Theologiestudium und Gemeinde: Zum Praxisbezug der theologischen Ausbildung im Kontext der DDR 9783666623356, 3525623356, 9783525623350


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German Pages [200] Year 1994

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Theologiestudium und Gemeinde: Zum Praxisbezug der theologischen Ausbildung im Kontext der DDR
 9783666623356, 3525623356, 9783525623350

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V&R

Arbeiten zur Pastoraltheologie

Herausgegeben von Peter Cornehl und Friedrich Wintzer

Band 26

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Theologiestudium und Gemeinde Zum Praxisbezug der theologischen Ausbildung im Kontext der DDR

Von Franz-Heinrich Beyer

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme Beyer, Franz-Heinrich: Theologiestudium und Gemeinde : zum Praxisbezug der theologischen Ausbildung im Kontext der DDR / von Franz-Heinrich Beyer. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Arbeiten zur Pastoraltheologie ; Bd. 26) ISBN 3-525-62335-6 NE: GT

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort © 1994 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Text & Form, Hannover Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die Relation zwischen dem Universitätsstudium auf der einen Seite und der Berufspraxis und ihren Anforderungen auf der anderen Seite ist in jüngster Zeit wieder zu einem in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit diskutierten Thema geworden. Dabei geht es - neben zahlreichen anderen, u.a. auch ökonomischen Aspekten - stets um die Frage der „Relevanz". Inwieweit sind Anforderungen der Berufspraxis relevanten einen dahinfiihrenden Studiengang an der Universität? Aber ebenso wird in umgekehrter Richtung gefragt: Wie relevant sind die im Universitätsstudium erworbenen Fähigkeiten fur die Berufspraxis? An dieser allgemeinen hochschulpolitischen Gesprächslage haben stets auch die Fragen der theologischen Ausbildung Anteil gehabt und haben es weiterhin. Die Publikationen aus der Arbeit der Gemischten Kommission machen das sehr deutlich. Ähnliches ist auch für das Theologiestudium in der D D R festzustellen. Auch hier waren die Bemühungen um eine Reform des Theologiestudiums nicht von den allgemeinen Regelungen zur Veränderung des Hochschulstudiums abgekoppelt. Manche Momente einer stärkeren Praxiswahrnehmung wurden gerade durch solche Regelungen angestoßen. Das Gemeindepraktikum in seiner Organisationsform als Bestandteil des Theologiestudiums ist hier zu nennen. In der Diskussion zum Theologiestudium in der DDR wurde der Perspektive Gemeinde ein großes Gewicht beigemessen. Das Theologiestudium sollte auf die Praxis in der Gemeinde ausgerichtet sein. Theologiestudium und Gemeinde sollten in einer erkennbaren Relation stehen. Dabei konnte dem Gemeindepraktikum eine wichtige Funktion zukommen. Der häufigen, betonten Verwendung des Begriffs Gemeinde in der ersten Phase der Reformüberlegungen stand gegenüber eine völlig unzureichende Klärung seines Inhalts. Wurde damit die teilnehmende Gemeinde beschrieben? Oder wurde der Gemeindebegriff nur normativ verwendet? War mit der Verwendung des Begriffs Gemeinde auch der entsprechende gesellschaftliche Kontext im Blick? Es wurde kein ausreichend konkretes Bild von Gemeinde beschrieben, bzw. es konnte kein ausreichend allgemeinverbindliches Bild von Gemeinde vorgestellt werden, von dem her Kriterien für die Gestaltung eines Theologiestudiums zu gewinnen waren. Eine solche Wahrnehmung problematisiert noch einmal die Relation Theologiestudium und Gemeinde, damit zugleich auch das Verständnis und die mögliche Leistung des darin eingebundenen Gemeindepraktikums.

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Die vorliegende Arbeit ist aus solchen Erfahrungen und Fragestellungen heraus entstanden. Begonnen wurde sie lange vor 1989, abgeschlossen aber erst 1990. Von daher ist sie kontextuell geprägt. Erfahrungen und Beobachtungen im gesellschaftlichen Kontext der DDR bilden die Grundlage. Das Ernstnehmen der damit gegebenen Begrenzung bedeutet auch, bei der Wahrnehmung der Literatur diese Begrenzung bewußt zu überschreiten. Es sollten jedoch die Versuche und Ansätze, kirchliche Existenz und theologische Ausbildung in dem gegebenen Kontext zu reflektieren und zu gestalten, dokumentiert werden. Solche Erinnerungsarbeit scheint in dem Prozeß des Zusammenwachsens nicht überflüssig zu sein. Diese dokumentierende Absicht bringen sowohl die Texte in den Anlagen als auch die Hinweise auf zahlreiche kleine, im Bereich der DDR publizierte Beiträge zum Ausdruck. Am Anfang der Arbeit steht eine ausfuhrliche Darstellung des Theologiestudiums unter den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der DDR. Hierbei, wie auch bei der skizzenhaften Beschreibung der Diskussion zur Reform des Theologiestudiums in den alten Bundesländern, ist die Einbeziehung der Praxisdimension in das Studium die leitende Frageperspektive (I). Das trifft ebenso zu für den darauffolgenden historischen Abriß der Ausbildung von evangelischen Theologen (II). Im folgenden wird der Leitbegriff Gemeinde in seiner jeweiligen systematischen Prägung und in seinen Konsequenzen für die Ausbildung dargestellt. Dabei wird deutlich, daß angesichts eines Spektrums von inhaltlichen Füllungen des Gemeindebegriffs die pauschale Behauptung der Relation Theologiestudium und Gemeinde eine Verkürzung darstellt. Ein kurzer Einblick in die ökumenische Diskussion und in die bisherige Literatur zu einer Praxisorientierung komplettieren das Kapitel (III). Darauf folgt die Auswertung von Praktikumsberichten Rostocker Studenten (IV). Ist es möglich, aus den Berichten der Praktikanten/Praktikantinnen Mosaiksteine eines Bildes von Gemeinde zu erschließen? Dabei ist zu berücksichtigen, daß hier Gemeinde nie allein als Zielperspektive furTheologiestudenten/-studentinnen im Blick ist, sondern stets auch als erinnertes biographisches Moment. An der Problematik des Gemeindebegriffs in diesen Zusammenhängen wird eine Grundfrage des Theologiestudiums als Teil der Berufsbildung deutlich: Das unauflösliche Miteinander von reflektierter Theologie und von gelebter Theohgie muß in seiner existentiell gegebenen Vermengung und in seiner aufgegebenen (theoretischen) Unterscheidung Bestandteil des Theologiestudiums sein. Hierfür kann das Gemeindepraktikum Wichtiges beitragen, wenn es denn dazu verhilft, durch die Wahrnehmung anderer Menschen, ihrer sozialen und religiösen Praxis, sensibler zu werden für die eigene, persönliche Praxis — in Übereinstimmung, aber auch im Widerspruch, in Bestätigung, aber auch in Erfahrung eines Defizits. Von daher muß das Gemeindepraktikum Bestandteil des Theologiestudiums sein, und die Verantwortung dafür sollte bei den Theologischen Fakultäten bzw. bei den Kirchlichen Hochschulen liegen. Die Initiative einiger Landeskirchen zur Organisation von Gemeindepraktika war 6

ein weitsichtiger Beitrag dazu, den berufsqualifizierenden Charakter des Theologiestudiums ernst zu nehmen. Es wäre an der Zeit, daß die Theologischen Fakultäten und die Kirchlichen Hochschulen nunmehr hier ihr ureigenstes Handlungsfeld erkennen und entsprechend handeln. Industriepraktika, Sozialpraktika oder diakonische Praktika sind weiterhin wichtig und sollten angeboten werden. Sie vermögen aber das Praktikum in der Gemeinde mit seinen Möglichkeiten nicht zu ersetzen. Diese Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Gemeindepraktika näher aufzuzeigen, ist ein weiteres Anliegen dieser Arbeit. Sie kann damit auch verstanden werden als ein Plädoyer dafür, das Gemeindepraktikum als selbstverständlichen Bestandteil des Theologiestudiums an der Universität zuerst einmal wahrzunehmen, hochschuldidaktisch zu bedenken und organisatorisch zu ordnen. Die gegenwärtige Situation scheint solchen Vorstellungen nicht gerade förderlich zu sein. In der Diskussion um einen notwendigen Umbau des Universitätsstudiums insgesamt ist eine betonte Ausrichtung auf die wissenschaftliche Reputation der Theologie im akademischen Bereich zu beobachten. Eine stärkere Hinwendung zu einer Praxis-Forschung könnte als dafür eher hinderlich erscheinen. Unterstützt wird diese Beobachtung durch die erwogene Differenzierung der Studiengänge nach einem gemeinsamen Grundstudium in einen mehr praxisorientierten Studiengang (Fachhochschule) und einen mehr theorieorientierten (Universität). Es liegt der Schluß nahe, daß ein Gemeindepraktikum als für die Universität nicht bedeutsam angesehen wird. Gerade dadurch würden aber die Theologischen Fakultäten eines entscheidenden Elementes des von ihr organisierten Studiums beraubt, sofern es im Gemeindepraktikum eben nicht um antizipierte Berufspraxis, sondern um die Möglichkeit von Fremd- und Selbstwahrnehmung der Studierenden geht. Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1990 von der Theologischen Fakultät der Universität Rostock als Habilitationsschrift (damals: Dissertation B) angenommen. Für die Veröffentlichung wurden die Abschnitte 2 und 3 von Kapitel I ergänzt und aktualisiert. Die Fertigstellung der Arbeit und ihre jetzige Drucklegung wäre nicht denkbar ohne die vielfältige Unterstützung, die dem Verfasser zuteil wurde. Herrn Prof. Dr. Dr. E.-R. Kiesow, Rostock danke ich für das Interesse an meiner wissenschaftlichen Arbeit, das sowohl in einer konstanten Gesprächsbereitschaft als auch in arbeitsorganisatorischen Regelungen, die eine planmäßige Fertigstellung ermöglichten, für mich erfahrbar geworden ist. Den Herausgebern der „Arbeiten zur Pastoraltheologie" habe ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe zu danken. Herrn Prof. Dr. F. Wintzer, Bonn danke ich für Rat und Ermutigung bei der Drucklegung. Dem Verlag, insbesondere Herrn Dr. W. Schulz, habe ich für die umfassende verlegerische Betreuung zu danken. Kavelstorf b. Rostock, im Januar 1994

Franz-Heinrich Beyer

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Inhalt

Vorwort I.

Gemeinde als Praxisfeld im Rahmen der theologischen Ausbildung. Aspekte aktueller Konzeptioneller Entwürfe zum Theologiestudium

1. Der Praxisbezug der theologischen Ausbildung Grundpositionen der Diskussion im Kontext der DDR 1.1. Zur Organisation des Praxisbezugs im Theologiestudium 1.1.1. „Grundstudienrichtung Theologie" Universitätsstudium und kirchliches Praxisfeld 1.1.2. Theologiestudium in kirchlicher Verantwortung — Die Kirchliche Hochschule als Studienort 1.2. Konzeptionelle Überlegungen zur theologischen Ausbildung 1.2.1. „Berufsprofil Gemeindetheologe" - Die Ausbildungskonzeption des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (1975) 1.2.2. Orientierung an den ,Aufgaben des Pfarrers" Überlegungen und Vorschläge zur Gestaltung des Theologiestudiums der 3. Kommission für Ausbildung (1984) 1.3. Das Gemeindepraktikum im Theologiestudium - Erwartungen der Kirchen in der DDR 2. Der Praxisbezug der theologischen Ausbildung — Grundpositionen der Diskussion im Kontext der alten Bundesländer 2.1. Der „Gesamtplan" (1978) 2.2. Die „Grundsätze" (1988) 2.2.1. Positionen zum Theologiestudium in den „Grundsätzen" 2.2.2. Die Diskussion zu den „Grundsätzen" auf der Grundlage des „Diskussionsberichts" (1991) 3. Gibt es eine Relevanz der gesellschaftlichen und kirchlichen Situation für das Theologiestudium? — Aspekte des Praxisbezuges aus zeitgeschichtlichen Herausforderungen

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Exkurs: „Rahmenordnung für die Priesterbildung" (1978)

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II. Theologiestudium — Pfarrerbild— Gemeinde. Die Frage nach der Praxisorientierung in der Tradition des Theologiestudiums

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1. Theologische Ausbildung im späten Mittelalter 2. Die Identität von Theologie und Heilslehre

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2.1. 2.2. 3. Die 3.1. 3.2.

Theologische Ausbildung zur Zeit der Reformation Theologische Bildung zur Zeit der lutherischen Orthodoxie Unterscheidung von Theologie und Religion Bildung und Ausbildung in der Zeit des Pietismus Theologische Bildung als Voraussetzung der Amtsausführung die Zeit der Aufklärung

Exkurs: Die Gründung von praktisch-theologischen Seminaren an den Universitäten

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4. Theologische Ausbildung zwischen praktischer Abzweckung und theoretischem Studieren - Impulse Schleiermachers 4.1. Allgemeine Gedanken zum Studium an der Universität 4.2. Die Darstellung des Theologiestudiums 5. Die Dominanz der Ekklesiologie in der theologischen Arbeit und die Entdeckung des Wirklichkeitsdefizits in der Praktischen Theologie Das 19. Jahrhundert

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Exkurs: Die Gründung der „Theologischen Schule" in Bethel

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6. Die Verantwortung der Kirche des Wortes für die theologische Ausbildung - die Zeit der Bekennenden Kirche 7. Veränderungen im Theologiestudium durch nichttheologische Faktoren — Eine Zusammenfassung

III. Gemeinde - Ökumene — Praxisbezug. Gesichtspunkte der gegenwärtigen Diskussion zumTheologiestudium

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1. Der Leitbegriff „Gemeinde" 66 1.1. „Gemeinde" als Ziel — Die Notwendigkeit der empirischen Wahrnehmung des Menschen 67 1.1.1. „Ideale" und „empirische" Gemeinde bei Friedrich Niebergall .. 67 1.1.2. Frühe Bemühungen innerhalb der Theologie um empirische Wahrnehmung 71 1.1.3. Zur Wahrnehmung von „Lebenswelt" in der Praktischen Theologie im Kontext der alten Bundesländer 75 1.1.4. Zur Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit von Menschen in der DDR im Spiegel der theologischen Literatur 82 1.2. „Gemeinde" als Ereignis - Die Notwendigkeit der theologischen Identifizierung von Gemeinde 88 1.2.1. Zum Verständnis von Gemeinde bei B. Dörries 88 1.2.2. Aussagen zum Begriff,Gemeinde' in Karl Barths „Kirchlicher Dogmatik" 88 1.2.3. Zum Gemeindeverständnis in der Bekennenden Kirche 91 1.2.4. Missio Dei als Strukturprinzip 93 1.2.5. „Missionarischer Gemeindeaufbau" 98 1.2.6. Das konfirmierende Handeln der Gemeinde 102

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1.3. „Gemeinde" als sozialer Ort - Die Notwendigkeit der Perspektivenausweitung 1.3.1. Die Herausforderung: Trennung von Christen- und und Bürgergemeinden 1.3.2. Die „Seelsorge-Gemeinde" von Emil Sülze 1.3.3. Die Gemeinde als Teilsystem der Gesellschaft 1.3.4. Gemeinde mit anderen 1.3.5. Gemeinde als Lernort 1.4. „Gemeinde" und Theologiestudium — Eine Zwischenbilanz 2. Ökumenische Impulse zur Reform des Theologiestudiums 2.1. Stichworte des „Program for Theological Education" (PTE) des Ökumenischen Rates der Kirchen 2.1.1. Der globale Horizont 2.1.2. Kontextualisierung 2.1.3. Ganzheitlichkeit 2.1.4. Ökumenisches Lernen 2.1.5. Ausbildung zum Dienst des ganzen Volkes Gottes 2.2. Überlegungen und Ansätze zur Realisierung ökumenischer Impulse ... 3. „Motivation" oder „Frustration" - Z u r Bedeutung des Praxisbezuges im Theologiestudium 3.1. Theoretische Erörterungen 3.1.1. Praxisbezug als Dimension jedes Studiums 3.1.2. Der Praxisbezug aller theologischen Disziplinen 3.1.3. Aspekte des Praxisbezuges anhand der Einfuhrungsliteratur zum Theologiestudium 3.1.4. „Praxisbezug" als Problemhorizont aktueller Konzeptionen zum Theologiestudium 3.2. Der Studienprozeß als Praxisfeld 3.2.1. Zur Motivationslage am Studienbeginn 3.2.2. „Psycho-soziales Moratorium" 3.2.3. „Prozeß der Professionalisierung" 3.2.4. .Ausbildung von Kompetenz" 3.3. Praktika im Studienprozeß — Motive und Ergebnisse 3.3.1. Kompensation eines Realitätsverlustes 3.3.2. Praktikum als „psycho-soziales Moratorium" 3.3.3. Applikation 3.3.4. Einübung in das künftige Berufsfeld und Vergewisserung der Berufsmotivation 3.3.5. Erweiterung von Wirklichkeitserfahrung durch Beteiligung.... 3.3.6. Erweiterung von Wahrnehmung 3.3.7. Erkundung von und Partizipation an christlicher Praxis 3.3.8. Den Theoriebedarf der Praxis entdecken 4. Praxis-Relevanz im Theologiestudium - Eine Zusammenfassung

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IV. Kontextuelle Erfahrungen: Die Wahrnehmung von Aspekten christlicher Gemeindeexistenz in der DDR nach Praktikumsberichten Rostocker Theologiestudenten (1973-88) 151 1. Das Gemeindepraktikum als Bestandteil des Studiums 1.1. Die Organisation des Praktikums 1.2. Die inhaltliche Ausrichtung des Praktikums 1.3. Statistische Angaben zu den Praktika 2. Das Gemeindepraktikum im Spiegel der Mentorenberichte 3. Zum Ertrag des Gemeindepraktikums: Aussagen der Praktikumsberichte und theoretische Zielbestimmungen 4. „Wahrnehmungen in der Gemeinde" nach den Praktikumsberichten der Studentinnen 4.1. Zur Aufgabenstellung und Methode der Auswertung 4.2. „Erweiterung von Wirklichkeitserfahrung durch Beteiligung 4.3. „Erweiterung von Wahrnehmung" 4.4. „Erkundung von bzw. Partizipation an christlicher Praxis" 4.5. Ökumenische Erfahrungen im Gemeindepraktikum 4.6. Wahrnehmungen in bezug auf die Rolle des/der Pfarrerin 4.7. Pastoraltheologische Beobachtungen 5. „Gemeindepraktikum" - Temporäre Existenz von Studentinnen in einer Gemeinde V. Der Ort des Gemeindepraktikums im Zusammenhang der Diskussion zur Reform des Theologiestudiums 1. 2. 3. 4.

Die Permanenz der Reformdiskussion Das Gewicht der Tradition Auf dem Wege zu einer „ökumenischen Ekklesiologie" „Wahrnehmung von Lebenswirklichkeit" und „Identitätsgewinn" — Der unverzichtbare Beitrag des Gemeindepraktikums für das Theologiestudium

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Anlagen

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Literaturverzeichnis

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I. Gemeinde als Praxisfeld im Rahmen der theologischen Ausbildung. Aspekte aktueller konzeptioneller Entwürfe zum Theologiestudium

1. Der Praxisbezug der theologischen Ausbildung Grundpositionen der Diskussion im Kontext der DDR

1.1. Zur Organisation des Praxisbezugs im Theologiestudium 1.1.1. „Grundstudienrichtung Theologie" Universitätsstudium und kirchliches Praxisfeld Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und nach der Gründung der DDR im Jahr 1949 verblieben die Theologischen Fakultäten im Zusammenhang der sechs Universitäten auf dem Territorium der DDR: Rostock, Greifswald, Berlin, Leipzig, Halle-Wittenberg, Jena. Für ihre Lage war von entscheidender Bedeutung, wie von der SED als staatstragender Partei die Frage der Einbindung und der Eigenständigkeit der Theologischen Fakultäten aufgefaßt wurde. Die Auffassung dazu wird in einer Redepassage des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl vor dem 3. Parteitag der SED im Juni 1950 deutlich, in der er sich an die Barchen wendet: „Wir werden euch nach wie vor die Freiheit des Theologiestudiums belassen. Darüberhinaus lehnen wir es ab, von der Kirche als Institution irgendwelche Vorwürfe oder Vorschläge über die Gestaltung der Lehr- und Studienpläne entgegenzunehmen. Die Universitäten und Hochschulen sind staatliche Schulen, in der einzig und allein der Staat und die dazu berufenen Organe entscheiden, niemals aber die evangelische Kirche."1 Ohne im einzelnen auf die kirchenpolitische Linie der SED eingehen zu können, ist es unter dieser Prämisse ein interessantes Vorhaben, zu beobachten, wie und in welcher Form die Kirche bzw. die Gemeinde als Berufsfeld der Absolventen der Theologischen Fakultäten Berücksichtigung findet. Im Jahr

1 Zit. nach dem Auszug aus dem Referat in: Auf dem Wege zur gemeinsamen humanistischen Verantwortung, a.a.O., 212.

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1951 wurde durch das Staatsekretariat fur Hochschulwesen der „Studienplan Nr. 62 (Theologie)" bestätigt und mit Wirkung vom 1. September 1951 in Kraft gesetzt. Der Studienplan trägt den Vermerk: „Entworfen von der Studienplankommission für Theologie unter Vorsitz von Prof. Hertzsch, Friedrich-Schiller-Universität Jena. Beraten auf der Fachkonferenz am 30. Juni 1951. Bestätigt: Berlin, den 1. August 1951."2 Der Studienplan ist in fünf Abschnitte gegliedert, in die „Allgemeine Kennzeichnung des Studiums und Studienganges" (A), den „Lehrplan" (B), die „Zwischenprüfungen" (C), das „Staatsexamen" (D) und die „Schlußbestimmungen" (E): In keinem dieser Abschnitte wird das Berufsfeld o.ä. erwähnt. Im Abschnitt Α werden unter Punkt 1 die Studienzeit von 5 Jahren, unter Punkt 2 die sechs Theologischen Fakultäten als Studienorte, sowie unter Punkt 3. Erläuterungen zum Lehrplan (obligatorische, wahlobligatorische und fakultative Veranstaltungen) gegeben. Unter Punkt 4 heißt es lediglich: „Das Berufspraktikum wird besonders geregelt."3 Angaben zu einem Berufspraktikum im Theologiestudium finden sich im Anhang zu dem Gutachten der Theologischen Fakultät Halle-Wittenberg von 1953. Das Berufspraktikum sei „durch Verfugung des Staatssekretariats fur Hochschulwesen parallel zu der Ordnung in den anderen Fakultäten ... eingeführt worden"4. Als Ziel des Praktikums wird genannt: „Das Berufspraktikum verfolgt den Zweck, den Studierenden in Ergänzung der akademischen Ausbildung in Vorlesungen und Übungen wissenschaftlich zu fördern und in die Praxis des späteren Amtes einzuführen." Zur Durchführung wird mitgeteilt: Das Berufspraktikum ist im 1. Studienjahr ein Sprachenpraktikum, im 2. Studienjahr ein wissenschaftliches Praktikum. Unter Punkt 3 wird dann ausgeführt: „Das Praktikum des 3. und 4. Studienjahres findet an kirchlichen Einrichtungen statt, und zwar: im 3. Studienjahr an sozialen Einrichtungen der Kirche, im 4. Studienjahr in der Gemeindearbeit. Die Praktika dieser beiden Studienjahre haben die Aufgabe, die Studierenden m.'t den kirchlichen Einrichtungen sowie mit ihrer künftigen Tätigkeit vertraut zu machen." „Am Ende des Berufspraktikums gibt er (der Mentor — Vf.) über jeden Studierenden ein Gutachten ab, das über Eignung und Entwicklung des Betreffenden Auskunft gibt. Die Gutachten gehören zu den Prüfungsunterlagen." In der revidierten Fassung des Studienplans von 1961 heißt es zu dem jährlichen Berufspraktikum von sechs Wochen: 1. und 2. Studienjahr Vertiefung der Sprachkenntnisse, 3. und 4. Studienjahr wissenschaftliche Arbeit.5 Die Gründe, die zu der völligen Zurücknahme der Praktika aus dem Praxisfeld führten, sind nicht genau zu klären. Mit Sicherheit bestand an den 2 Studienplan (1951), 235. 3 Ebd., 236. 4 Gutachten Halle, a.a.O., 574ff. (Hier auch die weiteren Zitate). Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um die Ausführungen zu dem Punkt 4 des o.g. Studienplanes. 5 Vgl. Studienplan (1961), a.a.O., 2.

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Theologischen Fakultäten in den fünfziger Jahren kaum eine besondere Neigung zu solchen praxisrelevanten Einschüben. Ob daneben auch äußere Zwänge zu dieser Rücknahme führten, ist nicht mehr auszumachen. Der Praxisbezug des Studiums insgesamt wurde zu einem wesentlichen Thema der in den sechziger Jahren beginnenden Hochschulreform in der DDR. Danach hatte jede Hochschulausbildung auf breiter wissenschaftlicher Grundlage praxisbezogen zu erfolgen. Damit wurde auch dem Nachdenken über den Praxisbezug des Theologiestudiums neue Impulse gegeben. E . - R. Kiesow zeigte bereits 1967 in einem Beitrag entsprechende Konsequenzen auf. So fordert er u.a. die Wiedereinführung des Diakonie- und Gemeindepraktikums, das von der Fakultät organisiert und von jedem Studenten absolviert werden soll. 6 Eine Folge der 3. Hochschulreform war der erzwungene Ubergang der Theologischen Fakultäten in die Strukturen von Sektionen Theologie an den jeweiligen Universitäten. Im Zuge dieser Entwicklung mußte von jeder Sektion Theologie ein Ausbildungsdokument erarbeitet und durch den Minister für Hoch- und Fachschulwesen der DDR bestätigt werden. Bestandteil dieses Dokuments war ein ,Absolventenbild", in dem auch die kirchliche Berufspraxis in den Blick kommt, auf die hin ausgebildet wird. In der Rostocker Erarbeitung heißt es dazu: Ziel des Studiums ist die „Ausbildung von Theologen, die sich als Prediger, Erzieher, Seelsorger und Gemeindeleiter der evangelischen Kirche innerhalb der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu bewähren haben. Das Studium der Theologie vermittelt die wissenschaftliche Grundlage für die kirchliche Praxis in allen ihren Arbeitszwei«7 gen. Gemeinsam ist allen Ausbildungsdokumenten die Ausrichtung nicht allein auf die kirchliche Praxis, sondern ausdrücklich auch auf den Kontext, die sozialistische Gesellschaft. Besonders aufschlußreich hierfür ist das „Bild eines Absolventen der Sektion Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin" aus dem Jahr 1970: Die Zielsetzung der Ausbildung ist es, „Pfarrer einer evangelischen Gemeinde in der sozialistischen Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik zu werden" 8 . Dem sind die Ziele zugeordnet, „die sowohl in gesellschaftlich-politischer als auch in theologisch-fachlicher Erziehung und Ausbildung angestrebt werden". So folgen zunächst Zielbeschreibungen einer ideologischen Sozialisation, die insgesamt 46 Zeilen umfassen. In 28 Zeilen werden die Ziele der Ausbildung in den verschiedenen theologischen Disziplinen vorgestellt. Weitere 12 Zeilen beschreiben die Notwendigkeit wissenschaftlicher und kritischer Arbeitsmethoden, bevor abschließend die angestrebten moralischen Qualifikationen - „als wissenschaftlich gebildeter, moralisch gefestigter, gesellschaftlich verantwortungsbewußter Charakter" - aufgeführt wer6 Vgl. Kiesow (1967), a.a.O., 427. 8 Bild eines Absolventen, a.a.O., 609f.

7 Ausbildungsdokument, a.a.O., 1.

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den (25 Zeilen). Bestandteil des Ausbildungsdokuments war ferner ein Ausbildungsplan, der Angaben zu allen Lehrveranstaltungen, auch zu den Praktika enthält. In der Rostocker Erarbeitung heißt es zu den Praktika: „Wahlweise kann das Praktikum im 3. oder 4. Studienjahr auch als Gemeinde- oder Diakoniepraktikum abgeleistet werden. ... Für die Studenten des 4. Studienjahres findet außerdem jeweils ... ein vier- bis sechswöchiges Gemeinde- und Diakoniepraktikum unter Leitung des Fachvertreters fur Praktische Theologie statt, das obligatorisch ist und der Vorbereitung des praktisch-theologischen Studiums dient." 9 Im Jahr 1975 wurde ein „Studienplan fur die Grundstudienrichtung Theologie" als verbindlicher Studienplan fur die Ausbildung an den Universitäten der D D R bestätigt und durch den Ministerrat veröffentlicht. Auch in diesem Dokument steht die gesellschaftlich-politische Erziehung an erster Stelle. Im Blick auf die fachliche Ausbildung heißt es, sie „solle den Studenten eine solide theoretische Grundlage und hinreichende praktische Fähigkeiten fur ihre berufliche Tätigkeit als Pfarrer vermitteln"10. Letzteres wird durch die Ausführungen zur Disziplin Praktische Theologie unterstrichen, wo es heißt: „Besonders wichtig ist in diesem Fach die Hinfuhrung auf die spätere praktische Tätigkeit und ihre konkreten Bedingungen in der D D R . Dieser Aufgabe dient auch das Gemeinde- und Diakoniepraktikum, das als Ausbildung in der Praxis unter Leitung des Lehrstuhls fur Praktische Theologie durchzufuhren ist. Dem Praktikum geht eine intensive theoretische Vorbereitung voraus." 11 In den Ausführungen zum Stichwort Praktikum wird der obligatorische Charakter dieser Veranstaltung deutlich: „Ein Gemeinde- und Diakoniepraktikum mit entsprechender theoretischer Vorbereitung unter Leitung des Lehrstuhlinhabers für Praktische Theologie dient der Vorbereitung auf die kirchliche Praxis und wird nach dem 3. Studienjahr durchgeführt. E.-R. Kiesow hat 1975 vor der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der D D R im Auftrag der Direktoren der Sektionen Theologie eine Einführung in Inhalt und Anliegen des Studienplanes gegeben. Dabei stellt er die Notwendigkeit heraus, daß sowohl „der Student bereits während seines Studiums ein Verhältnis zur kirchlichen Praxis und ihren Aufgaben" gewinnt, als auch ein „eindeutiges Bild der realen sozialistischen Gesellschaft vorhanden sein (muß), von der die Menschen geprägt werden".13 Der grundsätzlichen Orientierung auf die praktischen Aufgaben des Pfarrerberufs dient nach Kiesow ausdrücklich auch das Gemeinde- und Diakoniepraktikum im Theologiestudium. 9 Ausbildungsdokument, a.a.O., 15. 10 Studienplan (1975), a.a.O., 1. 11 Ebd., 4. 12 Ebd., 6. - In der Stundentafel ist die Praktikumsdauer mit sechs Wochen ausgewiesen. 13 Kiesow (1975), a.a.O., 323 u. 324.

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So ist das Gemeinde- bzw. Diakoniepraktikum seit 1975 obligatorischer Bestandteil des Theologiestudiums in der DDR. Gesetzliche Grundlage für die Organisation ist die „Praktikumsordnung" aus dem Jahr 1975. Hier heißt es zu den allgemeinen Zielen von Praktika: „Sie machen die Studenten mit den praktischen Anforderungen ihres künftigen Einsatzbereiches vertraut und dienen dem Erwerb von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten."14 Im Jahr 1988 hat die beim Minister für Hoch- und Fachschulwesen der DDR berufene „Kommission für Theologie" eine „Entwicklungskonzeption der Sektionen Theologie" vorgelegt, zu der auch eine ausführliche „Zielstellung der Ausbildung und Erziehung an den Sektionen Theologie" gehört. In der Entwicklungskonzeption wird eine positive Bilanz der Praktika gezogen: „Die Kooperation mit kirchlichen Praxispartnern hat einen beachtenswerten Aufschwung genommen. Die Grundlage für diese Entwicklung bot das im Studienplan aufgenommene Praktikum, das in der Verantwortung und unter der Leitung des Wissenschaftsbereichs Praktische Theologie der Sektionen steht."15 Der positiven Einschätzung steht die Feststellung im Rahmen von Ausführungen zur Disziplin Praktische Theologie gegenüber: „Eine Klärung der Gestaltung des Diakonie- und Gemeindepraktikums ist erforderlich." 16 Das hierin zum Ausdruck kommende Problembewußtsein wird auch daran deutlich, daß im gleichen Zusammenhang auf die Bedeutung der seelsorgerlichen Betreuung der Theologiestudenten hingewiesen wird. Der Bezug der theologischen Ausbildung auf die kirchliche Praxis wird in der „Zielstellung" mit ihren ausgewogenen Formulierungen ebenfalls sehr deutlich: „Der Absolvent ist durch Lehrveranstaltungen und Praktika in die Formen des kirchlichen Lebens eingeführt und zur Wahrnehmung der Aufgaben des Pfarrerberufs auf den verschiedenen kirchlichen Handlungsfeldern vorbereitet."17 In diesen Ausführungen werden die Fragen nach der Gestaltung der Praktika nicht berührt.

1.1.2. Theologiestudium in kirchlicher Verantwortung Die Kirchliche Hochschule als Studienort Neben den sechs Theologischen Fakultäten gab es im Bereich der DDR die Möglichkeit zum Theologiestudium an einer der drei Kirchlichen Hochschulen: Die Kirchliche Hochschule Leipzig (ehemals Missionsseminar, dann: Theologisches Seminar); die Kirchliche Hochschule Berlin (ehemals Sprachenkonvikt); die Kirchliche Hochschule Naumburg (ehemals Katechetisches 14 Anordnung, a.a.O., 669, 2 (1). 15 Entwicklungskonzeption, a.a.O., 4. 17 Ebd., Anlage. - Vgl. dazu Kern, a.a.O.

16 Ebd., 9.

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Oberseminar). Die Notwendigkeit, Hochschulen in kirchlicher Verantwortung zu gründen, ergab sich aus der Tatsache, daß immer weniger Kinder aus christlichem Elternhaus zu den Erweiterten Oberschulen zugelassen wurden. Sie konnten demzufolge nicht die Hochschulreife erlangen. An den Kirchlichen Hochschulen war darum ein „Vorkurs" eingerichtet, durch den abituradäquate Bildungsvoraussetzungen angeeignet werden konnten. Weiterhin boten die Kirchlichen Hochschulen solchen Bewerbern die Möglichkeit des Theologiestudiums, die aus politischen Gründen keine Zulassung zu einer Universität erhielten. Darüber hinaus entschieden sich zahlreiche Bewerber aus freien Stücken fur den Studienort „Kirchliche Hochschule". In den Jahren nach 1969 kam den Kirchlichen Hochschulen zusätzliche Bedeutung zu: Alle Studierenden an den Universitäten mußten sich bei der Immatrikulation schriftlich verpflichten, im Verlauf des zweiten Studienjahres an einer mehrwöchigen militärischen Qualifizierung (männliche Studierende) bzw. an einer Ausbildung in Zivilverteidigung teilzunehmen. Für zahlreiche Theologiestudenten, die den Wehrdienst mit der Waffe verweigert hatten, war das unannehmbar. Ihnen blieb die Möglichkeit des Theologiestudiums an einer Kirchlichen Hochschule. Das Studium an den Kirchlichen Hochschulen war dem Theologiestudium an den Universitäten völlig vergleichbar. Als Vorzug wurde die Bewahrung der akademischen Freiheit gegenüber der zunehmenden Verschulung des Universitätsstudiums gesehen. Der Abschluß des Theologiestudiums an einer Kirchlichen Hochschule wurde von den Kirchen problemlos anerkannt, erlangte jedoch bis 1989 keine staatliche Anerkennung; hier fehlte das an den Universitäten obligatorische Grundlagenstudium „Marxismus-Leninismus". Bis 1989 durfte für diese Bildungseinrichtungen die Bezeichnung „Hochschule" nicht verwendet werden, denn in der D D R beanspruchte der Staat die alleinige Zuständigkeit für das gesamte Hochschulwesen. Die Lehrenden mußten - zur Unterscheidung vom Bereich des staatlichen Hochschulwesens - den Titel „Dozent des kirchlichen Lehramtes" fuhren. Bis 1990 hatten die Kirchlichen Hochschulen kein Promotionsrecht. Die Kirchlichen Hochschulen hatten in der D D R ihre unvertretbare Daseinsberechtigung. Ob sich darüber hinaus in den Studiengängen dieser Hochschulen eine qualitativ zu bezeichnende Alternative zu den Studiengängen an den Theologischen Fakultäten ergeben haben, vermag der Verfasser zu diesem Zeitpunkt nicht zu beurteilen.18 Die inzwischen in Leipzig und in Berlin erfolgreich vollzogenen Fusionen der jeweiligen Kirchlichen Hochschule mit der jeweiligen Theologischen Fakultät lassen hier eher zurückhaltend urteilen. Unterschiede sind jedoch bei der Realisierung des Praxisbezuges im Studium festzuhalten. So wurde an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig in den achtziger Jahren die Möglichkeit geschaffen, daß die Studierenden zwischen 18 Vgl. dazu den Band: Vier Jahrzehnte kirchlich-theologische Ausbildung in Leipzig, Leipzig 1992. - Der Band lag dem Vf. noch nicht vor.

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dem 7. und dem 8.Semester ein Praktikum über 12 Wochen in einer Gemeinde absolvieren konnten. Als Ziel des Praktikums wurde die „Konfrontation mit heutiger kirchlicher Wirklichkeit" gesehen.19 Mit der Entscheidung, keine der Kirchlichen Hochschulen in den neuen Bundesländern fortbestehen zu lassen, wurde die Frage nach der Installierung eines alternativen Studienganges für Theologen zunächst negativ beantwortet. Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß an den zwei Predigerschulen in Berlin (Paulinum) und in Erfurt für Gemeindeglieder mit abgeschlossener Berufsausbildung eine Zurüstung zur Wahrnehmung aller pastoralen Bereiche möglich war. Bestandteil der vierjährigen Ausbildung war hier ein halbjähriges Praktikum.

1.2. Konzeptionelle Überlegungen zur theologischen Ausbildung 1.2.1. „Berufsprofil Gemeindetheologe" - Die Ausbildungskonzeption des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (1975) Seit der Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR war die Frage der Ausbildung der Theologen stets ein wichtiges Thema. Wenn auf der 1. Tagung der I. Synode des Bundes neben der Gründung der Kommission für Ökumene nur noch die Gründung der Kommission fxir Ausbildung beschlossen wurde, so macht das deutlich, wo zuerst die Notwendigkeit und die Möglichkeit gesehen wurde, sowohl den gesellschaftspolitischen Kontext als auch die erfahrene Situation der Kirche mit den sich ergebenden Herausforderungen an das Verständnis von Gemeinde und Gemeindearbeit handlungsorientiert umsetzen zu können. Die Konferenz der Kirchenleitungen erteilte 1970 der Ausbildungskommission den Auftrag, eine Gesamtkonzeption der kirchlichen Ausbildung im Blick auf die „Gemeinde von morgen" zu entwickeln und die entsprechenden Berufsprofile zu entwerfen. 1973 hat die Synode diesen Auftrag noch einmal unterstrichen und die Ausbildungskommission und die inzwischen gegründete Kommission für Zeugnis und Gestalt der Gemeinde beauftragt, der Synodaltagung 1975 eine entsprechende Konzeption zu unterbreiten. Auf der 3. Tagung der II. Synode des Bundes 1975 in Eisenach wurde das von beiden Kommissionen erstellte .Arbeitspapier über die Konzeption für die Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter im Gemeindedienst" 20 eingebracht, ergänzt durch zwei erläuternde Referate.21 19 Eine Auswertung dieser ausfuhrlichen Praktika sowie der Versuche, Praktikumserfahrungen in die Studienorganisation zu integrieren, verdienen eine eigene Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. 20 Arbeitspapier, a.a.O. 21 W . Krusche (1975), a.a.O. sowie F. Ihmels, Die Situation seminaristisch ausgebildeter Mitarbeiter und das neue Ausbildungskonzept, in: ChrL 29/1976, 17ff.

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Die Dringlichkeit der Erarbeitung einer Ausbildungskonzeption wird in dem Arbeitspapier gesehen: 1. in der allgemeinen kirchlichen Situation in der D D R ; 2. in der Situation der kirchlichen Mitarbeiter; 3. in der Situation der Ausbildungsstätten. Als gültige Bestimmung wird formuliert: „Die bleibende Grundaufgabe christlicher Gemeinde ist es, die Liebe Gottes allen Menschen in Wort und Tat zu bezeugen, damit sie im Glauben an Jesus Christus zu neuem Leben finden."22 In dieser Formulierung und ebenso in dem Einfuhrungsreferat von W. Krusche ist erkennbar, wie prägend die Konzeption der „missionarischen Gemeinde" für diesen Entwurf war.23 So wird noch einmal besonders deutlich, warum die o.g. Situationen die Dringlichkeit der Arbeit ausmachen: Es sind Erfahrungen der Gemeindearbeit, die den Ausgangspunkt zu den Überlegungen darstellten.24 Insofern kommt der situativen Ortsbestimmung - der Dienst der Gemeinde gilt Menschen, die nicht allein in der sozialistischen Gesellschaftsordnung der D D R leben, sondern auch von den damit gegebenen Determinanten geprägt sind — eine besondere Bedeutung zu. Allerdings kommt der Aspekt der „Erkundung" dieser Situation in der Ausbildungskonzeption zu wenig zum Tragen. Stärker im Vordergrund stehen die Voraussetzungen, unter denen kirchliche Arbeit geschieht: kleiner werdende Zahlen in den Gemeinden, zurückgehende gesellschaftliche Anerkennung kirchlicher Berufe und die damit gegebene Gefahr der Isolierung, geringere Finanzmittel. Mit Recht steht in einer Konzeption für die Ausbildung die Situation der kirchlichen Mitarbeiter im Vordergrund. Neben der Verunsicherung durch die veränderte Situation der Arbeit und den Auswirkungen einer auf die pastoralen Funktionen ausgerichteten Praxis für das Selbstgefühl anders ausgebildeter Mitarbeiter wird auf mangelndes Zusammenwirken der Mitarbeiter sowie auf die häufig erfahrene und beklagte Inkongruenz von Ausbildung und praktischer Tätigkeit hingewiesen.25 Im Blick auf die Ausbildungsstätten werden fehlende Kooperation untereinander, mangelnde Reflexion der Praxis, fur die ausgebildet wird, sowie landeskirchliches Eigeninteresse konstatiert.26

22 Arbeitspapier, a.a.O., 188ff. 23 Vgl. dazu die Feststellung ebd.: „Jeder Christ ist in ein intensives Gespräch mit seiner Umwelt hineingeführt und wird dadurch zum Zeugen und zum Missionar." 24 Vgl. Schicketanz (1981), a.a.O., 151. 25 Vgl. z.B. die Feststellung von W. Krusche: „Das Ausbildungsziel fiir die Theologen und das Berufsbild des Pfarrers sind doch schon längst nicht mehr deckungsgleich." - Ders., (1975), a.a.O., 136. 26 Vgl. Schicketanz (1981), a.a.O., 155, der auf die fehlenden hoch- und fächschuldidaktischen Überlegungen hinweist.

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Jürgen Henkys hat die Ziele der Ausbildungskonzeption zusammengefaßt: Die Konzeption „will in der Situation fortschreitender Minorisierung - der Kirche eine Mehrzahl von Verkündigungsberufen erhalten (Gemeindetheologe, Gemeindepädagoge, Gemeindefursorger, Gemeindemusiker); - j e d e n Berufsträger der vier Richtungen dazu befähigen, in doppelter Funktion Dienst zu tun: am Ort als kirchliche Bezugsperson (pastorale Grundverantwortlichkeiten), in der Region als spezialisierte Fachkraft (fiir Theologie, für Pädagogik, Diakonie oder Musik, ggf. auch andere musische Bereiche); - alle Berufsträger auf die Gemeinschaft der unterschiedlichen Gaben und Dienste, auf die wechselseitige Beratung und auf die Herausbildung ehrenamtlicher Mitarbeiter orientieren; - die Ansprüche, Ziele und Zeiten der Ausbildung so ordnen, daß alle Ausgebildeten, seien sie nun Absolventen eines akademischen oder eines seminaristischen Ausbildungszweiges, einen befriedigenden und miteinander vergleichbaren Status erlangen."27 Die Tätigkeitsfelder der durch die Verkündigungsaufgabe bestimmten Berufsausprägungen des Gemeindetheologen und des Gemeindepädagogen liegen nahe beieinander. Bei der Bestimmung der Schwerpunkte fiir den Gemeindetheologen werden im wesentlichen traditionelle Inhalte aufgeführt: Exegese, Systematische Theologie, Kirchengeschichte, aber auch Konfessionskunde und Weltanschauungsfragen. Neu dagegen ist die funktionale Ausrichtung dieser Wissensaneignung: „damit er (der Gemeindetheologe - Vf.) seine Sachkenntnis denen weitergeben kann, die bei Gemeindeseminaren und bei Gesprächskreisen darauf angewiesen sind".28 Für die Ausbildung gilt es nun, entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Mit großer Selbstverständlichkeit wird von der akademischen Ausbildung und ihrem Proprium gesprochen: Sie vermittelt die Handhabung der wissenschaftlichen Methoden der Theologie; sie fördert die eigene Urteilsfähigkeit; sie leitet dazu an, den überlieferten christlichen Glauben in die heutige Gemeindesituation hinein zu entfalten.29 Für die Gestaltung des Theologiestudiums sind daher Wissenschaftlichkeit, interdisziplinäre Arbeit und gemeinsames Arbeiten, Bezug auf die kirchliche Praxis sowie die Verarbeitung von Praxiserfahrungen von Bedeutung. Ebenso wird eine Erweiterung der Praktischen Theologie durch die Arbeit mit Gruppen, Gesprächsfuhrung und Beratung vorgeschlagen.30 Generell wird eine stärkere Berücksichtigung der Persönlichkeitsentwicklung gefordert, verbunden mit einer Einfuhrung in das geistliche Leben.31

27 Henkys (1987), a.a.O., 65. 29 Vgl. ebd., 210. 31 Vgl. ebd., 210.

28 Arbeitspapier, a.a.O., 205. 30 Vgl. ebd., 213.

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1.2.2. Orientierung an den „Aufgaben des Pfarrers" - Überlegungen und Vorschläge zur Gestaltung des Theologiestudiums der 3. Kommission für Ausbildung (1984) Auf der 5. Tagung der II. Synode des Bundes 1977 in Görlitz wurde die Ausbildungskommission beauftragt, die geplanten Berufsbilder - insbesondere des Gemeindepädagogen und des Gemeindetheologen — deutlicher herauszuarbeiten.32 Auf der 4. Tagung der IV Synode des Bundes 1984 in Greifswald wurde durch die Kommission für Ausbildung ein Bericht vorgelegt: „Überlegungen und Vorschläge zur Gestaltung des Theologiestudiums" 33 . Hierin begegnet nun ausdrücklich der Terminus „Theologiestudium". Ferner wird differenziert, indem „für die künftige Berufsaufgabe des Theologiestudenten neben dem Ausdruck .Gemeindetheologe', der stärker auf die besonders heute notwendige Aufgabenstellung dieses Mitarbeiters in der Gemeinde gerichtet ist, auch der Ausdruck ,Pfarrer' benutzt wird, der die verantwortliche Wahrnehmung der spezifischen Aufgaben in einem bestimmten lokalen Bereich betont und auf die Wahrung einer gewichtigen Tradition bedacht ist". 34 Deutlich wird auch gesehen, daß die in der Ausbildungskonzeption entwickelte „Gemeinschaft der Dienste" vermittelt werden muß mit dem durch die Tradition sehr stabil gewordenen Pfarramt. Herausgefordert seien die Überlegungen zum Theologiestudium v.a. durch zwei Beobachtungen: - Die veränderte Gemeindesituation verlangt von dem künftigen Pfarrer z.T. andere Kenntnisse und Fertigkeiten als sie im traditionellen akademischen Studium erworben werden; - ein wachsender Widerspruch zwischen der akademischen Form des Theologiestudiums und den Voraussetzungen, die heutige Studenten mitbringen, wird konstatiert (135). Zunächst wird das Tätigkeitsfeld des Pfarrers als Gemeindetheologe skizziert. Dabei wird zu seiner Kompetenz ausgeführt: „Im geistlichen Leben der Gemeinde und innerhalb der Gemeinschaft der Dienste kommt dem Pfarrer eine besondere Verantwortung als Fachmann für die Auslegung der Bibel, für die Kenntnis der Tradition und Geschichte der Kirche, für die gedankliche Ausformung der Aussagen vom Glauben und Leben der Gemeinde und ihrer Glieder zu" (133). - In der Verteilung der Aufgaben wird der Pfarrer vorrangig zuständig sein 32 Vgl. MB11977, Nr. 3/4, 29f. (Pkt. 3). 33 Überlegungen, a.a.O., 9Iff. - Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf die angegebene Quelle. 34 Überlegungen, a.a.O., 129 - Siehe auch Schicketanz, der die Bezeichnung „Gemeindetheologe" als unsachgemäß ablehnt und durch „Gemeindepfarrer" ersetzen möchte. Auch der Gemeindepädagoge müsse theologische Urteilsfähigkeit erlernen und zugestanden bekommen. - Vgl. ders. (1981), a.a.O., 171.

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für: Predigtdienst, Ordnung des Gottesdienstes, Sakramente und Amtshandlungen, Seelsorge. - Bei der Zurüstung von Gemeindegliedern bringt er seine Kenntnisse der Bereiche ein, für die er Fachmann ist: biblische Uberlieferung und ihr Verständnis, Zuordnung von Verkündigung und zeitbestimmenden Erkenntnissen in Philosophie, Weltanschauungen und Humanwissenschaften, Gesichtspunkte des kirchlichen Handelns in Vergangenheit und Gegenwart (z.B. Kirchengeschichte, Kirchenrecht, Kirchenpolitik) (133). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, „daß die Ausbildung von Gemeindetheologen drei Dimensionen hat: die wissenschaftliche Arbeit, die Vorbereitung auf den Beruf, die Förderung der persönlichen und geistlichen Entwicklung" (134). Als anzustrebende Befähigungen werden genannt: - theologische Sachkompetenz; - wissenschaftliche Urteilsfähigkeit; - Vermittlungskompetenz - Einbeziehen der Gemeindewirklichkeit in die wissenschaftliche Reflexion; - bestimmte Kenntnisse in den Bereichen Pädagogik, Fürsorge, Gemeinschaftsbildung und Kirchenmusik (137). Diesen angestrebten Befähigungen sollen die Ausbildungsinhalte und -methoden entsprechen durch: - Veränderung der Methoden der Stoffvermittlung in den fünf theologischen Hauptdisziplinen; - das Verstehen der alten Sprachen; - aktiven Umgang mit philosophischen Begriffen und Fragestellungen; - Einbeziehung der Humanwissenschaften in das Theologiestudium; - Berücksichtigung einer umfassenden theologischen Hermeneutik im gesamten Studium; - Beschäftigung mit humanwissenschaftlichen Grundkenntnissen; - Strukturänderung des Studiums (138f.). Zu einer Strukturänderung des Studiums wird eine Differenzierung in eine Grund- und eine Aufbaustufe vorgeschlagen, wobei die Grundstufe gemeinsam für die akademische wie für die seminaristische Ausbildung gelten soll. Die Aufbaustufe teilt sich dann in eine vorrangig an der Praxis orientierte (vier Semester) und eine vorrangig wissenschaftlich orientierte (sechs Semester). Die vorrangig praktisch orientierte Aufbaustufe hat das Ziel „die allgemeine theologische Bildung zu erweitern und zusammenzufassen. Es werden Kenntnisse vermittelt mit dem Ziel, daß die Studierenden die Ergebnisse der wissenschaftlich-theologischen Forschung verantwortlich und produktiv in die Praxis umsetzen können" (148). Dabei „soll insbesondere die Fähigkeit, praktische Aufgaben zu übernehmen, durch das Halten von Andachten und Predigten, das Führen von Seelsorgegesprächen und die Durchführung von Kinder-, Jugend- und Gemeindeveranstaltungen sowie von Rüstzeiten für Jugendliche und Erwachsene geübt werden" (148). 23

Die vorrangig wissenschaftlich orientierte Aufbaustufe hat das Ziel, „die allgemeine theologische Bildung unter Einbeziehung von nichttheologischen Fächern zu erweitern und wissenschaftlich zu vertiefen. Es werden Kenntnisse in allen 5 Hauptdisziplinen vermittelt mit dem Ziel, die Methoden der wissenschaftlich-theologischen Forschung durch eigene Arbeit zu erproben und selbständig verantwortlich wissenschaftlich weiterarbeiten zu können. Deshalb soll insbesondere die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit durch die Konzentration auf ein Schwerpunktgebiet... geübt werden. Entsprechend dem jeweils gewählten Schwerpunktgebiet sind spezielle Kenntnisse in nichttheologischen Fächern ... zu erwerben" (149). Ferner gilt: „Die Fähigkeit, pastorale Aufgaben zu übernehmen, soll durch Übungen zur Predigtarbeit, zur Seelsorge, sowie durch mindestens eine gemeindepädagogische Übung gefördert werden" (1490„Es geht insgesamt um einen verstärkten Praxisbezug des Theologiestudiums" (104). Mit dieser Feststellung wird die entscheidende Intention der „Überlegungen" noch einmal deutlich herausgestellt. Praxisbezug des Theologiestudiums bedeutet hiernach: - Raum für die existentielle Praxiserfahrung des einzelnen; - die Gemeinschaft der Dienste in der Gemeinde ebenso wie die Eigenart des Pfarrdienstes ernst zu nehmen und darum die Ausbildung dazu in engerem Kontakt mit der Gemeinde zu vollziehen; — Praktika als exemplarische Begegnung mit dem Berufsfeld und erste Erprobung eigener Praxis durchzuführen und mit der übrigen Ausbildung zu verbinden; — eine angemessene Beziehung zwischen dem Theologiestudium einerseits und dem ökumenischen, sozialen, politischen und kulturellen Kontext andererseits herzustellen (140).

1.3. Das Gemeindepraktikum im Theologiestudium — Erwartungen der Kirchen in der DDR Eine kirchengesetzliche Regelung der Praktika gibt es bisher nur in den Kirchen der EKU. Das „Kirchengesetz über die Ausbildung der Pfarrer und Pastorinnen in der EKU" vom 2.12.1965, § 3,2 sowie die Ausfuhrungsbestimmungen zu diesem Gesetz vom 3.10.1967, Abschnitt III verlangen die Ableistung eines sechswöchigen Diakoniepraktikums vor der Aufnahme in den Vorbereitungsdienst. So werden von den Kirchen der EKU im Zusammenwirken mit den Ausbildungsstätten regelmäßig diakonische Praktika organisiert. 35 35 Zu Organisation, Zielstellung und Ergebnissen der diakonischen Praktika vgl. u.a.: G. Thetmann und G. Ulbricht, Das diakonische Praktikum - Berichte von Theologiestudenten. in: fröhlich helfen 1969, 44ff.; G. Krusche: Diakonisches Praktikum fur Theolo-

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Nach der „Verordnung zur Änderung der Ausfuhrungsbestimmungen zum Pfarrerausbildungsgesetz vom 3.10.1967" vom 7.6.1978 erhält der Abschnitt III eine neue Fassung. Die Praktikumsdauer ist nunmehr auf 12 Wochen festgelegt. Das Praktikum „kann in zwei verschiedenen Formen abgeleistet werden: a) als zusammenhängendes Gemeindepraktikum. Es sollen diakonische Aktivitäten eingeschlossen sein. Schwerpunkte sollen auch bei der Kinder- und Jugendarbeit gesetzt werden; b) als zwei sechs Wochen dauernde Praktika, von denen eines ein diakonisches Praktikum in einer Anstalt oder einer Gemeinde ist"36. In den Kirchen der EKU ist somit seit 1978 die Ableistung eines Gemeindepraktikums Voraussetzung fur die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst. In den Jahren 1985/86 wurde vom Vf. eine schriftliche Befragung durchgeführt. Auf die Frage nach dem Termin der Einfuhrung der Gemeindepraktika gab es folgende Antworten: EKU: - Berlin-Brandenburg ca. 1965 - Görlitz 1977 -Anhalt 1978 - Greifswald 1984 - Kirchenprovinz Sachsen(keine Antwort) Für die lutherischen Kirchen gibt es keine kirchengesetzlichen Regelungen. In der sächsischen Landeskirche absolvierten erstmals 1969 Studenten der Karl-Marx-Universität Leipzig ein Gemeindepraktikum.37 Das Interesse daran ging sowohl von der Landeskirche als auch von der Ausbildungsstätte aus. Von der mecklenburgischen Landeskirche ist nach schriftlicher Auskunft „kein Anstoß zu einem Praktikum ausgegangen". Wohl aber „ist (es) bei uns Praxis, daß wir ein Gemeindepraktikum erwarten. Wir halten ein solches auch fur wesentlich."38 Hier ist die Initiative also allein von der Ausbildungsstätte, der Theologischen Fakultät der Universität Rostock, und dem Fachvertreter für Praktische Theologie ausgegangen, der seit 1973 regelmäßig Gemeindepraktika organisiert hat. (Aus der thüringischen Landeskirche liegt mir keine Antwort vor.) Einzelne Landeskirchen, aber auch Ausbildungseinrichtungen haben es unternommen, in Merkblättern zum Gemeindepraktikum die Zielstellung dieser Einrichtung zu formulieren. Die angegebenen Zielbestimmungen lassen sich vier Komplexen zuordnen: giestudenten - eine Hilfe fur den zukünftigen Gemeindepfarrer, in: fröhlich helfen 1979, 54ff; Winter (1974), a.a.O.; Wizisla, a.a.O. 36 MB1 1979, 47. 3 7 Lt. Brief vom Landeskirchenamt Dresden an Vf. vom 10.07.86. 38 So lt. Brief des Oberkirchenrates an Vf. vom 20.01.86.

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a) Das Ziel des Praktikums wird in einer Kompensation von Defiziten gesehen, die durch den theoretischen Charakter des Studiums bedingt sind. Das Gemeindepraktikum soll - das Theorie-Praxis-Verhältnis des Studiums vertiefen; - dazu fuhren, den Zusammenhang von Lehre und Leben zu erfahren und zu reflektieren; - die Studenten dazu führen, ihre bisher gesammelten theologischen Erkenntnisse und Erfahrungen durch die Praxis kritisch anzufragen; - bei den Studenten zur Öffnung fiir bisher womöglich vernachlässigte Aspekte des Studiums helfen; - dazu helfen, die bisherigen Ergebnisse des Studiums in seinen unterschiedlichen Disziplinen zusammenzusehen und zu vertiefen; - dazu beitragen, den studienbedingten Mangel an Einbezogenheit in das Leben einer christlichen Gemeinde auszugleichen. b) Das Ziel des Studiums wird in Verbindung mit der Berufsperspektive und den daraus folgenden Anforderungen gesehen. Das Gemeindepraktikum soll - bei den Studenten zu einer neuen Aufgeschlossenheit für Fragen der persönlichen Zurüstung für den geistlichen Dienst fuhren; - erreichen, daß die Angst der Studenten vor dem Pfarrerberuf mittels klarer Vorstellungen abgebaut wird; - dazu fuhren, daß dem Studenten in der Begegnung mit der Praxis pfarramtlicher Tätigkeiten die Erfordernisse sachgemäßen Studierens neu erkennbar werden; - zum Abbau von Vorurteilen gegenüber der kirchlichen Wirklichkeit bei Studenten beitragen. c) Das Ziel des Praktikums wird in Wahrnehmungen in bezug auf Gemeinde gesehen. Das Gemeindepraktikum soll - dem Studenten die Möglichkeit geben, Umwelt und Situation einer Gemeinde zu erkennen und darüber zu reflektieren, wie die Gemeinde auf die Herausforderungen der Umwelt reagiert; - der Ausbildungsgemeinde die Möglichkeit geben, ihren „kirchlichen Alltag von einem nicht betriebsblinden Studenten befragen, kritisieren und anregen zu lassen. d) Das Ziel des Praktikums wird in bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung des Studenten gesehen. Das Gemeindepraktikum soll - die Frage nach Grund und Ziel des eigenen Studiums erneut wecken und vertiefen; - dem Studenten die Möglichkeit geben, seine eigene Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit zu festigen und zu erhöhen. Diese Auflistung macht deutlich: Es sind primär theoretisch-abstrakte Erwartungen (a, b), die an das Gemeindepraktikum gerichtet sind. Diese Erwartungen sind in keiner Weise operationalisiert. Die Bedeutung der Erfahrungen für den Praktikanten wird nur in wenigen Fällen angesprochen (d). Das trifft

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auch für konkrete Wahrnehmungsaufgaben zu, etwa die Gemeinde in ihrer Umwelt betreffend (c). Die Frage nach der Klärung von Inhalten und Ergebnissen des Gemeindepraktikums bleibt weiterhin offen. Dieser Frage soll im Verlauf der weiteren Ausführungen unter verschiedenen Aspekten nachgegangen werden.

2. Der Praxisbezug der theologischen Ausbildung — Grundpositionen der Diskussion im Kontext der alten Bundesländer Im Unterschied zur Situation in der früheren DDR ist es fiir den Bereich der Bundesrepublik nicht sinnvoll, einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Gegebenheiten der theologischen Ausbildung und ihrer Diskussion im Kontext der theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten und dem Kontext der Kirchen zu konstatieren und auszuführen. Aufgrund der völlig anderen verfassungsrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Grundlage wäre eine solche Trennung inadäquat. Deutlich wird diese andere Situation etwa in einer Institution wie der „Gemischten Kommission". 1965 beschlossen die ,Ausbildungsreferentenkonferenz der EKD" und der „Fakultätentag der Evangelisch-Theologischen Fakultäten in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West" die Einrichtung einer „Gemischte(n) Kommission fiiir die Reform des Theologiestudiums". Die Kommission erhielt den Auftrag, den Entwurf einer Rahmenordnung der theologischen Ausbildung vorzulegen. In einer Zwischenbilanz der Kommission wurde 1970 von H.E. Tödt in bezug auf die Frage der Praxisrelevanz festgestellt, daß die „Ausbildung nicht allein auf den gegenwärtigen Stand der Berufsanforderungen vorbereiten (soll); sie solle es vielmehr ermöglichen, dem außerordentlich schnellen Wandel in Kirche und Gesellschaft zu folgen bzw. ihn sinnvoll voranzutreiben ... Daher ist es sinnvoll, ... die wissenschaftliche Reflexion auf die Vermittlung von Praxis und Theorie aber schon in das Studium als ganzes hineinzunehmen ..."39. Wichtige Ergebnisse der Kommissionsarbeit sind der 1978 publizierte „Gesamtplan der Ausbildung für den Pfarrerberuf' sowie die 1988 veröffentlichten „Grundsätze für die Ausbildung und Fortbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen der Gliedkirchen der EKD"

2.1. Der „Gesamtplan" Der Plan ist in die drei Bereiche „Theologiestudium - Vikariat-Fortbildung" untergliedert. Die Konstante dieser Konzeption wird darin sichtbar, „daß die 39 RdthA7, 30. 27

Ausbildung des Theologen als Pfarrer und des Pfarrers als Theologen ... beschrieben wird"40. „Ziel der theologischen Ausbildung in allen drei Phasen ist es, dazu zu befähigen, kirchliches Handeln auf dem jeweiligen Handlungsfeld theologisch zu verantworten, kooperativ sowie gegenstandsgerecht zu planen, durchzuführen und ggf. kritisch zu revidieren" (11). Dabei gilt als Grundannahme: „Die christliche Praxis ist Voraussetzung und Ziel des Ausbildungsprozesses" (ebd.). Zur Zielbestimmung heißt es: „Die Berufswirklichkeit ist das Ziel der Ausbildung" (12). Als Handlungsfelder bisheriger pfarramtlicher Tätigkeit werden aufgeführt: Gottesdienst und Predigt; Unterricht; Seelsorge und Beratung; Diakonie und Sozialarbeit; Theologische Zurüstung von Mitarbeitern und Bildungsarbeit; Gemeindeleitung und -aufbau. Auf solche Berufswirklichkeit bezogen wird auch die erste Phase der theologischen Ausbildung - das Universitätsstudium - verstanden. Sie zielt auf eine theologische Allgemeinbildung, die „im Blick auf die Berufswirklichkeit dazu (dient), den künftigen Pfarrer über seinen individuellen Standpunkt hinaus zu fuhren und für ein Amt zu befähigen, in dem er auf verschiedenen Handlungsfeldern kirchliche Verantwortung wahrzunehmen hat" (13). Hierin ist wohl die eigentliche, als Praxisbezug zu verstehende Orientierung zu sehen: In der Befähigung zum Wahrnehmen kirchlicher Verantwortung. Die mit der Orientierung auf „christliche Praxis" und der Befähigung zu „kirchlicher Verantwortung" markierte Spannung bezeichnet das Grundproblem jeder Konzeption von theologischer Ausbildung. Das hier deutlich gewordene Verständnis von Praxisorientierung wird in den verschiedenen Abschnitten der „Empfehlungen zum Theologiestudium" innerhalb des Gesamtplanes deutlich. Hier wird zwischen der Studieneingangsstufe und dem Hauptstudium unterschieden. „In der Studieneingangsstufe soll der Student dazu befähigt werden, seine eigene Studien- und Berufsperspektive im Feld der wissenschaftlichen Theologie zu klären" (17).Im Blick auf das Praxisfeld wird als Teilziel formuliert: „Einsicht in die Strukturen kirchlicher Berufswirklichkeit gewinnen mit dem Ziel, deren Theoriebedürftigkeit zu erkennen" (17). Entsprechend lautet die detaillierte Beschreibung: „Ein Praxisprojekt soll durch sachkundige Begleitung in einem kirchlichen Handlungsfeld erste Praxiserfahrung vermitteln oder frühere Praxiserfahrung vertiefen, Kriterien und Kategorien zur Beobachtung und Beurteilung kirchlicher Praxis finden helfen, alternative Konzeptionen kirchlichen Handelns zur Diskussion stellen, die historische und gesellschaftliche Bedingtheit fur kirchliches Handeln vor Augen führen und theologische Implikationen im kirchlichen Handeln sichtbar machen" (19). Es geht darum, Praxis als Gegenstand von Theorie zu entdecken. Elemente solcher Praxiswahrnehmung können sein: „Versuche eigener Praxis, kritische Aufarbeitung eigener Praxisversuche sowie Orientierung in dem Bereich der 40 RdthA 12, 8. - Auf diese Publikation beziehen sich auch die Seitenzahlen im Text.

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verschiedenen Handlungswissenschaften und der Disziplinen der Theologie zur Orientierung über die erfahrene Praxis und zu ihrer Bewertung" (19). Die hier vorgesehenen Praxisprojekte dienen der Beobachtung und können folgende Schwerpunkte haben: Kommunikation, Pädagogik oder Sozialarbeit. Ziel ist die Erarbeitung einer auf das betreffende Handlungsfeld bezogenen Theorie (24). Das Hauptstudium soll den Studenten in die Lage versetzen, „zu selbständiger theologischer Urteilsbildung zu gelangen, die zur Bewältigung der späteren Berufswirklichkeit (Pfarrer als Theologe) befähigt" (29). In diesem Zusammenhang ist wiederum ein Praxisprojekt vorgesehen. Es dient dazu, die theologische Theorie kritisch zu überprüfen und neue Motivation fur die Berufspraxis zu ermitteln (32). Zu dem Kolloquium am Ende der Studieneingangsphase ist ein Nachweis der Teilnahme an einer allgemeinorientierenden Veranstaltung oder „ein strukturierter Bericht mit Bescheinigung über ein vierwöchiges Praktikum" vorzulegen (59). Für die Prüfungszulassung sind geforderte Nachweise, z.B. Seminarscheine und Zeugnisse aus Praxisprojekten oder Praktika, vorzulegen (75). Im Unterschied zu der detaillierten Beschreibung des Praxisprojekts in der Studieneingangsphase fehlen Angaben zur Kontrolle der angestrebten Ziele. Insgesamt stehen diese Ausführungen zu Praxisbezügen relativ unverbunden neben den Inhalten des theoretischen Studiums.

2.2. Die „Grundsätze" (1988) Die Gemischte Kommission erhielt 1984 den Auftrag, den Ausbildungsgesamtplan von 1978 zu überarbeiten. Sie sollte die „inzwischen neu aufgekommenen Fragen nach den inhaltlichen Bestimmungen theologischer (pastoraler) Kompetenz aufnehmen, die inzwischen deutlich veränderte Situation der Studierenden bedenken und die sich abzeichnenden künftigen Herausforderungen fur die Kirchen beachten"41. Bei der Arbeit der Kommission wurde die Dreiteilung des Ausbildungsgesamtplanes in ihrer Differenzierung und in ihrer gegenseitigen Verweisung als sachgemäß beibehalten. Ende 1988 wurde mit der Veröffentlichung der „Grundsätze" zu einer breiten Diskussion darüber eingeladen. 2.2.1. Positionen zum Theologiestudium in den „Grundsätzen" Der besondere Charakter der Erarbeitung wird bereits in der inhaltlichen Struktur deutlich: Teil I stellt die Grundlagen dar, Teil II die drei Phasen der Ausbildung und Fortbildung von Pfarrern und Pfarrerinnen. Zu den Grundlagen gehören 1. „Amt und Ordination", 2. „Theologische Kompetenz" und 3. „Die Gewinnung von theologischer Kompetenz". Die 41 Grundsätze, 2. - Hierauf beziehen sich auch die folgenden Seitenzahlen im Text.

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Vorordnung des Komplexes „Amt und Ordination" kennzeichnet den spezifischen Charakter der Grundsätze. Im folgenden wird versucht, in sieben Punkten die charakteristischen Grundlagen und Schwerpunkte der Aussagen zum Theologiestudium innerhalb dieser Konzeption herauszustellen. 1. „Die Führung des Amtes wird einzelnen Gliedern der Kirche durch die Ordination anvertraut. Sie setzt voraus, daß die Ordinanden sich mit Auftrag und Ordnung des Amtes soweit identifiziert haben, daß sie zu seiner Übernahme persönlich bereit sind; und daß die Kirchen Grund haben, ihnen die Fähigkeiten zur auftragsgemäßen Führung des Amtes zuzutrauen" (5). Demnach werden invariante Elemente des Amtes angenommen, die entsprechende Anforderungen an die Ausbildung stellen. Von daher ist die persönliche „Bereitschaft zur Übernahme des Amtes" weniger an der individuellen Identifizierung als vielmehr an der Zuerkennung der entsprechenden Qualifikation durch die Kirche orientiert. 2. Unter dieser Prämisse wird folgerichtig der .Auftrag der Kirchen zur Ordnung der Ausbildung und Fortbildung der Amtsträger" (ebd.) herausgestellt. Diese wird ausdrücklich auch auf das Theologiestudium bezogen. 3. „Theologische Kompetenz ist der Inbegriff der Fähigkeiten, die fur die auftragsgemäße und professionelle Führung des Pfarramtes erforderlich sind" (6). Die Leitfunktion, die dem Begriff" „Theologische Kompetenz" in dieser Erarbeitung zugewiesen wird, ist ein weiteres wesentliches Charakteristikum der „Grundsätze". Näher wird darunter verstanden „die Fähigkeit, im Lichte der angeeigneten kirchlichen Lehre die gegebene Situation des Amtes zu begreifen, ihre gegenwärtigen Aufgaben (Probleme) zu erkennen, sowie Lösungen zu entwerfen und durchzuführen" (ebd.). Es ist wieder das Amt, das nun auch die theologische Kompetenz inhaltlich bestimmt und damit auch begrenzt. Auf der Seite des Auszubildenden bedingt das: Kenntnisse der Lehre der Kirche; Einsicht in die Stichhaltigkeit der Lehre und insofern Ermöglichung der persönlichen Identifikation damit; die Fertigkeit, diese seine Einsicht mit den erforderlichen Kommunikations- und Artikulationsleistungen persönlich vertreten zu können. 4. Über das persönliche Vertreten der Einsicht hinaus geht es darum, dies auch öffentlich, im Zusammenhang mit den Institutionen des Amtes, zu vertreten. Das beinhaltet das sachgerechte und situationsgerechte Aussprechen der Wahrheiten des Evangeliums in den Berufsfeldern des Pfarramtes.42 5. Der theologischen Kompetenz ist eine invariante Struktur eigen, der gegenüber biographisch, regional oder historisch bedingte unterschiedliche Ausformungen sekundär bleiben. „Theologische Kompetenz orientiert sich nicht am Wandel des Berufsbildes des Pfarrers, sondern verursacht ihn" (9). Hinsichtlich der Qualifikation wird formuliert: „In ihrer invarianten Struktur 4 2 Z u den Kriterien fiür „sachgerechtes" bzw. „situationsgerechtes" Aussprechen gibt es leider keine Ausführungen.

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ist theologische Kompetenz der aufgabenspezifische .Habitus' an Kenntnissen, Einsichten und Fertigkeiten der Inhaber (bzw. Kandidaten) des kirchlichen Amtes" (ebd). 6. Dieser Herausstellung entspricht der Stellenwert, der der „Gemeinde" in den Grundsätzen zukommt. Das geordnete Amt und die Qualifikation seiner Inhaber zu einer unverwechselbaren Amtspraxis wird als der eigendiche Dienst an der Gemeinde und als der wesentliche Beitrag zum Aufbau der Gemeinde dargestellt. Es darf nicht zu einer Verwechslung zwischen dem Priestertum aller Gläubigen und zwischen der theologischen Kompetenz des Amtsinhabers kommen. Die Unterschiede zwischen Gemeinde und Amt dürfen keiner Nivellierung verfallen. 7. Die Dreiphasigkeit von Studium, Ausbildung und Fortbildung wird als unumkehrbar und als sachliche Einheit vorgestellt, wobei jede Phase auf der Erfüllung der vorherigen aufbaut. So ist auch die Frage nach Voraussetzungen, auf denen die Phase des Theologiestudiums aufbaut, berechtigt. Unter einem anderem Aspekt stellt sich die Frage noch einmal vor dem Hintergrund des Kontextes der jeweiligen Phase; fur den Vorbereitungsdienst und die Fortbildung ist jeweils der kirchliche Kontext konstitutiv. Für die Phase des Theologiestudiums wird nichts vorausgesetzt „außer demjenigen Niveau der Teilhabe an der jeweils kultur- und gesellschaftsspezifischen Allgemeinbildung, das den Zugang zum Hochschulstudium erlaubt" (12). Diese erste Phase hat ihren Ort demnach in „dem nicht selbst schon kirchlichen, sondern zum allgemeinen Ausbildungssystem der Gesellschaft gehörenden akademischen Kontext der Fakultäten" (13). Angesicht der skizzierten Positionen der „Grundsätze" ist deutlich, daß im Zusammenhang der ersten Phase kaum ein Hinweis auf Berücksichtigung von Praxis zu finden ist, die den Hochschul- bzw. Wissenschaftskontext und die entsprechenden Implikationen überschreitet. Alles wird allein von der dominierenden Zielorientierung des Theologiestudiums abgeleitet: „Das Studium zielt auf die Gewinnung der Grundfertigkeit, die für theologische Kompetenz unverzichtbaren elementaren Kenntnisse und Einsichten in eigenen Argumentations- und Artikulationsleistungen persönlich zu vertreten" (17). Von dieser Zielorientierung werden auch die Beiträge der Praktischen Theologie zum Gesamt des Theologiestudiums bestimmt: „Ihre Lehr- und Lernprozesse sind so einzurichten, daß durch Teilnahme an ihnen eine Kenntnis speziell der Praxissituation des kirchlichen Amtes gewonnen werden kann, unter verschiedenen historischen, speziell aber gegenwärtigen Bedingungen" (33). Punktuelle Praxiserfahrungen in Gemeindepraktika o.ä. „sollen die Studierenden ... im Blick auf alle Fächer des Studiums dabei unterstützen, einen zunächst selbst .theoretischen' Begriff, eine klare Vorstellung von der Bedeutung der im Studium zu gewinnenden theoretischen Kenntnisse und Einsichten für die bevorstehende Praxis zu entwickeln" (34). Gefordert werden die Anfertigung einer Predigt und eines Unterrichtsentwurfs:

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„In ihnen gibt der Student sich und anderen Rechenschaft über seine genaue und detaillierte Vorstellung über eine eigene Maßnahme ftir eine aufgrund der im Studium bisher gewonnenen Kenntnisse und Einsichten klar und möglichst realistisch imaginierte Praxissituation" (35). Ob und gegebenenfalls welche Relevanz punktuelle Erfahrungen von Praxis in der Wirklichkeit der Gemeinde fur das Studium haben können, bleibt in den „Grundsätzen" völlig außer Betracht.

2.2.2. Die Diskussion zu den „Grundsätzen" auf der Grundlage des „Diskussionsberichts" (1991) Die Veröffentlichung der „Grundsätze" hat eine intensive und breite Diskussion entfacht, die immer noch nicht abgeschlossen ist. Ende 1991 wurde von der Gemischten Kommission mit dem „Diskussionsbericht" eine Zwischenauswertung der bis dahin eingegangenen zahlreichen Beiträge vorgelegt. 43 Allein schon diese intensive Diskussion verleiht der Kommissionsarbeit bleibende Bedeutung, unbeschadet der Frage ihrer Wirksamkeit fur die konkreten Praxisvollzüge. Da in diesem Diskussionsprozeß alle in die Ausbildung von Theologen involvierten Institutionen und Personengruppen mit repräsentativen Voten einbezogen sind, wird es ermöglicht, das gegenwärtige Diskussionsspektrum in dieser Frage bilanzierend zur Kenntnis zu nehmen. Die Auseinandersetzung entzündet sich insbesondere an den in den „Grundlegungen" ausgedrückten Positionen. Das weist darauf hin, daß mit diesen Formulierungen und mit ihren Implikationen Grundfragen der theologischen Arbeit der Gegenwart zur Diskussion gestellt worden sind. Das betrifft insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und theologischer Wissenschaft bzw. von Kirche und theologischer Ausbildung. Aus dem veröffentlichten „Diskussionsbericht" läßt sich erschließen, daß in den Voten von Landeskirchen und in Einzelvoten von Hochschultheologen eine Zustimmung zu der formalen Struktur der „Grundsätze" überwiegt. Demgegenüber wird in der Mehrheit der Voten von Fakultäten/Fachbereichen/ Hochschulen, von Studierenden und von den Predigerseminaren grundsätzliche Kritik formuliert. Die positiven Voten bekräftigen zwei Verdienste der „Grundsätze": - den Versuch, mit der Kategorie „Theologische Kompetenz" ein sachliches Grundverständnis der theologischen Ausbildung - durch alle drei Phasen hindurch - zu formulieren;

4 3 Weitere Beiträge: Anmerkungen zu den „Grundsätzen" durch den Vorstand des AfR (MS); K. Neumann: Theologische Kompetenz als Ausbildungsziel? Kritische Kommentare zu den „Grundsätzen", in: EvErz 44/1992, 352ff.

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- d a s Bemühen darum, das Berufsprofil des Pfarramtes auch inhaltlich konturiert aussagen zu können. Die kritischen bzw. ablehnenden Stellungnahmen beziehen sich gerade auf diese herausgestellten Momente, wenn den „Grundsätzen" vorgehalten wird, - sie unterstützten die Sicht des Theologiestudiums als einer funktionalisierten Ausbildung und deren Normierung; - sie zementierten die Installation von autoritären Strukturen innerhalb der Amtskirche, insbesondere des Pfarramtes vor den anderen Mitarbeitergruppen und vor den Laien. Ein gewichtiger Vorwurf an die „Grundsätze" ist der der Einseitigkeit. Sie werde deutlich - in der Vorordnung rationaler und methodisch geleiteter Erkenntnisgewinnung vor anderen denkbaren Wegen. Dieses werde wiederum in der dominierenden Stellung des Begriffes „Theologische Kompetenz" deutlich. Damit werde auch die Auffassung von der Machbarkeit theologischer Bildung suggeriert; - in dem Vorrang der Aneignung von Vorgegebenem gegenüber offenen und selbstbestimmten Lernprozessen. Damit zusammenhängend wird den „Grundsätzen" vorgeworfen, die kirchliche wie die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht allein aus dem Theologiestudium als Ausbildungsprozeß auszublenden, sondern sie auch in der theoretischen Erörterung außer acht zu lassen. Ferner wird die fehlende Berücksichtigung der konkreten Situation der Studierenden (die sozio-kulturelle, ökonomische und die universitäre Situation) und deren Relevanz für die Praxis des TheologieStudierens kritisiert.

3. Gibt es eine Relevanz der gesellschaftlichen und kirchlichen Situation für das Theologiestudium?—Aspekte des Praxisbezuges aus zeitgeschichtlichen Herausforderungen Sowohl in den „Grundsätzen" von 1988 als auch in dem Diskussionsbericht dazu von 1991 sind im Anhang die Mitglieder der Gemischten Kommission aufgeführt. Dabei wird deutlich, daß als Folge der Vereinigung von 1990 die Zahl der Mitglieder erhöht wurde. Die Gemischte Kommission wurde um zwei Hochschullehrer, um einen Ausbildungreferenten und um ein studentisches Mitglied aus dem Bereich der neuen Bundesländer erweitert. 44 Der „Diskussionsbericht" läßt von seiner Textgestalt darauf schließen, daß 44 Es wäre sicherlich angemessen, wenn diese neue Situation wenigstens in Form einer Anmerkung festgestellt worden wäre. So wird der Eindruck erweckt, die Feststellungen, die sich bislang aus der Diskussion im Bereich der alten Bundesländer ergeben haben, hätten selbstverständliche Geltung auch für den Bereich der neuen Bundesländer.

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das Vorhandensein einer Diskussion zum Theologiestudium im Bereich der früheren D D R bislang durch die Gemischte Kommission nicht wahrgenommen wurde. So soll im folgenden aus aktuellem Anlaß auf einige Aspekte der Diskussion zum Theologiestudium in vergleichender Absicht eingegangen werden. a) Während die „Grundsätze" die Vorordnung des Amtes betonen, gründen die „Vorschläge" von 1984 auf der Leitidee von der „Gemeinschaft der Dienste" in der Gemeinde. Hinter dieser Formulierung standen sowohl das Wahrnehmen der gesellschaftlichen und der kirchlichen Situation (Kirche in „ideologischer Diaspora"), aber auch eine dadurch herausgeforderte theologische Einsicht sowie eine entsprechende Praxis mit diakonisch-seelsorgerlicher Akzentuierung: Die mit der Ordination gewährte Vergewisserung des Dienstes sollte nicht nur dem Inhaber des Pfarramtes, sondern auch den anderen - am Verkündigungsauftrag anteilhabenden - Mitarbeitern gewährt werden. Zwar haben sich die äußeren Gegebenheiten fur die Kirchen in den neuen Bundesländern grundlegend verändert. Trotzdem ist angesichts der Vielzahl von Spezialpfarrämtern innerhalb der Kirchen der E K D zu fragen, ob eine solche Vorordnung des Amtes in der Gegenwart situationsadäquat ist. b) Der Ausgangspunkt bei der „Gemeinschaft der Dienste" impliziert die Befähigung zu Kommunikation und zu Kooperation - und das über den Kreis der Amtsinhaber sowie der angestellten Mitarbeiter hinaus. Die praktischen Ergebnisse mahnen zu zurückhaltender Bewertung. Damit ist aber eine solche Befähigung als Teilziel der Ausbildung auch in der ersten Phase nicht gegenstandslos geworden. Um es berücksichtigen zu können, muß es aber inhaltlich benannt und strukturell geplant werden. c) Die Relevanz des Ausbildungsortes „Universität" mit seinen Implikationen muß in die Reflexion stärker einbezogen werden. Von der Vergangenheit der neuen Bundesländer her wird gerade die Möglichkeit eines nicht einlinigen, nicht streng an den Berufsanforderungen ausgerichteten Studiums als Vorzug angesehen. Das Studium - auch das Theologiestudium — als eigenständige Lebensphase wahrzunehmen und anzunehmen45, bedeutet, unterschiedliche Orientierungen zuzulassen und zugleich eine Vielzahl von Erfahrungsfeldern sowohl bereitzustellen als auch deren selektive Wahrnehmung als erwünscht zu verdeutlichen. Vor dem Hintergrund der Vergangenheit der neuen wie vor der Tradition der alten Bundesländer ist aus aktuellem Anlaß danach zu fragen, ob die Universität als „Ort kommunikativer Wahrheitssuche"46 weiterhin als Vorzug fiir das Theologiestudium gesehen wird. Dann „wäre der Umstand, daß die erste Phase der kirchlichen Berufsvorbereitung an einem nichtkirchlichen Ort uneingeschränkter, kommunikativer Wahrheitssuche stattfindet, als bewußte 45 Vgl. dazu die Studie: Der Dienst der evangeliscen Kirche an der Hochschule. a.a.O. 46 Luther (1989), 211; Neumann, a.a.O., 359.

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Entscheidung zu würdigen" 47 . Dieser Aspekt konnte in der DDR-Situation keine Berücksichtigung erfahren. Für die Situation der neuen Bundesländer ergibt sich die Dringlichkeit, die Universität als Ort theologischer Ausbildung zu bedenken von der bisher unbekannten Konstellation gemeinsamer Studiengänge von Theologie- und von Lehramtsstudierenden her. Ferner fordert die Unsicherheit des Berufsweges beider Gruppen von Studierenden eine Berücksichtigung in der Hinsicht, daß die Frage bedacht wird, welche Rückwirkung eine Warteliste bzw. eine mögliche Arbeitslosigkeit von Theologen auf die Konzeption und auf die Praxis des Theologiestudiums hat. 48 d) Die „Vorschläge" von 1984 fordern für die Ausbildung die „Orientierung an den konkreten Aufgaben in der Gemeinde" 49 . Diese konkreten Aufgaben verlangen heute eine andere Beschreibung als 1984 in der DDR. Andernfalls würde man die Relevanz des gesellschaftlichen Kontextes für das Verständnis und fur die Funktion von Gemeinde bestreiten. Zu den konkreten Aufgaben der Gemeinde in der Situation der Volkskirche in der Bundesrepublik gehören u.a.: — Wahrnehmung von Menschen mit ihren jeweiligen, auch fremden Lebenswelten; - Kommunikation mit Menschen; — Umgang mit Institutionen in der Gesellschaft; - Umgang mit der Öffentlichkeit (Medien) in der Gesellschaft. Die angesprochene Orientierung an solchen konkreten Aufgaben der Gemeinde als Bestandteil auch des Theologiestudiums ist festzuhalten. Dabei kommen Praktika entscheidende Bedeutung zu. Unter den Bedingungen der DDR bot das Gemeindepraktikum die Möglichkeit, verschiedene Lebenswelten wahrzunehmen und in ihrer Relevanz für „Gemeinde" zu bedenken. In der jetzigen Situation ist das Gemeindepraktikum eine wichtige Möglichkeit, neben dem aber auch andere Praxisprojekte ihre Berechtigung haben, z.B. Industriepraktikum, Praktikum im sozialen Bereich, Praktikum im ländlichen Bereich etc.. Ein Praktikum sollte als unverzichtbares Element des Theologiestudiums auch explizit herausgestellt werden. Im Unterschied zu den „Grundsätzen", die Praxiserfahrungen im Sinne einer .Anwendung" verstehen50, wäre der Charakter des Praktikums besser mit „Erkundung" zu charakterisieren. e) Im Unterschied zu den „Vorschlägen" finden sich in den „Grundsätzen" keine Ausführungen zur Frage der Spiritualität. 51 Es ist zu fragen, woher solche 4 7 Luther, ebd. 48 Vgl. dazu auch Luther, ebd., 314. 4 9 Vorschläge, a.a.O., 140. 50 Grundsätze, 35. - Auch in dem Diskussionsbericht wird hierzu wenig aussagekräftig Stellung genommen (vgl. S. 37f. u. S. 44f.). 51 Im Diskussionsbericht vgl. dazu S. 26 (Frage nach einer spirituellen Kompetenz) und S. 28.

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Spiritualität - wenn sie denn als Dimension theologischer Ausbildung verstanden wird - ihre Orientierung bekommen kann. Ist es denkbar, von einer „Spiritualität des Amtes" zu sprechen? Oder ist eine Spiritualität beschreibbar, die sich an der Gemeinde orientiert? Oder aber geht es um die Ermöglichung der Herausbildung einer individuellen Spiritualität, in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Persönlichkeit des einzelnen? Wenn der/die einzelne als Subjekt in der theologischen Ausbildung ernstgenommen werden soll, so müssen diese Fragen ausdrücklich bedacht werden. 52 f ) In dem Diskussionsbericht zu den „Grundsätzen" wird an einer Stelle auf Forderungen verwiesen, die Möglichkeit eines zweiten Bildungsweges fur die Ausbildung zum Pfarrerberuf zu bedenken, ohne daß dazu näher Stellung genommen ist. 53 Angesichts dieser Fragestellung soll noch einmal auf die „Vorschläge" hingewiesen werden, in denen bereits 1 9 8 4 das Modell einer Strukturveränderung des Theologiestudiums vorgestellt worden ist.

Exkurs: „Rahmenordnungfiir die Priesterbildung" (1978) Wie der Gesamtplan der EKD, ao wurde auch im Jahr 1978 durch die Deutsche Bischofskonferenz die „Rahmenordnung fur die Priesterbildung"54 verabschiedet. Natürlich stehen am Anfang dieses Dokuments Ausführungen zum Priesterbild. Im Prozeß der Priesterbildung wird zwischen drei Dimensionen unterschieden: Geistliches Leben und menschliche Reifung; Theologische Bildung; Pastorale Befähigung (15). Insbesondere die pastorale Befähigung ist auf die künftige Berufspraxis hin ausgerichtet, kann aber niemals von den beiden anderen Dimensionen völlig isoliert betrachtet werden. Zur Unterstützung der pastoralen Befähigung werden Kurse und Praktika vorgeschlagen, die aber von den Diözesen geregelt werden. Interessant ist die hierbei begegnende Weite des Blickfeldes: „Die pastorale Ausrichtung der Priesterbildung umfaßt auch die ökumenische Dimension des priesterlichen Dienstes, die Verantwortung für Fernstehende und Nichtglaubende, die Sorge um den Auftrag christlicher Caritas an Menschen in Not. Bereits im Studium ist zu berücksichtigen, daß priesterliche Tätigkeit und Zeitgeschehen ineinander verflochten sind" (23). Das Studium als erste Phase der Priesterbildung ist in drei Stufen eingeteilt, wobei in jeder Stufe die drei genannten Dimensionen entfaltet werden. Für die erste Stufe werden entsprechend „erste Schritte der pastoralen Ausbildung" genannt: „— Kennenlernen verschiedener pastoraler Bereiche, Vorbereitung und Nachbereitung der Praktika;

52 Inzwischen ist eine Arbeitsgruppe zur Thematik „Spiritualität im Theologiestudium" gegründet worden. 53 Diskussionsbericht, S. 42. 54 Rahmenordnung, a.a.O. - Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Publikation.

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- Kennenlernen der Grundelemente und Gesetzmäßigkeiten der kirchlichen Liturgie mit dem Bemühen, Leben und Liturgie in Verbindung zu bringen; - Sensibilisierung fiir die sprachlichen und musikalischen Möglichkeiten von Feier, Stimmbildung und Grundelemente rednerischer Ausbildung; - Einübung in die Kommunikation, erste Anleitung zur Gesprächsfiihrung mit Einzelnen und Gruppen; - Kontakt und Austausch mit Altersgenossen und Gruppen außerhalb des Seminars; - waches Interesse am politischen und kulturellen Leben" (27). In der zweiten Stufe sind fur die pastorale Befähigung Gelegenheiten dafür vorgesehen, daß Studenten aus eigener Initiative Verbindung mit einer Gemeinde am Studienort aufnehmen können (29). Zu der dritten Stufe „gehört auch die pastoraltheologische Gestaltung der zentralen priesterlichen Dienste sowie die erste Einweisung in deren Vollzug" (30). Bestandteil der Rahmenordnung sind ferner umfangreiche „Kriterien zur Beurteilung der Eignung fiir den Priesterberuf' (37ff). Sodann werden ausfuhrlich die Fächergruppen vorgestellt, jeweils nach Studienziel, Studienund Prüfungsinhalten getrennt. Zur praktischen Fächergruppe zählen: Pastoraltheologie, Religionspädagogik, Homiletik, Liturgiewissenschaft und Kirchenrecht. Exemplarisch dafür, wie dabei die reale Praxissituation Berücksichtigung finden kann, sei hier der erste Punkt der Studien- und Prüfungsinhalte der Liturgiewissenschaft mitgeteilt: „anthropologische Aspekte (z.B. Erwartungshaltungen, Liturgiefähigkeit, Sprache und Zeichen, gruppenpsychologische Gesetzmäßigkeiten, Liturgie im soziokulturellen Kontext, außerchristliche Kultformen)" (49). Es folgen theologische Aspekte sowie Einzelfragen der Liturgie. Die „Rahmenordnung" unterscheidet sich in ihrer pastoral theologischen, am Priesterbild orientierten Ausrichtung prinzipiell von den entsprechenden evangelischen Konzeptionen. Diese Ausrichtung beinhaltet auch die starke Berücksichtigung der konkreten Praxissituationen. Gerade hier finden sich zahlreiche Anregungen fiir Überlegungen, den Praxisbezug in das Theologiestudium stärker zu integrieren.

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II. Theologiestudium - Pfarrerbild - Gemeinde. Die Frage nach der Praxisorientierung in der Tradition des Theologiestudiums

1. Theologische Ausbildung im späten Mittelalter Die Struktur des Studiums war an allen Universitäten im deutschen Reich gleich: Zuerst erfolgte das Studium generale an der Artistenfakultät mit der Absolvierung des Triviums (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und des Quadriviums (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie). Während dieses Studiums konnte man zum Baccalaureus und dann zum Magister artium promoviert werden. Als Magister hatte man sowohl Lehrveranstaltungen an der Artistenfakultät zu halten, wie auch die Möglichkeit des Studiums an einer der drei höheren Fakultäten (der medizinischen, der theologischen oder der juristischen Fakultät). Zum Studium an der theologischen Fakultät konnte der Student entweder durch einen Mönchsorden delegiert werden (so z.B. Luther) oder er konnte dieses Studium aus freien Stücken beginnen (z.B. Zwingli) und jederzeit abschließen. Ein Examen gab es nicht. Die Biographie Luthers zeigt, wie eine akademische Laufbahn in der theologischen Fakultät aussehen konnte: Zuerst erfolgte die Promotion zum Baccalaureus der Theologie, später die SententiarPromotion. Der Doctor theologiae war die höchste akademische Graduierung. Damit wurde der Promovend Mitglied der Fakultät und hatte den Auftrag zum öffentlichen Lehramt. Keinesfalls war das Theologiestudium im späten Mittelalter die unabdingbare Voraussetzung für die Übernahme eines Pfarrdienstes.1 Eine solche akademische Vorbildung stellte durchaus eine Ausnahme dar. Die Mehrzahl der Pfarrer — vor allem auf dem Land - war nur notdürftig ausgebildet oder überhaupt nur dazu in der Lage, die geforderten Zeremonien zu zelebrieren. In dieser Zeit war das Theologiestudium also keine unverzichtbare Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum geistlichen Stand.

1 Über die vorreformatorische Zurüstung zum Amt vgl. Merkel, a.a.O.

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2. Die Identität von Theologie und Heilslehre 2.1. Theologische Ausbildung zur Zeit der Reformation Die Struktur des Universitätsstudiums im Spätmittelalter blieb auch in den folgenden Jahrhunderten unverändert. Das Theologiestudium aber bekam eine neue Funktion, indem seine Absolvierung im Bereich der lutherischen Territorien im Laufe der Entwicklung immer mehr geforderte Voraussetzung für den Beruf des Pfarrers wurde. Das Verständnis des Pfarramtes als Beruf wurde erst in der Reformationszeit begründet. Luther selbst hat durch sein Verständnis der Begriffe Beruf und Berufsarbeit entscheidend dazu beigetragen.2 Bei dem Dienst am Wort geht es nach Luthers Auffassung um eine Aufgabe, zu der grundsätzlich alle Christen berufen sind: „Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht."3 Jeder Christ kann dem Bruder das Wort verkündigen und hat es zu tun. Nur der öffentliche, auf eine Gemeinde als ganze bezogene Dienst ist Gegenstand einer besonderen Beauftragung: „Weil aber christliche Gemeinde ohne Gottes Wort nicht sein soll noch kann ... folgt daraus ..., daß sie dennoch Lehrer und Prediger haben müsse."4 Um dieses zu gewährleisten, ist es nach Luther rechtmäßig, „daß eine ganze Gemeinde einen beruft zu solchem Amt"5. Der Bischof soll lediglich den von der Gemeinde erwählten und berufenen Prediger bestätigen.6 Für Luther ist demnach im Blick auf den Prediger entscheidend, „daß er durch andere in sein Amt eingesetzt wurde - es sich also nicht eigenmächtig angemaßt hat — und daß er dann im Sinne eines ihm von Gott gegebenen Auftrages dieser Berufung folgt".7 Für das Verständnis des Pfarramtes als Beruf bedeutet das: Der Pfarrer ist gewählt von einer sozialen Gruppe, fur die er eine Funktion wahrnimmt.8 Im Rahmen dieser Funktionsteilung ist theoretisch keine bestimmte Ausbildung Voraussetzung. Luthers Kennzeichnung der theologischen Existenz durch die drei Begriffe oratio, meditatio, tentatio sind als treffende Beschreibung, nicht aber als Normierung zu verstehen.9 In diesem Zusammenhang muß auf die Hochschätzung der alten Sprachen durch Luther eingegangen werden. Der lateinischen Sprache, aber besonders den biblischen Sprachen Hebräisch und Griechisch wird von Luther entschei-

2 Vgl. G. Wingren, Art.: Beruf. II. in: TRE 5, 657ff.; ferner Mau (1982), a.a.O. 3 M. Luther (1520), a.a.O., 367, 4; vgl. ferner Cl II, 17f. und 398f. - Die Lutherzitate werden modernisiert wiedergegeben. 4 M. Luther (1523), a.a.O., 399, 3ff. 5 Ebd., 400, 21. 6 Vgl. ebd., 401, 22. 7 Mau (1982), a.a.O., 21. 8 Vgl. auch Josuttis (1984), a.a.O., 276 sowie Lämmermann, a.a.O., 39. 9 Vgl. Ebeling (1975), a.a.O., 176ff. sowie Henkys (1983), a.a.O. Ausfuhrlich dazu Bayer, a.a.O.

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dende Bedeutung zuerkannt. „Wiewohl das Evangelium ist allein durch den Heiligen Geist gekommen und kommt täglich, so ist es doch durch das Mittel der Sprachen gekommen und hat dadurch zugenommen, muß auch dadurch gehalten werden." 10 Für Luther steht fest, „daß wir das Evangelium nicht wohl werden erhalten ohne die Sprachen. Die Sprachen sind die Scheiden, darin dies Messer des Geistes steckt. Sie sind der Schrein, darin man dieses Kleinod trägt. Sie sind das Gefäß, darin man diesen Trank fasset. Sie sind die Kemnot, darinnen diese Speise lieget. Und wie das Evangelium selbst zeigt, sie sind die Körbe darinnen man diese Brote und Fische und Brocken behält."11 Aber Luther differenziert hier auch. Nicht jeder muß die Sprachen beherrschen: „die Sprachen (sind)... vonnöten in der Christenheit, gleichwie die Propheten oder Ausleger, obgleich es nicht nötig ist noch sein muß, daß ein jeglicher Christ oder Prediger sei ein solcher Prophet."12 Die Wichtigkeit, die Unverzichtbarkeit der alten Sprachen fur die Christenheit steht nach Luther außer Frage. Sie werden jedoch nicht zum alleinigen Maßstab fur die Prediger gemacht. Das Wahrnehmen der realen Verhältnisse in den Gemeinden im Zuge der durchgeführten Visitationen machten die problematischen Zustände dort sichtbar. Zwar darf davon ausgegangen werden, daß es wirklich Gemeinden gab, die einen Prediger aus ihren Reihen beriefen — dafür scheint die Herkunft vieler in Wittenberg Ordinierter aus handwerklichen Berufen zu sprechen und vielleicht zum Studium an die Wittenberger Universität schickten. 13 In der Mehrzahl aber waren es keine Idealgemeinden, und die Visitatoren trafen auf Pfarrer aus katholischer Zeit, die erst für die evangelische Amtsführung befähigt werden mußten. Zu diesem Zweck verfaßte Luther den „Großen Katechismus". In der Vorrede ist das inhaltliche Anliegen formuliert: Im Vordergrund steht die Kenntnis der Schrift und des Katechismus, „daß er (der Pfarrer - Vf.) könne in allen Sachen und Fällen raten, helfen, trösten, urteilen, richten, beide geistliche und weltliche Wesen und möge sein ein Richter über alle Lehre, Stände, Geister, Recht und was in der Welt sein mag" 14 . Von einer „Theologie" als Voraussetzung dazu ist hier nicht die Rede. So war auch das Studium der Theologie in Wittenberg nicht auf bestimmte Qualifikationen ausgerichtet, sondern wurde in traditioneller, bewährter Weise fortgeführt. Dazu gehörte auch die dem Humanismus entstammende Hochschätzung der alten Sprachen und das Vorherrschen allein exegetischer Vorlesungen. Examina gab es zunächst nicht. Erst 1532 wurden nach zehnjähriger Pause wieder Doktorpromotionen vorgenommen. Nach dem Augsburger Reichstag fühlten sich wohl die Witten10 M. Luther (1524), a.a.O., 450, 3 I f f 11 Ebd., 4 5 1 , 2 5 f f 12 Ebd., 453, 3 3 f f 13 Vgl. Drews (1905), a.a.O., 16. 14 M. Luther (1530), a.a.O., 552.

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berger dazu berufen, die Lehre auch auf der höchsten akademischen Lehrebene des Doktorats weiterzugeben.15 Systematische Gesichtspunkte fur das Theologiestudium wurden von Melanchthon eingebracht. Unter der Kategorie „doctrina christiana" oder „doctrina Ecclesiae" wurden von Melanchthon die Heilige Schrift, die Verkündigung der Kirche und die wissenschaftliche Lehre zusammengefaßt. Solche „doctrina" wurde als die dem minister verbi divini objektiv vorgegebene Lehre verstanden, deren Wächter und Beschützer er sein soll.16 Von dieser systematischen Bestimmung des Pfarrerberufs ausgehend, gelangte Melanchthon zu Konsequenzen, zunächst didaktischer Art: Es ging ihm um die Begründung einer Lehrwissenschaft, die auf eine weitmöglichst allgemeine, nicht an das Subjektive gebundene Erkennbarkeit der doctrina Ecclesiae aus war.17 Dann führte es auch zu der Einsicht, daß die berufenen Kandidaten in Wittenberg ordiniert und in diesem Zusammenhang durch die Fakultät geprüft wurden. Den Ordinierten wurde dann bescheinigt, daß sie sich in einer Prüfung als Anhänger der reinen Lehre des Evangeliums erwiesen haben. Bei Melanchthon ist somit der Beruf Ausgangspunkt der Frage nach der Theologie bzw. nach der „doctrina". Dabei ist die doctrina aber zugleich das, was auch verkündigt wird und nicht nur das, was zur Verkündigung befähigt. Die entsprechenden Prüflingen sind demnach auch nicht auf Qualifikationen, sondern allein auf die Rechtgläubigkeit des Kandidaten ausgerichtet.

2.2.

Theologische Bildung zur Zeit der lutherischen Orthodoxie

Auf wissenschaftstheoretischem Gebiet wird in diesem Zeitabschnitt besonders der praktische Charakter - „habitus practicus" - der theologischen Wissenschaft herausgestellt. So wird etwa von Johann Gerhard die Theologie parallel zur Medizin betrachtet: Beschäftigt sich die Medizin mit den Heilsmitteln nicht aus reinem Wissensinteresse, sondern im Blick auf den durch diese zu bewirkenden Zweck, der Heilung des kranken Menschen, so handelt die Theologie von dem Wort Gottes im Blick darauf, daß das Wort Mittel ist, um den Menschen zum ewigen Leben zu fuhren.18 In Aufnahme scholastischer Traditionen wird das Subjekt der Theologie jetzt neu bestimmt: Der Mensch und sein von Gott gesetztes Heil ist das Ziel aller theologischen Bemühungen. Dabei kommt der doctrina große Bedeutung zu. Der Begriff doctrina ist jetzt aber anders zu fassen als bei Melanchthon. Der Ort der doctrina ist nicht mehr die Kirche, sondern die Seele des einzelnen Menschen. Der Begriff ist mit „Gelehrtheit" zu übersetzen, beschreibt also den 15 So bei R. Schwarz: Luther. Göttingen 1986 (KIG 3,1), 192. 16 Vgl. Wallmann (1961), a.a.O., 63f. 17 Vgl. ebd., 77. 18 Vgl. ebd., 51 f.

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Zustand des Belehrtseins.19 Theologie ist demnach bei Johann Gerhard „die aus dem Worte Gottes gebildete doctrina, durch die Menschen in wahrem Glauben und frommem Leben zum ewigen Leben erzogen werden" 20 . Theologie ist also etwas, was allen Christen eignet, nicht nur den Theologen. Wallmann hat — in unmittelbarem Vergleich zu Calixt - gezeigt, wie abhängig dieser Theologiebegriff bei Gerhard von dem Amtsverständnis in den damaligen lutherischen Landeskirchentümern war. Die Aufgaben des Pfarrers betrafen allein die „inneren" Pflichten: Wortverkündigung, Sakramentsverwaltung, Kirchenzucht. Die „äußeren" Dinge wie Ordnung des Gottesdienstes und andere Fragen der Leitung der Kirche waren Angelegenheiten des magistratus politicus.21 Dem entspricht die Betonung des einzelnen als Ort der doctrina und die fehlende Relevanz fiir die Kirche. Für die Wahrnehmung der Aufgabe, den Glauben der Menschen zu wecken und zu erhalten, bedarf es keiner besonderen Theologie oder doctrina; Bücher und Predigten wollen auch solche doctrina im Sinne der „Gelehrtheit" bewirken. Der Unterschied zwischen dem Theologen und dem Christen ist also theoretisch nicht in der theologischen Bildung, sondern lediglich in der methodischen Ausbildung zu sehen. Das betrifft besonders die starke Berücksichtigung rhetorischer Gesichtspunkte, sowohl bei der Auslegung biblischer Bücher wie dogmatischer Kompendien. 22 Ebenfalls ist das Aufmerksamwerden auf Frömmigkeit und Tugend - gewissermaßen als Ausbildungsziele' - hierzu zu rechnen.23 So kann man konstatieren, daß in dieser Epoche ein Interesse an dem Theologen als Subjekt der Theologie zwar noch nicht thematisiert, aber immanent doch schon vorhanden ist.24 Das Theologiestudium war nunmehr zur allgemeinen Voraussetzung für das Pfarramt geworden, wobei aber Länge und Kontrolle des Studiums noch nicht festgelegt waren. 25

19 Vgl. ebd., 62ff. 2 0 Ebd., 62. 21 Vgl. ebd., I47f. 22 Vgl. dazu Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburgs, II, 139. - Hinzuweisen ist auf die Vielzahl von Veröffentlichungen aus dieser Zeit zur Methode des Theologiestudiums. 2 3 Vgl. dazu u.a. den Hinweis auf Chyträus bei Mau (1979), a.a.O., 72 24 So berechtigt die Kritik an Überspitzungen in dieser Zeit auch ist, so bleibt eine nur negative Einschätzung im Gesamtzusammenhang doch unangemessen. - gg. Luther (1976), a.a.O., 166ff. 25 Vgl. Cohrs, a.a.O., 307.

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3. Die Unterscheidung von Theologie und Religion 3.1 Bildung und Ausbildung in der Zeit des Pietismus Der Pietismus ist zum einen als Reform- und Erneuerungsbewegung innerhalb der Kirche zu sehen. Er ist zum anderen notwendigerweise in Verbindung zu setzen mit einer Veränderung im Verständnis von Wissenschaft, die im 17. Jahrhundert zunehmend wirksamer wird und selbstverständlich auch die Theologie und ihr Verständnis beeinflußt. 26 In der Zeit der lutherischen Orthodoxie wurde Wissenschaft ausschließlich als rezeptive Tätigkeit angesehen, wobei das Subjekt der Erkenntnis durch die Qualität dess Erkenntnisobjekts qualifiziert wurde. Das Vordringen und die Durchsetzung des experimentell empirischen Denkens in der Wissenschaft führte zu einer Priorität des subjektiven Erkennens in diesem Prozeß und spiegelte somit zugleich einen veränderten gesellschaftlichen Bedürfnishorizont wieder, in dem Wissenschaft vorrangig unter Verwertungsgesichtspunkten gesehen wurde. Ahlers kommt zu der Folgerung: „Der Pietismus ist ein theologischer Ausdruck des Bewußtseins, das als gesellschaftliches wie wissenschaftliches herrschend wird." 27 Der Pietismus ist demnach wesentlich motiviert durch ein Unbehagen an den moralischen und gesellschaftlichen Zuständen, die theologisch interpretiert werden als Mangel an Frömmigkeit und an Geisteserkenntnis.28 Unter diesem Vorzeichen ist es reizvoll, Reformvorschläge dieser Zeit, die die Kirche und die Theologie betreffen, im Blick auf die Relevanz fur die theologische Ausbildung zu betrachten. Zwei exemplarische Schriften sollen dieser Betrachtung zugrunde gelegt werden: Speners „Pia Desideria" von 1675 und Franckes „Idea studiosi Theologiae" von 1712. Die unterschiedliche Situation beider Autoren erklärt manche Besonderheiten. Spener verfaßte seine Reformschrift in Frankfurt/Main, also sowohl mit den Erfahrungen eines leitenden Geistlichen29 wie auch vor dem Hintergrund des dortigen „Collegium pietatis" an dem Christen der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten beteiligt waren. A.H. Francke, der andere Autor, äußert sich als Universitätslehrer, der hier seine häufig gehaltenen, paränetischen Vorlesungen für die Studenten zusammengefaßt hat. Beiden gemeinsam ist das starke Insistieren auf dem Priestertum aller Gläubigen. Aber während Spener unter dem Grundgedanken der Erneuerung der Kirche durch die erfahrbare Lebenswirklichkeit des Heiligen Geistes alle relevanten Instanzen - den weltlichen Stand, den Predigerstand und 26 Zum Folgenden vgl. Ahlers, a.a.O., 65ff. 2 7 Ebd., 69. 28 Vgl. ebd., 77. 29 Er teilt mit, er habe die Schrift vor der Veröffentlichung mit seinen Amtsbrüdern diskutiert. - Vgl. Spener, a.a.O., 5,2.

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die christliche Gemeinde - behandelt, bleiben die Ausführungen Franckes ganz auf das Subjekt des Theologiestudenten beschränkt. Zum Beruf des Pfarrers ist bei beiden nicht explizit Stellung genommen.

Ph.J. Spener: Pia-Desideria Spener beginnt mit der Aufzählung der Mißstände in der erfahrenen Lebenswirklichkeit. Die weltlichen Obrigkeiten nehmen ihre Verantwortung zur Leitung der Kirche nicht wahr; es fehlt ihnen an Frömmigkeit. Dasselbe Urteil trifft den Predigerstand; es fehlt die persönliche Frömmigkeit. Aber die Reformierung oder Besserung der Prediger ist nicht der Hauptpunkt. Spener versteht den Beruf des Pfarrers als Position des gewählten und berufenen Predigers. Er hat das öffentlich zu praktizieren, wozu jeder Christ an seinem Mitchristen verpflichtet ist. Daneben steht die Erfahrung des „Collegium pietatis", des praktizierten allgemeinen Priestertums. Alle Christen sind Priester, und die Funktion des Predigers wird „als ihr Direktor und ältester Bruder" 30 näher beschrieben. Bei der Erörterung von Vorschlägen fiir die Theologenausbildung werden noch einige Dimensionen des Pfarrerberufs, wie Spener ihn sieht, deutlich: Es ist ihm wichtig, daß die Kirche „alle zeit auch gnugsam außgerüstet seye mit leuten, die den feinden der Wahrheit den Kopf bieten" 31 . Für alle aber solle gelten, daß „sie sich gleichwohl auch also rüsten, daß sie bey begebender gelegenheit vermögen den Widersachern das Maul zu stopffen und ihre Gemeinden dermahl eins vor irrthum zu verwahren" 32 Hier wird deutlich, worin Spener die bleibende Bedeutung des Pfarrerberufs sieht, nämlich in der theologischen Verantwortung, die dem Amt zugehört. Die Eignung zu diesem Amt entscheidet sich aber auch für ihn auf dem Feld der Praxis, worunter allein die „Praxi(s) des Glaubens und Lebens"33 des einzelnen zu verstehen ist. Unter der Voraussetzung des allgemeinen Priestertums unterscheidet sich der Theologe nicht durch seine Bildung von den Mitchristen; Unterschiede im theologischen Wissen kommen lediglich durch die unterschiedliche Intensität menschlicher Tätigkeit zustande.34 So kann Spener als Zweck aller Studien die „Lehre von der Gottseligkeit" 35 bestimmen. Um diese weitergeben zu können sind praktische Fertigkeiten zwar von geringerer Bedeutung, aber doch hilfreich. So möchte er bereits im Studium berücksichtigt sehen, „zuweilen einige unwissende zu unterrichten, krancke zu troesten und dergleichen. Vornehmlich in den Predigten sich also zu üben" 36 . Bei der Predigt soll dem Zweck, die Leute selig zu machen, alles andere untergeordnet werden „und hat sich darinnen der Prediger vielmehr nach seinen Zuhörern, weil sie nach ihm nicht können, zu richten; Allezeit aber mehr auf die einfältigen ... zu sehen' 37 30 32 34 36

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Spener, a.a.O., 60, 11. Ebd., 73, 4ff. Vgl. Ahlers, a.a.O., 80. Ebd., 78, 30ff.

31 33 35 37

Ebd., 72, 33f. Ebd., 69, 8. Spener, a.a.O., 26, 25. Ebd., 79, 21 ff.

Von großer Bedeutung ist die Aufmerksamkeit, die Spener dem Theologiestudenten in seiner Individualität zuzuwenden anregt: Die Professoren sollen die Studenten individuell fur ihr Studium beraten. Dabei sollen u.a. auch die Anforderungen, die die konfessionellen Verhältnisse in den Herkunftsländern der dorthin zurückkehrenden Absolventen stellen, berücksichtigt werden. 38 Ebenso soll die Perspektive des einzelnen Studenten - direkter Übergang in die Praxis oder das Anstreben einer Promotion - dabei bedacht werden An den Vorschlägen Speners werden bereits einige Momente sichtbar, die das oben skizzierte veränderte Wissenschaftsverständnis in seiner Wirkung auf die Theologie deutlich werden lassen. Da ist zunächst die Differenzierung der theologischen Erkenntnis in eine literale und eine spirituale.39 Zur literalen Erkenntnis ist jeder Mensch durch seine natürlichen Kräfte befähigt. Aber allein die spirituale Erkenntnis, die durch die Gnade Gottes geschenkt wird, fuhrt zur praktischen und heilsamen Erkenntnis. Der Theologie liegt also der persönliche Glaube voraus. Mehr noch: Der Glaube des Subjekts bestimmt die Theologie. Die spirituale Erkenntnis wird als eine menschliche Möglichkeit gesehen, die aber methodisch angebahnt werden kann und muß. Ziel der theologischen Ausbildung ist wesentlich die freie Tätigkeit des einzelnen als Christ; erst dann kommt die Wahrnehmung eines Amtes in den Blick. Das so beschränkte praktische Interesse begründet die Emanzipation von den äußeren Anforderungen der Kirche. A.H. Francke: Idea studiosi Theologiae In dieser Schrift Franckes werden die zuletzt genannten Momente besonders deutlich. § 1 lautet: „An einem Studiosi Theologiae suchet man zuerst und vor allen Dingen, daß sein Hertz rechtschaffen sei vor Gott." 40 In der ganzen Schrift überwiegen geistlich-moralische Ermahnungen (§ 2-25), Erörterungen eines moralischen Lebenswandels (§ 31—42) und Ausführungen über die Versuchungen des Satans (§ 43—47). In den Paragraphen 26-30 geht der Verfasser recht ausfuhrlich auf Studieninhalte und Fragen der Studienorganisation ein: Eine wichtige Rolle wird der Studienberatung durch „Praeceptores" eingeräumt. Ihr Rat ist stets einzuholen und er ist zu befolgen (!).41 An erster Stelle steht das geistliche Leben, denn der persönliche Glaube ist die wichtigste Voraussetzung fur die spirituale Erkenntnis. Da diese heilsame Erkenntnis aber auch angebahnt werden kann, kommt methodischen Anleitungen fur einen geordneten und geplanten Studienablauf 42 sowie für ein produktiv aneignendes Studium 43 ebenfalls eine wesentliche Bedeutung zu. Bei allen Bemühungen soll die Gesundheit des Studenten stets im Blick bleiben. Ermutigt wird zum freien Gespräch untereinander mit ehrlicher Kritik und Bestätigung.44 Kein fester 38 40 42 44

Vgl. ebd., 72, 28ff. Francke, a.a.O., 172. Vgl. ebd., 183. Vgl. ebd., 183.

39 Vgl. dazu Ahlers, a.a.O., 42ff. 41 Vgl. ebd., 182. 43 Vgl. ebd., 186.

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Kanon wird fur das Studium vorgeschrieben; vielmehr soll der einzelne sich Schwerpunkte setzen.45 Als wichtige Elemente im Studium werden die Predigtübungen angesehen.46 Und Übungen in der Unterweisung der Jugend sind nach Francke die beste Vorübung zum Lehramt der Kirche.47 Konsequenter noch als bei Spener wird bei Francke die Linie zur praktischen Anwendung hin ausgezogen. Ausgangs- und Zielpunkt ist die fromme Erbauung des einzelnen. Der ständige Bezug auf das Subjekt dominiert hier alles andere; der Anwendungsorientierung kommt die Priorität zu. So können auch im Bereich der Studieninhalte systematische Topoi in Erlebniskategorien überfuhrt werden - z.B. durch die Frage: „Was ist unsere Pflicht nach dieser Lehre?".48 Andererseits gestaltet sich das Interesse an der individuellen Frömmigkeit methodisch als Rückgriff auf die Schrift. Ein ausfuhrliches Studium der Schrift steht oben an und dazu ist das Erlernen der alten Sprachen wichtig.49 Zur Anwendungsorientierung gehört auch die Hereinnahme des Einübens praktischer Fertigkeiten. Für den Theologiestudenten bedeutet das, „daß er an seinem Theil sich dazu auch in dem was äusserlich erfordert werden möchte gebührlich bereitet habe"50. Durch die Errichtung des Waisenhauses, der Installierung des Unterrichts dort durch Studenten und durch deren Weiterbildung trug Francke Entscheidendes zur Verwirklichung seiner Vorstellungen bei. Es ist wohl zutreffend wenn im Blick auf dieses Programm einer Theologenausbildung eher von „Erziehung" denn von „Bildung" die Rede ist.51 Pfarrerberuf und Theologie haben in diesem Entwurf keinen eigenen Stellenwert. Alles ist auf das einzelne Subjekt gerichtet und von daher werden Aspekte der jeweiligen Bereiche ausgewählt: — Im Blick auf den Beruf das Einüben anwendbarer Fertigkeiten; - im Blick auf die theologischen Inhalte ihre Wirkung für die Entwicklung des Individuums. Das Ernstnehmen des einzelnen Studenten als Subjekt und die Hereinnahme von Aspekten der Berufswirklichkeit in das Studium bezeichnen Größe und Grenze der pietistischen Reformvorstellungen für die Theologenausbildung.

3.2. Theologische Bildung als Voraussetzung der Amtsausfiihrung die Zeit der Aufklärung Schon bald nach der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das unproblematische Verhältnis des Laien zur Theologie, wie es der Pietismus vertreten hatte, problematisiert. Das Schriftverständnis wurde wieder als Monopol der Exper45 47 49 51

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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebd., 188. ebd., 189. ebd. Luther (1976), a.a.O., 172.

46 Vgl. ebd., 187. 48 Vgl. Ahlers, a.a.O., 74, Anm. 57. 50 Francke, a.a.O., 189.

ten angesehen, die dazu ein hohes Maß an Kenntnissen brauchten. Die Berufsperspektive wird nun sichtbar in der Wahrnehmung des konkreten Berufsfeldes. Dafür ist zum einen bestimmend, daß die veränderte Funktion des Pfarrers, der nun vor allem als Lehrender gesehen wird, in den Blick kommt. Diese Aufgabe gerüstet wahrnehmen zu können, dazu soll er im Theologiestudium vorbereitet werden. Als Lehrender steht der Theologe der Gemeinde, den Laien gegenüber. Mit dieser wesentlichen Veränderung der Auffassung des Pietismus wird zugleich ein anderes Moment bedeutsam: Die Kenntnis der „Zu-Belehrenden" und zwar nicht so sehr als Individuen, die der Wegweisung zum Heil bedürfen, sondern in ihrer empirisch erhebbaren Lebenssituation. Am folgenreichsten ist diese neue Situation von J.S. Semler wahrgenommen und bedacht worden.52 Seine entscheidende Bedeutung liegt in der verstehenden Anerkennung der tatsächlichen konkreten Wirklichkeit, womit letztlich die Erfahrung verbunden war, „daß das Kirchliche zum Partikularen geworden war". 33 Zwar ist fur Semler die Kirche durchaus eine gesellschaftliche Institution, ja Kirche und Gesellschaft können im Blick auf die damaligen Landesgrenzen und die jeweiligen Konfessionen ineins gesetzt werden. Aber der einzelne Mensch wird damit nicht mehr vollständig erfaßt. Der Glaube, das christliche Denken und Leben des einzelnen Menschen, kann sich unabhängig von der „kirchlichen Theologie" entwickeln. Diese muß anerkennen, daß ihr Anspruch auf allgemeine Prägung nicht mehr gilt. Die „freie Persönlichkeit" des Individuums begrenzt den Anspruch der kirchlichen Theologie. Der Prediger in seiner Lehrfunktion hat es also mit einer „differenzierten Gemeinde" zu tun. Semler schreibt da von „denkenden Christen, die einen Lehrer nicht mehr nötig haben" 54 . Hier ist es nicht mehr möglich, eine Theologie als Handlungsanleitung oder als Wegweisung zu formulieren.55 Vielmehr ist Theologie nunmehr nur noch als „eine den Lehrern der christlichen Religion eigenthümliche Geschicklichkeit"56 zu beschreiben, deren „nächster Zweck ist, die und jenen Personen zum öffentlichen Lehramt vorzubereiten"57. Die im Studium anzueignende Theologie ist also wesentlich instrumenteil zu verstehen: Sie schafft einen „Uberschuß" an Bildung und führt zur Herausbildung einer „Lehrgeschicklichkeit". Damit ist der Prediger in die Lage versetzt, der Situation eines differenzierten Adressatenkreises begegnen zu können. Der Lehrende muß

52 Z u m Folgenden vgl. Rendtorff, a.a.O. 53 Ebd., 60. 54 J . S . Semler: Versuch einer freieren theologischen Lehrart. Halle 1777, 8. - Zit. n. Rendtorff, a.a.O., 53. 55 N a c h Semler ist die kirchliche Theologie eine „nützliche Lehrart, welche fiir unfähigere Christen sorget". - Semler, op. cit., 10; zit. n. Rendtorff, a.a.O., 54. 56 Semler, op. cit., 1; zit. n. Ahlers, a.a.O., 103. 57 Semler, op. cit., 193; zit. n. Ahlers, a.a.O., 104, Anm. 14.

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mehr wissen, als er vermitteln kann, „damit der Lehrer allen alles werden könne"58. In anderer Begrifflichkeit und konkret auf die Amtstätigkeit des Pfarrers bezogen, wird dasselbe Moment deutlich in der Beschreibung einer auszubildenden „Pastoralklugheit"59. Damit sollte eine Handlungsfähigkeit unter den Bedingungen der Mannigfaltigkeit in der Kirche gesichert werden. In diesem Verständnis steht eindeutig die Wahrnehmung der Berufsanforderungen mittels der durch die Theologie dazu erbrachten Befähigung im Mittelpunkt. Ausdruck dieser Befähigung ist weniger die Erkenntnis des Richtigen — die Erkenntnis der Wahrheit - als vielmehr die Fähigkeit, differenzierten Situationen begegnen zu können. Damit ist der Theologe dem Mediziner und dem Juristen vergleichbar. Somit wird in dieser Sicht des Theologen als „spezialisierter Fachmann" die Struktur der Gesellschaft deutlich, in der bestimmte Funktionen von daflir durch spezielle Ausbildung befähigten Fachleuten besetzt werden sollen. Theologie, verstanden als theologische Bildung, ist zur notwendigen Befähigung des Pfarrers geworden. Der Pfarrer in der Zeit der absolutistischen Landesherrn aber „ist der im staatlichen Interesse und staatlichem Auftrag die Gemeinde im christlichen Glauben unterrichtende Lehrer"60. In diesen Grenzen ist er frei; er kann Liturgie, Gottesdienste etc. frei gestalten, er kann „allen alles werden". Aber ebenso sind sämtliche Verordnungen der Regierung von den Kanzeln zu verlesen. Noch ein weiterer Aspekt ist von Bedeutung. In vielen Territorien bildete die Theologische Fakultät nicht nur für das Pfarramt, sondern auch für den Schuldienst aus. Die Kandidaten der Theologie waren nach dem Studium für Jahre als Lehrer tätig, entweder an Stadtschulen oder bei begüterten Familien als Hauslehrer. Erst relativ spät kam der Theologe in eine frei werdende Pfarrstelle. Dieser Regelfall des Berufsweges führte in dieser Zeit zur Institutionalisierung der Katechetik innerhalb der Theologischen Fakultäten. Die utilitaristische Sicht trug wesentlich dazu bei, daß solche Impulse zur Optimierung der Ausbildung in Verbindung gerieten mit dem Interesse des Staates an der praktischen Ausbildung seiner Kirchendiener. So schreibt J.C. Veithusen, Gründer des Pädagogisch-theologischen Seminariums an der Universität Rostock zur Begründung dieser Institution im Jahr 1790: „Ihre (der angehenden Theologen — Vf.) nächste Bestimmung bleibt in der Regel unstreitig die, daß sie als Jugendlehrer in Familien aus allerlei Ständen unmittelbar nach Verlassen der Universität ihre erworbenen Kenntnisse gemeinnützig anwenden sollen: und doch studieren die meisten derselben so, als ob sie sich einbildeten, schon

58 Semler; Vorwort zum Magazin für Religion. Halle 1780, Bd. II, S. XIIX; zit. n. Ahlers, a.a.O., 110. 59 Vgl. Ahlers, a.a.O., 98. 60 Drews (1905), a.a.O., 128.

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gleich mit der Beschließung ihrer akademischen Laufbahn, binnen höchstens drei Jahren, sofort Prediger zu werden."61 Es ist deutlich, daß in den Überlegungen zum Theologiestudium der Student als Subjekt nur als solcher erscheint, an dem mittels der Theologie und der praktischen Übung Fähigkeiten und Fertigkeiten fur seine Berufsausfuhrung ausgebildet werden.

Exkurs: Die Gründung von praktisch-theologischen an den Universitäten

Seminaren

W. Schulz hat die Gründung der Universitätsseminare ausfuhrlich dargestellt.62 In seinen Anfängen war das Seminar eine Art Spezialschule. Es sollte auf die Erfordernisse des Berufs vorbereiten, unter den gegebenen Umständen v.a. auf die Lehrtätigkeit der Theologen. Seit 1697 gab es in Halle das „collegium elegantioris litteraturae", dessen Tätigkeit v.a. philologisch ausgerichtet war. Ihm zur Seite trat das von A.H. Francke begründete „seminarium praeceptorum". Daraus ging 1707 ein Oberseminar hervor, das 1715 in Verbindung gebracht wurde mit dem „seminarium ministerii ecclesiastici". Auch an anderen Orten (Erlangen, Helmstedt) wurden solche Seminare ins Leben gerufen, die aber noch keine Institutionen der Universität waren. Erst 1779 wurden wiederum in Halle „pädagogische Seminare" im Rahmen der Universität begründet, die später in eine pädagogische und eine theologische Klasse geteilt wurden. Weitere Universitäten folgten. So wurden Seminare zur Erlangung der Lehrbefähigung bzw. katechetische Seminare gegründet: 1790 in Rostock, 1817 in Jena, 1818 in Heidelberg, 1821 in Erlangen und 1823 in Bonn. Ferner wurde 1792 durch Regierungsbeschluß in Marburg ein Seminar zur Vorbereitung auf das Predigeramt gegründet, ebenso in Tübingen eine Predigeranstalt. Die Arbeit in den Seminaren sahen pädagogische Vorlesungen und praktische, katechetische Übungen der Mitglieder des Seminars vor.63 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Gründung des „Königlichen Pastoralinstituts" 1783 in Göttingen hinzuweisen.64 Auch dieses ist ein Institut mit sehr praxisbezogener Ausrichtung, aber ebenfalls nicht aus der Universität hervorgegangen. Nach 1820 trat die streng berufsbezogene Ausrichtung der Seminare immer mehr zurück. In den philosophischen Fakultäten wurden zwar weitere Seminare geschaffen, denen aber nun die pädagogische Dimension fehlte. Die praktische Ausbildung wurde nunmehr als nebensächlich angesehen und verschwand - mit den Ausnahmen Jena und Leipzig - wieder von den Universitäten. Diese allgemeine Entwicklung

61 J.C. Velthusen: Nachricht von der Stiftung eines herzoglichen pädagogisch theologischen Seminariums auf der Universität Rostock. 1790, 3; zit. n. Pauli, a.a.O., 310. 62 Zum Folgenden vgl. Schulz, a.a.O., bes. I47ff. 63 Für die Arbeit im Rostocker Seminar vgl. Pauli, a.a.O., 31 Off. 64 Genaueres dazu bei Piper, a.a.O., I4ff. 49

berührte auch die theologischen Seminare. Zwar wurden weiterhin praktisch-theologische Seminare gegründet (Breslau 1827, Kiel 1835, Leipzig 1853, Königsberg 1844, Marburg 1873, Berlin 1875 und Gießen 1882). 65 Aber auch hier wird nun eine stärker wissenschaftliche Ausrichtung gefordert. So wird z.B. über das bisherige Rostocker pädagogisch-theologische Seminar 1841 von der großherzoglichen Regierung verfugt, es könne noch weiterbestehen, „jedoch nur in der Voraussetzung, daß dasselbe eine mehr wissenschaftliche Richtung annehme". Jetzt ist das Seminar „ein Institut, welches die praktische Vorbildung der daselbst Theologiestudierenden für ihren künftigen Beruf als Geistliche ... zur Aufgabe hat.66 Insgesamt muß wohl der Beurteilung von Schulz zugestimmt werden, „daß die evangelisch-theologischen Fakultäten fast gar nicht federführend im Institutionalisierungsprozeß der Katechetik waren. Partiell versuchten sie, diese Entwicklung aufzuhalten. Nur gelegentlich waren es einzelne an der Praxis interessierte Theologen, die sich um die Einrichtung eines praktischen Seminars bemühten. Zum größeren Teil gingen die Anregungen und Bemühungen auf staatliche und kirchliche Einflüsse zurück." 67 Es wäre allerdings einseitig, diese Feststellung unter Absehung von der geistesgeschichtlichen Entwicklung absolut zu treffen. Es ist jedoch zutreffend, daß die Theologie als Wissenschaft nicht zur Praxis drängte. Diese Initiativen kamen vielmehr von der - teilweise unreflektierten - Praxis her und vermochten es daher nicht, einen Beitrag zur Förderung der Theologie als Wissenschaft zu leisten.68

4. Theologische Ausbildung zwischen praktischer Abzweckung und theoretischem Studieren — Impulse Schleiermachers Schleiermacher hat mit seinem Programm des Theologiestudiums an der Universität entscheidende Wirkung erlangt. Zwar darf die direkte, ablesbare Wirkung dieser Konzeption nicht zu hoch veranschlagt werden. Aber die gesamte Diskussion dieser Problematik in der Folgezeit ist ohne dieses Programm nicht zu verstehen. Dabei müssen Schleiermachers Vorstellungen stets auch im Zusammenhang mit dem Pathos und dem Optimismus zur Zeit der Befreiungskriege gesehen werden. Zusammen mit Wilhelm von Humboldt gehörte Schleiermacher zu den Initiatoren einer Universitätsgründung in Berlin. Von daher ist es sinnvoll, seine Konzeption des Theologiestudiums im Kontext seiner Ideen von der Universität überhaupt zu betrachten.

65 Vgl. Schulz, a.a.O., 166. Er nennt hier fur das Leipziger Seminar das Jahr 1853 als Gründungsdatum. Bei D. Müller wird 1834 als Gründungsjahr angegeben. - Vgl. ders. (1961), a.a.O., 127. 66 Die Zitate nach Pauli, a.a.O., 3 1 7 . 6 7 Schulz, a.a.O., 265. 68 Vgl. ebd., 167. - Vgl. dazu die Äußerungen Schleiermachers im folgenden Abschnitt.

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4.1. Allgemeine Gedanken zum Studium an der Universität Schleiermacher unterscheidet streng zwischen der Berufsausübung und zwischen dem Studium an der Universität. Dort geht es um den Dienst am Staat als Jurist, als Arzt, als Pfarrer; dort geht es um das Interesse des Staates. Anders die Universität.69 Sie stellt einen wissenschaftlichen Verein dar, der unabhängig vom Staat und nicht der anwendungsorientierten Tendenz verhaftet ist. In Distanz zum Anwendungsort geht es hier um die reine Wissenschaft. Aber letztlich ist diese Wissenschaft nicht zweckfrei, sondern praktisch orientiert. Beschäftigung mit der Wissenschaft bzw. in der Wissenschaft soll den Studenten in den Stand setzen, in der Praxis verändernd zu wirken. Von dieser Zielrichtung her kommt dem „Berufsfeld" eine die Studien regierende oder bestimmende Wirkung zu. Die Orientierung auf das „Berufsfeld" (nicht Berufsbild!) läßt die Erkenntnis von Zusammenhängen in den Vordergrund treten (nicht den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten!). Mit dieser Bestimmung wird dem Subjekt des Studierenden große Bedeutung zuerkannt. Damit ist ein wesentlicher Unterschied zur Auffassung der Rationalisten angemerkt. Der Student kann Wissenschaft nur lernen, er kann Erkenntnisse nur gewinnen durch Teilnahme am Prozeß der Wissenschaft. Dabei eignet der Wissenschaft eine immanente dialektische Struktur: Sie ist notwendig auf Kommunikation und Dialog zwischen den sie betreibenden Subjekten ausgerichtet. In diesen Prozeß sind die Studenten voll integriert. So werden sowohl Reglementierungen wie das Vorherrschen nur darbietender Lehrveranstaltungen abgelehnt.70 Dabei muß aber auf eine implizite Voraussetzung hingewiesen werden: Bei den Studenten wird vorausgesetzt, daß sie sich ganz in diesen Prozeß hineinbegeben, bestimmt von der „Überzeugung" der Richtigkeit und Wahrheit mancher vorgegebener Prämissen, und vom „Mißfallen" an krankhaften Abweichungen etc. Die damit angedeutete Idealisierung des Bildes von den Studenten setzt dieser Konzeption notwendige Grenzen. Das gilt ebensofiirdas Idealbild von der Universität als einem wissenschaftlichen Verein, dem Modell einer den Austausch von Individualitäten vermittelnden Geselligkeit. Im Blick auf die Theologie hat Schleiermacher hier die Vorstellung eines „Seminarium für gelehrte Theologie", während er das homiletische Seminar von der Universität verweisen möchte.71

69 Zum Folgenden vgl. auch Luther (1976), a.a.O., 206ff. 70 Bei Schleiermacher findet sich dazu die folgende Formulierung: Der creative Meister der Wissenschaft kann nicht nur erzählen, was er weiß; vielmehr muß er sein eigenes Erkennen reproduzieren. Dabei wird ihm keine Wiederholung möglich sein, ohne daß eine neue Kombination ihn belehrt und verändern läßt. - Vgl. dazu die entsprechenden Zitate aus der Schrift „Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn" (1808) bei Luther (1976), a.a.O., 210f. 71 Vgl. Schleiermacher (1810), a.a.O., 6 u. Anm. 1.

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4.2. Die Darstellung des Theologiestudiums Im Jahre 1810 wurde Schleiermacher Professor für Theologie an der gerade gegründeten Berliner Universität. 1811 veröffentlichte er eine „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen". 1830 erschien die 2. Auflage dieser Schrift, inhaltlich kaum verändert, aber doch mit einigen wenigen anderen Formulierungen.72 Im Folgenden sollen die Ausführungen zum Theologiestudium betrachtet werden. Theologie treiben, Theologie studieren ist Beschäftigung mit einer positiven Wissenschaft. Das bedeutet: Sie ist auf einen praktischen Zweck hin ausgerichtet (l).Der praktische Zweck ist aber nicht die optimale Erfüllung der in der Praxis gestellten Aufgaben aufgrund der Ausbildung. Vielmehr ist der praktische Zweck „Teilhabe an der Kirchenleitung" (3). Denn: „Die Aufgaben ...wird derjenige am richtigsten stellen, der sich seine philosophische Theologie am vollkommensten durchgebildet hat" (335). Es geht also um die Befähigung, angesichts der empirischen Situation die richtigen Aufgaben zu erkennen und entsprechend zu handeln — leitend, hervorbringend, gestaltend. Dabei wird unterschieden zwischen einer leitenden Tätigkeit in bezug auf das Ganze (= Kirchenregiment) und in bezug auf die einzelne Ortsgemeinde (= Kirchendienst) (274). Die Ortsgemeinde wird zunächst bestimmt - lokal: „als in demselben Raum lebender" und - kirchlich: „zu gemeinsamer Frömmigkeit verbundener christlicher Hauswesen" (277). Im Blick auf die einzelnen Menschen wird Gemeinde bestimmt als Zusammensein „überwiegend Produktiver und überwiegend Empfänglicher" (290). Die Tätigkeit im Kirchenregiment hat es zu tun mit dem spannungsvollen Nebeneinander von Interessen der Gemeinde und denen des Kirchenregiments (310). In beiden Feldern, sowohl in dem Kirchendienst wie auch in dem Kirchenregiment, ist man konfrontiert mit dem „ursprünglichen Gegensatz zwischen den Hervorragenden und der Masse" (267). Angesichts dieser ausgewählten Wahrnehmungsbereiche geht es nun darum, „die Aufgaben ... am richtigsten stellen" zu können, wozu der in der Lage ist, „der sich seine Philosophische Theologie am vollkommensten durchgebildet hat" (335). Damit wird zweierlei deutlich: Theologie und Subjekt sind nicht zu trennen. Theologie ist nicht etwas, was dem Subjekt vermittelt und von diesem angeeignet werden kann. Alles Theologietreiben und -studieren wird bestimmt von der persönlichen Haltung des Subjekts der Kirche gegenüber, von „seine(r) Vorstellung von dem dermaligen Bedürfnis der Kirche" (17), wie von seiner Anerkennung gewisser Grundsätze. So muß „das Bestehen solcher Vereine (fromme Gemeinschaften — Vf.) als ein fur die Entwicklung des menschlichen Geistes 72 Im Folgenden wird die 2. Auflage zitiert. Die Zahlenangaben im Text bezeichnen den jeweiligen Paragraphen.

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notwendiges Element nachgewiesen werden können" (22). Auch hierin wird die Ausrichtung auf das praktische Handeln noch einmal deutlich. Und „so muß ... doch beides, kirchliches Interesse und wissenschaftlicher Geist, in jedem vereint sein" (12). Es wird zwar von jedem gefordert, „die Grundzüge aller theologischen Disziplinen innezuhaben" (16) - gemeint sind damit die philosophische, die historische und die praktische Theologie. Aber es geht eben nicht um die philosophische Theologie als Objekt, sondern darum, daß das Subjekt die philosophische Theologie „ganz für sich selbst produzieren muß" (67). Hier verschafft sich der Student einen Begriff vom Christentum als Idee, von dem alle Abweichungen als Krankheitssymtome abgewiesen werden können (35). Ausgangspunkt ist die vorausgesetzte Uberzeugung des einzelnen von der Wahrheit der Glaubensweise in der Kirchengemeinschaft, der er angehört. Und Zielpunkt ist das vorausgesetzte Streben, mittels der „Kirchenleitung" „diese Überzeugung durch Mitteilung zur Anerkenntnis zu bringen" (39). Dazu bedarf es der „Untersuchungen über das eigentümliche Wesen des Christentums und ebenso des Protestantismus", d.h. der .Apologetik" (39). Dem korrespondiert das „Mißfallen" an krankhaften Abweichungen und die Abzweckung, mittels der „Kirchenleitung" diese Abweichungen als solche zum Bewußtsein zu bringen, d.h. die „Polemik" (40). Wie die gesamte Theologie wird also auch die philosophische Theologie „regiert" und bestimmt durch die praktische Ausrichtung und Abzweckung. Erst dadurch wird sie vollständig, sofern der kritisch entwickelte „Begriff von Kirche" zum praktischen Handeln mittels der „Kirchenleitung" führt. Dazu aber bedarf es weiterer Voraussetzungen, die in dem Gebiet der historischen Theologie erworben werden. Am ehesten ist noch der weite Bereich der historischen Theologie mit ihren drei Teilen - „Kenntnis des Urchristentums, Kenntnis von dem Gesamtverlauf des Christentums und Kenntnis von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblick" (85) - als Attribut fur das Subjekt zu betrachten. Doch gilt auch hier die eindeutige, praktische Orientierung: „Erst der Bezug der Ergebnisse und Forschungen auf diesem Gebiet auf die Kirchenleitung läßt jene Ergebnisse zu theologischen Erkenntnissen werden" (6). „Die richtigen Methoden werden sich demjenigen darbieten, der am vielseitigsten auf geschichtlicher Basis in der Gegenwart lebt" (336). Es entspricht der stärker objektivierenden Begegnung mit den Gegenständen dieses Bereiches, wenn für diese Beschäftigung nun gewisse objektive Anforderungen formuliert werden: „Jeder muß sich, sowohl was die Kenntnis des Gesamtverlaufs als auch was die des vorliegenden Momentes betrifft, seine geschichtliche Anschauung selbst bilden" (100). Dazu „muß auch jeder die Kunst besitzen, aus denselben (geschichtlichen Darstellungen — Vf.) das Materiale für seine eigene Bearbeitung möglichst rein auszuscheiden" (101). Um die Ausbildung und Anwendung dieser Kunst geht es in der historischen Theologie. Allerdings ist hier zu differenzieren zwischen dem, was „Virtuosen" — d.h. 53

solche, „welche es in der exegetischen Theologie zur Meisterschaft bringen wollen" (130) - können müssen und zwischen dem, „was von jedem Theologen zu fordern ist" (122). Das fur die Exegese Gesagte gilt analog für die Kirchengeschichte, wo „aus diesem unendlichen Umfang jeder Theologe dasjenige innehaben muß, was mit seinem selbständigen Anteil an der Kirchenleitung zusammenhängt" (185). Ebenso ist bei der dogmatischen Theologie zu differenzieren. Aber „von jedem evangelischen Theologen ist zu verlangen, daß er im Bilden einer eigenen Uberzeugung begriffen sei über alle eigentlichen Örter des Lehrbegriffs" (219). Auch von dem anderen Bereich der Kenntnis des gegenwärtigen Christentums, der „Statistik", gilt: „Eine allgemeine Kenntnis von dem Zustande der gesamten Christenheit in den hier angegebenen Hauptverhältnissen, nach der Maßgabe, wie jeder Teil mit dem Kreise der eigenen Wirklichkeit zusammenhängt, ist eine unerläßliche Forderung an jeden evangelischen Theologen" (244). Eine Differenzierung der Anforderungen hinsichtlich eines „Virtuosentums" sowie der Grundanforderungen an jeden Theologen ist nur in diesem Bereich der historischen Theologie durchführbar. Kriterium fur die Grundanforderungen ist demnach nicht ein definiertes Pensum, sondern die Anforderungen des künftigen Wirkungskreises. Diese Ableitung stellt aber mehr Probleme, als sie zu lösen vermag. Bedeutsam aber bleibt, daß keiner Fixierung, sondern einer Variabilität der Anforderungen der Vorzug gegeben wird. Im Unterschied zur historischen Theologie kann es in der philosophischen Theologie und in der praktischen Theologie kein unterschiedenes „Virtuosentum" geben, da hier die Beziehung zwischen Subjekt und Theologie in keiner Weise objektiviert werden kann. Die philosophische Theologie brachte die Gefühle der Lust oder der Unlust an dem jedesmaligen Zustand der Kirche zum Ausdruck. Aufgabe der praktischen Theologie ist es nun, die besonnene Tätigkeit mit klarerem Bewußtsein zu ordnen und zum Ziel zu führen (257). Dabei gilt: „Jedem besonnenen Einwirkenden entstehen seine Aufgaben aus der Art, wie er den jedesmal vorliegenden Zustand nach seinem Begriff von dem Wesen des Christentums und seiner besonderen Kirchengemeinschaft beurteilt" (259). Voraussetzung für das richtige Stellen einer Aufgabe war die Durchbildung einer eigenen philosophischen Theologie (336). Nun geht es um die „richtige Vorgehensweise bei der Erledigung aller unter dem Begriff der Kirchenleitung zu bringenden Aufgaben" (260). Die dabei aufzustellenden Regeln sind keine Handlungsanweisungen; es sind „Kunstregeln" (261). „Die Regeln können daher nicht jeden, auch unter der Voraussetzung der theologischen Gesinnung, zum praktischen Theologen machen, sondern nur demjenigen zur Leitung dienen, der es sein will und es seiner inneren Beschaffenheit und seiner Vorbereitung nach werden kann" (266). Praktische Theologie ist also keinesfalls nur Anwendungstheorie oder Anwendungswissenschaft. Alle Kirchenleitung beruht „auf einer bestimmten Gestaltung des ursprüng54

liehen Gegensatzes zwischen den Hervorragenden und der Masse" (267). Zum Verständnis dieses Gegensatzes:73 1) Das Christentum ist von Christus ausgegangen und war in ihm. Alle anderen verhalten sich wie Null dazu = absolute Ungleichheit. 2) Die Apostel waren Christus am nächsten: Sie übten dann die leitende Tätigkeit aus = Ungleichheit gegenüber Christus; Ungleichheit zu anderen Gläubigen. 3) Diese Ungleichheit nimmt im Laufe der geschichtlichen Entwicklung ab. Im Ideal wäre dann christliche Existenz zu denken als Mitteilung aller an alle. 4) Verständigung über religiöse Gegenstände geschieht mittels Sprache. Aber es gibt keine einheitliche Sprache = die Ungleichheit muß zunehmen und drückt sich aus in der Ungleichheit der Bildung. 5) Die kirchenleitende Tätigkeit und die theologische Wissenschaft sind Reproduktion der Ungleichheit. 6) Diese Ungleichheit soll nicht nivelliert werden; sie soll gestaltet werden, indem die Funktion der „Hervorragenden" näher bestimmt wird. Wichtig ist dabei das Interesse, in der Kirche etwas zustande zu bringen. 7) Dabei gilt, daß „auch die welche die leitenden sind in der Kirche, sollen sich empfänglicher halten dafür, daß es eine vollkommenere Ansicht geben kann als die welche sie besitzen"74. Für Schleiermacher ist die kirchenleitende Tätigkeit nicht nur notwendig, sondern auch sinnhaft. Sie braucht also nicht besonders begründet zu werden. 75 Die Existenz von Gemeinde wird aber erst durch den konstatierten Gegensatz begründet. 76 Insofern ist dieser Gegensatz aufrechtzuerhalten und zu gestalten, um eine .Ausgleichung" unter Gemeinden zu befördern. Und darin wiederum ist eine wesentliche Funktion der Kirchenleitung im Hinblick auf das Handlungsfeld — „das Kirchenregiment" — zu sehen: „in der Gestaltung eines Zusammenhangs unter einem Komplex von Gemeinden" (309). Das andere Handlungsfeld ist der „Kirchendienst" oder die leitende Tätigkeit innerhalb einer örtlichen Gemeinde (277). Zunächst ist durch die leitende Tätigkeit festzulegen, „wer mitteilend sein soll und wer empfänglich" (278), wodurch der Gegensatz zwischen Klerus und Laien erst einmal festgeschrieben ist. Zur Gestaltung dieses Gegensatzes gehört es ferner, die Gemeinde als die „überwiegend Empfänglichen" zu sehen. Dabei ist es die Funktion der leitenden Tätigkeit, daß sie „Gemeinsames hervorbringt: sofern aber unter den Empfänglichen ein Teil hinter dem Ganzen zurückbleibt, so ist ihr Zustand als einzelner Gegenstand der leitenden Tätigkeit" (290). In solcher „Seelsorge" geht es also um die Aufhebung der Ungleichheit. Ebenso gilt das fur die 73 337ff. 74 75 76

Dazu vgl. Schleiermacher (1850), a.a.O., 13ff. Vgl. ferner Luther (1987), a.a.O., Schleiermacher (1850), a.a.O., 22. Zur Begründung vgl. Schleiermacher (1830), a.a.O., 267 mit Erklärung. Vgl. ebd., 315 mit Erklärung.

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„Katechetik": Es gilt, „die Unmündigen den Mündigen gleichzumachen" (293). Die Mündigen aber sind die „Empfänglichen". Harmonie und Gleichheit stehen auch im Vordergrund, wenn es darum geht, Katechumenen „zu einer größeren Annäherung an die überwiegend Selbsttätigen vorzubereiten: so ist zu bestimmen, wie dies geschehen könne, ohne ihr Verhältnis zu den anderen Mündigen zu stören" (294). Zusammenfassend kann nach Schleiermacher resümiert werden: „Die christliche Theologie ist sonach der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der Kirche, d.h. ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist" (5). Dabei ist Theologie aber niemals nur als objektive Größe, als Attribut des Subjekts zu verstehen, sondern nur in engster Verbindung von Subjekt und Theologie zu sehen. Das Bleibende an der Konzeption Schleiermachers ist in dieser Erkenntnis zu sehen: Theologische Arbeit und Theologiestudium wird betrieben mit dem Ziel der Veränderung in der Praxis, um etwas „zustandezubringen". Es geht eben nicht um die optimale Erfüllung der vorgegebenen Pflichten des Pfarrers, sondern darum, den Theologen in den Stand zu versetzen, daß er verändernd in der Praxis wirksam werden kann mittels der „Kirchenleitung".

5. Die Dominanz der Ekklesiologie in der theologischen Arbeit und die Entdeckung des Wirklichkeitsdefizits in der Praktischen Theologie Das 19. Jahrhundert Schleiermachers Intentionen zur Gestaltung der Theologie als Wissenschaft wie auch zum Theologiestudium wurden nie wirklich realisiert. Sie wirkten aber in vielfacher Weise weiter. Bei der Betrachtung der Folgezeit steht die von Schleiermacher begründete wissenschaftliche Disziplin „Praktische Theologie" im Vordergrund, da ihr die Aufgabe der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Kirche, zwischen der Praxis und der Theorie zugeschrieben wurde. Bei Schleiermacher war die Befähigung zur Praxis als die Fähigkeit beschrieben worden, die richtigen Aufgaben zu stellen. Diese Aufgaben wurden aus der Theorie her begründet, einer Theorie, die wesentlich durch die „Befindlichkeit" des Subjekts mitbestimmt wurde. Nun aber werden die Aufgaben nicht mehr aus einer Theorie, sondern aus einem Begriff vom „Wesen" der Kirche deduziert.77 Aus dem Wesen der Kirche ergeben sich die Aufgaben, die Tätigkeiten der Kirche. So kann C.I. Nitzsch formulieren: „Das Subjekt dieser kirchlichen Ausübung des Christentums ist der ersten Potenz nach weder der einzelne Christ als solcher noch der Kleriker, sondern eben die Kirche."78 Das 77 Vgl. Luther (1984), a.a.O., 280. 78 C.I. Nitzsch: Praktische Theologie. Bd. 1. 1847, 14.

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Interesse blieb in der Folgezeit primär auf die „kirchliche Ausübung des Christentums" gerichtet; der Theologe als Subjekt trat in den Hintergrund. „Nicht die Verwirklichung des Christentums, sondern die Selbstbetätigung der Kirche ist das erstrangige Ziel. "79 Allerdings ist hier zu differenzieren: Einerseits läßt sich, auf der eben skizzierten Richtung liegend, eine eigenständige Profilierung der Praktischen Theologie beobachten. Auf der anderen Seite findet sich, immer erneut und fortwährend wiederholt geäußert, der Anspruch der Kirche „auf die religiös-sittliche Beeinflussung des Volkslebens in seiner geistigen, kulturellen und sozialen Gesamtheit."80 Beide Bereiche sind die Folge gesellschaftlicher und entsprechend soziologischer und wissenschaftstheoretischer Veränderungen. Die Eigenprofilierung der Praktischen Theologie ist Indiz dafür, daß diese Veränderungen wahrgenommen wurden. Entscheidend ist die Wahrnehmung, daß es neben der Kirche auch Nicht-Kirche gibt. Eben darum wird die Kirche und ihre Selbstbetätigung so wichtig und zentral in der Praktischen Theologie verhandelt. Man kann diese Entwicklung unter einem ideengeschichtlichen Gesichtspunkt als „Verengung" bezeichnen.81 Man kann sie aber auch unter soziologischem Gesichtspunkt als .Ausdruck eines innertheologischen Entidealisierungsprogramms" sehen.82 Die Thematisierung der Kirche in der Praktischen Theologie kann demnach als Reflex der Differenzierung von Staat und Kirche, von Christentum und Kultur, von Gesellschaft und Gemeinde interpretiert werden. Für den Bereich der wissenschaftlichen Entwicklung hatte das Vordringen der naturwissenschaftlichen Forschung entscheidende Folgen. Exaktes, überprüfbares Sachwissen und Einzelkenntnisse wurden zu bestimmenden Zielen der wissenschaftlichen Tätigkeit.83 Die zunehmende Spezialisierung brachte eine ungeheure Stoffiille hervor. Deren Vermittlung wird zum wichtigsten Bereich der Lehre an den Universitäten. Die Einfuhrung und Vervollkommnung kritischer Forschungsmethoden gerade auch in den historischen Wissenschaften wirkte natürlich auch auf die Theologie. So stellen sich die theologische Wissenschaft und das theologische Studium im 19. Jahrhundert so dar: Eine Vorrangstellung hat die Systematik, speziell mit Fragen der Ekklesiologie; dabei erfahren historische Begründungen und Ableitungen eine besondere Hochschätzung. Dasselbe ist für viele Bereiche der Praktischen Theologie an den Universitäten jener Zeit zu sagen. Auf diese Gegebenheiten gründen sich auch die Vorstellungen von der Ausbildung zum Pfarrer: „Es muß in den Stand gesetzt werden, die Äußerungen religiösen Lebens in seiner Gemeinde selbständig zu beobachten und zu beurteilen, außerdem die Beziehungen zwischen evangelischem Christentum und allge-

79 Fürst, a.a.O., 293. 80 Eger, a.a.O., 50. 81 So Otto (1970), a.a.O., 12f. 82 Drehsen (1988), a.a.O., 141. 83 Vgl. Luther (1976), a.a.O., 231 sowie Schulz, a.a.O., 93.

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meinem Kultur- und Geistesleben mit eigner Einsicht zu verstehen. Das kann aber nur erreicht werden durch eine volle theologisch-wissenschaftliche Schulung nach ihrer geschichtlichen und nach ihrer grundsätzlichen Seite hin. Was im einzelnen zu dieser Schulung erforderlich ist, um sie zu einer wissenschaftlich ausreichenden zu machen, unterliegt der Bestimmung der theologischen Wissenschaft selbst und kann ihr nicht von anderwärts vorgeschrieben werden."84 Diese Bestimmung wurde aufgrund der empirischen Erfahrung als nicht ausreichend akzeptiert. Das Ideal der akademischen Bildung und die Bedürfnisse der kirchlichen Praxis konnten nicht mehr verbunden werden. So jedenfalls wurde es vielfach empfunden. Einige Hinweise mögen das verdeutlichen: Die Herausbildung eines Industrieproletariats und seine Entwicklung wurde durch die Kirche erst spät, aber um so bestürzender zur Kenntnis genommen. Dem entsprach auf dem Lande die beobachtete, zunehmende Unkirchlichkeit der Tagelöhner und Landarbeiter.85 Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt einsetzenden Bemühungen der Inneren Mission lassen sich unter diesem Gesichtspunkt auch - wenigstens der Motivgenese nach - als eine moderate Form kirchlicher Säkularisierungseindämmung sehen.86 Die Entwicklung und Propagierung des Materialismus wurde von der Kirche als Bedrohung angesehen und viele Aktionen und Konzepte im kirchlichen Raum können als Versuche verstanden werden, dieser Bedrohung entgegenzuwirken. Die Zivilstandsgesetzgebung zeigte manche Problematik erst recht deutlich. So führte die Einfuhrung der standesamtlichen Trauung dazu, daß besonders im Proletariat keine kirchliche Trauung mehr begehrt wurde. Durch diese Tatsache wurde eine wirkliche praktisch-theologische Reflexion dieses Kasus erst ausgelöst.87 Die kirchliche Reaktion auf das neue Phänomen bestand in einer Normverschärfung. Das allerdings führte dazu, daß der Kreis derer, die eine Bereitschaft zur Erfüllung der Norm zeigten, eher noch dezimiert wurde.88 Im Jahre 1886 wurde anonym eine Schrift veröffentlicht: „Die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums der Gegenwart".89 Darin wird zunächst die gegenwärtige Situation des Pfarramtes geschildert: Zwar ist die Aufgabe des Amtes letztlich eine einheitliche, aber „die Bedürfnisse der Zeit und die näheren Umstände werden dem Leben, so dem Pfarramt einen nach Umfang und Art sehr verschiedenen Gehalt verleihen"; und: „Gar zu leicht bildet man sich ein, daß Aufgabe und Thätigkeit des Amtes sich beschränken auf dasjenige, was als öffentliche, kirchliche Einwirkung auf die Gemeinde hervortritt: auf 84 Eger, a.a.O., 53. 85 Vgl. Holtz (1975a), a.a.O. 86 Vgl. Drehsen (1988), a.a.O., 246. 87 Vgl. ebd., 227. 88 Ausführlicher dazu ebd. 89 Als Verfasser gilt Wilhelm Bornemann. - Die Zahlenangaben im Text beziehen sich auf die Seitenzählung.

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Predigt, Sakramentsverwaltung, Kirchenkatechesen, Konfirmandenunterricht, Kasualien, Seelsorge" (2). Dann werden unzählige Rollenerwartungen an den Amtsträger aufgeführt (3f.). Es folgen einige kritische Beobachtungen, die insgesamt darauf hinauslaufen, daß die Wirklichkeit nicht genügend wahrgenommen wird. Das betrifft den Bereich der eigenen Amtsführung: „Man redet christlich vor der Gemeinde, aber nicht zu der Gemeinde und nicht mit der Gemeinde" (19). Das betrifft aber auch das gesellschaftliche Verhalten: „Mehr als gut ist halten sie (die Pfarrer - Vf.) sich zurück vom Verkehr mit den breiten Volksschichten und suchen dafür hier und da durch Anlehnung an große Fabrikanten oder Rittergutsbesitzer einen zweifelhaften Ersatz" (19). Und schließlich: „Die Verhältnisse werden im höchsten Grade kompliziert und das geisdiche Amt war auf solchen Umschwung nicht vorbereitet" (24). Im folgenden werden die gesellschaftlichen und die gesetzgeberischen Herausforderungen der Jahre davor aufgelistet. Ein erstes Fazit aus den Beobachtungen lautet: „Das theologische Studium hat den Zweck, vorzubereiten auf die gegenwärtigen Aufgaben des Amtes — erfüllt es heutzutage diesen Zweck? Wieviel kann der Pfarrer gebrauchen von dem, was er auf der Universität gelernt hat? Und gibt ihm die Universität die richtige Anleitung, das Erlernte in der Praxis richtig zu verwerten?" (25). In den folgenden Ausführungen finden sich hochschuldidaktische Hinweise, bevor im dritten Teil eine kleine Enzyklopädie der Theologie gegeben wird. Hier findet sich die bezeichnende Feststellung, daß „die Berechtigung einer theologischen Disziplin nicht durch irgendwelche nachträgliche theoretische Ableitung aus irgend einem Prinzip oder durch eine Eingliederung in irgend ein formales System gegeben wird, sondern allein durch die praktischen Aufgaben und Bedürfnisse des Pfarramtes" (60). Beginnend mit dieser Veröffentlichung Bornemanns wurden immer mehr Rufe nach einem stärker auf die praktischen Erfordernisse des Pfarramtes ausgerichteten Theologiestudium laut. 1904 formulierte Frühauf als Zielstellung die Frage: „Wie wird die Theologie zwecks religiöser Förderung der Menschen im praktischen Leben am besten und erfolgreichsten fur die Menschenherzen verwendet?"90 Und 1908 sprach Mix von der Notwendigkeit einer engen Begrenzung des Universitätsstudiums nach praktischen Gesichtspunkten und verlangte eine Vermittlung der theoretischen und praktischen Fähigkeiten, um das Christentum und die empirische Wirklichkeit in wirksamer Weise zusammenzubringen.91 Einen Höhepunkt in dieser Reihe, der aber

90 W. Frühauf: Praktische Theologie! Kritiken und Anregungen zur systematischen und praktischen Theologie. Berlin 1912 - Zit. n. Luther (1976), a.a.O., 244f. 91 G. Mix: Zur Reform des theologischen Studiums. Ein Alarmruf. München 1908. Zitate bei Luther (1976), a.a.O., 245f.

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zugleich eine Richtungsänderung anzeigt, stellt die Schrift von Paul Drews „Das Problem der Praktischen Theologie" aus dem Jahr 1910 dar. Die Reformvorschläge von Bornemann bis Mix machen deutlich, daß angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen in der kirchlichen Praxis ein Orientierungsdefizit hinsichtlich der Funktion von Kirche und kirchlichem Handeln entstanden war. Zwar waren in die Praktische Theologie viele Bereiche aufgenommen worden: „Die Mission in einem die nationalen Grenzen kolonial und kommerziell überschreitenden Zeitalter, die Diakonie in einer immer stärker von sozialen Fragen und vielerlei Notständen mitbestimmten Gesellschaft, das Verhältnis von konsistorialer und presbyterial-synodaler Kirchenverfassung in einer von demokratischen Gedanken geprägten Epoche: dies waren ... die Gebiete der Praktischen Theologie, die sie während des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts am klarsten auf dem Wege zur Wahrnehmung von Kirche und Gemeinde in ihrer vollen Wirksamkeit zeigte."92 Es ist jedoch nicht ausreichend gelungen, diese Erörterungen in handlungsleitende Orientierungen zu vermitteln. Die Perspektive des Pfarrerberufs war in der kirchlichen Praxis so dominierend, daß für eine theologische Reflexion dieser Probleme kein Raum blieb. Der Versuch von H. Luther, die Entwicklung der Praktischen Theologie im 19. Jahrhundert durch die Frage nach dem Subjekt zu systematisieren, weist auf einen weiteren wesentlichen Aspekt hin: Der Gemeindebegriff gewann in der theoretischen Diskussion zunehmende Bedeutung. „Eine frühe Phase (u.a. Marheineke, Rosenkranz, Nitsch) betont das Ideal der Gemeinde." 93 „Systembezogenes und anstaltliches Denken beherrscht dann zunehmend die praktisch-theologischen Entwürfe in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts." Darauf folgt dann „eine explizite Zuwendung zur konkreten Einzelgemeinde", also zur empirischen Kirche (Kleinen, Uhlhorn, Clemen, Drews, Baumgarten). Mit dem Ernstnehmen der empirischen Gemeinde und der diese bildenden Gemeindeglieder wurde der Schritt über die dem Amt zugeordneten Funktionen hinaus getan. Diese Hinwendung zur Empirie erhielt durch die Entwicklung der Humanwissenschaften eine wesentliche Unterstützung. Zur Voraussetzung kirchlicher Wirksamkeit wurde nun das fachgerechte Studium der sozialen Situation. Die Bedeutung der Praktischen Theologie wurde in der Uberwindung des „Dogmatismus und Absolutismus einer für alle unterschiedslos gültigen Norm des Denkens und Handelns durch ein stetes Rücksichtnehmen auf die Mannigfaltigkeit der nach Art, Landschaft und Bevölkerungsgruppen verschiedenen religiösen Nötigungen" 94 gesehen. Für Niebergall stellt die Beachtung des subjektiven Faktors die nicht aufgebbare Bedingung der Möglichkeit praktischen Handelns dar, und er erhebt die 92 Bloth (1984), a.a.O., 394. 93 Luther (1984), a.a.O., 280f.; dort auch die weiteren Zitate. 94 Baumgarten, a.a.O., 277.

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Gegenwart zum eigenständigen Forschungsfeld der Praktischen Theologie. 95 Drews fordert die Einfuhrung der evangelischen Kirchenkunde in die wissenschaftliche Theologie, wie auch die Berücksichtigung der religiösen Psychologie: „Nachdem in der Prinzipienlehre prinzipiell der Gegenstand erfaßt, begründet ist, wird in der Kirchenkunde und in der religiösen Psychologie ein Verständnis der Wirklichkeit gesucht, und da alles Gegenwärtige in der Vergangenheit wurzelt, baut die Praktische Theologie auch historische Zweige aus und Jb an. «96 Nach Drews sind zu überwinden sowohl das Streben nach Systematisierung der Praktischen Theologie, die vorherrschende Deduktionsmethode, ein einseitiger Biblizismus als auch der verkehrte Historizismus. Neben hochschuldidaktischen Hinweisen findet sich auch der Vorschlag, Homiletik, Katechetik, Seelsorge und Liturgik auf das Predigerseminar zu beschränken, da erst hier der notwendige praktische Erfahrungsraum vorausgesetzt werden kann. Wurde oben ein Orientierungsdefizit im Blick auf die Funktion von Kirche konstatiert, so ist dieses nun um einen Aspekt zu erweitern: Ein Erfahrungsdefizit (Wirklichkeitsdefizit) wird deutlich, und es wird artikuliert. Beide Aspekte wirkten forschungsgeschichtlich außerordentlich produktiv. Die aufgewiesenen Leerräume aber konnten nicht zufriedenstellend gefüllt werden. So bleiben diese Fragen weiterhin als Herausforderung für die Gestaltung der theologischen Ausbildung im 20. Jahrhundert bestehen.

Exkurs: Die Gründung der „Theologischen Schule" in Bethel Am 15.10.1905 eröffnete Friedrich von Bodelschwingh nach mehrjährigen Verhandlungen in Bethel die „Theologische Schule"97. Das Engagement von Bodelschwingh fur dieses Projekt liegt in seinen eigenen negativen Eindrücken von der damaligen akademischen Theologie begründet. Die „Theologische Schule" sollte darum - Theologie und Leben in allen Bewährungsmöglichkeiten kirchlicher Wirklichkeit aufeinander beziehen und einüben; - die auf den Universitäten vermißte Dimension der Mission innerhalb der theologischen Ausbildung in den Mittelpunkt stellen; - die unmittelbare Erfahrung der Zusammengehörigkeit von Theologie und Diakonie ermöglichen; - Die Möglichkeit eines frühen Einlebens in die Liturgie der Kirche, der Schrift und des Bekenntnisses bereitstellen.98 95 Vgl. Luther (1985), a.a.O., 447. 9 6 Drews (1910), a.a.O., 78. 9 7 Vgl. zum Folgenden: G. Merz; Art.: Ev.-kirchliche Hochschulen, in: R G G (3. Aufl.) II, 383; Ruhbach, a.a.O. 9 8 Vgl. dazu auch den Wunsch von E. Sülze nach der Einrichtung von Seminaren, die dem Universitätsstudium vorausgehen bzw. ihm folgen. - Vgl. Teil I, 97.

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Die „Theologische Schule" vertrat mit ihrer Gründung dieses Proprium, allerdings nicht in Konkurrenz zur allgemein üblichen akademischen Theologenausbildung, sondern als deren Ergänzung, und zwar sowohl diese vorbereitend als auch dieselbe mit einem vertiefenden Abschluß versehend." Demnach kann in der Gründung der „Theologischen Schule" keine programmatische Konzipierung einer Alternative zum Theologiestudium an der Universität gesehen werden. Allerdings ist die bewußte Inbeziehungsetzung von Theologie und Praxis sowohl der Gemeinde als auch der Diakonie festzuhalten. Es wäre durchaus interessant, zu erfahren, ob es Unterlagen darüber gibt, wie diese Theorie-PraxisBeziehung organisiert und ausgewertet worden ist (z.B. Studienanleitungen, Praxisberichte o.ä.).

6. Die Verantwortung der Kirche des Wortesfiirdie theologische Ausbildung - die Zeit der Bekennenden Kirche Im Verlauf der 20er Jahre dieses Jahrhunderts wurde die Stimme Karl Barths in der theologischen Diskussion immer deutlicher vernehmbar. Gegenüber der allgemein vertretenen Auffassung einer engen Verbindung von Kultur und Christentum und deren Konsequenzen fiir die theologische Wissenschaft stellte Barth die enge Bezogenheit der Theologie auf die Kirche, die aber als „Kirche des Wortes" keinesfalls mit der empirischen kongruent sei, heraus. Nach Barth ist „Theologie als Wissenschaft ... eine Maßnahme der Kirche"100. Theologie „folgt der Rede der Kirche", sie „fuhrt die Rede der Kirche" und sie „begleitet die Rede der Kirche"101. „Theologie ist eine bestimmte Funktion in der kirchlichen Liturgie" 102 und: „in der Theologie versucht die Kirche, sich immer wieder kritisch darüber Rechenschaft: zu geben, was das heißt und heißen muß vor Gott und vor den Menschen: Kirche zu sein"103. Es kann sogar heißen: „Die Theologie ist eine Sache der Kirche ... Es gibt in der Kirche grundsätzlich keine Nichttheologen." 104 Schon früh wurden Konsequenzen dieses Verständnisses für verschiedene Bereiche deutlich. Im Blick auf die Ekklesiologie und ihre Relevanz für die Praktische Theologie faßte A. Allwohn 1929 zusammen: „Die Formen des kirchlichen Handelns dürfen also nicht an einem Ziel orientiert werden, das der Mensch ins Auge fassen und vielleicht verwirklichen kann, vielmehr müssen sie ausschließlich auf Gott und sein Wort als ihren Ursprung bezogen werden. Ein 9 9 Vgl. dazu die bezeichnende Äußerung eines zeitgenössischen Universitätstheologen: „Solange sie (die Theologische Hochschule - Vf.) nicht den Anspruch erhebt, mehr als Ergänzungsarbeit zu tun, wird man ihr jede Förderung wünschen." - E.v.d. Goltz: Art.: F.C.K.V. Bodelschwingh, in: RE (3. Aufl.) Bd. 23, 232ff. (243). 1 0 0 Barth, K D I, 1, 2. 101 Ebd. 1 0 2 Barth (1934), a.a.O., 2 0 1 . 103 Ebd. 1 0 4 Ebd., 207.

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Ziel, das in der unbedingten Transzendenz liegt und allein durch Gott gesetzt wird, kann nicht in menschlichen Gestaltungen angestrebt werden, auch können von ihm aus keine Forschungsgrundsätze aufgestellt werden."105 Ebenfalls 1929 machte H.-J. Iwand in einem Vortrag deutlich, wie wichtig unter solchem Vorzeichen nun der Theologe als Subjekt wieder geworden war. In dem Vortrag „Theologie als Beruf' heißt es dazu: „Der akademische Unterricht muß Theologen schaffen." 106 Und ferner: „Der theologische Lehrer muß also seinen Schüler zu einem Prediger erziehen, aus dessen Verkündigung er selbst seinen Glauben schöpfen könnte." 107 Alles Gewicht liegt hier auf der Theologie, die als „Maßnahme der Kirche des Wortes" verstanden wird, und auf dem Subjekt, das zum Theologen zu bilden und somit zur Berufsgewißheit zu fuhren ist. demgegenüber bleiben die Fertigkeiten für den Beruf sekundär, da der Beruf des Theologen im wesentlichen in der Predigt des Wortes Gottes aufgeht. Der Beruf und die Berufsfähigkeit werden ganz und gar durch die Theologie bestimmt. Wirksam ist dieser Ansatz in der Zeit des Kirchenkampfes in den Entscheidungen der Bekennenden Kirche. Besondere Bedeutung kommt dabei den Beschlüssen der 3. Bekenntnissynode der D E K 1935 in Augsburg zur „Vorbildung und Prüfung der Pfarrer der Bekennenden Kirche" zu. 108 Waren vorher bereits Predigerseminare durch die BK errichtet worden, so wurde nun die Frage der Prüfungen zu der entscheidenden Frage erklärt. Darin wird eine wesentliche Intention der Theologenausbildung in der Verantwortung der BK deutlich, und zwar das Moment der „Erziehung" 109 , das die Befähigung zum Bekenntnis zur rechten Kirche und den Dienst an ihr zum Ziel hat. „Theologie ist also selber Predigt, unterliegt - .eindeutig und unverfälscht' dem kirchlichen Lehramt, und das Studium bezweckt kirchliche Sozialisation mit dem Ziel, eine klare Identität außerhalb der damaligen ideologischen Lage zu bilden." 110 Der Abschluß dieses Prozesses, das Examen, wurde in der Sicht der Bekennenden Kirche zu einer Bekenntnissituation für die Studenten, die entsprechend daraufhingewiesen wurden: Es ist „nur Bewährung und Treue zu dem Wort, das den Weg der Kirche und auch Ihren Weg erleuchtet, wenn Sie sich nur den Prüfungskommissionen unterstellen, deren objektive Sorge um

105 Allwohn, a.a.O., 308. 106 Iwand, a.a.O., 180. 107 Ebd., 181. 108 Zur 3. Bekenntnissynode und zu deren Beschlüssen vgl. Niemöller, a.a.O. 109 Vgl. dazu die Äußerung D. Bonhoeffers in einem Brief von 1934: „Die gesamte Ausbildung des Theologennachwuchses gehört heute in kirchlich-klösterliche Schulen, in denen die reine Lehre, die Bergpredigt und der Kultus ernstgenommen werden - was gerade alles drei auf der Universität nicht der Fall ist und unter gegenwärtigen Umständen unmöglich ist." - Zit. n. Christus für uns heute. BonhoefFer-Auswahl. Berlin 1970, 211. 110 Herrmann (1976), a.a.O., 27f.

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das Wort Sie kennen und deren kirchliche Autorität Sie auch sonst anerkennen können".111 Die Beschlüsse der Synode und ihre Konsequenzen wurden von zahlreichen der BK nahestehenden Universitätstheologen nicht mitgetragen. R. Hermann, der selbst noch als Synodaler an der Bekenntnissynode in Barmen teilgenommen hatte, erklärte ausfuhrlich seine Ablehnung der Beschlüsse von Augsburg. Zunächst kritisierte Hermann die Rede von den „Professoren der Theologie als Lehrer der Kirche"112, da er hier eine Verengung der theologischen Wissenschaft befürchtet. Insbesondere das Predigtamt stelle das kirchliche Lehramt dar. Die Theologie aber als wissenschaftliche Tätigkeit könne nicht in so unmittelbarer Beziehung zum Predigtamt gesehen werden. Es ist Hermanns Anliegen, deutlich zu machen, daß es im wohlverstandenen Interesse der Kirche liegt, wenn die Berechtigung einer von der Kirchenleitung unabhängigen Theologie nicht in Frage gestellt wird.113 Eine Konsequenz der Beschlüsse der Augsburger Synode war die Gründung der kirchlichen Hochschulen in Berlin und in Elberfeld.114 Die Gründungen wurden mit der Lage an den Theologischen Fakultäten erklärt. Die Augsburger Synode machte es den Kirchenleitungen zur Pflicht, „für Ersatz solcher Vorlesungen und Übungen Sorge zu tragen, deren Besuch den Studenten um des Gewissens willen nicht zugemutet werden kann"115. So bedeutete dieser Beschluß zur Gründung kirchlicher Hochschulen „keine grundsätzliche Entscheidung über eine neue kirchliche Ausbildungskonzeption"116. Rückblickend bemerkt H. Vogel dazu, „daß nämlich der Anfang nicht im Zeichen einer Idee stand, einer neuen Konzeption von dem Wesen und der Aufgabe theologischer Ausbildung in der Entgegensetzung eines Prinzips Kirchlicher Hochschulen gegenüber der tradierten Gestalt theologischer Fakultäten"117. Das Spezifische dieser Hochschulgründungen ist in der Übernahme der Verantwortung für die theologische Ausbildung durch die Kirche zu sehen. Dazu kommt die charakteristische, enge persönliche Gemeinschaft zwischen Lernenden und Lehrenden, die sich aus der Illegalität der Arbeit und den daraus folgenden Umständen des Lehrens und Lernens ergab. 111 Schlier, a.a.O., 18. 112 Vgl. R. Hermann, a.a.O., 89. 113 Vgl. ebd., 91. — Vgl. zu dieser Auseinandersetzung insgesamt: K. Meier: Barmen und die Universitätstheologie, in: ders.: Evangelische Kirche in Gesellschaft, Staat und Politik 1918-1945. Berlin 1987, 96ff. 114 Vgl. dazu Burgsmüller, a.a.O., 185ff. sowie Scherffig, a.a.O., 21 lf. 115 Niemöller, a.a.O., 82 (Beschluß Nr. 12 „Vorbildung und Prüfung der Pfarrer der Bekennenden Kirche", Abs. III). 116 Burgsmüller, a.a.O., 188. 117 H. Vogel: Das erste Studium 1935-1945. in: H. Vogel und G. Harder: Weg und Aufgabe der Kirchlichen Hochschule Berlin 1935-1945. Berlin 1956, 8. - Zit. n. Burgsmüller, a.a.O., 1.

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7. Veränderungen im Theologiestudium durch nichttheologische Faktoren - Eine Zusammenfassung Der historische Längsschnitt macht deutlich, daß das Problem einer besseren Beziehung von theologischer Ausbildung und Berufsanforderungen nicht erst in der Gegenwart virulent geworden ist. Dabei ist festzuhalten, daß das Theologiestudium zunächst keine Berufsqualifikation darstellte. Dazu kam es erst im Ergebnis der Reformation. Von da an aber wurden die berufsbildenden Momente zu Bestandteilen des Studiums und immer mehr zu Kriterien fiir die Berufsbefähigung. Seither geht die Frage nach der Optimierung der Qualifikation auf in der Bemühung um optimale Vorbereitung für praktische Anforderungen im Beruf. Damit war ein permanenter Diskussionsgegenstand gegeben. Es waren stets die äußeren, nichttheologischen Umstände, die die jeweiligen Reformvorschläge und Ausgestaltungen des Theologiestudiums initiiert haben. Durch diese Faktoren wurde auch das Pfarrerbild bestimmt. In der Zeit des Pietismus, besonders ausgeprägt aber zur Zeit der Aufklärung, wurde das Wahrnehmen der Menschen mit denen es der Pfarrer zu tun bekommt, zu einem weiteren wichtigen Faktor. Damit wurde auch das Pfarrerbild verändert. Der Pfarrer geriet immer mehr in die Position des Lehrers, der der Gemeinde gegenüber steht. Das wiederum verstärkte die Diskrepanz zwischen der Nötigung zur persönlichen Bildung einerseits und der Notwendigkeit, die Menschen in ihrer Situation wahrnehmen und verstehen zu müssen, andererseits. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird dieses Problem gesehen, und es werden Lösungsversuche gemacht, ohne daß überzeugende Modelle daflir vorgestellt werden können. Die Einsicht, daß Veränderungen in der Struktur des Theologiestudiums stets durch nichttheologische Faktoren bedingt waren, macht die Notwendigkeit deutlich, den jeweiligen wissenschaftshistorischen, sozialgeschichtlichen und politischen Kontext zumindest ebenso zu berücksichtigen wie den kirchlichen. Von daher konnte für den Begriff „Gemeinde" keine herausgehobene Position und entsprechende Relevanz für das Studium festgestellt werden. Gerade der Gemeindebegriff aber stand im Zentrum der neueren konzeptionellen Entwürfe zum Theologiestudium in der DDR, aber auch in der Ökumene.

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III. Gemeinde - Ökumene - Praxisbezug. Gesichtspunkte der gegenwärtigen Diskussion zum Theologiestudium

Die drei Abschnitte dieses Kapitels befassen sich mit den Gesichtspunkten, die die gegenwärtige Diskussion bestimmen. In einem ersten Teil geht es um das Stichwort „Gemeinde". In Beziehung auf die theologische Ausbildung kommt diesem Stichwort die Funktion eines Leitbegriffs zu. Es wird zu prüfen sein, ob der Gemeindebegriff und seine Verwendung in diesem Zusammenhang den in ihn gesetzten Erwartungen zu entsprechen vermag. Es geht letztlich um eine Antwort auf die Frage: Ist der Begriff „Gemeinde" als Leitbegriff fur die theologische Ausbildung hilfreich und sinnvoll? In einem zweiten Teil steht das Stichwort „Ökumene" im Zentrum. Dem Interesse an ökumenischen Impulsen für die Gestaltung des Theologiestudiums liegt nicht allein die Hoffnung auf Optimierung durch Übernahme von bewährten Modellen zugrunde. Stärker wirkten die Erfahrungen, daß die großen Existenzprobleme der Menschheit nur im globalen Horizont einer Lösung zugeführt werden können, daß die Uberlebensfragen nicht länger das Thema einzelner Kirchen oder Gemeinden sein können. So wurde die Aufmerksamkeit fxir ökumenische Herausforderungen und Erfahrungen geschärft. In einem dritten Teil wird ausdrücklich das Stichwort „Praxisbezug" thematisiert. Speziell geht es dabei um die Realisierung des Praxisbezuges im Theologiestudium sowohl als immanenter Bestandteil desselben als auch in der Gestaltung expliziter Strukturen.

1. Der Leitbegriff,, Gemeinde " Im folgenden wird der Versuch unternommen, die Diskussion zum Gemeindeverständnis drei wesentlichen Implikationen des Gemeindebegriffs zuzuordnen. Dabei vermag der Blick in die Geschichte zu zeigen, daß die gegenwärtigen Fragestellungen nicht völlig neu sind. Es gibt vielmehr Traditionen, die aufmerksam zur Kenntnis genommen werden sollten. Bereits hier kann fast immer der Versuch beschrieben werden, entsprechende Konsequenzen für die Gestaltung der theologischen Ausbildung zu ziehen. So wird innerhalb der drei Abschnitte zunächst das Verständnis von „Gemeinde" unter dem jeweils prägenden Stichwort dargestellt (A - Klärung des Gemeindebegriffs). Anschließend wird nach Folgerungen aus dem jeweiligen Gemeindeverständnis für das Pfarrer-Bild gefragt (B - Gemeinde und Pfarrer).

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Schließlich werden entsprechende Konsequenzen für die Gestaltung der theologischen Ausbildung aufgezeigt (C - Konsequenzen für die theologische Ausbildung). Auf diesem Weg soll versucht werden, die in der aktuellen Reformdiskussion eingeforderte Interdependenz von theologischer Ausbildung und Gemeinde zu klären sowie auf Möglichkeiten und Grenzen ihrer Gestaltung hinzuweisen.

1.1. „ Gemeinde" als Ziel-Die Notwendigkeit der empirischen Wahrnehmung des Menschen 1.1.1. „Ideale" und „empirische" Gemeinde bei Friedrich Niebergall A) Klärung des Gemeindebegriffs Bei Niebergall wird die Gemeinde als Subjekt der Praktischen Theologie und mithin auch als Subjekt des kirchlichen Handelns gesehen: „Nicht bloß die gedachte Gemeinde, sondern die tatsächlich gegebene und zwar die geordnete Gemeinde ist schon zum Teil wirklich unmittelbare Trägerin jener Arbeit geworden."1 Der Begriff,Gemeinde' wird von Niebergall differenziert, indem er die .Gemeinde' zunächst als ,Ziel von Gemeindearbeit' darstellt, um sich dann der .gegebenen Gemeinde' zuzuwenden. Der Entwicklung von dieser zum Ziel hin wird unter dem Gesichtspunkt der Gemeinde als .Trägerin der Arbeit' und als .Inhaberin der Kräfte' nachgedacht. Gemeinde als Ziel von Gemeindearbeit wird noch einmal differenziert in das „Ideal des Einzellebens" - die Persönlichkeit - und in das „Ideal der Gemeinde" - die Gemeinschaft (16). Die christliche Persönlichkeit ist gekennzeichnet durch Unabhängigkeit und Selbständigkeit: „Sie soll immer darüber stehn, über der Natur mit ihren Gesetzen und Trieben, über den Menschen und menschlichen Gesetzen, über den Begebenheiten und Zufällen des Lebens" (19); aber ebenso gilt: „Uber den Dingen, Menschen und Verhältnissen, voller Sicherheit und quellender Fülle des Geistes, und wieder unter den Menschen und den Einrichtungen und Geschehnissen, wenn Gott darin erkannt und ihm darin gedient wird" (21). Hinzu kommt als wesendiches Kennzeichen noch die „Individualität" (21). Das Ideal der Gemeinschaft wird durch das Religiöse wesentlich bestimmt: .Auf keine Weise kommen die Menschen einander näher, als wenn sie im tiefsten aller menschlichen Anliegen einig sind. Dazu bedarf es gar nicht der Worte" (26). Es ist „das Ideal einer Gemeinschaft, die in Gott ihren Zielpunkt und in heiliger Liebe untereinander ihre Voraussetzung hat" (22).2 1 Niebergall, a.a.O., Bd. 1 , 5 . — Die Zahlenangaben im Text beziehen sich auf die Seitenzahlen dieses Werkes. 2 Niebergall weist bei der Begründung nicht nur auf die paulinische Rede vom Leib

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Bei der Abwägung beider Ideale kommt Niebergall zu der Feststellung: „Die Gemeinschaft ist das höhere und die Persönlichkeit das niedere Gut. So scheint es dem Grundgedanken des Evangeliums und unserer Zeit zu entsprechen" (27). Das bedeutet aber nicht eine Abwertung des Persönlichkeitsideals. Vielmehr wird dieses um ein Moment ergänzt: „dem Einzelnen Sinn für die Gemeinschaft einzuflößen als Ziel seines Lebens und als Gegenstand seiner Hingebung, der seiner Persönlichkeit mit anderen ihren Sinn gibt" (28). Es ist also durchaus möglich, das Ideal der Persönlichkeit zu ändern; es stellt kein unveränderliches Dogma dar. Wenn im folgenden der „Kern der Gemeinde" als „Ideal der Wirklichkeit" (28f.) dargestellt wird, so werden die vorherigen Ausführungen jedoch relativiert. Das ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der besonderen Methode der Darstellung durch Niebergall. So hat das Ideal seine Funktion nicht als ein unerreichbares Ziel, sondern als ein pädagogisches, d.h. als ein zumindest partiell verifizierbares Ziel. Gemäß dem pädagogischen Ansatz bedarf es nach der Postulierung des Ideals nun der Klärung der Situation. Bei der Klärung der Situation geht es um eine Gemeindeanalyse, die hier wesentlich auf die persönlichen Momente beschränkt bleibt und nur über diese vermittelt auch gesellschaftliche und soziologische Strukturen ansatzweise einschließt. Für die „religiöse Seelen- und Volkskunde" gilt: .Ausgangs- und Zielpunkt der ganzen Arbeit sind die wirklichen einzelnen Menschen mit Vorund Zunamen und ganz bestimmten äußeren und inneren Merkmalen. Sie nur haben eine bestimmte Art fromm zu sein, und diese zu erfassen ist das Ziel der Erkenntnis" (33). Dazu bedarf es der Berücksichtigung der natürlichen, einschließlich der psychologischen Bedingungen der einzelnen Person, der Ausprägung des Charakters, der jeweiligen kirchlichen Prägung und der sozialen Situation. In der „sittlichen Volkskunde" geht es um einen Einblick, wie die Menschen sich zu den sittlichen Idealen verhalten. So wird zunächst der „natürliche Mensch", dann der „geistige Mensch" dargestellt, bevor der Versuch unternommen wird, „Formeln und Regeln" aufzustellen, die erst die Voraussetzung für eine Entwicklung bilden. Zur Erfassung der Gemeindewirklichkeit gehört schließlich noch die „kirchliche Volkskunde", die auf die Stellung, die die Menschen zur Kirche einnehmen, ausgerichtet ist. Die hier skizzierte Gemeindeanalyse leitet dazu an, den einzelnen Menschen in seiner individuellen Lebenswirklichkeit wahrzunehmen. Aus dem einzelnen Gemeindeglied wird ein konkreter Mensch mit seinen Voraussetzungen, Prägungen, seinen Bedürfnissen und Potenzen. Diese - möglichst — unverstellte Sicht der Wirklichkeit wird als Voraussetzung für die Arbeit der Gemeinde Christi, auf die Urgemeinde und auf die Reformation hin, sondern ausdrücklich auch auf das Gemeindeideal von E. Sülze. — Vgl. a.a.O., 25f.

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gesehen. Die jeweils erhobenen Voraussetzungen geben die Konkretion für die jeweilige Erhebung von Zielen der Gemeindearbeit. Dabei wird der Subjektcharakter der Gemeinde noch einmal deutlich. Die angesprochene Problematik wird unter der Uberschrift „Die Gemeinde als Trägerin der Arbeit" näher entfaltet. Hier geht es nun um eine grundsätzliche Behandlung des Gemeindebegriffs. Wurde bisher herausgestellt, daß Gemeinde kein neutraler Begriff ist, sondern nur unter dem Gesichtspunkt des Aufbaus aus Einzelnen gesehen werden kann, so wird nun daran erinnert, daß jede vorfindliche Gemeinde ja auch schon inhaltlich bestimmt ist: sie versteht sich ja bereits als Gemeinde. Und diese Bestimmung ist nicht nur als defizitär zu werten. Gemeinde „muß immer schon sein, was sie erst werden soll" (217). Unter diesem Aspekt werden die Geschichte der Institutionalisierung der Kirche kritisch betrachtet und das Recht der zeitgenössischen kirchlichen Strukturen begründet, bevor dann unter dem Titel „Kirchenbaupläne" noch einmal das Ideal der lebendigen Gemeinde entwickelt wird. Keinesfalls ist dieses „Ideal der lebendigen Gemeinde" identisch mit dem vorhin bestimmten Ziel, das durch die Begriffe „Persönlichkeit" und „Gemeinschaft" erläutert wurde. Vielmehr ist es das Ergebnis der Vermittlung zwischen der Erhebung der wirklichen Gemeinde und der idealen Zielvorstellung. Als solches ist es partiell durchaus schon verwirklicht, insgesamt aber wirkt es primär als Orientierung, um verwirklicht zu werden. Das Ideal der lebendigen Gemeinde hat drei Kennzeichen: „Einmal beschränkt sich die Aufgabe der Gemeinde nicht auf den Kultus, sondern umfaßt die Arbeit der Liebe, wie sie sich auf enge und weiteste Kreise des Volkes erstrecken soll. Dann aber ist als Trägerin der ganzen Arbeit nicht mehr bloß der Pfarrer oder der Klerus, sondern die Gemeinschaft der Menschen ins Auge gefaßt, die von ihrem allgemeinen Priestertum Gebrauch zu machen willens sind ... Endlich soll die Gemeinde noch Gemeindegefiihl oder gar -bewußtsein pflegen, um ihren Gliedern eine Heimat für ihr inneres Leben und einen Halt in allerlei schweren Lagen zu bereiten" (271). Dem entspricht es, wenn als Kennzeichen der Zugehörigkeit nun nicht mehr das Bekenntnis, sondern „das tätige Sein" (276) herausgestellt wird.

B) Gemeinde und Pfarrer Wurde bisher konsequent von der Gemeinde als Subjekt gehandelt, so bedeutet die folgende Formulierung eine Einschränkung: „Gemeindearbeit wird immer mehr Arbeit an der Gemeinde als Arbeit der Gemeinde bleiben" (276). Zunächst geht es um die Klärung der Frage, „ob überhaupt Beeinflussung möglich sei und wie sie es sei" (285). „Auf Grund der dargebotenen Kenntnisse über das Soll und das Sein wird die Frage gestellt und beantwortet, wie das Wirken der Gemeinde auf die Gemeinde möglich sei, damit eine ideale Gemeinde angebahnt werde" (287). Zu den Kräften der Gemeinde zählt Niebergall die „Praktische Dogmatik" und „die persönlichen Kräfte", wozu vor allem der Pfarrer zählt, denn „schließ-

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lieh hängt doch fur alle Gemeinden, in denen es nicht durch die Geschichte und besonderen Umstände anders steht, die ganze Arbeit an dem Pfarrer" (393). Es fällt auf, daß Niebergall hier sofort den Pfarrer in den Mittelpunkt stellt, ohne daß die Beziehung zwischen Pfarre rund Gemeinde noch einmal erörtert wurde. Die Ankündigung der Überschrift, den Pfarrer primär unter dem Gesichtspunkt der Gemeinde zu behandeln, wird nicht erfüllt. „Es handelt sich also im Pfarramt um eine berufsmäßige Arbeit an einer festumgrenzten Gemeinschaft im Dienst ihrer seelischen Förderung, und zwar in der Gestalt des Amtes, das Ordnungen und Überlieferungen, das Vorgänger und Nachfolger, das Rechte und Pflichten kennt" (414). Niebergall geht also unmittelbar von der bestehenden Institution des Pfarramtes aus. Den Umfang der alltäglichen Arbeiten und Anforderungen beschreibt er in drei Kreisen von gemeindlicher Arbeit: 1) die ursprüngliche Funktion: Predigt, Unterricht, Krankenbesuche; 2) die traditionell gewordenen Aufgaben: Schulaufsicht, Armenpflege, Jugendpflege; 3) „Bestrebungen, um die wirtschaftliche, die geistige, die gesellige Seite des Lebens von Gemeindegruppen zu fördern und zu schützen" (417). Niebergall sieht im Pfarrer sowohl das personale wie das beruflich-amtliche Moment als notwendig an. Ermöglicht das erstere — die wahrhaftig vertretene Persönlichkeit des Pfarrers - , Gemeindeglieder zur Ausbildung ihrer persönlichen Frömmigkeit zu veranlassen, so sorgt das zweite Moment dank der geschichtlich-theologischen Bildung dafür, daß jede Frömmigkeitsausprägung zu ihrem Recht und zu ihrer Auswirkung kommen kann und keine die andere unterdrückt. 3 Der Beruf des Pfarrers verlangt es, von subjektiver Eigenart absehen zu können, um der Entfaltung der Subjektivität anderer Freiraum zu gewähren. Durch Beruf und Bildung ist der Pfarrer von den Laien der Gemeinde unterschieden. C) Konsequenzen fur die theologische Ausbildung Blieb schon die Behandlung von Funktion und Berufsbild des Pfarrers im Rahmen der traditionellen Konzeptionen, so ist dieses auch fur mögliche Konsequenzen für die „Bildung" des Pfarrers festzustellen. „Die theologische Bildung... ist formaler Natur, insofern sie vor allem die Bedingungen religiöser Kommunikation betrifft. Die theologische Urteilsfähigkeit des Pfarrers, die sich nicht in der Kenntnis einzelner spezifischer theologischer Inhalte erschöpft, soll ihn befähigen, die religiöse Vielfalt ertragen zu können." 4 In den Erörterungen Niebergalls zum Pfarrer vermißt der Leser eine bewußte Anbindung an die vorher erörterten Gesichtspunkte. So steht der Abschnitt „Die Persönlichkeit des Pfarrers" (429ff.) völlig beziehungslos neben den Erörterungen zum Begriff der Persönlichkeit als Ideal und Bedingung der 3 Vgl. Luther (1984), 216.

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4 Ebd., 220f.

Gemeindearbeit, zumal nun der Begriff Persönlichkeit nur im ganz allgemeinen Verständnis gebraucht wird. Hier scheint im Hintergrund die unkritische Übernahme des kulturprotestantischen Pfarrerideals prägend gewesen zu sein, wie sie etwa in einer solchen Formulierung zum Ausdruck kommt: „So bildet der Pfarrer das Ideal des deutschen Mannes, den religiösen Kristallisationspunkt für das religiöse Leben selbständiger Menschen" (415). Von daher vermißt man leider jegliche Konsequenz in Richtung einer Veränderung. Zwar wird die berufliche Überforderung der Pfarrer - speziell in der Großstadt - mit Zahlen belegt (409) und beklagt, aber Veränderungen werden nicht erwogen. Als Ziel der Befähigung zum Pfarramt wird erwartet, die durchschnittliche Wirklichkeit in den Gemeinden im Bereich der Frömmigkeit „zu verstehen aus der Geschichte heraus und fern davon, alles relativistisch zu billigen, vielmehr fähig zu sein, sie an dem gegliederten Ideal des geschichtlichen Christentums zu messen, das sollte der Ertrag des theologischen Studiums sein" (412). Letztlich bleibt in diesem Kapitel alles pfarrerzentriert. Zwar finden sich auch einzelne Gedanken dazu, wie die Gemeinde aus dem Objekt des Pfarrers zum Subjekt der eigenen Arbeit werden könnte. Aber „im Vergleich zum Übrigen bleibt die Behandlung dieses Themas noch sehr schmal".5

1.1.2. Frühe Bemühungen innerhalb der Theologie um empirische Wahrnehmung Insbesondere die liberale Theologie hat sich um die empirische Wahrnehmung der Menschen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verdient gemacht. Dabei steht auch hier der Begriff .Gemeinde' im Vordergrund, wird er zum Ausgangspunkt von Überlegungen und Untersuchungen. A) Klärung des Gemeindebegriffi Unter dem Aspekt der Zielvorstellung von Gemeinde geht es stets um eine Einflußnahme auf die gegebene Gemeinde, genauer auf die Menschen, die die Gemeinde konstituieren, zu dem Zweck, eine Entwicklung zu veranlassen. „Wer auf die Welt wirken will, muß sie nehmen, wie sie ist ... Wer die Menschen beeinflussen will, muß sie in ihrer Natur verstehen und sich an diese anzupassen wissen."6 Dabei ist der Ruf zur Wirklichkeit nicht auf die natürlichen Anlagen beschränkt, sondern richtet sich auch auf die sozialen Bedingungen, unter denen die Menschen leben.

5 Ebd., 217. 6 H. Bassermann, Die praktische Theologie als eine selbständige, wissenschaftliche theologische Disziplin. 1896. Zit. n. d. Abdruck in: Krause, a.a.O., 173ff. (195).

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Es war die Wahrnehmung einer veränderten Gesamtlage von Religion, Kirche und Theologie unter den Bedingungen der „zeitgenössischen" Gesellschaft um die Jahrhundertwende, die zu diesem Interesse an der Wirklichkeit des Menschen und der Möglichkeit der Einflußnahme führte. 7 In den Bemühungen um die Innere Mission Mitte des 19. Jahrhunderts war „das Entdecken des geistlichen und sozialen Notstandes im ganzen Volk" ein wichtiges Ergebnis. Bereits hier ging es auch um die Wahrnehmung der sozialen Situation von Menschen.8 Verstärkt wurde diese Hinwendung zu der sozialen Frage durch einzelne Kreise in Kirche und Theologie am Ende des 19. Jahrhunderts deutlich. 1890 veranstaltete A. Stoecker den 1. Evangelisch-Sozialen Kongreß in Berlin. An diesem Kongreß nahm eine Reihe von jüngeren Theologen teil. Zum Generalsekretär wurde der cand. theol. Paul Göhre berufen.9 Göhre war zu jener Zeit Redaktionshelfer bei der „Christlichen Welt". Er hatte im Jahr zuvor drei Monate lang in einer Fabrik in Chemnitz gearbeitet. Mit der Veröffentlichung von Göhres Buch „Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche" im Jahre 1891 10 wurden „die Kenntnisse von den realen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Industriearbeiter vertieft und die Tragweite der sozialen Frage fur die Existenz der Kirche in der Industriegesellschaft verdeutlicht"11. Martin Rade benannte 1898 die aktuelle Problematik mit aller Deutlichkeit: „Unsere Ethik fordert eine sittliche Rigorosität, die für Professoren und Pfarrer unschwer zu leisten ist, die aber jener großen Menschenmenge, die aus der Hand in den Mund lebt, ein unerhörtes Heldentum zumutet." 12 Dieser Notstand wurde fur Rade zur Herausforderung, die Wirklichkeit dieser Menschen empirisch-kritisch wahrzunehmen. Dabei bediente er sich als einer der ersten der Fragebogenmethode. Das Ergebnis trug er auf dem 9. Evangelisch-Sozialen Kongreß 1898 in Berlin unter dem Thema vor: „Die sittlich-religiöse Gedankenwelt unserer Industriearbeiter"13. Rades Ziel ist nicht die Missionierung der Arbeiter; vielmehr fordert er den Kongreß auf, mit ihm eins zu werden „in der herzlichen Achtung vor dem geistigen Streben und Ringen, das den besseren Teil unserer Industriearbeiter kennzeichnet. Er (der Kongreß - Vf.) teilt mit Schmerz seine weitgehende innere Abwendung von der heutigen Kirche, verzichtet aber keineswegs auf die Hoffnung, daß auch die heute

7 Vgl. Drehsen (1988), a.a.O., 41. 8 Vgl. dazu P. Philippi, Art.: Diakonie. in: T R E 8, 639. 9 Zu Göhre vgl. auch R G G (3. Aufl.) II, l663f. sowie Schibilsky (1983), lOOff. 10 Das Buch wurde inzwischen neu herausgegeben von J. Breuning und Chr. Gremmels, Gütersloh 1978. - Vgl. dazu jetzt auch H. Noormann: Evangelisch leben - Lernen in der Teilhabe am Leben der Armen. Paul Göhres Sozialreportage, in: PTh 80/1991, I44ff. 11 Chr. Schwöbel: Einleitung, in: Rade, a.a.O., 13. 12 Rade, a.a.O., 46. 13 Zuerst erschienen in Göttingen 1898. Nachdruck in Rade, a.a.O., 53ff.

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von der Sozialdemokratie geleitete Arbeiterschaft und das Christentum sich wieder finden werden."14 Die praktisch geforderten Konsequenzen betreffen dann allerdings nur die Kulturszene (Bildung und Offenheit der Kirche), nicht aber die Veränderung sozialer Mißstände. Eng mit den Unternehmungen zur Erhebung der Lebenswirklichkeit der Menschen verbunden sind solche Bemühungen zu sehen, die darauf abzielen, Erwartungen und Bedürfnisse der Menschen festzustellen, auf die die gemeindliche Praxis eingehen solle. Carl Clemens bezeichnet die Aufgabe mit den Fragen: „Was wollen sie (die Leute — Vf.) überhaupt vom Christentum? Welches sind ihre inneren Bedürfnisse?"15 Und Niebergall stellt fest: „Ich gehe davon aus, daß die kirchliche Tätigkeit ... darin besteht, daß seelische, geistige und soziale Bedürfnisse in einer Weise befriedigt werden, die den Verhältnissen einer Zeit entsprechen muß."16 Das Feststellen der Bedürfnisse der Menschen ermöglicht weitere Analysen und Schlußfolgerungen. Aber dabei soll stets der ganze Mensch im Blick bleiben, das Interesse geweckt werden „für ,den Menschen', die Richtung auf Kenntnis des Menschen, wie er ist, mitteilen, die Fähigkeit zu beobachten anregen"17. In diesem Zusammenhang kann auf weitere Bemühungen nur hingewiesen werden. So veröffentlichte Günter Dehn 1923 ein Buch über „die religiöse Gedankenwelt der Proletarierjugend"18. Dehn ist die Darstellung der sozialen und materiellen Lage wichtig, weil sie das Leben und Denken der Arbeiterjugend, auch ihre religiöse Gedankenwelt, prägt.19 Hinzuweisen ist ferner auf das 1926 erschienene „Berneuchener Buch", in dem es heißt: „Das Arbeitsschicksal greift so gewalttätig in die menschliche Existenz selber hinein, daß jedes Wort über das menschliche Leben, das dieses Arbeiterschicksal nicht mitumfaßt, mit einer lächerlichen Unwirklichkeit behaftet wäre." 20

14 Ebd., 113. - Zu Rade vgl. auch Wegner, a.a.O., 35f. 15 C. Clemen, Die Methoden der Praktischen Theologie. 1907. Zit. n. d. Abdruck in Krause, a.a.O., 238ff. (246). 16 F. Niebergall, Die Kasualrede. 1905. Zit. n. Luther (1984), a.a.O., 85. 17 W. Wrede, Der Prediger und seine Zuhörer. 1892. Zit. n. C. Clemen (Anm. 15), a.a.O., 247. 18 G. Dehn, Die religiöse Gedankenwelt der Proletarierjugend in Selbstzeugnissen dargestellt. Berlin 1923. 19 Vgl. dazu Wegner, a.a.O., 37ff. - Dort auch der Hinweis auf Paul Piechowski, Proletarischer Glaube. Berlin 1928 5 . 20 Das Berneuchener Buch. Hamburg 1926, 170 - Zit. n. Barie, a.a.O., 9.

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Β) Gemeinde und Pfarrer In der Konzeption von Friedrich Niebergall kam bei der Erreichung des Zieles von Gemeinde dem Pfarrer die entscheidende Rolle zu. Jedoch geht er hierbei von der traditionellen Institution des Pfarramts aus. Auch Martin Schian betont ausdrücklich: „Die Kirchengemeinde ist selbst tätiges Subjekt." 21 Konsequenterweise wird dann das Amt des Pfarrers als das wichtigste Gemeindeamt bezeichnet.22 Allerdings ist auch hier die Orientierung am überkommenen Amtsbegriff deutlich: „Das Pfarramt ist das von der Gesamtkirche geschaffene und erhaltene Gemeindeamt, dem die Einzelgemeinde die führende Stellung in der Arbeit an ihrer eigenen religiösen und sittlichen Pflege anvertraut."23

C) Konsequenzen ftir die theologische Ausbildung Aus der Notwendigkeit, daß der Theologe eine „klare und gesicherte Vorstellung besitzt von den Kräften, die heute in der Kirche wirken, oder gegen die die Kirche anzukämpfen hat", wird von Paul Drews die Aufnahme der „Evangelischen Kirchenkunde" und der darin enthaltenen „religiösen Volkskunde" sowie die „religiöse Psychologie" in den Studienbetrieb der Praktischen Theologie gefordert.24 Niebergall und Schian stimmen Drews zu, gelangen aber von ihrer Konzeption von Gemeinde her zu keinen darauf bezogenen Anforderungen an die Ausbildung der Pfarrer. Ausdrücklich darum aber geht es den studentischen Vorschlägen zur Reform des Theologiestudiums von 1919. 25 Hierin wird die Forderung erhoben, „daß den Studenten (durch praktische Sozietäten usw.) die Möglichkeit gegeben (werde), Leben und Arbeit der Kirche und der außerkirchlichen Religionsgemeinschaften durch Anschauung kennen zu lernen". Ferner wird für den Ausbau der praktischen Ausbildung zwischen erstem und zweitem theologischen Examen plädiert, wobei ausdrücklich auch „soziale Arbeit" erwähnt sowie die Einführung von Sozialwissenschaft als Prüfungsfach gefordert wird. Im Ergebnis der Diskussionen zur Reform des Theologiestudiums wird im Jahr 1920 durch Paul Feine eine Erweiterung des Vorlesungsangebots u m Bereiche der Pädagogik, der Philosophie sowie der vergleichenden Religionswissenschaft befürwortet. 2 6 Für eine besondere Qualifizierung im Bereich Soziologie und der Nationalökonomie wird die Ermöglichung eines Zweitstudiums für bestimmte Studenten vorgeschlagen.

21 Schian, a.a.O., 67. 22 Vgl. ebd., 70. 23 Ebd., 77. 24 Drews (1910), a.a.O. 25 „Vorschläge zur Reform des evangelisch-theologischen Studiums. Ausgearbeitet für den ersten Allgemeinen Studententag deutscher Hochschulen in Würzburg vom theologischen Fachausschuß der Berliner Studentenvertretung." o.O.u.J. (Berlin 1919) - abgedruckt bei Herrmann (1976), a.a.O., 16f. 26 Vgl. Feine, a.a.O., 25f.

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1.1.3. Zur Wahrnehmung von „Lebenswelt" in der Praktischen Theologie im Kontext der alten Bundesländer

A) Klärung des Gemeindebegrifß Für die volkskirchliche Gemeinde im gesellschaftlichen Kontext der Bundesrepublik hat Chr. Bäumler das gemeindliche Handeln bestimmt als ein Handeln, „das sich zum Dienst fiir die Menschwerdung des Menschen unter den Augen Gottes angesichts der realen und gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse berufen weiß"27. Eine die chrisdiche Gemeinde und ihren Lebensvollzug kritisch begleitende, reflektierende und inspirierende theologische Praxistheorie stehe dann gegenwärtig vor einer doppelten Aufgabe: „Auf der einen Seite ist die real existierende Praxis der volkskirchlichen Gemeinden daraufhin zu befragen, ob und inwiefern in ihren Vollzügen zur Darstellung kommt, wozu sie berufen sind, nämlich den Menschen die sie wahrhaft freimachende Botschaft von der in Jesus Christus geschehenen Versöhnung der Welt mit Gott zu bekennen und zu bezeugen. Auf der anderen Seite gilt es, diesen ,Dienst der Versöhnung' (2. Kor. 5,8) auf die realen Verhältnisse der Menschen hin zu konkretisieren und dazu beizutragen, daß chrisdiche Gemeinden ihre aus der ihnen geschenkten Freiheit erwachsenden Möglichkeiten im Schnittpunkt von gesellschaftlichen Systemen und der alltäglichen Lebenswelt ihrer Mitglieder entdecken und verwirklichen."28 Aus der letzteren Bestimmung wird ersichtlich, welche Bedeutung dem Wahrnehmen der „realen Verhältnisse der Menschen" hier zukommt. Dieses Wahrnehmen wird damit aber nicht einfach als Norm gesetzt. Vielmehr ist es ein als notwendig erachteter Schritt, damit es zur Realisierung des „Dienstes der Versöhnung" innerhalb dieser Verhältnisse kommen kann. Damit wird der Bereich der „gegebenen Gemeinde" verlassen. Es geht nicht nur um die erfaßbaren Gemeindeglieder. Vielmehr kommt der berufliche, der soziale, der gesamte Lebenskontext der Menschen als theologisch relevanter Tatbestand in den Blick. Seit etwa I960 läßt sich eine verstärkte Aufnahme empirischer Gesichtspunkte und Beobachtungen in die Praktische Theologie feststellen.29 Dabei wird die Bedeutung der empirischen Sozialforschung für die Theologie darin gesehen, „daß die Alltagserfahrungen von einzelnen intersubjektiv erweitert werden" und gleichzeitig „eine Sicht theologisch relevanter Tatbestände von einem Blickpunkt außerhalb der Theologie" ermöglicht wird.30 Eine große 2 7 Bäumler (1987), a.a.O., 37. 28 Ebd., 13. 29 Die Ansätze zu Beginn des Jahrhunderts, empirische Fragestellungen und Ergebnisse in die Theologie einzubeziehen, hatten über lange Zeit keine Auswirkungen und gerieten in Vergessenheit. Der generellen Absage der dialektischen Theologie an den Kulturprotestantismus fielen auch die Ansätze empirischer Theologie zum Opfer. - Vgl. Bäumler (1976a), a.a.O., 245. 30 Daiber (1985), a.a.O., 1022.

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Zahl sozialwissenschaftlicher Untersuchungen wurden durchgeführt und publiziert. Darin wird primär nach den Erwartungen der Menschen an Kirche und Gemeinde gefragt.31 Als Ergebnis haben sich die Vermittlung von Sinn, aber auch besonders die helfende Begleitung in Krisensituationen und an Knotenpunkten des Lebens, wie sie gerade in den Kasualien erfahren und im diakonischen Engagement praktiziert werden, als die wesentlichen Erwartungen herausgestellt.32 Mit der Wiedereinführung des Begriffs „Bedürfnis" in die Praktische Theologie wurde erneut damit ernst gemacht, die beteiligten Menschen nicht nur als Adressaten pastoraler Handlungen, sondern als mitbeteiligte Subjekte zu sehen. Die zur Erhebung von Bedürfnissen notwendige Methode wird als subjektorientiert und darauf gerichtet, die Situation des konkreten Subjekts richtig zu erfassen, vorgestellt. Nur so sei es möglich, falsche Bedürfnisse zu erklären bzw. zum Bewußtwerden richtiger Bedürfnisse beizutragen.33 Bedürfnisse in diesem Sinn sind keine anthropologischen Konstanten; sie sind durch gesellschaftliche Normen mitgeprägt, aber nicht nur gesellschaftlich vermittelt.34 Die Herausbildung von Bedürfnissen ist an individuelle Lebensgeschichten und an subjektive Empfindungen sowie an objektive Stellungen im Lebensprozeß gebunden.35 Sie können daher nur im Zusammenhang mit kommunikativen Prozessen überhaupt artikuliert werden.36 Bei all dem ist eine Orientierung an dem „eigentlichen menschlichen Grundbedürfnis", dem „Bedürfnis nach Verbundenheit mit anderen und nach authentischen menschlichen Beziehungen" notwendig.37 Damit ist die Richtung gewiesen zu einer intensiven Bemühung um die Wirklichkeitserfassung, um die Lebenssituation der Menschen. So wird im Blick auf eine Industriegemeinde im Ruhrgebiet als Schwerpunkt bezeichnet: „Die Arbeitssituation steht dabei an erster Stelle: In ihr entscheidet sich alltägliches Lebensglück oder -unglück, hier wird Lebenssinn konstituiert und bedroht, hier wird Bestätigung oder Mißachtung handfest und dauerhaft erfahren, hier finden die Beanspruchungen oder Belastungen statt, die über Gesundheit und Krankheit, über Erfolg und Mißerfolg, über alltägliche Freiheit oder Zwangssituation und Abhängigkeiten entscheiden."38 Ökonomische Strukturen und gesellschaftliche Verhältnisse werden hier als für die Lebenssituation der Menschen konstitutiv und als keinesfalls abblend31 92ff. 32 33 34 35 36 37 ferner 38

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Vgl. den Überblick bei Spiegel (1975b), a.a.O., 233ff. und Rössler (1986), a.a.O., Vgl. Dahm (1972), a.a.O., 305f. Vgl. Dehnen, a.a.O., 22ff. sowie Spiegel (1975a), 182ff. Vgl. Schneider (1985), a.a.O., 146. Vgl. Dehnen, a.a.O., 23. Vgl. Schneider (1985), a.a.O., 146. Schneider (1982), a.a.O., 186. Dort auch die ausführliche Argumentation. Vgl. dazu Bäumler (1984), 77ff. Schibilsky (1983), a.a.O., 18.

bar angesehen. Sie gehören unverzichtbar zur Wahrnehmung der Gemeinde dazu. So haben sich in jüngster Zeit einige Untersuchungen verstärkt dem Bereich der Arbeitswelt zugewendet bzw. wurde die Beziehung der Kirche zu Arbeitern thematisiert. Als Ergebnis wird u.a. gefordert, die schlichte Wahrnehmungsfähigkeit der Kirche und der Pastoren bezüglich der Andersartigkeit der Arbeiter und ihrer Lebenswelt zu erhöhen.39 Trotz verschiedener Bemühungen besteht diese Feststellung weiterhin zurecht: „Den Arbeiterpriestern und Industriepfarrern gebührt das Verdienst, die Kirche im Ganzen daran erinnert zu haben, daß Verkündigung die solidarische Koexistenz des Verkündigers mit den Angeredeten fordert und daß die Kirche bisher solche Koexistenz nur mit einer bestimmten, nämlich der bürgerlichen Mittelschicht der Bevölkerung, geleistet hat." 40 Die Diskrepanzerfahrung einer andersartigen Auslegung der gemeinsamen Erfahrungswelt des Alltagslebens wird als Herausforderung erlebt, die jeweiligen Lebenswelten genauer zu analysieren. Dabei geht es neben den Arbeitern ebenso um die Lebenswelt z.B. im ländlichen Bereich, der Frauen, der Senioren, der Behinderten usw. Die Leitfragen fur eine solche Analyse könnten lauten: „Wie leben diese Menschen? Wer definiert ihre Lebenskonzepte?" und: „Wie erleben sie von ihrem Ort aus die konkrete Kirche?"41 In diesem Zusammenhang gehört auch die Wahrnehmung des Phänomens eines „Christentums außerhalb der Kirche". Dieses Phänomen bedarf einer selbständigen Wahrnehmung, die sich allerdings überhaupt einer direkten theologischen Begründung entzieht.42 Da der Pfarrer aber in der Praxis damit konfrontiert wird, ist auch dieses ein Thema der Praktischen Theologie. Zunächst bedeutet das einen Perspektivenwechsel, daß nämlich „die so gar nicht den Erwartungen der Kirchlichkeit entsprechende breite volkskirchliche Wirklichkeit nicht als defizitär, sondern als different wahrzunehmen ist, — als eine christliche Wirklichkeit eigener Art, deren Fremdheit es nicht zu beurteilen, sondern vorab zu erkunden und auszumachen gilt" 43 . In der katholischen Theologie wird in diesem Zusammenhang iavon gesprochen, daß die „Pastoral der Bekehrung" gleichberechtigt neben der „Pastoral der Bekehrten" zu stehen kommen müsse. Es gehe „um den Menschen;

39 Vgl. Wegner, a.a.O., 238; ferner Barid, a.a.O. 40 Josuttis (1988b), a.a.O., 20. - Vgl. auch Jörns (1986b), a.a.O., 263: „Was heißt es, wenn sich spätestens seit Beginn der Industrialisierung gerade die gesellschaftlich Unterprivilegierten in der evangelischen Kirche nicht mehr wohl gefühlt haben? Ich wage die These, daß sich eine Entwicklung vollzogen haben muß, die verhinderte, daß diese Menschen sich wirklich wahr- und als Person angenommen fühlten." - Zu den Zitaten von Josuttis und von Jörns ist ferner auf die Feststellung Bornemanns aus dem Jahre 1886 zu verweisen (vgl. oben, 58). 41 Zerfaß (1988), a.a.O., I47f. 42 Vgl. Drehsen (1988), a.a.O., I47f. 43 Matthes, a.a.O., 153.

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darum, ihm vom menschenfreundlichen Gott her... neue Lebensperspektiven zu eröffnen"44. Es gehe nicht um Wiedereingliederung in die Kirche. Angesichts der dargestellten und eingeforderten differenzierten Wahrnehmung von Wirklichkeit und der Notwendigkeit ihrer Einbeziehung in das Nachdenken über Gemeinde erhebt sich die Frage, wie eine mögliche Struktur und inhaltliche Füllung des Gemeindebegriffs denkbar sind. Eine mögliche Antwort lautet: „Man sollte also nicht pauschal von ,der' Gemeinde sprechen, sondern allenfalls von einem Gefiiige von Gruppenprozessen, in denen sich in verschiedener Intensität und unterschiedlichen Interaktionsformen christlich motivierte Praxis darstellt."45 Damit ist aber noch nicht das letzte Wort über den Begriff .Gemeinde' gesagt. Da dieser Begriff weiterhin verwendet wird, bleibt die Forderung nach einer inhaltlichen Füllung unabweisbar. W. Gräb spricht ausdrücklich nicht von Gemeinde, wenn er feststellt: „Die Praktische Theologie vermag ihre Orientierungsfunktion fur das Leben der Kirche und der Christen in ihr nur dann hinreichend zu erfüllen, wenn sie die vielgestaltige Präsenz des Christentums nicht nur wahrnimmt und im Gespräch mit der kirchlichen Überlieferung zu begreifen versuch, sondern auch in ihrem aktuell verbindlichen, inhaltlich bestimmten Selbstverständnis, somit dogmatisch zu explizieren vermag."46 Die Forderung nach einem „verbindlichen, inhaltlich bestimmten Selbstverständnis" hat gleichermaßen für den Gemeindebegriff zu gelten, wenn die Rede von .Gemeinde' weiterhin Sinn haben soll. B) Gemeinde und Pfarrerin Das Amt des Pfarrers als das wichtigste Gemeindeamt — diese von M. Schian theoretisch definierte Beziehung von Gemeinde und Pfarrer - wird, so ein Ergebnis der empirischen Untersuchungen, als Realität erlebt. Der Verlust gesamtgesellschaftlicher Anerkennung des Pfarrers ließ die Kirchengemeinde als sein eigendiches Aufgabenfeld hervortreten, allerdings auch als das Feld, auf dem er Erfolg oder Mißerfolg seiner Bemühungen erlebte.47 In dieser Entwicklung kommt der personalen Zuwendung durch den/die Pfarrerin - dem „personalen Angebot" - großes Gewicht zu. Entsprechend wird er/sie primär als Begleiter und als Berater gesehen. „Nicht das Amt, das ein Pfarrer innehat, sondern seine Fachkompetenz unterscheiden ihn sowohl von Gemeindegliedern, als auch von anderen Berufsträgern."48 Dabei wird der initiierenden Tätigkeit des/r Pfarrerin (Hilfe zur Selbsthilfe, zur Identitätsfindung etc.)

44 Vgl. dazu N . Mette, Kirchlich-distanzierte Frömmigkeit. 1982, der dafür den Begriff „Pastoral der Begegnung" prägt. - a.a.O., 78ff. 45 Koeppen, a.a.O., 455; vgl. ferner Daibler (1983), a.a.O., 28. 46 Gräb (1988), a.a.O., 491. 47 Vgl. Rössler (1986), a.a.O., 451. 48 Steck (1987), a.a.O., 335.

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größere Bedeutung zuerkannt als den traditionellen, lediglich begleitenden oder entlastenden Funktionen. In diese Zusammenhang gehört auch die Vorstellung von dem/der Pfarrerin, er/die bestimmte Aufgaben delegiert, sich also nicht in jeder Hinsicht kompetent fühlt. Dazu gibt es Überlegungen und Berichte über Vorzüge und Nachteile von Teampfarrämtern, aber auch des sogenannten Gruppenpfarramts, einer Kooperative von hauptamtlichen Mitarbeitern unterschiedlicher Ausbildung. Den Vorteilen eines breiten Kompetenzspektrums stehen jedoch auch beträchtliche Schwierigkeiten gegenüber. So kann „das auf der Ebene zwischenmenschlicher Beziehungen langsam aufgebaute Vertrauen zum Gemeindepfarrer ... nicht einfach auf einen anderen kompetenten Fachmann übertragen werden."49 Wird der kommunikative Prozeß, in dem es zur Erhebung und Klärung der Grundbedürfnisse kommt, als dominierend angesehen, so wird die fachliche Kompetenz sogar an die zweite Stelle verwiesen. Hier geht es primär um das personale Angebot und entsprechend um eine ausgebildete kommunikative Kompetenz. 50 Im Zusammenhang mit der gelingenden Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit der Menschen erhält die Berufsarbeit des/der Pfarrerin bei sozialen und pädagogischen Problemen zunehmendes Gewicht. Dasselbe wird fiir Angebote zur seelischen Stabilisierung und Konzentration konstatiert. Alles dies bewirkt bei den Pfarrerinnen auch eine Zunahme von Bildungsveranstaltungen, von Beratungen und von Verwaltungsaufwand.51 Eine weitere Folge ist die zunehmende Spezialisierung und die steigende Zahl von Spezialpfarrämtern. Als wesentliche Voraussetzung zur Wahrnehmung von Aufgaben im Pfarramt wird die Befähigung zur Theorie hervorgehoben. Diese Befähigung zielt letztlich darauf, eine Daseinsinterpretation von der christlichen Botschaft her zu schaffen, die die unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen einer Gemeinde auf eine sinngebende Mitte hin zu ordnen vermag.52 Diese aber ist nur auf dem Weg der theologischen Reflexion zu gewinnen. Das Dilemma besteht nun darin, daß diese Befähigung zur Theorie und die geforderte Sensibilität für die Wirklichkeit, die notwendige kommunikative Kompetenz im Subjekt des Pfarrers/der Pfarrerin zusammenkommen müssen. „Er soll der Mann sein, der die Ubersicht hat, der weiß, was hier und jetzt geschehen muß, der das Notwendige sagen und veranlassen kann" 53

49 50 51 52 53

Bäumler (1984), a.a.O., 110; ferner Drehsen (1986), a.a.O., 278 und 282. Vgl. Schneider (1985), a.a.O., 148. Vgl. Schibilsky (1983), a.a.O., 18. Drehsen (1986), a.a.O., 280f. Herrmann/Lautner, a.a.O., 103.

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C) Konsequenzen fiir die theologische Ausbildung „Erst in der Auseinandersetzung mit der ekklesiologischen Realität und den Menschen, die in dieser Realität existieren, wird erfahrbar, was die Verheißungen der biblischen Tradition für das Volk Gottes heute bedeuten können."54 Damit ist eine wesentliche Konsequenz aus der skizzierten Relation Gemeinde — Pfarrer bezeichnet. Es geht um das Wahrnehmen der Lebenswelt der Menschen im Gemeindebereich auf dem Weg über eine temporäre Partizipation. Hermann/Lautner nennen in diesem Zusammenhang das „Sozialpraktikum". Sie verstehen darunter „jene praktische Tätigkeit, die ohne direkte Abhängigkeit von der späteren kirchlichen Berufsarbeit des Praktikanten in einem zentralen Bereich der gesellschaftlichen Dynamik getan wird."55 Das Recht des Sozialpraktikums wird als die theologisch-wissenschaftliche Frage nach der Kirche in der Welt, konkreter: nach der Kirche in der Gesellschaft, gesehen. Da die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland dominant als Industriegesellschaft wahrgenommen wird, wird dem Industriepraktikum Priorität zuerkannt vor anderen Formen des Sozialpraktikums z.B. im ländlichen oder im diakonischen Bereich. a) Industriepraktikum: Ms Ziel wird genannt: „Der Praktikant erkennt, daß die Tätigkeit des Arbeiters der produktive Vollzug einer industriellen Möglichkeit unter den Bedingungen des Systems ist, die sich auch habituell in seinem Denken und Handeln ausdrücken."56 Industriepraktika werden seit Mitte der 50er Jahre durchgeführt.57 Sie sind für mehrere Landeskirchen obligatorisch (Baden; Braunschweig; Rheinland und Westfalen verlangen ein Gemeindepraktikum und ein zweites Praktikum, das ein Industriepraktikum sein kann; Württemberg verlangt ein Gemeinde- oder ein Industriepraktikum).58 Im „Gesamtplan" werden Industriepraktika explizit nicht erwähnt. Bäumler/Lämmermann veröffentlichten 1982 Berichte über ein Industriepraktikum. Dort heißt es u.a.: „Die Arbeitsplätze sollen möglichst typisch für die Struktur der Produktion sein; in der Regel also repetierende Tätigkeiten am Fließband, im Akkord und in Schichten."59 „Durch die gewollte Einordnung in das natürlich-unnatürliche Leben unter dem Diktat der Maschine und der ökonomischen Organisation menschlicher Beziehungen erleben sie (die Praktikanten - Vf.) - oft tief in ihrem Selbstverständnis als Akademiker erschüttert - die Auswirkungen industrieller Arbeit auf ihre persönliche Existenz." 54 Josuttis (1987), a.a.O., 59. 55 Herrmann/Lautner, a.a.O., 142. - Im Sozialpraktikum „soll der Student exemplarische Erfahrungen gewinnen, die nicht zum Bezugsrahmen seiner sozialen Situation gehören". Ebd., 155. 56 Ebd., 145. 57 Martiny, a.a.O., 81. 58 Vgl. „Rechtsbestimmungen ...", a.a.O. 59 Bäumler/Lämmermann, a.a.O., 43. - Ebd. auch das folgende Zitat.

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b) Landpraktikum: Als Zielstellung wird genannt: „Der Praktikant soll erfahren, wie sich das dörfliche Leben im Spannungsfeld von überlieferten Lebensformen und den Zielvorstellungen der industriellen Gesellschaft vollzieht."60 Unter diesem Titel sind keine Berichte bekannt geworden (Vf. verfugt über Unterlagen für Gemeindepraktika in Württemberg und Bayern, die die Besonderheit des ländlichen Raumes zum Gegenstand haben.) c) Diakonisches bzw. Sozial-Praktikum: In der Mehrzahl der Kirchen wird ein Diakonisches Praktikum für Theologiestudenten angeboten. In der Regel steht ein solches Praktikum neben anderen Praktikumsangeboten den Studenten zur Auswahl. Nur in Württemberg wird ein „diakonisches Halbjahr" erwartet. Im „Gesamtplan" wird unter den Praxisprojekten in der Studieneingangsphase auch die Möglichkeit des Sozialpraktikums genannt.61 Über zwei Praxisprojekte aus diesem Bereich an der Kirchlichen Hochschule Berlin (West) liegen ausfuhrliche Berichte vor. 1973/74 wurde das Studienprojekt „Tod und Sterben in der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit" in drei Phasen durchgeführt.62 Die erste wissenschaftsgeleitete Phase stand unter dem Teilthema: „Was weiß man von Tod und Sterben?" Dazu wurden durch kompetente Referenten Beiträge zu folgenden Aspekten gegeben: Tod und Sterben als Problemfeld — kirchlichen Handelns/ der Soziologie/ der Psychologie/ der Philosophie/ der Ethologie und Kulturanthropologie, sowie: Tod und Sterben - im Neuen Testament, in den Religionen des Fernen Ostens, im Alten Testament, in den vorderasiatischen Religionen. Die anschließende zweite Phase umfaßte ein dreiwöchiges „Praktikum auf für das Problem Tod und Sterben wichtigen Arbeitsfeldern". Dafür standen Plätze zur Verfügung im Krankenhaus, bei der Vor- und Nacharbeit des Pfarrers (Friedhof oder Krematorium), bei der Lebensmüdenarbeit/Telefonseelsorge und bei der Polizei/Feuerwehr. Zur dritten Phase des Projekts wird festgestellt, daß sie anders als geplant verlaufen ist. Es war vorgesehen, „das Problem der Kooperation auf dem Handlungsfeld in Aufnahme von Praktikums-, Berufs- und Wissenschaftserfahrung" zu thematisieren.63 Stattdessen wurden durch die Teilnehmer die Probleme „Suizid" und die „gesellschaftlich-gemeindliche Arbeit des Pfarrers" in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. 1977/78 wurde an der gleichen Institution eine interdisziplinäre Übung „Das Kind in Wissenschaft und Kirche" angeboten.64 Angekündigt war auch

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Herrmann/Lautner, a.a.O., 147. „Gesamtplan", a.a.O., 24 (Pkt. 4.1.c). Vgl. zum folgenden Bloth/Schulze, a.a.O., 287ff. Ebd., 289. Vgl. MS „Praktikum ...", a.a.O.

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die Möglichkeit eines daran anschließenden Praktikums. Im Rahmen der Übung gab es Einzelbeiträge: das Kind - im AT, im NT, in der Kirchengeschichte, in der Psychologie. Darüber hinaus wurde Arbeit in Gruppen angeboten und gern wahrgenommen. Die anschließenden Praktika wurden in Kindertagesstätten, in einem heilpädagogischen Heim und in einem Heim für Mutter und Kind durchgeführt. In den Praktikumsberichten wird die Relevanz des Praktikums angesprochen: So werden das unmittelbare Erleben der Kinder, das Kennenlernen der Probleme ihrer Umwelt, sowie der Anforderungen und Belastungen der Erzieher hervorgehoben. Ein Praktikant formuliert: „Diese Welt (der Kinder - Vf.) zu entdecken und sie in pädagogische Überlegungen mit einzuplanen, und dabei nicht nur vom Ziel der Erziehung auszugehen, sondern auch vom Erleben der Kinder in ihren eigenen Bezügen ist ein wichtiges Ziel dieser Praktikumserfahrung."65 Ein anderes, vorsichtiges Resümee lautet: „Die Erfahrungen schlagen sich sicher nieder darin, aus welchem Blickwinkel ich jetzt Sachen lese und auch erlebe."66 d) Seelsorge-Praktikum: Zu den Diakonischen bzw. Sozial-Praktika stehen Elemente der Seelsorge in naher Beziehung. So erwägt Bloth eine besondere Zurüstung der Theologiestudenten, die „Formen beratender Seelsorge" beinhalten bzw. einüben sollte.67 Darüberhinaus begegnet aber auch die Einrichtung von speziellen Seelsorgepraktika, wie sie beispielsweise in Württemberg durchgeführt werden. 1987 wurden in Württemberg drei Seelsorgepraktika von jeweils sechs Wochen Dauer angeboten. Ziele dieser Praktika sind eine Einführung in theologische und praktische Fragen der Seelsorge im engeren Sinne (Einzelgespräch) und der Seelsorge im weiteren Sinne (Gemeindearbeit). Zur Arbeitsweise werden Besuche, Auswertung von Gesprächsprotokollen, Rollenspiel, Selbsterfahrungsgruppe, Predigtanalyse und Einzelgespräch, sowie Übungen zu Stille, Gebet und Meditation genannt.68 Erfahrungsberichte über Seelsorgepraktika sind dem Verfasser nicht bekannt geworden.

1.1.4. Zur Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit von Menschen in der DDR im Spiegel der theologischen Literatur A) Klärung des Gemeindebegriffs Im Blick auf die Gemeinden in der DDR lassen sich weniger nebeneinanderstehende Auffassungen von Gemeinde feststellen. Bedingt durch den historisch-gesellschaftlichen Kontext, der u.a. auch einer kontroversen Diskussion Grenzen setzte, ergibt sich der Eindruck einer relativ einheitlichen Auffassung 65 Ebd., 27. 67 Bloth/Schulze, a.a.O., 302.

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66 Ebd., 56. 68 Informationsblätter im Besitz des Vfs.

zum Thema Gemeinde und Gemeindeaufbau. Die Selbstdefinition des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR als „Zeugnis- und Dienst-Gemeinschaft" hat die Diskussion um ein theologisches Selbstverständnis der Kirchen in der D D R festgeschrieben. In den fünfziger Jahren bestand flir die Kirchen die Notwendigkeit, ihr Verhältnis zu dem sozialistischen Staat zu klären. Dabei überwog zunächst eine Haltung der Abgrenzung und der Festigung des Bestehenden, d.h. auch der bestehenden Gemeinden und ihrer Strukturen. Sehr bald schon wurde in den Kirchen der Prozeß der Minorisierung wahrgenommen und als bedrohlich erlebt. Eine Konsequenz daraus ist in den intensiven Bemühungen um eine theologische, programmatische Definition von Gemeinde zu sehen. Eine weitere Phase wird bezeichnet durch die Beobachtung, daß Gemeinden weiter existieren - in welcher Minderheit auch immer - und daß Menschen von außen zu der Gemeinde stoßen. Verbunden mit der Einsicht, daß die programmatischen Entwürfe von Gemeinde die Menschen überforderten, wurde die Frage nach der richtigen Wahrnehmung der Menschen in der Gemeinde immer dringender. Das macht auch das Thema der Bundessynode 1977 in Görlitz deutlich, das allerdings lautet: „Der Laie in Kirche und Gemeinde". Eine Vorarbeit zu dieser Synode bringt aber die notwendige Erweiterung des Themas in das Bewußtsein: „Die starke Betonung der Funktion des Laien, seines Auftrags, steht in der Gefahr,... ihn damit illusionär zu überfordern. So kommt der Laie als einzelner, in seiner konkreten Situation und seiner biographischen Individualität nicht in den Blick. ... Die Synode ... wird deshalb beides beieinander halten müssen: die missionarische Verantwortung der Laien und die konkreten Bedingungen, unter denen sie leben, arbeiten und glauben."69 Trotz dieser deutlichen Problemanzeige lassen sich doch bereits frühere Bemühungen um die Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit der Menschen in den Gemeinden feststellen.70 Bereits 1970 hatte G. Kretzschmar „eine praktisch-theologische Arbeit auf kirchengemeindesoziologischer Grundlage" vorgelegt. Darin werden in vier unterschiedlich strukturierten Gemeinden im einzelnen analysiert: Der Kirchenvorstand, der Gottesdienstbesuch, der Kirchenchor, die Amtshandlungen und die Gemeindekreise. So werden dabei u.a. erfragte Motive für den Gottesdienstbesuch mitgeteilt.71 In dem zusammenfassenden Beitrag findet sich hier auch der Begriff „Bedürfnis", allerdings in sehr allgemeiner Verwendung, wenn es heißt: „im Protestantismus (komme) die Kirche den Bedürfnissen ihrer Gläubigen zu wenig entgegen"72 Um welche Bedürfnisse es da geht, ob und

69 Grengel, a.a.O., 219f. 70 Dabei ist darauf hinzuweisen, daß unter den gesellschaftspolitischen Bedingungen in der D D R keine empirischen Untersuchungen wie in der D D R durchgeführt werden konnten. 71 Vgl. Kretzschmar, a.a.O., 78. 72 Ebd., 155.

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gegebenenfalls wie die Kirche darauf eingehen könne, ist lediglich implizit aus den Ausführungen zu erschließen, wird aber nicht eigens thematisiert. Auch anhand der Zeitschrift „Die Zeichen der Zeit" können seit etwa 1970 einzelne Artikel für die Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit in den Gemeinden benannt werden. Zunächst sind es die nichttheologischen Faktoren, die im Amtsverständnis, im Berufsbild des Pfarrers73 und in der Gemeinde 74 beschrieben und nach ihrer Relevanz befragt werden. Das Aufnehmen des Terminus „Situation" bedeutete zunächst lediglich die Feststellung von einer kirchlichen Binnenperspektive her, die die Veränderungen und deren verunsichernde Wirkungen klären und bedenken will. 1973 verweist J. Langer bei der Suche nach einem Leitbild für den Pfarrer auf die Menschen der Gemeinde und ihre alltäglichen Lebensvollzüge.75 1975 formuliert J. Hempel, zu den notwendigen Fähigkeiten eines Pfarrers gehöre „das Erkennen von Bedürfnissen der Gemeinde" 76 . Der nun auch in die theologische Diskussion in der D D R eingeführte Begriff „Bedürfnis" ist dabei aber weit weniger definiert als in der Bundesrepublik Deutschland. Der Begriffbegegnet 1978 auch bei G. Linn, der jedoch ausfuhrlicher die „Sehnsüchte" der Menschen berücksichtigt.77 1982 erscheint der Artikel „Christliche Gemeinde in den Dörfern" von F. Mahlburg. Er unternimmt es, das alltägliche Leben der Menschen zu beschreiben und in seiner Relevanz für das Berufsbild des Pfarrers aufzuzeigen. Damit wird ein Perspektivenwechsel vollzogen, so daß bedrängende Mangelerscheinungen aus der Sicht kirchlicher Binnenperspektive nun aus der Situation der Menschen verständlich gemacht werden. Es werden Wege gezeigt, „die gegenwärtig lebenden, arbeitenden, leidenden Menschen wirklich ernst zu nehmen. ... Die Welterfahrung unserer Zeitgenossen, auch die unseres kirchenfremden Nachbarn und die der alten Frau im Sonntagsgottesdienst, stellen unsere Heilsverkündigung in Frage." 78 Jüngst hat. E. Neubert in der gründlichen Studie „Eine Woche der Margot Triebler" wiederum den Alltag der Dorfbewohner in den Mittelpunkt gestellt und von daher ihre Bedürfnisse erhoben.79 In diesem Zusammenhang ist auch auf die Studienarbeit der Arbeitsgruppe,Arbeit auf dem Lande" hinzuweisen, die sich besonders um die Erhebung der Situation der Menschen auf dem

73 Hier ist hinzuweisen u.a. auf G. Krusche (1971), Hempel (1971) und Winkler (1973) 74 Vgl. z.B. Chr. Drummer, Gruppenbeziehungen in der Gemeinde, in: ZdZ 24/ 1970, 206ff. und dies., Die diakonische Verantwortung der Gemeinde, in: ZdZ 28/1974, 161ff. 75 Vgl. Langer (1973), a.a.O., I46ff. 76 Hempel (1975), a.a.O., 255. 77 Linn, a.a.O., 81. 78 Mahlburg, a.a.O., 177f. 79 Vgl. Neubert, a.a.O.

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Lande bemüht. 1988 hat W. Seidel dieses in einem Artikel eindrücklich unterstrichen.80 Dieser zunehmend gelingenden Wahrnehmung der Situation eines bestimmten Teils der Bevölkerung korrespondiert die seit langer Zeit betriebene gründliche Aufarbeitung der Situation von Menschengruppen, auf die Teilbereiche des kirchlichen Handelns orientiert sind - speziell in der Katechetik, in der Seelsorge und z.T. auch in der Homiletik. Kommen in der Katechetik besonders die Altersgruppen der Kinder und Jugendlichen in den Blick, so in der Seelsorge die alten Menschen sowie Menschen mit bestimmten Problemen und in besonderen Situationen (Ehe und Familie; Alleinstehende, Kranke, Sterbende und Trauernde; Behinderte; Süchtige und Suchtgefährdete, Suizidgefährdete). Wenn weiterhin auch die „Seelsorge am Menschen in der Lebensmitte" und die „Seelsorge an Menschen in ihrer Freizeit" thematisiert wird,81 so ist damit eine Richtung angezeigt, in der weitergearbeitet werden müßte. B) Gemeinde und Pfarrerin Die Diskussion über das Verständnis des/der Pfarrerin wurde zumeist auf theologischer Ebene unter Verwendung des Amtsbegriffs gefuhrt. Dabei finden sich aber auch einige Bestimmungen, die unmittelbar die Relevanz der Situation aufnehmen. Unter der Voraussetzung, daß der/die Pfarrerin einen Bereich des der Gemeinde übertragenen gegliederten Amtes übernimmt, wird das Verhältnis zu der Gemeinde mit dem Begriff „Partner" bezeichnet.82 Der/die Pfarrerin kann auch als „Kybernet, Partner und Funktionär"83 oder als „Befähiger, Multiplikator, Leiter und Funktionär"84 beschrieben werden. Eine besonders wichtige Funktion aber kommt der Kommunikation zwischen Pfarrerin und Gemeindegliedern zu85, die jedoch zumeist als defizitär erlebt wird. Wesentlich bleibt, daß der/die Pfarrerin dazu befähigt ist, die Bedürfnisse der Gemeinde zu erkennen und ebenso genaues Zuhören wie auch partnerbezogenes Reden aus dem Geist des Evangeliums zu praktizieren vermag. In der zunehmenden Diasporasituation wird der/die Pfarrerin als Kommunikator immer wichtiger. Er/sie wird von fragenden Zeitgenossen, über Gemeindegrenzen hinaus, gesucht: „Es ist... der menschliche, der partnerschaftliche Pfarrer, dem das Interesse, ja oft die Sehnsucht der Menschen gilt. Sie suchen vor allem Gespräch, Zuwendung, Zuspruch, suchen Seelsorge, ohne das Wort zu kennen."86 Zu der Erwartung an den/die Pfarrerin, als Kommunikator tätig zu sein,

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Vgl. W. Seidel, Kirchliche Arbeit auf dem Lande, in: ZdZ 42/1988, 126ff. Vgl. dazu die entsprechenden Passagen in: Handbuch der Seelsorge, Berlin 1983. Vgl. hierzu u.a. Hempel (1971) und ders. (1975), a.a.O. So G. Krusche (1971), a.a.O. 84 So Langer (1973), a.a.O. Vgl. dazu v.a. Winkler (1973a), a.a.O., 39 (Pkt. 6). G. Krusche (1984), a.a.O., 284.

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gehört im Kontext der umgebenden Gesellschaft auch die Befähigung zur Kommunikation mit nichtchristlichen Gesprächspartnern. Die Erwartungen von Gemeindegliedern an die Pfarrerinnen sind einmal so formuliert worden: „Nicht das Amtliche, sondern das Menschliche wird entscheidend wichtig für die Rolle, die der Pfarrer neu spielt: - seine Kontaktfähigkeit, — sein Predigtstil, - seine Einsatzbereitschaft. Der Pfarrer muß sachkundig sein in den Dingen des Glaubens wie der Gesellschaft. Denn er muß situationsgerechte, zukunftsweisende Antworten geben. Dazu ist eine neue Sprache nötig, Wissen in der Struktur der Gesellschaft."87 Was hier aufgeführt, ja eingefordert wird, ist letztlich allumfassend: persönliche Authentizität, Kontakt- und Wahrnehmungsfähigkeit sowie Sachkenntnis. Solche Maximalerwartungen helfen aber nicht weiter. Auf diese Weise wird die Pfarrerzentriertheit nur noch zementiert und das Gefühl der Uberforderung nur noch verstärkt. Die Funktion der Pfarrerinnen als Fachleute, als Spezialisten für bestimmte Bereiche der Wahrnehmung von Lebenswirklichkeit und des darauf aufbauenden Handelns sind berechtigt. Dabei wird aber immer dringlicher die Notwendigkeit, eine Zielstellung von Gemeinde zu finden, offenbar. C) Konsequenzen fur die theologische Ausbildung Bereits 1954 verwies A.D. Müller auf „Bedürfnisse der kirchlichen Praxis", die vom Autor als Anfragen an das Theologiestudium verstanden wurden. 88 Im einzelnen wird auf Bereiche der Psychologie und Pädagogik und deren Bedeutung für die katechetische Ausbildung als neue Aufgabe für die Theologie hingewiesen. Ferner fordert A.D. Müller eine Verbesserung der seelsorgerlichen Ausbildung und die Berücksichtigung der Diakonik, um so die diakonische Verantwortung der Kirche zu vermitteln. Zuvor hatte Müller bereits 1950 auf Modelle seminaristischer Seelsorge hingewiesen.89 In der Abhandlung „Ist die Seelsorge lehrbar?" weist er auf ein wesentliches Moment an dem Seelsorger hin, das so im akademischen Studium mit dem Ideal des abstrakten Denkens und der rationalen Reflexion nicht vorkomme: „Der Seelsorger aber muß konkret beobachten, konkret denken, konkret reden lernen, er muß die ganz besondere Gläubigkeit gerade des Menschen erfassen lernen, dem er begegnet." 90 So kann die Seelsorge-Ausbildung als Paradigma für die Wahrnehmung des Menschen in der Theologie stehen. Dieses gilt im Blick auf die konkrete Situation des Menschen v.a. für die von Müller benannten ersten zwei Phasen

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Rudolph, a.a.O., 60 Vgl. A.D. Müller (1954), a.a.O., 132f. Vgl. A.D. Müller (1950), a.a.O., 119ff. Vgl. A.D. Müller (1961), a.a.O., 130.

des seelsorgerlichen Gesprächs - die psychologische und die theologische Diagnose. 91 1967 wies E.-R. Kiesow auf die Notwendigkeit hin, die empirischen Wissenschaften stärker in die Praktische Theologie einzubeziehen und forderte, deren Relevanz für Umfang und Methodenumstellung dieses Faches ernstzunehmen. 92 Er verweist dabei auf die festgestellten Mängel in der Ausbildung, speziell auf Schwierigkeiten beim eigenen theologischen Erfassen kirchlicher und weltlicher Wirklichkeit durch die Studierenden. Unter diesen Umständen wird konstatiert, daß die Gemeinden in der D D R Theologen mit besonderen Schwerpunkten brauchen - in der Katechetik, in der Krankenseelsorge, im kirchlichen Pressewesen, in der Akademiearbeit u.a.m. 93 Diesen Anforderungen in der praktischen Existenz der Gemeinde durch die Gestaltung der theologischen Ausbildung besser zu entsprechen, ist ein dringendes Anliegen des Autors. So betont Kiesow in einer weiteren Abhandlung die Notwendigkeit, Beobachtungen und Erfahrungen von Theologiestudenten im Gespräch mit ihnen als Ansatzpunkt fur die Möglichkeit studentischer Selbsterfahrung zu machen. 94 Von dieser Sicht her stellt er die Notwendigkeit des Kontaktes zu Gruppen in Gemeinden, aber auch zu Nichtchristen, als wichtige und unverzichtbare Voraussetzung fiir die Theologie heraus. 95 In den Rahmen dieser Bemühungen um Wahrnehmung von Menschen und die Befähigung dazu durch die theologische Ausbildung gehören auch die im Studium zu absolvierenden Praktika. Ebenso ist wenigstens hinzuweisen auf die Durchführung der katechetischen Seminare. Auch hier trat immer mehr die Situation der Kinder und Jugendlichen - Psychologie, familiärer und sozialer Kontext — in den Vordergrund. So konnte praktisch fiir ein katechetisches Seminar als Lernziel formuliert werden: „Die Teilnehmer sollten ... die Kinder einer bestimmten Entwicklungsstufe auf ihren Entwicklungsstand und ihre sozialen Beziehungen hin beobachten lernen."96

91 Vgl. ebd. 132f. - Der besondere Anspruch an den Seelsorger ergibt sich in der Phase der theologischen Diagnose und in der Verkündigung: „Der Seelsorger muß erkennen, alles, was er gelernt hat in die Form der dialektisch-dialogischen Mitteilung zu übersetzen" (ebd. 130). 92 Vgl. Kiesow (1967), a.a.O., 428ff. 93 Vgl. ebd., 430. 94 Vgl. Kiesow (1977), a.a.O., 61. 95 Vgl. ebd., 63. 96 Günter/Henkys, a.a.O., 145.

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1.2. „ Gemeinde " als Ereignis - Die Notwendigkeit der theologischen Identifizierung von Gemeinde 1.2.1. Zum Verständnis von Gemeinde bei B. Dörries

A) Klärung des Gemeindebgrifß Im Jahre 1901 referierte Dörries, lutherischer Pfarrer in Hannover, auf dem Evangelisch-Sozialen Kongreß in Braunschweig. Dabei formulierte er eine klare Position zum Gemeindebegriff. Für ihn ist die Gemeinde im Sinne von CA VIII die Gemeinschaft des Wortes und des Sakramentes: „Die Kirchenglocken rufen sie (die Gemeinde - Vf.) aus ihrer Unsichtbarkeit hervor, aber mit dem Segenswunsch kehrt sie wieder in ihr Dunkel zurück. Sie lebt und wirkt auch dann, aber sie wirkt wie das Salz, wie der Sauerteig und muß sich daran genügen lassen, daß Gott ihr Wirken sieht und segnet und es an den Tag bringt zu seiner Zeit, was sie zu seiner Ehre schafft und vollbringt." 97 Die ureigenste Aufgabe der Kirche sei es, die Menschen um Wort und Sakrament zu sammeln. Hier würden die Menschen mit dem Geist Jesu erfüllt. Den weldichen Vereinen brauchte nun kein christlicher Verein entgegengesetzt zu werden. Die Parteien, Vereine etc. könnten in ihrem Eigenwert anerkannt werden und die vom Geist Jesu erfüllten Menschen in ihnen würden wie Sauerteig wirken. 98

B) Gemeinde und Pfarrer Die Gemeinde hat die einzige Aufgabe, für regelmäßige, ausreichende und richtige Wortverkündigung in Gottesdienst, Jugendunterweisung und Einzelseelsorge zu sorgen.99 Prinzipiell ist die Aufgabe des Pfarrers mit der der Gemeinde identisch. Faktisch nimmt der Pfarrer die Aufgabe der Gemeinde wahr.

C) Konsequenzen fur die theologische Ausbildung Eine entsprechende Ausbildung stellt natürlich die theologische und liturgische Ausbildung in den Vordergrund. Daß dabei aber auch die Adressaten und ihre Lebenswirklichkeit für die Erfüllung der Aufgabe der Gemeinde nicht als belanglos angesehen werden, zeigen die übrigen Schriften von Dörries.100

1.2.2. Aussagen zum Begriff .Gemeinde' in Karl Barths „Kirchlicher Dogmatik"

A) Klärung des Gemeindebegriffs Karl Barth verwendet in der Kirchlichen Dogmatik häufig den Begriff ,Gemein9 7 B. Dörris, Die Erziehungspflicht der Kirchengemeinden gegenüber sozialen Mißständen. 1901. - z i t . nach Möller, a.a.O., 141. 98 Vgl. ebd., I42f. 99 Vgl. Schoell, J., Art.: Gemeinde II. in: RGG (2. Aufl.), II, 984ff. 100 Vgl. zu Dörries RGG (3. Aufl.) II, 219f.

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de'101. Es fällt aber schwer, die Rede von Gemeinde auf irgendeine Form existierender (empirischer) Gemeinde zu beziehen.102 Grundlegend ist die Aussage: Die christliche Gemeinde ist „eine Größe, die Jedermann bekannt sein kann" (827), eine Größe, mit der Menschen Erfahrungen machen können, „daß sie es in ihr mit einer Gemeinschaft von Menschen zu tun haben" (883) und eine Größe, zu deren Dienst ein .„Sprechen' und .Handeln', unter .Verkündigung' auf der einen und unter .Heilen' auf der anderen Seite zu verstehen sei" (989). Damit ist aber keinesfalls genug gesagt. Vielmehr ist herauszustellen, daß Gemeinde stets Gemeinde Jesu Christi ist. „Er konstituiert sie immer neu im Ereignis seiner Gegenwart, durch die erleuchtende Macht seines Heiligen Geistes" (873). Damit ist die Gemeinde zugleich eindeutig an die Welt gewiesen. Die Christologie ist die allein bestimmende Größe auch der Ekklesiologie. Darin ist die eigentliche Dialektik begründet, mit der - durchgängig - von der Gemeinde gehandelt wird. Wie Christus ganz Mensch war, so gehört die Gemeinde ganz zur Welt - und ist doch ihr ganz frei gegenüber. In der Sprache, in der soziologischen Struktur ist sie nicht von den übrigen Strukturen der Welt unterschieden. So steht sie jederzeit in der Situation, mißverstanden zu werden (842). Aber es liegt wohl auch hierin begründet, daß sie dazu in der Lage ist, unter allen Umständen sichtbar zu machen, „daß sie Missionskirche ist, ihrer Umgebung keinen Zweifel darüber läßt, fur wen und flir was sie in ihrer Mitte einzustehen hat" (849). Christliche Gemeinde existiert innerhalb der Welt, zu der sie gehört und ganz auf diese bezogen, nicht bei sich selbst bleibend. „Die wirkliche Gemeinde Jesu Christi sei die Gemeinschaft, in der es Menschen gegeben wird, die Welt, wie sie ist zu sehen und zu verstehen, sich mit ihr zu solidarisieren, ihr verpflichtet zu sein" (893). Im folgenden wird verdeutlicht, was unter „Gemeinschaft" zu verstehen ist: Es geht um eine Gemeinschaft von Menschen, „die durch denselben Herrn Zusammengerufene und in derselben Erkenntnis Zusammengehörige einer und derselben Verheißung teilhaftig sind und einer und derselben Ordnung unterstehen" (893). Jedenfalls darf es in einer solchen Gemeinschaft keine Unterschiede geben. Im Zusammenhang der Erörterung der Aufgabe der Evangelisation an der „schlafenden Kirche" - d.h. an den getauften, aber nicht bewußten Christen - wird allerdings dann doch differenziert (1000 f.). Schließlich wird unter den zwölf Diensten der Gemeinde auch die „Begründung von Gemeinschaft", von Gemeinschaft zwischen Mensch und Mensch genannt (1030f.). Aber auch dieser Dienst wird christologisch bzw. trinitarisch begründet. Nach Barth ist eine christlich Gemeinde letztlich nicht identifizierbar. Denn auch das Wahrnehmen einer „Gemeinschaft von Menschen" (cf. 883) trägt ja 101 Für das Folgende wird auf Karl Barth: K D IV, 3 verwiesen. Die im Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf diesen Band. 102 Vgl. auch Josuttis (1976), a.a.O. und Hübner, a.a.O., 83ff.

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prinzipiell die Möglichkeit des Mißverständnisses in sich (vgl. 842). Das Wort, das die Gemeinde weiterzusagen hat, muß sie stets auch auf sich beziehen.103 In der Konzeption von Karl Barth fehlen gänzlich entlastende und stabilisierende Momente. Hier trifft das Wort zu: „Ein Christ ist immer im Dienst." Wichtig bleibt an dieser Konzeption von Gemeinde die große Nähe zur Welt und die nicht aufkündbare Weisung der Gemeinde an die Menschen.

B) Gemeinde und Pfarrer In dieser Konzeption geht es stets um den Dienst der Gemeinde, d.h. aller ihrer Glieder. „Es haben nicht alle Christen gleich, d.h. in derselben Funktion, es haben aber alle Christen, und zwar alle an ihrem Ort in gleicher Auszeichnung und Belastung wie die anderen an ihren Orten, zu dienen." 104 Es gibt kein hervorgehobenes Amt. Auch im Blick auf die Predigt ist nur von „besonders zur Ausübung dieses Dienstes geeigneten Sprechern"105 die Rede. Wohl aber bedarf die Gemeinde einzelner „Exponenten eines besonderen Handelns Gottes in der Gemeinde" 106 . Diese kann die Gemeinde aber nicht hervorbringen wollen; sie kann sie nur faktisch hervorbringen. Wenn überhaupt der Pfarrer im Zusammenhang der Dienste der Gemeinde zu denken ist, so kommt er nur als Prediger in Betracht. Doch auch dieser Dienst ist fur die Gemeinde und fur den Pfarrer identisch. Von R. Bohren wird die einzige Funktion des Pfarrers pointiert herausgestellt: Die Gemeinde ist Gottes Missionarin. Der Theologe darf Lehrer der Missionare werden, Lehrer derer, die das Predigtamt in der Welt zu versehen haben. ... Er wird frei, mit der Gabe der Theologie seiner Gemeinde zu dienen."107

C) Konsequenzen fiir die theologische Ausbildung „Die Erkenntnisse der dialektischen Theologie, ihre Ausrichtung auf die Verkündigung' haben so gut wie keinen Niederschlag in der Ordnung des Studiums gefunden, denn der dauernde Blick auf das ,Wissen um das ständige Gefragtsein und die allgemeine menschliche Fragwürdigkeit' konnten eine Neuordnung des Studiums geradezu verhindern."108 Diese nüchterne Feststellung bedarf der Begründung: Forderungen nach einer Strukturveränderung oder nach einem stärkeren Praxisbezug im Theologiestudium wurden stets relativiert durch den Hinweis auf das Zentrum, auf das Eigendiche der Theologie und des Studiums: „Es liegt alles an dem Ubi et quando visum est deo."109 Zwar wurde ausdrücklich herausgestellt, „daß es im Studium -

103 Vgl. das in K D IV, 3 zur Evangelisation ausgeführte: „Werden sich übrigens nicht auch diese (die mit Ernst Christen sein möchten - Vf.) selbst immer wieder als bloß nominelle Christen entdecken müssen, es also sehr nötig haben, das Evangelium ganz neu zu vernehmen?" (a.a.O., 1001). 104 K D IV, 2, 785. 105 KD, IV, 3, 997. 1 0 6 Ebd., 1019. 107 Bohren (1963), a.a.O., 179. 108 Braun, a.a.O., 26f. 109 Andersen, a.a.O., 502.

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gerade auch in der Theologie - auf den Einsatz aller dem Menschen gegebenen Kräfte und Möglichkeiten, des Geistes und der Seele, der Vernunft und des Willens, des Einfühlungsvermögens und der Tat ankommt. Wer sich diesem Weg verschreibt, soll wissen, daß er mit seinem ganzen Menschsein gefordert ist."110 Aber „als menschliches Bemühen ist die Theologie und damit jede Form des theologischen Studiums ein fragwürdiges Unternehmen. Trotzdem ist beides der Kirche geboten."111 Theologische Arbeit und theologisches Studium kann darum nur eine Gestalt haben: „Eine Theologie, in der seine Person (= Jesus - Vf.) nicht immer wieder neu in der Fluchtlinie aller Überlegungen steht, ein Studium, das nicht in allen seinen Zweigen auf ihn als grundsätzlich gültige Autorität bezogen ist, ist ein, theologisch gesehen, zum Scheitern verurteiltes Unternehmen"112 Es bleibt als wesentliche und erkennbare Konsequenz festzuhalten, daß das Theologiestudium theologischer gemacht werden sollte. 113

1.2.3. Zum Gemeindeverständnis in der Bekennenden Kirche

A) Klärung des Gemeindebegriffs In Barmen III heißt es nach dem Zitat Eph. 4,15 f.: „Die christliche Kirche ist eine Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus als der Herr verkündigt wird. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde und selber als die Kirche der Sünder zu bezeugen, daß sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung und in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte." Noch deutlicher und verständlicher wird diese Aussage in K. Barths Erklärung: „Die Kirche ... ist eine Gemeinde von Brüdern, die Brüder sind, nicht Blutsbrüder, sondern die in dem einen Haupt Jesus Christus ihren Bruder haben, der sie nun auch zu Brüdern machen."114 Ferner liegt großes Gewicht auf der betont ausschließenden Formulierung: „allein sein Eigentum, allein von seinem Trost und von seiner Weisung". Keine anderen Kriterien sind für die Gemeinde relevant, keine Erwartungen, Bedürfnisse oder Herausforderungen. Wiederum ist es Barth, der herausstellt, daß die christliche Kirche zu den Dingen zählt, „denen es wesentlich ist, daß sie nur da sein und wahr sein und gelten, nie und nimmer aber zur Sache einer .Bewegung', zum Gegenstand eines propagandistischen und organisierenden Apparates, einer so oder so gestalteten Disziplin, Taktik und Strategie werden können."115 Für die bekennende Gemeinde wird der sonntägliche Gottesdienst als Mittelpunkt des Gemeindelebens bestimmt. „Hier empfängt sie (die Gemeinde — 1 1 0 Ebd. 1 1 1 Ebd., 514. 1 1 2 Ebd., 517. 1 1 3 Vgl. Luther (1976), 282f. 1 1 4 K. Barth, Kurze Erläuterung der Barmer Theologischen Erklärung. 1934, zu These 3. - Zit. n. Möller, a.a.O., 200, Anm. 10. 1 1 5 K. Barth, Kirche oder Gruppe? 1936. Zit. n. Möller, a.a.O., 202.

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Vf.) Gottes Gaben, sein Wort und Sakrament. Hier erfährt sie die gnadenreiche Herrschaft ihres Herren. Hier dient sie Gott mit Gebet und Lobgesang."116 Wer sich nicht dazu halte, der gehöre nicht zur Gemeinde.117 Eine neue Herausforderung für Überlegungen zu Gemeinde und Gemeindeaufbau in der Bekennenden Kirche war durch die 1940 angekündigte Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse im Warthegau durch die nationalsozialistische Regierung gegeben. Darin wird den Kirchen lediglich der Status von Vereinen zuerkannt; die Geisdichen sind nicht mehr hauptamtlich tätig, sondern müssen einen Beruf haben.118 Angesichts der damit für die künftige kirchliche Entwicklung im gesamten Reichsgebiet gegebenen Perspektive wurde von der Bekenntnissynode der APU fur die Zeit um Trinitatis 1941 eine Tagung geplant, die sich mit der Zukunft der Kirche und ihrem Gemeindeaufbau befassen sollte. Als Vorbereitungsmaterial wurde ein Heft unter dem Titel „Ein Trinitatisgespräch 1941" versandt. Es „sollte die Gesichtspunkte zusammenfassen, die sich seit 1934 in den bekennenden Gemeinden ergeben hatten und jetzt fur die Zukunft der Bekennenden Kirche festzuhalten waren"119. In den Materialien wird die weitere Entwicklung deutlich gesehen: „Nur ein Bruchteil der Evangelischen werden noch bewußt evangelische Kirche bleiben; nur ein Bruchteil der Kinder werde noch getauft; nur ein Bruchteil der jetzt noch vorhandenen Mittel werde der Kirche zur Verfugung stehen, Pflege ökumenischer Gemeinschaft werde unmöglich gemacht werden."120 Die damit möglich gewordene Entwicklung macht fur die Bekennende Kirche deutlich, daß vom irdischen Organismus der Kirche nahezu alles zerstört werden könne. „Was nicht zerstört werden kann ist die Gemeinde ..., denn es kann nicht gehindert werden, daß sich Gleichgesinnte um bestimmte Kanzeln scharen und irgendwie Gemeinschaft miteinander halten."121 Hier wird die Gemeinde deutlich als sich ereignende, nicht als institutionelle oder als soziologische Größe gesehen. Sie wird konstituiert durch die in Christus bewirkte Bruderschaft; sie manifestiert sich im Hören der Gleichgesinnten auf Gottes Wort. B) Gemeinde und Pfarrer In den Überlegungen zur bekennenden Gemeinde steht eindeutig die Gemeinde im Vordergrund. Das wird besonders deutlich in den Materialien zum 116 „Wort an die Gemeinde" der Ev. Bekenntnissynode im Rheinland vom 14.07.1940. Zit. n. Möller, a.a.O., 210. 117 „Zum Aufbau der Gemeinde" - Handreichung der 3. Bekenntnissynode der APU. Leipzig 1940. Zit. n. Möller, ebd. 118 Zu dem sogenannten „Bormann-Papier" vom 14.03.1940 und zu seinem Inhalt vgl. Möller, a.a.O., 208f. 119 Ebd., 2 1 1 . - Das „Trinitatisgespräch" wurde von Möller entdeckt und publiziert. 120 Ebd., 212. 121 Ebd.

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Trinitatisgespräch. Im Zentrum der Gemeinde steht der Gottesdienst, der von der Gemeinde selbst verantwortet wird. Dazu muß sie Laien fur den Dienst am Wort berufen, ebenso fur die anderen Dienste der Gemeinde. Wenn sie dazu imstande ist, so kann die Gemeinde einen Theologen im Hauptamt als Pfarrer anstellen. Aber es gilt diese Reihenfolge: „Erst muß in der Gemeinde die Fülle der Dienste da sein, deren ihr Leben bedarf, bis sich daraus, bei sich vergrößernden Verhältnissen ein hauptamtlicher Pfarrerstand entwickeln kann."122 Pfarrer werden sogar als größtes Hindernis fiir den Aufbau solcher Gemeinden bezeichnet, denn Theologen kämen aus ihren eingefleischten Gewohnheiten nicht heraus und verharrten in ihrem theologischen Selbstgespräch.123 C) Konsequenzen fiir die theologische Ausbildung Darauf, daß die Bekennende Kirche als Konsequenz aus der kirchlichen Situation die Verantwortung für die theologische Ausbildung übernommen hat, wurde bereits hingewiesen. Diese Verantwortung wurde sichtbar in der Einrichtung von Predigerseminaren der Bekennenden Kirche, in theologischen Ersatzkursen zum Fakultätsangebot, in der Einrichtung von Prüfungsämtern, in den Gründungen kirchlicher Hochschulen sowie in der Beratung und Unterstützung von Theologiestudenten. Welche Konsequenzen solcher Überlegungen — wie z.B. im Trinitatisgespräch niedergelegt - möglicherweise für die Gestalt der theologischen Ausbildung hatten oder haben sollten, kann aus dem vorliegenden Material nicht erhoben werden. Material dazu liegt nicht in offizieller Form vor, sondern nur in Gestalt persönlicher Erlebnisberichte von einzelnen. Gerade unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Theologen- und Laienausbildung würde sich hier ein interessantes Forschungsfeld ergeben. „Die Geschichte der Ausbildungs-Arbeit der Bekennenden Kirche ist noch nicht geschrieben. Kirchenkampf im Theologiestudium, das könnte ein spannender Bericht werden."124

1.2.4. Missio Dei als Strukturprinzip A) Klärung des Gemeindebegriffi a) „Die missionierende Kirche": Unter diesem Titel beschloß 1958 die Generalsynode der VELKD in Berlin 22 Thesen zur Volksmission.123 Kirche, so heißt es hier begründend, hat ihre Identität nur in der Teilhabe am Sendungsauftrag Christi an die Welt (2). Dazu gehören sowohl die Aktivierung 122 124 125 auf die

Ebd., 213. 123 Vgl. ebd., 214. Burgsmüller, a.a.O., 184. - Vgl. dazu inzwischen auch Scherffig, a.a.O.. „Die missionarische Kirche", a.a.O. - Die Zahlenangaben im Text beziehen sich Paragraphen.

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der getauften, der lauen Glieder, als auch die Ertüchtigung der Gemeinde zum Dienst in der Welt. Der Dienst der Volksmission gilt den Menschen in allen Lebensbereichen und zielt darauf, sie zum Glauben und zum Handeln aus Glauben zu fuhren (5). Im Blick auf die Art und Weise der volksmissionarischen Verkündigung wird betont, daß diese u.a. abhängig ist „von Fragen der Zeit und den besonderen Fragen der Menschen, denen diese Verkündigung gilt" sowie vom Abstand der Hörer vom Evangelium und von ihrer Gottesdienstfremdheit (12). Entsprechendes wird fixr dir Sprache der volksmissionarischen Verkündigung festgestellt; sie soll gleichermaßen geprägt sein durch die Heilige Schrift, durch den Hörer und durch den Verkünder. Die Prägung durch den Hörer bedeutet: „Der Volksmissionar muß den heutigen Menschen mit seinen Erlebnissen und Interessen, Verlegenheiten und Leidenschaften kennen, um in seiner Sprache von den großen Taten Gottes zu reden" (13). Der Situation des angeredeten Menschen wird hier großes Interesse entgegengebracht. Die Reihenfolge ist unveränderlich: Vorgeordnet bleibt allem die theologische Aussage. Aber die Notwendigkeit ihrer Spezifizierung wird durchaus gesehen: „Die Lebensfragen der Jugend, der Männer und Frauen, der Ehe und Familie, der Arbeitswelt und der Welt des Dorfes, der Welt der Akademiker usw. bedürfen der Klärung unter dem Wort Gottes" (21). Generell wird eine Planungsarbeit gefordert, die „von einer präzisen, illusionslosen Analyse auszugehen (hat), wobei auch die Statistik, der Test und die Stimmen der Kirchenfremden auszuwerten sind" (22). Mit solchen Formulierungen wurde ein wichtiger Impuls fur das Wahrnehmen von Lebenswirklichkeit im Rahmen der Gemeinde gegeben. b) „Kirchefiir andere": Die mit der Formulierung „Kirche für andere" benannte Konzeption von Gemeinde wurde in den sechziger Jahren besonders von Ernst Lange theoretisch begründet und in der Praxis zu verwirklichen versucht. Dieses Gemeindeverständnis erwuchs aus einem Unbehagen sowohl an der traditionellen Praxis der Volkskirche als auch an den theologischen Maximen, die in der Situation der „Bekennenden Kirche" situationsentsprechend gefunden worden waren. Es „stellte eine Kirche in Frage, die auf eine vergangene Welt des Nationalsozialismus fixiert war, aber nicht auf die Fragen, die sich aus Technik und Naturwissenschaft, aus humanwissenschaftlicher und politischer Erfahrung der Nachkriegszeit aufdrängte."126 Wesentliche Impulse empfingen E. Lange und andere aus dem Werk Bonhoeffers. Bei dem frühen Bonhoeffer findet Lange die Formulierung „Christus als Gemeinde existierend"127. Die Kirche ist die nova creatura, verstanden als nova societas, Archetyp menschlicher Solidarität schlechthin. Sie ist nicht Mittel 126 Möller, a.a.O., 235f. 127 D. Bonhoeffer, Sanctorum Communio. München 1986 (DBW 1), 126ff. - Vgl. dazu Lange (1981a), a.a.O., 25ff.

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oder Vorbereitung dazu; Kirche ist der neue Wille Gottes mit den Menschen. In der „Nachfolge" heißt es dann noch absoluter: „Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst."128. Aber diese Kirche ist nicht mehr identisch mit der vorfindlichen Kirche. In der Situation des Kirchenkampfes ist nur die Kirche wirklich Kirche, die sich im Gehorsam des Glaubens als solche verwirklicht, die der Welt gegenübertritt. In „Widerstand und Ergebung" findet sich die folgenreiche Aussage: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie fur andere da ist. ... Sie muß an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern dienend."129 Hier ist flir E. Lange ein ganz wichtiger Anstoß gegeben: „denn dies scheint mir deutlich zu sein,... daß ... die Kirche in ihren Gliedern, wie sie jenseits der Versammlungen am Leben der Gemeinschaft teilhaben, gemeint ist."130 In dem Projekt „Ladenkirche" versuchte Lange, diese Impulse in die Praxis umzusetzen. Dazu gehörten auch programmatische Formulierungen: „Wir wollen mit unserem Gottesdienst weg von der .Kultfeier' und hin zu lebendiger Gemeindeversammlung ... Wir wollen weg von der ,Rednerpult-Mission' hin zur stetigen Verantwortung unseres Glaubens vor den Gefährten unseres Alltags."131 An die Stelle von Gemeindekreisen sollten befristete Arbeits- oder Dienstgemeinschaften treten. „Außerdem sollte die Gemeinde streng darauf achten, daß sie in ihrer Programmgestaltung nicht der Gefahr der Verdoppelung oder der Konkurrenz des gesellschaftlichen Lebens in der Umwelt erliegt."132 Andere Initiativen gelten der Stiftung von Gemeinschaft im Wohnbereich, in der Nachbarschaft, um sich als gegenseitige Lebenshilfe im Alltag der Welt zu bewähren. Weitere Bereiche werden mit den Stichworten „Einung des Unvereinten" und „gestaffelte Kontakte" benannt.133 Neben den Impulsen aus Bonhoeffers Theologie waren fur Ernst Langes Konzeption von Gemeinde seine eigenen persönlichen Eindrücke von dem Engagement verschiedener Theologen der USA im sozialen Bereich bedeutsam. Zu den entscheidenden Eindrücken gehörte das Erleben, daß sich die Mitarbeiter hier ganz und gar mit ihrem Leben und mit ihren Arbeitsformen auf die Menschen in den Slums eingelassen haben. Ferner die Erfahrung, daß solche Existenz einer „Gemeinde fur andere" in den herkömmlichen Strukturen von Kirche und Gemeinde nicht zu verwirklichen ist."134 Im Bereich der DDR wurden die Gedanken von E. Lange insbesondere durch Heinrich Rathke aufgenommen und für den konkreten Kontext ausund fortgeführt. Sein Referat auf der Bundessynode 1971 trägt den programmatischen Titel „Kirche für andere — Zeugnis und Dienst der Gemeinde". 128 D. Bonhoeffer, Nachfolge. München 1989 ( D B W 4 ) , 232. 129 D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Berlin 1972, 415. 130 Lange (1981a), a.a.O., 56. 131 Ders. (1981b), a.a.O., 63. 132 Ebd., 80. 133 Vgl. ebd., 72. 134 Vgl. Liedke, a.a.O., 497f. - Auch: Ders., Wirklichkeit im Lichte der Verheißung, Würzburg 1987.

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Rathke stellt in seinem Referat zusammenfassend fest: Kirche, die ganz fur andere da ist, „sieht sich immer stärker angewiesen auf den Dienst des einen am anderen. Sie will auch Gemeinde mit anderen Christen und anderen Kirchen sein. Sie braucht immer neu die Gemeinde als Übungs- und Ausbildungsfeld für den Dienst am andern. Was draußen nötig ist, kann sie im eigenen Bereich versuchen (experimentieren). Sie ist immer weniger mit sich selbst zufrieden und erhofft mit andern und fiir andere erneuerte und neue Gemeinde, auch außerhalb ihrer Mauern. Sie braucht immer mehr die Gemeinde als Ort der eigenen Besinnung, des Ausruhens, des Feierns und der Sendung zu neuem Dienst."135 In dem Referat von dem Laiensynodalen J. Cieslack auf derselben Synode wurden diese Aussagen noch einmal unterstrichen. Gemeinde fungiert danach als Ort, an dem Christen für ihren Alltag (nicht für den Gemeindedienst) ausgebildet werden.136 Die Gründung einer Vielzahl von Gemeindegruppen, die diese Funktion wahrnehmen, gehört zu den Konsequenzen dieser Überlegungen. c) „Missionarische Gemeinde": „Dieses Konzept hat seine Wurzeln in den Debatten des Ökumenischen Rates der Kirchen seit den fünfziger Jahren.... Von 1961 an galt das Hauptaugenmerk der Frage nach den missionarischen Strukturen einer Gemeinde."137 Ihr Gewicht bekamen die Bemühungen „vor allem von diesem einen Anliegen her: daß die Kirche um ihrer Sendung willen aus ihrem überholten bürgerlichen Ghetto herauskommen und zu den andern hingehen kann - an ihren Ort, in ihre Lebensweise, in ihren Denkstil, zu ihren unerledigten Problemen; daß sie nicht Kirche für sich selbst bleibt, sondern Kirche für die anderen, d.h. für die Außenseiter, die Arbeiter, die kritische Intelligenz wird! Mit der Formel, Mission ist im Kern ,missio Dei', hatte man ein sehr offenes und kirchenkritisches Leitprinzip gewonnen. ... Das Ziel der Mission konnte nicht mehr in Kirchengründung und Verbreitung kirchlicher Tradition gesehen werden, sondern letztes missionarisches Ziel konnte ja nur das Reich Gottes selbst sein.... Theologisches Hauptproblem war das Verständnis von ,Welt'. Hier versuchte man auf verschiedene Weise den theologischen Graben zwischen Kirche und Welt zuzuschütten, um die Kirche zur Welt hin zu öffnen: Gott beziehe sich direkt auf die Welt nicht nur mittels der Kirche (Schema „Gott-Welt-Kirche"), Christus sei .durch die Ritzen der Kirche hindurchgedrungen' und so könne seine Präsenz in bestimmten Phänomenen der Welt angenommen werden; die Welt stelle die Tagesordnung fur das kirchliche Handeln auf. Aus gleicher Absicht heraus wurde der Kirchenbegriff radikal funktionalisiert. So konnte missionarische Verkündigung nicht mehr als 135 Rathke, a.a.O., 183. 136 Vgl. Ratzmann (1980), a.a.O., 207. 137 Ratzmann (1986), a.a.O., 277f. Dort auch das folgende Zitat.

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Schulung und Belehrung des Unwissenden verstanden werden. Sie mußte vielmehr als ,Präsenz' und als ,Dialog' begriffen werden. Die Kleingruppenstruktur schien das wichtigste Kennzeichen einer auf Dialog ausgerichteten missionarischen Kirche zu sein. Denn die kleine missionarische Gruppe war wohl am ehesten geeignet, Kirche in den einzelnen Lebenssituationen präsent zu machen. Sie fordert und förderte den missionarischen Dienst der Laien." Für „dieses schwierige Engagement braucht der Einzelne die für diese Aufgabe gestaltete Gruppe"138. Sie soll im Wohngebiet präsent sein. Durch solche missionarische Gruppen soll die „parochiale Mentalität" überwunden werden. Die in dieser Konzeption begegnende Formulierung „Die Welt setzt die Tagesordnung" unterstreicht sehr deudich die Relevanz, die die konkrete Situation fur die Verkündigung und Existenz der Gemeinde hat. Das „bedeutet einmal fur die Verkündigung der Kirche, daß sie die opinio communis, die Fragen, Denkformen und Sprache der Gegenwart ernst nehmen muß, um das Evangelium heute möglichst verständlich zu sagen. Und das heißt zweitens fur die Mission durch die Tat, daß sich die Kirche ein klares Bild von der aktuellen Situation verschaffen muß, um sachkundig und konkret helfen zu können, wo heute Hilfe nottut." 139 B) Gemeinde und Pfarrerin In allen drei Konzeptionen steht die .Gemeinde' im Zentrum - als theologisch qualifizierte Größe. Die ganze Gemeinde ist in den Dienst genommen und mit Gaben ausgerüstet. Insofern gilt, „daß alle Gruppen von Christen, die auf die Welt eingehen, Gemeinde in vollem Sinne sind"140. Die theologische Qualifizierung der Gemeinde hat Konsequenzen fur ihre Struktur. Nicht mehr die Parochie ist die Gemeinde; vielmehr wird im Ernstnehmen der Wirklichkeit der Gemeindeglieder und ihrer soziologischen Situation die Gemeinde in der Region oder die Situationsgemeinde zu der bevorzugten Struktur. Dem entspricht ein verändertes Pfarrbild, Pfarrerinnen haben primär die Aufgabe, die Fähigkeiten der Gemeindeglieder zu entdecken und zu fördern. Sie müssen die Laien als kompetente Fachleute in den verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit akzeptieren. Pfarrerinnen können sich in ihrer Arbeit beschränken; sie müssen die Bereitschaft mitbringen, Aufgaben abzugeben. Befähigung zu Kooperation und Partnerschaft werden erwartet. Theologen und Laien haben ihre jeweils spezifische Kompetenz und belehren sich darin gegenseitig. Die Pfarrerinnen werden als theologische Fachleute gefordert, die ihr biblisch-theologisches Wissen einbringen. Sie werden als „Befähiger" in den Gemeinden tätig. Sie koordinieren die verschiedenen Gruppen. Auf der Ebene 138 Ratzmann (1980), a.a.O., 202. 139 Ebd., 135.

140 Ebd., 149.

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der Region können sie ihre entsprechende Spezialisierung einbringen. Wenn die missionarische Gruppe als Gemeinde verstanden wird, so ist ihre Struktur zu prüfen, ob diese dazu hilft, daß sie aufnahmefähig', ,ausstrahlungskräftig' und ,aussendungstiichtig' wird.141 Mit diesen Begriffen sind Kriterien genannt für situationsgemäße, für Fernstehende offene und die Ganzheitlichkeit des Menschen (Geselligkeit) ernst nehmende Gruppen. C) Konsequenzen für die theologische Ausbildung Die Konsequenzen für die Ausbildung sind zu sehen in der angestrebten Befähigung zur qualifizierten Wahrnehmung der angeführten Funktionen der Pfarrerinnen. Dabei geht es nicht in erster Linie um die theologische Befähigung. Vielmehr wird eine bessere Hör-, Gesprächs- und Kooperationsfähigkeit gefordert, um die Menschen in ihrer Situation wahrnehmen und dann für ihren missionarischen Dienst befähigen zu können. Die ebenfalls geforderte Befähigung zu partnerschaftlicher Arbeit bedarf der Einübung und stellt somit ein wichtiges Ausbildungsziel dar.142 Angesichts der verschiedenen Situationsgemeinden und der geplanten Religionalisierung der Arbeit wird eine verstärkte Mobilität der Pfarrerinnen vorausgesetzt und ihre fachliche Spezialisierung gefordert.143 Eine ausgeführte Konzeption zur theologischen Ausbildung, die die hier angesprochenen funktionalen Tätigkeiten der Pfarrerinnen ausdrücklich einbezieht, ist in der Ausbildungskonzeption des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR von 1975 zu sehen.144

1.2.5. „Missionarischer Gemeindeaufbau" A) Klärung des Gemeindebegriffi Die Konzeption des missionarischen Gemeindeaufbaus ist mit den Namen Theo Sorg und Manfred Seitz verbunden. Michael Herbst hat diese Konzeption ausführlich dargestellt.145 Die Grundposition dieses Entwurfs ist so formuliert worden: „Wie will Jesus Christus durch menschliche Mitarbeiter unter den Bedingungen dieser Volkskirche seine .Gemeinde von Brüdern' zusammenrufen, ihrem Leben Gestalt geben und sie in die Welt senden?" (307). Dabei wird im Blick auf die Gemeinde zwischen drei Menschengruppen differenziert: die Pfarrer, die Mitglieder der sogenannten Kerngemeinde, die Fernstehenden. 141 Die drei Begriffe werden von Winkler (1971), a.a.O., 887, im Anschluß an W. Krusche genannt. 142 Darauf verweist ausdrücklich Winkler (1971), a.a.O., 890. 143 Herrmann/Lautner, a.a.O., 107, fordern, daß bereits im Studium die konkreten unterschiedlichen Gemeindestrukturen den Ausschlag geben fur entsprechende Spezialisierungen. 144 Vgl. oben Kapitel I, 1, 2. 145 Herbst, a.a.O., 305ff. - Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf dieses Werk.

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„Missionarischer Gemeindeaufbau ... möchte jeder dieser Menschengruppen an ihrem Ort und in ihrer Situation zu einer Christusbegegnung und einer personalen Christusbeziehung verhelfen" (308). Damit ist zugleich die theologische Mitte dieser Konzeption bezeichnet. Unter Hinweis auf Barmen III wird Gemeinde gekennzeichnet „als von Christus, ihrem Haupt, zusammengerufene und zusammengeführte ,Gemeinde von Brüdern', deren Leben einerseits durch Wort und Sakrament, andererseits durch gegenseitiges Dienen in der Fülle der Gaben geprägt wird, und deren Existenz in der Welt durch umfassendes Zeugnis und Einladung zum Glauben an alles Volk zum Ziel kommen kann" (65). B) Gemeinde und Pfarrerin Für dieses Konzept müßte die Teilüberschrift geändert werden in „Pfarrerin und Gemeinde". Das ist das auffallende Merkmal, daß es vom Pfarrer ausgeht, ja pfarrerzentriert ist. Darin werden - gegen eigene theologische Bedenken (312) - die Ergebnisse der empirischen Umfragen zum Ausgangspunkt einer theologisch orientierten Konzeption gemacht! Zwar soll der Pfarrer seine Vorherrschaft ablegen, aber als .Motor' ist er gerade richtig am Platz. „Von seiner Ausbildung, seiner Hauptamtlichkeit, und seinem .Apparat' her kann er Einfluß nehmen, seine hohe Reputation ins Spiel bringen und damit Neues in Bewegung bringen" (314). Zunächst geht es um das Ziel, den Mitarbeiterkreis fur den missionarischen Gemeindeaufbau — die kleine geistliche Zelle — zu gründen. Da sich dazu kaum Menschen von sich aus melden werden, ist es Aufgabe des Pfarrers, geeignete Menschen aufzuspüren und einzuladen (351). Wenn sich dieser Kreis zu einem „geistlich mündigen Mitarbeiterkreis" konsolidiert hat, „sollten nur noch solche Gemeindeglieder hineinberufen werden, die ihre Taufe im Glauben angenommen und sich dazu auch bekannt haben" (352). „Für den Pfarrer wird die geistliche Zelle zum Ort der Bewährung seines Amtsverständnisses... Hier wird er sowohl im Gegenüber zur Gemeinde Leiter und Spiritual sein müssen, als auch im Miteinander mit den anderen Getauften als Bruder ,per mutuum colloquium et consolationem fratrum' mitleben dürfen" (353). Aus diesem Mitarbeiterkreis sollen verschiedene Dienstgruppen wachsen, die ihrerseits nun wieder nach dem Rhythmus von „Sammlung" und „Sendung" strukturiert sind.146 Im Blick auf die dritte Menschengruppe, die Fernstehenden, geht es um die „Evangelisierung" der Gemeinde auf drei Ebenen: 1) der einzelne Christ als Zeuge des Evangeliums in seiner Lebenswelt (= persönliche Evangelisation) (387); 2) die evangelistisch lebende Gemeinde als Aufnahmeraum (388); 3) das Akzentsetzen durch besondere evangelistische Aktionen (389). 146 Herbst geht sehr detailliert auf genaue Planungen und Entscheidungen in diesem Bereich ein.

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Das Ziel dafür lautet: „Missionarischer Gemeindeaufbau möchte Getauften, die ohne eine ausdrückliche Christusbeziehung, ohne das Leben der .Gemeinde von Brüdern' leben, beides nahebringen" (377); denn: „Ein ernster Schaden fur Zeit und Ewigkeit aber ist es, Getauften die Erfahrung der Umkehr und des Glaubens, der fröhlichen Gewißheit und der tragenden Gemeinschaft zu .ersparen'" (ebd.). In diesem strategisch geplanten Aufbau von Gemeinde hat der Pfarrer seine ganz bestimmte Funktion - als Motor, als Leiter, als Spiritual. An ihm hängt Entscheidendes. C) Konsequenzen für die theologische Ausbildung Bei dem hohen Stellenwert, der dem Pfarrer in dieser Konzeption zuerkannt wird, ist es nur folgerichtig, wenn daraus Konsequenzen für „die geistliche Erneuerung und kybernetische Ausbildung des Pfarrerstandes gezogen werden" (311). Es gehört wiederum zu dem Charakteristischen dieser Konzeption, daß hier ganz konkrete Hinweise und Ratschläge zur Gestaltung des Berufslebens des Pfarrers gegeben werden. Dabei werden die allseits wahrgenommenen Belastungen des Pfarrers durch Uberforderung bzw. durch diffuse Rollenerwartungen als therapierbar mittels eines gestalteten geistlichen Lebens angesehen. Eine weitere Voraussetzung ist in der Befähigung dazu, Prioritäten setzen zu können und in der damit verbundenen Konfliktfähigkeit des Pfarrers zu sehen (309f.; 337). Zusammengefaßt läßt sich die leitende Funktion des Pfarrers so ausdrücken: „Der Pfarrer für die Mitarbeiter - die Mitarbeiter fur die Gemeinde" (338). Unter diesem Gesichtspunkt werden an der praktizierten Ausbildung der Theologen viele Defizite wahrgenommen. Der vertraute Vorwurf begegnet auch hier, daß die Studenten kaum das lernen, was sie nachmals in der Gemeinde tatsächlich brauchen (328). Als Abhilfe werden folgende Forderungen erhoben: 1) Kybernetik als Wissenschaft vom missionarischen Gemeindeaufbau soll sowohl zu einer Kenntnis von Konzepten des Gemeindeaufbaus verhelfen als auch in Techniken des missionarischen Gemeindeaufbaus einfuhren und einüben147; 2) Erneuerung einer theologia ascetica, „einer Hinfuhrung der Studenten und Vikare zur gestalteten Weise des Glaubens, zur geistlichen Schriftlesung und zum Gebet"; 3) Berücksichtigung der „missionarischen Seelsorge", d.h. die pastorale Fähigkeit, dem Glauben und der Gemeinde entfremdete Menschen in einer seelsorgerlichen Begegnung zum Glauben an Christus (zurück-) zufuhren" (328). Herbst stellt zwei Versuche vor, wissenschaftliche, praktisch-theologische 147 Vgl. Herbst, a.a.O., 328, wo er auch die folgenden, möglicherweise leitenden Fragestellungen auffuhrt: „Wie baue ich einen Mitarbeiterkreis auf? Wie sieht eine dem Aufbau mündiger Gemeinden gemäße Gemeindeleitung aus? Welches Instrumentarium benötige ich zur Analyse der gemeindlichen Situation? Wie sind Hauskreise in selbständiger Arbeit anzuleiten? Wie gestaltet man einen Glaubenskurs?"

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Ausbildung mit den Bedürfnissen des missionarischen Gemeindeaufbaus zu vermitteln.148 „Studium Spirituale" (328): Die Teilnehmer an dem Praktikum erhalten zu Beginn eine befristete Vocatio. Das Praktikum umfaßt Klinikbesuche, Gesprächsprotokolle, und einen gruppengebundenen Austausch über die Erfahrungen, die die Studenten im Krankenhaus machen. An dieses klinische Praktikum schließt sich ein theologisches Hauptseminar an, in dem die Grundlagen der Seelsorge erarbeitet werden. Dazu kommt ein Oberseminar „Geistliche Schriftlesung und Meditation". Nach einem halben Semester werden die Teilnehmer des Oberseminars in „Lebenswort-Gruppen" entlassen, in denen sie länger als ein Semester in der Verbindlichkeit eines spirituellen Lebens zusammenbleiben. Weitere Elemente dieser Ausbildung sind eine Übung über logotherapeutische und theologische Texte, ein Abschlußbericht, sowie ein Abschlußkolloquium. Ausbildung zur Seelsorge wird hier als „Bildung zum Seelsorger" praktiziert. Hauptseminar zum missionarischen Gemeindeaufbau (329f.): Nach einer Anleitung zur Gemeindeanalyse hospitierte jede Gruppe in einer Erlanger Gemeinde. Die Teilnehmer konnten so „an ihrem künftigen Arbeitsplatz ,Gemeinde' empirische Forschung betreiben". Im Seminar galt das Interesse dem Gemeindeaufbau im Neuen Testament. Jeder Student schrieb einen Essay über den Gemeindeaufbau nach einem neutestamentlichen Buch. An einem Seminar-Studientag wurde ein kybernetisches Planspiel durchgeführt: Einer Gruppe lag eine Gemeindebschreibung vor, aufgrund der sie sich fur ein Konzept für Gemeindeaufbau einigen sollte, inclusive eines Personalplans. In der folgenden Phase wurden Gemeindeaufbau-Konzeptionen vorgestellt und kritisch beleuchtet. In der abschließenden Phase wurden die Grundelemente des missionarischen Gemeindeaufbaus und neue bewährte Modelle behandelt. „Das gemeinsame Leben (Mahlzeit, Singen, Spazierengehen) ergänzte das gemeinsame wissenschaftliche Arbeiten." Herbst kommt von diesen praktizierten Versuchen zu einem überaus positiven Resümee: „So sollte kybernetische Ausbildung aussehen: wissenschaftliche Arbeit in der Nähe des Praxisfeldes, unter Einschluß von gemeinsamen Leben und einer elementaren praxis pietatis" (330). Solche positiven Möglichkeiten sieht er auch in den landeskirchlich vorgeschriebenen Praktika, zumal wenn diese noch „Pfarrhauspraktika" sind. Dazu sollte aber die Theoriebegleitung auf Fragen des missionarischen Gemeindeaufbaus konzentriert werden. Optimal wären — aus der Sicht von Herbst- Praktika in Gemeinden, die den missionarischen Gemeindeaufbau praktizieren (331). 148 Beide Projekte wurden an der Theologischen Fakultät in Erlangen unter Leitung von Prof. Dr. Seitz praktiziert.

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1.2.6. Das konfirmierende Handeln der Gemeinde

A) Klärung des Gemeindebegrißs Im Jahr 1973 wurde durch den Facharbeitskreis Konfirmation beim Bund Evangelischer Kirchen in der DDR eine Positionsbeschreibung vorgelegt mit dem Titel: „Das konfirmierende Handeln der Gemeinde" 149 . Dabei handelt es sich nicht um eine andere Beschreibung von Konfirmation oder eine Ausweitung über diesen punktuellen Akt hinaus. „Eigentlich ist das .Konfirmierende Handeln' ein Gesamtkonzept fur Gemeindeaufbau, auch wenn die Zuwendung zu den Heranwachsenden als Schwerpunkt hervorgehoben und ausgefächert wird. Das Verständnis der Begleitung der Heranwachsenden als ein wesentlicher und integrierter Teil des gesamten Gemeindegeschehens erfordert fiir die praktische Ausgestaltung bestimmte Voraussetzungen und hat notwendigerweise Auswirkungen aufs Ganze der Gemeinde." 150 In diesem Kontext ist das Gesamtziel des „Rahmenplanes" zu sehen: „In der Begleitung der Gemeinde sollen Kinder und Jugendliche das Evangelium als befreiendes und damit orientierendes Angebot erfahren. Damit soll ihnen geholfen werden, die Welt zu verstehen, Lebenssituationen zu bestehen und mit der Gemeinde zu leben. So sollen sie erfahren, wie Christen in der sozialistischen Gesellschaft verantwortlich vor Gott leben können." 151 Die darin sichtbar werdende Einengung des konfirmierenden Handelns auf den Kreis der Heranwachsenden hat sich im Verlauf der Ausarbeitung dieses Konzeptes ergeben. Diese Konzeption geht davon aus, daß .Gemeinde' ein Potential darstellt, das eingesetzt werden kann und eingesetzt werden muß. Es geht dabei um das Aufschließen der verschiedenen Arbeitsbereiche einer Gemeinde füreinander, um einem Nebeneinander vorzubeugen. Kritisch ist hierzu zu bemerken, daß dieses Konzept „zu großräumig und zu fordernd angelegt (ist). Es fragt nicht nach dem jeweiligen und unterschiedlichen Bedingungsrahmen in der konkreten Gemeindewirklichkeit." 152 So bleibt die in diesem Konzept angesprochene Gemeinde vorläufig nur Vision. „Eine neue Gestalt von Gemeinde ist nötig, für die Heranwachsenden und ihr Glauben-Lernen, für Erwachsene, die ohne kirchliche Erfahrung in der Gemeinde nach der existentiellen Relevanz des christlichen Glaubens fragen, und fur das Gesamtgeschehen von Zeugnis und Dienst in unserer Gesellschaft."153

149 „Das konfirmierende Handeln ...", a.a.O. 150 Schwerin (1987), a.a.O., 128. Vgl. dazu ferner R. Hoenen, Konfirmierendes Handeln der Gemeinde, in: ChrL 41/1988, 49ff. 151 Rahmenplan für die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Konfirmanden). Berlin (3. Aufl.) 1982, 2. 1 5 2 Schwerin (1987), a.a.O., 128. 153 Ders. (1989), a.a.O., 25.

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Β) Gemeinde und Pfarrerin Pfarrerinnen werden in dieser Konzeption nicht eigens hervorgehoben. Es geht um das Miteinander verschiedener Mitarbeiter in einer Gemeinde. Eine solche Kooperation wird als notwendig angesehen. Gleichwertig daneben steht die Forderung nach einer Zusammenarbeit mit Laien. „Gemeinde als ein kommunikatives Geschehen, in dem die kirchlichen Mitarbeiter mit neben- oder ehrenamtlichen Mitarbeitern Gemeinde leben, muß als eine Vision erhalten oder neu gewonnen werden."154 C) Konsequenzen fiir die theologische Ausbildung Es wird gefordert, daß Mitarbeiter mit theologischer und pädagogischer Kompetenz die Begleitung der Jugendlichen überzeugend gestalten können. Daraus sollen für die Ausbildung Konsequenzen gezogen werden. Ein Schritt dazu ist darin zu sehen, daß die Kirchenleitung der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburg 1984 den Auftrag erteilte, „die Ausbildung der Theologen bis zum Zweiten Theologischen Examen hinsichtlich der Befähigung für die Arbeit mit Gruppen zu bedenken"155. Eine eingesetzte Studiengruppe formulierte als Hauptforderung für das Theologiestudium, „zu Grundfragen der Arbeit mit Gruppen zu informieren sowie Grundbefähigungen zur Arbeit mit Gruppen einzuüben."156

1.3. „ Gemeinde " als sozialer Ort - Die Notwendigkeit der Perspektivenausweitung 1.3.1. Die Herausforderung: Trennung von Christen- und Bürgergemeinde Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein wird man davon auszugehen haben, daß es die Kirchengemeinde als eine Gesellschaft' innerhalb der übrigen Gesellschaft nicht gegeben hat.157 Kirchliche und gesellschaftliche Welt bildeten eine Einheit. Dieses änderte sich erst durch die Ausgliederung der kirchlichen Gemeinde aus der bürgerlichen Gemeinde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. W. Lück macht darauf aufmerksam, daß mit dem Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte Veranstaltungen, die bisher im Bereich des Pfarrhauses stattfanden, nun auf die Ebene der Kirchengemeinde transponiert werden158. Spezifische Funktionen, die bisher dem Bereich des Pfarrhauses, aber prinzipiell auch jeder Familie zukamen, mußten nun neu ausgefüllt werden - z.B. durch Nachbarschaft bzw. durch Einrichtungen auf vereinsmäßiger Basis. So sollten die 154 Ders. (1986), a.a.O., 318. 156 Ebd., 5. 158 Vgl. ebd., 37f.

155 „Arbeit mit Konfirmanden", a.a.O., 1. 157 Vgl. Lück, a.a.O., 24.

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Defizite, die sich aus der gesellschaftlichen Entwicklung und aus offensichtlichen Mißständen ergaben, aufgefangen werden.

1.3.2. Die „Seelsorge-Gemeinde" von Emil Sülze

A) Klärung des Gemeindebegriffs Mit dem Terminus „Seelsorge-Gemeinde" wird eine Konzeption bezeichnet, die der Dresdener Pfarrer Emil Sülze159 besonders wirksam vertreten und publiziert hat. Er fordert eine Strukturierung der Großgemeinden in übersichtliche und v.a. eigenverantwortliche Betätigung ermöglichende, kleine Gemeinden. Eine solche Gemeinde ist für ihn eine „Genossenschaft, die fur die Wahrnehmung der Seelsorge an ihren Mitgliedern verantwortlich sein soll"160 Es gilt darum, „die kirchlichen Gemeinden in Vereine umzuwandeln, deren Mitglieder sich kennen und lieben und ihre Liebe einander durch die Tat, vor allem durch ernste seelsorgerliche Arbeit beweisen"161. Ein wichtiges Leitbild dafür ist das der Familie. 162 Im Hintergrund dieser Konzeption steht das Ideal der bürgerlichen Selbstverwaltung, die — nachdem sie sich in der bürgerlichen Gemeinde bewährt habe - nun auch dringend in der Kirche zu verwirklichen sei. Sülze beklagt, daß die Kirche mit ihren Massenparochien selbst dazu beigetragen habe, die von ihm konstatierte „Geringachtung des Menschenlebens, der eigenen Person und des Lebens der anderen"163 zu fördern. Jetzt komme es darauf an, kleine Gemeinden zu gründen, „da es sich ja eben darum handelt, jedes einzelne Mitglied zu beachten und zum Gotteskinde zu erziehen". Zum anderen erkennt Sülze deutlich den eingetretenen Funktionsverlust der Kirche und Gemeinde: „Mit vollem Recht haben in unserer Zeit alle Lebensgebiete sich selbständig gemacht. Aber die Kirchengemeinden fehlten, die Kirche war darum ... nicht imstande, die unabhängigen, in freiem Wechselverkehr mit ihnen, mit dem christlichen Geiste zu durchdringen."164 Die Gemeinde habe große Möglichkeiten: „In der Gemeinde, die ihn (den Einzelnen - Vf.) hält und trägt, quillt volle Glaubenskraft ihm zu." Und: „Die Gemeinden sind darum, wenn etwas, imstande, dem sittlichen Verfall der einzelnen und der Familien, der Vergiftung des wirtschaftlichen Lebens durch die Selbstsucht, dem praktischen Materialismus, dem Mißbrauch der politi-

159 Zu E. Sülze vgl. ferner: Winkler (1973), a.a.O., 25ff. sowie Meyer-Mintel, a.a.O., 80ff., aber auch Schmidt-Rost, a.a.O., 68f. 160 Sülze (1912), a.a.O., 35. 161 Ebd., 196. 1 6 2 Vgl. dazu ebd., 24: „Rom ha: seine Kirche nach dem Vorbild des Staats, wir haben lange Zeit die unsere nach dem Vorbild der Schule gestaltet. Bleibt uns noch ein anderes Vorbild? Ganz offenbar. Ich meine: das der Familie." 163 Ebd., 36. 164 Sülze (1906), a.a.O., lOlf.

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sehen Gewalt fur die Zwecke des Ruhmes und der Eroberungssucht erfolgreich entgegenzutreten."165 Ist es einmal die notwendige Wahrnehmung der Individualität, die Eigenverantwortlichkeit ermöglicht, so wird andererseits aber auch die Notwendigkeit und die Möglichkeit gesehen, in der Gemeinde den Individualismus zu überwinden. Ein wesentliches Moment dafür ist der „außergottesdienstliche Verkehr der Gemeindeglieder untereinander". Erst in einem „freien, geselligen Verkehr ihrer Mitglieder" gelangt die Gemeinde zu ihrer eigenen Berufung. 166 Hier muß das Gemeinschaftsgefühl, das Empfinden der Verantwortung füreinander deutlich werden - über natur-, berufs- und klassenständische Begrenzungen hinausgehend. So gewinne die Gemeinde auch soziale Bedeutung und könne „der Verein der Vereine" werden.167 Ganz im Sinne Sulzes formuliert auch E. Simons: „Eine Christengemeinde ist erst dann vorhanden, wenn ihre Glieder nicht nur nebeneinander, sondern füreinander da sind, bereit zum Dienen, Hilfe zu leisten allen, die in der Arbeit an sich selbst, im Kampf gegen das Böse der Hilfe bedürfen."168 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Diskussion um diakonische Mitarbeiter. Dabei ging es in der damaligen Zeit speziell um die Frage, „ob von den freiwilligen Helfern in der GA (= Gemeindearbeit - Vf.) nicht ein bestimmtes Maß persönlichen Glaubenslebens und namentlich auch die Beteiligung am kirchlichen-gottesdienstlichen Leben zu verlangen sei"169. Simons stellt dazu fest: „Als Bedingung der Mitarbeit (in der Gemeinde - Vf.) ,Gläubigkeit' zu fordern, geht nicht an, da der Maßstab fehlt, sie einwandfrei festzustellen; auch ein bestimmtes Maß an Kirchlichkeit zu fordern wäre nicht wohlgetan."170 So wird bereits in der damaligen Diskussion einem elitären Gemeindeverständnis gewehrt zugunsten des Wahrnehmens der Verantwortung füreinander. B) Gemeinde und Pfarrer Als wesentlichen Inhalt des Pfarramtes sieht Sülze an, „die Seelsorge aller an allen zu wecken, zu fördern und zu erhalten"171. Dem Pfarrer kommt die Gesamtaufsicht zu, auch im Hinblick auf die Seelsorge. „Er ist verpflichtet, überall selbst zuzusehen. Er muß bei der Gründung der Familie, bei der Taufe und der Konfirmation eines Kindes, in Not und Krankheit und bei Sterbefällen seine Gemeindeglieder, insbesondere aber die neu heranziehenden, besuchen und mit Rat und Hilfe ihnen zur Seite stehen."172

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Ebd., 102. 166 Vgl. Sülze (1912), a.a.O., 162. Vgl. Ebd., 167. 168 Simons, a.a.O., 1250. Grünberg, a.a.O., 517. Simons, a.a.O., 1251; ähnlich auch Grünberg, a.a.O. Sülze (1906), a.a.O., 182 172 Ders. (1912), a.a.O., 68.

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Ferner sind die Gottesdienste, namentlich die Predigt, die Amtshandlungen und oft die Verwaltung Sache des Pfarrers. Aber der wesentliche Tätigkeitsbereich sollte das „Wecken-Fördern-Erhalten" der Seelsorge betreffen. Dazu ist es nötig, die Gemeinde zu kennen und Vertrauen aufzubauen, Lebensgemeinschaft mit der Gemeinde zu halten.173 Darum ist unbedingt zu fordern, daß jede Gemeinde ihren Pfarrer hat. Als notwendige Eigenschaften des Pfarrers werden häufig seine Demut und seine Selbstlosigkeit betont. C) Konsequenzen fiir die theologische Ausbildung Es liegt in dem Gemeindekonzept Sulzes begründet, daß er der Person und der Lebensführung des Pfarrers großes Gewicht beilegt. An erster Stelle wird gefordert, daß der Pfarrer ein christlicher Charakter sei, erst an zweiter, daß er seine Wissenschaft beherrsche.174 Dem entspricht die Forderung nach der Einrichtung von Seminaren vor und nach dem Universitätsstudium. Der Seminarbesuch davor könne dazu genutzt werden, das AT und das N T in der Ursprache zu lesen, in die einzelnen theologischen Wissenschaften, v.a. aber in die Bedeutung des kirchlichen Amtes einzuführen. Damit wäre zugleich die Möglichkeit gegeben, Ungeeignete vom kirchlichen Amt fernzuhalten. Die übrigen aber wären gerüstet, den sittlichen Gefahren während des Studiums zu begegnen.175 Während des Universitätsstudiums sollte neben der Beschäftigung mit der Bibel besonders die mit der Philosophie gepflegt werden. Die Praktische Theologie wird ganz auf die Seminarzeit nach dem Studium beschränkt. Die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Bildung der Theologen ergibt sich für Sülze nicht zuerst aus der Theologie selbst, sondern primär aus dem Status des Pfarrers - Beamter und vorbildlicher Leiter der Gemeinde zu sein. Als Beamter soll er den übrigen Beamten vollkommen ebenbürtig erscheinen; als vorbildlicher Leiter beweist er, „daß der Kontakt mit der Wissenschaft die Frömmigkeit nicht gefährdet sondern fördert"176.

1.3.3. Die Gemeinde als Teilsystem der Gesellschaft A) Klärung des Gemeindebegriffi Gemeinsamer Ausgangspunkt der hier anzuführenden Überlegungen ist der wahrgenommene Verlust der Öffentlichkeitswirkung von Gemeinde. In der Bilanz zu dem Projekt „Ladenkirche" betont Ernst Lange 1974 ausdrücklich, daß „die einzelne örtliche Gemeinde ... noch in sich selbst handlungs- und wandlungsfähig ist"177. Bei Anerkennung der fortschreitenden Spezialisierung 173 Vgl. ebd., 49. 175 Vgl. ebd., 180. 177 Lange (1981b), a.a.O., 74.

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174 Vgl. Sülze (1906), a.a.O., 179. 176 Ebd.

und Segmentierung in der Lebenswelt der Menschen bleibt fur Lange die Wohnwelt ein Raum wichtiger Lebensvollzüge. Darum hat für ihn die örtliche Gemeinde hier durchaus ihre Funktion: „Es gibt Menschen, die ihrem Herkommen nach in den traditionellen Ortsgemeinden und ihren schönen Gottesdiensten zuhause sind und zuhause bleiben wollen. Es gibt andere, deren Unbehagen angesichts bestimmter kirchlicher Traditionen wächst, weil sie sie nicht mehr verstehen und weil sie ihren Bedürfnissen nicht mehr entsprechen. Auch diese Menschen haben ein Recht in der Kirche, ein Recht auf örtliche Gemeinde."178 In einem Beitrag von 1986 differenziert G. Wendland zwischen einer „örtlichen" und einer „thematischen" Präsenz der Kirche.179 Zur örtlichen Präsenz zählt er Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung und Diakonie im Nahbereich. Die thematische Präsenz bezeichnet die Zuwendung der Kirche zu den die gegenwärtige Gesellschaft prägenden Teilsystemen. Die örtliche Präsenz der Kirche gilt es nun in mehrfachem Sinn thematisch aufzuschließen, damit sie sich auf außergemeindliche Impulse einlassen kann. Dazu bedarf es einer erneuten Besinnung darauf, was die „Öffentlichkeit" der Kirche in der Situation der Trennung von Christen- und Bürgergemeinde ausmacht. Wird Kirche als gesellschaftliches Teilsystem gesehen, das für - als wichtig angesehene Funktionen - steht, so ist damit das öffentliche Wirken plausibel gemacht. Im Blick auf die Ortsgemeinde ist danach zu fragen, „wie Vergegenwärtigung des Evangeliums hier geschehen, wie die Gemeinde teil hat an Prozessen der Sozialisation und der Emanzipation, wie christliche Lebensgestaltung in dieser Lebenswirklichkeit möglich und wirklich ist und welche Strukturen der Verantwortung darin und dafür beschrieben werden können"180. In dieser Konzeption wird die Ortsgemeinde nicht durch Begrenzung, sondern vielmehr durch die Präsenz in der Lebenswelt bestimmt. So ist ihr die Möglichkeit der Beteiligung gegeben. Sie kann Verantwortung übernehmen für die Gestaltung des privat-familial-nachbarschaftlichen Raumes in der größeren Lebenswelt der Gesellschaft. Für die Situation der Gemeinden in der DDR wurde festgestellt, daß der Verlust gesellschaftlicher Relevanz durch theoretische theologische Definitionen von Gemeinde kompensiert worden ist.181 Die Frage nach dem Verständnis von Gemeinde schließt jedoch notwendig die Frage nach dem Verhältnis der Gemeinde zu der sie umgebenden Gesellschaft ein. Kirche und Gemeinde sind als Teil der Gesellschaft zu verstehen, nicht als ihr Gegenüber. Das hat Folgen für die Selbstklärung: Es geht um das Gewinnen einer neuen Identität. Dieser Prozeß ist aber nicht allein fur die Gemeinde, sondern ebenso fiir die gesamte Gesellschaft von Bedeutung. Christen „steuern die Prozesse der Gesellschaft 178 Ebd., 156. 179 Vgl. Wendland, a.a.O., 280. 180 Ebd., 286. 181 Vgl. Falkenau, a.a.O., 13 und Langer (1986), a.a.O., 155f.

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mit durch ihre Existenz, beeinflussen ihre Wertvorstellungen"182. Auf diesem Weg werden die Gemeinden nicht zu Eliten; sie gehen den Weg des sozialen Lernens in diesem Prozeß weiterhin mit unterschiedlichen Herkünften und Vorstellungen. Die Ereignisse im Herbst 1989 in der DDR und die Rolle, die Kirchen und Gemeinden im Prozeß der gesellschaftlichen Umgestaltung übernommen haben, sind in diesem Zusammenhang unbedingt zu erwähnen.

B) Gemeinde und Pfarrerin „Wir haben nun all die Jahre gebraucht, um uns in den neuen Bedingungen zurechtzufinden. ... Es gibt Gruppen, die wieder etwas Gemeinsames im Dorf aufbauen ... Früher hat das mal die Kirche gemacht. Das geht so nicht wieder. ... Wenn wir etwas Festes, Greifbares machen, ein paar große, gute Treffen im Jahr für alle, das ist wichtig. Und dazwischen die ganze Kleinarbeit: Besuche bei den Alten und Kranken, Gespräche in Familien, Unterricht für Kinder. Wir brauchen jemand, der unter uns wohnt und mit uns auf die neue Form unseres Lebens zugeht... So werden gebraucht: Kommunikation - das baut Anonymität ab, starke personale Bezugssysteme statt auswechselbare Funktionsträger."183 In dem „Wir" der Textpassage ist wohl auch der/die Pfarrerin vertreten. Die Gemeinde ist das Subjekt der Überlegungen. Aber Pfarrerinnen sind nicht überflüssig. Sie werden gebraucht, um das als notwendig Erkannte wieder in Erinnerung zu bringen (Gespräche), um das zu leisten, was die anderen durch die Auslastung ihres Alltags nicht schaffen (Besuche, Unterricht). Der personalen Präsenz, der gegebenen Weggenossenschaft wird besondere Wichtigkeit zuerkannt (starke personale Bezugssysteme).

C) Konsequenzen für die theologische Ausbildung Die Befähigung zur Kommunikation steht im Vordergrund. Daneben ist die Erwartung von personalen Qualitäten der Pastorinnen vernehmbar. 1.3.4. Gemeinde mit anderen

A) Klärung des Gemeindebegrifß a) Die konziliare Gestalt der Gemeinde: Konnte das traditionelle Verständnis von Gemeinde als einer Einheit durch den Begriff „Konkurs" (= Zusammenkunft) bezeichnet werden, so ist dieses in der Gegenwart nicht mehr gültig. Die

1 8 2 Langer (1989), 43. 183 Überlegungen der Kreissynode Perleberg/DDR, mitgeteilt bei Langer (1989), a.a.O., 43.

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Divergenz der Lebensbereiche kann nur als „Diskurs" gefaßt werden.184 Draus folgen Konsequenzen auch fiir die Struktur der Gemeinde: Die Kommunikationsbemühungen sind dem Adressaten angepaßt und werden entsprechend wechseln und sich wandeln. Es entsteht eine Vielzahl von Gruppen, und Gemeinde baut sich aus mannigfaltigen Kontakten auf. Diese Konzeption möchte die Geschichte christlicher Gemeinde als einen „Prozeß ... begreifen, an dem die Gemeindeglieder als Subjekte beteiligt sind und fur den sie deshalb auch im Rahmen der ihnen erreichbaren Möglichkeiten verantwortlich sind."185 Für eine solche Konzeption von Gemeinde ist die Kommunikation zwischen den einzelnen Gemeindegruppen von entscheidender Bedeutung. Da hierfür das Modell vom „Konkurs" nicht mehr tragfähig ist, wurde der Begriff der Konziliarität, das Modell der konziliaren Gestalt der Gemeinde eingeführt. Konziliarität bedeutet: „Es wird nicht Glaube und Unglaube geschieden, sondern Glaube in seinen vielfältigen Formen erkannt und anerkannt, gesucht und entwickelt. Konziliarität in der Bereitschaft, zu lernen und sich selbst zu verändern."186 b) Gemeinde als Lerngemeinschafi: In den Kirchen der DDR wurde auf der Bundessynode 1974 der Begriff „Lerngemeinschaft" in die Diskussion gebracht. In einer Stellungnahme der Synode dazu wird u.a. gefragt: „Wie gewinnen die Ergebnisse unseres Lernens Einfluß auf kirchliche Ordnungen und Einrichtungen, die effektive Gruppenbeziehungen noch hemmen?"187 Die damit gegebene Herausforderung führte dazu, den Verzicht auf ein einheitliches Gemeindeverständnis zu akzeptieren. Gemeinden erlebten die Bewegung von Einzelnen und Gruppen auf die Kirche zu. Es stand die Herausforderung, zu lernen, welche Erwartungen der Gemeinde gegenüber hier bestanden. Neue Formen der Gemeindearbeit, so etwa die Gemeindeseminare, vermochten das Interesse von Menschen zu wecken. Auf der anderen Seite wurden Einsichten ermöglicht: Die teilweise Wirkungslosigkeit traditioneller gemeindlicher Arbeitsformen wurde offenbar; ebenso aber auch der Abstand der „Sprache" und des Reflexionsniveaus in Gemeindeveranstaltungen zu den Alltagssituationen der Menschen. Diese wahrgenommene Distanz öffnete wiederum den Blick für ein Defizit: Die Dimension des Symbolischen war nahezu völlig aus dem Blick geraten, und es gab eine Distanz zum Liturgischen im weitesten Sinne.188 Damit ist auch hier die Problematik der Lebenswirklichkeit der Menschen und ihre bislang ungenügende Wahrnehmung im Raum der Gemeinde sicht-

184 Vgl. Schloz, a.a.O., 160. 185 Bäumler (1984), a.a.O., 118. 186 Lindner, a.a.O., 227. 187 Das Hauptreferat von H. Kasner: Kirche als Gemeinschaft von Lernenden, in: Kirche als Lerngemeinschaft, a.a.O., 99fF. Ebd. auch die Vorbemerkung mit der aufgeführten Frage. 188 Vgl. Ratzmann (1986), a.a.O., 280.

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bar geworden. Eine Veränderung ist nur möglich, wenn eine Gemeinde bereit ist, „mit" andern zu leben. Dazu ist es notwendig, auf den anderen zu hören und von diesem wiederum verstanden zu werden. In diesem Zusammenhang ist auf solche Projekte wie „Offene Gemeinde", „Gemeinde als Prozeß" und „Gemeindeaufbau als Vertrauensbildung" hinzuweisen. B) Gemeinde und Pfarrerin Bei diesem Gemeindeverständnis gehen Initiative und Dynamik von den Menschen bzw. den Gruppen in einer Gemeinde aus. Pfarrerinnen und andere Mitarbeiter sind Begleiter der „Gemeinde mit andern", beteiligte Beobachter und Helfer zu besserer Kommunikation. Dabei geht es nicht nur um das Wahrnehmen und Beheben von Defiziten. Das Ernstnehmen der Gemeindeglieder als getaufte Christen macht es möglich, deren „geistlichen Fundus" wahrzunehmen und in die Kommunikation einzubringen.189 Mitarbeiter und Gemeindeglieder haben gemeinsam und sorgsam „vor Ort die Zeichen der Zeit (zu) erforschen, um daraus ihre Folgerungen für die Gestalt des Gemeindelebens in der Gemeinde vor Ort zu ziehen"190. C) Konsequenzen fiir die theologische Ausbildung Die hervorgehobene Bedeutung der Kommunikation hat Auswirkungen auf die erwarteten Fähigkeiten der Pfarrerinnen. Sie sollen Fachleute in den entsprechenden Bereichen sein. Da eine enge Verbindung zwischen Kommunikation, Symbol und Liturgie gesehen wird, setzt das eine gründliche liturgische Bildung und Ausbildung voraus. Der Befähigung dazu, das Ritual in dem Lebenskontext der Menschen zu belassen, kommt große Bedeutung zu. Gemeinde „mit andern" bedeutet fiir Pfarrerinnen die Herausforderung zu einem Stück gemeinsamen Lebens „mit andern". So fordert Jörns von angehenden Pfarrern/Innen: „Durch Hingehen, Hinhören und Hinsehen ... sollen sie kennenlernen können, wo und wie die Schwestern und Brüder wohnen, auch in welchen Nachbarschaften, arbeiten und Freizeit verbringen, worüber geredet, worauf gehofft, wovor sich geängstigt wird; sie sollen sich überall dahin führen lassen, wohin andere sie fuhren wollen, auch in allerlei Versuchung und Anfechtung; sie sollen erfahren können, welche Hilfen sich die Christen im Alltag und in ihren Lebenskrisen organisieren, aber auch welcher .geistliche Fundus' bei den Laien zu finden ist." 191 Der Autor hat an anderer Stelle unter solchen Gesichtspunkten konkrete Schritte zur Veränderung des Theologiestudiums vorgeschlagen. Dabei steht im Zentrum die Auffassung von der „Gemeinde als Theologin". Jörns differenziert zwischen elementarer und wissenschaftlicher Theologie. Beide lassen sich 189 Vgl. Jörns (1986a), a.a.O., 272; Langer (1985), a.a.O., 10, formuliert eine Überschrift: „Vom Koordinator zum Ko-Ordinierten". 190 Langer (1988), a.a.O., 178. 191 Jörns (1986a), a.a.O., 272.

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unterscheiden, aber nie gänzlich voneinander trennen: „Die wissenschaftliche Theologie bedarf der elementaren, um die Gemeinde als Theologin nicht aus dem Auge zu verlieren."192 Um den Platz der elementaren Theologie im Theologiestudium, das traditionell durch die wissenschaftliche Theologie allein geprägt ist, geht es in den folgenden Konkretionen: - Am Studienbeginn sollte ein Propädeutikum stehen, durch das ein erstes Kennenlernen der theologischen Fundamentalunterscheidungen erreicht wird. Dieses Propädeutikum sollte in einer Gemeinde veranstaltet werden, damit „jedermann und jedefrau" hinzukommen können, die möchten. So wären Erfahrungen der Christen und die theologische Überlieferung von vornherein ins Gespräch gebracht. - Im gesamten Studium muß die Gemeinde als Theologin in die eigene Wahrnehmungsgestalt des Evangeliums einbezogen bleiben. Das gelingt nur durch leibhaftige Teilnahme am Leben der Gemeinde. Nur so kommt es zu Wahrnehmungen elementarer Theologie. - Es geht um das genaue Hinsehen und Hinhören auf die Menschen als die ständige Begleitung des Studiums. Der Grundgedanke ist, „daß so die natürlich-theologischen Leitfragen der Menschen wirklich und authentisch wahrgenommen und dann christlich-theologisch beantwortet werden können." 193

1.3.5. Gemeinde als Lernort

A) Klärung des Gemeindebegriffi Wenn Gemeinde weniger als Ziel unterschiedlicher Bemühungen, sondern als deren Subjekt angesehen, wenn Gemeinde als Gemeinschaft von Lernenden sich erst in einem Prozeß von Gemeinde realisiert - dann wird die Frage aktuell, was in einer so bestimmten Gemeinde gelernt werden kann und gelernt werden muß. Gemeinde wird dann als der Ort gesehen, an dem sich dieses Lernen realisiert. Die Kommunikation des Evangeliums ist der gemeinsame Horizont. Es geht um das Lernen der Generationen aneinander und miteinander, es geht um das Zusammenkommen mit anders geprägten Gruppen in der Gemeinde und um den damit initiierten Lernprozeß. Unter pädagogischem Aspekt kommt der Überzeugungskraft des gelebten Glaubens in der Gemeinde für die pädagogischen Prozesse grundlegende Bedeutung zu. Das nötigt dazu, die Gemeinde als Lernort ernst zu nehmen. Und es fuhrt zu einer empirischen Betrachtungsweise, die Gemeinde unter verschiedenen Fragestellungen analysiert:

192 Jörns (1989), a.a.O., 32; ebd., 34ff. die angeführten Konkretionen. 193 Ebd., 36.

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„ - Was geschieht konkret, wo Gemeinde - in welcher Form auch immer beieinander ist? - Welche Einsichten und Erfahrungen kommen durch welche Erfahrungen zustande? - Was wird verfestigend, befreiend usw. wodurch bewirkt? - Welche Absichten werden bei konkreter gemeindlicher Kommunikation vorausgesetzt? - Was lösen sie aus? - Was geschieht möglicherweise gegen die Absicht tatsächlich? - Wie löst der Gruppenprozeß das Vorausgesetzte oder Beabsichtigte ein? - Kommt es überhaupt zu einem solchen Prozeß?"194 B) Gemeinde und Pfarrerin Die Wahrnehmung der Gemeinde als Lernort fördert die Erkenntnis, daß die Gemeinde unterschiedlich qualifizierte Mitarbeiter braucht. Unter den genannten Gesichtspunkten sind es insbesondere theologisch-pädagogisch qualifizierte Mitarbeiter.195 Diese sollen gleichberechtigt neben dem/der Pfarrerin in der Gemeinde arbeiten. Das Nebeneinander unterschiedlicher Qualifizierung fordert und fördert die Eigenverantwortung des jeweiligen Mitarbeiters. Dazu gehören unabdingbar Kommunikation und Partizipation möglichst vieler Gemeindeglieder. Bei der Kommunikation sind vorherrschende komplementäre Gesprächsformen in symmetrische zu verwandeln. Ein wichtiges Moment ist ferner darin zu sehen, die Lebens- und Lerngeschichte des anderen ernst zu nehmen. Nur gemeinsam mit anderen kann der einzelne in der Gemeinde leben und glauben lernen. Ferner wird von den Mitarbeitern gefordert, die gesamte Gemeindearbeit auch unter didaktischen Gesichtspunkten zu betrachten.196 C) Konsequenzen flir die theologische Ausbildung Die gemeindepädagogischen Ausbildungsinstitute wurden gegründet, um den Konsequenzen, die sich aus dem Ernstnehmen der Gemeinde als Lernort ergaben, zu entsprechen. R Schicketanz hat das fur die gemeindepädagogische Ausbildungsstätte in Potsdam konkret dargestellt. Als allgemein akzeptierte Voraussetzung gilt die Feststellung: „Hier studieren erwachsene Menschen (Aufnahmealter in der Regel 20 Jahre), die ernst zu nehmen sind und die nur dann verantwortliche und selbständige Mitarbeiter der Kirche werden können, wenn Verantwortlichkeit und Selbständigkeit die Lernvorgänge vom ersten Tag an bestimmen und als Ausbildungsziel erfahrbar werden."197 Ferner wird ein 194 195 196 197

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Degen, a.a.O., 45. Zu den folgenden Ausführungen vgl. Foitzik, a.a.O., 184ff. Vgl. Lenz, a.a.O., 390ff. Schicketanz (1989), a.a.O., 283.

weiterer gemeinsamer Ausgangspunkt hervorgehoben: „Evangelium ist fur uns nicht nur eine ferne biblische Kunde, sondern sie ist Lebensgrundlage, die in vielerlei Formen des Lernens und des Lebens verwirklicht oder verfehlt wird."198 Die Studierenden sind in allen wesentlichen Fragen in die Entscheidungsfindung eingebunden. Dabei geht es weniger um formale Demokratie als um Partnerschaft. „Einübung in einen verantwortlichen Entscheidungsprozeß für andere Menschen erfolgt in der Ausbildung mit Korrekturmöglichkeiten durch andere. Im späteren Berufsleben muß der Einzelne oft viel einsamer entscheiden. Vor allem kommt auf diesem partnerschaftlichen Weg eine Identifizierung des Studenten mit dem ganzen Ausbildungsgeschehen zustande, eine Grundforderung auch an die spätere Arbeit."199 Der Studiengang ist durch die Eigenverantwortung der Studierenden geprägt: „Die überwiegende Mehrheit der Studierenden nimmt die Eigenverantwortung ernst. Sie ergibt sich aus den Anforderungen an einen kirchlichen Mitarbeiter." 200 Sehr ausgeprägt ist der Praxisbezug des Studiums, insbesondere durch vier Praktika von insgesamt 40 Wochen Dauer. „Spätestens im 3. Praktikum von 12 Wochen Dauer ist die Verbindlichkeit der kirchlichen Arbeit als Anforderung der zukünftigen Tätigkeit nicht nur Thema, sondern existentielle Erfahrung. "201 Insgesamt wird bei der engen Verbindung von Theorie und Praxis die „erlebte Praxis der kirchlichen Arbeit als Horizont, nicht einfach als Kriterium der Theoriearbeit" 202 bewertet.

1.4. „ Gemeinde " und Theologiestudium - Eine Zwischenbilanz „Herkommen und Dimensionen des theologischen Gemeinde-Begriffes sind nicht einmal fiir unser Jahrhundert oder innerhalb dieses Zeitraumes auch nur für die Praktische Theologie ... schon zureichend beschrieben."203 Gilt diese Problembeschreibung in gleicher Weise fur „Gemeinde" als LeitbegrifFin bezug auf theologische Ausbildung? Die Ausführungen dieses Kapitels haben unterschiedliche Ausprägungen des Gemeindeverständnisses und die entsprechenden Konsequenzen für die theologische Ausbildung deutlich gemacht. Ein einheitliches Gemeindeverständnis ist nicht zu entdecken. Es ließe sich allenfalls durch einen Rekurs auf neutestamentliche Aussagen finden. Dabei würden aber die durch den jeweiligen historischen Kontext bedingten Ausprägungen der Gemeindeexistenz, die fur die gegenwärtigen Strukturen konstitutiv geworden sind, ausgeblendet. Ebenso würde eine Fixierung des Gemeindeverständnisses auf neutestamentlichen 198 Ebd., 284. 200 Ebd., 286. 202 Ebd.

199 Ebd., 285. 201 Ebd., 285. 203 Bloch (1989), a.a.O., 70.

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Aussagen die gänzlich andere soziologische Situation der Gemeinden bzw. christlicher Gruppen der Anfangszeit außer Acht lassen. Christliche Gemeinde in er Gegenwart findet ihren wichtigsten Bezugspunkt in der Praxis und im Geschick von Jesus Christus: Der gekreuzigte Jesus als Stifter der Kirche; der auferstandene Christus als Zukunft der Kirche.204 Die Lebensäußerungen von Kirche und Gemeinde bleiben so notwendig mehrdeutig und geschichtlich wandelbar. Die Gemeinde hat damit unkündbaren Anteil an der gesellschaftlichen Vorfindlichkeit, in der sie existiert. Werden beispielsweise Pluralismus und Indifferentismus als Kennzeichen der gegenwärtigen Gesellschaft festgestellt, so ist dieses auch fiir die Gemeinde zu berücksichtigen. Sie kann diese Vorfindlichkeit nicht überspringen; sie hat an und in diesen Verhältnissen mitzuleiden.205 Die Glaubwürdigkeitskrise der Kirche ist der Preis, Kirche in der Welt zu sein. Damit ist noch einmal darauf verwiesen, daß Wahrnehmung der Lebenswelt (Kontextualität) und theologische Vergewisserung unabdingbare Bestandteile jeder Rede über „Gemeinde" sind. Unter dieser Voraussetzung ist es in der Gegenwart nicht möglich, von einer „Gemeinde als Ziel" zu sprechen. Gemeinde ist .anwesend", ist,präsent'; sie kann mit ihren Lebensäußerungen wahrgenommen und beschrieben werden. Im folgenden sollen mit sechs Stichworten Elemente für ein Gespräch zum Thema „Gemeinde" in der Gegenwart aufgezeigt werden.206 ,Mission' und, Begegnung

Das missionarische Engagement gehört zur Existenz der Gemeinde als eine ihrer Existenzgrundlagen. Das missionarische Element hält die transistorische Bestimmung von Gemeinde wach. Nach Mt. 28 ist Gemeinde nur erkennbar, wo sie auch nach außen wirksam ist. Inhalt der Mission der Gemeinde ist es, außenstehende Menschen zu erreichen, ihnen das Angebot eines Lebens aus dem Evangelium nahe zu bringen. Nun wurde in der Vergangenheit in der DDR die Beobachtung gemacht, daß einzelne Menschen oder Gruppen aus der Gesellschaft auf die Gemeinde zukamen, ohne aber den Wunsch nach Integration zu haben. Wird eine solche Situation als „Begegnung" mit dem Glauben interpretiert, so ist der Missionsbefehl zu modifizieren: „Laßt euch auf die Begegnungssituation ein!"207. In der Praxis ist mit solchem Verzicht auf Integration auch ein solcher auf sichtbare Verbindlichkeit verbunden.

204 So Schibilsky (1988), a.a.O., 369, im Anschluß an W.D. Marsch. 205 Vgl. ebd., 371. 206 Die folgenden Ausführungen basieren auf der Veröffentlichung des Vfs.: Traditionsabbruch und Verbindlichkeit. Aspekte von Gemeindewirklichkeit in der D D R . in: PTh 78/1989, 5Iff. (59ff.) 207 Vgl. dazu G. D o y 4 Geht hin ... und lehrt, in: ChrL 39/1986, I48ff.

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,Zuständigkeit' und, Angebot' In der traditionellen Parochie ist der/die Pfarrerin zuständig fur die hier wohnenden evangelischen Christen. Er/Sie ist zuständig fiir die traditionellen Gemeindeveranstaltungen - Gottesdienste, Amtshandlungen, kirchlicher Unterricht - und darauf orientiert, daß diese Zuständigkeit abgefordert wird. Die Beobachtung, daß Menschen ohne gemeindliche Sozialisation kommen, um sich u.U. konfirmieren oder trauen zu lassen, bricht diese Zuständigkeit auf. Die Gemeinde und ihre Mitarbeiter sind herausgefordert, bekannt und plausibel zu machen, wofür Gemeinde oder Kirche steht. „Die Kirchen müssen das, was nur sie sagen können, in einer Gesellschaft zu Gehör bringen, in der viele Stimmen um die Aufmerksamkeit der Menschen streiten und in der leise Stimmen es schwer haben."208 Hierbei müssen die Gemeinden stärker in die Öffentlichkeit treten. , Geben' und,.Empfangen' Traditionell wird das ,Geben' der Gemeinde primär binnenkirchlich gesehen. Von der Gemeinde erwartet man Trost, Stärkung der Bedürftigen, Vergewisserung im Glauben und gemeindliche Sozialisation. Diese Funktionen werden auch ferner fur die Gemeinde signifikant bleiben. Sie müssen aber durch den Hinweis auf die weiteren Dimensionen des Gebenkönnens ergänzt werden, die mit dem Faktum der Existenz von Gemeinden und den damit gegebenen Bedingungen vorhanden sind. Die Ereignisse des Jahres 1989 in der DDR haben gerade diesem Aspekt aktuelle Bedeutung verliehen: Die rechtliche Stellung der Gemeinde, ihre Ausstattung mit Räumen und großen Gebäuden (Kirchen), über die sie eigenverantwortlich verfugt, das Vorhandensein kirchlicher Mitarbeiter, aber auch der Fakt, daß die Gemeinde mit der Bibel und mit der christlichen Überlieferung über ein Potential von Angeboten zur Lebensgestaltung, wie auch zum friedlichen Engagement für Gerechtigkeit, Recht und Demokratie verfugt. Indem die Gemeinde sich daran erinnern läßt, was alles sie zur Verfügung stellen kann und sich nicht darauf versteift, nur zu geben, was sie traditionell zu geben hatte, muß sie sich nicht ständig unter dem Druck des Aktivwerdens im Prozeß des Glaubens erleben; gerade hier kann sie zur Empfangenden werden. ,Begrenzung' und,Entgrenzung' Die Teilhabe an den Sakramenten kann als Selbstausgrenzung aus der Umwelt beschrieben werden. Andererseits wird durch natur- oder berufsständische Strukturen in der Gemeinde Begrenzung bewirkt, so daß von außen Kommende ausgegrenzt werden. Das entgrenzende Moment wurde immer schon dort deutlich, wo Gemeinde ihre diakonische Verantwortung ernst genommen hat.

208 Huber, a.a.O., 443.

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Hier standen die Situation des Menschen und die Möglichkeit der Hilfe im Vordergrund. So geschieht .offene' Kinder- und Jugendarbeit aus christlicher Motivation heraus; es wird aber bewußt darauf verzichtet, diese Arbeit eindeutig als chrisdich identifizieren zu können.

, Gewißheit'

und,Fragehaltung'

Der Existenz wie jeder Praxis von Gemeinde liegt die Gewißheit des Glaubens voraus. Sie ist in der Offenbarung Gottes begründet, im Bekenntnis der Gemeinde zum auferstandenen und wiederkommenden Herrn. Von dieser Gewißheit lebt die Gemeinde, wie auch der einzelne Christ. Die Folgerungen, die daraus ftir die Gestalt der Gemeinde gezogen werden, müssen diskutierbar bleiben. Es geht auch darum, Gutes und Hilfreiches außerhalb der Gemeindegrenzen wahrnehmen zu können.

,Proexistenz' und .Existenz' Das Moment der Proexistenz von Gemeinde ist unaufgebbar; die Gemeinde darf nicht das Hauptziel sein. Aber die völlige Funktionalisierung der Gemeindeexistenz läßt die einzelnen Menschen in der Gemeinde aus dem Blick geraten — die Langsamen, die Schwachen, die Unentschiedenen, die Menschen am Rande. Wird die Gemeinde als ,Subjekt' gesehen, so kann an den Bedürfnissen der Menschen und an ihren Möglichkeiten nicht vorbei gedacht werden. Das Menschliche muß durch die Prozesse der Planung, in den Veranstaltungen und in der Weise der Kommunikation in der Gemeinde hindurchscheinen. Dann kann Gemeinde erlebt werden als der Ort, wo Menschen „Gutes und Entlastendes" erfahren. Wenn es zutreffend ist, daß Gemeinde nicht mehr eindeutig definiert, sondern nur beschrieben werden kann, so hat das Konsequenzen für eine theologische Ausbildung, die den Leitbegriff „Gemeinde" hervorhebt. Die notwendigen Befähigungen für die Tätigkeit im Berufsfeld sind damit viel stärker auf die Randzonen der traditionellen Gemeinde ausgerichtet. Zu diesen Befähigungen gehören: - Wahrnehmung verschiedener Anlässe als .Begegnungssituation' mit dem Glauben; - Vermeidung der Fixierung auf traditionelle Zuständigkeiten; - Befähigung dazu, Werte der christlichen Daseinsgestaltung in einem nichtchristlichen Kontext verstehbar und plausibel zu vertreten; - Befähigung, angstfrei mit Gruppen und Initiativen im Interesse der Menschen zu kooperieren; - Befähigung, das gemeinsame Fragen, Suchen und Unterwegssein in der Gemeinde zu leben. - Als eine übergreifende Grundbefähigung kann die zur Kommunikation mit Einzelnen oder mit Gruppen angesehen werden. „Gemeinde" als Leitbegriff für theologische Ausbildung kann somit nicht 116

allein eine Ausrichtung auf die vorfindlichen Strukturen bedeuten. Als Leitbegriff ist „Gemeinde" nur verwendbar, wenn die unaufhebbare Zugehörigkeit der Gemeinde zu dem konkreten, gesellschaftlichen und kulturellen Kontext stets mit im Blick bleibt.

2. Ökumenische Impulse zur Reform des Theologiestudiums Impulse zur Reform der theologischen Ausbildung in der D D R ergaben sich aus der intensiven Mitarbeit der DDR-Kirchen sowohl im Rahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen als auch im Lutherischen Weltbund. Solche Impulse kamen zustande: - durch persönliche Eindrücke von Theologen aus der D D R in anderen Kirchen und Ausbildungsstätten; - durch Besuche von Kirchenvertretern aus der Ökumene in der D D R und deren mitgeteilten Beobachtungen; - durch Beteiligung an den mit Ausbildungsfragen befaßten ökumenischen Gremien sowie der Rezeption von deren Arbeitsergebnissen durch kirchliche Gremien und theologische Ausbildungsstätten in der DDR. In gedruckten Veröffentlichungen haben solche Impulse bislang kaum Platz gefunden. Das bleibt erstaunlich angesichts der Tatsache, daß die ökumenischen Beiträge zum Gemeindeaufbau ausführlich publiziert worden sind.209 Manche der hier aufgenommenen Grundpositionen (Teilhabe an der Missio Dei; Ernstnehmen der Laien als kompetente Gesprächspartner u.a.m.) haben per se auch Geltung für die theologische Ausbildung. So finden sich entsprechende Konsequenzen in der Ausbildungskonzeption von 1975 wieder. Aber es fehlt bisher eine eigenständige Erörterung der durch solche Impulse gegebenen Herausforderungen für den Bereich der theologischen Ausbildung. Im Rahmen dieser Arbeit kann lediglich versucht werden, die wesentlichen ökumenischen Impulse in Erinnerung zu rufen und auf Probleme bzw. Ansätze ihrer Realisierung hinzuweisen.

209 Auf eine Begründung für diesen Tatbestand hat Chr. Lienemann-Perrin hingewiesen: Westliche theologische Ausbildungsstätten sind nicht abhängig von internationalen Organisationen. Sie brauchen sich nicht bei ökumenischen Gremien um finanzielle Unterstützung, zusätzliches Lehrpersonal oder um die Anerkennung der akademischen Standards zu bemühen. Darum „haben sie auch kein ernsthaftes Interesse an den inhaltlichen Perspektiven des TEF und an einer Einbeziehung der von ihm vorgeschlagenen ökumenischen Perspektiven". (Training for a Relevant Ministry. 1981) zit. η. Amirtham (1989), a.a.O., 154. — Analoges ist für die Situation der eine lange Tradition fortsetzenden und institutionalisiert geschehenden theologischen Ausbildung in der D D R zu sagen. In Fragen der Ausbildung wurde hier der Handlungsbedarf noch nicht so unausweichlich erlebt, wie in dem Bereich der Gemeindearbeit.

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2.1. Stichworte des „Program for Theological Education " (PTE) des Ökumenischen Rates der Kirchen Im Jahr 1958 wurde auf der Vollversammlung des „Internationalen Missionsrates" in Ghana der „Theologische Ausbildungsfonds" (TEF — Theological-Education-Foundation) gegründet. Seine Aufgabe wurde darin gesehen, vordringlich der Zweidrittelwelt bei Projekten zur theologischen Ausbildung zu helfen. 1977 wurde im Rahmen des Ökumenischen Rates das „Programm fiir Theologische Ausbildung" (PTE Program for Theological Education) geschaffen. Das Programm hat das Mandat, Kirchen in der Erneuerung und Reform theologischer Ausbildung für die Mission der Kirche zu helfen. Das Programm teilt als Untereinheit zusammen mit der Programmeinheit „Bildung und Erneuerung" des ÖRK dieselbe Zielsetzung: „Den Kirchen durch Ausbildungsund Erneuerungsprozesse dabei zu helfen, an den Veränderungen, die der christliche Glaube verlangt, an der Erneuerung der gesamten Kirche, an der Umwandlung der Gesellschaft und an der Stärkung der ökumenischen Bewegung teilzuhaben"210.

2.1.1. Der globale Horizont Ein wesentlicher Impuls aus der ökumenischen Bewegung ist die Ausrichtung aller Überlegungen und Ziele auf den globalen Horizont, auf die Vision einer erneuerten, geeinten Menschheit. Dabei kann die Kirche lediglich als Instrument zur Erreichung dieses Zieles gesehen werden, niemals aber als alleiniges Ziel. Die Vision der erneuerten, geeinten Menschheit fordert heraus zum Überschreiten aller Begrenzungen - zwischen Kirche und Nicht-Kirche, zwischen Konfessionen, zwischen Frauen und Männern, Alten und Jungen u.a.m. Alle Begrenzungen haben nur relative Bedeutung. Diese aber gilt es als zu dem konkreten Kontext gehörend wahrzunehmen. Ferner wird unter diesem globalen Horizont die Ganzheitlichkeit des Menschen ebenso wichtig, wie die Herausforderung zu ökumenischem Lernen. Die Sicht der Kirche als Instrument läßt als Träger der Mission von Kirche nicht einzelne, sondern das ganze Volk Gottes in den Blick kommen. Die hier angeführten Stichworte sollen im folgenden näher entfaltet werden.

2.1.2. Kontextualisierung Um der globalen Mission der Kirche willen muß Kontextualität ein wesentliches inneres Merkmal von Theologie sein. Das fordert eine fortwährende Analyse des sich verändernden gesellschaftlichen und kulturellen Kontextes. Es 2 1 0 Amirtham (1987), a.a.O., 213; Engel (1990), a.a.O., 109.

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steht die Frage: „In welcher Weise kann unsere Theologie eine innere Dynamik entfalten, die nicht nur auf das Verstehen von Gottes Wort und seiner Welt abzielt, sondern die auch zur Veränderung dieser Welt im Lichte des Wortes Gottes fuhrt?" 211 Für eine Antwort darauf ist nicht allein die Analyse des Kontextes nötig; es bedarf auch der Partizipation an ihm. S. Amirtham fuhrt paradigmatisch aus, wie wichtig die Wahrnehmung des Kontextes fiir die Formulierung der Leitfrage der Theologie sein kann:212 - Im europäischen und westlichen Kontext ist der Adressat der akademischen Theologie bisher der aufgeklärte Atheist, der gebildete Nicht-Gläubige. Leitfrage: „Wie kann ich in der modernen Welt an Gott glauben?". - In vielen Teilen der Welt sind die Adressaten der Theologie diejenigen Menschen, denen das Person- bzw. Menschsein strukturell verweigert wird. Leitfrage: „An welche Art von Gott glaube ich?". - In manchen Teilen der Welt ist der Dialogpartner der Theologie der Andersgläubige. Leitfrage: „Warum brauche ich einen anderen Gott, warum deinen christlichen Gott?". Der Weg der Kontextualisierung wird somit notwendig zu einer Pluralität von Theologien fuhren. Um hier eine gegenseitige Isolation möglichst zu verhindern und eine Inter-Kontextualisierung zu ermöglichen, sind Formen zu finden, die den eigenen Wahrnehmungshorizont auszudehnen und zu erweitern vermögen. So wird vorgeschlagen, „gewisse Zeiten dafür (zu) reservieren, sich auf eine Begegnung mit anderen Kontexten und Kulturen einzulassen"213.

2.1.3. Ganzheitlichkeit Theologische Ausbildung wird hier verstanden als Vorbereitung auf den Dienst in der Kirche (ministerial formation). „Ganzheitlichkeit" ist dabei ein SchlüsselbegrifF; er weist auf mehrere Aspekte hin: — Die ganze Existenz des Menschen ist hier mitbegrififen und darin auch das In-Beziehung-Sein mit anderen Menschen. — Lernen ist ein Prozeß, in dem Menschen eine Beziehung zu Gott und zu seinem Weg der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens entwickeln, damit sie diesen Weg miteinander gehorsam befolgen und auf alle Völker ausdehnen können. — Die Ausbildung muß darauf abzielen, den zukünftigen Dienstträgern der Kirche „eine innere Verpflichtung und Engagement fiir den Dienst in der Kirche und zu einem persönlichen Prozeß geistlichen Wachsens zu verleihen" 214 .

211 Amirtham (1989), a.a.O., 161. 213 Ebd., 163.

212 Zum Folgenden vgl. ebd., 159. 214 Ebd., 162.

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Es geht darum, die Ganzheidichkeit in der Ausbildung zu bewahren, indem die drei konstitutiven Elemente in ihrer Beziehung konsequent beachtet werden: — theologisch-intellektuelle Ausbildung, — berufsorientierte-pastorale Ausbildung, — persönlichkeitsbezogene-geistliche Ausbildung. Für die notwendige Integration dieser drei Elemente in der theologischen Ausbildung werden wiederum drei Aspekte genannt: — Spiritualität und ihre Integration. Unterstützt werden diese Bemühungen durch das Leben in einer Gemeinschaft; durch gemeinsame Gottesdienste, durch eine helfende seelsorgerliche Begleitung in der Beziehung zwischen Studenten und Dozenten, durch den Austausch persönlicher Erfahrungen und durch Interaktion mit tätigen Pastoren.215 — Erkennbare Beziehung der einzelnen theologischen Disziplinen untereinander. — Reflexion der Beziehung zwischen lernendem Handeln im Kontext der Universität und lernendem Handeln im Kontext von Gemeinde und Gesellschaft. „Der Glaube findet unterschiedlichen Ausdruck im akademischen und intellektuellen Bereich, in Gebet, Gottesdienst und geistlicher Erfahrung, im Alltag und in praktischem Gehorsam."216 In der theologischen Ausbildung insgesamt geht es um eine Form des Lernens, in der theoretische und praxisbezogene Momente in wechselseitiger Bezogenheit zueinander stehen.

2.1.4. Ökumenisches Lernen Der Begriff „Ökumenisches Lernen" (ecumenical learning) hat bereits eine Geschichte.217 Der Inhalt des Begriffes ergibt sich wiederum aus dem Ernstnehmen der globalen Perspektive, ebenso aber aus der Befolgung des Gebotes der Kontextualisierung. Ausgehend von der Vision einer erneuerten geeinten Menschheit kommt einer rein binnenkirchlich oder konfessionellen Perspektive nur noch sehr eingeschränkte Bedeutung zu. Das Wissen um Gottes Willen und Weg ermöglicht ein ökumenisches Lernen, das die Partizipation am ökumenischen Prozeß einschließt.

215 Vgl. dazu auch „Spiritual formation ...", a.a.O., bes. 17f. 216 Amirtham (1989), a.a.O., 162. 217 Vgl. U. Becker, Ökumenisches Lernen, in: K. Goßmann (Hrsg.), Glaube im Dialog. Gütersloh 1987, 247ff.; W. Weiße, ökumenisches Lernen: Möglichkeiten und Grenzen einer neueren pädagogischen Dimension, in: ÖR 38/1989, 18Iff.

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Zur Konkretisierung fur die theologische Ausbildung wurden drei Ebenen im Blick auf das Wort „ökumenisch" unterschieden: 218 -

Die interkonfessionelle Ebene Hierzu gehört die Offenheit anderen Konfessionen gegenüber und die Wertschätzung von ,Reichtümern' anderer christlicher Traditionen. Diese Offenheit schließt eine Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen ein. Es kann aber auch zum Gewinnen von Positionen kommen, in denen Kirchen neue Gemeinschaft finden.

-

Die transkonfessionelle Dimension. Hier haben die Anliegen z.B. des konziliaren Prozesses - Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung - ihren Ort. Es kommt notwendig zu Beziehungen mit Menschen anderer Weltanschauungen und Religionen und damit auch zu Formen interkulturellen Lernens.

-

Die metakonfessionelle Dimension. Hier sind die Basisgruppen, die ökumenischen Versuche von unten auf lokaler Ebene im Blick. Es geht dabei um die Ermöglichung eines Dialogs zwischen den Basisbewegungen und den Kirchen.

2.1.5. Ausbildung zum Dienst des ganzen Volkes Gottes Um der globalen Perspektive willen geht es darum, Menschen zu finden und zu befähigen, „die Botschafter der Versöhnung sein können in einer ungerechten und zerspaltenen Welt" 219 . Mit dem Hinweis auf die gegenseitige Bezogenheit von Inhalten und Zielen theologischer Ausbildung sowie der Vision von Kirche und ihrer Sendung in dieser Welt ist auch hier die Grundlage bezeichnet. Das schließt ein eine kritische Position zu Erwartungen der Kirche an die theologische Ausbildung und bewahrt diese vor zu starker Funktionalisierung. Auf der Seite der Auszubildenden wird als Voraussetzung die christliche Berufung und die Treue zum Evangelium angesehen. Sie führt zu einer kritischen Einstellung und Unabhängigkeit sowohl gegenüber der Welt akademischer Wissenschaft als auch gegenüber der Wirklichkeit der gegenwärtigen Kirche.220 Der Dienst, fur den ausgebildet wird, ist determiniert durch die Vision von Kirche, durch das Gebot der Kontextualisierung und durch die Ganzheitlichkeit des Theologie-Treibens, in der Theologie durch das Volk Gottes (Theology by the people) gemacht wird. Das allgemeine Ziel der Ausbildung ist mit der verbindlichen Aussage bestimmt, daß die Studentinnen „einmal Interpreten der Bibel und Lehrer des Glaubens in einer Sprache werden sollen, die von ihrer

218 Vgl. Amirtham (1989), a.a.O., 156 sowie Wolf, a.a.O., 464. 219 Ebd., 153. 220 Vgl. ebd., 164.

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Gemeinde verstanden wird"221. Die genaue Ausformung ihrer Rolle als Theologen kann nur in einigen, mehr allgemeinen Gesichtspunkten gegeben werden und bleibt der Konkretisierung im jeweiligen Kontext vorbehalten. Zu den Aufgaben der professionellen Theologen im Prozeß einer Theologie durch das Volk Gottes gehören:222 — Befähigung der Gemeinde zu einem eigenständigen Leben und zu eigenständiger theologischer Arbeit (enabler for congregation); — Ermöglichung des Zugangs der Gemeinde gleichzeitig zum Erbe der biblischen Schriften und zur universalen Kirche; — Bewahrung vor der Gefahr, daß Theologie an der Basis zu einer nationalistisch-populistischen Theologie verkommt; Insbesondere sind folgende Befähigungen anzustreben: — Zum Zuhören auf die Leidensgeschichten derer, die im Volk leiden; — Zum Erzählen von Hoffnung; — Zur Arbeit für Gerechtigkeit; — Zum Lernen der Sprache der Leidenden und Armen; — Zur Interpretation ihrer Erfahrungen im Licht des Evangeliums; — Zur Verfugbarmachung der Erfahrungen der weltweiten Kirche fur sie. Die Konsequenzen dieser Zielbeschreibungen für die theologische Ausbildung müssen in alle drei konstitutiven Momente integriert werden, d.h. sowohl in die theologisch-intellektuelle, als auch in die berufsorientiert-praktische und die persönlichkeitsbezogene-geistliche Ausbildung.

2.2. Überlegungen und Ansätze zur Realisierung ökumenischer Impulse Im Jahr 1980 veranstaltete das PTE in Herrnhut (DDR) eine Konsultation zur theologischen Ausbildung im europäischen Kontext. Durch diese Konsultation wurden viele Anregungen gegeben. Gleichzeitig wurde damit eine Zusammenfassung versucht. Ein kritischer Beobachter hat dazu konstatiert: „Herrnhut hat sich schwer getan, aus den ökumenischen Anregungen eine Vision für Theologietreiben und Theologievermittlung in Europa zu entwickeln."223 Einige Aussagen zu den o.g. Stichpunkten werden im folgenden aus der Dokumentation 224 angeführt. Im Jahre 1987 wurde in Iserlohn in Zusammenarbeit mit dem PTE eine Tagung veranstaltet zum Thema: „Lernen und Leben für die Zukunft der Kirche".225 Als Arbeitsmaterial dazu wurde ein Papier erarbeitet: „Pia desideria oecumenica. Ökumenische Perspektiven theologischer Ausbildung im west221 223 224 225

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Ebd., 163. 222 Vgl. hierzu ebd., 167. Engel (1983), a.a.O., 320. Dokumentation in: „Theological Education in Europe", a.a.O. Vgl. Raiser (1988), a.a.O.

deutschen Kontext". 226 Die hierin unternommenen Versuche der Konkretisierung fur den Kontext der alten Bundesländer werden ebenfalls den o.g. Stichworten zugeordnet. Dort, wo es möglich ist, wird schließlich auf Arbeiten verwiesen, in denen eine Konkretisierung der Stichworte für den Kontext der D D R versucht worden ist. Der globale Horizont Herrnhut hat herausgestellt: Wenn Gott der Gott aller Menschen ist, so gilt die Verantwortung für diesen weiten Horizont. Theologische Ausbildung muß demnach einschließen eine Erziehung zum Frieden und zur sozialen Verantwortung. Theologische Ausbildung sollte Menschen zum Wachsen verhelfen im Wissen um und im Engagement flir die Menschenrechte, für Gewaltlosigkeit und für Strategien zur Vertrauensbildung zwischen Einzelnen, Völkern und Nationen.227 Als Christen sind auch die Theologen an der Mission der Kirche angesichts der Gespaltenheit der Welt beteiligt. Die Vision von der erneuerten, geeinten Menschheit verlangt Bestrebungen nach der Einheit der Christen. Dazu kann und soll theologische Ausbildung einen Beitrag leisten. Kontextualisierung Europa als Kontext der theologischen Ausbildung war das Thema der Konsultation in Herrnhut. Jeder Ort und jedes Land ist im Licht der biblischen Heilsbotschaft zu sehen.228 Darum gibt es ein notwendiges Interesse an den politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen des jeweiligen Kontextes. Zum Kontext der theologischen Ausbildung in Europa gehört auch der wissenschaftliche Anspruch der Theologie. Im Blick auf den Kontext der alten Bundesländer wird ein Engagement für die Erneuerung der Sendung der Kirche in der dortigen Gesellschaft gefordert. Dazu gehört das Wahrnehmen der sozialen, politischen und ökonomischen Konflikte ebenso, wie auch das Wahrnehmen der nicht-christlich oder andersreligiös bestimmten Lebensbereiche in der Gesellschaft. Dazu wird die Einrichtung von studienbegleitenden Praktika im Bereich von Industrie- und Sozialarbeit empfohlen.229 Für die D D R hat J. Langer Konsequenzen aus der Kontextualisierung für Theologie und Kirche detailliert aufgearbeitet.230

2 2 6 Gedruckt in: W . Engel/D. Werner (Hrsg.), ökumenische Perspektiven theologischer Ausbildung. 1990, 130ff. 2 2 7 Vgl. „Theological Education ...", a.a.O., 13. 2 2 8 Vgl. ebd., 12. 2 2 9 Vgl. „Pia desideria oecumenica", a.a.O., 140. 2 3 0 Vgl. Langer (1988), a.a.O.

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Ganzheitlichkeit Damit ist ein gewichtiges Anliegen von Herrnhut bezeichnet. Theologie wird nicht um ihrer selbst willen getrieben, sondern um zu helfen, mit gestärktem Glauben am jeweiligen Platz in der Gesellschaft zu leben.231 Bei der Erziehung zum Dienst kommt - als Ergänzung der akademischen Programme - der Entwicklung der Persönlichkeit große Bedeutung zu. Gesucht wird nach einer Struktur ftir gemeinsames Leben und für persönliche Führung in der theologischen Ausbildung. Ökumenische Verantwortung wird weniger auf cognitive Weise geweckt; sie wächst vielmehr aus der Erfahrung, daß Partner mit anderen Formen gottesdienstlichen Lebens von der gleichen Hoffnung auf die Verwirklichung des Heils leben. Spiritualität wird als Erinnerung an die weltweite Gemeinschaft der Hoffnung 232 gesehen und ist somit unverzichtbar. Im deutschen Kontext wird ein Bedürfnis nach Verknüpfung von Wissenschaft und Leben konstatiert. Befristete Koinonia-Bildungen werden als hilfreich beschrieben. Insgesamt aber wird Ganzheitlichkeit und Spiritualität als notwendige Dimension der Ausbildung gesehen, ohne daß für ihre Realisierung konkrete Hinweise gegeben werden können. Im Jahr 1987 veranstaltete das PTE einen „Workshop of Spiritual Formation" in Iona (Schottland), dessen Ergebnisse und Empfehlungen publiziert worden sind.233 F. Winter hat diese Studie ausfuhrlich dargestellt und ausgewertet.234 Winter konstatiert für die theologische Ausbildung in der DDR die „Abwesenheit einer,volkskirchlichen Grundspiritualität'". Andererseits gibt es eine große Erfahrungs- und Verhaltensbreite in Bezug auf Einstellungen. Das macht das Bedenken der spirituellen Seite der theologischen Ausbildung dringlich. Dabei sollten vier Aspekte bedacht werden: das Leben aus Gottes Wirklichkeit, die Existenz in kirchlicher Umgebung, die Erfahrung der eigenen Identität, die Erkenntnis der Weltwirklichkeit.235 Winter fordert von Theologiestudentinnen, sie „sollte(n) soviel wissen und praktisch können, wie der durchschnitdich erfahrene Lektor einer Gemeinde"236. Dazu werden gezählt der sonntägliche Gottesdienst, eine Grundeinstellung zu den einfachen Regeln des Gebets im Laufe eines Tages, ein regelmäßiges Geldopfer. Ferner sollte die Ausbildung dazu befähigen, daß der/die Theologin „unterschiedliche Spiritualitäten kennt, sie unvoreingenommen mitzuerleben bereit wird, ihre Stärken und Schwächen erfühlen kann und darüber seinen eigenen Stil behält oder sich bereichern läßt"237. Spiritualität kann aber nicht allein Bestandteil der Ausbildung sein. Vielmehr sollten nach Winter Studentinnen mit einer elementaren Spiritualität ins 231 232 233 234 236

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Vgl. „Theological Education ...", a.a.O., 12. Vgl. ebd., 103. „Spiritual formation ...", a.a.O.; ferner Engel (1990), a.a.O., 11 Iff. Winter (1989), a.a.O. 235 Vgl. ebd., 281. Ebd., 282. 237 Ebd.

Studium eintreten. Dringlich aber bleibt die von der Theologie zu leistende Aufgabe, eine verantwortlich durchdachte Position zur Spiritualität und zur Frömmigkeit zu erarbeiten.238 W. Ratzmann geht in einem Beitrag der Frage nach: „Wie fromm muß ein Pastor sein?".239 Auch hier wird die Notwendigkeit der Anwesenheit von Spiritualität betont. Mit Steffensky stellt Ratzmann fest: ,Alles, was man wirklich will, worauf man wirklich hofft, woran man mit seinem Herzen glaubt, braucht seine Gestalt... Ich kann mich nur selbst erkennen in dem, was ich glaube und hoffe, wenn ich meinem Glauben und meinen Hoffnungen eine Gestalt gebe."240 Das Problem der Spiritualität wird u.a. darin gesehen, daß Spiritualität herausfordernde Lebensthemen und -inhalte nicht gegenwärtig sind. Ein Blick in die Ökumene zeige, daß lebendige Frömmigkeit dort wächst, wo Menschen ihren Glauben bewußt im Kontext einer Situation des Hungers, der Unterdrükkung, der Perspektivlosigkeit oder eines neuen Aufbruchs feiern.241 Darum gehört zum Erlernen von Frömmigkeit neben dem Ausprobieren geistlicher Formen und neben der Begegnung mit anderen auch das Wahrnehmen der Situation notwendig dazu. Die Fürbittgottesdienste bzw. die Gottedienste für die gesellschaftliche Erneuerung im Herbst 1989 in der DDR haben gezeigt, wie das Wahrnehmen der Situation sowie das Aufnehmen herausfordernder Lebensthemen zu einer lebendigen Spiritualität fuhren können. Ökumenisches Lernen

Herrnhut fordert dazu auf, Möglichkeiten zu ökumenischem Lernen in der theologischen Ausbildung zu suchen bzw. auszubauen. Insbesondere sollten Informationen über andere Kirchen und deren Traditionen einen wichtigen Platz erhalten. Studien über das liturgische und spirituelle Leben anderer christlicher Traditionen sollten angeregt und gefördert werden. Ausdrücklich wird das Erlernen lebender Fremdsprachen und das Gespräch mit Personen anderer Kulturen empfohlen. Ferner wird ein Austausch von Dozenten und Studenten in theologischen Ausbildungsstätten in Europa und darüber hinaus befürwortet.242 Für die theologische Ausbildung in der BRD werden die Wahrnehmung der Chancen zur Verknüpfung partikularer und globaler Fragestellungen, zu interdisziplinärer Arbeit und zu Differenzerfahrungen im Blick auf die eigene Tradition gefordert. Das Uberschreiten der Grenzen der eigenen Herkunft, 238 239 240 241 242

Vgl. ebd. Ratzmann (1989), a.a.O. F. Steffensky, Feier des Lebens, 1984,120 - zit. n. Ratzmann (1989), a.a.O., 361f. Vgl. Ratzmann (1989), a.a.O., 36lf. Vgl. „Theological Education ...", a.a.O., 16

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Biographie, Theologie und Kultur, die Überwindung von standortbedingten Vorurteilen und von Wahrnehmungsverengung sollte in der Ausbildung angelegt sein. „Es sollte heute keinen angehenden Theologen/in und Dozent/in mehr geben, der/die innerhalb der theologischen Ausbildung nicht einmal dazu genötigt worden ist, sich mit einer herkunftsfremden Tradition auseinandergesetzt bzw. einmal den eigenen Kontext mit den Augen anderer gesehen zu haben - und sei es im ökumenischen Kontext innerhalb der nationalen Grenzen (z.B. mit römisch-katholischen, methodistischen oder baptistischen Kirchen)." 243 Für den Bereich der DDR gab es vereinzelt Möglichkeiten, Studenten oder Absolventen zu ökumenischen Kursen oder Gastseminaren zu delegieren. Die Erfahrungen solcher Möglichkeiten ökumenischen Lernens sind bisher kaum veröffentlicht worden. 244

Ausbildung für den Dienst des ganzen Volkes Gottes Theologie ist die gemeinsame Sache einer Gemeinschaft, in der ein sicherer Stil der Beziehungen von großer Wichtigkeit ist. Alle sind Lehrende und alle sind Lernende. 245 Es geht nicht um die Gleichförmigkeit von theologischer Ausbildung an verschiedenen Orten. Vielmehr hat sich die Ausbildung an der Unterschiedlichkeit der Dienste zu orientieren. 246 Für die Situation in den alten Bundesländern wird eine Förderung von Formen gemeinsamen und sozialen Lernens empfohlen. Es wird erwogen, Zusammenhänge zwischen akademischer Ausbildung und Laienausbildung zu intensivieren und „akademisch gebildete Theologen/innen auf ihre hörende und mitlernende, befähigende und kooperative Rolle innerhalb der umfassenden theologischen Lerngemeinschaft von Kirche und Gemeinde vorzuberei-

2 4 3 „Pia desideria oecumenica", a.a.O., 140. 244 In der Zeitschrift „Die Christenlehre" werden solche Erfahrungen mitgeteilt, hier aber von Mitarbeitern der Kinder- und Jugendarbeit, nicht aber aus dem Bereich der theologischen Ausbildung. 245 Vgl. „Theological Education ...", a.a.O., 13. 2 4 6 Vgl. ebd., 14. 2 4 7 „Pia desideria oecumenica", a.a.O., 137.

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3. „Motivation " oder „Frustration "-Zur Bedeutung des Praxisbezuges im Theologiestudium 3• 1. Theoretische Erörterungen 3.1.1. Praxisbezug als Dimension jedes Studiums Die Nötigung zu praktischen Phasen im Studienprozeß ergibt sich aus diesem selbst und ist in der gegenwärtigen hochschuldidaktischen Diskussion unbestritten. Praktische Tätigkeiten stellen neben der kognitiven Aneignung eine andere Art des Lernens dar. Sie gestatten in beschränktem Umfang eigenverantwortliche Entscheidungen der Studentinnen und fordern diese geradezu. Sie ermöglichen ferner eine andere Art der Erfolgskontrolle, sei es durch sichtbare Resultate im naturwissenschaftlich-technischen Bereich oder durch personale Interaktion im geisteswissenschaftlichen Bereich. Somit wird auch dem entwicklungspsychologisch bedingtem Drang zur Selbsttätigkeit und zur eigenverantwortlichen Aktivität entsprochen. Im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich sind Labor-Praktika daher selbstverständliche Bestandteile des Studiums von Beginn an. Das traditionelle Theologiestudium kennt solche praktischen Phasen — zumindest am Studienbeginn — nicht.

3.1.2. Der Praxisbezug aller theologischen Disziplinen Die Bestimmung der ganzen Theologie als „sapientia eminens practica"248 macht deutlich, daß zwischen der Erkenntnis Gottes und der daraus folgenden Lebensgestalt keine Trennung möglich ist. Trotz der späteren Scheidung von Theologie (= Erkenntnis Gottes, Theorie) und christlicher Praxis (= Lebensgestalt der Gotteserkenntnis) bleibt die alte Bestimmung in Geltung. Der Theologie wohnt eine drängende Tendenz zum „Lautwerden", zur „Gestaltwerdung" der Gotteserkenntnis inne.249 Insofern konnte davon gesprochen werden, daß die ganze Theologie „kirchlich" ist - keinesfalls nur die Praktische Theologie, aber auch sie. H.-G. Fritzsche unterscheidet vier Strukturtypen der Theologie: Die doktrinäre Theologie, die kritische Theologie, die Kultur- und Bildungstheologie und schließlich die Verkündigungstheologie.250 Dabei ist kein beliebiges Neben- oder Nacheinander der vier Strukturtypen anzunehmen. Vielmehr drän248 Das Zitat von Hollaz nach K.H. Ratschow, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung. I. 1964, 42. 249 Vgl. G. Sauter, Der Praxisbezug aller theologischen Disziplinen, in: Klostermann/ Zerfaß, a.a.O., 119ff. 250 Vgl. H.-G. Fritzsche, a.a.O., 17f.

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gen die ersten drei Typen aus sich heraus zur Form der Verkündigungstheologie.251 Zwar wird man heute kaum noch zwischen einer primären Form der Verkündigung (Predigt, Unterricht) und einer sekundären Form (Populärwissenschaftlicher Gemeindevortrag) unterscheiden mögen252, aber die grundlegende Tendenz aller Theologien und damit auch jeder einzelnen zum „Lautwerden" und „Weitersagen" bleibt in Geltung. Das gilt auch für die Praktische Theologie.253 Der Drang zur Praxis, zum Lautwerden der Verkündigung, zur „Lebensgestalt" der Theologie, ist der Theologie selber und somit auch dem Studium derselben eigen.

3.1.3. Aspekte des Praxisbezuges anhand der Einfuhrungsliteratur zum Theologiestudium „Nein, unsere theologischen Fakultäten sind nicht einfach Bildungsstätten für künftige kirchliche Diener, sondern Wahrheitsstätten in erster Linie wollen sie sein ..."254 So programmatisch wurde es 1908 von Ε Wernle formuliert. Die das Studium der Theologie bestimmenden Bemühungen um die Wahrheit haben deshalb keinen praktischen Bezug, weil „wirkliche Praxis überhaupt nicht vor Ausübung des Berufes und außerhalb des Lebens - das ist doch die Stellung des Studierenden — gelernt werden kann"255. Die Situation des Studierenden „außerhalb des Lebens", im Reich der freien, unabhängigen Wissenschaft verbietet eine praktische Einübung für spätere Praxis. Es ist wichtig, daraufhinzuweisen, daß diese Zurückhaltung gegenüber berufsbezogener Tätigkeit keinesfalls eine Ausblendung des Berufsfeldes aus dem Studium einschließt. Vielmehr geht es Wernle ausdrücklich um die drei Faktoren „Gegenwartswirklichkeit, kirchliche Tradition und Evangelium Jesu"256 und um ihre Wechselwirkung. Der Praktischen Theologie werden dabei folgende Aufgaben zugewiesen: Sie hat „hinzuweisen gerade über sich selbst hinaus auf das große, ernste wirkliche Leben, Gegenwartssinn, Wirklichkeitssinn im Zuhörer anzuregen, ihn durch Vorträge und Bücher über diese hinaus auf die Anschauung lebendiger Menschen zu drängen. Sie soll ihm sagen: so und so sind die Menschen auf dem Land, in den Fabrikorten und Industriequartieren, in den reichen Quartieren, das und das bewegt sie, interessiert sie oder ist ihnen verhaßt aber stets mit dem Zusatz: und das alles kann da und dort ganz anders sein, schau einmal selber. Zweitens hat sie die bestehende kirchliche Praxis vorzuführen... Drittens hat sie auf das Einfache, Volkskirchliche und Ewige zurückzugehen, Jesus Christus und sein Evangelium, und zu

251 Vgl. ebd., 278. 253 Vgl. dazu auch Braun, a.a.O., 66f. 255 Ebd., 465.

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252 So ebd., 263. 254 Wernle, a.a.O., 23. 256 Ebd., 464.

suchen, wie dieses durch wie ohne die gegebene kirchliche Praxis an die Menschen unserer Tage in ihrer phänomenalen Buntheit und Verworrenheit herankommen kann, immer mit dem Doppelziel: Leben in der Alltagswirklichkeit und in starker Brüdergemeinschaft." 257 Bei späteren Autoren stehen andere Aspekte eines Praxisbezuges stärker im Vordergrund. So fordert R. Otto 1919, „dem Streben des jungen Menschen nach baldiger ,Selbsttätigkeit'" im Theologiestudium mehr Beachtung zu schenken. 258 Und 1931 beschreibt H. Mulert die Beschränkung auf die einseitige, intellektuelle Tätigkeit im Studium als Gefahr. Darum „soll man bei diesem Studium immer wieder in Berührung mit religiösem Gemeinschaftsleben kommen, mit Auswirkungen christlichen Geistes in Andacht und Gebet, also im Kult, vor allem in Taten der Liebe, in christlicher Arbeit gegen Not und Unrecht". 259 Nach M. Doerne hat die Gliedschaft von Theologiestudenten in der Parochialgemeinde eine wichtige Funktion für die theologische Ausbildung. So werde am wirksamsten der unguten Verwechslung der Kirche mit einem christlichen Bruder- oder Freundschaftsbund gewehrt. 260 Dazu können auch Möglichkeiten zum Predigen o.ä. bei einem Mentor treten. Aber der eigentliche Beruf ist jetzt das Studium, nicht die kirchliche Praxis.261 In neuerer Zeit hat P. Krusche ausdrücklich die Relevanz der Berufsperspektive fur das Studium der Praktischen Theologie betont. Dabei geht es um das Ziel, die Studentinnen „zu einer verstehend-kritischen Wahrnehmung vorhandener und möglicher kirchlicher Tätigkeitsfelder anzuleiten" 262 . H. Schröer macht darauf aufmerksam, daß „Praxisbezug während des Studiums vor allem heißt, mit den Mitstudierenden kommunikativ umzugehen und Theologie nicht als Einsiedlerkrebs zu betreiben"263. In den beiden letzten Erwähnungen wird nun der Studienprozeß als ganzer zum Ort des Praxisbezuges.

3.1.4. „Praxisbezug" als Problemhorizont aktueller Konzeptionen zum Theologiestudium „Das heutige Theologiestudium zielt nicht eindeutig genug auf die Ordination und rüstet den jungen Theologen nicht eindeutig genug für die heute im Pfarramt gestellten Aufgaben zu. "264 In dieser Kritik von W. Hahn aus dem Jahr 1952 wird deutlich, daß das Theologiestudium primär unter dem Aspekt berufsfunktionaler Ausbildung gesehen wird. Hier werden die mit der Ordination definierten Pflichten und Tätigkeiten der Pfarramtsinhaberinnen als Kri257 259 261 263

Ebd. Mulert, a.a.O., 16. Vgl. ebd., 125 Schröer, a.a.O., 162.

258 260 262 264

R. Otto, a.a.O., 291. Vgl. Doerne, a.a.O., 118. P. Krusche, a.a.O., 96. Hahn, a.a.O., 632.

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terium angenommen und von daher anzustrebende Fähigkeiten und Fertigkeiten deduziert. In der jüngsten Diskussion zur theologischen Ausbildung im Kontext der alten Bundesländer geht es um ein Verständnis des Theologiestudiums als Berufsausbildung für Pfarramtsinhaberinnen. Dabei kommt dem Begriff „theologische Kompetenz" eine Schlüsselrolle zu: „.Theologische Kompetenz' ist der Inbegriff der Fähigkeiten, die fur die auftragsgemäße und professionelle Führung des Pfarramtes erforderlich sind." 265 Sie ist gefordert als „die Fähigkeit, im Lichte der angeeigneten kirchlichen Lehre die gegebene Situation des Amtes zu begreifen, ihre gegenwärtigen Aufgaben (Probleme) zu erkennen, sowie Lösungen zu entwerfen und durchzufuhren"266. Der Praktischen Theologie kommt in dieser Konzeption die Aufgabe zu, die theoretischen Ergebnisse des Studiums der anderen Fächer zusammenzufassen zu einer eigenen „Vorstellung von auftragsgemäßer Führung des Pfarramtes" 267 . Im Zentrum dieser Konzeption steht ein ausgeprägtes Amtsverständnis, von dem her alle dazu erforderlichen Inhalte und Qualifikationen deduktiv entwikkelt werden. „Praxis" wird hier nur auf der theoretischen Ebene reflektiert und ausschließlich mit kognitiven Vollzügen in Verbindung gesetzt. Ferner ist zu fragen, ob die strenge berufsfunktionale Beschreibung des Studiums angemessen ist. Eine kritische, innovierende Funktion der Theologie fur die Praxis des Pfarramtes kommt nicht in den Blick. Auch die Vorschläge zur Reform des Theologiestudiums in der D D R gehen von einem Oberbegriff aus. Hier ist es der Leitbegriff „Gemeinde", der in relativ undifferenzierter Verwendung im Mittelpunkt steht. Von hier aus werden die erforderlichen Qualifikationen abgeleitet, die durch das Studium erreicht werden sollen. Da ein zugrundeliegendes Gemeindeverständnis fehlt, ist auch keine kritische Position zu der vorfindlichen Gemeindesituation im Blick. Somit wird auch hier das Theologiestudium vor allem berufsfunktional gesehen. In diesem Zusammenhang erscheint es hilfreich, mit H. Luther zwischen „berufsfunktionalen und extrafunktionalen Qualifikationen" im Theologiestudium zu unterscheiden.268 Im Blick auf die berufsfunktionalen Qualifikationen ist die Frage nach den Kriterien von entscheidender Bedeutung. Gibt es solche Kriterien zur Beurteilung von Berufsnormen? Oder läuft eine Orientierung daran nicht eher auf eine Stärkung der gegenwärtigen Situation und somit gerade auf eine Verhinderung innovativer Veränderungen in Kirche und Gemeinde hinaus? Luther versteht demgegenüber unter Berufsbefähigung die Befähigung zur 265 Grundsätze, a.a.O., 6. - Zu dem Begriff „Theologische Kompetenz" vgl. die im Literaturverzeichnis angegebenen Titel von E. Herms. - Vgl. auch oben, S. 29f. 266 Ebd. 267 Ebd., 35. 268 Vgl. Luther (1976), a.a.O., 398.

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Theorie (im Unterschied zum Besitz von Wissensstoff) sowie die Befähigung zur Konzipierung von Schritten zur Realisierung dieser Theorie. Damit ist dem Individuum viel zugemutet und zugetraut. Dieser ,Berufsbefähigung' durch die Determinante „Wissenschaft" korrespondiert im Studium als Lern- und Sozialisationsprozeß die Determinante „Individuum". Danach läßt sich das Studium als Erwerb beruflicher Rollenmuster und als die Befähigung zu rollenspezifischem Verhalten beschreiben, nicht aber als Integration in berufliche Rollenerwartungen. Das Rollenhandeln wird nur angemessen verstanden, wenn es als Wechselspiel von empathisch-einfühlender Rollenübernahme und aktiver, kreativer Rolleninterpretation wahrgenommen wird. „Der Qualifikationsprozeß hätte also beides gleichermaßen zu leisten: angemessene Kenntnis des beruflichen Rollenmusters und Entfaltung kritischer Ich-Fähigkeiten, die das bestehende Rollenmuster zu transzendieren und kreativ zu verändern erlauben." 269 So verheißungsvoll der Entwurf von H. Luther auch wirken mag, so bleibt doch die Frage nach seiner Realisierung bisher völlig offen. Durch welche Organisationsform des Studiums kann die angestrebte Qualifikation angebahnt und erreicht werden? Es fehlt eine Diskussion der inhaltlichen Momente des Studiums und ihrer Zuordnung zu dem angestrebten Ziel. Auch die Frage nach dem „angemessenen Rollenmuster" und den für diese Beurteilung geltenden Kriterien ist noch nicht beantwortet. Die Begründung der Nötigung von Praxis aus der Berufsbezogenheit des Studiums her weist auf zahlreiche offene, ungelöste Fragen und Probleme hin. Eine andere Möglichkeit ergibt sich, wenn man den Anstößen aus der Ökumene folgt und an den Beginn der Überlegungen eine Vision von Kirche setzt. Von daher ergeben sich dann Folgerungen für die Form der Dienste und somit Antworten auf die Frage nach dem „wofür" der theologischen Ausbildung. Als praktische Momente wären hier Fähigkeiten und Fertigkeiten zu beschreiben, an der Vision von Kirche mitzuwirken. Auch in diesem Konzept geht es um eine funktionale Berufsbildung durch das Theologiestudium. Es ist ferner zu fragen, ob der geforderte kritische Kirchenbegriff, die Vision von Kirche, überhaupt so fixiert werden kann, daß konkrete Folgerungen für die Form des Dienstes daraus abgeleitet werden können. Es scheint so, daß ein solcher Kirchenbegriff primär seine Bedeutung als kritische Instanz gegenüber der vorfindlichen Realität hat - und, zumindest im europäischen Kontext, auch nur haben kann. Die vorgeführten Konzeptionen und die Überlegungen dazu haben aber doch deutlich gemacht, daß Theologie und theologische Arbeit nicht allein unter dem Blickwinkel funktionaler Berufsbildung gesehen werden darf. Theologische Arbeit und theologisches Studium haben nicht die alleinige Funktion der Berufsbildung für das „Amt der Kirche", fur die „Ordination" oder für die Vorbereitung zur Über269 Ebd., 402. 131

nähme der Berufsrolle „Pfarramt". Vielmehr ist der theologischen Arbeit und ebenso dem theologischen Studium eine kritische Kraft eigen, die zu Veränderungen der Praxis in der Kirche und in der Gesellschaft beigetragen hat und auch fernerhin beitragen kann. Die Befähigung zum theologischen Arbeiten darf daher nicht auf den berufsfunktionalen Aspekt eingeengt betrachtet und verhandelt werden. Die getroffene Feststellung dispensiert nicht davon, die Frage nach dem Anteil und der Funktion von .Praxis' im Theologiestudium zu bedenken. Dabei muß es nun darum gehen, die unterschiedlichen Fassungen des Praxisbezuges im Theologiestudium zu ordnen und auf ihre Schlüssigkeit und Realisierbarkeit hin zu überprüfen. Durch Heranziehen von Literatur über Praxisprojekte wird eine Erweiterung der bisher angeführten Aspekte angestrebt. Zunächst soll der Studienprozeß als Ganzer als Praxisfeld wahrgenommen und beschrieben werden. Danach sind weitere einzelne Aspekte des Praxisbezuges zu thematisieren.

3.2. Der Studienprozeß als Praxisfeld 3.2.1. Zur Motivationslage am Studienbeginn Fragt man danach, wo „Gemeinde" fur Studentinnen im Zusammenhang des Studienprozesses seinen Ort hat, so ist zunächst auf die Motivationslage zu Studienbeginn und auf die damit verbundene Berufsorientierung hinzuweisen. Dabei können eigene Erlebnisse konkreter Gemeindearbeit oder aber auch punktuelle, positive Erlebnisse im Bereich Gemeinde/Kirche im Hintergrund stehen. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß eine große Zahl der Studienbewerber die Wahl des Theologiestudiums begründen mit der Formulierung: „Ich möchte Menschen helfen." 270 Oft wird noch hinzugefügt: „Dafür sehe ich im Raum der Kirche die beste Möglichkeit." Nicht selten wird auch noch das spezifizierte Berufsziel .Krankenhausseelsorger' hinzugefügt. Die Berufsperspektive steht mit dieser Ausgangslage in einer Kontinuität: Persönlich beeindruckend erlebtes Handeln soll in der Perspektive selbst übernommen und optimiert werden können; befreiende und beglückende Erlebnisse sollen durch Vertiefung bestärkt und gesichert sowie durch entsprechende Befähigung auch anderen ermöglicht werden. Der gegebene Rahmen hierfür wird im Raum der Kirche bzw. der Gemeinde gesehen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der gesellschaftspolitische Kontext in der DDR für diese Orientierung von entscheidender Relevanz gewesen ist. Von dieser Motivationslage her

2 7 0 Vgl. dazu J. Ziemer, In Freiheit helfen, in: ZdZ 44/1990, 6ff.; vgl. ferner Riess, a.a.O., 220f.

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wird vom Theologiestudium erwartet, daß es etwas dazu leistet und beiträgt, was zur Realisierung dieser Vorstellungen als nötig angesehen wird. 271 Die Probleme und Konsequenzen des unvermittelten Aufeinandertreffens von Motivationslage der Studentinnen und Organisation des Studiums spiegelt sich deutlich in einem gedruckten Bericht. Unter dem Titel „Auf die Praxis vorbereiten!" 272 berichten Studentinnen über eine selbst organisierte Studienfahrt und deren Auswertung. Im folgenden wird auf diesen Text verschiedentlich ausfuhrlich Bezug genommen, da in ihm Erwartungen und Probleme des Studienprozesses aus der Sicht von Studierenden anschaulich dargestellt werden. Diese Aussagen dürften ftir eine größere Zahl von Studierenden repräsentativ sein. In dem Bericht wird die Motivationslage folgendermaßen erinnert: Am Studienbeginn stand der Wunsch, „möglichst gut auf eine spätere Tätigkeit in der Praxis vorbereitet zu werden". Dahinter stehen Prägungen durch das Miterleben kirchlicher Arbeit im Elternhaus oder aber positive Erfahrungen mit der Kirche als sinngebender Raum. Damit sind zwei unterschiedliche Erwartungskomplexe bezeichnet: — Der normative, wohl auch vorbildhafte Vollzug kirchlicher Praxis motiviert zu gleicher Wahrnehmung in der angestrebten beruflichen Perspektive. Dabei sind Strukturen der Ausbildung im Blick. - Die überraschenden, beglückenden Erfahrungen sind viel weniger mit Strukturen verbunden. Hier kann die Motivation zur Weitergabe des Empfangenen oder zu seiner Vertiefung gesehen werden. Dahinter steht wohl eine recht unklare Berufsperspektive.

3.2.2. „Psycho-soziales Moratorium" Das Studium als Bestandteil der Berufsbildung ist zugleich fur die Studierenden eine abgegrenzte Phase ihrer Biographie, an wichtiger Stelle im Prozeß der Persönlichkeitsentwicklung. In der Literatur wird für das Studium häufig der Begriff „psycho-soziales Moratorium" verwendet. Der Begriff wurde von Erik H . Erikson geprägt, der damit ursprünglich das Zwischenstadium zwischen Jugend- und Erwachsenenalter bezeichnete. 273 Dieses Moratorium soll dem einzelnen die Ablösung vom Herkunftskontext und die Hinwendung zu zukünftiger Berufstätigkeit gestatten und somit eine Identitätsveränderung ermöglichen. „Berufliche Sozialisation unter den Bedingungen eines Moratoriums ist offen für die Laufbahnziele auch z.B. im

271 Vgl. Wille, a.a.O., 5. 272 Der Text ist in Anlage 3 wiedergegeben. Im folgenden wird mehrfach auf diesen Text Bezug genommen. 273 Vgl. E.H. Erikson, Identität und Lebenszyklus. 1973, 127.

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familiären, politischen oder kulturellen Bereich. Im Studium ist die berufliche Laufbahn eine unter mehreren; der Student braucht nicht von Anfang an auf die Berufswelt bezogen zu sein, sondern seine subjektive Laufbahn kann durch eine allmähliche oder plötzliche ,Verberuflichung' gekennzeichnet sein." 274 Eine Voraussetzung dafür, daß in diesem Moratorium die Identitätsveränderung erreicht wird, besteht darin, daß die Ablösung der Studierenden von dem Herkunftskontext gelingt und daß sie in der Phase des Studiums die wissenschaftliche Welt zum Horizont ihrer personalen Identifizierung machen. 275 Dieser Schritt verlangt nach Anregung und Unterstützung von außen, da er letztlich auf die Unterbrechung der Kontinuität zur Ausgangsmotivation hinzielt und somit Ängste und Frustrationen weckt. 276 Die nachhaltige Erfahrung im Studium besteht in der Feststellung, daß die Motivationen zu Beginn des Studiums völlig unbeachtet geblieben sind. Es kommt zu Fremdheit dem Stoff gegenüber, denn die Frage nach dem „wozu das?" bleibt ungeklärt. Das Erlernen der alten Sprachen und das Üben wissenschaftlicher Arbeitsmethoden zeigen weder eine Verbindung zu der angestrebten beruflichen Kompetenz, noch zu den positiv erinnerten Erfahrungen im Raum der Kirche. Die persönlichen Erwartungen an das Studium und die Ansprüche des Studiums werden nicht geklärt. Die Chancen des Moratoriums konnten so nicht wahrgenommen werden. Es fehlt der Bezug auf das damit bezeichnete Praxisfeld. Der Bereich der theologischen Theorie wird in seiner Inkonsistenz zur Alltagswelt von den Studentinnen wahrgenommen. Häufig ist das der Anlaß zu verstärktem Engagement in einem anderen, aber vertrauten Bereich. 277 Als Folge der Enttäuschung werden in dem Bericht Entleerung bzw. Überlagerung der ursprünglichen Motivation genannt. Das wiederum wurde als Anlaß für Identitätskrisen und Müdigkeit gesehen. Statt neue Aktivitäten aufzunehmen, engagierten sich die Studentinnen auf aus der Zeit vor dem Studium vertrauten Gebieten. Das Konsumieren von Wissenschaft in Lehrveranstaltungen und unverbunden daneben die sozialen Erlebnisse in Gruppen (Wohnheim; Studentengemeinde; gesellschaftliches Engagement) bedingten Frustrationen und den Eindruck von völliger Relevanzlosigkeit der Theorie. W. Hermann differenziert zwischen .Erlebnis' und .Erfahrung'. Erlebnisse sind Situationen, in denen Lernen möglich ist. Erfahrungen sind bewußt und

2 7 4 M . Kohli: Studium und berufliche Laufbahn. 1973, 97 - zit. n. Riess, a.a.O., 79f. 2 7 5 Vgl. Steck (1979), a.a.O., 271 f. 2 7 6 Vgl. Wille, a.a.O., 9, der daraufhinweist, wie stark dieser Schritt durch das Sprachenlernen belastet bzw. sogar verhindert wird. Er fordert darum, eine organisatorische Trennung des Sprachenlernens von dem Theologiestudium durchzusetzen. 2 7 7 Vgl. Fischer, a.a.O., 406, der hier von einer „Verortung in anderen Karrieren" spricht.

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gezielt reflektierte Erlebnisse, wobei das Ich als steuernde, wahrnehmende und kritische Instanz aktiv ist.278 Wo es nicht gelingt, im Studienprozeß solche Erlebnisse in Erfahrungen zu überfuhren, dort läßt die durchgemachte Frustration die Forderung nach „Praxisorientierung" laut werden. 279 Diejenigen Studentinnen, die den Schritt von Erlebnissen zu Erfahrungen nicht schaffen, halten an der ungebrochenen Fortsetzung der Biographie vor dem Studium fest. Sie „durchleben das Studium in einer inneren Emigration. ... Solchen Studenten bleibt nur die Hoffnung, im Beruf jenen Horizont religiöser Praxis wiederzufinden, der ihre Welt bestimmte" 280 . Der Ruf nach Praxisnähe ist somit auch zu sehen als ein „Regress auf die Entstehung personaler Identität in der Adoleszenz"281. Der Bericht unterstreicht dieses deutlich: Der Drang nach einem Anhaltspunkt aus der „Praxis", nach der Möglichkeit, das Gelernte überprüfen und anwenden zu können, sollte durch die Fahrt realisiert werden. Der unklare Begriff „Praxis" ist regressiv zu interpretieren; er bezeichnet die Rückkehr - man könnte sagen: die Flucht — zur Motivationslage am Beginn des Studiums. Diese wird als Kriterium zur Beurteilung des bisherigen Studienganges eingesetzt. Darin wird jedoch die Unfähigkeit, die neue Rolle im Studium einzunehmen und somit die nicht erfolgte Trennung von der davorliegenden Phase offensichtlich. Der Weg, die auch persönlich empfundene schwierige Situation zu ändern, wird in einem völligen Neueinsatz gesehen: Die gesuchte Konfrontation mit der Problematik „Kirche auf dem Lande". Nicht mehr die Rückbindung an das Vertraute, sondern die Konfrontation mit einer neuen, fremden Situation und ihren Problemen steht nun im Vordergrund. Zugleich ist damit weiterhin eine Anbindung an die ursprüngliche Motivation gegeben. Das Ernstnehmen des Studiums als psycho-soziales Moratorium und als biographierelevante Lebensphase fordert dazu heraus, die Determinanten dieses Lebensbereiches der Studentinnen als Praxisfeld zu begreifen. 282 Praxisbezug heißt in diese Kontext: Bezug auf dieses Praxisfeld der Studentinnen. Diese Praxis ernst zu nehmen, bedeutet dann, die wesentliche Bildungsaufgabe zu sehen „in der Vermittlung dieser ihrer (der Studentinnen - Vf.) existentiellen und religiösen Fragen christlicher Zeitgenossenschaft mit der christlichen Tradition, mit der biblischen Tradition, aber auch mit der theologischen Schultradition und Schultheologie" 283 Im Zusammenhang dieses Verständnisses des Studienprozesses haben die

278 Vgl. Herrmann (1978), a.a.O., 271. 279 Vgl. ebd. 280 Steck (1979), a.a.O., 274. 281 Ebd., 280. 282 Vgl. Drehsen (1976), a.a.O., 142. 283 P. Cornehl, Erfahrungen in der Hochschule, in: Theologie und Kirche in Gesellschaft und Politik, hrsg. v. H. Chr. Knuth, München 1983 (TEH 217). - Zit. n. Wille, a.a.O., 14 (ohne Seitenangabe des Zitats).

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Begriffe „theologische Existenz" und „theologische Kompetenz" ihren Ort und können Dimensionen der in dieser Phase angestrebten Identitätsentwicklung bezeichnen. Abschließend soll noch einmal auf den Bericht Bezug genommen werden. Als Ergebnis der Studienreise wird nicht das geplante „Uberprüfen" und „Anwenden" als besonders eindrücklich herausgestellt, sondern das Wahrnehmen der Situation im Hören, im Gespräch. Bei der Reihenfolge der Gesprächspartner wird deutlich, wie die Nähe zum eigenen Berufsbild als bedeutsam gewertet wird. Dem mitgeteilten Hochgefühl über das „endlich wieder einmal aktive Tätigsein" und über die Gemeinschaftserfahrung folgt im Studienalltag die Frustration, daß solche Erfahrungen hier keinen Platz haben. Damit wird die Anfangssituation des Studiums noch einmal wiederholt. Zwar sind es neue Fragen, die aber durch den Bezug zum angestrebten Berufsbild mit der ursprünglichen Motivation verbunden sind. Die konstatierte Diskrepanz zwischen Studium und Gemeinderealität macht deutlich, daß auch hier kein Praxisbezug im Studium zustande kommt. Vielmehr werden Gefahren deutlich, indem Vorverständnisse kritiklos verstärkt werden - ein Verständnis von der Irrelevanz des Theologiestudiums für die Berufspraxis, aber auch ein unkritisches Bild von der Gemeinderealität. Die abschließenden Folgerungen und Forderungen in dem Bericht erscheinen durch die bisher analysierten Momente bedingt: - Gefordert wird die „Möglichkeit einer dauernden Auseinandersetzung mit den Problemen, Vorstellungen und Motivationen der Studenten in der Konfrontation mit dem kirchlichen Bezugsrahmen". Ubergangen wir dabei eine Konfrontation mit dem Anliegen der Theologie als Wissenschaft. Nur aber, wenn dieses geschieht, kann es auch eine Konfrontation mit dem kirchlichen Bezugsrahmen geben, oder besser: mit der Tendenz des Glaubens, sich in der Praxis kundzutun - in der privaten Frömmigkeit, in Veranstaltungen von Gruppen, in öffentlichen Angeboten der Kirche, in Sinnbildern und Gebäuden etc. - Der Vorschlag, die Aktivität von Studentinnen auf Gemeindeebene zu fördern, ist zu unterstützen. Nur sollte es hier stärker um aktive Beteiligung und weniger um Leitung gehen. - Der Wunsch nach Gesprächen mit kirchlichen Mitarbeitern sollte ergänzt werden durch Gespräche mit Menschen in der Gemeinde.

3.2.3. „Prozeß der Professionalisierung" Seit der Zeit des Rationalismus wurde die Ausrichtung auf die Berufsanforderungen zu einem Bestandteil der theologischen Ausbildung. Ganz allgemein läßt sich diese Ausrichtung mit dem Begriff „Professionalisierung" beschreiben. Dieser Begriff ist aber durchaus ambivalent. Z u m einen ist damit ein Gegenbegriff zu „dilettantisch" gegeben. „.Professionalisierung' bezeichnet den Sachverhalt, daß die Wahrnehmung von Aufgaben durch einen entsprechenden Beruf das Modell ist, das allein auf 136

gesellschaftliche Anerkennung hoffen darf." 284 In diesem Verständnis ist Professionalisierung eng mit Spezialisierung verbunden. Zugleich wird damit deutlich, daß zu dem Beruf des/der Pfarrerin eben auch politisch-ökonomische Größen gehören; es geht dabei um bezahlte Arbeit, um eine Position innerhalb des Herrschaftssystems eines gesellschaftlichen Teilsystems.285 Damit ist deutlich, daß die Wahrnehmung dieses Berufes allein aus persönlicher oder ethischer Motivation heraus nicht möglich ist. Das Theologiestudium - verstanden als Teil der Berufsbildung - hat auch der Dimension der Professionalisierung zu entsprechen. Dabei sind sowohl die Studienmotivation als auch das Wahrnehmen des Studiums als psycho-soziales Moratorium mit der Dimension der Professionalisierung in Beziehung zu setzen. Es ist leicht einzusehen, daß auf studentischer Seite weder eine hohe Studienmotivation in Bezug auf spätere Berufspraxis noch die gelungene Identifizierung mit der wissenschaftlichen Theologie im Studium die Gewähr bieten, daß auch der Prozeß der Professionalisierung erfolgreich verläuft. Dieser Prozeß kann beschrieben werden als „die Verwandlung der ursprünglichen, persönlichen Motivation zu einer beruflichen"286. Auf die hier als Professionalisierung bezeichnete Dimension des Theologiestudiums hatte bereits Wernle 1908 eindrücklich hingewiesen: „Es soll sich einer nur ja die Menschen nicht rosig vorstellen, mit denen er später als Pfarrer zu verkehren hat, etwa als lauter heilsbegierige Seelen. ... Indifferente und Spötter wird er unter ihnen antreffen, Säufer und Verlogene, Geizhälse und Unzüchtige ... Ihnen allen, den wirklichen Menschen gilt sein Dienst. Ein großer Teil desselben - auch das kann jeder sich zum voraus sagen - wird weder interessant noch erbaulich, sondern sehr prosaisch, mühsam und undankbar sein, wenig Anerkennung, wenig Erfolg und häufig wenig innere Befriedigung bringen. Fehlt es auch nicht an empfänglichen und erfreulichen Gemütern, die Frage wird doch von Zeit zu Zeit sich aufdrängen, ob nicht alle Mühe umsonst ist, und ob der Pfarrer so sehr vermißt würde, wenn er gar nicht da wäre." 287 Unter dem Aspekt, daß Professionalisierung auch eine Dimension des Studiums ist, erscheint es notwendig, die Fähigkeit von Studentinnen zur Selbstwahrnehmung und zur Fremdwahrnehmung sowie zur Unterscheidung zwischen beiden zu entwickeln. Auf einige damit zusammenhängende Momente im Theologiestudium kann hier nur hingewiesen werden.

2 8 4 Rössler (1986), a.a.O., 437. 2 8 5 Vgl. Josuttis (1988a), a.a.O., 437. 2 8 6 Herrmann (1978), a.a.O., 270; vgl. auch Josuttis (1987), der eine solche Spannung im Blick auf die Existenz des Pfarrers beschreibt, „der als Priester lebt und als Prophet arbeiten will". - a.a.O., 38. 2 8 7 Wernle, a.a.O., 463. - Vgl. auch Josuttis (1988b), der die Notwendigkeit betont, illusionäre Erwartungen, die zu Frustrationen führen, kritisch wahrzunehmen und zu klären. - A.a.O., 252.

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Unter dem Gesichtspunkt der Selbstwahrnehmung der Studentinnen ist auf die notwendige Besinnung auf und die Auseinandersetzung mit der Studienmotivation zu verweisen. Das bewußte Wahrnehmen der eigenen Motive und Wünsche kann zudem vor einer unzumutbaren Rollenzuweisung an andere bewahren. Ebenso sind die mitgebrachten Pfarrer- und Gemeindebilder zu klären, damit sie in Frage oder doch zur Diskussion gestellt werden können. Dieses kann sowohl durch theologische Erkenntnisse als auch durch Wahrnehmungen in der Praxis geschehen.288 Zur Selbstwahrnehmung gehört auch die Aufmerksamkeit fur die Ausdrucksformen der eigenen Frömmigkeit und deren Bedeutung - z.B. die Bereitschaft zu ihrer Veränderung oder das starre Festhalten an mitgebrachten Formen. Erst so wird das Wahrnehmen von Frömmigkeitsformen bei anderen möglich und - eben durch ihre Unterscheidung von der eigenen Form akzeptierbar. Nur im Horizont wahrgenommener, fremder Frömmigkeitsformen wird Kommunikation gelingen, wird gegebenenfalls auch Veränderung erreichbar sein. M. Josuttis hat unter dem Stichwort „Dogmatismus" auf die Bedeutung des Komplexes von Selbst- und Fremdwahrnehmung aufmerksam gemacht: Dem unreflektierten Verständnis von Seelsorge liegt die Annahme eines Defizits beim Klienten zugrunde. Bei einem dogmatischen Typ ist solch ein Defizit nicht zu erkennen. Statt einer angstbestimmten Zurückhaltung solchen Menschen gegenüber zu folgen, geht es darum, den Glauben eines jeden Menschen zu begreifen „als Einstellungssystem, das fundamentalen Orientierungs- und Schutzbedürfnissen im Vollzug seiner Lebenspraxis dient" 289 . Studentinnen können im Zuge der beruflichen Sozialisation, in der sie mit traditionellen und gegenwärtigen theologischen Konzeptionen konfrontiert werden, ein weitaus differenzierteres und komplexeres religiöses Einstellungssystem entwickeln, als es Laienchristen möglich ist. Sie werden dadurch in die Lage versetzt, ein weitaus umfangreicheres Argumentationsreservoir fur Legitimations- und Abwehrstrategien zur Verfugung zu haben. So erhalten unter diesem Aspekt gerade die theoretischen Bemühungen im Studium eine einsehbare, praktische Orientierung. Im Zusammenhang des Komplexes von Selbst- und Fremdwahrnehmung ist ferner auf den Umgang mit Rollenzuweisungen an Pfarrerinnen hinzuweisen. Hierbei sind die Ebenen zu unterscheiden, auf denen diese Erwartungen geäußert werden - zwischenmenschlich, im Raum der Kirche, in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Ein Theologe sollte schon in der Ausbildung „lernen, mit solchen Erwartungen in der Weise umzugehen, daß er sie als Person wahrnehmen lernt, daß er sie als gegeben annehmen lernt, daß er sich aber ihnen nicht total unterwirft, sondern sein eigenes Menschsein gegen alle 2 8 8 Vgl. Wille, a.a.O., 5. 2 8 9 Josuttis (1985), a.a.O.. 62.

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Identifizierungswünsche verteidigt, und zwar so verteidigt, daß ihn die Gemeinde dabei verstehen kann" 290 . Weitere Momente der Professionalisierung seien nur noch kurz erwähnt: Die Theoriebefähigung: Die Einsicht, daß Praxiswahrnehmung, ihre theoretische Rekonstruktion und Veränderung eine Einheit bilden, ist Bestandteil, nicht Voraussetzung fur den Prozeß der Professionalisierung in der theologischen Ausbildung. Die Notwendigkeit, die persönliche Haltung zur Kirche zu klären, damit es in der Praxis zu einer Haltung der „kritischen Solidarität" kommen kann 291 , ist ebenso im Zusammenhang des Prozesse der Verwandlung der persönlichen zur beruflichen Motivation als unverzichtbar zu sehen. In diesem Prozeß hat auch das Kirchenrecht seinen wichtigen Ort im Theologiestudium. 292 Insgesamt ist festzuhalten, daß auch der Prozeß der Professionalisierung im Studium als Praxisfeld zu begreifen ist. Die Notwendigkeit von Selbst- und Fremdwahrnehmung gibt vielfältige Ansatzpunkte für die Überschreitung des akademischen Interaktionskontextes. Mehrere soziologische Untersuchungen haben in diesem Zusammenhang auf ein Dilemma aufmerksam gemacht: Das Gelingen des Schrittes von der Motivationslage der Studentinnen am Studienbeginn zu der Identifizierung mit der wissenschaftlichen Welt im Studium ist nicht selbstverständlich. Dort, wo dieser Schritt gelungen ist, wird häufig eine Distanz zur späteren beruflichen Praxis bewirkt. 293 Aspekte der Professionalisierung bleiben hier völlig unverbunden mit den Studieninhalten oder -methoden und sind deshalb unwirksam. Für diese Feststellung ist ein Untersuchungsergebnis von Interesse: „Freiwillige Kontakte" von Studentinnen zur „Gemeinde" in Gestalt von praxisorientierten Seminaren, wo die Teilnehmer mit „Gemeindegliedern" zusammenkommen, werden für das Kennenlernen des zukünftigen Handlungsfeldes gegenüber dem Gemeindepraktikum als wirksamer angesehen. Mögliche Gründe dafür werden in dem Verbleiben im Rahmen der „akademischen Praxis", in der kontinuierlichen theoretischen Begleitung durch den akademischen Lehrer und durch die Gruppe der Kommilitonen gesehen.294 Es ergibt sich der Eindruck, daß das geschilderte Dilemma bei der gegenwärtigen Struktur und Auffassung des Theologiestudiums nur punktuell aufgelöst werden kann.

2 9 0 Josuttis (1987), a.a.O., 225; vgl. auch ders. (1988a), wo Gefahren einer zu erwartungsorientierten kirchlichen Praxis auf den genannten Ebenen aufgezeigt werden. A.a.O., 2 1 9 . 2 9 1 Vgl. ebd., 227. 292 Vgl. dazu H.M. Müller, a.a.O. 2 9 3 Vgl. Fischer, a.a.O., 302. 294 Vgl. Meyer-Mintel, a.a.O., 4 1 3 .

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3.2.4. „Ausbildung von Kompetenz" Der Begriff „Kompetenz" wird in bezug auf das Ziel theologischer Ausbildung häufig verwendet. Dabei ist sein Bedeutungsgehalt nicht immer eindeutig zu erkennen. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff die Zuständigkeit ftir einen bestimmten Bereich.295 Kompetenz wird erworben. Kompetenz ist jedoch nicht absolut zu fassen; es kommt darauf an, ob sie in einer Gesellschaft gefragt, d.h. von Bedeutung ist. Andernfalls müßte sie Durchsetzungsqualitäten haben, um sich zu behaupten. Bei der Vermittlung religiösen Wissens ist Kompetenz an drei Pole gebunden - den Kompetenten, die Kompetenz in Richtung tradierten religiösen Wissens und Kompetenz in Richtung konkreter Situationen, konkreter Interaktionspartner u.ä. Bei einer solchen Definition von Kompetenz ist der Praxisbezug evident. Von „theologischer Kompetenz" ist bereits die Rede gewesen. Die Betrachtung des Prozesses der Professionalisierung hat auf die Bedeutung der „sozialen Kompetenz" aufmerksam gemacht. Von besonderer Bedeutung ist in der theologischen Ausbildung die „kommunikative Kompetenz", oder aber: Die Kompetenz zur Kommunikation. Kommunikation ist nicht allein Grundlage jeder Gesellschaft, sondern gehört auch zum Christentum definitiv dazu. Unter Zugrundelegung der aufgeführten Definition beinhaltet kommunikative Kompetenz nicht lediglich Weitergabe von Inhalten, sondern deren Relationierung auf Personen bzw. Situationen.296 Befähigung zu kommunikativer Kompetenz schließt demnach das Erleben und Wahrnehmen solcher Situationen und konkreter Personen ein. Die Ausbildung von Kompetenz im Theologiestudium als Praxisfeld zu begreifen, bedeutet dann zunächst, diese Kompetenz selbst einzusetzen. So wären in Lehrveranstaltungen alle Teilnehmerinnen als gleichberechtigte, aber auch als gleichengagierte Partner an einem kommunikativen Prozeß beteiligt.297 Zur Wahrnehmung kommunikativer Kompetenz gehören rezeptive, interpretative und produktive Fähigkeiten und Fertigkeiten.298 Damit ist auch hier der Bezug auf praktische Situationen gegeben. Ubereinstimmend ist sowohl in den neueren Entwürfen zum Theologiestudium, in den Konzeptionen zum Gemeindeaufbau aber auch in den Impulsen aus der Ökumene der kommunikativen Kompetenz der Pfarrerinnen entscheidende Bedeutung beigemessen worden. In kommunikativen Prozessen geht es nicht allein um Stoffe und Inhalte, auch nicht nur um deren Relationierung. Notwendig ist hierbei genauso „die Fähigkeit, andere Menschen zu inspirieren, sich und ihren Teil in die Interakti295 296 297 298

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Zum Folgenden vgl. H. Punsmann, Art.: Kompetenz, in: WBC, 658f. P. Krusche, a.a.O., 108. Vgl. dazu die Ausführungen zu Schleiermacher in Teil I, 5Iff. Vgl. Drehsen (1986), a.a.O., 282f.

on einzubringen - das ist die Funktion des Inszenierens und Moderierens, des Motivierens und Arrangierens"299. Im katholischen Raum wird in ähnlichem Zusammenhang von „ästhetischer Kompetenz" gesprochen: „Die Fähigkeit, sich angenehm (diskret) und doch eindrucksvoll zu äußern; die Fähigkeit zu musischer Gestaltung; die Fähigkeit zum Dabei-Sein bei fröhlichen und traurigen Ereignissen; die Fähigkeit zur Sympathie wie zur Kritik; die Leichtigkeit dessen, der schenkt, ohne anzulasten; die zwanglose Fröhlichkeit des ,Erlösten', der die Feier initiiert und gestaltet, der ,Danksagung' zu aktuieren vermag; vor allem die Fähigkeit, aus Einzelnen wie aus (divergierenden) Gruppen, Gemeinde (Kirche) täglich neu zu integrieren"300. Die aufgeführten Elemente von „ästhetischer Kompetenz" sollten bereits zu den Studienvoraussetzungen gehören, die in der Ausbildung gezielt zur Entfaltung gebracht werden. Es scheint wichtig zu sein, daß in Zukunft: auch im Studium der Ausbildung von ästhetischer Kompetenz mehr Aufmerksamkeit zugewendet wird. Dabei geht es gar nicht um besondere Lehrveranstaltungen, sondern primär um die Integration sowohl der ästhetischen wie damit auch der kommunikativen Dimension des Lernens in den Studienprozeß. Ob eine „liturgische Kompetenz" in der kommunikativen oder in der ästhetischen Kompetenz Inbegriffen gedacht werden kann oder nicht, diese Frage mag offen bleiben. Aber es erscheint wichtig, auf eine „liturgische Kompetenz" als Erfordernis des Theologiestudiums eigens hinzuweisen. Die Dringlichkeit ergibt sich nicht allein aus den häufig und zu Recht beklagten äußerst geringen liturgischen Kenntnissen der Theologiestudentinnen.301 Stärker noch ergibt sich die Dringlichkeit aus der Tatsache, daß sich in unterschiedlichen Sozialformen in der Gemeinde in zunehmendem Maße liturgische Formen herausbilden, die entscheidende Bedeutung fur die Kommunikation innerhalb der Gruppe, aber auch zwischen unterschiedlichen Gruppen haben. Hier ist etwa auf die Gestaltung von Festen hinzuweisen, die nicht e'en Alltag transzendieren, sondern vielmehr „die festliche Darstellung dessen, was gerade im Alltag gilt, ausdrücklich zu machen" suchen.302 Liturgie als Ausdruck des Lebens wahrnehmen und gestalten zu können, wird ein wichtiges Ziel theologischer Ausbildung im Zeitalter der Ökumene werden. Dazu bedarf es neben praktischer Befähigung ebenso bestimmter liturgiewissenschaftlicher und konfessionskundlicher Grundkenntnisse. Sowohl von den Gemeindeaufbaukonzeptionen als auch von dem ökumenischen 299 G. Otto (1988), a.a.O., 362f. Die Fortsetzung des Zitats lautet: „Für diese Funktion wird keine Pfarrerin und kein Pfarrer ausgebildet, weil man sie irrigerweise für Allotria hält...". 300 Stachel, a.a.O., 47. 301 Vgl. u.a. Chr. Grethlein, Abriß der Liturgik, 1989, 9. 302 Rössler (1986), a.a.O., 362.

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Horizont her ist hiermit eine große, gemeinsame Herausforderung fur die theologische Ausbildung bezeichnet. Eine liturgische Kompetenz der Theologiestudentinnen anzustreben, beinhaltet zugleich, einen wichtigen Beitrag fur eine Kompetenz zur Kommunikation, fur eine ästhetische Kompetenz zu erbringen und dadurch den ganzheitlichen Charakter des Studienprozesses erheblich zu fördern.

3.3. Praktika im Studienprozeß — Motive und Ergebnisse Die Literatur über Praktika ist bisher noch überschaubar. Im Reformvorschlag von Hahn/Wolf zum Theologiestudium wurde die Einfuhrung von Praktika vorgeschlagen. 303 Danach finden sich in dem Gutachten zur Reform des Theologiestudiums von 1965 Ausführungen zu Praktika.304 1967 forderte E.-R. Kiesow die Einführung des obligatorischen Gemeindepraktikums.305 Im gleichen Jahr wurden von W. Jetter Probleme der Praktika und ihrer Einbindung in das Studium behandelt.306 1972/73 wird über Erfahrungen eines „Kirchenpraktikums" im Rahmen eines theologischen Propädeutikums in Hamburg berichtet.307 In dieser Zeit erscheint auch eine erste kritische Bestandsaufnahme der Praktika von F. Martiny.308 1975 nimmt J. Henkys die Diskussion über Praktika auf, indem er formuliert: „Unter welchen Bedingungen kann man von ihm (dem Praktikum - Vf.) jeweils Studienmotivierung oder Berufsorientierung, Zuwachs an sozialer Bewährung, Situationserkenntnis oder praktischen Fähigkeiten erwarten? Benötigt wird eine Didaktik des theologischen Hochschulpraktikums."309 1975/76 erscheinen ferner der ausführliche Bericht über ein Sozialpraktikum von Bloth/Schulze 310 sowie der „Bericht über ein Praxisprojekt in der Studieneingangsphase" in Kiel 311 ; K.F. Daiber berichtet über Gemeindepraktika.312 Ebenfalls 1976 erscheint die intensive und sehr kritische Auseinandersetzung mit den Praktika von V. Drehsen. 313 In den Dissertationen von H. Luther und W Herrmann von 1976, die die Reform des Theologiestudiums behandeln, werden Fragen der Praktika allerdings nicht ausdrücklich behandelt. 1977 untersucht M. Arndt den Beitrag von Praxis für die Identitätsbildung von Theologiestudenten.314 F. Wintzer berichtet 1979 - durchgeführte Praktika auswertend - über Möglichkeiten und Grenzen von Gemeindepraktika.315 Im gleichen Jahr geht E.-R. Kiesow ausführlich auf die Praktika im Theologiestudium an den Universitäten in der D D R ein. 3 1 6 1982 berichten Bäumler/ Lämmermann über Industriepraktika.317 Auf solche bezieht sich Barie in einer

303 305 307 308 310 312 314 316

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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Hahn, a.a.O. 3 0 4 Vgl. Herrmann/Lautner, a.a.O., I4lff. Kiesow (1967), a.a.O. 3 0 6 Vgl. Jetter, a.a.O. „Theologisches Propädeutikum", a.a.O. Martiny, a.a.O. 3 0 9 Henkys (1975), a.a.O., 53. Bloth/Schulze, a.a.O. 311 Vgl. Gülzow, H. u.a., a.a.O. Daiber (1975), a.a.O. 313 Vgl. Drehsen (1976), a.a.O. Arndt, a.a.O. 3 1 5 Vgl. Wintzer (1979), a.a.O. Kiesow (1979), a.a.O. 317 Vgl. Bäumler/Lämmermann, a.a.O.

Veröffentlichung von 1989.318 Bereits 1986 fragte Meyer-Mintel im Rahmen einer Untersuchung zu Gemeindebildern bei Theologiestudenten nach dem Stellenwert der Gemeindepraktika.319 In jüngster Zeit sind Veröffentlichungen zu Praktika wesentlich durch Impulse aus der Ökumene bestimmt. Neben den Papieren der Tagung von Iserlohn 1987320 ist hier besonders auf die Vorschläge hinzuweisen, die 1989 K.-E Jörns zur Neuorientierung des Theologiestudiums gemacht hat.321 Die in der genannten Literatur genannten Motive und Ziele für die Einführung von Praktika im Theologiestudium sind den folgenden sieben Stichworten zugeordnet worden.

3.3.1. Kompensation eines Realitätsverlustes „Die Theologie beginnt sich in dem Moment explizit fur ihre sozialempirische Basis zu interessieren, als sie merkt, daß sie diese zu verlieren droht." 322 Es wäre durchaus möglich, eine Geschichte der Praktika unter diesem Aspekt zu verfassen. Dieses Motiv für die Einrichtung von Praktika im Studium ist nach wie vor weit verbreitet. Andererseits wird in der Literatur eindringlich gewarnt vor der „Illusion, man könne das akademische Studium in der Weise praxisnäher gestalten, daß man außerakademische gesellschaftliche Praxisbereiche auf dem Umwege über Praktika einholt" 323 . Das Modell der Kompensation geht an der Situation und Befindlichkeit der Studentinnen vorbei.

3.3.2. Praktikum als „psychosoziales Moratorium" Dieser Begriff wird von R. Riess gebraucht in bezug auf Phasen praktischer Tätigkeit - etwa der Berufsausbildung oder der bewußt gewählten Berührung mit Lebenspraxis in sozialen oder sozialrelevanten Diensten - , die vor der Aufnahme des Theologiestudiums liegen. Ein solcher Zugang sei fiir die Studentinnen als bedeutsam anzusehen, da dadurch die einseitige Kultivierung der theoretischen Begabungen durchbrochen und ein natürlicher Abstand geschaffen werde.324 Daraus wird von Riess gefolgert: „Um so wichtiger muß der Stellenwert solcher psychosozialer Moratorien erscheinen, die ein vorwiegend theoriebezogenes Studium durchziehen und auflockern." 325 Wie das in der Praxis realisiert werden könnte, wird nicht ausgeführt. Ais wesentliches Motiv für dieses Verständnis eines Praktikums ist die Andersartigkeit der praktischen Tätigkeit zu sehen. Dieses Moment wird um so 318 320 321 323 325

Vgl. Barid, a.a.O., 26. 319 Vgl. Meyer-Mintel, a.a.O., 4l2ff. Vgl. „Pia desideria oecumenica", a.a.O. Vgl. Jörns (1989), a.a.O. 322 Gräb (1987), a.a.O., 54. Drehsen (1976), a.a.O., 142. 324 Vgl. Riess, a.a.O., 219. Ebd., 220.

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stärker wirksam sein, je weniger im Studium die Identifikation mit der wissenschaftlichen Welt gelingt. Aber auch dieses Motiv kann nur im Zusammenhang mit anderen Herausforderungen in bezug auf praktische Phasen im Studium als wirksam angesehen werden. Denn auch solche Momente wie der entwicklungspsychologisch bedingte Drang zur,Selbsttätigkeit' oder aber die Ergänzung der cognitiven Befähigung durch praktische Fertigkeiten lassen sich unter diesem Stichwort auffuhren.

3.3.3. Applikation Praktika im Studium unter dem Aspekt der Applikation zu sehen, erscheint naheliegend. Dabei kommen die Anwendung und das Ausprobieren der im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in den Blick. Die Problematik dieses Motivs ist darin zu sehen, daß weder fertige Konzepte noch Handlungsanweisungen gegeben werden können. In der Begegnung mit Menschen in der Praxis spüren Studentinnen sehr deutlich, daß theoretisch vorgefertigte Entwürfe nicht einfach in die Praxis umgesetzt werden können.326 Applikation als Motiv fur Praktika kann daher zunächst nur so verstanden werden, daß erworbenes, anwendungsbereites Wissen z.B. durch Beobachtungsaufgaben in einem Praxisbereich einer Uberprüfung ausgesetzt wird. In den ökumenischen Impulsen kommt dem Moment der Applikation eine größere Bedeutung zu. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß durch das Ernstnehmen des Gebotes der Kontextualisierung sowie des ganzheitlichen Praxisvollzuges das Moment der Applikation nur als ein Element innerhalb eines Komplexes zu verstehen ist. So ist auch dieses Moment stets im Zusammenhang mit anderen Motiven der Praxiswahrnehmung zu sehen.

3.3.4. Einübung in das künftige Berufsfeld und Vergewisserung der Berufsmotivation Mit diesem Motiv ist die generalisierende Linie aller Praktika im Gemeindebereich bezeichnet, wobei auch hier die konkreten Zielvorstellungen differenziert zu sehen sind. Wo Praktika in der Studieneinangsphase organisiert werden, sollen sie dazu helfen, „Anschauungsmaterial über Vielfalt und Differenziertheit der kirchlichen Arbeitsfelder zu sammeln"327. Für Gemeindepraktika im Studium wird eine schwerpunktmäßige Beobach-

326 Diese Erfahrungen werden von Studentinnen insbesondere im Katechetischen Seminar immer wieder gemacht. 327 „Theologisches Propädeutikum" (1972), a.a.O., 155.

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tung von Gemeindearbeit und eine versuchsweise Mitarbeit innerhalb eines Praxisfeldes als angemessen verstanden. 328 Dieser Schwerpunkt soll einen typischen Bereich gegenwärtiger kirchlicher Aktivitäten darstellen und Einblick in das Berufsfeld bzw. die Berufswirklichkeit der Pfarrerinnen vermitteln. 329 Gemeindepraktika können der Einschätzung der beruflichen Eignung der Praktikanten dienen. 330 Hierzu ist aber daraufhinzuweisen, daß dazu erst eine Klärung der in Anwendung kommenden Kriterien notwendig ist. Gleiches trifft für die Formulierung zu, daß Gemeindepraktika die Möglichkeit der Erweiterung und der Korrektur eigener Vorstellungen über den Pfarrerberuf in den Blick rücken können. 331 Problematisch erscheint eine pauschale Orientierung an einer affektiven Berufspraxis'. 332 Angesichts der Neigung zu einer einseitigen Ausrichtung auf vorhandene kirchliche Praxis bleibt die Frage aktuell, in welcher Weise ein kirchliches Handlungsfeld exemplarisch für soziale Wirklichkeit insgesamt ist oder sein kann. 333 Mit dieser Fragestellung ist die Herausforderung zur Ausweitung der Wahrnehmungen deutlich unterstrichen. In der Literatur wird auch auf die Gefahren und Einschränkungen bei der Erreichung der unter diesem Gesichtspunkt angeführten Ziele eingegangen: - Die Eindrücke aus dem Praktikum sind stets auch durch Zufälligkeit bestimmt; auch ,Pseudo-Erfahrungen' können hier gemacht werden.334 - Die Erwartungen der Studentinnen an das Gemeindepraktikum können primär auf methodische Hilfen für die spätere Gemeindepraxis konzentriert sein.335 - Bei alleinigen Beobachtungsaufgaben im Praktikum kommt es zu keiner wirklichen Begegnung der Studentinnen mit der Praxis. Andererseits geht durch teilnehmende Beobachtung - methodisch ungeübt - den Praktikanten die Distanz verloren, um wirklich beobachten und auswerten zu können.336 - Die - unter methodischem Aspekt - sinnvolle Beschränkung auf Teilbereiche fördert die Intensität der Beteiligung, stellt aber eine Reduktion der Praxisbereiche dar.337 - Das Gemeindepraktikum bleibt als Einzelpraktikum an der Totalität der gemeindlichen Arbeit orientiert; dabei besteht immer die Tendenz, daß sich die Mitarbeit der Praktikanten verselbständigt und zu einem .kirchlichen Aktionismus' führt. 338 Die aufgeführten Einschränkungen stehen in einer gewissen Spannung zu den ökumenischen Vorstellungen von einer ,Vorbereitung auf den Dienst'. Diese 328 330 332 333 334 335 336 337

Vgl. Wintzer (1979), a.a.O., 372. 329 Vgl. Daiber (1975), a.a.O., 178. Vgl. Kiesow (1979), a.a.O., 12. 331 Vgl. Wintzer (1979), a.a.O., 374. Diese Tendenz wird bei Herbst, a.a.O. deutlich. Vgl. Arndt, a.a.O., 78. Vgl. Jetter, a.a.O., 282; vgl. ferner Wintzer (1975), a.a.O., 373. Vgl. Daiber (1975), a.a.O., 178. Vgl. „Theologisches Propädeutikum" (1973), a.a.O., 115. Vgl. Wintzer (1979), a.a.O., 373. 338 Vgl. Martiny, a.a.O., 94.

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unterschiedlichen Sichtweisen sind durch den jeweiligen Kontext, in dem theologische Ausbildung geschieht, bedingt.

3.3.5. Erweiterung von Wirklichkeitserfahrung durch Beteiligung Vor dem Hintergrund, daß die Mehrzahl der Theologiestudentinnen aus intakten Familien stammen, in denen Freundlichkeit und Förderung erlebt wurden, sieht R Riess die Herausforderung, dieses Erfahrungsmuster zu korrigieren. Das kann durch die Situationen erreicht werden, in denen die elementaren und realitätsorientierten Lebensfragen anderer wahrgenommen werden. 339 In einer solchen Situation sollte aber nicht nur die isolierte „Beurteilung der menschlichen Situation" im Vordergrund stehen; vielmehr soll es dabei um Einsichten in die Strukturen der Realität gehen.340 Um die Erweiterung der Wahrnehmung geht es auch, wenn formuliert wird: „Während des Sozialpraktikums soll der Student exemplarische Erfahrungen an Orten gewinnen, die nicht zum Bezugsrahmen seiner sozialen Situation gehören ... Er wird dann auch wissen, daß die Welt Gottes immer größer ist als die Enge der subjektiven Welterfahrung."341 Die dabei „erfahrene .negative gegenwärtige Lebenswirklichkeit' scheint so stark anzustrengen, anzuspannen und zu fesseln", daß die Studentinnen auf das Analysieren verzichten.342 In der Regel werden z.B. bei Industriepraktika Einfuhrungs- und Auswertungsseminare angeboten. Dadurch soll die Verbindung mit dem theoretischen Studium hergestellt und deutlich gemacht werden. Gerade an diese Organisationsform wird aber die Frage gerichtet: „Könnte es sein, daß die theoretische Begleitung der Industriearbeit ... geradezu verhindert, daß sich die Erfahrungen bei der Industriearbeit dem Studenten tief eingraben?"343 Diese Fragestellung macht auf ein Paradox aufmerksam: Einerseits wird die Verbindung von Studium und praktischer Tätigkeit als notwendig für die Effizienz von Praktika im Zusammenhang des theoriegeleiteten Studiums gefordert. Andererseits wird befürchtet, daß die theoretische .Umrahmung' des Praktikums die Tiefe der existentiellen Erfahrung in der Praxis nivelliert. Dieses ungelöste Problem unterstreicht eindrücklich den episodenhaften Charakter der Praktika in der gegenwärtigen Struktur des Theologiestudiums. Damit behält auch die Frage weiterhin ihre Relevanz, bis zu welchem Grad solche Praxis erschließenden Charakter für kirchliche Berufspraxis hat oder haben kann. 344 339 341 342 344

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Vgl. Riess, a.a.O., 219. 340 Vgl. Maitiny, a.a.O., 93. Herrmann/Lautner, a.a.O., 155; vgl. auch Jetter, a.a.O., 287. Bloth/Schulze, a.a.O., 294. 343 Barii, a.a.O., 26. Vgl. Arndt, a.a.O., 78.

3.3.6. Erweiterung von Wahrnehmung Das Praktikum gibt Studentinnen die Möglichkeit, der durch die eigene religiöse Sozialisation vertrauten Bezugsgröße .Kirche1 kritisch gegenüberzutreten. „Konkrete Praxis läßt kritisch nach der ,Kirche' und nach ihrem Fundament fragen; nicht-kirchliche ,gute Praxis' stößt theologische TransferBemühungen zugunsten künftiger kirchlicher Praxis an."345 Hinzu kommen Wahrnehmungen im Gespräch mit auf dem Praxisfeld Beschäftigten, in denen Haltungen und Meinungen der Kirche gegenüber deutlich werden. Auf diese Weise wird der Wahrnehmungshorizont wesentlich erweitert und eine kritische Infragestellung der eigenen Haltung zu Kirche/Gemeinde wird angebahnt. Es ergibt sich auch hier die Frage nach der Relevanz solcher punktuellen Erlebnisse fur ein Gesamtverständnis von Praxis. Der Ergänzungsbedürftigkeit solcher Wahrnehmungen könnte durch den Austausch von Erlebnissen verschiedener Teilnehmerinnen entsprochen werden. Eine weitere Zielstellung in bezug auf eine Erweiterung der Wahrnehmung könnte lauten: Erkennen, es sind nicht nur Christen, die ihr Leben sinnhaft ausrichten und dafür entsprechende Strukturen haben. Aber auch: Es gibt nicht nur evangelische Christen ... Und: Es gibt nicht nur Christen, die ihrem Glauben in traditionellen Formen Ausdruck geben - z.B. durch Beteiligungsverhalten an kirchlichen Veranstaltungen. Insbesondere von der ökumenischen Perspektive einer erneuerten, geeinten Menschheit her, werden hier Impulse wirksam: - Zeit für Begegnung mit anderen Kontexten und Kulturen.346 - Die Kenntnis nichtchristlich bestimmter Welten im eigenen Kontext. - Die Kenntnisnahme der Vielfalt der christlichen Traditionen im eigenen Kontext.347 Durch solche bewußt initiierten Wahrnehmungen kann Sensibilität erreicht werden, „indem es durch Uberschreiten der Grenzen der eigenen Herkunft, Biographie, Theologie und Kultur zu einer Überwindung von standortbedingten Vorurteilen, von Wahrnehmungsverengung und Provinzialismus kommen kann"348. Neben einer kritischen Haltung der prägenden Einstellung der Kirche gegenüber wären damit auch gute Voraussetzungen für ein „ökumenisches Lernen" gegeben.

345 Bloth/Schulze, a.a.O., 298 346 Vgl. Amirtham (1989), a.a.O., 163. 347 Vgl. „Pia desideria oecumenica", a.a.O., 135. 348 Ebd., 318 - Vgl. inzwischen dazu: Ökumenische Erfahrungen im Theologiestudium. Theologiestudierende berichten über Praktika und Studien im Ausland, hrsg. von P. Friedrich. Landeskirchenamt Bielefeld 1992 (MS).

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3.3.7. Erkundung von und Partizipation an christlicher Praxis Eine solche Orientierung für das Praktikum ist bislang kaum diskutiert worden. Die Gründe dafür mögen in der selbstverständlichen Voraussetzung solcher Praxis zu sehen sein, aber sicherlich auch in der vorrangigen Orientierung der Studentinnen an ihrer zukünftigen Berufstätigkeit und den dafür als wichtig angesehenen berufsfunktionalen Qualifikationen. Es waren auch hier die ökumenischen Impulse, die deutlich machten, wie wichtig eine Partizipation an christlicher Praxis ist, um eine gemeindebezogene Ausbildung zu erreichen. Insbesondere K.-P. Jörns hat in jüngster Zeit die Aufnahme solcher Impulse gefordert und eine für die Praxiswahrnehmung wichtige und orientierende Frage formuliert: „In welcher Weise ist der Gottesdienst Quelle des Glaubens bzw. dieser Quelle der Liturgie und des Zusammenlebens? Und welche Kriterien geben den Ausschlag bei der Lösung von Alltagsproblemen?" 349 Nach Jörns gehören dazu ein langes Hinhören und Hinsehen, das es nötig macht, in der Gemeinde zu leben. Ein Praktikum könnte Anstoß dazu sein, dieses „Hinhören und Hinsehen" exemplarisch zu realisieren. So würde das „Doing Theology by the people" ein Stück erfahrbar. Damit wäre nicht allein ein Impuls aus der Ökumene aufgenommen, sondern auch denjenigen Gemeindekonzeptionen entsprochen, die ein gemeinsames und gleichberechtigtes Entscheiden aller Christen hervorheben. Aber auch in Bezug auf eine Erweiterung der Wahrnehmung ist dieses Motiv zu bedenken: Die Begegnung mit anderen Formen christlicher Praxis läßt die eigene Prägung deutlich werden. Dieses Motiv fur ein Praktikum ist in der Gegenwart verstärkt zu entwickeln und zu fördern. Dabei stellt die Motivierung der Studentinnen ein Problem dar: Aus der Berufsorientierung heraus und hin zu einer Erkundung christlicher Praxis zu motivieren — dazu bedarf es neben vorgegebenen und orientierenden Fragestellungen weiterer Bemühungen.

3.3.8. Den Theoriebedarf der Praxis entdecken Die Berechtigung dieser Zielstellung steht theoretisch außer Frage. Problematisch erscheint der Weg der Realisierung. Als Voraussetzung müßte gelten, daß den Studentinnen die Notwendigkeit und auch die Effektivität von Theorie selbstverständlich ist. Hier jedoch überwiegt häufig das Interesse an praktikablen Handlungsstrategien. So bleiben die theoretischen Formulierungen zunächst nur theoretische Postulate:

349 Jörns (1989), a.a.O., 35.

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- wissenschaftliche Theologie als kritische Reflexion gegenwärtiger Praxis begreifen;350 - Finden von Fragestellungen im Arbeitsfeld, die der praktischen Lösung und deshalb der theoretischen Reflexion bedürfen; 351 - das mit kritischem Bewußtsein absolvierte Gemeindepraktikum wird das Interesse an der Theologie verstärken.352 Die Problematik von .Distanz' und totaler ,Nähe', die im Praktikum erlebt wird, wirkt zusätzlich erschwerend. Das o.g. Ziel kann nur angestrebt werden, wenn es zu einem intensiven Bezug der theoretischen Lehrveranstaltungen auf die Erlebnisse in der Praxis kommt. Sowohl der Studienablauf als auch vorliegende Berichte353 lassen eine Realisierung schwierig erscheinen. Weiterführend ist dagegen die Auffassung, es wäre nützlich, wenn die offenen oder verdeckten Ansprüche einer Gemeinde und ihrer jeweiligen Theologie für eine kurze Zeit wahrgenommen und diese Wahrnehmungen als Fragestellungen fiir das weitere Studium fruchtbar gemacht werden könnten. 354

4. Praxis-Relevanz im Theologiestudium - Eine Zusammenfassung In der Forderung nach einer guten, detaillierten Wahrnehmung der Lebenswelt der Menschen besteht Ubereinstimmung sowohl zwischen der Mehrzahl der vorgestellten Gemeindekonzeptionen, als auch den Impulsen aus der Ökumene sowie einem Verständnis des Theologiestudiums als Prozeß der Professionalisierung und des Kompetenzgewinns. Eine Theologie, die sich auf die Menschwerdung Gottes bezieht, kann diese Ausrichtung nicht ernst genug nehmen. Das hat ausdrücklich auch im Bereich der theologischen Ausbildung Geltung. Die Perspektive einer erneuerten, geeinten Menschheit und — im regionalen Bereich - die Erinnerung an Ziel und Funktion christlicher Gemeinde sind das notwendige, unverzichtbare Korrektiv bei allen Bemühungen um Praxiswirksamkeit von theologischer Arbeit und Ausbildung. Dabei ist sowohl der Einzelne als Subjekt der Gemeinde im Blick, aber auch der/die Studentin im Prozeß des Studiums. Nur im Zusammenschauen dieser drei Bezugspunkte „Gemeinde mit Menschen", „theologische Orientierung" und „Subjekt des Theologen" kann von einer „Praxis" gesprochen werden, die für diese Bezugspunkte von Relevanz ist und die darum auch für die theologische Ausbildung Bedeutung hat. Insofern bedeutet die Rede von einer .zukünftigen Praxis', auf die vorbereitet werden soll, eine Verkürzung des Praxisbegriffs. Bei einem solchen abstrakten Praxisbegriff wäre mindestens eine der Bezugsgrößen irrelevant. 350 351 353 354

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

„Theologisches Propädeutikum" (1972), a.a.O., 155. Daiber (1975), a.a.O., 176. 352 Vgl. Wintzer (1979), a.a.O., 371. „Theologisches Propädeutikum" (1973), a.a.O. Wille, a.a.O., 6.

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In jedem der drei Abschnitte dieses Kapitels ist deutlich geworden, daß ein solches abstraktes Praxisverständnis unangemessen ist. So ist der Praxisbegriff weder allein auf Gemeindewirklichkeit, noch auf den konkreten Kontext o.ä. zu beschränken, sondern in seiner Komplexität und Relevanz für die drei genannten Bezugsgrößen zu fassen. In solcher - von einer pragmatisch-berufsfunktionalen Ausbildung unterschiedenen - Praxisrelevanz, die naturgemäß einen höheren Grad an Komplexität aufweist, ist ein Proprium des akademischen Theologiestudiums zu sehen. Im Rahmen eines solchen Praxisverständnisses kommt den Fähigkeiten sowohl zur Fremd- als auch zur Selbst-Wahrnehmung große Bedeutung zu. Dabei werden auch immer applikative Momente ihren Platz haben. Beide Dimensionen der Wahrnehmung sind da von Wichtigkeit, wo die Gemeinde im Blick ist. Die Gemeinde ist nur in Menschen da. Deren Lebenswelt prägt, ermöglicht, aber begrenzt auch ihre Existenz in und mit der Gemeinde. Der damit bezeichnete Kontext ist von daher nicht von zusätzlichem, der theologischen Zielbestimmung nachgeordnetem Interesse, sondern steht gleichberechtigt neben diesem und fordert seine Wahrnehmung als theologisch gebotene Aufgabe heraus. Dementsprechend ist auch die Situation des/der Studentin im Studienprozeß (aber auch im Praktikum) sowie deren Wahrnehmung von entscheidender Bedeutung fur den Ertrag eines Praktikums. In dem folgenden Kapitel soll anhand vorliegender Praktikumsberichte der Frage nachgegangen werden, ob die hier gewonnenen theoretischen Positionen durch schriftliche Darlegungen der Studentinnen über ihre Praktikumserfahrungen Bestätigung finden.

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IV. Kontextuelle Erfahrungen: Die Wahrnehmung von Aspekten christlicher Gemeindeexistenz in der DDR nach Praktikumsberichten Rostocker Theologiestudenten

(1973-88)

1. Das Gemeindepraktikum als Bestandteil des Studiums 1.1. Die Organisation des Praktikums An der Theologischen Fakultät in Rostock wird das Gemeindepraktikum seit 1973 als obligatorischer Bestandteil des Theologiestudiums durchgeführt. Zunächst hatte es seinen Ort im vierten Studienjahr. Seit 1984 wird es auf Wunsch der Studentinnen im dritten Studienjahr veranstaltet. In Rostock ist es üblich, daß die Studentinnen sich selbständig eine Praktikumsgemeinde bzw. einen Mentor wählen. Die Mentoren werden durch den Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie schriftlich über das Praktikum, seine Inhalte und Ziele informiert. Dem Gemeindepraktikum zu seinem jetzigen Zeitpunkt gehen das homiletische Proseminar sowie eine praktischtheologische Hauptvorlesung voraus. Vor Beginn des Praktikums findet im Rahmen einer Lehrveranstaltung eine mündliche Vorbereitung statt. Jede/r Praktikantin erhält ferner eine schriftliche .Aufgabenstellung für das Gemeindepraktikum"; dem Mentor wurde bereits ein Exemplar zugeschickt. Nach Möglichkeit werden die Praktikantinnen einmal während des Praktikums besucht. Nach Abschluß erfolgt zunächst eine mündliche Auswertung in der Gruppe. Eine schriftliche Auswertung erfolgt in der Form des obligatorischen Praktikumsberichtes, den jede/r Praktikantin anzufertigen hat.

1.2. Die inhaltliche Ausrichtung des Praktikums In Rostock wurde als generelle Zielstellung formuliert: „Das Praktikum soll den Studierenden der Theologie Einblick geben in das vielfältige Leben einer heutigen Kirchengemeinde ..."' Zunächst soll der Praktikant „mehr beobachtend, hospitierend und analysierend am Gemeindeleben teilnehmen", später 1 Dieses und die folgenden Zitate in dem MS „Aufgabenstellung fur das Gemeindepraktikum".

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dann auch aktiv beteiligt sein. Im einzelnen werden folgende Aufgabenstellungen gegeben: „Einfuhrung in die allgemeine Situation der Gemeinde durch den Pastor und durch Gespräche mit anderen haupt- und nebenamtlichen Mitarbeitern ...". Ferner: Teilnahme an Beratungen, Besuche in der Gemeinde, Mitarbeit an der Vorbereitung der Gottesdienste, Halten einer eigenen Predigt, Mitwirkung bei anderen Gemeindeveranstaltungen, Hospitation im kirchlichen Unterricht und eigene Durchführung, Beteiligung an der Jugendarbeit, Einblick in die diakonische Arbeit.

1.3. Statistische Angaben zu den Praktika In den Jahren 1973—1988 haben 123 Rostocker Theologiestudenten ein Gemeindepraktikum absolviert. 111 schriftliche Berichte von Studentinnen über ihr Praktikum standen zur Auswertung zur Verfügung. Von den 111 Praktikantinnen haben 23 ihr Gemeindepraktikum außerhalb der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburgs absolviert, 88 in einer Kirchengemeinde in Mecklenburg. Bei den mecklenburgischen Praktikumsorten sind Stadtgemeinden in der Mehrzahl: 23 kleine oder mittlere Städte waren Praktikumsorte (davon zehn Städte zweimal; eine dreimal). Weitere acht Praktikantinnen wählten eine Schweriner, 22 eine Rostocker Gemeinde (davon waren neun Neubau-Gemeinden). 20 Dorfgemeinden waren Praktikumsorte (davon vier zweimal). Das Verhältnis von Studenten und Studentinnen ist ausgeglichen: 56/55.

2. Das Gemeindepraktikum im Spiegel der Mentorenberichte Insgesamt haben 84 Betreuerberichte zu den Gemeindepraktika von Rostocker Theologiestudentinnen vorgelegen. In den Berichten wird die Einrichtung des Praktikums ausnahmslos positiv beurteilt. Sofern der Zeitpunkt erwähnt worden ist, wird von den Betreuern das dritte Studienjahr häufiger als zu früh angesehen und eine Durchführung im vierten Studienjahr befürwortet. Bei einer Beurteilung durch die Mentoren spielt naturgemäß der Gesichtspunkt der Motivationsstärkung bei den Studierenden keine Rolle. Vielmehr werden als Argumente eine größere Nähe zur Berufspraxis und ein theoretisch entwickelteres Problembewußtsein genannt. Von einer großen Zahl der Mentoren wurde die Anwesenheit von Praktikantinnen als fruchtbare Anregung im Gemeindealltag und als hilfreiche Herausforderung zur Reflexion der eigenen Praxis erlebt und bewertet. Es erscheint durchaus bemerkenswert, daß von den Mentoren keinesfalls nur eine pragmatische Ausrichtung der theologischen Ausbildung unterstützt oder gefordert wird. Wichtigstes Element für die Bewertung des Praktikums scheint nach 152

diesen Berichten nicht die Effizienz der Praktikantentätigkeit, sondern der erreichte Grad der Kommunikation zwischen Mentor und Praktikantin zu sein! Diese Bewertung ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Sie zeigt zum einen, wie wichtig Pastorinnen und Pastoren die Möglichkeit des Gesprächs über ihre Existenz mit einem interessierten „Gesprächspartner auf Zeit" sehen und erleben. Zum anderen ist an dieser Stelle auch die Gefahr einer Uberforderung für den Praktikanten gegeben. Das muß deutlich gesehen und berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang seien noch einige Zitate angefugt. Bereits zum ersten Praktikumsdurchgang wird von einem Mentor auf eine Problematik hingewiesen. Er fragt danach, wie bei der Planung des Gemeindepraktikums „die psychologischen und charakterlichen Verschiedenheiten (und Defekte!) der Praktikanten, Pastoren und kirchlichen Mitarbeiter einkalkuliert werden können". Diese .persönlichen Momente' des Gemeindepraktikums werden als Gefahr benannt: „Es werden bei den Praktikanten möglicherweise Vorstellungen von Amtsträgern, Mitarbeitern oder Gemeinde geweckt, die sich lähmend über das zukünftige Berufsbild legen und eine klare Entscheidung unmöglich machen."2 In einem anderen Bericht wird — mit Erfolg — deutlich, wie sowohl die Problematik der .persönlichen Momente' gesehen, ihr aber auch sinnvoll begegnet wird. Mentor und Praktikant vereinbarten, daß die Verfolgung einer den Pfarrer interessierenden Fragestellung durch Erkundung und Befragung als thematische Linie alle anderen Tätigkeiten begleitete. Dabei handelte es sich um die Fragestellung: „Wie wirkt sich der Arbeitsstil, die Unterschiedlichkeit und das Miteinander der beiden Pfarrer der Gemeinde auf die Mitarbeiterschaft und das Gemeindeleben aus?"3 Vom Mentor wie vom Praktikanten wird diese Konzipierung der Praktikumszeit als fruchtbar beschrieben. In demselben Mentorenbericht werden auch die Grenzen eines solchen Gemeindepraktikums deutlich benannt, die unmittelbar mit den hier interessierenden Aspekten der Gemeindewirklichkeit in Beziehung stehen. Dazu heißt es: „Was bei einem Praktikum wohl schwer zu vermitteln ist, ist die Bedeutung der Gemeinde ftir den Pfarrer und ein Einblick in den Stellenwert, den die Gemeinde bei ihren Gliedern hat."4 Hierzu sei noch auf eine Bemerkung in einem weiteren Mentorenbericht hingewiesen. Dort heißt es: Der Praktikant „zeige großes Interesse fur die soziale Struktur der Gemeinde und für vermutbare Motive für eine Beteiligung am Gemeindeleben"5. Insgesamt zeigen die Berichte der Mentoren, daß diese weniger dem „Können" als vielmehr dem „Kennen" Auf Seiten der Praktikantinnen Bedeutung

2 Jahrgang 1973, Nr. 8, S. 2. 4 Ebd.

3 Jahrgang 1979, Nr. 1. 5 Jahrgang 1982, Nr 4.

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zumessen. Diese Feststellung steht in einer Spannung zu den häufigen Klagen über eine zu geringe Praxisnähe der theologischen Ausbildung. Es wird deutlich, daß auch viele Pfarrer keine nur pragmatische Ausrichtung der Ausbildung befürworten. In dem Zusammenwirken mit den Praktikantinnen haben wohl mehrere Mentoren den Theoriebedarf ihrer Praxis wieder neu empfunden.

3. Zum Ertrag des Gemeindepraktikums: Aussagen der Praktikumsberichte und theoretische Zielbestimmungen In 71 der 111 Berichte wird jeweils am Ende der Ertrag des Praktikums aus der Sicht des/der Studentin verbalisiert. a) 23 Berichte stellen die Aktivität des Pfarrers in den Vordergrund: - das Praktikum gibt die Möglichkeit, die Vielfalt und die Anforderungen des Gemeindelebens kennenzulernen; - das Praktikum gibt die Möglichkeit, das Leben in einem Pfarrhaus kennenzulernen. 8 Berichte davon ziehen von einem solchen Ertrag des Praktikums eine Linie zum eigenen Berufsziel .Pfarrer': - Das Praktikum gibt einen Eindruck von „meiner künftigen Arbeit"; - Das Praktikum bestätigt „meine Vorstellungen" vom Beruf des Pfarrers; - Das Praktikum gibt die Möglichkeit, „mich rechtzeitig einzustellen" auf die Anforderungen dieses Berufs. b) 33 Berichte stellten den Wert des Praktikums fur das Erleben des Einzelnen in den Mittelpunkt: - Das Praktikum wird ein „sehr positives Erlebnis" genannt, ohne daß weitere Konkretionen angeführt werden. - Das Praktikum wird als wichtig fur die Studienmotivation und als Ermutigung fur das Berufsziel erlebt. c) 4 Berichte stellen eine funktionale Bedeutung des Praktikums heraus: - Das Praktikum wehrt der Gefahr einer nur theoretischen Fixierung; - Das Praktikum ermöglicht Versuche, im Studium Erworbenes praktisch umzusetzen. d) 11 Berichte weisen auf die Möglichkeit hin, im Praktikum Situation und Wirklichkeit einer Gemeinde kennenzulernen: - Das Praktikum ermöglicht, das Leben einer Gemeinde hier und heute zu erleben. - Das Praktikum ermöglicht, zu erfahren, wie ein Pastor in einer Gemeinde leben kann. - Das Praktikum ermöglicht das Wahrnehmen der Probleme von Menschen. Ein Vergleich mit den oben aufgeführten Motiven und Zielvorstellungen für das Gemeindepraktikum ist aufschlußreich: 154

Das Modell „Kompensation eines Realitätsverlustes" begegnet nicht. Damit wird dessen rein theoretische Formulierung noch einmal deutlich. Das Erleben des Praktikums als ein „psychosoziales Moratorium" scheinen die unter b) aufgeführten zahlreichen Berichte anzuzeigen. Die Unterbrechung des theoriegeleiteten Studiums durch eine Zeit aktiver Tätigkeit, die Herausforderung und Ermöglichung von theorieunabhängiger Kommunikation mit dem Erleben direkten personalen Reagierens sind Momente, die das Praktikum als „sehr positives Erlebnis" bezeichnen lassen. So kommt diesem Motiv im Erleben der Studentinnen große Bedeutung zu.6 Praxisbezug als „Applikation "wird in den vier unter c) aufgeführten Berichten deutlich. Insgesamt aber herrscht die Einsicht in die Unübertragbarkeit von im Studium erarbeiteten Entwürfen vor. Auch diese Einsicht kann als eine wichtige Lernerfahrung interpretiert werden. „Einübung in das künftige Berufefeld und Vergewisserung der Berufemotivation " wird in der Mehrzahl der Berichte als ein Ertrag des Praktikums genannt (a, c und d). Darin wird die starke Erwartung deutlich, die dem Praktikum als Beitrag zur Berufsbefähigung entgegengebracht wird. „Erweiterung von Wirklichkeitserfahrung durch Beteiligung", wobei die Gemeindegrenzen transzendiert werden können, wird nur punktuell erfahren und dokumentiert. Gründe dafür sind in der Orientierung der Aufgabenstellung auf den Bereich der Gemeinde, aber auch in der eigenen Prägung durch erlebte Gemeinde und in der damit verbundenen Studienmotivation zu sehen.7 „Erweiterung von Wahrnehmung" ist ebenfalls aus den Berichten nur zu erschließen. Die Gründe dafür sind mit den zuvor aufgeführten identisch. „Erkundung von und Partizipation an christlicher Praxis " wird als Inhalt des Praktikums nicht genannt. Auch hier lassen sich lediglich punktuelle Erlebnisse erschließen. Die implizit vorhandene, durch die Aufgabenstellung verstärkte Aufmerksamkeit für die Pfarrerinnen als Orientierung für die eigene spätere Berufspraxis lassen das oben genannte Ziel kaum in den Blick kommen. Insbesondere die unter d) genannten Berichte scheinen Ansätze dazu aufzuweisen, im Praktikum „Den Theoriebedarfder Praxis entdecken "zu können. So läßt sich eine Annäherung an dieses Ziel nur indirekt beschreiben. Um es begründet zu verfolgen, bedarf es notwendiger theoretischer Vorarbeit und entsprechender Auswertung. Insofern liegt gerade hier die Möglichkeit und die Herausforderung zu einer Integration von Theorie und Praxis. Ob dafür Projekte effektivere Lernchancen als Einzelpraktika bieten würden, kann nach den bisherigen Erfahrungen nicht eindeutig beurteilt werden. Die Motive „Kompensation", „Psycho-soziales Moratorium" und - ganz allgemein —,Applikation" haben prinzipielle Bedeutung für jede Form des Praktikums, also 6 Vgl. dazu das beschriebene „Hochgefühl" aus der „Erfahrung des endlich wieder mal aktiv Tätigseins". - Vgl. Anlage 3. 7 Das erklärt, warum dieses Motiv in dem in Anlage 3 wiedergegebenen Text fehlt.

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auch fur das diakonische Praktikum. Die übrigen Motive und Zielbestimmungen sind unter dem Gesichtspunkt „Gemeindewirklichkeit" und deren Wahrnehmung insbesondere fur das Gemeindepraktikum von Bedeutung.

4. „Wahrnehmungen in der Gemeinde"nach den Praktikumsberichten der Studentinnen Die Erweiterung der Wahrnehmung von Wirklichkeit ist nicht Selbstzweck. Sie geschieht aus Anlaß der Beschäftigung mit der christlichen Gemeinde. Diese bleibt daher der Bezugspunkt. Dabei geht es aber nicht um eine normative oder um die institutionelle Gestalt der Gemeinde, sondern um ihre empirische Vorfindlichkeit. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Erkundung von und Partizipation an christlicher Praxis eine unabdingbare Forderung an das Gemeindepraktikum. Das Miteinander verschieden strukturierter Gruppen in einer Gemeinde, wie überhaupt die Form der Frömmigkeit einzelner Menschen stellen einen wichtigen Erfahrungsraum dar. Hier sind die Voraussetzungen fiir „ökumenisches Lernen" zu sehen, aber auch die fur eine .Ausbildung zum Dienst des ganzen Volkes Gottes". Es ergibt sich hier eine Situation, in der „Ganzheitlichkeit" nicht allein als Forderung, sondern als selbstverständliche Erfahrung vorhanden ist.

4.1. Zur Aufgabenstellung und Methode der Auswertung Die für ein Gemeindepraktikum unter dem Aspekt der „Wahrnehmung" als relevant erkannten Zielstellungen werden in den „Aufgabenstellungen zum Gemeindepraktikum" nicht explizit erwähnt. Das erklärt, warum diese Motive bei dem „Ertrag" des Praktikums nicht erwähnt werden. Darauf, daß einer entsprechenden Organisation des Praktikums durch die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen enge Grenzen gesetzt waren, ist bereits hingewiesen worden. Umso größeres Interesse gilt der Frage, ob solche — zu den genannten Zielstellungen gehörenden — Beobachtungen und Erlebnisse völlig ausgefallen sind, oder ob solche u.U. durch die erlebte Praxis selbst herausgefordert und als Problem bewußt geworden sind. Daraufhin sollen die Praktikumsberichte untersucht werden. Die Auswertung der Berichte kann sich demnach nicht auf Aussagen stützen, die durch die Aufgabenstellung herausgefordert worden sind. Entsprechende Wahrnehmungen können nur auf indirekte Weise, durch Erschließung aus den Texten festgestellt werden. Dazu war es notwendig, Indikatoren zu bestimmen, die eine Zuordnung bestimmter Textpassagen zu den Wahrnehmungszielen ermöglichen. Bei einem solchen Verfahren sind die individuellen Besonderheiten der Berichtsautoren einerseits und der subjektive Eindruck des

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Auswertenden andererseits als relativierende Faktoren einzubeziehen. So werden keine wissenschaftlich gesicherten Ergebnisse vorgestellt, wohl aber Beobachtungen, die fur die Diskussion zu Wahrnehmungen in einem Praktikum von Bedeutung sein können. In der Mehrzahl der Berichte werden gemäß der Aufgabenstellung - Gemeindeveranstaltungen beschrieben. Solche Beschreibungen von „Gemeindeaktivitäten" nehmen den weitaus größten Anteil innerhalb der Berichte in Anspruch. Dieses umfangreiche Material wurde nur unter den im folgenden genannten Gesichtspunkten fiir die Auswertung als relevant angesehen und entsprechend verwertet. Der durchschnittliche Umfang der Praktikumsberichte beträgt 10-15 Schreibmaschinenseiten.8

4.2. „Erweiterung von Wirklichkeitserfahrung durch Beteiligung Indikator: Angaben zu geographisch-soziologischen der Praktikumsorte und ihrer Bevölkerung

Determinanten

Von den 64 Berichten über eine Stadtgemeinde geben 22 hierzu Erläuterungen, die über die pauschale Bezeichnung . S t a d t g e m e i n d e ' hinausgehen (z.B. Neubaugebiet, Aufzählung der prägenden Industriebetriebe u.ä.). Von den 24 Berichten über eine Landgemeinde geben 13 entsprechende Erläuterungen (z.B. hauptsächlich in der LPG tätig, Pendler u.ä.). In vier Berichten wird daraufhingewiesen, daß die Besonderheiten des ländlichen Lebensrhythmus (Jahreszeit und anfallende Arbeiten) sowie der Lebensweise (z.B. individuelle Viehhaltung) das Teilnahme-Verhalten an kirchlichen Veranstaltungen - auch das Freizeitverhalten generell — mitprägen. Bei Stadt- und hier besonders bei Neubaugemeinden wird der Drang vieler Bewohner danach, das Wochenende im Garten oder auf dem Land zu verleben, in zwei Berichten notiert, in weiteren zwei Berichten ein starkes Bedürfnis nach Ruhe und Zurückgezogenheit wahrgenommen. Die aufgeführten Zahlenverhältnisse zeigen, daß die Wichtigkeit der Erkundung von Determinanten alltäglicher Wirklichkeit mehrheitlich bei den Studentinnen nicht ausgeprägt und auch während des Praktikums nicht als dringend ins Bewußtsein gerückt ist. Hier bleibt ein Defizit an Wahrnehmung bestehen. Dieses Ergebnis ist zum einen auf den fehlenden Impuls zurückzufuhren. Zum anderen wird aber darin auch deutlich, wie stark und wie dominierend - auch und gerade bei Theologiestudentinnen - die Wahrneh8 Die in den folgenden Ausführungen herangezogenen Zitate stammen ausnahmslos aus Berichten der Jahre 1 9 7 9 - 1 9 8 8 . Die Herkunft der Zitate wird angegeben durch Hinweise auf den Praktikumsjahrgang (römische Ziffer; z.B. VI = 1979), auf den entsprechenden Bericht (Großbuchstaben) und auf die jeweilige Seite (Ziffer). Sämtliche Berichte sind an der Theologischen Fakultät in Rostock vorhanden.

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mung auf den binnengemeindlichen Bereich fixiert ist: Es sind nur die Gemeindeglieder im Blick und auch diese überwiegend nur in ihrem Teilnahmeverhalten an Gemeindeveranstaltungen.

4.3. „Erweiterung von Wahrnehmung" a) Indikator: Ausführungen über Gottesdienst-Teilnehmer und über NichtTeilnehmer In beinahe allen Berichten werden Gottesdienste erwähnt. Sie werden als selbstverständliche, regelmäßige Veranstaltungen vorausgesetzt, entsprechend wird auch über sie berichtet. Mehrfach kommen ausfuhrlich Konzeptions- und Gestaltungsfragen in den Blick. Nur in 37 Berichten werden die Gottesdienstbesucher erwähnt. Davon werden in 24 Zahlenangaben gemacht, bzw. der Besuch als gut oder als schlecht bewertet. Fünf der 37 Erwähnungen nenne vorwiegend alte Menschen als Teilnehmer; insgesamt acht berichten von Gottesdienstbesuchern aus allen Generationen. Selten, nur in insgesamt acht Berichten, ist ein Nachdenken über die Menschen, die den Gottesdienst nicht besuchen, zu finden: Zweimal wird beobachtet, daß in einer aktiven Gemeinde mit guter Hauskreisarbeit etc. scheinbar kein Bedürfnis am Gottesdienstbesuch besteht. In drei Berichten wird festgehalten, daß die Generation der 25- bis 50-jährigen im Gottesdienst fehlt. Dabei wird einmal die Frage nach dem „Warum" gestellt. Dieselbe Frage begegnet bei der einzigen Feststellung, daß ,Männer' im Gottesdienst fehlen. Mit der Form der Frage ist ein Indikator in den Blick gekommen, der ein Problembewußtsein, hervorgerufen durch Beobachtung, anzeigt: Warum fehlen Männer im Gottesdienst? Warum fehlt die Generation der 25- bis 50jährigen hier? Diese Fragen signalisieren das Wahrnehmen einer Spannung zwischen dem Angebot — hier: Gottesdienst - und den Bedürfnissen der Menschen, bzw. läßt nach anderen Erklärungen Ausschau halten.

b) Indikator: Benennen eines Eτfahrungsdφzits in anderen Lebensbereichen Auf „wirklichkeitsfremde" Angebote in der Gemeinde weist folgende Beobachtung hin: „In einer Gemeinde findet regelmäßig am Sonnabend um 18 Uhr eine Wochenschlußandacht statt, „wobei man völlig unberücksichtigt ließ, daß der Sonnabend seit längerer Zeit arbeitsfrei ist".9 Diese Feststellung zielt auf eine Erwartungslosigkeit gegenüber den Andachts-Besuchern: Besucher im arbeitsfähigem Alter sind gar nicht im Blick. Die Feststellung verbleibt jedoch an der Oberfläche. So wird eine mögliche Funktion der Veranstaltung für die tatsächlichen Besucher nicht diskutiert. Die Frage nach dem Anspruch und

9 XIV/D/6. 158

nach der Funktion bestimmter kirchlicher Veranstaltungen wird dadurch sehr deutlich. In einem Bericht kommen interessierte Menschen außerhalb der Gemeinde in den Blick. Ihre Schwierigkeiten, sich der Gemeinde zu nähern, werden wahrgenommen: Es gibt zu „große Verstehensschwierigkeiten in bezug auf Rituale und Vokabularien der Kirche ... Diese Menschen finden schwer die offene Kirchentür und sollten sie sie finden, ist es ein äußerst schwieriger Prozeß, sich hineinzufinden. Die Sensibilisierung der bestehenden Gemeindegruppe ist oft nicht so groß, um in geeigneter Weise auf diese Menschen einzugehen ,.."10 Eine dazu konträre Beobachtung findet sich in einem anderen Bericht: Da wird in einer Großstadt die Existenz von Gruppen wahrgenommen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Einige dieser Gruppen nehmen auch Angebote der Gemeinde wahr. Diese Beobachtung fuhrt zu neuen Fragen: „Was suchen sie? Warum werden sie durch kirchliche Angebote zum Kommen motiviert, wenn auch vielleicht nur ein einziges Mal? Wie können solche Einzelne oder Gruppen in ein „Bild von Gemeinde" hineingedacht werden? Und: „... werden die Kirche und besonders die betroffenen Gemeinden auch ferner bereit sein und überhaupt noch sein können, die Arbeit zu unterstützen?"11 Aber auch im Blick auf Gruppen innerhalb der Gemeinde werden Wissensund Erfahrungsdefizite wahrgenommen. Da wird die Andersartigkeit bestimmter Lebensbereiche - etwa der Kinder - sehr deutlich empfunden: „Welche eigentlichen Gedanken haben Kinder?"12 „Sie sprechen eine Sprache, die ich nicht kenne; erleben Probleme, die mir nicht mehr bewußt sind."13 Da wird auch die Notwendigkeit gesehen, intensiv mit den Problemen einer bestimmten Altersgruppe von Jugendlichen konfrontiert zu werden: „Die Vorbereitung auf die Tage der Rüste selbst waren fur mich wichtig, da ich hier erstmals mit Problemen dieses Alters konfrontiert wurde."14 Mit diesen dokumentierten Wahrnehmungen sind wichtige Ansatzpunkte für die Erkundung von Lebenswirklichkeit und fur das Erkennen der Notwendigkeit dieser Aufgabe in das Blickfeld gerückt. c) Indikator: Mitteilung von Anlässen, die auf Erwartungen und Bedürfhisse von Menschen aufmerksam machen Die Beobachtung, daß Menschen im Alter von 20—50 Jahren ein distanziertes Verhältnis zu Kirche und zu Gemeindeveranstaltungen zeigen, fuhrt zu Schlußfolgerungen: „Ich fände es wichtig, zu erfahren, warum das so ist, ob wirklich nur der volle Arbeitstag daran schuld ist, oder ob sie die Angebote der Kirche vielleicht nicht anziehend genug finden."15 Es wird hier deutlich, daß der/die 10 XIV/Gl 2. 12 IX/A / 10. 14 X I / J / 5 .

11 XII/ CI 13. 13 XIV/Β/2. 15 XIII Al 3. 159

Studentin ein tradiertes Erklärungsmuster - .voller Arbeitstag' - fur dieses Phänomen kennt, es aber problematisiert. Dabei kommt dann auch die Seite des Anbieters, der Gemeinde, in den Blick. Welche Veranstaltungen sind fur Menschen in dieser Lebensphase anziehend? Wie kann Gemeinde darauf reagieren? In einem anderen Bericht werden die durch die Beobachtung gegebenen Herausforderungen ebenso gesehen und benannt: „Ich habe dies beobachtet und es bleibt mir eine Frage und eine Herausforderung fiir den Gemeindedienst."16 Die Herausforderung gilt für den Prozeß der Planung. Die überspitzte Fragestellung könnte lauten: Geschieht die Planung flächen- oder termindeckend orientiert oder geschieht sie teilnehmerorientiert? Dabei sind mit einer teilnehmerorientierten Planung keinesfalls alle Probleme gelöst. Denn wer sind die Teilnehmer, die in den Blick kommen? Welche Kriterien gelten fiir eine solche Zuordnung? Wie sehr kann eine Planung auf vorgegebene Teilnehmer zentriert sein, ohne weitere Teilnehmer auszuschließen? In einem Bericht wird auf diese Problematik hingewiesen: Auch bei einem Angebot mit .offenen Türen' bleiben Menschen außerhalb. Vermißt wird das direkte Zugehen auf solche, die nicht von selbst kommen. 17 Auch in anderen Berichten wirkt das beobachtete Teilnahmeverhalten als Indikator. So wird berichtet, daß in einer Gemeinde ein aktiver und aufgeschlossener Hauskreis ist: ,»Ansonsten nehmen diese Leute aber nicht am Gemeindeleben teil. Warum?"18 Auch hier wäre zu fragen: Was macht fiir diese Menschen die Mitarbeit im Hauskreis so attraktiv? Welchen Bedürfnissen kommt diese Form entgegen? Und zum anderen: Wie ist die sonst beobachtete Distanz zum Gemeindeleben zu werten? Liegt es an den Angeboten? Oder liegt es an den zeitlichen Möglichkeiten der Menschen? Liegt es vielleicht auch an dem geprägten Standpunkt des Beobachtenden, der christliche Existenz an mehr als einem Punkt manifestiert sehen möchte? In diesen Zusammenhang gehört auch die aus Beobachtungen resultierende Frage, „warum junge Leute lieber Themenarbeiten machen, als sich mit konkreten Bibeltexten auseinanderzusetzen".19 In einem Bericht wird der Ausspruch eines Teilnehmers an einem Bibelabend mitgeteilt, der, nachdem er die Bibel zugeklappt hatte, sagte: „Hören Sie, das will ich nicht wissen, das interessiert mich nicht, ich muß heute leben, verstehen Sie!"20 Daß dieser Ausspruch mitgeteilt wird, macht darauf aufmerksam, daß der/die Praktikantin davon berührt ist: Wie können Christen, Theologen diesem berechtigten Anliegen entsprechen? Zugleich wird in diesem Ausspruch eine enorm hohe Erwartung deutlich - daß nach Orientierung und Hilfe fiir die aktuellen und existentiellen Probleme („ich muß heute leben!") gefragt und daß Antwort 16 XI/K /10. 18 XIII/B/5. 20 IX/A/ 16. 160

17 XIV/ Gl 2. 19 XV/A/3.

erwartet wird. Der Weg von der Frage zur Antwort rückt hier in den Blick. Wo dieses ernst genommen wird, da können sich Theologie und Kirche, Theologen und Christen nur an die Seite der Fragenden stellen und selber zu Hörenden und zu Suchenden werden. Das Monopol des Antwortens ist dann überholt. Das ,Prae' von Christen und Theologen besteht lediglich in dem Wissen um das große Reservoir der chrisdichen Tradition. d) Indikator: Mitteilung eines einseitigen Vorverständnisses über Veranstaltungsteilnehmer (, kirchlich-professioneller Standpunkt') In einem Bericht wird folgender Eindruck wiedergegeben: Die Angebote der Jugendarbeit in einer Gemeinde werden von Jugendlichen besucht, die eine Alternative suchen zu Schule und Beruf und darum Erwartungen mitbringen. Den/die Praktikantin bewegt die Frage: „Wie und was arbeite ich mit dieser Gruppe, so daß es dem Einzelnen hilft und sie nicht enttäuscht ...?"21 Hier wird der eingenommene kirchlich-professionelle Standpunkt deutlich. Das fuhrt zu charakteristischen Formulierungen („... ich arbeite mit dieser Gruppe ...") und zu der Einführung eines .fremden1 Zieles: „Hilfe fiir den Einzelnen". Diese Zielformulierung wird für die Teilnehmer, aber nicht mit ihnen gefunden. Die mit diesem Standpunkt gegebene Distanz bleibt bestehen. Sie verhindert die unverstellte Wahrnehmung der Teilnehmer, d.h. das Wahrnehmen dessen, was für sie nun wirklich die Motivation zum Kommen ausmacht. Die notwendige, unverstellte Wahrnehmung ist aber stets gefährdet, sowohl durch den eingenommenen Standpunkt, wie auch durch unkritisch übernommene Vorurteile. In einem Bericht wird darüber reflektiert: In einer Bibelstunde erlebt der/die Praktikantin eine ältere Frau, die sich aktiv am Gespräch beteiligt. „Diese hatte ich echt unterschätzt... Warum hatte ich wohl so echte und lebendige Fragen wie auch Äußerungen darüber nicht erwartet?"22 Die Problematik eines kirchlich-professionellen Standpunktes des/der Studentin im Praktikum wird sehr deutlich in einer Frage, die an die Beobachtung anschließt, daß die ältere, prägende Generation in der Kirche weniger wird: „Was erwarten die nachrückenden Generationen von der Kirche, von ihrer Kirche?"23 Die Frage ist nicht allein als Aufforderung zur besseren Wahrnehmung der Menschen zu hören. Sie weist auf ein Problem hin: Gehört der/die Studentin nicht auch zu einer der nachrückenden Generationen? Hat er/sie nicht auch Erwartungen an die Kirche? Es wäre wichtig, diese eigenen Erwartungen wahrzunehmen und in das Gespräch mit anderen einzubringen. Es besteht die Gefahr, daß die Schere zwischen den Gemeindegliedern und dem Gemeindeglied in der theologischen Ausbildung weiter aufgeht und die Distanz vergrößert.

21 X / D / 5 .

22 XIII / Ν / 3.

23 XIII / Ν / 6. 161

e) Indikator: Aufzeichnung von Reflexionen zum Verhältnis „ Gemeinde " und „Außenstehende" Die entsprechenden Passagen schließen stets eine kritische Sicht der traditionellen Auffassung von Kirche und Gemeinde ein. Zugleich werden Ansätze zu einer konstruktiven Veränderung deutlich: Die Kirche muß sich „ihrer isolierten Stellung zur Welt viel mehr bewußt werden". Trotz ihrer unübersehbaren Präsenz ist Kirche nur ganz am Rande.24 In einem Bericht wird die Frage formuliert, „ob Kirche nicht durch bestehende Gemeindeformen und durch die traditionelle Sprache Möglichkeiten verschenkt"25. Die Entwicklung des Gemeindeverständnisses müsse „weg von einer relativ geschlossenen communio sanctorum hin zu einer offenen communio viatorum et peccatorum"26 entwickelt werden. Eine weitere Beobachtung wird in der Feststellung deutlich, daß „die Grenzen der Gemeinde heute sehr fließend geworden sind"27. In einem Bericht wird festgehalten: Um Menschen außerhalb der Gemeinde, die Suchende sind, aber nicht den Anschluß finden, helfen zu können, „wird viel Tradition aufzugeben sein. Ganz individuelle Antworten werden gefunden werden müssen"28. In diesem Zusammenhang wird dem gemeinsamen Lebensvollzug große Bedeutung beigemessen.

4.4. „Erkundung von bzw. Partizipation an christliche Praxis" a) Indikator: Konstatieren der Vielschichtigkeit von Motiven für das Teilnahmeverhalten Anlaß zu entsprechenden Feststellungen kann sowohl die Beobachtung fehlender Beteiligung, aber auch das Wahrnehmen selbstverständlicher Teilnahme sein. So heißt es in einem Bericht im Blick auf Konfirmanden: „Sie scheinen Gottesdienst langweilig zu finden, ohne irgendeine Kritik formulieren zu können."29 In einem Bericht wird der Eindruck vermerkt, in einer Christenlehregruppe wirkten die Mädchen uninteressiert. Der/die Autorin notiert: „Warum das eine Mädchen trotzdem die Freundin mitgebracht und warum diese kam, konnte ich nicht ergründen."30 In einem anderen Bericht werden solche Motive - hier bewußt erkundet mitgeteilt, die Jugendliche zum Kommen veranlaßten: „Am entschiedensten die Gemeinschaft, die sie hier erleben, eine andere Gemeinschaft, ein anderes Vertrauen, als sie sonst in ihrer Umwelt erfahren. Wichtig für sie ist, daß sie 24 26 28 30 162

XIV/G/4. VIII / Ε / 5. XIV/ Gl 2. VIII/H/2.

25 X I / J / 7 . 27 XIV/Ε / 5. 29 X / D 12.

mitverantwortlich ihre Treffen gestalten, daß sie ihren eigenen Raum haben, wo sie sich jederzeit treffen können." 31 In der Mehrzahl, so wird es festgestellt, ist es keine Teilnahme aus primär kirchlicher oder christlicher Motivation, „sondern die Chance des Zusammenseins mit Gleichaltrigen, abends, weg von den Eltern"32. In diesem Zusammenhang wird in einigen Berichten das Bedürfnis nach freier Diskussion von Problemen, aber auch die Bedeutung des Zusammenhalts in der Gruppe mitgeteilt. Es sind ambivalente Gefühle, die bei den Studentinnen durch solche Erlebnisse hervorgerufen werden. So findet sich in einem Bericht eine beinahe ängstlich wirkende Wahrnehmung der Konfirmanden: „Was wollen sie? Gibt es überhaupt etwas, wofür sie Feuer fangen könnten?" 33 In einem anderen Bericht werden Beobachtungen und Gedanken anläßlich eines Kirchensteuerbesuches mitgeteilt: Ein Gemeindeglied — in der Gemeinde kaum bekannt - zahlt anstandslos einen Betrag von ca. 130,— Mark Kirchensteuer. „Wofür würde er wohl sonst 130,— Mark hinblättern, für eine Sache, von der er nichts hält?"34 Die hohe Erwartung an die Kirche wird deutlich wahrgenommen, ohne daß es für den/die Autorin auszumachen war, worauf diese Erwartung gerichtet ist. Im Blick auf die Jugendlichen ist die Wahrnehmung ihrer sehr uneinheitlichen Motivation zu Angeboten ziemlich ausgeprägt. Es gibt auch ein Empfinden für eine im kirchlichen Sprachgebrauch nur schwer zu beschreibende Funktion entsprechender Veranstaltungen. Ganz anders ist es im Blick auf die Erwachsenen in der Gemeinde. Hier wird die Relation von Veranstaltungsangebot der Gemeinde und deren erkennbare Funktion für die Teilnehmer weniger deutlich. Auf diesem Wege sind wichtige Ansatzpunkte für eine intensive Erkundung deutlich geworden. Dabei scheint es wichtig zu sein, daß der/die Praktikantin es als Herausforderung erfährt, sich über die eigenen Motive zur Teilnahme an Veranstaltungen klar zu werden.

b) Indikator: Mitteilungen über Verknüpfungen von eigenen Idealen und Erlebnissen in der Gemeinde Solche Verknüpfungen sind in der Regel verbunden mit dem Erleben von Veranstaltungen, die eigenen Leitbegriffen (z.B. „Kommunikation" oder „Lebenshilfe") nahe kommen. Einmal wird das Erleben von „gelingender Kommunikation" als eindrucksvolles Erlebnis geschildert.35 In einem anderen Bericht wird dieser Aspekt vom eigenen Erleben her in den Mittelpunkt gestellt: Zum Arbeitsfeld gehört die „intensive Vorbereitung einmaliger, herausragender Veranstaltungen, zu denen möglichst viele Altersgrup31 XIV/Η / 5. 33 XIV/ Al 4. 35 XIV/C/4.

32 XIV/Β / 4. 34 VIII/Η/5.

163

pen Zugang finden können, um auch diese Funktion, die normalerweise der Gottesdienst erfüllt, aufrecht zu erhalten", z.B. Gemeinderüste, Gemeindefest u.a. 36 In diesem Zusammenhang kann auf eine Feststellung verwiesen werden, die auf die lediglich partikulare Realisierung eines wünschenswerten Zieles aufmerksam macht: Der Bericht beschreibt die schwierige Situation eines Jungen in seinem Elternhaus. Dieser Junge nimmt an einer Rüstzeit teil. Der/ die Autorin resümiert: „Auch wenn diese Rüste an seinem äußeren Lebenslauf kaum etwas ändern wird, die Erfahrung, mit anderen gesungen, gespielt und über die Bibel nachgedacht zu haben, wird sicher verborgene Räume in ihm öffnen können. Hier erlebe ich Kirche genau am richtigen Platz."37 An diesem Bericht wird deutlich, wie wichtig die eigene Stellung, der eigene Erfahrungsbereich fur Wahrnehmung und Konzeptionsfindung in der Gemeinde sind. In einem Bericht wird dieses ausdrücklich hervorgehoben: „... auch ftir mich ist eine solche Erfahrung immer wieder wichtig, daß wir merken, was wir eigentlich an unserm Glauben, an unserm Christsein haben, welche positiven Lebensmöglichkeiten uns damit ermöglicht werden."38 Eine solche persönliche Besinnung und Klärung ist unverzichtbar. Sie vermag es, ein Stück weit vor zu ungebrochener Identifizierung mit einem kirchlich-professionellem Standpunkt zu bewahren und zu einer besseren Wahrnehmung der anderen Menschen zu befähigen. Dieses gelingt am besten von einer Position des MitChristen, des Mit-Fragenden, des Mit-Zu-Motivierenden aus. Von hier aus fuhrt ein direkter Weg zu theoretischen Überlegungen, die an konkreten Erlebnissen anknüpfen: Zur Kommunikation müssen Menschen befähigt werden und „es muß ihnen der Rahmen geschaffen werden, in dem es ihnen möglich ist, aufeinander zuzugehen und miteinander in ein echtes Gespräch zu kommen, denn nur dann können Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen und Defizite artikuliert werden. Oft sind sie den Betreffenden ja gar nicht bewußt.... Dies kann ... sehr gut bei solchen Veranstaltungen geschehen, wo Menschen wieder mitbekommen, daß es eine ganz andere Art des Zusammenlebens und Miteinanderumgehens gibt. Hier fangen sie dann an zu fragen. Dieses Fragen ist aber Voraussetzung nicht nur für eine allgemeine Erwartungshaltung, sondern auch ftir das Hinhören auf etwas Neues, welches dann nicht nur Gefahren des Ungewohnten, des Aufschreckenden, Durcheinanderbringens, sondern auch Träger der Hoffnung wird. Das Bereitmachen auf die Verkündigung der frohen Botschaft durch das Ermöglichen des Zusammenlebens — und wenn es nur ein paar Stunden oder Tage ist — scheint mir so, eine der wichtigsten Aufgaben heutiger Gemeindearbeit zu sein." 39

36 X I V / J / 2 . 38 X I V / J / 5 . 164

37 X I V / C / 6 . 39 X I V / J / 2 .

4.5. Ökumenische Erfahrungen im Gemeindepraktikum Zwei der ausgewerteten Berichte behandeln Praktika im ökumenischen Bereich. Ein Praktikum wurde in evangelischen Gemeinden in Siebenbürgen (Rumänien) absolviert.40 Hier waren es weniger die bisher behandelten Aspekte der Wahrnehmung als vielmehr die Begegnungen mit einer anderen kulturellen Tradition, mit anderen Formen der Frömmigkeit und mit dem kirchlichen Leben in einem anderen gesellschaftspolitischen Kontext, die den Ertrag des Praktikums ausgemacht haben. Ein anderes Praktikum wurde in einer katholischen Gemeinde in der D D R durchgeführt. Auch hier stand nach Aussage des Berichts die Begegnung mit anderen Formen des Gemeindelebens im Vordergrund. Die eigene aktive Beteiligung daran - bis hin zur Übernahme von Lesungen in der Messe forderte förmlich zu einer Reflexion der Erlebnisse vor dem Hintergrund der eigenen konfessionellen Prägung heraus. Auf diesem Weg kann es wirklich gelingen, ökumenisches Lernen als etwas Selbstverständliches zu praktizieren. Ein Ergebnis des Lernprozesses in Partizipation und Reflexion wird in der Erfahrung gesehen, „daß beide Kirchen jeweils eine Seite des christlichen Glaubens besonders leben, sich voneinander durchaus befruchten lassen können, ohne dabei ihr eigenstes Wesen aufzugeben'"'1. In der katholisch geprägten Frömmigkeit wurde als eindrucksvoll empfunden — die Hinwendung nach innen, die Orientierung auf das gemeinsame Leben und das gemeinsame Feiern in der Gemeinde. Dieses wird ergänzt durch die Feststellung: „Kaum habe ich Beschäftigung mit sozialen oder politischen Zeitproblemen, mit dem Umweltproblem gefunden. In der evangelischen Gemeinde ist dies viel stärker betont, Nachdenken und Reflektieren viel wichtiger, es geschieht mehr Hinwendung nach außen, Zuwendung zu den Problemen der Welt. Wo beides zusammenkommt, Aktion und Kontemplation, wo Aktion ihre Wurzeln im Zentrum des Glaubens behält, wo Kontemplation nach außen ausstrahlt, kann die ganze Kirche aus ihrer eigenen Fülle belehrt werden und belehren." 42

4.6. Wahrnehmungen in bezug auf die Rolle des!der Pfarrerin Entsprechende Wahrnehmungen sind entweder durch eine bestimmte Aufgabenstellung initiiert, oder aber ihre Mitteilung läßt deutlich werden, daß hier für den/die Praktikantin Bedeutsames beobachtet und ansatzweise reflektiert wurde.

40 V I I / Β 42 X I V / Η / 3 .

41 X I V / Η / 3 .

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In einem Bericht berichtet der/die Autorin, er/sie habe sich die Aufgabe gestellt, zu erkunden, was Gemeindeglieder verschiedener Altersstufen von dem Pfarrer erwarten.43 Doch es bleibt allein bei dieser Ankündigung. Auf eventuelle Ergebnisse wird nicht eingegangen. Ein/e anderer/e Praktikantin hatte von dem Mentor die Aufgabe erhalten, „durch Beobachtungen und Befragungen von Gemeindegliedern festzustellen, wie sich die Verschiedenheit der beiden Pfarrer auf das Klima in der Gemeinde auswirkt"44. Ergebnisse werden im Bericht bewußt nicht mitgeteilt. In einem anderen Bericht sind Wahrnehmungen und Reflexion miteinander verbunden: Der/die Studentin hat den Eindruck gewonnen, daß Menschen außerhalb der Kirche z.B. bei einem Todesfall ohne Beistand hilflos dastehen. „Die Angst vor einer derartigen Situation projiziert unendlich viel Hoffnung in die Kirche und auf den Pfarrer selbst... Von diesem Tatbestand her ergeben sich ... die sehr grundsätzliche Frage nach Rolle und Funktion des Pastors auf dem Land überhaupt." 45 Aus einer Großstadtgemeinde wird in einem Bericht die Äußerung eines sehr aktiven Gemeindeglieds mitgeteilt: „Der Pfarrer wird als Theologe und als Geistlicher, also in Verkündigung und Seelsorge wichtig. Alles andere können wir selbst. Als Kommunikationsmanager benötigen wir den Pfarrer nicht." 46 Abschließend zu diesem Problemkreis sei noch eine Beobachtung aus einem Bericht mitgeteilt: Bei einer Bibelwoche in einer Landgemeinde sind die Abende in einem Außendorf viel besser besucht als die im Pfarrdorf. Der/die Praktikantin stellt dazu die Frage: „Ist die Kirche anziehender, wenn der Pastor/ die Pastorin nicht ständig greifbar ist?"47 Einer Antwort wird in dem Bericht nicht weiter nachgegangen. Jedoch könnte damit eine interessante Erkundungsaufgabe gestellt sein. In anderem Zusammenhang war schon von dem Phänomen der „Hintergrunderfullung" die Rede. Ist die mitgeteilte Beobachtung damit in Beziehung zu setzen? Es wäre zu erkunden, ob so etwas auch andernorts zu beobachten ist: Dort, wo Gemeinde, wo Kirche punktuell und an „fremdem" Ort präsent ist, dort findet sie stärkeres Interesse. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß Klischees sich hier nicht so ausbilden und durch distanzierte Beobachtung nicht so stabilisiert werden können? Andererseits, würde die .garantierte Anwesenheit' des Pfarrers im Pfarrdorf gerade demotivierend auf das Teilnahmeverhalten wirken? Die hier geäußerten Überlegungen verlangen nach einer eingehenden Überprüfung, denn ihnen stehen gängige Beschreibungen und Theorien entgegen. Gerade darum ist die mitgeteilte Beobachtung eine wichtige Herausforderung. In diesem Zusammenhang soll noch auf eine Beobachtung hingewiesen werden, die auf eine Rollenunsicherheit der Praktikantinnen aufmerksam werden 43 VII / A l 2. 45 V I / C / 8 . 47 X V / D / 7 . 166

44 VI/A17. 46 X V / F / 3 .

läßt: Die eigene Beobachtung („Ich") wird betont; das festgestellte Defizit wird aber nicht der „Gemeinde" oder dem/der „Pfarrerin" angelastet, sondern vielmehr als Anfrage an die „Hintergrund-Institution" - .Angebot der Kirche" oder „Gemeindedienst" - gerichtet. Darin wird der Eindruck von einer starken Einbindung der Pfarrerinnen in eine vorgegebene „Praxis der Kirche" deutlich. Diese Einbindung läßt kaum Möglichkeiten der individuellen Ausgestaltung offen - so jedenfalls kann der vermittelte Eindruck interpretiert werden. Auf der anderen Seite werden in solchen Zusammenhängen Erwartungen an „die Kirche" gerichtet, obwohl hier auch die eigene Person gefragt ist. Diese Beobachtungen sind sehr ernst zu nehmen, da auf diese Weise unzutreffende Vorstellungen verfestigt werden können.

4.7. Pastoraltheologische Beobachtungen Besonders ist auf die Passagen hinzuweisen, die über das eigene Predigen und die dabei gemachten Erfahrungen berichten. Indem hier tatsächlich ein zentrales Element der späteren Berufstätigkeit antizipiert wird, kommen auch pastoraltheologisch relevante Aspekte in den Blick. Mehrfach werden die Verben „überfordern" bzw. „überfahren", aber auch „vorbeireden" gebraucht. Aus der Perspektive des/der Studentin erscheint diese Erfahrung einer „Differenz" gravierender, als etwa Fragen der inhaltlichen und formalen Gestaltung einer Predigt. Als Wunsch und Ziel wird einmal formuliert, „die Sprache der Gemeinde sprechen" zu können. Der aufgeführte Sprachgebrauch ist aufschlußreich. Er zeigt zunächst, daß die Studentinnen die Predigt primär als ein Kommunikationsgeschehen sehen: Ihr Ziel erreicht die Predigt in zustandegekommener Kommunikation, nicht allein in richtigen theologischen Aussagen. Ferner wird eine Differenz zwischen den studentischen Predigtautoren und ihren Hörern konstatiert: Jene wissen nicht, zu wem sie reden bzw. sie meinen, es nicht zu wissen. Die Unkenntnis der Le'jenssituation, der Glaubensform und -praxis der Gottesdienstbesucher werden als Hemmnis und Hinderung beschrieben. Mit dieser Feststellung ist ein Punkt erreicht, der nicht mehr nur auf der logisch-rationalen Ebene geklärt werden kann. Vielmehr scheint es sich hier primär um eine Projektion eigener fehlender Gewißheit auf die „Fremdheit" der Hörer zu handeln.48 Der Wunsch, „die Sprache der Gemeinde sprechen" zu können, kann zum einen als Sehnsucht nach gelingender Kommunikation interpretiert werden. Eine genaue Analyse dieser Formulierung läßt die damit 48 Vgl. dazu Josuttis, der bei Pfarrern einen „Verlust an beruflicher Selbstgewißheit" konstatiert und dazu die Frage formuliert: „Wieso ist die Auseinandersetzung mit den Erwartungen der Gemeindeglieder für manche Pfarrer heute wichtiger als die Rückbesinnung auf den göttlichen Auftrag?" - Ders. (1988a), a.a.O., 88f.

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bezeichnete Problematik erst sichtbar werden: Wer ist die Gemeinde, deren Sprache man zu sprechen wünscht? Der Gedanke liegt nahe, daß - da hier im Kontext des Gottesdienstes gesprochen wird - die mögliche, traditionelle Gottesdienstgemeinde im Blick ist. Dann wäre aber eine Sprachangleichung lediglich ein Stück binnenkirchlicher Sozialisation. An diesem Beispiel wird die ambivalente Wirkung der Tätigkeit in einem geprägten Kontext während des Praktikums sehr deutlich. Da ist auf der einen Seite die praktische Aktivität und ihr Beitrag zur Aneignung von Fertigkeiten sowie die damit eröffnete Möglichkeit der Selbstwahrnehmung. Dem gegenüber steht die relativ kritiklose Einordnung in geprägte Handlungsabläufe, die eine Auseinandersetzung mit dieser Institution und ihren Funktionen erschwert oder gar unmöglich macht. So trifft auf das geschilderte Gottesdiensterlebnis, aber auch auf jede andere Tätigkeit in geprägten Vollzügen, die Feststellung zu: „So stehen wir... in dem Dilemma, daß wir auf der einen Seite von gemachter Erfahrung zu verbesserter Erfahrung kommen wollen, und auf der anderen Seite befürchten, daß gemachte Erfahrung so prägt, daß sie fur weitere Erfahrung schwerhörig macht."49 Aus diesem Grund ist eine zu schnelle und intensive praktische Tätigkeit in solchen vorgeprägten Handlungsabläufen während des Praktikums nicht zu empfehlen.

5. „ Gemeindepraktikum "— Temporäre Existenz von Studentinnen in einer Gemeinde Die mitgeteilten Zitate aus den Praktikumsberichten gehen über den Charakter protokollierter Beobachtungen hinaus. Sie lassen Problembewußtsein, manchmal Betroffenheit erkennen. Ein Grund dafür ist in der Tatsache zu sehen, daß es sich um eine Niederschrift aus zeitlicher und örtlicher Distanz zum Praktikumsort handelt. Eine solche Distanz ist wohl Lt Vollzug des Praktikums nicht zu erreichen. Insofern ist zwischen dem Praktikum und dem schriftlichen Bericht darüber deutlich zu unterscheiden. Erst aus der distanzierten Sicht werden Probleme erkannt und mit konkreten Wahrnehmungen, aber auch zumindest teilweise — mit dem eigenen Vorverständnis verknüpft. So ist in der Form des Berichts ein wesentlicher Ertrag des Praktikums zu sehen. Wenn es gelingt, die Unterscheidung zwischen dem direkten Erleben und der Reflexion darüber in der Praktikumsauswertung bewußt zu machen, so kann darin ein wichtiger Beitrag zu einer praxisbezogenen Ausbildung gesehen werden. Ebenso würde damit der Komplexität des Praxisbegriffes entsprochen. Als Konsequenzen für die Anlage des Gemeindepraktikums kommen damit folgende allgemeine Gesichtspunkte in den Blick: 49 H. Oelker in: Materialien zur Vikarsausbildung. Bd. 1. Münster 1973; zit. n. Meyer-Mintel, a.a.O., 321.

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- Eine starke Konkretisierung der Praktikumsaufgaben ist unter dem Aspekt der Intensität anzustreben; andererseits kann gerade dadurch der beschriebene Ertrag des Praktikums verhindert werden. - Eine starke Orientierung an dem/der Pfarrerin im Praktikum sollte nicht gefördert werden; das Praktikum in der Gemeinde kann keine Antizipation der zukünftigen Berufstätigkeit zum Inhalt haben. - Die Intentionen zu Wahrnehmungen sollten weniger auf die „funktionierende Gemeindearbeit", sondern stärker auf die Menschen - insbesondere am ,Rande' der Gemeinde - verweisen. - Auf diesem Weg kann es am ehesten gelingen, einen „kirchlich-professionellen Standpunkt" zu vermeiden, der die Menschen in der Gemeinde einseitig als „homo ecclesiasticus" sehen läßt. Die Dimension der Fremd- und der Selbst-Wahrnehmung können dazu beitragen, daß die Voraussetzungen fur eine asymmetrische Kommunikation entfallen und stattdessen die Voraussetzungen für eine symmetrische Kommunikation mit den Menschen in der Gemeinde geschaffen werden.50 Damit ist auch hier ein wichtiges Potential sowohl für die Wahrnehmung der Gemeinde als auch fur die Identitätsentwicklung des/der Studentin gegeben.

50 Vgl. Luther (1984), a.a.O., 30ff.

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V. Der Ort des Gemeindepraktikums im Zusammenhang der Diskussion zur Reform des Theologiestudiums

1. Die Permanenz der Reformdiskussion „Die Geschichte des theologischen Studiums ist der permanent anhaltende Versucht, ein relativ unproblematisches Konzept des Theologiestudiums überhaupt erst zu schaffen." 1 Eine solche Feststellung beinhaltet, daß Reformbemühungen niemals abgeschlossen sein können. Wenn das Wort von der „Ecclesia semper reformanda" gilt, so ist Analoges auch fur das Theologiestudium zu sagen. Eine solche Feststellung entlastet von dem Zwang, die allgemeingültige, optimale Organisation des Studiums finden zu müssen und befreit von der Illusion, diese finden zu können. Trotz der Klagen und Beschwerden über die „uneffektive theologische Ausbildung" gibt es Gemeinden, gibt es Pfarrer und Pfarrerinnen, die in solchen Gemeinden mit den Menschen dort leben und arbeiten. Viele von ihnen haben im Herbst 1989 in der D D R Funktionen und Rollen übernommen, fur die sie kaum oder überhaupt nicht ausgebildet worden waren. Die Permanenz der Reformdiskussion zum Theologiestudium läßt andererseits auch deutlich werden, daß gerade an dieser Stelle Verunsicherung und ein Mangel an Orientierung erfahren werden. Das hängt sicherlich zusammen mit einer Veränderung der Konturen des Berufszieles. Diese Veränderung läßt sich beschreiben als Wende von der „Amtsführung" hin zu der „Kompetenz" der entsprechenden Personen. ,Ausbildungsreform ist stets der Reflex eines allgemeinen Situationswandels."2 Die Diskussion zur Reform des Theologiestudiums ist demnach stets durch nichttheologische Gründe maßgeblich in Gang gesetzt worden. Das wird besonders deutlich in den Konzeptionen, die eine Veränderung des gesellschaftlichen Kontextes von Gemeinde und Kirche als wesentliche Herausforderung für Reformvorschläge sehen. Ferner äußert sich dies in den Bemühungen um eine direkte funktionale Beziehung von Ausbildung und beruflicher Praxis. Damit ist jedoch der konstatierte Mangel an Orientierung noch nicht behoben. Vielmehr „entsteht für das Reformprogramm die Nötigung, die Aufgaben, an die das Studium angepaßt werden soll,

1 Luther (1976), a.a.O., 149.

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2 Hauschild, a.a.O., 125.

zu beschreiben und so zu präzisieren, daß die Reformforderung daraus begründet wird" 3 . Dort, wo das berufsfunktionale Verständnis der Ausbildung in den Vordergrund gestellt wird, dort wird die Inkongruenz von theologischer Ausbildung und von praktischer Tätigkeit hervorgehoben.4 In enger Verbindung damit ist die Erfahrung der Inkompetenz zu sehen, die viele kirchliche Mitarbeiter angesichts der unübersichtlichen Wirklichkeit von Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft, von individueller Frömmigkeit in der Gemeinde machen. Diese „Inkompetenzerfahrung ... schlägt allzu schnell zurecht oder zuunrecht in die Kritik an der Inkongruenz zwischen theologischer Vorbildung und beruflicher Anforderung um" 5 . Solche Erfahrungen müssen aber auch unter pastoralpsychologischen Aspekten gesehen und bewertet werden. Das Gefühl der Überforderung bei Pfarrern ist auch zu sehen als „Krise professioneller Identität, die er oft mit einer .geliehenen Identität' zu kompensieren versucht (Was wir gelernt haben, wird nicht verlangt; was verlangt wird, haben wir nicht gelernt)"6. Diese Feststellung trifft sicherlich ebenso auf Pfarrerinnen zu. Die Möglichkeiten, konkrete Handlungskonzepte und Theorien direkt in die Praxis umsetzen zu können, sind durch mehrere Faktoren sehr begrenzt. Zu diesen Faktoren gehört auch die konkrete Gemeinde mit der existentiellen Situation der Menschen dort. Die mitgeteilte Erfahrung - zunächst auf gesellschaftskritische Entwürfe bezogen - gilt mutatis mutandis auch fur theologische Theorien: Solche Theorien werden von Absolventinnen in den pfarramtlichen Alltag mithineingenommen, „aber korrigiert durch die konkreten Nöte und Ängste der Menschen, mit denen ich zu tun habe und die in den systemkritischen Analysen so nicht vorkommen. Statt Solidarisierung mit Entrechteten gelingt oft nur Tröstung der Leidenden und Stabilisierung der Irritierten, aber auch darin geschieht die Menschenfreundlichkeit Gottes." 7 Die hierin anschaulich gewordenen Grenzen strenger berufsfunktionaler Ausbildung unterstreichen noch einmal, wie notwendig es ist, die konkreten Menschen in der Gemeinde wahrzunehmen. Diese Aufgabe muß bereits im Studium exemplarisch ihren Ort haben. Das Ziel, eine stärker auf die spätere Praxis bezogene Ausbildung zu konzipieren, hat die Wahrnehmung der Menschen 3 Rössler (1969), a.a.O., 45. 4 Vgl. dazu die Frage von W. Bornemann aus dem Jahre 1886: „Wieviel kann der Pfarrer gebrauchen von dem, was er auf der Universität erlernt hat?" (vgl. oben, S. 44), aber auch die Feststellung von W. Krusche aus dem Jahre 1975: „Wieviel von dem, was im Theologiestudium erarbeitet worden ist, kommt im Pfarramt dann wirklich zum Tragen?... Das Ausbildungsziel für Theologen und das Berufsbild des Pfarrers sind doch schon längst nicht mehr deckungsgleich." - W. Krusche (1975), a.a.O., 135f. 5 Drehsen (1988), a.a.O., 23, der sich auf E. Lange bezieht. 6 Scharfenberg, a.a.O., 231. Zum Phänomen der „Überforderung" vgl. auch Winkler (1973), a.a.O., 46ff. 7 Benedict, a.a.O., 177.

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sowie die ausdrückliche Berücksichtigung der Person des/der Studierenden zu gewährleisten.

2. Das Gewicht der

Tradition

Die Reformbemühungen um das Theologiestudium haben auch gezeigt, wie stark und prägend hier Traditionen wirksam sind. Diese Traditionen können nicht einfach negiert werden. Sie sind vielmehr ernst zu nehmen und in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. Damit kann auch bereits ein Stück der notwendigen Kontextualisierung realisiert werden. Die Stellung der Kirche und entsprechend die ihrer Amtsträger - in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, der Ort der Theologischen Fakultät an einer Universität, die Einheit von Forschung und Lehre, die Dominanz theoriebezogener Lernprozesse, der freie Zugang von Bewerbern zum Theologiestudium - alles das sind Kontextbedingungen, ohne die die gegenwärtige Gestalt des Theologiestudiums nicht zu verstehen ist. Damit sind zugleich Qualitäten, aber auch Probleme dieser Struktur theologischer Arbeit und Ausbildung in den Blick gerückt. Angesichts vieler kritischer Anfragen an das Theologiestudium an der Universität ist es wichtig, daß aus ökumenischer Perspektive die Vorzüge und der unverzichtbare Beitrag akademischer Theologie betont worden sind. Dabei sind als wesentliche Beiträge herausgestellt worden:8 Die akademische Theologie... - als Weise, der reinen Wahrheit auf die Spur zu kommen; - als Mittel, die Freiheit des Evangeliums von kirchlicher Bevormundung und Kontrolle sicherzustellen; - als ein Weg, die Aufgabe kirchlicher Mission auch im Kontext der akademischen Welt ernst zu nehmen und eine apolegetisch-theologische Aufgabe auch gegenüber anderen Disziplinen der Wissenschaft wahrzunehmen; - als kritische Funktion, damit die Theologie an der Basis nicht zu einer nationalistisch-populistischen Theologie verkommt; - vermag für Christen die Erfahrungen der weltweiten Kirche verfugbar zu machen 9 , die Weisheit der christlichen Traditionen und die Werkzeuge der kritischen Vernunft. Diese Zielstellungen zu erreichen — dazu bedarf es intensiver theoretischtheologischer Arbeit. Sie müßte aber stärker in gemeinsamer Arbeit von Lehrenden und Lernenden geschehen, so daß jeder Student und jede Studentin

8 Vgl. dazu Amirtham (1989), a.a.O., 159 und 166f. 9 Vgl. Josuttis (1983), a.a.O., 74: „Er (der Theologe - Vf.) hat dafür zu sorgen, daß Sätze, Geschichten, Gestalten aus der Bibel und aus der kirchlichen Tradition nicht vergessen werden. Das ist sein Beitrag zum Gelingen menschlichen Lebens ..."

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„zum verantwortlichen Partner des Hochschullehrers"10 wird. Die Studentinnen müßten sich selber als Beteiligte verstehen und entsprechend einbringen. Das Studium sollte als eigenständige Phase in der Biographie stärker erfahren werden. Die Bedeutung, die in allen Lernprozessen dem Moment der Autorität und der personalen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden zukommt, sollte sich stärker auswirken.11 Wird das Studium als eigenständige biographische Phase begriffen, so erscheinen alle Überlegungen, den Zugang zum Studium mittels einer „Delegierung durch die Gemeinde" zu regeln, als nicht kontextgemäß. Die Phase des Studiums kann in der Persönlichkeits- und Glaubensentwicklung von Studentinnen gewiß Krisen hervorrufen oder verstärken; es können aber genauso Entwicklungen initiiert werden. Dafür können direkte Erlebnisse in der kirchlichen Praxis entscheidende Bedeutung gewinnen. Auch darum sollten Praktika weiterhin obligatorische Bestandteile des Theologiestudiums sein. Unter den Bedingungen der Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft erscheinen alle Bemühungen, eine Verbindung von Heimatgemeinde und Theologiestudentin zu institutionalisieren, als rein theoretisch und wirklichkeitsfremd. Hier werden Erfahrungen aus der Ökumene bzw. aus Minderheits- oder Freikirchen, die sich dort gut bewährt haben, unreflektiert in einen ganz anderen Kontext übertragen.12 Die Freiheit eines Gemeindegliedes, seinem Glauben in seinem persönliche Teilnahmeverhalten an Veranstaltungen Ausdruck zu geben, müßte doch ebenso fur das in der theologischen Ausbildung befindliche Gemeindeglied Geltung haben.

3• Auf dem Wege zu einer „ökumenischen Ekklesiologie" Das Theologiestudium bedarf, auch wenn es als eigenständige biographische Phase verstanden wird, notwendig einer Orientierung. Diese ist auf der Seite der Studentinnen subjektiv gegeben in der Motivation zum Studium. Andererseits ist eine solche Orientierung gegeben in der Tatsache, daß das Theologiestudium einen Ausbildungsgang zu einer Tätigkeit in der Kirche darstellt. Keine dieser Orientierungen ist aber für das Selbstverständnis von akademischer Theologie ausreichend: vielmehr wird hier ein weiterer, sehr differenzier10 Kiesow (1977), a.a.O., 64; vgl. dazu die Vorstellungen Schleiermachers zum Studium, oben S. 51. 11 Die Bedeutung dieser Relation wurde besonders von Josuttis (1987), a.a.O., 226 herausgestellt und zuletzt von Schwarzwäller, a.a.O., 31, betont. Vgl. auch die auf Beispiele verweisenden Ausführungen dazu bei Meyer-Mintel, a.a.O., 4l3f. Unter dem Gesichtspunkt „hodegetischer Begleitung" ist auch Enzner-Probst, a.a.O., 172fF, darauf eingegangen. 12 Vgl. W. Krusche (1985), a.a.O., 228, der von Fotos von Studierenden in Gemeinderäumen berichtet. Vgl. ferner dazu die Ausführungen bei Enzner-Probst, a.a.O., 171.

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ter Begriff von Kirche bzw. von christlicher Praxis erarbeitet. Wie diese unterschiedlichen Begriffe von Kirche in ihrer differenten Verwurzelung miteinander vermittelt werden oder vermittelt werden können, ist eine bisher kaum gesehene Frage.13 Die Vorliebe fur den Gemeindebegriff könnte auch als ein Reflex dieser Schwierigkeit gesehen werden. Gemeinde bezeichnet den Ort, an dem das Geschehen christlicher Praxis plausibel festgemacht werden kann, darum ist es verständlich, daß primär die Gemeindepraxis und die Tätigkeit in der Gemeinde als Studienmotivation fungieren. Problematisch wird es dann, wenn eine Konzeption von Gemeinde als Maßstab fur die Ausbildung gesetzt wird.14 Christlicher Glaube in protestantischer Tradition weiß immer auch um eine latente Gemeinde, die sich aktuell und temporär realisiert, aber als Größe nicht greifbar ist. Der vielfach verwendete Begriff „Gemeindeaufbau" ist ebenfalls nicht unproblematisch. Damit verbunden ist sowohl der Eindruck eines Defizits bei der vorhandenen Gemeinde, wie auch die Gefahr der Verfügbarkeit von christlicher Praxis. Die Verwendung des Begriffs ist ferner bedenklich, weil dadurch suggeriert wird, Pfarrerinnen müßten immer etwas tun, in Bewegung bringen, aufbauen. Im Blick auf die theologische Ausbildung, auf das Studium sollte es primär darum gehen, Gemeinde wahrzunehmen. Theologisch gesehen ist Gemeinde ein Geistgeschehen. Gemeinde wird aber durch Menschen manifest. Diese Menschen kennenzulernen, ihre Frömmigkeit zu erleben, an ihrer christlichen Praxis Anteil zu haben - dazu sollte das Gemeindepraktikum Möglichkeit und Anregung geben. Gerade die jüngste Vergangenheit - der Herbst 1989 in der DDR - hat die Frage nach der „Gemeinde" wieder aktuell werden lassen. Da waren Menschen, die sich zu „Gottesdiensten für die gesellschaftliche Erneuerung" zusammengefunden haben. Ist das eine „Gemeinde", eine „Situationsgemeinde" oder welche anderen Kategorien können hier in Anwendung kommen? Nicht die Kirche oder die Pfarrerlnnen haben solche Gemeinden begründet. Vielmehr waren zuerst die existentiellen Erfahrungen und Themen im Leben der Menschen da. Die Kirche — personifiziert in Pfarrern und Pfarrerinnen - hat diesen Menschen Raum gegeben, aber auch Worte, Texte biblischer Überlieferung und Lieder, den Reichtum christlicher Tradition in Gebeten und Handlungen. Auch im Blick auf diese Ereignisse gilt die Feststellung: „Vermutlich müßte der Theologe heute mehr denn je dazu befähigt sein, unter sich verändernden Bedingungen in dem ihm aufgetragenen Verantwortungsbereich mit seiner Gemeinde zusammen situationsangemessen das zu tun, was von den Anfängen 13 Die oben, S. 167 mitgeteilte Beobachtung zur Wahrnehmung („Ich") und zur Formulierung von Änderungswünschen („Aufgabe der Kirche") illustriert die Existenz dieser Frage eindringlich. 14 Hierin ist eine Gefahr des ,Arbeitspapieres" von 1975 zu sehen.

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der Kirche an Sache der Kirche war, die Botschaft von Jesus Christus weiterzu"15

tragen. Mit solchen Erfahrungen und Ereignissen sind bereits einige der ökumenischen Impulse aufgenommen, die flir die theologische Ausbildung als relevant angesehen wurden. So u.a. das Erzählen von Hoffnung und die Arbeit fur Gerechtigkeit; die Sprache der Leidenden zu hören und im Licht des Evangeliums zu interpretieren; den Leidenden die Erfahrungen der weltweiten Kirche verfugbar zu machen.16 In all dem geht es ganz gewiß auch darum, zu verhindern, daß solche Theologie zu einer nationalistisch-populistischen Theologie verkommt. Gerade hier ist es wichtig, die durch die Ökumene eingeforderte globale Perspektive der erneuerten und geeinten Menschheit nicht zu verlieren. Es ist diese globale Perspektive, die dazu frei macht, die Menschen unverstellt wahrzunehmen und dabei die traditionellen Gemeindegrenzen zu transzendieren. Deutlich geworden ist dieses insbesondere im „konziliaren Prozeß" und der darin gegebenen globalen Orientierung „Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung". Hier waren die Kirchen Anwälte des Lebens und Fürsprecher der Zukunft, eine „Institution der Befreiung" 17 . Den damit eröffneten weiten Horizont gilt es - unabhängig von der konkreten Herausforderung - stärker in die theologische Ausbildung einzubeziehen und dabei insbesondere durch praktische Erkundung den Wahrnehmungshorizont zu erweitern. „Ökumenisches Denken heißt also, die theologischen Texte nicht auf ihre Konfessionalität, sondern auf ihre Christlichkeit hin anzusehen und als gemeinsame Texte zu betrachten."18 Dazu wird „Ökumenische Kompetenz" gebraucht. Diese Kompetenz kann nicht allein theoretisch erarbeitet werden; vielmehr gehört dazu eine Weise der Wahrnehmung, die geschult werden muß. 19 Auch dafür sind praktische Erkundungen und Erfahrungen unverzichtbar. Unter diesem Vorzeichen wird nun auch die theoretische Bemühung um eine neue „ökumenische Ekklesiologie" zur unabweisbaren Herausforderung. Erst wenn hier Konturen sichtbar werden, erst dann kann die Frage nach der künftigen Gestalt von Diensten in der Kirche neu und konkret bedacht werden.

15 Daiber (1989), a.a.O., 380. 16 Zu den Impulsen vgl. Amirtham (1989), a.a.O., 167. 17 Vgl. Steinacker, a.a.O., 436: „Kirche als Institution der Befreiung ist offen für die Befreiungserfahrungen und deren Theorien, solange in ihnen das Subjektsein Gottes und das responsorische Element menschlichen Lebensvollzugs gewahrt bleiben." 18 Moltmann, a.a.O., 28. 19 Vgl. Huber, a.a.O., 440.

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4. „ Wahrnehmung von Lebenswirklichkeit" und „Identitätsgewinn "Der unverzichtbare Beitrag des Gemeindepraktikums flir das Theologiestudium Praktika im Theologiestudium haben von mehreren Gesichtspunkten her ihre Berechtigung. Diese Feststellung gilt uneingeschränkt auch fur das Gemeindepraktikum. Es ist näher zu bestimmen als „Praktikum in der Gemeinde". Darin soll es primär um die Wahrnehmung des Kontextes gehen, in dem die Menschen im Bereich der Gemeinde leben und durch den ihr Leben bestimmt und geprägt wird. Dabei ist der Begriff „Gemeinde" in diesem Zusammenhang lokal zu verstehen, ohne irgendwelche ausgrenzenden Tendenzen. Die „Grenzen der Kirchengemeinde" dürfen nicht vorschnell als Fixierung erlebt werden. Die Zukunft der Gemeinde, ihrer Strukturen und Formen muß offenbleiben. Gerade die Fähigkeit zu dieser Offenheit, aber auch die Kompetenz, sie mit Menschen gestalten zu können, sollte ein Anliegen der gesamten theologischen Ausbildung sein. Das kann nur gelingen, wenn eine theologisch verantwortete Orientierung erarbeitet wird. Diese kann nur mit den Menschen praktisch gestaltet werden. Die Voraussetzung dazu ist die Wahrnehmung der Lebenswelt der Menschen. Dieses kann im Rahmen des Theologiestudiums exemplarisch im Gemeindepraktikum realisiert werden. Daher dürfen die Beobachtungen und Wahrnehmungen in diesem Praktikum weder durch das Berufsfeld der Pfarrer oder der Pfarrerin noch durch die existierenden Gemeindestrukturen dominiert werden. In solcher Wahrnehmung der Lebenswelt von Menschen in einer Gemeinde — zu denen natürlich auch kirchliche Mitarbeiter zählen — liegt ein Hauptanliegen des Gemeindepraktikums. Intentionen und Potenzen des Gemeindepraktikums werden hier noch einmal — notwendig unvollständig — zusammengefaßt. Sie werden dabei den Aspekten „Wahrnehmung", „praktische Fertigkeiten", pastoraltheologisch relevante Erfahrungen" und „Beitrag zur Identitätsentwicklung" zugeordnet. In der Aufzählung wird deutlich werden, daß solche Wahrnehmungen nicht ohne Rückwirkungen auf das Subjekt der Wahrnehmung bleiben. „Wahrnehmung" Studentinnen können im Praktikum wahrnehmen ... (auf der Ebene des einzelnen) — daß Menschen ohne christliche Motivation ihr Leben gestalten können; — daß Menschen ihre Zugehörigkeit zur Gemeinde in ganz unterschiedlicher Weise realisieren und zum Ausdruck bringen; — daß es ein Bündel von Motiven fur die Zugehörigkeit zur Gemeinde gibt; (auf der Ebene der Gemeinde) — daß Gemeinde schon immer existiert und nicht notwendig als defizitär zu sehen ist;

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- daß Menschen in der Gemeinde selbst Antworten und Einstellungen gefunden haben und nicht erst dazu befähigt werden müssen; - daß individuelle Frömmigkeitsformen konstitutive Bedeutung fur die Persönlichkeitsstruktur haben; - daß Gemeinde nicht allein aus interessierten, sprachbegabten und aktiven Menschen besteht, sondern daß Alte, Kranke, Behinderte und Gefährdete genauso dazugehören; - daß es in der Gemeinde auch „sprachlos" gelebten Glauben gibt; - daß Traditionen einer Gemeinde Identität vermitteln können. (auf der Ebene der gesellschaftlichen Öffentlichkeit) - daß die Präsenz des Kirchengebäudes, die Präsenz eines kirchlichen Mitarbeiters, sichtbare Zeichen in der Öffentlichkeit (z.B. Schaukasten) von Bedeutung sind fur die Mitmenschen und für ihre Vorurteile bzw. Erwartungen gegenüber Kirche und Gemeinde;20 - daß die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Kirche in den Medien oder in öffentlichen Veranstaltungen von Bedeutung für die gesamte Gesellschaft sind. Im Zusammenhang der aufgeführten Wahrnehmungen können verschiedene „praktische Fertigkeiten " ausprobiert und eingeübt werden: - lernen, zuzuhören; - Versuche, ein Gespräch zu lenken; - Versuche, die Kommunikation ganzheitlich zu gestalten; - Versuche, mit Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten ein Gespräch zu fuhren; - Versuche, der freien Rede; - Versuche, theologische Aussagen relational zu formulieren. Über solche Wahrnehmungen und praktische Versuche gelangen „pastoraltheologisch relevante Erfahrungen"in den Blick: - die Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei ganzheitlich gestalteter Kommunikation; - die Schwierigkeit, sich der entgegengebrachten Erwartungshaltung nach Antworten auf Fragen und Probleme verweigern zu können; - die Schwierigkeit, sich dem eigenen Drängen nach einer „prosozialen" oder „kirchlich-professionellen" Haltung zu verweigern und sich stattdessen

2 0 Gerade die küzrlich bei kirchlichen Mitarbeitern konstatierte „Unkenntnis darüber, daß jeder Schaukasten, der in der Öffentlichkeit ausgehängt ist, gesellschaftlich wirkt, ob man das will oder nicht", unterstreicht die Dringlichkeit bewußter Wahrnehmung in diesem Bereich. - Vgl. W.-J. Grabner u.a.: Der kirchliche Schaukasten im Spannungsfeld von Kirche und Gesellschaft, in: ChrL 4 3 / 1 9 9 0 , 35ff. (Zitat: 42).

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der eigenen Motivation zur Teilnahme an Veranstaltungen, zu Vorstellungen von Gemeindeleben etc. klar zu werden; - die Schwierigkeit, bei der Planung von Gemeindeveranstaltungen die Balance zu finden zwischen der Ausrichtung an potentiellen Teilnehmern und der eigenen Auffassung von konstitutiven Lebensäußerungen einer Gemeinde; - die Schwierigkeit, zu lernen, daß Effektivität und Teilnehmerzahlen nicht die einzigen Kriterien sein können. Ein Praktikum kann unter Berücksichtigung der ausgeführten Aspekte einen wichtigen „Beitrag zur Identitätsbildung" Atz Studentinnen leisten: - Besinnung auf die eigene Motivation zur Berufswahl und Klärung des damit verbundenen Gemeindeverständnisses; - Besinnung auf die eigene Erwartungshaltung gegenüber Kirche/Gemeinde und Klärung des dadurch bedingten Berufsbildes; - Bestätigung der eigenen Form der Frömmigkeit (als Voraussetzung für ihre mögliche Veränderung); - Die Möglichkeit, zu lernen, sich von außen herangetragenen Identifikationen und Rollenklischees zu versagen und dem eigenen Drängen nach Konsensfindung zu widerstehen. Das Gemeindepraktikum ist allein schon als Unterbrechung des theoriegeleiteten Studiums von Bedeutung. Diese Feststellung spricht gegen ein zu enges, funktionales In-Beziehung-Setzen von Gemeindepraktikum und Studium oder Beruf. Das Praktikum ist dann erfolgreich, wenn Studentinnen im Praktikum eine Identität als Praktikantin zu entwickeln in der Lage sind. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer Vorbereitung auf das Praktikum. Dabei ist die Praktikumszeit weder zu stark zu programmieren noch allzusehr dem Belieben der Studentinnen oder der jeweiligen Mentoren zu überlassen. So ist bei der Vorbereitung deutlich zu machen, daß es im Praktikum nicht um eine Antizipation künftiger Berufspraxis gehen soll. Ebenfalls sollte deutlich werden, daß nicht in erster Linie der/die Mentorin und seine/ihre Tätigkeit die Orientierung darstellen können. Eine solche Orientierung wird sich im Verlauf des Praktikums von alleine einstellen. Schwerpunktmäßig wird es bei der Vorbereitung darum gehen, zu den mehrfach beschriebenen Wahrnehmungen im Praktikum zu motivieren. Dieses ist eine wichtige Aufgabe, da die Praktikumsmotivation der Studentinnen in dieser Situation häufig auf anderes orientiert ist. Dabei könnte es günstig sein, sich im Verlauf der Vorbereitung gruppenweise auf gemeinsame Wahrnehmungsschwerpunkte zu einigen. Damit werden die Praktikumsaufgaben gewichtet und ferner die Voraussetzungen fur eine theoretische Weiterarbeit geschaffen. Die Auswertung der Wahrnehmungen zu einem Schwerpunkt aus zeitlicher Distanz gibt auch die Möglichkeit, etwas von dem eigenen Erleben der Praktikantinnen im Gespräch klären zu können. So könnte der Auswer178

tungsprozeß einen Beitrag zur Identitätsentwicklung der Studentinnen im Studium leisten. In dem beschriebenen Rahmen kann von dem Gemeindepraktikum ein direkter Beitrag zur Ausbildung von kommunikativer Kompetenz und zumindest die Einsicht in die Wichtigkeit von ästhetischer Kompetenz erwartet werden. Ferner könnte das Gemeindepraktikum einen Beitrag zur Klärung der Berufsperspektive erbringen. Der künftige Beruf kann „anziehend sein, interessant, er muß soviel Freiheit in Aussicht stellen, daß sich der künftige Pfarrer ... irgendwie zu seinen Hoffnungen berechtigt sieht" 21 . Es wäre gut, wenn das Gemeindepraktikum in dieser Richtung etwas bewirken könnte. Zumindest sollte verhindert werden, daß die - durch eine Orientierung an dem/der Mentorin möglicherweise als starr empfundene - Einbindung der Pfarrerinnen in geprägte und kaum veränderbare Arbeitsvollzüge kontraproduktiv zu der optimistischen Perspektive wirkt.22 An dieser Stelle ist die Kirche gefordert, sie trägt entscheidende Verantwortung dafiir, daß der kirchliche Dienst und die ihm eignende Freiheit nicht hinter erstarrten Strukturen unkenntlich verborgen bleibt. Zusammenfassend soll noch einmal betont werden, daß das Gemeindepraktikum im Rahmen des Theologiestudiums eine wichtige Phase darstellt. Durch das Praktikum können Wirkungen erzielt werden, die sich jedoch nur über den Weg der Identitätsentwicklung der Studentinnen funktional dem Studium und der Berufsbefähigung zuordnen lassen. Dieses ist so festzustellen, damit der Person des/der Praktikantin die entsprechende Aufmerksamkeit zugewendet wird und nicht allein dem Praxisvollzug. Zugleich sind zu hohe Erwartungen an das Gemeindepraktikum zurückzuweisen. Durch das Praktikum in der Gemeinde kann die spirituelle Bildung der Studentinnen gefördert werden. Ausschlaggebend dafür dürfte sein, wie sehr sich die Studentinnen den Menschen in der Gemeinde gegenüber zu öffnen vermögen. Dieser mögliche Ertrag des Praktikums kann aber nicht eingeplant oder organisiert werden. Auch der Aspekt der Verbindlichkeit wird häufig als Erwartung an das Gemeindepraktikum herangetragen. In der dargestellten Anlage des Praktikums kann dieser Aspekt nicht zielgerichtet realisiert werden. Vielmehr scheint dieses Verständnis des Praktikums eine solche Ausrichtung eher zu hindern. Die angestrebte Verbindlichkeit gehört zu den berufsethischen Elementen. Diese aber können nicht oder nur sehr begrenzt gelehrt, sondern nur in personal orientierten, sozialen Lernprozessen angeeignet werden. Jetzt ergeben sich auch fiir Studierende in den neuen Bundesländern verstärkt Möglichkeiten fiir Praktika in der Ökumene, aber auch in der Industrie oder im Sozialwesen. Dabei wird zu prüfen sein, welche der — im Zusammenhang des Gemeindepraktikums erörterten — Motive und Zielvorstellungen im 21 W. Trillhaas in: Christ und Welt. 1955, Nr. 46 - zit. n. Braun, a.a.O., 112. 22 Vgl. dazu die oben, S. 167 mitgeteilte Beobachtung.

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Rahmen solcher Praktika besser zu realisieren sind. Diese neuen Möglichkeiten sollten aber das Gemeindepraktikum nicht vorschnell verdrängen. Für eine/n Theologiestudentin sollte ein Gemeindepraktikum unverzichtbarer Bestandteil des Studienprozesses bleiben. Dabei müssen aber insbesondere ökumenische Erfahrungen fest eingeplant und realisiert werden. An anderer Stelle war auf die konstitutive Beziehung von „Praxis" und den drei Bezugsgrößen „Gemeinde mit Menschen", „theologische Orientierung" und „Subjekt des Theologen" hingewiesen worden. Im Rahmen dieser Arbeit standen die beiden Bezugsgrößen „Gemeinde mit Menschen" und das „Subjekt des Theologen" im Vordergrund. Dieser Ausrichtung entspricht die hervorgehobene Bedeutung von Momenten der Wahrnehmung. Die dritte Bezugsgröße - „theologische Orientierung" - sollte ausdrücklich nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Vielmehr wird damit Inhalt und Ziel des theoriegeleiteten Studiums bezeichnet. Aber es ist auch deutlich geworden, daß die durch Wahrnehmung bestimmten praktischen Bezüge des Studiums nicht losgelöst von den theologischen Orientierungen behandelt werden können. Der Verweis auf die umgekehrte Richtung, auf die Integration des durch Wahrnehmung realisierten Ertrages in das theoriegeleitete Studium, war ein wichtiges Anliegen der vorliegenden Arbeit.

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Anlagen Anlage 1: Bild eines Absolventen der Sektion Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin (angenommen vom Rat der Theologischen Fakultät am 2. Januar 1970) Die Sektion Theologie an der Humboldt-Universität bildet Studenten mit der Zielsetzung aus, Pfarrer einer evangelischen Gemeinde in der sozialistischen Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik zu werden. Das Bild des Absolventen der Sektion Theologie zeigt die Ziele, die sowohl in gesellschaftlich-politischer als auch in theologisch-fachlicher Erziehung und Ausbildung angestrebt werden. Der Absolvent der Sektion Theologie fühlt sich mit der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung, der ersten wahrhaft menschliche Gesellschaftsordnung in der Geschichte, fest verbunden und sieht in der Deutschen Demokratischen Republik sein Vaterland. Er hat erkannt, daß der Imperialismus der erwiesene Feind von Frieden und gesellschaftlichem Fortschritt in unserer Epoche ist. Er hat aus der Geschichte gelernt, daß sich nur die Arbeiterklasse konsequent fur Frieden und gesellschaftlichen Fortschritt eingesetzt hat und einsetzt. Von daher ist ihm klar, daß Sozialismus nur dort verwirklicht wird, wo die Arbeiterklasse im festen Bündnis mit allen Werktätigen durch ihre marxistisch-leninistische Partei die Gesellschaft fuhrt. So erkennt er die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei, der SED, an, die in der Zusammenarbeit aller Parteien und gesellschaftlichen Kräfte ihren Ausdruck findet. Aus humanistischer Verantwortung bemüht er sich gemeinsam mit allen anderen Bürgern durch aktive Mitwirkung innerhalb der sozialistischen Demokratie und durch politische Mitarbeit im Rahmen der Nationalen Front (zum Beispiel in den Arbeitsgruppen ,Christliche Kreise') einen festen Platz in der soz;alistischen Menschengemeinschaft zu finden. Er betrachtet die Verfassung, die sich die sozialistische Gesellschaft in der D D R gegeben hat, als Richtschnur seines staatsbürgerlichen Handelns und begreift die Zusammengehörigkeit von Grundrechten und Grundpflichten. Er studiert auch nach Abschluß seiner Hochschulausbildung intensiv die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Marxismus-Leninismus von der Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, um sich einen begründeten parteilichen Standpunkt in der Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus ständig neu erarbeiten zu können. Dies befähigt ihn, seinen Gemeindegliedern in allen Entwicklungsproblemen auf ihrem Wege in der sozialistischen Menschengemeinschaft zu helfen und dem Mißbrauch von Kirche und Theologie durch die imperialistische Globalstrategie, insbesondere der Verbreitung antikommunistischer Parolen und konvergenztheoretischer Spekulationen wirksam entgegenzutreten. Im gesellschaftlichen Engagement für den Sozialismus wird er seiner Gemeinde ein Beispiel geben.

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Der Absolvent der Sektion Theologie hat sich während seines Hochschulstudiums alle jene Kenntnisse zu eigen gemacht, die fxir eine erfolgreiche Ausübung seines Berufes Voraussetzung sind. Er ist vertraut mit der Bibel in ihren Ursprachen und vermag ihre Botschaft seiner Gemeinde verständlich zu machen und zu bezeugen, so daß diese Botschaft ihr zur Lebenshilfe und zum Auftrag wird. Er kennt die Wege und die Irrwege, auf denen die christliche Gemeinde in ihrer Geschichte geschritten ist. Diese Erkenntnis hilft ihm, die gegenwärtige Position seiner Kirche richtig zu erkennen und fur seine eigene Tätigkeit aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Vor innerkirchlichen Anfeindungen, die ihn deshalb treffen könnten, schreckt er nicht zurück. Er verfugt über solide Wissensgrundlagen in den christlichen Glaubenslehren, kennt die Geschichte ihrer Entstehung, bejaht ihre reformatorische Interpretation und müht sich ständig um eine eigene theologische Position, deren immer erneute kritische Prüfung er nicht scheut. Er ist vertraut mit den Fragen eines christlichen Ethos und weiß, daß er es nicht nur zu lehren, sondern auch zu leben hat. Er hat die Grundsätze seines Wirkens als Prediger, Lehrer und Seelsorger durchdacht und hat Verständnis gewonnen fiir die Uberlieferungen kirchlichen Brauchtums, die Eigentümlichkeiten anderer Kirchen und auch nichtchristlicher Religionen sowie fiir das Erbe kirchlicher Kunst. Während seines Studiums hat er gelernt, wissenschaftlich zu arbeiten und zu denken, so daß er in der Lage ist, sich während seiner Tätigkeit in der kirchlichen Praxis selbständig weiterzubilden, sich mit neuen Ergebnissen der theologischen Forschung vertraut zu machen und auseinanderzusetzen. Nur so kann er den Anforderungen, die sowohl die Sache, die er zu vertreten hat, als auch seine Gemeinde an ihn stellen, gerecht zu werden. Er wird danach streben, in der Bewährung christlicher Liebe und im Bekennen christlichen Glaubens seiner Gemeinde ein Vorbild zu sein. Dieses Ziel, daß der Absolvent die Universität als wissenschaftlich gebildeter, moralisch gefestigter, gesellschaftlich verantwortungsbewußter Charakter verläßt, ist nur zu erreichen, wenn der Student vom ersten Semester an das Leitbild seiner zukünftigen Existenz in Gesellschaft und Kirche vor Augen hat und schon während seiner Ausbildungszeit in der aktiven gesellschaftlich-politischen Arbeit an der Universität - vor allem in der FDJ - und in allen Studienaufgaben Vorbildliches leistet. Es muß dabei bereits dem Studenten deutlich werden, daß die theologisch-kirchliche Arbeit und das Engagement für die Gesellschaft nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Vielmehr gehört es gerade ganz wesentlich zum biblisch begründeten Auftrag jedes Christen, für das Gedeihen der Gesellschaft, in der er lebt, verantwortungsvoll zu wirken. Der Absolvent der Sektion Theologie wird in seiner Tätigkeit als Pastor einer evangelischen Gemeinde diese spannungsvolle Einheit von theologischer und gesellschaftlicher Verantwortung in besonderem Maße zu bewähren haben. Das kann nur in konkretem Handeln geschehen. Dann aber wird sein Zeugnis in der Gemeinde glaubwürdig und sein politischer Standpunkt überzeugungskräftig sein. (Aus: W Z (B) GS 34/1985, 609f.)

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Anlage 2: Zielstellung der Ausbildung und Erziehung an den Sektionen Theologie Die Zielstellung der Ausbildung und Erziehung an den Sektionen Theologie ist es, Diplom-Theologen für die kirchliche Praxis heranzubilden, denen die Verantwortung ihres zukünftigen Wirkens als kirchliche Amtsträger bewußt ist und die bereit sind, die mannigfachen Aufgaben, die ihnen gemäß der Ordnung ihrer Kirche jeweils obliegen werden, gewissenhaft zu erfüllen. Sie sollen in der Wahrnehmung ihrer christlichen und staatsbürgerlichen Pflichten sowie im persönlichen Verhalten ein Vorbild in ihrer Kirchengemeinde sein. Die für ein solches berufliches Wirken erforderlichen und im Ausbildungs- und Erziehungsprozeß besonders zu berücksichtigenden Voraussetzungen sind mannigfaltig. Vor allem sind zu nennen: Die Anleitung zu wissenschaftlicher Arbeit und zu selbständigem kritischen Denken; charakterliche Lauterkeit und Festigkeit, verbunden mit einer Liebe zum selbstgewählten Beruf, die auch über manche notwendige Zurückstellung persönlicher Interessen und Neigungen hinweghilft. Unumgänglich ist eine gute Allgemeinbildung, die kulturelle Aspekte kirchlichen Wirkens besonders berücksichtigt und sich auch auf Formen des persönlichen Umgangs erstreckt. Eine selbstkritische und dialogische Haltung sollte dem Absolventen selbstverständlich sein. Im einzelenen sind im Blick auf die Befähigung des Absolventen des Theologiestudiums fur seine zukünftige berufliche Tätigkeit folgende Anforderungen zu erfüllen: Der Absolvent soll in seiner Verkündigungsarbeit aus dem Originaltext der Bibel Alten und Neuen Testaments schöpfen können und die wissenschaftlichen Methoden zur Interpretation biblischer und anderer historische Texte beherrschen. Er muß mit den biblischen Grundlagen des christlichen Glaubens so vertraut sein, daß er diese Grundlagen gemäß den Anforderungen der Gegenwart in der Kirchgemeinde aktivierend umsetzen und zugleich den Gemeindegliedern bei der Bewältigung konkreter Fragen und Probleme des persönlichen Lebens einen nützlichen Dienst erweisen kann. Die ihm vermittelte Kenntnis der Geschichte der Kirche ermöglicht es dem Absolventen, die Erfahrungen der Kirchen- und Glaubensgeschichte der Kirchgemeinde lebendig und belebend näherzubringen sowie aus diesen Erfahrungen für die eigene kirchliche und gesellschaftliche Positionsfindung zu lernen und anderen dabei zu helfen. Genaue Kenntnis der kirchlichen Lehre und ihrer Entwicklung, verbunden mit der Anleitung zu theologischem Urteilsvermögen, soll den Absolventen befähigen, den Anforderungen kirchlichen Zeugnisses und Dienstes entsprechend den Prinzipien reformatorischer Theologie gerecht zu werden, Beziehungen zwischen historischer Lehrüberlieferung und gegenwärtiger Verkündigung herzustellen und den Gliedern der Gemeinde die Grundlagen christlichen Glaubenslebens tiefergehend vertraut zu machen. Der Absolvent ist durch Lehrveranstaltungen und Praktika in die Formen des kirchlichen Lebens eingeführt und zur Wahrnehmung der Aufgaben des Pfarrerberufs auf den verschiedenen kirchlichen Handlungsfeldern vorbereitet. Er hat Einsicht gewonnen in andere Konfessionen und Religionen. Angehörigen solcher Glaubensgemeinschaften und anderer humanistischer Weltanschauungen oder Lebensauffassungen begegnet er mit Achtung und mit Offenheit für Verständigung in humanistischen Fragen und Anliegen. Das Studium von Grundlagen des 183

Marxismus-Leninismus hat den Absolventen angeleitet, die Gemeinsamkeiten zwischen Marxisten und Christen in ethischen Grundwerten und humanistischen Zielen deutlicher zu erkennen. Diese gleichermaßen von der theologischen Ausbildung geförderte Erkenntnis hilft ihm, den Weg der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft in einer für das Ganze gedeihlichen Weise mitzugestalten, am weiteren Ausbau der sozialistischen Gesellschaft der DDR mitzuarbeiten und die Friedenspolitik des Arbeiter- und Bauernstaates in der Wahrnehmung christlicher Friedensverantwortung und in der Verpflichtung gegenüber dem antifaschistischen Vermächtnis aktiv zu unterstützen. (Aus: Entwicklungskonzeption, a.a.O., Beilage)

Anlage 3: Auf die Praxis vorbereiten! Kritische Anfragen zum Theologiestudium Im September 1987 unternahmen zehn Studentinnen und Studenten der Sektion Theologie Jena eine Exkursionsfahrt in die Altmark mit dem Ziel, die Situation von Gemeinden auf dem Land besser kennenzulernen. Was hatte sie dazu veranlaßt? Als wir vor nunmehr drei Jahren mit unserem Studium begannen, hatten wir gemeinsam den Wunsch, möglichst gut auf eine spätere Tätigkeit in der Praxis vorbereitet zu werden. Dieser Wunsch war unter vollkommen verschiedenen Voraussetzungen und durch sehr unterschiedliche Erfahrungen vor dem Studium entstanden. Einige von uns waren in ihren Vorstellungen sehr stark vom Elternhaus geprägt, in dem kirchliche Arbeit hautnah erlebt wurde. Andere hatten positive Erfahrungen mit der Kirche als einem sinngebenden Raum gemacht. Das Zusammentreffen dieser unterschiedlichen Vorstellungen war eine Chance für jeden von uns, Bereicherung fiir sich selbst zu erfahren, in Auseinandersetzungen eigene Positionen zu gewinnen oder zu überprüfen. Auf diese Situation in der Gruppe wurde bei Studienanfang überhaupt nicht eingegangen. Wir hatten ein Gefiihl wie „bestellt und nicht abgeholt". Der praktische Erfahrungshorizont, auf den sich jeder von uns stützte, wurde so gut wie ignoriert. Statt dessen sahen wir uns mit einer Wissenschaft konfrontiert. Die Lücke dazwischen konnte nicht geschlossen werden. So hatten wir von Anfang an ein Fremdheitsgefiihl bei dem, was uns an Stoff geboten wurde (Sprachen, akademische Theologie). Aber: Wer will schon kurz nach dem Beginn über das gesamte Studium urteilen? Es wird sich alles schon noch sinnvoll zusammenfügen — später, vielleicht in zwei Jahren - so hofften wir. Solange hieß es erst einmal: Loslaufen und Zähne zusammenbeißen! Erschwert wurde dieser Weg dadurch, daß es innerhalb des Studienprogramms so gut wie keine Möglichkeit gibt, das Gebotene zu verarbeiten. Wir fühlten uns mit unseren ursprünglichen Motivationen nicht nur stehengelassen, sondern diese wurden auch langsam verdrängt, überspielt, entleert und verfremdet. Dieser Prozeß konnte innerhalb der Gruppe zwar aufgehalten, nicht aber vollständig kompensiert werden. Folgen davon, die jeder einzelne unterschiedlich stark erlebte, waren Identitätskrisen, Trägheit und Müdigkeit, das Gefühl der Sinnleere. Man/frau engagierte 184

sich noch auf schon jahrelang (meist schon vor dem Studium) vertrauten Gebieten, zu neuen Aktivitäten kommt es kaum. Dieser Tiefpunkt war ungefähr nach zwei Jahren erreicht. Am Ende des zweiten Studienjahres erlebten wir das obligatorische ZV-Lager. Verstärkt kam die Angst vor dem Verlust letzter motivierender Kräfte auf. Zu diesem Zeitpunkt entstand bei uns die Idee zu einer Fahrt in die Altmark. Der Drang nach einem Anhaltspunkt aus der Praxis, an dem wir uns selbst und das, was wir „gelernt" hatten, überprüfen und anwenden beziehungsweise ausprobieren konnten, war immer größer geworden. Diesem Anspruch konnte unsere Fahrt nicht gerecht werden. Sie war ihrem Charakter nach eher abenteuerliche Expedition als vertiefende Exkursion. Die Problematik „Kirche auf dem Lande" hatte sich unter unseren vielfältigen Fragestellungen herauskristallisiert. Damit wollten wir uns konfrontieren lassen und wählten deshalb die Altmark als Gegend mit typisch ländlicher Prägung, in der die Probleme unserer Meinung nach ein ganzes Stück offensichtlich sind. Vorbereitet hatten wir einen Gemeindeabend unter dem Motto: „Hoffnung fur die Kirche? Hoffnung fur die Kirche!" Darin stellten wir u.a. unsere Visionen von einer Kirche von morgen vor - einer Kirche, in der wir gern mitarbeiten würden. Zum selben Thema gestalteten wir auch einen Gottesdienst. Am eindrücklichsten und prägnantesten waren die zahlreichen Gespräche mit Pfarrern, Pastorinnen und anderen Gemeindegliedern, die uns ein anschauliches, differenziertes Bild von der Situation in der Altmark vermittelten. Dem Hochgefühl während der Fahrt, das sich aus der Erfahrung des endlich wieder mal aktiv Tätigseins und der fur unsere Gruppe sehr wichtigen Gemeinschaftserfahrung ergab, folgte nach Studienbeginn schnell wieder ein Gefühl der Frustration. Aufgebrochene Fragen fanden im Studienablauf keinen Platz. Wie ist die Arbeit in immer kleiner werdenden Gemeinden möglich? Wie gehen wir mit dem unterentwickelten Gemeindebewußtsein um? Wie läßt sich das Modell der Teamarbeit umsetzen? Welche Bedeutung hat das vorgeprägte Pfarrerbild fiir uns? Wo liegen die spezifischen Schwierigkeiten für kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Land? u.a.m. Die Diskrepanz zwischen Studium und Gemeinderealität ist uns nah der Altmarkfahrt noch wesendich deutlicher geworden. Ein Bezug von der im Studium erlernten Theologie zur pfarramtlichen Praxis läßt sich schwer herstellen. Auch die praktische Theologie, die erst in den letzten Studienjahren einsetzt, kann dieses Defizit kaum abdecken. Wir halten daher einen Praxisbezug vom ersten Studientag an fur unverzichtbar, um dem „Woraufhin" der Theologie eine Richtung zu geben. Der Wunsch nach Praxisnähe ist groß. Das zeigt sich auch darin, daß wir eine ähnlich geartete Tour in ein Braunkohlengebiet planen. Wenigstens die Erfahrungsdefizite können so verringert werden, wenn auch eine ausreichende Aufarbeitung der Probleme kaum möglich ist. Die Ängste aus Unkenntnis der Situation sind gewichen, haben aber den Ängsten vor der erfahrenen Realität Platz gemacht und dem Wissen um die Unzulänglichkeit unserer Ausbildung. Die Frage, inwieweit die Probleme kirchlicher Arbeit auf dem Land im Studium eine Rolle spielen, muß wesentlich auf das Verhältnis von akademischem Studium und kirchlicher Praxis ausgeweitet werden. Die meisten Vorstellungen, wie wissen185

schaftliche Theologie und kirchliche Realität im Horizont des Studium stärker miteinander ins Gespräch zu bringen wären, zielen auf die Forderung nach einer Studienreform. Bis jetzt fehlt es zu ihrer Begründung vor allem an fundierter Kritik am bisherigen Modell zur Ausbildung aus den Landeskirchen. Damit erscheinen Veränderungen zur Zeit nur in Ansätzen möglich: - Noch erleben Studenten einen tiefen Bruch im Übergang zum Vikariat. Deshalb müßte im Studium eine Vorbereitung darauf erfolgen. - Studienbegleitend ist die Möglichkeit einer dauernden Auseinandersetzung mit den Problemen, Vorstellungen und Motivationen der Studenten in der Konfrontation mit dem kirchlichen Bezugsrahmen unbedingt notwendig. Studenten/-innen und Dozenten müssen sich gemeinsam fragen, welche Realitäten ihnen in den Gemeinden begegnen. -Aktivitäten von Studenten/-innen auf Gemeindeebene sollten als notwendiges Engagement gelten, anstatt sie wie bisher als private Interessen abzuqualifizieren und zu unterbinden. - Es geht nicht darum, im Studium ein Minimum an Wissen anzubieten, das allein vor den Kriterien der Anwendbarkeit und Praktikabilität bestehen muß. Dennoch halten wir es fur notwendig, in der Ausbildung stärker an Probleme und Gegebenheiten der kirchlichen Entwicklung anzuknüpfen. Die Erfahrungen der Altmarkfahrt belegen nur allzu deutlich, wie wichtig es ist, bereits während des Studiums mit kirchlichen Mitarbeitern/-innen im Gespräch zu sein, wobei die Arbeit auf dem Land einen Schwerpunkt darstellt, da die kirchliche Situation mit den am Studienort erlebten Stadtgemeinden nicht vergleichbar ist. Erfahrungsberichte und Problemanzeigen kirchlicher Mitarbeiter/-innen, gerichtet an ihre ehemaligen Ausbildungsstätten, könnten hilfreiche Anhaltspunkte dazu bieten. Schließlich sollte uns allen daran gelegen sein, zu einer Verbesserung der Situation beizutragen. Kathrin Skriewe, Joachim Neubert, Michael Bartels, Andreas Neumann (Aus: ZdZ 42/1988, 226f.)

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Literaturverzeichnis Das Literaturverzeichnis ist in zwei Teile untergliedert. Das erste Verzeichnis bietet die monographischen Veröffentlichungen. Hier sind die Verfassernamen alphabetisch geordnet, bei dem gleichen Verfasser in der Folge der Erscheinungsjahre. In dem zweiten Verzeichnis sind Texte belegt, auf die in Teil 1 Bezug genommen wird. Dabei sind die Stichworte oder die ganzen Titel, unter denen die Texte in den Anmerkungen zitiert werden, in Versalien gesetzt. Die angeführten Manuskripte befinden sich im Besitz des Verfassers. Für die verwendeten Abkürzungen wird auf die Zusammenstellung von Schwertner (TRE) verwiesen. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: BThZ ChrL JRP KAB1 KT MBI RThA WBC

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