Theologiestudium im Kontext [Reprint 2011 ed.] 9783110814118, 9783110157376


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German Pages 432 [436] Year 1997

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Table of contents :
1. “Theologiestudium im Kontext” – Einleitung
2. Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion
3. Historischer Überblick über die Diskussion im Kontext der Gemischten Kommission seit 1965
3.1 Einleitung
3.2 Zur geschichtlichen Entwicklung bis 1960
3.3 Die Einsetzung der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums
3.4 Von den Empfehlungen des Wissenschaftsrates bis zu den Empfehlungen zum Ersten Theologischen Examen – die Zeit von 1966–1970
3.5 Differenzierung und Ergebnisorientierung – die GK von 1970–1977
3.6 Administrative Kooperation – Die GK von 1977 bis zu ihrer Neukonstitution im Jahre 1984
3.7 Die Neukonstitution der GK, ihr neuer Auftrag und die ‘neue Grundsatzdebatte’
3.8 Zur Überleitung
4. Theoretische Ansätze zur Studienreform und ihre Kontextualisierung
4.1 Die hochschuldidaktische Konzeption Henning Luthers: ‘Wissenschaft als kommunikativer Bildungsprozeß’
4.2 Die Studienkonzeption Ellert Herms’: ‘Theorie für die Praxis’
4.3 Kontextualisierung bei Henning Luther und Eilert Herms
5. Kontextualisierung im Studium und Kontextualisierung des Studiums: Auswertung und Perspektiven
5.1 Einleitung: Präskription und Deskription im praktischen Feld
5.2 Deskriptive Elemente, die für Studienplanung unter dem Aspekt von Kontextualisierung relevant sind
5.3 Zur präskriptiven Diskussion unter dem Aspekt der Kontextualisierung
5.4 Zur Illustration: Wie ist eine anfangsweise praktische Umsetzung möglich? Erfahrungsbericht aus den AnfängerInnenveranstaltungen für Studierende der ev. Theologie in Frankfurt/Main
6. Studium, Vikariat und Pfarramt: ein kontextuelles Nachwort
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
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Theologiestudium im Kontext [Reprint 2011 ed.]
 9783110814118, 9783110157376

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Torsten Meireis Theologiestudium im Kontext

W G DE

Arbeiten zur Praktischen Theologie Herausgegeben von Karl-Heinrich Bieritz, Wilfried Engemann und Christian Grethlein

Band 11

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

Torsten Meireis

Theologiestudium im Kontext

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme

Meireis, Torsten: Theologiestudium im Kontext / Torsten Meireis. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1997. (Arbeiten zur Praktischen Theologie ; Bd. 11) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-11-015737-3 NE: GT

© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Rinspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Inhalt l.

"Theologiestudium im Kontext" - Einleitung

1.1

Vorrede

1.2

Studienreform? Studienreform!

l. 3

Studienreform und Sozialethik - ethische Verortungdes Themas

l .4

Reform des Theologiestudiums und Ökumene - zur Entwicklung einer Untersuchungsperspektive

7

Kontextualisierung als Frage nach der Konzeptualisierung des sozialen Kontextes - Darstellung der Untersuchungsperspektive

10

Das Studium als eigener Abschnitt - zur Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands

14

1.5

1.6

l .7

Forschung als Ort und als Gegenstand Literatursichtung

1.8

Der Kontext des Autors - der Kontext der Untersuchung

l .9

17 22

Zum Vorgehen der Arbeit - Kurzinhalt und Gliederung

25

2.

Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

2.1

Einleitung

28

2.2

'Kontextualisierung1 und theologische Ausbildung.

29

VI

Inhalt

2.3

Das Konzept der Kontextualisierung

31

2.3.2

Die Rezeption im deutschsprachigen Raum: 'Kontextuelle Theologien'

34

2.3.3

Kontextualisierung in Westeuropa?

36

2.3.4

'Kontextualisierung'in dieser Arbeit

40

2.4

Theologische Ausbildung in Deutschland und die Frage der Kontextualisierung - ein Untersuchungsraster in Aufnahme der "Theorie der Strukturierung' von A. Giddens

. 45f

2.4.1

Zur Präzisierung des Kontextualisierungsbegriffes

45

2.4.2

Der Grundansatz von Giddens' Theorie

47

2.4.3

Grundelemente der Theorie A. Giddens'

49

2.4.4

Vier Ebenen sozialer Wirklichkeit im Anschluß an A. Giddens

52

2.4.5

Die Aufnahme des Konzeptes in dieser Arbeit

57

3.

Historischer Überblick über die Diskussion im Kontext der Gemischten Kommission seit 1965

3.1

Einleitung

63

3.2

Zur geschichtlichen Entwicklung bis 1960

64

3.3

Die Einsetzung der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums

67

Von den Empfehlungen des Wissenschaftsrates bis zu den Empfehlungen zum Ersten Theologischen Examen - die Zeit von 1966-1970

70

3.4.1

Die Arbeitsweise

70

3.4.2

Reaktionen auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates

71

3.4.3

Problemorientierung und empirische Arbeit

72

3.4.4

Prüfungspolitik und Differenzierung

73

3.4

Inhalt

3.4.5

Hochschuldidaktik

80

3.4.6

Grundsatzfragen

83

3.4.7

Kontextualisierung in der ersten Arbeitsphase der Gemischten Kommission

86

3.5

Differenzierung und Ergebnisorientierung - die GKvon 1970-1977

R„

3.5.1

Die neue Arbeitsweise

88

3.5.2

Die 'Empfehlungen zur Ausbildung des Theologen'

89

Die Diskussion über die 'Empfehlungen' und ihre Rezeption in der GK

91

3.5.4

Differenzierung und Ausarbeitung

94

3.5.5

Die Sprachenprojektgruppe

94

3.5.6

Die Projektgruppe Fachhochschulen

95

3.5.7

Die Projektgruppe Religionslehrerausbildung

96

3.5.8

Die Konkretion der 'Empfehlungen zur Ausbildung des Theologen': Die 'Empfehlungen zur Planung des Theologiestudiums'

98

3.5.3

3.5.9

Die Rezeption der Empfehlungen

102

3.5.10

Angleichung des Kolloquiums

103

3.5.11

Angleichung des Examens

104

3.5.12

Organisatorische Umstrukturierungen

105

3.5.13

Die ' Rahmenempfehlungen für Ordnungen und Vollzug des Ersten Theologischen Examens'

107

3.5.14

Die Fertigstellung des Ausbildungsgesamtplans....

110

3.6

Administrative Kooperation - Die GK von 1977 bis zu ihrer Neukonstitution im Jahre 1984

114

3.7

Die Neukonstitution der GK, ihr neuer Auftrag

und die 'neue Grundsatzdebatte1......

117

!

3.7. l

Inhalt

Das Votum der VETh/KthF: Zu einer subjektorientierten Hochschuldidaktik der Theologie in ökumenischer Perspektive

118

3.7.2

Pia Desideria Oecumenica

120

3.7.3

Das Votum der Gemischten Kommission von 1988 auf dem Hintergrund der bisherigen Arbeit

123

3.8

4.

Zur Überleitung

128

Theoretische Ansätze zur Studienreform und ihre Kontextualisierung

4. l

Die hochschuldidaktische Konzeption Henning Luthers: 'Wissenschaft als kommunikativer Bildungsprozeß'

131

4.1.1

Einleitung

131

4.1.2

' Perspektiven zu einer Hochschuldidaktik des Theologiestudiums1

132

4.1.2.1

Einleitung

132

4.1.2.2

Darstellung

133

Zwischenbetrachtung l

151

4.1.3

Der Rückbezug: Methodik und Quellen

153

4.1.3.1

Luthers Vorverständnis: Die Grundkonzeption von Hochschuldidaktik

155

Luthers Überblick über die neuere Geschichte der Hochschul- und Studienreformdiskussion

156

Zwischenbetrachtung 2

161

Luthers Überblick über die Geschichte der theologischen Studienreform vom Mittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts

163

Zwischenbetrachtung 3

167

Luthers Darstellung der Diskussion um die Reform des Theologiestudiums seit 1945

170

Schlußbetrachtung

175

4. l.3.2

4. l.3.3

4.1.3.4

Inhalt

4.1.4

IX

Religion, Subjekt und Alltag - weiterführende theoretische Arbeiten Henning Luthers

177

Die Studienkonzeption Eilert Herms': "Theorie für die Praxis'

187

4.2.1

Einleitung

187

4.2.2

Die Studienkonzeption: Theologiestudium als Element der Ausbildung zu theologischer Kompetenz

189

Der theologische Rahmen des Studiums: Christliche Lehre als kirchlich verwaltete Bildungstheorie

189

Zwischenbetrachtung l

191

Theologische Berufsausbildung als Lösung von Identitätskrisen der Theologiestudierenden

193

Zwischenbetrachtung 2

196

Theologische Kompetenz1 als Schaltstelle zwischen christlicher Lehre, Identität und theologischem Beruf

197

4.2

4.2.2. l

4.2.2.2

4.2.2.3

4.1.3.1

Luthers Vorverständnis: Die Grundkonzeption von Hochschuldidaktik

4.2.2.4

Die grundlegende Aufgabe der Dogmatik: Studium als Identitätsbildung durch die Vermittlung kategorialen Wissens

207

Zwischenbetrachtung 4

215

Die Institutionen des Kompetenzerwerbs

218

Zwischenbetrachtung 5

226

Theologie als Wahrnehmung anthropologischer Ordnung - zum theoretischen Hintergrund Eilert Herms 1 .............

232

4.2.2.5 4.2.3

202

4.3

Kontextualisierung bei Henning Luther und Eilert o Herms

-.. 244

4.3.1

Wonach wird gefragt? Das heuristische Schema und seine Relevanz für die Frage nach dem Studium

244

Inhalt

4.3.1.1

Die Aufgabenstellung

244

4.3.1.2

Die Vorgehensweise

245

4.3.2

Die Kontextualisierung der Autoren

249

4.3.2.1

Globale Zuordnung zu zwischengesellschaftlichen Systemen

249

4.3.2.2

Gesellschaftliche Zuordnung

249

4.3.2.3

Institutionelle Zuordnung zu Organisationen

249

4.3.2.4

Interaktion individueller Akteurinnen: Die

Biographie

251

4.3.3

Die Kontextualisierung des Gegenstands

253

1.3.3.l

Die globale Verortung des Studiums: zwischengesellschaftliche Systeme

253

4.3.3.2

Die gesellschaftliche Verortung des Studiums

255

4.3.3.3

Institutionelle Verortung des Studiums: Organisationen

263

Das Studium als Prozeß der Interaktion individueller Akteurinnen

274

Kontextualisierung bei Luther und Herms: Zusammenfassung

292

4.3.4.1

Die Kontextualisierung der Autoren

292

4.3.4.2

Die Kontextualisierung des Gegenstands

293

5.

Kontextualisierung im Studium und Kontextualisierung des Studiums: Auswertung und Perspektiven

5. l

Einleitung: Präskription und Deskription im praktischen Feld

300

Deskriptive Elemente, die für Studienplanung unter dem Aspekt von Kontextualisierung relevant sind

302

Die globale Verortung des Studiums: Zwischengesellschaftliche Systeme

302

Die gesellschaftliche Verortung des Studiums

303

4.3.3.4 4.3.4

5.2

5.2.1 5.2.2

Inhalt

5.2.3

XI

Die institutionelle Verortung des Studiums: Organisationen

304

Das Studium als Prozeß der Interaktion individueller Akteurinnen

306

5.2.4.1

Akteurinnen

306

5.2.4.2

Bewußtseins-und Interaktionsebenen

311

5.2.4.3

Kontextbezüge

314

5.3

Zur präskriptiven Diskussion unter dem Aspekt der Kontextualisierung

5.3.1

Die Beiträge aus der Debatte im Zusammenhang der Gemischten Kommission

323

Das allgemeine Studienziel: Theologische Urteilsfähigkeit, Vermittlung kategorialer Bildung, Bemühung um die Wahrheitsfrage

324

Interdisziplinarität: Einbeziehung der Humanwissenschaften

325

5.3.1.3

Selbstbestimmung im Lernprozeß

325

5.3.1.4

'Ökumenische Kompetenz1

326

5.3.1.5

Wissenschaftliche, themenzentrierte Arbeit und Anwendung im Diskurs

327

5.3.2

Die Beiträge Luthers und Herms'

327

5.3.2.1

Eilert Herms: 'Theologische Kompetenz'

327

5.3.2.2

Henning Luther: Primat der als Kritik und Kommunikation verstandenen Wissenschaft im Studium

331

5.3.2.3

Henning Luther: 'Subjektorientierung'

335

5.3.3

Auswertung: Normen für die Studienplanung

337

5.3.3.1

Moralische Prinzipien

338

5.3.3.2

Ethische Normen

338

5.3.3.3

Pragmatische Vorschläge

342

5.2.4

5.3.1.1

5.3.1.2

.-„

Inhalt

5.4

Zur Illustration: Wie ist eine anfangs weise praktische Umsetzung möglich? Erfahrungsbericht aus den Anfängerinnenveranstaltungen für Studierende der ev. Theologie in Frankfurt/Main

352

5.4.1

Einleitung

352

5.4.2

Die Studieneingangsphase in Frankfurt am Main...

354

5.4.2.1

Allgemeine Orientierung

354

5.4.2.2

Die Praxisprojekte als Bestandteil der Studieneingangsphase für Studierende auf Pfarramt - organisationeile Träger, rechtliche Regelung, personelle Ausstattung, didaktische Anlage

355

5.4.3

Die Praxisprojekte als Anfängerinnenprojekte -

erste Schritte zur Kontextualisierung im Studium...

358

5.4.3.1

Subjektorientierung

358

5.4.3.2

Kontextualisierung

362

5.4.3.3

Theologische Urteilsbildung

368

5.4.3.4

Primat der Wissenschaft

369

6.

Studium, Vikariat und Pfarramt: ein kontextuelles Nachwort

6.1

Veränderte Kontexte

371

6.2

Pfarramt

374

6.2.1

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen an

die Kirche

374

6.2.2

Der Pfarrberuf als Profession

376

6.2.3

Kontextreflexion als Aufgabe der verkündigenden Kirche

379 001

6.3

Vikariat

6.3.1

Primat des Berufsfeldes

382

6.3.2

Subjektorientierung: Vikarinnen als qualifizierte, selbstverantwortliche Auszubildende

383

Inhalt

Xffl

6.3.3

Kontextualisierung

6.3.4

Theologische Urteilsbildung

6.4

Kontextualisierung im Pfarrberuf - Sensibilität als _, Chance .....................................................

Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis

....................................... ............................

...................................................

........................

.

.............................

385 388

391 392

l. "Theologiestudium im Kontext" - Einleitung l. l

Vorrede

Diese Arbeit behandelt die bundesdeutsche Diskussion um die Reform des Studiums der evangelischen Theologie seit den sechziger Jahren. Dabei wird vor allem nach dem Kontext des Studiums, genauer: der Wahrnehmung dieses Kontextes in der Debatte gefragt. Dies geschieht durch einen Präzisierungsvorschlag dessen, was unter 'Kontext' und 'Kontextualisierung' verstanden werden soll, einen historischen Durchgang und vor allem durch die exemplarische Untersuchung zweier aktueller Studienreformentwürfe anhand des präzisierten Kontextualisierungsverständnisses. Aus der Untersuchung resultieren Fragestellungen und Vorschläge für eine an Kontextualisierung interessierte Studienplanung. In dieser Einleitung möchte ich zunächst kurz das aktuelle Umfeld der allgemeinen und spezifisch evangelisch-theologischen Studienreformdiskussionen skizzieren. In einem zweiten Schritt möchte ich darlegen, was eine sozialethische Arbeit zum Thema beitragen kann und in einem dritten Teil der Einleitung soll die Untersuchungsperspektive, deren ich mich bedienen möchte, vorläufig entwickelt werden. Daraufhin soll diese Untersuchungsperspektive kurz dargestellt werden, um dann die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes zu erläutern. Weiterhin möchte ich kurz auf die wenigen Forschungsansätze zum Thema 'Kontextualisierung des Theologiestudiums1 eingehen, die sehr umfangreiche Literatur zum Thema 'Reform des Theologiestudiums' exemplarisch überblicken und meinen Umgang mit diesen Beiträgen erläutern. Schließlich soll mein eigener Kontext - soweit er mir für das Verständnis dieser Arbeit relevant erscheint - skizziert werden und zur Leseerleichterung möchte ich eine kurze Übersicht über den Argumentationsgang der Untersuchung bieten.

1.2 Studienreform? Studienreform! Wer in jüngster Zeit die Wissenschafts- und Kulturseiten einschlägiger Tageszeitungen durchsieht, kann eine zunächst überraschende Beobachtung machen: Die nach den siebziger Jahren totgeglaubte Studienreform ist wieder

2

"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

zu einem politischen Tagesordnungspunkt geworden. Von zu langen Studienzeiten ist die Rede, verschiedene Hitlisten, 'Rankings' von Hochschulen und Fakultäten kursieren und unterschiedliche Maßnahmen der Studienreform werden öffentlich und kontrovers diskutiert - unter ihnen die Einführung von Studiengebühren, die weitere Begrenzung von Studienregelzeiten, die Verkürzung der Schulzeit oder die Geldzuteilung an Fakultäten nach der Absolventinnenzahl1. Freilich steht die augenblickliche Konjunktur des Hochschulrefonnthemas nicht unter den in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren anvisierten Demokratisierungsbestrebungen, sondern orientiert sich an unmittelbaren Effizienzerwägungen. Das Studium dauere zu lange und sei zu teuer, im europäischen Vergleich seien die Hochschulabgängerlnnen in der BRD zu spät im Beruf2. Angesichts dieser Klagen ist daran zu erinnern, daß auch die Hochschulreformbestrebungen der sechziger Jahre ihren Ausgang bei wirtschaftlichen Erwägungen genommen hatten. So hatte G. Picht die "deutsche Bildungskatastrophe" beklagt3, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ruiniere, und in frühen Gutachten des Wissenschaftsrates wurden ähnliche Maßnahmen vorgeschlagen, wie sie auch jetzt wieder in der Diskussion sind: so etwa eine Differenzierung von beruflich und wissenschaftlich qualifizierenden Studiengängen4. Allerdings sind die Unterschiede in der Situation, auf die mit diesen Maßnahmenpaketen reagiert werden soll, gravierend. Heute sind die Universitäten - gemessen an ihrer Ausstattung - überfüllt, die europäische Einigung stellt vor bildungspolitische Kompatibilitätsanforderungen und die Einbindung der ehemaligen DDR resultierte im Versuch eines weitgehenden Neuaufbaus dortiger Hochschulen, der immense Finanzmittel verschlingt. Der Skopus der gesellschaftspolitischen Reformforderungen heute ist damit deutlich: Sparen steht auf der Tagesordnung, mit weniger 'input' soll mehr Output' erreicht werden. Dabei wird nur selten über Studien- und Hochschulstruktur, Studienziele, Wissenschaftsverständnis oder gar 1

2

3 4

Vgl. Der Spiegel 1993: 80-101. In dieser Arbeit werden aus Gründen der sprachlichen Gleichbehandlung die geschlechterumfassenden Personenbezeichnungen zumeist in der weiblichen Form mit einem großen T verwandt. Allerdings verwende ich zuweilen auch die ausführliche Schreibweise. Beide haben grundsätzlich den Vorteil, deutlich zu bezeichnen, ob nur Männer, nur Frauen oder Männer und Frauen gemeint sind. Damit folge ich der Praxis der deutschen "taz" bzw. der Schweizer "WoZ", die sich allmählich auch im wissenschaftlichen Raum durchzusetzen beginnt (vgl. etwa F. W. Krön 1993). Zur Notwendigkeit einer solchen Umstrukturierung der Sprache vgl. die Arbeit der Linguistin L.F. Pusch 1990a. So etwa Bundesbildungsminister R. Ortleb in einer Diskussion mit Landesbildungsministem und anderen Fachleuten; Sendung 'Schlaglicht1, SWF 3, 20. 07. 1993. Vgl. G. Picht 1964. Dieser Vorschlag tauchte ebenfalls in der bereits erwähnten Sendung 'Schlaglicht' auf, vgl. auch Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 12ff.

Studienreform? Studienreform!

3

Bildungsauffassungen nachgedacht. Stattdessen sind Berufsnähe und Leistungskontrolle Trumpf5. Das Theologiestudium steht bei diesen Untersuchungen meist am Rande. In Rankings wird es selten erwähnt und gilt kaum als von allgemeinem Interesse6. Dennoch gibt es eine Geschichte der Reform des Theologiestudiums und vor kurzer Zeit ist in der internen Öffentlichkeit von Fakultäten, Studierenden und Kirchen eine neue Debatte entbrannt, die noch nicht als abgeschlossen gelten kann. Das Studium der evangelischen Theologie7 als institutionalisierte Form der theoretischen Bildung kirchlicher und staatlicher Funktionsträgerinnen8 wurde in seiner modernen Ausprägung in mehreren Schüben problematisiert9. In der jüngeren Vergangenheit ist zunächst die in den fünfziger Jahren geführte Debatte zu nennen, die sich an einem kirchlicherseits in Auftrag gegebenen Gutachten von H.H. Wolf und W. Hahn10 entzündete und als dessen Protagonisten neben den bereits Erwähnten auch noch E. Käsemann11, F. Baumgärtel12, G. Eichholz13 und H.E. Tödt14 zu nennen wären. Die Debatte hob vor allem auf die praktische Relevanz des wissenschaftlichen Theologiestudiums für die späteren Aufgaben des Pfarrers ab, setzte aber nur wenige praktische Aktivitäten in Gang, die zudem vor allem auf der Ebene der Landeskirchen, also der zweiten und dritten Phase theologischer Ausbildung angesiedelt waren. Anders verhielt es sich mit dem nächsten Schub der Problematisierung, der zeitlich mit der Arbeit des Studienreformseminars des Fachverbandes evangelischer Theologiestudierender15 und der Einrichtung der sogenannten 5

So schreibt der 'Spiegel' bei der Beurteilung der in seinem Ranking gut abschneidenden Universitäten: "Der erste Platz für Düsseldorf in der Fachrangliste Medizin beweist: Die Studenten der neunziger Jahre wollen gefordert und geführt werden." Der Spiegel 993: 86. 6 So jedenfalls in den von den Illustrierten 'Stern' und 'Spiegel' veröffentlichten Rankings. Vgl. Stern 1993: 171-184. Auch bezüglich des Studiums der katholischen Theologie gab es Reformbemühungen, beide Reformprozesse liefen jedoch weitgehend nebeneinander her, ein Kontakt unterblieb. 8 Diese Definition muß als vorläufig gelten, da die selbstverständliche Einbindung von Absolventinnen der Theologie in kirchliche bzw. staatliche Pfarr- und Lehrämter so nicht mehr gegeben ist und in der Zukunft vermutlich weiter abnehmen wird. In dieser Arbeit wird u.a. aus dem oben genannten Grund - für eine selbständige Behandlung des Theologiestudiums votiert. 9 Vgl. W. Herrmann 1976, der den Prozeß einer "Reform des Theologiestudiums" bis in die Reformation zurückverfolgt. Ahnlich, jedoch mit Blickwinkel auf die Universität im ganzen H. Luther 1976. 10 Vgl. W. Hahn, H.H. Wolf 1952. " Vgl. E. Käsemann 1952. 12 Vgl. F. Baumgärtel 1953. 13 Vgl. G. Eichholz 1953. 14 Vgl. H.E. Tödt 1953.

4

"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

"Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums"16 anzusetzen ist. Die Arbeit dieser Gremien - denen noch die Ausbildungsreferentenkonferenz der Gliedkirchen der EKD, zeitweilig die Personalplanungsgruppe der EKD und mannigfaltige lokale Gruppen zuzufügen sind - zielte explizit auf die organisatorische und institutionelle Reform des Theologiestudiums17. 1978 konnte mit der Veröffentlichung eines Rahmenplanes18 der vorläufige Abschluß der Reformbemühungen festgestellt werden1 . Jedoch ist die Diskussion in jüngster Zeit wieder aufgeflammt. So enthielten Untersuchungen zur Zukunft der evangelischen Kirche in Deutschland teils vehemente Kritiken gerade an der ersten Phase der Ausbildung20 - der Vorwurf lautete, an der Universität würden berufsunfähige 'Miniwissenschaftler1 ausgebildet - und wurden von Seiten der wissenschaftlichen Theologie mit ähnlicher Vehemenz beantwortet21. Im Zuge dieser Debatte entstand dann ein neues Papier22 der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums, das "die neu aufgekommenen Fragen nach den inhaltlichen Bestimmungen theologischer (pastoraler) Kompetenz aufnehmen"23 sowie den Verschiebungen der letzten Jahre gerecht werden wollte und in dem "das Prinzipielle formuliert"24 werden sollte. Dem entsprachen ähnlich grundsätzlich ansetzende Papiere anderer Gremien. So veröffentlichte die Interessenvertretung der Studierenden, der Vereinigung evangelischer Theologiestudierender/Konferenz theologischer Fachschaften (VeTh/KthF) einen Text25, der das Studium als problematisch schildert. Gravamina sind hier die als Folge der Studienanlage gesehene Auslagerung des Engagements der Studierenden aus der Universität sowie allgemeine Motivations- und Orientierungslosigkeit, die das Studium zum Angst- und Bedrohungsfaktor werden lasse, eine sich verschlechternde materielle Situation der Studierenden, eine Unterrepräsentation der Frauen vor allem im 19

16 17 18 19 20 21 22

23 24 23

Vgl. das 1964 als Typoskript vorliegende Gutachten des Studienreformseminars, erarbeitet von G. Lautner und W. Herrmann 1964. Dieses Gutachten wurde dann ein Jahr später leicht redigiert veröffentlicht: G. Lautner, W. Herrmann 1965. Vgl. O. Kaiser, H.E. Tödt 1967. Vgl. H.E. Todt 1968. Vgl. RthA 12 1978. Vgl. Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1978. Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Planungsgruppe 1986: 27ff; Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland 1987. Vgl. M. Welker 1987. Gemischte Kommission für die Reform des Theologiestudiums 1988. Die 'Gemischte Kommission für die Reform des Theologiestudiums' wird im folgenden entweder kurz als 'Gemischte Kommission' bezeichnet oder als OK' abgekürzt. Gemischte Kommission 1988: 15. Gemischte Kommission 1988: 16. Vereinigung evangelischer Theologiestudierender/Konferenz theologischer Fachschaften (VeTh/KthF) 1987.

Studienreform? Studienreform!

5

Lehrkörper der Universität und mangelnde Partizipationsmöglichkeiten der Studierenden26. Nach einer Darstellung der nach wie vor als krisenhaft empfundenen Studiensituation konstatiert die Organisation: "Es ist darum gebotener denn je, daß die Theologiestudent/inn/en, insbesondere ihre Vertreter/inn/en in der VeTh/KthF (die auch in der Vergangenheit studentische Interessen in der Gemischten Kommission wahrnahmen) ein 'abweichendes' Reformkonzept entwickeln und nach geeigneten Möglichkeiten und Formen suchen, es wahrzunehmen."27 Eine Gruppe ökumenisch engagierter Theologen veröffentlichte zu einer ökumenischen Tagung über die Studienreform ein Thesenpapier mit dem Titel "Pia Desideria Oecumenica"28, das zunächst Defizienz und Stagnation der Reformdiskussion - etwa hinsichtlich der konkreten Probleme von Sprachen und Prüfungen - beklagt und dann eine grundsätzliche ökumenische Ausrichtung theologischer Ausbildung fordert, die 'ökumenische Dialogfähigkeit1, 'Bezug zu Überlebensfragen der Menschheit' oder 'authentische Spiritualität'29 befördern soll. Wie immer die momentan vorherrschenden Einstellungen und Muster beurteilt werden mögen, die zur Thematisierung des Studiums beigetragen haben, so kann doch jedenfalls geurteilt werden, daß neue Bewegung in die Debatte um die Studienreform gekommen ist. Wird der Streit auf gesellschaftspolitischer Ebene vor allem um die Effizienz des Hochschulstudiums überhaupt geführt - eine Debatte, bei der das Theologiestudium zwar nur peripher thematisiert, aber von allen Konsequenzen mitbetroffen wird - geht es im Bereich der innertheologischen Öffentlichkeit, also im kirchlichen Rahmen, in paritätisch besetzten Gremien wie der Gemischten Kommission, in Organisationen der Studierenden oder in unabhängigen Gruppen, um Grundsatzfragen der Anlage des Theologiestudiums. Aus unterschiedlichen Gründen und Motiven heraus ist so das Studium - und damit auch das Studium der Evangelischen Theologie - wieder zum aktuellen Diskussionsgegenstand geworden. Diese Entwicklung scheint mir insgesamt begrüßenswert zu sein. Denn Studienreform ist - wie die verschiedenen Voten aus verschiedenen Perspektiven eindrucksvoll belegen - auch im Bereich evangelischer Theologie notwendig. Allerdings muß sich an diese Feststellung sofort eine Problemanzeige anschließen. Denn so deutlich, wie die aktuellen Debatten einen Konsens über die Notwendigkeit der Veränderung des Studiums signalisieren, so umstritten sind Gegenstände, Ziele, Verfahren und Motive der Veränderung. Sollen die Verfahren des Studiums grundsätzlich geändert werden, um eine größere Partizipation der Studierenden zu ermöglichen? Oder geht es - unter Beibehaltung der traditionellen Verfahren - vielmehr um die Einführung 26 27 28 29

Vgl. VeTh/KthF 1987: 4ff. VeTh/KthF 1987: 7. U. Becker u.a. 1990. Vgl. U. Becker u.a. 1990: 130f.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

einer neuen Grundbegrifflichkeit, mit der Ziele und Leistungen des Studiums von allen Beteiligten zu beschreiben sind? Soll der ökumenisch-kirchliche Blick zur Leitperspektive des Studiums werden? Oder soll das Studium noch deutlicher als bisher in bestimmte Berufsausbildungsgänge integriert werden? Im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit können diese Fragen nicht wirksam entschieden werden - sie sind Gegenstand des auf verschiedenen politischen Ebenen auszutragenden Streites. Aber eine solche Arbeit kann ein Versuch sein, zur Kommunikation zwischen den Positionen beizutragen und so den Streit zu befördern. Diese Beförderung des Streites soll hier in dreifacher Weise versucht werden. Positionen sollen durch Bezug auf ein Drittes, die Frage nach dem 'Kontext', untereinander in ein Verhältnis gesetzt werden. Die verschiedenen Argumentationsebenen des Streites sollen durch diesen Bezug differenziert werden. Und da der Bezug auf die Frage nach dem Kontext selbst eine Interpretation sowohl der Positionen als auch ihrer Gegenstände darstellt, bietet die Arbeit selbst eine bestreitbare Position.

l .3 Studienreform und Sozialethik ethische Verortung des Themas Das Theologiestudium wird - in wissenschaftlicher Weise - klassisch sowohl in der praktischen Theologie als auch in der systematischen Theologie verhandelt. Erscheint es in jener vor allem unter dem Aspekt der Pastoraltheologie30, so wird es in dieser meist im Kontext einer einführenden Enzyklopädie31 bearbeitet. Damit kommen freilich nur zwei Aspekte des Studiums in den Blick. Das Theologiestudium ist jedoch nicht nur ein theoretisch beschreibbarer und begründungspflichtiger Zusammenhang akademischer Disziplinen oder ein auf das Pfarr- oder Lehramt vorbereitender Ausbildungsgang, sondern eben auch ein Gegenstand des Streites und der Auseinandersetzung. Diese Auseinandersetzung wird besonders virulent, wenn es um die Veränderung des Studiums geht, wenn eine Reform des Theologiestudiums auf die politische Tagesordnung gesetzt wird. Die Reform des Studiums wird dann zum Feld, auf dem verschiedene Parteien und Personen mit variierenden Einflußpotentialen und den unterschiedlichsten Interessen die Form des Studiums und seine Inhalte, die Trägerschaft und die Finanzierung, die Studieneingangsbedingungen und die Prüfungsordnungen debattieren. In diesen praktisch-politischen Debatten geht es stets auch um die Durchsetzung der je eigenen Position, aber diese Durchsetzung wird nicht allein 30 31

Vgl. etwa D. Rössler 1986: 103-138 oder M. Josuttis 1982: 211-229. Vgl. etwa F.D.E. Schleiermacher 1982 oder G. Ebeling 1975.

Studienreform und Sozialethik

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durch allokative Machtmittel angestrebt, sondern auch durch Überzeugungsarbeit, Diskussion, Konsens und Kompromiß. Mit Argumenten, die als verallgemeinerbar, intersubjektiv verbindlich gedacht werden - wenn auch in unterschiedlichem Grade - sollen eine bestimmte Handlungsstrategie, ein Paket von Maßnahmen, konkrete Lernziele oder gar ein theoretisches Grundkonzept des Studiums dem Konsens einer - unterschiedlich breit konzipierten Öffentlichkeit anempfohlen werden, um sie dann durch Studien- oder Prüfungsordnungen, Rahmenpläne oder Grundsatzpapiere in irgendeiner Form für verpflichtend zu erklären. Die vorgebrachten Argumente können dabei unterschiedlichen Charakter haben. Maßnahmen können unter Berufung auf ihre Nützlichkeit für einen bestimmten Zweck vorgeschlagen werden, Zwecke durch ihre Notwendigkeit für das Gute oder das Gerechte legitimiert werden. Und so stehen auch hinter Vorschlägen für die Reform des Theologiestudiums Annahmen über die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme, Vorstellungen über das gute Leben oder die Gerechtigkeit, die durch sie befördert werden sollen. So kann etwa der Erwerb wissenschaftlicher Bildung als zweckmäßig für eine kompetente Berufsausübung angesehen werden, die kompetente Berufsausübung der Pfarrerin oder Religionslehrerin als wichtig für die Verkündigung des Evangeliums wahrgenommen werden. Die Verkündigung des Evangeliums kann - unter christlichen Voraussetzungen - als zu einem heilvollen Leben notwendig erachtet werden. Die ausdrückliche Reflexion über angestrebte Handlungsvollzüge von einzelnen, Gruppen oder Organisationen hinsichtlich ihrer Gründe ist aber Gegenstand der Ethik. Geht es im besonderen um folgenreiche Handlungsvollzüge von Gruppen und Organisationen, so erklärt sich die Sozialethik für zuständig. Geht es der pastoraltheologischen oder religionspädagogischen Behandlung des Studiums besonders um die Bedeutung für eine Ausübung des Pfarr- bzw. Lehramtes und der dogmatischen Untersuchung um den angebbaren systematischen Zusammenhang der verschiedenen theologischen Disziplinen, so ist es der sozialethischen Untersuchung um die Begründungen zu tun, die für ein bestimmtes Handeln anvisiert werden.

l .4 Reform des Theologiestudiums und Ökumene - zur Entwicklung einer Untersuchungsperspektive Freilich kann auch eine sozialethische Untersuchung in dieser Form nicht die gesamte Debatte um die Reform des Theologiestudiums analysieren. Sie muß sich begrenzen und eine Untersuchungsperspektive wählen. Dabei stehen zwei Möglichkeiten offen. Eine solche Untersuchung kann sich auf die Analyse des Verhandelten, die Differenzierung der Argumentationsebenen

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

beschränken. Dann ist es sinnvoll, eine Perspektive zu wählen, die auch faktisch in den Debatten vertreten wurde. Oder sie kann versuchen, neben dieser Differenzierung neue Gesichtspunkte in die Debatte einzubringen. Dann legt es sich nahe, eine Perspektive zu wählen, die bisher wenig oder gar nicht vertreten war, unter der die Reform des Theologiestudiums aber trotzdem sinnvoll thematisiert werden kann und die bereits geleistete Beiträge aufzunehmen erlaubt. In dieser Arbeit möchte ich den zweiten Weg verfolgen. Von besonderer Bedeutung im Prozeß ethischer und theoretischer Urteilsbildung sind die von H.E. Tödt als 'Problemfindung' und 'Situationsanalyse' bezeichneten Schritte32. Was ist in einer gegebenen Situation das ethische Problem, welche Prinzipien sollen herangezogen werden? Die Frage nach dem spezifischen Problem in einer Situation hängt eng mit der Wahrnehmung der Situation insgesamt zusammen. Dieser Zusammenhang läßt sich auch in der Diskussion um das Theologiestudium beobachten: Strittig ist bereits, wo eigentlich genau die Probleme im Studium zu verorten sind. Die Art der Probleme, die angesprochen werden, die Weise, wie sie angesprochen werden und die Auswahl der ethischen Prinzipien, auf die zu ihrer Begründung zurückgegriffen wird, hängt davon ab, wie der Zusammenhang thematisiert wird, in dem das Theologiestudium steht. Wird er vorrangig unter theologischer, politischer, sozialer, psychologischer, historischer Perspektive oder einer bestimmten Verbindung dieser Sichtweisen bearbeitet? Sind die Interessen bestimmter Organisationen, die Anliegen spezifischer Gruppen oder besonderer Individuen leitend? Werden vor allem Nützlichkeitserwägungen für einen unhinterfragten Zweck angestellt oder werden ethische Prinzipien allen Faktizitäten gegenübergesetzt? Die Möglichkeiten sind hier vielfältig. Die Bedeutung des jeweiligen Problemzusammenhangs und seiner Thematisierung für die Theologie und speziell für die theologische Ausbildung wurde in der bundesdeutschen Diskussion bisher kaum ausdrücklich verhandelt, in der ökumenischen Debatte um die theologische Ausbildung aber schon sehr früh gesehen und thematisiert. Dies geschah vor allem mit dem Begriff 'Kontext' und aus ihm abgeleiteten Begriffen wie 'Kontextualität' oder 'Kontextualisierung1. Der Begriff, der zunächst aus der Hermeneutik und Literaturwissenschaft stammt33, hat in den siebziger Jahren im Mittelpunkt der ökumenischen Ausbildungsdiskussion gestanden. Denn der 'Theological Education Fund', ein Gremium des ÖRK, hatte diesen Begriff zum Motto seines dritten Mandates, das von 1972-1977 währte, gewählt34. Der Begriff zielte dabei auf eine kritische Einheimischmachung oder Indigenisierung der christlichen Theologie in Ländern der Zweidrittelwelt. Denn dort war traditionell die Theologie des westlichen 32 33 34

Vgl. H. E. Tödt 1988b: 30f; vgl. auch J. Habermas 1991b: 117f. Vgl. H. Waldenfels 1987. Vgl. Chr. Lienemann-Perrin 1976: 224f.

Studienreform und Ökumene

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Raumes ungeachtet der eigenen kulturellen, historischen und gesellschaftlichen Verhältnisse übernommen worden. Mit der sich verbreitenden Einsicht, daß Theologie immer auch durch ihre partikularen materiellen und kulturellen Entstehungsbedingungen geprägt ist, wurde dies immer stärker als problematisch empfunden, zumal sich auch praktische Probleme der Art stellten, daß die meisten "Jungen Kirchen" der Zweidrittelwelt nicht über genügend Mittel verfugten, um ihren Pfarramtskandidatinnen eine kostspielige Ausbildung etwa nach deutschem Muster zu ermöglichen35. Doch ist die Konzeption, die sich mit dem Begriff verbindet, inzwischen als Anfrage aus der Zweidrittelwelt wieder in die westeuropäische Debatte zurückgekehrt. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie wir Westeuropäerinnen mit unserer Geschichte, die auch Unterdrückungsgeschichte ist, und unserer gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Situation, die als Verhältnis der Domination gegenüber der Zweidrittelwelt beschrieben werden kann, umgehen wollen. 'Kontext' ist zunächst nur ein anderes Wort für 'Zusammenhang'; die Weise, wie ein Problem theoretisch beschrieben und bearbeitbar gemacht wird, läßt sich mit dem Begriff 'Konzeptualisierung' erfassen. Das skizzierte Problem kann also unter Aufnahme der in der ökumenischen Studienreformdebatte entwickelten Begrifflichkeit als Frage nach der 'Konzeptualisierung des Kontextes' beschrieben werden. Es ist freilich deutlich, daß die Frage nach der Konzeptualisierung des Kontextes, wie sie in der Ökumene gestellt wurde, selbst nicht voraussetzungslos ist. Es spricht aber meines Erachtens einiges dafür, das benannte Problem unter dieser ökumenischen Perspektive zu thematisieren. Zum einen wurde es in diesem Rahmen intensiv eingebracht und diskutiert. Zum zweiten scheint es mir günstig, auch das bundesdeutsche Theologiestudium stärker auf die ökumenischen Belange auszurichten, als dies bisher geschehen ist. Und drittens entspricht ein solcher Zugang auch einer Entwicklung der hiesigen Studienreformdiskussion. Denn alle drei oben genannten Papiere beziehen die Dimension der Ökumene mit ein, wenn auch mehr oder weniger explizit und in unterschiedlicher Art und Weise. So verweist das GK-Papier ausdrücklich auf die allgemeine und invariante Struktur 'theologischer Kompetenz', um den Geltungsbereich dieser Basisbestimmung explizit auf die Ökumene auszudehnen36. Obgleich das Papier für den deutschen Kontext verfaßt wurde, ist also die Ökumene als Horizont im Blick. Ahnliches gilt auch für den Text der Studierenden. Während die geforderte 'ökumenische Perspektive' schon im Titel erscheint, wird im Rahmen der Behandlung des Fächerkanons und der Disziplinen ein Ausbau der Ökumenik gefordert. Diese Disziplin soll dabei nicht nur interkonfessionelle Fragen bearbeiten, sondern 33 36

Vgl. Chr. Lienemann-Perrin 1976: 209ff.214. Vgl. Gemischte Kommission 1988: 22f.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

auch theologische Ansätze nicht-europäischer Kirchen bedenken37. Von dieser Arbeit werden dann hermeneutische und wissenschaftstheoretische Anfragen an die hiesige Theologie im Ganzen erwartet, insbesondere was das Verhältnis von Theorie und Praxis betrifft. Die stärkste Betonung der ökumenischen Dimension theologischer Ausbildung bieten die 'Pia Desideria Oecumenica'. Sie beziehen die Anfragen anderer Kirchen ausdrücklich ein38, fordern die "Erneuerung theologischer Ausbildung" von einem "kritischen Kirchenbegriff" aus, der sich nur in "ökumenischer Orientierung" gewinnen lasse39 und gehen von einer zu fördernden "ökumenischen Grundhaltung"40 aus, die auf das Lernziel "ökumenische Kompetenz"41 gerichtet ist. Damit kann ich vorläufig resümieren. Die hier verfolgte sozialethische Untersuchungsperspektive fragt nach der Art und Weise der jeweiligen Thematisierung des Zusammenhangs in der bundesdeutschen Diskussion um die Reform des evangelischen Theologiestudiums. Sie orientiert sich dabei an der Studienreformdiskussion im Rahmen der Ökumene und fragt so nach der 'Konzeptualisierung des Kontextes1 oder der 'Kontextualisierung'.

l .5 Kontextualisierung als Frage nach der Konzeptualisierung des sozialen Kontextes - Darstellung der Untersuchungsperspektive Die Frage nach der Konzeptualisierung des Kontextes ist aber selbst unmittelbar präzisierungsbedürftig. Die erforderliche Präzisierung soll ausführlich im zweiten Kapitel dieser Arbeit erfolgen, hier werden einige Vorklärungen geboten. Wie schon erwähnt wurde, ist die ökumenische Debatte um den Kontextbegriff sehr vielschichtig und keineswegs voraussetzungslos, die Aufnahme ökumenischer Anliegen in der bundesdeutschen Diskussion geschieht in unterschiedlichen Weisen und der Gebrauch des Kontextbegriffs in der Zweidrittelwelt hat eine spezifische Ausprägung, die auf hiesige Verhältnisse m.E. nicht unmittelbar übertragbar ist. Wird der Begriff dort vor allem unter dem Aspekt 'kritischer Indigenisierung', des Evangeliums verwandt, muß es in unserem westeuropäischen Zusammenhang, so meine These, stärker um die Reflexion auf die 37 M

39

* 41

Vgl. VeTh/KthF1987:21. Vgl. U. Becker u.a. 1990: 130f, dabei geht es u.a. um "ökumenische Dialog- und Hörfähigkeit", den "Bezug zu Überlebensfragen der Menschheit" und die "Befähigung zu authentischer Spiritualität" (ebd.). Alles U. Becker u.a. 1990: 133. U. Becker u.a. 1990: 135. U. Becker u.a. 1990: 136.

Die Untersuchungsperspektive

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Kontextgeprägtheit der Theologie und des Christentums gehen. Diese Reflexion ist dann Voraussetzung für einen ökumenischen Dialog und für die kritische Weiterentwicklung unseres Verständnisses des Evangeliums. Der Begriff 'Kontextualisierung', wie ich ihn im folgenden verwenden werde, bezeichnet also nicht primär die Entwicklung einer "Theologie, die den kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen adäquat ist"42, sondern bedeutet die Reflexion auf die wechselseitige Bestimmung von Theologie und Kontext. Da die Reflexion auf den historischen Kontext der Theologie und des Christentums bei uns relativ gut entwickelt und ausgearbeitet ist, werde ich mich im folgenden auf den sozialen Kontext konzentrieren und vorschlagen, den Begriff des 'Kontextes' in einer bestimmten - durch die Frage nach dem sozialen Zusammenhang gekennzeichneten - Weise zu füllen. Kontextualisierung werde ich dann als 'kritische Reflexion auf die je eigene soziale Position zur Ermöglichung von Verständigung' definieren. Zur genaueren Beschreibung dessen, was eigentlich unter 'sozialem Kontext' zu verstehen sein soll, werde ich mich des soziologischen Instrumentariums von Anthony Giddens bedienen. Die Untersuchungsperspektive ist nun auf die Frage nach der 'Kontextualisierung', auf die Frage nach der 'Konzeptualisierung des sozialen Kontextes' in der bundesdeutschen Diskussion um die Reform des Studiums der evangelischen Theologie zugespitzt. Dabei wird zunächst die Debatte um die Studienreform untersucht, um dann Perspektiven für ein Studium unter dem Kontextualisierungsaspekt zu skizzieren. Dahinter steht die These, daß 'Kontextualisierung' (als Lemziel verstanden) von den Studierenden nur erwartet werden kann, wenn eine Sensibilität für den sozialen Kontext bereits in die Institutionen des Studiums selbst gleichsam 'eingebaut' ist. Die hier gewählte Untersuchungsperspektive erlaubt so einerseits Beschreibungen, andererseits Vorschläge, sie hat - wie jede Untersuchungsperspektive - Aspekte von Frage und Forderung zugleich: Denn indem die Frage nach der Kontextualisierung gestellt wird, ist behauptet, daß Kontextualisierung im hier dargelegten Verständnis sinnvoll ist. Die Untersuchungsperspektive als solche ist unter diesem normativen Aspekt selbst begründungspflichtig, wie ja auch in der bisherigen Darstellung schon einige Gründe für die Wahl und Konstruktion dieser Perspektive genannt wurden. Die Gründe für die Zuspitzung der Untersuchungsperspektive möchte ich hier noch einmal zusammenfassen und durch eine grundsätzliche Erwägung ergänzen. Sie lassen sich in vier Thesen fassen. Erstens ist die Wahrnehmung der Situation, des Kontextes, für ethische Urteilsbildung, um die es sich auch bei Diskussionen um die Studienreform handelt, stets bedeutsam. Dies habe ich unter Rekurs auf H.E. Tödt bereits 42

F.H.Beyer 1992: 301.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

erwähnt. Zweitens ist unter dem Situationswahrnehmungsaspekt die Anknüpfung an die ökumenische Diskussion über Studienreform und ihre Modifikation für unsere Situation m.E. sinnvoll - dies ist bereits angeklungen und wird im zweiten Kapitel noch ausgeführt. Drittens scheint mir die Zuspitzung auf soziale Sachverhalte sinnvoll zu sein. Denn einerseits gibt es ausführliche historische43, aber bislang noch wenig entwickelte grundsätzliche soziale Kontextreflexionen der Studienreform44, andererseits ist die Frage nach den sozialen Verhältnissen und vor allem den strukturellen sozialen Ungleichheiten - besonders im Weltmaßstab - eine entscheidende Leitfrage ökumenischer Diskussionen zum Thema, an die ich mit meiner Fragestellung anknüpfen möchte. Schließlich halte ich eine Reflexion auf den sozialen Kontext auch grundsätzlich für theologisch geboten. Eine ausführliche Begründung dieser These würde m.E. eine eigene Arbeit erfordern, sie kann daher nur kurz skizziert werden45 und involviert einen Zusammenhang von Ethik der Entsprechung, Offenbarungsverständnis, Rechtfertigungslehre und theologischer Religionskritik. Mit Karl Barth kann es als grundsätzliche Aufgabe der Christinnen bezeichnet werden, dem Willen Gottes, wie er sich in seiner Geschichte mit den Menschen als Schöpfer, Versöhner und Erlöser offenbart, zu entsprechen46. Gottes Offenbarung in Jesus Christus, die Inkarnation, kann selbst als Akt der Verständigung und der Selbstmitteilung beschrieben werden. Wie der Hebräerbrief argumentiert, kommt dieser Selbstmitteilung eine Kontextsensibilität in höchstem Maße zu47. Diese Verständigungsbemühung Gottes richtet sich aber an jeden Menschen, da jedem Menschen vor Gott durch dessen Selbstbestimmung zur Liebe und die Voraussetzungslosigkeit seiner Gnade eine unveräußerliche Würde zukommt. Dies wird in der protestantischen Tradition teils mit den Sprachmitteln der Rechtfertigungslehre, teils mit denen der Erwählungslehre ausgedrückt48. 43 44

45

46

47

W. Herrmann 1976, H. Luther 1976. Die unten Abschnitt 1.7 erwähnten empirischen Studien entwerfen zwar einen Forschungsrahmen, der aber in aller Regel bereits auf die anvisierte konkrete Fragestellung zugespitzt ist und die Konzeptualisiemng des Kontextes nicht grundsätzlich - also auch nicht im Rahmen der Debatte - problematisiert. Damit ist freilich behauptet, daß die Kontextualisierungsforderung auch in anderen theologisch-ethischen Reflexionsbereichen als der Diskussion um die Studienreform Geltung beanspruchen kann. Bahnbrechend hat hier etwa die feministische Theologie gewirkt, vgl. Chr. Schaumberger 1991: 19ff. Vgl. K. Barth 1951 (KD /4, § 52): 18ff. Barth redet hier im Zusammenhang der 'speziellen Ethik'von "geformten Hinweisen". (Der besseren Übersichtlichkeit halber werden beim Zitat von Ausgaben der "Kirchlichen Dogmatik" Bandnummer und Paragraph der Fundstelle in Klammern mit angegeben.) Vgl. Hebr. 4,15: "Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, nur ohne Sünde." Im Vokabular der jüdischen Tradition, die nach dem Apostel Paulus die Wurzel ist, die jede Christin trägt (Rom 11,18), wird so gerade die Bemühung um den menschlichen Kontext der Schwachheit als Spezifikum der Offenbarung beschrieben.

Die Untersuchungsperspektive

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Wenn wir dieser Selbstmitteilung Gottes - im Wissen um unsere Endlichkeit und den unendlichen Unterschied zwischen Gott und Mensch - entsprechen wollen, dann bedeutet dies auch, daß wir die Verständigung mit jedem Menschen suchen müssen und daß wir dazu im Wissen um unsere Endlichkeit und Partikularität verpflichtet sind. Dies Wissen um die Endlichkeit bedeutet nicht nur, daß wir auch mit dem Scheitern unserer Bemühungen rechnen müssen, sondern daß wir zur Bemühung um die Erkenntnis unserer Grenzen - und die Grenzen unserer Erkenntnis - ausdrücklich verpflichtet sind. Und dies ist sowohl in dem Verhältnis Gottes zu uns als auch in dem Verhältnis der Menschen untereinander zu beachten. Denn dem Versuch, uns im Verhältnis zu Gott an seine Stelle zu setzen und statt des sich uns zuwendenden Gottes einen Götzen von eigenen Gnaden zu fabrizieren, der einer theologischen Religionskritik verfallt49, entspricht der Versuch, im Verhältnis zu anderen Menschen partikulare Gebräuche, Normen, Verkehrsformen, Beschreibungen und Ansichten ohne Duldung eines Einspruchs zum universal Gültigen, im sozialen Zusammenhang: zur Normalität zu erklären, der gegenüber andere als fehlerhaft, abweichend und ver-rückt erscheinen. Weil wir aber Menschen und damit endlich sind, können wir dies Verhalten nicht durch einen Entscheidungsakt ein- für allemal ablegen, sondern es bedarf kontinuierlicher 'Religionskritik', und also auch einer kontinuierlichen Reflexion auf unseren Kontext, der uns auch determiniert, um die eigene Partikularität nicht unter der Hand und sogar ohne unser bewußtes Wissen zum universalen Maßstab der anderen Menschen und Gottes zu machen. Freilich steht auch eine solche Kritik stets unter den von ihr beschriebenen Bedingungen, ist endlich und fehlbar und bietet keine Garantien - auch in ihr sind wir auf gläubiges Vertrauen auf die Gnade Gottes gewiesen. Das entläßt uns aber nicht aus dieser Bemühung, wenn wir auch an ihr nicht verzweifeln müssen Gesetz folgt aus Evangelium. Diese aus christlichen Prämissen folgende Argumentation läßt sich m.E. auch zu Argumentationsschemata in ein Verhältnis setzen50, die christliche Voraussetzungen nicht in Anspruch nehmen und in denen Menschenwürde und Verständigungspostulat auch anders begründbar sind51. Aber auch hier folgt aus der Verbindung beider die Pflicht zur Reflexion auf den eigenen Kontext zur Ermöglichung von Verständigung. Ich fasse zusammen: Die von mir gewählte Untersuchungsperspektive auf die Studienreformdebatte hat - wie jede Fragestellung - auch normative Implikationen, deren wichtigste sich in einem Verständnis von M 49 30

51

Vgl. W. Huber, H.E. Tödt 1978: 158ff. Vgl. K. Barth 1948 (KD 1/2, § 17): 304-397. Zu solchen Verhältnisbestimmungen in Entsprechung und Differenz vgl. W. Huber, H.E. Tödt 1978: 71f. 160ff. Auch dies läßt sich hier natürlich nicht ausführen. Vgl. etwa J. Habennas 1991a.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

Kontextualisierung ausdrücken läßt, das diese als 'kritische Reflexion auf die je eigene soziale Position zur Ermöglichung von Verständigung' zu fassen erlaubt. Weil dies so angenommen wird, kann das Einüben solcher Reflexion grundsätzlich als erstrebenswertes Ziel behauptet werden. Da es in der Theologie in besonderer Weise um das sensible Hören auf 'fremde Wahrheit'52 geht, möchte ich Kontextualisierung als Bestandteil des Studiums empfehlen. Weil aber diese Sensibilität von den Studierenden nur erwartet werden kann, wenn sie auch in die Institutionen 'eingebaut1 ist, muß auch die Debatte um die Veränderung dieser Institutionen auf Elemente, die dies befördern können, untersucht werden. Das ist mit dieser Studie intendiert.

l .6 Das Studium als eigener Abschnitt - zur Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Wurde bisher die Untersuchungsperspektive präzisiert, so muß es nun um eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes gehen. Der Untersuchungsgegenstand ist die bundesdeutsche Debatte um die Reform des Studiums der evangelischen Theologie seit den sechziger Jahren. Wie oben angeführt, geht es vor allem um die Studienreformdebatte, auch wenn die Arbeit in Perspektiven zur Planung des Studiums mündet. Eine weitere Eingrenzung ist schon provisorisch und gleichsam 'unter der Hand' eingeführt worden, indem nur von der Reformdebatte um das Studium der evangelischen Theologie im bundesdeutschen Kontext seit den sechziger Jahren die Rede war. Dies ist aber keineswegs evident. Denn es läßt sich einerseits fragen, warum die Behandlung erst mit den sechziger Jahren ansetzt und nur der bundesdeutsche und nicht der gesamte deutschsprachige oder der ökumenische Studienreformzusammenhang - dies könnte etwa auch den katholischen umschließen - behandelt wird, andererseits kann problematisiert werden, warum nur das Studium, nicht aber die Ausbildung thematisch wird - so widmet sich ja die Gemischte Kommission seit den siebziger Jahren dem gesamten Ausbildungszusammenhang vor allem des Pfarramts, in der Ökumene wird allgemein die 'ministerial formation1 als Komplex thematisiert53. Die Eingrenzung auf die Zeit seit den sechziger Jahren ist vor allem in der Aktualität des Themas und der Behandlung früherer Phasen durch andere Arbeiten begründet, wie dies im Überblick über die bisherige Forschung deutlich werden wird. Die Eingrenzung auf den bundesdeutschen Kontext hat vor allem mit dem Charakter der Arbeit zu tun. Zum einen geht es mir gerade um einen Anschluß der hiesigen Diskussion an in der Ökumene diskutierte Themen, zum anderen würde eine Ausweitung auf den Kontext der Ökumene 52

"

Vgl. W. Huber 1987. Vgl. S. Amirtham 1989: 161ff.

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands

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das im Rahmen einer Dissertation bearbeitbare Material bei weitem überschreiten. Auch die Diskussion, die in den Kirchen der ehemaligen DDR geführt wurde, kann aus diesem Grund nur vermittelt durch neuere Aufnahmen ihrer Ergebnisse54 aufgenommen werden55. Die Diskussion um die Reform des Studiums der katholischen Theologie hat ebenfalls im ganzen einen zu eigenen Duktus, um sie hier bruchlos anzuschließen, vor allem, da hier das Gewicht der studientragenden Organisationen anders verteilt ist. In der Ausbildung von Priestern ist eine vierjährige Studienphase in kircheneigenen Institutionen obligatorisch und auch für den Lehrkörper an staatlichen universitären katholisch-theologischen Fakultäten, die für die Ausbildung von Lehrerinnen und Diplomtheologlnnen zuständig sind, gilt eine strenge Bindung an die Zustimmung der kirchlichen Hierarchie, die im evangelischen Raum so undenkbar ist56. Die Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf die Debatte um das Studium läßt sich in zweifacher Weise begründen. Einerseits kann das hiesige Studium als institutionell eigener Abschnitt beschrieben werden, andererseits scheint es mir unter den so beschreibbaren Bedingungen auch normativ als eigener Abschnitt wünschenswert zu sein. Faktisch ist das Studium der evangelischen Theologie in der BRD ein institutionell eigener Abschnitt: Universität und 'Wissenschaft' sind hier die Bezugspunkte, eine Freiheit gegenüber kirchlichen Trägern wird meist normativ - vom abendländisch-aufklärerischen Wissenschaftsethos her - behauptet und ist auch faktisch weitgehend gegeben. Lehrinhalte werden vom Lehrkörper der theologischen Fakultäten eigenständig festgelegt und ohne Rücksprache mit kirchlichen oder staatlichen Trägern dargelegt, obgleich in der Ausarbeitung von Prüfungs- und Studienordnungen eine gewisse Kooperation möglich ist, eine äußerliche Lehrbindung der Lehrenden an die Kirche bzw. Vgl. D. Werner 1990, F.H. Beyer 1992. Dennoch bleiben Vergleiche der hiesigen Studien- bzw. Ausbildungsgänge mit denen der Ökumene wünschenswert. Aber auch hier wird vermutlich differenziert, begrenzt und ausgewählt werden müssen, denn die Ausbildung im Tamil Nadu Theological Seminary in Madurai/Indien dürfte eine andere sein als die in der Western Cape University/Südafhka oder des Union Theological Seminary/USA. Vgl. hierzu auch W. Huber 1973: 295-379. Nach Canon 235 des Codex luris Canonici ist eine vierjährige Verweildauer an Priesterseminaren vorgeschrieben. G. May (1964: 649f) führt freilich aus: "Im übrigen bleibt in Deutschland die Praxis anerkannt, wonach die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen da, wo eine katholisch-theologische Fakultät an einer staatlichen Universität oder eine philosophisch-theologische Hochschule besteht, an diesen erfolgt. Die Studierenden wohnen hier regelmäßig in Konvikten, in denen sie religiös-aszetisch erzogen werden." Zur Studienreformdiskussion im katholischen Raum vgl. etwa die von E. Feifei im Auftrag der Kommission 'Curricula in Theologie' des westdeutschen Fakultätentages ab 1973 herausgegebene Reihe 'Studium katholische Theologie', Zürich, Einsiedeln, Köln, Bd. 1/1973 ff.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

eine Bindung der Berufung solcher Lehrenden an kirchliche Zustimmung existiert - bis auf ganz wenige Ausnahmen - nicht. Gerade die Kirchen haben aber auch in der Übertragung dieser Ausbildungsphase an die Universitäten die Entscheidung getroffen, das Studium als eigene und eigenständige Phase der Ausbildung aus der eigenen Regie weitgehend zu entlassen und haben ihren eigenen Ausbildungsinstitutionen - den Kirchlichen Hochschulen - ähnliche Freiheiten übertragen". Aber auch für die studierenden Akteurinnen der Ausbildung stellt das Studium einen biographisch eigenen Abschnitt dar. Sozialisationstheoretisch gesehen geht es sehr viel stärker um die 'Enkulturation in den Wissenschaftsbetrieb158 als um die Berufssozialisation, die Lebensvollzüge, Interaktionsebenen und Kontextbezüge sind nicht unmittelbar auf den angestrebten 'Beruf ausgerichtet. Selbst wenn das Studium nicht als Verlängerung des von E.H. Erikson beschriebenen 'psychosozialen Moratoriums1 verstanden wird59, läßt es sich als eigene biographische Phase von der Berufsausübung und der Einübung in berufspraktische Vollzüge im strengen Sinne unterscheiden. Dem widerspricht nicht, daß auch unter qualifikatorischen Aspekten gerade für 'professionalisierte* Berufe, die sich durch eine "breit angelegte Qualifikationsbasis"60 und eine weitgehend autonome Anwendung der erworbenen Kenntnisse auszeichnen, eine solche nicht unmittelbar berufspraktisch ausgerichtete Phase als zweckmäßig erachtet wird61. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Interessen und Berufswünsche der studierenden Akteurinnen durchaus unterschiedlich sein können, da das Theologiestudium nicht für einen einzigen Beruf qualifiziert und in der Regel auch keinen Rechtsanspruch auf eine weitergehende Ausbildung begründet62. Denn einerseits wird das Studium der Theologie im Rahmen von Magisterstudiengängen auch in allgemeine geisteswissenschaftliche Curricula integriert, andererseits partizipieren Studierende der Theologie - nicht zuletzt durch die Stellenverknappung im kirchlichen Raum - auch an der Berufsunsicherheit und der Individualisierung der Berufsperspektive der geisteswissenschaftlichen Hochschulabsolventinnen, die zur Flexibilisierung eigener Berufswünsche und zur Verfolgung zusätzlicher Qualifikationswege führt. Neben die bisher üblichen und am weitesten verbreiteten Berufsziele 'Pfarrerln' und 'Lehrerin1 sind so Berufsperspektiven in der Erwachsenenbildung, im Beratungssektor, im weiteren sozialen Bereich, im Medienbereich etc. getreten, bei denen das Studium der Theologie seinerseits eine allgemeine 57

Vgl. zum gesamten Komplex die Abschnitte 4.3.3.3 und 5.2.3 der vorliegenden Arbeit sowie W. Huber 1987b, 1993: 295-379. M Vgl. L. Huber 1991: 420f. 39 Vgl. E.H. Erikson 1993: 136ff. " G. Traupe 1990: 26ff. 61 Vgl. G. Traupe 1990: 30. 62 Vgl. A. Frhr. v. Campenhausen, J. E. Christoph 1986.

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands

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Qualifikation darstellt. Von dieser Tendenz her, die noch ansteigen dürfte, wäre es sicher eine Verkürzung, das Studium der Theologie nur als Vorbereitung auf das Pfarr- oder Lehramt wahrzunehmen. Damit scheint es mir, normativ gesehen, sinnvoll, das Studium der evangelischen Theologie auch als eigenen Abschnitt zu thematisieren und nicht unter die Ausbildung zur Pfarrerin oder Lehrerin unterzuordnen. Dies soll in dieser Arbeit geschehen. Damit soll nicht bestritten werden, daß es auch als ein Abschnitt eines bestimmten Ausbildungsganges beschrieben werden kann, wenn dann auch deutlich gemacht werden muß, daß es sich bei solcher Thematisierung nur um einen Studiengang von mehreren im Rahmen der Theologie möglichen handelt. Doch selbst wenn es als eine Phase der Vorbereitung auf einen bestimmten Beruf thematisiert wird, scheint es mir wünschenswert, die eigene Valenz der Phase normativ zu berücksichtigen. Dies bezieht sich sowohl auf die oben geschilderten faktischen Zusammenhänge als auch auf Normen des wissenschaftlichen und protestantisch-kirchlichen Bereichs sowie auf praktische Empfehlungen qualifikationsorientierter Forschung. Unter den Nonnen des wissenschaftlichen Bereichs sind dabei die in unserem historischen Kontext entstandenen, aufklärungsbestimmten Werte der freien Bildung oder der kritischen, freien Forschung zu verstehen, unter denen des kirchlichen Bereichs ist die in der Reformation gewonnene Einsicht in die Notwendigkeit einer freien Lehre gemeint.

l .7 Forschung als Ort und als Gegenstand - Literatursichtung So uferlos die Literatur zum Thema Studienreform der evangelischen Theologie auch ist, so wenig wurde die hier bezeichnete Untersuchungsperspektive bisher bedacht. Im bundesdeutschen Kontext sind hier - in einem ersten Schritt - vor allem der Aufsatz von F.H. Beyer63 sowie einige Beiträge zu 'ökumenischem Lernen'64 zu erwähnen. Da diese Arbeit aber die Studienreformdebatte zu untersuchen beabsichtigt, möchte ich in einem zweiten Schritt exemplarisch verschiedene Beitragstypen zum Themenkomplex unterscheiden und die Art ihrer Aufnahme in dieser Arbeit erläutern. Beyer sucht vor allem ökumenische Impulse wie Ansätze aus den Kirchen der ehemaligen DDR, die diesen ökumenischen Impulsen besonders verpflichtet waren, zu Gehör zu bringen. Er unterscheidet zunächst fünf Elemente dessen, was Kontextualisierung bedeutet (Kirchenverständnis und -Wahrnehmung, Verständnis der Lebenswelt der Menschen, Situation der Theologie an der Universität, Situation der Studierenden, Berücksichtigung der Ökumene), beschreibt dann Aspekte der (erzwungenen) Einstellung des 63 64

F. H. Beyer 1992. S. Amirtham 1989, U. Becker u.a. 1990, D. Werner 1990.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

Theologiestudiums auf den Staat in der ehemaligen DDR65 und entwirft schließlich anhand seiner fünf Elemente Perspektiven für eine weitergehende Diskussion um Kontextualisierung im neuen bundesdeutschen Zusammenhang. Dem Anliegen von F.H. Beyers Skizze, die mir bei der Erarbeitung meiner Untersuchungsperspektive noch nicht bekannt war, aber meine Sicht in für mich erfreulicher Weise unterstützt, möchte ich mich ausdrücklich anschließen und verstehe meine Arbeit als Beitrag zu der von ihm angeregten Diskussion. Weitere Verweise auf 'Kontextualisierung' finden sich in verschiedenen Texten, die auf eine ökumenische Perspektive der Theologie abheben66. Hier liegen jedoch auch nur Skizzen vor, die im wesentlichen in dem unten folgenden Kontextkapitel gewürdigt werden sollen. Damit ist der Bereich der mir bekannten Arbeiten, die sich mit dem Verständnis dessen befassen, was Kontextualisierung im bundesdeutschen Studienkontext heißen kann, erschöpft67. Da es sich hier jedoch um eine Untersuchung handelt, die vor allem die Studienreform debatte zu ihrem Gegenstand macht, mag es angesichts der Fülle von Material zu evangelisch-theologischer Studienreform und zu ihrer Diskussion nicht überflüssig sein, eine kurze Kategorisierung der hier vorliegenden Beiträge zu versuchen, und - soweit gegeben - die Art ihrer Aufnahme in dieser Arbeit darzustellen. Vier Typen von Arbeiten zum Theologiestudium möchte ich hier unterscheiden, wobei sie nur exemplarisch vorgestellt werden sollen. Ein erster Typus kann mit B. Enzner-Probst68 als 'hodegetischer' bezeichnet werden. Hier handelt es sich um meist an Studienanfängerinnen gerichtete Überblicke über die Theologie, die in meditativem, beratendem Ton eine erste Einweisung zu geben beabsichtigen. Hier sind etwa die Werke von H. Thielicke69 oder K. Barth70 zu erwähnen. Diese Arbeiten können einen Beitrag zur Orientierung der Studierenden leisten, sind aber wegen ihres 65

66 67

61 49

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In seiner Skizze und dem Bericht von D. Werner 1990 liegen Zusammenfassungen der Lage in der ehemaligen DDR vor, die daher nicht gesondert behandeln werde. Vgl. oben Anm. 64. Freilich sind im ökumenischen Bereich noch weitere Studien zu Kontextualisierung erschienen, die zum Teil ebenfalls im Abschnitt über Kontext aufgenommen werden sollen. Im ökumenischen Kontext ist dabei besonders das Werk von Chr. Lienemann-Perrin 1976 zu berücksichtigen. Lienemann-Perrins Arbeit ist vor allem der historischen Beschreibung des Theological Education Fund gewidmet und wird in dem Abschnitt meiner Arbeit, der sich mit dem Verständnis von 'Kontext' in der Ökumene beschäftigt, zu Rate gezogen werden. B. Enzner-Probst 1988: 8, Anm. 5. H. Thielicke 1983, zitiert bei B. Enzner Probst 1988: 179. Für eine ausführliche Auflistung dieser von B. Enzner-Probst 1988: 8 definierten Gattung kann ihren Angaben nach auf die Originalfassung ihrer Dissertation (B. Enzner-Probst 1983) verwiesen werden. K. Barth 1962.

Forschung als Ort und als Gegenstand

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beratenden und seelsorgerlichen Charakters hier nicht von Interesse, zumal sie meistens auf ein sehr enges Verständnis von Theologie abheben. Ein zweiter Typus beschäftigt sich in soziologisch-empirischer Weise mit dem Theologiestudium selbst. Hier ist vor allem die von Daiber, Josuttis und Lukatis unternommene Langzeitstudie zu den Einstellungen von Theologiestudierenden zu erwähnen, die sich schon in mehreren thematisch unterschiedlich ausgerichteten Auswertungen niedergeschlagen hat. So hat D. En7l ... gels über die Religiosität von Theologiestudierenden gearbeitet, Daiber/Josuttis72 haben einen Band zum Dogmatismus herausgegeben und G. Traupe73 hat die Studie hinsichtlich der Studienerwartungen und Studienerfahrungen 74 der Studierenden ausgewertet. Marhold u.a. haben sich in einer älteren Arbeit mit dem Problem des Studienabbruchs beschäftigt und Fischer75 hat anhand qualitativer Interviews die Identität von Studierenden mit dem Berufsziel Pfarramt bzw. von Vikarinnen zu eruieren gesucht. Die Arbeit von Riess76 hat sich primär mit der Studienmotivation von Studienanfängerinnen der Pfarramtsstudiengänge beschäftigt; von einem ausdrücklich vokationalen - also auf ein Berufsziel, hier: das Pfarramt, zugespitzten - Ansatz her hat auch Enzner-Probst77 Umfragen vorgenommen. In diese Sparte gehören auch Arbeitsberichte: So sei stellvertretend für andere etwa der von v. Oppen u.a.78 herausgegebene Bericht über die damals neue Seminarform 'Praxisgruppenseminar' genannt. Auch die Studie von Hüppauff/Stoodt79 über die Arbeit mit Studienanfängerinnen des Lehramtsstudiengangs - meiner Wahrnehmung nach eine der ganz wenigen Arbeiten dieses Bereichs, die sich ausdrücklich mit den das Lehramt verfolgenden Studierenden beschäftigt haben gehört in diesen Sektor. Auf diese Arbeiten werde ich vor allem in der Diskussion der Kontextualisierung der exemplarisch verhandelten Autoren H. Luther und E. Herms sowie im Schlußkapitel zurückgreifen, um eine gewisse empirische Orientierung zu gewährleisten. Ein dritter Typ von Arbeiten kann weniger ihrer Methodologie als ihrem Umfeld nach als politisch-praktischer Typ angesehen werden. Hier handelt es sich zumeist um kurze Texte, die im Sinne von Gelegenheitsschriften und Miszellen Betrachtungen zu aktuellen Diskussionen und Einzelthemen wie den alten Sprachen, der Curriculumsforschung, der Frage der Interdisziplinarität, dem Fernstudium und anderem anstellen80. Auch 71 72 73 74 73 76 77 78 79

D. Engels 1990. K.F. Daiber, M. Josuttis 1985. G. Traupe 1990. W. Marhold u.a. 1977. W. Fischer 1977. R. Riess 1986. B. Enzner-Probst 1988. D. v. Oppen 1969. H. Hüppauff, D. Stoodt 1979.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

offizielle Verlautbarungen und Konsenspapiere von Organisationen81 und Gruppen82 möchte ich unter diese Kategorie einstufen. Sie bilden - dem politischen Charakter der Studienreformdiskussion entsprechend - bei weitem den größten Anteil der Literatur zur Reform des Theologiestudiums83. Diesen Typus möchte ich in dieser Arbeit exemplarisch und vor allem im historischen Überblick behandeln, der um die institutionalisierte Reformdebatte der Gemischten Kommission zentriert ist. Die zahlreichen neuen Beiträge zur Diskussion des jüngsten Papiers der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums konnten dabei allerdings nur in Ausschnitten gewürdigt werden. Für eine Zusammenfassung der Diskussion ist der Zeitpunkt m. E. noch zu früh, eine ausführliche Darstellung verbot sich durch den Umfang der Debatte. Schließlich lassen sich ausführliche, in einzelnen Disziplinen erarbeitete programmatische Arbeiten einem eigenen Typus subsumieren. Dazu können sehr unterschiedliche Arbeiten gezählt werden: systematisch-enzyklopädische Werke in der Tradition F.D.E. Schleiennachers85, des in der modernen Theologie klassisch gewordenen Vertreters dieses Typs, wie die Enzyklopädien von G. Ebeling86 oder F. Mildenberger87, problemorientiert-praktische Monographien wie die von W. Herrmann88, praktisch-theologische Ausführungen wie die von H. Luther89 oder B. Enzner-Probst oder ein systematischpraktischer Ansatz wie der von E. Herms. Diese Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, daß jeweils eine bestimmte programmatische Perspektive eingenommen wird, die den Versuch einer kohärenten Ausarbeitung der Studienreformanliegen steuert. Dies ist bei Schleiermacher oder Ebeling das Interesse an dem systematischen Zusammenhang der theologischen Disziplinen, bei Herrmann die explizite Orientierung an praktischen Problemen, bei Luther das Interesse an der Hochschuldidaktik, bei Enzner-Probst eine vokationale Zuspitzung und bei Herms ein Interesse an der praktisch-steuernden Wirkung systematisch-theologisch ausgearbeiteter Einsichten. Die jeweiligen *

" c 83 14 w

* 17 81 89

Vgl. etwa F. Baumgärtel 1953, M. Braun 1966, H. Thielicke 1966, W. Schneider 1970, A. Falkenroth 1970, W. Simpfendörfer 1970, H.W. Müsing, T. Schramm 1971, G. Otto 1971, F. Dreissigacker 1972, B. Hotz, M. Wöller 1973, J. Lähnemann 1973, E. Lohse, T. Rendtorff (Hg.) 1974, D. Rössler 1975, H.D. Preuss 1976, W.D. Hauschild 1976, W. Herrmann 1978, M. Josuttis 1979 etc. Gemischte Kommission 1967, 1968, 1969a-b, 1970, 1972a-b, 1973, 1974a-c, 1978a-h, 1988, 1991; W. Herrmann, G. Lautner 1964, 1965; VeTh/KthF 1987 etc. Vgl. etwa R. Cachandt, F. Martiny, B. Peters, K. Petersen 1972; U. Becker u.a. 1990. Vgl. die Literatursammlung von O.F. Wiegand 1970-82. Gemischte Kommission 1988. F.D.E. Schleiermacher 1982. G. Ebeling 1975. F. Mildenberger 1972. W. Herrmann 1976. H. Luther 1976.

Forschung als Ort und als Gegenstand

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Perspektiven steuern zum einen den Duktus der Werke selbst - sie sind entsprechend enzyklopädisch, wissenschaftstheoretisch, historisch-phänomenologisch, pädagogisch, pastoraltheologisch, systematisch-theologisch etc. orientiert. Zum anderen bestimmen sie aber auch Möglichkeit, Grad und Typ der Interdisziplinarität90, des Zugriffs auf andere Disziplinen. Von diesen Arbeiten werden hier zwei näher auf ihre Kontextualisierung untersucht. Bei der Auswahl waren mehrere Kriterien leitend. Zunächst sollte ein Ausarbeitungsgrad der programmatischen Perspektive gegeben sein, der eine Untersuchung mittels des Kontextualisierungsschemas erlaubt. Weiterhin sollte eine gewisse Aktualität - auch hinsichtlich der Kontextualisierungsperspektive - gegeben sein und die Arbeiten sollten im weiteren Zusammenhang der institutionalisierten Studienreformdiskussion stehen, also Wirkung m der Diskussion erzielt haben. Schließlich sollte - angesichts beobachtbarer Reformtendenzen - eine gewisse Repräsentativst vorliegen. Dabei legte sich dann der Rekurs auf die Arbeiten Henning Luthers und Eilert Herms' nahe. Die enzyklopädischen Arbeiten erlauben kaum kontextorientierte Untersuchung, da sie ihre Behandlung des grundsätzlichen systematischen Problems des Zusammenhangs der Disziplinen weitgehend ohne Rekurs auf aktuelle Studiensituationen anvisieren oder direkt anderen Epochen entstammen, weiterhin waren sie in der Reformdebatte wenig oder nur im Sinn von Klassikern wirksam. W. Herrmann war selbst in der Gemischten Kommission über lange Zeit als Vertreter der Studierenden bzw. als externer Experte tätig, seine Arbeit bietet einen kurzen historischen Überblick über die Geschichte des Theologiestudiums bis ca. 1970 und benennt einzelne Problemfeider und anfängliche Bearbeitungsstrategien, aber Ausarbeitungsgrad und Kohärenz semes Entwurfes sind - bedingt auch durch den 'Pioniercharakter' der Arbeit - relativ gering und legen es nahe, die Arbeit eher als Bericht über den seinerzeitigen Stand der Studienreform denn als Entwurf zu behandeln. Enzner-Probsts Arbeit hingegen bietet eine ausgearbeitete Perspektive: Unter pastoraltheologischem Aspekt und unter Einschluß empirischer Studien wird das Studium als Berufsvorbereitung auf das Pfarramt thematisiert. Allerdings greift diese auf Pfarramtsstudiengänge reduzierte Perspektive angesichts der in dieser Arbeit angestrebten Behandlung des Theologiestudiums als eigener Phase etwas kurz und die Arbeit hat - soweit ich bisher sehe - in der Studienreformdebatte im Umkreis der Gemischten Kommission nur wenig direkte Wirkung erzielt. Dies spricht selbstverständlich in keiner Weise gegen die Qualität der Arbeit, läßt sie aber unter den hier formulierten Kriterien der Rezeption und der Repräsentativität für eine direkte Untersuchung ihrer Kontextualisierung wenig geeignet erscheinen. Anders verhält es sich mit den Arbeiten von H. Luther und E. Herms. Luthers So greift etwa H. Luther sehr stark auf die Diskussion um die allgemeine Hochschulreform und hochschuldidaktische Forschung zu.

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

Arbeit versucht vor allem eine hochschuldidaktische Sichtweise für die Behandlung des Theologiestudiums fruchtbar zu machen und bietet unter diesem Aspekt ausgearbeitete Perspektiven für die Wahrnehmung und Strukturierung des Studiums an. Dieses wird von ihm als Sozialisationsprozeß mit den drei Dimensionen Qualifikation, wissenschaftlich-kritisches Lernen und selbstreflexive Bildung gefaßt. Seine Arbeit wurde besonders unter Studierenden im Reformprozeß stark rezipiert91 und kann als repräsentativ für eine im Diskussionsprozeß stets auch vertretene Tendenz gelten, die ich als 'partizipationsorientierte' Tendenz bezeichnen möchte. E. Herms wiederum nahm und nimmt an der Arbeit der Gemischten Kommission aktiv teil, er hat das neue Grundsatzpapier dieses Gremiums wesentlich mitgestaltet und seinen Ansatz in einer Reihe von Aufsätzen niedergelegt. Herms versucht, systematischtheologische, kategoriale Einsichten für die Studienreform fruchtbar zu machen. Er berücksichtigt die Kirchen ausdrücklich, hebt aber auch auf die Institutionen des Studiums ab und zielt auf eine integrierte Ausbildung, deren Qualifikationsziel er als 'theologische Kompetenz' beschreibt. Sein Ansatz kann als repräsentativ für eine Tendenz der 'Effizienz- und Organisationsorientierung' gelten, die die Debatte um die Reform des Theologiestudiums durchzieht. Damit läßt sich mein Umgang mit der Studienreformliteratur resümieren. Die hodegetischen Bemühungen werden in dieser Arbeit nicht ausdrücklich thematisiert, empirische Untersuchungen werden vor allem im Schlußkapitel der Arbeit rezipiert, politisch-praktische im Rahmen der historischen Darstellung der Debatte um die Studienreform in Auswahl besprochen und von den programmatischen Arbeiten werden zwei, die als ausgearbeitet, wirkungsvoll und repräsentativ gelten können, dargestellt und auf ihre Kontextualisierung untersucht.

1.8 Der Kontext des Autors - der Kontext der Untersuchung Bereits die Frage nach der Konzeptualisierung des Kontextes impliziert, daß es Gründe für eine solche partikulare Konzeptualisierung gibt. Hierbei sind als intersubjektiv vermittelbar gedachte Gründe - also Argumente, die andere davon überzeugen sollen, daß eine solche Konzeption sinnvoll und nachvollziehbar ist - von persönlichen Gründen für die Entwicklung einer Konzeption zu unterscheiden, wie es die Differenz von Begründungs- und Entdeckungszusammenhang formuliert. Freilich sind beide - in den Geistes- und Handlungswissenschaften noch mehr als in den Naturwissenschaften - nur analytisch zu trennen und es erleichtert meiner Erfahrung nach das Verständnis des Begründungszusammenhangs, wenn der Entdeckungszusammenhang 91

Als Beleg mag das schon angeführte Papier der VeTh/KthF 1987 gelten.

Der Kontext der Untersuchung

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bekannt ist. Aus diesem Grund sollen hier mein Kontext - soweit er mir für das Verständnis der Arbeit relevant erscheint - und der Kontext dieser Arbeit kurz dargestellt werden. Den Hinweisen zur materiellen und intentionalen Interessenlage möchte ich eine Bemerkung zur Motivation zu dieser Arbeit vorausschicken. Die Beschäftigung mit Theologie und wissenschaftlichen Arbeitsweisen habe ich auch und gerade in der theologisch-politischen Arbeit an der Hochschule - als an vielen Stellen krisenhaft und befreiend zugleich erlebt: befreiend von den engen Wahrnehmungsgrenzen und Determiniertheiten bestimmter Schichtzugehörigkeiten, von Vorurteilen und Befürchtungen, von lähmender Vereinzelung und der als Realismus sich taraenden Angst, alles müsse so bleiben, wie es ist. Solche Befreiungserfahrungen sind freilich an der Universität und im Studium der Theologie weder verallgemeinerbar noch zwangsläufig, sondern meiner Wahrnehmung nach sogar eher die Ausnahme. Schwerwiegende Gründe dafür scheinen mir in der institutionellen Verfaßtheit universitärer Lernprozesse zu liegen, die solche Erfahrungen nicht nur nicht befördern, sondern sogar behindern. Erfahrungen, die ich mit diesen Zusammenhängen gemacht habe, haben mich dennoch von der Gleichnisfähigkeit und der Gleichnisbedürftigkeit auch dieses Segments der Bürgergemeinde überzeugt. Aus dieser Motivation speist sich diese Arbeit. Biographisch befand ich mich zur Zeit der Abfassung der Arbeit in einem Zwischenstadium. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Frankfurt/Main, München und Heidelberg hatte ich im Sommer 1990 das Examen der EKHN absolviert und mit der Dissertation begonnen. Nach einiger Zeit erhielt ich ein Stipendium, das mit der Mitarbeit am Theologischen Konvikt Frankfurt/Main verbunden war und trat dann das Vikariat der EKHN an. Der Promovendenstatus und die Mitarbeit begründeten eine für die Behandlung des Themas nicht irrelevante Position: Einerseits war ich kein 'Studierender' im üblichen Sinne mehr, da das Erste Theologische Examen hinter mir lag und die Mitarbeit im Theologischen Konvikt mich in die Rolle eines 'Lehrenden' versetzte, andererseits war ich aber noch an der Universität eingeschrieben, nahm an Veranstaltungen teil und befand mich nicht in einem festen Arbeitsverhältnis, sondern erhielt ein Stipendium. Dies betrifft vor allem die Zuordnung zu Organisationen. Das unmittelbare Engagement in Gremien der Studierenden wie Fachschaft, Vereinigung evangelischer Theologiestudierender/Konferenz theologischer Fachschaften (der Dachorganisation ev. Theologiestudierender in der BRD) oder der Vertretung der Theologiestudierenden gegenüber der Landeskirche, das mir im Studium sehr wichtig war, trat zurück, wurde aber nicht durch die unmittelbare Orientierung an der Perspektive des im Beruf stehenden Pfarrers, Lehrers oder Hochschulassistenten etc. auf das Studium ersetzt. Dies mag einer der persönlichen Gründe dafür sein, daß ich mich auf die Diskussion über

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

das Studium, nicht aber die Ausbildung auf das Pfarramt hin konzentriert habe. Stattdessen war meine Lage einerseits durch die Mitarbeit in einer Institution geprägt, die Studienanfängerinnen Angebote macht, von der Kirche wie der Universität finanziert wird und mit beiden sowie mit Institutionen des kirchlichen Raums kooperiert, andererseits durch die Lage dessen bezeichnet, der in relativer Freiheit eine gebundene, auf Qualifikation angelegte Arbeit - denn das ist eine Dissertation - anfertigt. Diese Position in und zwischen Organisationen mit dem Hintergrund des Engagements für studentische Belange hat mein Interesse an konkreten Freiräumen innerhalb institutionalisierter Abläufe geschärft und präzisiert. Aus diesen Erfahrungen heraus wollte ich meine Aufmerksamkeit vor allem auf Schnitt- und Bruchstellen von Organisationen und institutionellen Abläufen richten, an denen Vermittlungsprozesse stattfinden. Denn wenn überhaupt, so sind meiner Erfahrung nach an diesen Schnittstellen Veränderungen möglich. Mein Interesse an der Reflexion des sozialen Kontextes leite ich aus der im Studium geschehenen anfänglichen Aufarbeitung meiner sozialen gesellschaftlichen Position her. Denn mit meinen Geschwistern gehöre ich zur ersten Generation von Akademikern in einer von traditionalen, dörflichen Zusammenhängen geprägten Familie der unteren Mittelschicht. Schulzeit und Studium waren einerseits von einer gewissen Bildungs- und Wissensbegeisterung, andererseits aber auch von starken Fremdheitserlebnissen mit den mir neuen Kenntnissen und Verkehrsformen der akademischen Mittelschicht geprägt, die ich in den Frankfurter Anfängerinnenprojekten und Praktika auch gesellschaftstheoretisch reflektieren konnte und mußte. Der so in gewisser Weise vollzogene 'Schichtwechsel1 hat mich für strukturelle soziale Ungleichheiten - zu denen auch die gesellschaftlichen Privilegien des akademisch ausgebildeten oberen Mittelstandes gehören - und ihre theoretischen Erklärungsmuster sensibilisiert. Zu dieser Sensibilisierung gehört freilich auch ein gewisses Bewußtsein meiner Wahrnehmungsgrenzen: Zum einen teile ich mit meinen Geschlechtsgenossen das etwas zweifelhafte Privileg, eine männerspezifische Sozialisation genossen zu haben. Dies bedeutet, im universitären Rahmen bestimmten Schikanen und Behinderungen nicht ausgesetzt gewesen zu sein, es heißt aber auch, daß bestimmte Herrschaftsmechanismen etwa im Kommunikationsverhalten internalisiert sind und bearbeitet werden müssen. Andererseits habe ich keine existentiell bedrohliche materielle Not oder Diskriminierung wegen meiner Hautfarbe, Religion oder meiner sexuellen Orientierung erfahren müssen. Eine gewisse Sensibilisierung für ökumenische Zusammenhänge erfuhr ich noch während der Schulzeit durch ein Studienjahr, das ich in den USA verbrachte. Allerdings ging es dabei vor allem um die innerprotestantische Ökumene im Rahmen industrialisierter, reicher Gesellschaften, und dies in einem eher problematischen Sinne, da ich dort zum ersten Mal die engen

Der Kontext der Untersuchung

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Grenzen doktrinal verfaßter Gemeinschaften wahrnehmen konnte. Probleme von theologischer Arbeit und theologischer Ausbildung in unterschiedlichen weltgesellschaftlichen Kontexten (vor allem bezüglich der Zweidrittelwelt) kamen mir eher durch Vermittlung der Gemeinde vor Beginn des Studiums und die theoretische wissenschaftliche Arbeit zum Bewußtsein als durch eigene praktische Erfahrungen - auch im Gefolge der Analyse ökonomischer Bestimmtheit sozialer Zusammenhänge, die die globale Dimension nicht ausklammern kann. In der institutionellen Verortung wurde die besondere Bedeutung, die das Theologische Konvikt Frankfurt/Main für die Entstehung dieser Untersuchung hatte, schon erwähnt. Darüber hinaus bot es aber auch die unmittelbare Möglichkeit, in Praxiszusammenhängen theoretische Einsichten zu befragen, mit Mitarbeiterinnen und Studierenden über einzelne Fragen zu diskutieren und theoretische Einsichten kritisch in existierende Praxiszusammenhänge einzubringen. Dies ist hier zu erwähnen, weil es in der Arbeit auch unmittelbaren Niederschlag gefunden hat: Am Ende des letzten Kapitels werde ich durch einen Erfahrungsbericht aus der Studienanfängerinnenarbeit illustrieren, wie Versuche anfänglicher Umsetzung der Vorschläge zur Kontextualisiemng im Studium praktisch aussehen können. Dies ist freilich nur ein Ausschnitt der institutionellen Studienwirklichkeit. Aber es ist der praktische Ausschnitt, der neben meinem eigenen Studium den erfahrungsmäßigen Hintergrund dieser Untersuchung darstellt.

l .9 Zum Vorgehen der Arbeit - Kurzinhalt und Gliederung Zum Schluß dieser Einleitung möchte ich den Gang der Untersuchung noch einmal kurz zusammenfassen, um den Überblick für die Leser und Leserinnen zu erleichtern. In diesem einleitenden Kapitel wurde versucht, das Theologiestudium als ethisches Konfliktfeld und eigene Phase zu beschreiben, bei deren Gestaltung immer auch normative Interessen verschiedener Parteien beteiligt sind, so daß es sinnvoll sein kann, die Debatte um die Studienreform unter ethischem Aspekt zu betrachten, bei dem vor allem die an der ökumenischen Debatte gewonnene Frage nach der Konzeptualisierung des Kontextes leitend ist. Im zweiten Kapitel soll das Konzept der Kontextualisierung als Perspektive auf das Theologiestudium diskutiert und erläutert werden. Dazu ist ein Überblick über die ökumenische und die hiesige Diskussion des Kontextualisierungskonzepts notwendig, das in der Ökumene meist als Konzept 'kritischer Indigenisierung' des Evangeliums aufgefaßt wurde. Da die Theologie aber in unserem abendländischen Kontext weitgehend indigenisiert ist, muß es hier m.E. darum gehen, das Bewußtsein für den eigenen Kontext und

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"Theologiestudium im Kontext"- Einleitung

seine Partikularität zu schärfen. Historisch wird dies bereits geleistet, sozial steht es noch aus. Daher wird 'Kontextualisierung' im Sinne einer Konzeptionalisierung des Kontextes hier präskriptiv als 'kritische Reflexion auf die eigene soziale Position zur Ermöglichung von Verständigung1 gefaßt. Zur Präzisierung dessen, was mit 'Kontext' gemeint ist, werden Kategorien der soziologischen Theorie A. Giddens' herangezogen. In einem dritten Kapitel möchte ich einen Überblick über die bundesdeutsche Debatte um die Reform des Studiums der evangelischen Theologie seit den sechziger Jahren im weiteren Zusammenhang der 'Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums' bieten. Damit soll einerseits der historische Kontext der aktuellen Debatten und der exemplarisch verhandelten Entwürfe dargelegt werden, andererseits finden sich in dieser Diskussion bereits Vorschläge, die für eine Kontextualisierung wichtig sein können. Da diese Diskussion aber vor allem eine politische Diskussion ist, werden Hintergründe und genauere Ausformulierungen in ihr oft zugunsten eher vager Konsensformehi zurückgestellt. Zwei Tendenzen lassen sich aber ausmachen: eine stärker partizipations- und einer eher organisationsorientierte Richtung. Beide Tendenzen sollen anhand eines repräsentativen, systematischen Entwurfs vorgestellt und auf ihre Kontextualisierung untersucht werden. Für die eine Tendenz kann Henning Luther, für die andere Eilert Herms befragt werden. Die Untersuchung der Kontextualisierung der Ansätze geschieht auf dem Hintergrund der These, daß eine Kontextualisierung von den Studierenden nur erwartet werden kann, wenn diese auch in der Studienplanung vorliegt und die Sensibilität für den sozialen Kontext auch in die Institutionen 'eingebaut' wird. Die systematischen Studienreformansätze Henning Luthers und Eilert Herms' werden dann in einem vierten Kapitel zunächst ausführlich dargestellt und dann anhand des an A. Giddens gewonnenen Kontextualisierungsschemas auf ihre spezifische Kontextualisierung untersucht, wobei es sowohl um die Selbstwahrnehmung der Autoren als auch um ihre Wahrnehmung des Theologiestudiums geht. Schließlich wird ihre Konzeptionalisierung des Kontextes am Maßstab des erarbeiteten Schemas kritisch auf Verzerrungen und Ausblendungen beleuchtet. Im letzten, dem fünften Kapitel der Arbeit werden Perspektiven für die Kontextualisierung des Studiums und die Kontextualisierung im Studium zusammengestellt, wie sie sich aus dem Durchgang durch die historische Debatte und der Diskussion der zwei Ansätze ergeben haben. Dabei werden zunächst Elemente beschrieben, die momentan das Studium konstituieren und zu denen sich die Akteurinnen des Studiums wie der Studienplanung in irgendeiner Weise verhalten müssen. Weiterhin werden dann normative Aspekte aus der historischen Debatte und den beiden Ansätzen diskutiert und schließlich eigene Vorschläge unterbreitet. Dabei werden zunächst als

Zum Überblick

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universalisierbar gedachte Prinzipien genannt, die m.E. bei der Studienplanung unter dem Kontextualisierungsaspekt berücksichtigt werden müssen, kontextuelle Nonnen entwickelt, die zu den Prinzipien kompatibel sein müssen und die Studienplanung unter diesem Aspekt steuern sollen, und praktische Vorschläge unterbreitet, die zu den kontextuellen Nonnen kompatibel sein und die konkrete Planung befördern sollen. Zur Illustration dessen, wie eine anfangliche Umsetzung dieser Vorschläge in einem Studienausschnitt praktisch aussehen kann, wird ein Erfahrungsbericht aus der Studienanfängerlnnenarbeit des Theologischen Konvikts Frankfurt/Main geboten. In einem Nachwort, das drei Jahre nach dem Hauptteil der Studie entstanden ist92, biete ich einige Überlegungen zur Bedeutung der Kontextualisierung nach dem Studium, also in der zweiten Ausbildungsphase und im Beruf. Dabei soll nun die Bedeutung des Studiums als eigener Phase der Ausbildung nicht herabgesetzt werden. Wenn aber Kontextualisierung ein wünschenswertes Lemziel des Theologiestudiums ist, dann muß sich auch plausibel machen lassen, warum es von einem der Berufsbilder des Studiums her sinnvoll ist, eine solche Qualifikation zu erwerben und was dies für den weiteren Ausbildungs- und Berufsgang bedeuten könnte. Freilich ist mit dieser Skizze keineswegs eine gründliche Untersuchung der Frage nach der Bedeutung von Kontextualisierung im Pfarr- und Lehrberuf intendiert, sondern sie sucht solche Arbeiten anzuregen.

Das Nachwort selbst, das weitgehend auf eigenen Erfahrungen fußt, verdankt sich seinerseits der Anregung des Herausgeberkreises der Arbeiten zur Praktischen Theologie, der die Arbeit freundlicherweise in diese Reihe aufnahm.

2. Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion 2.1 Einleitung Wenn 'Kontextualisierung1 als Untersuchungsraster zur Analyse von Ansätzen zur Reform des Theologiestudiums soll verwandt werden können, muß zunächst der Begriff selbst bzw. das Konzept, das mit diesem Begriff verbunden ist, geklärt werden. Dies soll das Ziel dieses Kapitels sein. Die Verwendung des Begriffes ist aber nun keineswegs eindeutig. Wird im Rahmen der Ökumene über 'Kontextualisierung1 gesprochen, geht es im allgemeinen um ein ganzes Wortfeld: 'Kontext', 'Kontextualisierung', 'Kontextualität', 'kontextuelle Theologien'. Wie verhalten sich die Elemente dieses Wortfeldes zueinander? Meist wird davon gesprochen, daß Theologie in einem bestimmten 'Kontext' angesiedelt sei. Die ausdrückliche Beziehung der Theologie auf diesen Kontext wird 'Kontextualisierung' genannt. Das Produkt dieses Verfahrens heißt 'kontextuelle Theologie'. Die Art und Weise oder der Grad der Bezogenheit von Theologie und Kontext wird dann als die 'Kontextualität' dieser Theologie bezeichnet. Jenseits dieser groben Einschätzung ist die Verwendung der Begriffe nun keineswegs mehr einheitlich. Fraglich ist schon, wie 'Kontext' konzeptualisiert wird - als geschichtlicher, sozialer, kultureller, geschlechtlicher, ökonomischer etc.? Davon hängt unter anderem ab, wie 'Kontextualität' bestimmt wird und was eine 'kontextuelle Theologie' auszeichnet. Wie dann 'Kontextualisierung' beschrieben wird, hängt von theologischen Grundentscheidungen ebenso wie von der Konzeptionalisierung des Kontextes ab. Im folgenden werde ich von 'Konzept' sprechen, wenn ich die Gesamtheit der mit 'Kontextualisierung' verbundenen Vorstellungen meine. In einem ersten Abschnitt wird auf die Herkunft des Konzeptes im ökumenischen Ausbildungskontext reflektiert, um in einem zweiten Abschnitt dann einige Schlaglichter auf die gegenwärtige Verwendung des Begriffes in der Ökumene zu werfen. Weiterhin geht es um die Rezeption dieser Diskussion in Westeuropa und v.a. in der deutschen Diskussion. Dann soll kurz die Reaktion darauf beleuchtet werden. Daran anschließend möchte ich für diese Arbeit eine Verwendungsweise des Begriffes herausarbeiten und suche diese in einem dritten Abschnitt unter Aufnahme eines sozialtheoretischen Konzeptes, der 'Theorie der Strukturierung' von A. Giddens zu präzisieren.

Kontextualisierung und theologische Ausbildung

2.2

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'Kontextualisierung' und theologische Ausbildung

Das Konzept der 'Kontextualisierung' ist dem Ausbildungsgeschehen nicht so fremd, wie der Blick auf die deutsche Diskussion glauben läßt. Im Gegenteil dürfte die Verbreitung des Begriffs der ökumenischen Diskussion über die theologische Ausbildung entstammen1. Der bisherigen Forschung zufolge hat der Begriff seine ökumenische Karriere im 'Theological Education Fund' (TEF), einem Gremium des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) angetreten2. Dieses Gremium, das für die Förderung theologischer Ausbildung besonders in den 'Jungen Kirchen' eingesetzt worden war3, arbeitete in mehreren Phasen. Da es jeweils beauftragt werden mußte, wurde von 'Mandaten' gesprochen. Drei Mandate lassen sich unterscheiden: Das erste, auf Anregung des Internationalen Missionsrates (IMR) begonnen, dauerte von 1958-19654 und hatte die 'Hebung des theologischen Niveaus' in den Jungen Kirchen zum Hauptziel5. Das zweite Mandat, das von 1965-1970 reichte, wandte sich kritisch von dieser Bestimmung ab und sollte als Ziel die "wirkliche Begegnung des Studenten mit dem Evangelium in der Sprache seines Denkens und seiner Kultur, eine Begegnung zwischen der Kirche und ihrer Umgebung"6 haben, ein Ziel, das mit dem Begriff 'Indigenisierung' beschrieben werden könnte. In seinem dritten Mandat (1972-1977) machte der TEF nach einer zweijährigen Studienphase - in Aufnahme einer taiwanesischen Diskussion7 - 'Kontextualisierung' zum Schlüsselbegriff und Motto8. Der Begriff wurde dabei im Sinne einer kritischen Indigenisierung verstanden: "It (sc. contextualization) means all that is implied in the familiar term 'indigenization' and yet seeks to press beyond. Contextualization has to do with how we assess the peculiarity of Third World contexts. Indigenization tends to be used in the sense of responding to the Gospel in terms of a traditional culture. Contextualization, while not ignoring this, takes into account the process of secularity, technology, and the struggle for human justice, which caracterize the historical moment of nations in the Third World."9 1

1 3 4 1 6

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9

Vgl. D. Werner 1990: 60ff. Zur genaueren Geschichte vgl. Chr. Lienemann-Perrin 1976: Teil passim.; vgl. auch - für einen Überblick über theologische Ausbildung in der Zweidrittelwelt - Chr. Lienemann-Perrin 1987. Vgl. Chr. Lienemann-Perrin 1976: 226. Vgl. D. Werner 1990: 64. Vgl. D. Werner 1990: 64. Vgl. Chr. Lienemann-Perrin 1976: 319. Chr. Lienemann-Perrin 1976: 222. Vgl. Chr. Lienemann-Perrin 1976: 116; 226; vgl. die Behandlung im Fortgang der Arbeit. Chr. Lienemann-Perrin 1976: 223ff.

Ministry in Context 1972: 3.Teil/3, S. 20, zitiert bei Lienemann-Perrin 1976: 226. Überset-

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Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

Das Konzept kritischer Indigenisierung wurde dann weithin aufgenommen und diente als Ausgangspunkt unterschiedlicher theologischer Ansätze10. Doch auch im westeuropäischen Kontext ist der Begriff in ökumenischen Ausbildungsdiskussionen prominent. So spielte der Begriff bei der 'Europäischen Konsultation über theologische Ausbildung' in Herrnhut/DDR (1980) eine entscheidende Rolle. Die Kontextbesinnung unter dem Titel 'Kontexte theologischer Ausbildung in Europa' war einer der fünf Hauptschwerpunkte der Tagung11, wobei besonders die Frage nach der Bedeutung von Kontextualisierung in der westlichen Hemisphäre bearbeitet wurde12. Die Frage nach Kontextualisierung ist aber auch als Element ökumenischer Perspektiven theologischer Ausbildung zur Standardforderung avanciert. So betont D. Werner die Kontextualisierung der theologischen Ausbildung als eine der Grundanfragen an westliche Einrichtungen theologischer Ausbildung13. Die Programmschrift 'Pia Desideria Oecumenica1 fragt im Namen der Ökumene, ob "theologische Ausbildung bei uns in adäquater Weise 'kontextualisiert', d.h. bezogen auf die gegenwärtigen Herausforderungen und missionarischen Prioritäten der Kirche im westdeutschen Kontext" sei14. S. Amirtham, Direktor des Programme on Theological Education (PTE), nennt in seinem Aufsatz "Ökumenische Perspektiven Theologischer Ausbildung"15 'Kontextualisierung' an zweiter Stelle einer Aufzählung von sechs "Anliegen für die Entfaltung einer ökumenischen Vision"16. Franz Heinrich Beyer schließlich benutzt den Begriff, um die evangelisch-theologische Ausbilung in der früheren zung (von mir, T.M.): "Kontextualisierung deckt all das ab, was in dem bekannten Begriff 'Indigenisierung' impliziert ist, versucht aber zusätzlich, über diesen hinauszugehen. Bei dem Begriff Kontextualisierung geht es darum, wie wir die Besonderheit von Dritte-WeltKontexten einschätzen. Indigenisierung wird nämlich leicht (nur) im Sinne einer Antwort auf das Evangelium im Rahmen einer traditionellen Kultur gebraucht. Obgleich Kontextualisierung dies nicht ignoriert, zieht sie zusätzlich den Säkularisierungs- und Technologisierungsprozeß sowie den Kampf um menschliche Gerechtigkeit in Betracht, Prozesse, die die historische Situation von Dritte-Welt-Nationen charakterisieren." Einen Literaturüberblick bietet etwa Überseeische Christenheit III 1985 oder H. Waldenfels 1987. Vgl. D. Werner 1990: 65. H. Mottu and a Working Group from the Netherlands 1981. Vgl. D. Werner 1990: 65f. Er bezieht sich dabei auf den Überblick S. Amirthams über die Arbeit des Programme on Theological Education (PTE), das gewissermaßen die Nachfolge des Theological Education Fund (TEF) angetreten hat und seit 1977 arbeitet, und sieht diesen Überblick in der Tradition der Arbeit Steven G. Mackies. U. Becker u.a. 1990: 134f. S. Amirtham 1989. Amirthams Aufsatz entstammt einem Vortrag, der bei einer Tagung zur Reform des Theologiestudiums in Westdeutschland gehalten worden war. An dieser Tagung, die vom 6.-8. Juli 1987 in Iserlohn stattfand, nahmen neben dem studentischen Vertreterinnengremium VeTh/KthF auch Eilert Herms, Ingo Baldermann, Dietrich Werner und andere teil. S. Amirtham 1989: 155.

Kontextualisierung und theologische Ausbildung

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DDR zu konzeptualisieren und Perspektiven für eine neue, Anregungen aus beiden Traditionen aufnehmende bundesdeutsche Ausbildungsplanung zu gewinnen17. Diese Beispiele für die Verbindung von 'theologischer Ausbildung' und 'Kontextualisierung1 sollen zunächst genügen. Allerdings ist die Verwendung des Begriffes keineswegs einheitlich. Verstand der TEF unter Kontextualisierung 'kritische Indigenisierung1, so sieht S. Amirtham mit ihr eher "Ausrichtung auf den weltweiten Horizont"18 verbunden an und D. Werner versteht sie - ähnlich wie F.H. Beyer19 - als "'Adaption' von Kirche und kirchlicher Ausbildung an die gegebenen kulturellen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen (...) im Horizont ihrer Sendung, d.h. der 'missionarischen Tagesordnung' "20. Zudem hat sich der Begriff - wie oben bereits anklang - auch vom Ausbildungszusammenhang gelöst, wodurch weitere Bedeutungsverschiebungen ausgelöst wurden. Es muß also nun ein Blick auf die verschiedenen Bedeutungsgehalte des Konzeptes 'Kontext, Kontextualisierung, Kontextualität' geworfen werden21.

2.3 Das Konzept der Kontextualisierung In diesem Abschnitt soll nun zunächst der Horizont des Verständnisses des Konzeptes in der Ökumene ausschnittweise beleuchtet werden, um dann auf die deutsche Rezeption sowie die aus dieser Rezeption gezogenen Konsequenzen zu sprechen zu kommen. 2.3.1 Schlaglichter auf die ökumenische Diskussion von 'Kontextualisierung' Der Begriff 'Kontextualisierung' wird in der ökumenischen Diskussion vor allem als Bezeichnung eines Verfahrens, einer Methode benutzt. Der Begriff in seiner ökumenischen Verwendungsweise, die dann durch den TEF verbreitet wurde, stammt aus Taiwan22. S. Coe, taiwanesischer Theologe und 17

F.H. Beyer 1992. " S. Amirtham 1989: 157. 19 F.H. Beyer 1992: 301. 20 D. Werner 1990: 61f. 21 Es kann hier selbstverständlich keine Vollständigkeit erzielt oder auch nur angestrebt werden. Daher versucht der folgende Abschnitt auch nur eine grobe, schlaglichtartige Übersicht anhand dem Verfasser zugänglicher bzw. bekannter Quellen. Eine Arbeit, die sich dem Verständnis der mit dem Wortfeld 'Kontextualisierung' verbundenen Implikate hier und in der Ökumene gründlich widmete, müßte ausgewählte Beispiele der unter dem Begriff 'kontextuelle Theologien' subsumierten Ansätze auf ihre Verfahrensweisen untersuchen. 22 Vgl. Chr. Lienemann-Perrin 1976: llöff u. S. 226ff. J.S. Upkong 1987 verweist für den Begriff 'Kontext' auch auf die theologische Verwendung in US-amerikanischen moraltheo-

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Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

als ehemaliger Direktor des TEF an der Prägung des Begriffes beteiligt, definiert 'Kontextualisierung' als kritische Erweiterung zu 'Indigenisierung'23. Hebt Indigenisierung auf die 'Einheimischmachung' des Evangeliums in nicht-europäischen Kulturen ab, denen das Evangelium meist durch Mission begegnet ist (die in mannigfaltiger Hinsicht in koloniale und neokoloniale Kalküle verstrickt war und ist), also auf die Enkulturation, so soll 'Kontextualisierung' ein dynamischeres Verständnis von Situationsanpassung liefern, das nicht Gefahr läuft, zu einer Art konservativer Schöpfungstheologie im jeweiligen kulturellen Kontext zu werden, die alles Bestehende 'absegnet'. 'Kontextualität' und 'Kontextualisierung' sind dann als kritische Begriffe gedacht, die den jeweiligen Kontext auf seine Bedeutung für die missio dei hinterfragen: "Behind it all is the missiological discernment of the signs of the times, required of the People of God." Sie sind als Entsprechungsbegriffe angelegt, weil richtig verstandene kritische Einschätzung des Kontextes 'Kontextualisierung', Handlung, Praxis hervorbringe und sie sind dabei als Handlungen des 'wandernden Gottesvolkes', also mit sog. Laien als Subjekten und prozeßhaft gedacht. Begründet sieht Coe die Kontextualisierung in der Inkarnation, dem Prozeß 'göttlicher Kontextualisierung'25. Nachfolge habe dabei offen zu sein für ihren eigenen fragmentarischen und provisorischen Charakter und damit für den ständigen Prozeß der De- und Rekontextualisierung26. Justin S. Upkong definiert Kontextualisierung zunächst als 'etwas in einen Zusammenhang setzen'. Er hat die Bedeutung des Konzepts 'Kontextualisierung' (contextualization) untersucht und zwei Haupttypologien unterschieden27. Zunächst beschreibt er eine 'Indigenisierungstypologie1, die auf die Einheimischmachung des Christentums in einer bestimmten Gesellschaft ziele.28 Hierbei unterscheidet er zwei Modelle, ein Übersetzungsmodell (translation model) und ein Enkulturationsmodell (inculturation model). Das Übersetzungsmodell gehe von einer Trennbarkeit des Evangeliums in Kern und Schale aus und suche die kulturelle Schale, in der der Kern überliefert wurde, durch die jeweils relevante, aktuelle zu ersetzen. Das Enkulturationsmodell dagegen suche die Historizität der Offenbarung ernst zu nehmen. Es

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logischen Diskussionen der fünfziger Jahre bzw. auf H. Gunkels Frage nach dem 'Sitz im Leben' einer literarischen Gattung. Dies betrifft jedoch den Begriff der Kontextualisierung nur vermittelt. Upkong setzt den ökumenischen Gebrauch des Begriffes auch mit der Rezeption im TEF an. Zu fragen wäre allerdings, ob das Wortfeld nicht in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie schon früher benutzt worden ist. Vgl. S. Coe 1976. S. Coe 1976: 21. "I believe, in fact, that the incarnation is the divine form of contextualization, and if this is so, the way we receive this gift is also through our following His way" (S. Coe 1976: 23). Vgl. S. Coe 1976: 24. Vgl. J.S. Upkong 1987. Vgl. J.S. Upkong 1987: 165.

Das Konzept der Kontextualisierung

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gehe davon aus, daß die göttliche Botschaft nicht von ihrem jeweiligen kulturellen Ausdruck zu trennen sei: "Thus the theologian's task consists in rethinking the Christian message in the light of the local cultural background and re-expressing it in terms of the local cultural idiom." Des weiteren konstatiert Upkong eine sozio-ökonomische Typologie, bei der er zwei Modelle unterscheidet, ein evolutionäres und ein revolutionäres oder Befreiungsmodell. Dem evolutionären Modell ordnet er 'Entwicklungstheologie' zu, die in den 60er Jahren populär gewesen sei und als politische Theologie die christliche Botschaft im Kontext der Humanisierung der Menschheit habe anwenden wollen30. Dem Befreiungsmodell, das er als Versuch beschreibt, "to contextualize the gospel message in a situation of social and economic oppression"31, ordnet er - neben der lateinamerikanischen Befreiungstheologie - die schwarze Theologie Nordamerikas und Südafrikas sowie die feministische Theologie zu. Als Konsequenzen der Einsicht, daß alle Formen christlichen Ausdrucks "are tinted with the traits of the cultural context from which they originate even if we are unaware of this"32 nennt Upkong, daß bisher als universal gedachte Formen christlichen Ausdrucks heute als partikular erkannt werden müssen, daß zwischen Christentum als abstraktem Begriff und dem Ausdruck christlicher Religion unterschieden werden müsse und daß im Prozeß der Evangelisierung jede Kultur zu respektieren sei und eine Chance erhalten müsse, ihre Form des Christentums zu entwickeln. S. Amirtham sucht nun beide Sichtweisen, die materiale und die verfahrensorientierte, zu verbinden33, indem er zunächst kontextuelle Theologien aufzählt, die alle aus der Reflexion partikularer Situationen in bestimmten Kontexten entstanden seien34. Unter Kontextualisierung wird dabei "derjenige Prozeß verstanden, durch den das christliche Evangelium kritisch in einem neuen Kontext Gestalt gewinnt, sein Verständnis neu Fleisch werden läßt und dabei erleuchtet und transformiert wird. Nur aus der Begegnung von Text und Kontext gewinnt eine relevante Theologie ihre Gestalt."35 Die 29

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J.S. Upkong 1987: 166. Als gutes Beispiel für die hierzu notwendige Analyse nennt Upkong das Modell von R.J. Schreiter 1985. Übersetzung: "Daher besteht die Aufgabe der Theologin darin, der christlichen Botschaft im Lichte des örtlichen kulturellen Hintergrundes nach-zudenken und sie im Rahmen der örtlichen Sprache nachzubuchstabieren." Vgl. J.S. Upkong 1987: 167. Upkong bemerkt dazu: "This theology, though still alive, is not widely known today." J.S. Upkong 1987: 168. Übersetzung: "...die Botschaft des Evangeliums in einer Situation sozialer und wirtschaftlicher Unterdrückung zu kontextualisieren". J.S. Upkong 1987: 168. Übersetzung: "...die Züge des kulturellen Kontextes tragen, aus dem sie stammen, auch wenn wir dies nicht wahrnehmen". Vgl. S. Amirtham 1989: 157ff. Vgl. S. Amirtham 1989: 157ff, Amirtham nennt dabei Befreiungstheologie (Lateinamerika), Lebenstheologie (Asien), Minjiungtheologie (Südkorea), Kokosnußtheologie (Pazifik), Schwarze Theologie (USA). Zu ergänzen wäre hier die Feministische Theologie. S. Amirtham 1989: 157ff.

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Kontextualisierung: Die Ansbildungsdiskussion

Prozeßhaftigkeit von Kontextualisierung impliziere dabei, daß der sich ständig verändernde gesellschaftliche und kulturelle Kontext fortwährend analysiert werden müsse. Wer 'Kontextualität' betone, bestehe dann darauf, daß alle Formen von Theologie wesentlich kontextuell seien, es also keine zeitlos gültige Theologie geben könne. Kriterium für jede Gestalt von Theologie sei dann "ihre Treue zum Evangelium in jedem gegebenen Kontext"36. Das sich hieraus ergebende Problem der Pluralität von Theologie sei nun in dreifacher Hinsicht zu bearbeiten: Zum einen impliziere die Pluralität gegenseitige Befragung und Ermutigung, zum anderen bedeute Pluralität nicht Gleich-gültigkeit, da ein Vorrang der Perspektive 'von unten' zu konstatieren sei, und schließlich gebe es die eine Welt mit ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen als gemeinsamen Kontext." 2.3.2 Die Rezeption im deutschsprachigen Raum: 'Kontextuelle Theologien1 Im deutsprachigen Raum wird das Augenmerk - vor allem in der missionswissenschaftlichen Debatte - hauptsächlich auf materiale theologische Ansätze gerichtet, wie sie in unterschiedlicher Art und Weise in der Zweidrittelwelt ausgearbeitet worden sind38. Diese werden unter der Sammelkategorie 'kontextuelle Theologien' rezipiert. Dabei wird versucht, diese 'historische Größe' selbst wieder zu differenzieren und zu kategorisieren39. 'Kontextuelle Theologien' werden als Dialogangebot an uns verstanden. Entsprechend geht es dann darum, die so gestellten Fragen von der Position westdeutscher Theologinnen aus zu verstehen und zu bearbeiten. So spricht Klauspeter Blaser von 'kontextuellen Theologien' und sieht dabei das Thema 'Evangelium und Kultur' im Hintergrund40, und zwar so, daß eine 'prophetisch-dialektische Qualität der Begegnung von Evangelium und Kultur' gegeben sei41. Entsprechend wird 'kontextuelle Theologie' von außen betrachtet: "Wenn wir nun ein paar Anliegen eines an Kontexten orientierten Denkens und Handelns zu erheben suchen, so wird mit zu bedenken sein, daß fast immer eine Kritik an der herrschenden, d.h. europäisch-westlichen, speziell deutschen Theologie (...) impliziert ist. Das erklärt, weshalb wir (...) gleichzeitig mit einigen Hauptproblemen heutiger 'ökumenischer' Theologie und der derzeitigen Missionswissenschaft konfrontiert werden (...)."42 Und so wird auch als erste resümierende These und Lehre aus kontextueller Theologie angeführt: "Das Evangelium und der Westen sind nicht * S. Amirtham 1989: 157ff. 37 Vgl. S. Amirtham 1989: 158. 38 Vgl. Anm. 10 (Literaturüberblick). 39 So etwa K. Blaser 1984. 40 Vgl. K. Blaser 1980. 41 Vgl. K. Blaser 1980:221. 42 K. Blaser 1980: 228f.

Das Konzept der Kontextualisierung

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dasselbe."43 Ahnlich verhandelt Hans Werner Gensichen das Thema unter der Überschrift "Evangelium und Kultur"44 und stimmt der Kritik an "der Vorherrschaft westlicher Modelle"45 zu. Er konstatiert: "Die heutige Gesprächssituation bringt es mit sich, daß die Frage der Kontextualisierung überwiegend im Hinblick auf Möglichkeiten und Grenzen einheimischer Theologien in der nichtwestlichen Welt diskutiert wird."46 In diesem Zusammenhang warnt er angesichts der 'westlichen' Beispiele vor einer Vernachlässigung der "kritischen Diskontinuität"47 zwischen Glaube und kulturellen Ausdrucksformen und sieht die Gefahr einer "kontextuellen Gefangenschaft des Evangeliums"48, gegen die er auf den "Konsensus" verweist, "daß unsere primäre christliche Identität nicht in unserer partikularen Kultur, sondern in dem einen Herrn und seinem Leib gegründet ist."49 Auch Erhard Kamphausen, Paul Löffler und Werner Ustorf sehen in den 'kontextuellen Theologien' vor allem eine Anfrage an die westlich-christliche Identität50. Diese werde - gegen ihre Universalismusansprüche - an ihren partikularen Kontext, die 'bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft Europas' erinnert, so daß kontextuelle Theologien nicht als Alternativtheologien begriffen werden dürften, sondern "ihrem Anspruch nach 'die Verkündigung des Jahrhunderte alten Evangeliums, nun aber befreit aus der tödlichen Umklammerung der Mächtigen' (Boesak)"51 seien. Die Autoren versuchen dann, Gemeinsamkeiten dieser kontextuellen Theologien darzustellen und konstatieren als Elemente u.a. einen Primat der Praxis vor der Theorie, die Parteilichkeit zugunsten Marginalisierter, die Teilnahme am Leiden und am Kampf als Bedingung von theologischer Rede, den Versuch kritischer Gesellschaftsanalyse und eine grundsätzliche Dialogbereitschaft statt eines Systemzwanges52. Als theologische Elemente kontextueller Theologien werden die Relectura der Bibel, eine Erfassung der Welt als Gottes Welt und damit ein Wegfall der Trennung von Welt- und Heilsgeschichte sowie eine Betonung der Inkarnation festgestellt53. Das Aufkommen "besonderer Theologien aus der Dritten 43

K. Blaser 1980: 233, vgl. auch 1984: 14. H.W. Gensichen 1978. 45 H.W. Gensichen 1978: 204; vgl. auch 208 u.ö. 46 H.W. Gensichen 1978: 206. 47 H.W. Gensichen 1978: 211. 48 H.W. Gensichen 1978: 211. 49 H.W. Gensichen 1978: 212. Eine ähnliche Linie, nämlich einen kritischen Begriff von Kontextualisierung, verfolgt H.W. Gensichen 1985. Hier verzeichnet er interne Kritik aus der Zweidrittelwelt an ideologischen Formen der Kontextualisierung und besteht auf der kritischen Diskontinuität. 50 Vgl. E. Kamphausen, P. Löffler, W. Ustorf 1985: 70. 31 E. Kamphausen, P. Löffler, W. Ustorf 1985: 70. * Vgl. E. Kamphausen, P. Löffler, W. Ustorf 1985: 73f. 53 Vgl. E. Kamphausen, P. Löffler, W. Ustorf 1985: 75ff. 44

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Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

Welt" deute auf die Tatsache, daß Ökumene heute als "Dritteweltkirche mit einer westlichen Vorgeschichte"54 gesehen werden müsse. Somit ergebe sich für westliche Kirchen und Theologien die Notwendigkeit neuen Hörens, das die Bereitschaft zur Selbstkritik, die Öffnung für Fremdkritik und eine Überprüfung des eigenen Standortes impliziere55. Auf die Rezeption 'kontextueller Theologien' im Sinne materialer Theologien aus der Zweidrittelwelt zielt auch die 'Europäismus-Debatte', in der danach gefragt wird, mit welchem Recht von einer 'europäischen' oder 'westlichen' Theologie überhaupt geredet werden kann56, wie weit die Geltungsansprüche einer 'europäischen Theologie nach der Aufklärung' reichen57, inwiefern 'kontextuelle Ansätze' ideologisch werden58 bzw. ob diese 'europäischen' Fragerichtungen nicht selbst wieder neokolonial geprägt und damit illegitim sind59. 2.3.3 Kontextualisierung in Westeuropa? Der Begriff läßt sich so als Resultat einer kritischen Diskussion in den sog. 'Jungen Kirchen' verstehen. Zugleich kann das Konzept auch als Reaktion auf ein Bedürfnis der Jungen Kirchen verstanden werden, auf das Bedürfnis nämlich, mit den kulturimperialistischen Implikationen der Mission

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Vgl. E. Kamphausen, P. Löffler, W. Ustorf 1985: 77. Die Autoren argumentieren dabei in Berufung auf J.B. Metz und G. Gutierrez.

* Vgl. E. Kamphausen, P. Löffler, W. Ustorf 1985: 77f. 36

Vgl. D. Ritschi 1979 - hier zeigt sich auch die Weite der Begriffe, da zwischen 'kontextueller' und 'indigener' Theologie kaum klar geschieden werden kann. " Vgl. T. Rendtorff 1977 und 1979. Rendtorff möchte im Rekurs auf E. Troeltsch die kontextuellen Theologien umstandslos auf das Guthabenkonto der europäischen Theologie buchen, da die Individuierungstendenz selbst zutiefst europäisch sei, sämtliche Theologien aus der Zweidrittelwelt also von dem zehrten, was sie doch kritisierten. 51 Vgl. W. Pannenberg 1978 (die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diesen Text). Pannenberg beschwört das "Ende der Periode des sogenannten Säkularökumenismus" (473). Darunter versteht er den Eintrag von 'politischen und gesellschaftspolitischen Gegensätzen in die ökumenische Bewegung'. Er wünscht sich dagegen "eine Klärung (...) und eine bewußtere Einigung auf das gemeinsam Christliche über gegensätzliche politische Auffassungen hinweg" (479ff). M.M. Thomas (1979: 178) hat Pannenberg daraufhin vorgeworfen, "daß (...) Pannenbergs (...) christlicher Ökumenismus eine Tendenz hat, in der westlichen Christenheit sein Zentrum und seinen Höhepunkt zu finden. Pannenberg scheint (...) zu behaupten, nicht das Evangelium, sondern das westliche Christentum selbst sei das Gesicht Gottes, der ganzen Welt zugewandt." Pannenberg 1979 replizierte darauf, daß er die Frage der Gerechtigkeit nicht aus der theologischen Diskussion ausklammem wolle (vgl. Pannenberg 1979: 312f), daß aber die These des Zusammenhangs von Reichtum des Nordens und Armut des Südens auf der Verwechslung von Eigeninteresse und Gerechtigkeit sowie "den Verführungskünsten politischer Demagogen" (Pannenberg 1979: 313) beruhe. 59 Vgl. zu W. Pannenberg 1978, 1979 und T. Rendtorff 1977, 1979 E. Kamphausen, W. Ustorf 1985: 30, Anm. l und K. Blaser 1980: 225.

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kritisch umzugehen und, positiv gewandt, Christus als 'Christus für uns' zu verstehen. Was bedeutet dies aber nun für die Kirchen und Christinnen in den USA oder Westeuropa, näherhin der BRD? Hier ergibt sich weit stärker die Gefahr einer Over-indigenisation' (Coe), so daß das Bedürfnis der Enkulturation kaum besteht. Wenn Ökumene aber einen weltweiten Zusammenhang des Volkes Gottes meint, dann besteht die Notwendigkeit, auf die Anfragen der Jungen Kirchen zu reagieren. Wie viele Teilnehmerinnen der Diskussion hier übereinstimmen, besteht darum die als erster Schritt die Notwendigkeit, 'unff\ seren Ort' zu klären . Zunächst ist aber - gerade in unserem Kontext - eine Reflexion über das Konzept selbst einzuschieben. Diese Reflexion zielt auf Kontextualität in Westeuropa, verdeutlicht ihr Anliegen jedoch an den Beiträgen aus der Zweidrittelwelt, weil diese ihr Ziel klarer ausformuliert haben. Selbstverständlich ist das Konzept nicht unproblematisch. Zwei Problemkreise lassen sich unmittelbar ausmachen. Einerseits läßt sich die gewünschte kritische Bedeutung des Begriffes kaum objektivieren, obgleich die verwandten Formern dies vermuten lassen. Wenn Shoki Coe im Rahmen von Kontextualisierung von der 'Unterscheidung1 (bzw. Erkenntnis) der 'Zeichen der Zeit' spricht, so ist dies genausowenig eindeutig wie Amirthams Redewendung von der geforderten 'Treue zum Evangelium in jedem gegebenen Kontext'. Dies ist nun nicht deswegen problematisch, weil ein überhistorisches Kriterium fehlte - die Wahrnehmung historischer Kontingenz ist ja gerade ein Anliegen, das mit der Rede von Kontextualität und Kontextualisierung verfolgt wird. Problematisch ist vielmehr, daß die Kontextualität dieser Rede selbst in Formulierungen wie den genannten nicht in den Blick kommt, daß die Formulierungen also un-kontextueller klingen, als sie faktisch gemeint sein können. Wenn also Samuel Amirtham von einem Vorrang der 'Perspektive von unten' spricht, dann darf vorausgesetzt werden, daß er für diese Auslegung des Evangeliums neben guten exegetischen auch gute kontextuelle Gründe hat. Dies kommt jedoch in der Allgemeinheit, in der gemeinhin von Kontextualität und Kontextualisierung gesprochen wird, nicht zur Sprache. Ein zweiter Problemkreis wird durch die Bedeutungsvielfalt von 'Kontext' angezeigt. So konstatiert Upkong eine Vielfalt von Ansichten darüber, was den Kontext konstituiert61 und sucht das Problem durch eine sehr allgemeine Formulierung zu lösen: Er definiert 'Kontext' als eine "existing society (with its many patterns of social relations) into which Christianity is Vgl. E. Kamphausen, P. Löffler, W. Ustorf 1985: 77f, K. Blaser 1986. "With regard to what constitutes the context, some authors point to the non-Christian beliefs of a people, while others point to the habits and customs of people. Another school of thought sees the context as societal issues and conflicts including oppression, poverty and racism" (J.S. Upkong 1987: 162).

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introduced. Thus the context is something dynamic with its values, needs and aspirations. Religious beliefs, habits and customs, societal problems and issues - all make up the context to which the Christian message ist to be made relevant. "62 Abgesehen davon, daß hier die kritische Funktion des Evangeliums etwas unterbelichtet erscheint63, zeigt sich diese Definition sehr an den Kontext der Jungen Kirchen gebunden, da das Christentum (jedenfalls als Bündel von Ansichten, Lehren und Organisationselementen) in unseren Kontext nicht eingeführt werden muß. Vor allem anderen aber zeigt sich hier die Notwendigkeit, im Bewußtsein der eigenen Kontextabhängigkeit ein Konzept davon zu entwickeln, was in einer spezifischen historischen und sozialen Situation mit 'Kontext1 gemeint sein soll, wie er zu konzeptualisieren ist.M Wie oben schon dargestellt, besteht hier ein weitgehender Konsens unter Diskussionsteilnehmerinnen in der 'Ersten Welt'. So hat etwa K. Blaser65 einen Versuch in dieser Richtung unternommen. Blaser konzipiert seinen "Versuch"66 ausdrücklich als Antwort auf die Anfragen der Theologien der Zweidrittelwelt, widmet dabei jedoch der "geschichtlich-kulturellen Situation"67 "Beobachtungen und Überlegungen (...), die wesentlich von der geistesgeschichtlichen Tradition geprägt sind, was ihre Vorläufigkeit und Grenze markiert."68 Als Elemente des europäischen oder westlichen Kontextes nennt Blaser neben der "jüdisch-christlichen Tradition"69, dem "protestantisch-katholischen Gegensatz"70 und der "Aufklärung"71 die bürgerliche Gesellschaft als "Träger der Aufklärung"72, die "moderne Industriegesellschaft"73, die als Klassengesellschaft verstanden 62

J.S. Upkong 1987: 162. Übersetzung: "...existierende Gesellschaft (mit ihren vielen Mustern sozialer Beziehungen), in die das Christentum eingeführt wird. Damit ist der Kontext mit seinen Werten, Bedürfnissen und Zielen eine dynamische Größe. Religiöse Glaubenssätze, Gewohnheiten und Sitten bilden den Kontext, auf den die christliche Botschaft bezogen werden muß." 63 Neben H.W. Gensichens Betonung der "kritischen Diskontinuität des Evangeliums" (H.W. Gensichen 1978: 211) hat sich K. Blaser 1991 grundlegend und kritisch mit dem vor allem von konservativer Seite immer wieder geäußerten und pauschalisierten Vorwurf der Ideologizität, der mangelnden kritischen Distanz von Evangelium und Kontext in kontextuellen (v.a. Befreiungs-)Theologien auseinandergesetzt, wobei er den in unserem Kontext durch den Faschismus hochproblematischen Volksbegriff zugrundelegt. Dabei bespricht Blaser auch die kritischen Stellungnahmen von M.L. Stackhouse 1988 und P. Beyerhaus 1986 (vgl. K. Blaser 1991: 111.137ff.l44ff). 64 Vgl. hierzu auch Chr. Schaumberger 1991 oder G. Casalis 1985. 65 K. Blaser 1986. * K. Blaser 1986: 76. 67 K. Blaser 1986: 76. 68 K. Blaser 1986: 77. 69 K. Blaser 1986: 78. 70 K. Blaser 1986: 78. 71 K. Blaser 1986: 79. 72 K. Blaser 1986: 80.

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wird, und ein vom "Individualismus"74 geprägtes Menschenbild. Beide oben bereits angesprochenen Problemebenen der Konzeption lassen sich auch hier festmachen. So leistet Blaser zwar eine geistesgeschichtliche Verortung, doch es fehlt eine Kontextverortung des Autors - das 'wir', das er voraussetzt, bleibt ungeklärt: Meint er alle evangelischen Theologinnen Europas? Oder nur "denjenigen(...), der beim Studium von anderen Kontinenten, Völkern und Lebenszusammenhängen auf neue und überraschende Verständnisweisen der christlichen Botschaft stößt"?75 Oder "westliche Menschen"76 überhaupt? Gleichermaßen fehlt die Frage nach einer Konzeptualisierung des Kontextes. Zwar gesteht Blaser seinem "geistesgeschichtlichen"77 Zugang nur vorläufige Geltung zu, aber er übergeht in der Betonung der materialen Fragestellung die methodologische, die natürlich selbst wieder materiale Implikationen trägt. F.H. Beyer spitzt seine Präzisierung des Kontextualisierungsbegriffes78 auf das Studium der Theologie zu und thematisiert fünf Elemente79: ekklesiologisches Selbstverständnis und soziale Gestalt der Kirche, kulturelle, religiöse und soziale Lebensbedingungen und -formen der Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche, theologische Wissenschaft und Theologiestudium als Teil der universitas litterarum, die Lebenswelt der Studierenden und die Ökumene. In inhaltlicher Hinsicht bietet Beyer damit m.E. interessante und weiterführende Perspektiven an, doch auch er berührt die methodologische Frage einer Konzeptualisierung des Kontextes nur am Rande und insofern er die "natürliche Nähe"80 von Kontextualisierungsbegriff und Ausbildungsproblematik konstatiert81. Die von ihm genannten Kontextdeterminanten bringt er unmittelbar ein und differenziert dabei z.T. nur sehr wenig. Er trennt kaum zwischen dem normativen Gehalt der Wissenschaft und dem institutionalisierten, faktischen Wissenschaftsbetrieb82, er thematisiert zwar die Lebenswelt der Studierenden ausdrücklich, läßt aber die der Dozierenden auf AI sich beruhen . Freilich ist seine Arbeit - ähnlich wie die anderen referierten 73

K. Blaser 1986: 81 ff. K. Blaser 1986: 83f. 75 K. Blaser 1986: 76. 76 K. Blaser 1986: 76. 77 K. Blaser 1986: 77. 71 Er versteht 'Kontextualisierung' ähnlich wie D. Werner (1990: 61f), es geht ihm um "eine Theologie, die den kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen adäquat ist" (F.H. Beyer 1992: 301). Diese Formulierung scheint mir jedoch - bei aller Sympathie für die Absicht, die ich dahinter vermute - zu undifferenziert. 79 Vgl. F.H.Beyer 1992: 302.31 Iff. K F.H. Beyer 1992: 301. " F.H. Beyer 1992: 301. 82 F.H. Beyer 1992: 312. a F.H. Beyer 1992: 313ff. 74

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Texte - eher als programmatischer Anstoß denn als ausgearbeiteter Vorschlag zu verstehen. Dem Problem der Verortung westlicher Theologie widmet sich auch eine holländische Arbeitsgruppe84. Hier werden in der Frage nach der Kontextualisierung westlicher Theologie zwei Aspekte des Verfahrens unterschieden. Dieses beziehe sich einerseits darauf, daß theologische Themen und Positionen durch kulturelle, soziale und politische Konstellationen in einer speziellen historischen Situation bedingt sind, andererseits auf die Bemühung, Theologie als Befreiungselement in eine spezifische historische Situation einzubringen85. Dem entsprächen dann zwei Aufgaben: einerseits die Beleuchtung der verschiedenen 'hermeneutischen Zirkel', die in verschiedenen Kontexten benutzt würden und ihrer Relation in interkontextueller Kommunikation, andererseits die Entwicklung eines solchen theologischen Denkens, das den eigenen Kontext bedenke und dabei für interkontextuelle Kommunikation offen bleibe.86 2.3.4 'Kontextualisierung' in dieser Arbeit In Aufnahme der referierten Anstöße und besonders des Ansatzes der holländischen Arbeitsgruppe möchte ich 'Kontextualisierung1 für diese Arbeit als 'Reflexion auf die eigene soziale Position zur Ermöglichung von Verständigung zwischen verschiedenen Partnerinnen' definieren. Unter 'wir' verstehe ich zunächst den Leserinnenkreis dieser Arbeit sowie mich selbst, also im Regelfall Angehörige der akademischen Mittelschicht in einem der reichsten Industrieländer der Welt, deren stärkste Binnendifferenzierung in gesellschaftlicher Hinsicht in der Geschlechterdifferenz bestehen dürfte. Unter 'verschiedenen Partnerinnen' verstehe ich Menschen, die in geschichtlicher/kultureller, psychologischer und sozialer Hinsicht von diesem Autorenund Leserinnenkreis unterschieden sind. Dabei sind die geschichtlichen und kulturellen Unterschiede zweifellos gravierend. Gleichzeitig läßt sich aber m.E. feststellen, daß gerade in deutscher Theologie die mit diesen Differenzen notwendig gewordene Aufarbeitung von Kultur und Geschichte hoch entwickelt ist, daß also die Versuche der Selbstverortung in der Geschichte bei uns mannigfach sind und Gesprächs- und Diskussionsgrundlagen bieten. Für wesentlich problematischer und weniger bearbeitet halte ich die Unterschiede in sozialer Hinsicht. Daher verstehe ich in unserem Kontext die Frage nach der 'Kontextualisierung1 primär für die Frage nach der Selbstwahrnehmung in sozialer Perspektive. Die Tatsache, daß so Theorie1 (Selbstwahrnehmung) selbst als entscheidendes Moment von Praxis verstanden wird, ist selbstverständlich schon in 84 85 16

H. Mottu and a Working Group from the Netherlands 1981. Vgl. Henry Mottu and a Working Group from the Netherlands 1981: 168. Vgl. Henry Mottu and a Working Group from the Netherlands 1981: 168.

Das Konzept der Kontextualisierung

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der deutschen, ja sogar der 'abendländischen' Tradition begründet. 'Kontext' läßt sich dann als Ensemble derjenigen sozialen Verhältnisse bestimmen, die eine historisch gewordene Situation (zumeist sogar eine von Interaktion) spezifizieren, während 'Kontextualität' den Grad der Reflexion des einbezogenen Kontextes meint. Damit ist nun aber eine deutliche Abwandlung des Begriffs 'Kontextualisierung' gegenüber dem in der oben kurz angerissenen ökumenischen Diskussion verwendeten Konzept verbunden. Dort wird 'Kontextualisierung' ja im weitesten Sinne als 'kritische Indigenisierung' gefaßt. Zu diesem Begriff der 'Indigenisierung' möchte ich aber nun eine klare Grenze ziehen. Damit folge ich der Einschätzung S. Coes, der Indigenisierung im Kontext der 'Ersten Welt' problematisiert, weil er eine Gefahr in der "over-indigenization, an uncritical accomodation such as expressed by culture faiths, the American Way of life, etc."87 im Auge hat. Damit möchte ich mich dem kritischen Gebrauch des Begriffes, wie er bei Coe vorliegt, anschließen und die Wahrnehmungsorientierung hier stark machen. Das schließt freilich nicht aus, daß aus kritischer Wahrnehmung auch kritische Praxis folgt, nur möchte ich den Kontextualisierungsbegriff zumindest im Rahmen dieser Arbeit stärker auf die Seite der Wahrnehmung ziehen, weil ich meine, daß die Fähigkeit zu kritischer Betrachtung direkt mit der Art zusammenhängt, wie der Kontext konzeptualisiert wird88. Es könnte angesichts dieser Operation die Frage auftauchen, ob nicht mit diesem Schritt der eigentliche Inhalt des Konzeptes, die kritische Beziehung der Theologie auf den Kontext, verloren geht. Dies ist m.E. nicht der Fall. Denn erstens ist in unserem Kontext - und damit ist nun v.a. die BRD gemeint - eine Trennung von christlicher Theologie bzw. Christentum und Kontext kaum möglich. Man/frau muß nicht Anhängerin einer derjenigen theologischen Schulen sein, die die Geschichte der Neuzeit als christlich inspirierte Freiheitsgeschichte deuten, um die enge Verflechtung von christlicher Theorie und Praxis mit Ereignissen in Wirtschaft, Staat, Kultur und Sozialisation in Geschichte und Gegenwart wahrzunehmen - eine Verflechtung, die positive wie auch negative Folgen gehabt hat. Das Problem, so meine Einschätzung, ist zweitens also weniger der Bezug von Theologie und Kontext als Faktum, sondern der kritische Bezug: Zu oft wurde christliche Theorie und Praxis zur Handlangerin der Mächtigen, zur Ideologie und zur Legitimationsinstanz angesichts von Unrecht, struktureller und manifester physischer Gewalt. Theologie spielte dabei - als Orientierungswissen' - oft die Rolle derjenigen Instanz, die jenes sprichwörtlich reine Gewissen schenkt, das bekanntlich ein gutes Ruhekissen abgibt. Der kritische Bezug von Theologie und Kontext, die Außerkraftsetzung jener 'vis dormitiva', ist damit also " "

S. Coe 1976: 20. Vgl. hierzu auch M.L. Stackhouse 1988 und A. Grözinger 1992.

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Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

drittens eine Frage des Zusammenspiels von Theologie, Theologin und Kontext, sofern der/die Theologin auf die eigene Position im Kontext zu reflektieren hat und die Theologie es erlauben muß, Brüche, Ungerechtigkeiten, Leiden und strukturelle wie physische Gewalt wahrzunehmen. Dies muß sie sowohl von ihrem systematischen Zuschnitt her als auch bezüglich der konkreten Instrumente der Wirklichkeitswahrnehmung leisten. In der von Karl Barth geprägten theologischen Tradition z.B., in der ich mich verorte, bietet m.E. der grundsätzliche Zuschnitt far Theologie kaum das Problem mangelnder grundsätzlicher Kritikfähigkeit89. Problematisch ist dann m.E. aber viertens die Wahrnehmung des Kontextes bezüglich der Erkennmisinstrumente, die zur Verfügung stehen. In Barths Vokabular: Wo das 'Niedrige' steht, wie wir dazu kommen, es als 'niedrig' zu bezeichnen, inwiefern es 'niedrig' ist und wie dieses 'Niedrige' sich selbst sieht, dies bleibt oft rätselhaft. Daher scheint es mir angemessen, die Frage nach der 'Kontextualisierung' als Frage nach der Wirklichkeitswahrnehmung zu thematisieren. Die Frage nach der Kontextualisierung im Rahmen der Ausbildung hat nun selbst verschiedene Aspekte. Zwei Unterscheidungen erscheinen mir besonders wichtig: einerseits die Differenz von Studienplanung und Studienvollzug, andererseits die von Deskription und Präskription. Die Reflexion auf den sozialen Kontext kann sich nämlich zum einen auf die Planung des Studiums überhaupt, zum anderen auf den Vollzug des Studiums durch die Studierenden beziehen. Und es kann grundsätzlich zwischen beschreibenden, auf die Wahrnehmung von Fakten zielenden, und vorschreibenden, auf die Empfehlung von Normen zielenden Aspekten der Perspektive unterschieden werden. Zwei Ebenen des Gegenstandsbezugs müssen bei einer Verwendung des Begriffes im Rahmen der Studienreform differenziert werden. 'Kontextualisierung1 kann sich nämlich einerseits auf die Ebene des Studiums, des 'Curriculums' beziehen, und der Begriff könnte dann etwa für ein ' Lernziel' stehen. Es geht dabei darum, daß die Studierenden lernen sollen, auf den sozialen Kontext und ihre Art und Weise, diesen wahrzunehmen zu reflektieren. So kann die Reflexion auf die eigene Position als Lernziel für 89

So fuhrt K. Barth (1940: 446) aus: "Und hier muß es nun ausgesprochen sein, daß eine grundsätzlich mißtrauische Stellung zu allem, was in dieser Welt 'Höhe' ist, eine grundsätzliche Hinneigung zu ihren 'Niederungen', eine unvermeidliche Folge der Störung des Menschen durch Gott ist. Gewiß ist die Auferstehung, wie wir öfters hörten, die Negation aller diesseitigen Positionen und Negationen. Das ändert aber nichts daran, daß Auferstehung am Rande gerade einer diesseitigen Negation stattfindet, daß ihr anschauliches Gleichnis keineswegs etwa ein Moment von Lebensfülle und -entfaltung ist, sondern das leibliche Sterben des Christus nach dem Fleische. Die 'Niederungen' unsrer zufälligen Lebensinhalte haben relativ mehr Zeugniswert als die Höhen. Wir stehen tiefer im Nein als im Ja. Wir möchten das Verständnis für diese Störung des Gleichgewichts der Lebensbetrachtung geradezu als conditio sine qua non für das Verständnis des Römerbriefs aufstellen."

Das Konzept der Kontextualisierung

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Studierende90 verstanden werden und ordnet sich dann in einen Rahmen ein, der die Fähigkeit zum 'Hören fremder Wahrheit'91 als eines der Hauptlernziele theologischen Studierens überhaupt versteht. Das impliziert z.B. die Kommunikationsfähigkeit in den von H. Mottu angesprochenen Bereichen von inter-, trans- und metakonfessioneller Ökumene (Diskussion der Konfessionen untereinander; Dimension globaler Probleme, die alle betreffen; Frage des 'nicht-institutionellen' Christentums)92 wie auch ein neues Verhältnis zu den sog. 'Laien1, das eines der Hauptthemen ökumenischer Ausbildungsdiskussion heute ist93. Der Begriff kann sich aber andererseits auf die Anlage des Studiums im ganzen beziehen. Dann muß danach gefragt werden, welche Bedingungen gegeben sein müssen, um dieses 'Lernziel' zu erreichen und, grundlegender noch, inwiefern der Kontext bei der Anlage des Studiums berücksichtigt wird. Denn nur, so meine These, wenn schon in der Planung des Studiums auf den sozialen Kontext reflektiert wird, wenn die Sensibilität für den sozialen Kontext in die Institutionen 'eingebaut' wird, kann auch von den Studierenden eine Reflexion auf die Konzeptualisierung des Kontextes, Sensibilität für den sozialen Kontext erwartet werden. So ist die Reflexion auf die eigene Position auch als Aufgabe für die Organisationen zu verstehen. Dies betrifft vor allem die institutionalisierte (wissenschaftliche) Theologie - denn da sie die Ausbildungsinstitution par exellence im deutschen Kontext ist, muß sie diese Forderung aufnehmen, um sie weitergeben zu können. Diese Reflexion ist freilich auch als Aufgabe der Kirche als Institution zu begreifen, gerade, da sie sich als 'Volkskirche1 versteht. Die Frage nach "ökumenischer Kompetenz"94 wird nicht adäquat zu stellen sein, wenn die Kirche sich nicht als oganisationsförmige Institution auf ihren Kontext besinnt. Daher scheint es mir sinnvoll, die Studienreformdiskussion anhand exemplarischer Ansätze auf ihre Kontextualisierung zu befragen, bevor 'Lernziele' diskutiert werden. Aber auch zwei Modi der Untersuchungsperspektive sind zu unterscheiden. Die Frage nach der Art und Weise der Thematisierung des sozialen Kontextes zielt zunächst auf Beschreibungen. Es wird untersucht, wie Gremien oder einzelne Autoren den sozialen Kontext des Studiums konzeptualisieren, und, im Anschluß daran, wie der soziale Kontext des Studiums beschrieben werden kann. Hinter dieser harmlos anmutenden Frage stecken aber sofort auch mehrere normative Implikationen und Geltungsansprüche. Die erste normative 90

Im letzten Kapitel werde ich allerdings vorschlagen, den Begriff 'Lernziel' nur im heuristischen Sinn als vorläufige Orientierungshilfe für die Planenden zu verwenden, die im Lernprozeß selbst auch wieder zurückgestellt werden muß. " Vgl. W. Huber 1987a. 92 Vgl. Henry Mottu and a Working Group from the Netherlands 1981: 171ff. 93 Vgl. S. Amirtham 1989: 166ff. 94 Vgl. U. Becker u.a. 1990: 136 und Gemischte Kommission 1991: 110.

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Kontextualisienmg: Die Ausbildungsdiskussion

Implikation besagt, daß überhaupt auf den sozialen Kontext ausdrücklich reflektiert werden soll. Die zweite besagt, daß zwischen der Reflexion bei der Studienplanung und der von den Studierenden zu erwartenden Reflexion ein Zusammenhang besteht. Ein dritter, etwas subtilerer Geltungsanspruch ist mit der Füllung des Konzepts 'sozialer Kontext' durch das Instrumentarium A. Giddens' verbunden: Ich behaupte, daß es sinnvoll ist, den sozialen Kontext so zu konzeptualisieren. Mit diesen normativen Implikationen werde ich im Fortgang der Arbeit auf verschiedene Weise umgehen. Der Vorschlag, zur Konzeptualisierung des sozialen Kontextes Instrumente von A. Giddens zu verwenden, wird seine Plausibilität im Vollzug der Arbeit zu bewähren haben - ich werde im nächsten Abschnitt begründen, warum ich diese Theorie verwende, aber über die Fruchtbarkeit müssen die Leserinnen entscheiden. Den Zusammenhang von Kontextualisierung des Studiums und Kontextualisiemng im Studium, also von Studienanlage und erhofften Studienvollzügen, halte ich für evident. Allerdings werde ich im fünften Kapitel Einsichten humanwissenschaftlicher - z.T. empirischer - Forschung anfuhren, die die These m.E. stützen, ohne sie aber noch einmal ausdrücklich zu diskutieren. Der erste normative Aspekt der Untersuchungsperspektive - die Behauptung der Wichtigkeit einer Reflexion auf den sozialen Kontext - steuert die Untersuchung selbst. Eine Begründung dieses Aspekts habe ich in dem Umfang, wie diese Arbeit ihn zuläßt, in der Einleitung wie in den ersten Abschnitten dieses Kapitels zu geben versucht. Im Schlußkapitel werde ich versuchen, Konsequenzen aus dieser Einsicht zu formulieren, es also unternehmen, die Frage, was ein "Theologiestudium im Kontext' bedeuten kann, anfänglich zu beantworten. Dazu werde ich unter der Kontextualisierungsperspektive einerseits beschreibbare Elemente des sozialen Studienkontextes darstellen, andererseits explizit Normen für eine an Kontextualisierung interessierte Studienplanung diskutieren und empfehlen. Die Diskussion um die theologische Ausbildung, näher: das theologische Studium, möchte ich so auf ihre Kontextualisierung befragen. Wie bereits ausgeführt, sollen angesichts des politisch-praktischen Charakters der institutionalisierten Reformdiskussion der Gemischten Kommission rekonstruierbare Ansätze theologischer Ausbildung dargestellt und untersucht werden. Obgleich der Begriff der Kontextualisierung in der deutschen Diskussion bis in die achtziger Jahre hinein nicht vorhanden war, da die ökumenische Dimension theologischer Ausbildung nur am Rande, wenn überhaupt, verhandelt wurde, ist diese Fragestellung doch sinnvoll. Denn die Reflexion auf die Bedingungen von Ausbildung gehört konsumtiv zur Diskussion um die Ausbildung dazu. Seit der Studentenbewegung war zudem auch die Reflexion auf die Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens zumindest als Forderung

Ausbildung, Kontextualisierung und Theorie der Strukturierung

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bekannt. Daher läßt sich die Frage stellen, wie der Kontext der Ausbildung in den jeweiligen Ansätzen wahrgenommen wird.

2.4

Theologische Ausbildung in Deutschland und die Frage der Kontextualisierung - ein Untersuchungsraster in Aufnahme der Theorie der Strukturierung' von A. Giddens

2.4.1 Zur Präzisierung des Kontextualisierungsbegriffes Das oben bereits angerissene Verständnis von Kontextualisierung soll nun in zwei Aspekten präzisiert werden. Zunächst ziele ich mit 'Kontextualisierung1 auf die Selbstwahmebmung, nicht vorrangig auf die Fremdwahrnehmung. Dies geschieht aus zwei Gründen. Erstens soll 'Kontextualisierung' ja dem Dialog dienen - sie soll also die Formulierung einer Position ermöglichen, um die dann auch gestritten werden kann. Angesichts der Anfragen von Theologie aus der Zweidrittelwelt soll eine kritische Selbsteinschätzung ermöglicht werden, die Basis eines Diskurses werden kann. Der Umgang mit Fremdwahrnehmung stellt dabei einen zweiten Schritt dar, denn erst wenn ein Selbstverständnis diskursiv entwickelt worden ist, kann eine rationale Auseinandersetzung mit Außenperspektiven stattfinden, auch wenn Außenperspektiven faktisch meist den Anstoß für eine Selbsteinschätzung bilden. Zweitens sehe ich das anvisierte Konzept von Kontextualisierung in einer abendländischen und aufklärerischen Tradition, die einen besonderen Akzent auf die Autonomie des Individuums legt95. Von hier läßt sich durchaus eine Linie zum handlungstheoretischen Ansatz der Soziologie bei M. Weber96, der von der 'Innenperspektive' der Akteure ausgeht, und zum kommunikationstheoretischen Ansatz bei J. Habermas ziehen, der Weber genau deswegen aufnimmt, weil hier gezeigt werden kann, wie in der Moderne "die Aktoren des Sinnzusammenhangs ihrer eigenen Handlungen beraubt"97 werden. Diese Linie scheint mir darauf zu zielen, daß das Wissen und die Erfahrungen von Individuen ernstgenommen werden, wie dies dann in besonderer Weise bei A. Giddens der Fall ist. Personen ernstzunehmen bedeutet aber, sie als Zweck, nicht als Mittel zu konzeptualisieren und sie somit immer auch als Gesprächspartnerinnen, nicht nur als Forschungsobjekte zu thematisieren98. Daher wird hier nicht 95 96 97 91

Vgl. hierzu etwa I. Kant 1985. Vgl. M. Weber 1985: Iff. J. Habermas 1988b: 448. Zum Problem des Subjekt-Objekt-Verhältnisses in der Wissenschaft vgl. auch G. Devereux 1976, der am Modell der Ethnographie die Bedeutung der Gegenübertragung, also der Projektion von den Forschenden auf die zu Erforschenden, dargelegt hat und zu dem Schluß

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vorrangig nach dem Kontext gefragt - dies bedeutete eine Einordnung der Autorinnen malgre eux - sondern nach der Kontextualisierung, also der Selbstwahmehmung. Weiterhin geht es mir um die Selbstwahrnehmung vor allem bezüglich der sozialen Dimension des Kontextes. Damit fragt sich nun, wie diese Dimension zu erfassen ist. Vier Ebenen möchte ich dabei unterscheiden. Zunächst geht es um die Individuen, die Akteurinnen des Handelns, die im Rahmen ihrer Biographie, ihrer Rollen, ihres Geschlechts und ihrer sozialen Position thematisch werden müssen. Weiterhin geht es um die Ebene der organisationsförmigen Institutionen, die die Individuen in ihrem Handeln bestimmen und von diesen reproduziert und modifiziert werden. Drittens geht es um die Dimension von Gesellschaften und schließlich um zwischengesellschaftliche Systeme wie etwa den Weltmarkt, deren Wahrnehmung gerade bei einer ökumenischen Perspektive fundamental sein muß". Beim Zugang zur Wahrnehmung des sozialen Kontextes möchte ich nun auf das Konzept des britischen Soziologen Anthony Giddens zurückgreifen, das seit seinem Buch "Die Konstitution der Gesellschaft"100 ausformuliert vorliegt. Giddens versucht, eine soziologische Theorie jenseits von Handlungs- und Systemtheorie101 zu formulieren, die die Vorteile beider in sich vereinigt, aber ihre Nachteile vermeidet, eine Theorie also, die - anders als die Handlungstheorie - auch die nicht-intendierte, Objektive' Seite der Realität wahrnimmt und trotzdem die unmittelbare Alltagserfahrung der Individuen und damit auch Fragen wie die der Legitimität von Herrschaft bewahrt102. Dies bedeutet, daß sein Instrumentarium eine Situationsanalyse ermöglicht, die strukturelle Zwänge und Möglichkeiten zu berücksichtigen vermag, ohne die Akteurinnen in ihrer Intentionalität aus dem Blick zu verlieren. Zudem hat er nicht den Anspruch, eine "Supertheorie"103 zu formulieren, die das Ganze menschlicher Lebensmöglichkeiten kategorial zu umreißen sucht, wie das einst Hegel versuchte und wie dies heute in der soziologischen Theorie je in verschiedener Art und Weise - von N. Luhmann und J. Habermas versucht wird104. Giddens' Werk läßt sich dagegen stärker so verstehen, daß

99 100 101

102 103 104

kommt, daß die wissenschaftliche Objektivität ohne Selbstreflexion zumindest eine problematische Annahme darstellt. Dieses empirische Argument ist natürlich kein ethisches, kann ein ethisches Argument vom Typus der oben angeführten Zweck-Mittel-Relation aber faktisch unterstützen. Vgl. stellvertretend für viele U. Duchrow 1991. A. Giddens 1988a. Genauer müßte gesagt werden: jenseits der subjektivistischen, hermeneutischen und der objektivistischen, funktionalen Tradition. Zu dieser Aufgabenstellung vgl. auch P. Bourdieu 1976: 146ff. Vgl. zu diesem Begriff Niklas Luhmanns H.U. Dallmann 1987: 4ff. Bei Habermas ist dieser Versuch durch sein Ziel einer philosophischen Ansprüchen genügenden 'normativen' Theorie charakterisiert, die im Sprechakt diejenige bistanz zu isolieren sucht, die einen Maßstab von Wahrhaftigkeit abgeben kann, während Luhmann mit seiner

Ausbildung, Kontextualisierung und Theorie der Strukturierung

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er einen Ansatz für empirische Forschung, ein Frageraster zu erstellen sucht105. Dies ist gerade für theologische Arbeit von Vorteil, weil sie bei der Aufnahme von humanwissenschaftlichen Theorien generell darauf achten muß, ob sie die Rede von Gott von vorneherein kategorial ausschließen. Dies scheint mir bei Giddens - im Gegensatz zu Habermas oder Luhmann - nicht der Fall zu sein. So soll nun zum besseren Verständnis zunächst der Grundansatz von Giddens skizziert werden, um danach Grundelemente seiner Theorie darzulegen. Schließlich möchte ich die von mir vorgeschlagenen vier Ebenen der Wirklichkeitswahrnehmung (Interaktion individueller Akteurinnen, Institutionen, Gesellschaft und zwischengesellschaftliche Systeme) unter Rückgriff auf Giddens präzisieren, um so das heuristische Schema zur Untersuchung von Ansätzen der Theoriebildung zur Studienreform herauszuarbeiten. 2.4.2 Der Grundansatz von Giddens' Theorie Grundsätzlich geht Giddens von einem Satz Karl Marx' aus: "Menschen machen ihre Geschichte, aber nicht unter selbstgewählten Umständen"106. Die beiden Elemente dessen, was Giddens interessiert, sind daran gut zu verdeutlichen. 'Menschen machen ihre Geschichte1 bedeutet, daß Menschen als kreative Akteurinnen ihr Schicksal mitformen und für es mitverantwortlich sind, daß sie also nie nur als Opfer1, sondern stets auch als Täterinnen' berücksichtigt werden müssen. Es bedeutet weiterhin, daß für Giddens nicht primär die funktionalen Erfordernisse eines gegebenen 'Systems' im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen, sondern daß die Intentionalität der Handelnden, ihre Absichten und Wünsche bei der Untersuchung zu berücksichtigen sind107. Giddens' Ansatz unterscheidet sich nun aber von einer intentionalen Handlungstheorie wie etwa der 'verstehenden Soziologie' Max Webers, in der nur intentionales, also bewußt beabsichtigtes Handeln konzeptualisiert werden kann108, dadurch, daß er die 'nicht selbstgewählten Umstände' thematisiert.

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Einlassung 'es gibt Systeme' und der anvisierten "Universalität der (soziologischen) Gegenstandserfassung " die Grundentscheidung für eine "Supertheorie" fällt (N. Luhmann 1984: 9.16.19). Unter ethischen Aspekten werde ich freilich auf einzelne Einsichten Habermas' zurückgreifen. Vgl. A. Giddens 1988a: 32 oder auch 383: "Die Terminologie der Theorie der Strukturierung sollte man, wie es für jeden anderen konkurrierenden Ansatz auch gilt, als sensibilisierendes Behelfsmittel für mannigfaltige Forschungszwecke betrachten, mehr nicht." Dies ist ihm übrigens auch vorgeworfen worden: Vgl. R.S. Gottlieb 1986: 90f. Vgl. A. Giddens 1988a: 35. Er zitiert hier sinngemäß einen Satz, der sich original bei K. Marx 1960: 115 findet. Vgl. A. Giddens 1988a: 45, 347ff. Vgl. etwa die einleitenden Paragraphen von M. Weber 1985 oder auch seine Herrschaftssoziologie, in der vermittelte Herrschaftsbeziehungen (also die sogenannte 'strukturelle Ge-

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Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

Dieses Element erscheint bei ihm als die Frage danach, "wie soziale Tätigkeiten über weite Raum- und Zeitspannen 'ausgedehnt' werden können"109. Zur Beantwortung dieser Frage rekurriert er auf das Konzept der 'Struktur'. Dieses hebt - vereinfachend gesagt - auf eine Größe ab, die individuelles Handeln einbegreift und transzendiert, so daß mittels dieses Begriffes eben auch die 'nicht selbstgewählten Umstände' des Handelns untersucht werden können. Giddens verfolgt hier eine zweifache Strategie. Zunächst analysiert er das menschliche Bewußtsein als diskursives, praktisches und unbewußtes, um so die 'selbstverständlichen' oder verdrängten Motive des Handelns in die Untersuchung mit einbeziehen zu können110. Andererseits aber versucht er zu zeigen, wie individuelle Akteurinnen Institutionen und Gesellschaften prägen und wie sie ihrerseits von ihnen geprägt werden. Dazu verwendet er das Konzept der 'Dualität von Struktur', das eben den Sachverhalt benennen soll, daß soziale Vorgänge grundsätzlich weder von individuellen Menschen allein 'gemacht' werden noch diese vollständig determinieren. Soziale Vorgänge werden von Giddens als Prozesse geschildert, in die die Menschen reflexiv eingreifen: Institutionen und Gesellschaften bilden Rahmenbedingungen von handlungsermöglichender und -restringierender Qualität, die die Individuen einerseits determinieren, andererseits aber den 'Stoff' darstellen, den Individuen in ihren Handlungen reproduzieren, modifizieren und produzieren. Der Strukturbegriff thematisiert dann gerade auch diejenigen Verhältnisse, um die die Individuen bei ihrem Handeln nicht wissen. Die Verbindung von der Interaktion individueller Akteurinnen zu Institutionen sieht Giddens dabei vor allem in Routinen - also regelmäßig reproduzierten Verhaltensweisen und Handlungen - gegeben, die die Individuen unter den Bedingungen von Raum, Zeit und Körperlichkeit (die der Bewegungsfähigkeit in Raum und Zeit Grenzen auferlegt) vollziehen. Institutionen sind dann von Gesellschaften weniger streng unterschieden, da Gesellschaften als Komplexe von Institutionen dargestellt werden. Gesellschaften bezeichnen dann Gruppen von Menschen, die an ein bestimmtes Territorium gebunden sind, dies normativ besetzen und die ein gewisses Identitätsbewußtsein besitzen. Gesellschaften werden dabei selbst als in ein Netz 'zwischengesellschaftlicher Systeme' eingebunden dargestellt, wie etwa das ökonomische Weltsystem eines ist. Giddens1 Systembegriff ist dabei sehr weit gefaßt und

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wait') nicht als 'Herrschaft1 konzeptualisiert werden können (M. Weber 1985: 123): "Wenn eine große Bank in der Lage ist, anderen Banken ein 'Konditionenkartell' aufzuzwingen, so soll dies so lange nicht 'Herrschaft1 heißen, als nicht ein unmittelbares Obödienzverhältnis derart hergestellt ist: daß Anweisungen der Leitung jener Bank mit dem Anspruch und der Chance, rein als solche Nachachtung zu finden, erfolgen und in ihrer Durchführung kontrolliert werden." A. Giddens 1988a: 34. Vgl. A. Giddens 1988a: 56ff.

Ausbildung, Kontextualisierung und Theorie der Strukturierung

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darf nicht mit dem Systembegriff der Systemtheorie Parson'scher oder Luhmann'scher Prägung verwechselt werden: 'Systeme' sind bei Giddens alle Arten von reproduzierten sozialen Praktiken zwischen Akteurinnen oder Kollektiven111. Eine Theorie sozialen Wandels im Sinne eines Evolutionsmodells schließt Giddens aus, bietet aber ein Modell der zeitlichen Kategorisierung von gesellschaftlichen Phänomenen an, das er allerdings nicht Ideologisch versteht. Die Wirkung der Sozial Wissenschaften selbst sieht er in einer 'doppelten Hermeneutik1, auf die er ausdrücklich reflektiert: Die Sozial Wissenschaften definieren einen 'Gegenstand', der sich selbst definiert und in den die Definitionen der Sozialwissenschaften als Selbstdefinitionen auch wieder eingehen. 2.4.3 Grundelemente der Theorie A. Giddens' Der wichtigste Begriff bei Giddens ist sicher der Begriff 'Struktur'. Giddens definiert 'Struktur(en)' als 'Regeln und Ressourcen' oder "Verbindungen von Transformationsbeziehungen, organisiert als Momente sozialer Sy112 steme" . Mit 'Struktur' sind dabei zwei Elemente gemeint: 'Regem', wie etwa Sprach- und Verfahrensregeln, die bei Interaktionen wichtig sind113, und 'Ressourcen'. 'Ressourcen1 definiert Giddens als "Typen des Vermögens der Umgestaltung"114, als Fähigkeiten oder Möglichkeiten zur Verfügung über Objekte und Güter (allokative Ressourcen) oder zur Herrschaft über Personen (autoritative Ressourcen). Giddens unterscheidet nun zwischen 'Struktur' und 'Strukturen' - soll 'Struktur' dauerhaftere Elemente bezeichnen, so hebt die Bezeichnung 'Strukturen' gewissermaßen auf Unterabteilungen ab115. Als Beispiel könnte angegeben werden, daß 'Strukturen' etwa in einer Familie die jeweiligen Verhältnisse von Geschlechtern, Rollen und Altersbeziehungen meinen, während 'Struktur' auf das gesamte Ensemble der Verhältnisse abhebt, die die Institution 'Familie' konstituieren. 'Struktur' und 'Strukturen' sind dabei jedoch zunächst virtuelle oder ideelle Größen116. Ihnen stehen als Realitäten 'soziale Systeme' gegenüber. Strukturen können nun dadurch Realität gewinnen, daß sie innerhalb von sozialen Systemen zur Anwendung gelangen. Ein Beispiel: Wenn eine Pfarrerin sich bei der Gottesdienstvorbereitung erinnert, daß das 'Agnus Dei' vor dem Abendmahl gesungen wird und das Lied dann auf das Gottesdienstblatt setzt, ist in diesem Erinnerungsbruchstück 'Struktur' (hier: der Institution Liturgie) 111

Vgl. A. Giddens 1988a: 77. A. Giddens 1988a: 77. 113 Vgl. A. Giddens 1988a: 74. 114 A. Giddens 1988a: 86. 115 Vgl. A. Giddens 1988a: 76. "* Vgl. A. Giddens 1988a: 69. 112

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Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

Realität geworden. Strukturen können nun - wie im Beispiel - in Erinnerungsspuren, aber auch in Handlungen von Individuen, kodifizierten Regeln oder Routinen (z.B. Gesetze, Vereinssatzungen oder eben auch liturgische Formulare), in Gebäuden, Organisationen etc. realisiert werden. Dann sind sie Momente der Realität. Giddens nennt Strukturen in ihrer angewandten Form 'Strukturmomente sozialer Systeme1 - "diese ermöglichen die 'Einbindung1 von Raum und Zeit in soziale Systeme und sind dafür verantwortlich, daß soziale Praktiken über unterschiedliche Spannen von Raum und Zeit hinweg als identische reproduziert werden, also systemische Formen erhalten."117 Zwei Verwechslungen sind dabei zu vermeiden. 'Struktur' und 'Strukturen' sind keine platonischen Ideen, denen ein Sein außerhalb ihrer Realisierung zugeschrieben werden könnte. Sie können nur analytisch von ihren Realisierungen getrennt werden und müssen zumindest in Erinnerungsspuren realisiert sein118. Werden sie außerhalb ihrer Realisierungen thematisiert, sind sie subjektlos. Strukturen sind nun aber auch keine Blöcke oder feste, starre Gerüste, die den freien, kreativen Individuen gegenüberstehen. "Struktur ist den Individuen nicht 'äußerlich': In der Form von Erinnerungsspuren und als in sozialen Praktiken verwirklicht, ist sie in gewissem Sinn ihren Aktivitäten eher 'inwendig' (...) Struktur darf nicht mit Zwang gleichgesetzt werden: Sie schränkt Handeln nicht nur ein, sondern ermöglicht es auch. Dennoch kann man sagen, daß die strukturellen Momente sozialer Systeme so weit in Raum und Zeit ausgreifen, daß sie sich der Kontrolle eines jeden individuellen Akteurs entziehen."119 Individuen 'kontrollieren' diejenigen Strukturmomente, die 'weit in Raum und Zeit ausgreifen' - also Institutionen - nicht, aber sie wirken dauernd auf sie ein, indem sie sie durch ihr Handeln reproduzieren und modifizieren. Wie bereits angeklungen, lassen sich 'Strukturmomente' nun selbst wieder nach ihrer Größe in Raum und Zeit einteilen. Die kleinsten Einheiten bezeichnet Giddens auch mit dem Begriff 'Strukturmomente', diejenigen, die innerhalb von Gesellschaften wirksam sind, nennt er 'Institutionen' und diejenigen, die die Reproduktion und Konstitution ganzer Gesellschaften betreffen, 'Strukturprinzipien1120. Hierbei ist es nun bedeutsam, daß Giddens eine hohe Variabilität der Systemhaftigkeit ansetzt. Damit ist gemeint, daß das, was jeweils als 'soziales System' beschrieben wird, in seiner raum-zeitlichen Ausdehnung sehr unterschiedlich ist121: Was jeweils als 'soziales System' 117 111 119 120 121

A. Giddens 1988a: 68f. Vgl. A. Giddens 1988a: 77. A. Giddens 1988a: 77ff. Vgl. A. Giddens 1988a: 69. Vgl. A. Giddens 1988a: 218. Dabei möchte sich Giddens von einem Systembegriff abgrenzen, der auf organischen bzw. biologistischen Analogien basiert.

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beschrieben wird, hängt nicht nur von der untersuchten Gestalt der Sozialbeziehungen, sondern auch vom Standpunkt des bzw. der Betrachtenden ab. Das zweite wichtige Konzept Giddens' ist seine Neuformulierung des Handlungsbegriffes, die sich auf ein 'reflexive monitoring of action' bezieht und in das Verständnis von 'Handlung' auch nichtintentionale Elemente wie die unbewußten Motivationen und Bedingungen und die unbekannten Folgen einer Handlung einbezieht122. Schließlich ist noch das Konzept der Macht zu erwähnen. Der englische Begriff 'power' ist dabei glücklicher als der deutsche, weil beim Begriff der Macht sehr schnell 'Herrschaft' (domination) assoziiert wird, während 'power' primär auch an 'Antrieb' etc. denken läßt. Giddens trennt 'Macht' ausdrücklich von 'Herrschaft'. 'Macht' wird vielmehr als Grundkonstituente von 'Handeln' verstanden, und zwar so, daß "Handeln Macht im Sinne eines umgestaltenden Vermögens logisch einschließt."123 Von zwei Konzeptionen der Macht grenzt sich Giddens dabei ab: Zum einen sieht er nicht den 'Erfolg' eingebaut, lehnt 'Macht' also als "das Vermögen, gewünschte und beabsichtigte Ergebnisse herbeizuführen"124 ab - Macht ist zwar das Vermögen, Ergebnisse herbeizuführen, aber eben nicht notwendig gewünschte. So grenzt er sich vom Machtbegriff Parsons' ab, insofern er auch die Erreichung kollektiver Ziele aus dem Machtbegriff ausschließen möchte125. Andererseits grenzt er sich vom Machtbegriff Foucaults ab, da dieser unter der Hand zum Nietzscheanischen Leitbegriff gerate, so daß "Macht Priorität gegenüber der Wahrheit"126 besitze. Giddens trennt nun zwar 'Macht' von 'Herrschaft', da Macht selbst keine Ressource ist, sondern durch die Reproduktion von Herrschaftsstrukturen mittels allokativer und autoritativer Ressourcen entfaltet und erweitert werden kann127. Die entscheidende Pointe dieser Trennung scheint mir aber in der Wahrnehmung des Sachverhaltes zu liegen, den Giddens 'Dialektik der Herrschaft' (dialectic of control) nennt: Alle Formen von Abhängigkeit stellen ihm zufolge Ressourcen bereit, "mit denen die Unterworfenen die Aktionen der ihnen Überlegenen beeinflussen können"128. Dieser Sachverhalt läßt sich nämlich weder mit dem ergebnisorientierten Machtbegriff noch gar mit einem Herrschaftsbegriff beschreiben.

122 123 124 125 126 127 128

Vgl. A. Giddens 1988a: 55ff. A. Giddens 1988a: 66. A. Giddens 1988a: 66. Vgl. A. Giddens 1988a: 315. A. Giddens 1988a: 315. Vgl. A. Giddens 1988a: 67. A. Giddens 1988a: 67.

52

Kontextualisiemng: Die Ausbildungsdiskussion

2.4.4 Vier Ebenen sozialer Wirklichkeit im Anschluß an A. Giddens Wie jede Sozialtheorie zwischen unterschiedlichen Ebenen des Sozialen differenziert, setzt auch Giddens verschiedene Ebenen sozialer Systeme und Struktunnomente an. Vier Momente möchte ich aufgreifen, weil sie mir für die Präzisierung dessen, was 'Kontextualisierung' im Ausbildungsgeschehen in Deutschland heißen kann, nützlich erscheinen. Es geht dabei um die Ebene der Interaktion individueller Akteurinnen, die Ebene von Institutionen (und zwar besonders denjenigen, die als Organisationen beschrieben werden können), die von Gesellschaften und die Ebene zwischengesellschaftlicher Systeme129. Giddens bezeichnet nur Individuen als Handelnde130, weil nur ihnen 'körperliche Existenz zukommt1, obgleich Handlungs- und Interaktionsdarstellung nicht allein 'mit Hilfe von Individuenprädikaten1 zu leisten seien. Entscheidend scheint mir diese Kategorie zu sein, weil alle "menschlichen Wesen (...) bewußt handelnde Subjekte"131 sind - alle Menschen wissen sehr viel über die Bedingungen und Folgen dessen, was sie in ihrem Alltagsleben tun. Deshalb ist es notwendig, diese Dimension ernstzunehmen. Jede Erklärung sozialer Zusammenhänge, die Individuen zuwenig ernstnimmt, gerät in die Gefahr, nichts mehr erklären zu können, besonders wenn es um individuelle Krisen, abweichendes Verhalten u.a. geht. Wird unmittelbar 'die Gesellschaft' oder 'das System1 haftbar gemacht, ohne die Vermittlungsschritte, die vorausgesetzt werden, angeben zu können, so sind auch Perspektiven zur Veränderung nicht mehr auf weisbar132. Dies ist zu bedenken, selbst wenn theologisches Denken traditionell einem methodischen Individualismus zuneigt, der tendenziell jedes Handeln mit Individualprädikaten erklären zu können glaubt und die Wirkungen von gesellschaftlicher und institutioneller Realität auf die Individuen zu gering einschätzt. Individuen verfügen nun nach Giddens über ein gewissermaßen dreigeteiltes Bewußtsein. Das, was bewußt gedacht wird und so auch sofort formuliert werden kann, nennt er 'diskursives Bewußtsein'133 - dies sind z.B. 129

130 131 132

Giddens unterscheidet die interaktioneile von der institutionellen Ebene, insofern er letzterer größere Ausdehnung in Raum und Zeit zuschreibt. Interaktion bewirkt Sozialintegration, während institutionelle Abläufe auf Systemintegration abzielen (vgl. A. Giddens 1988a: 79ff). Vgl. A. Giddens 1988a: 278. A. Giddens 1988a: 335. Positiv gewendet: Wenn man/frau einer These wie der U. Duchrows (1991: 43) zur Kapitalismusanalyse zustimmt, wie ich es tue, daß nämlich "kein einzelnes Subjekt den Prozeß steuert, sondern daß die Individuen und Gruppen - alle von der Tendenz des Kapitals zur Geldwertvermehrung durch fortschreitende Durchkapitalisierung getrieben - durch ihr Verhalten in Wechselwirkung zu einander Maß und Form bestimmen, worin und wieweit sich die Kapitalinteressen durchsetzen können oder nicht", so muß sofort die Frage angeschlossen werden, wie dieses Verhalten aussieht und wie es zustande kommt.

Ausbildung, Kontextualisierung und Theorie der Strukturierung

53

Gründe, die ich mir für eine Handlung ausführlich überlege. Als zweite Instanz wird das 'praktische Bewußtsein'134 angesetzt - es ist dies ein Konzept, das dem Schütz'schen Alltagsbewußtsein oder dem, was mit Habermas 'lebensweltliches Wissen'135 genannt werden könnte, weitgehend entspricht. Es bezieht sich auf die reflexive Verhaltenssteuerung, die eine Menge an Wissen impliziert, das in normalen Routinen keineswegs explizit vorhanden sein muß - so mache ich mir z.B. in einer Seminarsituation die sozialen Konstituenten, also Abhängigkeitsbeziehungen, Institutionalisierungsgrad von Belohnungen etc. keineswegs stets klar, auch wenn ich hier über Kenntnisse verfügen muß, um mich in der Situation angemessen verhalten zu können136. Schließlich nennt Giddens noch das 'Unbewußte', das in der Tradition der Freud'sehen Konzeption vom Unbewußtem steht. Wie werden Individuen nun in ihrer Interaktion durch die vorgegebene Wirklichkeit bestimmt? Giddens spricht hier von "Positionierung"137, die in einem gegebenen Interaktionskontext vorliegt, und nimmt damit das Konzept der sozialen 'Rollen' auf. Dieser Bezugsrahmen wird durch Attribute sozialer Identität definiert, deren allgemeinste 'Geschlecht' und 'Alter' sind. Giddens lehnt den Rollenbegriff selbst ab, weil er eine klar definierte Situation als Rahmen assoziieren lasse, während die Rahmenbedingungen normalerweise nicht so eindeutig definiert seien . "Der Begriff der 'Positionierung' ermöglicht die Konzeptualisierung der Kontextbezüge sozialer Interaktion."139 Diese Bezüge richten sich dabei sowohl auf andere Interagierende als auch auf Institutionen bis hin zum 'Weltsystem'140. Der Begriff des Ortes' (locale) dient bei Giddens dann zur Konzeptualisierung des Raumes als Kontext und Bezugrahmen von Interaktion141. 'Positionierung' ist damit ein entscheidendes Konzept für die Erhebung derjenigen Bedingungen, unter denen Individuen interagieren, also für die Erhebung des Kontextes der Interaktion142. Wie ist dies strukturell zu analysieren? Hierzu dient Giddens das Konzept der "Strukturierungsmodalitäten 143, das die Verbindung der Bewußtheit der Akteurinnen mit den Strukturmomenten leisten soll. Strukturen lassen sich nach Giddens nämlich in Signifikations-, Herrschafts- und Legitimationsstrukturen einteilen, wobei alle drei l

133 134 135 136

137 138 139 140 141 142 143

Vgl. A. Giddens 1988a: 56ff. Vgl. A. Giddens 1988a: 58. Vgl. J. Habermas 1988b: 197ff. Entsprechend überraschend wirkt es dann auch, wenn dieses implizite Wissen expliziert wird. Vgl. dazu etwa W. Wagner 1992. Vgl. A. Giddens 1988a: 137ff. Vgl. A. Giddens 1988a: 139f. A. Giddens 1988a: 140. Vgl. A. Giddens 1988a: 138. Vgl. A. Giddens 1988a: 170. Vgl. A. Giddens 1988a: 140. A. Giddens 1988a: 81.

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Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

zumeist vermischt vorkommen. Auf der Ebene der Interaktion entsprechen ihnen die Interaktionstypen Kommunikation, Machtausübung und Sanktion. Als Strukturierungsmodalitäten, die die Strukturierung strukturieren, werden dann 'interpretative Schemata', 'Fazilität' und 'Norm' angesetzt. Sie beschreiben die Instanz, auf die sich Akteurinnen beziehen, wenn sie innerhalb von Interaktionen die Strukturen dieser Interaktion reproduzieren bzw. modifizieren. Giddens betont dabei jedoch, daß die strikte Trennung der drei Bereiche bei der Analyse der Strukturmomente sozialer Systeme nur dann legitim ist, wenn das reflexiv gesteuerte Verhalten als solches eingeklammert wird - denn dieses dynamisiert die bei struktureller Betrachtungsweise statischen Grenzen der drei Dimensionen ständig144. Wir können also zusammenfassen: Individuelle Akteurinnen interagieren in Raum und Zeit. Beschränkt und ermöglicht wird dies durch organische Grenzen - die des Körpers - und durch die Positionierung der Individuen, die sozialen Identitätsattribute, die ihnen in bestimmten Interaktionssituationen zukommen und durch den Kontext dieser Interaktion bestimmt werden.145 Sie agieren dabei im Rahmen dieser Positionierung und reproduzieren durch ihre Interaktion Strukturen, die auch die Positionierung bestimmen. Dabei greifen sie auf interpretative Schemata zurück, mit denen die Signifikationsstruktur reproduziert wird, auf ihnen zur Verfügung stehende Fazilitäten, mit denen Macht ausgeübt wird bzw. Herrschaftsstrukturen reproduziert werden und auf Normen, mit denen die Legitimationsstruktur reproduziert wird. Diese drei Ebenen lassen sich dabei allerdings nur analytisch trennen. Wir sind so schon annäherungsweise auf die Ebene der Institution übergewechselt. Hatten wir oben eine 'Analyse strategischen Verhaltens'146 angesetzt, so gehen wir nun zu einer 'institutionellen Analyse' über, die "Strukturmomente als fortwährend reproduzierte Aspekte sozialer Systeme"147 behandelt. Hier kann nun die Dreiteilung in Signifikations-, Herrschafts- und Legitimationsstrukturen leichter durchgeführt werden, insofern von der Dynamik von Interaktion zunächst zu abstrahieren ist. Institutionen werden dabei von Giddens zunächst als 'regelmäßig reproduzierte soziale Praktiken in148 nerhalb von Gesellschaften' definiert. Sie lassen sich als realisierte Aspekte von Struktur, als Strukturmomente darstellen, die sich durch eine mittlere 144

143

146

147 148

Vgl. A. Giddens 1988a: 83ff. An diesem Punkt kritisiert Giddens Habennas' Versuch der Trennung von verzerrten und unverzerrten Signifikationsstrukturen, also von strategischem und kommunikativem Verhalten, weil er behauptet, daß beides im Normalfall nicht zu trennen sei und eben das jeweilige Interesse thematisiert werden müsse. Im westeuropäischen Kontext muß dabei neben 'Alter' und 'Geschlecht' auch die 'Klassenzugehörigkeit' thematisiert werden. Vgl. hierzu A. Giddens 1973 und 1982. Vgl. A. Giddens 1988a: 342. Die Grundfrage lautet in diesem Fall: Wie beziehen sich Akteurinnen bei der Konstitution sozialer Beziehungen auf Strukturmomente? Vgl. A. Giddens 1988a: 342. Vgl. A. Giddens 1988a: 69.

Ausbildung, Kontextualisierung und Theorie der Strukturierung

55

Reichweite auszeichnen, also gewöhnlich eine Ausdehnung in Raum und Zeit besitzen, die die Kontrolle durch ein einzelnes Individuum verunmöglicht. Institutionen sind gewöhnlich durch ihre Ausdehnung in Raum und Zeit sowie durch ihre Gewichtung der strukturellen Dimensionen intern spezifiziert - so spielen die Dimensionen von Signifikation, Legitimation und Herrschaft sowohl in der Universität als auch im Parlament eine Rolle, aber in spezifisch unterschiedener Gewichtung und in unterschiedlichem Zusammenspiel. Während dabei Signifikation und Legitimation vor allem auf Regelapparate abstellen, zielt Herrschaft auf autoritative und allokative Ressourcen149. Giddens Konzeption von 'Gesellschaft' schließlich speist sich aus zwei Quellen. Das erste Konzept, das er nennt, thematisiert 'Gesellschaft' als 'soziale Gemeinschaft' oder 'Interaktion überhaupt', während das zweite 'Gesellschaft1 als 'Einheit mit Grenzen' auffaßt150. Giddens sucht nun beide Auffassungen zu verbinden, indem er Gesellschaften als soziale Systeme auffaßt, die durch die Verschränkung einer Mehrzahl sozialer Systeme konstituiert werden151. Dabei hat er sowohl gesellschaftsimmanente als auch gesellschaftsübergreifende Systeme im Blick. Grundsätzlich geht er jedoch davon aus, daß "gesellschaftliche Ganzheiten ausschließlich innerhalb eines Kontextes zwischengesellschaftlicher Systeme angetroffen werden, die entlang von Raum-Zeit-Schwellen verteilt sind."152 Für Gesellschaften, die sich also "vor dem Hintergrund einer Reihe anderer systemischer Beziehungen, in die sie eingebettet sind, reliefartig herausheben"153 - bei 'systemische Beziehungen' ist z.B. an den Weltmarkt, transnationale Konzerne, internationale politische Institutionen, aber auch an Religionen zu denken - gibt Giddens vier Kriterien an: Soll eine Gemeinschaft als Gesellschaft bezeichnet werden, muß sie erstens ein umfassendes Institutionengefüge besitzen, zweitens an ein bestimmtes Territorium gebunden sein, drittens ein normatives Muster zur Besetzung dieses Territoriums herausgebildet haben und viertens ein gewisses Maß an gemeinsamer Identität der Mitglieder umgreifen154. Die Ebene, die auch Gesellschaften noch übersteigt, verhandelt Giddens unter dem Begriff 'zwischengesellschaftliche Systeme'. Dabei geht es ihm etwa um wirtschaftliche Beziehungen, denen er eine hohe Strukturierungsleistung für die Welt im ganzen zubilligt (s.u.). Wichtig ist dabei, daß diese sozialen Geflechte von den Gesellschaften zwar bestimmt werden, aber die gesellschaftlichen Institutionsgefüge auch ihrerseits determinieren können, wie dies etwa bei der Politik transnationaler Konzerne der Fall ist. 149 130 131 m 133 154

Vgl. A. Giddens 1988a: 77ff. Vgl. A. Giddens 1988a: 216. Vgl. A. Giddens 1988a: 217. A. Giddens 1988a: 217. A. Giddens 1988a: 217. Vgl. A. Giddens 1988a: 218.

56

Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

Um Gesellschaftstypen zu klassifizieren, benutzt Giddens ein Konzept, das er 'Stmkturprinzipien' nennt und das gewissermaßen die höchste Ausdehnung von Strukturierung in Raum und Zeit aussagen soll. Dabei unterscheidet er (nicht evolutionstheoretisch) zwischen Stammesgesellschaften, klassengegliederten Gesellschaften und Klassengesellschaften, wobei er der neuzeitlichen Wirtschaftsform, dem Kapitalismus, eine enorm hohe Strukturierungsleistung für die Gesamtorganisation der Weltgesellschaft zubilligt155. Für ein grobes Beispiel möglicher Analyse können wir noch einmal auf die 'Liturgie' zurückgreifen. Eine Pfarrerin erarbeitet mit ihren Konfirmandinnen den Vorstellungsgottesdienst. Diese Interaktionssituation ist raumzeitlich bestimmt, etwa Donnerstag Nachmittag von vierzehn bis sechzehn Uhr. Für den Kontext der Situation spielt nun die Bedeutung der Zeitausschnitte eine Rolle - für die Pfarrerin ist dies ein Zeitabschnitt von vielen, der mit vorgegebenen, aber in der Gliederung weitgehend selbstbestimmten Aufgaben gefüllt werden muß, während für die Konfirmandinnen damit oft eine weitere Pflicht neben der Schule vorliegt, die in Zeit und Ausfüllung nicht freigestellt ist. Die Kontextanalyse könnte hier nun weiter fortgeführt werden - so kommen die Konfirmandinnen im Regelfall nicht hungrig in die Stunde, die Pfarrerin vielleicht mit dem Auto, was im Rahmen des Weltsystems von Bedeutung ist, es könnte auf die weitere institutionelle Einbindung hingewiesen werden, die der Pfarrerin bestmimte autoritative Ressourcen zur Verfügung stellt, die ihr erlauben, die Situation grundsätzlich zu gliedern. Indem die Konfirmandinnen auf Fragen der Pfarrerin reagieren und ihr einen Vorrang m der Diskussion einräumen, reproduzieren sie diese Struktur und greifen damit gleichzeitig auf die Angebote der Diskursformen zurück, die die Pfarrerin zur Verfügung stellt. Nehmen wir nun an, ein Konfirmand schlüge auf die Frage nach der Fürbitte hin vor, statt des Fürbittengebets einen Film zu zeigen. Damit hätte er mindestens ein dreifaches getan: Er hätte die vorgegebene Diskursfonn - durch autoritative Ressourcen der Pfarrerin konstituiert - reproduziert. Er hätte zweitens die Form der Institution 'Liturgie' akzeptiert, reproduziert und modifiziert, indem er den Topos 'Fürbitte' akzeptiert und neu füllt. Er hätte drittens auf ein interpretatives Schema zurückgegriffen, das sich nur unter Rückbezug auf den Ort dieser Interaktion im Weltsystem und im spezifisch westeuropäischen Kontext (Verfügbarkeit von Medien, konsumtive Rolle der Medien bei der Weltwahmehmung) so verstehen läßt. Dies soll hier zur Illustration genügen. Damit sei die Exposition des Giddens'sehen Entwurfes abgeschlossen. In dieser Arbeit sollen besonders seme Kategorien von zwischengesellschaftlichem System, Gesellschaft, Institution und Interaktion individueller Akteurinnen dazu dienen, ein Frageraster zu entwerfen, mit dessen Hilfe die 133

Vgl. A. Giddens 1988a: 236, vgl. hierzu auch seine Rekonstruktion des historischen Materialismus: A. Giddens 1981 a und 1985.

Ausbildung, Kontextualisierung und Theorie der Strukturierung

57

theoretischen Ansätze der Studienreform auf ihre Kontextualisierung - d.h. auf ihre Wahrnehmung des Kontextes theologischer Ausbildung - untersucht werden können. 2.4.5 Die Aufnahme des Konzeptes in dieser Arbeit Giddens' Konzept möchte ich nun mit dem Begriff 'Kontextualisierung' folgendermaßen verbinden: Giddens' Theorie dient zur Konzeptionalisierung des Kontextes und anhand von Giddens' Einsichten wird ein heuristisches Schema erstellt, mit dessen Hilfe die Kontextwahrnehmung der Ansätze überprüft werden kann und das Studium selbst konzeptionalisierbar ist. Dabei werden keineswegs alle Elemente seiner Theorie gleich wichtig, denn hier geht es ja nicht um eine empirische Untersuchung, sondern um die Einschätzung solcher Untersuchungen oder Konzepte und die Entwicklung von Fragen. Zudem liegt die Giddens'sehe Theorie noch unterhalb konkreter Forschungsparadigmata, sondern sie versteht sich selbst als 'social theory', die die Bedingungen der Wahrnehmung sozialer Realität thematisiert - im Unterschied zu 'sociology', die diese Wahrnehmung empirisch unternimmt. Die Aufnahme von Giddens' Konzept scheint mir dabei folgendes zu leisten: Sie stellt sicher, daß die Kategorien 'Individuum' bzw. 'Interaktion von Individuen1, 'Institution', 'Gesellschaft' nicht hermetisch gegeneinander sind, Institutionen also etwa als Konglomerate von fast mystischer Dichte erscheinen, in denen das Individuum verschlungen zu werden droht, sie trägt der Tatsache Rechnung, daß nur Individuen im strengen Sinn Akteurinnen sein können und beugt dadurch Mystifizierungen und Verschwörungstheorien vor, die funktionale Sichtweisen (etwa in kruderen Versionen von Dependenztheorie) oft gefährden. Schließlich ermöglicht sie so eine Situationsanalyse, die strukturelle Zwänge und Möglichkeiten zu berücksichtigen vermag, ohne die Akteurinnen aus dem Blick zu verlieren. Giddens versteht sein Konzept vor allem als Frageraster. So möchte ich hier die Studienreformdiskussion untersuchen, indem ich Fragen zur Konzeptionalisierung des Kontexts an einigen Grundkategorien Giddens' entlang formuliere. Einsichten wie die der 'Dualität von Struktur', die die Tatsache benennt, daß die Akteurinnen durch die Strukturen determiniert sind, sie aber andererseits selbst wieder determinieren, indem sie sie reproduzieren und modifizieren, bilden den Hintergrund der Argumentation. Für die Untersuchung der historischen Diskussion werde ich das Schema voraussetzen, die Analyse aber nicht durch das Schema strukturieren. Stattdessen werde ich lediglich danach fragen, welche Ansätze zur Kontextualisierung des Studiums (also der Konzeptionalisierung des Studienkontextes) und zur Kontextualisierung im Studium (also der als 'Lernziel' verstandenen Konzeptionalisierung des Kontextes) in den jeweiligen Beiträgen vorliegen.

58

Kontextualisierung: Die Ausbildungsdiskussion

An die Studienreformansätze möchte ich die Frage in einer doppelten Form stellen. Zunächst geht es darum, ob sich der Autorin seinem Kontext verortet, und wenn ja, wie er das tut. Zum anderen geht es darum, wie er die Bereiche des behandelten Gegenstands in ihren Kontext einordnet. Bei der Thematisierung der Autoren sind die Fragen relativ einfach. Hier geht es zunächst um die Verortung in der Welt und in der Gesellschaft. Dann wird gefragt, welchen Institutionen sich der Autor vor allem zuordnet und ob dies explizit wird. Schließlich geht es darum, ob es einen expliziten oder impliziten Rückgriff auf die eigene Biographie und Individualität gibt und wie dieser aussieht. Bezüglich des Gegenstandes sind die Fragen komplexer. Zunächst sind zwischengesellschaftliche Systeme wichtig. Wird unsere Gesellschaft in der Welt situiert, wenn ja, wie? Wird die globale Dimension mit einbezogen? Wie sehen hier theologische Begründungen aus? Konkret geht es dabei um das Studium in ökumenischer Perspektive. Wird unsere (deutsche) Position in der Welt reflektiert? Wird die Situation des Christentums in der Welt mit einbezogen? Werden wirtschaftliche Aspekte von Theologie und Ausbildung in der BRD gesehen? Wird die Strukturierungsleistung dieses Sachverhalts für die institutionelle und individuelle Situation gesehen? Weiterhin geht es um die Dimension der Gesellschaft. Wird diese Dimension mit einbezogen? Wie? Werden institutionelle und interaktionelle Komponenten in den größeren Zusammenhang der Gesellschaft eingeordnet, indem z.B. wirtschaftliche Aspekte thematisiert werden? Dabei geht es um eine Verortung des Studiums im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß - welche Rolle spielen politische und wirtschaftliche Faktoren für das Studium ev. Theologie? Hier sind sowohl bildungspolitische Zusammenhänge als auch strukturelle gesellschaftliche Ungleichheiten wichtig156. Wie wird diese Komponente eingebracht? Sodann wird nach solchen Institutionen gefragt, die als Organisationen beschrieben werden können und für das Studium von Bedeutung sind. Welche Institutionen kommen in den Blick? Welche nicht? Wie werden die vorkommenden Institutionen bezüglich der strukturellen Dimensionen von Signifikation, Herrschaft und Legitimation eingeschätzt? Wie wird die Bedeutung der Individuen für die Reproduktion der Institutionen in Betracht gezogen? Welche Strukturmomente (also Erinnerungsbruchstücke, Ansichten, Gremien etc.), die die Institutionen strukturieren, werden in den Blick genommen? Wie? Die Bezüge zwischen der gesellschaftlichen Ebene und der institutionellen, hier auf Organisationen zugespitzten Ebene sind naturlich sehr eng. Eine Analyse der Interdependenzen beider Ebenen ist mit dem Instrumentarium Giddens' m.E. zu leisten, kann aber hier nur in sehr begrenzter, auf das Studium zugespitzter Weise unternommen werden.

Ausbildung, Kontextualisierung und Theorie der Strukturierung

59

Konkret geht es um die Frage, welche Organisationen als wichtig gesehen werden (Kirche, Wissenschaft/Universität), wie sie beschrieben werden, welche Rolle sie bei der Ausbildung (bzw. im Studium) spielen und welche sie spielen sollen, wie sie verknüpft und definiert sind und wie sie theologisch verstanden werden, wie sie mit den Individuen einerseits, mit der Gesellschaft andererseits verbunden gesehen werden. Schließlich soll die individuelle bzw. biographische Ebene befragt werden. Die Behandlung des eigentlichen Studienprozesses wird hier angesetzt, weil für das Studium Lernprozesse unter den Bedingungen von Kopräsenz in der Regel konstitutiv sind157. Dabei werden drei Aspekte unterschieden: Einerseits wird nach den betroffenen individuellen Akteurinnen gefragt. Andererseits werden Interaktions- und Bewußtseinsebenen thematisch. Schließlich wird nach den Kontextbezügen im Studium selbst gefragt. Welche Individuen werden also thematisiert? Wie werden Individuen wahrgenommen? Wie werden die Elemente, die das Leben der Individuen mit den Institutionen verbinden, wahrgenommen und beschrieben? Wie wird ihre Einwirkung auf die Institutionen gesehen? Wie werden die Elemente, die Leben und Interaktion strukturieren (Geschlecht, Alter, Klassenzugehörigkeit, etc.) wahrgenommen und für die Ausführung der Theorie berücksichtigt? Werden die autoritativen und allokativen Ressourcen, die den Akteurinnen in unterschiedlichem Maße zur Verfügung stehen, berücksichtigt? Welche Interaktionsebenen werden thematisiert? Geht es nur um unmittelbar bewußte und verbalisierte Sachverhalte oder auch um andere? Wie wird die Konzeptionalisierung des Kontextes im Studium selbst angesetzt? Damit geht es geht es also um die Fragen, welche Rollen Studierende und Lehrende etwa bei dem Studium spielen, wie die Aufgabe von kirchlichen Funktionsträgerinnen und Laien bestimmt wird, wie Geschlecht, Biographie und Sozialisation beim Ansatz des Studiums und in semen Verfahren gesehen und berücksichtigt werden. Dazu gehört sowohl die Frage nach den erwarteten 'Strukturmomenten' in den Köpfen, also den theologischen Lernzielen und ihrer Berücksichtigung des Kontextes, wie auch die Frage nach der theologischen Begründung, ihrer Fundierung im jeweiligen Ansatz. Die theologische Begründung ist jedoch nicht nur hier, sondern auf allen Ebenen deswegen wichtig, weil sie selbst ein Strukturmoment ist, insofern sie - als Erinnerung und Wissen in den Köpfen - selbst Realität strukturiert. Da das Frageraster die weitere Arbeit durchzieht und sowohl für die Untersuchung der Kontextualisierung der Autoren und die kritische Evaluierung dieser Kontextualisierung (Kap. 4.3), die Auflistung der deskriptiven Elemente (Kap. 5.2) und die praktischen Vorschläge (Kap. 5.3) wichtig ist, soll 137

Femstudiengänge zeigen, daß das Studium nicht mit Kopräsenz verbunden sein muß.

60

Kontextualisierung: Ehe Ausbildungsdiskussion

es zur Verdeutlichung hier noch einmal in schematischer Form geboten werden: * Globale Verortung des Studiums - zwischengesellschaftliche Systeme * Gesellschaftliche Verortung des Studiums - Recht, Politik und strukturelle soziale Ungleichheiten * Institutionelle Verortung des Studiums - Organisationen * Das Studium als Prozeß der Interaktion individueller Akteurinnen * Akteurinnen

* Interaktionsebenen * Kontextbezüge Es scheint mir nun sinnvoll zu sein, die bisherige westdeutsche Diskussion um die theologische Ausbildung auf Kontextualisierung zu befragen, weil hier ein bestimmter praktischer Kontext der Theologie bearbeitet wird, weil dieser Kontext mit theologischen Mitteln bearbeitet wird und weil die Ausbildung ein exemplarischer Fall theologischer (theoretischer und praktischer) Selbstreflexion ist. Zudem ist damit ein Beitrag zur m.E. notwendigen Vermittlung von ökumenischer und - bisher etwas selbstgenügsamer - bundesdeutscher Ausbildungsdiskussion möglich, der zunächst freilich darin bestehen muß, ökumenische Fragestellungen in die hiesige Diskussion einzubringen.

3. Historischer Überblick über die Diskussion im Kontext der Gemischten Kommission seit 1965

3.1

Einleitung

Wurde bisher die Untersuchungsperspektive geklärt, so soll nun ein Überblick über die neuere Diskussion zur Studienreform der Theologie helfen, den Gegenstand der Frage nach Kontextualisierung auch historisch 201 verorten. Daneben sollen Elemente und Vorschläge gesammelt werden, die in der neueren Studienreformdebatte diskutiert wurden und die sich als Beiträge zur Kontextualisierung im hier explizierten Sinn verstehen lassen. Schließlich werden neuere Entwicklungen und Tendenzen der Studienreformdiskussion im Umkreis der Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums1 dargestellt. Zur Darstellung ist zu bemerken, daß es dabei nicht um eine genaue historische Untersuchung2 gehen kann. Eine historische Detailstudie sprengte den Rahmen dieser Arbeit3 und trüge für die Untersuchungsperspektive 1

3

Die Gemischte Kommission für die Reform des Theologiestudiums wird im folgenden entweder kurz als 'Gemischte Kommission' bezeichnet oder als OK' abgekürzt. Daher wird auch die Reichweite der historischen Klärung begrenzt. Denn zum einen existieren bereits Überblicke über die historische Entwicklung des Theologiestudiums (vgl. H. Luther 1976: 148-343; W. Herrmann 1976: 1-58, zu rechtlichen Aspekten vgl. W. Huber 1973: 295-379), zum anderen können die Defizite im historischen Verfahren, die diesen Arbeiten anhaften, sofern sie sich nicht als historische Untersuchungen im strengen Sinne verstehen, im Rahmen dieser sozialethischen Arbeit nicht behoben werden. Die Darstellung endet mit dem Votum der GK aus dem Jahre 1988, die weitere Entwicklung konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Für weitere Literatur zur älteren Geschichte des Theologiestudiums vgl. immer noch F. Cohrs 1908 und die oben angegebenen Arbeiten. Eine genaue historische Aufarbeitung der Ereignisse in der und um die GK, die hier nicht geboten wird, müßte u.a. folgende Punkte genauer bearbeiten und klären: die Rolle der einzelnen Abgesandten und Vertreterinnen der entsprechenden Institutionen in der GK, die exakten Gründe und Vorgänge um die Einsetzung der GK, die Bedeutung der institutionellen Verschiebungen (Vorstandswechsel, Aufsplittung in Untergruppen, Ausweitung und Reduktion, Aufbau von MetaOrganisationen (z.B. Koordinationskommission), die Wechselwirkung zwischen der GK und verschiedenen anderen Gremien wie der Ausbildungsreferentenkonferenz (ARK), dem Fakultätentag (FT), dem Fachverband ev. Theologie im VDS (FV), dem Wissenschaftsrat (WR), der westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) oder auch der Kultusministerkonferenz (KMK), die in den veröffentlichten Dokumenten nur wenig deutlich

62

Historischer Überblick

vergleichsweise wenig aus. Stattdessen geht es um Information über den historischen Hintergrund, vor dem die gegenwärtigen Debatten stattfinden. Dabei wird die Gemischte Kommission als Fixpunkt gewählt, da sie seit ihrer Entstehung der entscheidende institutionelle Ort der Studienreform im Bereich der evangelischen Theologie ist4. Da die Entwicklungen bis zur Einsetzung der Gemischten Kommission auch aus anderen Arbeiten erhoben werden können, sollen die geschichtliche Entwicklung bis zu den sechziger Jahren nur in einer summarischen Weise behandelt werden, die sich auf die anderen Untersuchungen zum Thema stützt5. In der Darstellung der Diskussion im Rahmen der Gemischten Kommission gehe ich selektiv vor, wie es dem Vorhaben der Skizzierung von Tendenzen und der Suche nach Kontextualisierungselementen entspricht. Die Entwicklungen werden geschildert, soweit sie aus Veröffentlichungen zu erheben sind, und Voten, die mir unter dem Kontextualisierungsaspekt besonders signifikant erscheinen, werden dargestellt und kurz besprochen6. Die Hauptquellen für die Darstellung der Diskussion in der Gemischten Kommission sind die offiziellen Verlautbarungen der GK selbst, wie sie in der Publikationsreihe "Reform der theologischen Ausbildung"7 veröffentlicht sind. Daneben werden einige an anderen Orten publizierte Texte herangezogen8. Weiterhin konsultiere ich entsprechende Verlautbarungen von Gremien in der allgemeinen Studienreformarbeit, soweit sie von Interesse sind: die Empfehlungen des Wissenschaftsrates9 von 196610, die

4

s 6 7

* 9

werden und eher aus Protokollen und Briefwechseln zu erweisen wären, die Darstellung der Rolle der innertheologischen Reformaktivitäten im Rahmen der allgemeinen Studienreform, die Analyse des Wechselverhältnisses von regionalen Veränderungen und Aktivitäten (Arbeitskreise, einzelne Fakultäten u.a.) und bundesweiter Arbeit der GK (im Sinne einer Rezeptions- und Wirkungsgeschichte) oder die Untersuchung des Zusammenhangs von kritischen Reformaktivitäten (etwa den Celler Konferenzen) mit der Arbeit der GK. Unter der oben entwickelten Untersuchungsperspektive müßte sie aber vor allem die Verortung der Studienreform auf den angegebenen vier Ebenen des Kontextschemas vornehmen. Dies bedeutete aber nicht weniger als eine Sozialgeschichte theologischer Studienreform, die in diesem Rahmen nicht vorgenommen werden kann. Vgl. H. Luther 1976: 314ff; vgl. W. Herrmann 1976: 43ff. Beide Autoren behandeln die neuere Studienreformdiskussion im Rahmen der Gemischten Kommission jedoch nur sehr knapp. S.o. Anm. 2; s.u. Abschnitt 3.2. Um der besseren Lesbarkeit willen benutze ich bei der Darstellung in der Regel das Präteritum auch in der Wiedergabe von Voten. Die Schriftenreihe, jeweils von den Vorsitzenden der Gemischten Kommission herausgegeben, erschien in bisher vierzehn Ausgaben und wird im folgenden als 'RthA' mit Bandnummer und Jahr zitiert. Die vollständige Angabe ist aus dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. Vgl. u.a. G. Strecker 1986, W.D. Hauschild 1985. Im folgenden als 'WR' abgekürzt. Der WR ist ein Gremium, das auf einem Verwaltungsabkommen der Regierungen von Bund und Ländern beruht (geschlossen am 5.9. 1957, verlängert 16.7. 1969). Er soll die Gesamtbedürfnisse der deutschen Wissenschaft zentral über-

Historischer Überblick: Einleitung

63

Stellungnahme des Verbands der Deutschen Studentenschaften11 von 196212 oder das Gutachten des Studienreformseminars des Fachverbands Theologie im VDS13. Die neuere Diskussion im Rahmen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums läßt sich in vier Phasen einteilen. Eine erste Phase ist von der Einsetzung der Gemischten Kommission 1965 bis zum ersten Wechsel ihrer Mitglieder und Vorsitzenden 1970 zu erkennen. Diese Phase war vor allem durch die Sammlung von empirischem Material und den Versuch der Initiation einer in breiter Öffentlichkeit geführten Diskussion gekennzeichnet. Eine zweite Phase sehe ich in der ergebnisorientierten Arbeit der Gemischten Kommission von 1970 bis zur Verabschiedung des Ausbildungsgesamtplanes 1978. Ein dritter Abschnitt läßt sich in der - vorwiegend auf Koordination gerichteten - Tätigkeit der Gemischten Kommission von 1979-1984 ausmachen. Eine vierte Phase hat mit der Neueinsetzung der Kommission im Jahre 1984 und ihrer Ausrichtung auf systematische Grundsatzfragen begonnen. Zwei Tendenzen durchziehen diese Debatte. Die eine läßt sich als organisations- und effizienzorientierte Tendenz beschreiben, die zumeist berufsdidaktisch ausgerichtet ist und für die Eilert Herms' Ansatz als repräsentativ gelten darf. Die zweite Tendenz orientiert sich demgegenüber stärker am Ideal einer gleichgewichtigen Partizipation der beteiligten Akteurinnen am

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" 12

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schauen und die Förderungspläne aufeinander abstimmen. Dabei hat er allerdings nur beratende Funktion, soll aber unabhängig von Förderplänen jährlich ein Dringlichkeitsprogramm aufstellen. Der WR besteht aus einer wissenschaftlichen Kommission, der Verwaltungskommission und der Vollversammlung. Die wissenschaftliche Kommission wird vom Bundespräsidenten berufen, wobei 16 Mitglieder auf Vorschlag der wissenschafltichen Spitzenverbände und 6 auf Vorschlag der Bundes- und Landesregierungen aus dem Bereich des wissenschaftsnahen öffentlichen Lebens bestimmt werden. Die Verwaltungskommission, die sich vor allem um die finanziellen Aspekte der Empfehlungen kümmert, setzt sich (bis 1989) aus 17 Vertretern der Bundes- und Landesregierungen zusammen. Bisher entsandten die 11 Landesregierungen je einen, die Bundesregierung 6 Mitglieder, die jedoch 11 Stimmen führten, so daß die Parität gewahrt blieb. Die Kommissionen erarbeiten Vorschläge, die die Vollversammlung beschließt. Die Empfehlungen des WR von 1966 folgten auf die von 1962 und reagierten ihrerseits auf die zunehmend als krisenhaft empfundene Hochschulsituation, aber auch auf das Gutachten des Verbands Deutscher Studentenschaften (VDS) von 1962 (VDS 1962). Dieses Gutachten des Wissenschaftsrates, das am 14.5. 1966 verabschiedet wurde, darf zur Vorgeschichte des Hochschulrahmengesetzes (HRG) gerechnet werden, insofern hier eine zentrale Neuordnung des Studiums projektiert wird, die der ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrates, H. Leussink in seiner neuen Eigenschaft als Wissenschaftsminister nur fortschrieb, als er 1969 die Thesen vorlegte, die zur Basis des HRG werden sollten (vgl. insgesamt W. Thieme 1986: 48.157ff. Die Entwicklung seit 1986 konnte leider nicht berücksichtigt werden.). Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 9-27. Im folgenden als 'VDS' abgekürzt. VDS 1962. G. Lautner, W. Herrmann, 1964, 1965.

64

Historischer Überblick

Studienprozeß und akzentuiert daher auch Wünsche und Bedürfnisse, die nicht unmittelbar auf eine effiziente Berufsausbildung zielen. Stellvertretend für diese Tendenz soll im nächsten Kapitel Henning Luthers Ansatz untersucht werden. Freilich lassen sich auch oft Überschneidungen feststellen, da sich beide Tendenzen nicht unbedingt gegenseitig ausschließen. Von besonderem Interesse sind für diese Arbeit natürlich Beiträge, die einer Kontextualisierung im bereits dargestellten Sinne förderlich sein können. Impliziter Maßstab der Untersuchung ist dabei das oben (Kap. 2) entwickelte Schema zur Erfassung des sozialen Kontexts. Obgleich es im Rahmen der Gemischten Kommission keine ausführliche Debatte über die Konzeptualisierung des Kontextes gegeben hat, wurden doch in allen vier Phasen der neueren Diskussion Beiträge zu einer Konzeptualisierung des sozialen Kontexts geleistet. Sie waren zumeist durch Effizienzinteressen, Berufsorientierung oder Qualifikationsinteressen unterschiedlichster Provenienz motiviert und beziehen sich sowohl auf eine Feststellung der sozialen Rahmenbedingungen des Studiums (Kontextualisierung des Studiums) als auch auf Studiengegenstände (Kontextualisierung im Studium). Bei der Frage nach Kontextualisierungselementen ist freilich zu berücksichtigen, daß die hier behandelte Debatte um die Reform des evangelischen Theologiestudiums Vorgänge involviert, die grundsätzlich im politischen Feld, in einer Vielzahl unterschiedlich besetzter Gremien stattfanden und -finden und daß die produzierten Texte in der Mehrheit Konsenspapiere mit pragmatisch-politischen Ansprüchen, nicht aber ausgeführte, systematische Ansätze darstellen. Daher sind auch detaillierte Untersuchungen zur Kontextualisierung hier wenig sinnvoll. Dies soll der exemplarischen Untersuchung der ausgearbeiteten Ansätze von H. Luther und E. Herms vorbehalten bleiben. In diesem Überblick sollen demgegenüber nur Wahrnehmungen, Vorschläge und Verfahren gesammelt werden, die in der neueren Reformdiskussion debattiert wurden und als Beiträge zu einer Kontextualisierung des Studiums und im Studium verstanden werden können.

3.2

Zur geschichtlichen Entwicklung bis 1960

Die Ausbildung von Amtsinhabern der Kirche wurde in der Alten Kirche noch in einem nicht formalisierten Lehrverfahren geleistet und ging im Abendland an die Klöster über14. Mit dem frühen Mittelalter und der Gründung der Universitäten bestand erstmals die Möglichkeit eines Studiums der Theologie, das aber für die einfachen Kleriker keineswegs die Regel war15. In der Reformation wurde die mangelnde Ausbildung der einfachen, am Ort Vgl. H. Luther 1976: 152ff. Vgl. H. Luther 1976: 157f.

Zur geschichtlichen Entwicklung bis 1960

65

dienenden Vikare als Mißstand begriffen, dem zunächst mit dem Instrument der Visitationen, dann aber in steigendem Maße mittels der Verpflichtung zur akademischen Ausbildung16 Rechnung getragen werden sollte. Der gestiegenen Bedeutung der Hl. Schrift entsprechend sollten hier vor allem die Sprachen als Grundlage zum Schriftstudiurn erworben und Basiskenntnisse der lutherisch-melanchthonischen Dogmatik angeeignet werden. Mit der Konsolidierung des Protestantismus und seiner Entwicklung zur politisch geleiteten Landeskirche entstanden protestantische Universitäten, die zum wichtigsten Ort akademischer Lehre in der evangelischen Theologie wurden17. Die Lehre wurde in Wiederaufnahme aristotelischer Kategorien zum System ausgestaltet. In Abgrenzung von den Lehrsystemen der altprotestantischen Orthodoxie forderten die Vertreter des Pietismus - allen voran Philip Jacob Spener - eine stärkere Frömmigkeits- und Berufspraxisausrichtung auch im IQ Theologiestudium . Hier wurden erste Predigerseminare geschaffen, die neben den Aspekten der vita communis und der gemeinsamen Frömmigkeitspraxis die Berufsausrichtung im Blick hatten20. Allerdings setzten sich Predigerseminare zur Berufsausbildung nach dem akademischen Studium erst im neunzehnten Jahrhundert durch. In diese Zeit fallen die Versuche der nachaufklärerischen, vom Humanismus und dem deutschen Idealismus geförderten Universitätsreform, deren bekanntester Vertreter im theologischen Raum F.D.E. Schleiermacher ist21. Hier entstand der Gedanke eines Primates der Wissenschaft im Theologiestudium, allerdings blieb die Wirkung dieses Ansatzes relativ begrenzt22. Zum Ende des 19. Jh. hatte sich die Zweiphasigkeit der Vorbereitung auf den Pfarrberuf (Studium und Lehrvikariat) weitgehend durchgesetzt23. Aus dieser Zeit stammen auch erste Klagen über die mangelnde Berufstauglichkeit der Universitätsabgänger . Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden dann Debatten über das Studium geführt, 1Ä

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Vgl. H. Luther 1976: 161ff, vgl. W. Herrmann 1976: 2f. Zu M. Luthers Einstellung vgl. die bekannte 'Ratsherrenrede' von 1524 (M. Luther 1959). 17 Vgl. F. Cohrs 1908: 306ff sowie D. Rössler 1986: 125-138, bes. 128. " Vgl. P.J. Spener 1964 und die Behandlung bei W. Herrmann 1976: 3 und H. Luther 1976: 168ff. 19 Vgl. hierzu die Darstellung bei H. Luther 1976: 168-180. 20 Vgl. D. Rössler 1986: 129. 21 Vgl. F.D.E. Schleiermacher 1982. 22 Zur Aufklärung und zur neuhumanistischen Universitätsreform vgl. H. Luther 1976: 180-230. 23 Vgl. D. Rössler 1986: 130f. 24 Vgl. etwa W. Bornemann 1886 und die Behandlung der Schrift bei D. Rössler (1986: 131). Bornemann kritisierte die "Verlegenheit und Unklarheit der Pfarrer gegenüber den neu entstandenen Formen, Fragen, Aufgaben und Faktoren der modernen Kultur" (W. Bomemann 1886: 104), die er in Mißständen des Theologiestudiums begründet sah. Er erhoffte sich eine bessere Berufsvorbereitung "von einer Neubelebung und Neugestaltung der Disziplin der Praktischen Theologie" (W. Bornemann 1886: 105).

66

Historischer Überblick

die vor allem durch die schon erwähnte Berufstauglichkeitsfrage25, das konkrete Problem der Stoffüberlastung, durch Vorstöße der sog. religionsgeschichtlichen Schule26 und durch die Unsicherheit unter den Institutionen und Personen, die mit der Trennung von Staat und Kirchen zusammenhängt27, motiviert wurden28. Mit der in unterschiedlichem Maße gelungenen 'Gleichschaltung1 von Kirchen und Universitäten in der Zeit des deutschen Faschismus29 gewannen die nicht-universitären Ausbildungsinstitutionen der Bekennenden Kirche an Gewicht30. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde bezüglich des Studiums die Zweiphasigkeit der Ausbildung wieder allgemein eingesetzt und im ganzen an die traditionelle, auch in der Weimarer Republik vorherrschende Studienstruktur angeknüpft; dies betraf auch die neugegründeten Kirchlichen Hochschulen. Die erste Debatte fand dann Anfang der fünfziger Jahre statt. Hier wurde durch das Gutachten von Wolf und Hahn versucht, Aspekte der Berufspraxisorientierung der Predigerseminare in das Studium einzubringen und die Ausbildung zur Verkündigung in den Vordergrund zu stellen, wie es der damaligen Rezeption der Theologie des Wortes Gottes entsprach31. Auch hier wurden vor allem die Stoffüberlast im Studium und die mangelnde Berufstauglichkeit als Probleme angesehen32. Den Vorschlägen Hahns und Wolfs wurde im Bereich der akademischen Theologie heftig widersprochen33. Im folgenden änderten sich vor allem die 25

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Vgl. P. Drews 1910. Drews beklagte vor allem die Stoffüberlastung der Studierenden und intendierte eine Zuspitzung der Theologie auf Gegenwartsfragen (vgl. P. Drews 1910: 5ff), die er durch die Verstärkung und Erneuerung der Praktischen Theologie bei gleichzeitiger Beschränkung der alttestamentlichen Exegese und der Kirchengeschichte zu erreichen hoffte (vgl. P. Drews 1910: 810- Gegen Mix (G. Mix 1908) lehnte er einen grundsätzlich berufspraktischen Zuschnitt des Theologiestudiums nach dem Muster des Medizinstudiums ab (P. Drews 1910: 6): "Es ist banausisch, das praktische Nützlichkeitsprinzip und Bedürfnis zum obersten Grundsatz der Theologie zu machen." Darunter kann etwa der Vorschlag zur Abschaffung des Hebräischunterrichts durch A. v. Hamack und die Leitsätze der Berliner Studentenvertretung von 1919 gefaßt werden (vgl. W. Herrmann 1976: 16f.21f). Vgl. etwa P. Feine 1920: 4ff. Vgl. zum gesamten Zeitabschnitt die Darstellung bei W. Herrmann 1976: 7-25 sowie H. Luther 1976: 230-248. Vgl. für einen Überblick neuerdings C. Nicolaisen, L. Siegele-Wenschkewitz (Hg.) 1993. Vgl. W. Herrmann 1976: 25-31, bes. 29ff. W. Hahn und H.H. Wolf formulierten (1952: 134ff): "Das Studium ist so auszurichten, daß es klar auf das Ziel der Ordination hinführt. Theologiestudium ist Zurüstung zum geistlichen Amt." So führten Hahn und Wolf aus (1952: 130): "Die Pfarrer und Vikare sind den Anforderungen, die das Pfarramt heute an sie stellt, vielfach nicht gewachsen. (...) Das Studium zielt nicht auf die Ordination, sondern eher auf die Dissertation. (...) Der wissenschaftliche Stoff wächst ständig, die Durchschnittsleistung der Examinanden aber sinkt." So - mit je unterschiedlichen Gründen - etwa durch E. Käsemann und F. Baumgärtel, die die Voraussetzungen des Papiers als fehlerhaft bezeichneten und um die wissenschaftliche Freiheit besorgt waren, durch H.E. Tödt, der als Vertreter der Studierenden die zeitliche

Die Einsetzung der Gemischten Kommission

67

von den Landeskirchen eingesetzten zweiten Ausbildungsphasen, nicht aber die Universitäten Studiengänge34.

3.3

Die Einsetzung der Gemischten Kommission

Hatte sich zwischen 1945 und 1960 im Bereich der Universität und des Theologiestudiums nur wenig verändert, so entstand mit dem Beginn der sechziger Jahre ein hauptsächlich durch ökonomische Perspektiven angeregtes35 Modernisierungsklima im Bereich der deutschen Hochschulausbildung36. Der VDS veröffentlichte 1961 ein Gutachten mit dem Titel 'Studenten und die neue Universität', in dem die Ersetzung der als obsolet empfundenen klassischen Universitätsstruktur gefordert wurde, die durch die Vorherrschaft der Ordinarien gekennzeichnet war. Statt ihrer wurde eine stärker sachlich und technisch orientierte Ausbildungsstruktur gefordert37. Dies betraf auch die Theologie. In die gleiche Richtung wie der VDS argumentierte auch das von dem Studienreformseminar38 des Fachverbands Belastung durch Veranstaltungen als Quelle des Übels vorrechnete oder durch G. Eichholz, der das Grundproblem in der Theologie selbst, dem ungeklärten und zu klärenden Verhältnis von Dogmatik und Exegese verortete. Zur Diskussion vgl. F. Baumgärtel 1953, H.H. Wolf 1953, E. Käsemann 1952, W. Hahn 1952, G. Eichholz 1953, H.E. Tödt 1953, zur ausführlichen Darstellung vgl. W. Herrmann 1976: 31-39 und H. Luther 1976: 250-281. Vgl. D. Rössler 1986: 134 sowie W. Herrmann 1976: 36. So warnte G. Picht in einer vielbeachteten Artikelserie der Zeitung 'Christ und Welt' vor einer 'deutschen Bildungskatastrophe' (G. Picht 1964: 17): "Bildungsnotstand heiBt wirtschaftlicher Notstand. Der bisherige wirtschaftliche Aufschwung wird ein rasches Ende nehmen, wenn uns die qualifizierten Nachwuchskräfte fehlen, ohne die im technischen Zeitalter kein Produktionssystem etwas leisten kann." M. v. Brentano (1967: 376) unterschied drei Tendenzen der Diskussion um die Hochschulreform: "1.) Eine konservativ-reformatorische Tendenz, deren Motto Heimpel als 'Bewahren und Ergänzen' formuliert hat. Sie wird im wesentlichen von den Universitäten selbst, jedenfalls ihren offiziellen Organen und der Mehrzahl ihrer Professoren vertreten. 2.) Eine funktionalistische Tendenz, die die Universitäten leistungsfähig haben und primär auf diese Leistung verpflichten will. Sie wird ... vorwiegend von Staat und Wirtschaft gegenüber der Universität vertreten. 3.) Quer zu diesen beiden eine radikal-progressive Tendenz, Wissenschaft und Hochschulen sowohl selbst zu demokratisieren als aus ihrer Verantwortung für die Demokratisierung, Humanisierung und Rationalisierung (im Sinne des Vernünftigwerdens, nicht des reibungslosen Funktionierens) der Gesamtgesellschaft zu begreifen und zu erneuern. Sie wird vor allem von studentischen Gruppen vertreten (ihren konsequentesten Niederschlag fand sie in der vielbeachteten SDS-Denkschrift 'Hochschule in der Demokratie'), aber auch von einigen Hochschullehrern befürwortet." Trotz der deutlichen Wertung v. Brentanos scheint mir die Einteilung für die damalige Zeit recht zutreffend zu sein. Die faktisch stärkste und wirksamste Fraktion dürfte die erste gewesen sein. Zur zweiten läßt sich m. E. das im folgenden angeführte VDS-Gutachten zählen. Vgl. VDS 1962: 18.

68

Historischer Überblick

Evangelische Theologie im VDS erarbeitete Gutachten zur Reform des Theologiestudiums39. Hier wurden im wesentlichen zwei Forderungen vertreten: Einerseits wurde eine 'relationale Distanz1 zum Beruf im Studium eingeklagt40, andererseits aber mit Schleiermacher eine stärkere Praxisorientierung sowie ein wissenschaftstheoretischer Paradigmenwechsel im Bereich akademischer Theologie verlangt. Dies sollte vor allem durch eine Verstärkung der kirchen- und theologiekritisch verstandenen Praktischen Theologie geschehen, für deren Arbeit eine in Analogie zur historisch-kritischen Methode verfaßte 'empirisch-kritische Methode41 mit systematisch-praktischem Interesse42 anvisiert wurde. Die Studierenden votierten also gegen eine unmittelbare Berufspraxisorientierung43, klagten aber den kritischen Erfahrungsbezug energisch ein. Damit stand bereits am Anfang der neueren Studienreformdebatte eine Orientierung an dem, was hier mit dem Kontextualisierungsbegriff zu fassen versucht wird44. 38

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Das Studienreformseminar war eine inhaltliche Arbeitsgruppe des Fachverbandes Evangelische Theologie im VDS, die sich zwischen 1960 und 1961 konstituierte und bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1969 ein- bis zweimal pro Jahr tagte. Schon 1961 erschien ein Beitrag des Seminars in der Deutschen Universitätszeitung (Fachverband Evangelische Theologie im Verband Deutscher Studentenschaften 1961). Das Studienreformseminar war so organisiert, daß die einzelnen Fachschaften Delegierte entsandten. Die Tagungen wurden oft durch eingeladene Referenten ergänzt. Die Arbeit verlief inhaltlich zunächst so, daß die Diskussion der 50er Jahre aufgearbeitet wurde, dann aber das SDS-Gutachten von 1961 (SDS 1965) und in stärkerem Maße noch das VDS-Gutachten von 1962 (VDS 1962) rezipiert wurden. Die Protokollanten dieser Sitzungen, Gerhard Lautner und Wolfgang Herrmann, verfaßten dann 1964 das Gutachten "Problemanzeigen" (W. Herrmann, G. Lautner 1964), das 1965 unter dem Titel "Theologiestudium - Entwurf einer Reform" (W. Herrmann, G. Lautner 1965) veröffentlicht wurde. Bis zur Gründung der GK nahmen Vertreter der studentischen Studienreformarbeit an Fakultätentagen und Ausbildungsreferentenkonferenzen als Gäste teil. Das Studienreformseminar wurde dann von H.E.Tödt, dem ersten Vorsitzenden der GK, angeschrieben und zur Mitarbeit eingeladen. Diese Mitarbeit blieb auch dann noch bestehen, als sich das Studienreformseminar einvemehmlich in die 'Celler Konferenzen1 aufgelöst hatte (die hier gebotenen Informationen verdanke ich im wesentlichen W. Herrmann, der sich freundlicherweise am 03. 02. 1991 Zeit für ein ausführliches Gespräch nahm und mich mit z.T. nur noch schwer erhältlicher Literatur unterstützte). Vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965. Vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 25ff. Diese Distanz äußerte sich dann vor allem in der Abwehr kirchlicher Regulation des Studiums durch Zwischenprüfungen und die Examensgestaltung (vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 113.168). Vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 80ff, zur Rezeptionsgeschichte vgl. etwa G. Sauter 1970. Vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 88ff. Dennoch wird im Gutachten ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß allein das Pfarramt das Ziel des Studiums sei, ohne etwa die Lehrerinnen zu berücksichtigen (vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 92). "Systematisch-praktisches Denken gründet in der bewußten rationalisierten und kritisierten Erfahrung von Ich und Umwelt in Tradition und Situation. Gerade für die Theologie, die auf gegenwärtige Verkündigung in einer vielschichtigen Zeit hinarbeitet, ist es von entschei-

Die Einsetzung der Gemischten Kommission

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Freilich variierten die Gravamina je nach Reforminteresse. Ein Konsens wurde vor allem hinsichtlich einer Vereinheitlichung der Studien- und Prüfungsordnungen erzielt. Dennoch lassen sich eine Reihe von problematisierten Zügen des damaligen Theologiestudiums zusammenstellen. Die Situation war dadurch gekennzeichnet, daß Prüfungskommissionen z.T. nicht mit Dozierenden, sondern mit kirchlichen Prüfenden besetzt wurden45, Veranstaltungsformen v.a. auf Seminar und Vorlesung reduziert waren46 und kaum interdisziplinäre Ansätze versucht wurden47. Die 'Verkündigung' bzw. 'Hermeneutik' stand im Mittelpunkt und das Paradigma 'vom Text zur Predigt' bzw. 'Katechese' herrschte vor48. Die Situation der Frauen war problematisch49 und das Studium blieb durch die Struktur der klassischen Ordinarienuniversität geprägt50. Angestoßen durch die Arbeit der Studienreformkommission des Fachverbands ev. Theologie im VDS51, aber auch durch Werke, die das allgemeine Modernisierungsklima52 zum Ausdruck brachten, wie G. Pichts

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dendem Gewicht, daß der Student der Theologie sich seines genauen Standortes bewußt wird. Sonst wächst die Gefahr der ideologischen Verfuhrung für ihn, so daß er schließlich sein Gesetz anstelle des Evangeliums von Christus predigt. Deshalb muß die höchstmögliche Rationalisierung und Kritik der kirchlichen Selbst- und Welterfahrung als ordentliche und allgemeine Studienaufgabe formuliert werden., d.h. kirchliche Selbst- und Welterfahrung muß dem Studium integriert werden" (W. Herrmann, G. Lautner 1965: 89f). Allerdings reflektierten die Autoren nicht auf die konkrete Konzeptionalisierung des Kontextes. Die Wahrnehmung dieses Kontextes delegierten sie an die Praktische Theologie (vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 166). Ökumenische Zusammenhänge streiften sie nur ganz am Rande; die Organisation 'Kirche' bildete den eigentlichen Horizont des Selbstverständnisses. Damit tendierte auch dieses studentische Gutachten in die von v. Brentano als 'funktionalistisch' charakterisierte Richtung. Vgl. Studienreformausschuß des Fachverbandes Evangelische Theologie im Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) 1967, in dem die Besetzung der Prüfungskommission durch 'akademische Lehrer' noch ausdrücklich gefordert wurde. Der 'Studienreformausschuß' dürfte mit dem 'Studienreformseminar' identisch sein. Die auf Vorschlag des Wissenschaftsrates eingerichteten Tutorien galten als große Neuerung (vgl. J.M. Lohse 1967a und H.E. Tödt 1970: 20ff). Darauf zielt die Kritik bei W. Herrmann, G. Lautner 1965: 64.69ff. Vgl. weiterhin W. Herrmann 1968: 56ff. Vgl. W. Herrmann 1968: 60ff. Dies betraf weniger das Theologiestudium oder den Lehrerinnenberuf als vielmehr das Pfarramt - die Frauenordination wurde zögernd und in vielen Kirchen zeitlich versetzt eingeführt (vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 119, vgl. weiterhin W. Herrmann 1976: 33ff). Vgl. H.E. Tödt 1970: 25ff.43f. In dem dargestellten Gutachten wird eine solche Kommission direkt gefordert (vgl. W. Herrmann, G. Lautner 1965: 113, vgl. auch H.E. Tödt 1970: 11 und W. Huber 1970a: 339f). Vgl. zu diesem Klima etwa das von Prof. Dr. Christian Graf von Krockow gehaltene Referat anläßlich des VIII. Deutschen Studententags in Bonn, wo es heißt (Christian Graf v. Krockow 1965: 48): "Reflektiert man diese Dinge und nimmt man sie zusammen mit dem

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Historischer Überblick

"Die deutsche Bildungskatastrophe"53, angesichts der kulturpolitischen Modernisierungsvorstöße54 und der starken Zersplitterung von Ausbildungs- und Prüfungsordnungen evangelisch-theologischer Fakultäten und Landeskirchen in Westdeutschland55 beschlossen die Ausbildungsreferentenkonferenz der EKD und der Fakultätentag der Evangelisch-Theologischen Fakultäten sowie der Kirchlichen Hochschulen in Westdeutschland im Frühjahr 1965 die Einsetzung einer Gemischten Kommission für die Reform des Theologiestudiums56. Sie bestand aus drei Abgesandten des Fakultätentags und der Kirchlichen Hochschulen, drei Kirchenvertretern, einem Vertreter der Studierenden, drei ständigen Gästen und einem Sekretär57. Die neugegründete Gemischte Kommission hatte den Auftrag, eine einheitliche Rahmenordnung für die theologische Ausbildung zu entwerfen. Im Juli 1965 begann sie ihre Arbeit mit einem Aufruf zur Mitarbeit in verschiedenen Zeitschriften58.

3.4

3.4.1

Von den Empfehlungen des Wissenschaftsrates bis zu den Empfehlungen zum Ersten Theologischen Examen - die Zeit von 1966-1970 Die Arbeitsweise

Die Tätigkeit der Gemischten Kommission zu dieser Zeit umfaßte drei Bereiche. Erstens reagierte das Gremium direkt auf aktuelle Anforderungen. Zweitens bemühte sich die Kommission um die wissenschaftliche Wahrnehmung des Studiums: Sie sammelte empirisches Material, gab Umfragen und Expertisen in Auftrag und wertete sie aus. Drittens suchte sie eine öffentliche zuvor über die Zwergschulen gesagten, so kann man sich bisweilen des Eindrucks nicht erwehren, als habe der Morgenthauplan, unseligen Angedenkens, der aus Deutschland ein Agrarland machen wollte, ergänzt höchstens durch handwerkliche und kleinindustrielle Familienbetriebe, im Schulwesen der Bundesrepublik eine postume Wirksamkeit gewonnen (...)." 53 G. Picht 1964. 54 Vgl. die verschiedenen Gutachten des Wissenschaftsrates, so etwa die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Gestaltung neuer Hochschulen, Tübingen 1962, oder die Empfehlungen von 1966, vgl. Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 9-27. 55 Vgl. W. Herrmann 1967. 56 Weitere, in die Modernisierungsrichtung weisende Gründe gab H.E. Tödt (1970: 11) an: "Unter den vorliegenden Bedingungen galt die Studiendauer als unsinnig überdehnt, die Studienintensität als gering, das Lebensalter der Examinierten als unzumutbar hoch, der Nutzen der Studien für die Praxis als zweifelhaft, das Wissenschaftsverständnis in den Hochschulen als antiquiert, die Kapazität für die kommenden Jahrgänge als völlig unzureichend." 57 Vgl. RthA l, S. llf. " Vgl. 0. Kaiser, H.E. Tödt 1967.

Die Zeit von 1966-1970

71

Diskussion der anstehenden Fragen anzuregen. Dies geschah nicht zuletzt dadurch, daß die Kommission sich ein Publikationsorgan schuf, die Schriftenreihe "Reform der theologischen Ausbildung"59, die in dieser Phase unterschiedliche Beiträge von verschiedenen Autorinnen, Organisationen und Gruppen abdruckte. Dieses Vorgehen hatte zur Folge, daß die Diskussion in großer Breite geführt wurde und sehr komplex war. 3.4.2

Reaktionen auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates

Zu Beginn des Jahres 1966 lief die inhaltliche Arbeit der Kommission an. Vor den Foren der Ausbildungsreferentenkonferenz (ARK) und des Fakultätentages (FT) wurden Grundzüge der Arbeit besprochen, bis der FT im April 1966 die GK bat, Empfehlungen zur Studienreform auszuarbeiten. Denn im Mai sollten die Empfehlungen des Wissenschaftsrates erscheinen, denen gegenüber man gerne mit einer vorbereiteten gemeinsamen Linie auftreten wollte60. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates vom 14. Mai 196661 hielten formal an der Verbindung von Forschung und Lehre fest, empfahlen aber eine Untergliederung in ein zur Berufsfähigkeit führendes Studium, das in vier Jahren abzuschließen sein sollte62, ein Aufbaustudium für "die Studenten, die an der Forschung interessiert und für sie befähigt sind"63 und ein Kontaktstudium für im Beruf stehende Universitätsabsolventlnnen. Zur Gliederung des Studiums sahen die Empfehlungen Studienberatungen und Arbeit in kleinen Gruppen zu Studienbeginn, fakultätsseitige, wegweisende Studienpläne, Zwischenprüfungen, eine Begrenzung des Lehrstoffes und der obligatorischen Lehrveranstaltungen sowie der studienfremden Anforderungen vor64. Die Gemischte Kommission erarbeitete daraufhin Empfehlungen, die sie im Juni 1966 verabschiedete und den Kirchen sowie dem FT vorlegte. Der FT verabschiedete die Empfehlungen am 18. 1. 1967 und am 26. 4. 1967 ", so daß sie in der 1967 erschienenen Dokumentensammlung der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) als geschlossene Erklärung der Evangelisch-Theologischen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen publiziert werden konnten66. 59 60 61 62 63 64 65 66

RthA 1-14, 1967-1993. Vgl. 0. Kaiser, H.E. Tödt 1967. Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 9-27. Vgl. Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 22. Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 15. Vgl. Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 16ff. Vgl. O. Kaiser, H.E. Tödt 1967. Sie erschienen dann als "Empfehlungen des Fakultätentages an die Evangelisch-Theologischen Fakultäten und Kirchlichen Hochschulen zur Studienreform entsprechend den Beschlüssen des Fakultätentages und der Rektoren der Kirchlichen Hochschulen und Direktoren der Institute für Evangelische Theologie an den Universitäten der Bundesrepublik vom

72

Historischer Überblick

Diese Empfehlungen wichen nun in einigem von denen des Wissenschaftsrates ab. Wurde darin ein vierjähriges Studium empfohlen, so setzten die GK-Empfehlungen das Studium auf acht sprachfreie Semester fest. Schlug das Gutachten des Wissenschaftsrates eine Zwischenprüfung vor, so führte die GK das Kolloquium als obligatorische, aber nur beratende Bestandsaufnahme ein. Allerdings wurden auch Anregungen des WR aufgenommen: die Konzeption des Aufbaustudiums, Überlegungen zur Reform der Studieneingangsphase oder das Programm der Straffung und Konzentration des Studiums, das in den GK-Empfehlungen im Sinne einer Differenzierung des Studiums und der Lehrveranstaltungen verstanden wurde67. Zusätzlich wurde ein Zeitplan angesetzt, der den Fakultäten die Gleichzeitigkeit der Reformen und eine gemeinsame Verhandlungsbasis gegenüber den Kultusministerien ermöglichen sollte68. 3.4.3

Problemorientierung und empirische Arbeit

Zur gleichen Zeit begann die GK auch mit empirischen Untersuchungen zu Studienproblemen, arbeitete zum Problem der Hochschuldidaktik und betätigte sich als Koordinations- und Veröffentlichungsstelle für Studienreformbemühungen aus verschiedenen Interessenrichtungen. So führte der damalige Sekretär der GK, J.M. Lohse, statistische Untersuchungen durch69 und beschäftigte sich mit dem Sinn von Tutorien70, ein weiteres Mitglied der GK, G. Fuhrmann aus Hannover, legte einen Beitrag zur Reform der zweiten Ausbildungsphase vor71 und eine Untersuchung von K. Hungar wurde veröffentlicht, die auf Proseminardidaktik abhob72. Vor allem die statistischen und didaktischen Untersuchungen können als erste Ansätze zu einer Kontextualisierung des Studiums hinsichtlich einer empirischen Wahrnehmung und Modifikation der Rahmenbedingungen des Studiums angesehen werden, wenn auch die Mehrzahl der Anstrengungen zunächst allein unter dem vom Wissenschaftsrat vorgegebenen Effizienzkriterium stand.

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18. 01. 1967" einerseits in RthA l 1967: 16-21 mit Erläuterungen von O. Kaiser und H.E. Tödt (RthA l 1967: 23-28) sowie mit einer Ergänzung zu Tutorien in Westdeutsche Rektorenkonferenz 1967: 153-157. Die folgende Darstellung orientiert sich an der in RthA l 1967 veröffenüichten Version. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates wurden aber nicht nur in der GK, sondern auch in den Kirchen aufgenommen. So wird schon in RthA l 1967 von einem Kontaktstudium (auch das eine Idee des WR) badischer Pfarrer an der Universität Heidelberg berichtet (vgl. H.E. Tödt 1967a und H. Krebber, J.M. Lohse 1967). Vgl. Gemischte Kommission 1967. Vgl. J.M. Lohse 1967b und 1967c. Vgl. J.M. Lohse 1967a. G. Fuhrmann 1967. K. Hungar 1967.

Die Zeit von 1966-1970

73

Eine Sonderstellung nimmt dabei der in RthA l veröffentlichte Beitrag des Fachverbands Evangelische Theologie im VDS (FV), der Vertretung der Studierenden, ein. Hier wurde ein detaillierter Rahmenplan für das Erste theologische Examen geliefert73. Damit war der Fachverband der Diskussion der GK in gewisser Weise voraus, zumal hier auch die Effizienzorientierung des Wissenschaftsrates vom Interesse der Studierenden her transzendiert wurde. So forderte W. Herrmann unter Berufung auf die "demokratischen Grundregeln" - zunächst für das Examen - "Öffentlichkeit und Mitverantwortung "74. Ansätze und Interessen der GK zu dieser Zeit lassen sich exemplarisch an einem Positionspapier ihres damaligen Vorsitzenden H.E.Tödt darlegen75. Er bestimmte die bereits erwähnten Empfehlungen der GK als Grundlage der weiteren Arbeit, die der Prüfung und Neuordnung des Studiums gelten sollte. Dann suchte er den Stand der Diskussion durch das Referat der Positionen des Wissenschaftsrates, des VDS, der Universitäten und des Fachverbandes zu erheben, um dann eigene konkrete Problempunkte besonders hinsichtlich einer Arbeit am Examen zu nennen. Hier handelt es sich um die Einheitlichkeit der Prüfungskommission, das Verhältnis von Grund- und Spezialwissen, die nicht-klassischen Fächer und die Sprachenfrage. Im Hintergrund standen dabei das Interesse an der Effektivierung und Verkürzung des Studiums76, die Orientierung an normativen Konzepten des Wissenschaftsbereiches (Einheit von Forschung und Lehre, Lehr- und Lernfreiheit)77 und das Interesse an berufsrelevanten Kenntnissen (vor allem bezüglich des Pfarramts)78. Vor allem aber wird an diesem Papier deutlich, daß es in der GK neben der Veröffentlichung der Grundpositionen der verschiedenen Interessengruppen um konkrete Interessenvermittlung pragmatischer Art ging. Die Kontextreflexion Tödts, die hier als repräsentativ für die Gemischte Kommission zu dieser Zeit thematisiert wird, geschah vor allem unter dem Interesse am Studium als Qualifikationsprozeß und bezog sich auf den Zusammenhang des Studiums selbst, ließ also Bedingungsfaktoren des Studiums weitgehend außer acht. 3.4.4

Prüfungspolitik und Differenzierung

Dieser Stil prägte die Arbeit der GK in jener Zeit. Da im Mai 1968 die Jahreskonferenz der Ausbildungsreferenten der Landeskirchen in Berlin eine Vereinheitlichung der Prüfungsverfahren und die Beschleunigung der Vgl. Studienreformausschuß des Fachverbandes Evangelische Theologie im Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) 1967 sowie W. Herrmann 1967. W. Herrmann 1967. Vgl. H.E. Tödt 1967b. Vgl. H.E. Tödt 1967b: 120. Vgl. H.E. Tödt 1967b: 120f. Vgl. H.E. Tödt 1967b: 121f.

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Historischer Überblick

Prüfungsreform für wünschenswert erklärt und die GK um die Bearbeitung dieser Aufgabe gebeten hatte79, wurde schon in RthA 2, die im Herbst 1968 erschien, eine Beratungsunterlage für die Reform der mündlichen Prüfung80 und ein "Vorläufiger Rahmenplan des Ersten Theologischen Examens"81 vorgelegt. Dabei entsprach es der Politik der GK, kritische Stimmen aus verschiedenen Lagern ausführlich zu Wort kommen zu lassen. So finden sich in dem Heft Alternativvorschläge zur Kirchengeschichte, Praktischen Theologie und Philosophie sowie kritische studentische Voten82. Daneben wurde die Reformaktivität für das Theologiestudium der Religionsphilologlnnen83 und die Arbeit der ARK dokumentiert, in der es zu diesem Zeitpunkt um die Erarbeitung von Unterlagen für das Zweite Theologische Examen ging84. Eine Sonderstellung wegen seines grundsätzlichen Charakters nahm das von W. Herrmann verfaßte Papier des Fachverbands ein, das auf Tagungen des FV, des Studienreformseminars und beider Gremien gemeinsam zurückging und eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Reformprozeß anstrebte85. Herrmann versuchte, den politischen Ort der Studierenden im Studienreformprozeß zu bestimmen . Im Zentrum seiner Kritik stand das Wissenschaftsverständnis der Theologie, das er als zu wenig kritisch und gegenwartsbezogen empfand87. Er entwickelte ein konkretes Studienmodell88 An

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Vgl. H.E. Tödt 1968: 8. Vgl. Gemischte Kommission 1968a. Gemischte Kommission 1968b. Diese verschiedenen Voten sind zusammengefaßt unter der Überschrift "Stellungnahmen, Ergänzungen und Korrekturvorschläge zur Beratungsunterlage" (RthA 2 1968: 22-28). Die abgedruckten Voten enthalten dabei so unterschiedliche Beiträge wie einen "Alternatiworschlag für die Kirchengeschichte aus der Evangelisch-Theologischen Fakultät Mainz", einen "Alternativvorschlag für die Praktische Theologie von A. Niebergall und einem Kreis von Praktischen Theologen", einen "Alternatiworschlag für die Philosophie von W. Anz, G. Hornig und E. Wölfel", eine "Stellungnahme der Evangelisch-Theologischen Fachschaft Kiel" und eine "Stellungnahme der Evangelisch-Theologischen Fachschaft Mainz". Vgl. Studienreformkommission II (Religionsphilologen) 1968. In diesem Papier wird unter berufsdidaktischen Aspekten versucht, der besonderen Situation der zukünftigen Lehrerinnen gerecht zu werden, indem Sprachanforderungen reduziert, eine Zuspitzung des Stoffes auf Gegenwartsbezug versucht und interdisziplinäre Einfuhrungsseminare anvisiert werden. Vgl. Konferenz der Ausbildungsreferenten der EKD 1968; vgl. weiterhin E. Rosenboom 1968. Vgl. W. Herrmann 1968. Dies wird mittels der oben dargestellten Kategorien M. v. Brentanos (1967) versucht. Leitend war die Forderung eines empirisch-kritischen Verfahrens, die Herrmann am von Eichholz konstatierten Hiatus zwischen Dogmatik und Exegese, 'historisch-kritischen' und 'systematisch-normativen' Disziplinen illustrierte: "Solange aber die Dogmatik nur die historische Fragestellung als Korrektiv hat, wird sie tendenziell selber historisiert. Das gilt in jedem Fall für die gegenwärtige Dogmatik, die ihre empirische Basis nicht methodisch und also wissenschaftlich zum Gegenstand macht, sondern vielmehr nur in der Diskussion traditioneller Begriffe sowie in der Auseinandersetzung mit außertheologischen Wahrheitsansprüchen sich befindet. Dieser Dogmatik muß die empirisch-kritische Fragestellung selbst

Die Zeit von 1966-1970

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und nahm schließlich eine Kritik an den Entwürfen der GK vor. Kriterien jjq bildeten dabei ein Theologieverständnis mit ethischem Schwerpunkt sowie ein präskriptiver Wissenschaftsbegriff90. Unter dem Aspekt der Kontextualisierung sind besonders zwei Punkte hervorzuheben. Einerseits wurde in diesem Text versucht, eine eigene Ortsbestimmung im Reforaiprozeß vorzunehmen, andererseits kann das Einklagen einer kritischen Gegenwartsbezogenheit als Forderung der Konzeptualisierung des je gegenwärtigen sozialen Kontextes durch die theologische Wissenschaft beschrieben werden. Die Stellungnahme im ganzen steht unter dem Primat der präskriptiven, normativen Diskussion. Diese grundsätzliche Auseinandersetzung wurde dann vom Reformseminar bzw. seinem GK-Repräsentanten W. Herrmann in einem Beitrag "Alternative Studiengänge"91 weitergeführt, der auf eine Differenzierung der Studiengänge nach Motivation und Berufsziel abhob, wobei gleichzeitig das Berufsbild der Pfarrerin kritisiert und modifiziert werden sollte. Dabei verschärfte sich der Ton, insofern im Zuge der allgemeinen Studentenbewegung auch unter den Theologiestudierenden eine zunehmende Politisierung einsetzte, die sich organisatorisch in den 'Celler Konferenzen'92 niederschlug. In dieser Zeit wurden auch von der Professorenschaft erste Beiträge zu Problemen der grundsätzlichen Anlage des Studiums und der Studienreform eingebracht, die dem Mißstand abhelfen sollten, "daß die Beteiligung der Hochschullehrer an der prinzipiellen Diskussion gering war"93. So suchte D. erst vermittelt werden, analog zur historisch-kritischen. ... Sonst versinkt die Theologie in Doketismus neuer Auflage; bleibt sie eine Denkweise, die nur dem mühsam Eingeweihten noch besinnliche Freuden verschafft, sonst aber kommunikationslos auf ihrer der Logik und Erfahrung entfremdeten Wahrheit beharrt (...)" (W. Herrmann 1968: 57f). 88 Herrmann forderte die Reduktion des Examens auf eine wissenschaftliche Abschlußarbeit mit Diskussion und Studiennachweise, ein stärker auf Kooperation und Gruppenarbeit hin orientiertes Studium und eine demokratischere Fakultätsorganisation (vgl. W. Herrmann 1968: 62-66). * Vgl. W. Herrmann 1968: 61f. 90 Herrmann forderte (1968: 64): "Nicht mehr vom ständischen Ordinarienprinzip, sondern didaktisch vom Wissenschaftsbegriff her muß die Fakultätsorganisation entworfen werden. Zu verbinden sind wissenschaftliche Kommunikation, demokratische Organisation und technische Funktion." 91 W. Herrmann 1969. 92 Die Celler Konferenzen, initiiert vom Bochumer 'Kollektiv 17', beabsichtigten eine organisatorische und strategische Sammlung der kirchlichen Linken. Insgesamt fanden drei Konferenzen statt (29. 9.-3. 10. 1968, 17. 3.-20. 3. 1969 und 8.9. 1969). sie zerbrachen aber mit der dritten Konferenz, zeitgleich mit dem Auflösungsprozeß des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) (vgl. R. Lindner 1970; vgl. weiterhin H. Luther 1976: 338ff). Da sich das Studienreformseminar des Fachverbandes in die Celler Konferenzen hinein aufgelöst hatte, bedeutete deren Ende auch für eine gewisse Zeit das Ende der organisierten Anstrengungen der Studierenden. Die Informationen hierzu verdanke ich einem Gespräch mit W. Herrmann. 93 W. Huber, H.E. Tödt 1969a: 9.

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Historischer Überblick

Rößler die Bedeutung theoretischer Arbeit in diesem Reformprozeß unter Rückbezug auf die historische Entwicklung der Reform des Theologiestudiums zu bestimmen94. Der Ansatz schloß damit an die Praxis historischer Verortung an, die schon im Gutachten des StudienreformseminarsM zu beobachten war. Rössler rekurrierte mit der These, daß die derzeitige Diskussion vor allern reproduktiven Charakter trage , auf die Geschichte der Studienreform. Er beschrieb zwei Tendenzen: Während Vertreter der ersten Tendenz das Studienverhalten problematisierten und den institutionellen Bestand der Wissenschaft und Ausbildung auf sich beruhen ließen, leiteten Vertreter der zweiten Tendenz von ihrer Kritik kirchlicher Praxis eine Kritik der Studienorganisation und der institutionalisierten Theologie ab97. Die auf das Studienverhalten zielende Tendenz verortete Rössler bei P. Feme98 und E. Käsemann99, die auf die Studienorganisation zielende bei Drews100 und Wolf/Hahn101. Rößler räumte der institutionenkritischen Position wenig Wirkunschancen ein, da er davon ausging, daß jede Position, die gegen den vorliegenden institutionellen Bestand argumentiert, das konsensfähige Konzept eines neuen Theologieverständnisses, also einer Neugestaltung dieser Institution, vorlegen müsse. Ein solches Konzept hielt Rössler aber für unmöglich102. Eine weitere Schwierigkeit dieser Position beschrieb Rössler als Verkennung des Wissenschaftscharakters der Theologie. Denn angesichts des nicht-technischen Charakters auch der praktischen Theologie müsse es strittig sein, inwiefern unmittelbares Anwendungswissen, dessen Fehlen die Kritik kirchlicher Praxis nach Rössler bemängelt, überhaupt Gegenstand des theologischen Studiums sein könne103. Als spezifisches Chrakteristikum der damaligen Situation bestimmte er den Sachverhalt, daß nicht einzelne Punkte des Theologiestudiums strittig seien, sondern das Ganze problematisch geworden sei. Dem entspreche ein Pluralismus der Kritiken und Reformprogramme, der wiederum den bestehenden Pluralismus in Praxis und Studium abbilde. Daraus ergebe sich dann die Konsequenz, daß alle kompromißfähigen Vorschläge in die Debatte Qn

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