen hat. Im Anschluss an die von Mynster dargestellte supranaturalistische Position charakterisiert Kierkegaard unter dem Leitwort ‚Alles ist neu in Christo‘ zur Kennzeichnung seines eigenen Standpunktes und in wesentlicher Übereinstimmung mit seiner späteren Position in den Philosophischen Brocken (1844) die Aneignung des Christentums als ein den Menschen in allen Bezügen seiner Existenz erneuerndes, neue Wirklichkeit setzendes Anfangsgeschehen, welches einen qualitativen Unterschied zwischen der ‚alten‘ und der ‚neuen‘ Existenz impliziert. Dagegen verkennt der
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Standpunkt des ‚Nichts ist neu unter der Sonne‘, den Kierkegaard in Anlehnung an die von Mynster dargestellte Position des christlichen Naturalismus gebildet und dem er die Idee der Mediation und mit ihr die Positionen Heibergs und Martensens zugeordnet hat, nicht nur die radikale Neuheit des Christentums als geschichtlicher Erscheinung, sondern auch die Problematik des Übergangs von der Existenz des Einzelnen vor dem Glauben zur christlichen Existenz. Nicht nur Kierkegaards Rede von, sondern auch seine Kritik an der ‚Mediation‘ als Hauptmerkmal und wesentlicher Kategorie der hegelschen Philosophie,wie sie in sämtlichen pseudonymen Schriften bis zur Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) sowie im Buch über Adler (ca. Juni 1846 bis November 1847) zum Ausdruck kommt⁶⁷⁶, ist als Reflex jener Kontroverse in seinem zeitgenössischen Umfeld und daher erst unter Berücksichtigung dieses Kontextes in ihrer eigentlichen Intention zu verstehen.Während die Idee der Mediation in Journal HH aber noch in den allgemeinen Gegensatz zum Christlichen gestellt und es dem jungen Kierkegaard gerade um die damit verbundenen anthropologischen Implikationen gegangen ist, hat er später die (Idee der) ‚Mediation‘ im Besonderen mit dem (absoluten) Paradox des Christentums und des christlichen Glaubens kontrastiert. Gleichwohl ist diese für Kierkegaards pseudonyme Schriftstellerei charakteristische Opposition von Mediation und Paradox bereits in der Aufzeichnung Not7:22 von Ende 1840 festgehalten, in der Kierkegaard erstmals in seinem Werk die Mediation als ‚Idee der Philosophie‘ mit dem Paradox als ‚Idee des Christentums‘ kontrastiert. Zwar ist das ‚Paradox‘ in Not7:22 sehr wahrscheinlich noch nicht christologisch als Bezeichnung der Inkarnation verstanden, doch hat Kierkegaard auf eben diese Aufzeichnung rekurriert, als er Anfang 1843 das erste Mal explizit vom Glauben als Paradox gesprochen hat. In der Aufzeichnung Papir 264:4 von Juli 1840 macht sich die erneute Beschäftigung Kierkegaards mit Erdmanns Darstellung des ‚unbefangenen Glaubens‘ in den Vorlesungen über Glauben und Wissen geltend, durch die er sich bereits Ende 1837 in seiner Überzeugung vom apriorischen Charakter des Glaubens positiv beeinflusst zeigte. Die im Glauben gegebene Einheit des Menschen mit Gott wird als eine wiedererlangte Einheit verstanden, welcher der Zweifel vorhergeht, ob der Mensch zu der durch die Sünde verlorenen Einheit mit Gott zurückkehren kann. Dieser Zweifel ist existentiellen Charakters,weshalb ihn Kierkegaard als ‚Sorge‘ bezeichnet, die er in der Journalaufzeichnung EE:16 von Februar 1839 als auf Gott gerichtete Sorge (‚Sorge nach
Dagegen fehlt in den beiden Anti-Climacus-Schriften Die Krankheit zum Tode (1849) und Einübung im Christentum (1850), in sämtlichen erbaulichen und christlichen Reden sowie im Augenblick (1855) der Begriff ‚Mediation‘ bzw. das Verb ‚mediieren‘ völlig.
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Gott‘) konkretisiert hatte und die als eine solche einen ersten Schritt hin zur Wiedererlangung jener Einheit bildet. In mehreren Aufzeichnungen aus der Zeit nach dem Examen, die teilweise im Zusammenhang mit der Teilnahme an den Übungen im Predigerseminar entstanden sind, thematisiert und präzisiert Kierkegaard den mit der existentiellen Erneuerung des Menschen bei der Aneignung des Christentums einhergehenden Übergang vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung. Den späteren Gedanken des ‚Sprunges‘ in den Glauben präfigurierend, macht der junge Kierkegaard in der Aufzeichnung Not5:23 deutlich, dass das Sündenbewusstsein der im Glauben erlangten Gewissheit der Sündenvergebung zwar vorhergeht, letztere aus ersterem aber nicht mit innerer Konsequenz hervorgeht, da es in der gläubigen Annahme der Sündenvergebung zur Setzung einer neuen Qualität kommt. Der Übergang vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung als integraler Bestandteil des Glaubens ist ein menschlicher Weisheit und Verständigkeit unbegreiflich erscheinender, vom Menschen ethisch-religiös geforderter ‚freier Akt‘ und überdies an das geschichtliche Faktum des Auftretens Christi als Bedingung sowohl der Gewissheit der Sündenvergebung als auch des ihr vorhergehenden Sündenbewusstseins geknüpft.Während das von Kierkegaard in der Journalaufzeichnung HH:25 erstmals ausgesprochene ‚Du sollst‘ des Glaubens ein zentrales Element der Glaubenstheorie im Spätwerk werden sollte, hat er die in der Aufzeichnung Papir 288 aufgeworfene Frage nach einer durch die Sündenvergebung ermöglichten redintegratio in statum pristinum später im Zusammenhang der Frage nach der ‚Wiedererlangung der Unmittelbarkeit‘ (im ontologisch-existentiellen Sinne) erörtert. In der Aufzeichnung Not5:20 aus der zweiten Jahreshälfte 1840 thematisiert Kierkegaard erneut den apriorischen Charakter des Glaubens. Dieser wird nun nicht nur in erkenntnistheoretischer wie in ethischer Hinsicht bekräftigt, sondern zugleich auch in einer anderen Begrifflichkeit zum Ausdruck gebracht, derer Kierkegaard sich später auch in seinen erbaulichen Reden bedienen sollte, um den apriorischen Charakter des Glaubens (weiterhin) zur Sprache zu bringen: der Glaube ist die unerschütterliche Gewissheit der Realität des die Welt überwindenden ‚Sieges‘. Eine weitere Präzisierung erfährt Kierkegaards Glaubensverständnis hinsichtlich der eng mit seiner Überzeugung vom apriorischen Charakter des Glaubens zusammenhängenden Deutung des Glaubens als Unmittelbarkeit. In der spekulativen ‚Momentaufnahme‘ des christlichen Lebens in der Aufzeichnung Papir 289 vom Wintersemester 1840/41 bestimmt Kierkegaard den Glauben als das erste Moment und damit als Ausgangspunkt einer strukturanalog mit den humanen Existenzverhältnissen verstandenen Dialektik innerhalb des Christlichen. Der Glaube als das Unmittelbare des christlichen Lebens ist von dem Unmittelbaren ‚in
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der rein menschlichen Entwicklung‘ dadurch unterschieden, dass ihm, obwohl er unmittelbar ist, ein ‚geschichtliches Dazwischenstehendes‘ wie die Sünde vorhergegangen ist. Aufgrund seiner konstitutiven Bezogenheit auf ein bestimmtes geschichtliches Faktum als Bedingung und Voraussetzung ist der Glaube keine (noch) unvermittelte Unmittelbarkeit des Anfangs, sondern trägt den Charakter einer wiederhergestellten Unmittelbarkeit, die in Papir 289 als substantielle Einheit eines Prozesses zugleich Grund weiterer Vermittlung, vermittelnde Unmittelbarkeit ist.Von diesen Bemerkungen des jungen Kierkegaard ist es nur ein Schritt zu seinem späteren Verständnis des Glaubens als ‚neuer Unmittelbarkeit‘, die in wesentliche Beziehung zum ‚absoluten Paradox‘ des Gottmenschen gesetzt ist. In der im Januar 1841 gehaltenen Seminarpredigt Kierkegaards wird in Aufnahme mehrerer früherer Gedanken und Motive die von ihm zuvor im Rückgriff auf Röm 8,38 f. bestimmte Glaubensgewissheit dahingehend konkretisiert, dass er diese in ihrer Erfahrungsunabhängigkeit gerade erst erfahrungsbedingende Gewissheit als Voraussetzung tätiger Weltgestaltung und positiven Beweggrund des Handelns des Christen in der Welt als ‚Mitarbeiter Gottes‘ versteht. Diese Freiheit des Glaubenden für die Welt gründet in seiner inneren Freiheit von der Welt. Entscheidend ist dabei die verborgene Innerlichkeit des Glaubens, für die es im Äußeren keine Anhaltspunkte gibt, womit im Prinzip die von Kierkegaard noch bis zur Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) vertretene Position erreicht ist. Deutlich wird zudem, dass sich die apriorische Gewissheit des Glaubens im Handlungsvollzug manifestiert, dem gegenüber theoretische Reflexionen nachgeordnet sind. Die von Kierkegaard im ersten Teil der Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) vertretene Position, die Göttlichkeit Christi sei für seine Mitwelt grundsätzlich sichtbar und kenntlich gewesen, steht in schneidendem Gegensatz zur Paradox-Christologie in den Climacus-Schriften. Während die unmittelbare Existenz des Sokrates etwas anderes bedeutet hat als das, was sie dem Anschein nach gewesen ist, hat die unmittelbare Existenz Christi nichts anderes bedeutet als das, was sie wirklich gewesen ist. In grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Erstlingsschrift wird im Rahmen der Kritik der Negativität im zweiten Teil der Magisterabhandlung das positive Verhältnis des Glaubenden zur diesseitigen Wirklichkeit als Resultat eines die Negation als aufgehobenes Moment in sich enthaltenden Verhältnisvollzugs im Gegenüber zur Wirklichkeit expliziert. Im Unterschied zur wirklichkeitsdestruierenden und deshalb der realen Wirklichkeit ermangelnden romantischen Ironie als unberechtigter Form der Negativität vermag die religiöse als berechtige Form der Negativität dem Menschen die Wirklichkeit in ihrer ganzen Fülle erst zu schenken, ihn mithin mit der Wirklichkeit zu versöhnen. Versöhnung bedeutet nicht Auswanderung aus der Wirklichkeit, sondern Bleiben in ihr als veränderter Wirklichkeit. Diese real verwandelte Wirklichkeit ist im Glauben bereits gegenwärtig, auch wenn sie in dieser Welt immer zugleich noch im Werden begriffen
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ist. Der im Glauben kraft einer inneren Bewegung der ‚Resignation‘ gegenüber der Wirklichkeit errungene, unerschütterlich gewisse ‚Sieg über die Welt‘ ermöglicht dem Menschen eine ‚positive Freiheit‘ gegenüber der gegebenen Wirklichkeit.
Rück- und Ausblick Kierkegaards denkerische Entwicklung ist gekennzeichnet durch mannigfaltige Bildungs- und Diskurszusammenhänge. Die eingehende Beschäftigung des jungen Kierkegaard mit anderen Denkern von teilweise sehr unterschiedlicher Couleur ebenso wie seine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen philosophischtheologischen Diskussionen in seinem Umfeld haben die Ausbildung seines Glaubensverständnisses nachhaltig beeinflusst und geprägt. Die frühen Journale und Aufzeichnungen, auf die Kierkegaard später bei der Ausarbeitung seiner Schriften immer wieder zurückgegriffen hat, um dort formulierte Gedanken und Überlegungen literarisch fruchtbar zu machen, lassen vielfältige Rezeptionsbeziehungen auf terminologischer und/oder sachlicher Ebene erkennen. Die literarische Aufnahme und Ausgestaltung früherer Notizen über den Glauben in Kierkegaards schriftstellerischem Werk bis zur Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) als dessen „Wendepunkt“¹ zeigt sich vor allem in den Climacus-Schriften. So erfolgte etwa die Ausarbeitung des dritten Kapitels der Philosophischen Brocken (1844) und dessen späterer Beilage über das ‚absolute Paradox‘ im expliziten Rückgriff auf die Aufzeichnungen zu Hamann (1836) und den Entwurf zur ‚Telegraphien‘-Schrift (1838), während die Kritik an Grundtvig in der Nachschrift in weitgehender, zum Teil wörtlicher Übereinstimmung mit den 1835 notierten Bemerkungen zu dessen ‚Kirchentheorie‘ steht.² Mag der unmittelbare Anlass für das Projekt der Climacus-Schriften die Lektüre des Abschnittes über die Auflösung des Inspirationsdogmas in Straußens Glaubenslehre und die dadurch vermittelte Kenntnis der Religions- und Geschichtsphilosophie Lessings gewesen sein³ – der Grundstein dafür wurde bereits in Kierkegaards Studienzeit gelegt: zum einen in der aus der Beschäftigung mit Schleiermachers Glaubenslehre erwachsenen Auseinandersetzung mit der Inspirationslehre (1834– 35), zum anderen in der im Kommentar zu Erdmanns Vorlesungen über Glauben und Wissen erfolgten Herausstellung der besonderen Geschichtlichkeit des Christentums (1837).⁴ Überdies kann die Darstellung der
SKS 16, 17 / GWS, 27 (ohne Hervorhebung); vgl. SKS 16, 36 / GWS, 49; SKS 16, 44 / GWS, 58; SKS 16, 73 / GWS, 91 sowie ferner SKS 13, 14 f. / WS, 6 f. und SKS 13, 16 / WS, 8 f. Siehe Kap. 1.3, Kap. 1.4.2 und Kap. 3.2.1. Siehe Exkurs 2. Siehe Kap. 1.2.2.2 und Kap. 2.4.2.1– 3. Ferner ist in diesem Zusammenhang auf die in der Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte (1837) erfolgte Herausstellung der radikalen Neuheit sowohl des Christentums gegenüber der vorhergehenden geschichtlichen Entwicklung als auch des im Christentum sich aussprechenden Bewusstseins gegenüber dem allgemein menschlichen Bewusstsein zu verweisen, siehe Kap. 2.2.2.
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Wiedergeburt in der ‚B‘-Hypothese des ‚Denkprojekts‘ und die Kritik an der Naturalisierungsthese im fünften Kapitel der Philosophischen Brocken als Weiterführung der Bemerkungen zur anthropologischen Problematik der Aneignung des Christentums auf den ersten Seiten von Journal HH (1840) gesehen werden.⁵ Wesentliche Momente der Kontinuität zwischen dem Glaubensverständnis des Theologiestudenten und dem des späteren Schriftstellers Kierkegaard sind, um die wichtigsten zu nennen, die Deutung des Glaubens als eine weder vermittelte (aufgehobene) noch reflexiv vermittelbare (aufhebbare) und damit besondere Form von Unmittelbarkeit⁶; die Betonung der Innerlichkeit des Glaubens und der Indifferenz dieser Innerlichkeit gegenüber ihrer Manifestation im Äußeren⁷; die Charakterisierung des Glaubens als apriorischer Gewissheitsform⁸; die ebenso apologetische wie antispekulative Ausrichtung des Glaubensbegriffs⁹ und die Akzentuierung des subjektiv-personalen Aspekts des Glaubens.¹⁰ Letzteres zeigt sich bereits bei der in Reaktion auf eine Predigt Grundtvigs (1833) getroffenen Unterscheidung zwischen dem ‚unmittelbaren‘ und einem das individuierende Moment der persönlichen Entscheidung voraussetzenden ‚gesteigerten Glauben‘ sowie bei der in der Auseinandersetzung mit Grundtvigs ‚kirchlicher Anschauung‘ (1835) in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der späteren ‚Subjektivitätstheorie‘ in der Nachschrift erfolgenden Herausstellung der für den Glaubensvollzug des Einzelnen unabdingbaren wesentlichen Subjektivität.¹¹ Überdies sind zentrale Elemente der Glaubenstheorie des Schriftstellers Kierkegaard in den Schriften und Aufzeichnungen des jungen Kierkegaard schon in nuce enthalten oder angelegt, wie etwa der Gedanke des ‚Sprunges‘ in den Glauben in der Aufzeichnung Not5:23 (1840) bei der Beschreibung des im Glauben
Siehe Kap. 3.3.1.2. Auch diese Skizze des ‚Standpunktes für eine spekulative christliche Erkenntnislehre‘ ist zum Teil eine Fortsetzung und Weiterführung der Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte. Siehe Kap. 1.5, Kap. 2.3, Kap. 3.3.2.4; ferner Kap. 2.2.2, Kap. 2.4.2.2 und Kap. 2.4.2.4. Siehe Kap. 3.3.3. Siehe Kap. 1.6, Kap. 2.4.3, Kap. 2.5.2 und Kap. 3.3.2.3. Siehe Kap. 1.4.1, Kap. 2.2.2– 3 und Kap. 2.4.2.1. Siehe Kap. 1.2.1, Kap. 1.3 und Kap. 3.3.2.4. Mit der in diesen Überlegungen zum ‚Ich‘ als Subjekt des Glaubens einhergehenden Hervorhebung der Unvertretbarkeit des eigenen Glaubens liegt der junge Kierkegaard also ganz auf der Linie des Reformators Luther Anfang der 1520er Jahre, vgl. z. B. WA 10/3, 310 und WA 10/3, 1, 15 ff. [Druck]. Kierkegaards unablässige Betonung und Radikalisierung des ‚für dich‘ kann überdies als Erneuerung des reformatorischen pro me verstanden werden; dass sich Kierkegaard dessen auch selbst bewusst gewesen ist, zeigt die Journalaufzeichnung SKS 20, 274 f., NB3:61 / DSKE 4, 311 von Dezember 1847; zu Kierkegaard und Luther vgl. Abschnitt 5 meines unten in Anm. 155 angegebenen Artikels.
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zu vollziehenden Übergangs vom Sündenbewusstsein zur Gewissheit der Sündenvergebung, im Zuge dessen es zur Setzung einer neuen Qualität kommt.¹² Dieser an das geschichtliche Faktum des Auftretens Christi geknüpfte, menschlicher Weisheit und Verständigkeit ‚unmöglich‘ und ‚unbegreiflich‘ erscheinende ‚freie Akt‘ tritt dem Menschen,wie es in der Aufzeichnung HH:25 (1840/41) heißt, in der ethisch-religiösen Forderung des ‚Du sollst‘ entgegen, welches von entscheidender Bedeutung für Kierkegaards Glaubensverständnis im Spätwerk wird.¹³ Ferner lässt sich die in der Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) dem Glauben zugeschriebene eigentümliche Wahrnehmung als Präfiguration der Vorstellung von der ‚Autopsie des Glaubens‘ deuten, die eine die unmittelbare Sinneswahrnehmung auf paradoxe Weise transformierende spezifische Wahrnehmung des Glaubens bezeichnet.¹⁴ In der Aufzeichnung Not7:22 (1840) findet sich schließlich eine erste Andeutung des pistologischen Paradoxes¹⁵, wohingegen vom christologischen Paradox der Inkarnation beim jungen Kierkegaard noch jede Spur fehlt,was nicht zuletzt bei der Gegeneinanderstellung von Sokrates und Christus im ersten Teil der Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie (1841) augenscheinlich wird.¹⁶ Umgekehrt werden wichtige Aspekte der Glaubenstheorie des Schriftstellers Kierkegaard ihrerseits erst als Reflex seiner frühen Überlegungen voll verständlich. So liegt etwa der Schlüssel zum Verständnis der von Kierkegaard in vielen seiner pseudonymen Schriften stets ohne namentliche Nennung ihrer Adressaten vorgebrachten Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘, welches ihm als Negativfolie für sein eigenes Glaubensverständnis dient, in seiner frühen Auseinandersetzung mit Heiberg und Martensen.¹⁷ Die Unmittelbarkeit des Glaubens ist keine unbestimmte und voraussetzungslose, sondern trägt den Charakter einer wiederhergestellten Unmittelbarkeit (an und für sich). Dass diese Unmittelbarkeit als differentia specifica des Glaubens gegenüber anderen Formen von Unmittelbarkeit allerdings nicht nur ein aus der vorhergehenden Vermittlung nicht selbst hervorgegangenes Unvermitteltes, sondern auch ein der Vermittlung selbst entzogenes Unvermittelbares ist, zeigt sich an der Inkommunikabilität des Glaubens – etwa am Schweigen Abrahams in Johannes de silentios (!) Furcht und Zittern (1843) – ebenso wie an der Art und Weise der Darstellung des Glaubens, welche aus der Perspektive des Nichtglaubens,wie sie sowohl Johannes de silentio
Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe Siehe
Kap. Kap. Kap. Kap. Kap. Kap.
3.3.2.2; ferner Kap. 2.4.2.4. 3.3.2.2. 2.5.1 und Kap. 2.5.2.3. 3.3.2.5; ferner Kap. 3.2.2. 3.4.1.2; ferner Exkurs 2. 2.3; ferner Kap. 3.3.2.2.
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als auch Johannes Climacus einnehmen, negativ: mit Hilfe des Absurden erfolgt.¹⁸ Überdies steht im Hintergrund nicht nur von Kierkegaards Rede von und Kritik an der ‚Mediation‘, sondern speziell auch seiner Entgegensetzung von (der Idee der) ‚Mediation‘ und (absolutem) Paradox des Glaubens in Furcht und Zittern und den Climacus-Schriften seine Auseinandersetzung mit den zentralen Beiträgen der Ende der 1830er Jahre in seinem Umfeld stattfindenden Kontroverse um Hegels Kritik der klassischen Logik.¹⁹ Sowohl Kierkegaards Kritik am Verständnis des Glaubens als des ‚Unmittelbaren‘ als auch seine Polemik gegen die Anwendung der ‚Idee der Mediation‘ auf das christologische Dogma können demnach erst unter Berücksichtigung der denkerischen Entwicklung des jungen Kierkegaard in ihrer eigentlichen Intention und Stoßrichtung verstanden werden. Zugleich wird dabei deutlich, dass Kierkegaards Position in beiden Zusammenhängen eine Reaktion auf philosophischtheologische Diskussionen in seinem Umfeld darstellt, die Adressaten seiner Kritik nicht in der Ferne, in Deutschland zu suchen, sondern in Kopenhagen zu finden sind, was die gelegentlich anzutreffende Stilisierung Kierkegaards zum ‚Antipoden‘ Hegels²⁰ zumindest fraglich erscheinen lässt, zumal Kierkegaards Hegelrezeption (zumindest) während der Studienzeit wesentlich produktiver Art gewesen ist, wobei er die hegelsche Philosophie bis zum theologischen Examen hauptsächlich aus zweiter Hand gekannt hat.²¹ Dass eine Untersuchung des Studenten Kierkegaard zu einem besseren Verständnis des Schriftstellers Kierkegaard beitragen kann, zeigt sich ferner an Kierkegaards Vorwurf der philosophischen ‚Verflüchtigung‘ zentraler christlicher Begriffe. Hintergrund und Ursprung dieses Vorwurfs, den Kierkegaard vor allem gegen Marheineke und, insbesondere im Buch über Adler (ca. Juni 1846 bis November 1847), gegen die hegelsche Philosophie im Allgemeinen erhoben hat, ist seine Auseinandersetzung mit dem jüngeren Fichte (1837), in der zugleich der Schlüssel zum Verständnis des Verflüchtigungsverdikts liegt. ‚Verflüchtigung‘ des Glaubensbegriffs meint seine unsachgemäße, weil ihm lediglich eine alltägliche oder gewöhnliche Bedeutung gebende und eben damit seinen spezifisch christlichen Inhalt entleerende Ver-
Siehe Kap. 3.3.2.4. Siehe Kap. 3.3.1. Vgl. z. B. Hermann Schweppenhäuser, Kierkegaards Angriff auf die Spekulation. Eine Verteidigung, Frankfurt am Main 1967, S. 97; vgl. dagegen bereits Walter Rest, „Die kontroverstheologische Relevanz Sören Kierkegaards“, Catholica. Jahrbuch für Kontroverstheologie, Bd. 9, 1952– 53, S. 81– 94, hier S. 86 (wiederabgedruckt in: Sören Kierkegaard, hg. von Heinz-Horst Schrey, Darmstadt 1971 (Wege der Forschung, Bd. 179), S. 155 – 172, hier S. 162). Siehe Exkurs 1, Abschnitt 2.
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wendung auf philosophischem Gebiet, so dass sein christliches Proprium nicht mehr erkennbar ist.²² Die Eigenart des christlichen Glaubens in psychologischer Hinsicht ist seine apriorische Gewissheitsform. Die apriorische Gewissheit ist der Knotenpunkt, in dem die verschiedenen Aussagen des jungen Kierkegaard über den Glauben zusammenlaufen, wobei grundsätzlich festzustellen ist, dass im Zentrum dieser frühen Aussagen der Glaube als Akt (fides qua), nicht aber sein propositionaler Gehalt (fides quae) steht. Als Ausdruck der ‚Transsubstantiation der Erfahrung‘ (in) der präeschatischen Wirklichkeit ist diese von keiner Glücks-, Schuld- und/ oder Leidenserfahrung mehr zu erschütternde Gewissheit der Gemeinschaft mit Christus von der Selbstgewissheit der Vernunft oder sonstigen Erfahrungsgewissheiten radikal unterschieden. Die Gemeinschaft mit Christus, derer sich der Glaubende gewiss ist, ist eine Wirklichkeit auf Seiten Gottes, die auf Seiten des Menschen im Glauben Wirklichkeit wird. Sie ist (nur) in und mit dem Akt des Glaubens bereits gegenwärtig, auch wenn sie in dieser Welt immer zugleich noch im Werden begriffen ist.²³ Insofern ist der Glaube „ein Sieg, der da kämpft.“²⁴ Die apriorische Gewissheit des Glaubens – wobei der Glaube diese Gewissheit nicht schafft oder besitzt, sondern selbst diese Gewissheit ist – ist weder ein objektloser Zustand und insofern eine grundlose noch eine lediglich auf subjektive Erfahrung gegründete und damit letztlich unbegründete Gewissheit. Als Gewissheit der Realität der in Christus grundsätzlich bereits vollzogenen und nun vom Glaubenden im Nachvollzug mitzuvollziehenden Versöhnung ist sie vielmehr Aus-
Siehe Kap. 2.2.3. Die Affinität dieser Glaubensauffassung zu Luthers Verständnis von Heilsgewissheit (certitudo) in Abgrenzung zu einer Heilssicherheit (securitas) liegt auf der Hand. Heilsgewissheit ist keine Heilssicherheit, sondern von außen her, objektiv betrachtet, gerade ungesicherte Gewissheit, die vom Menschen in der Annahme des Heilsgeschehens nachzuvollziehen ist, vgl. hierzu Otto Hermann Pesch, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs, 2. unv. Aufl., Mainz 1985 (Walberberger Studien der Albertus-Magnus-Akademie, Bd. 4), S. 262– 283, insbesondere S. 265 – 267 und S. 274– 276. Dass der junge Kierkegaard die Begriffe ‚Sicherheit‘ [Sikkerhed] und ‚Gewissheit‘ [Vished/ Forvisning] in diesem Zusammenhang nebeneinander, ja sogar (einmal) synonym gebraucht hat (vgl. SKS 17, 260, DD:134 / DSKE 1, 228), tut nichts zur Sache, um die es hier geht, zumal auch Luther bisweilen securitas im Sinne von certitudo gebraucht (nicht aber umgekehrt!) und erst ab 1530 konsequent zwischen beiden unterschieden hat, vgl. Gerhard Ebeling, „Gewißheit und Zweifel. Die Situation des Glaubens im Zeitalter nach Luther und Descartes“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 64, 1967, S. 282– 324, hier S. 314 (Anm. 108) sowie Pesch, Theologie der Rechtfertigung, S. 265 f. (samt Anm. 353). SKS 1, 349 / BI, 325; siehe Kap. 3.4.2.
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druck der „ek-zentrischen Existenz“²⁵ des Menschen, der weder Grund seiner selbst noch selbst der Grund eben dieser Gewissheit ist. Der Glaube richtet sich auf eine Wirklichkeit, die kein Gegenstand natürlicher Erfahrung, sondern nur im Glauben als eigentümlicher Wahrnehmungsweise erfahrbar ist, weshalb diese Erfahrung des Glaubens eine Erfahrung anderer Art: eine ‚tiefere Empirie‘²⁶ ist. Gleichwohl stehen Glaubens-Apriori und Lebenserfahrung nicht unbedingt im Widerspruch zueinander, da der sich nicht auf Erfahrung gründende Glaube selbst Grund von Erfahrung ist. Nachdem Kierkegaard das von ihm zunächst als Entgegensetzung bestimmte Verhältnis von GlaubensApriori und Lebenserfahrung zugunsten einer konstruktiven Beziehung zwischen beidem dahingehend gefasst hat, dass die erfahrungsunabhängige Gewissheit des Glaubens eine eben dadurch erst erfahrungsbedingende Gewissheit ist, versteht er diese in der Seminarpredigt (1841) als Voraussetzung tätiger Weltgestaltung und positiven Beweggrund des Handelns des Christen in der Welt als ‚Mitarbeiter Gottes‘.²⁷ An diesen lebenspraktischen Konsequenzen der Glaubensgewissheit zeigt sich gerade die Stärke von Kierkegaards Glaubensverständnis. Die von jenseits des menschlichen Selbst her begründete apriorische Gewissheit des Glaubens mündet nicht in eine Abkehr von der Welt, sondern ist Ermöglichungsgrund einer positiven Freiheit des Menschen gegenüber der gegebenen Wirklichkeit. Das Ja des Glaubens zur Welt ist allerdings kein unbedingtes und rückhaltloses, sondern ein Ja, das durch das Nein der Resignation hindurchgegangen ist: es ist ein differenziertes Ja.²⁸ Dieses positive Verhältnis des Glaubenden zur diesseitigen Wirklichkeit, wie es Kierkegaard in Aus den Papieren eines noch Lebenden ebenso wie in Über den Begriff der Ironie als Resultat eines bestimmten, die Negation als aufgehobenes Moment in sich enthaltenden Verhältnisvollzugs im Gegenüber zur Wirklichkeit
Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, 6. Aufl., Tübingen 2011 [1998], S. 206; vgl. S. 206 f., wo Jüngel zudem die gleichermaßen ‚ek-zentrische Struktur‘ auch des Glaubens selbst erläutert. Vgl. SKS 1, 32 / LP, 63; siehe Kap. 2.5.1. Siehe Kap. 1.6, Kap. 2.5.2.3 und Kap. 3.3.3. Vgl. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 31, der „[d]as volle Ja zum Leben durch das Nein der Resignation hindurch“ und die dadurch „neu gewonnene Freude am Leben“ als „das Herzstück“ von Kierkegaards Glaubensverständnis bis 1843 bezeichnet. In der Tat sind Resignation und Glaube in Kierkegaards Werk bis (mindestens) 1843 eng miteinander verbunden. Während jedoch z. B. in der Erstlingsschrift die innere Bewegung der Resignation dem Glauben noch vorausgeht, wird in Furcht und Zittern die Bewegung der unendlichen Resignation als „die erste Bewegung des Glaubens“ (SKS 4, 132 / FB, 36; meine Hervorhebung) bzw. als Teil der ‚Doppelbewegung‘ des Glaubens im weiteren Sinne verstanden, vgl. die folgenden Ausführungen im Haupttext.
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expliziert hat, ist wesentlich für sein Glaubensverständnis bis Furcht und Zittern, das zusammen mit Die Wiederholung und Drei erbauliche Reden 1843 am 16. Oktober 1843 im Kopenhagener Buchhandel erschienen und hauptsächlich im Juni 1843 ausgearbeitet worden ist.²⁹ Gemäß der von Johannes de silentio dargestellten „Doppelbewegung“³⁰ des Glaubens folgt auf die Bewegung der unendlichen Resignation als dem durch eigene Kraft herbeigeführten Verzicht auf etwas unersetzliches Endliches die Bewegung des Glaubens im engeren Sinne, in der bzw. durch die der Glaubende eben dieses Endliche „kraft des Absurden“³¹ wiedererlangt. Diese ‚Doppelbewegung‘ des Glaubens besteht also, allgemein gesprochen, darin, zuerst durch die unendliche Resignation „die ganze Endlichkeit“³² zu verlieren und dann ‚kraft des Absurden‘ eben diese Endlichkeit „ganz und gar“³³ zu gewinnen. Der „Ritter des Glaubens“³⁴ „freut sich an allem, nimmt an allem teil“³⁵, und doch macht er in jedem Augenblick die Bewegung der Unendlichkeit und vollzieht selbst das Geringste ‚kraft des Absurden‘: „Er entleert des Daseins tiefe Wehmut in die unendliche Resignation, er kennt die Seligkeit der Unendlichkeit, er hat den Schmerz empfunden, allem zu entsagen, dem Liebsten, was man in der Welt hat, und doch schmeckt ihm die Endlichkeit ebenso gut wie dem, der nie etwas Höheres kannte, denn sein Verbleiben in der Endlichkeit zeigte keine Spur von einer verzagten, ängstlichen Dressur, und doch hat er jene Sicherheit, sich an ihr zu erfreuen, als wäre sie das Allergewisseste. Und doch, doch ist die ganze irdische Erscheinung, die er abgibt, eine neue Schöpfung kraft des Absurden. Er resignierte unendlich auf alles, und dann ergriff er alles wieder kraft des Absurden. Er macht ständig die Bewegung der Unendlichkeit, aber er tut es mit einer solchen Korrektheit und Sicherheit, dass er ständig die Endlichkeit herausbekommt“³⁶.
Paradigmatisch für diesen Glauben ist Abraham. Sein Glaube richtete sich nicht bloß auf ein zukünftiges, jenseitiges Leben, sondern er „glaubte gerade für dieses Leben“³⁷. Indem Abraham bereit ist, Isaak zu opfern, gibt er scheinbar die Hoff-
So der editorische Bericht zu Furcht und Zittern in SKS K4, 97; die Problematik dieser Annahme wird sich in der Folge zeigen. SKS 4, 131 / FZ, 34; vgl. zum Folgenden SKS 4, 131 ff. / FZ, 34 ff. sowie SKS 4, 206 / FZ, 136. SKS 4, 131 / FZ, 33 et passim. SKS 4, 131 / FZ, 34. SKS 4, 132 / FZ, 36; vgl. SKS 4, 142 / FZ, 49. SKS 4, 133 / FZ, 37; vgl. SKS 4, 141 ff. / FZ, 47 ff.; SKS 4, 158 f. / FZ, 72 und SKS 4, 162 ff. / FZ, 87 ff. SKS 4, 134 / FZ, 38 (meine Übers.). SKS 4, 135 / FZ, 40 (dt. Übers. modifiziert). SKS 4, 116 / FZ, 18; vgl. SKS 4, 131 / FZ, 34: „Er glaubte nicht, dass er einmal im Jenseits selig werden würde, sondern dass er hier auf Erden glückselig werden würde“ (dt. Übers. modifiziert).
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nung auf ein glückliches irdisches Leben auf. Doch indem er glaubt und mit ungebrochenem Vertrauen an der ihm von Gott gegebenen Verheißung für dieses Leben³⁸ festhält, bekommt er ‚kraft des Absurden‘ („dass Gott, der dies von ihm forderte, im nächsten Augenblick die Forderung widerrufen würde“³⁹) Isaak und sein irdisches Glück wieder: „es ist groß, seinen Wunsch aufzugeben, aber es ist größer, ihn festzuhalten, nachdem man ihn aufgegeben hat; es ist groß, das Ewige zu ergreifen, aber es ist größer, das Zeitliche festzuhalten, nachdem man es aufgegeben hat.“⁴⁰ Die „lebenserneuernde Bedeutung“⁴¹ dieses „auf Zeitliches sich richtenden Glauben[s]“⁴² tritt auch in mehreren Journalaufzeichnungen vom Frühsommer 1843 zutage. In der Mitte Mai in Berlin entstandenen Journalaufzeichnung JJ:116 heißt es etwa: „Der Glaube hofft deshalb auch für dieses Leben, aber wohlgemerkt kraft des Absurden, nicht kraft menschlichen Verstandes, sonst ist es nur LebensWeisheit, nicht Glaube.“⁴³ Von daher ist der Glaube, wie Kierkegaard in der anschließenden Aufzeichnung folgert, auch das, „was die Griechen den göttlichen Wahnsinn nannten“⁴⁴, wobei die von jenseits menschlichen Verstandes und menschlicher Berechnung her begründete Hoffnung des Glaubens auch die Alltagswirklichkeit des Menschen zum Bezugspunkt hat.⁴⁵ Bemerkenswerterweise wendet Kierkegaard diesen verschiedentlich als „Abrahamsglauben“⁴⁶ bezeichneten, „im Grunde ‚optimistische[n]‘ Glaube[n], daß der Mensch neu geschenkt
Vgl. hiermit SKS 5, 250 – 268 / 3R44, 163 – 184 sowie SKS 18, 246 f., JJ:333 / DSKE 2, 430 f. SKS 4, 131 / FZ, 34 (dt. Übers. modifiziert). SKS 4, 115 / FZ, 16 (dt. Übers. modifiziert). So Olesen Larsen, „Über den Paradoxbegriff“, S. 27, der betont, dass dieser Glaube nicht nur „die Erneuerung des Lebens“, sondern gleichermaßen auch „die Erneuerung des Menschen“ bedeute. So Hirsch in FZ, 145 (Anm. 18). SKS 18, 179, JJ:116 / DSKE 2, 185 (dt. Übers. modifiziert); das Konjunktionaladverb ‚deshalb‘ [derfor] bezieht sich offenbar auf die nachträglich gestrichene Aufzeichnung JJ:115 (vgl. das unten zu Anm. 48 gehörende Zitat ihres in diesem Zusammenhang wichtigen Anfangs). Vgl. ferner Kierkegaards Bemerkung in SKS 18, 165, JJ:82 / DSKE 2, 170 bezüglich Mynsters Predigten, dass diese nicht immer rein religiös seien, weil Mynster auch damit tröste, „dass es vielleicht wieder gut werden kann, dass sanftere Tage kommen usw., was doch eigentlich noch kein religiöser Trost“ sei, was für Kierkegaard die Frage nach der „Grenze zwischen Lebensweisheit und Religiosität“ (dt. Übers. modifiziert) aufwirft. SKS 18, 179, JJ:117 / DSKE 2, 185 (dt. Übers. modifiziert); zur Anspielung auf Platons Phaidros vgl. den Kommentar zu DSKE 2, 185,7 in DSKE 2, 559. Vgl. SKS 18, 181, JJ:124 / DSKE 2, 187. Vgl. z. B. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 29; Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 27, S. 31 f. und S. 40; Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 650; ferner Hirschs Anmerkung in 4R44, 217 (Anm. 139).
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bekommt, was er von sich aus aufgegeben hat“⁴⁷, auch auf sein eigenes Verhältnis zu seiner ehemaligen Verlobten Regine Olsen an. Zu Beginn der ebenfalls Mitte Mai in Berlin entstandenen, später von Kierkegaards Hand mit dichten Tintenschleifen im Manuskript überschriebenen Journalaufzeichnung JJ:115 heißt es unumwunden: „Hätte ich Glauben gehabt, so wäre ich bei Regine geblieben. Gott sei Lob und Dank, dies habe ich jetzt eingesehen.“⁴⁸ Seine Sünde sei gewesen, wie Kierkegaard an anderer Stelle schreibt, keinen Glauben gehabt zu haben – „Glauben daran, dass für Gott alles möglich“⁴⁹ sei und er „noch in diesem Augenblick alles gutmachen“⁵⁰ könne. Die möglicherweise im August, in jedem Fall aber nach Juli 1843 entstandene Journalaufzeichnung JJ:146 ist nun das erste Indiz dafür, dass sich Kierkegaard von diesem Glaubensverständnis zu distanzieren begann: „Dies ist das Schwierige daran, dass man sowohl das Alte als auch das Neue Testament hat; denn das Alte [Testament] hat ganz andere Kategorien. Denn was würde wohl das Neue Testament von einem Glauben sagen, der meint, es solle einem richtig gutgehen in der Welt, im Zeitlichen, anstatt dieses aufzugeben, um das Ewige zu ergreifen. Von daher die Unbeständigkeit im geistlichen Vortrag, je nachdem, ob das Alte oder das Neue Testament darin transparent ist.“⁵¹
Kierkegaard vertritt hier zum ersten Mal in seinem Werk die Ansicht, dass Altes und Neues Testament in einem Verhältnis der Gegensätzlichkeit zueinander stünden, da für den alttestamentlichen Glauben die Ausrichtung auf das Diesseits, für den Glauben im Neuen Testament hingegen die Jenseitsorientierung charakteristisch sei.⁵² Diese Ansicht ist erster Ausdruck der von nun an immer bestimmter Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 64. SKS 18, 177, JJ:115 / DSKE 2, 183 (17. Mai 1843); vgl. hierzu den editorischen Bericht zu Journal JJ in DSKE 2, 528 samt DSKE 2, 530 (Abbildung 7). SKS 19, 231, Not8:20 / DSKE 3, 247; diese Aufzeichnung ist kurze Zeit nach Auflösung der Verlobung während der ersten Berlinreise im November 1841 entstanden, vgl. den editorischen Bericht zu Notizbuch 8 in DSKE 3, 691– 698, hier 693. SKS 18, 184, JJ:138 / DSKE 2, 190. SKS 18, 188, JJ:146 / DSKE 2, 194; zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal JJ in DSKE 2, 516. Terminus post quem der unmittelbar zuvor stehenden Journalaufzeichnung JJ:144 ist der 12. August 1843, vgl. den Kommentar zu DSKE 2, 192,34 in DSKE 2, 565. Gerdes schreibt, dass Pap. IV A 143 [= JJ:146] „nach Meinung der dänischen Herausgeber in den August 1843“ (Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 81 (Anm. 7)) gehöre, ohne dies durch eine nähere Quellenangabe zu belegen; tatsächlich findet sich in Pap. IV keine (solche) Datierung. Zur (religiös begründeten) Kritik Kierkegaards am Alten Testament und dem alttestamentlichen Glauben vgl. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 29 – 36, der Kierkegaards späteren „Bruch mit dem Alten Testament“ (S. 32) aus seiner gescheiterten Beziehung zu Regine erwachsen sehen will; vgl. auch Emanuel Hirsch, „Das Alte Testament und
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hervortretenden Einsicht Kierkegaards, dass christlicher Glaube nicht Hoffnung auf ein glückliches irdisches Leben sei, sondern im Kern die Aufgabe des zeitlichen Lebens als Vorbereitung für das ewige Leben voraussetze. „[D]er Weg des ‚christlichen Glaubens‘ führt für Kierkegaard zwar nach wie vor über die ‚Seufzerbrücke‘ der Resignation, aber dieser Weg führt dann nicht wieder zur Freude am Leben, sondern in das ‚religiöse‘ Leiden.“⁵³ Was die Hintergründe dieser im Sommer 1843 eingetretenen Veränderung von Kierkegaards Glaubensverständnis betrifft, verweisen vor allem Hirsch⁵⁴, Gerdes⁵⁵ und Klenke⁵⁶ auf die Wiederverlobung Regines, die, um mit Gerdes zu sprechen, „mit ihrer erschütternden Wirkung auf Kierkegaard ihm zu der Einsicht verholfen“ habe, „daß wahrer christlicher Glaube Hoffnung auf das Ewige und damit Aufgeben der Welt“⁵⁷ sei. Obwohl Gerdes erst „die ‚Retractatio‘ der Abrahamsgeschichte“⁵⁸ in der mit „Neues ‚Furcht und Zittern‘“ überschriebenen Journalaufzeichnung NB28:41 von vermutlich Mitte 1853⁵⁹, in der Abraham Isaak tatsächlich opfert, als den „urkundliche[n] Beleg“⁶⁰ für die Revozierung des ‚Abrahams-
die Predigt des Evangeliums“ (1936), in: ders., Das Alte Testament und die Predigt des Evangeliums. Mit anderen Arbeiten Emanuel Hirschs zum Alten Testament, neu hg. von Hans Martin Müller, Tübingen und Goslar 1986, S. 33 – 126, demzufolge Kierkegaard nach Juli 1843 „überhaupt kein inneres Verhältnis zum Alten Testament mehr gehabt“ (S. 47) habe; ferner Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 266 – 276. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 32 (zum Bild der ‚Seufzerbrücke‘ vgl. Kap. 2, Anm. 394 samt dazugehörigem Zitat); vgl. S. 40 und S. 64; ferner Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 6, demzufolge „Kierkegaards Glaubensbegriff…in Wahrheit der ‚unendlichen Resignation‘ viel näher [steht] als der paradoxen Hoffnung auf die Endlichkeit.“ Vgl. z. B. Hirsch, Kierkegaard-Studien, S. 642 sowie seine Anmerkungen in FZ, 145 (Anm. 18 und Anm. 24) und FZ, 146 (Anm. 36). Vgl. z. B. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 30 und S. 32; zur Auseinandersetzung mit Gerdes’ Annahme, dass Kierkegaards Verhältnis zu Regine auch im Hintergrund der Ausbildung der Paradox-Christologie gestanden habe, siehe Exkurs 2. Vgl. z. B. Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 31 f. und S. 64 f. So Gerdes in T 1, 409 (Anm. 862); vgl. auch T 1, 411 (Anm. 888). Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 29. Vgl. SKS 25, 248 f., NB28:41 / T 5, 168 f. (zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB28 in SKS K25, 206 f.); das Ende dieser Aufzeichnung lautet: „Dies ist das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum. Christlich wird Isaak wirklich geopfert – aber dann die Ewigkeit; im Judentum war es nur eine Prüfung, Abraham behält Isaak, aber so bleibt denn das Ganze doch wesentlich innerhalb dieses Lebens.“ Zu diesem Projekt eines neuen ‚Furcht und Zitterns‘ vgl. ferner SKS 24, 374 f., NB24:89 / T 5, 29 f.; SKS 24, 387, NB24:108 / T 5, 32 f. sowie SKS 24, 458 f., NB25:34. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 29.
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glaubens‘ betrachtet, sei der „Bruch“⁶¹ mit diesem bereits 1843 geschehen, als Kierkegaard – „wahrscheinlich im Juli 1843“⁶² – von der Wiederverlobung Regines erfahren habe: „Mitten in der Arbeit an der Doppelschrift ‚Furcht und Zittern‘ und ‚Wiederholung‘ erfuhr Kierkegaard von der anderweitigen Verlobung seiner ehemaligen Braut. Regine hatte in den letzten Monaten der Verlobung Kierkegaard beim Andenken seines Vaters und unter der Drohung, sie werde die Trennung nicht überleben, beschworen, bei ihr zu bleiben. Unter dem Eindruck dieser Beschwörungen und unter der Hoffnung, Regine ‚inkraft des Absurden‘ dennoch wiederzugewinnen, stand Kierkegaards ganzes Handeln und Empfinden nach dem Bruch der Verlobung. Jetzt aber mußte er die unerbittliche Wirklichkeit der anderweitigen Verlobung Regines als vernichtende Ironie über den ganzen heiligen Ernst seiner Bemühungen um sie und auch über das damit verknüpfte Glaubensverständnis empfinden.“⁶³
Aufgrund bzw. angesichts der Wiederverlobung Regines habe sich für Kierkegaard aber nicht nur der ‚Abrahamsglaube‘ „als ein falscher Glaube“ erwiesen, „der auf einer von der Wirklichkeit selbst bloßgestellten, selbstsüchtigen Hoffnung auf das Irdische gründete“⁶⁴, sondern Kierkegaard habe, wie zuerst und vor allem Hirsch behauptet hat, unter diesem Eindruck auch die Schriften Furcht und Zittern und Die Wiederholung entsprechend umgearbeitet und die Drei erbaulichen Reden 1843 als „wahre und entscheidende Korrektur beider Schriften“⁶⁵ überhaupt erst ausgearbeitet.⁶⁶ Es kann hier nicht der Ort sein, die Berechtigung dieser Annahme im Ibid. Gerdes stützt diese Annahme u. a. auf Kierkegaards Entgegensetzung von christlicher Liebe und alttestamentlicher Vergeltungsfrömmigkeit zu Beginn der ersten der Drei erbaulichen Reden 1843, vgl. SKS 5, 66 / 3R43, 103 zusammen mit Gerdes, ibid., S. 29 und S. 81 (Anm. 4). Ibid., S. 81 (Anm. 7). „Die erste ganz deutliche Beziehung auf Regines Verlobung mit Schlegel“ sieht Gerdes in Pap. IV A 152 [= SKS 18, 190, JJ:155 / DSKE 2, 196], während „[d]ie letzte Aufzeichnung, in der Kierkegaard deutlich noch nichts“ wisse, Pap. IV A 118 [= SKS 18, 181, JJ:125 / DSKE 2, 187] sei; die Annahme, dass Kierkegaard im Juli 1843 von der Wiederverlobung Regines Kenntnis erlangt habe, vertritt auch Hirsch in W, 162 (Anm. 118 und Anm. 122), sowie die Herausgeber von SKS in SKS K4, 23. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 30, woraufhin Pap. IV A 166 [= SKS 18, JJ:169 / DSKE 2, 201] und Pap. IV A 143 [= JJ:146] (vgl. das zu Anm. 51 gehörende Zitat) angeführt werden. Gerdes, Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard, S. 31. So Hirsch in der Einleitung zu FZ, VII-XIII, hier X; ferner ders., Kierkegaard-Studien, S. 649 ff. Was Furcht und Zittern betrifft, ist nach Meinung Hirschs z. B. SKS 4, 128 – 130 / FZ, 30 – 33 ein nach der Kenntnis der Wiederverlobung Regines umgearbeiteter Abschnitt (vgl. FZ, 146 (Anm. 36)); überhaupt lasse die „[i]nnere Kritik…keinen Zweifel daran übrig, daß in der Vorläufigen Expektoration das Porträt des Glaubensritters (so wie es heute aussieht) und die ganze Einlage über die Prinzessin und den Junggesellen geschrieben sind, nachdem Kierkegaard die andre Verlobung Regines erfahren hatte, und das gleiche gilt von den satirischen und komischen Partien in der zweiten Hälfte von Problema III“; vgl. ferner FZ, 147 (Anm. 44); FZ, 152
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Einzelnen zu überprüfen. Allerdings sei bemerkt, dass gegen diese Annahme und damit zugleich gegen die auch noch in SKS dargestellte Entstehungsgeschichte der beiden Schriften⁶⁷ der Umstand spricht, dass sich Regine Olsen und Johan Frederik Schlegel (1817– 96) tatsächlich erst am 28. August 1843 (!) verlobt haben.⁶⁸
(Anm. 100); FZ, 153 (Anm. 119). Was Die Wiederholung betrifft, sei deren „literarische Entstehungsgeschichte“ nicht weniger als der „Schlüssel der menschlichen Katastrophe und religiösen Wende, welche die Wiederverlobung Regines im Sommer 1843 für Kierkegaard bedeutet“ (Einleitung zu W, VII-XI, hier X) habe. Regines Verlobung mit Schlegel habe „die Umarbeitung und Umgestaltung der Schrift“ (ibid.) erzwungen. Nicht zuletzt der gesamte jetzige Schluss (SKS 4, 83 – 96 / W, 85 – 97) sei erst „nach der Kenntnis von der Wiederverlobung Regines geschrieben“ worden und habe „mit der ursprünglichen Wiederholung nichts zu tun“ (W, 160, Anm. 100). An die Stelle des ursprünglich angedachten tragischen, mit dem Selbstmord des jungen Mannes endenden Schlusses habe Kierkegaard „ein so possenhaftes und albernes Ende“ (ibid.) gesetzt, das „den jungen Dichter durch die Verlobung der früheren Braut mit einem Dritten aller weiteren Sorgen enthebt und dem psychologischen Experimentator Constantin Constantius das Experiment kurz vor dem sozusagen erfolgreichen Ende verpfuscht“ (FZ, X; meine Hervorhebung), wodurch die ursprüngliche ‚Wiederholung‘ „ein völlig unmögliches Buch“ (ibid.) geworden sei. Vgl. ferner – allesamt in grundsätzlicher Übereinstimmung mit Hirschs Position – Tielsch, Kierkegaards Glaube, S. 295; Glöckner, Kierkegaards Begriff der Wiederholung, S. 18; Garff, SAK, S. 217 f. (vgl. Sören Kierkegaard. Biographie, S. 293 f.) sowie SKS K4, 23 ff. Dem editorischen Bericht in SKS K4, 83 – 97 (Tilblivelseshistorie) zufolge hat Kierkegaard Furcht und Zittern nach seiner Rückkehr von der zweiten Berlinreise (30. Mai 1843) ausgearbeitet, wobei diese Ausarbeitung bereits vor der im Juli beginnenden Ausarbeitung „des zweiten Teils von Die Wiederholung“ (SKS K4, 97) abgeschlossen war; vgl. den am 25. Mai 1843 abgestempelten Brief Kierkegaards an Emil Boesen in SKS 28, 173 f., Brev 89 / B, 114 f. (Nr. 55), worin Kierkegaard erklärt, „in voller Fahrt mit einer neuen“ (SKS 28, 173 / B, 114) Arbeit zu sein; ferner SKS 4, 95,28 – 31 / W, 96. In gewissem Widerspruch dazu heißt es im editorischen Bericht zu Die Wiederholung in SKS K4, 12– 28 (Tilblivelseshistorie), dass die Erweiterung des zwischen dem 11. und dem 25. Mai 1843 in Berlin entstandenen ersten Teils im Juni 1843 (zweite Entstehungsphase) stattgefunden habe und dieser zweite Teil unter dem Eindruck der Wiederverlobung Regines durch die Ausarbeitung des neuen Schlusses der Schrift (dritte Entstehungsphase) im Juli 1843 abgeschlossen wurde, Die Wiederholung also zwischen Mai und Juli 1843 entstanden ist. Beide am 7. Oktober 1843 fertig gedruckt vorliegenden Bücher blieben in Bianco Lunos Buchdruckerei bis zur gemeinsamen Veröffentlichung mit Drei erbauliche Reden 1843 am 16. Oktober liegen, deren erste beiden Reden im Juni und Juli (die Reinschrift war Anfang August 1843 fertig) ausgearbeitet und dann durch die im August und September ausgearbeitete und reingeschriebene dritte Rede ergänzt wurden (vgl. SKS K5, 70 – 77). Hirsch zufolge scheinen sowohl Furcht und Zittern als auch Die Wiederholung im Juli 1843 „im Manuskript fertig geworden zu sein“ (FZ, VII), wobei der heutige Schluss der Wiederholungsschrift „Ende Juli“ (FZ, VIII) entstanden sei und „sich auf sarkastische Weise“ „mit der Kierkegaard damals schon bekannten anderweitigen Verlobung seiner früheren Braut Regine Olsen…auseinandersetzt“ (ibid.). Der erste Nachweis dieses Datums findet sich im 2003 erschienenen SKS-Kommentarband zu Journal NB7 (vgl. den Kommentar zu SKS 21, 80,35 in SKS K21, 75); im 1998 erschienenen SKS-
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Es ist deshalb weder ausgemacht, dass JJ:146 als erstes Indiz für Kierkegaards Distanzierung vom ‚Abrahamsglauben‘ die Kenntnis der Wiederverlobung Regines voraussetzt, noch dass Kierkegaard das Doppelwerk Furcht und Zittern und Die Wiederholung aus diesem Grund umgearbeitet hat.⁶⁹ Letztere Annahme lässt sich (zumindest) unter Voraussetzung der bisher allgemein angenommenen Entstehungsgeschichte beider Schriften nicht länger vertreten. Was auch immer diesen Wandel in Kierkegaards Glaubensverständnis herbeigeführt haben mag, wichtig ist, dass bis zur Nachschrift nicht nur der Glaube als „die innere Gewissheit, welche die Unendlichkeit vorwegnimmt“⁷⁰, wie es in Der Begriff Angst (1844) heißt, sondern auch „das religiöse Leiden“ als „Ausdruck für das Gottesverhältnis“ bzw. „Kennzeichen des Gottesverhältnisses“⁷¹ in der, oder richtiger: in einer solchen Innerlichkeit des Menschen angesiedelt ist, für die es im Äußeren keine Merkmale gibt. Noch in der Nachschrift wird das Leiden der Innerlichkeit – das „der Unmittelbarkeit Absterben“⁷², wie es der immanenten Religiosität (A) wesentlich ist – vornehmlich als παθειν im Sinne des „Über-sichergehen-Lassen[s]“⁷³ der Umbildung der eigenen Existenz verstanden, was nicht zuletzt die Kritik an der „Klosterbewegung des Mittelalters“⁷⁴ zeigt. Dieses Verhältnis der Inkommensurabilität zwischen (religiöser) Innerlichkeit und Äußerlichkeit wird vor allem aber in Furcht und Zittern manifest: Äußerlich betrachtet
Kommentarband zu Die Wiederholung wird Kierkegaards Kenntnis der Wiederverlobung Regines noch auf Juli 1843 datiert, vgl. oben Anm. 62. Die (Kenntnis der) Wiederverlobung Regines ist m. E. keineswegs eine notwendige Voraussetzung für die Wiederauflebung des jungen Mannes im heutigen Schluss der Wiederholungsschrift, obgleich die dortigen derben Ausfälle gegen das weibliche Geschlecht dann auf eine andere Weise erklärt werden müssten. Jedenfalls spricht Kierkegaard in der Wiederholung an keiner Stelle davon, dass die ehemalige Auserwählte des jungen Mannes nun mit einem anderen verlobt sei, wie es Hirsch durchgehend behauptet (vgl. z. B. die in Anm. 66 zitierte Stelle), sondern es heißt, dass sie nun verheiratet sei, vgl. SKS 4, 87 / W, 88; ferner SKS 4, 84 / W, 86. So mit Bezug auf Hegel in Der Begriff Angst (1844) in SKS 4, 456 / BA, 163; vgl. hierzu den Kommentar zu SKS 4, 456,5 in SKS K4, 525 sowie die Anmerkung Hirschs in BA, 271 (Anm. 276). SKS 7, 412 / AUN2, 161. Vgl. hierzu SKS 7, 392 / AUN2, 138; SKS 7, 418 – 421 / AUN2, 169 – 172; SKS 7, 438 f. / AUN2, 192 f.; SKS 7, 451 / AUN2, 206; SKS 7, 460 / AUN2, 217; SKS 7, 478 / AUN2, 236; ferner SKS 7, 408 / AUN2, 157 und SKS 22, 198, NB12:102 / T 3, 278. Vgl. bereits SKS 1, 134– 136 / BI, 78 – 80 (siehe S. 395 f.). Glöckner, Kierkegaards Begriff der Wiederholung, S. 71; vgl. S. 69 sowie im Ganzen S. 71– 74. Das Leidvolle des religiösen Leidens besteht in einer „Art Übelsein“ (SKS 7, 409 / AUN2, 159), wie es sich aus der Angestrengtheit des Lebens ergibt, sich in der Zeit jeden Augenblick vor Gott zu wissen (vgl. SKS 7, 409 / AUN2, 158). SKS 7, 352 / AUN2, 92 (ohne Hervorhebungen); vgl. in diesem Zusammenhang vor allem SKS 7, 419 / AUN2, 169; SKS 7, 430 / AUN2, 182 und SKS 7, 446 / AUN2, 201; ferner SKS 7, 365 ff. / AUN2, 107 ff.
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geht der „Glaubensritter“⁷⁵, der die ‚Doppelbewegung‘ des Glaubens in jedem Augenblick vollzieht, vollständig in der Wirklichkeit auf. Kein äußeres Merkmal „verrät“⁷⁶ ihn, weshalb er leicht durch sein Äußeres „täuschen“⁷⁷ und einem Spießbürger, sein Gang dem eines Briefträgers gleichen kann.⁷⁸ Es geht mithin darum, „so zu existieren, dass mein Gegensatz zur Existenz in jedem Augenblick sich ausdrückt als die schönste und sicherste Harmonie mit ihr“⁷⁹. Genau an diesem Punkt, der Frage der Äußerung der religiösen Innerlichkeit, erweist sich die Nachschrift nun als Wendepunkt. Während in Furcht und Zittern die Innerlichkeit des Glaubens als eine dem Äußeren inkommensurable „neue Innerlichkeit“⁸⁰ charakterisiert wird, für die es im Äußeren keinen adäquaten, sondern bloß einen „paradoxen Ausdruck“⁸¹ sub contrario specie geben kann, sollte Kierkegaard in seinem mit den Osteraufzeichnungen 1848 beginnenden Spätwerk⁸² eine solche an der Unsichtbarkeit kenntliche „Religiosität der verborgenen Innerlichkeit“⁸³, wie sie erstmals in der Seminarpredigt von 1841 angeklungen war und in der sich in der Nachschrift die Religiosität A „vollendet“⁸⁴, als Charakteristikum der die Wahrheit des Christentums verflüchtigenden Christenheit verstehen.⁸⁵ Zwischen Früh- und Spätwerk steht das in der Nachschrift zutage tretende „Bemühen, die verborgene Innerlichkeit abgetrennt vom Äußeren noch zu halten“, die Innerlichkeit aber zugleich im Paradox-Religiösen der Religiosität B „so zu verstärken, dass sie eigentlich nicht mehr bleiben kann, worin sie doch gefangen gehalten werden soll“⁸⁶. Die durch den Bezug auf das einen Bruch
SKS 4, 133 / FZ, 37 et passim. SKS 4, 134 / FZ, 38. SKS 4, 133 / FZ, 37 (meine Übers.); vgl. SKS 4, 136 / FZ, 41. Vgl. SKS 4, 133 / FZ, 37 und SKS 4, 134 / FZ, 39. SKS 4, 144 / FZ, 52 (dt. Übers. modifiziert). SKS 4, 161 / FZ, 75; vgl. hierzu bereits SKS 18, 170, JJ:96 / DSKE 2, 351. SKS 4, 162 / FZ, 77. Zur Definition und Abgrenzung von Kierkegaards Spätwerk vgl. Hermann Deuser, „Kierkegaards Spätwerk als dialektische Theologie“, in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 3 – 24, hier S. 7– 13. Zu den angesprochenen Osteraufzeichnungen vgl. SKS 20, 359 f., NB4:155 / DSKE 4, 409 – 411 von Ostermontag, den 24. April 1848; ferner SKS 20, 362– 365, NB4:159 / DSKE 4, 413 – 416 vom 11. Mai 1848. SKS 7, 486 / AUN2, 245; vgl. die in Kap. 3, Anm. 405 angegebenen Stellen. Wolfgang Struve, „Die neuzeitliche Philosophie als Metaphysik der Subjektivität. Interpretationen zu Kierkegaard und Nietzsche“, Symposion. Jahrbuch für Philosophie, Bd. 1, 1948, S. 207– 335, hier S. 271. Vgl. z. B. SKS 12, 210 / EC, 205; SKS 22, 241, NB12:162; SKS 23, 435 f., NB20:74 und SKS 24, 17, NB21:13 / T 4, 231. Hermann Deuser, „Bekenntnis und Handlung – nach Søren Kierkegaard“, in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 25 – 39, hier S. 35, wo als Beleg SKS 7, 369
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mit „der verborgenen Immanenz des Ewigen“⁸⁷ markierende, da als geschichtliches Faktum begegnende ‚absolute Paradox‘ des Gottmenschen konstituierte „paradoxe Innerlichkeit“ als „größtmögliche“⁸⁸ Form der Innerlichkeit und differentia specifica der christlichen gegenüber „aller anderen Innerlichkeit“⁸⁹ ist letztlich nicht ohne einen (ihr) entsprechenden Aus-Druck im Äußeren lebbar. Wird der Glaube in den Climacus-Schriften noch als die Leidenschaft bestimmt, worin „der Verstand und das Paradox im Augenblick glücklich zusammenstoßen“⁹⁰, sollte sich diese Leidenschaft des Glaubens als „einer persönlichen unendlichen Interessiertheit für die eigene ewige Seligkeit“⁹¹ in Kierkegaards Spätwerk immer deutlicher als eine Leiden schaffende Leidenschaft herauskristallisieren, und zwar nicht lediglich „Leiden im Inneren“⁹², sondern Leiden im Äußeren, in der Nachfolge Christi. „Das Christentum der verborgenen Innerlichkeit wird ersetzt durch das Christentum der Nachfolge des Herrn.“⁹³ Besonders augenscheinlich wird dies in dem mit „Christus als das Vorbild“ überschriebenen Abschnitt in der Manuskript gebliebenen, hauptsächlich zwischen Herbst 1851 und Mitte 1852 ausgearbeiteten Schrift Urteilt selbst! Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen ⁹⁴: „Christus ist das Vorbild, und dem entspricht ‚die Nachfolge‘. Es gibt eigentlich nur eine einzige wahre Art, auf die man Christ sein kann: der Jünger. ‚Der Jünger‘ hat unter anderem auch dieses Kennzeichen: für die Lehre leiden. Jeder, der nicht für die Lehre gelitten hat, hat
/ AUN2, 112 und SKS 7, 453 f. / AUN2, 209 f. angeführt werden; vgl. ferner die in Kap. 3, Anm. 405 angegebenen Stellen. SKS 7, 520 / AUN2, 284; vgl. hierzu die Anmerkung von Junghans in AUN2, 404 (Anm. 760). SKS 7, 520 / AUN2, 284. SKS 7, 554 / AUN2, 324. SKS 4, 261 / PB, 55 f. (meine Übers.); zu der Leidenschaft des Glaubens bzw. dem Glauben als einer Leidenschaft vgl. ferner aus Furcht und Zittern (1843) vor allem SKS 4, 119 / FZ, 21; SKS 4, 128 / FZ, 29; SKS 4, 137 / FZ, 42 f. (samt Anm.); SKS 4, 145 / FZ, 54; SKS 4, 159 / FZ, 73 und SKS 4, 209 / FZ, 141. SKS 7, 31 / AUN1, 19 (dt. Übers. modifiziert); vgl. SKS 7, 33 f. / AUN1, 22 f. SKS 7, 399 / AUN2, 146. So Gerdes in der Einleitung zu Der Liebe Tun, IX-XII, hier X, der diesem Werk insofern „eine Schlüsselstellung“ „[i]n diesem Umschichtungsvorgang“ zuschreibt, als „Kierkegaard hier den Gegensatz zwischen dem Christlichen und dem Natürlich-Menschlichen am empfindlichsten Punkt faßt, nämlich am Liebesbegriff“; vgl. auch ders., Sören Kierkegaards Einübung im Christentum. Einführung und Erläuterung, Darmstadt 1982, S. 5: „Die Vorstellung vom Christentum der verborgenen Innerlichkeit und die Bemühung um Unruhe in Richtung auf Verinnerlichung sind bis etwa 1846 die alleinige Grundlage der religiösen Schriftstellerei Kierkegaards“. Vgl. SKS 16, 147– 257 / US, 121– 238, hier SKS 16, 199 – 257 / US, 175 – 238.
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auf die eine oder andere Weise die Schuld auf sich geladen, dass er seine Klugheit dazu gebraucht, nach Art der Welt seiner selbst zu schonen.“⁹⁵
Hatte Kierkegaard bis zur Nachschrift unter dem „Martyrium des Glaubens“⁹⁶ in erster Linie das intellektuelle Martyrium verstanden, mithin „die Kreuzigung des Verstandes durch den Glauben“⁹⁷ an das ‚absolute Paradox‘, sollte er, der sich selbst im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem Corsaren als „Märtyrer des Gelächters“⁹⁸ bezeichnet, in den Schriften und Aufzeichnungen seines Spätwerks sich immer intensiver mit der Frage nach dem Martyrium in der Nachfolge Christi beschäftigen. Ein eindrückliches Beispiel für Kierkegaards Ringen mit dieser Frage und deren Konsequenzen nicht zuletzt auch für ihn selbst ist die Journalaufzeichnung NB24:103 von Anfang August 1851: „O, wenn ich diese Millionen und Abermillionen von der Milde des Christentums habe reden hören: so ist mir das unbegreiflich gewesen. Folgendermaßen hat es sich mit mir verhalten. Ich habe im Grunde gemeint (wie demütig ich auch meinem Herrn und Erlöser gegenübergestanden habe), ich käme besser weg, wenn ich bloß mit Gott Vater allein zu tun hätte, gerade der ‚Mittler‘ mache die Sache so schwer. Denn habe ich einzig mit Gott Vater zu tun – so wird keine ‚Nachfolge‘ gefordert. Und nun stellte das Verhältnis sich folgendermaßen: falls ich Leidender und Elender wie der Elendste mich an Christus wende – und er mir hilft: was dann? Dann sagt er: aber nun musst du mir nachfolgen, absterben, für die Lehre leiden, von allen Menschen gehasst werden, kurz, Qualen leiden, die in solchem Maße niemals von einem Menschen gelitten wurden, es sei denn von einem Christen. Aber Herr Gott, auf die Weise Hilfe erfahren! Jetzt verstehe ich, dass die Nachfolge doch so nicht angebracht werden soll: sie soll vielmehr Gericht halten, damit Demut gelernt werde und Bedürfnis nach Gnade, um dem Zweifel Halt zu gebieten. Dergestalt ist da Beruhigung und Seligkeit – und dann wäre es nicht unmöglich, dass ein Mensch über all diese Liebe so gerührt werden und sich so selig fühlen könnte, dass das Absterben ihm eine Freude der Liebe würde. Kommt dieser Augenblick nicht für einen Menschen: nun, dann ist da Gnade, und die ‚Nachfolge‘ soll ihn nicht, wie Luther trefflich sagt, entweder in Verzweiflung oder in Vermessenheit stürzen. Kommt der Augenblick, so ist die Nachfolge doch trotz all ihrem Schmerz eine Sache der Liebe und somit doch selig.“⁹⁹
SKS 16, 252 / US, 236 f. (dt. Übers. modifiziert); vgl. auch SKS 16, 208 f. / US, 187. SKS 7, 508 / AUN2, 270; vgl. SKS 7, 37 / AUN1, 26 f.; SKS 7, 213 / AUN1, 226; SKS 7, 266 / AUN1, 287. SKS 7, 513 / AUN2, 276; vgl. SKS 7, 513 / AUN2, 275 f. Und zwar in SKS 21, 279, NB10:42 / T 3, 187 (4-mal); zu dieser Thematik vgl. Markus Kleinert, „Auch ein höherer Wahnsinn. Annäherungen an die Gestalt des Narren in Christo“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2010, S. 223 – 236, hier S. 231 f. SKS 24, 383 f., NB24:103 / T 5, 31 (dt. Übers. modifiziert); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB24 in SKS K24, 437– 448, hier 441. Zur Anspielung auf Luther am Ende der Aufzeichnung vgl. den Kommentar zu SKS 24, 384,6, in SKS K24, 514 f.
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Kierkegaards in immer drastischeren Wendungen sich bekundendes Bestreben, der staatlich-bürgerlichen Christenheit¹⁰⁰ ihren klaffenden Abstand vom Christentum der Nachfolge vor Augen zu führen, konnte nicht ohne Einfluss auf sein Glaubensverständnis bleiben. In seinen letzten Lebensjahren, in denen Kierkegaard „geradezu Lebensverneinung“¹⁰¹ predigte, sollte denn auch die untrennbare Zusammengehörigkeit von Glauben und Leiden dermaßen in den Vordergrund treten, dass er in der kurz vor seinem Tod erschienenen neunten Nummer seiner Zeitschrift Der Augenblick (1855)¹⁰² den einzigen Beweis dafür, dass man glaubt, darin sieht, „dass man bereit ist, für seinen Glauben zu leiden“¹⁰³. Will man nicht annehmen, dieser in der Zeit nach der Nachschrift erfolgende Durchbruch der religiösen Innerlichkeit nach außen hin in der Bereitschaft zur Nachfolge Christi liege allein in der inneren Konsequenz seines Denkens begründet¹⁰⁴, gilt es zu fragen, was Kierkegaard hierzu und zu der damit einhergehenden fundamentalen Andersbewertung der Wirklichkeit als Bezugsobjekt des Glaubens veranlasst haben könnte. Wenn ich recht sehe, sind schon aufgrund der zeitlichen Koinzidenz zwei äußere und zwei innere Faktoren in Anschlag zu bringen. Zunächst die beiden äußeren: Kierkegaards zunehmend angespannte finanzielle Situation und die Corsar-Affäre.
Während ‚Christenheit‘ [Christenhed] in Entweder – Oder (1843) noch ohne negative Wertung begegnet (vgl. z. B. SKS 2, 46 / EO2, 43 und SKS 2, 229 / EO2, 256), hat ‚Christenheit‘ ab der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) eine deutlich pejorative Bedeutung im Gegensatz zu ‚Christentum‘ [Christendom], vgl. z. B. SKS 7, 255 / AUN1, 275 (von Junghans fälschlicherweise mit ‚Christentum‘ übersetzt!) und SKS 7, 335 / AUN2, 72 sowie aus der vorläufigen Ausarbeitung Pap. VI B 54:35 und dem Druckmanuskript Pap. VI B 98:69. In anderen Schriften des Frühwerks wie Furcht und Zittern (1843), Der Begriff Angst (1844), Philosophische Brocken (1844) und Stadien auf des Lebens Weg (1845) ist ‚Christenheit‘ völlig absent. In Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen markiert die während der Arbeit am Buch über Adler (vgl. SKS 20, 42 f., NB:39 / DSKE 4, 44 f.) entstandene Randbemerkung SKS 20, 49, NB:50.a / DSKE 4, 52 zur zwischen September und November 1846 entstandenen Journalaufzeichnung NB:50 den Wendepunkt in diesem Sprachgebrauch. Ruttenbeck, Sören Kierkegaard, S. 256 (ohne Hervorhebung). Vgl. SKS 13, 371– 387 / A, 301– 316. SKS 13, 386 / A, 314; vgl. dagegen noch z. B. SKS 7, 543 / AUN2, 311. Zum Verhältnis von Glaube und Leiden vgl. ferner die in Einleitung, Anm. 13 angegebene Literatur. Einen Anhaltspunkt für eine solche Annahme könnte man in der von Kierkegaard am 26. November 1834 auf einen losen Zettel notierten Aufzeichnung Papir 55:2 (vgl. das zu Kap. 1, Anm. 51 gehörende Zitat) finden, in der es unter anderem heißt, dass in der christlichen Dogmatik (!) Christi „ganzes Leben in allen seinen Momenten…die Norm…für das Leben der folgenden Christen und somit für das Leben der ganzen Kirche“ (SKS 27, 96 f., Papir 55:2 / T 1, 38; dt. Übers. modifiziert) abgeben müsse.
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Die erste Erwähnung der kritischen Vermögenslage¹⁰⁵ findet sich in der auf ein loses Blatt notierten Aufzeichnung NB:2 vom Frühjahr 1846, das vorne in Journal NB eingeklebt war: „Erst nach der Herausgabe des letzten großen Buches ‚abschließende Nachschrift‘ habe ich es gewagt, mir Zeit zu geben, um mich umzusehen und mich um meine äußere Existenz zu kümmern. Meine Finanzen erlauben es mir nicht mehr, Schriftsteller zu sein.“¹⁰⁶ Zur selben Zeit erwacht in Kierkegaard der Gedanke, seine Schriftstellertätigkeit aufzugeben, um „Landpfarrer zu werden“¹⁰⁷, was er jedoch schon bald wieder relativieren und Ende Januar 1847 endgültig ad acta legen sollte.¹⁰⁸ In der Folgezeit hatte sich Kierkegaards finanzielle Lage derart zugespitzt, dass er Ende 1847 sein Elternhaus am Kopenhagener Nytorv verkaufen musste.¹⁰⁹ Diese finanzielle Unsicherheit und die sich dadurch aufdrängende Frage, ob und wie die Schriftstellertätigkeit fortgesetzt werden kann, hatte tiefgehenden Einfluss auch auf Kierkegaards Selbstverständnis als Schriftsteller: „Unabhängigkeit war die Unterstützung, die ich brauchte, und dass ich sie hatte, verbarg mir vielleicht, dass ich doch eigentlich Dichter war, jetzt habe ich es verstanden.“¹¹⁰ Als wesentlich bedeutsamer für den in Kierkegaards Spätwerk eintretenden Umschlag von einer weltzugewandten zu einer weltabgewandten Haltung ist allerdings der zweite äußere Faktor anzusehen: die von ihm selbst initiierte¹¹¹
Vgl. hierzu Frithiof Brandt und Else Thorkelin, Søren Kierkegaard og pengene, 2. Aufl., Kopenhagen 1993 [1935], S. 86 – 90. SKS 20, 10, NB:2 / DSKE 4, 6 (dt. Übers. modifiziert); zur Datierung vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB in DSKE 4, 495 – 504, hier 499. Im weiteren Verlauf dieser Aufzeichnung erwägt Kierkegaard die Beantragung eines staatlichen Zuschusses, um seine Schriftstellertätigkeit fortsetzen zu können, vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB in DSKE 4, 502. Vgl. ferner SKS 18, 282, JJ:428 / DSKE 2, 292 sowie SKS 18, 293, JJ:459 / DSKE 2, 304. SKS 20, 52, NB:57 / DSKE 4, 55; vgl. hierzu SKS 18, 278, JJ:415 / DSKE 2, 289 vom 7. Februar 1846. Vgl. SKS 20, 19, NB:7 / DSKE 4, 17; SKS 20, 51, NB:57 / DSKE 4, 55; SKS 20, 81, NB:107 / DSKE 4, 89 und schließlich SKS 20, 85 f., NB:114 / DSKE 4, 94 f. (24. Januar 1847), wo Kierkegaard der Auseinandersetzung mit dem Corsaren in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zuschreibt, da er durch die „Angriffe der Pöbelhaftigkeit…recht Zeit“ bekommen habe, „inwendig zu lernen und mich zu vergewissern, dass es doch eine schwermütige Idee war, draußen auf einem Pfarrhof leben zu wollen“ (SKS 20, 85, NB:114 / DSKE 4, 94; dt. Übers. modifiziert); vgl. den editorischen Bericht zu Journal NB in DSKE 4, 501; ferner SKS 20, 393, NB5:51 / DSKE 4, 449. Der Kaufvertrag wurde am 24. Dezember 1847 unterschrieben, vgl. den Kommentar zu DSKE 4, 471,9 in DSKE 4, 744. SKS 21, 359, NB10:192; zitiert bei Deuser, „Kierkegaards Spätwerk als dialektische Theologie“, S. 11. Vgl. die Journalaufzeichnung SKS 20, 15 – 20, NB:7 / DSKE 4, 12– 19 vom 9. März 1846, insbesondere SKS 20, 15 / DSKE 4, 12 („Es war an sich die glücklichste Idee, just in dem
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Auseinandersetzung mit dem politisch-satirischen Wochenblatt Corsaren. ¹¹² Nachdem Kierkegaard am Ende seines unter dem Pseudonym Frater Taciturnus am 27. Dezember 1845 veröffentlichten Zeitungsartikels „Die Tätigkeit eines herumreisenden Ästhetikers, und wie er doch die Zeche bezahlen musste“¹¹³ darum gebeten hatte, selbst bald einmal in den Corsaren zu kommen, da es „wirklich hart für einen armen Schriftsteller“ sei, der einzige in der dänischen Literatur zu sein, „der dort nicht geschmäht“¹¹⁴ werde, brachte dieser hauptsächlich in der ersten Jahreshälfte 1846 einige satirische Artikel und Karikaturen über Kierkegaard.¹¹⁵ Mögen diese Ein- und Auslassungen des Corsaren (auch) aus heutiger Sicht nicht wirklich geistreich, aber auch nicht böswillig, sondern einfach albern anmuten (unter anderem wurde Kierkegaard in lächerlichem Aufzug mit verschieden langen Hosenbeinen und in viel zu großen Stiefeln porträtiert¹¹⁶ und eine isabellfarbene Blume mit zwei ungleichen Stängeln als „Beauty of Kierkegaard“¹¹⁷ präsentiert), wurde für Kierkegaard der sich daraufhin von seinen Zeitgenossen über ihn ergießende Spott zunehmend unerträglich.¹¹⁸
Augenblick, da ich mit meiner Schriftstellerei fertig war und durch Übernehmen aller Pseudonyme [scil. in „Eine erste und letzte Erklärung“, SKS 7, 569 – 573 / AUN2, 339 – 344] gerade Gefahr lief, eine Art Autorität zu werden, dass ich da mit dem Corsaren brach, um jede direkte Annäherung zu verhindern“) und SKS 20, 16 / DSKE 4, 14 („er wurde beschimpft, und das verlangte er selbst“). Vgl. ferner Kierkegaards Rückblick in der Mitte Dezember 1854 entstandenen Journalaufzeichnung SKS 26, 416, NB36:9 / T 5, 357: „Für drei Dinge danke ich Gott / 1) Dass kein lebendes Wesen mir sein Dasein verdankt. / 2) Dass er mich daran hinderte, gedankenlos Pfarrer zu werden…3) Dass ich mich freiwillig dem aussetzte, vom Corsaren beschimpft zu werden“ (dt. Übers. modifiziert). Zum Programm des Corsaren, der im Oktober 1840 vom jüdischen Schriftsteller und Journalisten Meïr Aron Goldschmidt (1819 – 87) gegründet wurde, dem eigentlichen Redakteur des Blattes und deshalb Hauptziel von Kierkegaards die Grenze zum Antijudaismus nicht nur streifender, sondern ein ums andere Mal überschreitender Polemik, vgl. den Kommentar zu DSKE 4, 12,7 in DSKE 4, 508. Vgl. Søren Kierkegaard, „En omreisende Æsthetikers Virksomhed, og hvorledes han dog kom til at betale Gjæstebudet“, Fædrelandet, 1845, Nr. 2078 vom 27. Dezember, Sp. 16653 – 16658 (SKS 14, 79 – 84 / CS, 30 – 39). Vgl. ibid., Sp. 16657 (SKS 14, 84 / CS, 38). Vgl. die Kommentare zu DSKE 4, 12,7– 16 in DSKE 4, 508 f. zusammen mit den Abbildungen der von Peter Klæstrup angefertigten Karikaturen in DSKE 4, 510 – 513. Vgl. die Abbildungen 4, 6 und 11 in DSKE 4, 510 – 512. „Catalog over et rigt og betydeligt Udvalg af de nyeste og smukkeste Pragt-Georginer, (Dadalisser) disponible i Aaret 1846, bestemte til at udstilles Tid efter anden i ‚Corsarens‘ Blomsterhave“, Corsaren, 1846, Nr. 289 vom 3. April, Sp. 13; vgl. hierzu den Kommentar zu DSKE 4, 40,18 in DSKE 4, 521; ferner CS, 201. Vgl. die von der Aufzeichnung NB:7 (vgl. oben Anm. 111) ihren Ausgangspunkt nehmende Entwicklung in SKS 20, 21 f., NB:11 / DSKE 4, 20; SKS 20, 26 f., NB:15 / DSKE 4, 26; SKS 20, 122,
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Diese Auseinandersetzung mit dem Corsaren, die Kierkegaard fast¹¹⁹ ausschließlich privatim auf den Seiten seiner Journale führte¹²⁰, erzeugte in ihm eine tiefe Abneigung gegen „die Tagespresse“¹²¹, dem „böse[n] Prinzip in der modernen Welt“¹²², wie überhaupt gegen „die Pöbelhaftigkeit“¹²³ und „die Menge“¹²⁴, wovon die Journale aus dieser Zeit beredt Zeugnis geben. Dazu gesellte sich der Überdruss, als ein verkanntes Genie „in einem so kleinen Land wie Dänemark“¹²⁵ – dazu noch in einer „Kleinstadt“¹²⁶ wie Kopenhagen – ein randständiges Dasein als „halbverrückter Sonderling“¹²⁷ fristen zu müssen.¹²⁸ Im Zuge dieser Auseinandersetzung zog sich Kierkegaard immer mehr von der Öffentlichkeit auf sein Dasein als ‚Einzelner‘ und damit in das Gegenüber zur Gesellschaft als Ausdruck des Allgemeinen zurück. Dieses problematische und konfliktbeladene Verhältnis zu seinen Zeitgenossen, inklusive der Kirchenoberen, hat auch Kierkegaards weitere denkerische Entwicklung nachhaltig geprägt und ist nicht ohne Einfluss NB:209 / DSKE 4, 135 f.; SKS 20, 310, NB4:50 / DSKE 4, 353 f. und SKS 20, 390 f., NB5:44 / DSKE 4, 446 f. Nach seinem Artikel vom 27. Dezember 1845 antwortete Kierkegaard nur einmal öffentlich und direkt auf die Schmähungen des Corsaren gegen seine Person, und zwar wiederum unter dem Pseudonym Frater Taciturnus in Fædrelandet, 1846, Nr. 9 vom 10. Januar, Sp. 65 – 68 (SKS 14, 87– 89 / CS, 40 – 44) mit dem Artikel „Det dialektiske Resultat af en literair Politi-Forretning“. Zur Begründung dieses Umstandes vgl. SKS 20, 154, NB2:34 / DSKE 4, 170 f.: „Aber warum schreibe ich all dies über die Tagespresse [vgl. folgende Anm.] nicht in einem Journal, oder in einem Buch, mit dem ich für Verbreitung sorge?…Nein, wenn ich das täte, hätte ich Anhänger gefunden und damit das Ganze dem üblichen Schlendrian überantwortet. Solange ich lebe, handle ich, indem ich indirekt gegen mich arbeite und dann schweige. Wenn ich dann tot bin, wird meine Konsequenz ganz anders klar erkennbar werden und könnte meinen Nachfolger ganz anders in Schwung bringen“ (dt. Übers. modifiziert). Vgl. SKS 20, 128, NB:215 / DSKE 4, 142; SKS 20, 151 f., NB2:27 / DSKE 4, 167 f.; SKS 20, 152, NB2:28 / DSKE 4, 168; SKS 20, 152, NB2:29 / DSKE 4, 169; SKS 20, 153, NB2:32 / DSKE 4, 170; SKS 20, 316, NB4:62 / DSKE 4, 360. SKS 20, 152, NB2:29 / DSKE 4, 169. Vgl. SKS 20, 16 u. 19, NB:7 / DSKE 4, 13 u. 17; SKS 20, 39 f., NB:36 / DSKE 4, 41 f.; SKS 20, 85, NB:114 / DSKE 4, 94; SKS 20, 122, NB:209 / DSKE 4, 135 f.; SKS 20, 123, NB:211 / DSKE 4, 137; SKS 20, 150, NB2:23 / DSKE 4, 165; SKS 20, 162 f., NB2:54 / DSKE 4, 181 f.; SKS 20, 304, NB4:32 / DSKE 4, 346; SKS 20, 304, NB4:53 / DSKE 4, 354 f.; SKS 20, 319, NB4:68 / DSKE 4, 364; SKS 20, 321, NB4:71 / DSKE 4, 366; SKS 20, 390 f., NB5:44 / DSKE 4, 446; SKS 20, 408, NB5:88 / DSKE 4, 466 f.; SKS 20, 410, NB5:93 / DSKE 4, 469; SKS 20, 423, NB5:135 / DSKE 4, 485. Vgl. z. B. SKS 20, 28, NB:17 / DSKE 4, 28; SKS 20, 49, NB:51 / DSKE 4, 52 f. sowie insbesondere SKS 20, 55 f., NB:64 / DSKE 4, 60 f. und SKS 20, 126 – 129, NB:215 / DSKE 4, 140 – 143. SKS 20, 17, NB:7 / DSKE 4, 14; vgl. SKS 20, 34, NB:32 / DSKE 4, 35. Vgl. z. B. SKS 20, 117, NB:194 / DSKE 4, 130. SKS 20, 401, NB5:69 / DSKE 4, 459. Vgl. z. B. SKS 20, 34, NB:32 / DSKE 4, 35; SKS 20, 35, NB:33 / DSKE 4, 35 f.; SKS 20, 41, NB:37 / DSKE 4, 43; SKS 20, 149 f., NB2:23 / DSKE 4, 165 f.
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auf seine Bestimmung des Verhältnisses von Christentum und Welt im Allgemeinen¹²⁹, von Glaube und Wirklichkeit im Besonderen geblieben. Zu diesen beiden äußeren Faktoren tritt der Umstand, dass Kierkegaard in der Zeit nach 1846 eine Reihe von Denkern entweder ganz neu für sich entdeckt, wie z. B. Arthur Schopenhauer (1788 – 1860)¹³⁰, oder aber wiederentdeckt hat, wie z. B. Abraham a Sancta Clara (1644– 1709).¹³¹ Hierzu gehört auch die intensive Beschäftigung Kierkegaards zum einen mit der christlichen Erbauungsliteratur, zum anderen mit Martin Luther (1483 – 1546), die als innere Faktoren für den besagten Umschlag zu betrachten sind. War der Pietismus (nicht derjenige Hallescher Provenienz, sondern der in der volkstümlichen Erweckungsbewegung erneut(e) Frucht tragende „gefühlsmäßige[] Pietismus Zinzendorfs“¹³² in Gestalt vor allem der Herrnhuter Brüdergemeine in Kopenhagen) bereits für die Familie Kierkegaard von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen¹³³, sollte Kierkegaard, wie Barnett gezeigt hat¹³⁴, die Be-
Vgl. z. B. die Journalaufzeichnung SKS 22, 221, NB12:131 / T 3, 284 f. vom Sommer 1849: „die Misshandlung durch die Pöbelhaftigkeit…[hat] mich zugleich bereichert mit dem wesentlichen Zusammenstoß des Christlichen mit der Welt, etwas was mir sonst entgangen wäre, da ich nur allzusehr mit inneren Leiden beschäftigt war.“ Kierkegaard hat Schopenhauer zum ersten Mal in der Anfang Juni 1854 entstandenen Journalaufzeichnung SKS 25, 314 f., NB29:26 / T 5, 184 erwähnt, wobei die Lektüre Schopenhauers wahrscheinlich erst kurze Zeit vorher, und zwar im Mai 1854 und zudem motiviert durch Julius Frauenstädts Briefe über die Schopenhauer’sche Philosophie, Leipzig 1854 (ktl. 515) bzw. Karl Fortlages Rezension von Frauenstädts Buch in Blätter für literarische Unterhaltung, 1854, Nr. 12 vom 16. März, S. 205 – 209, eingesetzt hat, vgl. Niels Jørgen Cappelørn, „Historical Introduction: When and Why Did Kierkegaard Begin Reading Schopenhauer“, in: ders. et al. (Hg.), Schopenhauer-Kierkegaard. Von der Metaphysik des Willens zur Philosophie der Existenz, Berlin und Boston 2012 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 26), S. 19 – 32. Kierkegaard hat Abraham a Sancta Clara hauptsächlich und sehr eingehend in den Jahren 1847/48 gelesen, wobei Aufzeichnungen aus früherer Zeit (wie z. B. SKS 17, 126, BB:37 / DSKE 1, 136 von 1837) darauf schließen lassen, dass Kierkegaard auch schon früher Abraham a St. Clara’s…Sämmtliche Werke, Bd. 1– 21, Passau, Lindau und Augsburg 1835 – 54 (ktl. 294– 311) verschiedentlich herangezogen hat, vgl. Peter Šajda, „Abraham a Sancta Clara: An Aphoristic Encyclopedia of Christian Wisdom“, in: Kierkegaard and the Renaissance and Modern Traditions, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 5), S. 1– 20. Max Weber, „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 1920, S. 17– 206, hier S. 149. Vgl. Kirmmse, Kierkegaard in Golden Age Denmark, S. 28 – 35, sowie Barnett, Kierkegaard, Pietism and Holiness (siehe folgende Anm.), S. 3 – 62. Zur Geschichte des dänischen Pietismus und dessen Einfluss auf Kierkegaard, der den Pietismus einmal in einer Journalaufzeichnung von September 1850 als „die einzige Konsequenz des Christentums“ (SKS 23, 486 / NB20:175.a) bezeichnet hat, vgl. ferner Jørgen Lundbye, Herrnhutismen i Danmark. Det attende Hundredaars
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schäftigung mit der Erbauungsliteratur der spätmittelalterlichen Mystik¹³⁵ und ihrer pietistischen Rezipienten¹³⁶ einen wesentlichen Anstoß zur Neuüberdenkung des Verhältnisses von Christentum und säkularer Gesellschaft geben.¹³⁷ Dies zeigt für Barnett bereits die Gegeneinanderstellung von Kierkegaards Kritik der Klosterbewegung in der Nachschrift ¹³⁸ und seiner Kritik der Gegenwart im dritten
indre Mission, Kopenhagen 1903, S. 70 – 89, S. 135– 153 und S. 189 – 198; Kaj Baagø, Vækkelse og kirkeliv i København og omegn i første halvdel af det 19. århundrede, Kopenhagen 1960, S. 19 – 29 sowie Aurelia Astner, Kierkegaard und der Pietismus, Innsbruck 2009 (zugleich Diss., Univ. Innsbruck, 2004), S. 82– 213. Im Unterschied zur Untersuchung Barnetts ist Astners Untersuchung hier nur von sekundärer Bedeutung, was zum einen an der Zielsetzung, zum anderen an der Quellenbasis der Untersuchung liegt. Diese könne „nicht den Anspruch erheben…, einen pietistischen Einfluß im Werk Kierkegaards ‚nachzuweisen‘“ (S. 87). Zwar seien „auch die pietistischen Schriften eine ‚Fundgrube‘“ für Kierkegaard gewesen, doch lasse sich „keine direkte Abhängigkeit von diesen Schriften erkennen“ (S. 88). Die von Astner im Blick auf Hauptthemen Kierkegaards durchgeführte Analyse des von ihr bei ihm vermuteten „pietistischen Gedankenguts“ (S. 1) und die von ihr aufgezeigten Parallelen und Übereinstimmungen zwischen Äußerungen und Gedanken insbesondere Zinzendorfs (aber auch Franckes, Speners und Tersteegens) und denen in Schriften Kierkegaards sind durchaus bemerkenswert. Aus rezeptionsgeschichtlicher Sicht ist Astners Untersuchung, der es nicht zuletzt auch um die Darlegung der „aus der pietistischen Erziehung resultierende[n] lebensgeschichtliche[n] Betroffenheit Kierkegaards“ (S. 90) geht, allerdings nicht ergiebig, was vor allem an der dünnen Quellenbasis ihrer Untersuchung liegt, die sich „in erster Linie“ (ibid.) auf Der Begriff Angst und Philosophische Brocken konzentriert, während andere Schriften Kierkegaards lediglich „[e]xkursartig“ (ibid.) herangezogen werden. Auf Kierkegaards Journale und Aufzeichnungen wird nur ganz vereinzelt und unter Heranziehung allein der deutschen Auswahlausgaben von Gerdes und Haecker (überhaupt) Bezug genommen, wobei es Astner mehr um „die eigentümliche Form der Tagebuchführung“ (S. 107; meine Hervorhebung) als um den eigentlichen Inhalt der ‚Tagebücher‘ zu gehen scheint: „Die Tagebücher Kierkegaards mit ihrer verwirrenden Fülle von Äußerungen verweisen ebenfalls auf die pietistische Tradition, mit der das Tagebuch als Medium moralischer Selbstreflexion immer mehr an Bedeutung gewann“ (S. 106; vgl. S. 108). Christopher B. Barnett, Kierkegaard, Pietism and Holiness, Farnham und Burlington 2011; vgl. hierzu meine Rezension in Theologische Literaturzeitung, Bd. 137, 2012, Sp. 451 f. Vor allem Tauler (vgl. Kap. 3, Anm. 662 f.), Thomas von Kempen (1380 – 1471) sowie Der Frankfurter. Vor allem Christian Scriver (1629 – 93), Johann Arndt (1555 – 1621), Gerhard Tersteegen (1697– 1769) und Hans Adolph Brorson (1694– 1764), aber auch Vorläufer des Pietismus wie Johann Gerhard (1582– 1637). Vgl. Barnett, Kierkegaard, Pietism and Holiness, S. 111– 168. Vgl. oben Anm. 74. Der Umstand, dass Kierkegaards spätere Beurteilung des Pietismus mit seiner Beurteilung der Klosterbewegung (als Ausdruck des in allen Formen immanenter Religiosität enthaltenen Hangs zum religiösen Separatismus) in der Nachschrift grundsätzlich übereinstimmt (vgl. ibid., S. 139), rechtfertigt m. E. nicht Barnetts Annahme, die Kritik der Klosterbewegung in der Nachschrift sei als eine (implizite) Auseinandersetzung auch mit den separatistischen pietistischen Zirkeln zu verstehen (vgl. ibid., S. 112, S. 118, S. 138 und S. 141),
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Abschnitt der Literarischen Anzeige (1846)¹³⁹: „Whereas the Postscript argues that authentic religious existence is primarily a matter of ‘hidden inwardness’…A Literary Review shows Kierkegaard reworking this conclusion in light of the ills of modern secularity.“¹⁴⁰ Die in der Literarischen Anzeige zum Ausdruck kommende Ansicht, die Gegenwart bedürfe keiner Religiosität der ‚verborgenen Innerlichkeit‘, sondern vielmehr „a religiousness of suffering servanthood“¹⁴¹, betrachtet Barnett als entscheidende Vorstufe für die in Kierkegaards Spätwerk erfolgende Rezeption des Gedankens der imitatio Christi. Dieser sei nicht nur durchgehender „key aspect“¹⁴² der christlichen Erbauungsliteratur, sondern auch Kierkegaards „most significant debt to the Pietist tradition.“¹⁴³ Allerdings ist zu bemerken, dass Kierkegaard in seinen veröffentlichten Schriften erst ab den Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist (1847) von Christus als ‚Vorbild‘¹⁴⁴ und von der ‚Nachfolge Christi‘¹⁴⁵ (und ihren theologischen Konzumal in der Nachschrift weder vom Pietismus noch von der Brüdergemeine überhaupt die Rede ist. Vgl. SKS 8, 66 – 106 / LA, 72– 120, insbesondere SKS 8, 66 – 73 / LA, 72– 80. In dieser Besprechung von Gyllembourgs Novelle Zwei Zeitalter (1845) – von Hirsch treffend als „retractatio“ (Kierkegaard-Studien, S. 821) der Erstlingsschrift bezeichnet – sollte sich Kierkegaards Position gegenüber derjenigen in der Erstlingsschrift Aus den Papieren eines noch Lebenden (1838) bezeichnenderweise deutlich unterscheiden. Während der Kritiker in der Erstlingsschrift noch davon sprechen kann, dass die Novellen Gyllembourgs von der Lebensanschauung eines Individuums getragen seien, „das den Lauf vollendet und den Glauben bewahrt hat“ (SKS 1, 25 / LP, 55; meine Übers.), ist Kierkegaard in Eine literarische Anzeige an einer Betonung gerade des Unterschieds zwischen der „im Konfinium zwischen dem Ästhetischen hin zum Religiösen“ (SKS 8, 18 / LA, 13; meine Übers.) beheimateten Lebensanschauung des ‚Verfassers der Alltagsgeschichte‘ und „einer mehr ausgeprägt religiösen Anschauung“ (SKS 8, 16 / LA, 11) gelegen, die, weder die Leiden übersehend noch leichtsinnig auf die Welt hoffend, ihren Weg als den Weg des „Schmerz[es] der Wirklichkeit“ (SKS 8, 18 / LA, 13) und des Leidens betrachte, vgl. SKS 8, 15 – 19 / LA, 10 – 14 sowie SKS 7, 392 ff. / AUN2, 138 ff.; ferner Klenke, Denken und Glaube beim jungen Kierkegaard, S. 30 f. Barnett, Kierkegaard, Pietism and Holiness, S. 141. Ibid.; vgl. S. 161 sowie SKS 8, 103 / LA, 117. Barnett, Kierkegaard, Pietism and Holiness, S. 171. Ibid., S. 68. Und zwar in der zweiten der drei Reden über „Was wir lernen von den Lilien auf dem Felde und den Vögeln des Himmels“, der zweiten Abteilung der Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist (vgl. SKS 8, 251– 307 / ERG, 161– 222), in SKS 8, 281– 296 / ERG, 191– 209, besonders SKS 8, 293 f. / ERG, 205 f.; vgl. auch die zweite Rede der dritten Abteilung in SKS 8, 331– 346 / ERG, 243 – 261, besonders SKS 8, 332 f. / ERG, 243 – 245 und SKS 8, 340 / ERG, 253. Und zwar in der ersten und zweiten Rede der dritten Abteilung der Erbaulichen Reden in verschiedenem Geist, des „Evangeliums der Leiden“ (vgl. SKS 8, 313 – 431 / ERG, 225 – 355), in SKS 8, 320 – 330 / ERG, 229 – 242 und SKS 8, 331– 346 / ERG, 243 – 261; vgl. bereits SKS 27, 255, Papir 270 / ES, 108.
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sequenzen) spricht und beide Motive in Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen,von wenigen früheren Stellen abgesehen¹⁴⁶ , sogar erst ab 1849 regelmäßig wiederkehren. Wenn Kierkegaard, wie Barnett auf der Grundlage von im Vergleich zur Zeit nach 1847 doch verschwindend wenigen Belegen behauptet¹⁴⁷, bereits seit seiner Jugend „obviously intimate with the Erbauungsliteratur tradition“¹⁴⁸ gewesen sein soll, warum ist dann die Rezeption des Gedankens der imitatio Christi erst zu dieser späteren Zeit erfolgt? Ist aber, wie aus Kierkegaards Journalen und Aufzeichnungen hervorgeht, seine intensivierte Hinwendung zur christlichen Erbauungsliteratur tatsächlich erst nach 1846 erfolgt, darf es als wahrscheinlich gelten, dass im Hintergrund nicht nur dieser späteren Beschäftigung mit der Erbauungsliteratur, sondern gleichermaßen auch der im Zuge dessen erfolgenden Rezeption des Gedankens der imitatio Christi in der literarischen Forderung des Christentums der Nachfolge die Corsar-Erfahrungen stehen: „Dass er als Einzelner stellvertretend Hohn und Spott auf sich zog, der Pöbel das genoss, was die guten Bürger und die Geistlichkeit zugleich schadenfroh goutierten – unwiderrufliches Thema in unendlichen Variationen in der gesamten Tagebuchproduktion des Spätwerks! – dies hat mehr und mehr christologischen Rang, zwingt zur Konsequenz: ‚Doch eines habe ich gelernt: die eigentlich christliche Kollision. Diese Kollision hat ursprünglich nicht in meinem
Zur Nachfolge [Efterfølgelse] Christi vgl. – als frühestem Beleg – aus dem Jahr 1847 die Randbemerkung SKS 20, 227, NB2:227a / DSKE 4, 258 („denn die Aufgabe besteht darin, wie Gerhard irgendwo (in den Meditationes sacrae) sagt, nicht nur frui Christo, sondern vor allem imitari Christum“; vgl. den Kommentar zu DSKE 4, 258m,2 in DSKE 4, 623) zur im Oktober 1847 entstandenen Journalaufzeichnung NB2:227, wobei diese Randbemerkung auch später eingetragen worden sein kann; für das Jahr 1848 vgl. SKS 20, 391, NB5:46 / DSKE 4, 447 samt SKS 21, 41, NB6:56 / T 3, 50; SKS 20, 395, NB5:56 / DSKE 4, 452; SKS 21, 136, NB7:111 / T 3, 94 f. Vgl. auch die Bezugnahmen auf Johann Tauler’s Nachfolgung des armen Lebens Christi in SKS 20, 331, NB4:91 / DSKE 4, 378 und SKS 20, 335, NB4:102 / DSKE 4, 383, woraus Kierkegaard bereits in SKS 1, 310 / BI, 279 zitiert hat; ferner Kierkegaards Notizen zu Clausens Dogmatikvorlesungen (1833/ 34) in SKS 19, 53, Not1:7 / DSKE 3, 55 (§ 51) und SKS 19, 62, Not1:8 / DSKE 3, 63 (§ 58). Zu Christus als Vorbild [Forbillede oder (seltener) Exempel] vgl. – als früheste Belege (abgesehen von SKS 19, 216 f., Not7:44 / DSKE 3, 232) – aus dem Jahr 1847 die Aufzeichnungen SKS 20, 205, NB2:160 / DSKE 4, 232; SKS 20, 213, NB2:182 / DSKE 4, 242; SKS 20, 223, NB2:213 / DSKE 4, 254; für das Jahr 1848 vgl. SKS 20, 387, NB5:40 / DSKE 4, 442; SKS 20, 413, NB5:97 / DSKE 4, 473; SKS 21, 12, NB6:3 / T 3, 35; SKS 21, 90, NB7:26 / T 3, 73; SKS 21, 108, NB7:66; SKS 21, 109, NB7:68; SKS 21, 178, NB8:80 / T 3, 118. Vgl. z. B. Barnett, Kierkegaard, Pietism and Holiness, S. 68, S. 78, S. 89 (Anm. 174 und Anm. 175), S. 112 (Anm. 3), wo es sich zum Teil aber um Exzerpte oder Vorlesungsnotizen Kierkegaards (!) handelt. Ibid., S. 78 (Anm. 99); vgl. auch Barnetts sich auf insgesamt drei Zitate Kierkegaards stützendes Urteil, „that Kierkegaard’s interest in Erbauungsliteratur is not characteristic only of his later years“ (S. 78).
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Gesichtskreis gelegen, ich verdanke sie allein meinem Konflikt mit der Menge. Meine Kollision ist echt christlich: ich werde verfolgt – weil ich gutmütig war.‘“¹⁴⁹
Durch die Corsar-Affäre ist Kierkegaard zu der Einsicht gekommen, dass ein wirklicher Christ nicht in ‚verborgener Innerlichkeit‘ unerkennbar in der Wirklichkeit des Bestehenden aufgehen, sich aber auch nicht lediglich vom Bestehenden äußerlich abgrenzen, „sondern wider die Art des Bestehenden den Gegensatz des Christlichen zur Welt auch ethisch in der wahrnehmbaren Lebensgestalt ausdrücken wird.“¹⁵⁰ Als ihm seine bisherige Grundüberzeugung, die ‚verborgene Innerlichkeit‘ sei der Ort des wahren Glaubens, zerbrach, wurde ihm deutlich, „daß wahrer Glaube rein als solcher mit dem Bestehenden zusammenstößt und Nachfolge des Herrn wird.“¹⁵¹ Mit beängstigender Konsequenz ist er in den Schriften und Aufzeichnungen seines Spätwerks „auf das Ideal des christlichen Nachfolge-Martyriums“¹⁵² zugesteuert, womit allerdings, manchem Anschein zum Trotz, keinem „undialektischen Märtyrertum das Wort“ geredet ist, denn „auch wo Kierkegaard mit noch so starken Worten davon redet, daß die innerliche Gesinnung das Leiden im Äußeren nicht scheuen darf und dieses Leiden geradezu zur Bedingung wahrhafter Innerlichkeit macht, holt er die Selbstopferung des Märtyrers doch noch in seine Theorie der Innerlichkeit ein.“¹⁵³ Es ist demnach als wahrscheinlich anzusehen, dass es im Zuge der durch die leidvollen Corsar-Erfahrungen motivierten Beschäftigung Kierkegaards mit der christlichen Erbauungsliteratur zur Rezeption des Gedankens der imitatio Christi im Spätwerk gekommen ist. Allerdings ist noch ein weiterer innerer Faktor zu
Deuser, „Kierkegaards Spätwerk als dialektische Theologie“, S.11 f.; das Zitat stammt nicht wie angegeben aus der Journalaufzeichnung NB:177 vom Frühjahr 1847, sondern aus der im Frühjahr 1849 entstandenen Journalaufzeichnung NB10:177, vgl. SKS 21, 346, NB10:177 / T 3, 205. Vgl. ferner bereits SKS 21, 109, NB7:68 und SKS 21, 178, NB8:80 / T 3, 118. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 5, S. 441 (meine Hervorhebungen); zitiert bei Tschuggnall, Das Abraham-Opfer als Glaubensparadox, S. 104. So Gerdes in der Einleitung zu BÜA, IX-XXIV, hier XIX. Deuser, „Kierkegaards Spätwerk als dialektische Theologie“, S. 11. Hauschildt, Die Ethik Søren Kierkegaards, S. 215; vgl. S. 214 ff. sowie Barnett, Kierkegaard, Pietism and Holiness, S. 201, demzufolge Kierkegaards Aneignung des Nachfolgemotivs „is not a wanton call for martyrdom, but, in the manner of his favourite Pietist Erbauungsautoren, a means of encouraging Christians to live humbly and charitably in a fallen world.“ Vgl. dagegen Knud Ejler Løgstrup, „Kritik und Verrat an Kierkegaard“, in: Sören Kierkegaard, hg. von HeinzHorst Schrey, Darmstadt 1971 (Wege der Forschung, Bd. 179), S. 451– 462, hier S. 457: „Für Kierkegaard ist Christentum, das irdische Dasein im Leiden zu ertragen und hinter sich zu lassen. Christ sein heißt, dafür zu sorgen, daß man sich verhaßt macht und verfolgt wird, oder wenigstens, wenn die Umwelt zu human dazu ist, daß man verhöhnt und verspottet wird. Kurz gesagt, Christsein heißt Märtyrer werden, und nur der Märtyrer ist Christ.“
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berücksichtigen, der auf Kierkegaards „Proklamierung des strengen Nachfolgechristentums“¹⁵⁴ nicht ohne Einfluss geblieben und interessanterweise mit seiner Lektüre der Erbauungsschriften einhergegangen ist: die intensive Beschäftigung mit Luther.¹⁵⁵ Kierkegaard hat seine Lutherkenntnis „wesentlich“¹⁵⁶ aus Luthers Predigten in der dänischen Übersetzung der Kirchen- und Hauspostillen von Jørgen Overgaard Thisted (1795 – 1855)¹⁵⁷ geschöpft,wobei er die Predigten erst ab dem Frühjahr 1848 – und zwar „der Reihe nach“¹⁵⁸, zur eigenen Erbauung – regelmäßig gelesen hat. Für die Frage nach dem Einfluss Luthers auf Kierkegaards Rezeption des Gedankens der imitatio Christi sind dabei weniger die Predigten Luthers als vielmehr die von Thisted seiner Ausgabe vorangestellte Vorrede Luthers zur Kirchenpostille von 1522¹⁵⁹ von Bedeutung, in der Luther zum ersten Mal ausdrücklich zwischen Christus als Gabe und als Vorbild unterschieden hat.¹⁶⁰ Im Verlauf seiner Auseinandersetzung mit dieser Unterscheidung ist Kierkegaard, der sich in seinen
Hermann Deuser, „Die Taten der Liebe: Kierkegaards wirkliche Ethik“, in: ders., Was ist Wahrheit anderes als ein Leben für eine Idee?, op. cit., S. 106 – 126, hier S. 119; vgl. auch S. 109. Ich habe Kierkegaards Luther-Rezeption mit ständiger Rücksicht auf diese Bedeutung Luthers an anderer Stelle ausführlicher dargestellt, und zwar in Abschnitt 5 („Kierkegaard und Luther“) meines Beitrags „Sieg über die Welt? Glaube und Wirklichkeit bei Kierkegaard und die Bedeutung Luthers für sein Verständnis der imitatio Christi“, Tagungsband des von der VELKD durchgeführten Kierkegaard-Symposiums „Christliche Existenz heute“ (Løgumkloster vom 30. August – 1. September 2013), Hannover (erscheint vsl. 2014). Vgl. ferner die in der Einleitung, Anm. 21 angegebene Literatur. So Gerdes in T 2, 262 (Anm. 186). Vgl. bereits Hermann Diem, Die Existenzdialektik von Sören Kierkegaard, Zollikon-Zürich 1950, S. 156. Martin Luther, En christelig Postille, sammendragen af Dr. Morten Luthers Kirke- og Huuspostiller, übers. von Jørgen Thisted, Bd. 1– 2, Kopenhagen 1828 (ktl. 283). Thisteds Übersetzung zugrunde liegt die von Benjamin Lindner herausgegebene Sammlung Kraft- und Saft-voller Kern derer evangelischen Wahrheiten aus der Kirchen- und denen beyden Haus-Postillen des seligen Hernn D. Martini Lutheri sorgfältig heraus gesuchet, Mit nöthigen und nützlichen Registern versehen, Bd. 1– 3, 2. Aufl., S[a]alfeld 1754. SKS 20, 349, NB4:126 / DSKE 4, 397. Vgl. „Dr. Morten Luther’s Fortale“, in: En christelig Postille, Bd. 1, S. XII-XIV (im Inhaltsverzeichnis „S. 11– 14“). Es handelt sich hierbei um eine stark gekürzte Fassung von Luthers mit „Eyn kleyn unterricht, was man ynn den Euangelijs suchen und gewartten soll“ überschriebener Vorrede zur Kirchenpostille von 1522 (vgl. WA 10/1, 8,14– 18,13), die auch der Lindner-Ausgabe von 1754 beigegeben war. Vgl. „Dr. Morten Luther’s Fortale“, S. XIII: „Christus, als eine Gabe, nährt deinen Glauben und macht dich zum Christen; aber Christus, als ein Exempel, übt deine Werke. Diese machen dich nicht zum Christen, sondern sie werden von dir gemacht, sobald du ein Christ geworden bist. Derselbe Unterschied, der nun zwischen Gabe und Exempel besteht, besteht auch zwischen Glaube und Werken“; vgl. hierzu vgl. WA 10/1, 12,17– 21.
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Journalen allein in der Zeit zwischen März 1849 und Januar 1852 ganze acht Mal auf Luthers Vorrede bezogen hat¹⁶¹, nicht nur zu einem vertieften Verständnis des Gedankens der imitatio Christi, sondern zugleich auch zu einer Durchklärung der eigenen Position gelangt. Nachdem seine erste Reaktion auf Luthers Vorrede noch kritisch und ablehnend war¹⁶², sollte Kierkegaard seine Kritik schon bald relativieren und stärker den Kontext von Luthers Position als Opposition gegen „die Irrung des Mittelalters: das Verdienstliche“¹⁶³ ins Blickfeld nehmen: „Es ist ganz richtig, was Luther in der Vorrede zur Postille über den Unterschied zwischen Christus als Exempel und als Gabe sagt. Ich weiß sehr wohl, dass ich auf Christus als Exempel hingesteuert habe. Hierbei muss jedoch in Erinnerung gebracht werden[:] Luther fand den übertriebenen Missbrauch von Christus als Exempel vor, deshalb akzentuiert er den Gegensatz. Aber jetzt hat Luther im Protestantismus längst gesiegt und Christus als Exempel in völlige Vergessenheit gebracht und eigentlich ist das Ganze eine Spiegelfechterei in der verborgenen Innerlichkeit geworden. Überdies habe ich auch gemeint, dass Christus als Exempel auf andere Weise gebraucht werden müsse als es Luther eigentlich gedacht hat, oder das Mittelalter. Christus als Exempel soll gerade den Preis so fürchterlich hinaufschrauben, dass eben das Vorbild dem Menschen lehrt, zur Gnade hinzufliehen.“¹⁶⁴
Kierkegaard sieht in Luther ein notwendiges „Korrektiv“¹⁶⁵, das aber in der Folgezeit „zum Normativen gemacht“ worden sei, bis es schließlich das Gegenteil seiner ursprünglichen Bestimmung hervorgebracht habe: „die raffinierteste Art der Weltlichkeit und des Heidentums.“¹⁶⁶ Indem man in der zeitgenössischen Christenheit den Gedanken der Nachfolge weggelassen und die Gnade eitel ge-
Vgl. SKS 21, 296 f., NB10:76 / T 3, 194 f.; SKS 21, 337, NB10:165 / T 3, 203; SKS 22, 241, NB12:162; SKS 22, 366 – 368, NB14:41 / T 4, 41 f.; SKS 23, 26, NB15:32; SKS 23, 469 f., NB20:148 / T 4, 221 f.; SKS 24, 82, NB21:132 / T 4, 243; SKS 24, 460, NB25:35; aus den Jahren 1854– 1855 die beiden Aufzeichnungen SKS 25, 315 f., NB29:28 und SKS 27, 681, Papir 582; ferner SKS 16, 244 / US, 227. Die Bedeutung von Luthers Vorrede in diesem Zusammenhang wurde m.W. zuerst im Realkommentar von SKS erkannt; ungenau dagegen Steffes, „Luther und Kierkegaard“, S. 178 und S. 181– 184. Vgl. SKS 21, 296 f., NB10:76 / T 3, 194 f. SKS 13, 46 / ZS, 52. SKS 22, 241, NB12:162. Vgl. SKS 22, 367, NB14:41 / T 4, 42; SKS 25, 279, NB28:82 / T 5, 171 f.; SKS 25, 400, NB30:22 / T 5, 212 und SKS 27, 563, Papir 455 / T 5, 370. SKS 25, 279, NB28:82 / T 5, 171 f. (meine Übers.); vgl. auch SKS 25, 400, NB30:22 / T 5, 212 sowie Kierkegaards Zeitungsartikel „‚Salt‘; thi ‚Christenhed‘ er: Christendoms Forraadnelse; ‚en christen Verden‘ er: Affaldet fra Christendommen“, Fædrelandet, 1855, Nr. 76 vom 30. März, S. 313 f. (SKS 14, 173 – 175 / Z, 44– 48), besonders S. 313 (SKS 14, 173 / Z, 44).
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nommen habe¹⁶⁷, habe „man Luthers Lehre vom Glauben das dialektische Moment genommen“ und völlig vergessen, „dass Luther den Nachdruck auf den Glauben im Gegensatz zu der phantastisch überspannten Askese legte.“¹⁶⁸ Diesem Verfall müsse gegengesteuert werden: „Es ist doch ganz klar, dass jetzt Christus als das Vorbild dialektisch ans Licht gezogen werden muss, eben weil das Dialektische, welches Luther ans Licht zog (Christus als Gabe), ganz und gar eitel genommen worden ist, so dass der ‚Nachfolger‘ in rein gar nichts dem Vorbild ähnlich, sondern absolut ungleichartig ist, und dann nur die Gnade dazwischenschiebt.“¹⁶⁹ Folgerichtig verstand Kierkegaard seine eigene Position als notwendig gewordene Modifizierung der lutherischen Position: „Luthers Bestimmung [scil. Christus als Gabe] muss, falls sie wiederholt werden soll, modifiziert werden.“¹⁷⁰ Wie diese Modifizierung der lutherischen Position aussehen soll, skizziert Kierkegaard in der Journalaufzeichnung NB25:35 von Januar 1852: „Luther ordnet es richtig so: Christus ist Gabe – dem entspricht Glaube. Danach ist er Vorbild – dem entspricht Nachfolge. Aber genauer muss man sagen: 1) Nachfolge, in Richtung auf eine entscheidende Handlung, wodurch die Situation für das Christwerden entsteht. 2) Christus als Gabe – Glaube. 3) Nachfolge als Frucht des Glaubens.“¹⁷¹ Es geht also darum, zuerst „in die Situation zu kommen, dass ich Christ werden kann“¹⁷², eine Situation der existentiellen Anstrengung, die Kierkegaard an anderen Stellen mit dem „geängstigten Gewissen“¹⁷³ identifiziert. Der „unfreiwillig“ unglücklich gewordene Mensch habe daher „weniger Schwierigkeiten“, Christ zu werden als der Glückliche. „Aber – so müsste eigentlich der menschliche Einwand lauten – ist es mir erlaubt, wenn ich zu den Glücklichen gehöre, mich selbst freiwillig derart unglücklich zu machen, dass ich dem Christentum recht Geschmack abgewinnen kann? Dies ist die Frage nach dem Freiwilligen, nach der Nachfolge Christi“¹⁷⁴. Allerdings hat Kierkegaard die ihm in der Auseinandersetzung mit Luther notwendig erscheinenden Konsequenzen für sich selbst nicht (mehr) gezogen: „die volle Nachfolge hat Kierkegaard nie für sich
Vgl. SKS 23, 470, NB20:148 / T 4, 222. SKS 21, 323, NB10:132 / T 3, 201 f. (dt. Übers. modifiziert); vgl. auch SKS 23, 469 f., NB20:148 / T 4, 221 f. Allerdings habe es auch Luther selbst an Dialektik gemangelt, vgl. SKS 23, 398, NB20:14; SKS 23, 77, NB15:111 / T 4, 108; SKS 23, 367, NB19:57 und SKS 24, 414, NB24:141. SKS 23, 26, NB15:32. SKS 24, 82, NB21:132 / T 4, 243; vgl. auch SKS 24, 381, NB24:100. SKS 24, 460, NB25:35. SKS 24, 459, NB25:35. Vgl. SKS 20, 69, NB:79 / DSKE 4, 75 f.; SKS 21, 23, NB6:26; SKS 21, 285, NB10:55 / T 3, 191; SKS 21, 316, NB10:112; SKS 25, 69 f., NB26:66; SKS 25, 129, NB27:13 / T 5, 122 f.; SKS 25, 400, NB30:22 / T 5, 212; SKS 27, 565, Papir 455 / T 5, 372. SKS 24, 459, NB25:35.
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selbst verantworten wollen“¹⁷⁵. Er ist bis zu seinem frühen Tod das bloße „‚Korrektiv‘ zur bestehenden Christenheit, das ‚bißchen Zimt‘ zu der Speise der christlichen Lehre“¹⁷⁶ geblieben. Die vorstehend skizzierten Faktoren sind als maßgeblich für die Forderung des Nachfolgechristentums in Kierkegaards Spätwerk zu betrachten, in der die im Übergang vom Früh- zum Spätwerk sich anbahnende negative Verhältnisbestimmung von Glaube und Wirklichkeit kulminiert. Kierkegaards Andersbewertung der Wirklichkeit als Bezugsobjekt des Glaubens geht mit der Andersbewertung seiner eigenen Lebenswirklichkeit einher. Angesichts dieser theologischen Verarbeitung der eigenen Lebensgeschichte musste es dem späten Kierkegaard, der sich weder im Ersten noch im Letzten mit dieser (seiner) Welt zu arrangieren gedachte, geradezu paradox erscheinen, den Glauben, wie noch zu seiner Studienzeit, als Ermöglichungsgrund einer positiven Freiheit des Menschen gegenüber der gegebenen Wirklichkeit, geschweige denn im Religiösen „die wahre Versöhnung“¹⁷⁷ mit ihr zu sehen. Ein solcher „Sieg über die Welt“¹⁷⁸, wie er im Glauben kraft einer inneren Bewegung der ‚Resignation‘ gegenüber der Wirklichkeit errungen worden ist, sollte sich für den späten Kierkegaard, wenn diese apriorische Gewissheit des Glaubens keine Konsequenzen im Äußeren – bis hin zur äußersten Konsequenz in der Nachfolge Christi hat, letztlich als Pyrrhussieg erweisen. Die Herausbildung von Kierkegaards Glaubensverständnis ist kein geschlossener Prozess, der in sich und aus sich verständlich wäre. Allerdings ist Kierkegaard bereits in seiner ‚vita ante acta‘ zu Einsichten über die Eigenart und die lebenspraktischen Konsequenzen des christlichen Glaubens gelangt, die ihn bei seinem Verständnis des Glaubens gleichsam einen Weg haben einschlagen lassen, den er dann als Schriftsteller gegangen und weitergegangen ist.
Deuser, „Kierkegaards Spätwerk als dialektische Theologie“, S. 12. Hermann Diem, Theologie als kirchliche Wissenschaft. Handreichung zur Einübung ihrer Probleme, Bd. 2, Dogmatik. Ihr Weg zwischen Historismus und Existentialismus, München 1955, S. 23 (zum ‚bisschen Zimt‘ vgl. SKS 25, 52, NB26:47 / T 5, 94). SKS 1, 330 / BI, 303 (ohne Hervorhebungen). SKS 1, 349 / BI, 325; vgl. SKS 27, 254, Papir 270 / ES, 107.
Siglen- und Literaturverzeichnis Aus Kierkegaards Werk wird zuerst die Stelle im Original und dann, soweit vorhanden, die zitierte Übersetzung nachgewiesen. – Kierkegaards Schriften werden nach folgendem Schema zitiert: Sigel (dän. Ausgabe), Bd. arabische Ziffer, S. arabische Ziffer (ggf. mit Zeilenangabe) / Einzelsigel (dt. Ausgabe), S. arabische Ziffer (z. B. SKS 1, 342 / BI, 316). – Kierkegaards Journale und Aufzeichnungen sowie Briefe werden nach folgendem Schema zitiert: SKS, Bd. arabische Ziffer, S. arabische Ziffer (ggf. mit Zeilenangabe), Aufzeichnungsnummer / Sigel (dt. Ausgabe), Bd. arabische Ziffer, S. arabische Ziffer (ggf. mit Zeilenangabe) (z. B. SKS 17, 201, CC:12 / DSKE 1, 161; SKS 19, 16,17, Not1:4 / DSKE 3, 13,19; SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50; SKS 28, 144– 146, Brev 80 / B, 63 (Nr. 39)). – Eine Ausnahme bilden Søren Kierkegaards Papirer, die nach folgendem Schema zitiert werden: Pap., Bd. römische Ziffer, Gruppe Buchstabe, Aufzeichnung arabische Ziffer (ggf. S. arabische Ziffer) / Sigel (dt. Ausgabe), Bd. arabische Ziffer, S. arabische Ziffer (z. B. Pap. III A 218, S. 183 / T 2, 234; Pap. X-6 B 69; Pap. IX B 33:3).
1 Verzeichnis der verwendeten Siglen 1.1 Kierkegaard 1.1.1 Dänische Ausgaben EP Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer, Bd. I – IX, hg. von Hans Peter Barfod und Hermann Gottsched, Kopenhagen 1869 – 81. Pap. Søren Kierkegaards Papirer, Bd. I – XI,3, hg. von Peter Andreas Heiberg, Victor Kuhr und Einer Torsting, Kopenhagen 1909 – 48; 2. erw. Ausg., Bd. I – XI,3, von Niels Thulstrup, Bd. XII-XIII Ergänzungsbände, hg. von Niels Thulstrup, Bd. XIV-XVI Index von Niels Jørgen Cappelørn, Kopenhagen 1968 – 78. SKS Søren Kierkegaards Skrifter, Bd. 1– 28, K1– K28, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Jette Knudsen, Johnny Kondrup, Alastair McKinnon und Finn Hauberg Mortensen, Kopenhagen 1997– 2013. SKS-E Søren Kierkegaards Skrifter, elektronische Ausgabe, Version 1.8, durch Karsten Kynde, Søren Kierkegaard Forskningscenteret, Kopenhagen 2013 (http://www.sks.dk).
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Siglen- und Literaturverzeichnis
1.1.2 Deutsche Ausgaben DSKE Deutsche Søren Kierkegaard Edition, Bd. 1– 11, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Hermann Deuser, Joachim Grage (ab Bd. 3) und Heiko Schulz, Berlin und New York/Boston 2005 ff. GW1 Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke, 36 Abt. in 26 Bdn. und Registerbd. (Abt. 37), übers. und hg.von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans Martin Junghans, Düsseldorf und Köln 1950 – 69. T Sören Kierkegaard, Die Tagebücher, Bd. 1– 5, übers. und hg. von Hayo Gerdes, Düsseldorf und Köln 1962– 74 (Abt. 38 in GW1). Kierkegaards Werke werden in dt. Übersetzung (GW1) mit folgenden Siglen zitiert: 2R43 Zwei erbauliche Reden 1843, Abt. 3 / Bd. 2 in GW1. 3R43 Drei erbauliche Reden 1843, Abt. 6 / Bd. 4 in GW1. 4R43 Vier erbauliche Reden 1843, Abt. 7 / Bd. 5 in GW1. 2R44 Zwei erbauliche Reden 1844, Abt. 8 / Bd. 5 in GW1. 3R44 Drei erbauliche Reden 1844, Abt. 9 / Bd. 5 in GW1. 4R44 Vier erbauliche Reden 1844, Abt. 13 / Bd. 8 in GW1. A Der Augenblick, Abt. 34 / Bd. 24 in GW1. AUN1 – 2 Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, Abt. 16/1 / Bd. 10 und 16/2 / Bd. 11 in GW1. B Briefe, Abt. 35 / Bd. 25 in GW1. BA Der Begriff Angst, Abt. 11 / Bd. 7 in GW1. BI Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, Abt. 31 / Bd. 21 in GW1. BÜA Das Buch über Adler, Abt. 36 / Bd. 26 in GW1. CR Christliche Reden 1848, Abt. 20 / Bd. 15 in GW1. CS Der Corsarenstreit, Abt. 32 / Bd. 22 in GW1. DP Die Demis-Predigt, Abt. 7 / Bd. 5 in GW1. DRG Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten 1845, Abt. 14 / Bd. 8 in GW1. EC Einübung im Christentum, Abt. 26 / Bd. 18 in GW1. EER Eine erbauliche Rede 1850, Abt. 27 / Bd. 19 in GW1. EO1 – 2 Entweder – Oder, 1. Teil und 2. Teil, Abt. 1– 2 / Bd. 1– 2 in GW1. ERG Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847, Abt. 18 / Bd. 13 in GW1. ES Erstlingsschriften, Abt. 30 / Bd. 20 in GW1. FZ Furcht und Zittern, Abt. 4 / Bd. 3 in GW1. GU Gottes Unveränderlichkeit. Eine Rede 1855, Abt. 34 / Bd. 24 in GW1. GWS Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller, Abt. 33 / Bd. 23 in GW1. HZS Der Hohepriester – der Zöllner – die Sünderin. Drei Reden beim Altargang am Freitag 1849, Abt. 25 / Bd. 17 in GW1.
1 Verzeichnis der verwendeten Siglen
JC KA KK KT LA LF LP LT PB RAF SLW US V W WCC WS Z ZKA ZS
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Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est, Abt. 10 / Bd. 6 in GW1. Kleine Aufsätze 1842 – 1851, Abt. 32 / Bd. 22 in GW1. Die Krise und eine Krise im Leben einer Schauspielerin, Abt. 21 / Bd. 16 in GW1. Die Krankheit zum Tode, Abt. 24 / Bd. 17 in GW1. Eine literarische Anzeige, Abt. 17 / Bd. 12 in GW1. Die Lilie auf dem Felde und der Vogel unter dem Himmel, Abt. 22 / Bd. 16 in GW1. Aus eines noch Lebenden Papieren, Abt. 30 / Bd. 20 in GW1. Der Liebe Tun, Abt. 19 / Bd. 14 in GW1. Philosophische Brocken, Abt. 10 / Bd. 6 in GW1. Zwei Reden beim Abendmahl am Freitag 1851, Abt. 27 / Bd. 19 in GW1. Stadien auf des Lebens Weg, Abt. 15 / Bd. 9 in GW1. Urteilt selbst, Abt. 29 / Bd. 19 in GW1. Vorworte, Abt. 12 / Bd. 7 in GW1. Die Wiederholung, Abt. 5 / Bd. 4 in GW1. Wie Christus über das amtliche Christentum urteilt, Abt. 34 / Bd. 24 in GW1. Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller, Abt. 33 / Bd. 23 in GW1. Zeitungsartikel (1854 – 1855), Abt. 34 / Bd. 24 in GW1. Zwo kleine ethisch-religiöse Abhandlungen, Abt. 23 / Bd. 16 in GW1. Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen, Abt. 28 / Bd. 19 in GW1.
1.1.3 Englische Ausgaben JP Søren Kierkegaard’s Journals and Papers, hg. und übers. von Howard V. Hong und Edna H. Hong, unter Mithilfe von Gregor Malantschuk, Bd. 1– 6, Bd. 7 Index, Bloomington und London 1967– 78. KJN Kierkegaard’s Journals and Notebooks, Bd. 1– 11, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Alastair Hannay, David Kangas, Bruce H. Kirmmse, George Pattison, Vanessa Rumble und K. Brian Söderquist, Princeton und Oxford 2007 ff. KW Kierkegaard’s Writings, übers. von Howard V. Hong und Edna H. Hong, Bd. IXXVI, Princeton 1978 – 98.
1.2 Sonstige Siglen AT-1740 Autorisierte dänische Übersetzung des Alten Testaments von 1740, in Biblia, det er: den ganske Hellige Skrifts Bøger, med Flid efterseete og
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Siglen- und Literaturverzeichnis
rettede efter Grundtexten, saa og med mange Parallelsteder og udførlige Indholdsfortegnelser forsynede, 18. Aufl., Kopenhagen 1830 (ktl. 7). B&A Breve og Aktstykker vedrørende Søren Kierkegaard, Bd. 1– 2, hg. von Niels Thulstrup, Kopenhagen 1953 – 54. B-fort. „Fortegnelse over de efter Søren Aabye Kierkegaards Død forefundne Papirer. – 1856 (24/2– 3/11) optaget af H.P. Barfod. Aalborg“, KierkegaardArchiv der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen. BSLK Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, 11. Aufl., Göttingen 1992. KA Kierkegaard-Archiv der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen. ktl. Auktionsprotokol over Søren Kierkegaards Bogsamling, hg. von Hermann Peter Rohde, Kopenhagen 1967. L-fort. „Fortegnelse over Manuscripterne af S. Kierkegaard optaget efter hans Død af Henr.[ik] Lund. d. 17. Januar 1856“, Kierkegaard-Archiv der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen. Lut84 Stuttgarter Erklärungsbibel. Die Heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers [in der revidierten Fassung von 1984]. Mit Einführungen und Erklärungen, hg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2. Aufl., Stuttgart 1999. NKS Ny kongelig Samling, Kopenhagen. NT-1819 Autorisierte dänische Übersetzung des Neuen Testaments von 1819, in Biblia, det er: den ganske Hellige Skrifts Bøger, med Flid efterseete og rettede efter Grundtexten, saa og med mange Parallelsteder og udførlige Indholdsfortegnelser forsynede, 18. Aufl., Kopenhagen 1830 (ktl. 7). TWA Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, Bd. 1– 20, auf der Grundlage der Werke von 1832– 1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1986 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 601– 620) (Theorie-Werkausgabe). WA D. Martin Luthers Werke, Bd. 1– 120, Weimar 1883 – 2009 (Weimarer Ausgabe).
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur 2.1 Quellen Abraham a Sancta Clara, Abraham a St. Clara’s…Sämmtliche Werke, Bd. 1 – 21, Passau, Lindau und Augsburg 1835 – 54 (ktl. 294 – 311).
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
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Adler, Adolph Peter, „J. L. Heiberg, det logiske System, a) Væren og Intet, b) Vorden, c) Tilværen. I Perseus Nr. 2. Kjøbenhavn 1838“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 3, 1840, S. 474 – 482. — Den isolerede Subjectivitet i dens vigtigste Skikkelser. Første Deel, Kopenhagen 1840. — Populaire Foredrag over Hegels objective Logik, Kopenhagen 1842 (ktl. 383). — Nogle Prædikener, Kopenhagen 1843 (ktl. U 9). Algreen-Ussing, Tage, „Om Danmarks Finantsforfatning“, Fædrelandet, 3. Jg., 1836, Nr. 114 vom 3. Dezember, Sp. 421 – 434. Andersen, Hans Christian, Kun en Spillemand. Original Roman i tre Dele, Kopenhagen 1837 (ktl. 1503). — En Comedie i det Grønne, Vaudeville i een Akt efter det gamle Lystspil „Skuespilleren mod sin Villie“, Kopenhagen 1840 (ktl. U 14). — Mit Livs Eventyr, Kopenhagen 1855. Anselm von Canterbury, „Proslogion seu Alloquium de Dei existentia“, in Patrologia Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Bd. 1 – 221, Paris 1844 – 65; Bd. 158, 1853, Sp. 223 – 242. Aristoteles, Aristoteles graece, hg. von Immanuel Bekker, Bd. 1 – 2, Berlin 1831 (ktl. 1074 – 75) (Bd. 1 – 2 in Aristotelis Opera, hg. von Academia Regia Borus[s]ica, Bd. 1 – 5, Berlin 1831 – 1870). — Aristoteles latine interpretibus variis, Berlin 1831 (ktl. 1076) (Bd. 3 in Aristotelis Opera). — Analytica posteriora, übers. und erläutert von Wolfgang Detel, in Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 3, Teil 2,1, hg. von Ernst Grumach und Hellmut Flashar, Berlin 1993. — Aristoteles’ Metaphysik, griechisch-deutsch, Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz, griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ, hg. von Horst Seidl, 1. Halbbd. (I-VI), 3. Aufl., Hamburg 1989; 2. Halbband (VII-XIV), 3. Aufl., Hamburg 1991. Baader, Franz von, Fermenta Cognitionis, Heft 1 – 5, Berlin 1822 – 24 (ktl. 394). — Vorlesungen, gehalten an der Königlich-Bayerischen Ludwig-Maximilians-Hochschule über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen, älterer und neuer Zeit, Heft 1, Einleitender Theil oder vom Erkennen überhaupt, München 1827 (ktl. 395). — Vorlesungen über speculative Dogmatik, Heft 1, Stuttgart und Tübingen 1828; Heft 2 – 5, Münster 1830 – 38 (ktl. 396). — Philosophische Schriften und Aufsätze, Bd. 1 – 2, Münster 1831 – 32 (ktl. 400 – 401). — Ueber die Incompetenz unsrer dermaligen Philosophie, zur Erklärung der Erscheinungen aus dem Nachtgebiete der Natur, Stuttgart 1837 (ktl. 411). — Ueber den Paulinischen Begriff des Versehenseins des Menschen im Namen Jesu vor der Welt Schöpfung, Heft 1 – 3, Würzburg 1837 (ktl. 409 – 410 und 413). — Franz von Baader’s sämmtliche Werke. Systematisch geordnete, durch reiche Erläuterungen von der Hand des Verfassers bedeutend vermehrte, vollständige Ausgabe der gedruckten Schriften sammt dem Nachlasse, der Biographie und dem Briefwechsel, hg. von Franz Hoffmann et al., Bd. 1 – 16, Leipzig 1851 – 60. Baggesen, Jens Immanuel, Aus Jens Baggesen’s Briefwechsel mit Karl Leonhard Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi, hg. von Karl und August Baggesen, Bd. 1 – 2, Leipzig 1831. Balle, Nicolai Edinger, Lærebog i den evangelisk-christelige Religion, indrettet til Brug i de danske Skoler, Kopenhagen 1791 (vgl. ktl. 183). Bastholm, Christian, Den Christelige Religions Hoved-Lærdomme til almindelig Opbyggelse, 2. Aufl., Kopenhagen 1797 [1783].
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Siglen- und Literaturverzeichnis
— [Autobiographie (1806)] in Portræter med Biographier af Danske, Norske og Holsteenere, hg. von Gerhard Ludvig Lahde, Heft 1 – 6, Kopenhagen 1805 – 06; Heft 5, Christian Bastholm, Doctor og Kongelig Confessionarius. Bauer, Bruno (Hg.), Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 1 – 3 (1836 – 38) (ktl. 354 – 357). Baur, Ferdinand Christian, Die christliche Gnosis oder die christliche Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Entwi[c]klung, Tübingen 1835 (ktl. 421). — Das Christliche des Platonismus oder Sokrates und Christus. Eine religionsphilosophische Untersuchung, Tübingen 1837 (ktl. 422). — „Det Christelige i Platonismen eller Sokrates og Christus. En religions-philosophisk Undersøgelse af Dr. Ferdinand Christian Baur, Professor i den evangeliske Theologie ved Universitetet i Tübingen. 1837“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (ktl. U 29), Bd. 5, 1837, S. 485 – 533. — Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung von der ältesten Zeit bis auf die neueste, Tübingen 1838 (ktl. 423). Berlingske Tidende, 1840, Nr. 148 vom 30. Juni. Boesen, Emil, [Brief an Martin Hammerich vom 20. Juli 1838], in: Weltzer, Carl, „Stemninger og Tilstande i Emil Boesens Ungdomsaar“, in Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 7. Reihe, Bd. 1, Kopenhagen 1951 – 53, S. 408 – 414. Bornemann, Johan Alfred, „De autonomia conscientiæ sui humanæ, in theologiam dogmaticam nostri temporis introducta. Scripsit Ioh. Martensen. Haun. 1837. p. 135“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 1 – 40 (Heft 1). Bouterwek, Friedrich, Der Religion der Vernunft. Ideen zur Beschleunigung der Fortschritte einer haltbaren Religionsphilosophie, Göttingen 1824. Bretschneider, Karl Gottlieb, Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 3. Aufl., Bd. 1 – 2, Leipzig 1828 (ktl. I 25 – 26); 4. Aufl., Bd. 1 – 2, Leipzig 1838 (ktl. 437 – 438). Bruun, Niels Thoroup, Skuespilleren imod sin Villie eller Comedien paa Landet. Lystspil i een Act, Kopenhagen 1809. Clausen, Henrik Nicolai, Quatuor evangeliorum tabulae synopticae, Kopenhagen 1829 (ktl. 467). — „Sendebrev til Udgiveren“, in Nyt theologisk Bibliothek, Bd. 1 – 20, hg. von Jens Møller, Kopenhagen 1821 – 32 (ktl. 336 – 345); Bd. 16, Kopenhagen 1830, S. 280 – 300. — Udvikling af de christelige Hovedlærdomme, Kopenhagen 1844 (ktl. 253). — Fortolkning af de synoptiske Evangelier, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1850 (ktl. 106 – 107). — Den Augsburgske Confession, oversat og belyst ved historisk-dogmatisk Udvikling, übers. und hg. von dems., Kopenhagen 1851 (ktl. 387). — Christelig Troeslære, Kopenhagen 1853 (ktl. 256). — Optegnelser om mit Levneds og min Tids Historie, Kopenhagen 1877. Daub, Carl, „Die Form der christlichen Dogmen- und Kirchen-Historie“, Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 1, 1836, Heft 1, S. 1 – 60, Heft 2, S. 63 – 132; Bd. 2, 1837, Heft 1, S. 88 – 161. — D. Carl Daub’s philosophische und theologische Vorlesungen, hg. von Philipp Konrad Marheineke und Theodor Wilhelm Dittenberger, Bd. 1 – 7, Berlin 1838 – 44 (ktl. 472 – 472 g). David, Christian Nathan, „Om det projecterede Stats-Laan“, Fædrelandet, 3. Jg., 1837, Nr. 126 vom 25. Februar, Sp. 625 – 648. Descartes, René, Renati Des-Cartes opera philosophica, editio ultima, Amsterdam 1677 – 78 (ktl. 473). Dorvigny, Louis Archambault, La fête de campagne, ou l’intendant, comédien malgré lui; comédie-épisodique en un acte, en prose et en vers, Paris 1784.
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
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Eiríksson, Magnús, Om Baptister og Barnedaab, samt flere Momenter af Den kirkelige og speculative Christendom, Kopenhagen 1844. — Speculativ Rettroenhed, fremstillet efter Dr. Martensens „christelige Dogmatik“, og Geistlig Retfærdighed, belyst ved en Biskops Deeltagelse i en Generalfiskal-Sag, Kopenhagen 1849. — [Theophilus Nicolaus], Er Troen et Paradox og „i Kraft af det Absurde“? et Spørgsmaal foranlediget ved „Frygt og Bæven, af Johannes de silentio“, besvaret ved Hjelp af en Troes-Ridders fortrolige Meddelelser, til fælles Opbyggelse for Jøder, Christne og Muhamedanere, af bemeldte Troes-Ridders Broder, Kopenhagen 1850. Erdmann, Johann Eduard, „Pantheismus die Grundlage der Religion“, Zeitschrift für spekulative Theologie (ktl. 354 – 357), Bd. 1, 1836, Heft 2, S. 133 – 157. — Vorlesungen über Glauben und Wissen als Einleitung in die Dogmatik und Religionsphilosophie gehalten und auf den Wunsch seiner Zuhörer herausgegeben, Berlin 1837 (ktl. 479). — Leib und Seele. Ein Beitrag zur Begründung der philosophischen Anthropologie, Halle 1837 (ktl. 480). — „Ueber Widersprüche unter den christlichen Glaubenslehren“, Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 3, Heft 1, 1837, S. 1 – 48. — Grundriss der Psychologie, Leipzig 1840 (ktl. 481). — Psychologische Briefe, Leipzig 1852 (ktl. 484). — Grundriss der Geschichte der Philosophie, Bd. 1 – 2, Berlin 1866. Eschenmayer, Carl August, Psychologie in drei Theilen als empirische, reine und angewandte, 2. Aufl., Stuttgart und Tübingen 1822. Feuerbach, Ludwig, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit aus den Papieren eines Denkers, nebst einem Anhang theologisch-satyrischer Xenien, herausgegeben von einem seiner Freunde, Nürnberg 1830. — Geschichte der neuen Philosophie, Ansbach 1837 (ktl. 487). — Das Wesen des Christentums, Leipzig 1841; 2. Aufl., Leipzig 1843 (ktl. 488). — Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Zürich und Winterthur 1843. Fibiger, Johannes, Mit Liv og Levned som jeg selv har forstaaet det, hg. von Karl Gjellerup, Kopenhagen 1898. Fichte, Immanuel Hermann, Sätze zur Vorschule der Theologie, Stuttgart und Tübingen 1826 (ktl. 501). — Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie. Erster kritischer Theil, Heidelberg 1832. — Grundzüge zum Systeme der Philosophie, Abt. 1, Das Erkennen als Selbsterkennen, Heidelberg 1833 (ktl. 502); Abt. 2, Die Ontologie, Heidelberg 1836 (ktl. 503). — „Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion, nebst einer Schrift über die Beweise vom Daseyn Gottes, herausgegeben von Dr. Ph. Marheinecke. 2 Bände. Berlin 1832“, Heidelberger Jahrbücher der Literatur, Bd. 26, 1833, Nr. 55, S. 880; Nr. 56, S. 881 – 896; Nr. 57, S. 897 – 907; Nr. 62, S. 978 – 992; Nr. 63, S. 993 – 1008; Nr. 64, S. 1009 – 1010. — Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer, Elberfeld 1834 (ktl. 505). — Ueber die Bedingungen eines spekulativen Theismus; in einer Beurtheilung der Vorrede Schellings zu dem Werke von Cousin: über französische und deutsche Philosophie, Elberfeld 1835 (ktl. 506).
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Siglen- und Literaturverzeichnis
— (Hg.), Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie bzw. Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik (ab 1847), Bd. 1 – 20/I (1837 – 48) und Bd. 23 – 27/I (1853 – 55) (ktl. 877 – 911). — „Spekulation und Offenbarung“, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 1, 1837, Heft 1, S. 1 – 31. — „Speculation og Aabenbaring“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (ktl. U 29), Bd. 5, 1837, S. 747 – 777. — „Aphorismen über die Zukunft der Theologie, in ihrem Verhältnisse zu Spekulation und Mythologie“, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 3, 1839, S. 199 – 285. — und Ulrici, Hermann, „Ankündigung der vom Jahre 1847 an erscheinenden Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, als Fortsetzung der Fichteschen Zeitschrift für Philosophie und speculative Theologie. (Als Vorwort des neuen Jahrgangs.)“, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 17, 1847, S. 1 – 6. Fichte, Johann Gottlieb, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer, Leipzig 1794. — Die Bestimmung des Menschen, Berlin 1825; Berlin 1838 (ktl. 500). Fortlage, Karl, „Die Schopenhauer’sche Philosophie. Briefe über die Schopenhauer’sche Philosophie. Von Julius Frauenstädt. Leipzig, Brockhaus. 1854“, Blätter für literarische Unterhaltung, 1854, Nr. 12 vom 16. März, S. 205 – 209. Frauenstädt, Julius, Briefe über die Schopenhauer’sche Philosophie, Leipzig 1854 (ktl. 515). Goethe, Johann Wolfgang von, Goethe’s Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1 – 60, Stuttgart und Tübingen 1828 – 42 (ktl. 1641 – 1668). Goldschmidt, Meïr Aron (Hg.), Corsaren, 1846, Nr. 289 vom 3. April. Görres, Joseph, Die christliche Mystik, Bd. 1 – 4 (Bd. 4 in 2 Abteilungen), Regensburg 1836 – 42 (ktl. 528 – 532). Göschel, Carl Friedrich, Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenserkenntniß. Ein Beytrag zum Verständnisse der Philosophie unserer Zeit, Berlin 1829. — „Die neue Unsterblichkeitslehre. Gespräch einer Abendgesellschaft, als Supplement zu Wielands Euthanasia. Herausgg. von Dr. Friedr. Richter, von Magdeburg. Breslau, bei Georg Friedrich Aderholz. 1833. 79 S. kl. 8.“, Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, 1834, Bd. 1, Artikel I, Nr. 1, Sp. 1 – 4; Nr. 2, Sp. 9 – 16; Nr. 3, Sp. 17 – 21; Artikel II, Nr. 17, Sp. 131 – 135; Nr. 18, Sp. 137 – 144; Nr. 19, Sp. 145 – 147. — Von den Beweisen für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele im Lichte der spekulativen Philosophie, Berlin 1835. Grundtvig, Nicolai Frederik Severin, Kort Begreb af Verdens Krønike i Sammenhæng, Kopenhagen 1812. — Kort Begreb af Verdens Krønike, betragtet i Sammenhæng, Kopenhagen 1814. — Udsigt over Verdens-Krøniken fornemmelig i det Lutherske Tidsrum, Kopenhagen 1817. — Kirkens Gienmæle mod Professor Theologiæ Dr. H. N. Clausen, Kopenhagen 1825. — „Om Christendommens Sandhed“, Theologisk Maanedsskrift (ktl. 346 – 351), Bd. 6, 1826, S. 18 – 38, S. 117 – 153, S. 212 – 244; Bd. 7, 1826, S. 1 – 30, S. 226 – 275; Bd. 8, 1827, S. 223 – 251; Bd. 9, 1827, S. 30 – 62, S. 97 – 148. — Christelige Prædikener eller Søndags-Bog, Bd. 1 – 3, Kopenhagen 1827 – 30 (ktl. 222 – 224). — Skribenten Nik. Fred. Sev. Grundtvigs Literaire Testamente, Kopenhagen 1827.
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
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— „Nye Skrifter om Troes-Regelen i den Christne Kirke“, Theologisk Maanedsskrift, Bd. 12, 1828, S. 29 – 84 (I); S. 130 – 158 (II). — Om den Clausenske Injurie-Sag, Kopenhagen 1831. — Nordens Mythologi eller Sindbilled-Sprog, 2. Aufl., Kopenhagen 1832 (ktl. 1949). — Haandbog i Verdens-Historien. Efter de bedste Kilder, Bd. 1 – 3, Kopenhagen 1833 – 43. — „Om Daabspagten, det Theologiske Seminarium og Hr. Stiftsprovst Clausen“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 5 vom 2. Februar. — Om Sogne-Baandets Løsning og Hr. Professor Clausen, Kopenhagen 1834. — Tale til Folkeraadet om Dansk Kirkefrihed savnet, Kopenhagen 1839. — „Kirkelige Oplysninger især for Lutherske Christne“, Nordisk Tidsskrift for christelig Theologi, Bd. 1, 1840, S. 1 – 48 (I); Bd. 2, 1840, S. 171 – 207 (II); Bd. 4, 1842, S. 13 – 42 (III). — „Samtaler om den Christelige Børnelærdom“, Dansk Kirketidende, Bd. 5, 1849, Nr. 215 vom 17. November, Sp. 97 – 111. — „Mine Christelige Grund-Sætninger“, Dansk Kirketidende, Bd. 8, 1853, Nr. 428 vom 4. Dezember, Sp. 817 – 832. — Nik. Fred. Sev. Grundtvigs udvalgte Skrifter, hg. von Holger Begtrup, Bd. 1 – 10, Kopenhagen 1904 – 09. — N.F.S. Grundtvigs Prædikener 1822 – 26 og 1832 – 39, hg. von Christian Thodberg, Bd. 1 – 12, Kopenhagen 1983 – 86. Guerike, Heinrich Ernst Ferdinand, Handbuch der Kirchengeschichte, 3. Aufl., Bd. 1 – 2, Halle 1838 [1833] (ktl. 158 – 159). Gyllembourg, Thomasine, „Fortællingen om Lieutnanten og Lydia“, Kjöbenhavns flyvende Post, 1827, Nr. 4, 6, 9, 12 – 19, 42 – 43 und 58 – 59. — „Den magiske Nøgle“, Kjöbenhavns flyvende Post, 1828, Nr. 34 – 41. — „En Hverdags-Historie“, Kjöbenhavns flyvende Post, 1828, Nr. 69 – 76. — Noveller, gamle og nye, af Forfatteren til „En Hverdags-Historie.“, hg. von Johan Ludvig Heiberg, Bd. 1 – 3, Kopenhagen 1833 – 34. — Nye Fortællinger af Forfatteren til „En Hverdags-Historie“, hg. von Johan Ludvig Heiberg, Bd. 1 – 3, Kopenhagen 1835 – 36 (ktl. U 46). — To Tidsaldre. Novelle af Forfatteren til „En Hverdags-Historie.“, hg. von Johan Ludvig Heiberg, Kopenhagen 1845 (ktl. 1563). — Samlede Skrifter af Forf. til „En Hverdags-Historie,“ Fru Gyllembourg-Ehrensvärd, Bd. 1 – 12, 2. Aufl., Kopenhagen 1866 – 67. Hamann, Johann Georg, Hamann’s Schriften, Bd. 1 – 6, hg. von Friedrich Roth, Berlin 1821 – 24; Bd. 7, Leipzig 1825; Bd. 8,1 – 2 (Register), hg. von Gustav Adolph Wiener, Berlin 1842 – 43 (ktl. 536 – 544). — Sämtliche Werke, hg. von Josef Nadler, Bd. 1 – 6, Wien 1949 – 57. Hase, Karl August, Kirkehistorie. Lærebog nærmest for akademiske Forelæsninger, übers. von Christian Winther und Peter Theodor Schorn, Kopenhagen 1837 (ktl. 160 – 166). — (Hg.), Hutterus redivivus oder Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche. Ein dogmatisches Repertorium für Studirende, 4. Aufl., Leipzig 1839 (ktl. 581). — (Hg.), Libri symbolici ecclesiae evangelicae sive Concordia, Leipzig 1827; 2. Aufl., Leipzig 1837 (ktl. 624). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der Logik, Bd. 1.1 – 2 und Bd. 2, Nürnberg 1812 – 16. — Phänomenologie des Geistes, hg. von Johannes Schulze, Berlin 1832 (ktl. 550).
442
Siglen- und Literaturverzeichnis
— Philosophische Abhandlungen, hg. von Karl Ludwig Michelet, Berlin 1832 (ktl. 549). — Vorlesungen über die Philosophie der Religion, hg. von Philipp Konrad Marheineke, Bd. 1 – 2, Berlin 1832; 2. Aufl., Berlin 1840 (ktl. 564 – 565). — Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, hg. von Eduard Gans, Berlin 1833 (ktl. 551). — Wissenschaft der Logik, hg. von Leopold von Henning, Bd. 1.1 – 2 und Bd. 2, Berlin 1833 – 34 (ktl. 552 – 554). — Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, hg. von Karl Ludwig Michelet, Bd. 1 – 3, Berlin 1833 – 36 (ktl. 557 – 559). — Vermischte Schriften, hg. von Friedrich Förster und Ludwig Boumann, Bd. 1 – 2, Berlin 1834 – 35 (ktl. 555 – 556). — Vorlesungen über die Aesthetik, hg. von Heinrich Gustav Hotho, Bd. 1 – 3, Berlin 1835 – 38 (ktl. 1384 – 1386). — Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, hg. von Eduard Gans, Berlin 1837; 2. Aufl., hg. von Karl Hegel, Berlin 1840. — Philosophische Propädeutik, hg. von Karl Rosenkranz, Berlin 1840 (ktl. 560). — Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften, hg. von Leopold von Henning, Karl Ludwig Michelet und Ludwig Boumann, Bd. 1 – 3, Berlin 1840 – 45 (ktl. 561 – 563). — Werke, Bd. 1 – 20, auf der Grundlage der Werke von 1832 – 1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1986 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 601 – 620) (TWA). — Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik. Erstes Buch. Das Sein (1812), neu hg. von Hans-Jürgen Gawoll, Hamburg 1986 (Philosophische Bibliothek, Bd. 375). — Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Erster Band. Die Lehre vom Sein (1832), neu hg. von Hans-Jürgen Gawoll, Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek, Bd. 385). — Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817), hg. von Wolfgang Bonsiepen und Klaus Grotsch, Hamburg 2000 (Gesammelte Werke, Bd. 13). Heiberg, Johan Ludvig, Om den menneskelige Frihed. I Anledning af de nyeste Stridigheder over denne Gjenstand, Kiel 1824. — Der Zufall, aus dem Gesichtspunkte der Logik betrachtet. Als Einleitung zu einer Theorie des Zufalls, Kopenhagen 1825. — „Svar paa Hr. Prof. Oehlenschlägers Skrift: ‚Om Kritiken i Kjøbenhavns flyvende Post, over Væringerne i Miklagard‘“, Kjöbenhavns flyvende Post, 1828, Artikel I, Nr. 7 (25. Januar), [S. 37 – 40]; Artikel II, Nr. 8 (28. Januar), [S. 41 – 44]; Artikel III, Nr. 10 (4. Februar), [S. 50 – 52]; Artikel IV, Nr. 11 (8. Februar), [S. 54 – 56]; Artikel V, Nr. 12 (11. Februar), [S. 59 f.]; Artikel VI, Nr. 13 (15. Februar), [S. 61 – 64]; Artikel VII, Nr. 14 (18. Februar), [S. 65 – 68]; Artikel VIII, Nr. 15 (22. Februar), [S. 69 – 72]; Artikel IX, Nr. 16 (25. Februar), [S. 73 – 76]. — Grundtræk til Philosophiens Philosophie eller den speculative Logik. Som Ledetraad ved Forelæsninger paa den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1832 [auch erschienen als: Ledetraad ved Forelæsningerne over Philosophiens Philosophie eller den speculative Logik ved den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1831 – 32]. — Om Philosophiens Betydning for den nuværende Tid. Et Indbydelses-Skrift til en Række af philosophiske Forelæsninger, Kopenhagen 1833 (ktl. 568). — Indlednings-Foredrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1835.
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
443
— (Hg.), Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 1 – 2, Kopenhagen 1837 – 38 (ktl. 569). — „Til Læserne“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 1, 1837, S. V-XIV. — „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds-og Forsoningslære“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 1, 1837, S. 1 – 89. — „Det logiske System. Første Afhandling, indeholdende: Paragrapherne 1 – 23“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 2, 1838, S. 1 – 45. — Fata Morgana, Kopenhagen 1838 (ktl. 1561). — „Om Malerkunsten i dens Forhold til de andre skjønne Kunster“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Nr. 2, 1838, S. 101 – 181 (ktl. 569). — „En logisk Bemærkning i Anledning af H. H. Hr. Biskop Dr. Mynsters Afhandling om Rationalisme og Supranaturalisme, i forrige Hefte af dette Tidskrift“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 441 – 456 (Heft 5). — Nye Digte, Kopenhagen 1841 (ktl. 1562). — Prosaiske Skrifter, Bd. 1 – 3, Kopenhagen 1841 – 43 (Bd. 3, ktl. 1560). — „Fortale“, in Prosaiske Skrifter, Bd. 1, 1841, S. V-XVIII. — „Litterær Vintersæd“, Intelligensblade, Bd. 2, 1843, Nr. 24 vom 1. März, S. 285 – 292. — Prosaiske Skrifter, Bd. 1 – 11, Kopenhagen 1861 – 62. Helweg, Hans Friedrich [Helveg, Frederik], „Hegelianismen i Danmark“, Dansk Kirketidende, 1855, Nr. 51 vom 16. Dezember, Sp. 825 – 837; Nr. 52 vom 23. Dezember, Sp. 841 – 852. Hornemann, Claus Frees, Afhandlinger henhørende til Philosophie, Moral og Theologie, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1817 – 23. Hostrup, Jens Christian, Erindringer fra min Barndom og Ungdom, Kopenhagen 1891. Hume, David, Philosophical Essays Concerning Human Understanding, London 1748 [deutsch: Philosophische Versuche über die Menschliche Erkenntniß, übers. von Johann Georg Sulzer, Hamburg und Leipzig 1755 (Vermischte Schriften, Bd. 2)]. Høegh-Guldberg, Ove, En omvendt Fritænkers Levnets-Beskrivelse, Kopenhagen 1760. — Den aabenbarede Theologie eller den Hellige Skriftes Hoved-Lærdomme, 2. Aufl., Kopenhagen 1778 [1773]. Jacobi, Friedrich Heinrich, Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, Bd. 1 – 6, hg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 1812 – 25 (ktl. 1722 – 1728). — Werke. Gesamtausgabe, hg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Hamburg und Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 ff. Kant, Immanuel, Die Religion innerhalb der bloßen Vernunft, Königsberg 1793; 2. Aufl., Königsberg 1794. Kierkegaard, Peter Christian, „Betragtninger over Forholdet mellem Martensen og S. Kierkegaard“, Dansk Kirketidende, Bd. 5, 1849, Nr. 219 vom 16. Dezember, Sp. 171 – 193. Kierkegaard, Søren Aabye, „Ogsaa et Forsvar for Qvindens høie Anlæg“ [Noch eine Verteidigung der hohen Anlage der Frau], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblade, 1834, Nr. 34 vom 17. Dezember. — „Kjøbenhavnspostens Morgenbetragtninger i Nr. 43“ [Die Morgenbetrachtungen in Nr. 43 der Kjøbenhavnsposten], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblade, 1836, Nr. 76 vom 18. Februar. — „Om Fædrelandets Polemik“ [Zur Polemik von Fædrelandet], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblade, 1836, Nr. 82 vom 12. März, Sp. 1 – 8 (I); Nr. 83 vom 15. März, Sp. 1 – 4 (II). — „Til Hr. Orla Lehmann“ [An Hrn. Orla Lehmann], Kjöbenhavns flyvende Post. Interimsblade, 1836, Nr. 87 vom 10. April.
444
Siglen- und Literaturverzeichnis
— „Aabenbart Skriftemaal“ [Öffentliche Beichte], Fædrelandet, 1842, Nr. 904 vom 12. Juni, Sp. 7245 – 7252. — „Taksigelse til Hr. Professor Heiberg“ [Danksagung an Hrn. Professor Heiberg], Fædrelandet, 1843, Nr. 1168 vom 5. März, Sp. 9373 – 9376. — „En lille Forklaring“ [Eine kleine Erklärung], Fædrelandet, 1843, Nr. 1236 vom 16. Mai, Sp. 9921 f. — „En omreisende Æsthetikers Virksomhed, og hvorledes han dog kom til at betale Gjæstebudet“ [Die Tätigkeit eines herumreisenden Ästhetikers, und wie er doch die Zeche bezahlen musste], Fædrelandet, 1845, Nr. 2078 vom 27. Dezember, Sp. 16653 – 16658. — „Det dialektiske Resultat af en literair Politi-Forretning“ [Der dialektische Erfolg eines literarischen Polizeiunternehmens], Fædrelandet, 1846, Nr. 9 vom 10. Januar, Sp. 65 – 68. — „‚Salt‘; thi ‚Christenhed‘ er: Christendoms Forraadnelse; ‚en christen Verden‘ er: Affaldet fra Christendommen“ [‚Salz‘; denn ‚Christenheit‘ ist: die Fäulnis des Christentums; ‚eine christliche Welt‘ ist: der Abfall vom Christentum], Fædrelandet, 1855, Nr. 76 vom 30. März, S. 313 f. — Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer, Bd. I – IX, hg. von Hans Peter Barfod und Hermann Gottsched, Kopenhagen 1869 – 81 (EP). — Søren Kierkegaards Papirer, Bd. I – XI,3, hg. von Peter Andreas Heiberg, Victor Kuhr und Einer Torsting, Kopenhagen 1909 – 48; 2. erw. Ausg., Bd. I – XI,3, von Niels Thulstrup, Bd. XII – XIII Ergänzungsbände, hg. von Niels Thulstrup, Bd. XIV – XVI Index von Niels Jørgen Cappelørn, Kopenhagen 1968 – 78 (Pap.). — Der Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, übers. von Wilhelm Kütemeyer, München 1929. — Værker i Udvalg, mit Einleitungen und Texterklärungen hg. von Frederik Julius Billeskov Jansen, Bd. 1 – 4, Kopenhagen 1950. — Breve og Aktstykker vedrørende Søren Kierkegaard, Bd. 1 – 2, hg. von Niels Thulstrup, Kopenhagen 1953 – 54 (B&A). — Existenz im Glauben. Aus Dokumenten, Briefen und Tagebüchern Sören Kierkegaards, übers. von Liselotte Richter, Berlin 1956. — Gesammelte Werke, 36 Abt. in 26 Bdn. und Registerbd. (Abt. 37), übers. und hg. von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans Martin Junghans, Düsseldorf und Köln 1950 – 69. — Søren Kierkegaards Dagbøger, ausgewählt und kommentiert von Peter P. Rohde, Bd. 1 – 4, Kopenhagen 1961 – 64. — Die Tagebücher, Bd. 1 – 5, übers. und hg. von Hayo Gerdes, Düsseldorf und Köln 1962 – 74 (T). — Sören Kierkegaard. Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, hg. von Hermann Diem und Walter Rest, München 1976 (dtv-bibliothek, Bd. 6070). — Philosophiske Smuler, 4. Aufl., Kopenhagen 1995 [1977] (mit einem Kommentar von Niels Thulstrup). — Søren Kierkegaards Skrifter, Bd. 1 – 28, K1 – K28, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Jette Knudsen, Johnny Kondrup, Alastair McKinnon und Finn Hauberg Mortensen, Kopenhagen 1997 – 2013 (SKS). — Deutsche Søren Kierkegaard Edition, Bd. 1 – 11, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Hermann Deuser, Joachim Grage (ab Bd. 3) und Heiko Schulz, Berlin und New York/Boston 2005 ff. (DSKE). Kotzebue, August von, Der Schauspieler wider Willen. Ein Lustspiel in einem Act, Leipzig 1803.
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
445
Kjøbenhavns kongelig alene privilegerede Adressecomptoirs Efterretninger (Adresseavisen), 1839, Nr. 111 vom 14. Mai; Nr. 135 vom 12. Juni. Kjøbenhavnsposten, 1836, Nr. 94 vom 29. März, S. 375 – 378. Leibniz, Gottfried Wilhelm, God. Guil. Leibnitii opera philosophica quae exstant latina gallica germanica omnia, hg. von Johann Eduard Erdmann, Bd. 1 – 2 (mit fortlaufender Paginierung), Berlin 1839 – 40 (ktl. 620). — Herrn Gottfried Wilhelms, Freyherrn von Leibnitz, Theodicee, das ist, Versuch von der Güte Gottes, Freyheit des Menschen, und vom Ursprunge des Bösen, hg. von Johann Christoph Gottsched, 5. Ausg., Hannover und Leipzig 1763 (ktl. 619). Lessing, Gotthold Ephraim, Gotthold Ephraim Lessings sämmtliche Schriften, Bd. 1 – 30, Berlin 1771 – 94. — Gotthold Ephraim Lessing’s sämmtliche Schriften, Bd. 1 – 32, Berlin 1825 – 28 (ktl. 1747 – 1762). — Lessings Werke, Bd. 1 – 8, Donauöschingen 1822 – 23. Lindberg, Jacob Christian, Den danske Kirkes symbolske Böger, oversatte og udgivne i Anledning af den augsborgske Confessions tredie Jubelfest, Kopenhagen 1830. — Historiske Oplysninger om den danske Kirkes symbolske Bøger, Kopenhagen 1830. — „Om Hans Høiærværdigheds Hr. Biskop Dr. R. Møllers og Hr. Pastor C. C. Boisens offentlige Yttringer om Daabs-Pagten“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 11 [vom 16. März], Sp. 164 – 176 (I); Nr. 12 [vom 23. März], Sp. 177 – 191 (II); Nr. 13 [vom 30. März], Sp. 219 – 224 (III); Nr. 14 [vom 6. April], Sp. 225 – 234 (IV); Nr. 16 [vom 20. April], Sp. 257 – 284 (V). — „En Bemærkning angaaende de tre Troes-Artikler, af Ambrosius Erkebiskop i Mailand“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 23 [vom 8. Juni], Sp. 396 – 398. — „Om den christne Troes-Bekjendelses Form i den sidste Udgave af den danske Alterbog“, Den Nordiske Kirke-Tidende, Bd. 2, 1834, Nr. 49 [vom 7. Dezember], Sp. 817 – 832 (I); Nr. 50 [vom 14. Dezember], Sp. 844 – 848 (II). Luther, Martin, Kraft- und Saft-voller Kern derer evangelischen Wahrheiten aus der Kirchenund denen beyden Haus-Postillen des seligen Hernn D. Martini Lutheri sorgfältig heraus gesuchet, Mit nöthigen und nützlichen Registern versehen, hg. von Benjamin Lindner, Bd. 1 – 3, 2. Aufl., S[a]alfeld 1754. — En christelig Postille, sammendragen af Dr. Morten Luthers Kirke- og Huuspostiller, übers. von Jørgen Thisted, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1828 (ktl. 283). — D. Martin Luthers Werke, Bd. 1 – 120, Weimar 1883 – 2009 (Weimarer Ausgabe). — Luthers Werke. Volksausgabe in acht Bänden, hg. von Georg Buchwald et al., 2. Aufl., Bd. 6, Berlin 1898. Marheineke, Philipp Konrad, Geschichte der teutschen Reformation, Bd. 1 – 4, Berlin 1816 – 34. — Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, 2. Aufl., Berlin 1827 [1819] (ktl. 644). — Institutiones symbolicae, doctrinarum Catholicorum, Protestantium, Socinianorum, ecclesiae Graecae, minorumque societatum Christianarum summam et discrimina exhibentes, 3. Aufl., Berlin 1830 (ktl. 645). — Lehrbuch des christlichen Glaubens und Lebens für denkende Christen und zum Gebrauch in den oberen Klassen an den Gymnasien, 2. Aufl., Berlin 1836 [1823] (ktl. 257; vgl. ktl. 646). — „Uebersichtliche Einleitung in die praktische Theologie“, Zeitschrift für spekulative Theologie, Bd. 2, 1837, S. 162 – 191.
446
Siglen- und Literaturverzeichnis
— „Vorrede“, in D. Carl Daub’s philosophische und theologische Vorlesungen, Bd. 6, Berlin 1841, S. V-XX. — Lærebog i christelig Tro og Levnet for tænkende Christne, übers. von M. Mørch Hansen, Kopenhagen 1842 [1823] (ktl. 646). — Zur Kritik der Schellingschen Offenbarungsphilosophie. Schluß der öffentlichen Vorlesungen über die Bedeutung der Hegelschen Philosophie in der christlichen Theologie, Berlin 1843 (ktl. 647). — „Kirkens Reform ved Staten“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (ktl. U 29), Bd. 12, 1844, S. 342 – 404. — D. Philipp Marheineke‘s theologische Vorlesungen, hg. von Stephan Matthies und Wilhelm Vatke, Bd. 1 – 4, Berlin 1847 – 49. Martensen, Hans Lassen, Ueber Lenau’s Faust, Stuttgart 1836. — „Indledningsforedrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Høiskole. Af J. L. Heiberg, Lærer i Logik og Æsthetik ved den kgl. militaire Høiskole. 42 S. 8“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 16, 1836, S. 515 – 528. — „Betragtninger over Ideen af Faust. Med Hensyn paa Lenaus Faust“, Perseus. Journal for den speculative Idee, Nr. 1, 1837, S. 91 – 164. — De autonomia conscientiæ sui humanæ, in theologiam dogmaticam nostri temporis introducta, Kopenhagen 1837 [dänisch: Den menneskelige Selvbevidstheds Autonomie i vor Tids dogmatiske Theologie, übers. von Lauritz Vilhelm Petersen, Kopenhagen 1841; deutsch: Die Autonomie des menschlichen Selbstbewußtseins in der dogmatischen Theologie unsrer Zeit, übers. von Anonymus, Kiel 1844]. — „Fata Morgana, Eventyr-Comedie af Johan Ludvig Heiberg. 1838. 125 S. 8. Kjøbenhavn. Schubothes Boghandling“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, S. 361 – 397. — „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii i Anledning af H. H. Biskop Mynsters Afhandling herom i dette Tidskrifts forrige Hefte“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 456 – 473 (Heft 5). — „Philosophisk Beskedenhed i Kjøbenhavnsposten“, Fædrelandet, Bd. 1, 1840, Nr. 50 vom 29. Januar, Sp. 259 – 261. — „Erklæring“, Fædrelandet, Bd. 1, 1840, Nr. 56 vom 4. Februar, Sp. 315 – 316. — Mester Eckart. Et Bidrag til at oplyse Middelalderens Mystik, Kopenhagen 1840 (ktl. 649) [deutsch: Meister Eckart. Eine theologische Studie, Hamburg 1842]. — Grundrids til Moralphilosophiens System, Kopenhagen 1841 (ktl. 650). — „Nye Digte af J. L. Heiberg (1841. 8. 249 S. Reitzel.)“, Fædrelandet, 1841, Nr. 398 – 400 vom 10. bis 12. Januar, Sp. 3205 – 3224. — Den christelige Daab betragtet med Hensyn paa det baptistiske Spørgsmaal, Kopenhagen 1843 (ktl. 652). — Die christliche Taufe und die baptistische Frage, übers. von Anonymus, Hamburg und Gotha 1843. — „Nutidens religiøse Crisis“, Intelligensblade, Bd. 1, 1842, Nr. 3 (15. April), S. 53 – 73. — Den christelige Dogmatik, Kopenhagen 1849 (ktl. 653). — Dogmatiske Oplysninger. Et Leilighedsskrift, Kopenhagen 1850 (ktl. 654). — Til Erindring om J. P. Mynster, Kopenhagen 1855. — Om Tro og Viden. Et Leilighedsskrift, Kopenhagen 1867. — Af mit Levnet. Meddelelser, Abt. 1, Kopenhagen 1882; Abt. 2 – 3, Kopenhagen 1883 [deutsch: Aus meinem Leben. Mittheilungen, übers. von Alexander Michelsen, Abt. 1, Karlsruhe und Leipzig 1883; Abt. 2 – 3, Karlsruhe und Leipzig 1884].
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
447
— Between Hegel and Kierkegaard. Hans L. Martensen’s Philosophy of Religion, übers. und hg. von Curtis L. Thompson und David Kangas, Atlanta 1997. Melanchthon, Philipp, Confessio Augustana invariata, Kopenhagen 1817 (ktl. 469). — Den rette uforandrede Augsburgske Troesbekjendelse med sammes, af Ph. Melanchthon forfattede, Apologie, übers. und hg. von Andreas Gottlob Rudelbach, Kopenhagen 1825 (ktl. 386). — Den Augsburgske Confession, oversat og belyst ved historisk-dogmatisk Udvikling, übers. und hg. von Henrik Nicolai Clausen, Kopenhagen 1851 (ktl. 387). Möhler, Johann Adam, Athanasius der Grosse und die Kirche seiner Zeit, besonders im Kampfe mit dem Arianismus, Bd. 1 – 6, Mainz 1827 (ktl. 635 – 636). Müller, Julius, „C.F. Göschel‘s neuere Schriften“, Theologische Studien und Kritiken, Bd. 6, 1833, S. 1069 – 1104. — „Bemærkninger angaaende den Hegelske Philosophies Forhold til den christelige Tro“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (ktl. U 29), Bd. 2, 1834, S. 85 – 106. Müller, Peter Erasmus, Kristeligt Moralsystem, Kopenhagen 1808; 2. Aufl., Kopenhagen 1827. — Kristelig Apologetik eller Videnskabelig Udvikling af Grundene for Kristendommens Guddommelighed, Kopenhagen 1810. — System i den christelige Dogmatik til Brug ved academiske Forelæsninger, Kopenhagen 1826. Mynster, Christian Ludvig Nicolai (Hg.), Breve fra J. P. Mynster, Kopenhagen 1860. — Af efterladte Breve til J. P. Mynster, Kopenhagen 1862. — Breve fra og til F. C. Sibbern, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1866. — Nogle Blade af J. P. Mynster’s Liv og Tid, Kopenhagen 1875. — Nogle Erindringer og Bemærkninger om J. P. Mynster, Kopenhagen 1877. Mynster, Jakob Peter, Prædikener paa alle Søn- og Hellig-Dage i Aaret, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1823; 3. Aufl. 1837 (ktl. 229 – 230). — Kleine theologische Schriften, Kopenhagen 1825. — Prædikener, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1826 – 32 (ktl. 228). — Grundrids af den almindelige Psychologie, Kopenhagen 1830. — Om Begrebet af den christelige Dogmatik, Kopenhagen 1831. — „Om den religiøse Overbeviisning, (Bemærkninger, tilfældigen foranledigede)“, Dansk Ugeskrift, Bd. 3, 1833, Nr. 76 – 77, S. 241 – 258. — Betragtninger over de christelige Troeslærdomme, Bd. 1 – 2, 2. Aufl. 1837 [1833] (ktl. 254 – 255). — „Rationalisme. Supranaturalisme“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 249 – 268 (Heft 4). — „De principio logico exclusi medii inter contradictoria non negligendo commentatio, qua ad audiendam orationem…invitat…Jo. Fr. Herbart. Gottingæ 1833. 29 S. 8. / De principiorum contradictionis, identitatis, exclusi tertii in logicis dignitate et ordine commentatio. Scripsit J. H. Fichte. Bonnæ 1840. 31 S. 8.“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 7, 1842, S. 325 – 352. — Blandede Skrivter, Bd. 1 – 6 (Bd. 4 – 6 hg. von Just Henrik Voltelen Paulli), Kopenhagen 1852 – 57. — Meddelelser om mit Levnet, hg. von J.P. Mynster, Kopenhagen 1854. — [Brief an Wolf Frederik Engelbreth vom 22. Oktober 1830], in Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 4. Reihe, Bd. 4, Kopenhagen 1895 – 97, S. 713.
448
Siglen- und Literaturverzeichnis
— J. P. Mynsters Visitatsdagbøger 1835 – 1853, hg. von Bjørn Kornerup, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1937. Møller, Jens, „Fortale“, in Theologisk Bibliothek, Bd. 1 – 20, hg. von dems., Kopenhagen 1811 – 21 (ktl. 326 – 335); Bd. 1, 1811, S. V-X. — „Dr. Franz Volkmar Reinhards Bekjendelser om sine Prædikener og sin Dannelse til Præst“, in Theologisk Bibliothek, Bd. 2, 1812, S. 232 – 312. — „Om Ubilligheden i de tvende theologiske Partiers Domme“, in Nyt theologisk Bibliothek, Bd. 1 – 20, hg. von dems., Kopenhagen 1821 – 32 (ktl. 336 – 345); Bd. 15, 1829, S. 182 – 302. — (Hg.) Dr. Wilhelm Münschers Lærebog i den christelige Kirkehistorie til Brug ved Forelæsninger, übers. von Frederik Münter, umgearbeitet und neu hg. von dems., Kopenhagen 1831 (ktl. 168). — „Professor, Dr. theol. Jens Møllers Optegnelser om sit Levned“, hg. von Holger Frederik Rørdam, in Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 4. Reihe, Bd. 4, Kopenhagen 1895 – 97, S. 246 – 289. Møller, Poul Martin, „Om Poesie og Konst i Almindelighed, med Hensyn til alle Arter deraf, dog især Digte-, Maler-, Billedhugger- og Skuespillerkonst; eller: Foredrag over almindelig Æsthetik og Poetik. Af Dr. Frederik Christian Sibbern, Professor i Philosophien. Første Deel. Kiøbenhavn. Paa Forfatterens Forlag, trykt hos Fabritius de Tengnagel. 1834.“, Dansk Literatur-Tidende for Aaret 1835, Nr. 12, S. 181 – 194; Nr. 13, S. 205 – 209. — „Nye Fortællinger af Forfatteren til en Hverdagshistorie. Udgivne af Johan Ludvig Heiberg. Andet Bind: Extremerne. Kjøbenhavn. Paa Universitets-Boghandler Reitzels Forlag, trykt hos J. D. Qvist, Bog- og Nodetrykker. 1835. 223 S. 8“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 15, 1836, S. 135 – 163. — „Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed, med Hensyn til den nyeste derhen hørende Literatur“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 17, 1837, S. 1 – 72 (I) und S. 422 – 453 (II). — Efterladte Skrifter af Poul M. Møller, Bd. 1 – 3, hg. von Christian Winther, F.C. Olsen und Christen Thaarup, Kopenhagen 1839 – 43 (ktl. 1574 – 1576). Neander, August, Geschichte der Pflanzung und Leitung der christlichen Kirche durch die Apostel, als selbstständiger Nachtrag zu der allgemeinen Geschichte der christlichen Religion und Kirche, Bd. 1 – 2, Hamburg 1832 – 33. Nielsen, Frederik, Minder. Oplevelser og Iagttagelser, Aalborg 1881. Nielsen, Rasmus, De speculativa historiæ sacræ tractandæ methodo, Kopenhagen 1840 (ktl. 697) [dänisch: Den speculative Methodes Anvendelse paa den hellige Historie, übers. von B.C. Bøggild, Kopenhagen 1842]. — Pauli Brev til Romerne, Kopenhagen 1841. — Den speculative Logik i dens Grundtræk, Heft 1 – 4, Kopenhagen 1841 – 44. Ploug, Carl, „Akademicum, en Episode af Studenterlivet for 40 Aar siden. Et Foredrag i Studenterforeningen“, Illustreret Tidende, Bd. 24, 1883, Nr. 1224 vom 11. März, S. 294 – 296; Nr. 1225 vom 18. März, S. 309 – 312. Reinhard, Franz Volkmar, Geständnisse seine Predigten und seine Bildung zum Prediger betreffend in Briefen an einen Freund, Sulzbach 1810. Rosenkranz, Karl, Encyklopädie der theologischen Wissenschaften, Halle 1831 (ktl. 35). — Erinnerungen an Karl Daub, Berlin 1837 (ktl. 743). — Psychologie oder die Wissenschaft vom subjectiven Geist, Königsberg 1837 (ktl. 744).
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— „Eine Parallele zur Religionsphilosophie“, Zeitschrift für spekulative Theologie (ktl. 354 – 357), Bd. 2, 1837, Heft 1, S. 1 – 31. — „Erindringer om Karl Daub“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (ktl. U 29), Bd. 5, 1837, S. 534 – 576. Rosenstand-Goiske, Peder, Billige Frie-Tanker over ubillig Frie-Tænkeri, Kopenhagen 1753. — En omvendt Fritænkers Levnets-Beskrivelse, Kopenhagen 1760. Rothe, Valdemar Henrik, Læren om Treenighed og Forsoning. Et speculativt Forsøg i Anledning af Reformationsfesten, Kopenhagen 1836 (ktl. 746). Rudelbach, Andreas Gottlob (Hg.), Den rette uforandrede Augsburgske Troesbekjendelse med sammes, af Ph. Melanchthon forfattede, Apologie, übers. von dems., Kopenhagen 1825 (ktl. 386). Schaller, Julius, Die Philosophie unserer Zeit. Zur Apologie und Erläuterung des Hegelschen Systems, Leipzig 1837 (ktl. 758). — Der historische Christus und die Philosophie. Kritik der Grundidee des Werks das Leben Jesu von Dr. D. F. Strauss, Leipzig 1838 (ktl. 759). Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freyheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände“, in F. W. J. Schelling’s philosophische Schriften, Bd. 1, Landshut 1809 (ktl. 763), S. 397 – 511. — „Einleitung in die Philosophie der Offenbarung oder Begründung der positiven Philosophie“, in Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, Bd. 1 – 14 in 2 Abt. (1. Abt.: Bd. 1 – 10; 2. Abt.: Bd. 1 – 4), Stuttgart und Augsburg 1856 – 61. Schiødte, Andreas Ferdinand, „Et Par Ord til nærmere Overveielse angaaende de tre saakaldte logiske Principer“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 2, 1839, S. 120 – 128. Schlegel, Friedrich, Lucinde. Ein Roman, 2. unv. Ausg., Stuttgart 1835. Schleiermacher, Friedrich, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin 1799; 3. Aufl., Berlin 1821 (ktl. A I 40) (zitiert nach Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), hg. von Günter Meckenstock, Berlin und New York 2001 [1999]). — Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Bd. 1 – 2, Berlin 1821 – 22. — Der christliche Glaube nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2. Aufl., Bd. 1 – 2, Berlin 1830 – 31 (vgl. ktl. 258) (zitiert nach Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1830/31), Nachdruck der 7. Aufl., hg. von Martin Redeker, Berlin und New York 1999 [1960]). — Schleiermachers Vertraute Briefe über die Lucinde, mit einer Vorrede von Karl Gutzkow, Hamburg 1835. Sibbern, Frederik Christian, Menneskets aandelige Natur og Væsen. Et Udkast til en Psychologie, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1819 – 28. — Om Erkjendelse og Granskning. Til Indledning i det academiske Studium, Kopenhagen 1822. — „Ueber das Verhältniß des christlichen Glaubens zum philosophischen Erkennen“, Theologische Zeitschrift, Bd. 3, 1822, S. 74 – 120. — Philosophiskt Archiv og Repertorium, Heft 1 – 4, Kopenhagen 1829 – 30.
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Siglen- und Literaturverzeichnis
— Om Poesie og Konst i Almindelighed, med Hensyn til alle Arter deraf, dog især Digte-, Maler-, Billedhugger-, og Skuespillerkonst; eller, Foredrag over almindelig Æsthetik og Poetik, Kopenhagen 1834. — „Perseus, Journal for den speculative Idee. Udgiven af Johan Ludvig Heiberg. Nr. 1, Juni 1837. Kjøbenhavn. Reitzels Forlag. XIV og 264 S. 8. Priis 1 Rbd. 84 Skill. – (Med stadigt Hensyn til Dr. Rothes: ‚Læren om Treenighed og Forsoning. Et speculativt Forsøg i Anledning af Reformationsfesten.‘)“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, Nr. 4, Artikel I, S. 283 – 360; Nr. 5, Artikel II, S. 424 – 460; Nr. 6, Artikel III, S. 546 – 582; Bd. 20, 1838, Nr. 1, Artikel IV, S. 20 – 60; Nr. 2, Artikel V, S. 103 – 136; Nr. 3, Artikel VI, S. 193 – 244; Nr. 4, Artikel VII, S. 293 – 308; Nr. 5, Artikel VIII, S. 405 – 449. — Bemærkninger og Undersøgelser, fornemmelig betreffende Hegels Philosophie, betragtet i Forhold til vor Tid, Kopenhagen 1838 (ktl. 778). — Breve til og fra F.C. Sibbern, hg. von Christian Ludvig Nicolai Mynster, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1866. Spinoza, Baruch de, Benedicti de Spinoza opera philosophica omnia, hg. von August Friedrich Gfrörer, Stuttgart 1830 (ktl. 788). Stang, Christian Franz Gottlieb, Martin Luther. Sein Leben und Wirken, Stuttgart 1838 (ktl. 790). Steffens, Henrich, Indledning til philosophiske Forelæsninger, Kopenhagen 1803. Strauß, David Friedrich, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. 1 – 2, Tübingen 1835 – 36. — „Jesu Liv, kritisk bearbeidet af D. F. Strauß, Dr. Phil. 2 Dele. Tübingen 1835 – 1836“, Tidsskrift for udenlandsk theologisk Litteratur (ktl. U 29), Bd. 4, 1836, S. 80 – 221. — „Verschiedene Richtungen innerhalb der Hegel’schen Schule in Betreff der Christologie“, in: ders., Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie, Heft 1 – 3 (in 1 Bd.), Tübingen 1838; Heft 3, S. 95 – 126. — Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft dargestellt, Bd. 1 – 2, Tübingen und Stuttgart 1840 – 41. — Fremstilling af den christelige Troeslære i dens historiske Udvikling og i dens Kamp med den moderne Videnskab, übers. von Hans Brøchner, Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1842 – 43 (ktl. 803 – 804). Tauler, Johannes, Johann Tauler’s Nachfolgung des armen Lebens Christi, hg. von Nikolaus Casseder, Frankfurt am Main 1821 [1621] (ktl. 282). Trendelenburg, Friedrich Adolf, Logische Untersuchungen, Bd. 1 – 2, Berlin 1840 (ktl. 843). — Die logische Frage in Hegel’s System. Zwei Streitschriften, Leipzig 1843 (ktl. 846). Tryde, Eggert Christopher, „Om Philosophiens Betydning for den nuværende Tid. Et Indbydelses-Skrift til en Række af philosophiske Forelæsninger. Af Johan Ludvig Heiberg. Kbhavn. 54 S. 8“, Dansk Litteratur-Tidende, 1833, Nr. 41, S. 649 – 660; Nr. 42, S. 681 – 692; Nr. 43, S. 697 – 704. — „Svar fra Anmelderen af Professor Heibergs Skrivt, ‚Om Philosophiens Betydning for den nuværende Tid‘, paa Forfatterens Erklæring i Litteraturtidenden No. 46“, Dansk Litteratur-Tidende, 1833, Nr. 49, S. 820 – 828. Wegscheider, Julius, Institutiones Theologiae Christianae Dogmaticae, 6. Aufl., Halle 1829 (ktl. I 27). Weiße, Christian Hermann, „Die drei Grundfragen der gegenwärtigen Philosophie. Mit Bezug auf die Schrift: Die Philosophie unserer Zeit. Zur Apologie und Erläuterung des
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
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Hegelschen Systemes. Von Dr. Julius Schaller. Leipzig, Hinrichs. 1837“, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, Bd. 1, 1837, S. 67 – 114. — Die evangelische Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet, Bd. 1 – 2, Leipzig 1838. Werder, Karl, Logik. Als Commentar und Ergänzung zu Hegels Wissenschaft der Logik, Berlin 1841 (ktl. 867). Wette, Wilhelm Martin Leberecht de, Lærebog i den christelige Sædelære og sammes Historie, übers. von Carl Emil Scharling, Kopenhagen 1835 [1833] (ktl. 871).
2.2 Hilfsmittel Andet Tillæg til Athenæums Hovedkatalog, den 31te December 1850, Kopenhagen 1851. Auktionsprotokol over Søren Kierkegaards Bogsamling, hg. von Hermann Peter Rohde, Kopenhagen 1967 (ktl.). Barfod, Hans Peter, „Fortegnelse over de efter Søren Aabye Kierkegaards Død forefundne Papirer. – 1856 (24/2 – 3/11) optaget af H.P. Barfod. Aalborg“, Kierkegaard-Archiv der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen (B-fort). Bergstrøm-Nielsen, Henrik; Lange, Henrik; Larsen, Henry Verner, Dansk-tysk ordbog, Kopenhagen 1991 (Munksgaard store ordbøger). „Bestemmelser angaaende Udlaanet fra Athenæums Bibliothek, vedtagne i Generalforsamlingen den 23de Mai 1839“, in Første Tillæg til Athenæums Hovedcatalog, den 31. December 1840, Kopenhagen 1841 (ohne Paginierung). Biblia, det er: den ganske Hellige Skrifts Bøger, med Flid efterseete og rettede efter Grundtexten, saa og med mange Parallelsteder og udførlige Indholdsfortegnelser forsynede, 18. Aufl., Kopenhagen 1830 (AT-1740 / NT-1819) (ktl. 7). Biblia sacra ex Sebastiani Castellionis interpretatione eiusque postrema recognitione praecipue in usum studiosae iuventutis denuo evulgata, Leipzig 1778 (ktl. 2). Campe, Joachim Heinrich, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 1 – 5, Braunschweig 1807 – 11. Cappelørn, Niels Jørgen et al., Skriftbilleder. Søren Kierkegaards journaler, notesbøger, hæfter, ark, lapper og strimler, Kopenhagen 1996. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, 11. Aufl., Göttingen 1992 (BSLK). Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments, nach der deutschen Uebersetzung D. Martin Luthers. Mit einer Vorrede vom Prälaten Dr. Hüffell, Carlsruhe und Leipzig 1836 (ktl. 3). Evangelisk-kristelig Psalmebog, til Brug ved Kirke- og Huus-Andagt, Kopenhagen 1798 (vgl. ktl. 195 – 197). Forordnet Alter-Bog for Danmark, Kopenhagen 1830 [1688] (ktl. 381). Forordnet Alter-Bog udi Dannemark og Norge, hvori findes de nyelig allernaadigst giorte Forbedringer, Kopenhagen 1812. Første Tillæg til Athenæums Hovedkatalog, den 31te December 1848, Kopenhagen 1849. Fortegnelse over Selskabet Athenæums Bogsamling, Kopenhagen 1834 – 41. Fortegnelse over Studenterforeningens Bogsamling, Kopenhagen 1833 – 41.
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Siglen- und Literaturverzeichnis
Grimm, Jacob und Grimm, Wilhelm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1 – 16 in 32 Teilbdn., Leipzig 1854 – 1960. Helms, Svenn Henrik, Ny fuldstændig Ordbog i det Danske og det Tydske Sprog. Tilligemed et kort Udtog af begge Sprogs Formlære, Bd. 1 – 2, Leipzig 1858. Himmelstrup, Jens, „Terminologisk Register“, in: Søren Kierkegaard, Samlede Værker, 2. Aufl., Bd. I-XV, hg. von Anders Björn Drachmann, Johan Ludvig Heiberg und Hans Ostenfeldt Lange, Kopenhagen 1920 – 36; Bd. XV, S. 509 – 770. — Søren Kierkegaard. International Bibliografi, hg. in Zusammenarbeit mit Kjeld BirketSmith, Kopenhagen 1962. Jørgensen, Aage, Søren Kierkegaard Literature 1956 – 2006. A Bibliography, Kopenhagen 2008. — „Søren Kierkegaard Literature 1956 – 2006. A Bibliography. Supplement, Including Entries from 2007 – 2011“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2012, S. 389 – 507. Knapp, Georg Christian (Hg.), H KAINH DIAΘHKH. Novum Testamentum graece, 4. Aufl., Bd. 1 – 2, Halle 1829 [1797] (ktl. 14 – 15). Lund, Henrik, „Fortegnelse over Manuscripterne af S. Kierkegaard optaget efter hans Død af Henr.[ik] Lund. d. 17. Januar 1856“, Kierkegaard-Archiv der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen (L-fort). Meyer, Ludvig, Fremmedord-Bog, eller kortfattet Lexikon over fremmede, i det danske Skrift- og Omgangs-Sprog forekommende Ord, Konstudtryk og Talemaader; tilligemed de i danske Skrifter mest brugelige, fremmede Ordforkortelser, 2. Aufl., Kopenhagen 1844 (ktl. 1034). — Fremmedordbog eller Kortfattet Lexikon over fremmede, i det danske Skrift- og Omgangs-Sprog forekommende Ord, Kunstudtryk og Talemaader, tilligemed de i danske Skrifter meest brugelige fremmede Ordforkortelser, 3. Aufl., hg. von Frederik Peter Jacob Dahl, Kopenhagen 1853 (ktl. 1035). Ordbog over det Danske Sprog, begründet von Verner Dahlerup, hg. von Det Danske Sprog- og Litteraturselskab, Bd. 1 – 28, Kopenhagen 1919 – 56. Stuttgarter Erklärungsbibel. Die Heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers [in der revidierten Fassung von 1984]. Mit Einführungen und Erklärungen, hg. von der Ev. Kirche in Deutschland, 2. Aufl., Stuttgart 1999 (Lut84). The Auction Catalogue of Kierkegaard’s Library, hg. von Katalin Nun, Gerhard Schreiber und Jon Stewart, Farnham und Burlington (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 20) (erscheint vsl. 2014). Watkin, Julia, A Key to Kierkegaard’s Abbreviations and Spelling/Nøgle til Kierkegaards forkortelser og stavemåde, hg. von Alastair McKinnon, Montreal und Kopenhagen 1981.
2.3 Sekundärliteratur Althaus, Paul, Die Theologie Martin Luthers, 6. Aufl., Gütersloh 1983. Ammundsen, Valdemar, Søren Kierkegaards Ungdom. Hans Slægt og hans religiøse Udvikling, Kopenhagen 1912. Andersen, Vilhelm, Poul Møller. Hans Liv og Skrifter. Efter trykte og utrykte Kilder. I Hundreaaret for hans Fødsel, Kopenhagen 1894. — Art. „Grundtvig, Nicolai Frederik (døbt Frideric) Severin“, in Dansk biografisk Leksikon, begründet von Carl Frederik Bricka, hg. von Povl Engelstoft unter Mitwirkung von Svend Dahl, Bd. 1 – 27, Kopenhagen 1933 – 44; Bd. 8, 1936, S. 356 – 379.
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Anz, Heinrich et al. (Hg.), Kierkegaard und die deutsche Philosophie seiner Zeit. Vorträge des Kolloquiums am 5. und 6. November 1979, München und Kopenhagen 1980. — et al. (Hg.), Die Rezeption Sören Kierkegaards in der deutschen und dänischen Philosophie und Theologie. Vorträge des Kolloquiums am 22. und 23. März 1982, München und Kopenhagen 1983. Anz, Wilhelm, „Philosophie und Glaube bei Sören Kierkegaard“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 51, 1954, S. 50 – 105. — Kierkegaard und der deutsche Idealismus, Tübingen 1956. — „Schleiermacher und Kierkegaard. Übereinstimmung und Differenz“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 82, 1985, S. 409 – 429. Arildsen, Skat, Biskop Hans Lassen Martensen. Hans Liv, Udvikling og Arbejde, Kopenhagen 1932. — „Bidrag til Belysning af Forholdet mellem Teologerne Henrik Nicolai Clausen (1793 – 1877) og Peter Erasmus Müller (1776 – 1834)“, Personalhistorisk Tidsskrift, 10. Reihe, Bd. 3, 1936, S. 114 – 131. Arlaud, Oscar, Bevingede Ord. De i daglig Tale og i Skriftsproget hyppigst anvendte Citater, Kopenhagen 1906. Arndt, Andreas, Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994 (Paradeigmata, Bd. 15). — „‚Neue Unmittelbarkeit‘. Zur Aktualisierung eines Konzepts in der Philosophie des Vormärz“, in Philosophie und Literatur im Vormärz. Der Streit um die Romantik (1820 – 1854), hg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1995 (Philosophisch-literarische Streitsachen, Bd. 4), S. 207 – 233. — „Die anfangende Reflexion. Anmerkungen zum Anfang der Wissenschaft der Logik“, in Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven, hg. von dems. und Christian Iber, Berlin 2000, S. 126 – 139. — Unmittelbarkeit, Bielefeld 2004 (Bibliothek dialektischer Grundbegriffe). Asmuth, Christoph, „Hegel und der Anfang der Wissenschaft“, in Die Grenzen der Sprache. Sprachimmanenz – Sprachtranszendenz, hg. von dems., Friedrich Glauner und Burkhard Mojsisch, Amsterdam und Philadelphia 1998, S. 175 – 202. Astner, Aurelia, Kierkegaard und der Pietismus, Innsbruck 2009 (zugleich Diss., Univ. Innsbruck, 2004). Aulén, Gustav, „Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens“, Zeitschrift für Systematische Theologie, Bd. 8, 1931, S. 501 – 538. Baagø, Kaj, Jacob Christian Lindberg. Studier over den grundtvigske bevægelses første kampe, Kopenhagen 1958. — Vækkelse og kirkeliv i København og omegn i første halvdel af det 19. århundrede, Kopenhagen 1960. Baeumer, Max L., „Hamanns Verwendungstechnik von Centonen und Conzetti aus der antiken, jüdischen und christlichen Literatur“, in Johann Georg Hamann. Acta des Internationalen Hamann-Colloquiums in Lüneburg 1976, hg. von Bernhard Gajek, Frankfurt am Main 1979, S. 117 – 134. Banning, Knud, „Det teologiske Fakultet 1732 – 1830“, in Københavns Universitet 1479 – 1979, Bd. 5, Det teologiske Fakultet, hg. von Leif Grane, Kopenhagen 1980, S. 213 – 323. Barnett, Christopher B., „Nicolai Edinger Balle: The Reception of His Lærebog in Denmark and in Kierkegaard’s Authorship“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II,
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469
— „‚Like a Voice in the Wilderness‘: Magnús Eiríksson’s Tenacious Critique of Martensen— and Martensen’s ‚Lofty Silence‘“, in Hans Lassen Martensen. Theologian, Philosopher and Social Critic, hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2012 (Danish Golden Age Studies, Bd. 6), S. 155 – 191. — „Lebensanschauung und Glaube beim jungen Kierkegaard“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2012, S. 171 – 200. — und Kleinert, Markus,, „Einleitung“, in Søren Kierkegaard, Ausgewählte Journale, Bd. 1, hg. von dens., Berlin und Boston 2013, S. XI-XX. — „Kierkegaard’s Account of Faith as ‚The New Immediacy‘“, Filozofia, Bd. 68, 2013, S. 27 – 37. — „Die philosophische Verflüchtigung des Glaubensbegriffs. Kierkegaards Auseinandersetzung mit Immanuel Hermann Fichte“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2013, S. 345 – 376. — „Leap“, in Kierkegaard’s Concepts, hg. von Steven Emmanuel, William McDonald und Jon Stewart, Tome IV, Farnham und Burlington (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 15) (erscheint vsl. November 2014). — „Sieg über die Welt? Glaube und Wirklichkeit bei Kierkegaard und die Bedeutung Luthers für sein Verständnis der imitatio Christi“, Tagungsband des von der VELKD durchgeführten Kierkegaard-Symposiums „Christliche Existenz heute“ (Løgumkloster vom 30. August – 1. September 2013), Hannover (erscheint vsl. 2014). — The Auction Catalogue of Kierkegaard’s Library, hg. von Katalin Nun, Gerhard Schreiber und Jon Stewart, Farnham und Burlington (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 20) (erscheint vsl. 2014). Schröer, Henning, Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem. Eine Untersuchung zu Kierkegaard und der neueren Theologie als Beitrag zur theologischen Logik, Göttingen 1960 (zugleich Diss., Univ. Heidelberg, 1959). — „Kierkegaard und Luther“, Kerygma und Dogma, Bd. 30, 1984, S. 227 – 248. — „Wie verstand Kierkegaard Schleiermacher?“, in Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984, hg. von Kurt-Victor Selge, Bd. 1 – 2, Berlin und New York 1985; Bd. 2, S. 1147 – 1155. — Art. „Kierkegaard, Søren Aabye (1813 – 1855)“, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1 – 36, hg. von Gerhard Müller et al., Berlin und New York 1976 – 2004; Bd. 18, 1989, S. 138 – 155. — Art. „Paradox II. Theologisch“, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 25, 1995, S. 731 – 37. Schückler, Georg, Die Existenzkategorie der „Wiederholung“ dargestellt am Werk Sören Kierkegaard‘s, Diss., Univ. Bonn, 1952. Schulz, Heiko, Eschatologische Identität. Eine Untersuchung über das Verhältnis von Vorsehung, Schicksal und Zufall bei Sören Kierkegaard, Berlin und New York 1994 (zugleich Diss., Univ. Wuppertal, 1993) (Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 63). — „Kierkegaard über Hegel. Umrisse einer kritisch-polemischen Aneignung“, Kierkegaardiana, Bd. 21, 2000, S. 152 – 178. — „Second Immediacy. A Kierkegaardian Account of Faith“, in Immediacy and Reflection in Kierkegaard’s Thought, hg. von Paul Cruysberghs et al., Leuven 2003 (Louvain Philosophical Studies, Bd. 17), S. 71 – 86. — „Die spekulative Verflüchtigung des Christentums. Philipp Marheinekes System der christlichen Dogmatik und seine Rezeption bei Søren Kierkegaard“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 20 – 47.
470
Siglen- und Literaturverzeichnis
— Aneignung und Reflexion, Bd. 1, Studien zur Rezeption Søren Kierkegaards, Berlin und Boston 2011 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 24). — „Die Welt bleibt immer dieselbe. Typologisch orientierende Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte Søren Kierkegaards“, in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 1, S. 3 – 26. — „Traces of Hegelian Psychology and Theology: Søren Kierkegaard and Karl Rosenkranz“ (2007), in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 1, S. 349 – 384. — „‚Gott selbst ist ja dies: welcherart man sich mit ihm einlässt.‘ Subjektivität und Objektivität dogmatischer Reflexion bei Søren Kierkegaard“, in Dialektik der Freiheit. Religiöse Individualisierung und theologische Dogmatik, hg. von Hermann Deuser und Saskia Wendel, Tübingen 2012 (Religion in Philosophy and Theology, Bd. 63), S. 65 – 84. — Aneignung und Reflexion, Bd. 2, Studien zur Philosophie und Theologie Søren Kierkegaards, Berlin und Boston 2014 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 28). — „Kierkegaard and the Problem of Miracles“, in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 2, S. 452 – 490. — „Das entfallene Herz. Zur Dialektik der Anfechtung bei Søren Kierkegaard“, in: ders., Aneignung und Reflexion, Bd. 2, S. 491 – 512. Schwab, Philipp, Der Rückstoß der Methode. Kierkegaard und die indirekte Mitteilung, Berlin und Boston 2012 (zugleich Diss., Univ. Freiburg, 2009) (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 25). Schweppenhäuser, Hermann, Kierkegaards Angriff auf die Spekulation. Eine Verteidigung, Frankfurt am Main 1967. Seat, Leroy Kay, The Meaning of „Paradox“. A Study of the Use of the Word „Paradox“ in Contemporary Theological and Philosophical Writings with Special Reference to Søren Kierkegaard, Th.D.-thesis, Southern Baptist Theological Seminary, 1967. Slenczka, Reinhard, Art. „Glaube VI. Reformation/Neuzeit/Systematisch-theologisch“, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1 – 36, hg. von Gerhard Müller et al., Berlin und New York 1976 – 2004; Bd. 13, 1984, S. 318 – 365. Sløk, Johannes, „En Studie i Søren Kierkegaards Erkendelsesteori“, Teologisk Tidsskrift, Bd. 1, 1941, S. 45 – 56. — Die Anthropologie Kierkegaards, Kopenhagen 1954. — „Kierkegaard og Luther“, Kierkegaardiana, Bd. 2, 1957, S. 7 – 24. — Da Kierkegaard tav. Fra forfatterskab til kirkestorm, Kopenhagen 1980. — Christentum mit Leidenschaft. Ein Weg-Weiser zur Gedankenwelt Søren Kierkegaards, übers. von Ulrich Panzer, München 1990. Smith, Fritze, Bidrag til doktordisputatsens historie ved Københavns Universitet, Kopenhagen 1950. Smith, Ronald Gregor, „Hamann and Kierkegaard“, Kierkegaardiana, Bd. 5, 1964, S. 52 – 67. Smyth, John Vignaux, A Question of Eros. Irony in Sterne, Kierkegaard, and Barthes, Tallahassee, FL 1986 (Kierkegaard and Postmodernism, [Bd. 2]). Söderquist, K. Brian, „Kierkegaard’s Contribution to the Danish Discussion of ‚Irony‘“, in Kierkegaard and His Contemporaries. The Culture of Golden Age Denmark, hg. von Jon Stewart, Berlin und New York 2003 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 10), S. 78 – 105. — „Irony and Humor in Kierkegaard’s Early Journals. Two Responses to an Emptied World“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 143 – 167.
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
471
— The Isolated Self. Irony as Truth and Untruth in Søren Kierkegaard’s On the Concept of Irony, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 1). — „A Short Story. The English Language Reception of On the Concept of Irony“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2009, S. 493 – 506. Sorainen, Kalle, „Einige Beobachtungen im Bezug auf die lateinischen Übersetzungen Søren Kierkegaards aus dem griechischen Neuen Testament“, Kierkegaardiana, Bd. 9, 1974, S. 56 – 74. Steffensen, Steffen, „Kierkegaard und Hamann“, Orbis Litterarum, Bd. 22, 1967, S. 399 – 417. Steffes, Harald, „Erziehung zur Unwissenheit? Kierkegaards ‚Über die Kunst, Kindern Geschichten zu erzählen‘ und Johann Georg Hamanns Fünf Hirtenbriefe das Schuldrama betreffend“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2006, S. 165 – 206. — „Luther und Kierkegaard oder: der Reformator und das Polizeitalent“, in Erinnerte Reformation. Studien zur Luther-Rezeption von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Rochus Leonhardt und Christian Danz, Berlin und New York 2008 (Theologische Bibliothek Töpelmann, Bd. 143), S. 169 – 200. — „Das Meer durchschwimmen – in der Pfütze ertrinken? Zu einer hamannschen Ironie der Quellen in Kierkegaards Über den Begriff der Ironie“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2009, S. 211 – 236. Steilen, Josef, Der Begriff „Paradox“. Eine Begriffsanalyse im Anschluß an Sören Kierkegaard, Trier 1974. Stewart, Jon, „Hegel und die Ironiethese zu Kierkegaards Über den Begriff der Ironie“, Jahrbuch für Hegelforschung, Bd. 3, 1997, S. 157 – 181. — Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, New York 2003 (zugleich Habil., Univ. Kopenhagen, 2002). — „Kierkegaard and Hegelianism in Golden Age Denmark“, in Kierkegaard and His Contemporaries. The Culture of Golden Age Denmark, hg. von dems., Berlin und New York 2003 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 10), S. 106 – 145. — „Martensen’s ‚Rationalism, Supernaturalism and the principium exclusi medii“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 583 – 598. — „Mynster’s ‚Rationalism, Supernaturalism‘“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 565 – 582. — „The Paradox and the Criticism of Hegelian Mediation in Philosophical Fragments“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 184 – 207. — „Daub: Kierkegaard’s Paradoxical Appropriation of a Hegelian Sentry“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von dems., Aldershot und Burlington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 53 – 78. — Heiberg’s Introductory Lecture to the Logic Course and Other Texts, hg. und übers. von dems., Kopenhagen 2007 (Texts from Golden Age Denmark, Bd. 3). — „Heiberg’s Defense of Hegelianism in the Introductory Lecture to the Logic Course“, in Heiberg’s Introductory Lecture to the Logic Course and Other Texts, S. 3 – 38. — A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, Tome 1, The Heiberg Period: 1824 – 1836; Tome 2, The Martensen Period: 1837 – 1842, Kopenhagen 2007 – 08 (Danish Golden Age Studies, Bd. 3). — „Hegel: Kierkegaard’s Reading and Use of Hegel’s Primary Texts“, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome I, Philosophy, hg. von dems., Aldershot und Burlington 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 97 – 165.
472
Siglen- und Literaturverzeichnis
— „The Dating of Kierkegaard’s The Conflict between the Old und the New Soap-Cellars: A New Proposal“, Kierkegaardiana, Bd. 24, 2007, S. 220 – 244. — „Kierkegaard’s Claim about the Relation between Philosophy and Christianity in the Journal AA“, in Kierkegaard and Christianity, hg. von Roman Králik et al., Toronto und Šaľa 2008 (Acta Kierkegaardiana, Bd. 3), S. 35 – 58. — „Johan Ludvig Heiberg: Kierkegaard’s Criticism of Hegel’s Danish Apologist“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome 1, Philosophy, Politics and Social Theory, hg. von dems., Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 35 – 76. — Mynster’s „Rationalism, Supernaturalism“ and the Debate about Mediation, übers. und hg. von dems., Kopenhagen 2009 (Texts from Golden Age Denmark, Bd. 5). — „Introduction: The Debate Surrounding Hegel’s Criticism of the Laws of Classical Logic in Golden Age Denmark“, in Mynster’s „Rationalism, Supernaturalism“ and the Debate about Mediation, S. 3 – 45. — „Rasmus Nielsen: From the Object of ‚Prodigious Concern‘ to a ‚Windbag‘“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome I, Philosophy, Politics and Social Theory, hg. von dems., Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 179 – 213. — „Bibliography“, in Hans Lassen Martensen. Theologian, Philosopher and Social Critic, hg. von dems., Kopenhagen 2012 (Danish Golden Age Studies, Bd. 6), S. 321 – 339. Struve, Wolfgang, „Die neuzeitliche Philosophie als Metaphysik der Subjektivität. Interpretationen zu Kierkegaard und Nietzsche“, Symposion. Jahrbuch für Philosophie, Bd. 1, 1948, S. 207 – 335. — „Kierkegaard und Schelling“, Orbis litterarum, Bd. 10, 1955, S. 252 – 258. Stübinger, Ewald, Die Theologie Carl Daubs als Kritik der positionellen Theologie, Frankfurt am Main et al. 1993 (Beiträge zur rationalen Theologie, Bd. 1). Stybe, Svend Erik, „Filosofi“, in Københavns Universitet 1479 – 1979, Bd. 10, Det filosofiske Fakultet 3. Del, hg. von Povl Johannes Jensen, Kopenhagen 1980, S. 1 – 132. Sullivan, Frank Russell, Faith and Reason in Kierkegaard, Ph.D.-thesis, Boston Univ., 1973. Summers, Richard M., „Aesthetics, Ethics, and Reality: A Study of From the Papers of One Still Living“, in Early Polemical Writings, hg. von Robert L. Perkins, Macon, GA 1999 (International Kierkegaard Commentary, Bd. 1), S. 45 – 68. Søe, Niels H., Fra Renæssancen til vore Dage. Filosofisk tænkning med særligt henblik på de moralske og religiøse problemer, 4. Aufl., Kopenhagen 1964 [1945]. — „Kierkegaard’s Doctrine of the Paradox“, in A Kierkegaard Critique. An International Selection of Essays Interpreting Kierkegaard, hg. von Howard Johnson und Niels Thulstrup, New York 1962, S. 207 – 227. Teisen, Niels, Om Søren Kierkegaard’s Betydning som kristelig Tænker, Kopenhagen 1903. Theunissen, Michael, Der Begriff Ernst bei Søren Kierkegaard, Freiburg und München 1958 (teilweise zugleich Diss., Univ. Freiburg, 1955) (Symposion, Bd. 1). — Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970. Thodberg, Christian, Art. „Grundtvig, Nikolaj Frederik Severin (1783 – 1872)“, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1 – 36, hg. von Gerhard Müller et al., Berlin und New York 1976 – 2004; Bd. 14, 1986, S. 284 – 289. Thomas, John Heywood, Subjectivity and Paradox, Oxford 1957. — „Paradox“, in Concepts and Alternatives in Kierkegaard, hg. von Marie Mikulová Thulstrup, Kopenhagen 1980 (Bibliotheca Kierkegaardiana, Bd. 3), S. 192 – 219.
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
473
Thompson, Curtis L., „Gotthold Ephraim Lessing: Appropriating the Testimony of a Theological Naturalist“, in Kierkegaard and the Renaissance and Modern Traditions, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 5), S. 77 – 112. — „Hans Lassen Martensen: A Speculative Theologian Determining the Agenda of the Day“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 229 – 266. Thuborg, Anders, Den Kantiske Periode i Dansk Filosofi 1790 – 1800, Kopenhagen 1951. Thulstrup, Niels, „Die historische Methode in der Kierkegaard-Forschung durch ein Beispiel beleuchtet“, Orbis Litterarum, Bd. 10, 1955, S. 280 – 296. — „Inledning til Philosophiske Smuler“ in Søren Kierkegaard, Philosophiske Smuler, hg. von dems., Kopenhagen 1955, S. VII– XLIII. — „Incontro di Kierkegaard e Hamann“, in Studi Kierkegaardiani, hg. von Cornelio Fabro, Brescia 1957, S. 323 – 357. — „Den principielle Uoverensstemmelse mellem Kierkegaard og Hegel“, in Afsluttende uvidenskabelig Efterskrift, hg. von dems., Bd. 1 – 2, Kopenhagen 1962. — Kierkegaards Verhältnis zu Hegel und zum spekulativen Idealismus 1835 – 1846. Historisch-analytische Untersuchung, Stuttgart et al. 1972 [1967]. — Kierkegaards Verhältnis zu Hegel. Forschungsgeschichte, Stuttgart et al. 1969. — und Marie Mikulová Thulstrup (Hg.), Bibliotheca Kierkegaardiana, Bd. 1 – 16, Kopenhagen 1978 – 88. — „Kierkegaards Kenntnis der philosophischen und theologischen Tradition“, Theologische Zeitschrift, Bd. 35, 1979, S. 351 – 362. — „Kierkegaard and Hegel“, in Kierkegaard and Speculative Idealism, hg. von dems. und Marie Mikulová Thulstrup, Kopenhagen 1979 (Bibliotheca Kierkegaardiana, Bd. 4), S. 52 – 113. — „The System and the Method of Hegel“, in Kierkegaard and Speculative Idealism, S. 52 – 97. — „Kierkegaard’s Approach to Existence versus Hegelian Speculation“, in Kierkegaard and Speculative Idealism, S. 98 – 113. — „Kierkegaard and Schelling’s Philosophy of Revelation“, in Kierkegaard and Speculative Idealism, S. 144 – 159. — „Daub“, in Kierkegaard’s Teachers, hg. von dems. und Marie Mikulová Thulstrup, Kopenhagen 1982 (Bibliotheca Kierkegaardiana, Bd. 10), S. 208 – 211. — (Hg.), Liber Academiæ Kierkegaardiensis, Bd. 6, 1984 – 85, Kopenhagen 1986. Thurnher, Rainer, „Sören Kierkegaard“, in: ders. et al., Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts 3. Lebensphilosophie und Existenzphilosophie, München 2002 (Geschichte der Philosophie, Bd. 13), S. 15 – 58. Thust, Martin, Sören Kierkegaard. Der Dichter des Religiösen. Grundlagen eines Systems der Subjektivität, München 1931. Tielsch, Elfriede, Kierkegaards Glaube. Der Aufbruch des frühen 19. Jahrhunderts in das Zeitalter moderner, realistischer Religionsauffassung, Göttingen 1964. Tjønneland, Eivind, Ironie als Symptom. Eine kritische Auseinandersetzung mit Søren Kierkegaards Über den Begriff der Ironie, Frankfurt am Main et al. 2004 (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik, Bd. 54).
474
Siglen- und Literaturverzeichnis
Tolstrup, Christian Fink, „Jakob Peter Mynster: A Guiding Thread in Kierkegaard’s Authorship?“, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Farnham und Burlington 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 267 – 287. Trappe, Tobias, Art. „Theismus, Spekulativer“, in Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1 – 36, hg. von Gerhard Müller et al., Berlin und New York 1976 – 2004; Bd. 33, 2002, S. 206 – 209. Tschuggnall, Peter, Das Abraham-Opfer als Glaubensparadox. Bibeltheologischer Befund – Literarische Rezeption – Kierkegaards Deutung, Frankfurt am Main et al. 1990 (zugleich Habil., Univ. Innsbruck, 1989). Tudvad, Peter, „On Kierkegaard’s Journalism“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2003, S. 214 – 233. Tullberg, Steen, „More than Meets the Eye. On the Danish Reception of On the Concept of Irony“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2009, S. 355 – 371. Ueberweg, Friedrich, System der Logik und Geschichte der logischen Lehren, 3. Aufl., Bonn 1868 [1857]. Valls, Alvaro, Der Begriff „Geschichte“ in den Schriften Søren Kierkegaards, Diss., Univ. Heidelberg, 1980. Vergote, Henri-Bernard, Sens et répétition. Essai sur l’ironie Kierkegaardienne, Bd. 1 – 2, Paris 1982. Vogel-Jørgensen, Torkild, Bevingede ord, Kopenhagen 1963. Waage, Olafur, J.P. Mynster og de philosophiske Bevægelser paa hans Tid i Danmark, Kopenhagen 1867. Waaler, Arild und Tolstrup, Christian Fink, „Philosophical Fragments – in Response to the Debate between Mynster and Martensen“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2004, S. 208 – 234. Wagner, Falk, „Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Ph. Marheineke. Repristination eines vorkritischen Theismus“, Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 10, 1968, S. 44 – 88. — „Die Aufhebung der religiösen Vorstellung in den philosophischen Begriff“, Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie, Bd. 18, 1976, S. 44 – 73. — Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986. Walker, Jeremy, „The Paradox in ‚Fear and Trembling‘“, Kierkegaardiana, Bd. 10, 1977, S. 133 – 151. Walsh, Sylvia, Living Poetically. Kierkegaard’s Existential Aesthetics, University Park, PA 1994, S. 31 – 37. Weber, Max, „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“, in Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 1920, S. 17 – 206. Weltzer, Carl, „Stemninger og Tilstande i Emil Boesens Ungdomsaar“, in Kirkehistoriske Samlinger, hg. von Selskabet for Danmarks Kirkehistorie, 7. Reihe, Bd. 1, Kopenhagen 1951 – 53, S. 379 – 441. Westfall, Joseph, The Kierkegaardian Author. Authorship and Performance in Kierkegaard’s Literary and Dramatic Criticism, Berlin und New York 2007 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 15). Westphal, Merold, „Abraham and Hegel“, in Kierkegaard’s Fear and Trembling. Critical Appraisals, hg. von Robert L. Perkins, Tuscaloosa 1981, S. 62 – 80.
2 Verzeichnis der verwendeten Literatur
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Namen- und Personenregister Abraham 2, 187, 192, 260, 332, 406, 410, 413 Abraham a Sancta Clara 424 Adler, Adolph Peter 23, 112, 119 f., 152 f., 172 – 174, 248, 273 f., 287, 290, 299 – 302, 356, 385, 400, 407, 420 Ahasverus 55 Algreen-Ussing, Tage 151 Ambrosius von Mailand 50 Ammundsen, Valdemar 27 f., 35, 37, 43 f., 49, 52 f., 328 Andersen, Hans Christian 114, 120 – 122, 125 – 127, 223 – 225, 227 – 229, 231 f., 243, 246 Andersen, Vilhelm 222 Anselm von Canterbury 36, 164, 167 Anti-Climacus 311 f., 318, 385, 400 Anz, Heinrich 5 Anz, Wilhelm 4, 82 Arildsen, Skat 33, 115, 163, 169, 272 Aristophanes 54, 361 Aristoteles 81, 199, 271, 281, 324 Arlaud, Oscar 118 Arndt, Andreas 77, 81, 187, 314, 324 f., 332, 334 Arndt, Johann 425 Asmuth, Christoph 78 Astner, Aurelia 425 Augustinus von Hippo 145 Axt-Piscalar, Christine 338 Baader, Franz von 32 f., 96, 115, 123, 133, 136 f., 164, 166, 230, 277 Baagø, Kaj 108 f., 425 Baeumer, Max L. 64 Baggesen, Jens Immanuel 110 Balle, Nicolai Edinger 107 Banning, Knud 106 Barfod, Hans Peter 10, 15, 17, 36, 53, 56, 65, 121, 149, 159, 221, 253 f., 269, 354, 388, 433, 436 Barnett, Christopher B. 107, 424 – 428 Bastholm, Christian 107 – 109 Bauer, Bruno 257, 356
Baumeister, Thomas 2 Baur, Ferdinand Christian 174, 355 – 364 Baur, Wolfgang-Dieter 64 Beck, Andreas Frederik 116 Becker, Hjördis 237 Beutler, Ernst 298 Beyrich, Tilman 340, 344, 347 Bitter, Stephan 193, 209, 214 f. Bjergsø, Michael O. 295 Boesen, Emil 11, 16, 121, 298, 350, 354, 415 Bøggild, Jacob 129 Bohlin, Torsten 1, 6, 37, 49, 62, 64, 69, 137, 268, 368 Boldt, Joachim 2 Bollenbaugh, Michael Wayne 4 Bornemann, Johan Alfred 216, 274 f., 278 f. Borup, Morten 229 Bösch, Michael 224 Bouterwek, Friedrich 159 Braitling, Petra 79 Brandt, Frithiof 119 f., 421 Brandt, Hermann 8 Bretschneider, Karl Gottlieb 34, 45, 60, 256 Brøchner, Hans 20, 112, 116, 253, 377 f. Brorson, Hans Adolph 425 Bruun, Niels Thoroup 125 Bruun, Niels W. 28 Burkhardt, Bernd 272 Cappelørn, Niels Jørgen 3 – 5, 7, 20 f., 82, 133, 220, 247, 294 f., 316 f., 350, 352, 424, 433 – 435 Castellio, Sebastian 42 Christus 5, 29 – 31, 36, 38, 43 – 45, 99 – 101, 104, 137 f., 144 – 148, 156, 174, 204, 211, 217 f., 241 f., 244 f., 250, 255, 260, 263, 267, 275 – 277, 281, 283 – 285, 288 f., 292 – 294, 310, 320, 322, 337, 340 – 345, 348, 353 – 367, 369 f., 373, 406, 408, 418 f., 426 f., 429 – 431, 435 Clausen, Henrik Georg 108 f., 119 Clausen, Henrik Nicolai 28 – 37, 42, 46 – 48, 60, 83, 90, 96, 103, 109, 112, 115, 119, 169, 218, 235, 245, 256, 275, 310, 427
Namen- und Personenregister
Climacus 2 f., 44, 46, 49, 69, 103, 125, 166, 187, 245, 261, 273, 295 f., 308, 319, 329 – 332, 335 f., 354, 365, 380 – 382, 404, 407, 418, 435 Cousin, Victor 158 Crites, Stephen 7 Crouter, Richard E. 89 Croxall, Thomas Henry 187 Cruysberghs, Paul 4, 187 Czakó, István 140, 273, 290 Daub, Carl 87, 94, 115, 132, 136 – 138, 230 f. Davenport, John J. 2 David, Christian Nathan 7 f., 82, 151, 435 Davidsen, Maria 225 Denifle, Heinrich Seuse 396 Descartes, René (Cartesius) 124, 155, 164 – 167, 305, 408 Deuser, Hermann 3 – 7, 12, 15, 46, 58, 61, 82, 102, 218, 294 f., 312, 331, 381, 417, 421, 428 f., 432, 434 Diem, Hermann 170, 309, 354, 429, 432 Döderlein, Johann Christoph 108 Don Juan 55 Donohue, Kevin E. 4 Dorvigny, Louis Archambault 125 Drehsen, Volker 91 Dupré, Louis K. 82 Ebeling, Gerhard 408 Eiríksson, Magnús 21, 117, 330 – 332 Elle Jensen, Folmer 106 f. Engelbreth, Wolf Frederik 113 Erdmann, Johann Eduard 25, 83, 87 f., 132, 136, 138 f., 145, 147, 154 – 156, 170, 174, 185, 192 – 220, 231, 234, 236, 245, 249 f., 292, 303 – 305, 313, 320 f., 326, 339, 387, 400, 404 Eriksen, Niels Nymann 3 Eschenmayer, Carl August von 159 Evans, C. Stephen 2 – 4 Fabro, Cornelio 4, 62 Fahrenbach, Helmut 1 Faust 55, 124, 150 f., 158, 167, 289 Feger, Hans 354 Fenger, Henning 56 f., 119 f., 128, 151
477
Fenger, Rasmus Theodor 346 f. Fenves, Peter 246 Ferreira, Jamie 3 Feuerbach, Ludwig 140, 290, 334 Fibiger, Johannes 115 Fichte, Immanuel Hermann 23, 25, 54, 87, 110, 131 – 133, 136, 139 – 144, 146 – 150, 156 – 160, 201, 203, 210, 212, 215, 249 f., 257, 262 – 264, 274, 277, 284, 292, 399, 404 f., 407 Fichte, Johann Gottlieb 54, 110, 131, 139, 158, 387 – 389, 395 Fischer, Hermann 3, 364 f., 367 f., 370 – 376, 381 Fonk, Peter 20 Fortlage, Karl 424 Frankenhäuser, Gerald 140 Frankfurter, Der 425 Frater Taciturnus 162, 319, 422 f. Frauenstädt, Julius 424 Fries, Jakob Friedrich 159 Fritzsche, Helmut 3 Fulda, Hans Friedrich 76, 80, 124 Garelick, Herbert M. 4 Garff, Joakim 57, 415 Geismar, Eduard 1, 54 – 57, 60, 128, 131, 186 f., 210, 301 Gerdes, Hayo 1, 3, 24, 38, 42 f., 45, 54, 56 – 60, 71 f., 97, 99, 102, 127, 218, 223, 237, 255, 288, 307, 327, 335, 337, 348 f., 365, 367, 369 f., 373, 411 – 414, 418, 425, 428 f., 434 Gerhard, Johann 425, 427 Gfrörer, August Friedrich 378 Glöckner, Dorothea 3, 309, 415 f. Goethe, Johann Wolfgang von 7, 289, 298 Goldschmidt, Meïr Aron 422 González, Darío 89 Görres, Joseph 150 Göschel, Carl Friedrich 96 f., 132, 141, 213 f. Gottmensch 44, 69, 142 – 144, 147, 158, 282, 307, 309, 329, 336 – 338, 367, 392, 402, 418 Gouvêa, Ricardo Q. 2 Graf, Friedrich Wilhelm 378 Grane, Leif 106, 111, 114
478
Namen- und Personenregister
Grøn, Arne 4, 192 Grotz, Stephan 76 Grundtvig, Nicolai Frederik Severin 6, 23, 26, 29 f., 46 – 53, 103 f., 106, 108 f., 119, 128, 185, 294, 328, 382, 404 f. Guarda, Victor 3, 187 Guerike, Heinrich Ernst Ferdinand 257 Günther, Anton 133, 136 Gyllembourg-Ehrensvärd, Thomasine Christine 222, 226 – 229, 426 Haden, Norris Karl 4 Haecker, Theodor 1, 425 Hahn, August 276 Hamann, Johann Georg 7, 13, 26, 55, 58, 61 – 72, 104, 131, 164, 243, 260, 266 – 268, 329, 353, 360, 394, 399, 404 Hammerich, Martin 121 Hannay, Alastair 3, 187, 435 Härle, Wilfried 314 Hartmann, Karl 149 Hase, Karl August 42, 99, 235, 256 f. Hauschildt, Friedrich 272, 428 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 3, 7 f., 44, 60 – 63, 74, 76 – 81, 86, 89 – 91, 94 f., 110 – 114, 121 – 130, 132 – 135, 138 – 142, 144, 153, 155 f., 160, 162 – 164, 166 – 169, 171 – 174, 176, 179 – 183, 185 – 193, 204 f., 214 – 217, 220, 225 f., 228 f., 237, 251, 260, 264, 266, 268 – 274, 278 f., 281 f., 285, 288 – 290, 298, 300 – 302, 306, 314, 325, 334 – 337, 363, 367 f., 384, 386 – 389, 399, 407, 416, 436 Hegel, Karl 134 Heiberg, Johan Ludvig 112 – 116, 119 – 124, 131, 133, 135 f., 151 f., 154 f., 163 f., 166 – 168, 174, 176 – 186, 221, 225 – 229, 248, 251, 270, 273, 278 – 282, 285 – 292, 298, 301, 305, 334, 337 f., 393, 400, 406 Heiberg, Peter Andreas 1, 20, 56 Heine, Heinrich 55, 223 Hejll, Richard 374, 376 f., 381 Helms, Svenn Henrik 29, 348, 350 Helweg, Hans Friedrich 110, 117 f., 129, 393 Henke, Heinrich Philipp Konrad 107 Henkel, Arthur 64 Henrich, Dieter 77, 81
Herder, Johann Gottfried 69, 267 Hertz, Henrik 63, 122 Himmelstrup, Jens 338, 353 – 355, 360 Hinkson, Craig Quentin 6, 62, 72 Hirsch, Emanuel 1, 5, 11, 18, 24, 29, 31, 34, 36 f., 49, 54, 56 f., 60 f., 83, 102 f., 118, 131 f., 134, 137 f., 145, 148 – 151, 153, 159, 164, 193, 211 f., 214 – 216, 221 f., 225, 228, 230, 236 – 239, 241, 243 – 245, 249, 253 – 255, 259 – 261, 264, 266, 269, 291, 301, 333, 340, 343, 347 f., 351, 354, 360, 364, 386 f., 392 – 396, 411 – 416, 426, 428, 434 Høegh-Guldberg, Ove 107, 109 Høffding, Harald 20, 110 Hogemann, Friedrich 79 Hohlenberg, Johannes 1, 56 f., 60, 96 Holm, Søren 33, 52, 110, 128 Holst, Hans Peter 121 Horn, Robert Leslie 121, 163, 169, 176, 187, 273 Hornemann, Claus Frees 109 Hösle, Vittorio 79 Hostrup, Jens Christian 115 Howitz, Frantz Gotthard 110 Huggler, Jørgen 193, 387, 395 Hügli, Anton 4, 272 Hume, David 65 – 68, 70 Iber, Christian 77, 79 Imbrosciano, Anthony 4 Isaak 332, 410 f., 413 Jacobi, Friedrich Heinrich 62, 64, 68, 110, 159, 178, 186, 188, 283 f., 312 Jaeschke, Walter 79, 186, 334 Janke, Wolfgang 339 Japp, Uwe 396 Jensen, Finn Gredal 13, 28, 222 Jensen, Hans 109 Jensen, Jørgen Bonde 220 Jensen, Povl Johannes 111 Jessen, Mads Sohl 393 Jesus (Christus) siehe Christus Johannes de silentio 73, 330, 332, 406, 410 Jonas, Justus (der Ältere) 99 f. Jones, W. Glyn 222
Namen- und Personenregister
Jørgensen, Sven-Aage 64 Jørgensen, Theodor Holzdeppe Jüngel, Eberhard 409
84 f.
Kangas, David, 8, 82, 435 Kant, Immanuel 4, 61 f., 68, 80, 101, 110, 140, 155, 172, 176, 201, 213 f., 284, 388 Kienzler, Klaus 4 Kierkegaard, Michael Pedersen 10, 253 Kierkegaard, Peter Christian 10, 22, 47, 57, 122 Kirmmse, Bruce H. 7, 10, 20, 63, 109, 122, 253, 353 – 355, 388, 424, 435 Kjær, Grethe 226 Kleinert, Markus 4, 7, 14, 16, 25, 114 f., 124, 155, 163 f., 166 – 168, 178, 217, 222, 228, 243, 246, 266, 270, 293, 305, 355, 383 f., 387 f., 392 f., 395, 398, 419 Klenke, Ulrich 5, 57, 224 – 226, 232 – 234, 236, 239 – 246, 248 f., 340, 347, 354, 383 f., 391 f., 409, 411 – 413, 426 Kloeden, Wolfdietrich von 54 Knudsen, Jette 20, 433 Koch, Anton Friedrich 78 Koch, Carl Henrik 110 f., 169, 301 f. Koch, Hal 47 f., 106 – 108 Koch, Ludvig 47, 50, 106 Koenker, Ernest B. 6 Koldtoft, Lone 126 Kondrup, Johnny 20 Kopernikus, Nikolaus 37 Kornerup, Bjørn 107, 109 Kotzebue, August von 126 Kraus, André 374 Krenzke, Hans-Joachim 290 Krichbaum, Andreas 9, 40, 58, 72, 82, 86 – 89, 91, 102, 139, 145 – 147, 153 f., 161, 187, 217, 307, 315, 327, 332, 393 Kühle, Sejer 120, 254 Kühnhold, Christa 3, 308 Larsen, Jørgen 47 Leibniz, Gottfried Wilhelm 339 Lenau, Nikolaus 115, 155, 158 f., 164 f., 167, 305 Lessing, Gotthold Ephraim 308, 371 – 377, 379 – 382, 404
479
Lewy, Eva 111 Lin, Timothy 3 Lindberg, Jacob Christian 23, 47, 49 – 52, 107, 109 Lindner, Johann Gotthelf 65 – 67, 70, 429 Linnemann, Ingvard Henrik 346 Løgstrup, Knud Ejler 428 Løgstrup, Rosemarie 170, 186 Löwith, Karl 94 Lukács, Georg 111 Lund, Henrik 341 Lund, Henrik Ferdinand 56 Lund, Johan Christian 56 Lund, Peter Wilhelm 56, 150 Lundbye, Jørgen 424 Lunding, Erik 374, 376 Luno, Bianco 415 Luther, Martin 6, 27, 119, 153, 219, 266 f., 341 f., 350, 405, 408, 419, 424, 429 – 431 Lütterfelds, Wilhelm 271 Mackey, Louis 129 Malantschuk, Gregor 40, 128, 305, 435 Malaquais, Jean 3, 89 Marcell von Ankyra 50 Marheineke, Philipp Konrad 11, 16, 18, 27, 32, 75, 88 – 97, 105, 115, 132, 136, 152, 154 f., 162, 174, 275, 367, 407 Marks, Tamara Monet 140 Martensen, Hans Lassen 8, 35, 39 f., 59, 75, 83, 89 f., 111 – 117, 119 – 124, 131, 133, 136, 151, 154 f., 158, 163 – 172, 174 – 178, 180 – 186, 225, 248, 251, 256, 270 – 275, 279, 282 – 292, 296, 298, 305, 328, 330, 334, 337 f., 368, 393, 400, 406 Martensen, Julius 115 McCarthy, Vincent 237 McInerny, Ralph 2 McKinnon, Alastair 20, 24, 433 Melanchthon, Philipp 100 Mercer, David E. 2 Mesnard, Pierre 129, 354 Metzger, Hartmut 311 Metzke, Erwin 266, 268 Meyer, Ludvig 8, 101, 354, 363 Möhler, Johann Adam 256
480
Namen- und Personenregister
Møller, A. 118 Møller, N.C. 21 Møller, Jens 27, 33, 108, 257, 275 Møller, Poul Martin 113, 131 f., 135, 184, 221 – 223, 226, 261, 354 Mooney, Edward F. 2 Mortensen, Viggo 6, 20, 221, 433 Movia, Giancarlo 78 Müller, Julius 96 f. Müller, Marika 396 Müller, Peter Erasmus 33, 108 Münter, Balthasar 346 Münter, Friedrich 219, 346 Mylius, Johan de 222 – 224, 226 Mynster, Christian Ludvig Nicolai 169 Mynster, Jakob Peter 106, 108 f., 113, 116, 129, 175, 216, 271 – 286, 288 f., 292, 297, 337, 399 f., 411 Nadler, Josef 64, 268 Neander, August 41 f. Neiiendam, Michael 107 Nielsen, Frederik 109, 115, 274 Nielsen, Rasmus 112, 186 Notabene, Nicolaus 121 Novalis 55 Nun, Katalin 21, 226 Offermann, Doris 85 Ogbonna, Philip Anyaehe 2 Olesen, Tonny Aagaard 80, 110 Olesen Larsen, Kristoffer 3, 65, 268, 411 Olsen, Regine (siehe Schlegel, Regine) Ørsted, Hans Christian 48, 110 Östergaard-Nielsen, Harald 52 Patterson, David 2 Pattison, George 7, 139, 323, 435 Paulus 68, 99, 218 f., 234, 260, 319 – 321, 341, 344, 348 f. Pelagius 145 Perkins, Robert L. 4, 187, 192, 217, 222, 226, 353 Pesch, Otto Hermann 408 Petersen, Lauritz Vilhelm 115, 279 Pfeiffer, Ehrhard 137 Philipsen, Philip Gerson 21, 82
Platon 357 – 362, 364, 395, 411 Ploug, Carl 115 Pojman, Louis P. 111 Possen, David D. 113, 355, 360 Prenter, Regin 6 Purkarthofer, Richard B. 14 f. Quidam
163
Rae, Murray 2, 82 Randenborgh, Gottfried van 311 Rapic, Smail 176, 387 Rasmussen, Joel 6 Rehm, Walther 63 Reimer, Louis 3 Reinhold, Carl Leonhard 110 Reinhard, Franz Volkmar 108 Reitzel, Carl Andreas 21, 89, 158, 182, 221f., 299, 393 Rest, Walter 170, 407 Reuter, Hans 7, 43 f., 98, 153, 160, 210, 268 Richter, Friedrich 141 Richter, Liselotte 153, 349 Ringleben, Joachim 3, 62, 98, 111, 218, 235, 244, 246, 291, 298, 318, 320, 398 Roberts, Robert C. 2 Rocca, Ettore 246 f. Rohde, Hermann Peter 21 f., 82, 89, 126, 151, 158, 187, 436 Rohls, Jan 94 Rosen, Klaus 74 Rosenkranz, Karl 9, 132, 134, 136, 138, 149, 359 Rosenstand-Goiske, Peder 107 Rothe, Valdemar Henrik 155, 176 – 178, 181 – 184, 290 Rudelbach, Andreas Gottlob 47, 99 – 101, 235 Rufinus von Aquileia 50 Rumble, Vanessa 225, 435 Rupprecht, Eva-Maria 92, 154 Ruttenbeck, Walter 1, 420 Šajda, Peter 396, 424 Schäfer, Klaus 308 Schaller, Julius 80, 132, 136, 138 f., 148 Scharling, Carl Emil 112, 257
Namen- und Personenregister
Scheffner, Johann George 69 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 7, 11, 16, 80, 110 f., 115, 139 f., 158, 334, 367, 388 f. Schick, Stefan 188 Schiødte, Andreas Ferdinand 273 Schjørring, Jens Holger 110, 117 Schlegel, August Wilhelm 55 Schlegel, Johan Frederik 415 Schlegel, Friedrich 55, 388 f., 397 Schlegel, Regine 11, 269, 298, 321, 343, 354, 369 f., 412 – 416 Schleiermacher, Friedrich 6, 9, 26, 32 – 34, 38 – 40, 42 f., 45 f., 54, 58 f., 72, 75, 81 – 89, 91, 102 – 105, 122, 131, 139, 145 – 147, 153 f., 161, 187, 201, 217, 237, 245, 247, 256, 276, 284, 307, 315, 327, 332, 367, 393, 404 Schmidinger, Heinrich 54 Schmidt, Jochen 89 Schopenhauer, Arthur 424 Schott, Uwe 137 Schröer, Henning 3, 6, 83, 131, 244, 266, 268 f., 312, 338 Schückler, Georg 3, 291 Schulz, Heiko 4f., 7, 9, 18f., 31, 40, 46, 89, 91, 112, 130, 149, 152, 161, 217, 225, 244, 309, 322, 339, 359, 386, 398 Schumann, Johann Daniel 372 Schwab, Philipp 129, 355, 386 Schweppenhäuser, Hermann 407 Scriver, Christian 425 Seat, Leroy Kay 3 Sibbern, Frederik Christian 11, 58, 110, 113, 135, 169, 181 f., 222, 253, 257, 261, 273, 279, 281, 286, 352, 355, 388 Slenczka, Reinhard 2, 312 Sløk, Johannes 6 Smith, Fritze 352 Smith, Ronald Gregor 62 Smyth, John Vignaux 354 Söderquist, K. Brian 129, 222, 353 f. Søe, Niels H. 4, 128 Sokrates 10, 54, 70, 125, 255, 260, 340, 352 – 365, 374, 383 – 387, 389, 402, 406, 434 Solger 394, 396
481
Sorainen, Kalle 28 Spinoza, Baruch de 331, 377 f., 382, 384 Steffens, Henrich 11, 110, 115, 303 Steffensen, Steffen 62, 67, 72 Steffes, Harald 6, 63, 69, 360, 430 Steilen, Josef 3 Stewart, Jon 6 – 8, 21, 58, 89, 91, 95, 107, 111, 113 f., 117, 119, 121 f., 124 – 129, 134 f., 137, 163, 166 f., 169, 171 – 176, 181 – 183, 185, 187, 192 f., 222, 226, 229, 270, 272 – 274, 290 f., 298, 308, 335, 337, 355, 368, 374, 388 f., 396, 424 Strauß, David Friedrich 112, 115, 132, 276, 376 – 382, 404 Struve, Wolfgang 7, 417 Stübinger, Ewald, 92 – 95 Stybe, Svend Erik 111 Sullivan, Frank Russell 4 Summers, Richard M. 222 Supichanow, Schunkar 111 Tauler, Johannes 396, 425, 427 Teisen, Niels 268 f., 369 Tersteegen, Gerhard 425 Theunissen, Michael 190 f. Thisted, Jørgen Overgaard 429 Thodberg, Christian 29 Thomas, John Heywood 7, 221, 268 f., 335, 408 Thomas von Kempen 425 Thompson, Curtis L. 8, 374 Thuborg, Anders 110 Thulstrup, Niels 2, 4, 7, 20, 22, 54, 56, 60 – 63, 89 f., 95, 111, 120, 127 – 130, 135, 138, 153, 155, 160, 163, 169 f., 182, 186, 193 f., 204 f., 214 – 216, 220, 225 f., 260, 266, 272, 301 f., 306, 337, 376, 386, 433, 436 Thurnher, Rainer 390 Thust, Martin 1 Tieck, Ludwig 55, 388 f. Tielsch, Elfriede 236, 415 Tjønneland, Eivind 354, 392 Tolstrup, Christian Fink 272 Trappe, Tobias 133, 278 Trendelenburg, Friedrich Adolf 81 Tschuggnall, Peter 2, 428
482
Namen- und Personenregister
Tudvad, Peter 13 Tullberg, Steen 129 Tutein, Peter Adolf 151 Ueberweg, Friedrich
271
Valls, Alvaro 2 Vergote, Henri-Bernard 89 Visby, Carl Holger 50 Vogel-Jørgensen, Torkild 118 Waage, Olafur 113 Waaler, Arild 272 Wagner, Falk 94 Walker, Jeremy 2 Walsh, Sylvia 223 Watkin, Julia 24 Weber, Max 424 Wegscheider, Julius 34, 60, 276 Weiße, Christian Hermann 80, 133, 136, 140, 276 f.
Weltzer, Carl 121 Werder, Karl 11, 367 Westfall, Joseph 220 f., 224 f. Westphal, Merold 4, 192 Wette, Wilhelm Martin Leberecht de Wilke, Matthias 237, 244 Wolff, Christian 107 Wolff, Klaus 3 Wolff, Michael 76 Wölfle, Gerhard Martin 79 Xenophon
257
358, 361 f., 364
Yoon-Jung Kim, David
6
Zeuthen, Frederik Ludvig Bang 169, 279, 286 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 424 f. Ziolkowski, Eric 360
Sachregister a posteriori / Aposteriori 206, 217, 234, 239, 244, 320 a priori (siehe auch apriorisch) 79, 142, 172, 200, 206 Abendmahl 48, 247, 256, 312, 315, 351 Aberglaube 95, 197 f., 217, 232 Abhängigkeitsgefühl, schlechthinniges 84 – 88 Abrahamsglaube 411, 414, 416 Affirmation 246, 396 – 398 Akkommodation 35 f., 60 Akosmismus 387 Alltagsgeschichte(n) 222, 226 f., 426 Alltagswirklichkeit (siehe auch Wirklichkeit) 226 f., 411 Andacht 177 f., 189 f., 394 f. Aneignung 20, 38, 41, 94, 98, 103, 237, 240 – 246, 249, 292 – 294, 297, 306 f., 314, 333, 338 f., 343, 398 f., 401, 405, 428 annihilatio / Annihilation 294, 314 – 316 Anschauung, kirchliche (siehe auch Kirchentheorie) 6, 23, 26, 46 – 48, 51 f., 104, 382, 405 Antike 87, 260 Apologie der Confessio Augustana 97 – 101, 105, 245 Apostel 35, 43 – 45, 49, 51, 57, 69 – 71, 104, 174, 206, 219, 322, 341, 344, 362, 367, 381 Apostolikum 47 – 53, 104 Approximation 49, 309, 381 apriorisch / Apriorische, das (siehe auch Glaubens-Apriori) 26, 95, 97 – 99, 101 – 103, 105, 141 – 143, 161, 206, 210, 216 – 218, 220, 227, 233 f., 239 – 242, 244 f., 250 f., 303, 320 – 323, 326, 400 f., 405, 408 f., 432 Ärgernis 69 f., 104, 260, 311 f., 365 Ästhetische, das 315, 331, 366, 396, 426 Aufhebung 94, 181, 190, 198 f., 233, 251, 270, 273, 300, 315, 333, 337 Auktionsprotokoll 21 – 23, 82, 158 Autopsie 3, 246, 252, 406
Beichte 112, 315 Bekehrung 1, 57, 63, 238, 240 f., 244, 343 Bewusstsein (siehe auch Sündenbewusstsein) – allgemein menschliches (unmittelbares) 40, 146 – 148, 157, 215, 249, 262, 265, 292, 326, 404 – christliches 40, 146, 148, 157, 171, 249 f., 259, 265 – ewiges 375, 382 – neues 214 – 216, 250, 326 – religiöses 94, 171, 194 f., 197 – 201, 209 – 211, 289 – subjektives 189 f., 387 – unmittelbares 73, 83, 144 – 147, 153 f., 156 – 161, 208, 210, 215, 249 f., 262, 304 f., 321, 326 Christenheit 311, 417, 420, 430, 432 Christentum 26, 33, 35, 39, 40, 42 – 45, 52 f., 55 – 61, 64, 66 f., 71, 102, 104, 107 f., 124, 145 – 150, 152, 156 – 158, 160 f., 167, 173, 175, 177, 181, 202 – 204, 206, 210 – 212, 215 f., 237, 241 f., 245, 248 – 250, 255, 258 – 267, 269, 275, 277 f., 282 – 284, 286 – 289, 291 – 294, 296 f., 306, 310 – 314, 316 f., 319, 326, 329, 331, 335 – 339, 343, 349, 356 – 359, 376, 384, 394 f., 399 – 401, 404 f., 413, 417 – 420, 424 f., 427 f., 431 Christliche, das 45, 52, 55, 104, 116, 147, 152, 206, 238, 240 – 243, 249, 260, 287 – 289, 302, 311, 333, 335 f., 342, 355, 400 f., 418, 424, 428 Christologie (siehe auch Paradox-Christologie) 281, 284 f., 292, 348, 367 f., 373 Climacus-Schriften 2 f., 46, 69, 103, 245, 261, 308, 336, 354, 380, 382, 404, 407, 418 cogito ergo sum 164 – 166, 168 Confessio Augustana 98, 100, 105, 235, 318 Corsar-Affäre 419 – 423, 427 f. creatio ex nihilo 145, 294, 314
484
Sachregister
credam ut intelligam / credo ut intelligam 164, 168, 217 credo quia absurdum 311, 392 f. de omnibus dubitandum est 155, 165 f. Deduktion 101, 142, 147, 195, 204 f., 250 Dialektik / dialektisch 121, 195, 205, 211, 228, 233 f., 240, 282, 315, 332 f., 401, 431 Diapsalma(ta) 194, 262, 303, 389 diversus respectus tollit [omnem] contradictionem 281 Dogmatik 27, 32 – 35, 37 f., 73 f., 89 f., 93, 95 f., 108, 111, 114 – 117, 171, 174 f., 194, 256, 275, 283, 381 f., 420 Doppelbewegung 240, 246, 398, 409 f., 417 Dramatische, das 121, 228 Empirie / Erfahrung 66, 97 f., 101, 108, 142, 153, 160, 172, 202 f., 205 – 208, 210, 217 f., 224, 229 f., 232 – 236, 238 f., 243, 246, 250 – 252, 293, 320, 326, 347, 369, 408 f. Endlichkeit 280, 308, 387, 392, 394, 410, 413 Epische, das 121, 228 f. Erbsünde 9, 260, 349 Erfahrung (siehe Empirie) Erkenntnis 41, 58f., 95, 114, 120, 149, 152, 155, 165, 170, 177–181, 258f., 267, 283f., 292, 297, 305, 312, 324 Erkenntnislehre / Erkenntnistheorie (Epistemologie) 129, 142, 216, 231, 255, 270, 274, 285 f., 290 f., 297, 305 f., 314, 319, 333, 335 f., 343, 348, 399, 405 Erlösung 38, 59 f., 84, 143, 153, 160, 268, 277, 292 Erweckungsbewegung 108, 424 Ethik 82 f., 109, 257, 331 Ethische, das 315, 318, 394 Ewigkeit / Ewige, das 30, 42, 49, 144, 177, 221, 226, 231, 263, 267 f., 285, 312, 314, 329, 333, 379, 413 Exegese 14, 27 f., 256 f. Exempel (siehe Vorbild)
Existenz 52, 123, 143, 152, 155, 159, 167 f., 174, 230, 240, 262, 286 f., 293 f., 314 f., 338, 348, 362, 364 – 366, 375, 393, 396, 398 – 400, 402, 409, 416 f., 421 Exklusionsprinzip (siehe principium exclusi medii) fides qua (creditur) 196 f., 408 fides quae (creditur) 196 f., 408 Frömmigkeit 40, 82 f., 85, 88, 216 Geschichte 40, 45, 118, 136 – 138, 143 f., 148, 156, 158, 164 f., 167, 171, 230 f., 239, 245, 258, 284, 289, 293, 337, 357, 369, 371, 379, 390 Geschichtlichkeit 146 f., 158, 204, 212, 250, 404 Gewissheit 92 f., 101, 121, 165 f., 168, 186, 190, 195, 230, 234 – 236, 246 f., 251, 297, 304 – 308, 310, 313, 320 – 323, 326, 331, 340, 348, 379, 396, 398, 401 f., 405 f., 408 f., 416, 432 Glaube – gesteigerter 30 f., 103, 405 – reflektierter 197, 204, 208 – supranaturalistischer 145, 214 – 216, 250, 326 – unbefang(e)ner 174, 194, 196 – 198, 200, 208 – 210, 218 f., 250, 303 – 305, 321, 400 – unmittelbarer 30 f., 73, 191, 327 Glaubens-Apriori 101, 218, 251, 409 Glaubensbekenntnis (siehe auch Apostolikum) 49, 52 – 54, 328 Glaubensgewissheit 168, 218 f., 234, 250, 320 f., 340, 347, 402, 409 Glaubensinhalt 94, 244 Gleichzeitigkeit 3 f., 44, 46, 137, 367, 372 Gottesbeweis(e) 109, 155, 375, 382 Heidentum 40, 60, 65, 263, 357 f., 430 Heilsgewissheit 408 Heilssicherheit 408 Hegelianismus 106 f., 109 – 114, 116 – 121, 123 f., 127, 130 f., 176, 211, 290, 302, 368, 393
Sachregister
Hegelrezeption 107, 112 – 114, 132, 273, 407 Humor 55, 67, 71, 236, 266, 353, 392 – 394 Idealismus 106, 110, 199 f., 237 Identität 90, 93, 179, 195 f., 199 f., 282, 284, 303 f., 327 f., 387 imitatio Christi (siehe auch Nachfolge) 426 – 430 Indifferenz 40, 195, 198, 303, 329, 405 Individualität 60, 102, 398 Inkarnation (siehe auch Menschwerdung) 146 f., 153, 156, 210, 250, 268, 276, 283, 288 f., 293, 337, 340, 366, 400, 406 Inkognito 365, 369 f., 373, 394 Inkommensurabilität 204, 211, 260, 416 Inkommunikabilität 406 Innerlichkeit 52, 64, 299 f., 345 – 347, 405, 416 – 418, 420 – verborgene 346, 402, 417 f., 426, 428, 430 Inspiration 39, 43 f., 50, 153, 367, 377 Inspirationsdogma 379 f., 382, 404 Inspirationslehre 43, 379, 404 Ironie 55, 67, 70, 125, 129, 197, 217, 222, 236, 266, 353 f., 361, 364, 383 – 394, 396 f., 402, 414 Jenseits Judentum
341, 347, 410 40, 263, 384, 413
Kirche 38, 45, 47 – 53, 95, 102, 106 f., 119, 174, 206, 259, 296, 304, 327, 328, 333, 382, 420 Kirchentheorie (siehe auch Anschauung, kirchliche) 46 f., 404 Klosterbewegung (des Mittelalters) 416, 425 Korrektiv 284, 430, 432 Lebensanschauung / Lebens-Anschauung 42, 64, 136, 220, 222 – 225, 227 – 249, 251, 264, 320, 343, 398, 426 Lebens-Entwicklung 223 Lebenserfahrung 101, 235, 251, 320, 409
485
Leiden 4, 30, 315, 319, 331, 389, 413, 416, 418, 420, 424, 426, 428 Leidenschaft (siehe auch Pathos) 183, 265 f., 302, 309, 330 f., 335, 338, 418 Liebe 36 – 38, 230, 234, 236, 268, 313, 320 f., 344, 351, 365, 369 f., 373, 414, 419 Logik 73 f., 76 – 81, 95, 105, 112, 124, 129, 142, 162, 172, 180, 182 – 184, 187 f., 216, 225, 251, 271 – 274, 279 – 281, 283, 288 – 291, 308, 323 f., 336, 399, 407 Lyrische, das 121, 228 f. Manuduktion 39, 59, 83, 122 Märtyrer / Martyrium 419, 428 Mediation (siehe auch Vermittlung) 172, 179, 216, 270, 274, 280, 282 f., 285, 287 – 291, 293, 300, 335 – 339, 366, 368, 400, 407 Menschwerdung (siehe auch Inkarnation) 268, 276, 295, 329, 369 f., 373 Monotheismus 263 Mystik 150, 197 f., 425 Nachfolge 344, 348, 418 – 420, 423, 426 – 428, 430 – 432 Nachfolgechristentum 429, 432 Naturalismus 205, 207 – 209, 275 – 278, 283, 288, 292, 400 Naturalisierungsthese 295 f., 405 Negation 77, 94, 125, 160, 174, 209, 246, 284, 325, 384, 392 – 398, 402, 409 Negativität 363 f., 383 – 387, 392 – 396, 402 Neuschöpfung 294 f., 314 Neuwerdung 294, 314 Nichtglauben 213 – 215, 330 – 332, 406 Nichtidentität 93 Nichtwissen 212 – 215, 326 Nihilismus 197, 213 Nizänum 51 Objektivität 160, 199, 272, 300, 362, 364 Offenbarung 35 f., 85, 91, 108, 142 f., 146, 148, 165, 167, 180 f., 204, 212, 240, 258, 264, 274 – 276, 278, 283, 292, 300 f., 331, 357, 377, 379
486
Sachregister
Offenbarungsbegriff 156, 263, 283, 287, 292 Orthodoxie 36 f., 47, 56, 66, 119, 382 Pantheismus 86 f., 117, 164, 264, 285 Paradox 3, 69 f., 242, 244 f., 260 f., 265 f., 291, 312, 329, 332, 335, 337 – 340, 365 f., 368 – 370, 373, 399 f., 418 – anthropologisches 338 – absolutes 44, 69 f., 104, 261, 291, 329, 336, 338, 367, 373, 400, 402, 404, 407, 418 f. – hamartiologisches 338 – christologisches 71, 245, 269, 337, 339, 406 – pistologisches 339, 406 Paradoxbegriff 245, 265 – 267, 269, 338, 340 Paradox-Christologie 340, 354, 365 – 373, 382, 402, 413 Pathos (siehe auch Leidenschaft) 265, 315 Philosophie 6, 10 f., 22, 26, 45, 58 – 61, 64, 66 f., 71, 73 f., 76, 80, 94, 104, 106, 109 – 111, 113 – 116, 118 f., 124 – 129, 132, 135 – 138, 140 f., 146 – 148, 152, 155, 159 f., 162, 164 – 168, 170 – 172, 174, 177 – 184, 187, 215, 225, 249, 251, 255, 258 – 262, 264 f., 270, 280 – 282, 287, 289 – 291, 302, 325, 333 – 335, 339, 357, 366, 376, 378, 387 – 389, 395, 399 f., 407, 417 Pietismus 106, 424 – 426 Platonismus 356 – 359 Poesie 167, 229, 281, 397 f. Polytheismus 263 Prädestination 41 – 43 Prädestinationslehre 39 f., 42 Prädestinationsproblem 42, 46 praeparatio evangelica 144, 148 principium contradictionis 271, 273, 280 principium exclusi medii / principium exclusi tertii sive medii inter duo contradictoria 271, 273, 278 – 283, 285, 297, 337 pro me 41, 405 Pseudonymität 261 f.
Rationalismus 33, 36 f., 56, 60, 91, 106 – 109, 119, 164, 167, 212 – 214, 216, 274 – 279, 282 f., 292 Rechtfertigung 95, 98, 100 f., 195, 240, 279 redintegratio in statum pristinum 313, 318, 401 Reflexion 73, 81, 95, 148, 156, 159, 173, 191, 195 f., 219, 251, 264, 272, 280, 305, 312, 325, 329, 331 – 333 Religion 26, 55, 66, 71 f., 75, 81 – 83, 85 – 88, 91 – 95, 104, 108, 167, 171, 175, 178, 180 f., 188, 195, 218, 243, 263, 275 f., 278, 281, 292, 304 f., 356, 372, 380 Religiosität (A/B) 31, 52, 248, 304, 315 f., 346, 377, 411, 416 f., 425 f. Resignation 228, 232 – 234, 238, 240 – 242, 246, 251, 342, 402, 409 f., 413, 432 Rezeption 19, 64, 110, 112, 130, 226, 333, 382, 426 – 429 Romantik 55, 106, 108, 397 Schönheit 260 Schöpfung 34, 142 f., 145, 161, 259, 262, 276 f., 284, 286, 289, 292 f., 314, 410 Schriftsteller 1, 8, 13, 113, 122, 268, 297, 312, 400, 405 – 407, 418, 421 f., 432 Sein, das reine 76 – 78, 80 f., 176, 184, 187, 325 Sein = Nichts 166 f., 179, 182 Selbstbewusstsein 84 – 87, 171, 174, 199, 201 – 203, 211, 284, 300 f. Seligkeit 30, 41 f., 49, 53, 195 – 197, 209, 234, 304 f., 319, 328, 331, 341, 343, 345, 347 – 350, 375, 396 f., 410, 418 f. Sicherheit, apriorische 26, 95, 97 – 99, 101, 103, 105, 161, 217, 233 f., 240 – 242, 244, 320, 326 Sieg 98, 228, 320 – 323, 343 f., 387, 396 – 398, 401, 403, 408, 432 Sorge nach Gott 345, 348 f., 351 f., 400 Soteriologie (siehe auch Versöhnungslehre) 31, 36 Spekulation 117, 144, 147 f., 152, 178, 212, 250, 336
Sachregister
Sprung 2 f., 40, 60, 192, 282, 306, 308 f., 329, 332, 334, 371, 374 – 376, 380, 401, 405 Subjektivität 3, 31, 52 f., 104, 178, 274, 299 – 301, 328, 347, 374, 385 – 389, 391, 405 Subjektivitätstheorie 52, 104, 405 Subjekt-Objekt 199 – 201, 211 Sünde (siehe auch Todsünde) 9, 36, 59, 68, 99, 148 f., 195 f., 212, 215, 264, 283, 294, 300, 303 – 305, 307, 311 – 313, 318 f., 327 f., 348, 350, 352, 395, 400 f., 412 Sündenbewusstsein / Bewusstsein der Sünde 148 f., 157, 296 f., 306 – 308, 310, 323, 326, 352, 401, 406 Sündenvergebung / Vergebung der Sünden 51, 100 f., 149, 293 f., 306 – 308, 310 – 314, 316, 318 f., 323, 326, 340, 401, 406 Sündhaftigkeit 59, 392 f. Supranaturalismus 91, 108 f., 212 – 216, 250, 274 – 279, 283 f., 292 Symbolum Apostolicum / Apostolorum 50 f. Taufe 38, 48, 296 Theismus, spekulativer 26, 61, 118, 133, 140, 249, 257 f., 278 Theologie 6, 22, 91 f., 95, 104, 106 f., 109, 111, 114 – 116, 131, 170 f., 200, 203, 205, 216, 274 f., 278, 282, 284, 301 Todsünde 97 – 101 Tradition 146, 153, 156, 160, 164, 177 f., 203 f., 208, 211, 250, 379 Transsubstantiation 229, 233 f., 246, 251, 397, 408 Unglaube 45, 92, 95, 107, 196 – 198, 217, 232 Unmittelbare, das (erste) 26, 72 – 78, 80 – 82, 86, 95, 101 f., 104 f., 136, 154, 161 – 163, 168 – 174, 176, 182 f., 185 – 188, 191, 208 – 210, 251, 306 – 308, 314, 323 – 327, 329, 332 – 334, 401, 406 f. Unmittelbarkeit 3, 25, 64, 73 f., 76 – 78, 81, 84, 86, 95, 98, 102 f., 105, 155, 161,
487
165, 168, 172 – 175, 178 f., 181 f., 187 – 192, 210, 251, 274, 280, 308, 314 – 320, 323 – 326, 328 – 334, 361, 392, 401 f., 405 f., 416 Unmittelbarkeitsstatus 102, 325 Unschuld 93, 160, 342, 351 Unvernünftigkeit 66, 70 Unwahrscheinlichkeit 70, 104, 260, 266 Verflüchtigung 86, 140, 150, 152 – 154, 156 f., 160 f., 249, 264, 407 Verflüchtigungsverdikt 154, 156 f., 160, 407 Vermittlung (siehe auch Mediation) 55, 74, 76 – 78, 80 f., 187 – 192, 245, 288, 290, 308, 315, 325 f., 328 f., 332, 334 f., 337, 378, 406 Vermittelte, das / Vermitteltes 74, 76 – 78, 81, 105, 162, 188, 210, 251, 323, 333 Vernunft 33, 37, 66 – 68, 71, 91, 101, 104, 107 f., 111, 159, 167 f., 177 f., 198 – 203, 206 – 209, 211 – 213, 220, 275, 277, 283, 292, 330, 334, 339, 372, 408 Versöhnung 31, 36 f., 91, 137, 148, 155 f., 190, 195 – 197, 208, 210, 219, 227, 232 f., 241, 288, 290, 304 f., 312, 321, 393, 397 f., 402, 408, 432 Versöhnungsbegriff 196 Versöhnungslehre (siehe auch Soteriologie) 33, 36 f., 245 Versöhnungswerk 33, 36 – 38, 41, 103 Verstand 65, 69, 71, 177, 212, 261, 266, 272, 311, 329 f., 338, 372, 418 Verständigkeit 310, 401, 406 Verzweiflung 160, 215, 238, 264, 294, 305, 320, 342, 385, 419 vita ante acta 8, 432 Vorbild (Christus als Vorbild) 348, 418, 426 f., 429 – 431 Voraussetzungslosigkeit 181 f., 184, 225 Wahrheit 40, 52 – 54, 62, 66, 68 – 71, 91 – 95, 107, 126, 154 f., 165 f., 168, 171, 177 – 179, 186, 190 f., 195 – 197, 199 f., 202, 204, 206, 212 f., 217, 233, 240 f., 267, 275, 283, 295, 304, 318, 331, 337, 371, 373 f., 379 f., 389, 391 f., 395, 413, 417
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Sachregister
Wahrnehmen / Wahrnehmung 84, 246 f., 364, 370, 406, 409 Wahrscheinlichkeit 69, 329, 379 Wahrscheinlichkeitsgrad 69 Wechselwirkung 85, 116, 139 Weltanschauung / Welt-Anschauung 126, 223, 237, 248 Welt-Erfahrung 153, 160 Werden 200, 218, 398, 402, 408 Wiedergeburt 38, 160, 293 – 297, 314, 317, 343, 405 Wiederholung 3, 291, 313 Wille 143, 173, 199 Wirklichkeit (siehe auch Alltagswirklichkeit) 56, 85, 143, 147 f., 167, 173 f., 190, 195, 197, 202, 204 f., 212, 218, 224, 226 f., 229, 231 – 234, 239 – 246, 250 –
252, 255, 275, 278, 294, 303, 313 f., 317, 320, 347, 354, 383 – 392, 394 – 399, 402 f., 408 f., 414, 417, 420, 424, 426, 428, 432 Wissen 76 f., 88, 91 – 96, 99 f., 114, 137, 154 f., 159, 166, 175, 189 f., 196, 199 f., 202 f., 205 – 209, 211 – 216, 219 f., 283, 287, 290, 302, 307, 330 f., 375, 384 Wunder 45, 66, 69 f., 87 f., 138, 277, 280, 289, 331, 365, 372, 377 – 379 Zeitlichkeit 143, 349 Zweifel 68, 92, 164, 166, 168, 179, 180 – 182, 195, 197 f., 204, 208 f., 212, 219, 302, 305, 307, 321, 343, 348, 352, 400, 419