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German Pages 987 [988] Year 2001
Theodor Fontane und Martha Fontane Ein Familienbriefnetz
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Schriften der Theodor Fontane Gesellschaft Herausgegeben von
Luise Berg-Ehlers Helmuth Nürnberger Henry H. H. Remak
Band 4
Walter de Gruyter Berlin · New York 2002
Theodor Fontane und Martha Fontane Ein Familienbriefnetz
Herausgegeben von
Regina Dieterle
Walter de Gruyter Berlin · New York
2002
©
G e d r u c k t a u f säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über H a l t b a r k e i t erfüllt.
Die Deutsche
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CIP-Einheitsaufnahme
T h e o d o r F o n t a n e und M a r t h a F o n t a n e : ein Familienbriefnetz / hrsg. von Regina Dieterle. — Berlin ; N e w York : de Gruyter,
2002 (Schriften der T h e o d o r - F o n t a n e - G e s e l l s c h a f t ; Bd. 4) ISBN 3-11-015881-7
© Copyright 2 0 0 1 by Walter de Gruyter G m b H & C o . K G , D - 1 0 7 8 5 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. J e d e Verwertung a u ß e r h a l b der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, M i k r o v e r f i l m u n g e n und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e r m a n y Satz: R e a d y m a d e Buchsatz, Berlin D r u c k : G e r i k e G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & B a u e r - G m b H , Berlin Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin
Für meine Mutter, meine erste Leserin Elsa Dieterle-Egli
(1925-2000)
Franz Schubert, Impromptu Nr. 1 c-moll, op. 90
Inhalt Zur Edition
IX
Verzeichnis der diakritischen Zeichen
XIV
Dank
XV
Einführung
1
Briefe
35
Anfang Juli 1867 bis 23. November 1915 Dokumente
527
Juli 1882 bis 20. März 1903 I
II
Briefentwürfe von Theodor Fontane
529
1. Theodor Fontane an [Anna Witte], [vordem 10. Juli 1882] 2. Theodor Fontane an Martha Fontane, [Berlin, Frühjahr 1884]
529 555
Briefe von Martha Fontane an Anna Witte [Auszüge] 1. Martha Fontane an Anna Witte, 13. Januar 1895 2. Martha Fontane an Anna Witte, [Berlin, 31. Juli 1898]
562 . .
III Gelegenheitsgedichte
563
564
1. „Überschrift: vacat." von [?], [1879?] 2. „An meine Mete" von Κ. E. O. Fritsch, 20. März 1903
562
564 . .
IV Englische Fragebogen
567
570
1. Antworten von Martha Fontane, 6. November 1877 . . . .
570
2. Antworten von Martha Fontane, 30. Mai 1890
571
Abbildungen
573
Vili
Inhalt
Anhang
607
Anmerkungen Überlieferung, EntstehungsVarianten, Stellenkommentar
609
Register Personen und ihre Werke Fontanes Werke
890 937
Verzeichnis der Briefe und Dokumente
943
Abkürzungsverzeichnis
954
Bildnachweis
958
Stammbaum Die Nachkommen von Emilie und Theodor Fontane . . . Familiengeschichtliche Zeittafel
960 962
Z u r Edition
Briefauswahl Fontanes Briefe an die Tochter Martha zählen zur großen Briefleistung des „alten Fontane". Dieser Einsicht vollständig zum Durchbruch verholfen hat die von Kurt Schreinert und Charlotte Jolies besorgte Briefausgabe, in der 179 Briefe an die Tochter präsentiert werden.1 Eine Neuedition dieser vorbildlich edierten Briefe bedarf einer kurzen Erläuterung. Zum einen hat sich die Editionspraxis weiterentwickelt. Soweit es die Quellenlage erlaubt, wird gegenwärtig dem BriefWechsel der Vorzug gegeben. Dahinter steht ein Abrücken von der autorzentrierten Betrachtungsweise und die Blickerweiterung auf den Kontext, in dem ein Schriftsteller wie Fontane lebte und schrieb. Die Fontane'schen Familienbriefe sind allerdings weniger als Briefwechsel angelegt denn als Briefnetz: Briefe wurden oft weitergeschickt und oft mit Zusätzen versehen. In der vorliegenden Edition enthalten 17 von den insgesamt 180 Briefen Fontanes an die Tochter kürzere oder längere Nachschriften von der Hand Emilie Fontanes. Sie gelangen als wesentlicher Teil der netzartigen Korrespondenz hier erstmals zum Abdruck. Zum andern hat die Fontane-Forschung in den letzten drei Jahrzehnten eine Fülle von neuen Erkenntnissen gewonnen. Die Neuedition berücksichtigt diese und nutzt sie im Stellenkommentar. Von Martha Fontane, der wichtigsten Korrespondenzpartnerin Fontanes aus der jungen Generation, ist ein Konvolut von 90 Briefen an die Eltern überliefert, die in der Mehrzahl explizit an die Mutter gerichtet sind, aber in der Regel den Vater (mit)meinen. Edgar R. Rosen hat diese Briefe 1974 in einer verdienstvollen Edition vorge-
Theodor Fontane: Briefe II. Briefe an die Tochter und an die Schwester. Hrsg. von Kurt Schreinert. Z u Ende geführt und mit einem Nachwort versehen von Charlotte Jolies. Propyläen Verlag. Berlin 1 9 6 9 [= Prop II]. Die ausführlich kommentierte Briefausgabe (Kommentar in Prop IV, 1 9 7 1 ) ist die erste wort- und buchstabengetreue Edition nach den Handschriften. Sie verdankt sich in der Hauptsache der Sammlung der Originalbriefe in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, die 1 9 6 3 ein Konvolut von 7 9 8 Fontane-Briefen erwerben konnte, darunter 1 5 6 Briefe und 7 Karten an die Tochter.
χ
Zur Edition
legt.2 Sie ist unterdessen vergriffen, so dass eine Neuedition sich aufgedrängt hat, nicht zuletzt um eine Anzahl Unstimmigkeiten der Erstedition zu berichtigen. Erstes Anliegen des vorliegenden Bandes ist es, die Briefe von Vater und Tochter chronologisch sinnvoll zusammenzufügen. Von einem eigentlichen Briefwechsel kann dabei allerdings nicht die Rede sein. Fontanes Briefe an die Tochter reichen über fast drei Jahrzehnte (21. Mai 1870 bis 16. Mai 1898), Martha Fontanes Briefe an die Eltern beschränken sich - mit Ausnahme der 2 Kinderbriefe an den Vater im Juli 1867 - auf einen Zeitraum von zwei Jahren (1. August 1880 bis 19. September 1882). Nur über eine kurze Zeitspanne gibt es einen echten brieflichen Austausch zwischen Vater und Tochter (1880, 1881, 1882), er ist ausgesprochen wortspielerisch, liebt das literarische Zitat, ist Plaudern auf hohem Niveau. Man hätte gerne mehr davon. Es fehlen aber in zahlreichen Fällen entweder die Briefe des Vaters oder dann die Briefe der Tochter. Von ihr sind besonders viele Briefe nicht nachgewiesen. Dass beispielsweise Martha Fontanes Briefe aus Italien (1884) offenbar verloren sind, muss als echter kultureller Verlust bezeichnet werden. Den Kern der Familie bilden in der vorliegenden Korrespondenz „die drei Fontanes": Vater, Tochter, Mutter. Die vorhandenen Briefe lassen vermuten, dass der größere Teil der Korrespondenz zwischen Fontane und seiner Tochter Martha auch von Emilie Fontane mitgelesen und mitgeschrieben wurde. Diese drei bildeten das Zentrum der Familie, wobei Fontane die Tochter mehr oder weniger auf seine Seite zog. Die Briefe Emilie Fontanes an die Tochter Martha, die dies aus mütterlicher Perspektive bestätigen oder widerlegen könnten, fehlen leider. 21 solcher Briefe gehörten bis 1937 zum Bestand des Theodor-Fontane-Archivs, gelten aber seit 1945 als Kriegsverlust. Die weiteren Familienmitglieder George und Theodor Fontane jun. mit ihren Ehefrauen Martha Robert und Martha Soldmann sowie Friedrich Fontane waren mit in die Familienkorrespondenz verwickelt. Wenn immer es die Quellenlage erlaubt, sind ihre Briefe oder Briefe an sie mit in den Band aufgenommen worden. Die Familienkorrespondenz war insgesamt eine sehr ausgedehnte, vieles davon sofern es nicht Briefe Fontanes sind - bis heute unveröffentlicht. 2
Mete Fontane. Briefe an die Edgar R. Rosen. Wort- und schriften. Propyläen Verlag. Originalbriefe ist seit 1963 Kulturbesitz, Berlin.
Eltern 1880-1882. Hrsg. und erläutert von buchstabengetreue Edition nach den HandBerlin 1974 [= Prop]. Das Konvolut der im Besitz der Staatsbibliothek Preußischer
Zur Edition
XI
Im weitesten Sinne mit zur Familie gehörten manche Freunde der Eltern und der Kinder. Eine besondere Freundschaft verband alle Fontanes mit Paul Schienther und seiner Frau Paula SchlentherConrad. Um etwas von dem vernetzten Familien- und Freundschaftssystem lesbar zu machen, sind eine größere Anzahl von Martha Fontanes Briefen an diese Familienfreunde in die Edition integriert worden. Die familiäre Beziehung zu dem Kritiker und der Schauspielerin macht deutlich, dass nicht nur Fontane, sondern seine ganze Familie von Literatur und Theater lebte und auch seine Vorliebe für den modernen Dramatiker Gerhart Hauptmann teilte, wie etwa eine Karte von Martha Fontane belegt. Während die Briefe Fontanes an die Tochter sowie die Briefe Martha Fontanes an die Eltern - soweit sie bis heute nachgewiesen sind - im vorliegenden Band vollständig versammelt sind, stellen die 59 Briefe aus dem familiären Umfeld (davon 39 erstmals veröffentlicht) eine Auswahl dar. Sie fiel nicht leicht, weil es hier einen noch ungehobenen Briefschatz gibt: eine stattliche Anzahl unpublizierter Briefe aus dem familiären Umfeld Fontanes liegt in öffentlichen Archiven oder befindet sich, gut aufgehoben, in Privatbesitz. Die Kriterien der Auswahl bildeten sich schließlich bei der Sichtung der zugänglichen Briefe. Ausgewählt wurden Briefe, die Konfliktzeiten und Krisenmomente der Familie Fontane zur Sprache bringen. Es sind dies die „Stockhausenaffäre", Martha Fontanes gescheiterte Verlobung mit Rudolph Schreiner bzw. die Verlobung und Hochzeit ihrer Brüder, der Tod von George Fontane, die große Krise Fontanes von 1892, Marthas späte Verlobung mit Κ. E. O. Fritsch und Fontanes Tod. Auf der Spurensuche nach Martha Fontane sind zudem jene Briefe in den Band aufgenommen worden, die sie schrieb oder empfing oder die von ihr handeln. Aufgenommen wurden auch Briefe, die Fontane, sein Schreiben, sein Werk zum Thema haben und seine Persönlichkeit neu beleuchten. Im familiären Umfeld sind dies insbesondere Briefe von Emilie Fontane. Nach Fontanes Tod setzte unter den Geschwistern eine große Korrespondenz ein, deren Hauptgegenstand der väterliche Nachlass ist. Aus der Fülle der Dokumente wurden wichtige Briefe von Martha Fritsch-Fontane im Zusammenhang mit der Edition der „Familienbriefe"3 und der Nachlassverwaltung ausgewählt. In Abweichung von der Idee, das Familiengespräch sichtbar zu machen, wird Theodor Fontanes Briefe an seine Familie. Hrsg. von Κ. E. O. Fritsch. 2 Bde. Verlag F. Fontane & Co. Berlin 1 9 0 5 [= FA I/II],
XII
Zur Edition
hier nur ihre Sicht, ihr Selbstverständnis als Editorin und Mitglied der Nachlasskommission präsentiert, einfach weil ihre Stimme im Rahmen dieser Edition Priorität hat. Die Geschichte des FontaneNachlasses an Hand aller noch nachgewiesenen Briefdokumente zu schreiben, bleibt ein Desiderat der Fontane-Forschung. Editionsprinzipien Die Briefe und Karten der vorliegenden Ausgabe werden nach der Originalhandschrift ediert. Nur in wenigen Fällen musste auf eine Kopie der Handschrift (Briefe 224, 225, 321, 324) beziehungsweise auf einen Erstdruck (Brief 307) zurückgegriffen werden. Im Anmerkungsteil wird unter Überlieferung der Standort der nachgewiesenen Handschriften verzeichnet. Alle Briefe sind, wenn nicht anders vermerkt, mit Tinte geschrieben. Auf Besonderheiten der Originalhandschrift wird unter Oberlieferung hingewiesen. Auch Erst- und Folgedrucke werden dort verzeichnet sowie korrigierte Datierungen vermerkt. Wenn Briefumschläge überliefert sind, wird die Adresse des Empfängers vor dem Abschnitt Überlieferung mitgeteilt. Die Wiedergabe der Handschrift erfolgt buchstaben- und zeichengetreu. Während die Handschriften von Martha Fontane und allen weiteren Korrespondenzpartnerinnen und -partnern in der Regel gut lesbar sind, bietet die Handschrift Fontanes gelegentlich Schwierigkeiten. Charlotte Jolies hat in ihrem aufschlussreichen Nachwort (Prop IV, 163-174) darauf hingewiesen, dass Endsilben nicht immer eindeutig zu lesen sind und es schwer zu entscheiden ist, ob es beispielsweise „darüber" oder „drüber", „darauf" oder „drauf" u.s.w. heißt. Da Fontane sprachrhythmisch schrieb, kommen beide Formen vor, die Kurzform wird allerdings bevorzugt. In Zweifelsfällen orientiert sich die Neuedition an der von Schreinert/ Jolies vorgeschlagenen Schreibweise. Im Weiteren wird der Geminationsstrich zur Kennzeichnung von Doppelkonsonanten aufgelöst. Die zeitüblichen Abkürzungen für Reichsthaler und Pfund (Gewicht) werden mit und % wiedergegeben. Die Abkürzung für Mark (M.) wird beibehalten; ebenso der zeitübliche doppelte Bindestrich. Worttrennungen mit doppeltem Bindestrich am Zeilenende werden aufgelöst. Wörter und Textpassagen in lateinischer Schreibschrift erscheinen im Druck in Grotesk-Schrift, dabei werden einzelne lateinische Buchstaben in einem Wort generell ignoriert und in Antiqua-Schrift wiedergegeben. Offensichtliche
Zur Edition
XIII
Schreibversehen werden in eckigen Klammern im Brieftext berichtigt. Der edierte Brieftext gibt die letzte überlieferte Stufe der Handschrift wieder. Alle textkritischen Angaben (Streichungen, Hinzufügungen, Überschreibungen) folgen im Anmerkungsteil unter Entstehungsvarianten. In folgenden drei Fällen wird auf einen kritischen Hinweis verzichtet: angefangener Buchstabe, einzelner überschriebener unleserlicher Buchstabe innerhalb eines Wortes, freistehendes gestrichenes unleserliches Zeichen. Korrigierte zusammenhängende Phasen werden als solche durch einen Stufenapparat deutlich gemacht. Der Stufenapparat beginnt der Übersichtlichkeit halber mit einem Lemma. Unter H wird die Wort- und Zeichenfolge in der Handschrift wiedergegeben, Zeile 1 stellt dann die Grundschicht, Zeile 2 die Überarbeitungsschicht dar. Wenn keine Entstehungsvarianten zu verzeichnen sind, wird nichts vermerkt. Im edierten Brieftext stehen generell keine Anmerkungen oder Hinzufügungen der Herausgeberin. Randbemerkungen in der Handschrift werden in Fußnoten angegeben. Der Text der Herausgeberin wird dort und im Stellenkommentar kursiv gesetzt. Der Stellenkommentar will Sachfragen erläutern, 4 das Beziehungsgeflecht erhellen, den Bezug zu Fontanes Werk herausstellen, aber auch auf Lücken hinweisen. So wird vermerkt, wenn ein Brief, von dem in der Korrespondenz die Rede ist, nicht nachgewiesen ist - „nicht nachgewiesen" heißt in diesem Fall, dass das entsprechende Dokument bis zur Drucklegung des vorliegenden Bandes weder in öffentlichen Archiven noch bei privaten Eigentümern ausfindig gemacht werden konnte. Hinweise auf Sekundärliteratur werden im Kommentarteil sparsam gehandhabt. 5 Zitierte Literatur wird entweder vollständig bibliographiert oder abgekürzt wiedergegeben (vgl. Abkürzungsverzeichnis, S. 954 ff.). Für den Stellenkommentar wurden zusätzlich die Propyläen- und die Hanser-Briefausgabe 6 dankbar genutzt.
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Für die fremdsprachigen Ausdrücke gilt das Prinzip: Lateinische und wenig geläufige englische und französische Wendungen werden übersetzt. Weiterführende Literatur findet sich in: Christian Grawe u. Helmuth Nürnberger (Hrsg.): Fontane-Handbuch. Stuttgart 2000. Die Jahre 1860-1878 wurden von Bernhard Zand, die Jahre 1879-1889 von Walter Hettche, die Jahre 1890-1898 von Christian Klug vorzüglich kommentiert. Der Brieftext der Hanser-Ausgabe folgt der Propyläen-Briefausgabe.
Verzeichnis der diakritischen Zeichen ] [Text] [Text] b [Text] [[Text]] [Text]
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane, 18. August 1884 (Brief 147) SBB - PK, Nachlass Fontane Κ III, Nr. 16/41, Seite 1
276
August 1 8 8 4
Diese Woche ist noch theaterfrei, ob auch die nächste? Mit Bangen blicke ich jeden Tag in die Zeitung. Geht auch noch vom 25. d. M. bis zum 1. September der Kelch an mir vorüber, so soll die nächste Woche zu kleinen Exkursionen, vielleicht bis nach dem vielgenannten Sankt Peter und Spindelmühl benutzt werden. In dieser Woche will ich noch fleißig sein; jeden Morgen schreibe ich 8 bis 10 Blätter d. h. was man so schreiben heißt. Von Theo hatten wir gestern einen Brief noch aus Wittenberge, heute wollte er zurück. Zugleich mit Deinen Briefen kam eine Karte von George, der von seinen Freunden Gerlachs keinen Gratulationsbrief, dafür aber von Paul Sommerfeldt eine Gratulationskarte erhalten hatte. Er schien es nicht als eine Balancirung anzusehn. Ergeh es Dir ferner gut; empfiehl mich Mrs. D., Mamiechen und Mr. Zimmermann. Mama wird wohl noch einige Worte hinzufügen. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Es würde Dir rührend sein zu sehn, wie mich Papa „bemuttert." Er besorgt Alles u. schenkt Kaffee u. Thee ein. Wie wunderschön ist es hier! u. wie haben wir es auch getroffen: nette Wohnung, gute Betten, Alles gut was wir genießen u. billig; nette, stets freundliche u. bescheidne Wirthsleute, sehr liebe Menschen zum Umgang: fein u. rücksichtsvoll u. aufmerksam, kurz, eine Nachkur hat Deine alte Mama meine gute Mete, daß, wenn es noch mal mit mir werden soll, es hier werden muß. Und wie hat sich Papa erholt! Heut habe ich gebadet, es war wundervoll, thu Du's nur auch in Harzburg u. schreibe uns recht ausführlich, das Geringste interessiert uns. Bisher habe ich nichts gethan u. will auch weiter faulenzen wie ich Dir versprochen. Heut kommt Theo nach Berlin zurück. Grüße Mamie u. athme Ozon nur durch die Nase ein, auch wieder aus. Ich habe gestern gelernt, das soll am Besten sein. Wir gehen um 9 (ich um 8) zu Bett u. stehen beinah um 8 wieder auf, trinken dann in einer reizenden Veranda sehr guten Kaffee; um 11 eßen wir ein weiches Ei u. bis 1 Uhr arbeitet Papa. Dann essen wir bei Exner's mit lieben Bekannten, schlafen (Papa nicht) u. machen einen entzückenden Spaziergang. Abends tea. Nicht wahr, mein Metechen Deine Alte hat's nun gut? 1000 Grüße Dir von der Alten.
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August 1884
148
Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Krummhübel 27. Aug. 84.
Meine liebe Mete. Wir bedauern sehr, daß es mit Deinem Befinden nicht gut geht, auf Harzburg möchte ich es aber nicht schieben, da seine Luft für die Nerven, die doch immer die Hauptsache bleiben, vorzüglich ist; nur Brustkranken, zu denen Du glücklicherweise nicht gehörst, ist der Aufenthalt nicht zu empfehlen. Ich denke mir: eine Fußpartie auf den Brocken, heitres Gespräch, Kalbsbraten mit Kartoffelsalat und ein Seidel Leistenbräu, würden Dich in 24 Stunden wiederherstellen. Table d'hôte-Einerlei bringt einen um. - Daß Du Miss Murray hast, ist ein rechtes Glück; selbst wenn Du ihr gegenüber ein Wort zuviel sagen solltest, schadet es nicht, denn so schön Rücksichtnahmen ist, so schrecklich ist ängstliches Rücksichtnehmen. Und nach dieser Seite hin hast Du seither mehr geleistet als nöthig, vielleicht selbst mehr als gewünscht wurde. Wir leben hier in der alten Weise weiter. Bekannte und NichtBekannte sind abgereist, aber neue Figuren tauchen auf, sogar Türken. Neulich erschienen 5 in einem offnen Wagen und setzten durch ihre rothen Fez' alles in Staunen. Auch Mama begegnete ihnen und wurde der Gegenstand einer türkischen Ansprache, über deren Inhalt - vielleicht huldigend, vielleicht furchtbar, vielleicht beides - nur Muthmaßungen gestattet sind. Mama raffte aber sich und ihr Türkisch zusammen und antwortete mit Würde: „Allah il Allali." Wirkung unbestimmt. Von bestimmterer Wirkung dagegen war eine zweite Repressalie, die der hier anwesende Kunsthändler Ruthardt und ich am andern Tage nahmen, als wir hörten, daß die Türken bei Exner seien und dort im Freien dinirten. Wir beschlossen auf diese Nachricht hin auch im Fez zu erscheinen, führten unsern Plan auch aus, und begrüßten unsre Fez=Brüder als wir, an ihrem Tisch vorbei, auf unsren Eßtisch zuschritten. Sie müssen dadurch durchaus den Eindruck von dem Fortschreiten des Islam empfangen haben; als sie aber, am selben Abend noch, dieser Anschauung Ausdruck geben und oben auf der Koppe den dort anwesenden Harfenmädchen ihre Landessitte menschlich näher führen wollten, wurden sie vom Koppenwirth, der noch zu den alten Göttern hält, an die Luft gesetzt. Du siehst, selbst Krummhübel hat seine orientalische Frage. Dafür fehlt die andre Abzweigung derselben, die die semitische heißt.
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August 1884
Mama fährt fort sich zu erholen. Gestern machten wir von 11 bis 8 eine Tagespartie, neun Stunden unterwegs, von denen gut die Hälfte marschirt wurde. Eine ganz anständige Leistung. Wir waren auf der Anna-Kapelle und feierten den Tag durch Weinsuppe, Forellen und Eierkuchen. Aber nur halbe Portionen, ein Vorschlag der weder von mir noch von Mama ausging. Ich bin nicht für halbe Portionen und wurde gestern in meiner Abneigung dagegen neu bestärkt, denn nur mit Mühe setzten wir für unsre 2 Portionen 4 Teller, 4 Löffel und 4 Messer und Gabel durch. Gott, was ist Anstand! Und wer ist anständig! Der Sparsame, der von vornherein darauf verzichtet, ist eigentlich der klügere, denn der sogenannte „Splendide" zwingt es auch nicht und läßt ebenfalls unbefriedigt. Wir bleiben noch bis Montag oder Dienstag. Dann kommt der Abschied, der uns diesmal recht schwer werden wird. Je älter man wird, je zweifelhafter erscheinen einem die Vorzüge der großen Stadt. - Ergeh es Dir gut, empfiehl mich dem Angelsachsenthum von diesseits und jenseits des großen Wassers und laß bald recht Erfreuliches hören. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Meine liebe, alte Tochter. Wir haben hier die Rollen getauscht: u. während ich immer müde bin, führt Papa Thaten aus. Ich habe, während Papa dies geschrieben, einen langen nap gehalten u. nun ist Zeit zum Spaziergang, da es früh Abend wird. Ich geize mit den Stunden u. danke Gott für eine jede ungetrübte u. denke garnicht an die Zukunft. Mit lebhaftester Theilname habe ich Anna's Brief gelesen, die Reisegötter waren nicht mit ihr u. ich kann mir denken, wie sie heim verlangt u. wie oft sie sich nach Warnemünde gesehnt. Heut hatte ich wieder eine Karte von Johanna; ich muß über Neuhof zurück, obgleich ich nach diesem schönen Aufenthalt hier am liebsten direkt nach Berlin ginge, auch lohnt es mir für die kurze Zeit nicht. Ergeh es Dir, besser, Deine alte Mutter.
September 1884
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Theodor Fontane an Martha Fontane Saßnitz 13. Sept. 84. Fahrenberg-Hotel.
Meine liebe Mete. Seit dem ersten Reisetage, wo es wie aus der Gießkanne kam, habe ich kaum noch von mir hören lassen, aus allen möglichen Gründen, vor allem weil ich die direkte Berichterstattung an Mama wieder aufnahm. Es fiel mir ein, daßTreutler's ja eben erst von Rügen zurück seien und daß Orts= und Namennennungen für die „Befahrenen" und Eingeweihten interessanter sein müßten als für euch. Zunächst besten Dank für Deine freundl. Zeilen vom Montag Abend, ebenso für Theo's Briefsendungen mit Begleite-Zeilen. Ich freue mich herzlich, daß Deine mit Energie gethanen Schritte so schnell einen guten Erfolg gehabt haben, und Mama, die Dich sehr liebt (trotz Deiner gelegentlichen Zweifel daran) wird glücklich und beinah gerührt darüber sein. Ob Deine Position bei Frl. Leyde von Dauer ist oder nicht, ist ziemlich gleichgültig, ich sehe aber keinen Grund, warum sie's nicht sein sollte. Geschieht es doch, schnappt es über kurz oder lang ab, so wünsche ich nur, daß ein angenehmer deutscher Jüngling, ein Amtsrichter, ein Doktor, ein Oberlehrer, selbst ein Pastor die Veranlassung sein möge. Natürlich habe ich auch nichts gegen einen Rittergutsbesitzer, Banquier oder Schiffsrheder, es ist aber nicht nöthig immer nur nach der Richtung hin auszuschauen; 8 Monate Amerika haben hoffentlich ausgereicht Dir zu zeigen, wie wenig bei Minenthum, Kofferpacken und HôteUEssen herauskommt. Zwischen Goldprinzessin und Linchen in der Fliederlaube liegt vielerlei.
Die letzten 3 Tage waren überreich, auch einigermaßen reich an Strapazen, zweimalige Seekrankheit mit eingerechnet. Ich war in Stubbenkammer, am Hertha-See, in Lohme (dem nördlichsten der Rügener Bäder) in Arcona und seinem zerstörten Wenden=Tempel. Alles interessant, am interessantesten aber, daß mich die ganze Scenerie von Lohme und Arcona beständig an Sorrent erinnerte. In Lohme traf ich Balduin Möllhausen und Frau, und hatte mit ihnen einen langen Plauderabend und ein dito Frühstück. Auch noch andre Bekanntschaften machte ich. Ich habe bis jetzt alle Ursach mit meiner Rügenfahrt zufrieden zu sein. Ein gewisses Raubsystem existirt freilich, das in Schlesien meist noch fehlt, aber die Vertreter
280
September 1884 - Oktober 1884
dieses Systems sind meist Fremde; die eigentliche Landesbevölkerung ist gut, am meisten das Schiffer = und Fischervolk. In Lohme habe ich von „Stammgästen" viel darüber gehört. Ich will nun heute nach Bergen zurück, dort noch Einiges sehn und dann morgen von Bergen nach Puttbus und den an der Küste von Mönkgut gelegenen Bädern. Damit hoffe ich schnell fertig zu sein und am Dienstag von irgend einem Küstenpunkt aus die Rückreise antreten zu können. Also Dienstag Abend muthmaßlich wieder in Berlin. Wahrscheinlich schreibe ich vorher noch ein paar Zeilen. Ist am Montag oder Dienstag etwas im Theater los, so bitte ich Dr. Brahm freundlichst, mich vertreten zu wollen. Grüße Theo und Friedel. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 2. Okt. 84. Meine liebe Mete. Damit Du wenigstens weißt „die Alten leben noch" in aller Eile diese Zeilen, zugleich mit bestem Dank für Deinen Brief. Hier ist alles Ravage, glücklicherweise von der mildesten Form: Anna auf dem Rückzüge, Clara eben mit fliegenden Fahnen eingerückt, gestern Friedel mit Feierlichkeit aus der Lehrzeit entlassen, 20 Abschiede (die Jugend kann sich nicht genug thun), packen, Reise® und Uebersiedlungsvorbereitungen, heute früh Aufbruch nach Dobbertin. Dazu heute Nachmittag 2 stündiger Besuch des Ehepaars Keßler-Kahle, während ich einen 2 stündigen Besuch bei Dr. Schwerins machte; Miethe zahlen, Mädchenzeugnisse schreiben, Theo in Frankfurt, mit Brahm ein 1 stündiges Straßen-Gespräch über Spielhagen und sein „Gerettet", das einer der hiesigen Kritiker einfach durch das andre Faustwort „Gerichtet" kritisirt hat. Er selbst (Brahm) sprach sehr freundlich über Spielhagen, was ich nett fand, ließ aber doch die Bemerkung eintröpfeln: „er ist so nervös, daß er mitunter poetisch wird." Das beste, was gesagt werden kann. Grüße Mengeis und möge Gertrud so gedeihn, daß sie mit 10 Jahren in die Jacke hineinpaßt. Dann ist sie immer noch eine Mecklenburgerin. 1000 Grüße. Wie immer Dein alter Papa.
Oktober 1 8 8 4 - M a i 1885
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 4. Okt. 84. Potsd. Str. 134. e.
Meine liebe Mete. Mit herzlicher Freude haben wir aus Deinen heute früh eingetroffenen Zeilen ersehn, daß es Dir gut geht und das Kinderglück und die KindersAnekdote blüht. Hier ist alles still, Gott sei Dank, denn Stille bedeutet Frieden. Die neue Donna läßt sich gut an und kocht ausreichend. Daß sie die Beine altjüngferlich setzt, kann ja als Vorzug gelten bez. als Zeichen der Aechtheit ausgelegt werden. Von Friedel heut eine Karte aus Dobbertin. Er scheint glücklich; ich seh' ihn wie er adligen alten Runkunkeln vorgestellt wird und fast so viel Freude daraus schöpft, als wären es junge. - Theo scheint aus Frankfurt noch nicht zurück; er ist ja der große Gewinner am Skat= und Biertisch des Lebens, aller guten Kerle Freund und Bruder. Eine glückliche Organisation. Ich hatte sie nie. - Die beiden einliegenden Briefe sind für Dich eingetroffen, der eine nennt seinen Namen, der andre scheint auf Marchesi zu deuten. Vielleicht ist er wieder in Sicht. Herzliche Grüße Deinen liebenswürdigen Wirthen. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 26. Mai 85.
Meine liebe Mete. Du bist noch nicht 36 Stunden fort und doch ist es mir als wäre mindestens eine Woche vergangen: Diner bei Novilles, Thee=Abend mit Friedel, Friedeis Abreise um 11, vorher Eintreffen Deines Telegramms, heut in Erwartung dasitzen und dem Erscheinen eines „Ueber Land und Meer" s Abgesandten entgegensehend (kam aber nicht), George von Lichterfelde, Mama zur Trauung in die Matthäikirche, Rohrpost=Gratulationsbrief an das junge Paar, Spargel-Diner mit George, Hochzeitsgedichte von Theo (eins: „Das Trifolium" sehr hübsch) Besuch von Tante Merckel und Olga, Mama „zum Lichten" bei Frau Müller=Grote - Du siehst, das ist schon was, wobei ich meine Hauptbeschäftigung: Correktur eines Dr. Friedländerschen Manuskripts, das an die Vossin abgehen soll, noch vergessen habe.
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Mai 1 8 8 5 - J u n i 1 8 8 5
Mama war von der Traurede wenig entzückt - der arme Frommel wird am 3. Pfingstfeiertage wohl etwas abgepredigt gewesen sein desto entzückter aber von einigen Erscheinungen, an der Spitze Frau Sternheim, die wundervoll ausgesehen haben soll. „Ganz wie eine Fürstin." Nach der Sternheim Frau Geh. Räthin Engelhardt; auch die Braut recht hübsch. Der Bräutigam imponirte der Versammlung durch die Stentorstimme, mit der er sein „ja" zum Besten gab. Emanuel, Brautführer, brillant aussehend; auch der „rothe Meyer" überraschend gut und „gar nicht jüdisch." Von Männern am besten aber Paul Schienther. „Ganz wie ein Attaché." Also höchster Grad. Ueber Friedel haben wir uns sehr gefreut; er hat ja was Einfaches und entbehrt auch des nöthigen Schliffs, er ist aber bon enfant, gütig, anspruchslos und immer gefällig. Von Dir sind wir begierig zu hören. Hoffentlich bewährt Mecklenburg seine alte Heil= und Wunderkraft, wie Schlesien (Neuhof) sie 10 und 20 fach in the long run of years an Maman bewährte. Mit dem Befinden dieser geht es etwas besser; sie war wirklich sehr herunter und es freut mich herzlich, daß Du Dich entschlössest die Reise ohne sie zu machen. Sieben Stunden Eisenbahn und am andern Tage noch mal, ist kein Spaß. - Tante M. wirkte so, daß man sie gleich zwischen die Schoten stellen konnte; für eine Minister=Tochter, Schwester und Tante doch einigermaßen unerlaubt. Mama grüßt herzlich. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Krummhübel
16. Juni 85. Dienstag. Diese Karte Mamas, die mit vieler Geschicklichkeit nur Dinge enthält, die Exner - der zugleich Posthalter ist - und Krummhübel überhaupt nicht lesen darf, muß nun doch noch in ein Couvert gesteckt werden. Nach Glühhitze heut endlich ein schöner, milder, weicher Tag. Ich pussle täglich an Gedichten, deren ich gleichzeitig zehn, zwölf auf dem Ambos oder unter der Feile habe. Der Ring, der sich schließt. - Heute hat die Saison begonnen; die „schöne Marie", böhmische Kellnerin aus der Halbweltsphäre, hat ihren Einzug
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gehalten, auch Schwerins sind heut mit Sack und Pack eingezogen, aber das Verhältniß hat einen Knax weg und einmal aus meiner Unbefangenheit gerissen, ist mit mir nichts mehr anzufangen. - Von der Welt hören wir nichts, mit Ausnahme dessen was die Zeitung bringt; das ist nun freilich, seit Mama hier ist, über und über genug: Prozeß Stöcker und nun heute der Tod des Prinzen Friedrich Karl. Was sagt Witte zu dem Prozeß? Natürlich ist Stöcker ein ganz unsichrer Passagir und die Rechtsanwälte haben Recht, aber sie überspannen nicht nur sachlich den Bogen (so toll ist es denn doch auch wieder nicht) sie schlagen auch einen Ueberheblichkeitston an, der in preußischen Gerichten bisher nicht gehört worden ist. Munckel behandelt den Präsidenten à la Schafskopp. 1000 Grüße. Wie immer Dein alter Papa. Mittwoch d. 17. Juni. Dieser Brief sollte „unterwegs" in einen Postkasten gesteckt werden; dieser „Unterwegs=Postkasten" kam aber nicht und so genießen diese Zeilen des Vorzugs in meiner Brusttasche bis auf die Kleine=Koppe geschleppt worden zu sein. Denn das Denkmal, das die Graf Schaffgotsch'schen Förster ihrem durch einen Wilddieb erschossenen Kameraden gesetzt haben, steht nur 500 Schritt unter der Kleinen-Koppe auf einem Felsenvorsprung, der das ganze Hirschberger Thal mit seinen Bergen, Kuppen, Städten, Dörfern, Parks und Schlössern beherrscht. Sehr schön, auch für meine Arbeit wundervoll zu verwenden, um so mehr als sich hoch oben schon alpine Sterilität, Krüppelkiefer, Knieholz und Moorgründe mit wucherndem Huflattig mit einmischen. Aber für Mama war es doch viel zu viel; wir hatten auf IV2 Stunden gerechnet und es dauerte 3 Stunden eh wir hinauf waren, immer steil an, nirgends eine gerade Linie, wo man, im Gehen, mal ausruhen konnt[e]. Und nun kam der Rückweg, der für die arme Frau, wegen des Rucks im Körper, ebenso mühevoll und anstrengend war. Sie liegt nun heute noch im Bett; das Frühstück hat aber doch geschmeckt und so denke ich, daß sie heute Mittag bei Exners wieder wohlauf sein und wie ein alter Krieger von Anno 13, 14 und 15 mit Stolz und Freude auf ihre Erlebnisse zurückblicken wird. Das Material für meine Novelle habe ich nun zusammen. Auf dem Denkmal steht „ermordet durch einen Wilddieb." Ich finde dies zu stark. Förster und Wilddieb leben in einem Kampf und stehen sich bewaffnet, Mann gegen Mann, gegenüber; der ganze Unterschied ist, daß der eine auf d. Boden des Gesetzes steht, der andre nicht, aber
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dafür wird der eine bestraft, der andre belohnt, von „Mord" kann in einem ebenbürtigen Kampf keine Rede sein. - Ergeh es Dir gut. Gruß an Tante Anna. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Krummbübel
26. Juni 85.
Meine liebe Mete. Gestern Mittag, als ich Mama nach Schmiedeberg brachte, fuhren wir bei der Post vor und fanden Deine Karte. Du hast ganz Recht, nach so langer Krankheit kann man nicht im Handumdrehn wieder ballfähig sein. Also Geduld! Nimm es aber mit der Kur ernsthaft, ich glaube, daß nicht nur die Bäder sondern auch der Brunnen sehr gut für Dich sind. Es sitzt allerhand Stoff fest, der in seinen letzten Schlupfwinkeln aufgesucht und aufgelöst werden muß. Das kann ein Becher natürlich nicht, aber viele. „Es ging ihm nichts darüber, er leert' ihn jeden Schmaus ..", so mußt Du verfahren, dann läppert sich was zusammen. Hier ist es nach wie vor sehr schön, aber in 14 Tagen wird sich das Bild sehr verändert haben, dann blüht der Oberlehrer und alles was ihm anverwandt und zugethan ist. Für George haben wir ein gutes Zimmer gemiethet, nicht zu theuer, aber theuer genug, denn auch hier hat der Löwe Blut geleckt und verlangt von Sommer zu Sommer mehr. - Während Du Tante Anna „Apotheker Heinrich" vorgelesen hast, hat mir Mama die Geschichten aus dem Max HobrechtsBuch vorgelesen, mit denen wir in Hankels Ablage anfingen. Es kommt mir vor, als wär' es schon ein Jahr. Vergleichsweis ist das Buch doch recht gut und neben einer Levin Schückingschen Novelle „Der ehrliche Mann", die mich seit ein paar Tagen beschäftigt hat, steht es thurmhoch da. Und dieser Schücking galt und gilt als ein sehr guter Schriftsteller! Ich komme aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. So hab ich beispielsweis den Vers gelesen, den Wildenbruch zu „Nord und Süd" beigesteuert hat. Etwas Dümmeres ist nie geschrieben worden. Und solch Alfanz ist Abgott des Publikums. Herzliche Grüße an Tante Anna. Ich erwarte keine Antwort; schreibe nur an Mama, die schickt mir dann Deine Karten und Briefe. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Krummhübel
16. Juli 85.
Meine liebe Mete. Seit vorgestern sind Mama und George hier, aber statt in ein heitres und sonniges sind sie in ein nebliges und regnerisches Krummhübel eingezogen. Der Wetterumschlag hat auch leider Krankheit oder doch Unwohlsein mitgebracht und so sind wir denn unsres Beisammenseins noch nicht recht froh geworden, gestern war ich elend, heute ist es Mama. George ist leidlich bei Wege und gut bei Laune; die schönen Damen hier - die Mama sämmtlich häßlich findet („nein, da lob' ich mir doch meine Mete" mit einem Tone, wie wenn sie sagen wollte: „is zwar auch nicht viel, aber vergleichsweis immer noch Aphrodyte") die schönen Damen also scheinen ihm nicht gefährlich werden zu sollen, wenigstens spricht er kaum von ihnen. Er ist übrigens in 48 Stunden noch gar nicht zur Ruhe gekommen, denn gestern Mittag meldete sich Prof. Gerlach und nahm ihn bis 10 Uhr Abends in Beschlag. Er kam dadurch um ein Concert, das im „Gerichts-Kretscham" von einigen Sommerfrischlern beiderlei Geschlechts gegeben wurde: Frau Geh. Räthin Moordyck sang, der junge Herr v. Graevenitz spielte die Geige, der alte Herr begleitete am Fortepiano. So viel ist von der Herrlichkeit zu meiner Kunde gekommen, denn ich selbst war ebenfalls nicht zugegen, vielmehr in Neuhoff bei Prinz Reuß, wo ich wieder „Fürstenknecht" spielte. Den Tag über krank und auf Pfefferminzthee gestellt, fuhr ich gegen Abend zu „Dörchläuchtings" wo außer der Familie noch Baron Rothenhan und Frau, General v. Grolmann und Frau, Dr. Friedländer und Frau und einige mir unbekannt gebliebene Menschenkinder waren. Es war wieder sehr nett. Dennoch erfüllt mich solch Auftreten mehr und mehr mit Bedenken; ich bin zu solchem Arbeiten am Trapez doch nicht mehr jung und auch nicht unbedeutend genug. Ein kleines Gefühl von Scham über die Schaustellung werd ich nicht los und ich begreife ganz die vornehme Welt, die nichts so sehr perhorrescirt, als sich vordrängen und sich ausspielen. Im Allgemeinen darf ich auch sagen, daß ich damit Schicht gemacht habe, hier aber ließ sich ein Rückfall nicht vermeiden; Friedländer hat mir dies alles eingebrockt und die große Liebenswürdigkeit derer, die den Schauplatz für diese Turnerei hergeben, läßt mich den Rückfall in diese kleinen Eitelkeiten und Ungehörigkeiten auch kaum bedauern. Ich las gestern 3 neue Gedichte vor, von denen das dritte „Gulbrandsdal" am mei-
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sten gefiel. Das zweite: „La Grande Chartreuse" wurde durch meine Schuld gar nicht verstanden. Ich sagte nämlich: „es sei was Humoristisches" (was es au fond auch ist) in Folge dessen man erwartete, es werde auf einen Ulk hinauslaufen, in welchem der „Chartreuse" (Likör) eine Hauptrolle spiele. Das blieb nun aber ganz aus, der Schluß ist sogar ernst, so daß sie ganz decontenancirt waren. Also so zu sagen: kleiner Abfall. An meinem Gedichte lag es aber nicht, dessen bin ich sicher. - Frau v. Grolmann war eine Bekanntschaft von Wangenheims her, Baronin Rothenhan eine Tochter von Herrn v. Jagow auf Rühstädt, den ich seit Jahr und Tag besuchen soll. „Rühstädt" ist die Ruhstätt (daher der Name) der berühmten alten Quitzows. Um 11 fuhr ich mit George, der mittlerweile den Prof. Gerlach zur Bahn gebracht hatte, von Schmiedeberg zurück. Ich hoffe, daß nun diese Einladungen ein Ende haben, sie sind schmeichelhaft und auch nicht uninteressant, aber kostspielig, zeitraubend und anstrengend und stören mich ebenso in meiner Ruhe wie in meiner Arbeit. - Schrieb ich Dir denn schon, daß ich hier mit dem Prediger Wenig zusammen wohne, der in der Zülow'schen Schule Religions-Unterricht gab und sich Deiner sehr wohl erinnert. Ich plaudre viel mit ihm; es ist ein feiner, angenehmer Mann. - Wir freuen uns alle, daß Du die Schwiggerower Tage gehabt hast und hoffen, daß sie Dir gut gethan und Dich in Deiner Gesundheit gekräftigt haben werden. Mama schreibt, so wie sie sich wohler fühlt. George grüßt. Gruß und Empfehlung an Tante Witte und alle die ihr anverwandt und zugethan sind. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Krummhübel 25. Juli 85. Meine liebe Mete. Wir waren sehr froh einen so netten Brief von Dir zu empfangen; auch über Pancritius' Brief haben wir uns gefreut; er thut für 120 Mark das Mögliche. Daß es mit Deinem Befinden immer noch gelegentlich hapert, ist nicht zu verwundern, von einer so schweren Heimsuchung erholt man sich nicht im Nu; mitunter denke ich jetzt mit Schrecken an den Tag, wo Du mir, Glockenschlag 3, von der Droschke her bis auf den Perron nachstürztest und dann noch, von Grünau bis Schmöckwitz, durch Wind und Wetter mit mir spazier-
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test. Zum Tröste magst Du draus ersehn, daß doch noch ein gut Stück Leben in Dir stecken muß. Das Beste bleibt, daß sich Rostock und Warnemünde wieder so heilkräftig bewährt haben: das Meer und die Liebe, Möller und Tante Anna. Deine Hoffnung, daß es da besser werden würde, hat nicht getäuscht. „Es war kein leerer, eitler Wahn, erzeugt im Gehirne des Thoren, im Herzen etc". Die Frage, ob hierher kommen oder nicht, ist leicht erledigt: willst Du und kannst Du dort bleiben, so bleibe, willst Du hierher kommen oder fordern es die Verhältnisse im Witteschen Hause, so rechnen wir drauf Dich hier zu sehn. Mit andern Worten, es ist ganz in Deine Hand gelegt und wofür Du Dich auch entscheiden magst, das Eine ist uns so recht wie das Andre. Nur über einen Punkt will ich noch ein Wort sagen, lediglich mit Rücksicht drauf, daß Dein allzulanges Verweilen in Rostocks Warnemünde doch vielleicht eine Gêne schaffen könnte, gleichviel Dir oder der theuren Frau Anna. Dieser eine Punkt ist der. Wir bleiben muthmaßlich bis zum 1. September und wenn mich das Theater nicht wegruft, noch länger. Es ist also möglich, daß Du - wenn Du am 15. August kämst - bis zum 15. September, seis in meiner oder Mamas oder in unsrer Beider Gesellschaft, noch hier verweilen könntest. Aber wenn unser Camp auch vorher abgebrochen werden sollte, würdest Du, bei den lieben und guten Wirthsleuten, die wir haben, auch ohne uns bis Ende September verbleiben können. Einige gute Familien sind immer hier, bis in den Oktober hinein, und an die eine oder andre könntest Du Dich anschließen. Und nun triff Deine Wahl, ganz nach Wunsch und „Sentiment". Wir leben hier in alter Weise weiter, ganz nach meinem Geschmack und wenigstens halb oder dreiviertel nach Mamas. Bei schlechtem Wetter regt sich in ihr doch eine Sehnsucht nach der großen Stadt, ich bin ganz frei davon. Zum Theil mag es daran liegen, daß ich, von der mich erquickenden Luft ganz abgesehn, au fond hier viel mehr Anregung und Zerstreuung habe, als in Berlin, so viel, daß ich immer blos abwiegeln muß. In Schmiedeberg: Prinz Reuß, Dr. Friedländer, Banquier Grosser (derselbe bei dem Mama und ich im vorigen Jahr ein so reizendes Diner mitmachten), in Erdmannsdorf: meine Gönnerin Frau v. Münchhausen geb. v. Scharnhorst, in Fischbach: Hofmarschall v. St. Paulslilaire, hier in Krummhübel: Schwerins, Graevenitzens, Corvettencapitain Darmer und die ganze Besatzung unsres Hauses, darunter Prediger Wenig. Auch in Arnsdorf, dem nächsten reichen Dorf, liegen ein paar Millioneser mit ihren Frauen und Schwägerinnen darunter die
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Schriftstellerin Frau v. Bülow geb. Eberty (nom de guerre: Hans Arnold) im Anschlag. Also embarras de richesse. Nur so viel siehst Du, daß mir der Thiergarten und ein Gespräch mit Kühling oder Geh. R. Zitelmann nicht fehlen kann. Auch mit meiner Arbeit rücke ich langsam vorwärts, langsam aber ohne Verstimmung. Und das ist für mich die Hauptsache, der ich nun mal keinen Aerger vertragen kann. - Mama war unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Neuhof, recht unwohl, jetzt ist sie wieder ganz gut bei Wege, nur ein bischen mit Tante Jenny=Zuständen ausgerüstet. George hätt' es mit dem Wetter wohl etwas besser treffen können, seit drei, vier Tagen Kälte, Sturm, Regen, aber während seiner 3V2 tägigen Gebirgsfahrt mit dem jungen Herrn v. Graevenitz und Corvettenkapitain Darmer hat er wunderschönes Wetter gehabt und alles aufs Beste gesehn. Heut Abend ist Tanz mit Bouquets. George bleibt nur noch wenige Tage. Geh es Dir gut. Gruß und Empfehlung an Tante Anna. Dein alter Papa.
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Krummhiibel 4. Aug. 85. Meine liebe Mete. Heute empfingen wir Tante Annas Karte mit der Meldung von Deiner abermaligen Erkrankung. Hoffentlich ist es nichts Ernstes, was die mühseligen Resultate wieder in Frage stellt; auch hier ist alle Welt mehr oder weniger stark erkältet, das Wetter ist nicht günstig, am wenigsten für Nervenzustände, denn trotz der vielen Gewitter ist immer Wasser und Schwüle in der Luft. Sie nennen es hier: verdorbene Gewitter. Dir von hier aus zu schreiben, ist nicht leicht; Du kennst die Leute nicht und bist nicht stark ausgerüstet mit Interesse für Kleinkram, zu dem Du keine persönlichen Beziehungen unterhäist. Mit Personen, die so geartet sind, plaudert sich's brieflich gerade so schwer, wie sich's mit Mama schlecht plaudert, wenn sie verstimmt ist. Es kommt nichts zu Wirkung und das Wissen davon lähmt von vornherein. Mittheilungen aus der Welt erhalten wir gar nicht, dann und wann ein Brief, eine Karte von Dir oder Friedel oder George. Ein Brief von Tante Witte ist ein completes Ereigniß. Dann und wann meldet sich ein kleines Pensionsfräulein und bittet um ein
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Autograph. C'est tout. Darüber zu klagen, giebt uns aber nichts ein Recht, denn wir schreiben auch nicht, auch ich nicht, der ich bis vor Kurzem noch der ewige Briefmann war. Aber auch dieser Hang ist allmälig von mir abgefallen. Ohne applaudirendes Publikum schläft jede Produktion ein, auch die kleine des Briefschreibens. Letzten Sonnabend hatten wir hier eine „Reunion" die mich sehr amiisirte, so daß ich von 8 bis 12 (es dauerte aber bis 4) tapfer aushielt. Aus Hirschberg waren 7 Lieutenants gekommen, die natürlich alles aufkratzten und belebten. Sie tanzten brillant und ließen Mama und mich mehr als einmal sagen: „wenn doch die arme Mete je so gute Tänzer gehabt hätte." Jedenfalls wurde Juristenball und Schillerfest durch das, was die „Reunion" hier bot, weit übertroffen, die Männerwelt war um vieles besser und die Damenwelt um einiges. Sechs oder sieben Damen waren hübsch, einige sehr hübsch: Fräulein Moordyck (unsre Hausgenossin hier), Frl. Zelle (Tochter des Beri: Stadtsyndikus), Frl. Frenzel (Cousine der vorigen), Frl. Stobbe (Professorentochter aus Leipzig; die Mutter eine geb. Eberty) 2 Fräulein Kette aus Frankfurt a. O., Bekanntschaften von Theo und Nichten meines alten Tunnelfreundes Kette, jetzt Präsident in Frankfurt a. O. Alles verlief angenehm. Nur ein Berliner Musikdirektor, der seinen Platz im Saal (sein Tisch stand gerade in der Tanzlinie) nicht räumen wollte, gab Anstoß und erhielt am andern Tage eine Karte: „Man kann ein Berliner Musikdirektor sein und doch den rechten Ton nicht treffen." Eine Hauptzierde der Reunion war eine auffallend schöne Frau aus Berlin, die nur ihren Namen ins Fremdenbuch geschrieben hatte, märchenprinzessinhaft wirkte und sehr umkurt wurde. Den Tag drauf kritzelte eine unbekannte Hand ein einfaches „Frau Registrator" vor den Namen der schönen Frau und 4 Stunden später, nachdem sie geweint und geschimpft hatte, reiste sie mit ihrem Gatten ab. Sie hatte ganz den Charakter einer abgesetzten Fürstengeliebten. - Zwei Tage vor der „Reunion" hatten wir Theater. Herr Exner spielte die Hauptrolle und bewies mir wieder, daß nichts häufiger ist, als eine mittlere Theaterbegabung. Frau Exner (sehr hübsche Frau) stellte in einem lebenden Bilde die „Germania". Sie sah grad' so gut aus wie Frl. de Ahna und das Bild war als ob es Karl Becker gestellt hätte. Und das alles in Krummhübel! Da wird man bescheiden. Wie klein sind oft die Unterschiede. - Nimm aus diesem Geplauder so viel Gutes Du kannst, erhole Dich bald wieder und empfiehl uns der theuren Frau Anna. Wie immer Dein alter Papa.
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Krummhübel 13. Aug. 85. Meine liebe Mete. Der Brief neulich an Tante Anna war in der Form oder richtiger im Ton verunglückt; ich empfand das gleich, hatte aber nicht die Kraft einen neuen zu schreiben; Vormittags arbeite ich (mir nie eine Ausnahme gestattend) und Nachmittags bin ich angegriffen, wo mir dann oft das fehlt, was ich mir sonst zu besitzen einbilde: leichtnehmende, drüberstehende Heiterkeit. So weit wie möglich, möchte ich diesen Tonfehler repariren und bitte Dich deshalb, alles was freundlich in dem Briefe war als unsres Herzens eigenstes Fühlen und alles was herbe klang, als Ausdruck einer Indisposition ansehn zu wollen. Im Wesentlichen handelt es sich doch um die Frage: Berlin oder nicht Berlin, elterliches Haus oder nicht elterliches Haus. Nun, wenn Dir noch wieder eine volle Gesundheit beschieden sein sollte, so werden wir froh und glücklich sein, Dich wie das ja, im vorigen Winter, zu unser aller Freude der Fall war - wieder um uns zu haben, sollte aber, was Gott verhüten wolle, Milzs und Leberkrankheit im Frau Krigar=Stil Dein Dir zugedachtes Theil sein, so muß es, zu unsrer herzlichsten Betrübniß, bei den Propositionen bleiben, die mein voriger Brief gebracht hat. Es kann sich dann nur darum handeln, Lebensformen und Lebenswege zu finden, die das harte Loos andauernder Krankheit, Dir und uns so leicht ertragbar wie möglich machen. Ich weiß, daß Wechsel und zeitweilige Trennungen das beste Mittel zu diesem Zwecke sind. Nur sich nicht immer auf dem Halse liegen, wenn weder der eine noch der andre dieser Halsliegerei froh wird. Einem in Trübsinns=Apathie Verfallenen darf man nicht zurufen: „lache, tanze, sei heiter" man muß ihn gewähren lassen, das ist sein gutes Recht; aber es ist in gleichem Grade das gute Recht der Andern zu sagen: „wir wollen Dir nicht Deine Trübsinns=Wolke stören, störe Du uns nicht unser bischen Licht." Aus dieser Erwägung, die mir fest in der Seele steht, ist alles hervorgegangen, was ich in meinem vorigen Briefe geschrieben habe. Du bist zu gescheidt, als daß Du, der Sache nach, Dich dagegen verschließen könntest. Der Kranke hat sein Recht, aber der Gesunde noch mehr, denn er hat (was bei dem Kranken fortfällt) zu arbeiten und Aufgaben zu erfüllen. Ich hoffe, daß diese Zeilen alles richtig stellen werden; ein Rest von Herzensweh wird wohl bleiben, aber dieser Rest ist nicht fortzuschaffen, das liegt in der Situation, nicht in uns oder speziell in mir. -
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Mama kränkelt beständig, sie ist seit ihrer Abreise von Berlin noch keinen Tag gesund gewesen, - ein gastrisch-nervöser Zustand wie im vorigen Jahr, nicht so stark, aber dafür verschleppt. Herzlichste Grüße den theuren Wittes. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 10. Dezb. 85. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Die beiliegende Karte sollte gestern noch mit auf die Post, blieb aber liegen; ich glaube, daß die Situation heute noch gerade so ist wie gestern und daß das Haus Krigar-Menzel, auch in diesem Augenblick noch, keine Ahnung hat von meiner Huldigungs=Großthat. Sie schlafen alle noch den Schlaf des Gerechten, was ich ihnen, nach 36 stündiger kolossaler Anstrengung - Menzel ganz worn out auch nicht verdenken kann. Ich lege heute noch 3 Briefe bei, die Dich wohl alle, jeder auf seine Art, interessiren werden. 1. einer von A. Chodowiecki aus Valparaiso (Chile). 2. einer von Chevalier oder Seigneur oder Sieur de La Verrie de Vivant aus Siorac, Dep. Dordogne. 3. einer vom Major v. Kessel, Flügeladjutanten des Kronprinzen. 1. und 3. sind bereits beantwortet, aber an den Seigneur muß ich noch schreiben, „daß sich der betr. Name (de Vivant) in den Büchern und Listen der Colonie nicht vorfände." Darf ich Dich bitten, diesen Brief - im Brouillon - aufsetzen und mir schicken zu wollen. Bitte, sehr artig, sehr verbindlich, aber nur kurz; etwa 12 Zeilen. Das Wichtigste, was ich Dir mitzutheilen habe, ist zugleich ein Verwunderliches: von Müller=Grote's kein Lebenszeichen. Mama war 2 mal da; niemand zugegen; möglich, aber doch sonderbar. Emmal wurde der Besuch durch Frau M. G. erwiedert, das zweite Mal nicht. Martha haben wir, seit Du fort bist, nicht gesehn. Von ihm, außer 2 mal 2 Zeilen, kein Wort. Nun habe ich vorgestern früh - ich suchte, artiger Mann der ich bin, nach einer Annäherung ihm mein Menzelgedicht geschickt und ein freundliches Briefchen dazu, worin ich ihn um abermals 10 Exemplare, gegen in Rechnungstellung, ersuche. Darauf habe ich weder einen Dank, noch eine Antwort, noch die 10 Exemplare erhalten. Alles einigermaßen
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überraschlich. Hast Du den Schlüssel dazu? Correspondirst Du mit Martha? Wie hat sich euer Verhältniß gestaltet? Ich bin neugierig Einiges darüber zu hören. Herzlichste Grüße an Tante Witte. Mama ist mit Lischen Treutier in der Ausstellung der polychromen Statuen. Ich bin furchtbar erkältet und hatte viel Briefe zu schreiben. Mit besten Wünschen für Dein Wohl, Dein alter Papa. Schicke mir die Briefe wieder.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Berlin 26. Dezb. 85. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Zwischen unsrer 1. Visite bei Robert's (wirklich aus der Normandie) und unsrem Diner bei Schwerin's (wirklich aus Posen) liegt noch eine halbe Stunde, die ich zu ein paar Zeilen an Dich benutzen will. Ueber Deine 3 Briefe: an Mama, an George und die Braut herrscht hier Freude und Bewunderung, welcher letztren Mama in einem Postkriptum noch eigens Ausdruck geben wird. Diese (Mama) ist mir überhaupt rührend in ihrer bei dieser Gelegenheit wieder hell zu Tage tretenden großen Liebe zu Dir; sie spricht mehr von Dir, als von dem Brautpaar, so glücklich sie über dasselbe ist. Du schreibst von „kommen zu meinem Geburtstage"; gewiß wäre es uns allen eine große Freude Dich zu sehn, aber es ist doch besser Du kommst nicht, und man läßt gegenseitig „die Abwesenden" leben. Denn so glücklich und dankbar wir sind, so verbraucht sind wir doch auch und sind stundenlang in einer Verfassung wo uns die Kraft zur Freude fehlt und die Frage Brautpaar, Aussteuer, Hochzeit neben dem Wunsche Ruhe verschwindet. Gestern war uns so, daß wir gesellschaftlich die Flinte ins Korn werfen wollten. Mama weinte vor Erschöpfung und ich dachte ernsthaft an die Abstammung der Robert's von Robert le Diable. Was den Geldpunkt angeht, so wiegelt der Schwiegervater beständig ab, wobei ich immer ein urdummes Gesicht mache, weil mir, sobald nur die Möglichkeit anständigen Lebens da ist, die berühmte Frage: „wie viel Nullen" ganz gleichgültig ist. Beinah darf ich sagen, daß ich kleinere Zahlen vorziehe; die biblischen Sprüche, die diese Frage behandeln, sind doch richtig. Uebrigens liegt die Sache so,
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daß G. (wenn er Türkei hat, aber er wird wohl nicht) einen kolossalen Batzen von 2 kinderlosen Onkels, die natürlich nicht Fontane heißen, erben kann. Sauge vorläufig an dieser Süßholzstange. Tante Annas Verschen: „Meine liebe Marthe, Warte, warte, warte, Du kriegst noch einen Mann etc" hat mich sehr gerührt, ich finde es so liebenswürdig und zwischen den Zeilen schlägt so viel Herz. Allen Witte's herzlichste Grüße. Nachträglich fällt mir noch ein, Roberts sprechen beständig aus, welches rasende Glück ihnen und ihrer Tochter zu Theil geworden sei. Du kannst Dir denken, wie mir dabei wird. Immer muß ich an den Kesselflicker denken, der als „verwunschner Prinz" die Huldigungen seiner Hofchargen in Empfang nimmt und vor der berühmten Frage steht: „sind die verrückt oder ich?" Ergeh es Dir gut. Herzliche Grüße auch dem lieben Mengel'schen Paar. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Wir kommen eben zurück; Martha war hoch erfreut über Deinen Brief (der Dir auch apart gelungen war) u. wird Dir heut Nachmittag, während George mit uns bei Schwerin's ißt, antworten u. ihre Photographie schicken. Wir haben den besten Eindruck. Ich denke viel, viel Deiner, so daß mich Papa schon interpellirt u. sagt: Du sprichst immer von Mete. Er u. Du weiß warum. In innigster Liebe Deine Alte.
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Emilie Fontane an Theodor Fontane jun.
Berlin, d. 15. März. 86 Mein lieber, alter Theo. Vor mir liegt Deiner lieben Martha Bild, das helle, u. in dem ich nochmals ihr liebes Gesicht, ihre hübschen Augen betrachte, will ich Euch beiden meinen innigsten Glück- u. Segenswunsch aussprechen: möge Gottes Güte Euren Bund segnen u. Du mein guter, vortrefflicher Junge für Dein Herz u. Gemüth das in Deiner Braut finden, was Du ersehnst u. erhoffst. Mein erstes Wort, nach Lesung Deines Briefes war: wenn sie ihn nur recht liebt u. Mete u. Papa antworteten einstimmig, zu meinem Trost: das wird sie gewiß, sonst hätte sie nicht Ja gesagt. Dein Telegramm hat uns Deinetwegen erschreckt u. bedauern wir, daß die Postverwaltung sich gleich einer Vernachlässigung
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gegen Euch zu Schulden kommen ließ. Aber Du mußt nun heut mit wenigen Zeilen von mir Dich begnügen, denn ich bin immer noch zwischen Weinen u. Lachen u. möchte Euch beiden lieben Menschen so viel Schönes u. Gutes mündlich sagen. Eben entdecke ich daß ich auf einen Verlobungsbogen von George schreibe, nun, da hast Du gleich ein Schema. Papa u. Mete werden mehr schreiben, meine Augen taugen wieder garnichts. Heut gegen Abend kommt George erst, Montag hat er viel Dienst, da wird einer von uns zu Roberts u. ihm die freudige Mittheilung überbringen. Empfiehl mich Deinen verehrten Schwiegereltern, gieb Deiner lieben Martha einen Kuß mehr von Deiner Dich zärtlich liebenden alten Mama.
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George Fontane an Theodor Fontane jun.
Gr. Lichterfelde den 15. 3. 86. Mein lieber alter Theo. M a m a hat es übernommen, mich bei Dir zu entschuldigen, ich will aber doch selbst wenigstens diese Karte stiften, damit Du wenigstens es von mir selbst erfährst, daß ich noch unter den Lebenden weile. Wenn Du erst verlobt bist, wirst Du es nachfühlen können, wie wenig Zeit ein Bräutigam hat, namentlich wenn die Braut am selben, und doch nicht ganz am selben Orte ist, denn ich verbrauche allein 2 Vi Stunden täglich Zeit zum Hin- und Zurückkommen. Für Deinen lieben Brief herzlichen Dank. Es freut mich daß es anfängt Dir in M. zu gefallen, hoffentlich wird es immer besser werden. Martha grüßt Dich bestens ebenso Dein Dich liebender Bruder George.
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George Fontane und Martha Robert an Theodor Fontane jun. Gr. Lichterfelde 16. 3. 86.
Mein lieber, alter Theo. Beiliegende überwältigende schriftstellerische Leistung war gerade fertig und wurde nur deßhalb nicht abgeschickt, weil ich mich erst zuhause nach Deiner Adresse erkundigen wollte; sie erscheint mir indeß doch so bedeutend, daß ich sie Dir nicht vorenthalten
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möchte. Du wirst ja nun ermessen können wie mir zu Mute ist. Mein alter, guter Junge, ich habe mich kolossal gefreut, daß Du so bald dem Beispiel Deines großen Bruders gefolgt bist, und ich wünsche Dir zu dem freudigen Ereignis alles nur denkbare Glück, Heil und Segen im allerreichsten Maaße. Ich saß gestern so recht gemütlich und stillvergnügt bei meiner Martha, als die gute Alte und unsre gemeinschaftliche Martha mit der freudigen Nachricht antraten; natürlich herrschte allseitige Freude und Theilnahme. Unsre Alte ist natürlich sehr glücklich innerhalb eines Vierteljahres ihre beiden Aeltesten versorgt zu sehen; etwas wehmüthig wird mir nur, wenn ich unsre gute Mete dabei ansehe, und an die geringen Aussichten denke, die sie hat dermaleinst eben so glücklich zu werden wie ihre Brüder. Doch das sind traurige Betrachtungen und gehören nicht in einen Brief, der eitel Freude und Frohsinn atmen soll. Ich will Dir auf Deine alten Tage keine Schmeicheleien sagen, mein alter Junge, aber das muß ich doch aussprechen, einen dollen Dusel hat Deine Braut entwickelt, daß sie Dich erwischt, warum ... Doch das könnte zu viel werden. Aber gewiß auch umgekehrt, und bin ich fest überzeugt, daß Deine Wahl nur auf eine Nummer Eins fallen konnte. Deine Anmerkungen über das Äußere Deines Schatzes waren recht überflüssig, wenn einer so gut aussieht, bedarf es gar keines Kommentars. Dein nächster Brief - natürlich ein Rundreisebrief, wie Blumenthal sagt - m u ß unsre Neugierde noch in manchen Punkten befriedigen. Da wir alle Deine Braut voraussichtlich fürs erste nicht kennen lernen werden, so können wir Dir eine detaillierte Kleinmalerei nicht erlassen, wünschen vielmehr über Größe (hoffentlich passend) Farbe von H a a r und Augen, Alter (wenn nicht indiskret), hervorstechende Talente u.s.w. u.s.w. auf das allergenaueste orientiert zu werden; auch wenn Ihr zu heirathen gedenkt. Von mir ist nicht viel zu berichten; mein Lebenslauf geht aus der beiliegenden Karte hervor, und bin ich froh, daß nun bald ein Ende abzusehen ist. Denn so schön dies Leben auch ist, so angreifend ist es auch, ich bin einmal immer müde; auch thut mir die schöne Zeit leid, die auf meinen Hin und Hertransport kommt (in einer Beziehung muß man doch wenigstens ökonomisch sein.) Meine Martha ist das beste, liebste reizendste Geschöpfchen, was es giebt, sie erobert sich aller Herzen im Fluge; Papa und Mete sind ganz verliebt in sie. Für mich ist sie viel zu gut, und meine einzige Befürchtung ist die, daß sie dies sehr bald einsehen wird. Bis jetzt hat sie mich ja auch sehr lieb und thut alles, was sie mir nur an den Augen absehen kann. N u n will ich aber schließen, da Marthchen
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noch ein paar Zeilen schreiben will. Bitte empfiehl mich Deiner lieben Braut und Deinen Schwiegereltern und vergiß in Deinem jungen Glück nicht Deinen Dich liebenden Bruder George. [Nachschrift von Martha Robert] Mein lieber Schwager! Die Nachricht Deiner Verlobung hat meine Eltern wie auch mich auf das Höchste erfreut und wünsche ich Dir, lieber Theo, - vorläufig nur mit wenig Worten, da mir George so wenig Raum gelassen - von ganzem Herzen Glück zu derselben. Möge Deine Braut nur eben so gut und lieb und reizend wie mein lieber George sein; dann müßt Ihr ja enorm glücklich werden! - Eigentlich hast Du uns zu sehr überrascht; ich habe nicht einmal etwas geahnt! — Dir noch einmal zu diesem frohen alles Gute wünschend bin ich mit der Bitte mich Deinem Fräulein Braut bestens zu empfehlen, mit herzlichen Grüßen an Dich Deine Schwägerin Martha.
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Emilie Fontane an Martha Soldmann
Berlin, d. 18. März. 86. Meine liebe Martha. Dein lieber Brief, der heut früh ankam, ist uns eine große Freude gewesen u. denke ich Du wirst es, liebe Martha selbstverständlich finden, daß ich Dich als nun auch unser liebes Kind mit Du anrede, u. Dich bitte dies auch zu thun. Aus Deinen Zeilen ersehe ich, daß ich Dir unsren Theo nicht weiter an's Herz zu legen brauche; auch nicht „ihn zu rühmen" steht mir an, dies werden seine Freunde, für mich thun, aber das mußt Du mir gestatten Dir zu sagen: er ist grundgut von Kindheit an gewesen u. hat uns nur Freude u. Ehre bereitet u. ist Deine Aufgabe, die Du Dir stellst, ihn glücklich zu machen, eine sehr dankbare. Wie sehr er seinerseits Alles thun wird, Dich auf Händen zu tragen, das, liebstes, neustes Marthachen, wird er Dir wohl schon bewiesen haben. Und so kann ich nur Gott danken u. ihn bitten Euch in seinen Schutz zu nehmen. Empfiehl mich Deinen verehrten Eltern, u. sei mit Deinem Theo herzlichst geküßt von Deiner neuen alten Mutter Emilie Fontane.
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Emilie Fontane an Clara Stockhausen Berlin d. 23. März. [1886]
Meine liebste Frau Clara. Gottlob ist das kleine Mädchen da u. hoffentlich befinden sich Mutter u. Kind „den Umständen nach" vortrefflich." Möge die Kleine Ihnen so viel Sonnenschein in's Haus bringen, wie damals Ihr Johannes u. sich so gut aufziehen lassen, wie er. Sie glauben nicht liebste, theuerste Frau, wie viel meine Gedanken in den letzten Wochen mit Ihnen waren, u. seit Ihrem Geburtstag erwartete ich täglich die Nachricht, warum, weiß ich eigentlich nicht zu sagen. Auch mein Alter u. Mete senden ihre besten Glückwünsche; letztere hat sich wohl erholt, muß aber doch sobald wie möglich nach Franzensbad. Im Juni heirathet unser Hauptmann u. ich denke im Herbst unser Assessor. Papa „Theodor" will uns, trotz seiner 66 noch gar nicht reif für Schwiegervater u. Folgen erscheinen; er ist prächtig arbeitsfrisch u. meines Herzens bester Theil. Gelegentlich hole ich mir von Ihnen Nachricht bei Anna. Tausend Grüße dem Stifter „von's Junge" von Ihrer alten getreusten Emilie Fontane.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 1. Juli 87. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Schon über 4 Wochen bist Du fort und bis heute keine Zeile von Deinem schreibeseligen Papa. Aber das viele Schreiben war eben Schuld, daß er nicht schrieb. Uebermorgen hoffe ich mit der Novelle, bei der ich wenigstens wieder „Geduld" bewiesen habe, fertig zu sein, dann ein paar Besuche (Robert, Lessing, Zöllners) und dann hinaus nach „Seebad Rüdersdorf", wo Du, 8 Tage später, vielleicht auch Deinen Einzug hälst. Ich habe zwei Zimmer, so daß der Kaeppelsche Bettschirm in Wegfall kommt. Außer einer wundervollen Badestelle, findest Du auch die Mutter des Wirths, eine 85 jährige Französin, die trotz 55 jährigem Aufenthalt in Berlin, immer noch ausschließlich französisch spricht. Also Fortsetzung der Desteuque=Tage; Lettow, Massow, Witzleben werden freilich fehlen und die Sperlinge nicht von der richtigen Nummer sein. - Mama, die heute früh im Encke-
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sehen Atelier war, holt in diesem Augenblick Tante Witte von der Bahn. Ich möchte für diese Stunde nicht Marie Bencard und vielleicht noch weniger Dr. Veit sein. Mama wird wohl „zustimmen", überhaupt ein Conversationstalent von ihr (selbstverständlich den Mann ausgeschlossen) und doppelt wenn es gemüthliche Abschlachtung gilt. Ich für meine Person kann mich über die Sache nicht entrüsten, wenn laut oder still irgend ein Petöfyabkommen getroffen wird, läuft es aber, wie mein alter Papa zu sagen pflegte, aufs „Erotische" hinaus, dann hat es seinen Haken. Und Onkel Sommerfeldt meinte neulich „es liefe immer aufs Erotische hinaus." Ob der alte Vicar darin Recht hat, stehe dahin. Von solchen Eheschließungen gilt dasselbe wie von der Kunst: auf das Detail kommt es an. Da man dies nie genau kennt, jedenfalls aber vorher nicht kennt, so verbietet sich ein bestimmtes Urtheil. - Meine Sommerpläne sind auch jetzt noch in der Schwebe, ich habe zwar in „Seebad Rüdersdorf" bis Weihnachten gemiethet, aber vielleicht halte ich nicht 8 Tage aus. Das Lokal ist entzückend, die Wirthin eine angenehme Frau (wird auch von andrer Seite her bestätigt) und die Verpflegungsfrage kann nicht maßgebend werden für jemand, der in Krummhübel die hohe Schule durchgemacht hat, - aber was kann einen nicht alles vertreiben! Köter, Hähne, Mäuse, Menschen. Findet solche Vertreibung statt, so gehe ich noch 14 Tage nach Rügen und dann - hoffentlich von Dir begleitet - im September zu Frau Schreiber in Krummhübel. In Rüdersdorf will ich einige lange märkische Kapitel schreiben, in Krummhübel die neue, in Schleswig u. Kopenhagen spielende Novelle. - George ist recht elend und macht mir wirklich Sorge. Wenn er morgen nach München führe und das bairische Gebirge 4 Wochen lang durchwanderte, wäre er wieder in Ordnung, aber aus sich heraus kann er es nicht (so viel Kraft und Willen bringt er gar nicht mehr auf) und ein superiorer und Macht über ihn habender Faktor ist nicht da. Für solche Fälle war der alte Pancritius vorzüglich, aber wir haben ihn nicht mehr und ein junger Durchschnittsdoktor kann solchen alten Isegrimm nicht ersetzen. Ich kann solchen Einfluß üben, wenn man sich auf meine Behandelweise solcher Dinge, die von Diktatorsicherheit absieht, versteht, aber das sind wenige, die Lust haben auch nur zuzuhören. Und so müssen denn die Dinge gehen, wie sie gehen wollen. - Grüße und küsse das Münstersche junge Paar, empfiehl mich Soldmanns, wenn sie demnächst wieder eintreffen. Wann wird denn Theo „Rath?" Dies muß er mich doch noch erleben lassen. Er ist dann der erste dieses Namens. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 17. 8. 87. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Viel ist noch zu schreiben und die Briefe fallen nur so rechts und links. Bitte, stecke das einliegende wichtige Skriptum selbst in den Briefkasten. Hoffentlich bist Du gut angekommen und hast freundliche Gesichter und eine gute Stätte gefunden. Wir haben Dich von Station zu Station begleitet, natürlich irrthümlich, während wir Dich in Kohlfurt suchten, warst Du in Görlitz. Kriegst Du am Freitag Vormittag kein Telegramm, so komme ich Freitag zwischen 5 u. 6 in Schmiedeberg an und treffe Dich hoffentlich. Es ist aber nicht nöthig, falls Du von angenehmer Seite her eingeladen werden solltest. Alles grüßt Dich herzlich und wünscht Dir das Beste. Dein alter Alter.
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Emilie Fontane an Theodor Fontane jun.
Berlin d. 29. Aug. 87. Mein lieber, alter Theo. In meinen kleinen Reisevorbereitungen für Krummhübel, traf Dein lieber Brief ein, in dem Du u. Dein Martchen mir so freundlich Pathenstelle bei Eurem lieben, kleinen Otto anbietet. Wenn es sich nun auch leider aus vielen Gründen verbietet, dies persönlich thun zu können, so nehme ich an Ihr werdet schon eine Vertretung für mich finden, eine sogenannte „Vice"pathin u. laßt meinen Namen in's Kirchenbuch eintragen. Wie gern ich mein erstes Enkelkind in meinen Armen halten möchte, werdet Ihr begreifen, aber ich bin nun so dringend der Erholung bedürftig, habe bereits mein Rundreisebillet, mit dem ich Papa u. Mete in Krummhübel, dann Treutiers in Blasewitz u. zuletzt Witte's in Rostock besuchen will, Besuche, die seit dem Frühjahr geplant u. versprochen sind. Es ist wieder eine solche elementare Hitze, daß ich ganz elend davon bin u. mich auch entschlossen habe, morgen Abend zu reisen. Die Gebirgsleute schreiben diesmal sehr befriedigt u. hoffe ich auf eine nette Zeit mit ihnen. Daß es Dir u. auch Deinem Frauchen nicht gut geht, betrübt mich zu hören, habe ich doch auch meine
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August 1887 - Oktober 1887
Sorge mit unserm alten George gehabt, der aber jetzt in der Besserung zu sein scheint; mit der kräftigeren Herbstluft werden sich auch Eure Nerven wieder beruhigen, u. wenn Ottochen erst sanfter wird, dann wird auch das seinen guten Einfluß auf Euch haben, verliert nur nicht den Muth u. die Geduld. Außer Roberts u. Sommerfeldts ist niemand von unseren Freunden in Berlin; Fr. Sternheim u. Fr. Meyer weilen seit Wochen in der Schweiz u. ich bin des Abends manchmal mit Fuz zur Abkühlung ein Glas Bier trinken gegangen, wonach ich immer prächtig schlafe. Sonnabend mit den Lichterfeldern, nachdem wir in der Ausstellung waren, bei Schaper in der Leipzigerstr. wo wir bis gegen 12 Uhr saßen; Du siehst, „wenn die Katze nicht zu Hause etc." Aber nun nachdem ich mich ein Vierteljahr mit einrichten eines neuen Mädchens gemüht, Wohnung gesäubert, große Wäsche u. Einmachen hinter mir habe, sehne ich mich nach frischer Luft u. anderen Eindrücken; der Winter ist lang u. mit meinen Kräften muß ich anfangen, Haus zu halten. Mete wird wohl schon Deinem Martchen geschrieben haben, denn sie theilte mir ihre Freude über den Anfang des langen Briefes Deiner lieben Frau mit. Ich habe heut sehr freundliche Nachrichten aus Berchtesgaden, das Haus Heyden ist doch ein getreues. Die armen alten Zöllners sind in Kissingen. Unser Fuz wird Haus halten, hoffen wir, zu unsrer Zufriedenheit; ich fürchte es steckt ein dolles Kneipgenie in ihm, aber sonst ist er wohl zu leiden u. alle Menschen nimmt er durch sein artiges, gefälliges Wesen ein. Mit seiner Stellung ist er zufrieden, möge sie nur von Dauer sein. - Nun küsse mir Dein liebes Weib u. Kind u. melde mir auch definitiv den Tag der Taufe, damit ich im Geist bei Euch u. meinem lieben Patchen sein kann u. Euch - eine Baumtorte dazu schicken. Auch beste Grüße an Soldmanns. Eure Euch innig liebende alte Großmutter.
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Emilie Fontane an Clara Stockhausen
Berlin, d. 14. Okt. 87. Theure Frau Clara. Ich will Ihnen Beiden nur danken für Ihre treue Freundestheilnahme. Sonst wissen Sie ja, daß ich noch für nichts Gedanken
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habe, nur den einen: ich habe meinen lieben George begraben müssen! Schicken Sie uns Ihre Tochter recht bald einmal zu, Nachmittags, daß sie ein Stündchen bleiben kann. Das liebe Kind soll Ihnen dann von uns schreiben, bis es selbst wieder vermag Ihre arme Freundin Emilie Fontane.
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Emilie Fontane an Theodor Fontane jun. d. 1. November 87.
Mein lieber Theo. Auf Deinen u. Deiner Marta liebe Briefe will ich schon heut anfangen zu antworten, da es leicht möglich ist, daß ich morgen mich nicht so bei Kräften fühle. Zuerst meine innigsten Wünsche für Dich, mein lieber Sohn zum 31.; möge Gott Dir Dein Glück ungetrübt erhalten u. Du dessen jeden Tag u. jede Stunde bewußt sein. Welche Freude würden wir empfinden u. wie würden wir den Schmerz um unsren theuren George milder empfinden, wenn wir Euch hier hätten! so werden wir unzählige Male am Tage an ihn erinnert u. wenn seine Frau zu uns eintritt, so vermissen wir jedesmal auf's Neue sein Kommen. Aber ich will Dir nichts vorklagen; der Brief an Dein Frauchen muß schon über das Maß klagend ausgefallen sein. Unser Leben ist kaum verändert, da ja unsre Geselligkeit schon minim war; die Kinder brachten hin u. wieder etwas Leben in die Bude u. am nettesten war es, wenn Mete aus einer Gesellschaft kam u. Bericht erstattete. Das fehlt nun diesen Winter; sie liest pflichttreu dem lieben Alten den unsagbar langweiligen Ranke vor u. hat leider ihre bei Euch in Münster u. später im Gebirge erworbenen Kräfte wieder zugesetzt, so daß sie gestern den Arzt consultiert hat, der Herz=Ungehörigkeiten entdeckt hat. Sie mediciniert nun wieder u. sieht bleich u. nervös aus. Unser lieber Alter hält sich tapfer u. arbeitet mit dem alten Fleiße weiter. Friedel ist noch zufrieden in seiner Stellung, hat aber sehr viel zu thun u. wünschte dafür etwas bessre Bezahlung. Das wäre so der Gang unsres Lebens hier. Die Besuche haben nachgelassen, übrigens ein wahres Glück u. nur Martchen verplaudert ungefähr jeden dritten Abend bei uns. Sie ist sehr rührend in ihrer Trauer u. spricht am liebsten von ihrem George. Daß sie sich eine Wohnung gemiethet, habe ich Euch wohl schon geschrieben;
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hoffentlich findet sie eine ihr zusagende Dame, da sie ein Zimmer vermiethen möchte. Zöllner's sehen wir wieder öfter; gleiches Leid führt die Menschen zusammen; Karl soll sich jetzt wirklich zum Examen vorbereiten. Heyden's sind aufmerksam u. theilnehmend wie immer; Kurt ist auf einige Tage mit seiner Millioneserin hier. Vor einiger Zeit war ich bei Frau Herz, traf auch Deinen Georg; sie sprach sehr liebevoll von Dir. Ich mag die Frau sehr gern, sie hat Herz u. Verstand. Der Verlust ihres kleinen Enkels scheint ihr sehr nah gegangen zu sein. Auch an dem beifolgenden praktischen Geschenk für Dich ist ein avis von Mete Schuld; Schobel meint: „sie würden Dir passen"; sollte es nicht der Fall sein, so kannst Du sie zurückschicken. Ich soll Dir auch von Tante Jenny, die gestern hier war, mich überhaupt auf's treulichste besucht u. tröstet, die herzlichsten Glückwünsche bestellen. Sie wird schon wieder mehrfache Großmutter: M a x u. Frida haben dafür gesorgt. Ich bin vorläufig mit Ottingchen zufrieden u. wäre nur froh, wenn ich den kleinen lieben Kerl sehen könnte, aber wann wird das geschehen? trotz der liebevollen Beschreibung Deiner Marta kann ich mir keine Vorstellung von meinem Enkelchen machen; seine langen Gliedmaßen hat er wohl von Dir, denn Du warst, in Folge Deiner 3 schlechten Ammen auch nur ein mageres, dürftiges Kerlchen, aber ganz brünett u. mit dunklen Augen, so daß die Leute in London, Deine „nurse" anredeten: is it a iridian boy? Das ist nun lange her u. will ich Euch wünschen, daß Ihr einmal nach so langen Jahren dieselbe Freude an Eurem Otto haben könnt, wie wir an seinem Vater: körperlich u. geistig. d. 2. Heut habe ich noch hinzuzufügen, daß Tante Merckel gestern mit Olga hier waren; es war mir garnicht peinlich, beide sprachen so liebevoll u. theilnehmend von unsrem George u. seiner Frau, daß es mir garnicht vorkam, als läge eine so lange Zeit zwischen unsren Wiedersehn. Ich werde bald hin gehen u. hoffe daß Olga so groß ist, um nicht nur vergeben, sondern auch vergessen zu können. - Mete liegt heut zu Bett u. so wird sich ihr beabsichtigter Brief an Dich wohl auf einen Glückwunsch beschränken. Verlebt den morgenden Tag möglichst heiter u. froh, küsse Deine liebe Frau u. Otto'chen, empfiehl mich Deinen Schwiegereltern u. - quäle Dich nicht mit antworten, sondern freue Dich vorläufig Deiner Gratulantin u. laß sie warten, bis Dir schreibelustig zu Muthe ist. In herzinniger Liebe Deine alte M a m a .
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Emilie Fontane an Theodor Fontane jun. Berlin, d. 22. Dec. 85 [1887].
Mein lieber, alter Theo. Unsre Kiste an Euch ist in großer Hast u. Eile, ohne jedes begleitende Wort an Euch Lieben abgegangen u. doch ist dazu Manches zu sagen; daß Du u. Ottingschen so knapp weggekommen, thut mir leid, aber ich denke Ihr werdet es Eurer Frau u. Mama gönnen, daß sie diesen Weihnachten den Löwenantheil hat. Wir gehen Alle dem schönen Fest mit tiefer Wehmuth entgegen, ich bin leider auch gesundheitlich recht herunter, hoffe aber mit Martchen u. Meten am 24. nach Lichterfelde zu können, um ein Weihnachtsbäumchen auf unsres George Grab zu pflanzen. Wir wollten Dir gleichzeitig mit den Kisten den von mir wohl verpackten Degen schicken, aber Pa meinte, wir sollten erst den Festtrubel vorüber lassen, damit er unbeschadet in Deine Hände gelangt; außer der Erinnerung, ist nicht viel daran u. Fuz meint, der Säbel, mit George's Namen eingraviert, wäre viel besser, den könntest Du aber nicht gebrauchen. Wir hatten rechte Sorge um Papa, der am linken Fußknöchel eine Anschwellung hatte; nach Consultieren unsres neuen Arztes u. Einreibung u. Bandage, geht es seit gestern besser, so daß er doch seine ihm so nothwendigen Spaziergänge, freilich noch mit Beschränkung, wieder machen kann. Wir leben natürlich einsamer denn je, u. sehen nur unsre arme Martha, die in der jetzigen Gedenkzeit auch wieder schwerer trägt, was ihr u. uns auferlegt ist. Wenn ich nicht so ängstlich, auch im Wünschen geworden wäre, dächte ich es mir doch wie Lebensbalsam Euch u. unsren kleinen Enkel hier zu haben, aber es wird wohl so besser sein, wie es ist u. ich bescheide mich; aber traurig war ich doch, als die Nachricht von Deinem Festsitzen in Münster kam, mein alter Junge, denn 5 Jahre! eine lange, lange Zeit für Deine schon so alten Eltern. Meyers u. Sternheim's sind Meten's Verkehr jetzt, d. h. sie sehen sich auch alle 14 Tage, sonst ist sie unsre getreue, liebe Tochter, die sich stark macht u. heiter scheint, um uns aufzurichten. Anfang Febr. will ich sie aber ein paar Wochen nach Rostock schicken, bis dahin fange ich vielleicht an, wieder mich zu rappeln. Pa grüßt herzlichst; er hofft gerade bis zum 24. d. mit dem Entwurf einer neuen Novelle fertig zu sein, zum Glück interessiert ihn die neuste immer am meisten. Irrungen etc. erscheint Ende Januar als Buch.
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Dezember 1887 - März 1888
Nun habt ein frohes Fest Ihr Lieben! nehmt jede gute Stunde mit u. freut Euch Eures kleinen Lieblings. Küsse Frau u. Kind, empfiehl mich Deinen verehrten Schwiegereltern u. bleibe die Freude Deiner Eltern. In innigster Liebe Deine alte Mama.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 9. März 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Sei bestens bedankt für Deinen lieben Brief. Onkel Witte war hier und hat Mama und Lischen Treutier in den Reichstag geführt, wo Bismarck um 11 Vi erscheinen und die Mittheilung vom Hinscheiden des Kaisers machen sollte. Das für mich bestimmte Billet erhielt Geh. R. Herrlich, der grade zugegen war und sich unter Onkel Wittes erregten Armbewegungen wie ein Klümpchen Unglück ausnahm, das auszudrücken schien: „nehmen Sie's nicht übel, aber ich existire nun mal." Wofür Onkel W. mich hielt, der ich erklärte lieber zu Hause bleiben zu wollen, weiß ich nicht, doch darf ich wohl annehmen, daß seine Betrachtungen nicht allzu schmeichelhafte Wege gegangen sind. Ich kenne solche „großen historischen Momente" aber zu gut und weiß, daß einem nur Geschupst= und Gedrücktwerden sicher ist, während es zweifelhaft ist, ob man etwas sieht und sicher, daß man nichts hört. Es giebt Ausnahmen von der Regel, aber die Regel läuft drauf hinaus: „der Bericht ist besser als die Sache selbst." Wie ruppig verlaufen historische Momente und wie gut nehmen sie sich in der Beschreibung aus. Ich warte auf die Abendzeitung. Ach, was sind große Momente! Gestern gegen 9 ging ich in die Stadt, bis zum Palais des Kaisers: bis zu Kranzler's Ecke waren die Linden, die sich überhaupt durch Langeweile auszeichnen, kolossal langweilig, beinah öde; bei Café Bauer fing das Gedränge an und setzte sich bis zum Palais hin fort; die Menschen sahen unglaublich gelangweilt aus und ich empfing einen geradezu kläglichen Eindruck. Nichts von Geist, von Leben, von Liebe oder Theilnahme, nur einem elenden Schaubedürfniß hingegeben, standen Tausende da, der Regen drippte von den Schirmen und wie Cretins sahen sie nach dem Palais hinüber. Ich will
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zugeben, daß es nicht anders sein kann und daß wenn ein 91er stirbt, eine Bevölkerung nicht in Thränen zerfließen kann, aber wenn man dann den Zeitungs=Radau liest, dann ekelt einen die furchtbare Lüge. Gleichzeitig mit diesen Zeilen gebe ich das gestr. Abendblatt des „Berl. Tageblatts" zur Post; (ich schneide die Stelle lieber aus) lies den blau angestrichnen Artikel. Und das alles für 2 Mark 50. Onkel Witte trat, in seiner Freundlichkeit und Güte, heut um 11 mit den vorerwähnten 3 Billets hier an. Er war ganz „historischer Moment" und ich fürchte, daß ich, um es zu wiederholen in meiner Seelenruhe einen wenig günstigen Eindruck auf ihn gemacht habe. Ich hatte aber Besseres zu thun, nämlich das „lebende Bild" zu beobachten, das er und Geh. R. Herrlich unwissentlich stellten. H. erging sich in einem polit. Urtheil, W. griente ihn an und ich erwartete jeden Augenblick das Wort „Schöpping", es kam aber nur stumm zum Ausdruck, wobei H. immer mehr zusammenschrumpfte, während W. wuchs und pustete. H. berieth dann noch mit mir über die „einzuschlagende Haltung des Johanniterblatts", was glaub' ich auf W. einen Eindruck machte, für den die Worte fehlen. Vielleicht hörte er auch gar nicht hin und glitt als Vollschiff auf seinem Strom weiter, ohne sich um die paar umherschwimmenden Borkenstücke zu kümmern. Eben kommt Mama aus dem Reichstage zurück. Natürlich hat sie nichts verstanden, nur das Wort „Friedrich III.", was freilich in sich erschütternd wirkt. Welche Vergleiche drängen sich auf! II. und III., ein Sieger über alles triumphirend und - ein Sterbender. Im Uebrigen von einem Folgenkönnen der kurzen Ansprache keine Rede. Trotzdem ist Mama glücklich, Zeuge des Herganges gewesen zu sein, der ergreifend gewesen sein soll. Die alten Herrn alle in Thränen, Bismarck hochroth, kaput und nur mit Anstrengung sprechend. - Auf kleine persönliche Angelegenheiten mag ich heute nicht weiter eingehn. Grüße Tante Anna und das ganze Haus. - Onkel W. wird wohl auch schreiben und besser berichten als ich. - Gestern war Marthachen hier, sehr erfreut über Deinen Brief; sie ist aber recht elend, was bei dem ewigen Rennen, den Erkältungen und - Kuchentüten des Alten, der darin seine Liebe zum Ausdruck bringt, nicht Wunder nehmen kann. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 10. März 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Ihr wußtet es schon 9 Vi, wir erst um 11. Der alte Witz. Der Raum ist ein überwundener Standpunkt und in Hongkong sprechen sie schon im Club von einer Sache, die der am Thatort um die Ecke Wohnende erst mehrere Stunden später erfährt. So wirst Du, speziell im Witteschen Hause, über alle Geschehnisse besser unterrichtet sein und mehr Debatten hören und Erregungen sehn, als wir hier in unsrem Mauseloch. Ein Glück daß es Zeitungen giebt, sonst säße man ganz auf dem Trocknen. Gestern Abend las uns Mama aus der Vossin die Bismarck-Rede vor, die sie 5 Stunden vorher im Reichstag gehört hatte. Ich zähle diese Rede zu dem Schönsten, Klügsten, Bedeutungsvollsten, was er je gesprochen hat. Denn während er anscheinend eine Trauer=Rede hält, in der er seinen Gefühlen einfach Ausdruck giebt, ist es in Wahrheit eine eminent politische Rede, durch Hervorhebung dessen, was dem Kaiser in seinen letzten Lebenstagen ein Trost und eine Freude gewesen sei: das Hinschwinden des partikularistischen Gefühls in Deutschland, die Freude am Reich, und das Schweigen der Parteiungen in der großen Wehrfrage des Landes. Beides: avis au lecteur. Die Sonderbündler und die Fortschrittler sollen dadurch captivirt werden. Ob es hilft, ist eine andre Frage. Sehr interessant ist der Erlaß des Kaisers Friedrich in der Trauerfrage, sein erster Erlaß. Man sieht an einem Strohhalm am besten, wo der Wind herkommt und die Stellung des neuen Kaisers zu dieser relativ kleinen Sache, kennzeichnet den ganzen Mann. Voll Güte, Feinheit, Vornehmheit; nur kein Zwang, nur keine Lüge! Aber doch von vornherein Verwirrung stiftend. Völker verlangen Bestimmtheiten und Befehle. Das „ins Belieben stellen" geht kaum im Privatleben, im Staatsleben gewiß nicht. Zöllners waren gestern eine Stunde bei uns; er erzählte sehr interessant von der Ueberreichung des Akademie=Diploms an Goßler, Präs. Becker, Zöllner, Menzel, Ende, Blumner. Vorher hatte Ismael Gentz mein Portrait gebracht; ich finde es sehr gut; die andern tadeln es. - Marthachen hat sich sehr über Deinen Brief gefreut; sie bedarf Deiner durchaus, denn die Tüten und die Quasseleien sind zu groß; sie ist ganz elend, so elend, daß sie wirkt wie ein erlöschendes Licht. Und dabei weiß ich wirklich nicht, wie ihr geholfen werden soll, denn es ist ja ganz unmöglich, sie dem Boden
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zu entreißen, drauf sie gewachsen ist. Fräulein Lieschen bleibt nun wohl noch eine Woche, um, als Schönstes ihres Aufenthalts, eine große Trauerfeierlichkeit mit heim zu nehmen. Dann beginnt wieder der Kater, das Velociped und Treutiers Zuckerdoktrin. 1000 Grüße allerseits und einen Kuß von Deinem alten Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 11. März 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Wenn Du an M. nicht schon geschrieben hast, so schreibe in dieser Angelegenheit nicht; sie war heute hier - nur 5 Minuten mit der kl. Knothe, die wie eine Schwester von der Pancritia wirkte und schien unbefangen und unverschnuppt. Es ist 7 Uhr. In diesem Augenblicke wird wohl Bismarck in den Salonwagen seines neuen Kaisers steigen und Puttkamer sein Urtheil von der Stirn der Kaiserin herunterlesen. Es wird wohl lauten: Gnade über Gerechte und Ungerechte. Gestern Abend brachte die Vossin, ziemlich unten auf der 1. Spalte, eine sehr merkwürdige, entweder sehr kühne und sichre oder aber sehr unvorsichtige Stelle, die mir auszudrücken schien (natürlich alles verschwollen und sehr dunkel gehalten) daß uns die bloße Existenz Friedrichs III., so lange sie daure, vor einem großen Unglück bewahre. Wenn dem Prinzen Wilhelm, nun Kronprinz, diese Stelle gezeigt wird, so wird er sich freun. Die Fortschrittspartei operirt wieder mit gewohnter Geschicklichkeit; ich will niemanden herausfordern, am wenigsten meinen lieben Onkel Witte, der seine Sache (das Handelspolitische) gewiß wundervoll versteht, aber daß die Fortschrittler schlechte Politiker weil schlechte Diplomaten und wo möglich noch schlechtere Menschens oder wenigstens Preußenkenner sind, das steht mir fest, das haben sie zu oft bewiesen. Zunächst gehen Sie einer grausamen Enttäuschung entgegen und über ein Kleines einem großen Kladderadatsch. Operire mit Vorstehendem vorsichtig. Wie immer Dein alter Papa. Tilla war heute Nachmittag hier, ganz Clan-Radziwill, also ganz in Hoftrauer, wundervolle schwarze Handschuh etc. überhaupt höchst elegant. Dabei besser bei Stimme denn je zuvor.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 13. März 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Mama wird Dir wohl schon für Deinen Brief gedankt haben; sie hat mir auch die erste Seite des ihrigen vorgelesen, weil sie wohl fühlte, daß ihr diese erste Seite sehr gelungen war und ich habe mit meinem Lob auch nicht zurückgehalten. Es ist auch meine ehrliche Ueberzeugung, daß der traurigste Standpunkt, den man einnehmen kann, der des Philisters, des nüchternen Besserwissers ist, der sich „sneering" neben solche elementaren Erscheinungen stellt. Denn elementar und in ihrer Art groß ist auch eines Volkes Neugier und Schaulust, wenn ein mit Recht gefeierter 91 jähriger Kaiser gestorben ist. Aber so gern ich das zugebe, so gewiß ich weiß, daß bei Kritik und Aufklärung und auf den Grund gehn, gar nichts heraus kommt, so kann ich doch diese Dinge nicht gläubig mit machen, Dinge von deren Hohlheit und Lüge ich durchdrungen bin. Ich weiß wohl: „Nur der Irrthum ist das Leben und die Wahrheit ist der Tod" das Tiefste, was je über Mensch und Menschendinge gesagt worden ist. Aber wie das Tiefste, so doch zugleich auch das Traurigste. Bewußt wird, von Kaiser und König an bis zum Bettler hinunter, gelogen, vor allem eine beständige Gefühls^ und Scheinheiligkeits-Komödie aufgeführt; was wir Glauben nennen ist Lug und Trug oder Täuschung oder Stupidität, was wir Loyalität nennen, ist Vortheilsberechnung, was wir Liebe nennen ist alles Mögliche, nur meist nicht Liebe, was wir Bekenntnißtreue nennen ist Rechthaberei. „Das ist sein Fleisch und Blut", „das bedeutet sein Fleisch und Blut", - auf diesen Unterschied hin wird verbrannt und geköpft, werden Hunderttausende in Schlachten hingeopfert und eigentlich - eine Handvoll verrückt fanatischer Pfaffen ausgenommen - ist es jedem gleichgültig. Ich habe noch keinen kennen gelernt, dem es nicht gleichgültig gewesen wäre, selbst unsre gute alte W. ist au fond mehr für Fasan und Hutzelbrod; oder gar Austern, bei denen sie jedesmal ein andächtiges Gesicht annimmt. Alles Höchste und Heiligste kommt vor oder richtiger es giebt ernste, tiefe Ueberzeugungen, (die drum noch lange nicht die Wahrheit zu sein brauchen) für die gelegentlich ein Einzelner ehrlich stirbt, aber dieser Einzelne ist der Tropfen Urtinktur im Ozean. Der Ozean ist nichtiges, indifferentes Wasser. Und die Menschheit ist noch lange nicht Wasser, sondern blos Sumpf, mit Infusorien in
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jedem Tropfen, vor denen man, wenn man sie sieht, ein Grauen und Schaudern empfindet. Der alte Wilhelm, als vor Jahr und Tag das Volksansammeln vor seinem Fenster Mode wurde, sagte: „dieselben Menschen, wenn ein politischer Umschlag eintritt, zerreißen mich." Nur zu wahr. Wir haben nur das bischen Kunst und Wissenschaft, das uns, in ehrlicher Arbeit, über uns erhebt und haben als Bestes die Natur. Alles andre ist Mumpitz, und je mehr Lärm und patriotischer Radau desto mehr. Es hat alles gar keinen Werth. Aber man muß es gehn lassen und auch schließlich noch so thun als freue man sich darüber. Denn um es zu wiederholen, das andre ist blos langweiliger aber nicht besser. Wir stecken schlimm drin; das heißt Mensch sein. - Daß die jungen Maedchen nach Southampton resp. London gehn, finde ich reizend. Das sind so Vorzüge, ja beinah Tugenden der neuen Zeit. Wie immer Dein alter Papa. II.
B. 13. 3. 88. Abends Eigentlich wollte ich heute Mittag über die „Proklamation" schreiben und über den noch viel viel wichtigeren Erlaß Friedrichs III. an Bismarck. Als mir Mama dies Schreiben heute früh vorlas, hatte ich den Eindruck: in der Anerkennung mau und flau (nur so grade das Nöthigste) in der Kritik weitgehend und eigentlich die ganze Bismarcksche Politik umfassend. Keine Aenderungen im Wahlgesetz, nicht „offne Stimme" statt Zettel, keine Aenderung in den Wahlperioden, keine Maigesetze und vor allem auch keine Aufhebung der Maigesetze, keine Stöckerei, kein Koegelscher Orthodoxismus, kein Antisemitismus, keine beständig wachsende Zahl der Armee-Ziffer (er betont nur die „Ausbildung" und die „Organisation" der Armee) kein Staats=Socialismus, kein unbedingtes Anrecht auf Arbeit und Hülfe, keine Steuerschraube, keine „Prämienwirthschaft", wahrscheinlich auch kein Tabacksmonopol, - mit andern Worten alles anders als es war, in feiner Form und mit vorläufiger Umgehung der sogenannten „äußren Fragen", eine totale Verurtheilung oder doch mindestens Anzweiflung der gesammten Bismarckschen Politik. Daß Bismarck in Person seit gestern oder vorgestern eine „Venenentzündung" hat, ist mir nur zu begreiflich. Soll nach diesem Programm gewirthschaftet werden, so bleibt kein Stein auf dem andern; nicht nur Bismarck, alle Minister erhalten eine II. b., Puttkamer an der Spitze, dann Scholz, dann Goßler, dann Lucius, nur Friedberg kommt
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glatt durch und erhält, übrigens wohlverdient, den schwarzen Adlerorden. Darüber Jubel in Israel. Ich sprach mich schon heute Vormittag über das Bedrohliche dieser Situation aus, M a m a wollte nicht recht dran glauben, „ach, Du redst immer", nun ist vor einer Stunde das Abendblatt der Vossin gekommen und nun hat sie's schwarz auf weiß. Ich habe nicht argwöhnisch oder schwarzseherisch geurtheilt, es ist klar, daß die fortschrittliche Partei die Sache grade so ansieht wie ich und in diesem sanften, stillen, reservirten Programm eine Kriegserklärung erblickt. Aber während sich der Fortschritt dieser versteckten und doch ganz deutlichen Kriegserklärung gegen B. freut, erschrecke ich davor. Bismarck kann das nicht ruhig einstecken, auch dann nicht, wenn der Kaiser ihn bittet zu bleiben und die Möglichkeit einer Versöhnung auf diesem oder jenem Punkte in Aussicht stellt. Das Desaveu ist zu stark. Bismarck kann nur bleiben, wenn er mit Bergmann gesprochen und von diesem gehört hat: „3 Wochen, oder 6 oder 9; aber nicht mehr." Dann kann er sich bezwingen und bis Pfingsten seiner Venen=Entzündung leben. Aber ob es kurz oder lange dauert, viele solche Experimente, die, wenn weiter nichts, mindestens eine kolossale Stärkung der Opposition bedeuten, hält der Staat nicht aus. Keinesfalls können sie zu seinem Gedeihen beitragen. „Berlin in schwarz" interessirt mich gar nicht (alles Blech und Straßenkomödie) aber „Bismarck in schwarz" und seine Politik auf dem Katafalk todt ausgestellt und mit Fingern drauf gewiesen, - das interessirt mich. Es ist wie wenn Gladstone oder Prinz=Consort Redivivus an die Regierung gekommen wäre. „Grau, theurer Freund, ist alle Theorie." Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 14. März 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Natürlich fliegen 20 Zeitungen durch euer Haus, ich weiß aber doch nicht ob das B. Tageblatt dazwischen ist und wenn, ob ihr jeder Nummer eine besondre Aufmerksamkeit schenkt. Deshalb schicke ich das einliegende Blatt, das ich gestern Abend gekauft und das mich, als ich es las, in große Aufregung versetzte. Was ich 2 Stunden vorher in der Vossin in einer verhältnißmäßig reservirten
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Sprache gelesen hatte, das tritt nun hier in aller Roheit, in aller Schabernackfreude hervor. Falstaff tritt an den todten Percy heran und nachdem er sich überzeugt, daß er todt, piekt er mit seinem Säbel in ihm herum. Und hat nun Heldenblut an seinem Krötenspieß. Der Eindruck ist widerlich. Gestern noch der Mann, der den Erdball in Händen hielt, heute nur noch dazu da - nach dem Größten das politisch in einem Jahrtausend geleistet worden ist (denn das Friedericianische ist kleiner und das Napoleonische flüchtiger gewesen) - sich von einem Judenbengel, hinter dem leider viele, viele stehn, sagen lassen zu müssen: „er sei nur ein „Diener" gewesen und könne, wenn er hübsch artig sein wolle, in seinem Dz'ercsiverhältniß bleiben". Unerhört; furchtbar. Ein Mann wie Witte, der sich, trotz Parteistellung, die Fähigkeit und die Lust einen so großen Mann zu würdigen, nie hat nehmen lassen, muß vor Ekel ausspucken über solch Judenbengelgebahren. Und das sind dann die Blätter, wonach „Geschichte" geschrieben wird. Diener und wieder Diener. Niederträchtiger Undank, Undank - und das ist das Schlimmste - mit hoher polizeilicher Erlaubniß! Nun werden sie wohl alle aus ihren Sümpfen und Höhlen heraus kriechen und ihm Mätzchen machen und ihn ausätschen. Nach meinem Gefühl kann und darf er das nicht aushalten. Ueber den Hohn der Presse käme er weg, er hat die Presse nie geschont, sie immer nur verächtlich behandelt und kann sich nicht wundern, wenn sie's ihm heimzahlt, aber was sind denn die Preßstimmen anders als das Echo dessen, was vom Thron her gesprochen wurde, leiser aber richtender. Travailler pour le Roi de Prusse. Immer kehrt es wieder. Aber so doch selten. Und dabei wahrscheinlich die Annahme: „Gott, er wurde „Fürst", der kleine verschuldete Deichhauptmann und besitzt den Sachsenwald und Millionen, sei er doch zufrieden; er ist bezahlt." Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehn! Aber noch hat er nicht ausgespielt. Wie immer Dein alter Papa. Nachdem ich eben noch das Trauerceremoniell für Freitag - ganz aufrichtig ein stilistisches Meisterstück, daran Schriftsteller die Kunst der Knappheit und Klarheit lernen können - durchgelesen habe, will ich meinen Brief schließen, aber doch nicht ohne zu vielleicht nöthiger Aufhebung meines Wuth= und Jammergeschreis Einiges hinzugefügt zu haben. Daß der Brief des Kaisers an Bismarck mehr Kritik als Bewundrung ausdrückt, ist mir unzweifelhaft, ebenso daß die Presse den Brief so auffaßte. Trotz alledem ist es möglich, daß das alles so
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bitterböse nicht gemeint und eigentlich nur eine façon de parier ist. „Gott, es muß doch am Ende was gesagt werden." Ist es so, so wird alles was ich gesagt und geklagt habe, hinfällig. Ich glaube aber nicht, daß es so harmlos liegt und die nächsten Wochen oder vielleicht Tage schon, werden zeigen, wie der Hase läuft. Ich fürchte auf 3 Beinen. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 15. März. 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Ich schreibe heute nur, weil Du, nach der lebhaften Correspondenz dieser Tage, wohl auch morgen einen Brief erwarten wirst. Ich beschränke mich aber auf die Mittheilung: es hat noch niemand von uns auch nur eine Spur gesehn und wird muthmaßlich auch morgen nicht. Nur wenn das Wetter viel milder wird, werde ich in den Thiergarten gehn, aber erst um 1; ist dann alles vollgestopft, so kehre ich um. Mama bleibt natürlich zu Haus; Friedel wird (dies hatte ich vergessen) von einem Fenster der Frau Dietrich aus den Zug vorbeipassiren sehn; Fräulein Lischen hat noch von gestern und dieser Nacht genug. Sie war gestern Abend bei ihrer Freundin Frau Dr. Lehmann, deren Gatte, Reserve=Offizier, sich und die beiden Damen in den Dom hineinkämpfen sollte. Dr. L. wußte aber von diesem Plane seiner Thusnelda nichts und blieb deshalb bis 11V2 in einem Verein. Als er nach Hause kam, fand er seine 35er Lieutenants ^Uniform mit Flor umnäht, kroch hinein und führte nun beide Damen bis zum Dom. Dort müssen sie ungefähr IV2 angekommen sein. Es war aber unmöglich einzudringen. „Was wünschen Sie, Herr Leutnant?" fragte endlich ein Herr in Civil; Dr. L. wollte eben patzig antworten, als der Herr hinzusetzte: „ich bin der Polizeipräsident". Den hat er also gesehn, den todten Kaiser nicht. Etwa 2Vi wurde der Rückzug angetreten und etwa um 3 war Lischen vor unsrer Hausthür. Abschied; alles ganz gut. Aber schon auf der Treppe fiel ihr ein: die Flurs oder Corridorthür oben wird verriegelt sein. Richtig; so war es. Klingeln wollte sie nicht. So ging sie wieder treppab, über den Hof, die Hintertreppe hinauf und setzte [sich] auf die oberste Stufe, Küche links, Boden rechts, Closet im Rücken. Ein Aufenthalt für Götter; dabei 10 Grad Kälte. Es mochte 3 sein,
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höchstens 3V4 Uhr. Auf dieser Treppenstufe saß sie nun bis nach 6V2, also wenigstens drei und eine viertel Stunde. Dann kam Ida. Man kann doch auch zu rücksichtsvoll und zu - schamhaft sein. Denn wenn sie geklingelt hätte, hätte sie mich freilich im Hemde gesehn und bei meiner verführerischen Gewalt ist das freilich kein Spaß. Sie lebt nun heute von Thee, Sodawasser und Rhabarber. Letztrer schafft natürlich neue Gênen und Uebelstände. - Politik mag ich heute nicht mehr schreiben, nur mein Entsetzen über die grenzenlose Blindheit der Fortschrittler ist in einem beständigen Wachsen. Lies, wenn Du Dirs verschaffen kannst, das Abendblatt der heutigen (Donnerstag) Vossin, den Leitartikel, in dem verschiedene Stellen aus der Kölnischen mitgetheilt werden. Statt an diesen Mittheilungen der Kölnischen herumzudeuteln, ihr Unselbstständigkeit und Widersprüche vorzuwerfen, was alles nur Nebensache ist, müßte meiner Meinung nach ein Blatt von politischem gesunden Menschenverstände sich einfach die Frage vorlegen: „ist das, was die Kölnische schreibt, im Wesentlichen richtig oder falsch ?" Und daß es im Wesentlichen richtig ist, darüber kann doch nur ein Fortschrittler, dem immer das Prinzip und der Wunsch die einfachen Thatsachen verdunkelt in Zweifel sein. Ewig Vogel Straus mit dem in den Sand gesteckten Kopf. Es wird ein furchtbar kurzes Interregnum sein und es ist gut so. Dilettantismus, wo noch eben ein Meistervirtuos die Geige spielte. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 8. Juni 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Nach meiner Intention sollte das Wittesche Paar am Vormittage nach seiner Ankunft telegraphisch von mir begrüßt werden und zwar wie folgt: Den Wiedergekommnen, Glücklich über das Meer Geschwommnen, Legen sich mit ihren Grüßen E. und Th. F. zu Füßen Mama aber, der übrigens diese poetische Leistung bis diesen Augenblick ein süßes Geheimniß geblieben ist, war gegen ein Tele-
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gramm und da mir selber Zweifel kamen, ob 1 Mark 50 nicht zu viel für dies jüngste Kind meiner Laune sei, so unterblieb es. Die letzten Tage waren sehr unruhig: Theater (die vier Einakter) Reise nach Meseberg, um 10 zurück, bis 1 die Kritik geschrieben, am andern Tag alle die angesammelten Manuskript=Packete in die Welt geschickt, Besuche bei Onkel Gustav, Frau Schubert (Pauline Schirrmeister) Familie Pietsch, gestern mit „Geheimraths" nach Potsdam, Pfaueninsel, Nikolskoë, unterwegs sehr nette aber sehr schwierige Unterhaltung mit Gräfin Lüttichau (Fabre du Faur's Tochter) die wir im Coupé trafen - und heute früh die Nachricht von Onkel Scherz's Tode. Wir verlieren in ihm einen Mann, der, wieviel sich auch gegen seine Schwächen und Eitelkeiten sagen lassen mochte, doch eine brillante Nummer war und für uns persönlich nun schon ganz gewiß. Theo verdankt ihm seine Carrière, - ohne Onkel Scherz krepelte er jetzt als Subalterner in irgend einem Bureau herum, als „Subalterner" gegen die seine (Theo's) Frau so wenig huldvoll gesonnen ist, als habe sie eine lange Ahnenreihe von Excellenzen hinter sich. Beim Begräbniß, das morgen Nachmittag stattfindet - beiläufig die schönste Zeit zum Begrabenwerden: Sommer, Sonnabend, Rüsttag, untergehende Sonne, werde ich nicht zugegen sein, trotzdem eigentlich eine Herzensverpflichtung dazu vorliegt, aber der Anblick des offiziellen Preußenthums und nun gar des offiziellen Preußenthums aus der 5. Rangklasse, ist mir ganz unerträglich und nachdem ich mich ein langes Leben lang geschunden und geplagt und all diesen Nichtigkeiten, gezwungen und halb gezwungen, die Honneurs gemacht habe, will ich von meinen 68 Jahren und meiner freien Lebensstellung wenigstens das haben, daß ich sagen darf: ich danke für Obst. Natürlich nehme ich bei all diesem meinen trefflichen und herrlichen Zychlinski aus, aber er allein kann die Situation nicht retten und noch weniger seine „ Aute", mit dem merkwürdigen Magdeburger Beinamen. Uebrigens ist es ein Todesfall, der als kleiner Abklatsch von etwas Großem gelten kann: Richard ist Friedrich und Erich ist Wilhelm. Die Dorfleute werden wohl erstrem eine lange gesegnete Regierung wünschen, wo die Mäuse auf dem Tisch tanzen. Uebrigens fällt mir bei „Mäuse" ein, daß Quast 'mal von dem armen, jetzt zu stark angezapften Puttkamer sagte: „he seiht ut as ne Muus in de Heed'." Ich schreibe dies blos Onkel Witte's wegen, der hoffentlich die Richtigkeit des Vergleichs bestätigen wird. Morgen früh erwarten wir nähere Nachrichten über die Reise auf der Fulda; wahrscheinlich sind gerade die letzten Tage recht
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schlechte gewesen, denn es windete von dem Tage Deiner Abreise an, sehr stark. Marthachen war gestern hier; sie kam natürlich, als wir fort wollten, konnte aber doch noch an dem Dejeuner dinatoire theilnehmen. Es ist nicht unmöglich, ja beinah wahrscheinlich, daß sie in die Wohnung der ehemaligen Harfenjule, Frau Knaus zieht: Herrlichs sind ganz einverstanden damit. Ihr, der armen kleinen Frau, liegt augenscheinlich sehr daran. Bald ein Mehreres. Unter 1000 Grüßen an die theuren Wittes ins gesammt, Dein alter Papa Berlin 8. Juni 88. Noch eine Nachschrift. Mama kam nach Haus und erzählte von einer SternheimCasparschein] Einladung nach Harzburg hin. Sie ist der Meinung, daß Du diese Einladung annehmen kannst, wenn Du Dir Freude davon versprichst und ich bin derselben Meinung, freilich unter der Voraussetzung, daß Mama für Dich einspringt und statt Deiner mit den beiden Robert'schen Damen nach Krummhübel geht. Du kannst dann auch immer noch wenigstens 8 bis 10 Tage mit Emma und vielleicht noch länger mit Martha in Krummhübel zusammen sein. Allerdings weiß ich nicht recht, wie die beiden jungen Damen zu diesem Tausche stehn. Graulen sie sich vor Mama, wie ja verschiedne thun, so hat der Tausch sein Mißliches und will noch erwogen sein, sind sie aber gern oder nicht ungern mit ihr zusammen, so scheint mir die Sache erledigt. - Eben kamen 4 Billets und ich will mit Mama in den „fliegenden Holländer"; wenn wir hinkommen wird es wohl Flick und Flock sein, was mir aber auch recht ist. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Berlin] Sonntag 10. Juni 88.
Meine liebe Mete. Wir sind ganz einverstanden mit Deinem Entschluß; wäre die Sache hier an Dich herangetreten, so hättest Du Dich vielleicht, ja ich möchte beinah sagen wahrscheinlich anders entschieden, was
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mich aber nicht abhält, die Rostocker Entscheidung für die richtigere zu halten. Rostocker Entscheidungen haben glaub ich schon im Mittelalter ein hohes Ansehen gehabt. - Daß Onkel Amerika hinter sich hat und ganz wieder Mann der Stadt und des Geschäfts ist, finde ich geradezu schön, - man darf an solcher Stange nicht zu lange lutschen; anders mit Tante Witte, an ihr gefällt es mir umgekehrt, daß sie die großen Wasser ordentlich springen läßt. Auch hier gilt: der eine dies, der andre das. Wegen meiner Unterbringung in Mecklenburg thu keine Schritte; es ist höchst wahrscheinlich, daß ich in der Nähe von Berlin bleibe; das ist mir das Behaglichste, das Gesundeste und für meine Arbeit das Ersprießlichste. Ich habe auch nach der psychologischen Seite hin am meisten davon und lerne die märkische Volksseele immer besser verstehn. Ich mochte Dir das damals nicht sagen, weil Du schon so erregt warst; jetzt, bei gebesserten Nerven, wird es einen geringren Eindruck auf Dich machen. Mama begleitet mich vielleicht, wenn sie nicht gleich mit Euch nach Kr. geht. Ergeh es Dir gut. Herzlichste Grüße dem ganzen Witteschen Hause. Will Onkel nicht mal nach Wildungen gehn? Es soll ja, nach der Seite hin, gradezu Wunder thun. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 15. Juni 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Es ist nun wieder wie immer: wenn Du fort bist, sterben Kaiser und Könige. Für mich hat das große Ereigniß das eine Gute: daß ich den Wildenbruchschen „Menoniten" nicht zu sehn und was noch wichtiger ist, nicht drüber zu schreiben brauche. Gestern Abend hatten Herrlich und ich schon die feierliche Todes=Anzeige für's „Johanniterblatt" redigirt. Er war dabei sehr vernünftig und hatte lichte Momente. „Vorbereitet" war wohl überhaupt alles, nur unser vis à vis Neumann nicht, der eine 3 mal durchlöcherte Flagge Halbmast aufgezogen hat. Mehr ein Trauerlappen als eine Trauerfahne; vielleicht spart er zur silbernen Hochzeit. Die Theilnahme der Bevölkerung ist glaube ich größer und ehrlicher als beim Tode des alten Wilhelm. Kann auch nicht anders
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sein. Jeder Vernünftige hatte damals das Gefühl: „'s ist auch Zeit", während jetzt ein Fall gegeben ist, wo sich nicht das Gewöhnliche, sondern ein Schreckliches und Erschütterndes vollzieht, das jeden daran mahnt, wie Feuer vom Himmel fallen und Sodom und Gomorrha zerstören und die neugierigefn] Lott'en - die nicht aussterben - in eine Salzsäule verwandeln kann. - Was ich eben in einer Zeitung las, ist wahr: jeder hat einen Dank auf der Lippe daiür, daß dies Qualenleben wenigstens ohne Qual erloschen ist. Er ist eingeschlafen und die gräßliche Phrase, „ihm ist wohl" wird diesmal wohl eine Wahrheit sein, auch wenn er über Leid und Freude gleichmäßig hinaus ist. - Friedel hat viel zu thun; er muß ja nun ex officio die Welt mit „Trauer" ver sehn und wahrscheinlich zeichnen in diesem Augenblicke bereits zweihundert Künstlerhände nichts als Palmen, Engel und Katafalke. Alles lieferungsweise. - Vorgestern waren wir bei Heydens, wo ich mich auf d. kl. Balkon natürlich riesig erkältete. Die junge Frau, neben der ich bei Tisch saß, gefiel mir ausnehmend; ich finde sie auch nicht häßlich, fast im Gegentheil. Ueberhaupt was heißt häßlich? Was mir gefällt, mein Ohr, mein Auge angenehm berührt, das ist hübsch. Einzelne Linien haben eine Art Vorrecht, aber nicht ein ausschließliches Recht. Auch da muß man gegen Monopole eifern. - Will Onkel Witte nicht Terpenthineinreibungen versuchen? Im Winter that er es wegen Rheumatismus, aber Terpenthin ist auch ein ungeheures Blasenmittel und kann so Ablagerungen verhüten und alles wieder die rechten Wege führen. Wie immer Dein alter
Papa.
Wann kommst Du wieder?
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 17. Juni 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Der neue Krummhübler Plan ist ja ganz vorzüglich und wird eure Position sehr verbessern; eine bessere Reisegenossin bez. Reisemutter als Tante Witte ist gar nicht zu denken; es complicirt Deine Aufgabe und - erleichtert sie doch zugleich. Ich hatte von Friedlän-
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der einen langen Brief; Bergel ist noch immer nicht geheilt und liegt in einer Breslauer Klinik. Er (Fr.) schrieb mir auch eine kleine Erdmansdorfer Anekdote. Prinz Heinrich fuhr mit Irene viel spazieren, den Kutscher hinter sich. Eine Zillerthalerin sagte, sie wundre sich, daß der Prinz dem Kutscher erlaube, seine Frau immer mit zu nehmen. Heute war Delhaas hier; er reist etwa am 1. Juli nach Schreiberhau und bleibt bis zum 21., weil ihn Stöter - der wohl gerne nach Nordernei will - nicht länger vertreten kann. O b Müller=Grote schon mit einem Fez und sie mit einem Augenschleier zurück ist, weiß ich nicht. Vielleicht hat er dem Sülfmeister oder gar dem Raubgrafen neue Absatzgebiete eröffnet. Tannhäuser und Lurley sind übrigens wundervolle Haremsgedichte, besonders Tannhäuser, dessen ewig wiederkehrende delikate Frage eigentlich nur da entschieden werden kann. Mutter Wolff hat dazu nicht ausgereicht. Dabei fällt mir auch Wildenbruch ein. Heyden, in seiner Eigenschaft als Garderoben==Großmeister, hat Wildenbruchs Tragödie „Die Quitzows" durchgelesen und findet sie lächerlich. N u r Tamtam. Die guten Herren kommen nun schließlich doch dahinter. Vielleicht auch Onkel Zöllner noch. - Hier hieß es gestern, daß in derselben Stunde, wo Kaiser Friedrich starb, die jetzige Kaiserin (Augusta Victoria) von Zwillingen entbunden sei. Wohin doch das Sensationsbedürfniß führt! Friedel ist heute draußen bei Robert's; vielleicht trifft er auch die Bagenski, mit oder ohne Mönch. Wird Onkel Witte zur Reichstagssitzung kommen? Im Ganzen darf man - unbeschadet tiefster Theilnahme - sagen: alles athmet auf; jeder hat ein Gefühl: der Dilettantismus, die Laune, die Geldverthuerei hat ein Ende und geordnete Zustände brechen wieder an. Es ging nicht mehr so weiter. Ich glaube, selbst der „Fortschritt" ist in seinem Herzen davon überzeugt und nur die Juden sitzen an den Wassern Babylons und weinen, wenn sie an Zion gedenken. Sie sind und bleiben einem politisch unverständlich; sonst so praktisch, verfallen sie politisch sofort der Phrase, sie sind Phantom=Anbeter, Anbeter eines Gottes, den sie sich erst machen. Wie in ältester Zeit immer Rückfälle in den Götzendienst. Aber es hilft ihnen nichts; sie schreiben Zeitungen, aber nicht - Geschichte. Geh es Dir gut. Also Donnerstag. Du brauchst Dich aber nicht an den Tag zu binden. Herzlichste Grüße dem ganzen Hause. Wie immer Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Theodor Fontane jun.
Berlin d. 2 5 Juni 88. Mein lieber alter Thedo Als ich letzten Donnerstag hier wieder eintraf, fand ich einen reizenden Brief von Dir vor und heute hat ein abermaliges Schreiben von Dir uns den oft öden, weil zeitungslosen Montag Morgen zu einem kleinen Fest gemacht. Da ist es denn nur in der Ordnung, wenn ich Dir einen Extra Brief rein aus schwesterlicher Liebe und Anerkennung stifte, der Dir um so annehmbarer sein wird, als ich Dich gern von einer direkten Gegenleistung entbinde. Abgesehen von der Anregung, die ich aus Deinen „sommerlichen Briefen" geschöpft habe, war auch mein ganzer Gemütszustand in diesem Juni münstergünstig, denn auch vor meiner Seele leuchten die friedlichen und freundlichen Bilder des vergangenen Jahres oft auf und die Abende bei Storch mit und ohne Kanape leben in meinem Gedächtniß. „Ach und in demselben Flusse schwimmst du nicht zum zweiten M a l . " Wenn ich nun 'mal wiederkomme, sehe ich Otto endlich als Einzelwesen undBamme ist en carrière davon. Ich gratulire ihm, daß er aus der Intendantur heraus ist; er ist weniger philosophisch und trotz seines Phlegmas kratzbürstiger wie Du und litt beständig unter der ungerechtfertigten lächelnden Mißachtung, der ihr bei den aktiven" begegnet. Hier herrscht tropische Hitze und da ein kolossaler Zug als einziges Lüftungsmittel in Permanenz erklärt ist, habe ich meine Berliner Episode mit Zahnreißen begonnen, das heute in einer wenig schönen dicken Backe gipfelt. Hoffentlich schadet mein Anblick unserer jungen Kaiserin nicht; ich komme nämlich durch Onkel Witte's Güte heute in den weißen Saal, wo der Reichstag mit einem seit 71 nicht mehr dagewesenem Glanz eröffnet werden soll. Mittwoch d. 4 gehe ich als Vorreiter und Mietherin nach Schlesien, wohin auch Tante Witte mit ihren beiden Jüngsten kommt. Wenn doch Krummhübel nicht so greulich weit wäre. Wie gern wollte ich Deine liebe Frau ein paar Wochen pflegen und lieben. Ich gedenke mich durchaus nicht der Ferien Lethargie hinzugeben, sondern wünsche mich dem körperlichen u. geistigen Gedeihen meiner Pension zu widmen. - Die Eltern sind recht wohl, Papa will versuchen hier noch ein paar Wochen auszuhalten und dann gleich direkt zu uns kommen. Die Hitze ist groß aber noch nicht unerträglich; erst wenn es nachts nicht unter 2 0 % ist, muß man die Flucht ergreifen. Grüße und küsse Deine Schätze und liebe möglichst zärtlich Deine Mete.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Berlin 5. Juli 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Du wirst gestern noch ein Telegramm erwartet haben, es traf sich aber, daß ich in Lichterfelde draußen war und so war Mama, die das Telegramm bald nach 5 Uhr empfing, unschlüssig, wie sie sich entscheiden sollte. Ich kam erst 6V2 zurück und da war es wohl für ein Telegramm zu spät, denn Krummhübel wird noch nicht Nachtdienst haben. Trotzdem haben wir noch ein Telegramm expedirt, damit Du wenigstens morgen so früh wie möglich im Besitz unsres „ja" bist. (Klingt wie eine Verlobungsangelegenheit.) Ich habe die Brotbaude auf der Karte gefunden; irr' ich nicht, so kommt man ziemlich nah an ihr vorüber, wenn man zur Annenkapelle will oder passirt sie auch beinah, wenn man von Querseiffen aus, parallel mit der großen Krummhüblerstraße und nur durch eine Bergmasse von dieser getrennt, jenseits der Lomnitz nach Wang hinaufsteigt. In Bezug auf Lage herrlich und die Verpflegungsfrage wird sich machen. „An solchen Tagen pflege ich nichts zu essen." Ergeh' es Dir gut. 24 Stunden nach Empfang dieser Zeilen wird ja der erste Schub bei Dir eintreffen. Gruß und Empfehlung an Droysens. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Meine liebe Mete. Möge Deine Wahl zu allseitiger Zufriedenheit sein; ich bin froh zu wissen, daß Du nicht mehr auf der „Suche" bist. Im Uebrigen wird sich ja Alles finden u. es ist gut, daß Deine Gesellschaft in verschiedenen Zeiträumen einpassiren. Papa will* wissen wo die „Brodbaude" ist, mir ist sie ein süßes Geheimniß. Mir ist, als wärest Du schon 8 Tage fort u. ich freue mich auf Morgen früh, wo ich eine Karte von Dir erwarte. - Papa ist nun wirklich mit den Fünf Schlössern fertig u. gottlob nicht angegriffen; Papa Robert, der Vormittags Abschied nahm, sah viel ramponierter aus. Nun laß es Dir gut gehen mein geliebtes Kind. Wenn ich Dich wiedersehe, wirst Du wohl auf Deiner hausfraulichen Höhe sein. Deine Dich liebende Alte. [Nachschrift von Theodor Fontane] * Zweideutig. Soll heißen: bildet sich ein zu wissen etc.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 6. Juli 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Habe Dank für Deinen allerliebsten Humorbrief, der von Regen, verlornem Backzahn und Wohnungsnoth wenig merken ließ. Daß uns in diesem Jahre die Brotbaude etwas höher gehangen wird, ist kein Unglück und paßt es uns schließlich durchaus nicht, so können wir ja umziehn, - getheiltes Leid ist halbes Leid und getheilte 50 Thaler erst recht. Mein Telegramm von heute Nachmittag wirst Du hoffentlich erhalten haben; ich hielt es für nöthig zu telegraphiren, damit Du morgen früh nicht etwa nach Schmiedeberg fährst oder beiden Damen entgegenpilgerst. Verlorne Liebesmühen derart wirken immer verstimmend, namentlich wenn man allein ist. Ich denke mir übrigens, daß Du heute Bekannte gefunden haben wirst, - ein bischen Werg findet sich immer noch. Und wenn nicht in Krummhübel, so in Arnsdorf. Aengstige Dich nur nicht und nimm die Sachen nicht schwieriger als nöthig; so lange man noch Geld und Rückzugslinien hat, geht alles. Ich hoffe die nächste Woche in einer mir zu gönnenden Trägheit hinzubringen. Es sind nur noch ein paar Briefe zu schreiben, am 8. an die Rohr, und ein paar Besuche zu machen, darunter einer bei Zychlinski. Sonst ist alles abgearbeitet und ich bin ordentlich neugierig auf der Brotbaude das Packet zu öffnen und die Blätter wieder vor Augen zu haben, die ich vor 2 Jahren bei Frau Schiller beschrieb. Was wird nach wieder 2 Jahren sein? Heute kam die Nachricht von Storms Tod. Aber mit Blechmusik immer weiter und immer heiter vorwärts, bis man selber fällt. Nur keine Sentimentalitäten. Was das Schmerzlichste ist, ist zugleich auch das Alltäglichste und Gleichgültigste. - Robert's, um mit etwas Heitrem zu schließen, reisen heute 1. Klasse nach Tölz, immer forsch; mir ist es lieb, daß ich nicht mit dabei bin; 100 Meilen und Extrazug und Nachtfahrt ist mir kein Vergnügen mehr. Wie immer Dein alter Papa. Heute Vormittag ging mir eine liter: Broschüre zu, in der ich „unsrer wackrer Theodor Fontane" genannt werd; was man nicht alles erlebt!
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 7. Juli 88. Potsd. Str. 134.C.
Meine liebe Mete. Wann Dich diese Zeilen erreichen, steht dahin, denn die „Brotbaude" die ich nun großartig als Adresse angegeben, gehört vielleicht gar nicht zu Krummhiibel und wird möglicherweise von Arnsdorf aus belaufen. Jedenfalls wirst Du beide junge Damen längst begrüßt haben, wenn diese Zeilen bei Dir eintreffen. Am besorgtesten machte mich Fips und ich gab dieser Sorge auch Ausdruck, was unsrer lieben Martha, glaub ich, nicht lieb war. Denn sie hört schon so viel Quängeleien über den Hund und denkt vielleicht, er ist einem (soll heißen: auch mir) im Wege. Keineswegs. Ich habe ein großes Attachement an das amüsante Biestchen und mag ihn als Erbstück von George nicht missen, aber er ist eine Gêne, damit muß man sich einleben, und bei manchen Gelegenheiten, wie z. B. bei solcher Reise, steigert sich die Gêne, die er auferlegt. Bitte, sage Schwiegertöchterchen das, damit sie nicht glaubt, ich sei mit unter den Verschworenen gegen Fips; ganz im Gegentheil. Heute Mittag war ich bei Basedow und Kaempfer (der sogar einen Arnheim in seiner Schlafstube hat) um mich allmälig auf die rechte Reisehöhe zu bringen. Zu Tisch hatten wir Brathecht, etwas, das es auf der Brotbaude schwerlich giebt. Da muß man schon bis zu Scholz hinuntersteigen oder kulinarisch hinauf. Heut Nachmittag kam ein junger Mann von 17 Jahren: Eugen Wölbe aus Liegnitz und überreichte mir ein „Frühlingslied", weil er gern wissen möchte, ob er ein Dichter sei. „Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle" davon bleibt. Der Fluch des Lächerlichen, womit die ganze Geschichte behaftet ist, ist das Schlimmste dran. - Morgen ist großer Briefschreibetag an die Rohr. Die alten Freunde und Genossen fallen links und rechts; „wie Grummet etc." Heute brachte die Vossin die Nachricht vom Tode Alexander Gentz's. Noch vor 10 oder 12 Jahren sagte er „was kostet die Grafschaft Ruppin?" Jetzt wird er kaum ein Grab in ihr finden. - Morgen schicke ich Dir ein krit: Heft, 50 Seiten, das sich ausschließlich mit Wildenbruch beschäftigt, und ihn, vor den Augen derer die's noch nicht wußten, als Phraseur und Schwulstpeter enthüllt. Leider kann ich der Sache nicht froh werden, denn der, der's schreibt, ist aus der frechen Karl Bleibtreu-Schule und quatscht in das Richtige, was er sagt, bestän-
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dig wahren Blödsinn hinein. Ich fürchte, das Richtige ist andern Kritiken entnommen und der Blödsinn ist sein eigen. Grüße Marthachen und Emma. Kümmre Dich auch um Droysens. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 8. Juli 88. Potsd. Str. 134.C.
Meine liebe Mete. Marthachen und Emma sind nun hoffentlich bei Dir auf der Baude und ihr habt die ersten Promenaden nach Wang oder der Annakapelle gemacht. Alles was Du schreibst, ist erfreulich; 4 Stuben - wenn nicht zu klein - sind genug, alle übrigen Abmachungen in der Billigkeit und hoch erfreulich, weil die gräßliche Kocherei fortfällt oder sich auf Extragerichte beschränkt. Daß es in Arnsdorf wieder so nett war, hat uns sehr erfreut und wenig überrascht, - in solchen Häusern, wo man viel Geld und viel Temperament hat und sich liebt und haßt und gelegentlich sich zankt und scheiden lassen will, - ist es immer am nettesten und in Philisterhäusern, wie beispielsweise bei Schreiners (vielleicht könnte ich auch uns mitrechnen, wir sind nur noch nicht dumm genug) immer am langweiligsten für Besuch. Ueberhaupt, gesegnetes Zigeunerthum! Ich mag nicht so leben, aber Abstecher in dies Leben hinein, sind eine wahre Erquickung. Und nun Scholz! Erst wußten wir nicht welcher. Der Arnsdorfer konnte es nicht sein und der Reichsfinanzminister auch nicht. Endlich ging mir ein Licht auf: Kladderadatsch! Ja, das ist ein ganz famoser Kerl, immer noch schöner Mann und sehr klug. Ein bischen zu sicher. Ich schrumpfe immer zusammen, wenn ich mit ihm spreche. Er hat, bei freilich 100 fächern Espritmaß, etwas von Köhler, der eine merkwürdige Verquickung von Schreibelehrer und coburg-gothaschem Minister war. Aber welche Schreckensnacht hast Du gehabt? Es war nicht recht zu verstehn und ich muß annehmen Alpdruck, in dem Dir Friedländer und Frau Richter erschienen. Sind sie denn noch immer Spinnefeind? Zöllner's sollten heut Abend Thee bei uns trinken, aber sie können nicht, - er hat eine Conferenz draußen in Wannsee, wo noch Ausstellungsangelegenheiten besprochen werden sollen, viel-
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leicht bei Ende, woran sich dann wohl ein Diner schließt. Aber dies ist alles unsicher, Friedeis Bericht (der da war) ließ an Klarheit zu wünschen übrig und steht nur dahin, wer die Schuld davon trägt. Zöllners sind auch mitunter für clair obscur. Heute früh brachte die Vossin einen Aufsatz über Storm von Pietsch, erste Hälfte; nicht sehr gut, aber natürlich ausreichend. Allen, die täglich die Feder führen und kritiklos spaltenlang berichten müssen, geht schließlich alle plastische Kraft verloren, alles wirkt schemenhaft und man kann durchpusten. Friedel hat mir auch „Meister Timpe" von Max Kretzer besorgt und Mama hat mir bis jetzt 3 Kapitel vorgelesen. Es scheint doch viel besser, als „Drei Weiber". Morgen oder übermorgen will ich einen Besuch bei Zychlinskis machen, um endlich 'mal was über meinen alten Scherz zu hören. An die Rohr haben wir alle Drei geschrieben, Friedel mit Feierlichkeit und arrières pensées. Vielleicht ist das erste s hier zu viel. Berlin ist leer, was man sieht, sind Fremde. Mama war heute Mittag bei Frau Stoeckhardt, die, glaub ich, in 3 Wochen in Hohenwiese eintrifft, 1 Woche bleibt, und dann mit ihrem Manne nach dem Engadin und Venedig geht. Ich kann mir kein Paar denken, das besser dazu paßt. Schreiners oder Schröders passen beispielsweise nicht dazu. Schönheit und Reichthum haben wenigstens das Gute, daß sie hübsche Bilder geben im Kuckkasten des Lebens. Ergeh es Dir gut; grüße Schwiegertöchterchen und Emma und habt frohe, glückliche Tage. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 12. Juli 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Nach mehrtägiger Unterbrechung mal wieder ein paar Zeilen. Daß Schmieden den „Miethszettel" ohne Weitres 'raushängen will, hat uns sehr erfreut, - es ist unsrer lieben Martha dadurch doch eine Sorge genommen, denn daß sich die Wohnung ohne sonderliche Schwierigkeiten vermiethen wird, glaube ich. Das große Ereigniß ist natürlich die ärztliche Anklageschrift gegen Mackenzie; ich glaube jetzt, daß sie Recht haben und nur darüber kann wohl noch ein Zweifel sein, welche mehr oder weni-
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ger fragwürdige Rolle mein alter Clansmann - der nicht aus Posen sein soll - gespielt hat. Dämel, Leichtsinn, Charlatan, Geldschneider oder „politische Figur". In letztrem Falle wäre er zur Hälfte zu entschuldigen, aber schließlich darf man fragen: was hat sich ein Mann aus den Grampians in die Angelegenheiten der Havels und SpreesLande zu mischen? Hat er's aber nicht um der deutschen Kaiserin, sondern um der „Princess royal" willen gethan, so finde ich dies eine deplacirte Lehnstreue. In dem gestrigen Abendblatt der Nationalzeitung wird er schlankweg, und zwar wiederholentlich, ein Betrüger und Schwindler genannt. Ich gebe mit diesem Briefpacket gleichzeitig eine Vossin zur Post, in der Du die ganze Anklageschrift abgedruckt findest.
Der arme Pietsch hat seit einiger Zeit mit seinen Artikeln kein Glück, immer passirt etwas, was ihn und seine Helden in den Hintergrund drängt. Ich finde, daß Storm wichtiger ist als diese Arztfehde, die schließlich doch keinen Aufschluß giebt, aber wer kümmert sich noch um „Immensee" wenn solch Skandal blüht und „Viola tricolor" ist das Veilchen, das bei der Gelegenheit unter die Füße getreten wird. - Ich schreibe auch über Storm und habe bei der Gelegenheit seine alten Briefe wieder vorgeholt, die zum Theil ganz vorzüglich sind, viel besser als ich's in der Erinnerung hatte. Das Wetter ist unheimlich; dazu wird aus England Schnee und Kälte gemeldet, - hoffentlich rückt das alles nicht bis an die Sudeten vor, ihr, in Schlesien, seid schon Slaven, O s t e u r o p ä e r , wir sind hier vorgeschobenster Posten der Niedersachsen, also englisch. Die Scheidung liegt bei Görlitz, was doch besser klingt als Kohlfurt. Der Abend mit Zöllners war sehr angenehm; an die bekannten „Eigenthümlichkeiten" fange ich an mich zu gewöhnen und sie als „charakteristischen Zug" zu schätzen. Alles kommt auf die Beleuchtung an. Empfiehl mich Scholz, wenn Du ihn noch siehst, desgleichen Droysens und Richters. Euch allen Gruß und Kuß von eurem alten Papa. Wie sich Frl. Emma dazu stellt, kann ich nicht wissen.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 13. Juli 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Wenn diese Zeilen „auf der Höhe" eintreffen, wird Tante Witte schon etliche Stunden bei euch sein und Wandel geschafft haben, denn 6 wärmen mehr als 3, des warmen Herzschlags der Liebe ganz zu geschweigen. Die Nacht, orkanartig, war toll und wenn ihr auch in der Sturmzone lagt, so muß euch Himmelangst geworden sein. Mama schloß natürlich kein Auge und wankt jetzt gespensterhaft umher, nur darin leiblich, daß sie's im Leibe hat. Ich bastle noch an meinem Storm=Aufsatz, kann ich ihn aber bis Montag nicht schaffen, so schiebe ich ihn zurück und werde dann Montag wohl reisen, aber bei Tage - ich will wenigstens die Möglichkeit haben, in Lübbenau eine saure Gurke zu essen. Heute war der Töpfer hier, ein sehr hübscher Mann, um die Maschine zu setzen; er begann damit, daß er mit seinem Hammer statt auf die Kachel auf seinen Daumen schlug, so daß er kaum arbeiten konnte. Von den beigelegten Zetteln wird Dich der über die Reisenden im Harz etc. wohl am meisten amüsiren. Es ist sehr gut geschrieben, Bummelstil, aber prächtigster Humor. Mama dankt für Marthachens Brief; die Goldfäden sind besorgt. Heute kam auch ein Brief von Frl. v. Bülow; es geht doch nun schlecht mit der alten Rohr. Dabei schreibt sie: „nur dann und wann leuchtet noch ihr schönes kluges Auge und blitzt ihr Geist in alter Kraft." Natürlich habe ich darüber nicht gelacht, über jemand der seine letzten Tage lebt, lacht man nicht mehr, aber Betrachtungen habe ich drüber angestellt. Steht es mit unsrem „Geist" besser? Man denkt sich Wunder was damit und schließlich steht doch irgendwer daneben oder blickt von einem andern Stern hernieder und lächelt über unsre Einbildungen. So weit kam ich heute Vormittag, ich will nun meinen Brief abschließen. Ueber Mittag machte ich einen schönen Thiergartenspazirgang auf dem ich mich leidlich erholte; ich begegnete den beiden Damen (Schwestern Almers) von Ohren-Lucae, die beide famos damenhaft wirkten, trauernde Gestalten aus einer Hof=Novelle. Ich stellte sie und sprach mit ihnen, erkundigte mich auch nach dem jungen Paar, bei welcher Gelegenheit ich eine unglückliche Frage that. Wer nicht sehr geschult ist, quatscht bei solchen Gesprächen immer Unglaubliches zusammen. Was hat Onkel Richard alles
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geleistet!! Mama ist eben nach dem Bahnhof. Ich schicke auch noch das Abendblatt mit. Alles sehr interessant, sowohl die Nachrichten aus Frankreich vorn (lies auch die Depeschen) wie der unsinnige Artikel gegen v. Gerhardt in der Beilage. Sollte er etwa dazwischenspringen und in Gegenwart des Kronprinzen, mitten in der Operation Mackenzies ausrufen: „Sie verfluchter Charlatan, scheren Sie sich." Das geht eben nicht. Dein alter Papa. 189
Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 14. Juli 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Der erste „Tante Witte=Tag" liegt nun hinter euch und war hoffentlich wie's im Liede heißt „ein Leben voller Wonne", trotzdem es nach wie vor windet und regnet. Ich hätte mir an Kaiser Wilhelms II. Stelle lieber eine Lokomotive als einen Dampfschiffkessel heizen lassen. Vielleicht ist er seefest, wie fest überhaupt. Erlebt haben wir heute wenig; ich war nur aus, um mir bei Ollendorf einen Reisehut zu kaufen, denn am Montag früh will ich nun fort und hoffe um 5 oder 6, ich weiß die Zeit nicht genau, in Schmiedeberg einzutreffen. Willst Du mich empfangen, so freue ich mich natürlich herzlich; ich rechne aber nicht darauf, am wenigsten dann, wenn das Wetter schlecht ist. Ob ich einen Zweispänner brauche, weiß ich nicht; wenn doch, so nur wegen der Steigung des Wegs, nicht wegen meines Gepäcks, denn ich komme blos mit dem ganz kleinen himmelblauen Koffer, der durch Streichen und Aufwichsen immer nur noch häßlicher wird. Es steigert die Philistrosität ohne der Schönheit aufzuhelfen. Habe Dank für Deinen Brief und die ganze Briefsendung; Tillas Zeilen haben auch uns sehr erfreut; es wird ja nun wohl werden. Uebrigens sind die Bedingungen zum Lachen: man darf um Gotteswillen nicht gesund sein, aber krank sein darf man auch nicht. Solche Klarheiten, bei denen ich immer an den alten Sehr denke, liebe ich. Ich schreibe morgen noch 'mal ein paar Zeilen. Mama, die herzlich grüßt, kommt erst Ende der nächsten Woche. Pietsch ist mit fort nach Petersburg; ich lege seine nur zu berechtigten Klagezeilen bei. Tausend Grüße Dir und allen, Tante W. an der Spitze. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 15. Juli 88. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Ich will nun also morgen früh fort, 8.49 vom Friedrichsstraßenbahnhof und zwar über Görlitz. Etwa 5 VA bin ich in Schmiedeberg und werde bei den Kutschern fragen, ob die „Brotbaude" da ist. Heute Mittag war ich noch mal in Lichterfelde; himmlisch; unter allen Friedhöfen der anheimelndste, weil wirklich Todtenacker. - Zu Tisch waren wir zu Stoeckhardts geladen, lehnten aber ab; man muß sich sonst so hasten. Ueber Marthachens Brief hatten wir eine rechte Freude; mit Herrlichs ist alles abgemacht; daß sich die Wohnung am Lützowplatz vermiethet, ist glücklicherweise sehr wahrscheinlich. Friedel, der glaube ich in Schmargendorf eine Rolle spielt - gestern Reunion, 150 Personen, Tanz - hat Vict. Hugos Contemplations gebracht, die ich in meinem Koffer noch unterzubringen hoffe. Das nenne ich Weltdichterthum: „Contemplations" und Brotbaude" das klingt allein schon wie eine Dichterphantasie. Mama wird wohl vor Sonnabend nicht kommen. In einem heutigen langen Bericht „Aus Kissingen" kam auch die heiligende Menzelstelle vor. An Ruhm genug; aber er muß theuer dafür zahlen. Herzlichen Gruß allen Damen auf ihren verschiedenen Jugendstufen, auch an petit Richard, chevalier sans peur et sans reproche. Wie immer Dein alter Papa.
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Emilie und Martha Fontane an Theodor Fontane jun.
Brotbaude, d. 16. Aug. 88. Mein geliebter Theo. Seit Deinem letzten lieben Briefe geht uns immer wieder Dein verlockender Plan durch den Kopf: Deine Frau u. Dein Kind u. als Vor» oder Nachspeise Dich selbst bei uns zu sehen. Noch nie habe ich die Engigkeit unsrer Wohnung so als Hinderniß empfunden. Ich habe nun mit Papa auf schönen, einsamen Spaziergängen Folgendes ausgeheckt. Du mußt uns schreiben, wann es Euch am besten paßt, daß Deine Familie in Berlin ist; wir werden dann durch Inserat versuchen, in unsrer möglichsten Nähe eine kl. Wohnung, ein chambre garni zu finden, in der Deine Lieben unsre hochwill-
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kommnen Gäste sein sollen. Am Tage sind sie dann möglichst viel bei uns. Dich, mein lieber, alter Junge brauch[t] dies Arrangement in keiner Weise zu genieren; einer von uns wäre Euch doch über kurz oder lang auf die Bude gerückt u. so würde nicht ein Einzelner von uns, sondern Alle an der Freude Theil haben, Enkel u. Neffe, Schwiegertochter u. Schwägerin, Sohn u. Bruder wieder zu sehn. Ich hoffe sehr, daß Ihr auf diesen Plan eingehen werdet. Martchen kann dann in Ruhe einige Genüsse der Groß= u. Weltstadt haben u. wir unser Herz an ihrem u. des Kindes Anblick erfreuen. Die Zeit Deiner Abwesenheit würde ihr dadurch am wenigsten fühlbar gemacht. Also: Ueberlegt u. schlagt ein. Hoffentlich hat sich Ottchen wieder ganz erholt u. könnt Ihr Euch wieder seiner vollen Gesundheit erfreuen. Wir haben nach Sturm, Regen u. Kälte jetzt sehr schöne Tage gehabt, freilich waren die letzten schweren Erinnerungstage sehr, sehr schmerzlich u. kann ich nicht dankbar genug sein, daß Papa mit mir so gleich empfindet u. nicht müde wird mit mir von unserm theuren George zu reden. Aber nach jedem Gespräch, nach allen Betrachtungen, müssen wir immer wieder zu dem Schluß kommen: Gott hat es gut mit ihm gemeint. Wir haben an Friedel einen Kranz u. Kreuz von blühendem Heidekraut geschickt u. hat der gute Junge für uns Alle am 14. den schweren Gang nach seinem Grabe gemacht, denn auch Du hast ja liebend seiner gedacht u. ihm Blumen gespendet. Nun haben wir noch manche Gedenktage bis zum 24. Sept. der den Abschluß brachte. Seine arme, kleine Frau! sie hat so wenig Mittheilsames, daß man nie weiß wie ihr zu Muthe ist u. nicht an sie heran kann, auch Mete nicht, die das Zeug dazu hätte. Mete ist tapfer u. hülfebereit für Jeden von uns, sie wird immer liebenswerther u. denkt stets an Andre, zuletzt an sich. Jetzt kocht sie wieder für uns u. alles mit einer Freudigkeit als wäre es ihr Vergnügen. Papa sagte noch gestern Abend: er hätte kaum einen Menschen gesehn, der so günstig durch Luft u. Natur beeinflußt worden wäre, könnten wir ihr doch einen netten Landmann verschaffen, das wäre ihr Element. Vorläufig sind wir so egoistisch froh zu sein, daß wir Alten sie noch haben u. auch sie scheint damit einverstanden. Ihre Gesundheit ist hier vortrefflich; auch Papa genießt die Stille u. Einsamkeit u. sieht gut aus, selbst Martchen hat manchmal eine Spur von Roth auf ihrem blassen Gesichtchen. Auch ich bin mit meinem Befinden zufrieden u. dankbar daß uns solche gemeinsamen Wochen vergönnt sind. Vor Anfang Sept. kehren wir nicht nach Berlin zurück; Papa will dann sogleich nach Kränzlin u. Ruppin, um seines Freun-
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des u. seiner Mutter Grab zu besuchen u. ich noch einige Zeit nach Blasewitz zu Treutiers. [Nachschrift von Martha Fontane] Vorstehenden Brief hat mir Mama zum Lesen gegeben und (bis auf Seite 3 ) unterschreibe ich Alles. Ich hoffe, wenn keine unvorhergesehenen Schwierigkeiten eintreten, wird etwas aus der Sache. Es kann urfein werden! Grüße und küsse Marthchen und sprecht bald ein volltönendes Ja. Uns geht es gut; die liebe Alte erholt sich und sieht ganz glau aus. - Ende des Monats will uns Fuz noch besuchen. In größter Liebe Deine alte Mete.
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Martha Fontane an Paula Conrad Brodbaude bei Krummhübel. [August 1888]
Liebes verehrtes Fräulein Wir haben uns alle Drei riesig gefreut, als wir gestern in der Zeitung entdeckten, daß Ihr Kontrakt bis 99 verlängert worden ist. Damit sind Sie einer Sorge und Unruhe ledig und wir haben die freundliche Aussicht, Sie als Mensch und Künstlerin noch gründlich genießen zu können. Hoffentlich hat das feste Engagement nun noch viel Anderes Gutes im Gefolge: viele schöne Rollen in durchschlagenden Stücken! Mit herzlichen Grüßen von den Eltern Ihre getreue Martha Fontane.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 13. April 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Mama schreibt zwar brauchbarere Briefe, trotzdem will ich concurriren. Wir haben seit Mittwoch, trotz des großen Diners, eigentlich nicht viel erlebt und doch ist es mir, als stecke in den
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zurückliegenden drei Tagen eine Fülle von Stoff, ein Schatz, blos daß ich ihn, wo's losgehen soll, nicht heben kann. Die kl. Conrad war sehr nett, vielleicht weil sie sich ohne Deine Controleuraugen fühlte, Tante Zöllner nett und nichts wie immer, Lübke in Liebeszuständen, der 70 jährige Göthe in Karlsbad, wo's in der Regel mehr Leibes = als Liebeszustände giebt. Erstre bilden beiläufig auch hier wieder einen wesentlichen Theil von Mamas Unterhaltung, namentlich bei Tisch. Und doch paßt es zu dem zweiten persönlichen Cultus, zu der unerschütterlichen Gesundheit, ebenso schlecht wie zu dem frühren Cultus, dem der unerschütterlichen Appetitlichkeit. „Aber darum keine Feindschaft nich." Der Gegenstand von Lübkes Liebe ist eine kleine Schauspielerin 5. Ranges; ich bin neugierig, wie weit er sie fördern wird. Uebrigens schließt die Beschaffenheit seines physischen Menschen alle Fährlichkeit aus, wiewohl auch hier, wie überall, richtige Schätzungen schwer sind. Die Schwierigkeit richtiger Schätzungen drängte sich mir auch gestern Abend bei Aufführung von „Nausikaa" wieder auf; ich habe schließlich gesagt „es sei ganz nett, aber doch nur so so"; ich hätte statt dessen ebenso gut sagen können, ich fände es langweilig, aber auch, ich fände es fein, klassisch, göthisch. Bei Romanen, Novellen, Gedichten, bin ich meines Urtheils in der Regel ganz sicher, beneidenswerth sicher (die Meisten, wenn sie ehrlich sind, sind es nie) dramatischen Arbeiten gegenüber aber, namentlich wenn sie von der Bühne her zu mir sprechen, wo einem die feinen, erst in Wahrheit den Unterschied schaffenden Details großentheils und oft total entgehn, bin ich stets unsicher und finde, um Beispiele zu geben, zwischen Iphigenie, Des Meeres und der Liebe Wellen, Weisheit Salomos und Nausikaa kaum einen Unterschied. In Heyses Stück ist nur der Salomo in seinem Liebes=Unsinn, schwärmerische Neigung zu einer Gärtnerstochter, sehr anfechtbar, so daß Lübke Recht hatte, das Stück „Die Dummheit Salomos" zu nennen. Und doch auch hier wieder die schreiende Differenz zwischen Theorie und Praxis. Denn grade Lübke erscheint uns stark auf dem Punkt, die Heysesche „Weisheit" Salomos nachzuahmen. Bei diesen kleinen Witzworten fällt mir auch ein, daß Lindau, den ich gestern im Theater traf, mehreres Derartiges losließ. Es wurde gefragt, ob „Nausikaa" gedruckt worden sei, wenn auch selbstverständlich den „Bühnen gegenüber als Manuskript". Lindau meinte „wohl auch dem Publikum gegenüber als Manuskript". Auch sprach er von einem, der neuerdings einen Orden gekriegt hat und Tags drauf gefragt wurde: „sagen Sie, wodurch, was haben Sie gethan?"
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„Nichts, als die nöthigen Schritte." Im Theater war auch der Nord und Süd=Schottländer und bat mich um erneute Mitarbeiterschaft. Ich antwortete allerhand unverständliches Zeug. Aus dem Lager Fräulein Clara Meyers habe ich, auf die Schlußstelle meiner Ophelia=Kritik hin, einen Brief mit dem Ausrufe „Pfui" erhalten. Es ist merkwürdig, wo immer die meiste Tugendentrüstung steckt. Im „Club" war es sehr nett, wiewohl ganz anders wie früher; ich traf zunächst nur den Direktor Goldschmidt, Reichstagsmitglied, Fraktionsgenossen von Onkel Witte, mit ihm den kathol: Abgeordneten Graf Adelmar aus Baiern und den gefürchteten sogenannten Shakespeare s Leo. Mit Letztrem freundete ich mich an. Er erzählte französische Anekdoten, die ich nicht verstand, oder doch nur so wie Mama, die auch immer mitlacht und auch immer 'was verstanden hat; aber immer was ganz andres. Direktor Goldschmidt, ein sehr liebenswürdiger Mann und schon alte Bekanntschaft von mir, enttäuschte mich sehr; er sprach nämlich von Menzel und pries ihn als „Freund"; er (Menzel) ginge darin so weit, daß er von Jedem, blos aus Freundschaft für Reinhold Begas, den Glauben an Grete Begas' Keuschheit und Unschuld verlange. Das sei etwas Schönes. Und all dies sprach er nicht als Ulk, sondern in bittrem Ernst. Wer so 'was ernsthaft schön finden und zur Nacheifrung empfehlen kann, mit dem bin ich fertig, der ist mir zu sehr aus Oxford. Morgen sind wir bei Heydens. Ich fürchte mich schon vor dem Theaterquatsch und vor Heydens Frau v. Hochenburger=Schwärmerei. Der Toggenburger von Frau von Hoggenburger. Ob er sich eine Hütte baun wird „wo das Fenster aus der Mitte düstrer Linden sah" weiß ich nicht. Zwei Rütlionen in Banden ist eigentlich zu viel. Dir, meine liebe Mete, geht es hoffentlich gut und „die Kieler Bucht" die diesmal Schwiggerow heißt, hat die von mir erhofften Wunder hoffentlich schon gethan und Du hast nicht blos Ruhe, sondern auch Schlaf und nicht blos Schlaf, sondern auch Gesundheit. Grüße das verehrte, liebenswürdige Paar, das sich ja nun wieder als Paar legitimirt hat, aufs herzlichste und bewahre Deine wohlwollenden Gesinnungen Deinem respektvollst ergebenen alten Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 16. Aprii 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Die Karte mit „sleep, second nurse of nature" klang gut, der heutige Brief dagegen klang schlecht. Wäre es nicht so ernst, so wäre es eine komische Situation: eine mit einer Flasche Rothwein gegen Angst vertheidigte Dame. Alles traurig genug und vor allem quälerisch für den, der's hat, aber doch derart, daß ich durchaus die Gewähr von etwas Vorübergehendem darin finde. Man kann sich nicht, aus sich heraus, ein Lebenlang ängstigen; ich habe nie von solchem Dauerzustand gehört, es ist ein Zustand der kommt und geht; traurig genug wenn er da ist, aber nicht hoffnungslos. Ich bin davon so fest wie von irgend etwas überzeugt und werde bei diesem Glauben auch bleiben, selbst wenn Bonn versagen sollte. Krankheit und Unglück kommen auf tausend Straßen, aber Glück und Gesundheit auch. Es ist noch nicht aller Tage Abend, auch im Guten nicht. Wellenbewegung, up and down. Wir haben die letzten Tage sehr üppig gelebt, wenigstens ich. Donnerstag Club, Freitag weiß ich nicht mehr, Sonnabend Rütli bei Lazarus (Lübke nicht zugegen; „er besteige den Sentis"* hieß es nichtsnutzigerweise), Sonntag Graf und Gräfin Harrach mit reizender Tochter, Montag kleines Diner mit Lübke, dran Lazarus, gegen den Schluß hin, trotz Passahfest und vorgeschriebener Matze theilnahm. Auch der gute Timm - etwas wie der ehrliche Tamm, aber nicht auf die Postille gebückt - nahm dran Theil und simperte 'was hin, ganz der liebenswürdige Bruder seiner liebenswürdigen Schwester, blos dicker und doch fast noch dümmer, was 'was sagen will. Alle diese Begegnungen verliefen sehr angenehm; die Gräfin, trotz ihrer 8 Kinder (Tante Jenny würde 10 oder 12 herausrechnen, nach ihrem, wenigstens auf diesem Gebiete pars pro toto=Prinzip) immer noch eine schöne Frau, von der selbst Titus Ulrich, wenn er sie hätte, nicht sagen würde: „sie reizt mich nicht." Er, der Graf, ein Ideal von Liebenswürdigkeit, völlig ungenirt, ein Mensch, also das Höchste. Von Offizieren war der mit dem tunesischen Orden da, ein Herr v. Schrenk aus Oldenburg (sein Vater, Oberbürgermeister von Oldenburg, hatte grade den Kaiser an jenem Tag empfangen) und erzählte mir sehr Interessantes von seiner tunesischen Reise, speziell von der * sie heißt Sentis; zu poetisch, um nicht Judenname zu sein.
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Reise, nicht von dem Aufenthalt, was wegen merkwürdiger Schiffsvorgänge, arge Verstimmungen der Matrosen gegen ihn (v. Schrenk) weil seine Anwesenheit an Bord die Reise um 7 Tage und 2 Stürme verlängerte, sehr interessant war. Ich konnte daran wieder studiren, was einem, wenn Lieblingswünsche sich unter exceptionell glücklichen und ehrenvollen Verhältnissen erfüllen, doch immer noch von Unliebsamem begegnen kann. Man hat keine Minute sicher in der Hand. - Mit der Conrad hast Du ganz Unrecht. Du bist wie Mama und nimmst Dein Urtheil und Dein Sentiment als das normale. Ich habe auch Urtheil und auch Sentiment und bin gar nicht ewzufangen. Dies ist eine Spezialität von mir, die man, trotz landesüblicher Eitelkeit und ähnlicher Schwächen, doch wiedrum zum Guten haben kann. Und ich weiß ganz genau, daß ich durch Lob nicht bestochen werden kann. Uebrigens lobt sie mich nicht, sondern ist eine kleine, leidenschaftliche, kratzbürstige Person, die mir, nach der ersten Ibsen-Aufführung, einen 4 Bogen langen Brief schrieb, der sich kaum mit sonst herkömmlicher Artigkeit deckte. Grüße das verehrte Mengeische Paar. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 19. April 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Mama, nachdem sie mit der ihr eignen verve (hier stehe ich, ich kann nicht anders) gekocht hat, schreibt für Friedel Geschäftsbriefe, nicht ganz so viel, wie in der Lungenschwindsuchtsbrochürenangelegenheit schrecklichen Angedenkens. Bei dieser Sachlage weiß ich nicht, ob sie dazu kommen wird, oder schon gekommen ist, Dir für Deinen heut eingetroffenen Brief mit seinem gesundheitlichen Mittelbericht und seinen Studien der mecklenburgischen Volksseele bei 40 Grad (hoffentlich Fahrenheit) zu danken, weshalb ich für alle Fälle einspringe. Mit den Temperaturgraden ist es ein eigen Ding; mein Vetter August Fontane erzählte mir, er habe im Golf von Mexiko dicht neben der Maschinenheizung bis zu 63 Grad gehabt - eigentlich schon Gothasche Feuerverbrennung - andrerseits weiß ich, daß eine Temperatur von 19 Grad, z. B. bei Frau Sarah Lazarus, schon nahezu unerträglich ist. Du mußt das alles mit den 40
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Graden, die grade die Mitte zwischen Frau Sarah und dem Golf von Mexiko halten, aufklären. Ein Hauptpunkt in Deinem Briefe betrifft meine Stellung zu Deinem Kranksein. Ich kann mir wohl denken, daß mein Sprechen und Schreiben, meine gesammte Haltung so wirkt, als sähe ich das alles für nicht so schlimm an und daß Dich diese Haltung mehr oder weniger verdrießt. Ich kann Dir aber sagen, daß nicht der geringste Grund dazu vorliegt. Ich sehe Dir's oft an, wie leidend Du bist und wie traurig und unglücklich Du bist, so leiden zu müssen, und bei jungen Jahren gar kein Vertrauen mehr zu seinem physischen Menschen haben zu können. Ich sehe das alles und finde es beklagenswerth, aber ich lasse es gehn, wie's gehn will, weil absolut nichts dagegen zu machen ist. Es ist dieselbe Geschichte, wie früher mit Mamas Sturmkrankheit, wo die arme Frau oft ein wahres Jammerbild war, tief bemitleidenswerth. Ich redete ihr zu, so gut ich konnte und dann ging ich zu Bett und schlief. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus kolossaler Müdigkeit und weil ich mir sagte, Du thust nur einen reinen Unsinn, wenn Du Dich Deiner Müdigkeit gewaltsam entreißet und noch 3 Dutzend Male sagst: „meine arme Frau, sieh, ich glaube es läßt schon nach." Es giebt so vieles dem wir machtlos gegenüberstehn und dies, und wenn es das Schrecklichste wäre, muß mit möglichst guter Manier getragen werden, von dem Leidenden sowohl, wie von der Umgebung. Es ist unsre Pflicht, eine gewisse Hospitalstimmung von uns fern zu halten, und nicht in fruchtlose Heulhuberei zu verfallen. Gott sei Dank haben wir, auch die Weichlichsten unter uns, alle diesen Charakter, George war in diesem Stück wie ein Held und vorbildlich wie Kaiser Friedrich. Auch Du hast diese Tapferkeit. Und dahin gehört nicht minder das sich Entschlagen aller Sentimentalitäten auch von Seiten derer, unter denen ein Kranker lebt, ein sich Entschlagen, das etwas ganz andres ist, als Gleichgültigkeit oder Gefühlsmangel. Es spricht sich nur drin aus, erstens: ergeben wir uns und zweitens: hoffen wir. Und das ist das Beste, oft das Einzige, was man einem Kranken anthun kann. Die Flinte ins Korn zu schmeißen, dazu ist immer noch Zeit. Grüße Mengeis, in erster Reihe Sankt Elisabeth. Wie immer Dein alter Papa.
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Emilie Fontane an Theodor Fontane jun.
Berlin, d. 5. Mai. 89. Mein lieber, alter Theo. Diesmal habe ich lange auf meine Antwort warten lassen, u. doch haben wir fast täglich von Dir gesprochen u. fürchten fast nach Deiner Schilderung Deiner Gewitterangst, daß sie ein Ableger von meiner Sturmkrankheit ist. Ganz wie Du es beschreibst, kriecht die Angst vom Magen an's Herz, u. soll dies Gefühl von dem Sympathikus, einem, einen großen Einfluß ausübenden Magennerven ausgehn; augenblicklich stellt sich bei mir Appetitlosigkeit, Zungenbelag, oft auch Abweichen ein. Geholfen hat mir radikal nichts; nur: „es geht vorüber" „sei möglichst allein", weil man sich ja trotz der Todesangst vor jedem andern menschlichen Wesen schämt u. last not least: Wein; je nach Befinden, entweder Roth= oder Weißwein. Am besten bekommt mir in den letzten Jahren Moselwein, von dem ich eine Fl. austrinke u. doch etwas Widerstandskraft erhalte. Wie ich theilnehme, kann ich Dir garnicht sagen! Unser George hatte es ja auch, Mete u. Fuz, gottlob garnicht. Auch unsrem lieben Alten (übrigens vielen Menschen) ist ein Gewitter äußerst unangenehm. Die letzten Wochen waren recht schwer für mich; Mete's Leiden wurden so hochgradig, daß unser Arzt sie binnen 24 Stunden zu Lisen auf's Land schickte, wo sie vierzehn Tage in traurigen Zuständen verlebte. Sie kam nach der 3stündigen Eisenbahnfahrt so verängstigt zurück, daß sie sich unfähig glaubte, die weite Reise nach Bonn zu unternehmen. In den 8 Tagen ihres Hierseins kam aber doch die gute Wirkung von Schwiggerow nach; sie schlief etwas besser, aber freilich an allein gehen auf der Straße war nicht zu denken u. da ich sie begleiten mußte, wurde meine Zeit sehr knapp, zumal ich ein junges, mit dem Kochen unbekanntes Mädchen habe, u. mich recht plagen muß auf meine alten Tage. Donnerstag ist nun Mete, mit den verschiedendsten Hülfsmitteln versehen, abgedampft u. ein Brief von ihr gestern, brachte uns die Beruhigung, daß sie die Reise glücklich überstanden, u. trotz der späten Stunde, beinah 12 Uhr, von dem geheimräthlichen Ehepaar auf's liebenswürdigste auf dem Bahnhof empfangen sei. Sie schreibt bezaubert von dem dortigen Aufenthalt; das vornehme Landhaus, grenzt mit seinem Garten an den Rhein, so daß sie, bei der jetzigen Hitze, immer Kühlung haben. Sie schrieb auch von einem riesigen Diner, welches zu Ehren von Veit's 50 Bonner Semestern, am Mitt-
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woch stattfinden wird. Bis nach demselben, glaubten wir, würde er Meten beobachten u. dann zur Untersuchung schreiten. Du kannst Dir nun unsren Schreck u. unsre Ueberraschung vorstellen, beim Empfang einer heutigen Karte von ihr, wonach gestern schon die Consultation stattgefunden. Das Resultat lautet: er hofft sie zu kurieren. Da alle Details fehlen, sie diese Karte aus ihrem Bett heraus geschrieben, so bin ich natürlich in Erregung, bis ich Näheres erfahre. Möge Gott u. Veit dem armen Kinde helfen! Von uns Alten ist nicht viel zu sagen; wir können u. müssen zufrieden sein u. geht es uns auch leidlich, wenn wir in unsrem Geleise bleiben; aber die geringste Débauché zeigt uns, die Abnahme unsrer Kräfte; so hat eine kleine Abschiedsgesellschaft gestern Abend bei Heyden's noch heut ihre schwächende Nachwirkung. Unser Arzt wünscht daß Papa nach Kissingen, zu einem leichten Kurgebrauch geht, u. will er nach Schluß der Theater, es auch thun. Fuz ist in großer Erregung; vorgestern ist die Broschüre: Wittes Stöcker bei ihm erschienen u. gestern hatte er schon um 4000 davon verkauft. Er hat bis jetzt Glück, thut aber auch seine Schuldigkeit u. beruhigt nach u. nach unsre Bedenken gegen seine frühe Etablirung. Darin hat er unbedingt Recht, daß ihm Papa's Name die Wege ebnen hilft; Witte hat ihm direkt gesagt, von allen Buchhändlern, die sich ihm für seine Broschüre angeboten, hätte ihn sein Name gelockt. - Aber nun muß ich Spinat kochen. Grüße u. küsse Deine Schätze: Frau u. Kind u. sei auf's zärtlichste umarmt von Deiner Alten.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 5. Mai 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Dein Telegramm, Dein Brief und Deine Karte, die gut gegliedert und in richtigen Abständen hier eintrafen, haben uns sehr erfreut, - eine gute Reise, ein herzlicher Empfang und ein vergleichsweise gutes, weil hoffnungsreiches Untersuchungsresultat. Nach den Unsicherheiten unsrer Aerzte hier, wird sich sagen lassen: „die ,Kunst' fängt endlich an zu sprechen und Hoffnung wieder an zu blühn." Der Rhein und Veit, die mit ihren Vokalen so gut stimmen, werden doppelt ihr Heilwerk üben. In hoc signo vinces.
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Sei gleich noch bedankt für die an Mama Robert gerichteten Zeilen; je weniger man sich zu Herzlichkeiten aufraffen kann, je nöthiger sind Freundlichkeiten. Wir leben hier seit gestern unter dem Stern Stöcker== Witte, die Castor und Pollux sein sollten, aber sicher nicht sind. Friedel strahlt. Gestern Mittag waren schon 3000 abgesetzt, morgen (wenigstens die Möglichkeit ist da) doppelt so viel. Friedeis Vortheil von der Sache scheint mir sicher zu sein, desto unsichrer der Vortheil Pastor Witte's. Er ist nun eine populäre Figur geworden, wird aber im Uebrigen nur Nackenschläge haben, von den Oberbehörden gewiß. Und nicht ganz mit Unrecht. Sie haben ihm „Frieden und Duldsamkeit" anempfohlen und das ist seine Antwort darauf. Der literarische Werth der Brochiire, um auch das noch zu erwähnen, ist ziemlich mau; Auszüge daraus lesen sich gut, es finden sich „gute Stellen" (der Anfang, die ersten dritthalb Seiten, sogar sehr gut) das Ganze ist aber von einer kolossalen Oedheit und Langenweile und wenn das berühmte „mir wird von alle dem so dumm etc" jemals gepaßt hat, so sicherlich hier. Es rückt nicht von der Stelle, immer wieder dasselbe, so daß ich mich kaum entschließen würde, für 50 Mark es durchzulesen. Gestern war Rütli bei Menzel. Ich gab mir einen Ruck und ging hin. Natürlich war er nicht da und wir warteten gefälligst bis 6. Da kam er denn und war nun, wie zugestanden werden muß, sehr liebenswürdig, ja für seine Verhältnisse kolossal liebenswürdig. Uebrigens fand ich ihn recht alt geworden, unbissig und beinah nachgiebig. Der Rest der Gesellschaft war mannigfach zu beanstanden, Heyden wollte wieder mehrere todtschießen und erklärte außerdem „jeden, der ein Bild von ihm besitze, an Einsendung dieses Bildes zur Pariser Ausstellung verhindern zu wollen" was freilich mit Lächeln aufgenommen wurde. Der Senator geht ein, er ist ein Skelett und wirkt wie Kaiser Rudolphs Ritt zum Grabe nach Speyer, aber ins Infanteristische übertragen. Er benimmt sich dabei sehr tapfer, oder aber es ist das alte Lied von „noch am Grabe etc." Zöllner hustet und hustet und hört dabei Nachts als Trost „daß Husten etwas sehr Störendes für die andern sei", was er wohl nicht bezweifeln wird. Gestern Mittag war Delhaes hier, um sich artigerweise nach Dir und mir zu erkundigen. Ein guter Herr und gewiß auch ein guter Arzt, aber immer so furchtbar abgespannt, was keinem kleidet, aber am wenigsten einem, der eigentlich nicht viel zuzusetzen hat. Ich kann immer mit ihm nicht recht weiter und es muß toll kom-
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men, um mich bis zum streiken zu bringen. Seine Stellung im Elisabethkrankenhause hat er nun niedergelegt und in den Zeitungen hat gestanden „er gedenke in den Ruhestand zu treten". Das ist ihm nun auch nicht recht. Im Uebrigen läßt sich von ihm sagen „Und seine Seele dachte immer an Zackenfall und Schreiberhau." Morgen Nachmittag will ich zu Wilhelm Gentz, um, für meinen Aufsatz, sein Bilder-Inventarium aufzunehmen. Aus seiner mir überreichten biographischen Skizze, die so viel Interessantes enthält, erseh' ich auch, daß er die Vedas, den Koran und den Confucius gelesen hat. Es werden dies überhaupt nur wenig Lebende von sich sagen können, am wenigsten aber lebende Maler. Die Meisten sind über den Struwelpeter nicht 'rausgekommen. Denke Dir den kleinen Encke über den Koran gebückt. Ich vertiefe mich immer mehr in die Bredows. Natürlich giebt sich der gesammte Adel von Mark, Mecklenburg und Vorpommern ein Rendez-vous darin, denn in 500 Jahren kommt schon was von Heirathen, Erbschaften, Prozessen und Duellen vor. So begegnete ich denn auch in der Schwedenzeit von 1630 bis 75 verschiedenen Wachtmeisters, wobei ich an Haus Veit und also auch an Dich gedachte. Mit herzlichsten Wünschen für Dich und unter ergebensten Empfehlungen an das geheimräthliche Paar, wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 8. Mai 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Wir sind froh, daß es Dir gesundheitlich wenigstens leidlich und in allem Uebrigen so sehr gut geht. Daß gestern kein Brief von Dir kam, ängstigte Mama; sie sah Dich schon zerschnippert. Zum Unglück hattest Du an Grete Krigar geschrieben „an diesem ernsten Tage" - was ja für Grete Krigar nicht nur passend, sondern (freilich auch nur im Hinblick auf Grete Krigar) witzig genug war. Mama blies sofort das Nöthige daraus zusammen und „schon sieht es wie ein Nilpferd aus". Ja, sie brachte mich schließlich bis zu meiner allemal abschließenden Lieblingswendung „ja, möglich ist alles. Ich kenne keinen Menschen, der so die Fähigkeit besäße, aus dem verschwindend=klein Gegebenen, je nach Stimmung, einen Ozean
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von Leid oder eine Südsee von Seligkeit fertig zu kriegen. Derselbe Besuch bei KrsM.'s gab wieder ein glänzendes Beispiel dafür: sie, die gute K., hatte bei der Frage „nun was macht Er?" halb mitleidig halb verächtlich auf die Stirn gezeigt und seitdem steht es für Mama fest, daß Adolf der Große an der Gehirns Erweichung leidet. Ich hatte wieder keine andre Antwort als: „ja, möglich ist alles." Vorgestern war ich gute 2 Stunden bei Gentzen's, von 1 bis 3. Sie gehen sonst um 1 zu Tisch und es ist für das Haus im Guten charakteristisch, daß man mich festhielt und das Mädchen mit dem fertigen Essen draußen zwei Stunden warten ließ. Als ich ging, wurd' ich noch aufgefordert, an ihrem Mahle Theil zu nehmen, es gäbe Lamm (immer spukt es hamitisch=semitisch in dem Hause) und Maccaroni mit Pflaumen. Es lockte mich wirklich, aber als Ehesklave konnte ich den nöthigen Muth doch nicht recht aufbringen. Feigheit ist der Menschheit bestes Theil. Ich hatte in den 2 Stunden den ganzen Bilderschurrmurr an den Wänden durchgesehn, lauter Geschenke von berühmten Leuten: Knaus, Henneberg, Feuerbach, Heilbutt, Schmittson, Hamon etc. und bei dieser Durchsicht wurde jeder kurz charakterisirt. Bei vielen, so beispielsweise auch bei Schmittson und Hamon (letztrer, Franzose, ist sehr berühmt; auf Capri, bei Pagano, befinden sich zahllose Sachen von ihm) kehrte die Wendung wieder „in Liebe zu Grunde gegangen". Und dann kam immer ein Hauptbeispiel. Matador war ein gewisser Dörr, noch dazu ein Sachse, der nach nichts ausgesehn habe, aber absolut „unwiderstehlich" gewesen sei. Das mit dem „unterm Liebesstern geboren sein" hat doch 'was auf sich und die Wissenschaft stellt diese Krankheit, denn eine solche ist es viel mehr als ein Vorzug, vielleicht noch mal fest und findet den entsprechenden Bacillus. Ich mag ihn aber nicht züchten. Heute hat mir Gentz seine opera omnia in einer Riesenmappe voll Photographien geschickt und ich habe sie über Mittag mit Genuß durchgesehn. Die großen, mehr oder weniger berühmt gewordenen Sachen interessiren mich verhältnißmäßig wenig, desto mehr das spezifisch Gentzische. So z. B. eine schmale, ganz im Schatten liegende Gasse in Algier, nur an einer Stelle fällt von links her ein greller Sonnenstreifen ein und hier sitzen auf einer Art Bäckerbrett, auf das man sonst die eben gebackenen Brote legt, an 12 oder 15 Katzen, die sich eingefunden haben, um ein Licht= und Wärmebad zu nehmen. Ein gewöhnlicher Mensch geht an dergleichen Sachen vorbei, Gentz sieht es und malt es. Bei dieser Fülle von malerischem und poetischem Orient, regt sich, einen Augenblick lang immer wieder der Wunsch in mir
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„dergleichen doch auch noch mal zu sehn", wenn ich mir dann aber vergegenwärtige, daß es ohne Ratten, Mäuse, Skorpione, vor allem aber ohne „vermin", und zwar aller Arten und Grade, schlechterdings nicht zu haben ist, und daß unter Umständen ein Schluck Wasser, drin man die „Schrecken der Tiefe" auch ohne Mikroskop im Kampfe mit einander sehn kann, als Labsal gilt, so bin ich von aller Sehnsucht geheilt. Davon zu lesen, dazu ist der Orient gut, zum leben der Occident, und je mehr nach Westen, desto besser. Ich bin sehr fleißig. Vormittags: Olaf Kragebeen, Svend Gabelbart und Herluf Trolle's Begräbniß, drei Balladen, an denen ich nun - etwa wie der alte Below 3 Bücher zu gleicher Zeit las - abwechselnd und beständig von einem zum andern übergehend, seit 3 Wochen arbeite. Nachmittags dann Pusseleien und Abends: die Bredows. M a m a , wie sie mir sagt, hat sich darüber bei Dir beschwert und wie könnt' es anders sein. „Fanchon bleibt sich immer gleich." Ich möchte wohl wissen, welche Vorstellung sie über das Entstehn von Büchern, die zwischen 500 und 2000 Seiten schwanken, unterhält. Die Geschichte von den „Wichtelmännchen" ist gar nichts dagegen, oder ihre Wichtelmännchen müssen stärker und arbeitsversessener sein, als die Gelsenkirchner Schlepper, die jetzt streiken. Friedel beherrscht nach wie vor die Situation. Bettelsuppen. „Da habt ihr ein groß Publikum" sagt Mephisto. - Heute Vormittag war Onkel Witte eine halbe Stunde hier, freundlich^wohlwollend wie immer und dem politischen Größenwahn nahe - auch wie immer. Ein National=Liberaler, also vorweg ein Cretin, hatte mit einem Anfluge von H u m o r gesagt: „Nun mein Gott, meine Herrn, wenn das Gesetz ein Irrthum sein sollte, vorläufig ist es noch nicht erwiesen, dann ändern wir's wieder; an solchen Irrthümern, denen allerbeste Absichten zu Grunde liegen, geht die Welt nicht unter." Und diesen armen National=Liberalen sollte ich mit verfluchen, während ich nur Segensworte für seine Weisheit auf der Lippe hatte. Daß das Parteileben den Charakter verdirbt, ist längst zugestanden, es verdirbt aber auch den Verstand. Alle versimpeln und nehmen den Sturm in ihrem Glase Wasser als Taifun oder Sturm von Samoa. Morgen ist bei Euch ein großer Tag und hoffentlich zugleich ein heitrer und beglückender. Empfiehl mich dem verehrten Paar, das so viel Freundlichkeit für Dich hat, und vergiß nicht im Aegyptenland das alte magre Canaan und seinen Patriarchen Th. F.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 13. Mai 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Wir sind glücklich zu hören, wie glücklich Du bist. Ja das Höhere ist kein leerer Wahn, vielleicht auf keinem Gebiet, sicherlich auch nicht auf dem der gesellschaftlichen Form. Früher hatte man die hübsche Wendung „schade, daß man N. N. gegenüber, nie das Gefühl der persönlichen Sicherheit hat." Und da liegt es wirklich. Es ist etwas ungemein Angenehmes, auch körperlich Wohlthuendes, im Verkehr mit Menschen dies Sicherheitsgefühl zu haben. Die Zahl derer, die's einem gewähren, ist gewachsen, aber immer noch zu klein. Und grade dies ist so recht ein Culturmesser. Ein Sonntag am Rhein! Ich sehe dann immer das schöne Bild von Gustav Spangenberg vor mir, das den Titel führt: „Jungfrauen von Köln, dem Rhein Blumen streuend". Es ist vielleicht im Kölner Museum und jedenfalls sehenswerth. Es war seine erste Arbeit, noch vor dem Rattenfänger von Hameln, und nach der Seite der poetischen Stimmung hin, hat er nichts Schöneres mehr geschaffen. Er bleibt übrigens auch sonst noch eine der interessantesten modernen Kunsterscheinungen und zwar dadurch, daß sein Renommée nicht, wie das gewöhnlich geschieht, durch Fachgenossen und Kenner, sondern, im Gegensatz zu diesen, recht eigentlich durch die gebildeten Laien gemacht worden ist. Das Poetische hat den Sieg über die Mängel der Technik davon getragen. Bei Böcklin liegt es ähnlich. Aber doch nicht voll so. Dieser ist mehr der Abgott einer bestimmten „Clique" von Gebildeten, als der Gebildeten überhaupt. Im Ganzen genommen gebe ich nur etwas auf Fach^Urtheil. Aber es kommen Ausnahmen vor. Wenn Du nach Köln kommen solltest, suche das Bild zu sehn, außerdem das alte Altarbild im Dom (thronende Maria) und im Museum, wenn ich nicht irre, „Maria in der Rosenlaube". Das sind so Sachen, die einem bleiben; das Meiste geht rasch wieder in den Orkus. Sonnabend war Rütli beim Senator. Es wurde viel darüber gesprochen, daß nun doch, trotz offizieller Nichtbeschickung der Pariser Ausstellung, so viele deutsche bez. Berliner Bilder auf der Ausstellung sein werden. Darunter auch Menzel. Er ist in mehreren konserv. Zeitungen aufgefordert worden, darüber eine Erklärung abzugeben, hat aber bis jetzt geschwiegen. Ich nehme an, daß er unschuldig ist und daß diese Einsendungen von Besitzern seiner
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Bilder herrühren. In der Debatte darüber, nahm dann Heyden das Wort und meinte: „Liebermann (der Maler, der diese Dinge in die Hand genommen hat) habe ihm gesagt, er persönlich würde sich gehütet haben, so vorzugehn; was er gethan habe, sei nicht blos unter Genehmigung, sondern auf Wunsch von Geheimrath Jordan geschehn." Heyden trug dies etwas verlegen vor, weil er eine scharfe, oder doch wenigstens eine spöttische Entgegnung von Zöllner fürchten mochte, diese blieb aber aus oder ging wenigstens über ein zweifelvolles Lächeln nicht hinaus, woraus ich den Schluß ziehe, Zöllner findet auch seinerseits alles so verfahren und unberechenbar, daß er das anscheinend Widersinnigste wenigstens für möglich hält. Dabei puffen sich die Kunstangelegenheiten immer mehr zu geradezu politischen Fragen auf und beschäftigen Hof, Minister, Gesellschaft in einer Weise, die mitunter an die Tage der Lola Montez erinnert. Du und die Geheimräthin werden nicht viel von dieser Größe wissen, aber der Geheimrath. Was damals die Lola Montez war, ist jetzt, natürlich mit Einschränkungen, Anton v. Werner. Seine bevorzugte Stellung ist so groß, daß die Minister mit ihm rechnen müssen und den Duckungsprozeß, zu dem sie nicht blos berechtigt sondern verpflichtet wären, unterlassen oder doch sehr modeln. Es heißt, er wolle K««si=Minister werden, und ich bin ihm das Zugeständniß schuldig, daß er das Zeug dazu hat. Man hat ihn oft den kleinen Bismarck genannt und ihn mit dem jungen Napoleon von 1796 (dem er frappant ähnlich sieht) verglichen. In dem allem steckt 'was Wahres; er ist eine ganz eminente Persönlichkeit, Genie ist nicht das rechte Wort, dazu ist zu viel Calcül in ihm, aber er hat große Gaben der Rede, des Ausdrucks, des Haranguirens, noch viel mehr als des flott Malenkönnens und es ist ein Fehler von unsrem lieben Zöllner, daß er das nicht genug anerkennt und Correktheit, Dienstlichkeit, Aufrichtigkeit und Worthalten von ihm fordert, lauter Dinge, die Werner belacht oder als indifferent ansieht. Hervorragende Menschen sind höchst selten sittliche Größen und Biedermänner; in dem ganzen letzten Jahrhundert kenn ich nur zwei: den älteren Pitt und Washington. Die andern haben alle gemogelt und die gegenwärtigen mogeln erst recht. Gestern um lOVi fuhr ich, in großer Kumpanei, nach Meseberg, eine Stunde von Gransee. Wir waren 8 im Coupé: Stephany, Brugsch, Gentz, Gude Vater und Sohn, Landgerichtsdirektor Müller (ein Spezialkollege von Lessing) Oberst v. Alten und ich. Es war sehr nett, sowohl auf den Fahrten hin und zurück, wie an Ort und Stelle. Das Deckenbild mit der witzig unanständigen Inschrift (An-
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spielung auf den Prinzen Heinrich und seinen Mignon Major Kaphengst) wurde wieder bewundert und ein Diner genommen, das sich lediglich aus Produkten des Guts zusammensetzte, glücklicherweise mit Ausnahme des Weins. Vor Tisch anderthalbstündiger Spaziergang um den schönen See, nach Tisch anderthalb Stunden Kegel gespielt; ich habe heute davon eine etwas steife Hand; „daher der lange Brief" würde Mama sagen, die von Wangenheims u. Frau v. Noville noch nicht zurück ist. Brugsch war sehr unterhaltend und erzählte von 150,000 Mann turkmenischer Reiterei, die, bei unsrem nächsten Kriege mit Rußland, die russische Armee begleiten und dann Deutschland überschwemmen würden. Oberst Alten lachte und sagte: „die turkmenischen Reiter werden sich immer an die russische Armee anlehnen, also auch den Rückzug derselben mitmachen." Dieser schien ihm fest zu stehn. Und er wird wohl Recht haben. Die andern Armeen scheitern immer an dem, was unser Theo so ruhmreich vertritt: Backofen, Brot, Verpflegung. In andern Ländern wirthschaftet die gemeine Bande immer in die eigne Tasche hinein, nur Menschen liefert sie, was nichts kostet; aber der hungernde Mensch ist nur ein Hinderniß, jedenfalls für den Sieg. Eben kommt Mama nach Haus und findet es merkwürdig, daß ich schon wieder schreibe. Du wirst es hoffentlich milder beurtheilen. Empfiehl mich dem verehrten Paar. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 17. Mai 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Gestern war ein kühler Tag, heut ist die Hitze wieder wie vorher. Dabei trifft ein Brief aus Münster ein, der die Zustände unsres armen Theo in gradezu herzbeweglicher Weise schildert. Wie viele Stellen giebt es, wo der Mensch gekniffen werden kann. Ich will heute noch an ihn schreiben und ihm das Mittel anempfehlen, das mir - denn bei starken Gewittern, wenn es links und rechts einschlägt, bleiben nur wenige von einer Furchtanwandlung verschont - immer am besten geholfen hat: die Vorstellung, ja, wenn Du nun getroffen wirst, dann bist Du todt und stirbst den Tod (nämlich durch einen Schlag) den so viele sterben und den man ohnehin eine
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Chance hat, früher oder später erleiden zu müssen. Diese Vorstellung wandelt einen nun freilich nicht in einen Helden und Leichtfuß um, aber die Resignation hat doch etwas Milderndes. Außerdem aber muß er sich die Angst so zu sagen für den rechten Augenblick aufheben und nicht schon vorher sich mürbe machen; mit Hülfe der Vorangst bringt er sich um den ganzen Sommer und lebt überhaupt nur noch ein halbes Leben. Ein sehr trauriges Kapitel. Friedel will morgen auf einen oder anderthalb Tage nach Leipzig; vorläufig leidet er an einem Pickel, der ihm weh thut und ihn etwas entstellt, weshalb er sich heute mit Hamburger Pflaster bekleben will. Immer schreitet eine Angst, eine Sorge, ein Schmerz, ein Pickel, neben unsrem Glück und unsren Plänen her, namentlich aber immer in dem Augenblick, wo sie sich erfüllen sollen. Heine's Gumpelino (in den „Reisebildern") thut in dieser Beziehung einen ewig denkwürdigen Ausspruch, den ich nicht citiren mag, wiewohl er nicht schlimm ist oder wenigstens nicht sehr schlimm. - Mit der Stöcker=Witte=Brochüre ist es nun wohl vorbei; ich glaube nicht, daß finanziell - im Uebrigen nun schon gewiß nicht - viel dabei herausgekommen ist. Friedel ist sehr fleißig, flink und umsichtig, aber das Rechnen hat er bei Dominik gelernt; erst sollte die „Gute Stunde" mit 30,000 auf die Kosten kommen, jetzt hat sich's nun, von Stufe zu Stufe, bis 70,000 'raufgeläppert und die Kosten sind immer noch nicht gedeckt. - Von Stoecker==Witte ist nur ein Schritt bis Friedrich Witte, der freilich in nichts ein Stoecker ist, noch weniger ein Stoeckerer, denn er hat neulich wieder 2 Stunden im Reichstag gesprochen. Mama hat nun 2 mal seinen Besuch gehabt; eigentlich ängstigt sie sich vor ihm und jedenfalls wird sie seiner Gegenwart nicht froh. Mit mir geht es ein bischen besser, weil ich bei dem jedesmaligen Seiltanz die Balancirstange ein bischen leichter und virtuoser handhabe. Aber froh bin ich auch immer, wenn das Seil wieder ausgehakt wird. Und so steht man nun zu so vielen der liebsten und besten Menschen; mit Onkel Scherz war es genau dasselbe und mit W. Hertz, Heyse, Menzel ist es nicht viel anders. Schließlich kommt man so weit, daß einen die moralischen Qualitäten der Menschen gar nicht mehr kümmern, ihr Wissen und ihre Talente schon gewiß nicht, und daß man froh ist mit einem halbwegen Schufterle, aber von angenehmen Manieren, verkehren zu können. Die Fälle, wo alles Gute zusammenfällt, sind selten und wenn man sie hat, soll man sie doppelt preisen. Und dabei muß ich denn natürlich Deiner jetzigen Tage gedenken. Ich begreife nicht, wie Du von Abreise sprechen oder auch nur
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daran denken kannst; es berührt mich fast wie eine Ungezogenheit gegen den Geheimrath, jedenfalls wie Mangel an Artigkeit. Wenn er Dich in Behandlung nimmt und sagt: „ich denke, es soll werden, wenn auch nicht schnell" so mußt Du den Zeitpunkt abwarten, wo er sagt „nun ist es genug", entweder weil der Normalzustand wiederhergestellt ist, oder weil er sich überzeugt, daß er besser nicht mehr hergestellt werden kann. Du mußt so zu sagen auf Deine Entlassung warten und darfst keinen Fluchtversuch machen, auch nicht aus den besten Motiven. Rücksicht ist gut, aber hier sind verschiedene Rücksichten in Erwägung zu ziehn. Ich lege Dir eine sehr hübsche Kritik von Schienther bei; der Vergleich mit der stillen Pumpe und dem blos beweglichen Schwengel, ist sehr witzig. Auch das über Kainz Gesagte sehr gut. - Mit meiner Dichterei bin ich nun fast zu Ende (zweideutig); zu schreiben ist nichts mehr, nur hier und da noch zu corrigiren, aber auch das ist von keinem Belang und ich habe dann nur noch ein Dutzend Abschriften zu machen. Dann kann der Druck beginnen, vor dem ich mich fürchte; nichts regt mich so auf wie Correkturbogen, immer ist man in Angst, daß etwas ganz Furchtbares stehn bleibt, ein Unsinn oder eine Lächerlichkeit oder eine Unanständigkeit. Und all diese Angst um nichts. Die Gleichgültigkeit der Menschen gegen Poetereien übersteigt alles Maß und es ist mir ein Beweis meines natürlichen Angewiesen- und Eingeschworenseins auf diese Dinge, daß ich, trotz der klaren und niederdrückenden Erkenntniß von dem Nichts dieser Beschäftigung, doch dabei ausharre, einfach weil ich nicht anders kann. Aber Bäcker Thier an der Ecke, mit seinen 2 blonden Mamsells, die Mohns und Quarkkuchen verkaufen, ist besser dran. Sonderbar, daß ich im Drauflosschreiben grade Mohn und Quark 'rausgegriffen habe; dazu bringt man's genau auch; bei den meisten Kollegen prävalirt Quark, bei mir Mohn. Aber es fragt sich, ob Mohn nicht das Schlimmere ist. Da habe ich neulich, auf redaktionelles Ansuchen, ein Dutzend kleinerer und größerer Sachen an Dominik und Dobert geschickt; wenn noch Gerechtigkeit in der Welt wäre, so müßten die Kerle Kopf stehn, denn es sind Sachen darunter, die nicht von schlechten Eltern sind, apart, lebendig und den preußisch=brandenburgischen Ton treffend, wie ich ihn kaum je zuvor getroffen habe. Und das liegt nun alles seit vier, fünf Wochen auf der Redaktion, kein Wort, kein Dank, am wenigsten aber Zusendung eines Abzuges, worauf ich warte. Und das passirt mir, von dem nun schon 3 deutsche Kaiser gesagt haben, ich sei ihr Lieblingsdichter, mir, dem alle Jahr ein Buch gewidmet wird, auf
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dessen Widmungsblatt steht: „dem Meister der Ballade." Wenn man scharf zusieht, so sieht es freilich auf jedem Gebiete ähnlich aus; was haben sich beispielsweise Männer wie v. Bergmann und seine verschiedenen Collegen im vorigen Jahr alles sagen lassen müssen und namentlich beim Militär hält jeder den andern für einen bis zum Staatsverbrecherischen gesteigerten Schafskopf, aber das Traurigste, weil jeder von der Gleichgültigkeit der Sache durchdrungen ist, ist doch die Dichterei. Nun sei's. Keiner kann aus seiner Haut und man muß verbraucht werden, wie man ist. Empfiehl mich dem hochverehrten geheimräthlichen Paar. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 22. Mai 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Die Hitze ist ganz unsinnig und nimmt mir mein Bestes: den leidlich klaren Kopf mit seinem hoffentlich nie bestraften Stolz des Nichtver r ücktwerdenkönnens. Ich schreibe auch eigentlich nur eines Punktes wegen. Du fürchtest immer, wir könnten das, was Dich jetzt so beglückt, für befriedigte Eitelkeit halten. Das ist nicht der Fall. Ja, was heißt Eitelkeit? Jeder ist ein Egoist und die Eitelkeit ist mindestens eine Cousine des Egoismus, vielleicht Schwester, ja vielleicht ist Beides so ziemlich dasselbe. Will man bis auf die letzten Wurzeln graben, so findet man immer sein Ich. Aber dies Ich, das so schlimm sein kann, es hat andrerseits auch sein Recht der Bethätigung und der Freude, wenn ihm 'mal sein Theil von Anerkennung zu theil wird. Es ist mit dem Egoismus des gebildeten, beständig auf sich achtenden Menschen vielfach nicht so schlimm, als die Pessimisten glauben, und daß wir uns trotzdem eines solchen Egoismus oft selbst bezichtigen und seiner schämen, hängt gar nicht mit unsretn Egoismus zusammen, sondern mit dem in unverschämter Breite heranmarschirenden Egoismus des andern, mit dem wir nun unausbleiblich zusammenstoßen. Artig wie wir sind, entschuldigen wir uns wegen dieses Zusammenstoßes, was der Unverschämtheitsfalstaff im für uns günstigsten Falle für selbstverständlich hinnimmt, ohne Ahnung davon, daß nur seine brutale Breite die Carambolage überhaupt veranlaßt hat. Bei
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Veits bist Du nun mit richtig gewachsenen Personen zusammen, die den linken oder rechten Ellenbogen einziehn, um nicht den, dem sie begegnen, zu treffen; sie empfinden das Vorhandensein einer andern, über das ganz gewöhnliche Niveau sich erhebenden Persönlichkeit nicht als einen Affront, sondern als eine Freude, weil sie die Klugheit und die Güte haben, erstlich überhaupt einen andern Menschen gelten zu lassen und zweitens feinschmeckerisch genug sind den Borstorffer von dem Rothenhähnchen oder die Melone von dem Povistkürbis zu unterscheiden. Es giebt einen schönen zweizeiligen Vers von Rückert, den ich früher öfter citirte, jetzt aber in seinem Wortlaut vergessen habe; er läuft darauf hinaus: „... jeder weiß was er kann und soll, und wenn er das erreicht, dann ist sein Glück erst voll." In einer dementsprechenden Lage bist Du jetzt; Du weißt - und warum solltest Du's nicht wissen - daß Du Herz und Verstand auf dem rechten Fleck hast, und vielleicht zum ersten Mal in Deinem Leben, von Vater und Mutter abgesehn (namentlich von erstrem), wird Dir nun das Glück und die Freude zu theil, das an und in Dir bestätigt zu sehn, woran Du glaubtest und gelegentlich nur zweifeltest, wenn andre zu beharrlich ihre Fragezeichen machten. Denn auf die Dauer ist der Macht solcher Fragezeichen nicht zu widerstehn und man wird, nicht demüthig, das wäre etwas Schönes, sondern blos unmuthig und niedergedrückt. Also freue Dich ruhig weiter und schreibe es auch. Es giebt wenig Gegnerschaften im Leben, mit denen man so beharrlich zu kämpfen hat, wie mit der Neidhammelei. Davon kann ich ein Lied singen und in nichts habe ich meinen glücklich sanguinischen Charakter so sehr bewiesen, als in dem Leichtnehmen der Demüthigungen und Unterschätzungen. Nur vergessen habe ich sie nicht. Für mich brechen nun große Tage an, resp. Nächte, denn das „Bankett" beginnt erst um 10 Uhr, d. h. also um 11. Vor 4 Uhr früh werde ich nicht zu Hause sein. Sonnabend und Sonntag sollte ich dann mit der „ornithologischen Gesellschaft" ins Schenkenländchen (Teupitz etc.) was ich abgelehnt habe, dafür aber Montag ins „Ländchen Friesack". Die 5 Ländchen im Havelland heißen: Friesack, Beilin, Glin, Rhinow und Nußwinkel - für künftige feine Tisch ^Unterhaltungen fast so fein wie Pol de Mont, doch ist letztrer noch um einen Grad feiner und ich hätte Dich wohl über ihn peroriren hören mögen. So kommt einem alles mal zu Nutz. Uebrigens weiß ich nicht ob er Mont oder Monts heißt. Empfiehl mich. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 26. Mai 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Gestern früh erhielten wir Deinen Brief und nehmen danach an, daß Du vor Ende Juni nicht wieder hier bist, wenn es nicht noch später wird. Wir stehen so zu der Sache: Du kannst um Deinet= und auch um Veits willen (Unterbrechung der Kur wäre eine Rücksichtslosigkeit gegen diesen) nicht eher fort, als bis Dir gesagt wird: „nun ist geschehn, was geschehn konnte." Wie viel Tage oder Wochen Du dann noch zulegen mußt, ist von hier aus schwer zu bestimmen, einerseits kannst Du nicht unmittelbar nach der Erklärung „Schluß" aus dem liebenswürdigen Hause scheiden, andrerseits bin ich ganz Deiner Meinung, daß man die Kunst des rechtzeitigen Abbrechens verstehn und üben muß. Wir wollen hier in den letzten Tagen des Juni fort, vielleicht wird es aber eine Woche später, denn ich habe noch eine solche Fülle von Arbeit vor mir, daß ich fürchte, den Frühaufbruch nicht ermöglichen zu können. Morgen will ich nun zu Herrn v. Bredow auf Landin ins Havelland und von diesem Hauptquartier aus meine Fahrten auf die Bredowgüter, ungefähr 20, antreten. Ich will froh sein, wenn ich das alles in einer Woche bezwingen kann, wahrscheinlich dauert es länger, da jeder Einzelbesuch doch wahrscheinlich von einem Dejeuner etc. begleitet ist, wo dann halbe Tage hingehn ohne daß von meinem eigentlichen Zwecke auch nur die Rede ist. Es giebt zwei Bredow Linien, eine gräfliche: Bredow-Friesack mit mehreren gräfl: Abzweigungen und eine nichtsgräfliche Linie: Bredow-Bredow ebenfalls mit verschiednen Unterabtheilungen. Ich fürchte, daß ich diesmal nur die erstre bezwingen und genöthigt sein werde, der Bredow=Bredow=Linie erst später meinen Besuch zu machen, vielleicht im September. Das Einschiachten auf einmal wäre mir natürlich lieber, denn dies Vorfahren von einer Schloß=Rampe auf die andre, hat für einen 70er doch sein Unbequemes. Dabei ist das Schriftstellermetier und der Zweck zu dem man kommt, mehr oder weniger verdächtig. „Was will er eigentlich? Da steckt gewiß was dahinter. Solch Berliner Scriblifax kann sich doch nicht für unsre Schafställe interessiren. Kunst? Bilder? Inschriften? Kunst giebt es hier nicht und um das Bild von Tante Rosalie mit ihrer weißen Tüllhaube kann er doch unmöglich kommen." Die märkischen Edelleute sind sehr gute Menschen, aber sie haben den allgemein märkischen Zug des
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Argwohns, der Nüchternheit und des nicht Begreifenkönnens eines reinlichen, über den äußerlichsten Gewinn und Vortheil hinausgehenden Wollens. Da sind die Italiener anders, von denen ich vorgestern auf dem Preßbankett ein gutes Dutzend kennen lernte. Erst gegen 4 Uhr früh war ich wieder zu Hause; was die Italiener sagten, ging weit über das hinaus, was unsrerseits rednerisch geleistet wurde; alles war natürlicher, witziger, liebenswürdiger. Unsre ganze Haltung, so weit die Redner in Betracht kamen, hatte etwas Steifleinenes. Besonders schlimm war Dr. Alexander Meyer, früher Abgeordneter für Breslau, der präsidirte und schließlich auch noch die von Meyerheim gezeichnete Tischkarte erklärte. Er schwögte, wie damals unser Theo auf dem Fest der Zwanglosen und so kam es dann, daß von einem Tisch her „Schluß" gerufen wurde. Nun hättest Du den eitlen dicken Mann mit dem genirten Blick sehen sollen. Er machte eine Kunstpause und suchte den Schlußforderer mit einem Blick unsagbarer Verachtung. Das Schlimmste aber war, daß er nun erst recht noch eine Viertelstunde weiter erklärte. Und das sind dieselben Leute, die sich wundern, wenn Bismarck über ein „Pfui", das ihm zugerufen wird, empört ist, was erst vor 8 Tagen wieder der Fall war. Der Hochmuth, den die Parlamentarier ausbilden, ist etwas Schreckliches. Sie vergessen, daß es nicht 400 politisch[e] Berühmtheiten auf einem Hümpel geben kann. Aber jeder hält sich für einen Mirabeau. - Herausgerissen, unsrerseits, wurde die Sache durch eine Rede, die ein Dr. Elcho hielt, der als junger Mensch unter Garibaldi gefochten, das berühmte rothe Hemde getragen und dann später in Nordamerika den Secessionskrieg mitdurchgemacht hat. Der gab Bilder aus seinem italienischen Leben und erzählte, daß er, mit 3 Lire in der Tasche, von Mailand bis Sicilien gewandert sei; er habe sich immer den Bauernprozessionen angeschlossen und beim Mittagessen auf den Lagerplätzen hätten sich die Bäuerinnen um die Ehre gestritten, ihn bewirthen zu dürfen und hätten ihm zugerufen „favorite mi". Dies und viel Aehnliches machte einen großen Eindruck und weckte mit Recht einen ungeheuren Jubel. Ich aber dachte an die märkische Geschichte „vom kleinen Ei". Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Berlin 8. Juni 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Nur ein paar Worte, theils weil es so heiß ist, theils weil kein rechter Stoff vorliegt; wir pusseln im Hause umher, ich mit der Feder, Mama mit dem Federwisch, sehen nach Thermometer und Barometer (d. h. Mama) versichern uns bis zur Erschlaffung, daß es sehr heiß sei, gehen von 8V2 bis 9Vi auf dem Potsdammerplatz, wo's am freisten ist, spatzieren, trinken unsren Thee und gehen zu Bett. Der gesellschaftliche Verkehr hat beinah aufgehört, keiner mag den andern anschwitzen. Ich bin, trotz Hitze, sehr fleißig, was so viel heißt wie „ich befinde mich ganz wohl." Das Manuskript meiner Gedichte hat Mama heute früh bei W. Hertz abgeliefert, der sehr gnädig war und ihr sagte: „sie sähe aus wie meine älteste Tochter", eine Wendung, die immer wieder Wunder thut. Heute habe ich meinen W. Gentz=Aufsatz angefangen, - es ist fast nur ein Zusammensetzespiel aus Stücken, die ich ihm verdanke; grade dadurch wird er gut werden. Seit 3 Tagen ist er mit Ismail nach Paris, die Frau ist hier geblieben in Folge eines Hand= oder Armleidens. Ihr Arzt erkannte nicht, daß eine Gelenk-Ausrenkung vorlag und wäre nicht noch rechtzeitig der rechte Mann gekommen, der es unter riesigen Schmerzen wieder zurechtrenkte, so verlor sie wahrscheinlich den Arm. Daß es mit Deiner Gesundheit immer noch nicht recht kommen will, ist betrüblich; wir ersehen aber aus Deinen letzten Zeilen, daß das Uebel selbst etwas oft Vorkommendes ist, worin immerhin ein kleiner Trost liegt. Denn das wovor man sich in tiefster Seele zu graulen hat, kommt Gott sei Dank immer nur selten vor. Viel liegt auch wohl daran, daß Du nicht schlafen kannst und das wird denk ich besser werden wenn das Wetter besser wird, d. h. schlechter. „Der häßlichste Mops ist der schönste." Friedel ist morgen nach Potsdam geladen; wohl bekomm's. Ich werde die nächsten Stunden beim Senator auf dem Gartenbalkon verbringen, alle Rütlis (mit ganz besondrer Umgehung unsrer Wohnung) sind jetzt bei ihm. Hoffentlich kommt sie drüber hin, denn an Splendidität rangirt sie noch vor Kr. M. Otto'n begegnete ich neulich und sprach ein paar Worte mit ihm. Er hat doch auch ganz verrückte Augen; eine Schraube ist bei allen los. - Aus dem Havellande habe ich nichts gehört; ich dachte,
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ich würde zur Ausbuddelung Hasso v. Bredows nach Friesack citirt werden, die Citirung blieb bis jetzt aber aus. Bitte, schicke mir das Hans Hoffmannsche Buch in richtiger Verpackung - ich glaube 3 oder 4 Sgr - zurück; ich muß drüber schreiben. Ergebenste Empfehlungen dem hochverehrten Paar und Dir einen Pfingstkuß von Deinem alten Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Ein frohes Pfingstfest wünscht Dir Deine alte Mutter. Jetzt, bei der Nachmittagssonne, sind 33 Grd. in meinem Zimmer! Pa hält sich wundervoll; er schläft u. schmort wie ein kleines Kind, während ich in der Nacht herumwandre u. von einem nap nach Tisch ist schon lange keine Rede mehr. Solche Hitze ist eine Calamität für Menschen u. Vieh. Deine Alte.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 9. Juni 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete Dein liebenswürdiger Wunsch hat sich Dir erfüllt und Dein Brief von gestern lag auf unsrem Pfingstl und Frühstückstisch. - Gewiß schreibe ich nächstens (vielleicht morgen schon) an Frau Geheimräthin; heute nur das: bleibe, so lang es Deine Gesundheit erfordert und gieb dann noch eine halbe Elle zu. Ob das 4 oder 8 oder 12 Wochen dauert, ist ganz gleichgültig. Jenen Eltern=Egoismus, der den Sohn (wie's beim alten Goethe der Fall war) abschreibenshalber im Hause behält, oder die Tochter nicht missen mag, weil sie die Hammelcoteletts am besten brät, diesen Egoismus wenigstens haben wir nicht. Wir wünschen Dir nicht blos Gesundheit, wir wünschen Dir auch Lebensfreude. Von uns also kann bei der ganzen Frage gar keine Rede sein und von Münster noch weniger, - sie sterben Beide nicht, wenn Du nicht kommst, was gegen Niemanden lieblos gemeint ist. Bliebe nur noch Tante Witte. Da liegt es ja schwieriger, aber schließlich ist sie doch, aller kleinen Schwächen unerachtet, eine kluge und gute Frau und bei richtigen Vorstellungen Deinerseits, wobei Lise helfen muß, kann der freudige Generalpardon nicht ausbleiben.
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In dem Quitzow=Aufsatz ist das lange 11. Kapitel, das die Rechtsfrage behandelt, die Hauptsache. Dies kannst Du vielleicht dem Geheimrath, wie von ungefähr - damit es nicht so wichtig aussieht - beibringen. Heute Nachmittag wollen wir uns „unsrem Volk" gesellen und den Schah einziehen sehn. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 25. Juni 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Ich will doch bis Kissingen nicht warten. Ja, ich habe seit Wochen nicht geschrieben, weil, ohne daß ich verstimmt war (wann wäre ich verstimmt!) doch die rechte Stimmung nicht da war und fehlt diese, so fehlt alles, denn unsre Erlebnisse sind sehr klein. Mama macht mir stille Vorwürfe darüber und mitunter auch laute, als ob ich die Sache ändern und durch eine Nachmittagsfahrt nach Treptow oder Stralau die Insel der Seligen wieder herstellen könnte. Doch höchstens eine wie die Böcklinsche, die noch langweiliger wirkt als der Potsdammer S t r a ß e n s Alltagszustand. Mama könnte von mir lernen, wie man Einsamkeit, Stille, Langeweile menschenwürdig zu ertragen hat, wie sie aber in 40 Jahren überhaupt nichts von mir gelernt hat, sondern (vielleicht recht gut) sie selbst geblieben ist, so auch in diesem Stück. Sie verlangt in jeder Minute oder doch mindestens in jeder Stunde das Ideal des Daseins, das es bekanntlich überhaupt nicht giebt, und wundert sich, es nicht einfliegen zu sehn, besonders jetzt, wo doch alle Fenster aufstehn. Daß mich dies alles, ganz kurze Minuten abgerechnet, nur noch erheitert, brauche ich Dir nicht erst zu versichern. Im Uebrigen füge ich gern hinzu, daß ich der armen, abgearbeiteten Frau gern vergnüglichere Tage gönnte, sie hat nun mal ganz den Zug nach kleinem Schnack, Sensation und Medisance und ich wollte täglich 2 Mark (was sie aber auch wieder zu hoch finden würde) in die Armenbüchse thun, wenn ich ihr diesen kleinen Schnack verschaffen könnte. Das kann ich aber nicht, das kann sie nur selber. Sie selber kann es aber auch nicht und zwar nicht blos deshalb, weil alles verstorben oder verreist ist, sondern weil sie, schon nach einer halben Stunde, anfängt kritisch und feinschmeckerisch zu werden und sich nach abermals einer halben Stunde davon überzeugt hält, daß Still-
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sitzen und häusliche Langeweile noch lange nicht das Schlimmste sind. Ich weiß es längst und wenn es zu toll wird, lege ich mich zu Bett. Ich habe mich sehr gefreut, daß Du auf Rolandseck einen so schönen Nachmittag gehabt hast; das ist doch das Schöne, daß der Rhein solche Punkte hat, Punkte, bei denen Name und Geschichte mitwirken. Heine schrieb mal sehr richtig, es ist nicht dasselbe, ob ein Schneidergeselle eine Handschuhmamsell unglücklich liebt oder ein Montmorency eine Lusignan. So ist es auch mit den Namen unsrer Vergnügungsörter: Eierhäuschen, Hankels Ablage, Kaput, - man fühlt ordentlich wie das Vergnügen entzwei geht. Und nun daneben: Rolandseck, Drachenfels, Lorelei. Unkel nähert sich uns schon wieder und Nonnenwerth ist lächerlich. Ich sehe nur Unzüchtigkeiten, wenn ich das Wort höre. Es liegt nicht an Nonne, sondern an einer merkwürdigen den Spott herausfordernden Zusammenstellung. Mama hat Dir das talent epistolare abgesprochen. Ganz mit Unrecht. Ja, was heißt Briefschreibetalent! Es ist damit wie mit allem; eine Norm giebt es nicht. Der kleine Notizenbrief kann sehr nett sein und ich kann mit Vergnügen lesen, daß der Kanarienvogel bei Herrlichs (dies ist aber bios Supposition, ich will dem Thierchen nichts nachreden) zwei Eier ausgebrütet hat, oder daß Fips geschoren wurde, erst halb und dann ganz, oder daß die Mackeldeyschen Mamsells es abgelehnt haben, ein „schieres" Carbonadenstück zu verkaufen und jetzt auf ruhige mit Knochenhinnahme bestehn, - aber ich kann doch nicht zugeben, daß diese Form der Briefschreibung die allein seligmachende Kirche sei. Dabei fällt mir ein kl. Erlebniß ein, daß sich hier paßlich einreiht. Ich ging gestern heimlich (was dann auch später monirt wurde) zu Mey & Edlich, um mir einen kleinen schwarzen Sommerrock für 10 Mark zu kaufen. Was auch geschah. „Aber wird er passen ?" ,,,Ο, wir werden gleich sehn.'" Ich nahm das als eine Aufforderung, was es auch war, mußte in der Haltung der jungen Dame aber doch irgend eine mich dirigirende Bewegung übersehn haben, denn als ich jetzt Miene machte, mich in conspectu omnium und im Bewußtsein eines eben erst angezogenen schneeweißen Hemdes, meines schwarzen Tuchrocks entkleiden wollte, traf mich ein Angstblick, der etwa ausdrückte: „mein Herr, dies ist keine Bade«Anstalt." Ich folgte ihr nun beschämt durch allerhand lange dunkle Corridore, bis ich endlich an einen männlichen Schneider abgeliefert wurde. Nun aber komme ich auf mein Thema zurück und sage, man kann auch sein talent epistolaire - bei dem ich beiläufig nicht weiß, ob es sich mit oder ohne e schreibt - in Reflektionen,
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philosophischen Betrachtungen, Bildern, Vergleichen, Angriffen und Verteidigungen zeigen. Also schreibe ruhig so weiter; würdest Du von der Beschaffenheit der Bonner Semmeln, von dem Nichtvorhandensein eines guten Biers und der Grobheit eines gestern entlassenen Dienstmädchens schreiben (also, namentlich das letztre, wahre Musterthemata) so würde Mama beim dritten Briefe derart sagen: „ich finde, Martha versimpelt recht." Denke, was über den armen Theo oder gar seine Frau alles gesagt worden ist. Verbrenne diesen Brief aber, damit er nicht Theon durch ein leidiges Ungefähr in die Hände fällt. Und ich möchte um Gottes willen durch solche hingeworfene Bemerkung, an der ich noch dazu unschuldig, eine neue Verkühlung eintreten sehn. Heute muß ich noch einmal ins Theater und schreibe gleich am Abend ein paar Zeilen; morgen früh will ich nach Lichterfelde hinaus und übermorgen (Donnerstag) nach Kissingen, diesmal ich als Quartiermacher, was kein Vergnügen, denn das Gewählte, was es auch sei, wird kein „Ideal" sein. Es ist aber schon immer was werth, in solchen Dingen klar zu sehn. - An Lessing habe ich vor ein paar Tagen geschrieben und meinen Wunsch eines Rücktritts aus meiner Theaterstellung ausgesprochen. Ich muß nun abwarten, was draus wird; ganz möchte ich aus dieser mir sehr angenehmen Ze/iMMgsstellung (im Gegensatz zu Theater) nicht heraus. - Der Druck meiner Gedichte schreitet ziemlich rasch vorwärts; der 3. Bogen enthält zwei Gedichte auf George, ich glaube aber, daß sie Mama noch nicht gelesen hat, was mir sehr angenehm ist; sie kann es von ungefähr lesen, wenn ich fort bin. Jetzt kommen nun die „Nordischen Balladen" an die Reihe, die mir viel Spaß machen und die ich an Heyden schicken will, um ihm zu zeigen, daß Julius Wolff grade als Romantiker nur ein öder Nachtwächter neben mir ist. Und nun geh es Dir gut und empfiehl mich dem hochverehrten, geheimräthlichen Paar. Wie immer Dein alter Papa. 206
Theodor Fontane an Martha Fontane Kissingen 15. Juli 89.
Meine liebe Mete. Ich habe seit Menschengedenken nicht an Dich geschrieben und will doch noch vor Deiner Abreise von dem für Dich so herrlichen Bonn ein Lebenszeichen von mir geben. Es macht uns glücklich, daß
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die Nachrichten von Dir - wenn nicht noch die letzten Tage sich blamiren - andauernd gute sind und die Hoffnung erfüllt uns, daß Du Deine Berliner Wintertage, wenn nicht in felsenfester Gesundheit, so doch bei leidlichem Wohlsein verbringen wirst. Hoffentlich kann ich von mir dasselbe sagen, denn ich werde meine Kräfte nicht blos bei meiner Arbeit (die Korrektur des für die Rundschau bestimmten Romans) sondern auch für den 30. Dezember und seine Environs gebrauchen. Nicht als ob ich der Erwartung großer Feierlichkeiten lebte, ganz im Gegentheil, es wird sich alles in „kleinem Stil" halten, wie eben alles in meinem Leben, aber auch schon das Landläufige, das bei jedem alten Bäckermeister oder Rechnungsrath sich Wiederholende, bedrückt mich und geht über meine Kräfte, speziell auch über meine Begabung hinaus. Ich habe deshalb auch schon den Entschluß der Passivität gefaßt; ich werde alles ruhig und freundlich lächelnd über mich ergehn lassen und einige Dankesworte, die jede Rednerei vermeiden, vor mich hinbremmeln. Man wird das dann wahrscheinlich etwas wenig finden und von langweilig und unbedeutend sprechen, aber es ist immer noch besser als Feierlichkeit und Steckenbleiben und jedenfalls ist nach 3 Tagen alles vergessen. Da wähle ich denn das mir Natürlichere und Bequemere. Wir leben hier sehr angenehm und sehr bevorzugt, weil wir in der Lage sind, mit etwa einem Dutzend Menschen uns verabreden und unterhalten zu können: Frau Dr. Frenzel (jetzt fort), 4 KrigarMenzels, Frl. Clara Meyer u. Schwester, Hofschauspieler Sauer und Frau (eine Ungarin; sehr nett, rassevoll) ein Medizinalrath aus Königsberg, der vor 28 Jahren Menzels Brunnenarzt in - Freienwalde war, Direktor Grunow und ein Geh. R. v. Soltau aus dem Hofmarschallamt; mit den beiden Letztren essen wir zusammen. Ueberblickt man den Zustand, in dem ganz ersichtlich die Andern leben, darunter die Reichsten und Vornehmsten, so ist dies ein großes Glück, - den Meisten steht die grenzenlose Langeweile, die sie leiden, aufs Gesicht geschrieben und sie zählen trotz Glanzentfaltung und Ziererei die Tage wo sie dem glänzenden Bade=Elend wieder entfliehen können. Eine Ausnahme macht nur die niedre Judenschaft; die höhere vermeidet Annäherungen an die Christen um sich keinem Abfall auszusetzen und an ihre Glaubensgenossen erst recht. Sie kennen sich zu gut untereinander. Auf einem großen Bogen habe ich allerhand kleine Anekdoten etc. für Dich aufgeschrieben, aber nachdem sie nun fast 14 Tage gelagert haben, erscheint mir ihr Werth doch wieder zweifelhaft und einer Doppelmarke nicht recht würdig. Heute hatten wir eine Karte von Martha
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Robert, nett und freundlich, aber nicht viel. Theo schweigt, Friedel schickt dann und wann eine Karte, aber doch auch spärlich. Trotzdem haben wir eine große Korrespondenz und schon 50 bairische Marken verbraucht; für 17 Tage auch eigentlich nicht zu viel. Meine Gedichtecorrektur hat mir viel Mühe gemacht, weil zufällig die neuen, noch ungedruckten Balladen an der Reihe waren. Von jetzt an wird es leichter gehn. Empfiehl mich dem hochverehrten Hause, dem Du und wir so viel verdanken. Mama grüßt und küßt Dich. Ergeh es Dir gut. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Kissingen 24. Juli 89.
Meine liebe Mete. Auch ich beklage, daß Du nicht voll bei Wege bist und mehr oder weniger am Magen laborirst. Ich denke, die frische Brise von Warnemünde und Dein altes Element: das Wasser, werden die kl. Magen- und Nervenverstimmung wieder wegspülen. Mama hat schon von Cognac etc. geschrieben, sei vor allem auch viel draußen, in frischer Luft, Münster soll ja herrliche Promenaden und Kaffegärten haben, Kaffegärten in denen man natürlich Bier trinkt. Und Bier ist ein Roborans. Wenn Du diese Zeilen erhälst, gehen Deine Münsteraner Tage schon wieder auf die Neige, nichts hat Dauer und ein Glück für Dich, daß der Wechsel der Dinge immer neues Gutes für Dich heraufführt, hier dies, dort das, der Schinken sinkt und die Flunder steigt herauf. Du schreibst nur von eurem häuslichen Leben; sind denn die Puchsteins und Bammes ausgestorben, ohne würdige Nachfolge zu hinterlassen? Aus Berlin hören wir wenig; zuletzt hat sich Friedel zu einem etwas fabelhaften Brief verstiegen, der weder vom 4. Gebot, noch von Knigges Umgang mit Menschen eingegeben war. Geschmacksausbildung ist viel und der aesthetisch Gebildete, wenn er's wirklich ist und nicht blos die Maske davon trägt, ist doch der Sieger im Leben. Von diesem festen Punkt au[s] wird dann das selbstisch Widerstreitende erobert, früher oder später, leichter oder schwerer. An George konnte man dies studiren. Der Egoist ging mehr und mehr in der Erkenntniß dessen, was schön und anständig ist, unter, ein wahrer Triumph des aesthetischen
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Prinzips. Von einem vor 2 Tagen von Friedländer erhaltnen Briefe lege ich den ersten Bogen zu Deiner Erheitrung bei; die Geschichte vom „Eisenhammer" ist ganz ausgezeichnet und mir ein neuer Beweis, daß diese verdrehte Schraube (er, Richter) doch der Bemerkenswertheste von der ganzen Gesellschaft ist und war. Ein Original; die andren Dutzendware, jüdische oberflächliche Breslauer. Habe gute Tage, thu was für den Magen (starken Thee mit Cognac) und grüße und küsse Theo, Martha, Otting. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Kissingen 3. August 89. Meine liebe Mete. Sei froh, daß Du heil in Warnemünde bist, bei Liebe, Wasser und guter Verpflegung. Du wirst Dich nun rasch erholen, nicht blos von Münster, sondern auch von Bonn, das so schön es war, doch auch 'was von einer Anstrengung hatte. Von Theo hatten wir am letzten Montag einen Brief, noch geschrieben während Deines Münsteraner Aufenthalts; wir schließen diesen Brief bei. Mama und ich sind über das opus verschiedner Meinung; Mama findet ihn ganz unbefangen, ich durchaus nicht, muß aber einräumen, daß er ungewöhnlich gut, klug und in höhrem Sinne „gebildet" abgefaßt ist. Jedenfalls ist ihm nicht entgangen, daß alles nicht recht stimmte und daß Deine Verstimmung nicht blos gastrisch, sondern auch seelisch war. Nur was diese seelische Verstimmung verursachte, das wird er kaum ahnen, ist auch zu viel verlangt. Im Wesentlichen ist jeder mit sich und seinem Hausstand zufrieden und findet das Normalmaß für die Dinge in sich selbst. Bei beßrer Körperverfassung würdest Du übrigens über vieles leichter hingekommen sein. Es war ein Pech für Dich aber auch für Theo. Dienstag wollen wir nun fort und zwar direkt zurück, alle Pläne, die sich abwechselnd auf München, Partenkirchen, König Ludwigs Zauberschlösser, Oberhof, Eisenach, Weimar richteten, sind aufgegeben. Zwar habe ich mich - nach einem starken Deprimirtsein in voriger Woche - wieder leidlich erholt, aber eine gewisse Reisemüdigkeit ist doch geblieben und allen Plänen gegenüber begleitet mich die Frage: „was soll der Unsinn", eine Frage, die überhaupt ganz und gar von mir Besitz zu nehmen droht. Zu nichts gehört so
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viel Kraft und Frische wie zum Vergnügen (viel mehr als wie zum Arbeiten) und von dem Augenblick an, wo diese Kraft und Frische nicht mehr da sind, sehnt man sich mehr nach dem heimischen Bettzipfel, als nach den Schlössern König Ludwigs oder Ausstellung oder Turnerfest. Wir haben es hier sehr gut getroffen, Hausaufenthalt vorzüglich, alles sauber, freundlich, nett und nicht zu theuer, dazu Bekannte verschiedenster Art, dennoch bleibt, namentlich beim Mittagstisch, viel zu wünschen übrig, und wer diese 4 oder 5 Wochen in einem minder guten Hause, oder wohl gar in einem anspruchsvollen Hôtel mit unverschämten Oberkellnern und im Uebrigen fremd und einsam zubringen muß, für den ist solch Aufenthalt eine wahre Tortur und die beste Brunnennixe kann weder mit ihrem Glauber- noch Bittersalz all den 'runtergeschluckten Aerger aus Leber und Galle wieder herausfegen. Im Ganzen muß ich doch bei meinem alten Satz bleiben: das Reisen ist nur für sehr reiche und in Folge ihres Reichthums reisegeübte Leute; die „kleinen Leute" dürfen nicht reisen, sondern müssen in Schmöckwitz oder auch in Zinnowitz einen „Sommeraufenthalt" mit Bettsack und Schmortopf nehmen und sich selber kochen. Daß es uns hier so gut geglückt, ist ein halbes Wunder. Natürlich spielt auch der Charakter eine Rolle bei dieser schwierigen Frage. Wer grob ist und auftrumpfen kann, fährt besser; aber ich kann es nun nicht mehr lernen. Ueber unsre Bekanntschaften hier: Direktor Grunow mit Anhang, Hofschauspieler Sauer mit Familie, Fräulein Clara Meyer und Anbeterschaar, so wie vor allem über Menzel-Krigars, schreibe ich Dir mal von Berlin aus. Grüße Tante Witte und alles was ihr anverwandt und zugethan ist, desgleichen die beauté unsres Namens, der ich es von Herzen gönne, daß sie mal auf ihre Kosten kommt. Sei nur recht nett zu ihr und nicht zu kritisch; Gott, sie hat weiter nichts, - eine hübsche junge Frau, die auf Techtelmechtel und Toilette hin erzogen ist. - Ueber meinen Bayreuther Aufenthalt geben die beiliegenden Briefe, die ich vor 8 Tagen an Mama schrieb, Auskunft. Wie immer Dein alter Papa. Vor 4 oder 5 Tagen war mein Tischnachbar im Englischen Hof der Präsident des mecklenb: Oberkirchenraths aus Schwerin, ich glaube Kayser, ein 80 jähriger sehr liebenswürdiger alter Herr, mit dem ich viel über Witte und überhaupt über Mecklenburg sprach. -
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 13. Aug. 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Lange habe ich nichts von mir hören lassen und ich schwiege auch heute wohl noch, wenn nicht Tante Witte über Dein Befinden geschrieben und uns mitgetheilt hätte, daß Deine seelische Verfassung immer noch ziemlich mau sei. Das klingt nicht gut und Mama hat sich bis zu Thränen verstiegen, was ich nur halb in der Ordnung finde, höchstens halb. Schließlich ist alles zum Weinen, das Heitre (warum sind sie nur so heiter?) erst recht und der christliche Liederdichter, der anfing „ich bin ein rechtes Sündenaas", woran sich dann ähnliche Betrachtungen anreihten, hatte mit seinem Anfang und seinen Fortsetzungen vollkommen recht. Aber in der Regel sieht man die Dinge weniger schwarz an, oder legt sich das Schlimme zum Besseren zurecht und weint nur wenn es ganz „doli" kommt oder einem allerschmerzlichst und zum Aufschrein auf die Nägel brennt. Und so, find' ich, liegt es nicht mit Dir, daß von einem „ganz doli" die Rede sein könnte. Du bist eine nervenkranke Dame, etwas nicht sehr Erfreuliches, womit man sich aber einleben kann und muß. Ich bin zeitlebens ein nervenkranker Mann gewesen und es hat auch gehen müssen und ist gegangen. Man muß die Kunst lernen und ausbilden, mit halber und viertel Dampfkraft zu arbeiten und muß sich daran gewöhnen, immer nur stunden^ oder tageweis Disposition über sich zu haben. Ist man erst darauf eingefuchst, so lernt man diese guten Stunden ausnutzen und schafft durch weise Oekonomie schließlich dasselbe zusammen, wie die Kraftmeier und Schlagadodrogs. Ich denke, so wird es auch mit Dir sein. Aller Abattu'schaft zum Trotz, hast Du schon ein gut Stück im Leben geleistet und wirst es ferner; es braucht ja nicht jeder um 3 Uhr früh aufzustehn und 15 Stunden Steine zu klopfen, man kann sich auch anderweitig im Leben nützlich machen, mancher blos dadurch daß er da ist, durch Freundschaft, Treue, Liebenswürdigkeit, - alles ohne Anstrengung, ja am schönsten dann, wenn man das alles ohne Anstrengung leistet. Und indem ich dies alles als eine lange Standrede gegen Mama und ihre Thränen halte, spreche ich Dir selber vielleicht einen kleinen Trost in's Herz. So lange man lebt, hofft man und darf auch hoffen; es kommt immer anders und wenn sich unsre sehnsuchtsvollen Wünsche nicht immer erfüllen (oder eigentlich nie) so erweisen sich auch unsre Befürchtungen als
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ungerechtfertigt. Es wird schon alles wieder werden, nicht zum Heldisch s Gesundheitlichen aber doch zum momentan Glücklichen hin. Und viel mehr darf keiner verlangen. So schön Bonn war, so ist es mir doch vollkommen klar, daß dieses heiße Nest in diesem unerträglich heißen Sommer nichts sonderlich Gesundes für Dich war; es wird auch, trotz des rasch fließenden Rheins, an Malaria nicht gefehlt haben; wo Sonne auf Uferränder fällt, ist sie immer. Wir sind Beide für Krummhübel - nur nicht „Villa" Schiller geschaffen. Immer Kopf oben. 1000 Grüße. Dein alter Papa Ich war heute schon draußen in Lichterfelde, - Mama will morgen hinaus. Der Epheu wächst jetzt gut und der schöne schwarze Stein mit Gold - der Einigen anfangs nicht „monumental" genug war - hat bereits mehrfach Nacheiferung gefunden. Es ist auch sicherlich das Beste, wenn man nicht ein Mausoleum bauen läßt mit dem beständigen Zuruf (eine Hauptgeschichte von Richard Lucae) „nur fest". Die schöne Dame - Frau des reichen Banquiers Wagner (Wagnersche Galerie) fürchtete nämlich, er könne wiederkommen und wollte dies nach Möglichkeit hindern. Daher „nur fest".
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 19. Aug. 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Friedel hat gestern Abend noch treulich berichtet; er ist kein großer Reporter und rangirt erheblich hinter William Russell und L. Pietsch; trotzdem war es genug, uns wissen zu lassen, daß es so leidlich mit Dir geht oder wie unser alter George in Magdeburger Leutnantssprache zu sagen pflegte: „halb fett." Im Ganzen genommen, ist vom Leben nicht mehr zu verlangen; mehr ist Zugabe. Friedel, der gestern alles kurz abzumachen hatte, konnte auch bei uns nur eine Stunde bleiben; er mußte noch auf den Anhalter Bahnhof, um seinen Freund u. Compagnon Lewy nach Wittenberg hin fortzuschaffen. Eigentlich war es recht gut so, denn es giebt wenig Menschen, die, über eine Stunde hinaus, noch irgend 'was Neues sagen können. Und wenn schon Hebbel von den Produktionen eines ganz leidlichen Dichters sagen durfte: „Doubletten haben
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keinen Werth in der Kunst", so darf man von Berichterstattungen, die, wenn's Röhrwasser ausbleibt, noch mal von vorn anfangen, mindestens dasselbe sagen. Ich war - um sofort selbst in den Fehler einer Wiederholung zu verfallen - (denn Du wirst wohl durch Friedel und Mama bereits davon wissen) am Freitag und Sonnabend in Mecklenburg, erst in Dobbertin, dann in Ludwigslust. An beiden Plätzen ging es mir gut, und es ist mir sehr lieb, mir diesen Stoß gegeben zu haben. Mama verlangte anfangs, ich sollte auch nach Warnemünde reisen, wenn ich es nicht thäte, so sei das schmerzlich für Dich und beleidigend für Witte's. Es ist unglaublich, welches Kolossalquantum von Naivität die alte Frau noch mitunter aufbringt. Wenn ich mir zusammenrechne, was da gestern alles in Warnemünde versammelt war, um an der Friedrich-Karl'schen Abschiedsbowle theilzunehmen, so erfaßt mich ein Bangen, wenn ich mich auch noch als plötzlicher Banquo aus der Versenkung auftauchen sehe. Nur keine Gemüthlichkeiten! Das Zeitalter, wo man sich „freudig überraschte" ist dahin. Long ago. - Heute haben wir lange Briefe nach Ems hin an Zöllners geschrieben und morgen werde ich an meine neuen Freunde, die Bredows, schreiben, um mich für die letzten Augusttage bei ihnen anzumelden. Ein Glück, daß der Häupter dieser „Bredow=Bredows" (im Gegensatz zu den Friesackschen Bredows) unmittelbar vor mir und noch dazu mit Frau in Kissingen war, so daß für Gesprächsstoff wundervoll gesorgt und sogar - dies freilich von zweifelhaftem praktischem Werth - für eine Art Ebenbürtigkeit gesorgt ist. Denn man soll nicht ebenbürtig sein. Das ist der Punkt, um den sich's dreht. - In Dobbertin traf ich außer dem alten Bestand noch ein relativ jugendliches Fräulein v. Rohr (Nichte) so wie ein Fräulein v. Hobe, zu denen sich, als Dritte im Bunde, den Tag darauf Anna v. Below gesellte. Das heißt in verbleibender räumlicher Entfernung. Alle kirchlich, alle fromm. Ich hatte von dem ganzen Kram einen wehmüthigen Eindruck; alle drei sind wenig glücklich und machen nun christliche Puppen für die Wilden in Afrika, schreiben traktätchenhafte Geschichten oder haben den Verschleiß davon und laufen in ihre öden Suppen= oder warme Leibbinden=Vereine, um einen langweiligen alten Pastor oder einen noch langweiligeren jungen eine christliche Ansprache halten zu hören. Ich will Niemanden in seinem Glauben und seiner Andacht stören, aber die ganze Geschichte - für die ich übrigens nur Mitleid, keinen Spott habe, denn mir thun die armen Menschenkreaturen zu leid - widerstreitet meinem Sinn, meiner ganzen Anschauung da-
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von, wie ein Leben sein muß, so total, daß ich sogenannte tolle Lebensformen aesthetisch vorziehe, wenn ich sie auch nicht in der Familie haben mag. Selbst die Beobachtung eines Unglücks oder schwerer seelischer Kämpfe, hat in der Erscheinung nicht das niederdrückend Langweilige für mich, was diese stillen Pastor=Ansäuslerinnen für mich haben. Wie unendlich überlegen ist uns der Katholicismus auch auf diesem Gebiet; eine frische, freudige, gesunde Nonne ist etwas Herzerquickendes, solche arme Quidipse aber, deren Dasein mit Oranienstraße 105 anfing und mit Oranienstraße 106 aufhört, ist zum Weinen. - Ich schließe diesen Zeilen einen Fritz Mauthnerschen Brief bei, der Dich vielleicht interessiren wird. Eine Nummer der „Frankfurter Zeitung", mit einem famosen Feuilleton von Guido Weiß gebe ich gleichzeitig unter Kreuzband zur Post. Hebe die Nummer auf oder schicke sie bei Gelegenheit zurück. Der Aufsatz ist ausgezeichnet, was ich sagen würde, auch wenn ich gar nicht darin vorkäme; wir befinden uns über so vieles in unsrem künstlerischen, politischen, ja, auch wissenschaftlichen Leben („deutsche Wissenschaft"; nieder mit jedem, der da nicht ehrfurchtsvoll erbebt) in einem so tiefen chauvinistischen Irrthum, daß es einem ordentlich wohl thut, diese Dinge mal von einem freiren Geist beurtheilt zu sehn. Grüße Tante Anna herzlichst; Onkel Witten sehen wir wohl bald. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 28. Aug. 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Deine Briefe sind uns immer eine Freude, besonders wenn sie leidlich Gutes über Dein Befinden melden; der heutige war es mir noch im Speziellen, weil ich wegen meines deutschen Aufsatzes „der Dichter und der „Ort" doch meine Bedenken hatte. Nicht aesthetische und noch weniger moralische, sondern so zu sagen „Erfolgbedenken"; man schreibt doch dergleichen nur, um dem Empfänger eine kl. Freude damit zu machen, mit solcher Freude steht es aber schwach, wenn der Eintreffemoment kein glücklicher ist und das fürchtete ich fast nach Lesung Deiner vorgestrigen Karte, die von Wohlbefinden nicht viel wissen wollte. Wohl mir, daß sich meine
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Befürchtung nicht bestätigt hat. Du sprichst von „a romance in blank verse" und so was war mein Brief auch, insoweit ich meine 2 tägige Situation in eine humoristisch höhere Sphäre zu heben suchte, sonst aber darf ich inhaltlich versichern: es ist alles die reine Wahrheit, auch keine Spur übertrieben, Zugabe ist nur das nachträgliche sich Drüberstellen, die Selbstpersiflage; - die beständige Verlegenheit, mein Angstgefühl und in Folge davon die große Nervenanstrengung sind wirklich so gewesen, wie ich sie geschildert habe. Das alles ist zum Lachen, aber doch wirklich auch zum Weinen; es ist dieselbe Macht der Vorstellung, dasselbe krankhafte Vorherrschen des Phantasie==Einflusses, den Du (leider gesteigert) nur zu gut kennst und wovon ich vor 4 Wochen in Bayreuth ebenfalls eine glänzende Probe gegeben habe. Und da wären wir denn bei der Hauptsache: bei Deiner Krankheit, Deinen Zuständen. Denn es ist dieselbe Couleur in grün. Was sich nun herausstellt, habe ich es Dir nicht immer gesagt? Du dachtest dann, der Alte will es von sich abschütteln, will es sich bequem machen. Es war aber nicht so. Natürlich konnte ich gegen die Kur in Bonn nichts haben, preise es auch, daß sie stattgefunden hat, denn sie hat nun Dich und Andre belehrt, daß die Hauptsache ganz wo anders liegt. Du bist hochgradig nervös (was etwas ganz andres und viel weniger Schlimmes ist, als „nervenkrank") und mußt neben einzelnen Vorzügen, die daraus erwachsen und die vielleicht auch nicht ganz gering sind, die Nachtheile tragen lernen. Zu Zeiten mag dies riesig schwer sein und fast unmöglich erscheinen, es ist aber doch schon eine Hülfe, wenn man sich, auf 50fache Erfahrung gestützt, sagen kann: „das sind Anfälle, schwere, schreckliche, aber sie gehen vorüber wie Zahnweh", wie Zahnweh, das einen auch rasend machen kann. Du mußt Dich damit setzen und ohne zuviel darüber nachzudenken, was umgekehrt eine große Gefahr ist, einfach ausprobiren, was zu thun ist, um den Sturm, wenn er kommt, nach Möglichkeit zu brechen. Mama, bei der nicht bildlich von Sturm zu sprechen ist, sondern von einem wirklichen Blasius, hat sich in beinah virtuoser Weise damit eingerichtet: sie setzt sich ans Fenster, sieht dem Unwetter ins Gesicht, strickt, ißt nichts und trinkt eine Flasche Moselwein. Solche Hausmittel mußt Du auch ausfindig machen, worin wir Dir, wie Du weißt, gern an die Hand gehn; Du kannst Einsamkeit suchen und Menschen suchen, Du kannst zu Mama ins Bett kriechen und kannst zu Tante Witte reisen, Du kannst Aethertropfen nehmen oder einen halben Schinken aufessen, Du kannst stumm sein oder peroriren, drei
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Stunden spatzieren gehn oder mit Frau Sternheim frühstücken, das eine oder andre dieser Mittel pflegt immer zu helfen, nicht viel, aber ein bischen, und dies bischen ist oft schon genug, einen unleidlichen Zustand in einen ertragbaren umzuwandeln. Ergebung und sich ausstudiren, philosophische Betrachtung und Pflichtgefühl und Bildung und Liebe, die, während man an andre denkt, vom eignen Ich abzieht, das sind keine Radikalmittel, aber - Hülfsmittel. „Und das Leben besteht aus Hülfskonstruktionen" sagte Richard Lucae.
Gestern war Tante Jenny hier, fünf Stunden nach der Uhr von Shrewsbury, von 5 bis 10. Von 5 bis 7 hielt ich Stand, dann las ich in meinem Zimmer Zeitungen von 7 bis 8Vz und von 8V2 bis 10 war dann wieder Schlußsitzung beim Thee. Sie war von so glänzender Beredtsamkeit, daß mir die 3Vi Stunden, die ich mit „auf dem Plan" war, nicht lang geworden ist. Zwei Stunden erzählte sie von alten Zeiten aus Swinemünde, dann anderthalb Stunden von Karlsbad, Friedrichsroda, Badebekanntschaften, von ihrem Vicar of Wakefield (der immer schlecht wegkommt und als Kommißknüppel über die Scene schreitet) von Kurt und seiner Geliebten und seinem Pferdesport, auch von Paul der nun doch wohl noch nach Amerika eingepackt werden wird und von Max in Woldenberg, mit dem es auch nicht gut stehen soll. Natürlich alles nur ich, ich, ich, und jenes erweiterte „ich", das sich „Familie" nennt und noch bedrücklicher wirkt, als das einfache „ich", dem man, weil man selber ein „ich" ist, schon ein bischen was zu gute hält. Aber die Vortragsweise war so virtuos, so reiz= und lebensvoll, so menschlich acht, so muthig, so phrasenlos, daß ich doch ein Gefühl der Bewunderung nicht unterdrücken konnte. Vom Standpunkt höherer Moral, landläufiger Bildung und feinerer Sitte, muß ich dies alles verwerfen, ja schrecklich finden, vom Standpunkt des Künstlers und Novellisten aus, den lebendige Gestalten entzücken, war es der reine Zucker. Nichts öde, langweilig, alles quietschte nur so. Nur darf man sie nicht unterbrechen, dann ist der Zauber gebrochen. Heute Nachmittag traf ich beide Jennys, Mutter und Tochter, vor Blankensteins oder des furchtbaren Schasse Thür, und als dritte im Bunde: Minna v. Klöden, Minna Krause, meine alte Liebe vor nun 52 Jahren und noch länger. Denn es ging mir ähnlich wie Lepel, der, auf die Frage wann er zuerst geliebt habe, wehmüthig antwortete: in meinem 4. Jahr. Anno 37 kam Minna Krause mit ihrer noch schönen, höchstens 36 Jahr alten Mutter (denn sie hatte sich mit 15
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Jahren verheirathet) aus dem „Oberon" und ich stand im Vorflur des Opernhauses und wartete auf Beide; Minna trug einen schottischen Mantel, eine Boa von Fé und einen eleganten weißen Atlashut, sah auch noch verklärt aus durch „ O, Huon, mein Gatte, - nun, kurz heraus, jeder Zoll eine Prinzessin, eine Fee in Fé, vielleicht auch eine Schlange in Boa, was nur den Reiz steigerte, - heute sah ich eine alte Backebeere, mit unglaublich wenig Zähnen und unglaublich viel Runzeln. Ich freute mich aber doch. Dabei nannte sie mich mit der größten Unbefangenheit „Du", was mich gradezu rührte, denn man bleibt ein Schaf. Und nun lebe wohl, grüße Tante Anna und das junge Volk. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 1. Sept. 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Du wirst diesmal im Bade zugleich unter die Douche genommen, unter die Briefdouche von hier aus. Mama ist bei Tante Jenny, selbst Mathilde Einzahn ausgeflogen, und so benutze ich die stille Schummerstunde, die Sonntags noch stiller und schummriger als gewöhnlich ist, um Dir von einem Besuch zu erzählen, den ich heute hatte. Ein Herr, Verf. eines hübschen kleinen Artikels, den ich beilege, hatte gehört, wie gut mir sein Artikel gefallen habe und meldete sich für heute Mittag 12 Uhr an. Pünktlich war er da und Mathilde, mit dem bekannten unbezahlbaren Gesicht voll Schlauheit, Drüberstehn und Dienstlichkeit, erschien, um mir zuzuflüstern: „er ist da." Ich war schon gestiefelt und gespornt und trat ein, um ihn mit der bekannten virtuosen Einladebewegung zum Platz nehmen aufzufordern. „Mein Name ist Flatow, Siegmund Flatow. Sie haben die Güte gehabt, Herrn S. ein freundliches Wort über meinen Artikel zu sagen; ich danke Ihnen. Ich würde froh sein, wenn ich öfter Aehnliches schreiben könnte; solche kleinen harmlosen Artikel mit etwas Fr. W. III. oder IV. richten mich immer auf; sie haben etwas Feines, Unschuldiges, man hört in ihnen kein Geldgeklimper, nichts von dem Federgekritzel einer Wechselunterschrift, mit einem Wort alles ungeschäftlich, alles nobel, alles wohlthuend."
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Während er so von seinem grünen Fauteuil aus perorirte, hatte ich Muße ihn zu mustern. Er war groß, stattlich, schwarz, der starke Schnurrbart leis angegraut, 50 er, alles in allem ein Zuavenoffizier in Civil, gar nicht Jude, ganz französisch, nervös, bilös, fahle Gesichtsfarbe, stechende Augen, etwas unheimlich und doch gewinnend gemüthlich und amüsant, so wie er sprach. „Ja, Herr Flatow, Sie haben ganz Recht, solche kleinen Arbeiten thun einem wohl; aber ich bin doch überrascht, Sie das so ganz besonders betonen zu hören. Schließlich ist eine kleine journalistische Arbeit wie die andre, man kriegt sein Honorar, mal gut mal weniger gut, und freut sich seines Lebens, so gut man kann." „Ja, das sagen Sie, Herr Fontane, der Sie den eigentlichen Betrieb nicht kennen; der eigentliche Betrieb ist doch unter Umständen ein schwierig und bedrücklich Ding." „Zugegeben. Aber was nennen Sie Betrieb? was betreiben Sie?" „Ich bin Reclame-Novellist, zunächst im Dienst des Berliner Tageblatts, aber auch andrer Blätter, eigentlich aller Blätter. Sie werden mich, wenn Sie drauf achten, auch in der Vossischen finden. Die 1. Spalte der vierten Beilage ist für mich ein für allemal reservirt. Sogar kontraktlich. Meinen Artikeln ist ein S. F. vorgesetzt, daran können Sie mich erkennen." „Ich werde darauf achten. Aber nun sagen Sie mir um Gottes willen, Herr Flatow, was ist Reclames Novellist? Was soll das heißen? Bedeutet es einen Novellisten, der sich durch Reclame hält oder berühmt macht?" „O Gott bewahre. Nicht das Geringste davon. Ich könnte sagen, das Gegentheil. Der Reclame=Novellist denkt an allen möglichen Ruhm, nur nicht an seinen eignen; der Reclame=Novellist ist nur der höchste Bedienstete des Inseratenchefs und die höhere Form des Inserats, so zu sagen der kunstvolle, sich einschmeichelnde Ausdruck desselben, das ist Sache des Reclame=Novellisten, meine Sache." „Können Sie mir ein Beispiel geben?" „Mit Vergnügen. Ich greife meine letzte Leistung heraus. Leipziger-Straße; Quincaillerie s Geschäft, unächter Schmuck, Welthandel. Ich mache dem Chef des Hauses meine Visite. „Sie inseriren fleißig bei Mosse; wollen Sie's nicht einmal mit einer Reclame-Novelle versuchen? Es ist wirksamer. Unter Umständen ergeben sich stupende Resultate. 150 Zeilen genügen, 150 Zeilen à 60 Pfennig Insertionsgebühr. Sind Sie damit einverstanden?" „Ja." Nach dieser Vor=Verhandlung beginnt nunmehr meine literarische Thätigkeit. Ich gehe nach Haus und schreibe die Novelle.
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Die Novelle zur Verherrlichung vorerwähnten Quincaillerie=Geschäfts beginnt am Vierwaldstädter=See; Luzern, Zürich, Solothurn. Held der Geschichte: Rechnungsrath Brösicke und Frau. Fahrt über den Bodensee. Landung auf deutscher Seite, Lindau oder Friedrichshafen. Geschärfte Zollplackerei; jetzt Modesache (darauf kommt es an) weil täglich dergleichen in den Zeitungen steht. Die Räthin wird als Defraudantin entlarvt, fällt vor Schreck in ihren eignen Koffer, erholt sich endlich, setzt stumm und still die Reise fort, bis sie schließlich bei Dietendorf die preußische Grenze erreicht. Da löst sich ihr die Zunge und mit der ganzen Eindringlichkeit einer kleinen Berliner Räthin, erzählt nunmehr sie ihrer Reisegesellschaft von dem horreur in Lindau oder Friedrichshafen. Als sie geschlossen, ergreift ein feiner Herr das Wort und erkundigt sich, was sie denn eigentlich in der Schweiz gekauft habe? „Quincaillerie". „Ja, meine Gnädigste, da ist Ihnen nicht zu helfen; Sie passiren täglich die Leipziger Straße, Sie kennen das Geschäft von ... ; sieh, das Gute liegt so nah, und Sie belästigen sich mit dem schlechten Zeug aus der Schweiz." „Ah, ich seh, ich versteh. Und die 60 Pfennige pro Zeile sind Ihre?" „Da wär ich schön heraus; nur ein magrer Bruchtheil davon; es ist ja Inseratengeid, das zunächst in die Inseratenkasse fließt. Es wäre nicht zum Aushalten, wenn nicht die ernsthafteren Aufgaben wären." „Was nennen Sie „ernsthafter"? „Nun Männer wie Spindler, Herzog, Heese. Solche Männer stehen über der Novelle, solche Männer nehme ich au serieux, und schreibe streng=sachlich. Davon erhole ich mich dann. Aber die kleinen märkischen Arbeiten mit Fr. W. III. oder Anekdoten vom alten Zieten, das bleibt doch das eigentlich Erquickliche." So ging es noch eine Weile weiter; er blieb über anderthalb Stunden, und wiewohl er mich eigentlich gestört hatte, war ich über die Störung doch nicht böse, so sehr hatte mich die Thätigkeit meines Kollegen, des „Reklame=Novellisten" interessirt. All dies ist übrigens nur ein Theilchen dessen, was er mir erzählt. Lebe wohl. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 9. Sept. 89.
Meine liebe Mete. Wir erwarteten schon gestern (Sonntag) eine Karte, heut einen Brief. Aber es war nichts. Hoffentlich geht es Dir gut. Ich denke mir, daß die Ruhe Dir gut thun wird; Jugend in ihrem naiven Anspruch an Glück und Leben und in vollkommner Ignorirung der Thatsache, daß auch noch andre auf dieser Erde rumkrabbeln, ist etwas Vergnügliches wenn man selber schon vergnüglich ist, sonst nicht. Mit Lise wirst Du Dich ja nun „aussprechen" können und gruppenweise vorgehn: die Bonns, die Münsters, die Warnemünder =Gruppe. Von Münster, d. h. von irgend einer einsamen Försterei her, wo Otting jetzt zum Cherusker heranwächst, hatten wir gestern einen Brief von Martha III., allerdings Nummer III. als Briefleistung. Nichts klappt und paßt, so daß man sagen kann „geschrieben unter Ausschiuß der Folgerichtigkeit." Du weißt, wie wenig Gewicht ich auf solche Dinge lege, wenn aber jemand ganz trivialer Durchschnittsmensch ist, muß er als Oberpostdirektorstochter und Assessor=Frau (und nun bald „Räthin", so nehm' ich an) wenigstens gebildet sein. Aeußerlich haben und hatten beide Jungens ganz gut gewählt, aber im Erkennen des „Feineren" haben beide schlecht bestanden; Theo, fürchte ich, eigentlich noch schlechter als George. Denn in unsrer weißen Pastellschwiegertochter hier unten, stecken einige gute, nicht verächtliche Züge. Heute war ich in Lichterfelde draußen; ich vermeide aber jetzt den Anblick von maison rouge und fahre mit Pferdebahn und Dampfbahn (letztre von Schöneberg aus) bis Steglitz, von wo aus ich dann quer über Feld gehe. Der Weg immer entzückend, so farblos und steril alles aussieht, aber der Aufenthalt auf dem Kirchhof selten erbaulich, immer sind gräßliche Menschen da, heute eine Lichterfelder Commißfamilie, die das Gräberbegießen wie einen Sport trieb, wie etwas Feines, das sich so nicht jeder erlauben kann; das Weibervolk, eine dicke Alte und eine junge Zier lise, wieder entsetzlich. „Da frage nur bei edlen Frauen an" oder so ähnlich im Tasso, wenn ich nicht irre; ob Goethe das wohl geschrieben hätte, wenn er sein Leben unter Berliner Madamms zugebracht hätte. - Gestern Abend hatten wir Besuch von Zoellner (nur er; sie hat Logirbesuch) Frau Geh. R. Lübke und der Eichler. Es war toll genug. Wenn ich mir dann aber denke, Geheimräthin und geadelt, dann kriege ich doch wieder das Lachen. Noch mit 75 ganz Hofschlächtermeistertochter
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aus der Mittelstraße; eigentlich genau so wie unsre Mathilde, mit der sie den Namen gemein hat. Die Eichler dagegen hat sich 'rausgemausert, ganz natürlich geblieben und doch etwas Feines. Wie weitab ist doch die Menschheit, und speziell die märkische, vom Ideal. Alles Menschen, Manieren, Anschauungen, wie aus einer Ackerstadt. Und dann heißt es mal wieder: „hier sei es au fond noch am Besten" was auch in Vielem zutreffen mag. Na, dann mag ich die andern nicht sehn. Grüße die theuren Mengeis, groß und klein, und danke Lisen, daß sie zu meinem 70ten kommen will. Eine Leistung! Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 10. Sept. 89. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Heute früh kam Dein Brief, der uns eine große Freude war; die Alte war mir rührend dabei und kam immer wieder darauf zurück. Ich weiß nicht, ob sie Dir gleich geschrieben und ihre Freude ausgesprochen hat, bezweifle es aber, da sie heute Renntag hat, nicht in dem schrecklichen Sinne von „ich muß immer rennen" (eine Lokomotion, die leider, seit Jahr und Tag, auch nicht bei ihr ausgeschlossen ist) sondern ganz einfach und anständig im Sinne von „umherrennen." Sie war heute Mittag bei Sauer's, wo sie ihn recht elend fand (Herzgeschichte) und ist in diesem Augenblicke bei Frau Stephany. Dabei hat sie heute Vormittag eine kurze Begegnung mit der Geheimräthin Herrlich, (die Feder sträubt sich immer) und gleich danach mit Marthchen II. gehabt. Wenn ich mir nun zusammenrechne, was vom Sonntag an im Gespräch mit Frau v. Wangenheim und der Lübke, dann heute mit Frau Sauer und Frau Stephany, desgleichen mit der Herrlich und Marthachen II. an Wendungen über Männer und Ehe verzapft worden ist, so fehlen nur noch meine 2 Schwestern, Tante Jenny und Tante Lise, um einen Hochgenuß für Götter herzustellen. Aber spreche ich lieber von Deiner Krankheit, d. h. von Deiner Gesundheit. Ich werde, als Doktor, doch noch bei Dir zu Ehren kommen. Was predige ich Dir seit Jahr und Tag? Mete, so heißt es (und ich muß es wiederholen, trotzdem Du meine Weisheitssätze
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besser vortragen kannst, als ich selbst) Mete, Du bist gesund und hast blos leidge Nerven. Das kann unter Umständen schrecklich sein, ist aber, bei sonst „guter Constitution" (siehe den 23 jährigen Großvater) und glücklichem d. h. melancholiefreiem Temperament, nie hoffnungslos. Deshalb nicht, weil der berühmte Satz von Lord Byron „ich legte mich unberühmt zu Bett und stand berühmt wieder auf", bei derartig Nervenafficirten dahin zu modeln ist: „ich legte mich krank zu Bett und stand gesund wieder auf." Das heißt, am andern Morgen, - sonst ist es kein Kunststück und können andre auch. Einem Menschenkinde wie Dir, ist immer wieder beizukommen, und wenn ein bestimmtes Etwas eintritt oder beim Suchen glücklich gefunden wird, so „fällt es plötzlich von einem ab." Dies „Etwas" kann das Mannichfachste sein: ein Beefsteak, ein Glas Château d'Yquem, eine wundervolle Birne, ein Brief, ein heitres Gedicht, ein Witz, ein Lachen, vor allem ein Luftwechsel, ein liebes Gesicht, ein Glück. Das Allerletzte ist selten (14 Tage im Leben) aber das Andre giebt es alles noch und Du bist zur Zeit im gleichzeitigen Besitz mehrerer der aufgezählten Posten. Freue Dich derselben und erfreue uns durch Deine Wiederkehr. Herzlichste Grüße Allen. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 14. Sept. 89. Potsd. Str. 134. c
Meine liebe Mete. Schon gestern Abend wollte ich Dir einen kl. Brief stiften, kam aber nicht dazu, weil ich anderweitig eine große Correspondenz hatte, darunter ein Brief an einen Herrn Gerhart Hauptmann, der ein fabelhaftes Stück geschrieben hat: „Vor Sonnenaufgang, soziales Drama, 5 Akte." Ich war ganz benommen davon. Mama natürlich wieder in Angst, ich ginge zu weit, ich engagirte mich ungebührlich; Durchgänger, Hitzkopf, „Jüngling"; nachdem nun aber gestern eine Karte von Brahm eingetroffen ist, der ganz meine Anschauungen theilt, hat sie sich einigermaßen beruhigt. Ich allein kann nie Recht haben, es muß immer erst bestätigt werden, und wenn es durch Müller oder Schultze wäre. Dieser Hauptmann, ein wirklicher Hauptmann der schwarzen Realisten=Bande, welche
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letztre wirklich was von den Schillerschen Räubern hat und auch dafür angesehen wird, ist ein völlig entphraster Ibsen, mit andern Worten ist das wirklich, was Ibsen blos will, aber nicht kann, weil er in seinen neben der realistischen Tendenz herlaufenden Nebentendenzen - die freilich in den letzten Stücken zur Haupttendenz geworden sind - mehr oder weniger verrückt ist und in zugespitzter Entwicklung dieser Verrücktheit ganz ins Phrasenhafte verfällt. Nicht in die Phrasenhaftigkeit des Worts, aber in die des Gefühls, der Anschauung. Von all diesem ist Hauptmann ganz frei; er giebt das Leben, wie es ist, in seinem vollen Graus; er thut nichts zu, aber er zieht auch nichts ab, und erreicht dadurch eine kolossale Wirkung. Dabei (und das ist der Hauptwitz und der Hauptgrund meiner Bewunderung) spricht sich in dem, was dem Laien einfach als abgeschriebnes Leben erscheint, ein Maß von Kunst aus, wie's nicht größer gedacht werden kann. Denn 5 füßige Jamben, gerammt voll von Sentenzen, können zwar auch sehr schön sein, sind aber weitab davon, das Höchste in der Kunst zu repräsentiren. Im Gegentheil, es ist etwas verhältnismäßig Leichtes, und läßt sich lernen. Höheren Werth aber hat nur das, was man persönlich räthselhaft empfangen hat, und was kein andrer mit einem theilt. Betreffs Ibsens muß ich doch noch eine gute Bemerkung anfügen, die Emil Rittershaus (der mich gestern auf IVi Stunde besuchte) über Ibsen machte. „Haben Sie nicht bemerkt" sagte er „daß Ibsen ganz wie ein Apotheker wirkt; er ist den Apotheker nicht losgeworden und das spukt nun in seinen Stücken, seinen Problemen und Tendenzen, und auch in seiner Conversation. Er ist immer ein kleiner Apotheker, der abwartet und dribbelt und auf der Lauer liegt." Es ist vollkommen richtig und ich mußte laut lachen, schon um hinter der großen Lache meine eigne Angst zu verbergen. Ich will nun heut Abend 7V4 zu den Bredows, diesmal zu den doppelten, zu den Bredow=Bredows. Wie lange ich bleibe, weiß ich nicht, es kann eine Woche dauern, aber wohl kaum; wenn ich zurückkomme, finde ich Dich wohl schon vor, worüber ich mich sehr freun würde. Grüße das verehrte Mengeische Paar angelegentlichst und genieße noch die ächten frischen Herbstestage, die gestern begonnen haben. Wie immer Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Paul Schienther
[Berlin, nach dem 23. November 1889] Sehr verehrter Herr Nach dem üblichen Familienrath bleibt Alles bei unsern mündlichen Abmachungen. Tag u. Stunde (d. 4. Jan 8 Vi) sind Papa recht; die Damen werden erscheinen; neue Freunde haben sich nicht angefunden. - Wir bitten Sie, meine Schwägerin (die Wittwe meines Bruders George) als zu uns gehörend zu betrachten; Familie Robert kann dann mit bestem Gewissen zurück gelassen werden. - Ob Papa's Schwester Lust zur Theilnahme hat, will ich in diesen Tagen feststellen und Sie dann sofort benachrichtigen. Herzlichsten Dank für Ihr Interesse und Ihre Mühen. An Ihrem 7Qsten gedenke j c h m i c h zu revanchiren! - Der Jubilar erholt sich von den Räubern und grüßt Sie bestens mit Ihrer Martha Fontane.
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Martha Fontane an Paul Heyse Berlin, d. 25 Dez. 89.
Hochverehrter lieber Freund Der „Jubilar", der mit Grauen das Feiern näher kommen sieht, schläft noch. Von allem Schlaf ist mir der Vaterschlaf von Kindheit an der heiligste gewesen, heute aber bedurfte es meiner ganzen Energie, nicht sofort mit „Deutschland" an sein Bett zu stürzen. Jetzt hat die Reflektion bereits wieder vollkommen gesiegt und ich genieße mit leidenschaftlichem Behagen (einer seltenen Mischung") die Vorfreude auf das gerührte Gesicht des Ausgeschlafenen. Zu dem wärmsten Dank für Ihre wundervolle Freundschaft kommt die Ahnung der LiteratursTochter wie unsagbar fein, liebenswürdig und künstlerisch einzig dieser Weihnachtsgruß ist. - Ich habe mir die Impulse zwar nicht abgewöhnt, aber leide doch fast nur noch allein darunter, heute aber konnte ich Sie nicht verschonen, denn eine Anführung als „Tochter" in Papa's Brief kann mir diesmal nicht genügen. - Also nochmals: Tausend Dank für die liebe Bestätigung dessen, was wir in Stille, aber mit Stolz u. Freude in unsern Herzen gepflegt und als Besitz empfunden haben. Verzeihen Sie meine anspruchsvolle Anrede, aber „Onkel" wollte mir nicht passen und daß Sie kein „Herr" für die Tochter Ihres alten Freundes sein können, werden Sie zugeben.
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Dezember 1889 - Januar 1890
In großer angeborner, anerzogner und selbstgewählter Liebe und Verehrung Ihre treue M a r t h a Fontane.
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Martha Fontane an Paul Schienther Berlin, d. 31. D e z . 89.
Lieber hochverehrter Freund Ich soll Sie, im Auftrag von Papa, in eine Familien-Verschwörung einweihen. Herr u. Frau Sommerfeldt (geb. Fontane) „klakkern nach" u. haben den Wunsch geäußert, nun schließlich doch am 4. theilzunehmen. Da aber Papa mit der ganzen schwesterlichen Haltung sehr unzufrieden ist, so hat er mich zu meinem höchsten Erstaunen veranlaßt an S. zu schreiben, es sei nun zu spät und kein Platz mehr zu beschaffen. In diese muthige Mogelei müssen Sie als geschäftsführender Ausschuß nun wohl oder übel einstimmen. Es wird also von Ihnen nur verlangt, uns einst Lügen zu strafen, in diesem Falle allerdings eine - That. - Mit vielem Dank von der lieben, klugen Emilie, dem Jubilar u. mir in zwangloser Freundschaft Ihre M a r t h a Fontane.
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Martha Fontane an Paul Schienther Neujahrs Morgen. 90. [1. Januar 1890]
Höchstens werden Sie meine harmlose Töchterschulen Handschrift verwünschen; aber wenn Sie eine Ahnung hätten, womit ich Ihnen Alles nicht komme zöge wieder Milde in Ihr Herz. Zur Sache. Prof. Lazarus ist bis Freitag Abend in Leipzig - nun müssen Sie dafür sorgen, daß meine Schwägerin u. Namensschwester zwischen Herrn Sternheim u. Dr. Otto Krigar-Menzel „zu sitzen kommt." Auch dieser Wunsch von Papa ist das Ergebniß von, wie Sie, wenn Sie dazu Zeit haben, ahnen werden, ziemlich unerquicklichen Familien-Sitzungen.
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Für Ihre freundliche Einleitung zu Turandot besten Dank von uns Dreien. Hoffentlich hat der „Revierkranke" Sie annähernd so amüsirt wie uns. Immer Ihre M. Fontane. Für Theo würde sich doch jedenfalls ein Platz finden!?
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Martha Fontane an Theodor Fontane jun.
Berlin d. 15 Jan. 90. Lieber Thedo Mama's Augen sind noch immer schonungsbedürftig und Vater sitzt noch immer bei der Beantwortung seiner sich täglich noch vermehrenden Briefe, da fällt es mir denn zu, Dir für Deinen Brief zu danken. Es ist höchst erfreulich, daß Du Deine stattliche Familie in Gesundheit angetroffen hast, ihr seid überhaupt ein gutes Vorwerk, nie kommen Gottseidank unangenehme Nachrichten von Euch, ihr nehmt nichts übel, ihr macht keine Schulden, ihr kriegt eure Kinder in wünschenswerthen Pausen und von wünschenswerthem Geschlecht, ihr avancirt, ihr laßt euch gern was schenken - kurz um es zu wiederholen, ihr seid ein Lichtblick. Ein Lichtblick dessen wir trotz aller Dichter Ehren dringend bedürftig sind, denn wir stecken knietief in Ueberarbeitung, Ärger und Anforderungen, die unser aller Kräfte übersteigen. Friedel hat wirklich vollständig mit Papa gebrochen und hat noch mit keinem Schritt wieder unser Haus betreten. Wie ich ihn finde, brauche ich Dir nicht zu sagen. Es liegt nichts vor und dieser Sohn bricht mit diesem Vater in dieser Zeit. Was muß er für Freunde haben, die ihn nicht besser berathen. Außerdem ist sein Verhalten auch praktisch unendlich dumm. Zu unserm Bedauern sehen wir wie fern er uns innerlich überhaupt steht, daraus, daß keiner von uns, die doch gewiß traurige Sache eigentlich tragisch nimmt. Mama sagt, wenn ihr das so mit einem anderen Kinde passirt wäre, bräche ihr das Herz. Mir geht es recht schlecht, ich habe wieder Gliederschlagen und schlafe so wenig, wie mir Leichtgläubige glauben würden. Wir machen denn auch stark in Erholungsplänen um dem unerquicklichen Hier wenigstens auf ein paar Monate zu entfliehn. Wir wollen
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gern Ende Febr. auf lange nach Bozen gehen. Hans Hoffmann ist auf dem Rückwege von Italien lange dort gewesen mit seiner Familie und behauptet, es sei dermaßen billig, daß sie die ganze Reise durch den Aufenthalt dort herausgeschlagen hätten. Papa ist freilich nicht mehr so reiselustig wie früher, aber ich denke, wir kriegen ihn doch fort. Er will dort allerdings „furchtbar arbeiten", aber ich denke Luft und schöne Natur würden ihn trotzdem kräftigen. - Von Deiner kleinen Tochter schreibst Du zu wenig, ich mache mich anheischig über ein 4tage altes Kind schon 4 Zeilen zu schreiben. Marthachen wird hoffentlich nachholen, was Du versäumst und über Dein „Stiefkind" berichten. Grüße u. küsse sie und komme den Erwartungen Deiner Nation auf allen Gebieten nach. Immer Deine Mete.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 25. Febr. 90. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Mama hat sich bei Sommerfeldts glücklich eine Influenza als Balldekoration geholt und muß ihre Schreibekünste einstellen, nachdem sie, phantasiereich wie ihre Tochter, Typhus, Lungenentzündung, Herzlähmung und Diphtheritis in 24 Stunden durchgemacht hat. Sie war aber recht elend und ist es noch. Ein Glück, daß wir grade Mathilde hier hatten; eine Unterhaltung mit dieser ist ihr doch am genußreichsten und gegen eine neue Geschichte von Frau Laue oder gar von Frau Schwantzer, die doch die Krone bleibt, ist mit „Freier Bühne" oder ähnlichem Literaturkrimskrams nicht anzukommen. Deine letzten Briefe haben uns sehr erfreut und erheitert, besonders mich, während Mama für solche Geschichten wie von Budde oder von der Schilderung Deines Schnupfens oder von der Abendgesellschaft bei Pastors, keinen rechten Sinn hat. Sie hat im Ganzen genommen ein sehr gutes literarisches Urtheil und kann das Höhere und das Niedrigere ganz gut unterscheiden, aber ihr Interesse liegt doch nach einer andern Seite hin und die nackte Thatsache von der Existenz des „Knechtes" in der letzterwähnten Geschichte ist ihr wichtiger als der ganz[e] Rest von Betrachtungen. Etwas davon steckt in jedem, aber sie hat diese Naturbegabung zu glücklich ausgebildet. Ich denke dann immer mit Schaudern an die 10,000 Briefe, womit ich sie durch mehr als 40 Jahre gelangweilt habe.
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Du triffst hier zu großer Zeit ein; am Sonnabend Rütli bei uns, Tags drauf Aufführung auf der „Freien Bühne" (ein Stück von Anzengruber) am Montag oder Dienstag Karl Zöllners Abreise nach Italien, am 7. Lottchen Bagenski's Hochzeit; dazwischen unsre eignen Haupt= und Staatsaktionen. Bühnenball war, Preßball ist am 1. oder 2. März, und fünfundzwanzigjährige Feier des Bestehens des Berliner Geschichtsvereins (natürlich Prolog von Theodor Fontane) ist übermorgen am 27. bei Kroll. Friedel da, vielleicht um einigen Verlag einzuheimsen. Und nun habt morgen einen schönen Tag; grüße Klein und Groß, und kehre so unverschnupft wie möglich heim zu den Penaten von Potsdamer 134 c., bez. zu Deinem alten Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 9. Juni 90. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Du bist nun schon über 8 Tage im Walde von Schwiggerow und noch habe ich nichts von mir hören lassen. Es war eine sehr unruhige Woche: des alten Robert Tod, Meseberg und Lessings, Roberts Begräbniß, Besuche bei Heyden und zum Schluß die Partie mit den „Zwanglosen". Dazu fleißig an meinem Roman korrigirt. - Gegen Marthachen Robert bist Du, glaub ich, zu streng. In einem kleinen Gedichte von mir, heißt es „Und fühl's es ist nicht alles Lüge, Was Dir das Leben bringt und schickt." Oder so ähnlich; ich bin nicht groß im Citiren aus meinen Werken. Auch bei M. R. ist nicht alles Komödie; sie kann 7 oder 17 Liebesverhältnisse haben und sich mit ihrem Staat und ihrer Pelle beschäftigen und kann doch ganz ehrlich Krämpfe kriegen, wenn sie ihren Vater 3 Tage lang in Todeskämpfen und von Minute zu Minute am Ersticken sieht. Das menschliche Herz ist ein sehr complicirtes Ding, auch das der Leute von der höheren Ordnung. Was mich, bei den oberflächlichen Berührungen die wir mit M. R. haben, am meisten stört, ist nicht die Komödianterei (diese ist auch vielfach schwer zu beweisen) sondern ihre ganz kolossale Dummheit und Langweiligkeit. Auch im Sprechen muß man sich auf den Geist des Andern wie auf einen sichren Krückstock fest und angenehm stützen können, M. R. aber giebt einem statt dessen nur einen Zwirnsfaden in die Hand. Das er-
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schwert das Sprechen mit ihr so sehr; lügen könnte sie, daß die Balken brechen; Tante Lise lügt auch, sogar mit beständiger Hervorhebung, daß Ehrlichkeit ihr Unglück sei, aber sie lügt wenigstens amüsant. Das heißt für mich, der ich's nur 3 mal jährlich mitanhören muß; täglich genossen, wäre mir die grandiose Virtuosität des Fabulirens vielleicht noch schrecklicher als der Zwirnsfaden. Der Geistliche beim Begräbniß unterzog sich seiner Aufgabe mit rühmlichem Geschick und hat seine „fee's" denn auch bereits erhalten; er nahm es auf sich, einen Katholiken auf dem orthodoxen Matthäikirchhof mit einzuschmuggeln. Auch dieser Moment erinnert mich wieder an Tante Lise, die damals sagte: „was Schultz wohl für Augen machen wird, wenn er hört, Weber ist Katholik. Und er hat sogar läuten lassen." Sie freute sich schon auf das verblüffte Pastorgesicht und wackelte mit ihrem Hochzeitspopo, der in lila farbner Seide steckte; der Brautschleier hing bis auf die Erde und der Myrthenkranz war mit 14 Nadeln festgesteckt. Ich habe sie nicht gezählt, aber so was Aehnliches wird es wohl gewesen sein. Alle diese Worte sind nicht persönlich böse gemeint, es ist immer dasselbe, und die Ausnahmen sind so selten, daß wenn ich mal fühle „hier ist eine Ausnahme" so kommen mir die Thränen in die Augen. Es giebt nichts Rührenderes als Wahrheit. All die Niedertracht der Welt schadete auch nicht viel, ja ich könnte einen Kunstgenuß daran haben, wenn man sie nur zugäbe. Der Geistliche auf dem Matthäikirchhof sprach eine gute Viertelstunde und vermied Geschmacklosigkeiten (schon sehr viel) aber er sprach auch nicht ein einziges Wort, das einen Eindruck machen konnte. Während er redete, sah ich beständig die „Freie Bühne" mit ihrem grünen Umschlag und ihren altdeutschen Buchstaben vor mir und hatte das Gefühl, daß unsrer Kirche nichts nöthiger sei, als solche grünen Hefte auf ihrem (der Kirche) Gebiet. Alles absolut todt und dazu dieser gräßlich schöne Gesang von Kerlen, die hinter einer Lorbeerhecke stehn und sich schon auf das Seidel freun, das sie unterwegs im „Augustiner" trinken wollen. Diese Biersehnsucht klingt aus jedem Ton und der erste Tenor, der immer so vibrirend abschließt, schmeckt nach zwei. In Meseberg war es sehr hübsch und beide verstehn es in der That wunderbar, die liebenswürdigen Wirthe zu machen; es bleibt aber doch ein virtuos und mit dem Bewußtsein einer Pflichterfüllung durchgespielter Repräsentationsakt; von eigentlicher Gemüthlichkeit keine Spur, nichts Intimes wird berührt, es ist wie wenn Diplomaten miteinander verkehren.
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Ziemlich undiplomatisch verlief die Wasserpartie nach Wannsee und der Nedlitzer Fähre, von 3Vi bis IIV2. Also eine Leistung. Anfangs glaubte ich, Mama und ich wären die einzigen Christen, schließlich fanden sich aber noch Dr. Welti und Braut (Fräulein Hertzog), die freilich in ihrer Häßlichkeit wie 4 Christen wirkten. Auf dem Schiff plauderte ich mit einer reichen und hübschen Frau Meyer-Cohn, aus Lemberg gebürtig, und mit Fräulein Rodenberg. Erstre war eine nette feine Dame, wahrscheinlich nicht allzuglücklich an der Seite ihres Meyer-Cohn, während Frl. Rodenberg, trotz aufgesetzter Liebenswürdigkeit, doch als sonderbare Biele wirkte. Später war ich von Frau Dr. Loewisohn und der jungen Frau Hertz (Hans Hertz Frau) flankirt. Aus der Büste der Löwisohn ist die kleine Frau Hertz herauszuschneiden, ohne daß man's merkt. Als wir bei Sturm und Regen auf dem Haveldampfer zurückfuhren, erzählte ich, mit dem mir eignen Takt, die Geschichte vom Untergang des Royal George und als Zugabe die Geschichte von der großen Kanone, draus der See=Aal wie ein Monstrum aus dem Fenster kuckt. Die arme Frau Loewisohn verlor alle Contenance und dachte, wir würden untergehn, wie der Royal George. Judengesellschaften sind nicht mein Ideal und eine feine, glücklich componirte Christengesellschaft ist mir viel lieber. Aber solche glücklich zusammengesetzte Christengesellschaft ist sehr selten zu finden. Nimm Zöllners letzte Gesellschaft - und die Zöllnerschen Gesellschaften sind gut=mittel - die gute alte Pochhammer, die Albedyll, die Tochter=Braut, die Gräfin Schwerin, die Kaselowski, die gute Frau Lührs, die Droysen, Tante Zöllner selbst, - so muß ich mit Trauer gestehn, daß das alles an Bildung, Angeregtheit, Interesse, hinter solcher Judengesellschaft zurückbleibt. Unter Thränen wachse ich immer mehr aus meinem Antisemitismus heraus, nicht weil ich will, sondern weil ich muß. 1000 Grüße Dir und der lieben Freundin, und an den Gemahl, wenn er da ist. Veit's Brief ist sehr schmeichelhaft und liebenswürdig. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Kissingen 19. Juni 90
Meine liebe Mete. Heute früh kam Deine Karte vom 18., heute Nachmittag erst Dein amüsanter Brief vom 16., der Mamas gute Laune wiederher-
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stellte; die Karte war ihr doch etwas zu wenig gewesen. Dein Brief zeigt wieder, daß man nur in Landeinsamkeit 'was erlebt; in Berlin immer Frau Sternheim, Fräulein Mischke, M a r i e Schreiner, in Schwiggerow eine Welt von Adel und Geistlichkeit und im Hintergrund der Fürst von Schaumburg-Lippe, dessen Sohn nun sehen mag, wie er fertig wird; vielleicht versteht er sich auf taming of the Shrew. Ich freue mich sehr, daß Du zu Frl. v. Biilow willst, wo ihr gewiß einen netten T a g haben werdet, und auch die Warnemünder Tage mit Tante Anna, dem jungen Richard und dem alten Möller werden Dir wohl thun. Möller ist immer das Seitenstück zu unsrer bez. Deiner Mathilde. W i r leben hier wieder ganz angenehm, ein bischen langweilig, was aber nicht viel schadet; die Langeweile würde fortfallen, wenn man die Kraft hätte 8 oder 1 0 Stunden marschiren zu können, aber dazu reicht es doch nicht aus; ich bringe es bis auf 5 oder 6, aber das ist für die lange Zeit von Morgens 6 bis Abends 10 zu wenig. Das sind 1 6 Stunden, sechs Marschirstunden davon ab, bleiben immer noch 1 0 , die schwer unterzubringen sind; im Freiensitzen geht nicht, dazu ist es zu naß und zu kalt und lesen ist nur ein Vergnügen, wenn man ganz frisch ist und jede Schönheit und jede Dummheit gleich voll genießen kann; aber gelangweilt lesen ist ein Hundevergnügen und strapaziös. Heute aßen wir mit Baumeister Zöllners zusammen und machten dann einen hübschen Spaziergang zur historischen Lindeismühle, wo die Vorhut der Division Goeben, trotz abgetragner Brücke über den Fluß ging und dadurch die Einnahme Kissingens rasch entschied. An einem Wiesenpfade stand ein gußeisernes Kreuz. „Hier fiel ein preußischer Soldat am 1 0 . Juli 1 8 6 6 " , M o h n s und Kornblumenkränze hingen daran, natürlich nur um auf die zahlreichen Berliner Fremden einen guten Eindruck zu machen. Alles Geschäft. Frau Zöllner ist eine gute, ganz verständige Dame, vielleicht zu verständig, jedenfalls etwas zu kleiner Stil. M a m a und Frau Zöllner haben sich auf diesem Spaziergang „ausgesprochen". - Morgen früh will ich Theater billets im Abonnement kaufen und mir dann Stücke ansehn, die mir in Berlin fremd blieben, ζ. B. Sudermanns „ E h r e " . Grüße Haus Mengel und Tante Witte in Warnemünde und laß die „Luftveränderung" an der See gut auf Dich wirken. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 25. Juli 90.
Meine liebe Mete. Habe Dank für Deine interessanten Briefe. Ob das Leben, das die Briefe mehr andeuten als schildern, ebenso interessant ist, stehe dahin. Ein Glück, daß Du solch Feinschmecker in Luft und - in Erlebnissen bist, diese mögen sein, wie sie wollen. „Greif nur hinein ins volle Menschenleben, wo Du es packst etc." Ich hoffe, daß Du Fräulein Kette finden und bei ScharfenortRogalli's einen gelegentlichen guten Unterschlupf finden wirst. Im Uebrigen sauge nur die armen Lehrerinnen gut aus; das klingt zwar grausam, wenn die, die nichts haben, auch noch Blut lassen sollen, aber beschwerte Herzen haben nichts gegen solch Vampyrthum, das doch beinah Liebe ist. Und für Dich ist, was Du einheimst, Winterstoff. - Der Glogauer Oberst heißt v. Johnston, alte schottische Familie, wie die Gordons und vielleicht auch schon zur Wallensteinzeit nach Deutschland gekommen. Sie kommen auch in der berühmten alt=schottischen Ballade „Lord Maxwells Farewell oder Good Night" vor, die ich übersetzt habe; sie ist berühmt, weil Lord Byron sein in Childe Harold eingelegtes Gedicht: „Adieu, adieu my native shore" danach dichtete. Die Glogauer Johnstons werden wohl nichts davon wissen. Daß sich gerade im Hause Knobloch die reinste Luft vorfindet, ist einer jener Witze, die sich das Leben erlaubt. Wir leben sehr still; außer dem großen Besuchabend am Dienstag, von 6 bis 12 unausgesetzt, so daß die sich Ablösenden immer noch vorgestellt werden mußten (auch sehr langweilig) haben wir kaum wen gesehn; am Mittwoch Abend hatte ich ein langes Gespräch mit Herrn Pege an einem Laternenständer in der Königgrätzerstraße; diese Unterredung, ein Stück aus seinen jüngsten Erlebnissen, war sehr interessant. Zöllners sind seit gestern in Arnstadt; ihr ist es nicht fein genug und so wird sie wenig zu seiner Erheitrung beitragen, wenn sich nicht irgend ein Toeche mit irgend einer Albedyll findet. Solche Launen söhnen einen mit den MüllerSchultze's aus. Ergeh es Dir gut, friere nicht zu sehr, auch Ozon kann vernichten, wie jedes zu viel. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 26. Juli 90.
Meine liebe Mete. Du weißt, daß ich Berlin nie sehr interessant finde, aber seit Wochen ist es geradezu kolossal langweilig, so daß die beiden Hauptfiguren: der Kaiser in Norwegen und Du in der Brotbaude, nicht viel einbüßen. Auf einer Lokomotive in Illinois oder da herum hat der Lokomotivführer mit einem verrückt gewordenen Heizer eine gute Viertelstunde lang kämpfen müssen, während der nun führerlos gewordene Zug die kleinen Stationen durchbrauste (ganz Zola in la bête humaine) - das ist das einzig Interessante und wenn man erst auf Amerika angewiesen ist, steht es immer schlimm. Die „Absage" so vieler Parteigenossen an oder von Brahm, hat heute früh einen großen Eindruck auf mich gemacht; ich will nicht sagen, daß er nothwendig Unrecht haben muß, aber leider ist es wahrscheinlich. Schade, daß ihm irgend was Essentielles fehlt. Heute Mittag kam Dr. Rob. Hessen auf eine gute halbe Stunde, forsch und elegant wie immer, ganz hellgrau sommerlich und dazu hell citronengelbe Weste bis auf den Bauch. Kluger Kerl, aber auch merkwürdige Figur. Wir sprachen darüber, daß es so viele berühmte Chirurgen gäbe, Menschenbeglücker, aber die meisten geistig beschränkt. Er hob dann noch hervor, daß es auch „Persönlichkeiten" sein müßten, um zu wirken, und zog dann eine Parallele zwischen den frühren Genies und Heldenspielern auf der Bühne und den extravaganten und oft cynischen großen Chirurgen in der Klinik. Er stellte die Manieren der Letztern dar und es ergab sich wirklich eine Aehnlichkeit. Auch der Suff ist (oder war) Beiden gemeinsam. Uebrigens sprach er auch von dem unsagbaren Hochmuth und Dünkel der jungen literarischen Schule: Brahm, Schlenther, Sudermann, worin er wohl Recht hat, nur schade, daß er sich den beiden tapferen Ostpreußen Schienther und Sudermann als dritter gesellt. Ergeh es Dir gut, friere nicht zu sehr; Mama ist zu Tante Jenny. Rechte Reiselust hat sie noch nicht, worüber man sich bei diesen Temperaturverhältnissen nicht wundern darf. Wie immer Dein alter Papa.
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Emilie Fontane an Martha Fontane-Soldmann Krummhübel. d. Aug. 90.
Meine liebe Martha. Dein lieber Brief, der uns heut, bei Regenwetter, eine doppelte Sonntagsfreude war, soll auch gleich von mir beantwortet werden, da mein Dank sowohl, wie die gewünschte Adresse schleunigst Dir zu Händen kommt; ich glaube Fr. St. Aufenthalt in Engelberg geht auf die Neige. Unsre Briefe müssen sich übrigens gekreuzt haben, denn ich hatte gleich nach meiner Ankunft hier an Euch geschrieben; freilich klagen alle unsre Bekannte über den mangelhaften Postverkehr mit uns u. Dein Brief macht eine rühmliche postalische Ausnahme. Es ist aber nicht zu verlangen, von dieser Höhe herab, auf prompte Abfertigung zu rechnen. Wir sind, trotz Gewitter u. vielem Regen sehr zufrieden in unsrer Brotbaude u. freuen uns an Luft, netten, geräumigen Zimmern u. guter Verpflegung durch unsre Mete, deren Hauptlebensaufgabe hier ist, uns gründlich zu verwöhnen. Dazu kommt der Reiz, daß Alles billiger u. Manches besser wie in der Weltstadt ist, selbst Fleisch u. Butter, Eier, Milch, Beeren etc. selbstverständlich. Wir könnten Euch mit Euren Lieblingen bequem unterbringen, denn wir haben 4 Zimmer mit guten Betten, Ruhgelegenheit etc. u. bezahlen wöchentlich nur 24 Mark. Alles ist sauber u. ordentlich u. die Wirthsleute Musterexemplare an Freundlichkeit u. Aufmerksamkeit. Mete hat aber auch eine so apart nette Gabe mit solchen Leuten zu verkehren, daß wir ihr namentlich die hervorragende Liebenswürdigkeit der Wirthe zu danken haben; sie kocht mit der Frau, bringt ihr städtische Kunstgriffe bei, zieht ihr, wenn die Zeit knapp, die Kinder an, kurz, hat den Vogel abgeschossen. Auch unser Fuz macht sich hier recht gut u. Du glaubst garnicht, wie viel es mir werth ist, daß er einmal wieder auf Wochen mit uns verkehrt u. warm wird, mir war die Entfremdung auch seinetwegen so schmerzlich. Und auch dabei muß ich wieder unsre alte Mete loben, die ganz besonders nett zu ihm ist, trotzdem er in seinem ganzen Wesen ihr wenig sympathisch. Ihr vermuthet uns vielleicht in mehr als ländlicher Abgeschiedenheit auf unsrer Baude, wir haben aber schon mehr Besuch, als uns lieb ist, gehabt, da Papa arbeiten muß. Die Brotbaude ist durch seine Anwesenheit hier, eine doppelte Sehenswürdigkeit geworden u. wenn er mit uns am Kaffetisch sitzt, hören wir des öfteren,
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August 1890 - Oktober 1890
ziemlich laut die Worte: das ist er. Du mußt bedenken, daß „Quitt" hier spielt u. fast alle Leute es gelesen haben. Zu Weihnachten erscheint es in Buchform bei Hertz. Aus Berlin hörten wir daß die P. Meyer's so erfreut gewesen sind, Euch zu sehen. Fr. Meyer=Sternheim. Engelberg. TitlissHôtel. Schweiz. Nun nochmals Dank meine liebe Martha für Deinen 1. Brief u. Deine so reizenden Berichte über die Kinder. Ergeh es Euch Allen so gut, wie es von ganzem Herzen wünscht Deine Dich liebende alte Mama. 1000 Grüße senden Papa, Mete, Fuz.
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Martha Fontane an Maria Conrad
Brodbaude d. 30 Aug. 90. Liebe verehrte Frau Conrad Mütter sind nie Nebensache, selbst bei Verlobungen nicht und ich habe den lebhaften Wunsch auch Ihnen zu sagen, wie hocherfreut wir über das junge Glück in der Link= u. Köthener Str. sind. Um so mehr, als man ohne vermessen zu sein doch zuversichtlich ein freundliches Leben für Ihre Kinder erhoffen darf, die ja in sich die Bürgschaft für Alles Beste haben, was die Welt geben kann. Ich freue mich schon jetzt darauf in ungetrübter Unvorsichtigkeit mit Ihnen von Vergangenheit u. Zukunft zu plaudern! In herzlicher Zuneigung Ihre alte Verehrerin
Martha Fontane.
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Emilie Fontane an Martha Fontane-Soldmann Berlin, d. 18. Okt. 90.
Meine liebe, liebe Martha. Meine herzlichsten Glückwünsche zum 20. d.! möge Dir der liebe Gott Alles erhalten, was er Dir bis jetzt gegeben. Es freut mich innig, wie Du das Gute, das Dir geworden, anerkennst u. sind
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Deine Briefe über Mann u. Kinder mir immer eine Herzensfreude. Unser vorgestriger 40 ster Hochzeitstag, ließ uns in der Erinnerung des Erlebten, das viele Gute u. Schöne preisen, namentlich nach den schweren Anfängen unsrer Ehe. Auch das Leid, das uns beschieden u. der Verlust unsres George, den wir bis an unser Ende schmerzlich empfinden werden, ist wohl zu unsrem Besten gewesen u. so haben wir dankbar auf unsren Lebensweg zurückgeblickt. Den Abend haben wir mit unsren drei Zöllners u. Friedel heiter verlebt. Traurig bleibt es ja für uns Alten, daß Mete immer leidend ist u. selbst die Versicherung unsres Arztes, daß sie ganz gesund sei, nicht den kleinsten organischen Fehler habe, kann uns nicht viel nützen, wenn man sie täglich unter ihrer nervösen Beängstigung leiden sieht. Am wohlsten fühlt sie sich, wenn sie garnicht ausgeht, sich durch nichts aufregt u. nur für unsres Leibes Nahrung bedacht zu sein braucht. Während wir beiden Alten noch im vollen Leben stehen, (gestern Abend war ich mit Papa im Lessing-Theater) sitzt das arme Kind zu Hause, so daß es mir oft wie verkehrte Welt vorkommt. Dies, mein liebes Martchen, bedrückt uns jetzt am meisten u. ist auch eine Sorge für Papa, der sonst das Leben so optimistisch aufzufassen versteht. Friedel scheint langsam u. stetig vorwärts zu kommen. Sein Socius hat seine Mutter verloren (hat Theo ihm vielleicht condoliert?) u. die Firma ist nun im Besitz größerer Mittel, wir hoffen aber daß sie vorsichtig weiter operiren werden. Von unsrem Theo hatten wir einen sehr liebenswürdigen Brief, wofür Du ihm einen Kuß geben kannst. Welche Freude es für uns ist, auch ihn so anerkennend u. dankbar über seine jetzige Stellung sich äußern zu hören, kann ich Dir gar nicht sagen. Ueber die Verlobung Martchens's schreibt er nicht; wir haben sie seitdem einmal, am Tage nachher, allein gesehen, wo sie die Visite mit ihrem Bräutigam in nächster Zeit in Aussicht stellte. Da sie aber bis heut nicht gekommen sind, so haben sie sich vielleicht anders besonnen u. vielleicht ist es auch so das Beste. Herr v. Neefe soll auch geäußert haben, daß er unsren Theo kenne. Die ungemein praktische Wahl meiner Geburtstags-Angebinde für Dich mein liebes Kind, hat Mete verschuldet, sie behauptet Deine Neigung für das Nützliche zu kennen; vertrage die warmen Gegenstände in Gesundheit. Theo's Paket bitte laß bis zum 3. Nov. uneröffnet, ich werde ihm dann einen Commentar dazu schreiben. Mittwoch oder Donnerstag, schrieb er, würde er in sein Heim zurückkehren. Wie froh mögt Ihr nun wieder nach so vieler Trennung sein; ich, aus meiner langen Erfahrung, bin sehr für zeitweilige
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Oktober 1890 - Januar 1891
Trennungen, alles Lichte markiert sich mehr u. aller Schatten vermindert sich. - Küsse M a n n u. Kinder, verlebt am Montag einen frohen Tag, dem sich ein heitres Jahr anschließen möge u. gedenkt Eurer Euch zärtlich liebenden alten M a m a .
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 8. Januar 9 1 . Meine liebe Mete. Wir freuen uns, daß es Dir gut geht, haben es auch nicht anders erwartet. Der Schlaf wird sich finden, wenn die Reise-Aufregung und der Schmerz und Aerger des Tages vor der Abreise überwunden sein werden. Es ist traurig, daß wir all dergleichen so schlecht ertragen können; eigentlich müßte man doch drüber stehn oder in 5 Minuten damit fertig sein. Ein bischen hängt es mit der Lebenslage zusammen, kleine Verhältnisse machen klein. Von eurem „Blitzzug" nach Köln, Achsenbrand und dem Zwiegespräch in Hannover will ich gar nicht erst reden, - es heißt sonst wieder: ich verkleinerte alles Deutsche. Schließlich, nach Jahren (in literarischen und Kunstsachen ist es ebenso) wird mir dann zugegeben: „ja, es war auch miserabel." Der Weltverkehr hat den Z w e c k Weltverkehr zu sein und mittelbar Vortheile einzuheimsen, für den Einzelnen und für das Ganze, er hat aber nicht den Z w e c k die Staatskasse durch direkte Ueberschüsse zu füllen. Das muß anderweitig besorgt werden. Wir freuen uns sehr, daß Du Dich so heimisch fühlst; erhole Dich nur auch. Ich lege Zeitungsausschnitte bei. Die kleinen werden Dich sicher interessiren, die großen vielleicht; der über die „Kaisermanöver" in Baiern ist politisch wichtig. Heute steht in der Zeitung: „der Großherzog von Mecklenburg habe Bismarck das Präsidium in seinem mecklenburgischen Staatsministerium angeboten." Es scheint wahr zu sein; wenn es wahr ist, so ist es, unter den vielen Bethätigungen mecklenburgischen Selbstgefühls, das Größte was bis jetzt da war. Erst Reichskanzler, dann als höchste Sprosse: Minister von Mecklenburg. Gestern war Maler Schubring (Kissingen) hier, sprach uns aber nicht, weil wir schliefen. Nun wird er wieder kommen, Fedor Encke
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auch, und Marianne Quade in Sicht; es ist schrecklich, daß man sich vor jedem Besuch fürchtet, es dürfte eigentlich nicht sein. Am Sonnabend sind wir bei Sternheims, am Sonntag im Theater, Gerh. Hauptmanns neues Stück. In den nächsten Tagen schicke ich Dir ein Heft der „Freien Bühne" mit einem Aufsatze Ernst v. Wolzogens über „Humor und Naturalismus"; es ist das Beste, was bis jetzt in dieser Frage gesagt wurde. Empfiehl mich; wie immer Dein alter Papa.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Berlin 16. Januar 91. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Wir haben lange nicht von Dir gehört und erfuhren nun heute durch Frau Sternheim, daß es Dir schlecht oder doch wenigstens nicht gut geht. So trügen mitunter die sichersten Hoffnungen; auf Bonn, Haus Veit und Winterkälte hätte ich geschworen. Vielleicht war es mal wieder eine Krisis und es kommen nun bessere Tage. Ganz kann ich den Gedanken nicht unterdrücken, daß das unglückselige Kleid an dieser neusten Störung einigermaßen schuld ist; Du gehörst zu den Unglücklichen, die alles ertragen können nur keinen Aerger. Was fällt, fällt; aber Galle ins Blut und der Spaß hört auf. Leider geht es mir nicht besser und mein ganzes Leben war ein ängstliches oder meinetwegen auch feiges Laviren, diesem unleidlichen Zustand zu entgehn. Von hier ist nicht viel zu berichten, am wenigsten von mir, der ich wenig umherturne. Mama freilich leistet das Uebermenschliche und imponirt mir - wenn sie auch hinterher immer halbe Tage lang wie gestrandet da liegt - durch ihren immer neu sich einstellenden Elan. Am Sonntag „Freie Bühne", am Abend desselben Tages Gesellschaft bei der guten alten Frau Meyer; am Montag oder Dinstag 4 Billets zu Oberon, - Milachen macht sich zu Stephanys auf den Weg und erscheint Abends mit drei Generationen: Großmutter, Mutter, Tochter, in Bleichroeders Loge. Dazwischen Tante Witte. Jeden Tag zur alten Wangenheim, mit der es schlecht steht; einmal zur alten Sarah Lazarus; gestern Mittag mit Tante Witte und Anne=Marie in die Grillparzer=Matinée und zwei Stunden später zu Heydens zum Diner. Geh. Rath Jordan und Frau zugegen,
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Skarbina, Julius Wolff und Frau, Zöllners, Springers. Alle lassen Dich grüßen. Aber findst Du nicht auch, daß das alles für eine 66jährige eine Leistung ist. Ich kann es nicht mehr. Zu der Grillparzer-Matinée hatten wir die Billets als Mitglieder der „Literarischen Gesellschaft", von der die Feier ausging, erhalten und es [war] ein glücklicher Einfall Mamas, gleich dabei an Tante Anna und Tochter zu denken. Sie haben denn auch eine große Freude an der Sache gehabt, weil es ein Extra war „das man an der Kasse nicht haben kann." Bei dem ersten Besuch der beiden Witteschen Damen war ich allein zugegen und machte die Honneurs. Die Alte wird immer netter und ganz eine „Figur", aber im Guten; sie wirkt wie ein Bild von einem alten Meister und doch hat sie durchaus was Modernes. Nur nicht in ihrem Familiencultus, der sich mehr und mehr zum „Dollpunkt" herausbildet. Eine gewisse Berechtigung mag dazu da sein, oder ist es gewiß; aber wenn eine Familie nicht aus lauter Dreckfinken oder Imbeciles besteht, ist eine „gewisse" Berechtigung immer da. Denke mal wie man Dich heraufpuffen könnte, selbst Deine Nerven. Annemarie, mit dieser Steuer zur Wahrheit will ich schließen, sieht allerdings sehr gut aus, sie ist magrer geworden, hat eine Figur und guten Teint, und wirkt auch wie ein Bild, nicht wie von Velasquez aber von Verhaes. Lise hat einen ganz andern Muck, aber Annemarie ist hübscher. Ich habe ein Gefühl doch noch viel Mittheilenswerthes vergessen zu haben, das kann Mama nachholen. Empfiehl mich dem hochverehrten Paar und berapple Dich nach Möglichkeit. Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Mein alte, liebe Mete. Heut Vormittag war ich bei Fr. Sternheim u. hörte zu meiner tiefen Betrübniß wie schlecht es Dir ergeht! Verliere nur den Muth nicht armes Kind, es muß doch endlich mal anders werden. Wenn Du nur schlafen könntest. Ich hoffe soviel von Deinem theuren Gastfreund u. denke er wird schon Mittel u. Wege zur endlichen Besserung finden. Witte's habe ich nur in der Grillparzer-Matinée gesehen, sie waren sehr nett, aber furchtbar kleinstädtisch. Ich kann sie jetzt unmöglich auffordern zu uns zu kommen, da ich fast täglich zu unsrer armen Elsy gehe, deren Mama, 2 Tage nach unserm Dortsein, am 5. einen Schlaganfall gehabt, von dem sie sich nicht wieder erholen wird; es geht mir sehr, sehr nahe u. meine Gedanken
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pendeln zwischen Bonn u. Lindenstr. Tag u. Nacht. - Gestern das kl. Diner bei Heydens, wurde mir erst recht schwer, aber ich hatte zu Nachbarn Onkel Zöllner u. den Maler Skarbina, der mich sehr interessirte u. mir ungemein gefiel; er war auch mit Friede Eggers befreundet u. im vorigen Jahre bei Papa's Fest. Alle Heydens, Zöllners, Dein Anbeter Karl, ganz besonders, grüßen Dich auf's herzlichste u. wünschen Dir alles Gute. - Die Angelegenheit mit den Taschentüchern verstehe ich nicht, woher soll ich denn Taschentücher haben? Tilla u. Anna waren im Cirkus, letztere ganz berauscht. Aber ihre Brautschaft macht ihr viel Kummer u. bekommt sie nur Briefe, die ihn als „schlechten" Menschen bezeichnen. - An Theo hatte ich geschrieben, weil mir Sternheim's gesagt: „die Schachtel könnte verloren gegangen sein" worauf er heut unsagbar langstietzig sich entschuldigt, unsagbar. Kommt er nicht bald nach Berlin, so halte ich ihn der Kleinstädterei verfallen. Sie schrieb daß sie viel die Oper besuchten u. auch Hausmusik machen: sie spielen - vierhändig! das ist doch wie aus Posemuckel. Und doch sind sie glücklich u. das ist die Hauptsache u. ich bin Deine Dich zärtlich liebende, alte krekliche Mama.
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Martha Fontane an Martha Fontane-Soldmann B o n n d. 26 Jan. 91.
Liebes Marthchen Dein Brief, den ich mit Sehnsucht erwartet hatte, erreichte mich in den ersten Tagen meines zweiten Bonner Aufenthalts. Es freute mich riesig zu hören, daß Ihr nach wie vor gesund, zufrieden und glücklich seid und mit der bescheidenen Ausnahme des großen Looses vorläufig nichts vom Schicksal erwartet. - Du wünscht gewiß nun ein gedehntes bulletin über meinen Körperzustand; dies ist und bleibt ein ziemlich unerfreuliches Thema[.] Das bischen Unterleib will nicht viel sagen und so bin ich denn von meinen energischen Freunden in die Hände eines Nerven-Doktors hinüber gespielt, der mir das übliche Vegetiren und große Quantitäten Brom verordnet hat. Ich schlafe denn auch schon erheblich besser, aber ob ich die wesentlichen Dinge, Unfrohheit, Schlappitüde und die große Angst je los werde, ist mir mehr als zweifelhaft.
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Januar 1891 - Februar 1891
Unser für haute saison so wie so sehr stilles Leben wird noch häuslicher, da wir leider eine recht kranke Dame, eine Nichte vom Geheimrath, im Hause haben; bis vorgestern waren wir recht in Sorge, jetzt geht aber das Fieber herunter und wir athmen auf; 4-6 Wochen liegen ist aber doch das Mindeste, worauf wir uns gefaßt machen müssen. Da ich ja doch nicht direkt hinfällig bin, kann ich mich also doch etwas nützlich machen und wenn ich auch nur ein paar Stunden im Zimmer sitze und Gesellschaft leiste. Morgen bin ich ausnahmsweise aus, sogar zu einer Taufe und es ist mir ganz sonderbar, daß ich mich in Weiß werfen soll. Ueber die Dauer meines Aufenthalts ist noch nichts bestimmt; nächstens muß es zur Sprache kommen; heute erwarten wir auch Veit's Tochter Margarethe Wachtmeister aus Antwerpen zurück und da sie Ende Febr. fort will, kann ich mich ihr vielleicht anschließen; vor allem muß der Punkt ja mit Marie verhandelt werden, so lange unsere Kranke hier ist, kann ich ja allenfalls ohne Bedenken bleiben, da sie sich fremderen Besuch doch nicht einladen würde und meinem großen Nervendoktor kann ich ja auch nicht ohne Weiteres aus der Schule laufen. Wir haben viel schöne Hausmusik; regelmäßige Gesangquartette etc.; Euer Musiciren hat einen Sturm von Heiterkeit bei uns erregt; ich gäbe etwas darum Euch zu hören und besonders Theo zu sehen. Grüße den alten Knopp sehr herzlich und freue Dich an den süßen Würmern, deren Absperrung von mir, mir immer schmerzlich bleiben wird. - Laß mich wieder von Dir hören, mein altes Thier und bleibe gut dem Familienwrack Martha F.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Berlin, Anfang Februar 1891]
Meine liebe Mete. Ich schicke Dir in Beiliegendem einige Ausschnitte, von denen ich annehme, daß sie Dich und vielleicht mehr noch den Geheimrath interessiren werden, ad I. Goethe wächst noch; das Maß von Charakter und Klugheit, das sich in seinen Worten ausspricht, ist staunenswerth. Napoleon (immer noch überlegen) wirkt wie ein genialer Knote daneben, der freilich eine bemerkenswerthe Spezialität hat: Welteroberung. -
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ad II. Die Thermidor-Geschichte ist etwas komplicirt. Der 9. Thermidor (27. Juli) 1794 ist der Tag an dem Robespierre gestürzt und der Schreckensherrschaft ein Ende gemacht wurde. Dies verherrlicht Sardou in seinem Stück, so daß er sich gegen die Person Robespierre's und die kurze Epoche seines Terrorismus stark auflehnt. Dies hat die Regierung vom republikanischen Standpunkt aus als einen Affront empfunden und das Stück - das sich von den Sympathieen der Reaktion getragen sah - verboten. Clémenceau, ein Radikaler und oft gegen die Regierung, trat in diesem Falle leidenschaftlich für die Regierung ein und den Inhalt seiner Rede lernst Du aus den Ausschnitten kennen. Ich persönlich stehe ganz auf Clémenceaus Seite, trotzdem mir Robespierre ein Greul ist. Aber es ist ganz richtig: die Revolution ist ein Ganzes. [Fortsetzung fehlt]
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 17. Febr. 91.
Meine liebe Mete. Mit Kritiken über Hedda Gabler sieht es windig aus; ich habe eine Unmasse davon gelesen, kann aber nichts mehr finden, so mußt Du mit den paar Zeilen zufrieden sein, die sich in der „Freien Bühne" vorfinden und die nichts bedeuten. R. Fellners Kritik hatte ich für Dich 'rausgesucht, sie ist aber verthan, - bei uns verschwindet alles, wofür aber Niemanden ein Vorwurf trifft; ein alter Scriblifax wie ich müßte, rundum, gefächerte Reale haben, um Blätter und Journale hineinzuthun, statt dessen wird alles auf einen Haufen geworfen und verschwindet dann allmälig wie die Peden= und Unkrauthaufen auf dem Felde. Die beiden Stauffer=Artikel sind sehr interessant, - man kriegt durch seine Briefe doch eine ganz andre Meinung von ihm. Die kl. Kritik über „Quitt" ist ganz gut, die Sache mal von einer ganz andren Seite beleuchtet, - der Staat soll seine Rechtsanschauungen dadurch modificiren lassen, was er wohl bleiben lassen wird. Das einzig Anzügliche in der Kritik ist der Hohns und Schreckens^ Ausruf: Dostojewski und Fontane! Ich schrieb an Brahm, es klänge etwa wie: „Egmont und Jetter!" Natürlich lache ich darüber, ich gönne den Berühmtheiten ihre dickere Berühmtheit und freue mich
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der Gesundheit und Natürlichkeit meiner Anschauungen. Das habe ich vor der ganzen Blase voraus und bedeutet mir die Hauptsache. Gestern erhielt ich eine lange Kritik von meinem vlämischen Freunde Pol de Mont über meine „Gedichte". Ich schicke sie Dir morgen, denn es amüsirt einen sich in das Vlämische hineinzulesen; zuletzt versteht man es ganz gut. Der letzten Vorstellung der „Freien Bühne" am Sonntag haben wir nicht beigewohnt, Mama war krank (lag zu Bett) ich hatte keine Lust. Gestern war ich bei Stoeckhardts zum Diner. Na, so so! Das Diner selbst ganz gut, beide Wirthe sehr nett und liebenswürdig, aber alles andre doch ein bischen unter Niveau. Der Eine war ein Danziger Landtags=Abgeordneter mit seiner Frau, beide liebenswürdig, umgänglich und die Frau mit Kunst« und Literatur« Allüren, aber das Ganze doch dünn und langweilig, ohne Temperament, Esprit, Charme. Mit einem Wort alles Blech. Er Stöckhardt orakelte auch allerlei, aber ein blutiger Dilettantismus sah aus allen Ecken heraus; die verfluchte Bildung hat alles natürliche Urtheil verdorben; jeder quatscht nach. Am nettesten war Alice, die mir bei Tisch von ihrer großen Orient=Reise erzählte, von Constantinopel, Goltz «Pascha, den sie auf der Parade traf, und am meisten von Bukarest und ihren dortigen Erlebnissen. Sehr interessant, klar, knapp, anschaulich. Aber nicht zu glauben, sie legte derart Beschlag auf mich, daß ich mich, nach länger als einer Stunde, gewaltsam und nun meinerseits beinah unartig losreißen mußte, um mich endlich meiner eigentlichen Tischdame zuwenden zu können. Das ist Berliner Lebensart. Oder ist es überall so?! Empfehlungen allerseits. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 21. Febr. 91. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Gestern gegen Abend kam Dein Brief, der uns sehr erfreute; es scheint doch etwas besser zu gehn, trotzdem the second nurse of nature immer noch nicht kommen will. Aber wie, nach Uhland, doch endlich Frühling werden muß, so muß sich auch der Schlaf mal wieder einfinden.
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Ich gebe, zugleich mit diesen Zeilen, wieder einige grüne und gelbe Hefte zur Post, in denen allerhand über die neuen Stücke steht, freilich nicht recht was Brauchbares. Es ist immer so ein dunkles Tappen und Tasten, kein frisches Zugreifen. Die Kritiken sind alle wie von Verbrechern geschrieben, die nur immer auf der H u t sind, vor Gericht nichts zu sagen, was gegen sie gedeutet werden kann. Ich habe mich nie für einen großen Kritiker gehalten und weiß, daß ich an Wissen und Schärfe hinter einem Manne wie Brahm weit zurückstehe, habe das auch immer ausgesprochen, aber doch muß ich, für natürliche Menschen, mit meinen Schreibereien ein wahres Labsal gewesen sein, weil doch jeder die Antwort auf die Frage „weiß oder schwarz", „Gold oder Blech" daraus ersehen konnte; ich hatte eine klare, bestimmte Meinung und sprach sie muthig aus. Diesen M u t h habe ich wenigstens immer gehabt. Ich sagte zu Wildenbruch: „nein, das geht nicht; das ist talentvoll aber Unsinn", und als er endlich die Quitzows brachte sagte ich mit gleicher Deutlichkeit: „ja, der alte Wildenbruch tobt und wuracht auch hier noch herum, aber es ist so viel von Genialem da, daß ich seinem Unsinn Indemnität ertheile." Z u solchem runden Urtheil rafft sich von den Modernen keiner auf; wie die Schatten in der Unterwelt schwankt alles hin und her und sieht einen traurig an; deutlich werden sie nur, wenn sie einen ausgesprochenen Feind (der dann meistens ein ganz kleiner Doktor ist) beim Schöpf fassen, um ihn vor versammeltem Volk zu skalpiren. Das machen sie dann ganz nett. M a m a hat sich mit Hülfe eines Delhaes'schen Rezepts (Opium u. N u x vomica) wieder erholt und war gestern mit Zöllners in der Oper. Er Zöllner recht klapprig. Vorgestern Tante Jenny hier; erzählte brillant und mit kolossalem bon sens, aber nur von Paul und Gustav, von Agathe und Anna, von Hans und Lotte (das sind nämlich Höppners) und vergaß, daß wir auch Kinder haben. Ich ärgre mich nicht mehr darüber, aber sonderbar bleibt es doch. - Ich lege Dir einen Zettel von meinem etwas verrückten Freund Otto de la Chevallerie bei, worin er über sich und seine Tochter, meine Pathe, berichtet. Ich habe diese Chevallerieschen Zeilen, als Fachmann, angestaunt. In 100 Worten sein und seiner Tochter Leben geschildert und wie! Ein Märchen-Roman in 20 Zeilen. - Ich lege auch einen Vers von Wichmann bei, der in ein Album für Dr. Otto Braun in München kommt, an dessen Stelle Prof. Dove tritt. Wenn Du Letztren sprichst, so sei nicht zu anti=friedländersch und ridikülisire den Sammler der Apostelkrüge etc. nicht mehr als nöthig. - Heute Abend bin ich bei Frau Gentz, w o ich die
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Februar 1891
Gräfin Noer, eine Art Stieftochter der Gräfin Waldersee unterhalten soll. Die Waldersee, eine geb. Lee, war nämlich die 2. Gemahlin des alten Grafen v. Noer. Der junge Graf v. Noer - Sohn erster Ehe seines Vaters - heirathete auch wieder eine Amerikanerin, eine Sennora Eisenblat aus Venezuela, und diese ist es, vor der ich am Trapez arbeiten soll. Empfiehl mich allerseits. Dein alter Papa Du wirst Dove, wenn Du überhaupt mitgenommen worden bist, wohl schon gesehn und gesprochen haben, liegt es aber noch in der Zukunft Schooße, so kannst Du ihm ja sagen: „Du kenntest etwas aus München, was er noch nicht kenne" und kannst dann den Vers abschießen. Der für das Otto-Braun-Album bestimmte Wichmannsche Vers lautet:
Der Freund im alten Bayernland, Mir nie bekannt, mir wohlbekannt, Er war mir fern in Zeit und Ort, Er war mir nah in Geist und Wort.
Wenn ich bedenke, daß das ein blutiger Dilettant geschrieben hat, so möchte man gleich in die Ecke gehn und weinen. Vollste Kunstbeherrschung kann es nicht besser machen und namentlich nicht feiner und liebenswürdiger.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 27. Febr. 91. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Habe Dank für Deinen Brief und allerlei hübsche, uns interessirende Mittheilungen. Die literar. Zusendungen meinerseits behandle so leicht wie möglich; es ist nicht nöthig daß Du Notiz davon nimmst und noch weniger nöthig, daß Du mir drüber schreibst; nimm es ganz wie die Morgenzeitung der Vossin, die man liest oder nicht liest, das eine ist grade so gut wie das andre. Ich schicke Dir heute noch wieder ein grünes Heft* mit etlichen Staufferbriefen, die * M a m a , die diese Absicht ahnt, erklärt eben noch allerlei darin lesen zu wollen. Eine weibliche Finte. Ich schicke das Heft deshalb heute nicht.
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kaum minder interessant sind, als die ersten. Diesen Zeilen lege ich einen Zettel mit einer biographischen Skizze Stauffers oder richtiger seiner Ausgangsepoche bei. Ich lese jetzt ziemlich viel. Neulich fand ich in der Sonntagsbeilage einen hübschen Aufsatz von einem Berliner Gymnasial=Direktor, Franz Kern, der bei dem Pietsch=Fest mein Tischnachbar war. Es war derselbe Tag, wo das Wort „Humbug" und als Antwort darauf eine Ohrfeige fiel. Nun, dieser Franz Kern schrieb ungefähr: „Die schönste Wirkung eines Kunstwerks auf uns, namentlich bei Lesung einer Dichtung, ist die, daß wir uns dabei vergessen. Die Sprache, immer tiefsinnig, nennt das „sich verlieren" und drückt damit das Höchste aus, das uns zu Theil werden kann. Auch das höchste Glück. Denn dies gerade liegt in dem „sich verlieren". In unsrem gewöhnlichen Zustande sind wir immer nur mit unsrem Ich beschäftigt, das wir befriedigen wollen und je mehr wir danach ringen, je weniger fühlen wir uns befriedigt, je unglücklicher werden wir. Denn das Ich und wieder Ich ist unser Leid, unser Druck, unsre Qual. Und nun treten wir an ein Kunstwerk heran und verlieren uns darin! Das ist Erlösung vom „ich", Befreiung, Glück." So ungefähr. Man liest nicht oft so gute Stellen. Conrad Ferdinand Meyers Sachen interessiren mich sehr; während bei Keller alles Legendenstil ist, ist bei Meyer alles ChronikStil, den er, weil er ein Dichter ist, auf eine dichterische Höhe hebt. Ich bin, für meine Verhältnisse, viel aus gewesen: am Sonnabend bei der Gräfin Noer, am Dienstag in meinem Geheimraths=Club, am Mittwoch im „neuen Herrn." Im Theater traf ich auch Frau Sternheim mit ihrem Bruder Paul und schimpfte mich aus; es war in der (einzigen) Pause nach dem 3. Akt. Aber von da ab hob sich das Stück plötzlich, blieb mehr oder weniger interessant bis zuletzt und war in drei großen Scenen: 1. der junge Kurfürst merkt Lunte (Verrath) 2. der j. Kurfürst u. Schwarzenberg und 3. der j. Kurfürst und Rochow beinah ersten Ranges. Er hat ein offenbares großes Talent für unmittelbare scenische Wirkung, hat den guten Griff des Dramatikers und scheitert nur an seiner totalen Kritiklosigkeit. Deshalb können sich die Sachen auch alle nicht halten; man kann sie sehn, aber nicht lesen; so wie man näher zukuckt, kommt das Eselsohr heraus. Daß der Kaiser das Stück so liebt, ist mir begreiflich; der junge Kurfürst ist eine durchweg gelungne Figur (die weitaus beste) und in ihr erkennt er sich wieder. Und nicht mit Unrecht. Alles was
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der junge Kurfürst wollte, will er auch und schon die Uebereinstimmung in einem großen und ehrlichen Streben giebt ihm ein gewisses Recht, sich in ihm zu sehn. Im Geh.Raths-Club hat mir Pindter 2 Stundenlang Bismarckiana erzählt, ganz freiweg, in einer durchaus würdigen und geschmackvollen Weise. - Die Gräfin Noer ist eine Hamburgerin und war wohl nur kurze Zeit nach Venezuela verschlagen. Als ich der jungen Comtesse sagte: „die Mama spräche, als ob sie viel in Hamburg gelebt hätte" wurde sie verlegen, die Geburtsgröße schwand ihr unter den Füßen hin. Hinterher bedauerte ich im Stillen meine Frage. Wegen Deiner Rückkehr mache Dir in Bezug auf uns keine Sorge; bleibe, so lange Du's für gut, recht, wünschenswerth und gesundheitlich vorteilhaft hälst. Ich glaube aber, daß Begrenzung immer gut und klug ist. - Gestern war Gesellschaft bei Heydens; die Damen danken Dir für Deinen Brief; eigentlich sollte es 'was Größeres sein, es hatten aber so viele abgesagt, daß es zusammenschrumpfte. Auch Onkel Zöllner fehlte; er ist recht elend: Blase, Nieren, Herz; er ist ganz asthmatisch. Sie giebt ihm Schuld. Natürlich. Empfiehl mich. Wie immer Dein alter Papa Die Geschichte mit Stauffer von Bern verlief so. In Zürich - in dem beiläufig (wie ich vor ein paar Tagen gehört habe) 86 Millionäre wohnen - leben 2 hochangesehne Familien: die Welti's und die Escher's; die Welti's sehr patrizisch, die Escher's patrizisch und sehr reich. Ein junger Welti, Jurist oder Regierungsbeamter, heirathete eine Escher und wurde dadurch ebenfalls sehr reich. Mit diesem jungen Welti war Stauffer befreundet und als der letztre von Berlin nach der Schweiz zurückging, um sich dann nach Italien zu wenden, oder vielleicht kam er auch schon von Italien, wurde er durch seinen Freund Welti aufgefordert eine Anzahl Familienportraits zu malen und zog zu diesem Behuf in das Weltische Haus. Damit war das Unheil da; das Portrait der Frau Welti geb. Escher wurde für diese verhängnißvoll. Eines schönen Tages waren Beide fort, nach Rom, und hatten eine beträchtliche Summe Geldes, das jedenfalls kein Stauffersches Geld war, mitgenommen. Ganz Zürich stand Kopf; das Patriziat entsetzt. Dieser „Lausbub" oder so ähnlich. Der große Reichthum der Familie, wohl namentlich der Escher's, und das Schweizerische Cliquenwesen dazu, - all das sorgte dafür, daß man, durch den Schweizerischen Gesandten in Rom, die römische Polizeibehörde dahin brachte, sofort energisch einzugreifen.
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Stauffer wurde - nicht als Verführer, das wäre wohl nicht gut gegangen - aber als Geldentwender und Hypnotiker verhaftet, als ein Verbrecher, der mit höllischen Mitteln etwas sonst Unerhörtes durchgesetzt habe. Die Frau brachte man zu den Eltern zurück. Die Verhaftung Stauffers war schließlich nicht aufrecht zu erhalten und er kam aus einem furchtbaren Gefängnißloch wieder in Freiheit. Bald danach wurde er krank, gemüthskrank und erlag endlich. Den Selbstmordsversuch machte er, glaub ich, kurz vor seiner Verhaftung. Er hatte sich nur schlecht getroffen, vielleicht es auch nicht anders gewollt. Die Frau wird seitens ihrer Familie als eine Verrückte angesehn, deren Verrücktheit durch Stauffer ausgebeutet worden sei. Jetzt hat sie, so viel ich weiß, ihr ganzes Vermögen, will sagen den Theil des Escher'schen Vermögens der ihr zufallen mußte, der Gottfried Kellers Stiftung vermacht. Die Familie hat dies Vermächtniß angegriffen, weil die Testirende nicht zurechnungsfähig sei. Die Stiftung und die Familie liegen seitdem in Prozeß, doch wird die Stiftung gewinnen oder hat schon. Im Wesentlichen ist all dies richtig, nur mag sich manches anders schieben; auch weiß ich nicht, ob der Name Escher richtig ist, aber ungefähr klingt er so; es ist eine sehr bekannte Familie. - Zum Theil ist das Ganze das Resultat langweiliger patrizischer Ueberfeinerung, so daß sich die Damen nach Grobheit sehnen. Da kam nun Frau Welti, als sie Stauffer von Bern wählte, an den Rechten. Der reine Stier von Uri.
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Martha, Emilie und Theodor Fontane an Theodor Fontane jun. und Martha Fontane-Soldmann Berlin d. 21 März 91.
Meine lieben Geschwister Endlich habe ich mal eine wirkliche große echte, haltbare Geburtstagsfreude! 2 Stunden nach Marthchens lieben Brief kam soeben des alten Theo Telegramm, das das gesammte Haus incl. Tilla in Jubel versetzt. Meine einzige Trauer ist, daß ich Theo wohl nicht werde begrüßen können, da ich schon Donnerstag mit Veits nach Deyelsdorf fahre und in dem ausgetiftelten Curplan nun nichts ändern darf. Dennoch hoffe ich ein baldiges Wiedersehen zu ermöglichen. In glücklicher Eile Eure Schwester.
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[Nachschrift von Emilie Fontane] Meine lieben, lieben Kinder. Mir ist noch etwas „zitterich" vom Eintreffen des Telegramms, aber es geht mir wie Meten, ich muß auch umgehend meiner Freude Ausdruck geben. Daß wir das noch erleben!! u. wie gönne ich der armen Mete diese Geburtstagsfreude. Natürlich kostete es ihr Thränen, Dich Ostern nicht zu sehn, aber sie hofft Du besuchst sie einmal in Zansebur. Natürlich kannst Du, wenn Du für ihr Stübchen nicht zu groß bist, bei uns wohnen. Ach, u. die Kinder, daß wir die Kinder hier haben werden! Lübke's, denen wir neulich von Eurer vielleichtigen Herkunft sprachen, waren ganz betrübt Euch zu verlieren, gönnen uns aber den Gewinnst. In Liebe, u. Freude Eure alte Mama. [Nachschrift von Theodor Fontane] Ich freue mich, daß eure „vielleichtige" Herkunft nun eine wirkliche wird und gratulire von Herzen, ohne übrigens dabei „zitterig" zu sein. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 28. März 91. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Heute Nachmittag kam Dein lieber Brief mit seinen, wie mir's scheinen wollte guten Nachrichten. Der klimatische Einfluß wird erst beginnen, wenn Du in Zansebuhr bist; es klingt schon wie ein fremdländischer Kurort, sagen wir in Vordere oder Hinterindien. Die Stille wird dann auch das ihre thun. Ich schreibe heute schon, weil sich morgen keine Zeit dazu finden kann. Um 10% Uhr früh treffen muthmaßlich alle 4 ein, um dann zwischen Hôtel Sanssouci und Johanniterhaus hin und her zu pendeln. Um 12 Uhr tritt dann wahrscheinlich auch Franz Fontane an, (Sohn von August) der für den 1. Ostertag von seinem Vater bei mir angemeldet wurde. Es kann also gut werden. Zu Erhöhung des Vergnügens liegt Mama seit gestern zu Bett, wirklich recht elend und angegriffen. Sie thut mir leid; sie fühlt natürlich, daß ihr Zustand auf
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die Ankömmlinge etwas deprimirend wirken muß und daß sie das fühlt, das verschlechtert wieder den Zustand. Dazu die Geschichte mit Friedel, die doch mindestens verstimmend wirken muß, Zöllners nach wie vor pitoyable Verfassung, Liibke krank (Halsentzündung) und funèbre Berichte aus Blasewitz. Auf einen solchen Bericht - von Sophie Scharfenort herrührend - habe ich heute antworten müssen. Der Fall ist ja schmerzlich, aber wenn man in Genua ist und viel Geld hat, so ist es ein Todesfall wie jeder andre, vielleicht ein beßrer. 71 war er und krank auch. Der Brief von Sophie Scharfenort wirkt vorwiegend langweilig; daß man auch solche Dinge mit ein bischen Geschmack zu behandeln hat, davon hat das deutsche Philisterium noch keine Ahnung. Ich hätte geschrieben: „gestern traf der Todte hier ein; die Familie war versammelt; heute wird er begraben." Statt dessen fährt ein Leichenwagen immer hin und her und einmal wird von der geliebten oder gar von der lieben Leiche gesprochen. Mich ernüchtert so was. Und zu dem Geschmacklosen kommt auch noch was Wichtigthuerisches hinzu, etwas von Hof= und Staatsaktion. Ich ärgere mich darüber. Was ist der Einzelne? gar nichts. Wenn der alte Wilhelm stirbt, kann man Radau machen, ein Commerzienrath ist ein Commerzienrath. Man kann nicht still genug in seine letzte Wohnung einziehn. Und wenn ich mir dann den Hugo Treutier dazu denke, der, von Genua bis Blasewitz, als Ritter und Reserve-Offizier die Todtenwacht hält! Vielleicht ist es nicht recht, daß ich so schreibe, aber es hat alles was Steifleinenes, womit ich mich nun mal nicht befreunden kann. Es gehört das auch in das große leidige Kapitel der Halbzustände. Der Naturbursche kann heulen und schrein und braucht vom Aesthetischen keinen Schimmer zu haben, Leute aus der Oberschicht aber müssen in ihrer Haltung, in Wort und Schrift, Geschmack zeigen. Wie bergehoch steht da Tante Zöllner, von der immer gethan wird, als sei sie des lieben Herrgotts Bähschaf. Man merkt doch, daß sie in des alten Timm Kutsche gefahren ist und in der Hofluft von Friedrich Wilhelm III herumgeschnopert hat. Ich war heute Nachmittag da und besprach mit ihr die delikatesten Sachen und war entzückt über ihre Natürlichkeit und das gänzliche Begrabenhaben aller Prüderie. Prüderie ist kleiner Stil, der zu dem Ernst des Todes nicht paßt. Ich war auch 5 Minuten bei Zöllner selbst; Dein Besuch an seinem Bett ist ihm eine große Freude gewesen und er läßt Dich herzlich grüßen. Sein Aussehn und seine geistige Regsamkeit ist immer noch merkwürdig gut, aber die Lähmung läßt nicht nach und ihn zu verstehn, ist sehr schwer. Er mag noch wieder zusammengeflickt werden, aber von gesundwerden ist keine Rede.
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Im Rütli war es heute sehr belebt (bei Eggers), weil Extragäste da waren: Heinrich Seidel und Baurath Schwechten; außerdem Heyden, Lazarus, Eggers, ich. Auf dem Heimwege erzählte mir Schwechten vom Kaiser, der vor ein paar Tagen in seinem (Schwechtens) beinah 4 Treppen hohen Atelier bei ihm war um sich das Modell und die Pläne der Kaiser Wilhelm=Votiv=Kirche anzusehn. Er war eine ganze Stunde bei ihm und überraschte wieder durch seinen Eifer und seine Gründlichkeit. - Ich schicke Dir auch 2 gelbe „Magazine" mit. Die beiden parodistischen Sachen: „Nach jüngsten Mustern" werden Dir und auch den andern Herrschaften Spaß machen. Wahrscheinlich von Mauthner herrührend. Er hat ja eine große Begabung für dergleichen und ich muß auch hier wieder zugestehn, daß er das Lächerliche, das diesen Sachen anhaftet, scharf und witzig erkannt hat. Ich glaube aber doch nicht, daß man mit den Gerhardt Hauptmannschen Sachen in dieser Weise verfahren darf. Soll's aber sein, so muß es von einem ernsten Standpunkt aus geschehn und von Personen, die in dieser modernen Richtung aufrichtig alles mögliche Unheil erblicken. Wenn aber auf S. 207 Gerh. Hauptmanns „Einsame Menschen", wenn auch widerwillig, gelobt werden, so dürfen sie nicht S. 204 und 5 lächerlich gemacht werden. Ich habe von dem Ganzen, trotzdem ich den Witz anerkenne, einen sehr unangenehmen Eindruck gehabt. Alles, Lob und Tadel, blos vom Geschäftsstandpunkt aus. Sudermann muß 'raufgepufft werden. Empfiehl mich. Wie immer Dein alter Papa
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 4. April 91. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Gestern Abend habe ich 3 grüne Nummern zur Post gegeben, in denen Dich Einiges interessiren wird, ein paar kleine Besprechungen, das über Zola's „L'Argent" Gesagte, Brahm über die englische Aufführung der „Gespenster" und vor allem der kleine sehr witzige und kolossal malitiöse Aufsatz über den Weifenfonds und der Vorschlag zu seiner Verwendung. Wie man immer gern Witze hört, deren giftiger Pfeil einen lieben Nebenmenschen trifft, so habe ich diesen letztgenannten Aufsatz auch mit Vergnügen gelesen; der
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Anfang und dann die ganze 2. Hälfte sind brillant, in ihrer Art nicht leicht zu übertreffen. Ich will auch nicht mal sagen, daß die Generalmalice gegen die Gebräuche des nun verflossenen Bismarckschen Regimes (zu Anfang des Aufsatzes) und die Spezialmalice gegen Frenzel unstatthaft sei, jene Mogeleien sind himmelschreiend, wenigstens im alten Lande Preußen, und Frenzel hat selber so viele Malicen ausgetheilt, daß er sich eine Antwort im gleichen Ton gefallen lassen muß, aber das ganze Mittelstück, das sich gegen den neuen Cultusminister richtet, finde ich im höchsten Maße verwerflich, kleinlich, unhonett, und kindisch überheblich. Und so bin ich denn des Ganzen doch nicht recht froh geworden; es ist, bei glänzender geistiger Beanlagung, so viel moralisch Häßliches drin. Ich habe es, da ich in andrer Sache heute an Brahm schreiben mußte, dies auch offen ausgesprochen. Es wurde nämlich mein „Name" wieder verlangt und da habe ich denn doch mal (dies klingt fast wie ein Satz von Theo) gezeigt „daß das nicht so ginge" und daß ein partielles Eintreten für die Richtung der Modernen noch nicht gleichbedeutend sei für Betheiligung an ihren Kämpfen. Das einzig Gute ist, daß sie sich untereinander umbringen; Tolleres als Alberti - der mit dem gleichnamigen Verfasser des „Complimentirbuchs" nicht zu verwechseln ist - über Brahm und Schienther gesagt hat, ist überhaupt nicht zu sagen.
Seit gestern sind nun die Kinder in ihrer Wohnung FriedrichWilhelmstraße 10. III. Theo ist ganz der alte; brav, gut, bieder, tüchtig, kindlich, berechnend, Schlauberger und Philister; ein Stolz und eine Prachtnummer, aber so sehr eine MoraU und eine Rechts=Säule, und sich namentlich auch dafür haltend, daß ich als Kollege nicht mit ihm leben könnte. Als Vater geht es; da kommt dergleichen kaum zur Verhandlung und wenn aus Versehen einmal, so breche ich rasch ab. Seine Frau gefällt mir ganz gut, sie weiß ihn geschickt zu behandeln, was nicht immer leicht sein wird, und ist fleißig, ordentlich, sparsam. Nur eine Tugend ist ihr wie ihm glänzend versagt geblieben, die des Erziehers. Und das ist insoweit schlimm, als die armen Kinder die Zeche bezahlen und für die elterlichen Unthaten aufkommen müssen. Bei der Kleinen, die sehr niedlich und temperamentvoll ist, zeigt sich noch wenig davon, desto mehr bei meinem Freund Otto. Er ist bereits total ruinirt, natürlich nicht für's Leben, all das wächst sich später wieder aus, aber doch für die Gegenwart. „Otto will Milch, Otto will nicht, Otto ist auch süß (wenn die Kleine gestreichelt und ein „süßes
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Kind" genannt wird), Otto hat es im Bäuchl, Otto will raus, Otto (wenn er zurückkommt) hat ein Würstl und Pipi gemacht" und nach dieser gefälligen Berichterstattung fängt er an zu rülpsen. Dann sagt die Mutter: „Der arme Junge, er leidet so daran". So geht es in einem fort. Dabei, glaub ich, ist es ein gutes Kind, aber, auf Erziehung angesehn, ein Monstrum, das im Panoptikum gezeigt werden kann, wie der „Junge mit 2 Köpfen." Ich kann mich nicht entsinnen, in meinem langen Leben etwas so „Verrungenirtes" gesehn zu haben. Und das ist das Kind einer guten Mutter und eines ausgezeichneten Vaters, ausgezeichnet an Herz, Verstand, Wissen und - Anspruch. Mir schwindelt. Es ist mir, seitdem George todt ist und Du in der Fremde weilst, nicht beschieden, in unsrer ganzen Familie irgend etwas zu entdecken, was mich aesthetisch auch nur einigermaßen befriedigte; Kommißstiebelei wohin ich blicke, alles unterm Stand und namentlich auch unter der natürlichen Begabung. Denn meine beiden Schwestern sind eigentlich sehr begabt und Theo kann eine Excellenz werden. Eben kommt der Senator (Rütli); ich muß also abbrechen. Ergeh es Dir gut; empfiehl mich allen Veits in der geheimräthlichen wie in der gräflichen Linie und laß Gutes von Dir hören. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 24. April 91. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Mama hat heute Mittag 11% ihre Reise angetreten und wird vor 8 Tagen nicht zurücksein; in ihrer Abwesenheit müssen meine Briefe genügen, die das Plaudern lange nicht so gut verstehn. Wie geht es mit Deiner Gesundheit, mit Deinem Leben überhaupt? Wir erfahren nicht viel. Alles hüllt sich in ein gewisses Dunkel. Ich glaube, Du könntest lichtvoller sein; es wäre auch für Dich gut. Daß diese Bemerkung selber in einem gewissen Dunkel ruht, ist nicht meine Schuld.
Mama hat munter genug gelebt in den letzten 8 Tagen, schon weil 2 Geburtstage in diese Woche fielen, Tante Jennys, Tante
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Lise's. Eigentlich macht sie dergleichen gern mit, die Räubergeschichten von Ehemännern im Weber=Stil und die nicht minder imposanten Geschichten von Ehefrauen im Tante Lise-Stil, amiisiren sie, trotzdem sie recht gut fühlt, wie toll das ist, ja es vielleicht mehr fühlt als ich. Es ist das weibliche sensationelle Bedürfniß in ihr. Mir geht dies ab, so wie das Schauerstück mit so gräßlich viel Kommißknüppelschaft, mit so viel Dürftigkeit und Ledernheit verknüpft ist. Wenn schon, denn schon. Theon sammt Frau sehen wir alle drei, vier Tage mal. Er hat sich jetzt erholt, sieht sehr gut aus und macht, wie auch seine Frau, überall einen vorzüglichen Eindruck, auch bei uns, sogar bei Mama, was den höchsten Grad bedeutet. Sie (Martha) hat sich entweder unter dem Einfluß der Verhältnisse verändert oder Dein berühmter Brief, in dem es hieß: „es käme drauf an, ob sie der Schwiegermama, nicht ob die Schwiegermama ihr gefiele" - hat im höchsten Maße heilsam gewirkt. Ich würde ihr das sehr hoch anrechnen, denn nichts ist seltner, als daß Menschen durch ein ernstes Wort derart bekehrt, besiegt werden. Die gewöhnliche Folge ist Verstimmung und verdoppelte Auflehnung oder jenes berühmte „mit seinem Charakter zu Rathe gehen" was nie das Geringste hilft. Bekehrungen sind immer plötzlich; wie ein Blitz muß es vor einem stehn so oder so. Neulich waren Theo und Frau bei Sternheims; sie (Martha) entzückt, was mich wieder sehr erfreute, denn Frau Sternheim ist so ziemlich die normalste, angenehmste und liebenswürdigste Frau die ich kenne. Es ist von der Alten her ein ungeheuer guter Fond in der ganzen Familie, fast als ob das Altmärkische, das ich sehr hoch stelle, das jüdische wohlthuend beeinflußt und doch die guten Judenseiten bei Kraft und Leben erhalten hätte. Theo hat für solche Dinge kein rechtes Gefühl; natürlich sieht er, daß es eine nette Frau ist, aber er sieht nicht die Gradunterschiede. Wir sind nun hier seit drei, vier Tagen ganz „Schillerpreis"; es kommen ganz fabelhafte Gratulationen an, zum Theil von Personen die ich kaum oder gar nicht kenne, sogar Telegramme, heut von Soldmanns, neulich von Max Harden, dazu Briefe von Goßler (Antwort auf einen von mir, worin ich ihm gleich gedankt hatte) Geh. R. Jordan, Prof. Erich Schmidt, Schienther, Wiehert etc. Einiges lege ich diesen Zeilen bei, was Dich vielleicht interessirt. Die ganze Geschichte müßte mich ja eigentlich sehr glücklich machen, aber es kommt ein bischen zu spät und fällt bei mir in eine Stim-
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mung hinein, die doch bei aller Heiterkeit schmerzlich ist, weil es ein Durchdrungensein ist von der Nichtigkeit alles Irdischen. Wer nun an ein Ewiges glaubt, dem wird in diesem Zustande erst recht wohl, aber zu den so Beglückten darf ich mich nicht zählen.
In 8 Tagen haben wir nun die große internationale Kunstausstellung, worauf ich mich freue, trotzdem es mir seit lange feststeht, daß die ganz kleinen Ausstellungen, die man bezwingen kann, viel genußreicher sind. Neulich war ich bei Schulte, Unter den Linden, und sah mir die dort ausgestellten Zeichnungen und Bilder von Franz Stuck (München) an; die Zeichnungen waren die Originale zu 20 oder 30 Holzschnittbildern in den „Fliegenden Blättern", alles höchst witzig und geistreich, die Oelbilder desselben jungen Künstlers aber waren zum Theil wandhoch und stellten den Engel dar, der Adam und Eva aus dem Paradiese treibt. Dieser Cherubim mit dem Flammenschwert ist 3 mal von ihm gemalt worden, 1 mal so zu sagen als Riesenportrait in einer Art räthselvollen Himmelsatmosphäre, lauter dicke weiße, lila= und rosafarbene Klexe, mitunter halbfingerhoch, so daß der Bengel blos in Farben ein kleines Vermögen ausgegeben haben muß; auf dem 2. Bilde hat er, d. h. der Engel, Adam und Eva eben hinausgeworfen und bezieht die Paradieswache als Außenposten; auf dem 3. steht er wieder allein da, am Ausgangspunkt einer perspektivisch sich verengenden Avenue und schließt mit seiner Person eine nur halbhandbreite Paradiesklinse, durch welche das roth und golden leuchtende Paradies in die tannenschwarze Avenue hineinblitzt. Alle drei sind ausgezeichnet, am poetischsten das zuletzt genannte. Viele nennen es „Schmierereien" und den Rache=Engel einen „Hausknecht", ich bleibe aber bei meiner Bewunderung. So war der gute Geh. R. Stoeckhardt vorgestern hier, um mir zu gratuliren, und kam nun auch auf diese Bilder; „die Kunst soll doch das Schöne wollen" - dabei blieb er. Ich sagte ihm: „man merke, daß er durch Schönheit in seinem Hause verwöhnt sei." Dies ging ihm glatt 'runter und war auch zur Hälfte ehrlich gemeint (namentlich seitdem er Mathilden als Folie für all die Schönheit hat) - eigentlich aber war es doch Verhöhnung und zwar wohlverdiente. Solch Blech darf man nicht mehr aussprechen, auch nicht mal wenn man Geheimrath ist.
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Nun sei es genug. Zum Lesen schicke ich Dir nächstens Einiges, trotzdem ich alles was in den 3 farbigen Blättern steht, urschwach finde. Das „sexuelle Problem" „freie Liebe" das „Weib und sein höherer Beruf" etc. etc. sind denn doch nach gerade Themata, deren Ueberschriften schon einen angähnen und nun gar erst was drin steht. Empfiehl mich Deiner verehrten Frau Gastgeberin, unbekannterweise auch dem mecklenburgischen Fräulein, denn als eine v. Flotow wird ihre Wiege doch wohl in dem Dreieck Stavenhagen, Strelitz, Güstrow gestanden haben. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 29. April 91. Meine liebe Mete. Heute kam Dein lieber Brief vom 28.; die Briefe zu Euch hin scheinen durch Hauderer befördert zu werden. Ich habe vier oder fünf gelbe Hefte in die Kiste gegeben, da ich mir denke, daß es sich um die Novelle der Ebner-Eschenbach handelt. Zu den gelben Heften geselle ich noch ein grünes, das heute früh kam und aus dem ich nicht viel mehr als den 1. Artikel gelesen habe; ich werde mir heut Abend aber ein neues Heft kaufen, da Mama diesen Aufsatz natürlich auch gern lesen wird. Der ganze Kampf ist sehr interessant und kommt mir nicht unerwartet; ich werde ja noch sehr anständig behandelt, was ich meiner persönlichen Stellung zu der jungen Schule und meinen Kritiken über die „Freie Bühne" verdanke (so lohnt sich alles), - im Grunde genommen ist man aber auch wüthend auf mich und cachirt diese Wuth nur; an manchen Stellen bricht das eigentliche Gefühl aber durch. Ich begreife die jungen Herrn nicht. Ueber den Werth ihrer Arbeiten mag ich mit ihnen nicht rechten, - mein Gefühl geht dahin, daß sie zum Theil recht talentvoll, aber doch noch sehr unausgegohren sind, zum Theil zu wilder Most. Aber wie's damit auch stehn möge, selbst angenommen, daß diese jugendlichen Versuche höher stünden als ich sie stellen kann, so kann man doch vom Staat nicht verlangen, daß er Dinge prämirt, die den ganzen Gesellschaftszustand, Kirche, Gesetz, Moral, Ehe, Stand und Standesanschauungen (z.B. Militär und überlieferter Ehrbegriff) angreifen. Ich will nicht
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behaupten, daß sie Unrecht haben, ich will zugeben daß sehr vieles faul im Staate Dänemark ist, und daß die jungen Leute ein gewisses Recht der Reform oder meinetwegen auch der Revolution haben, aber sie können nicht verlangen, daß der Staat ihnen zuruft: „ach, das ist recht; nur tüchtig zu." Daß Du gut und friedlich lebst, freut mich, daß es gesundheitlich noch nicht recht kommen will, beklage ich; es ist aber gut, daß mal ein Versuch gemacht wird. Aber laß es den letzten sein. Half er, so giebt es sich von selbst und half er nicht, so hilft nur Resignation. Ich hasse die Annahme, daß der Mensch alles kann, aber manches kann er. Empfiehl mich der liebenswürdigen Gräfin. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Kissingen 5. Juni 91. bei Gottfried Will.
Meine liebe Mete. Mama kam recht elend hier an und ist noch, wiewohl es seit heute besser geht, so herunter, daß ich statt ihrer schreibe. Friedel machte den Reisemarschall in Berlin und besorgte uns gute Plätze mit allem was zum Sicherheitsgefühl gehört, wir hatten auch ausnahmsweise angenehme Reisegesellschaft, Ingenieur Schönlein oder so ähnlich (man versteht ja nie die Namen) und Frau, beide sehr nett, jeder in seiner Art; die Frau, seit 12 Jahren verheirathet, hat eine 11jährige Tochter, seit deren Geburt Spiel und Tanz vorbei ist; merkwürdig immer die Gentilezza, Liebe und Güte, mit der die Männer dies hinnehmen, als wären sie schuld. Die kleine Frau, wohl von französischer Abstammung, wirkte wie eine Mischung von Tante Witte und Fräulein Conrad, eher häßlich als hübsch und doch sehr anziehend weil quick, heiter, natürlich. - Hier fanden wir alles beim Alten, was recht gut aber ein bischen langweilig ist und so vergehen denn auch hier, wie in Berlin, die Tage unter der Devise: „immer dasselbe." Wofür man denn schließlich noch aufrichtig dankbar sein muß, denn Onkel Zöllner repräsentirt das Neue, das einem noch blüht, hoffentlich, wenns kommt, in etwas abgeminderter Gestalt. - Juden sind fast noch gar nicht hier, auch nicht solche, die sich Russen oder Amerikaner nennen, die letztren sind die furchtbarsten, Heymann Levi als Washington crossing the Delawa-
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re. Stattlicher Adel herrscht zur Zeit noch vor, meist sehr gut wirkend, einige höchst pikante Engländerinnen, von Mama natürlich angezweifelt. Unter den Kurgästen ist auch Herr Pege mit einem dicken jovialen Freund, den er mir mit den Worten vorstellte: „Herr Klein vom Deutschen Theater." Ein Glück, daß ich den Schauspieler Klein kenne; der mir vorgestellte wird wohl Ober= Schutzmann im Theater sein oder dem Aehnliches. - Von der lieben und guten Frau Sternheim hat Dir Mama schon gleich nach ihrem Besuche geschrieben, auch wohl von Theo und Frau. Beide wirken jetzt sehr gut, jeder in seiner Art; schade, daß sie den Jungen total verzogen haben. Dabei beschäftigt sich Theo mit der „Feigheit" des Jungen; zunächst müßte diese durch eine bestimmte Anzahl Ohrfeigen noch gesteigert werden, dann erst ließe sich über die Erziehung auf den Helden hin weiter reden. Mache aber über alle diese Dinge nie Andeutungen wenn Du schreibst, es wirkt nur lieblos, schafft Verlegenheiten und hilft gar nichts. Wird auch später, bei persönlichen Begegnungen, nichts helfen. - Am 20. trifft Bismarck hier ein; hier ist er noch immer unentthronter Gott, - die Huldigungen hier im vorigen Jahr, besonders von Seiten der Damen, sollen doch was Erschütterndes gehabt haben. Ich freue mich darüber, ohne daß die Bedenken schweigen. Empfiehl mich der Frau Gräfin. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Kissingen 13. Juni 91. bei Gottfr: Will.
Meine liebe Mete. Habe Dank für Deinen lieben Brief vom 9. über den wir uns sehr gefreut haben; Du lebst doch wieder und hast eine Freude an den Menschen. Wenn das an Dir liegt und einem sich allmälig wiedereinstellenden Gesundheitszustand, so doch allem Anschein nach auch an den Menschen, die kennen zu lernen Du das Glück hast. Du hast ganz Recht, in schwedisch Pommern und was ihm angrenzt (Stettin) sind ganz andre Menschen zu Hause wie in unsrer lieben Mark oder Schlesien und Sachsen, selbst viel forscher als in Mecklenburg. Die Mecklenburger haben vor dem Märker mehr Wohlhabenheit und mehr breites Behagen voraus, alle Pfennigfuchserei
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fehlt, aber sie sind, trotz ihrer beßren Lebenslage, ledern und philiströs, während die Vorpommern das heiter und unterhaltlich Lebemännische bis zur Kunst ausgebildet haben. Die See thut nur das Halbe dazu (Rostock und Wismar sind auch Seestädte) die zweite Hälfte wird durch die Landesherrschaft von alter Zeit her bedingt. Die Pommernherzöge lebten b e y o n d their means und das Vorbild, das das schwedische Leben gab, lag nach derselben unängstlichen Seite hin. Es kam nicht drauf an, zu sparen und reich zu werden, es kam drauf an, den Tag so angenehm wie möglich zu verbringen. Staatlich, nationaUökonomisch und moralisch steht das Märkische höher, menschlich und poetisch angesehn, ist das Pommersche sehr überlegen. W a s das Poetische angeht, so bedeutet die M a r k das denkbar Niedrigste; nur der Eiherrje=Sachse kann noch concurriren. - W a s D u mir über die Schwierigkeiten der Hausdiplomatie schreibst, so werden diese voll von mir gewürdigt; der nächste M o n a t wird in dieser Beziehung die höchsten Anforderungen an Dich stellen; sei auf Deiner Hut und zeige Dich der Situation gewachsen. Die zwei Autographen schicke ich in den nächsten Tagen, schon deshalb ohne Pater Gracian, weil ich das Buch der Bücher nicht mitgenommen habe. - M i t M a m a geht es seit ein paar Tagen besser und die Vorstellung daß sie am „Brand der Alten" leide, fällt wieder von ihr ab. Sie ist in solchen Stücken die Mutter ihrer Tochter, - das Tollste ist ihr gerade gut genug. Unser Leben hier ist angenehm, aber sehr einförmig; von Langerweile darf ich schon deshalb nicht sprechen, weil es in Berlin grad ebenso ist; man kann doch nicht den ganzen Tag in der Kunstausstellung sein. Am meisten Interesse schöpfe ich seit 8 Tagen aus den Zeitungen und lese mit höchstem Eifer den Prozeß Baare-Fußangel in Bochum und mit noch größrem den Prozeß G o r d o n - C u m m i n g in London. Es müssen da noch geheimnißvolle Dinge mitspielen, sonst ist die Haltung des englischen Adels und der Garde-Offiziere ganz unverständlich. Sie betrachten sichtlich G o r d o n s C u m m i n g als ein Opfer und bemessen danach ihre Haltung. Am Tage seiner Verurtheilung oder den Tag darauf verheirathet er sich und vornehmste Lords und Offiziere sind Trauzeugen; gleich danach reist er auf seine Güter nach Schottland ab. Alles sehr sonderbar. Ich werde an Morris schreiben, um Näheres darüber zu hören. - Vorgestern sah ich „Fall Clemenceau", morgen wollen wir „Drei Paar Schuhe" von dem guten alten Görlitz (Schillerpetent) sehn. Ich sorge hier für meine Bildung. Empfiehl mich der liebenswürdigen Gräfin. Dein alter Papa.
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Kissingen 17. Juni 91. Meine liebe Mete. Ueber Deinen gestern hier eingetroffenen langen Brief haben wir uns sehr gefreut; es ist doch ganz ersichtlich, daß Deine Stimmung gebessert ist und gute Stimmung deutet auf gute Verfassung. - Die Haus= oder Familien=Diplomatie, die Du zu treiben hast, ist freilich nicht ganz leicht, aber mit Offenheit und Unängstlichkeit wirst Du der Sache am besten Herr werden. „Dank Rosenkrantz und theurer Güldenstern, Dank Güldenstern und theurer Rosenkrantz", - nach diesem Rezept mußt Du es einrichten. - Daß wir nach Saßnitz oder Binz gehn, statt nach der Brotbaude, halte ich nicht für unmöglich; Mama, mit der ich noch nicht darüber sprach, wird schwerlich dagegen sein. Anna können wir nach Rügen so gut mitnehmen, wie nach Schlesien. Lohme hat mir sehr gefallen, ist aber kolossal melancholisch und diese Stimmung möchte ich mit 72 vermeiden. Heute sind wir 2 Wochen hier, alles in allem wieder sehr zu unsrer Zufriedenheit. Sehr interessant ist es nicht, aber immer noch interessanter - wenigstens für mich - als in Berlin. Gestern war ich zum 3. Mal im Theater, erst „Fall Clemenceau", dann „Drei Paar Schuhe", gestern Wildenbruchs „Haubenlerche". Ich finde es von all seinen Stücken das talentvollste, wiewohl ich zugeben muß, daß er es unter dem Einfluß von G. Hauptmann und Holz und Schlaf gearbeitet hat. Charaktere u. Dialog sind wundervoll, nur fehlt hier und da Takt und feines Gefühl. Er ist eben ein Berliner, das sagt alles. Mama wird wohl morgen oder übermorgen schreiben. Empfiehl mich der liebenswürdigen Gräfin. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Kissingen 25. Juni 91. Meine liebe Mete. Dein lieber langer Brief der gestern kam, hat uns wieder sehr erfreut, weil wir doch draus sehn, daß Du wieder Freude am Leben hast; mit 72 ist das nicht mehr nöthig, aber mit 31 gehört sich's noch. Daß Veits gleich nach D. gehn, erleichtert Dir die Situation
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sehr; warst Du erst 14 Tage mit ihnen allein zusammen, so giebt sich beim Eintreffen der Gräfin der richtige Ton wie von selbst, alles wird herabgetönt und Kraftleistungen der Freude sind nicht mehr nöthig. - Daß die Mischke sich schließlich so gut legitimirt hat, freut mich; überhaupt bin ich ihr gegenüber, nach den Kunstleistungen die ich hier zu beobachten Gelegenheit habe, in einer milden Stimmung. Unter den 2 0 0 0 Damen, die ich nun hier in 3 Wochen gesehn habe, waren 10 oder 2 0 (hoch gerechnet) famos gekleidet, so daß sich von Kunst und höherem Geschmack sprechen läßt, 1 0 0 andre präsentiren sich gut, der Rest von 1 5 0 0 und mehr sind entweder zum weinen oder reichen doch noch lange nicht an die Mischke heran, wenn sie nur einigermaßen ihren guten Tag hat. Die Meisten wirken einfach wie Karrikaturen und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, war man früher, in der Masse, besser gekleidet. Es kann auch kaum anders sein; die jetzt herrschende Mode verlangt wirklich ein Stück Kunst, um die schwierige Sache zu bewältigen, und wo soll bei der ungeheuren Mehrzahl von Schneiderfräuleins diese Kunst herkommen. In allen Lebensverhältnissen fehlt Einfachheit, Natürlichkeit, bon sens, daher ist alles so ganz niederträchtig schlecht. Allenfalls das Bierbrauen abgerechnet. Nimm beispielsweise die Gelegenheitsverse, die Leute von Namen jeden Tag heutzutage machen sollen (ich meine nicht Autographen, wo man ja Altes nehmen kann) nein Funkelnagelneues und die Folge davon ist denn auch, daß alles so grenzenlos öde, leer und albern wirkt. - Und nun Rügen mit Göhren oder Binz! Ich hätte nichts dagegen, aber M a m a macht sich nichts draus und ich kann ihr - wenn auch aus andern Gründen als den für sie bestimmenden - nur Recht geben. Ich finde mehr und mehr, daß das Selbstwirthschaftführen die einzige Form ist, wie man die Sache aushalten kann. Nur also wenn wir Anna mitnähmen, ließe sich von Rügen reden. Das Hôtel® u. Restaurationsessen ist unerträglich; entweder ist es so schofel, daß man von dem Jammerzeug nicht leben kann oder wenn man leidlich verpflegt wird, kommt man um vor prätensiöser Oede und Langeweile. Daß man angenehme Menschen findet, ist wie das große Loos, man kann nicht darauf rechnen, Regel ist daß man aus den unangenehmsten Empfindungen gar nicht herauskommt. Heute aßen wir bei „Braun", wo man uns gesagt hatte, daß es herrlich sei. Eine furchtbare Suppe; dann warten wir eine halbe Stunde auf den Fisch der kommen soll, er kommt aber nicht; Kellner laufen schweißtriefend auf und ab und sagen in einem fort „Pardon" so daß thatsächlich die Luft davon schwirrt,
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hart in unsrem Rücken sitzt eine Judenfamilie und der Vater sagt beständig: „Alice setze Dich; „Fräulein" wird gleich kommen; ich weiß nicht wo „Fräulein" bleibt; „Fräulein" wird wohl noch in die Leihbibliothek gegangen sein; beruhige Dich Alice „Fräulein" wird schon kommen." Nichts zu essen, empört über die ganze Wirthschaft und um mich her nichts wie das „Pardon" der Kellner und das „Fräulein" des eitlen Juden (er brüstete sich mit der Existenz eines „Fräuleins") - so verging qualvoll die Zeit, immer noch kein Fisch und wüthend schmiß ich ein 5 Markstück auf den Tisch und ging weg und werde dies berühmte Lokal nicht wiedersehn. Das alles war an einem kleinen „Einzeltisch", sitzt man an einer langen Tafel, so ist es noch gräßlicher. Die Menschen sind Pack und die verjüdelte Menschheit ist es siebenfach. - Morgens am Brunnen ist es hübsch, das Frühstück schmeckt, die Vormittagsstunden vergehen angenehm bei Lektüre, desgleichen ist der Abend angenehm von IVi bis 9Vi, wo wir beim Thee sitzen und Ei und Schinken auf unsrem Zimmer uns schmecken lassen, dazu kommen Spaziergänge, die stärken und erfreun, - der Verkehr aber ist gräßlich. In der Regel schiebe ich die Schuld auf meine Ungeschicklichkeit, aber ich bin dabei strenger gegen mich als nöthig; - mit auch nur erträglich netten Menschen kann ich ganz gut verkehren. - In Berlin spukt jetzt eine gräßliche Geschichte auf der Vossischen Ztg. Dr. Paul Marx, kluger u. reizender Kerl (Freund Brahms) ist wegen angeblicher „Unfähigkeit" entlassen worden, in Wahrheit aber weil er Jude ist. Daraus ist nun ein groß Gewitter entstanden, das zu Häupten sowohl von Lessing wie von Stephany steht. Marx, ein sehr encouragirter Kerl (ähnlich wie Brahm, nur glaub ich kauschrer) will die naive „Unfähigkeitserklärung", die einfach einen Strich durch seine Existenz macht, nicht auf sich sitzen lassen und geht mit einem Verläumdungsprozeß vor. Kommt es dazu, so werden furchtbare Sachen gesagt werden, namentlich auch von der socialdemokratischen Presse. Und nicht wieder von den eigentlichen Judenblättern. Es kann nett werden. Leb wohl, empfiehl mich der liebenswürdigen Gräfin. Wie immer Dein alter Papa. Ich empfing einen sehr liebenswürdigen und sehr forschen Brief von Frau Hauptmann Wyneke, wie aus Paris (namentlich Papier und Handschrift) nicht aber aus - Anklam. Bitte, danke ihr in meinem Namen.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 25. Juli 91.
Meine liebe Mete. Du hast Recht, daß etwas wenig geschrieben wird, namentlich in Anbetracht des „literarischen Hauses." Talent (epistolare) oblige." Deinem letzten Brief entnehme ich zu meiner Freude, daß es Dir leidlich wohl geht und zu meiner noch größeren, daß Du viel und mit Lust u. Liebe musicirst. Wenn es damit vorhält, so würde ich das als die eigentliche diesmalige Landaufenthalts=Errungenschaft ansehn, denn könntest Du's zu einer „Passion" bringen, gleichviel ob Eiersammlung, Tellerbemalung oder Gesang, so würde Dich das weiter bringen, als ein Zentner Brom, an dem nur sicher ist, daß es den Magen verdirbt. „Wählt Euch eine Fakultät" sagt schon Mephisto zum Schüler, aber eine Passion ist immer besser noch als eine Fakultät. Wie hätte ich leben und alle Miserabilität des Tütendrehns und Tütenklebens (und nun erst gar die Menschen!) ertragen können, wenn ich nicht die Passion gehabt hätte, Terzinen zu machen. Denn mit dem Schwersten muß man immer anfangen, dadurch kriegt die Geschichte einen Glorienschein; selbst Friedel hatte sich sein Ziel weit gesteckt und wollte nicht Schaffner sondern Eisenbahn=Betriebsdirektor werden. Ein Bischen davon spukt noch jetzt in ihm nach. - Wir leben sehr still, Mama rückt sich überhaupt nicht von der Stelle, ich gehe jeden Abend um 9 bis an die Christuskirche (Paulus Cassel) umschlendre schließlich 2 mal den Leipziger Platz, schnopre etwas Lindenduft, kucke mir die Jüdinnen an, die unterm Zelt in Hôtel Bellevue soupiren und bin um 10 wieder zu Haus, gestern etwas später, weil ich in der Nähe von Blankenstein Brahm und Sternfeld traf, mit denen ich noch eine halbe Stunde flanirte; sie schössen mir Beide Liebenswürdigkeiten in den Leib - bei Brahm etwas Seltenes - und während Sternfeld von „Vor dem Sturm" schwärmte (er scheint, bei einem Juden doppelt hoch anzurechnen, ein preußisch historisches Interesse zu haben) orakelte Brahm von „Unwiederbringlich" und wunderte sich, wo ich das alles her hätte. In Deutschland darf man blos schreiben: „Grete liebte Hans, aber Peter war dreister und so hatte Hans das Nachsehn"; wer darüber hinaus geht, fällt auf und meist auch ab. Das Komischste war, daß sich in dies literarische Gespräch immer intensiv Medicinisches mischte; Brahm hat sich nämlich einer Bandwurmkur unterzogen; anfangs dachten Sternfeld und ich, es bezöge sich auf sein Schillerbuch, zuletzt ergab sich aber,
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daß ein ganz gemeiner Bandwurm gemeint war, wie er an den Litfaßsäulen auf grünem Papier immer abgebildet ist, dicht neben den Versen der goldenen 110. Was doch in solcher großen Stadt alles sein Wesen treibt. Dabei fällt mir ein, daß ich gestern Abend in der Vossin einen Artikel über die Pariser „Bandisten" gelesen habe; so weit sind wir denn doch noch nicht; ich werde den Artikel ausschneiden und beilegen. Soll ich Dir „Unwiederbringlich" noch schicken? Es ist nun am Ende doch besser, Du wartest das Buch ab. Morgen oder bei Gelegenheit will ich Dir auch einen „Figaro"s Artikel schicken. Wenn ich bedenke, daß der Figaro zu gutem Theil von deutschen Juden geschrieben wird, so richtet sich mein deutsches Gefühl ein bischen auf und ich sage mir dann: „es kann mit der großen Ueberlegenheit drüben auch so weit nicht her sein"! Die Franzosen, darin sehr frei und liebenswürdig, haben dies Gefühl auch gar nicht; wir haben es nur statt ihrer und schieben ihnen alle möglichen literarischen und künstlerischen Tugenden zu. Es fiel mir schon auf, daß es in einem Stauffer von Bernschen Briefe hieß: „die guten deutschen Bilder sind eigentlich viel besser als selbst die guten französischen; sie haben nur in Paris den Schneddredin besser weg. Aber das ist was Aeußerliches." Literarisch haben sie was Aehnliches vor uns voraus: die Sorglichkeit der Arbeit; unsre fuchsen drauf los, was auch der Talentvollste nicht darf. Neulich hatten wir eine kleine Gesellschaft mit Pilsener Bier: Paul Meyer, Brahm, Litty, Theo und Frau und Friedel. Da Mama mir eben sagt: „Sonderbar, Theo und Frau finden ihre Gesellschaften immer sehr gelungen" so will ich mich eines Urtheils über unsre Leistung enthalten. Uebrigens sieht es Theo'n, und auch ihr, ganz ähnlich; es liegt was Liebenswürdiges drin, aber doch auch was Kleinstädtisches. Leider ertappe ich mich auch dabei wieder auf der Aehnlichkeit mit Theos kleinen Schwächen. Auch Schienther war geladen, da wir nicht wußten, er sei schon fort. Gestern kam eine reizende Karte von ihm: „Paula sitzt am Semmering, ich an der Isar, - Hero und Leander." Diese Selbstpersiflage hat mich sehr amüsirt. Felix Schütte hat sich verlobt und zwar mit seiner SekundanerLiebe aus Prenzlau; Friedeis andrer Freund (Diettrich) kommt nach Berlin, hängt die Medizin an den Nagel und beginnt ein forsches Haus zu machen, so kommt alles an die Reihe und man wird immer überflüssiger. Vorläufig werde ich mich noch mal ausspielen und am 7. August über Hamburg nach Föhr gehn, wo Friedländers und Bergel sind, von da aus Abstecher nach Helgoland und Sylt. In
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Helgoland will ich meinen Vetter Heinrich Gaetke, den „Inselkönig" besuchen, den ich seit beinah 60 Jahren nicht gesehn habe; damals war er Malerbengel, jetzt erste Obrigkeit und berühmter Ornithologe, dabei etwas Brigham Young. - Mama schreibt Roman ab; es oder er scheint ihr nicht recht zu gefallen; ich kenne das schon und es schadt auch nicht viel; Romane, die beim Abschreiben zugleich die Verstimmung tilgen, also nebenher noch eine Art „Mottentod" - die giebt es nur selten. Meine Bücher verlangen ein freies Gemüth. - Mit Nächstem wird nun hier die Haus=Ravage beginnen; - Geheimraths sind schon nach Soden entflohn; er ist ganz geknickt, - ein noch schlechterer Geschäftsmann als ich und noch mehr Angstmeier in Bezug auf Prozeß=Unannehmlichkeiten. Ich begreife das bei persönlichen Angelegenheiten, aber hier ist alles sachlich und prinzipiell; die Person bleibt ganz außerm Spiel. Ergeh es Dir gut, empfiehl mich den Damen und habe endlich besseres Wetter. „Der gepildete Mensch gehört in die Stube" - ist vom Standpunkt eines sächsischen Professors aus zwar sehr nett und vielleicht auch richtig, für Dich aber sind Park und Garten besser. Wie immer Dein alter Papa.
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Berlin 31. Juli 91. Meine liebe Mete. Ich schicke Dir in Beifolgendem einen sehr ausgezeichneten Bericht von L. P. über eine Themse-Regatta zu Henley, einem Flecken zwischen Windsor und Oxford. Der Bericht ist einfach als Schilderung werthvoll (vielleicht ein bischen zu lang und nicht überall sehr interessant) vor allem aber werthvoll in der Gesammtbetrachtung und Gesinnung, der er Ausdruck leiht. Die drei, vier Zeilen auf der dritten Spalte, die ich mit Blaustift unterstrichen habe, drücken und ich könnte dem alten Pietsch dafür einen Kuß geben - ein Gefühl aus, das ich, während meines langen Aufenthaltes in England, nie los geworden bin. Mir war immer zu Muth, als wäre ich ein untrer Angestellter des Hauses, der um 12 in das Vorzimmer bis an die Saalthür treten darf, um dem Ball oder den Polterabendaufführungen zuzusehn und der, inmitten seiner Freude, das Gefühl nicht los wird, nicht mit dazu zu gehören. Die meisten Menschen
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werden dabei von Neid verzehrt und suchen sich dadurch zu retten, daß sie die vorhandene Ueberlegenheit bestreiten; das habe ich nie gethan; hätte ich die Kraft und die Mittel dazu gehabt, so hätte ich dem formell nahezu Vollendeten einfach nachgeeifert, da ich das nicht konnte, habe ich mich, wie L. P. sehr richtig schreibt, einfach darüber gefreut, daß es existirt. Daß nicht alles Gold ist, was glänzt, weiß ich sehr wohl und daß kleine Pfennigzustände dieser zunächst nur äußerlichen Herrlichkeit überlegen sein können, weiß ich ebenso gut; nur davon kann ich nicht abgehn, daß diese englische Inscenirung des Lebens mich mit einem unsagbaren Wohlbehagen erfüllt und mir die Brust weitet, wie wenn der Duft eines Resedabeetes zu mir ins Fenster dringt. Ein Zustand, von dem ich bei Berliner Canal=Luft weit ab bin. Mama ist heute Abend mit Tante Witte und Annemarie in der Kunstausstellung; sie wird es sich wohl als eine „That" anrechnen und es ist auch viel davon drin, denn sie ist wirklich elend und angegriffen. Vor allem aber ist sie kolossal gelangweilt, worauf ich immer wieder den Hauptaccent legen muß und so reißt sie sich, trotz aller Angegriffenheit, gern heraus. Dies würde noch mehr hervortreten, wenn sie sich nicht genirte, mir diesen Wandel der Stimmung und dadurch zugleich den Urquell der Verstimmung, deutlich zu zeigen. Seit gestern, wo sie in Treptow waren, hat Mama für alles auch eine mildere Erklärungsform gefunden. „Tante Witte findet überhaupt alles sehr schön, Park, Spreefahrt, Schlei mit Dill und wer alles sehr schön findet, darf auch von seinen eignen Kindern schwärmen". Ich habe natürlich nicht widersprochen und viel Richtiges ist ja auch drin. Empfiehl mich. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Wyk auf Föhr 9. Aug. 91.
Meine liebe Mete. Seit gestern Nachmittag bin ich hier in Wyk. Ich wurde von Friedländers und Deinem Brief vom 7. empfangen, der die Reise hierher sehr rasch gemacht hat. Sei für Aufmerksamkeit und Inhalt schönstens bedankt. Aesthetisches und Patriotisches zu trennen, scheint zunächst leicht, weil sie auf den ersten Ruck gar nichts miteinander gemeinhaben. Die Cherusker und Sempach= Schweizer waren einfach patriotisch und fragten den Teufel was
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nach der aesthetischen Ueberlegenheit ihrer Gegner, ja diese wurden ihnen dadurch doppelt verhaßt. Das ist für den Ndiwrmenschen alles ganz in der Ordnung; der höher potenzirte - verzeih, daß ich Dich in diesem Augenblick davon auszuschließen scheine - fühlt aber anders und wenn er (ich sage dies ganz allgemein ohne Rücksicht auf den vorliegenden Fall: deutsches und englisches Repräsentationsleben) wenn er, der Culture und Civilisationsmensch in seiner Heimath alles häßlich findet, so muß es ihm mindestens sehr schwer fallen, sich seinen Patriotismus zu bewahren, namentlich wenn er die Lage für hoffnungslos ansieht. Nach unsrem gegenwärtigen Gefühlsstandpunkt lassen wir uns eher Knotismus als Unpatriotismus gefallen, vor einem unparteiischen Richter aber, der durch die zur Zeit gültigen Anschauungen nicht gebunden ist und auf einem rein menschlichen Standpunkt steht, vor einem solchen Richter muß das Schöne schwerer wiegen als das Nationale. Dem Nationalen haftet immer etwas Enges an. Friedländers sind zu 5 hier: das Ehepaar, die Mimi (sehr nett, aber fabelhaft häßlich geworden) und die beiden Kinder, die gestern mit Ricinusöl behandelt wurden, weshalb wir, trotz Unwetter, lieber im Freien saßen. Dazu Bergel, verbindlich und liebenswürdig wie immer; aber Elegant mit gepumptem Geld und dabei Dorfschulmeister in Quirl, das ist mir doch über den Spaß. Vollständige Romanfigur und eine sehr interessante. Eben ging er mit einer hübschen Hamburger Jüdin, courmachend (im Regen) an meinem Fenster vorüber; die Jüdin agirt augenscheinlich nach dem Spruch: im Nothfall frißt der Deibel Fliegen. Den Ehrgeiz, Schulmeisterin in Quirl zu werden, kann ich ihr nicht zutraun. - Gestern, gleich nach meiner Ankunft, war Segelboot=Regatta; niemand sah recht danach hin, jedenfalls hatte sie keine Züge von der in Henley, trotzdem doch die friesische Küste schon halb England ist. - Wyk erinnert außerordentlich an Warnemünde, die Straße an der Warnow entlang; schöne Baumreihen, hier aber Blick aufs Meer. Alles sehr anmuthig, solide, nicht theuer, so daß Krummhübel vergleichsweise schon halbe Sankt Moritz=Preise hat. Das Wetter ist toll. Ein großer Nachtfalter hatte gestern Abend Schutz in meiner Stube gesucht und ich hielt es für Pflicht, ihm diesen Schutz zu gewähren. Heute früh saß er noch an derselben Teppichstelle, zwei Schritte von der geöffneten Balkonthür. Ich nahm mein Frühstück und beschloß dem etwas unheimlichen Thier auch Tagesquartier zu bewilligen; ich erschien mir wie ausersehn, ihn zu retten. Mit einem Male kam auch ein Sperling ins Zimmer,
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frech wie immer, und ich machte schon Miene ihn durch ein Stückchen Semmel abzulohnen, als er, seine Marschlinie rasch ändernd, auf meinen Schützling zuhüpfte, ihn aufpiekte und davon flog. Es ist mit den Rettungsversuchen oft so. In 3 Tagen treffen nun also Veits ein und vom 15. oder 16. an wird in Deyelsdorf wieder eine „neue Kiste aufgemacht." Ich wünsche Deiner Diplomatie Glück und Erfolg. - Mama ist, denk ich, jetzt aus dem Gröbsten heraus und Delhaes wird ihr hoffentlich allerlei Tröstliches gesagt haben. Ich bin überzeugt, daß sie die CanalsLuft, worüber sie früher lachte, nicht vertragen kann. Kleine typhöse Zustände kriechen einem dabei immer durch den Körper. - Schreibe mir keine Briefe, Du hast genug dort zu leisten, und sage nur Mama, daß sie mir Deine Briefe an sie hierher schickt. Empfiehl mich den Damen. Wie immer Dein alter Papa.
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Wyk 25. Aug. 91. Meine liebe Mete. Ehe ich diesen gastlichen, aber bei den diesjährigen Wittrungsverhältnissen unwirthlichen Strand verlasse, will ich Dir doch noch mal schreiben. Viel kann es nicht werden, da ich hier dritthalb Wochen lang nichts wie Sturm und Regen und im Geleite davon einen kapitalen Husten und Schnupfen erlebt habe, Stoff zum klagen, aber nicht zum Briefe schreiben, die nach meiner Meinung entweder heiter oder anständig indifferent sein müssen. Die Stoffarmuth wächst noch dadurch, daß ich annehme, das Wenige was ich gesehn und erlebt und in allerhand Scriptae an die Mama niedergelegt habe, wird Dir durch Uebersendung der betr: Briefe zur Kenntniß gekommen sein. Alles in allem habe ich mich übrigens, trotz andauernder Wetterunbill, meines hiesigen Aufenthalts zu freuen gehabt und selbst der kolossale Bellhusten, an dem ich seit 4 Tagen laborire, hat mich nicht andren Sinnes gemacht. Der Anblick des Meeres erfreut immer wieder, die Luft ist schön, die Verpflegung vortrefflich und der Verkehr mit Friedländers (ohne den es freilich nicht gegangen wäre) sorgt für Zerstreuung und läßt das grausige Einsamkeitsgefühl nicht aufkommen. Zugleich bin ich dem Berliner Hausspektakel entgangen, einer argen Unbequemlichkeit, die durch Mamas philosophisch wenig abgeklärte Stellung zu derlei Lästigkeiten, nicht gerade gemindert wird. Das Haupt-
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verdienst dieser trotz alledem und alledem erfreulichen Sommerfrische muß ich Friedländers zuschreiben, ohne sie wäre der Aufenthalt hier, auch bei schönstem Wetter, eine Unmöglichkeit gewesen, denn noch bin ich keinem Menschen begegnet, mit dem ich auch nur 5 Worte hätte sprechen mögen. Abgesehn von meiner Ungeschicklichkeit, - ich bin es auch müde mich mit langweiligen oder unliebsamen Menschen abzuquälen und mich um die Gunst von Nobodies zu bewerben. Die beiden Friedländerschen Damen sind sans phrase vorzüglich, fein und liebenswürdig, und auch klug genug für jedes Gespräch, selbst heikle Themata mit eingeschlossen, woran man immer einen Bildungsmesser hat; nur die Dämlichen sind ötepotöte. Er, Friedländer, der natürlich den Löwenantheil der Unterhaltung zu bestreiten hat, ist in den Banden des Persönlichen, nur was er erlebt hat, nur was in seinen Umgangskreis eingetreten ist, interessirt ihn und ein Gespräch über das Angelsachsenthum (das ich übrigens ausnahmsweise hier nicht geführt habe) über die historische Mission der Stämme zwischen Elbe, Weser und Ems, über ihre Verwandtschaft mit dem Skandinavischen und ihre Verschiedenheit davon, über die Verquickung mit dem Celtischen einer = und dem Slawischen andrerseits, - ein Gespräch über Themata derart langweilt ihn sofort, kaum daß er Geduld hat einer altenfritzischen Anekdote zuzuhören, wenn sie nicht sehr drastisch ist. Aber so gewiß dies einen Mangel ausdrückt, so gewiß ist es auch, daß er sich innerhalb seiner Welt mit einer vollkommenen Meisterschaft bewegt. Er erinnert mich in all diesen Stücken ganz außerordentlich an Rieh. Lucae, der auch so virtuos war, weil er seine Geschichten, lauter Kabinetstücke, schon hundertmal erzählt hatte. Friedländer ist eitler und äußerlicher, aber trotz dieses Gewichtlegens auf gutsitzende Hosen etc. doch viel unbourgeoishafter, ein Vorzug, der mir, je älter ich werde, immer mehr bedeutet. Ich hasse das Bourgeoishafte mit einer Leidenschaft, als ob ich ein eingeschworner Socialdemokrat wäre. „Er ist ein Schafskopf, aber sein Vater hat ein Eckhaus", mit dieser Bewundrungsform kann ich nicht mehr mit. Wir erheben uns so über die Chinesen, aber darin sind diese doch das feinste Volk, daß das Wissen am höchsten gestellt wird. Bei uns kann man beinah sagen, es diskreditirt. Das Bourgeoisgefühl ist das zur Zeit bei uns maßgebende und ich selber, der ich es gräßlich finde, bin bis zu einem gewissen Grade von ihm beherrscht. Die Strömung reißt einen mit fort. - Antworte mir nicht hierher, wahrscheinlich reise ich schon am Freitag. Wenn ich wieder daheim bin, hoffe ich ausführlicher von Dir und dem Wohl-
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ergehn der Herrschaften in Deyelsdorf und Zansebur zu hören. Empfiehl mich allerseits. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 30. Aug. 91 Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Gestern um Mitternacht habe ich meinen Einzug in das geflickte Johanniterhaus gehalten, dem die Risse mittlerweile vergangen sind. Delhaes, bei dem Mama etliche Stunden vorher gewesen war, hat ihr für ihre Haltung während der Zerstörung von Pompeji (er war einmal Augenzeuge als der stärkste Aschenregen fiel) eine „Aureole" versprochen und ich kann ihm nur zustimmen, um so mehr als ich jetzt Zeuge des erfolgten Wiederaufbaus bin. Alles heldisch. Große Thaten dort geschehen Durch der Helden Arm, Ihrer Helme Büsche wehn In der Feinde Schwärm Und des Toggenburgers Name Schreckt den Muselmann etc; Bittner jun. wurde einfach 'rausgeschmissen und ein Tapetenfritze, der die „kunstvolle" Deckenmalung, weil er 50 Ellen 2 Groschentapete dadurch weniger los wurde, hintertreiben wollte, wurde mit der Bemerkung heimgeschickt: „wer hat hier etwas zu sagen? Sie oder ich? So viel ich weiß, ist dies meine Wohnung; ich übernehme jede Verantwortung." An solchen großen Momenten sind diese drei Wochen reich gewesen. Aber Mama scheint, während dieser ganze [n] Epoche, die Rollen des Königs und der Königin in des „Sängers Fluch" glücklich in sich vereinigt zu haben, denn wenn es Bittner gegenüber hieß „Und was sie sinnt ist Schrecken und was sie blickt ist Wuth" so hieß es dem Mauerpolier gegenüber „Und lächelte süß und milde als blickte Vollmond drein". Es wurde dies durch beständiges Kaffekochen etc. erzielt. Der Lohn war ein Einsetzen voller Arbeitskraft, was bei einem Maurer immer noch nicht viel bedeutet, und vor allem ein beständiges tapfres zum Munde reden. Es gipfelte in dem immer wiederholten Satze: „Madamm es is ja alles klagbar; ich ließe den Baumeister von
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nebenan nich los und ließe mir auch keine Vorschriften von'n Wirth hier unten machen, die Tapeten riechen ja schon sauer und sind gegen die Desinfektion". Auf diese Schlußwendung ist er immer wieder zurückgekommen; Triumph preußischer Bildung. Der Sieg ist nun also erstritten. Aber diese Delhaessche „Aureole" sich zu sichern, war kein Spaß und die arme Mama ist elend und sehr herunter. Sie hat, wie sie mir heut erzählte, dabei sterben und diese Hausfrauenthat uns rühmlich hinterlassen wollen. Gut gemeint; ich hoffe, sie lebt weiter. An Korrespondenz ihrerseits war natürlich, all die Zeit über, nicht recht zu denken; „Es hat, wer Schottland bändigen will, Zum Pilgern wenig Zeit ..." (Herz von Douglas; Strachwitz.) und auch jetzt noch, wo des Krieges Stürme schweigen, ist ihr wenig schreibelustig zu Sinn, weshalb ich es übernommen habe, mit diesen Zeilen für sie einzuspringen. Sobald sie leidlich wieder im Stande, schreibt sie Dir selber einen längren Brief. In der Mitte des Monats geht sie hoffentlich nach Blasewitz und läßt sich abpflegen; das bischen klagen und unken wird so nebenher mit abgemacht und hat nicht viel zu bedeuten. In Mitte Oktober droht dann die Hochzeit, vor der ich einen Graul habe, als wäre ich selber zum heirathen verurtheilt. - Während der letzten Tage in Wyk habe ich viel mit der Familie Ehrenbaum, Mann, Frau, Mutter u. Tante, geplaudert; die Frau schien Dich gut zu kennen. Ist es eine Sternheimsche Bekanntschaft? Und was sind es für Leute? Mir haben sie ganz gut gefallen; er ein bischen unruhig. Daß es Dir relativ gut geht, hat mich sehr erfreut. Empfiehl mich allerseits. Wie immer Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Friedrich Carl Witte Deyelsdorf d. 5 Sep. 91.
Lieber Fidi Laureatus
Gestern erfuhr ich die große Freudenmär und so schnell meine geographische Lage es gestattet sollst Du meine wärmsten und herzlichsten Glückwünsche in Händen haben. Natürlich ist der Wunsch Deine liebe Braut kennen zu lernen sehr lebhaft bei mir und ich freue mich riesig ihr im Okt. wenn ich via Rostock nach Berlin gehe etwas die Cour machen zu können. Hoffentlich kann ich dann meinen heutigen Satz: möge sie Dich, mein lieber alter Junge, verdienen, in: mögest Du sie verdienen umwandeln, dann bin ich superlativisch mit
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Deiner Wahl zufrieden. Für heute sprich meine besten Wünsche auch ihr aus und weise sie in einer mußevollen Stunde in die reizvolle Anciennität unseres Verhältnisses ein, damit sie mir und meinen liebevollen Absichten ein leidliches Terrain darbringt. In herzlicher Liebe u. Freundschaft Deine getreue Vice-Schwester
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 10. März 92. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Mama ist zur Post um zu telegraphiren; natürlich trafen 5 Minuten nach ihrem Aufbruch Dein Brief vom 6. und Deine Karte vom 9. ein. Ich bin froh, daß es Dir gut geht, denn allmählich fing doch auch meine Ruhe an, sich in Unruhe umzusetzen. Daß Du der alten Liebe begegnest, thut mir wohl und nehme ich an Deinem Siegesgesang über Stöter Theil. Wäre ich 10 oder 15 Jahre jünger, so könnte ich noch ein Seitenstück zu Jenny Treibel schreiben, in dem ich den anspruchsvollen und eingebildeten Durchschnittsphilister unter die Lupe nehmen würde. - Deine Mittheilungen über „Mutter und Kind" und daß der kleine Veit ganz krägel in die Welt kuckt, haben mich herzlich erfreut. Empfiehl mich allerseits. Hier wurde ich durch Franz Fontane den „Kleber" unterbrochen. Ich muß es als einen Triumph bezeichnen, daß ich ihn in einer Stunde los geworden bin; ich habe Rothwein und Freundlichkeiten nicht gespart, ließ aber lange Kunstpausen eintreten, sonst säße er noch. Als er fort war, kroch auch Mama aus ihrem Winkel hervor, wo sie sich, vom Telegraphenamt zurückgekehrt, verborgen gehalten hatte. Mit dem Telegraphisten hatte sie folgendes Gespräch gehabt: „Veit? ist das der das Gut in Pommern hat?" „Ja. Deielsdorf." „Richtig; stimmt ja; den kenn ich." Also wahrscheinlich ein Veitscher Höriger. Die Ereignisse drängen sich. Eben, halb acht, trifft auch Dein Antwortstelegramm ein. Wir staunen und geben uns mit der Einleitung „ja, Milachen, als wir jung waren", den 100 mal angestellten Betrachtungen hin. Unser Leben wickelt sich im alten Geleise ab. Aber doch mit kleinen Apartheiten. Am Montag waren wir auf dem Gericht, um
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unser Testament zu deponiren. Die betr: Gerichtsabtheilung hat ihren Sitz im alten Kadettencorps in der Neuen Friedrichsstraße. Da saßen wir gut anderthalb Stunden in einer gelb gestrichnen Stube, wo noch alles nach alter Zeit und echt preußischer Ruppigkeit schmeckte. Vielleicht ist es recht gut so; alles macht einen merkwürdig unbestochnen Eindruck; bei mehr Schwindel müßte nothwendig alles viel anständiger aussehn. Die Inscenirung unsrer Rechtssprecherei hat etwas Proletarierhaftes. Am Dienstag war ich bei Onkel Zöllner (alles beim Alten), gestern Mittwoch erschien Frau Stockhausen auf eine Stunde, die bei Frl. Aßmann Dein Lob hatte verkünden hören. Ob sie begierig darauf gelauscht, weiß ich nicht, möcht' es aber fast bezweifeln. Sie hat mit eignen Angelegenheiten zu thun und war empört über die Art, wie P. Schienther sein Kritikermetier handhabt. Wie bin ich froh, nichts mehr damit zu schaffen zu haben; es erwirbt einem blos Feinde. Schienther hatte geschrieben: „Wenn der junge Stockhausen noch mehr solche Rollen spielen muß, ist er sicher verloren." Ich finde das nicht schlimm. Freilich geh ich immer davon aus, daß mit Emanuel nicht viel los ist. Ueber diesen Punkt scheinen aber die Meinungen auseinander zu gehn; Regisseur M a x Grube sagte gestern zu Mama: „ich würde (statt des Herrn Müller mit den sonderbaren Handbewegungen) Emanuel Stockhausen gern als zweiten Liebhaber anstellen." Ich nicht. Die Schauspieler untereinander beurtheilen sich oft falsch. Das Gespräch zwischen Max Grube und Mama fand gestern bei Heyden's statt, wo wir zu Tisch geladen waren. Es war sehr nett. Zugegen: die beiden alten Jachmanns und Tochter, Springers, Regisseur Grube und Professor Skarbina. Hofschauspieler Arndt, der den Großen Kurfürsten im „Neuen Herrn" spielt, war seltsamerweise ausgeblieben, so hatte Frl. Jachmann nur einen Tischnachbar, nämlich mich, und ich hatte mich ihr ganz zu widmen. Ich finde sie sehr nett, ganz aus einem guten Hause, Typus einer norddeutschen Dame. Du machst Dir nicht viel aus ihr und es mag das eine oder andre fehlen, aber das Ganze wirkt doch sehr gut. Sie geht, mit einem Rundreisebillet, auf 60 Tage nach Rom, wo sie (in Frascati) bei Richard Voß wohnen wird. Das Billet kostet nur 220 Mark. Ich möchte nicht 60 Tage bei Richard Voß wohnen und dies zu können, mag angreifbar sein, aber die Geschmäcker sind so sehr verschieden und man muß sich hüten, wozu ich sonst so sehr neige, gleich große Schlüsse daraus zu ziehn. - Justine emancipirt sich immer mehr und kriegt dadurch einen Anstrich von Komik; Clementine war ganz
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Bild, leider sprach sie auch, stumm sein, kleidet ihr besser. Mama fuhr nach Haus, ich promenirte mit Skarbina durch den Thiergarten mitternächtlicherweile. Zu Zweien darf man es wagen. Ein sehr netter, feiner Mann, ganz Künstler. Von der ganzen Gesellschaft hatte ich wieder einen sehr netten Eindruck und empfand wieder schmerzlich das niedrige Niveau der Fontanes, Labrys, Sommerfeldts und wie all die Pappenheimer sonst noch heißen. Du weißt, ich bin nun mal für Fürst Pleß etc. Empfiehl mich angelegentlichst. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 22. März 92. Meine liebe Mete. Mit mir geht es so weit besser, daß ich mich doch habe aufmachen können um Dir diesen Gruß und einen kurzen Krankenbericht zu schreiben. Mama dagegen ist noch sehr herunter, wiewohl seit gestern Mittag auch ein besserer Zustand eingetreten ist. Diese Wandlung zum Beßren verdanken wir der Cognacflasche; die Medizin etc. versagte völlig. Es muß in solchen Fällen recht langweilig sein Arzt zu sein, überhaupt, mit Ausnahme des Chirurgischen. Die polit. Aufregung scheint groß, aber kaum groß genug, denn es ist ein Kladderadatsch ohne Gleichen. Die guten Weigels waren gestern hier und brachten für Dich resp. uns Blumen, für Dich aber einen sehr schönen Seidenstoff, ungewöhnlich hübsch in Zeichnung und Farbe. Mama grüßt. Empfiehl mich al[l]erseits. Dein alter Papa. 253
Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 26. März 92. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Seit heute sind wir wieder außer Bett, aber nur auf Stunden; es hat uns sehr mitgenommen, besonders mich; Mama war ein paar Tage lang elender, nur 56 Pulsschläge, ich aber hatte dafür das spezifisch Influenzliche: den schaudervollen Geschmack, den Pelz, den Degout und die tiefdeprimirte Stimmung viel stärker. Mit
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letztrer kann ich auch heute noch aufwarten, auch von Appetit und Reconvalescentengefiihl keine Rede. „Was soll der Unsinn?", in hoc signo siegt es sich schlecht, es reicht kaum aus zum Leben. Delhaes ist täglich treu erschienen und hat sich wieder bewährt; er dringt nur zu sehr auf „essen", was ich für falsch halte, - es kann nicht richtig sein; gewiß muß ein Geringes mit Gewalt hineingeprumpst werden, aber den elenden Zustand durch ein Gefühl des Widerwillens steigern, kann nicht zum Heile führen. Inmitten meiner Krankheit bin ich das Interesse für die Politik nicht losgeworden. Allerdings wurde einem gerade in den Tagen ein guter Bissen davon vorgesetzt. Ein conservatives Blatt hat die Situation dahin gezeichnet: „das ist keine Krisis in unsrem politischen und staatlichen Leben, sondern eine Katastrophe". Ich halte dies für richtig. Jena und der 18. März sind gar nichts dagegen, beide waren was Aeußerliches, selbst als Fr. Wilh. IV vor den Märzgefallenen den Helm abnahm, war es nicht so schlimm, weil er einem Zwange nachgab, hier aber haben wir die Hinopferung, das Fallenlassen allertreuster wenn vielleicht auch im Irrthum befangner Männer, die vor 8 Tagen noch die Meister der Situation und die gerade vom Thron her Gefeiertsten waren. Zu Zedlitz soll der Kaiser in der entscheidenden Kronrathssitzung, nachdem keiner mit der Sprache herausrücken wollte, schließlich gesagt haben: „Zedlitz, die Schweinerei muß ein Ende nehmen". Ich halte diese Wendung für sehr wohl möglich. Das einzig Erstaunliche ist, daß die Haltung des preuß: Ministeriums in einer Art stillen Opposition gegen Zedlitz und Caprivi den Ausschlag gegeben zu haben scheint. So lange in den obersten Behörden der altpreußische liberale Geist lebt und sich nicht bange machen läßt, so lange ist keine Gefahr. Das famos Gute, das drin liegt, muß das Furchtbare des der Autorität angethanenen Krachs balanciren. Empfiehl mich allerseits. Dein alter Papa. 254
Emilie Fontane an Theodor Fontane jun.
[Zillerthal] d. 3. Juni. 92. Mein lieber, alter Theo. Gleichzeitig mit diesen Zeilen an Dich, wird ein Brief gleichen Inhalt's an Friedel abgehn, denn da er sich so oft in internen Angelegenheiten als Zurückgesetzter betrachtet, habe ich meine
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anfängliche Absicht, Du möchtest ihn mit unsren Beschlüssen bekannt machen, aufgegeben. Ich will nun mein lieber Theo so nüchtern u. kurz wie möglich Dir mittheilen, was das Resultat schwerer Kämpfe ist. Papa kam leidlich hier an; konnte auch in den ersten Tagen, vor Eintritt der Hitze Briefe schreiben, lesen etc. Dann erneuten sich die Angst-Anfälle; wir mußten einen Arzt aus Hirschberg zu Rathe ziehn, der nach einer eingehenden Untersuchung einen Herzfehler (Papa weiß es nicht) constatierte, äußerste Ruhe, vor allem jegliche geistige Aufregung untersagte. Damit war unsre Zukunft entschieden u. vorgeschrieben. Ohne Extra-Einnahmen können wir in Berlin nicht existieren u. so haben wir den Entschluß gefaßt, nach genauen Berechnungen mit dem Amtsgerichtsrath Friedländer, nach Schmiedeberg zu übersiedeln, wobei uns nur unsre arme Mete leid thut. Wir Alten, haben schon oft von einem Rückzug ins „Altentheil" gesprochen u. vielleicht ist es am Besten so, daß wir ohne Wahl sind, da wird uns die Qual erspart. Um dankbar zu sein, müssen wir anerkennen, daß wir eine Wohnung, unsren bescheidnen Ansprüchen entsprechend, in Aussicht haben; die alte Dame, die sie inne hatte, wurde am Tage unsrer Ankunft zur Ruhe bestattet. Sollte sich, was wir nicht fürchten, diese Aussicht zerschlagen, so müssen wir abwarten, bis sich etwas findet. Unsre Uebersiedlung hierher würde dann Anfang Sept. stattfinden u. Papa, aus dieser Miniatur-Villa in seine miniatur Stadtwohnung übersiedeln. Einen Abschied von Euch, den Freunden u. Berlin hat er für die Zeit vor, wo er hier „ansäßig" geworden ist. Daß innre Kämpfe u. die schmerzlichsten Gefühle mit diesem Entschluß Hand in Hand gegangen sind, brauch' ich wohl nicht erst zu betonen; ich kann nur wiederholen, daß alles Schwere uns dadurch erleichtert ist, daß wir eben keine Wahl haben. - Ob unser geliebter Papa sich hier erholen wird, ist abzuwarten. Wenn Du mich auf's Gewissen fragst, so muß ich antworten: ich glaube es nicht. Die Krankheit hat ihn rapid zum alten Mann gemacht u. die Jugendlichkeit, Elasticität, die bisher sein größter Reiz waren, sind geschwunden u. er sitzt als gebrochener Mann uns gegenüber, daß uns das Herz weh tut. Schlimm ist, daß wir beiden Frauenzimmer auch mehr oder weniger Invaliden sind; Mete durch ihr örtliches Leiden, ich durch Alter und damit verbundener Schwäche. Von Erholung hier, ist unter diesen Verhältnissen, bei keinem von uns, die Rede u. wir müssen doch dankbar sein, daß wir fern von Berlin, diese schweren Tage erlebt haben.
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Möchten wir nun endlich Gutes von Euch hören! Wir sehnen uns nach erfrischenden Mittheilungen. Alles bisher zu uns Gelangende, waren Todes-Anzeigen etc. Heut endlich eine beruhigende Nachricht über Stephany. Möge sie der Anfang von vielen Guten sein. Mir ist der Brief doch so schwer geworden, daß ich schließen muß. Die besten Grüße für Deine liebe Frau u. Deine lieben Kinder. In herzlichster Liebe Deine alte Mama.
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Emilie Fontane an Friedrich Fontane Zillerthal. (Nicht Schmiedeberg.) Schlesien. Villa Gottschalk, d. 28c· Juni. 92.
Lieber Friedel. Du hast nun durch Fr. St. gehört, wie traurig es hier steht. Wir leiden alle Drei, der arme Papa, dessen Krankheit der Arzt als hochgradige Neurasthenie erklärt, eine Krankheit, die öfter nach geistiger Ueberanstrengung in einer Richtung, eintreten soll, Mete, an Magen u. Beklemmungen u. Deine alte Mutter an Kraftlosigkeit u. beständiger Angst u. Sorge um den geliebten Mann. - Für Deinen gestern Abend eingetroffenen Brief herzlichsten Dank. Sobald ich etwas wünsche, werde ich mich an Dich, mein alter Junge, wenden. Sehr richtig finden wir Alle, was Du über Hertz schreibst; es ist, als wenn er ein Preis auf Geschmacklosigkeit ausgesetzt hätte; das Bild ist wie das eines steckbrieflich Verfolgten, aber nicht wie das eines schönen Mannes. Papa ist sehr damit einverstanden, daß Hr. Fleischel die Correktur von „Frau Jenny Treibel" macht; er möchte auch sehen, ob er einen Fehler im Englischen gemacht habe. Seine Gleichgültigkeit gegen Alles, was er geschaffen, ist mehr wie betrübend u. die vier Novellen (die größte, hält er für seine beste) die er noch liegen hat, beschäftigen ihn höchstens nach der Geldseite hin. Streben u. Ruhm sind von ihm abgefallen! - Wir würden Dir sehr dankbar sein, wenn Du uns, ein ungebundenes Exemplar von „Cécile" schicktest; Friedländer, dem wir für tägliche Aufmerksamkeiten, durch nichts erkenntlich sein können u. den wir nur immer wieder von Papa'n fern halten müssen, besitzt das Buch noch nicht. Er hat alle Bücher Papa's würdevoll stylvoll sich einbinden lassen. Mete grüßt Dich herzlichst, möchte es Dir doch recht gut ergehn, wir lieben Dich sehr. Auch unser lieber, armer Alter sendet Dir
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seine besten Grüße. Gleichzeitig habe ich an Theo geschrieben, er soll Dir den Brief schicken, denn ich bin nach gerade unfähig immer wieder unser trauriges Leben zu detaillieren. Deine betrübte, alte Mama.
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Emilie Fontane an Friedrich Fontane
Zillerthal. Schlesien, d. 18 Juli. 92. Mein lieber Friedel. Papa sendet Dir einliegenden Brief von Herrn Thorel, den er Dich dahin zu beantworten bittet: daß er durch Krankheit verhindert sei, selbst zu schreiben. - Gestern benachrichtigte uns Hr. Sternheim, von der Einzahlung des Honorars für Jenny Treibel. Auch das „Magazin" haben wir in 3 Nummern erhalten, worin die Notiz enthalten, daß Papa wieder nach Berlin zurückkehrt u. von seiner Auszeichnung in der franz. Presse. So viel Erfreuliches er in dieser Beziehung erlebt, so macht nichts den geringsten Eindruck auf ihn. Seine Krankheit verdüstert sein Gemüth u. läßt keine heitere Lebensanschauung mehr aufkommen. Mit seinem Appetit ist es verhältnißmäßig besser geworden, um so schlechter mit seinem Schlaf u. die Nächte mit ihm sind so angreifend u. erschöpfend für mich, daß wir morgen den Arzt fragen wollen, ob wir für die Nächte eine graue Schwester in Hirschberg erlangen können. Gestern waren Stöckharts hier u., liebenswürdig wie alle Menschen gegen den theuren Kranken, boten ihm an, ihren Wagen des öfteren zu schicken, um ein Stündchen spazieren zu fahren, was der Doktor auch sehr wünscht; aber ich fürchte, er wird es nicht thun u. den Kutscher mit einem Trinkgeld, fortschicken. Ach, mein lieber Friedel, es ist eine zu schwere Zeit u. ich wage nicht an Besserung zu glauben. Er spricht viel von Sterben u. möchte doch so gern leben! Berlin liegt ihm täglich im Sinn u. wir müssen ihm immer wieder u. wieder die Schattenseiten vorerzählen, daß die Aerzte fort, die Luft schlecht etc. es scheint ihm wie ein Rettungsanker u. die Idee: fortzugehn, die er Anfangs so energisch hatte, kann er nicht mehr fassen. Von Theo hatten wir vor einigen Tagen Nachricht. Für einen Reconvalscenten führt der liebe Kerl ein ödes Leben in Berlin u. er wird sich, eben so wie wir, die Wochen fortwünschen u. doch weiß man nicht, wie viele einem noch gegeben.
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Mete, die Dich herzlichst grüßt, ist natürlich wieder sehr herunter. Ihr fällt die Sorge für die Verpflegung Papa's zu, die sie mit ihrer ganzen Gewissenhaftigkeit erfüllt, was jetzt, wo Schmiedeberg u. Umgegend von Fremden überfüllt ist, seine Schwierigkeiten hat. Seit einigen Tagen ist die Familie Schreiner in Schmiedeberg, aber Martha kann doch höchstens immer auf ein Stündchen von uns fort. Ueber jedes Lob erhaben ist unsre Anna; in der kleinen Küche ist es wie in einem Hôtel, denn jede Stunde u. jeder Tag bringt neue Wünsche für die Verpflegung. Das Wetter ist schwül u. kalt, aber jegliches, wie es auch sei, bedrückt den armen Kranken u. mit Entsetzen denken wir an unsre 3 Treppen. Hier kann er jede Minute in's Freie treten, in jedem An= u. Aufzuge u. die Ungeniertheit in dieser Beziehung ist auch für uns Gesunde eine Erleichterung. Theo schrieb, daß Ihr bei Kögel zusammen Euer Mittagbrot einnähmet. Grüße ihn recht herzlich u. er müßte diese Zeilen mit für ihn geschrieben ansehen. Ich bin so müde u. mürbe von den letzten 3 schlaflosen Nächten, muß unsre immer noch ziemlich große Correspondence führen, daß mir die Kräfte versagen. Ergeh es Dir gut. Papa u. Mete grüßen Euch Beide mit mir. Deine alte Mama.
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Emilie Fontane an Friedrich Fontane
Zillerthal. Schlesien, d. 21. Juli. 92. Mein lieber Friedel. Vorläufig ist die Gefahr, nach unsrer heißen kleinen Wohnung zu kommen, noch abgewendet. Wie lange? meine Sachen waren gepackt, Alles geordnet, da fiel dem armen Papa der Gedanke an die Hitze u. schlechte Luft in Berlin wie Centnerlast auf die Seele u. er beschwor mich nun wieder hier zu bleiben. Ach, Friedel, es geht aber über meine u. Mete's Kräfte u. über kurz oder lang müssen wir zu andern Mitteln greifen. Es ist nicht zu beschreiben, wie schwer es ist mit dem armen Kranken zu leben, die Tage sowohl wie die Nächte. Wir erwarten den Arzt, der immer dringender von einer Nervenheilanstalt spricht. Papa, der erst damit einverstanden schien, zeigt jetzt ein wahres Grauen, so daß ich nur in äußerster Noth meine Einwilligung dazu geben würde.
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Jede Stunde will er etwas anderes u. gestern Abend in wahrer Verzweiflung, weil er immer wieder u. wieder von Berlin sprach, sagte ich: gut, wir wollen es thun, da du es wünscht. Heut packe ich nun, ordne Alles, engagiere ein[e] Schwester zu Mete's Hülfe, da sagt er: wie soll es nur werden? Du hast es gewollt! Nein, antwortete ich, die Verantwortung übernehme ich nicht; täglich, stündlich haben wir dir in den schwärzesten Farben den jetzigen Aufenthalt in Berlin u. den wundervollen hier geschildert etc. etc. Da umarmt er mich, bittet mich Nachsicht zu haben - u. wir packen wieder aus. Diesen klaren, verständigen Mann so zu sehen, ist herzzerreißend u. Deine arme Mutter ist sehr zu bedauern. Grüße unsern Theo. So müssen wir unsres Enkels Geburtstag feiern! gottlob ahnt seine kleine Seele nichts von dem Leid seiner alten Großeltern. Mete ist ein Engel u. bitte ich Dich nach meinem Tode ihr diese Zeit zu vergelten. Immer in innigster Liebe Deine tief betrübte Mama.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Zillerthal
i. Riesengebirge. Villa Gottschalk 24. Aug. 92.
Meine liebe Mete. Heute Vormittag kam Deine Bleistiftkarte, die uns beruhigte, wenn man eine „schauderhafte Reise" eine Beruhigung nennen kann. Zwei Tassen Kaffe und Deyelsdorf und das verehrte und geliebte Haus Veit in Sicht, sorgen aber für ein Gegengewicht. Möchtest Du Dich bald von den unerhörten Strapazen in Zillerthal erholen; Du hast es Dir durch Tapferkeit verdient. Hier geht alles im alten Geleise weiter, eine merkwürdige Form von Leben; die Hitze läßt nicht nach, Friedländer kommt, sonst Einsamkeit. Die Alte resolut wie immer und mir ein Vorbild. Anna frisch und munter auf dem Posten. Mög es so bleiben, d. h. Annas Frische u. Munterkeit, sonst ist vieles hier sehr besserungsdürftig, wie keiner besser weiß als Du. Theo hat sich also nicht eingefunden; eure Beziehungen werden dadurch nicht intimer werden. Heute kam ein Brief von Stephany; sie rüsten sich zur Abreise nach Sedisberg am Vierwaldstättersee; aber die Reise muß mit 3 Nachtquartieren gemacht werden: Frankfurt, Trüsberg (oder so ähnlich) und Luzern.
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M a x Nordau hat mir sagen lassen: er würde mich durch Einspritzungen Brown s Seguard'scher Flüssigkeit zu heilen suchen. Er fügt auch hinzu, woraus diese Flüssigkeit gemacht wird und dabei ist mir wieder etwas unheimlich geworden. Vieles ist doch jetzt zu künstlich. Ergeh es Dir endlich ein bischen gut, was natürlich heißen soll, recht recht gut. Du kannst es brauchen. Wie mußt Du Dich nach heitren Eindrücken sehnen. M a m a schreibt noch eine Karte, zieht ihre Absicht aber zurück, in dem Augenblick wo ich dies niedergeschrieben. Sie schreibt morgen. Ich habe es gut gemeint und sehe nun aber, daß Du ein schlechtes Geschäft machst, denn M a m a s Karten enthalten immer mehr als meine Briefe. 1000 Grüße dem ganzen Hause. Wie immer Dein alter Papa. 259
Emilie Fontane an Theodor Fontane jun. Zillerthal. d. 28. Aug. 92.
Mein lieber Theo. Eigentlich wollte ich Euch Lieben einige Begrüßungszeilen in Eure neue Wohnung senden, da ich aber weder Straße noch Hausnummer weiß, so richte ich diesen Brief noch nach der Fr. Wilhelmstr., in der nun wohl Deine lange Strohwittwerschaft ihr Ende erreicht hat. Aus den Zeitungen ersahen wir, daß ein nächtliches Gewitter endlich auch für Berlin die heiß ersehnte Abkühlung gebracht hat. Auch wir athmen seit derselben Nacht auf, nachdem ich 2 stürmische Scirroco-Nächte auf unsrer Veranda verbracht hatte. Unser geliebter Alter hat die Hitze verhältnißmäßig besser ertragen, wie die ersten acht heißen Tage unsres Hierseins, in denen er „sonnenkrank" war u. sehr litt. - Sichtlich ist er auch seit Mete's endlicher Zwangs-Abreise erleichtert, natürlich erschrocken u. betrübt zu hören, daß sie seit vorigen Herbst 14 té! abgenommen hat. Der gute Veit hat sie gleich in die Kur nehmen müssen u. hoffe ich nach u. nach auf beruhigendere Nachrichten von ihr, denn um Beide, Vater u. Tochter, mich ängstigen müssen, war etwas viel. Natürlich denken wir jetzt mit Sorge an Euch in Berlin. Ich weiß nicht, wie es mit Deiner Cholera-Angst bestellt ist, mein lieber, alter Theo, aber nach den „7 Weißen" von denen Du uns schreibst, scheint sie nicht groß zu sein, aber bei unserm sonst so ruhigen u. nüchternen Friedel, ist sie von Kindheit an, vorhanden, u. denke ich mit Sorge seiner, denn die Angst soll die Gefahr erhöhen. Auch
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unserm geliebten Alten sind die Nachrichten vom Zunehmen der Krankheit sehr bedrückend, so viel ich kann, mildere ich ihm dieselben beim Vorlesen der Zeitung, aber sein Entschluß, länger hier zu bleiben, ist doch dadurch befestigt u. hoffe ich dieser Plan steht endlich fest. Ich beschäftige mich überhaupt mit unsrer dunklen Zukunft wenig, die Gegenwart fordert mein bischen Kraft u. ein ruhiger, sorgenloser Lebensabend scheint uns beiden Alten nicht beschieden zu sein. Dafür wird mir jetzt in beschämender weise meines theuren Kranken Anerkennung zu Theil u. ich muß ängstlich vermeiden, von irgend etwas Schwerem aus unsrem Leben zu sprechen, um ihn nicht in Selbstvorwürfe ausbrechen zu sehn. Diese Wandlung ist aber schmerzlich u. die Fürsorge die er von früh bis spät für mich zeigt, ist nicht nur rührend, sondern auch ein Beweis, seiner Schwäche. Wir denken also hier zu bleiben u. wollen unsre Abreise, wenn Papa's Befinden sich nicht verschlechtert, so einrichten, daß einer von uns am 24. Sept. nach Lichterfelde kann. - Noch nie in meinem Leben habe ich so viel zu schreiben gehabt, die Theilnahme der Freunde u. Fernerstehender ist so groß, daß ich immer zu danken u. zu antworten habe. Sehr hoffe ich noch meine Johanna hier zu sehn; sie schickte mir vor Wochen 20 Fl. Wein u. versprach zu kommen. Nun hat sie durch Erkrankung ihrer ältesten Tochter ihr Versprechen noch nicht ausführen können. Papa grüßt Dich, Martchen u. die Kinder herzlichst mit mir, hoffentlich haben sie sich recht erholt u. Deine liebe Frau erträgt die großen Strapazen des Umzug's ohne Nachtheil. Nimm Du nur den Löwenantheil davon auf Deine Schultern. In herzlicher Liebe Deine alte Mama.
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i. Riesengebirge 29. Aug. 92.
Meine liebe Mete. Gestern kam Dein lieber Brief (der zweite), heute die Karte vom 27. Es betrübt uns sehr, daß es noch nicht recht werden will und Dir vorläufig nur Hafergrütze blüht. Noch schlimmer: Opium. Daß Du Leidensgefährtinnen hast, verbessert die Situation wenig. Wir hai-
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ten uns auf diesem Gebiete noch leidlich, aber Mama hat schon während dreier Sturmnächte am Fenster gesessen und ich meinerseits bringe es nicht über 2 Stunden Schlaf, trotzdem die Nächte ruhig d. h. blafffrei sind. Den ganzen Tag über turkle ich müde umher und gehe öfter in den Wald, wo man doch ein bischen Schatten hat. Im Brouillon habe ich während der letzten Tage einen langen Brief an Dich geschrieben, aber ich hatte nicht die Kraft ihn zu copiren und fürchtete außerdem bei jeder Zeile erneut das Gefühl zu haben: „nein, das geht nicht, das verfehlt ganz den Zweck". Zweck war nämlich Dir nur Nettes, einigermaßen Aufkratzendes zu schreiben. Haus Reimann bei der Arbeit zu sehn ist eigentlich das Beste. Am Sonnabend war Pastor Wallis bei uns und half uns über eine Stunde fort, gestern Friedländer mit allen 3 Damen. Sie waren am Sonnabend in Hirschberg gewesen, von halb drei bis halb zwölf. Um 1 Uhr Nachts wieder zu Haus, wo er dann noch Aktenstücke vornahm. Ich mache es ihm nicht nach. In Hirschberg hatte er General Flotow's, außerdem Haus Lemcke und Baron Schoeller mit Frau besucht. Alle waren sehr befriedigt. Für mich wäre es nichts. Uebrigens herrscht wieder Haus= und Familienverstimmung: Marie Tilgner will mit der Schwester, Frau Hauptmann Hänseling, 4 oder 5 Tage nach Wang und Brotbaude, was er, Friedländer, übel genommen hat; er sieht darin ein Mißtrauensvotum. Ueberall Krakehl. Es ist eine Kunst in Frieden zu leben. Eine Stelle aus meinem Brouillon - in dem ich mir, aus Liebe zu Dir, auch Rathschläge erlaubte - will ich aber doch abschreiben: „sei froh, daß Du unter lieben hundertfach bewährten Menschen lebst, genieße die Deyelsdorfer Tage und vergiß nach Möglichkeit die 13 angesichts der Koppe verlebten Wochen." Ja, Freundschaft und Treue sind viel. - Die französisch sprechenden Herren u. Damen der letzten Tage sind die Ruhberger Herrschaften, Fürst oder Graf Czartoricki sammt Anhang. Daß mit Stoeckharts (Brautkranzgedichte) wird sich nicht leicht machen, da wir nicht gut Anna schicken können mit der Bestellung: „was macht der Geheimrath? A propos haben Sie vielleicht noch die Brautkranzgedichte." Vielleicht hilft aber Mama aus der Verlegenheit oder ich schreibe an Friedel. Empfiehl mich den verehrten Herrschaften aufs herzlichste; mein Dank gegen sie ist sehr groß. Du aber erhole Dich und komme wieder in guten Stand. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Zillerthal
i. Riesengebirge. 1. September 92.
Meine liebe Mete. Da wäre nun der September! Wenn er zu Ende ist, sitzen wir nicht mehr hier, sondern in Berlin, auf das ich mich nicht freuen kann. Die Ruhe hier, so viel Hartes mit unterläuft, hat doch ihren Werth und Reiz. Wenn erst wieder „Kollegen" kommen und Geld, Rath, Beiträge erbitten! Und dann Friedeis Pläne. Und dann Theo, der unterhalten sein will. Aber vorüber an diesen Bildern. Gestern Abend kam Regen mit Gewitter in der Ferne; wir schliefen verhältnißmäßig gut, nur von 4 an quälen einen die Fliegen. Wir sind hocherfreut, daß es anfängt körperlich besser mit Dir zu gehn; liebevolle Worte und Musik werden auch der Seele aufhelfen. Wundervoll ist der Plan einer Wagenfahrt nach Warnemünde; mit kleinen Rasten in kleinen Städten, wo man gut verpflegt wird, kann das eine rechte Erfrischung werden, selbst an einem heißen Tage. Und zuletzt die gute Tante Witte, die so viel Liebe hat und für alles ein Interesse mitbringt. Hier geht alles in altem Geleise weiter; schwer sind die Stunden vom 2. Frühstück bis zum Nachmittagskaffe; ich bin dann immer so furchtbar müde und fahre doch auf, wenn mich die Müdigkeit übermannen will. Von 4 Uhr an wird es dann besser. M a m a liest mir manches vor, interessante Schilderungen Lindaus aus Amerika (doch ein großes Talent und nun so ganz untergebuttert) und Auszüge aus einem Moltke-Buch, namentlich Urtheile General Verdy's über den großen Schweiger. Eigentlich sind es kleine Lächerlichkeiten, die er erzählt, aber sie stehen in solcher Beleuchtung, daß man das schön Menschliche daran bewundert und der zu Feiernde nichts von Größe einbüßt; im Gegentheil. Ich werde die Artikel herausschneiden und sie Dir schicken, da dies doch ein Brief mit doppeltem Porto wird. Denn eben kommt Dein lieber Brief vom 30., der die „Doktorbriefe" fordert, was sich wohl auf die Briefe von Hirt und Delhaes bezieht. In Delhaes Brief verstehe ich die eine Stelle so, daß er solche Kur für nicht Ausschlag gebend hält; ich persönlich stehe so zu der Frage: gewiß ist die elektrische Behandlung vorzüglich und sie hilft einem eine Ecke weiter, Hirt im Besondren ist ein Meister und Magier. Aber ich glaube zu wissen - und Hirt selbst sprach von Nachkur im „November", natürlich auch in Breslau daß es immer nur eine kleine Weile vorhält und ich kann nicht
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unsre letzten Dreier ausgeben, um mein Leben so kümmerlich hin zu fristen. Es ist ja nur noch „Gewohnheit des Daseins". Von „süßer Gewohnheit des Daseins", wie es eigentlich heißt, wage ich kaum noch zu sprechen.
Hinsichtlich der Cholera lesen wir alles was die Zeitung bringt. Die Hamburger, die man überall zurückweist wohin sie auch fliehen mögen, sind in einer furchtbaren Lage. Ich habe etwas Aehnliches von Panik, von in Bann thun einer ganzen Bevölkerung, kaum erlebt. Die Berliner, die sich so sehr beglückwünschen und mal wieder alles vortrefflich finden, mögen für ihren Dünkel nicht bestraft werden. Miethskasernen, Kellerlöcher, Hängeböden, Schlafburscheninstitut, alles überfüllt, Kanalluft, Schnaps, kühle Weiße und Budikerwurst, - da kann es jeden Augenblick auch hereinbrechen. Bleiben wir hier noch lange - vorläufig beobachten wir die Situation - so kommst Du natürlich wieder her*; wir werden Dich doch nicht allein in der unwirthlichen Wohnung lassen, die schon in normalen Tagen, wie ich jetzt stark empfinde, viel zu wünschen übrig läßt.
Bei Stoeckharts ist alles beim Alten; es heißt Dr. Wille erschiene jetzt häufiger, doch ist es on dit, also ganz unsicher. Eine mir unbegreifliche Situation. Dazu ist man Geheimrath, Millionär und Chateau-Besitzer; Könige sollen es mitunter am schlechtesten haben. Kaiser Wilhelm konnte in seinem Palais, als er Abends hungerte, kein Butterbrot kriegen und Hôtel de Rome mußte schließlich aushelfen. Friedländer, der - in Folge Urlaubs seines Kollegen, jetzt viel zu thun hat - kommt trotzdem täglich und ist uns immer eine Freude. Seine Schwächen liegen obenauf, aber wie wäre unser Leben hier ohne ihn gewesen. Und nun namentlich jetzt, wo wir allein sind. Denn auch Stoeckharts versagen. Und wir können bei 22 Grad im Schatten nicht nach Hohenwiese pilgern und uns auf der Veranda mit Steinfußboden erkälten. Die beiden Friedländerschen Schwägerinnen * M a m a , der ich eben - sie sitzt in der Küche Preißelbeeren auslesend, - diese Briefstelle mittheile, will davon nichts wissen. Das ginge nicht und ich müßte Dir dies schreiben, damit Du Dich in Deiner Seele nicht mit diesem Gedanken trügest. Zieht es sich wirklich lange hin, so gehst Du vielleicht auf ein oder zwei Wochen nach Rostock oder Z a n s e b u r . Vorläufig hält M a m a wohl an dem Plan fest, daß wir am 2 1 . wieder in Berlin sind.
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wollen morgen oder übermorgen auf 8 Tage nach Wang und Heinrichs=Baude. Er ist verstimmt darüber, weil er es als „stillen Vorwurf" gegen seine Gastlichkeit nimmt, hat aber Unrecht. Die Damen ihrerseits freilich auch, weil sie das Wort gebraucht haben „sie wollten ihn auf 8 Tage „entlasten." Das ist Unsinn. Außerdem ist der Mann jetzt gar nicht in der Lage, um Koppen=Partieen zu machen. In Arnsdorf hatte er einen schweren gerichtlichen Fall, erschütternd in seinen Details. - Schreibe gelegentlich mal an Theo, ganz kurz. Seine Art kann Dir nicht sympathisch sein, trotzdem bleibt er immer noch eine gute Nummer, vielleicht eine glänzende. Denn wie sind die Menschen! Nur Deine jetzige nächste Umgebung nehme ich aus und Du kannst Dich mit dem Dank für diese Thatsache nicht genug durchdringen. 1000 Grüße. Wie immer Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Theodor Fontane jun. Deyelsdorf d. 5 Sep. 92.
Lieber Thotz Es ist zu mir gedrungen, dass Du Dein opus betreffs unserer Uebersiedlung nach Schmiedeberg noch immer für unbeantwortet hältst; ich sehe daraus, daß Du Mama's langen Brief andauernd ignorirst, und das geht doch eigentlich nicht. Ich selbst habe nicht geantwortet weil die Ueberschrift ja doch nur wie zufällig an mich war und das ganze Schriftstück doch im Wesentlichen an die Eltern gerichtet schien. - Jedenfalls denke ich, daß wir nun endlich die von mir schon in einem Brief an Fuz vorgeschlagene Friedenspfeife rauchen; hoffentlich bald gemeinsam, denn ich dränge stark nach dem Stall. Kommen die Eltern z. 20 Sep. nach Berlin, so werde ich wohl er. d. 16 dort eintreffen, bleibt Papa aus Choleraangst noch ad infinitum fort, so würde ich zu der armen Mama Unterstützung noch nach Zillerthal zurückgehen, dann aber jedenfalls einen Tag zu Deiner Besichtigung in Berlin bleiben. Sobald ich Definitives über meine nächste Zukunft weiß, werde ich Dich und den großen Desinfektor benachrichtigen. Hier hatte Alles Cholerine und Marie war sogar recht elend; wir haben darum auch unsere Wagenfahrt nach Warnemünde vorläufig aufgegeben. Leider schreiben die Eltern recht unbestimmt, so daß es schwierig für mich ist, mich nach ihnen zu richten. - Ihr sitzt nun
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schon in der hochherrschaftlichen neuen Wohnung und werdet Euch hoffentlich nicht der loggia zuliebe erkälten. Ich bin sehr gespannt auf die Kinder und den Erfolg von Eberswalde; Marthchen wird wohl froh sein, wieder in der Metropole zu leben; sehr interessant kann ihr Sommer nicht gewesen sein. Mir geht es ganz gut, wenn auch nicht so gut wie manche Wochen in der Villa Gottschalk; es war gesundheitlich, abgesehen von Sorge u. Aufregung ein großartiger Aufenthalt und es bleibt ein Jammer, daß wir nicht haben zum Genuß davon kommen können. Der alte Veit, der sich rührend in unsere ganze Situation versenkt, bleibt noch jetzt dabei, Papa müsse in eine Nerven-Anstalt; ich glaube nicht, daß sich der liebe Alte je dazu entschließen wird. Sehr erfreut war ich zu hören, daß es Dir beruflich so viel besser gefällt wie im vergangenen Jahre und Du auf dem besten Wege bist, Dich zu der Dir in die Wiege gelegten Theekindschaft wieder heraufzuarbeiten. Die Gräfin ist ab und zu hier, fährt dann wieder nachhause um für ihre dreimalige Einquartierung zu sorgen; sie sollte mit einer Tante in die Schweiz, die die Reise aber aus Furcht vor grüner Seife aufgegeben hat. Papa beklagt die Hamburger; wir schimpfen und wünschten Militär-Cordon. Grüße Weib und Kind und grolle nicht Deiner uralten Pulverhexe gen: Mete
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 9. Juli 93. Meine liebe Mete. Ich will doch auch mal ein Wort von mir hören lassen, trotzdem Mama fleißig schreibt und Karl Eggers morgen nach Warnemünde fährt. Ich glaube, daß Mendels Pillen sehr gut sind, aber sie müssen beständig von etwas Obstruktionbekämpfendem begleitet werden. Meine Pillen sind dazu nicht ausreichend, weil sie doch auch etwas sind, was man nicht so ganz gemüthlich, etwa wie etwas Honig zum Kaffe, nebenher genießen kann. Ich lege Dir deshalb ein andres altes, von dem seinerzeit gefeierten Barez herrührendes Rezept bei, von dem ich viel halte, weil es alt ist. Ich werde immer mehr in der
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Anschauung bestärkt, daß wir viel zu sehr mit dem Alten aufräumen und die Weisheit und Erfahrung zurückliegender Zeiten nicht genug würdigen. Da kriegte ich heute, beim Kramen, ganz von ungefähr ein kleines Buch in die Hand: „Kriegstagebuch des Generalquartiermeisters v. Barsewisch"; ich las ein Kapitel, das die Schlacht bei Leuthen beschreibt, in der er 16jährig, als „Junker" auf den Tod verwundet wird, Schuß durch den Hals, zwischen Gurgel und Aorta. Die Kugel, die im Schulterblatt (also Schrägschuß) stecken bleibt, wird ihm, am andren Tage, nach 7 maligem Versuch mit einem stumpfen Federmesser aus dem Schulterblatt herausgeschnitten. Es war alles auf den Tod; aber schon nach 2 Monaten war er wieder im Dienst. Alles heroisch. Dabei - und deshalb erzähle ich es hier - war der, der die Kugel mit dem stumpfen Federmesser herausschnipperte, keineswegs ein Stümper, sondern beinah ein Genie. Derselbe war ein im Laufe der Schlacht gefangen genommener österreichischer Regimentschirurgus *, der - ein Wallone und in einem wallonischem Regiment dienend - kein Wort deutsch sprach, aber sich in Lyon glänzende chirurgische Kenntnisse und wenn er sie nicht schon von Natur hatte feine Formen und humane vornehme Gesinnung erworben hatte. Dieser Chirurg aus feindlichem Lager rettete in 8 Tagen (dann wurde er ausgewechselt) nicht blos meinen Freund Barsewisch, sondern auch noch 4 andre schwerverwundete Offiziere die in demselben kleinen Quartier lagen und gab ihnen - was recht eigentlich die Rettung bedeutete auch noch Verhaltungsmaßregeln für die nächstkommenden Wochen. Alles verrieth die höchste Sachkenntniß, dazu Bravheit, Herzensgüte, Noblesse. Das ist nun 140 Jahr her; ich glaube nicht, daß man es jetzt besser macht; nur wichtigthuerischer und hochmüthiger ist alles geworden. Der Bürger spielte damals freilich eine traurige, schusterhafte Rolle und nach einer durch Advokaten zu vertheidigenden Freiheit darf man nicht suchen; trotzdem war es eine große Zeit. König, Adel u. Bauer besorgten alles; der Bürger fehlte, aber auch der Bourgeois.
In der Ausstellung der „ganz Freien" hat ein Bild von einer fremden Dame, Else Chemin, einen großen Eindruck auf mich ge* Man hatte ihm in der Schlacht, wie alles andre so auch sein chirurgisches Besteck geraubt, weshalb er die erste Operation mit einem Federmesser machen mußte.
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macht, trotzdem ich es verwerfen muß. Es nennt sich „Stillleben", besteht aber nicht aus Schweizerkäse, Kürbis und Sherryglas, sondern aus Crucifix, Kirchenlicht, Bibel, Gebetbüchern und einem Todtenkopf. Aber wie? das Crucifix ist einfach ein Crucifix, die Bibel ist wenigstens 200 Jahr alt, das Kirchenlicht ist ganz niedergebrannt und verschweelt nur eben noch mit Qualm und schwarzer Schnuppe, während der Todtenkopf, ein verschobenes türkisches Fez auf dem Schädel, den Beschauer vergnüglich anlacht. Es ist in seiner Art sehr geistreich, sehr witzig (schon die Bezeichnung „Stillleben") und dazu vorzüglich gemalt, unbedingt das beste Bild der Ausstellung, zugleich das kühnste. Aber die Geschichte von „be bold" mit der plötzlichen Einschränkung „but not too bold", - sie paßt auch hierher. - Desto mehr habe ich mich an dem Panorama von Rezonville erfreut, von den Malern Neuville und Détaillé. So wie sich's um Kunst handelt, schrumpfen wir zusammen; selbst in Erneuten und Barrikadenbauen haben die Franzosen mehr chic. Ein Glück, daß sie so leichtsinnig, so geldgierig und so kindisch sind, wir wären sonst immer verloren.
Mama fängt an sich zu langweilen, auch mit Recht. Aber wo soll ich ihr Menschen herschaffen! So aus Verlegenheit auf Suche gehn, rächt sich immer. Mit Schwiegertöchtern hat sie kein Glück. Wenn wir nur in Karlsbad ein paar erträgliche Menschen finden; rechtes Fiducit habe ich nicht.
Ja, mit Rodenberg! Ich kann da nichts thun. An meiner Haltung liegt es nicht. Ich habe immer gerade so viel Courage, wie mir zuständig; die Verhältnisse haben mir jederzeit eine Bescheidenheitsrolle aufgezwungen, „ach, es war nicht meine Wahl." Seine Bedenken, die Sache in aller Ausführlichkeit zu geben, sind wahrscheinlich berechtigt. Und doch kann ich es nicht bedauern, und bedaure es nicht, daß ich es so gemacht habe, wie's da liegt. Erst wollte man von den Ausführlichkeiten in „Vor dem Sturm" nichts wissen, jetzt höre ich nur noch: „gerade so, so war's richtig." Wer seinen eignen Weg geht, begegnet immer Widerspruch; die Schablone gilt „und heilig wird sie Rodenberg bewahren." Aber man muß es eben riskiren. Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Vielleicht wird es auch als Buch nur sehr mäßiger Anerkennung bege[g]nen, dennoch mußte es so sein. Es giebt, dabei bleibe ich, doch wenigstens einen Fingerzeig,
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wie man die Sache anzufassen hat. Das Operiren mit Größen und sich selber dabei als kleine Größe im Auge haben, immer Kunst, immer Literatur, immer ein Professor, immer eine Berühmtheit, das alles ist vom Uebel. - Solche Dame wie die Baudius würde ich an Deiner Stelle doch mehr auszunutzen suchen; so hast Du gar nichts davon, bei mehr Entgegenkommen unter Umständen viel. „Sie sprechen wie ein Buch" ist allerdings schlimm. - Daß Onkel Witte nicht reist, ist hoch erfreulich; an die Heilkraft des Schnapses kann ich nicht glauben. Ich schreibe sehr bald an ihn. Die meisten Notizen, die ich Dir schicke, sind eigentlich für ihn bestimmt, denn was historischen Sinn angeht, so bist Du Deiner Mutter Tochter. Empfiehl mich den Damen und denen, die ihnen zugethan und unterworfen sind. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad 17. Aug. 93. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. Wir sitzen nun doch in der „silbernen Kanne", nachdem 5 Minuten lang auch die „Amsel" wieder in Frage gekommen war. Ein Doppel=Gespräch mit der Amsel=Wirthin, Frau Marie Schmidt, leitete dies alles ein. Frau Marie Schmidt ist 60, klein, pummlig und hat einen Seitenkropf d. h. er hängt nicht über die Brust sondern mehr über die linke Schulter. Charakter dem entsprechend, also humoristisch. Ich sagte: „Frau Gaedike hat uns empfohlen; vielleicht erinnern Sie sich ihrer." „,Ach, Frau Gaedike, gewiß, eine charmante Dame.'" Mittlerweile war auch Mama aus der Droschke gestiegen. Diese führte nun frische Truppen in's Gefecht und sagte: „Herr Bahn hat uns an Sie empfohlen; vielleicht erinnern Sie sich seiner." „,Ach, Herr Bahn, gewiß, ein sehr charmanter Herr.'" So sind die deutschen Stämme verschieden. Ein Berliner hätte geantwortet: „Bahn? Bahn kenn ich nicht." Als echte Bekanntschaft stellte sich aber ein andrer Freund unsres Hauses heraus, wenn auch nur Freund auf dem Hühneraugenwege. Es lagen, als wir ausgepackt hatten, drei kleine Pennale auf dem Tisch alle mit der Inschrift: „Hühneraugenpflaster; Bellmann, Bellevue=Apotheke." Das Mädchen, auch Anna, las „Bellmann" und sagte: „Ach, Herr
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Bellmann, der hat im vorigen Jahre hier gewohnt." „,So, so" sagte Mama, „ein freundlicher jüdischer Herr.'" „Wohl möglich," war die Antwort „aber ich habe nichts bemerkt." Wir kamen sehr ermüdet hier an, machten aber doch noch einen großen Spaziergang, an dem Café Pupp vorüber, welchen Namen Frau Schmidt (übrigens nicht zu seinem Vortheil) weich ausspricht. Ich werde diese Correktheit denn auch nicht mitmachen. Pupp ist übrigens nicht ein vornehmer Kaffegarten, sondern ein Ding wie der Tuilerien=Garten, draus ein in gothischer Renaissance gehaltenes Riesenschloß als „Grand Hôtel Pupp" aufragt; drum herum Terrassen, Veranden, Gärten - alles mit Tischen, an denen getafelt und getrunken wird, überdeckt. In tausend Lichtern strahlend, wirkte es am Abend feenhaft oder doch orientalisch, welche Wirkung durch den Stammescharakter seiner Gäste gesteigert wurde. Ich hätte nie geglaubt, daß es so viel Juden in der Welt überhaupt giebt, wie hier auf einem Hümpel versammelt sind. Und dabei soll es in Heringsdorf noch mehr geben! „Nicht zu denken gedacht zu werden" hieß es früher immer im Kladderadatsch. Ich halte so viel von den Juden und weiß was wir ihnen schulden, wobei ich das Geld noch nicht mal in Rechnung stelle; aber was zu toll ist, ist zu toll; es hat etwas - auch vom Judenstandpunkt aus angesehn geradezu Aengstliches. - Der Ort ist wirklich eine Sehenswürdigkeit und wäre Stoff für einen Essay; ein solcher, d. h. ein Etwas, das das Wesen dieser merkwürdigen Welt=Gasthaus=Stadt zusammenfaßt ist wohl noch nicht geschrieben. Die Sache selbst ist das kunstvoll Gewordene mehrerer Jahrhunderte. - Heute Nachmittag wollen wir zum Arzt. Grüße die Brüder, die Schwägerin, Anna, Zöllners. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad. 20. August 93. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. Es ist glühheiß, aber ein paar Worte sollen Dir doch unsren Dank für Deinen lieben Brief vom Sonnabend aussprechen. Es freut uns sehr, daß Dein kl. Diner so gut verlaufen ist; von Deinem Apfelku-
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chen äße ich gern ein Stück, trotzdem wir uns hier in der Metropole des schönen Gebäcks befinden. Beschränke Dich persönlich nicht auf dünnen Thee; der allein thut es nicht, Du mußt gutes Fleisch daneben essen, am besten gekocht oder fettlos und wie am Rost gebraten, dazu ein Schluck Rothwein, nach dem ich hier Sehnsucht habe, so bescheiden die Marke Fredrichs sein mag. - Mama hat sich gestern Spätnachmittags wiederbelebt, als die hiesige Anna die Nachricht brachte: „das rothe Portemonnaie habe sich gefunden." Heute früh ist es in Empfang genommen worden. Gleich danach machte Mama ihren 2. Besuch bei Dr. Becher. Sie hat heut mit Theresienbrunnen (statt M a r k t s und Schloßbrunnen) begonnen, der, weil wärmer, minder drastisch wirkt oder wirken soll. Sie ist recht angegriffen, schläft aber leidlich, namentlich auch Vormittags, was ich ihr leider nicht nachmachen kann. Ich bin um 4 Uhr früh fertig mit Schlaf, weil dann ein über mir wohnender Trampler aufsteht; trotzdem ist mein Befinden leidlich; natürlich schlechter als in Berlin. „Der gepildete Mensch gehört in die Stube" sagte der sächsische Professor, ganz gewiß gehört er auch nach Haus. Kur= und Badeplätze sind (bei allem Respekt vor dem was Mutter Natur in ihnen leistet) doch im Wesentlichen Schröpfanstalten. - Friedländers kommen nicht, das ist unser großes Ereigniß. Der beifolgende Brief entrollt ein wunderbares Bild. Ich bedaure alles und alle. Grüße die Brüder, Anna, Zöllners, Sternheims. Wie immer Dein alter Papa. An Neumann-Hofer schreibe ich ein paar Zeilen.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Karlsbad 21. Aug. 93. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. So still wir hier leben, so fehlt es doch nicht an Schreibstoff, nur die Flügel sind schlaff und wollen einen Flug nicht recht wagen; Mama ist ganz abattu und ich bin müde, was nicht zu verwundern ist; um 4 meldet sich der Trampler, dann ist es mit dem Schlaf vorbei und dem Brunnenspaziergange von 7 bis 9 fällt die schwere Aufgabe zu, den versäumten Schlaf zu ersetzen. Das leistet er denn natürlich herzlich schlecht. - Uebermorgen Abend ist eine Woche um, was
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mich mit stiller Freude erfüllt. Wir haben zwar Grund, mit allem sehr zufrieden zu sein, sind es auch, aber die Einsamkeit ist groß und stempelt das Ganze doch zu einem grausamen Vergnügen. Liest man die Badeliste durch, so findet man, daß bis auf Australien, Uruguay, Buenos Ayres und Capstadt alle Länder und Nationen hier vertreten sind, bei näherer Untersuchung (glücklicherweise nur der Namen) findet man aber freilich daß sie alle gleichmäßig aus Jerusalem stammen und sich God save the Queen und Yankee-Doodle nur vorspielen lassen, um auf die Weise fremde Nationalität heucheln. Die Juden können froh sein, daß ein Lump und ein Verrückter, Ahlwardt und Paasch, den Antisemitismus in die Hand genommen haben, die eigentlichen antisemitischen Prediger sind sie selbst. Die Phrase vom „unterdrückten Volk" existirt immer noch; dabei lassen sie aber alle Welt nach ihrer Pfeife tanzen und selbst die Kaftan=Juden mit der Hängelocke, die hier Weg und Steg unsicher machen, tragen etwas von Trotz und Uebermuth zur Schau. Sie sind auch berechtigt dazu. Unser Tag verläuft wie folgt: um 6Vi auf, um IVi an den Theresienbrunnen (der besser für M a m a zu passen scheint als Markt- und Schloßbrunnen), von 7Vi bis 9 Spaziergang bis zum „Posthof", das Tepelthal hinauf, und auf dem Heimwege Gebäckeinkauf bei Domenico Mannl, Schweizer=Bäcker, von dessen „Weltr u h m " die Karlsbader mit Stolz sprechen. Und mit Recht. Was sind Storm oder Heyse neben Mannl! Der ist ein andres Mannl. Von 9 bis 9Vi Frühstück. Dann schläft sich M a m a viertelstundenweise durch den Vormittag durch, während ich Brugsch oder Pietsch oder Arne Garborgs Schilderungen aus „Kolbotten" lese. Dann Toilette, d. h. bei M a m a , das alte Spitzenkleid wird angezogen, bei mir ein neuer Hemdkragen wird umgebunden. Handschuhzwang für die Männerwelt existirt nicht. Dann folgt das Diner: halbes Rebhuhn, hinterher eine Mehlspeise und ein Glas Pilsener. Von 2 bis 4 Stillsitzen in unsrer Wohnung und Erörterung der lieben alten Fragen: „wird es schwül bleiben oder wird es regnen, oder wird ein Gewitter kommen oder wird es blos wetterleuchten"? Nach endlicher Feststellung, daß das eine so gut möglich sei, wie das andre, geht es um 4 zu Pupp, um Kaffe bez. Milch oder auch blos Gieshübler zu trinken. Die Kellnerinnen kokettieren (freilich nicht mit mir), die Oblatenmädchen, Bälge von 10 oder 12 Jahren, überbieten noch die Kellnerinnen und von fern her, oder auch im Lokal selbst, hört man Musik. Denn ohne diese geht es hier nicht. Die Session bei Pupp dauert bis 6. Dann wieder Spaziergang bis zum „Posthof", auf dem Heimwege Schinkeneinkauf bei „Friedel" (unsrem wünschte ich
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dies Geschäft, eine wahre Goldgrube), gegen 8 Abendbrot und um 9 in die Klappe. Bisher ging das alles ganz leidlich, aber das Vergnügen ebbt doch schon und ich sehe den Tag sehr nahe, wo der „Posthof" wo Mannl und wo selbst Pupp ihre Zauber verloren haben werden. „Unter Larven die einzig fühlende Brust," - selbst von diesem Minimalsatz ist hier nicht zu sprechen, denn auch diese eine Brust fehlt. Worin sich übrigens eine Ironie des Schicksals ausspricht, denn wenn es andrerseits etwas giebt, das hier massenhaft auftritt, so ist es Brust als solche. Schon nicht mehr schön! Neugierig bin ich, wie sich die Friedländerfrage entwickeln wird; ich halte es doch für möglich, daß er noch kommt. Die ganze Geschichte hat ein bischen was Blamables; das werden alle empfinden, auch die Damen. Mit Mama geht es nicht sehr gut, sie wechselt zwischen Schmerzen und Unbehagen, wohlige Momente nur „sporadisch", um eins ihrer gefährlichsten Lieblingswörter zu gebrauchen. Ich persönlich sehe aber in diesem Zustande nichts Schlimmes, das Brunnentrinken, das viele Gehen und Steigen und stundenlange im Freien sitzen, muß einen alten Körper natürlich ganz aufrütteln. Ich verspreche mir von der Kur nur Gutes. Und nun genug und übergenug. Grüße nach allen Seiten. Ergeh es Dir wenigstens leidlich. Von Cholera-Angst bleibt ihr hoffentlich verschont. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Meine geliebte Mete. Ich kann Dir nur einen kurzen Gruß senden u. freue ich mich, daß Pa mir das Schreiben abgenommen hat. Ich bin in einem miserablen Zustand u. wünschte ich wäre zu Hause. Letzte Nacht hatte ich so heftige Gliederschmerzen, daß ich immer aufstehen mußte u. umher gehen; wie gut daß ich allein schlafe, denn ich quäle Pa schon am Tage genug. Er ist der nachsichtigste u. gütigste Krankenpfleger u. es bedrückt mich sehr, daß er nur auf mich u. in meiner jetzigen elenden Verfassung angewiesen ist; ich begreife jetzt, wenn Treutler's vor einer immer neuen Badekur zurückschreckten. Wenn's nur nutzt! Mittwoch soll ich mit den Moorbädern beginnen, ich graule mich davor; vielleicht kräftigen sie mich ein bischen, dann will ich dankbar sein. Solltest Du Theo sehen, so grüße ihn herzlich u. sage unsre Briefe an Dich, müßten als Familienbriefe gelten. Hoffentlich habt Ihr schon das angekündigte Gewitter
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gehabt; hier wetterleuchtete es die ganze Nacht, u. jetzt fängt es an zu donnern; vielleicht trifft es um 3 Uhr ein. Aergre Dich nicht über die Handwerker u. sei mit Fuz u. Anna herzlichst gegrüßt von Deiner ganz miserablen Alten.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane
Karlsbad 22. Aug. 93.
Silberne Kanne. Meine liebe Mete. Habt schönsten Dank für Eure lieben Briefe. Daß Friedel nach Fanö will, freut mich. Die Wendung „vielmotivige Mogelpläne" ist Dir geglückt. Was Du, anläßlich der heimgekehrten Sternheimschen Kinder, über den Allgemeinzustand der „Sommerfrischler" sagst, ist sehr richtig. Immer wie aus der Campagne. Als ich aus der Gefangenschaft zurückkehrte, soll ich großartig gewirkt haben, ganz verwildert. - Unter Deinen Sendungen haben die beiden Geldstücke den größten Eindruck auf Mama gemacht; sie war ganz gerührt und mit Recht, - es war ein glücklicher Gedanke. - Ja, Zöllners bewähren sich in schwierigen Momenten immer; sie sind darin wirklich vornehm und vorbildlich. Mit Mama geht es nicht gut; die arme Frau muß wirklich viel durchmachen. Schon vor 3 Tagen fingen heftige Schmerzen an, sie hatte aber ruhige Stunden und konnte doch zeitweilig schlafen. Gestern verschlechterte sich aber die Situation und diese ganze Nacht hat sie kein Auge zugethan, konnte auch vor Schmerzen weder sitzen noch liegen, sondern marschierte auf und ab wie in Sturmnächten. Das ist hart. Schon elend und herunter und nun kein Schlaf und statt seiner Wehtage! In gelinder Verzweiflung machte sie sich zu dem Doktor auf den Weg, der ihr offen sagte, „er wisse nicht, was es sei." (Was mich für ihn einnimmt.) Er setzte hinzu: „wir müssen abwarten, was sich als Grund herausstellt, - es können allgemeine Unterleibsstörungen sein, Vorgänge in der Galle, neuralgische Schmerzen. Ja, das große Wort Ischias fiel. Ich glaube, nichts von dem allem und halte es für eine große Brunnenwirkung, die sich durch ziemlich starke Erkältung und gleichzeitige Ueberanstrengung complicirt hat. Krank ist sie; in diesem Zustande geht sie stundenlang (was übrigens vorgeschrieben ist) in Stadt und Park umher und wenn das Glück es fügt, setzt sie sich, mehr oder weniger erhitzt, weitre 2 Stunden ins
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Freie und läßt sich Gavotten und Czardas vorspielen. Ich kann daran keinen Vorwurf knüpfen, es ist das die Form, wie alle hier leben und nichts davon ist ihr ärztlich verboten worden. Dennoch, so nehme ich an, hat es ihr vorläufig geschadet. In diesem Augenblicke ist sie in's „Kurhaus", in dessen Kellern die Moorbäder geleistet werden. Sie nimmt heute das erste. Der Doktor meint und wohl mit Recht: „was auch die Ursach dieser Störungen und Schmerzen sein möge, solch Moorbad kann nur Gutes thun und vor allem lindern." Ich hoffe, daß sich das erfüllt. Mir geht es erträglich und bringe ich das fabelhaft heiße Wetter in Anschlag, so kann ich selbst sagen: gut. Allerdings fehlt mir meine Verpflegung, vor allem Zeltinger und selbst Pujeaux, trotzdem letztrer neuerdings im Kurs gesunken ist. Es giebt auch hier Zeltinger, aber die Flasche kostet grade 1 Thaler und das ist mir denn doch über den Spaß. Da vergifte ich mich lieber mit Melniker ruhig noch eine Weile weiter; - Gieshübler Sauerbrunnen muß für alle Schäden aufkommen. Gieshübel gehörte bis vor 20 oder 30 Jahren einem Grafen, vielleicht Graf Chotek, der das Quellwasser ruhig in die Tepel laufen ließ; er verkaufte dann seinen Besitz an einen Herrn Mattoni, also muthmaßlich an einen ungrischen Juden, der nun das Wasser auffing und es in den Welthandel brachte. Die Zahl der Millionen Gulden, die dabei gewonnen worden sind, ist so hoch, daß der gräfliche Vorbesitzer, der diesen Wechsel der Dinge noch erlebte, darüber verrückt geworden ist. Ich wäre nicht verrückt geworden, aber wer etwas wacklig ist, kann es dabei werden. Von Friedländer habe ich noch nichts weiter gehört. Er thut mir doch leid, und was auch seine Fehler sein mögen, er führt in dem Nest und unter dem superioren Gebahren der beiden Damen doch auch wirklich ein schweres Leben. Daß ihm die ganze „Tilgnerei" lächerlich und langweilig ist, darin hat er doch unbedingt Recht; wenn die Tilgners alles zusammenraffen, was sie für die Menschheit gethan, kommt noch kein halber Friedländer heraus. Da wir doch nun mal in einer Judenstadt leben (ich meine jetzt Berlin) so kann man die Friedländers dreist zum Stadtadel rechnen. Der alte Friedländer war immer noch eher ein Montmorency, als der alte Tilgner. Gestern besuchte mich „Professor Dr. Grünhagen, Geheimer Archivrath aus Breslau" (so stand auf seiner Visitenkarte) und schoß mir einige Lobkugeln in den Leib. Ich nahm es einen Augenblick ernsthaft, auch war es gewiß ein sehr gebildeter und sehr wohlwollender Herr, als er aber weg war, empfand ich doch deutlich, daß es alles Blech und Oedheit gewesen war und daß er den
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Besuch nur gemacht hatte, um eine langweilige Nachmittagshalbestunde passabel unterzubringen. Eben kommt Mama zurück; es ist eine gräßliche Modderei, aber doch nicht ganz so schlimm, wie sie gefürchtet hatte und was die Hauptsache, es scheint die Schmerzen wirklich gemindert zu haben. Sie grüßt bestens Dich, die Brüder, Anna. Ich thue desgleichen. Wie immer Dein alter Papa. Daß die Gräfin sich über ihr Schweigen in Schweigen hüllt, ist das Klügste. Nur keine „vielmotivigen" Auseinandersetzungen. Es stimmt doch nie. Da Du schwerlich zu richtigem Zeitungslesen kommst (die Norddeutsche ist kaum als Zeitung zu rechnen) so wirst Du noch nicht wissen, daß Charcot, dessen Bild Du bei Hirt sahst und der so recht eigentlich der Hocuspocus^Vater ist - was seine großen Verdienste nicht ausschließt - daß Charcot vor vier, fünf Tagen gestorben ist. Er war erst Mitte sechzig. Ich halte es für möglich, daß Hirt, dem es auf 1000 Kilometer mehr oder weniger nicht anzukommen schien, zum Begräbniß reist. [Nachschrift von Emilie Fontane] Du bist eben so rührend gut zu mir, wie Dein Pa u. Dein Paket hat mich zu Thränen gerührt. Eben habe ich zum ersten Mal das Badetuch benutzt, nachdem ich mit Ueberwindung in das Moorbad gestiegen; ich fand es nicht so schlimm u. saß wie in warmem Pflaumenmus. Zum Glück darf ich nur bis zum Herzen hinein, um das Klopfen zu vermeiden. Aber die Schmerzen melden sich schon wieder. Was wird's sein; das alte Gestell ist überall löckerig. Besten Gruß und Dank Euch Dreien! auch Fuz für seinen Brief.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad 24. Aug. 93. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. Vor einer Stunde kam Dein großes Briefpacket. Die Briefe aus Elsenau sind sehr liebenswürdig; die Quittung über die 460 Mark schicke ich direkt an Paetel zurück. Ich hielt einen niedrigeren
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Honorarsatz für möglich, aber freilich auch für provocirend, und hätte in diesem Falle kurzen Prozeß mit Rücksicht auf die Rodenbergs und Rundschau »Zukunft gemacht, bin nun aber froh, daß mir das erspart wird; ich bin nun mal für Frieden und Compromisse. Wer diese Kunst des Compromisses nicht kennt, vielleicht nicht kennen will, solch Orlando furioso und Charakterfatzke kann sich begraben lassen. Ich habe noch nicht gesehn, daß ein Dollbregen oder auch nur Prinzipienreiter heil durchs Leben gekommen ist. All den großen Sätzen in der Bergpredigt haftet zwar etwas Philiströses an, aber wenn ihre Weisheit richtig geübt wird, d. h. nicht in Feigheit sondern in stillem Muth, so sind sie doch das einzig Wahre und die ganze Größe des Christenthums steckt in den paar Aussprüchen. Man begreift dann Omar als er die alexandrinische Bibliothek verbrannte: „steht es nicht im Koran, so ist es schädlich, steht es im Koran, so ist es überflüssig." Das ist das Resultat, wenn man lange gelebt hat: „alles was da ist, kann verbrannt werden, wenn nur zehn oder zwölf Sätze, in denen die Menschenordnung liegt (nicht die We/iordnung, von der wir gar nichts wissen) übrigbleiben. Es ist auch recht gut so; nur für einen Schriftsteller, der vom Sätzebau lebt, hat es etwas Niederdrückendes. Mit Mama geht es heute wieder schlechter d. h. die arme Frau leidet sehr; in Wahrheit seh' ich die Sache ganz so an wie Du und erkenne in allem eine große und sehr gute Wirkung des Brunnens. Was sie jetzt an Schmerzen aushalten muß, wird ihr für den Winter muthmaßlich gut geschrieben; ohne die jetzige Kur, wäre sehr wahrscheinlich die Gallensteinbildung tapfer fortgeschritten. So ist doch Hoffnung da, daß alles vorher in kleiner Münze ausgegeben wird und es zu keiner Barrendeponirung kommt. Was Du über Theo und Friedel und nun gar über das Friedländer= und Tilgnerthum schreibst, ist alles richtig, nur - zumal was die letztre Gruppe angeht - nicht liebevoll oder nicht nachsichtig genug. „Nur der Irrthum ist das Leben etc." Im reinen Licht verbrennt alles. Es wird einem in der Jugend immer gepredigt, man solle seine Phantasie nicht ausschweifend wirthschaften lassen, und der Satz ist gut und richtig; aber was noch richtiger ist, ist das: „man hüte sich vor Gefühlssecirungen Andrer, vor dem ewigen Suchen nach dem eigentlichen Motiv, vor Betrachtung alles Irdischen im „reinen Licht". Erstlich kriegt man's doch nicht 'raus, hinter dem Letzten liegt immer noch wieder ein Allerletztes; aber wenn man's nun auch herausgekriegt hätte, was hat man davon? entweder Ueberheblichkeit, wenn man die Untersuchung am eignen
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lieben Ich vorbeigehen läßt oder Deprimirtheit und Katzenjammer, wenn man dahinter kommt: „ja, so bist du nun auch." Ohne ein gewisses Quantum von „Mumpitz" geht es nicht. Als ich jung war, hieß es in der Chemie: „wir berechnen alles nach Atomen; diese Atome sind etwas ganz Willkürliches, sie sind ein Einfall, wir haben sie uns erfunden, aber wir müssen sie haben, um unsre Rechnungen machen zu können; und sonderbar mit Hülfe dieser chimärischen Grundlage stimmt alles." So ist es auch in der moralischen Welt. Professor Möller (dämlicher Bildhauer) sagte zu Friedrich Eggers: „wenn da noch 'was fehlt, nehm ich wahrscheinlich Glaube, Liebe, Hoffnung." Wie oft ist mir das eingefallen! Immer wird ein bischen Glaube, Liebe, Hoffnung genommen, wie aus dem Bausteinkasten der Kinder. Von wirklichem Glauben und wirklicher Liebe ist mir noch nichts vor die Klinge gekommen, zu dem ich auch nur ein halbes Vertrauen gehabt hätte. Schopenhauer hat ganz Recht: „das Beste was wir haben ist Mitleid". Mitleid ist auch vielfach ganz echt. Aber mit all den andern Gefühlen sieht es windig aus. Trotzdem brauchen wir sie, brauchen den Glauben daran, wir dürfen sie nicht leugnen, einmal weil sich sonderbare Reste davon immer wieder vorfinden und selbst wo gar nichts ist, müssen wir dies Nichts nicht sehen wollen; wer sein Auge immer auf dies Nichts richtet, der versteinert. Die Wahrheit ist der Tod. Mein guter Friedländer, der 2 Häuser von mir im „Rebenstock" wohnt, hat keine Ahnung davon, zu welchen Betrachtungen er mir Veranlassung giebt. Du wirst ihm wohl im Einzelnen gerecht, aber nicht im Ganzen; er ist, mit all seinen Schwächen, erheblich besser, als Du ihn Dir vorstellst. Daß ich mich mit ihm in einer stillen „Ehemannsverschwörung" befinden soll, hat etwas unsagbar Komisches; alle diese Geschichten interessiren mich sehr wenig, eigentlich sind sie mir langweilig; Familiengeklön war nie mein Ideal und nur die künstlerische Behandlung dieser Dinge kann mich über ihre Dürftigkeit hinwegtäuschen oder trösten. Was mich an F. fesselt ist einfach seine ganz glänzende Beobachtungsgabe für alles, was ihn umgiebt, seine Schilderungen kleinstädtischer Kreise, die Aufgeblasenheit junger Referendare, der Dünkel durchschnittsmäßiger Seconde=Lieutenants, die hundert Formen des geaichten und abgestempelten Borussismus. Wie er persönlich dabei abschließt, das ist mir ganz gleichgültig; die Bilder, die er entrollt, sind wunderbar gut, wenigstens seh' ich all das in ganz gleichem Lichte. Mama kommt eben aus ihrem Moorbad, hat große Schmerzen und ist sehr deprimirt ... Seitdem sind 2 Stunden vergangen und ich
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finde sie, meinerseits von Tisch kommend, festschlafend vor. Sie hat wieder zu dem Morphium= und Cocain=mittel ihre Zuflucht genommen, womit ich ganz einverstanden war. Kein Schlaf und beständige Schmerzen, - das bringt noch mehr herunter als Morphium. Morgen wird sie wieder beim Arzt vorsprechen. Ich glaube, daß er bestätigen wird, alles geht ganz normal. - Ich aß heute mit Friedländers in einem größeren Hôtel. Die Verpflegung hier habe ich überschätzt; es ist nicht viel dahinter. Friedlä'hders sind sehr nett, besonders auch sie. Von der Verstimmung ist keine Rede mehr. Grüße allerseits. Ergeh es Dir möglichst gut. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad 25. Aug. 93. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. Eben erhalten wir Deinen Brief vom 24. und freuen uns, daß es Dir eine Spur besser geht; Delhaes Mittel helfen immer ein bischen. Um Zöllner wirst Du Dich wohl mal kümmern müssen, - die Situation dort muß sehr bedrücklich sein und für den kranken Mann wird nicht viel Zeit zu Pflege und Unterhaltung (!) übrig bleiben. Ich wünsche mir von Herzen vor solcher Halb-Existenz bewahrt zu bleiben. - Was die von Dir vermeldeten „kleinen Züge" angeht, so ist der Hauptcharakter derselben immer eine über das gewöhnliche Menschenmaß hinauswachsende Lieblosigkeit. Ich hätte nie geglaubt, daß ich das Schreckliche dieser Eigenschaft je so tief empfinden könnte, wie das jetzt der Fall ist; der landläufige Egoismus, der aller Menschen Theil ist, ist doch was sehr andres; man kann sehr egoistisch und flackerweise doch sehr liebevoll sein; ein Mensch der ja keine Liebe hat, hört auf ein Mensch zu sein und wie er selbst ein Stein ist, versteinert er andre, man wird leblos dabei und kann kein Wort mehr sagen. Ob wir zu hart urtheilen? Ich glaube, nein, und erschrecke doch zugleich vor diesem „nein". Weitres genire ich mich niederzuschreiben. Ich biete 5 Mark für den Ueberbringer eines Liebeszuges. Dem armen Friedel wünsche ich, daß er irgendwo einen Menschen findet, an den er sich gefahrlos anschließen kann. Allein in Fanö
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umherzubuttern, muß ein furchtbares Vergnügen sein; vielleicht findet er einen dänischen Buchhändler=Kollegen und kann Pläne machen für die Einbürgerung Heinz To votes im Sagenreichen Norden. Mit Mama geht es gar nicht gut oder richtiger sie hat viel durchzumachen; zu dem eigentlichen Leiden hat sich nun schwere Erkältung und verdorbener Magen gesellt, so daß sie heut erst um 2 Uhr aufgestanden ist und weder heute früh zum Theresienbrunnen, noch zum Doktor gehen konnte. Sie hat nicht das Talent sich abzupflegen und noch weniger die Gabe, sich als eine beinah 69jährige kranke Frau anzusehn; wenn es irgend geht, turnt sie wieder los; das macht einen guten Eindruck, weil jeder lieber einen quicken Menschen als eine Suse sieht, aber es muß ein etwas theurer Preis dafür gezahlt werden. Mit Friedländers sind wir nicht allzu viel zusammen, was zum Theil in Mamas andauerndem Uebelbefinden seinen Grund hat, aber doch auch in einem verständigen freiheitlichen Arrangement, was die sogenannten „Verabredungen" ausschließt. Diese „Verabredungen" sind unter allen Umständen etwas Furchtbares, aber zwischen Parten von sehr verschiedener Veranlagung, verschiednen Jahren und verschiednen Gesundheitszuständen bedeuten sie geradezu die Hölle und endigen allemal mit einem Kladderadatsch. Beide Friedländers sind wetterfest, können im Zug sitzen und fühlen sich bei 10 und 25 Grad Celsius gleich wohl. Da können wir nicht mit. Er hat um 1 Hunger, ich erst um 2, er ißt gern Abendbrod bei Pupp, ich sitze gerne zu Haus und mache es mir bequem; so bleiben eigentlich nur die Stunden von 4 bis 6 zu gemeinschaftlichem Concertbesuch und anschließendem Spaziergang übrig. Das ist auch genug. Sie ist eine reizende Frau, durchaus gescheidt und von einer vorzüglichen Gesinnung in allen Stücken; eine gewisse Patentirtheit und ein starkes Tilgnersches Familiengefühl sind vielleicht anfechtbar, aber was macht nicht alles in Familiengefühl! Die Mengeis haben einen Stolz, die Sommerfeldts, ich glaube sogar die Fontane's. Warum da nicht die Tilgner's? Onkel Tilgner war ein vielfacher Millionär und seine Tochter heirathete einen Grafen Stillfried-Rattonitz-Alcántara, einen Sohn desselben StillfriedAlcántara, zu dem Graf Arnim (genannt Pitt=Arnim) sagte: „Sagen Sie Stillfried, was macht denn der Lump, der Alcántara?" Das ist eine schlimme Kritik, aber eine bürgerliche Familie mit einem Grafen=Schwiegersohn darf sich schon immer einen kleinen Dünkel leisten. Die Menschen sind, wie sie sind. Er, Friedländer, ist ganz der alte; ich kenne nun alle seine Geschichten, aber ich lasse
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sie mir alle gern wieder erzählen, er macht es gut und es steckt was drin. Deine Bemerkung über die Gebildeten, die rein machen und Dienstmädchenarbeit thun und die Dienstmädchen, die sich dafür auf Bildung als das denkbar Inferiorste werfen sollen, hat uns sehr amüsirt, Mama fast noch mehr als mich. Ich stimme Dir ganz zu; wir haben aber wohl beide eine starke Neigung, nach dieser Seite hin doch a bissei zu weit zu gehn. Freilich, vergegenwärtigt man sich, daß alles was man hört, nur confus wiedergegebenes Zeitungszeug ist, so kann man dies Monstrum von Bildung nicht niedrig genug taxiren. Die Menschen werden gewandter, redefertiger, aber immer dummer; das eigne Denken hört ganz auf; selbst die Geschäftskniffe, die Mogeleien und Hochstaplerunternehmungen erfolgen nach Rezept, nach berühmten Mustern. - Wir wollen nun einführen, nur einen Tag um den andern zu schreiben. Grüße Frau Sternheim und Frl. Aßmann. Hast Du was von Otto Krigars Verlobung gehört? Da muß nun doch bald ein Krach kommen. Lebe wohl. Gruß an Anna. Wie immer Dein alter
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Papa.
Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad 27. Aug. 93. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. Schönsten Dank für Deinen lieben Brief vom Sonnabend. Ich freue mich, daß Du zu der „großen Frage" (denn es ist eine große Frage) so stehst wie Du stehst, und ich wünsche Dir, daß Du dabei bleibst, besser ist besser; ich fürchte aber, daß ich Recht habe. Den Selbstbeobachtungsprozeß, um daraus Schlüsse auf Andre zu ziehn, mache ich auch durch und komme dadurch zu meinen Trauerresultaten. „Wenn das am grünen Holze geschieht (das grüne Holz bin ich) was geschieht dann an dem andern?" Es giebt Einzelhandlungen, fast wie aus Zufall geboren, die mir imponiren und in denen ein unausrottbar Gutes der Menschennatur plötzlich in die Erscheinung tritt, das Fundament der Geschichte aber bleibt das Ichgefühl und dies Ichgefühl ist etwas mehr oder weniger Böses. Wie Laura Marholm in fast jedem ihrer hypergeistreichen Artikel
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schreibt: „auf den Altruismus kommt es an." Ich bin ganz „Pessimoff", also mit 73 eine Wildenbruchsche Figur. So rächt er sich an mir. Was Du über Z.'s schreibst, ist nur zu wahr; er immer noch ein Heros, sie (so sehr ich ihren Muth und ihre praktische Tüchtigkeit, auch eine gewisse Gesinnungsnoblesse verehre) zu dünn und schwach. Ueberhaupt, wenn ich mir vergegenwärtige, was mir, von Jugend an, von „Damen" so vor die Klinge gekommen ist! Zum Weinen. Ich bin für alttestamentlich patriarchalische Zeiten, für Rebecca, Rahel und das Aushülfematerial, oder für die Zeiten Aspasia's und der ersten römischen Kaiser. Was unsre Gesellschaft bietet, ist miserabel und bleibt es nur schwer festzustellen, ob der physische oder intellektuelle Stand der niedrigere ist. Ich fürchte der physische, was freilich viel sagen will. Wenn ich von Ueber=Cultur sprechen höre, wird mir ganz weh um's Herz; es sind erst Ururanfänge da, die trauriger wirken als gar kein Anfang. Die kleine Geschichte von Willi Sternheim ist reizend und spricht Bücher. Aus Kindermund kommt die Wahrheit. Zu gleicher Zeit zeigt es die erobernde und nivellirende Kraft des Berliner Geistes. Freilich wenn man hier in Karlsbad sieht, was noch alles zu erobern und zu nivelliren bleibt, so wird einem klar, die Spree hat nicht Wasser genug, den galizisch-wolhynischen Urbestand rein zu waschen. Mit Mama geht es seit gestern besser; es war auch hohe Zeit. Wir haben Beide mehr oder weniger den Brunnendusel, auch ich der ich nur 2 kleine Gläser kalten Sprudel trinke. Die Moorbäder scheinen Mama zu bekommen. Daß wir Friedländers hier haben, ist ein wahrer Segen. Mama grüßt Dich aufs herzlichste; sie wird morgen an Dich schreiben. Wenn Friedel in Westerland bleibt, werde ich ihm einen kleinen Brief stiften. An Theo, von dem heute ein sehr netter Brief eintraf, schreibe ich morgen. Heute Nachmittag wollen wir mit dem Professor Grünhagen aus Breslau zusammen sein; es ist ein freundlicher, wohlwollender Mann, ein bischen schlesisch, aber das ist nicht das Schlimmste. Heute habe ich auch die ersten Fahnenabzüge von „Meine Kinderjahre" erhalten; ich graule mich vor der Correktur. Denn wenn Stellen kommen, die mir nicht gefallen, so bin ich verstimmt, weil ich mich unfähig fühle, im Brunnendusel die Sache besser zu machen. Und nun lebe wohl, grüße Anna und Tilla. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad 4. Sept. 93. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. Mit Mama geht es heute wieder besser; es wechselt von 3 zu 3 Tagen, immer nach einer Attacke kommt eine Friedenspause. Sie hat sich nun auch drin ergeben und glaubt wohl selbst, daß diese Durchgänge nöthig sind, um Besserung zu schaffen. Wie Dir bekannt, erholt sie sich immer sehr schnell und sieht, wenn sie erst wieder zipp sagen kann, leidlich fidel in die Welt. Vor 3 Tagen kam sie ziemlich erregt nach Hause, sie sei Homeyer begegnet, der sich freundlich nach ihrem Befinden erkundigt habe; leider könne sie mit ihrer Haltung dabei nicht zufrieden sein, sie sei verlegen gewesen, zum Theil deshalb, weil sie nicht gewußt hätte, ob er „Excellenz" zu betiteln sei oder nicht; sie habe ihn aber „Excellenz" genannt und in ihrer Verlegenheit viel von Kissingen gesprochen, worauf er indessen nicht eingegangen sei. „Er war sehr freundlich, aber doch sonderbar." Gestern machten wir mit dem Friedländerschen Paar und einer Frau Professor Richter aus Jena einen längren Nachmittagsspaziergang bis nach dem Kaiser==Park und von dort über die Berge zurück, unter uns die Windungen der Tepel, alles sehr hübsch. Frau Professor Richter und Mama waren eine Strecke vorauf, Friedländers und ich folgten in erheblicher Entfernung. „Da sperren auf gedrungnem Steg, Zwei Mörder plötzlich seinen Weg." Es waren sogar drei. Einer der drei trat an mich heran und wir begrüßten uns beinah herzlich. Es war Müller=Grote. Friedländers trennten sich ab, um uns nicht zu stören und Müller-Grote und ich gingen eine Viertelstunde zusammen, auf einsamem Felsenpfad. Neben uns der Abgrund. Er erzählte mir seine vorjährige Krankheitsgeschichte, die mich wirklich interessirte; dann nahmen wir Abschied und er trug mir Empfehlungen an Mama auf, die er schon gesehn habe. Fünf Minuten später hatte ich Friedländers wieder eingeholt und es entspann sich folgendes Zwiegespräch. „Nun was hat er Ihnen alles erzählt? Bismarckiana? Staatsgeheimnisse?" „Nein; die sind ihm wohl selber ein Geheimniß." „Is er denn a. D.?" „Beinah. Baumgärtel besorgt alles." „Baumgärtel? Wer is Baumgärtel?
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„Nun sein Compagnon." „Compagnon? Ja, von wem sprechen Sie denn? Homeyer kann doch keinen Compagnon haben!" „Nein, Homeyer nicht, aber Müller=Grote. Der Herr mit dem ich sprach, war Müller=Grote." „Ja, ums Himmels willen, vorgestern hat Ihre liebe Frau mit demselben Herrn gesprochen und da war es Homeyer und sie hat ihn auch Excellenz genannt; wir standen ja dicht dabei ..." Mittlerweile hatten wir auch unsre Avantgarde: Frau Professor Richter und Mama wieder eingeholt und das Verhör begann. Das Resultat war, daß Mama den unglücklichen Müller=Grote für Excellenz Homeyer genommen hatte. Jetzt wurde ihr auch klar, warum er sich auf Kissingen nicht hatte besinnen können. Es ist schade, daß Müller-Grote gänzlich humorlos ist, sonst veranstaltete er vielleicht von „Unterm Birnbaum" eine neue Auflage und bemühte sich alte Scharten auszuwetzen. Es ist recht kalt hier, so daß wir heizen lassen und dadurch freilich erst recht in einen Erkältungszustand hineingerathen. Dabei Correktur machen, ist schwierig; ich werde auch, wenn ich mit der Hälfte durch bin, eine Pause eintreten lassen und die Sache erst in nächster Woche an meinem Schreibtisch wieder aufnehmen. Am Mittwoch d. 13. wollen wir fort; etwa 10 Uhr Abends hoffe ich in Berlin einzutreffen. Caprivi soll jetzt auch hier sein. Vielleicht führe ich Mamas Excellenzen »Unterhaltung mit ihm fort. Die Frau Prof. Richter ist eine Dame von 50, die ein gewisses Interesse einflößt. Sie trägt lange graue Locken und ist kinderlos, dafür hat sie, als Hauslieblinge, einen Fuchs, einen Raben und einen Leonberger, die alle friedlich miteinander leben und alle eine schwärmerische Liebe zu ihrer Herrin hegen. Besonders der Fuchs soll von rührend leidenschaftlicher Liebe sein. Was alles vorkommt. Man lernt nie aus. Grüße an Rath's, wenn sie noch in Berlin sind, an Fuz, Zöllners, Sternheims, Anna. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad. Silberne Kanne. 12. Sept. 93.
Meine liebe Mete. Morgen um diese Stunde sind wir schon auf dem Heimweg. Mama wollte, nach Eintreffen von Friedeis Brief, gleich mit nach Berlin zurück, hat aber meinem Zureden nachgegeben und wird nun doch nach Blasewitz gehn. Ich hoffe, daß Deine Krankheit Dich nicht mit Extras Schmerzen und Beängstigungen quälen, vielmehr nichts anderes sein wird, als Namensgebung und offizielle Anerkennung eines Zustands, der leider schon seit Wochen, vielleicht seit Monaten da war. Ich werde Dich nach Möglichkeit gut zu pflegen suchen; die Krankheiten mit ganz fremden Namen (wenigstens fremd für mich) sind meist nicht so schlimm wie sie klingen und bleiben hinter den Krankheiten mit ausgesprochensten deutschen Namen zurück. Das Deutsche bemächtigt sich immer des Gröblichsten. Ergeh es Dir so gut, wie irgend möglich. Mama grüßt. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Dienstag. 6. Januar 94.
Meine liebe Mete. Ueber den großen Tag gestern wird wohl Mama ausführlich berichten. Ich schreibe diese paar Zeilen nur, um Dich zu bitten mich beim Geheimerath wegen Nichtbeantwortung seiner freundlichen Karte entschuldigen zu wollen. Ich sitze aber so sehr in der Arbeit und habe so wenig Kräfte noch zur Verfügung, daß ich mit den Minuten rechne und meinen Vormittag um nichts zu verkürzen suche. Am 15. muß ich mein M.S. abliefern, dann kann ich wieder Mensch sein und mich auch nach Deyelsdorf hin einigermaßen legitimiren. Mit dem Befinden der Geheimräthin geht es hoffentlich besser; was es eigentlich ist, wissen wir noch immer nicht und Dein sonstiger Muth der Diagnosenstellung, eventuell über die Köpfe der Doktoren weg, scheint Dich verlassen zu haben.
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Und nun lebe wohl, ich habe noch Walter Heyden zu seiner Verlobung zu gratuliren und dann wieder hinein ins Correkturvergnügen. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 25. Januar 94. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Es ist hohe Zeit, daß ich mich melde, sonst hast Du zwei Welten bereist: Deyelsdorf und Rostock ohne auch nur eine Zeile von mir gesehn zu haben. Ich habe die ganze Zeit über viel gearbeitet, außerdem weiß ich, daß die Correspondenz, wenn Mama schreibt, in besten Händen ist; sie hat das was mittheilenswerth ist und den Empfänger interessirt, immer mehr gegenwärtig als ich. Dein Einzug in Deyelsdorf von Rostock aus mit Zuckerhut und Messingkessel etc. erinnert mich an ein Gedicht von mir: „Walter Scotts Einzug in Abbotsford", das Du mal nachlesen kannst. Es reimt sich drin: Maud und Erzbischof Laud, worauf ich besonders stolz bin; neuerdings ist das Gedicht dadurch berühmt geworden, daß Frau Richter, bei Ihrem Besuche hier, vorgab, durch Lektüre dieses Gedichts zu einem Besuche bei uns gewaltsam getrieben worden zu sein. Vielleicht ist es auch ganz ehrlicher Eberty-Cultus, denn es ist möglich, daß ich den Stoff zu dem Gedicht aus einer Walter-Scott-Biographie des alten Eberty genommen habe. Von der Richter bis zu Frl. Elling ist nach Annahme der alten Krigar wohl nur ein Schritt, nach meiner Meinung freilich sinds viele Schritte. Vor ein paar Tagen bin ich dem jungen Paar begegnet und habe, wie bei der Visite, wieder den angenehmsten Eindruck gehabt. Sie hat ein spezifisches Unschuldsgesicht, allerdings so, daß es wieder an Bedeutung verliert; - es giebt nämlich welche, wo dieser Ausdruck unvertilgbar ist, es möge im Uebrigen stehn wie's wolle. Auf die Elling aber schwöre ich vorläufig. Von Theo's Triumphen am Sonntag, auf dem Feste der Zwanglosen, hat Dir Mama schon geschrieben. Ich habe dabei noch meine besondre Vergnügung, weil es mich in meinen Menschenstudien, die immer vergnüglich sind, unterstützt. Schon ich selbst bestehe, nach der Seite der Beanlagung hin, aus allerlei Gegensätzen, aber ich bin
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Nachtwächter gegen Theo; ich kenne keinen Menschen, der höchste clumsiness mit 50 viel geistiger und was das Merkwürdigste ist, dann auch körperlicher Grazie zu vereinigen weiß; ein glänzender Beleg dafür, daß das Geistige doch alles bestimmt und aus Häßlichkeit Schönheit macht. Seine Frau ist glaub ich nicht recht auf ihre Kosten gekommen, weil sie unfähig ist, von ihrer Person abzusehn und die Freude am Schönen und Klugen, blos weil etwas schön und klug ist, gar nicht kennt. Aber darüber darf man nicht zu sehr mit ihr in's Gericht gehn; von der eignen Person absehn, wie wenige können das und nun gar wenn man jung ist und aus Demmin stammt. Die Geschichte mit dem Wappenstorch hat mich sehr erheitert; ich finde es fein, geistvoll, liebenswürdig, ein Ausdruck jenes stillen Drüberstehens, das den eigentlichen vom blos sogenannten Menschen unterscheidet. Ohne einen feinen Beisatz von Selbstironie ist jeder Mensch mehr oder weniger ungenießbar. Daher giebt es so viele Ungenießbare. Ich freue mich, daß Du in Rostock so gute Eindrücke gehabt hast; mit Menschen Ausdauern können, ist ein großes Glück und man muß es deshalb durchaus lernen, über kleine Fehler und Schwächen hinwegzusehn. Mit dem ewigen Rigorismus - immer unter Ausschluß der eignen Person - bringt man es nicht weit. So nehme ich seit Jahr und Tag dem Hause Heyden gegenüber eine ganz veränderte Stellung ein, weil mich die Trefflichkeit aller doch schließlich besiegt hat. Das „Interessante" ist gut, aber es ist nicht die Hauptsache. Vorgestern waren wir bei Timm zu Tisch, von 3 bis 7. Höchst merkwürdig. Eine „Frau Rechtsanwalt", seine „Pathin", mit der er in der Schweiz herumzureisen pflegt und auch jetzt wieder, bis Florenz, reisen wird, 30 Jahre, rothblond, Mischung von Gräfin, Soubrette (sie singt auch Couplets) und Biermamsell, war die Hauptperson. Mutter Zöllner ganz Gurli (etwas forcirt), er, der Alte, verlegen, decontenancirt, weil's ihm wahrscheinlich nicht recht war, daß wir Einblick in das Ganze gewonnen. Natürlich ist es eine Wittwe. „Veuvage" sagte Lepel immer mit Bewunderung. Uebrigens ist alles vorstehend Angedeutete nur Vermuthung; Karl soll gesagt haben „es sei alles platonisch" eine Zeugnißausstellung, die mich sowohl dem Wortlaut des Zeugnisses, wie dem Zeugniß s Aussteller nach, mit leisen Bedenken erfüllt. Uebrigens soll sie sehr wohlhabend sein, was schließlich alles wieder ausgleicht. Moral ist gut, Erbschaft ist besser. - Empfiehl mich dem hochverehrten Paar und habe noch gute Tage. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 29. Januar 94. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Mama hat Dir gleich heute früh, nach Eintreffen Deines Briefes, eine Karte gestiftet; sie wünscht aber, daß ich Dir auch noch schreibe: 1. daß es mit ihrem Auge, so toll es aussieht, ganz erträglich geht und 2. daß Du, wenn es zu Deinen Wünschen paßt, ruhig in Deyelsdorf bleiben sollst, wo Du Rath, Pflege, Liebe, vor allem aber Wald und Luft und keine Klingelei hast. Friedeis Geburtstag, bei allem Respekt vor diesem Tage, ist in Bezug auf Dein Kommen ganz irrelevant; die Brühsuppe gedeiht unter Annas Leitung und den Geburtstagstoast am Abend wird Theo hoffentlich ausbringen, gleichviel ob Du zugegen bist oder nicht. Mit dem Zu=fall=kommen von Mama war es so, daß sie sich beim Aufsuchen ihres Ritters und Chaperons (Herrlich) in einen über das Trottoir gelegten Teppichstreifen verwickelte und dadurch niederstürzte. Sie hatte den Trost von einem gut aussehenden Offizier von 4 0 wieder aufgerichtet zu werden, der sie auch bis zu dem nächsten Droschkenstand begleiten wollte. Selbst in solchem Zustand ist sie nicht unempfindlich gegen dergleichen. Uebrigens war ihr Verhalten wieder musterhaft, sie ängstigte sich (und mit Recht) bewahrte aber Contenance und bestand nur darauf eine Minutelang weinen zu können. Das sind immer ihre Hoffmannstropfen. Die Versöhnungsscene im Berliner Schloß scheint in Neuvorpommern sehr kritischen Augen begegnet zu sein. Ich stehe, in der ganzen Geschichte, von Anfang an auf Kaisers Seite; selbst die so viel getadelte „Form" war einem Bismarck gegenüber unvermeidlich. Als Blücher nach Anno 15 in Berlin lebte, wollte niemand mehr mit ihm Karte spielen, worüber er unglücklich war und sich bei Fr. W. III beschwerte. „Ja, lieber Blücher, die Herren sagen, Sie mogelten immer" worauf Blücher pfiffig und verschämt antwortete: „ja, Majestät, ein bischen mogeln, ist das Beste." Danach hat auch Bismarck gehandelt; „ein bischen mogeln" (d. h. ganz gehörig) ist ihm immer als das Schönste erschienen. Und wer diese Tugend hat, der darf sich nicht wundern, wenn er wieder bemogelt wird oder wenn ein Stärkerer ihm sagt: „Du, auf die Brücke trete ich nicht; ich kenne meine Pappenheimer, Du bist ein Mogelant und willst mich wieder bemogeln; aber ich spiele nicht mehr mit und sage einfach „mein
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königlicher Wille ist Trumpf." Bismarck ist der größte Prinzipverächter gewesen, den es je gegeben hat und ein „Prinzip" hat ihn schließlich gestürzt, besiegt, dasselbe Prinzip, das er zeitlebens auf seine Fahne geschrieben und nach dem er nie gehandelt hat. Die Macht des hohenzollernschen Königthums (eine wohlverdiente Macht) war stärker als sein Genie und seine Mogelei. Er hat die größte Aehnlichkeit mit dem Schiller sehen * Wallenstein: Genie, Staatsretter und sentimentaler Hochverräther. Immer ich, ich, ich und wenn die Geschichte nicht mehr weiter geht, Klage über Undank und norddeutsche Sentimentalitätsthräne. Wo ich Bismarck als Werkzeug der göttlichen Vorsehung empfinde, beuge ich mich vor ihm; wo er einfach er selbst ist, Junker und Deichhauptmann und Vortheilsjäger, ist er mir gänzlich unsympathisch. - Mit dem Wunsche, daß das Veitsche Fest am 1. Februar glücken und den ältesten Uradel in Staunen versetzen möge, wie immer Dein alter Papa. * der historische war anders
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 16. Febr. 94. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Seit gestern Mittag lagert das Manuskript bei Rodenberg und ich kann nun aufathmen und Dir mal wieder einen Brief schreiben, was leicht und schwer ist. Schwer, weil wie unser alter Onkel Zöllner zu sagen pflegt „mal wieder Welten vorliegen" und nach meiner Erfahrung ein Brief nur dann leicht und mit einigem Erfolg geschrieben werden kann, wenn man gar keinen Stoff hat. Es ist damit wie mit dem Gelde, je mehr man hat, je mehr Sorgen; der Mensch mit „Leicht Gepäck" kommt am besten durch die Welt und durch einen Brief. Erwäge nur mal blos das Thema Theo, dessen Haus die Masern, er selber aber die Du=Krankheit hat; er rast durch die Gesellschaften und sucht nach Opfern, jeder Mensch mit dem er mal Skat gespielt hat, muß 'ran, gleichviel ob er 2 Mark 50 verloren oder gewonnen hat. Wer verloren hat, sieht durch das werthvolle Du seinen Verlust wieder beglichen, wer gewonnen hat, erfährt durch das Du, das kein
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Stachel im Herzen des Geschädigten zurückgeblieben ist; in jedem Falle siegen Tugend und Edelmuth. Ich nehme hier die Sache von der leichten Seite, sie hat aber auch noch eine ernste, so ernst, daß ich mich, wie Chingachgook der alte Mohikaner, auf dem Kriegspfad befinde. Denn hinter dem allem lauert, neben manchem andrem, auch noch ein kolossaler Dünkel, der sich ganz gemüthlich bis zum Größenwahn entwickeln kann. Es geht aber nicht so rasch damit und ich werde den „Kaiser von China" nicht mehr erleben. Dir blüht er vielleicht noch. Ich schrieb ihm neulich: „ich könnte mich in ihm nicht zurechtfinden, was ihm aber, bei seinem ewigen guten Gewissen und dito Durchdrungensein von seinen edlen Absichten, gleichgültig sein dürfe." Du siehst daraus: das große Wort, das Dir so lange auf der Lippe brannte, ist gesprochen. Die Gesellschaft bei Sternheims war neulich sehr nett. Bei Tische wurde mir zum 2. Mal eine Hummerspeise präsentirt und ich nahm mir einen kleinen Hummerschwanz, weil ich das erste Mal nur eine ganz kleine Scheere gekriegt hatte. Ich glaubte, Ida sei die Präsentirende und begleitete deshalb meinen Angriff auf den Hummerschwanz mit einer vertraulichen Entschuldigungsrede, begegnete aber einem so eisigen Schweigen, daß daß ich die Kälte im Nacken fühlte und mich umdrehte. Da stand denn eine ganz fremde Person hinter mir, die offenbar dachte, ich sei ein Imbecile. Wenige Tage vorher harrte meiner im Thiergarten eine ähnliche Ueberraschung. Ich hatte meinen Stock in den Rücken gelegt und von hinten her (es war schon dunkel) lief jemand gegen das links vorragende Stück. Ich wollte mich entschuldigen, weil man den Stock nicht so tragen darf, aber im Augenblick wo ich mich wandte, starrte ich in das schwarze Gesicht eines Mohren, der, trotz seiner Abstammung aus Kamerun oder Dar-es-Salaam, im dialektfreisten Deutsch sagte: „entschuldigen Sie, mein Herr." Es hatte was Gespenstisches, so zwischen Königin Luise und Fr.-Wilh. III. mit'm Riester. Bei Sternheims sprach ich nach Tisch 3A Stunden mit Frau Mauthner („en offrende" und „en nue" und zugleich gepudert) und dann ebenso lange mit ihm. Ich mußte von Beiden befreit werden, was aber nicht nöthig war, weil ich mich mit beiden ganz gut unterhielt. Ich habe diese Form der Unterhaltung jetzt eingeführt; bei Heydens, bei der Frau Fritsch, bei den Fräulein Vollmers neulich, machte ich es ebenso. Gewiß läßt sich viel dagegen sagen, aber wohl noch mehr dafür. Die Wirthe haben sicherlich die Verpflichtung, sich um die Nothleidenden zu kümmern und in raschem Wechsel mal hier mal da rettend einzuspringen; eigentlich aber
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haben sie die viel lohnendere Verpflichtung, die nöthige belle alliance zwischen zwei Einsamen herbeizuführen. Ist die Gesellschaft dazu da eine öde Abwickelung von Artigkeitsformen zu sein, so sind solche Privatunterhaltungen ein horreur, sollen die Gesellschaften aber was Vergnügliches sein (und mit Ausnahme von Repräsentationsgesellschaften sollen sie das) so muß man statt drei Phrasen zu wechseln, sich mußevoll 'was erzählen können. Wer das nicht kann oder will, thut am besten zu Hause zu bleiben. Hat Dir denn Mama von meinem Vorlese=Abend bei den Vollmerschen Damen geschrieben? Die Heldin des Abends - ich selber kam mir sehr wenig als Held vor - war ein kleines Fräulein Zuncke, von der ich nur sagen kann, ihre Erscheinung und gesammte Haltung war eine glänzende Widerlegung ihres prosaischen Namens. Schönes Profil, kluge Augen, alles Nerv und Charakter, merkwürdige Mischung von Berliner Geist und Berliner Keller. Eine Korallenbrosche auf dem schwarzen Kleid und mit einem Lorbeerkranz (den sie decent in „ihres Kleides Falten" verbarg) bewaffnet, stand sie vor mir, sah mich, aus reiner Nervosität, denn sie zitterte leise, scharf an und trug nun ihre Huldigungsverse vor. Ich fragte nachher: „wer und was ist die junge Dame?" „Sie ist Verkäuferin in einem Knopfladen." Du weißt, daß bei meinem Hange gleich zu combiniren und weit gehende Schlüsse zu ziehn, solche Dinge immer einen großen Eindruck auf mich machen. Ich werde immer demokratischer, lasse höchstens noch einen richtigen Adel gelten, was dazwischen liegt: Spießbürger, Bourgeois, Beamter und vor allem auch der „schlechtweg Gebildete", kann mich wenig erquicken. Immer tiefer sinkt der Beamte, übrigens ganz unverschuldet; vor 100 Jahren, und fast auch noch vor 50, war er durch Stellung und Bildung überlegen und in seiner Vermögenslage, so bescheiden sie war, meist nicht zurückstehend; jetzt ist er im Geldpunkt zehnfach überholt und in natürlicher Consequenz davon auch in allem andern. Denn - etliche glänzende Ausnahmen zugegeben - ist der Besitz auch in Bildungsfragen entscheidend. Sehr hat mich amüsirt, was Du in Deinem letzten Briefe über Eginhard und die Askanier schriebst. Ja, so kommt man 'runter, oder auch 'rauf, je nachdem. Der Stoff ist etwas Gleichgültiges und die Sensation - und nun gar die sensationelle Liebesgeschichte etwas Gemeines. Nur Goethe oder ähnliche dürfen sich den Spaß erlauben. - Soll ich für eure Lektüre sammeln und Zeitungsausschnitte machen? Fast in jeder Nummer ist 'was (meist Unpolitisches) was gelesen zu werden verdient. Dann möchte ich Dir vor-
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schlagen, daß Du Friedein schreibst „er solle Dir - wenn auch vielleicht noch ungeheftet - die blos zusammengefalteten Druckbogen von meinem neuen Buche schicken. Du weißt, ich hüte mich wohl meine Bücher zu empfehlen, man erlebt dabei fast immer einen 'Reinfall, der Lächerlichkeit ganz zu geschweigen, aber von diesem kleinen Buche möchte ich sagen dürfen, daß es zur Krankenlektüre wie geschaffen ist, kurz, fidel und höchst unaufregend. Und nun lebe wohl. Dieser Brief erreicht die Friedländergrenze, das höchste Maß also, das heutzutage noch vorkommt. Empfiehl mich, erhole Dich bei dem schönen frischen Wetter, koche und philosophire. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Donnerstag 31. Mai [1894] Meine liebe Mete. Friedeis Karte, für die wir danken, kam heute Mittag. Es freut uns herzlich, daß es Euch gut geht. Ich schicke einigen Lesestoff: 1. Caligula (wovon nach einer Angabe von Meyerhoff wohl schon 150,000 verkauft sein sollen;) 2. die drei Ausschnitte aus der Vossin und 3. einen Brief Stephanys, der die Hopfengeschichte illustrirt. Der Brief ist stellenweis sehr gut. Friedein faßt hoffentlich kein Caligula=Neid; jeder preußisch=anständige Buchhändler würde sich - wenn er nicht ausgesprochner Sozialdemokrat oder Fortschrittler vom äußersten linken Flügel ist - durch solche Brochüre ruiniren. Denn so gut sie ist, so anfechtbar ist doch das ganze Manöver. Quidde muß ein ekliger Kerl sein. Die Geschicklichkeit, vor allem die Gruppirungskunst - worauf der ganze Witz eigentlich hinausläuft - ist sehr groß und so wirkt denn das Ganze wie ein jeu d'esprit eines ganz verflixten Schwerenöthers. Dem Kaiser aber wird es nicht schaden, eher im Gegentheil. Grüße u. Empfehlungen allerseits. Dein alter Papa. Bitte, schicke mir St.'s. Brief zurück.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 30. Sept. 94. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Deine Briefe sind uns immer eine große Freude; Du hast eminent das talent epistolaire der Familie, wovon nur Theos Einleitungen eine Ausnahme bilden. Ich schreibe heut nur, um ein Wort über Dein Kommen zu sagen; richte es ein ganz nach Wunsch und Bequemlichkeit, wobei Du die Heydens und Hochzeitsfrage nicht mehr in Rechnung zu stellen brauchst. Am 14. ist Polterabend und schon am 15. ist die Bahn wieder frei. Du kannst von da ab jeden Tag wählen. Mama will am 13. wieder hier eintreffen, damit am Polterabend doch einer von uns zugegen ist; ich werde dann wohl in Harlem Blumenzwiebeln studiren oder den Zusammenhängen zwischen Stadt Harlem und Familie Harlem nachforschen. Vielleicht wächst Tante Witte noch in eine Dynastie hinein. Das sollte mir um R. Mengel leid thun; der schrumpft dann ganz zu einem kleinen Agrarier zusammen. Mama wird wohl am 5., ich am 6. oder 7. reisen, so daß Anna grade eine Woche lang einsam Schloßherrin spielen wird. Ich bin sehr gegen solche Einsamkeiten und betrachte keine Tugend als infallibel. Mama scheint von solchen Gedanken nie beunruhigt zu werden, was mir immer unverständlich ist. Von irgend einem holländischen oder flandrischen Punkt aus (ich hoffe, daß wir bis Brügge kommen, wegen Memmling) schreibe ich Dir eine Karte nach Deyelsdorf. Daß Dir meine liebe „Effi" so gefällt, freut mich. Empfiehl mich der Frau Gräfin und freue Dich der Rosen und der Hammelcoteletts; diese sind noch wichtiger als jene. Die Verpflegungsfrage ist für den Kulturmenschen eigentlich das Wichtigste; die Gesundheit hängt gewiß dran und fast auch die Moral. Die Engländer schieben alles auf Seife, aber Pears Soap ist doch nicht so wichtig. Wie immer Dein alter Papa.
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Oktober 1894
Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 8. Okt. 94. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Da Du, minder glücklich wie Mama, die „Schmetterlingsschlacht" nicht mitgeschlagen hast, so schicke ich Dir Einiges von dem, was die „Hyänen des Schlachtfeldes" hinterher geleistet und wie sie aufgeräumt haben. Die mit S. und Paulus (sicherlich ein frührer oder nochiger Saulus) unterzeichneten Artikel, rühren sehr wahrscheinlich von Schwiegervater Stettenheim und Schwiegersohn Leipziger her, von denen Letztrer das „kleine Journal", auch Moniteur Kotze genannt, besitzt. Diesem Blatt sind beide Kritiken entnommen; sie sind sehr witzig, sehr amüsant, sehr wahr. Sudermann, für den ich nicht viel übrig habe, thut mir leid; es ist furchtbar, so zerrissen zu werden. Aber ich mag an solche Zerreißerei doch auch keinen Tadel zu knüpfen. Wie sollen kluge Leute, die die ganze Hohlheit und Geschraubtheit erkennen, wie sollen die solch Stück besprechen? Ernsthaft? Das geht nicht; so was ganz Verfehltes, an dem mit einem Male die blos heraufgepuffte Unbedeutendheit klar wird, kann nicht feierlich und mit Würde behandelt werden. Es ist dies eine sehr wichtige Frage, welchen Ton die Kritik anzuschlagen hat. Ernsthafte Talente (wie Hauptmann) müssen ernsthaft behandelt werden, falsche Größen nicht. Mit einer kleinen Befriedigung erfüllt es mich, daß meine Unterscheidungen von „echt" und „unecht" siegreich bleiben. An Wildenbruch habe ich nie etwas andres gelten lassen als „Kinderthränen", „das kleine L.", und die „Quitzows". Alles hat sich gehalten, das Andre ist todt. Sudermann, in Roman und Drama, war mir immer nur talentvoller Radaubruder. Das Publikum - jetzt ungerecht gegen ihn - streicht auch noch das Beiwort. Hauptmann, wo der verrückte Kastan die „Zangen" aus der Tasche zog und dem Publikum zeigte, hat alle Angriffe überwunden und beherrscht die Situation. Schließlich bleibt doch das Ordentliche siegreich. Empfiehl mich angelegentlichst. Wie immer Dein alter Papa. In der Besprechung der „Weber" von L. P. ist nur die blauangestrichne Schlußstelle von Belang.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 1. Aprii 95. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Bismarck=Tag mit wahrem Hohenzollernwetter, woraus sich schließen läßt, daß der Himmel die Versöhnung der beiden Dynastieen von Preußen und Lauenburg angenommen hat. Es ist gerade Mittagsstunde und die 4000 hoffentlich mit Butterstullen bewaffneten Studenten werden nun wohl gerade antreten und ihrer Begeisterung Ausdruck geben. Und Bismarck wird gewiß entzückend antworten und in diesem Falle auch ehrlich. Es ist ein Festtag für Studenten, ja, die Studenten müssen begeistert sein, das ist ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Für alte Knöppe liegt es anders oder wenigstens complicirter. Es ist Schade, daß dieser Tag - wenigstens in meinen Augen - doch nicht das ist, was er sein könnte. Und das liegt - noch einmal nach meinem Gefühl - an Bismarck. Diese Mischung von Uebermensch und Schlauberger, von Staatengründer und Pferdestall s Steuerverweigerer (er glaubte die Stadt Berlin wollte ihn zugleich ärgern und bemogeln [man merkt, er hat selber öfters hinter der Thür gestanden]) von Heros und Heulhuber, der nie ein Wässerchen getrübt hat, - erfüllt mich mit gemischten Gefühlen und läßt eine reine helle Bewunderung in mir nicht aufkommen. Etwas fehlt ihm und gerade das, was recht eigentlich die Größe leiht. Jude Neumann, uns gegenüber, hat auch nicht geflaggt und Arm in Arm mit Neumann fordre ich mein Jahrhundert in die Schranken. - Deine Briefe erfreuen uns sehr, auch der heutige mit dem Diktat von Tante Anna. Ich vermuthe aber, das Diktat stammt von Dir. So mit Concentration läßt sich schwer diktiren. - Wenn Du einen alten dicken Ueberzieher von mir mithättest, so wäre Deine Erkältung schnell gehoben. So wie es warm wird, wird es besser. - Ich schicke Dir Ausschnitte; alle diese Leitartikel sind sehr gut. Empfiehl mich der liebenswürdigen und gütigen Freundin. Wie immer Dein alter Papa. Vorgestern habe ich mit Fritsch und Wallot die Shawltänzerin Miss Poy gesehn; großartig.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 9. Aug. 95. Potsdamerstraße 134. c.
Meine liebe Mete. Wie immer, so haben wir uns auch heute über Deinen Brief gefreut. Die Stelle mit dem „Temperament" und der „Bildung" ist ausgezeichnet und erfreut den, der für solche Dinge Fühlung hat. Die Zahl solcher ist aber klein. Das Nietzschesche Wort vom „Herdenvieh" ist leider wahr. Ich kenne viele Geheimräthe, die solche Stelle lesen können, ohne sie anders zu rangiren, als wie: „wenn's regnet, ist es naß". Ich bin fast bis zu dem Satze gediehn: „Bildung ist ein Weltunglück." Der Mensch muß klug sein, aber nicht gebildet. Da sich nun aber Bildung, wie Katarrh bei Ostwind, kaum vermeiden läßt, so muß man beständig auf der Hut sein, daß aus der kleinen Affektion nicht die galoppirende Schwindsucht wird. Morris überschwemmt mich noch immer mit Daily Graphic's, aus denen ich für Dich, die Gräfin und Veits einige Ausschnitte gemacht habe. Zwei, unter besondrem Couvert, sind für Bubi. Die Wahl== Leitern (ich schicke blos 2, es sind aber 20) sind eine echt englische Erfindung des Daily Graphic, Leitern, auf denen man den dicken Tory und den etwas dünneren Whig wie Laubfrösche klettern sieht. Da die Tories gutes und die besiegten Whigs schlechtes Wahl=Wetter hatten, so ist der dicke Laubfrosch immer oben, der dünnere immer unten. Das Reclamebild für „Labrador's" ist sehr hübsch, aber psychologisch falsch, weil der Zeichner einen Juden als Zuspätkommenden gewählt hat; ein richtiger Jude kommt aber nie zu spät. - Auf dem großen Gruppenbilde der ins Parlament Gewählten, ist mir - wie auf allen englischen photographischen Bildern - das auffällig, daß sie alle wie Deutsche aussehn. Ein spezifisch englisches Gesicht hat nicht ein einziger, nicht einmal Captain Chaloner (gleich das zweite Portrait in s. Collektion), der sich blos mit seiner kokett aufgesetzten Militärmütze englisch zurechtgemacht hat. Früher sahen die Engländer auf all ihren Bildern englisch aus, jetzt, seitdem man alles nach Photographien zeichnet, nicht mehr. Woran liegt das? Erst antwortete ich mir: „es liegt daran, daß die Engländer wirklich deutsch aussehen und daß der photographische Apparat in seiner Unerbittlichkeit das fortläßt, was sich die englische Malerei gewöhnt hatte, über die Natur hinaus hinzuzuthun." Aber das ist nicht richtig und ich halte es jetzt mehr mit einer zweiten, neueren Erklärung. Diese lautet: „die meisten englischen Köpfe haben wirklich etwas spezifisch englisches und das
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Künstlerauge, das Auge überhaupt, sah diese Dinge und sieht sie noch; der todte Apparat aber giebt nur die Linien wieder und hat nicht die Kraft, den Zug, der doch mit dem Seelischen zusammenhängt, herauszubringen. " Diese letztre Erklärung muß richtiger sein, da man im Leben (im Gegensatz zu ihren photographischen Bildnissen) so viele Engländer sieht, die spezifisch englisch wirken. Von dem guten Sternfeld hatten wir gestern einen kl. Brief aus Bad Landeck, zugleich mit einer Sendung unter Kreuzcouvert, welche die zum 16. Juli in der Universität gehaltene Treitschke'sehe Festrede: „Zum Gedächtniß des großen Krieges" enthielt. Ein ganz ausgezeichneter historischer Essay, wie ich deutsch noch keinen zweiten gelesen habe. Ich war ganz benommen. Mit fast gleicher Freude lese ich Verdy's Aufzeichnungen aus dem Jahre 70. Die richtige Historienschreiberei ist zwar wohl nicht das Höchste in der Kunst, aber es interessirt mich am meisten. Wenn Du in Deyelsdorf bist, schicke ich die Treitschkesche Rede für den alten Veit, dem sie eine schöne Stunde schaffen wird. Das Beste ist, Anna nimmt die Rede mit, - sie tritt dann gleich ganz literarisch auf. Sie kann überhaupt lachen; wenigstens kann ich mich nicht entsinnen, daß ich mit so viel Freudigkeit und Zustimmung jemals erwartet worden wäre. Empfiehl mich der Gräfin und dem liebenswürdigen Bonnenser Paar. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Karlsbad 18. Aug. 95. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. Während die Schützengilde, zu Ehren von Kaisers Geburtstag, mit Janitscharenmusik an unserem Fenster vorüberzog, las mir Mama Deinen Brief vor. Wenn ich so was wie von L.'s in Zansebur und von W.'s in Deyelsdorf höre, so wird mir im Kopf als zöge auch Janitscharenmusik vorüber mit Roßschweif und Halbmond, mit Becken und Paukenschlag. Selbstbewußtsein und Hysterie, Berechnung und Phrase, Lungenentzündung und Schlaganfall, falsche Gemüthlichkeit und unsinnige Einladungen, als wäre eine Bonner Miethswohnung irgend ein Lowthers Castle mit Ausflügen in die Lake Districts, - bei solchem Kuddelmuddel wird mir wüster im Kopf als bei großer Trommel und Dschingderadada. Wie kann man, wenn
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man so wenig bietet, sich anmelden? wie kann man aber auch auf solche Anmeldungen eingehn oder sie wohl gar veranlassen? Der alte Veit thut mir furchtbar leid. Da hat sich nun der Mann 70 Jahre lang gequält und sehnt sich nach „ausspannen", nach Ruhe, nach Wald und Feld und nach dem süßen Gebrüll einer Buhkuh und statt dessen hört er Menschenstimmen und welche! Man kann dreist sagen, alle Menschen, an denen man sich erfreuen könnte, die kommen nicht und die, die kommen, sind Gebrechliche, die nicht Zipp sagen können und wenn sie Zipp sagen können, so ist Zipp für 4 Wochen doch zu wenig. Ein Glück, daß Einquartierung in Sicht steht; selbst wenn sie von mäßigem Niveau sein sollte, so hat sie doch ChimborassosHöhe neben verbrauchtem Professorenmaterial. Daß es mit der Freundin wieder einklingt, ist hoch erfreulich; gefährde den neuen Frieden nur nicht durch zu fühlbares Parteiergreifen für die Gräfin. Die „diplomatische Mission" umschließt schon Schwierigkeiten genug. Daß Anna nun wieder bei Dir ist, wird Dir in mancher Abendstunde wie ein Nothhafen sein; kannst Du ihr auch nicht alles sagen, so doch manches, vielleicht vieles. Der alte Veit ist sichtlich nicht dazu bestimmt, zu rechtem Behagen zu kommen, zu dem, was ihm am höchsten steht; ein Glück, daß seine philosophische Natur ihm auch darüber hinweghilft. In den ersten Tagen war es hier kalt und unfreundlich, seit gestern ist es schön und ich kann mich leidlich bewegen nach Heranziehung eines „Pedicure", Honorar 1 Gulden. Friedländer ist amüsant und anregend wie immer; daß die Geschichten öfters wiederkehren, stört mich nicht, da ich sie regelmäßig wieder vergesse. Professor Grünhagen, von dem Friedländer richtig bemerkte „er sei, bei Concertaufführungen „,Nebentisch=Erzieher"' - wird sich uns heute anschließen, ein guter Mann von mäßigem Anreiz. Mama schreibt ausführlicher. Lebe wohl, empfiehl mich dem Hause Veit, grüße Anna. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Mein „ausführlicher" schreiben, kann ich hier am Rande noch abmachen. Mir ist etwas miesig zu Muthe u. ich werde wegen des Ziehens im rechten Bein doch ein paar Moorbäder nehmen müssen. Papa ist gottlob durch eine 2tägige Hungerkur wieder wohlauf. Laß Anna einmal an uns schreiben. Ich bin gern hier, aber freue mich, wenn ich erst wieder: „Immer leiser" etc. hören werde. Grüße u. Empfehlungen. Deine alte gute Mutter.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane
Karlsbad 22. Aug. 95.
Silberne Kanne. Meine liebe Mete. Heute, vierter Tag, kam Dein Brief vom 19. Fast wie Correspondenz mit New-York. Es freut uns herzlich daß es Dir so gut geht und Du so gut bei Stimme bist, was doch die Hauptsache bleibt. Den Gedanken, daß die künstlerische Betrachtung des Lebens der wahre Jacob sei und höher stehe als die Kunst oder diese letztre wenigstens überflüssig mache, - diesen Gedanken habe ich auch schon gehabt, auch schon ausgesprochen; doch lasse ich Dir die Priorität der Erfindung. George, dessen Bild vor mir steht und mich ansieht, als wünsche er vertheidigt zu werden, würde diesen Deinen Gedanken aber nie als „Geschwöge" bezeichnet haben; dazu war er zu fein und zu klug. Nun hat ein L. jun: den Typhus in Zansebur. O, diese Landaufenthalte, diese Teiche mit Entengrütze, an denen die Entengrütze schließlich immer noch das Beste ist! Immer Typhus und Diphterie. Mir kann die ganze Geschichte gestohlen werden. Gesund sind nur die Gegenden, die sich der Mensch zurechtgemacht hat, der Sumpf muß ausgetrocknet, der Sand muß bewässert, die trockne scharfe Höhenluft muß durch Seen und Wasserfälle, durch Waldschirme gesänftigt werden und mehr Corpus kriegen. Die Natur als solche kann man nicht brauchen; Wüste, Eis, Gletscher, Stein, Moor, was soll man damit. Es ist alles einseitig, unfertig, unerzogen. „Der gepildete Mensch gehört in die Stube" (aber ohne Schwamm.) Anna wird, wie Du, in Deyelsdorf gute Tage haben, aber, arbeitsgewohnt wie sie ist, sich vielleicht etwas langweilen; alles liegt auf den Schultern der Einquartirung, die hat eine große Aufgabe; es ist wie wenn der Kaiser nach Lowther=Castle kommt, alles tritt in eine höhere Phase. Mit Effi Briest zu debütiren, das gieb auf, - ohne Stimmung und vollste Muße muß es abfallen. Der Aufenthalt hier ist wieder sehr nett und eine Auffrischung in meinem Leben, das doch zu sehr aus Feder und Tinte und - Vossischer Zeitung besteht. Gegen F. ist viel zu sagen und Mama, die Deine Ausstellungen mit ungeschwächten Kräften fortsetzt, bemängelt eigentlich alles, demunerachtet muß ich froh sein überhaupt einen Gesellschafter zu haben und schließlich, trotz alledem und alledem, auch einen so guten. Denn wenn ich meine Berliner Garde Revue passiren lasse, was habe ich denn da Besseres! Neben meinem Berli-
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ner Umgangsmaterial ist, auf Unterhaltlichkeit, Esprit und gute Einfälle angesehn, Friedländer immer noch ein Gott. Wäre er nicht so kolossal kleinstietzig, könnte er über seine Nasenspitze wegsehn und irgend eine große Frage losgelöst vom eignen kleinen Ich betrachten, so wäre er ausgezeichnet. Er ist aber ganz Jude. Freilich mir dadurch auch wieder sehr interessant, weil ich das Jüdische an ihm und auch an seiner Tochter, so wundervoll studiren kann. Preußenthum, Berlinerthum, Assessorthum, Geheimrathsgöhre, Bildungsallüren - alles geht unter im Juden oder erhält durch ihn eine bestimmte Färbung. Im Theater waren wir noch nicht; es wird immer der „Zigeunerbaron" gegeben und das ist mir doch zu wenig. Auch „Mikado" kann nicht retten. Das weibliche Geschlecht wird einem hier verleidet. Nur Karrikaturen. Der Mensch, der so viel sein kann, ist in der Gesellschafts= und Geldsphäre doch recht wenig. Die Menschheit fängt nicht beim Baron an, sondern, nach unten zu, beim 4. Stand; die 3 andern können sich begraben lassen. So lange man die Dinge um einen her wie selbstverständlich ansieht, geht es, aber bei Beginn der Kritik bricht alles zusammen. Die „Gesellschaft" ist ein Scheusal. Grüße Anna. Empfiehl mich. Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Liebe Mete. Es ist sehr liebenswürdig, daß Pa mir die Beantwortung Deiner geistreichen Sentenzen abnimmt. Mich nimmt die Kur ganz in Anspruch, Zeit u. Kräfte. Nach 6 stehe ich auf, muß 2 Stunden mit meinen 3 Bechern intus, laufen; dann frühstücken wir. Kaum damit fertig, muß ich in's Sprudelbad. Todmüde zurückgekehrt, schlafe ich ein wenig, dann wird Toilette gemacht u. pünktlich, wie eine Ordonnanz (oder ein Polizist?) tritt Fr. mit seiner Tochter an. Nach Tisch, kaum Zeit zu den nöthigen Reinigungen, erscheint schon würdig Gehrath Grünhagen, der noch pünktlicher wie Fr. ist. Dann weiter Spaziergang, Kaffee, auf Umwegen zurück, etwas geabenbrotet u. todtmüde zu Bett. Unsre Wirthin hat auf meine Bitte Preißelbeeren für uns eingekocht, die mit etwas kaltem Fleisch unser tägliches Abendessen bilden. Mit 1000 Grüßen Deine alte Mama.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane
[Corresponz-Karte. Karlsbad, 29. August 1895] Es muß Dir kolossal gut gehn, sonst hörten wir wohl öfter von Dir. Das soll aber keine Schreibemahnung sein, - wenn meine Annahme zutrifft, so schweige weiter. Das ist dann das Beste, was man wünschen kann. Von Tante Zöllner hatten wir vorgestern und von Theo gestern einen Brief; Beide schreiben etwas bedrückt; bei der guten Tante (die sich wieder musterhaft nimmt) liegt die Ursach klar zu Tage, bei Theo ist es complicirter: schreckliche Langeweile auf Langeoog und nachträgliche Erkrankung (Fieber) mit Zahnweh bis zum Verzweifeln und Gewitterangst. Etwas viel auf einmal. Uns geht es gut. M a m a hat sich wieder recht erholt. Vorgestern hatten wir das herkömmliche Goldschmidtsche Diner in Hôtel Bristol, nur statt Rosenthal's (Saint Cères): einige Friedebergs, Liebermanns u n d
Magnus. Alle schwer reich, alle sehr liebenswürdig und sehr versirt. Das heißt, sie kannten „alles". Mir fiel wieder mein Cohn=Gedicht ein. M a m a grüßt Dich und Anna. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Auch ich hoffe, daß es Dir gut geht. Z u m erzählen bleibt uns immer noch Zeit, wenn wir beisammen sind. Wir verleben sehr schöne Tage, weit über mein Erwarten. An dem Schatten bei dem vielen Sonnenschein bin ich vielleicht selber Schuld. Grüße Anna Deine M.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Karlsbad 30. Aug. 95. Silberne Kanne.
Meine liebe Mete. M a m a ist im Bade - glücklicherweise Sprudel und nicht M o o r und so komme ich statt ihrer dazu Dir für Deinen Brief, der uns eine große Freude war, zu danken. Was Du über Partieen à la Karl Zöllner sagst, unterschreibe ich, es ist zum freuen aber auch zum weinen; alles im Leben muß auch ganz gemein äußerlich seinen „chic" haben und die sogenannte Hauptsache kann die fehlenden Nebensachen nicht ersetzen. Das Leben, Gott sei Dank, ist kein
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Tummelplatz großer Gefühle, sondern eine Alltagswohnstube, drin das sogenannte Glück davon abhängt ob man friert oder warm sitzt ob der Ofen raucht oder guten Zug hat. Liebe ist gut, aber sie läßt sich nach Minuten berechnen, alles andre hat lange Stunden. - Das mit Deinem kl. Liebling darfst Du nicht zu tragisch nehmen; George wirkte auch ganz so, war auch solch eigenthümlich reizendes Kind, bei dem man fühlte, der stirbt oder wird nicht glücklich. Er wurde aber doch 36 Jahr, machte den Krieg ganz fidel mit und lebte noch, wenn er nicht zu viel Salz= und Schmalzstullen gegessen hätte. Freilich, er hatte junge Eltern (wenn auch nicht den immer citirten 23 jährigen Vater) was, daran glaub ich, doch viel ausmacht. Deinen Militärgefühlen, in Lob wie Tadel, stimme ich bei. Der Leutnant ist nicht der Held der Situation, sondern der aus dem Volk geborne Unteroffizier. Da sitzen die Musikanten. Volk ist alles, Gesellschaft ist nichts, und nun gar unsre, die, die Juden abgerechnet, blos eine sein will und nichts ist wie Bonvivants auf einer kleinstädtischen Bühne. Friesack in Frack und Claque. Man hat gesagt: „Preußen werde durch Subalterne regiert." Das ist richtig und auch gut so. Die Subalternen - für die schon das spricht, daß unsre Schwiegertochter gering von ihnen denkt (wer lacht da?!) sorgen für Ordnung, Sauberkeit und Herrschaft des gesunden Menschenverstandes. Die „Ideeen" finden sich von selbst, die wachsen räthselvoll und sind mit einem Male da. Das Wort Nietzsche's von der „Umwerthung" der Dinge, die durchaus stattfinden müsse, trifft überall zu. - Anna, mit der halbdirektoralen Verschleißerinmiene, sehe ich deutlich vor mir, sie muß sich wohl fühlen, je mehr es mit dem pommerschen Material hapert, je mehr muß das Schlesische zur Geltung kommen. Wir leben hier in stillem Gleichmaß weiter: Brunnen, Frühstück, Zeitung, Mittagbrot mit Friedländers gemeinschaftlich, Nicker, Kaffe im Freien unter Anhörung lieber alter Geschichten, Spaziergang, Abendzeitung und Abendschinken und früh in die „Klappe." Nur unser guter Direktor Goldschmidt, der 8 Tage lang eine Himmelangst hatte, daß der gefürchtete „Figaro"=Mann wieder hier auftauchen könnte, sorgte für Unterbrechung unsrer gleichmäßigen Tagabwickelung, indem er uns zu einem forschen Diner einlud. Natürlich lauter Juden: Friedbergs, Liebermanns, Magnus. Wahrscheinlich habe ich gestern schon davon geschrieben und so beschränke ich mich, statt mich auf Details einzulassen, lieber auf ein paar Betrachtungen. Das beständige Voraugenhaben von Massenjudenschaft aus allen Weltgegenden, kann einen natürlich mit die-
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ser schrecklichen Sippe nicht versöhnen, aber inmitten seiner Antipathieen kommt man doch immer wieder in's Schwanken, weil sie - auch die, die einem durchaus mißfallen - doch immer noch Kulturträger sind und inmitten all ihrer Schäbigkeiten und Geschmacklosigkeiten Träger geistiger Interessen. Wenn auch nur auf ihre Art. Sie kümmern sich um alles, nehmen an allem Theil, erwägen alles, berechnen alles, sind voll Leben und bringen dadurch Leben in die Bude. Wie stumpf, wie arm, auch geistig arm, wirkt daneben der Durchschnittschrist! Und sucht man sich nun gar die guten Nummern heraus oder lernt man Damen kennen, wie die oben citirten, die nichts sind als guter Judendurchschnitt und doch unsrem Durchschnitt gegenüber eine gesellschaftliche Ueberlegenheit zeigen. Das Schlußgefühl ist dann immer, daß man Gott schließlich noch danken muß, dem Berliner Judenthum in die Hände gefallen zu sein. Grüße Anna, empfiehl mich Veits. Wie immer Dein alter Papa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Liebste Mete. Obgleich todtmüde, wie immer nach dem Bade, will ich die Zeit, wo unser Allgeliebter Toilette zum Diner (etwas fraglich) macht, benutzen, um Dir meinerseits für Deinen Brief zu danken u. einige Fragen zu beantworten. Wenn Du es wünscht und denkst, Anna eine Freude zu machen, wenn Du sie mit nach Zansebur nimmst, dann thu es; Ihr müßt Euch nur die Zeit berechnen, damit sie ausreicht, für die Säuberung unsrer Wohnung, die sie doch vor hat gründlich vor der Wintercampagne vorzunehmen. Wann wir zurückkehren, darüber hat sich Papa noch nicht geäußert; im Anfang war von einer gemeinsamen Nachkur mit Frd. die Rede; da sich aber das Kommen von Fr. Frd. so verzögert hat, (sie kommt erst am 5.) so wird sie keine Kur mehr anfangen u. er spricht davon mit seinen Damen in's Salzkammergut oder München zu gehn; natürlich will er erst die Wünsche u. Bestimmungen seiner Gattin abwarten. Ja, er hat seine Tochter mitgebracht! Sie ist 17 Jahr u. noch so überschwenglich wie vor 3 Jahren, wo Du Dich über ihre suberlativen Ausdrücke so amüsiertest. Jetzt würdest Du es nicht mehr können, wenn Du bei den ungeeignetsten Dingen täglich 2 auch 3 mal: hochinteressant, göttlich, haarsträubend etc. hören müßtest. Diese stete öde Unterhaltung mit der sehr verwöhnten kleinen Person würde Dich noch mehr anöden wie mich. Gottlob, erleben wir noch die feine, liebenswür-
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dige Mutter, von der ich kaum erwarten kann, daß sie Alles an der, wie ich glaube vom Papa vergötterten Tochter, billigt. Ich glaube wird werden unsre üblichen 4 Wochen, die Alles in Allem über mein Erwarten reizend durch den Geliebten Alten u. mit ihm sind, hier bleiben u. dann weder in Dresden bleiben noch eine sonstige Detour machen u. am 11. wieder in unsre gemüthliche Häuslichkeit zurückkehren; kommt es anders, so schreibe ich natürlich. - Eben erscheint Vater u. Tochter; er hat es doch durch seine Energie vermocht, Papa'n pünktlich zu machen. Ergeh es Euch gut. Pflege Dich, rabatze nicht u. freue Dich mit mir auf unser Wiedersehn. Grüße Anna u. sage ihr, sie solle nicht übermüthig werden, es fehle auch ihr noch hier u. da. Mit den üblichen Empfehlungen meiner Deine beste der Mütter.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 12. Sept. 95. Potsdamerstraße 134. c.
Meine liebe Mete. Gestern Abend 11 Uhr trafen wir hier ein und fanden, von Bagatellen abgesehn, alles in bester Ordnung; Anna hatte, trotzdem ihr nur 2 Tage zur Verfügung standen, alles wieder wohnlich gemacht und in Schick gebracht. Sie war außerdem mit Stoff geladen und erzählte Welten, trotzdem Mama nur mit halber Theilnahme zuhörte. Glücklicherweise war Anna so erfüllt von ihrer Mission, daß sie diese relative Flauheit nicht merkte. Vielleicht auch war sie klug genug einzusehn, daß diese Flauheit nicht ihrem Berichte galt, sondern nur eine Folge der grenzenlosen Abspannung war, in der sich Mama befand. Schon während der letzten Karlsbader Tage war ihr nicht wohl und die Reise, neun schreckliche Stunden trotzdem alles gut ablief, that ihr völlig den Dampf. Sie wird sich aber schnell erholen, denn Obstruktionen und Appetitlosigkeit, an denen sie litt, werden bei Bohnen und Hammelfleisch, nach denen sie eine großartige Sehnsucht hatte, rasch hinschwinden. Ihren Leidenszustand schiebe ich zu gutem Theil auf die „Friedländerei", wobei nur die Frau, die ihr wieder sehr gefiel und ihr beinah Theilnahme einflößte, auszunehmen ist. Ihn findet sie schrecklicher denn je und die kichrige, ewig hohl=begeisterte Tochter mißfällt ihr fast noch mehr.
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Alle diese Gefühle sind berechtigt und doch auch wieder sehr ungerecht. Auf mich hin angesehn ist ein kluger, redebegabter, mit alten aber doch auch mit neuen Anekdoten vollgestopfter Begleiter der Art, all seiner Mancos zum Trotz, doch ein wahrer Segen und wenn Mama 4 Wochen ohne ihn hätte fertig werden sollen, so wär es auch nicht recht gewesen. Die Tochter ist ein Quack, aber doch ein in guten Formen sich haltendes kleines Ding. Sorge macht uns - auch mir - daß Du Warnemünde schwänzen willst. Wir halten es Beide nicht für richtig; es ist doch das Haus, dem Du am meisten verdankst, auch wenn ich den Geldpunkt, der doch auch innerlich sehr wichtig ist, gar nicht berühre. So sind wir denn der Meinung, daß Du gut thun würdest, noch erst auf einige Tage zu Tante Witte zu gehn. Läßt es sich in ein paar Tagen nicht thun, so mußt Du zulegen. Da Du Mamas Charakter kennst, so weißt Du im Voraus, welche Sorte von Gesicht sie aufsetzen würde, wenn Du den Besuch in Warnemünde unterließest. Bei der sehr leberhaften Beschaffenheit, in der sie sich zur Zeit befindet, lege ich Dir die Sache doppelt ans Herz. An „Heimweh" und große Gefühle glaubt sie nicht recht, sie ist in solchen Stücken - freilich auch nach Laune - noch skeptischer als ich. Ich hielt es, angesichts drohender Verstimmungen, für das Beste, Dir dies zu schreiben, um so mehr als ich die Sache, wenn auch freilich mit viel mehr Seelenruhe, in gleichem Lichte sehe. Laß Dich diese Zeilen nicht verstimmen, deren letzter Zweck dahin geht, Verstimmungen vorzubeugen. Die Reise nach Rügen wirst Du glücklicherweise noch vor Eintreffen dieses Briefes gemacht haben. - Empfiehl mich der Gräfin angelegentlichst und habe noch frohe Tage zu Wasser und zu Lande. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 17. Sept. 95. Potsd. Str. 134. c.
Meine liebe Mete. Du bist nun also auf ein paar Tage wieder auf dem Boden, der durch persönliche Erinnerungen, durch Richard Mengeis erste und Karling Eggers letzte (hoffentlich) Liebe geheiligt ist. Alle Achtung! Aber besser ist es doch, daß Du Tante Witte wieder hast; die
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bedeutet mehr als der Rest. Leider wirst Du sehr frieren, denn es ist kalt und die liebenswürdige Frau, keine Vollkommenheit auf der Welt, hat das „Luftbedürfniß." Ein euphemistischer Ausdruck, der so viel heißt, wie „bei 10 Grad Reaumur im Zug." Hier ist schon wieder alles im alten Geleise, nur statt der Petroleum=Funzel brennt ganz feudal eine Gasflamme aus einem großen Glasteller heraus und der verblakte Flur wird neu gestrichen. Am feudalsten ist freilich Friedel, der gestern früh 6 Uhr (Hoffart will Zwang leiden) mit seinem Freunde Meyer auf Jagd gefahren ist und zwar auf Meyerschem Jagdgrund, dicht bei Hankels Ablage. Bei Lichte besehn, stecken darin mehr „Irrungen und Wirrungen" als in meinem ganzen Roman. Die Verjüdelung wächst rapide; von dem Augenblick an, wo man sich's klar gemacht haben wird „ja, hier wohnen (etwa wie dicht beim Luther=Denkmal) eigentlich lauter Juden", - von dem Augenblick an, wird sich das christliche Gemüth beruhigt haben; der Spieß hat sich dann blos umgedreht und wir sind nur noch die Gäste. Die Bredows werden Onkel Bräsigs, wozu sie ohnehin eine Naturanlage haben, und strömen und inspektern auf den Cohn'schen Rittergütern herum. Eine Vorstellung, in die man sich, wenn man erst den ersten Schauder überwunden hat, ganz ernsthaft verlieben kann. Dabei fallen mir natürlich unsre guten Sternheims ein, denen ich natürlich, wenn es erst so weit ist, die Lange Börde, wo die Langobarden herstammen, als Fideicommiß wünsche. Die liebenswürdige Frau hatte hier Blumen und Wein=Gelée für uns aufgebaut, Gaben, unter denen ich die letztre bevorzugte; sie war auch schon zu einer Plauderhalbenstunde hier, ich habe sie aber noch nicht gesehn; die leichtfertige Behandlung der Kostümfrage bringt mich um so vieles. Am Sonntag Vormittag machten die zwei jüngeren Kinder Professor Wolffs mit ihrem Kindermädchen ihren Besuch bei Anna, die diesen Besuch am selben Abend noch im „Hospiz" erwiederte. Der 10 jährige Junge hat mir sehr gefallen, er sieht bemerkenswerth klug aus, dabei von jener graziösen Haltung, der man bei den Semiten und Halbsemiten so oft begegnet. Oft freilich auch dem Gegentheil; das ist dann die 0=Bein=Garde. Der kleine Wolff ist übrigens wohl ein Voll=Semit; Wolff gravitirt doch sehr nach Osten und Marx steht mit beiden Füßen drin. Uebrigens läuft die arme Dame, geb. Marx, mit einem mächtig geschwollenen schwarzen Auge durch die Straßen Berlins. Als sie sich in einem Koffergeschäft über einen Koffer beugen wollte, fuhr der die Honneurs machende Koffergehülfe mit seinem Kopf derartig rasch und kräftig in die Höh, daß er der hinter ihm
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stehenden Frau Professorin fast das Auge ausstieß. Ich nehme an, daß diese Scene bei Demuth gespielt hat. In den nächsten Tagen will ich meinen kleinen Aufsatz über den großen Menzel (für die „Zukunft") schreiben. Ob er auch für die Zukunft ohne Gänsefüßchen sein wird, ist mir zweifelhaft, um so mehr als mir, von starkem Schnupfen, der Kopf brummt. Mama fängt an sich zu erholen oder richtiger wäre ganz wieder in Ordnung, wenn sie sich weniger langweilte und 'was Verbindliches zu hören kriegte. Das kann sie nicht gut entbehren und mitunter halte ich, mit meiner Beisteuer dazu, zurück. Am Freitag ist also die große Jagd. Auch die nach dem Glück vielleicht. Möge es erreicht werden; „geschossen" kann man nicht gut sagen, dann ist es ja gleich todt. In etwa 8 Tagen erwarten wir Dich zurück, Du kannst aber auch länger bleiben, wenn die Verhältnisse dies wünschenswerth erscheinen lassen. Empfiehl mich der theuren Frau, wie allen Mitgliedern des Hauses. Wie immer Dein alter Papa.
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Berlin 22. Sept. 95. Meine liebe Mete. Diese Zeilen werden wohl gleichzeitig mit Dir in Warnemünde eintreffen, wo Dir noch vier, fünf gute Tage beschieden sein mögen. - In der Tante Witte=Diskussion bin ich augenscheinlich durch Dich mißverstanden worden; um das Zeitquantum hat es sich in meinen Augen nie gehandelt, sondern nur um das Einhalten einer Zusage. Wenn ich einer lieben mütterlichen Freundin verspreche: „den Abschluß machst DM" (eine verschämte Illustration von „Ende gut, alles gut") und ich mache dann einen andern Abschluß, so liegt darin zwar nichts direkt Kränkendes, aber doch ein Etwas, das nüchtern wirkt. „Du wirst nicht dran sterben und ich auch nicht." Das Wetter ist kostbar und eigentlich müßte man von früh an draußen sein und in Charlottenburg frühstücken und in Treptow Kaffe trinken. Statt dessen sitzen wir nicht blos ein, sondern sind sogar Einlieger. Ich habe nicht blos einen kolossalen Schnupfen (das ginge noch) sondern auch einen trocknen Husten, der mich und Mama Nachts sehr stört, während Mama stark an der Galle leidet, so daß sie halbe Tage lang zu Bett liegt. Ihre Stimmung hat sich aber
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gebessert. Ob der arme Friedländer an dieser Pleite schuld ist, möchte ich doch nachträglich fast bezweifeln; 50 schlimm war es nicht und ein paar Tage abgerechnet, hat es Mama auch nicht als so schlimm empfunden; es wird doch wohl daran liegen, daß der Brunnen alles aufgerührt hat. Delhaes spricht sich darüber nicht aus; vielleicht ist das noch das Beste; denn die Feststellung solcher Dinge ist gewiß sehr schwer. Man verlangt von den Aerzten, den Geistlichen, den Juristen zu viel; in 9 Fällen von 10 und bei den Geistlichen in 999 Fällen von 1000 weiß keiner 'was. Wo soll es auch herkommen! Denke Dir Eltester oder Perorine (der jetzt, glaube ich, Carrière macht) als Seelenberather in knifflichen Fällen. Wer lacht da? Frau Sternheim habe ich neulich durch die Thürklinse gesehn; sie sah sehr gut aus. Wußte es auch wohl. Warum auch nicht? Empfiehl mich Tante Witte und dem ganzen Hause. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 23. Sept. 95. Meine liebe Mete. Der einliegende Brief, der, gestern geschrieben, heut nach Warnemünde gehen sollte und schon seine wohlgeschriebene Adresse (mein Vater freute sich über seine Adressen) hatte wie Du Dich überzeugen kannst, - geht nun doch nach Zansebur, um Dir zu vermelden, daß wir uns freun, Dich am Mittwoch wiederzusehn. Irgend wer wird Dich empfangen und wenn ich es selber sein müßte. Gestern also Rügen. Ich zweifle nicht, daß es Dich entzückt haben wird, schon ganz Skandinavien: Buchen, Möwen und Kreideklippen und ein verfeinerter, wenn auch betrügerischer Menschenschlag, faux bonhomme wie die Balten überhaupt. Ehrlich ist der Märker, aber schrecklich. Und daß gerade ich ihn habe verherrlichen müssen. Mit Mama geht es etwas besser, auch in ihrer Stimmung. Diese war etwas kritisch gegen mich; heute früh fand ich sie plötzlich verändert. Nach einer Viertelstunde löste sich mir das Räthsel; Anna - von einem Sonntagsbesuch bei ihrer Cousine zurückkommend hatte ihr gestern Abend noch ein Bild der Horwitz'schen Lebensformen und des Verhältnisses bez. Tones zwischen Horwitz=Mann und HorwitzsFrau entrollt. Dabei war ihr ein Seifensieder aufgegangen. Ich kenne keinen Menschen, der so impressionable und so abhängig von „kleinen Geschichten" wäre, - nicht mal Bismarck, der auch
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seine ganze Politik auf „kleine Geschichten" hin aufgebaut haben soll. Mein Husten ist immer noch derselbe. Da ich seit 8 Tagen und länger nur von Rebhuhn mit Speckhemde und von so zu sagen iiberspicktem Hasenrücken gelebt habe, so ist das kaum zu verwundern. Ich stehe unter Speck. Und toujours perdrix ist von alter Zeit her verschrieen. Habe noch morgen (Dienstag) einen schönen Tag. Empfiehl mich Deiner liebenswürdigen Gräfin, die ich in Gedanken jetzt nur noch mit einem Jagdspeer sehe und komme gesund in Deine frischgestrichne Stube bez. in die Arme des Gefertigten Th. F.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 19. März 96.
Meine liebe Mete. Das Haus rückt glaub ich mit fünf Briefen bei Dir an: Mama, Theo, Friedel, Anna, Tilla, - da will ich doch nicht fehlen und das halbe Dutzend voll machen. Ergeh es Dir gut, habe einen guten Tag und ein gutes Jahr, befestige Dich in Deiner Gesundheit und Deinen Grundsätzen, so weit sie's verdienen. - Mama, um sich zu erheitern, ist in Richard III. Sie fragte mich: „ob das das Stück sei, wo drei schwarze Frauen immer im Hintergrunde ständen, eine immer schwärzer als die andre." So leben Stücke im Gedächtniß der Menschen fort, sogar der gebildeten und theaterpassionirten. Ich gehe, wie Dir Mama wohl schon geschrieben hat, unruhigen Tagen entgegen, Sitzungstage, Maltage. Ich freue mich aber drauf, einmal weil es nun doch endlich mal ein richtiger Maler ist, dem ich in die Hände falle, dann weil Liebermann ein ebenso liebenswürdiger wie kluger Mann ist. Im Thiergarten, in einem eleganten Wägelchen, begegnete mir heute Grete Begas* sammt Tochter. Ich finde die Tochter, die für häßlich gilt, viel hübscher als die Mutter. Der aesthetische Sinn steht hier so niedrig, daß die Menschen nicht mal, ganz alltäglich, hübsch von häßlich unterscheiden können. Liebermann erzählte mir, Bismarck verbringe seine Tage nur noch mit Schimpfen. Er freue sich über jeden Besuch, weil er dann * Grete Begas schwögte mir was von „Quitt" vor, das sie eben gelesen habe. Ich sagte: „nicht wahr, gnädige Frau, auch nicht übel", - was sie und noch mehr die Tochter bestätigte; vielleicht bin ich dadurch bestochen.
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gleich wieder loslegen und auf seiner Invectiven®Orgel ein neues Register ziehen könne. Immer gegen den Kaiser. Sein alter Diener soll neulich zu ihm gesagt haben: „Durchlaucht, ick will lieber en bisken raus gehn, daß ich es nich alles höre". „,Ja, geh nur; ich hab mich noch lange nicht ausgekollert.'" Bei jedem andern wiird' ich drüber die Achseln zucken, aber zu Bismarck gehört es; es kleidet ihm. - Es ist sehr gut, daß Du die Richter=EbertysSippe hast; aber ich bitte Dich, sei vorsichtiger als Deine Mutter und rede Dich (und mich mit) in der Friedländer-Frage nicht hinein. - In einem niederländischen Blatt bin ich wegen eines im „Pan" abgedruckten Gedichts (also der Pan lebt!) heftig angegriffen und einerseits als „alter Barde" andrerseits als „Meister der Grobschmiedekunst" spöttisch gefeiert worden, weil das eine Gedicht „Die Balinesenfrauen auf Lombok" mit den Worten schließt: „ Mynheer derweilen auf seinem Kontor, malt sich christlich Kulturelles vor". Ich bin sehr froh darüber; auf die Weise wird mein armes Gedicht doch wenigstens beachtet, denn die Beri: Blätter (z. B. Börsen-Courier) drucken die ganze Geschichte ab und natürlich das Gedicht mit. Tausend Grüße der verehrten theuren Frau. Wie immer Dein alter Papa. Anna wartet auf diesen Brief: sie will zur „Messerschmidt'en!"
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 24. April 96. Potsdamerstraße 134. c.
Meine liebe Mete. Heute gegen Abend kam Deine Karte aus Lugano; ich antworte statt Mamas, die erkältet ist und sich bereits zu Bett begeben hat, um morgen, wo sie allerlei vorhat, wieder bei Wege zu sein. Was Du über Brahm schreibst, hat uns sehr amüsirt und ich werde ihm die 2 Zeilen zugehen lassen; ich kann es um so eher, als er für den Augenblick wohl in glänzender Direktorlaune ist, gestern wurde nämlich Max Halbes „Jugend" - auf dem Residenztheater schon 200 mal aufgeführt - auf dem Deutschen Theater zum ersten Male gegeben und hat sehr gefallen. Es ist möglich, daß er's mit Hülfe der Ausstellung auch bis auf 200 bringt. Ja, Verona! Trifft man es in Verona gut, so ist es in seiner 3A Verjohrenheit ganz besonders entzückend, ist es aber kalt, windig,
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staubig, so ist es ein furchtbares Loch. Trotzdem - da Du von Italien so wenig kennst, denn Deine Reise mit der Dooly steht nicht höher als eine Reise nach Pichelsdorf - bin ich erstaunt, daß Dir der alte Steinkasten so wenig imponirt hat. 1. Arena 2. Piazza d'Erbe (schon Menzels wegen) 3. Dante-Platz. 4. Grabmäler der Scaliger 5. Giardino Giusti 6. Die alte Kirche neben einer Etsch (?) Brücke mit einer sehr schönen Tizianschen Assunta und 7. die Erinnerungen an „Julia" wenn auch nur als eine Art Ulk, machen den Ort doch immerhin interessant. Aber Du hast nie die richtigen Führer. Und Colomba d'Oro! Das ist ja die reine Ausspannung. Dahin geht niemand mehr. Die richtigen Gasthöfe heißen: „Due Torre" und „Torre di Londra" oder so ähnlich, für ital: Korrektheit kann ich nicht einstehn. Das sind wundervolle Gasthöfe von englischem Zuschnitt. Wir sind sehr glücklich darüber, daß Dich alles so erfreut und beglückt; wir gönnen Dir solche schöne Reise und danken mit Dir (oder vielleicht thust Du's nicht mal) der theuren Tante Witte. Mama ist seit ein paar Wochen schreibefaul und versichert, sie wisse nicht was sie schreiben solle, denn sie erlebe nichts. Dies ist grundfalsch. Aber bekanntlich ist bei Mama alles Stimmungssache, sie sieht die Dinge nie, wie sie sind, sondern immer nur in der ihrer persönlichen Gemüthsverfassung entsprechenden Farbe. Und mitunter sind die Gläser so beschlagen oder verräuchert, daß sie gar nichts sieht. Es fällt mir diesmal etwas auf, weil sie im Uebrigen ganz un ver stimmt ist. Es ließe sich von jedem Tage ein Buch schreiben. - Habe noch schöne Tage. Grüße die verehrte Frau. Wie immer Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Paula Schlenther-Conrad [Postkarte. Berlin, 28. Mai 1896]
Ich bin sehr erfreut über Ihr „Ja", möchte Sie aber mit Rücksicht auf meinen Wöchner bitten, keinenfalls später wie um Vi 9 durch Ihr Erscheinen Glanz in meiner Hütte zu verbreiten. Hoffentlich ist unser aller Stimmung über Temperaturen erhaben!! Mit 1000 Grüßen Ihre Martha.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Karlsbad 31. Mai 96. Amsel. Meine liebe Mete. Mamas Salztüte ist aufgegangen und hat die Schreibtischplatte wie bestreut; mühsam hab ich alles weggeklopft, was aber vielleicht auch nicht gut ist. Wir haben bis um 8 geschlafen, trotzdem um 6 das bekannte Hôtelgetrampel losging; Gott sei Dank giebt es keine nächtlichen Stiefelschmeißer, da alles schon um 9 zu Bett geht. Hier herrscht Bora, was Mama erfrischend findet; ich entbehre meinen lieben alten Rock, der mir um so theurer wird, je mehr er geschmäht wird; Loos aller Besseren. Wir haben am Brunnen heute nur gekostet, jeder einen Becher. Während der Brunnenpromenade, studirten wir die Buchhändler=Schaufenster. In allen (weil Sonntag) stand vornan: „An allen Orten gilt Sein W o r t " (oder so ähnlich) eine Predigtsammlung. Drum herum gruppirte sich: Eifernde Liebe von Wildenbruch und Reine Liebe von der Eschstruth; fehlte nur noch Liebesrausch von Tovote. Den Hauptplatz nahm aber ein: „Unter dem rothen Adler, Roman aus der Berliner Hofgesellschaft." Ich denke mir, auf 6 „Reine Liebe" wird wohl eine Predigtsammlung kommen. Die dicken Karlsbader Gestalten wirken sehr weltlich. Frau Sorma ist hier und wohnt Villa Lauretta, Parkstraße, auf dem englischen Berg; sie taucht aber nicht direkt in der Fremdenliste auf, sondern in folgender Verschleierung: „Nummer 7 2 5 6 : Herr Demeter Mito von Minotto, Privatier mit Gemahlin Agnes, Sohn Jacobus Michael und Bedienung aus Berlin." Und wenn ich nun bedenke, daß der kleine Brahm für diesen ganzen Apparat aufkommen soll, so kann einem angst und bange werden. Im Hôtel=Omnibus fuhren wir mit einer Dame aus München, die, als sie uns als Berliner erkannte, ohne Weitres fragte „ob wir den Banquier Apfelbaum kennten? er wohne in der Voßstraße." Ich antwortete: „wenn er in der Voßstraße wohne, müßte ich mich beinah geniren, ihn nicht zu kennen; aber ich kannte ihn wirklich nicht; er wäre wahrscheinlich „Zuzug". Sie setzte verschmitzt hinzu: „sie hätte letzten Winter in Nizza mit Apfelbaum ein Rendez=vous in Carlsbad verabredet; zu diesem Rendezvous reise sie jetzt; sie leide übrigens furchtbar an Ischias", - was mich wieder beruhigte. All dies werthvolle Material sollte bis morgen lagern, da ich aber eben durch Mama erfahre, daß morgen Annas Geburtstag ist, so sollen diese Zeilen mit meiner Gratulation heute noch zur Post. Ich
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wünsche ihr, daß sie sich erst verheirathet, wenn wir todt sind. Jung gefreit, hat niemand gereut; kehrt man es aber um, so ist es - das gewöhnliche Schicksal solcher Sätze - mindestens ebenso richtig. Grüße die Söhne, die Gesellschaft und berichte was Du „angerichtet". Mit diesem Kalauer will ich schließen. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Correspondenz-Karte. Karlsbad, 4. Juni 1896]
Ich will doch - querschreibend, was sonst nicht meine Sache ist - Dir auch noch eine Karte stiften. Schi, scheint doch voller Huldigung gegen Corinna gewesen zu sein, was ich schon allein begrüße. Daß ich es in der Ordnung finde, brauche ich nicht hinzuzusetzen. AllgemeinsAffabilität kann man von einem typischen Ostpreußen nicht verlangen. Im Uebrigen, Programm = Gesellschaften sind nie höchste Gesellschaftlichkeitsblüthen und wenn sie ziemlich gut verlaufen und bis 2 XA dauern, ist eigentlich schon was Großes geschehn. Das Feinste liegt immer in der Freiheit, im glücklich schaffenden Moment und das Bestvorherbestimmte und auch selbst virtuos Ausgeführte kann gegen das Kind des Augenblicks nicht an. Vergleichsweise scheint mir alles noch merkwürdig gut verlaufen. Das Gedicht von P. Meyer ist recht gut und persiflirt Theon ganz allerliebst. Auch Dein Reim auf Sehl: hat mich amüsirt. Wie immer d. alter Pa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Correspondenz-Karte. Karlsbad, 6. Juni 1896]
Meine liebe Mete. Sei bedankt für Deine Zeilen vom Freitag; wir erhielten sie als wir zu Tische gingen und schoben darauf hin Rehschnitten in Madeirasauce ein. Ich empfinde auch so was, wie Du am Schluß in einer kl. Nachschrift aussprichst; alles bestärkt mich in meiner Weltanschauung und meiner Verachtung allen Jobberthums. Die alten Weisheitssätze sind doch Weisheit. Ich bin
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auch sehr mit Deiner Vorsicht einverstanden. „Schweigen ist Gold." Uebrigens wird nun selbstverständlich der letzte Plan mit der gleichmäßigen Dreitheilung wieder aufgenommen. Sage über Onkel Timm kein Sterbenswörtchen zu Zöllners; empfindlich sein ist immer kleinlich. Hoffentlich hast Du angenehme Stunden mit Lise verlebt. Grüße die Brüder, Anna und Sternheims. Wir lesen jeden Abend Spielhagens Roman. Gesehn (außer T.) haben wir noch keine Katze. Dein alter Papa.
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Theodor und Emilie Fontane an Martha Fontane Karlsbad
10. Juni 96. „Amsel."
Meine liebe Mete. Während Mama in die Wellen steigt (Venus stieg aus den Wellen) will ich Dir einen kleinen Brief stiften. Dein Brief brachte 2 große Nachrichten: 1. daß Du Dir ein Kleid machen lassen sollst (an ihren Göttern erkennt man die Menschen) und 2. Dein Gespräch mit Theo, - keine „Aussprache", vor der Du Dich mit Recht graultest, sondern Herzausschüttung, Beichte. Sei nur recht gut zu ihm (wie Du ja schon angefangen hast) und zeige ihm, wie leid er uns thut. Denn er ist gewiß in einer mehr als vertrackten Situation. Ich bin ja immer mit „scheiden lassen" bei der Hand, aber daran ist ja bei einem Manne wie Theo gar nicht zu denken. Er ist ProgrammsMensch, preußisch=conventionell abgestempelter Prinzipienreiter, zum Ueberfluß auch noch Biedermeier mit 'ner Hängelippe und so heißt es denn: „es wird fortgewurstelt." Er wird weiter „einkaufen" und in allerhand Kassen zahlen, Geheimer Kriegsrath werden und den Rothen Adler 2. Klasse kriegen und schließlich wie damals, wo er die verunglückte Rede gehalten hatte - mit dem Preußenmotto sterben: „ich habe meine Schuldigkeit gethan." In mir wird das Aufbäumen gegen all diese Herrlichkeit immer größer und vielleicht schnappe ich in meinem wachsenden demokratischen Weitbürgerthum noch über. Aber ich verirre mich, wie gewöhnlich, und vergesse, daß ich von Theo's Situation, nicht von seinem Charakter sprechen wollte. Wir müssen ihn durchaus besser behandeln, denn er sitzt in keiner guten Assiette. Du schreibst „er habe Dich ganz entwaffnet" und das ist genau das, was ich empfinde.
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Uebrigens Mama auch, sogar mit „verve", - wenn es nur vorhält. Von dem Augenblick an, wo er zu uns sagt: „so und so liegt es, aber ich kanns nicht ändern und muß es aushalten und will es aushalten," - von dem Augenblick an hat er uns gegenüber gewonnen Spiel. Es fällt dann das fort, was uns am meisten geärgert hat: Blindheit, Verranntheit, Ungerechtigkeit. Sehr gefreut habe ich mich, daß Du mit Anna in der Ausstellung warst; so muß man's machen. Eh nicht die letzte „Madamm" begraben ist, eh wird es nicht besser. Dein alter Pa. [Nachschrift von Emilie Fontane] Eben aus dem Bade kommend, lese ich diese Zeilen, die wieder ganz unser Papa sind, aber auch er würde sie nicht ändern, es ist kein Material da! Wir spielen hier so wenig ein Röllchen, daß ich mit meinem grauseidnen aufräume, was selbst Pa der Situation angemessen findet, entweder ist das Meiste noch unter der Fahne (censüriert) oder so drüber, daß es sich nicht verlohnt. Sonntag werde ich das Spitzenkleid an die Luft führen. Papa ist sehr lieb u. gut u. erholt sich auch; das Arbeiten hat er aufgesteckt. Pusslef?] nicht zu viel u. freue Dich Deines vergrößerten Vermögens. In Liebe Deine Alte.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin [versehentlich statt: Karlsbad] 13. Juni 96. Meine liebe Mete. Das klingt ja alles sehr traurig und Du und Lise und alle thuen mir herzlich leid. Schon wenn ich von Scharlach höre, wird mir schlecht und bei Diphterie nun schon ganz gewiß. Wie kann man an einem Ort und in einem Kasten wohnen, wo unausgesetzt dergleichen los ist! Ueberhaupt deutsche Luftkurörter! Wie Kanonenluken in die Welt hineinstarrende Kloset=Rachen (Wernigerode), Dünensand der bibbert und Wellen wirft von den verscharrten Fleischabfällen (Nordernei) Gänsedrecks Ocean und zum Färben aufgethürmte alte Judenhosen (Krummhübel) - das heißt Sommerfrische, Luftbad. Da ist mir eine Bank mit Spreewaldsammen doch noch lieber, selbst wenn der kleine Bocher in einem fort abgehalten werden muß. Leider kann ich von hier aus auch kein Spürchen von Trost spenden; - Schicksal nimm Deinen Lauf. Ihr müßt Beide alles über
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euch ergehen lassen, wie auch die Würfel fallen; gurgelt nur was das Zeug halten will und nehmt alle paar Stunden von 11 oder 12 Uhr an einen tüchtigen Schluck Rothwein. Und ein Glas guten Thee, aber self made, und ohne Milch nur mit etwas Cognac. Und nur essen worauf ihr lebhaftesten Appetit habt, sonst lieber gar nichts. Mama liegt noch im Bett oder richtiger hat sich wieder hingelegt; ihr war heute früh so düselig und sie ängstigte sich. Alles Heldenthum ist begrenzt. Ein Glück - diesmal aber sehr ernsthaft - daß ihr Thierfelders habt. Herzliche Grüße an Lise. Wie immer Dein alter Papa. Laß ja von Dir hören; hoffentlich Leidliches.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Correspondenz-Karte. Karlsbad, 14. Juni 1896]
Meine liebe Mete. Habe Dank für Deinen famosen A. ScherenbergsBrief; Du hast ganz Recht, es giebt doch noch eine innerliche Gewaschenheit, die weit über die äußerliche geht; aber sie ist so rar, daß man doch gut thut, bei Pears Soap zu verharren. Ich habe gleich an Hey se geschrieben und werde von seiner Antwort unser weitres Verhalten in der Sache abhängig machen, also so oder so. - Heute Nachmittag wollen wir mit Dr. Sternfelds Schwester an einer schönen Stelle Kaffe trinken; sie ist immer mit einem Roman von mir bewaffnet; heute früh holte sie einen aus dem Strickbeutel. Dann hatten wir mit Timm (der sehr gut ist) ein freundlich nichtssagendes Gespräch. Aber wo nicht viel ist, ist das das Beste. England wird ja in Berlin sehr flattirt. Es hilft aber alles nichts. Jeder bleibt wie er ist. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Karlsbad
19. Juni 96. Amsel.
Meine liebe Mete. Meine Absicht ging dahin, Dir und Friedel (diesem zum Dank für.seinen längeren Brief vom 17. mit dem „Pan" links in der Ecke) jedem noch eine Schluß=Karte zu stiften, es geht aber nicht, da
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Mama es beim „Werthzeichen=Einkauf" so knapp eingerichtet hat, daß nur noch 3 Marken, aber keine Karten mehr da sind. Heute früh kam Deine Karte mit dem Fritsch-Bericht. Es hat einen Eindruck auf mich gemacht, daß Du von „liebenswürdigen, beinah wohlwollenden" Menschen sprichst. Duttchen, mit der bekannten Briefeinschätzung, würde darüber weglesen, - ich nicht. Man denkt zunächst: „liebenswürdig ist mehr und umschließt alles." Im Letzten und Höchsten ist das auch richtig. Aber die Durchschnitts=Liebenswürdigkeit ist ein Nichts im Vergleich zu „Wohlwollen". Das Wort sieht nach gar nichts aus, umschließt aber eine Welt. Es gehört ganz unter die feinen Sachen, wie Demuth, Reue, vergeben und vergessen=können, Beichtebedürfniß. Aber was besitzt die Welt von diesen Extra s Artikeln! Immer ein Quentchen auf 100 Pfund Commiß. - Anna kann ich wegen ihrer gestörten oder eingebüßten Nachtruhe nicht bedauern. „Sie sind ein kluges Mädchen" hat ihr, glaub ich, Horwitz gesagt und in ihrer Klugheit wird sie bei Fritsches auf ihre Rechnung gekommen sein. Und dann noch der Umkehr=Marsch zur Eroberung des vergessenen Hausschlüssels! Der Portier im Fritsch'schen Hause ist hoffentlich attenter als Bickner. Für das Haus Fritsch nimmt mich ein, daß Hinckeldeyn, der ein großes Thier ist, so tapfer da aushält; es kann also nicht ganz schlimm liegen. Aber es ist traurig, daß es ist wie es ist. Ach, Geld, Geld, und Portieren und elektrisches Licht und eine Renommir=Excellenz, - was kommt dabei heraus! Wie froh bin ich, daß wir uns auf 'ne Tasse und 'nen silbernen Theelöffel verheirathet haben und jetzt in unsrer Mansarde geschenkten Feldheim-Champagner trinken, den der kleine Br., als feiner Knopp, refüsirt. Von gesunden Eltern geboren sein und dann arm sein und sich nach Neigung verheirathen und guten Verstand und gute Gesinnung haben, - das ist das Einzige, was einen Werth hat. Gute Verdauung ist besser als eine Million. - Es ist jetzt 1 Uhr Mittags, Mama im Bade. Morgen um diese Stunde dampfen wir ab. Ich wollte, ich säße erst judenlos im Coupé. Ich bringe Dir noch einen Karten==Bonbon mit. - Ueber die verschiedenen Punkte in Friedeis Brief, so beispielsweise über den entmannten oder mindestens englisirten „alten Derfflinger" (was mich amüsirt hat) sprechen wir morgen oder übermorgen ausführlicher. Baumgartenbrück ist reizend, aber man kommt doch nicht hin; Thiergartenbank mit nicht zu viel Spreewäldlerinnen (sie riechen alle milchsauer) ist schon das Beste. Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Postkarte. Berlin, 29. Juni 1896]
Meine liebe Mete. Versäume doch nicht in der Montag Abend Nummer der Vossin den reizenden Artikel Schienthers über das Fest in Weimar zu lesen. So muß man das machen können. Humoristisch, witzig, selbst hier und da ein Schlag mit der Arlequinpritsche, aber überall fein, beinah hofmännisch. 1000 Grüße. Wie immer Dein alter Papa
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 11. Juli 96. Meine liebe Mete. Du unterzeichnest Dich „Pechmatz" und es ist auch so was. Aber immer „aufs Janze", und aufs Janze hin angesehn, bist Du doch vielleicht mehr ein Glücksmatz. Du hast geerbt (ich glaube sogar 2 mal und trotz der verruchten Noville sind weitre Dinge möglich) und hast sogar in der Lotterie gewonnen, sogar in einer italienischen, Du warst in Rom und in Deyelsdorf und bist in Warnemünde und hast zu dem Pech nicht verheirathet zu sein, das vielleicht noch höher zu veranschlagende Glück davon. Und Kinder! Kurt und Max Sommerfeldt sind auch Kinder und Kurt und Fritz Heyden auch. Es ist doch alles so so. Daß gerade die „Mandel" im Hause Witte jetzt solche Rolle spielt, wirkt doch beinah wie himmlische Gerechtigkeit und wie die Rache so vieler armer Würmer, die nicht mal den Mandelschnitt hatten, sondern nur darauf hin angesehen wurden. Daß sich das mit der „Gräfin" aufgeklärt hat, ist hoch erfreulich. Deine huldigende Wendung über Thierfelders, die gewiß berechtigt ist, erinnert einigermaßen an Friedeis berühmte Briefparenthese: Vater, Eckhausbesitzer. Von Neßler erhielt ich gestern einen Brief mit der Anrede „Meister" und ein Heftchen mit dem Titel „Eine Sommerfahrt in Palästina". Er schwärmt darin, übrigens sehr nett und manierlich, von Gethsemane und schildert die Gefangennahme des „Gerechten" und wie sie den „Gebundenen" in ihre Mitte nehmen. Und dabei
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fiel mir ein, daß er d. h. Neßler für Theo und Otto nicht fromm genug ist oder wohl gar nicht fromm genug für die kleine Oberpoststietze. Du hast Recht, es ist starker Toback, daß ich so was an meinen Kindern erleben muß. Denn daß Theo mein Sohn ist, ist mir trotzdem ganz gewiß, nicht aus Vertrauens s sondern aus Erscheinungs=Rücksichten. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 14. Juli 96. Meine liebe Mete. So traurig das alles ist, so sehr beruhigt es mich doch, daß ein Entschluß gefaßt und das arme Kind am besten Ort und in bester Behandlung ist. Es ist eine verrückte altmodische grausame Vorstellung, daß wenn wer stirbt, sechs andre gleich mit sterben müssen. Da bin ich denn doch für die „indische Wittwe", die sich vor den Gagernaut wirft oder lebendig mitbegraben wird. Da ist doch ein großer Gedanke drin, aber das Andre ist blos Blödsinn. Die mecklenburgische Volksanschauung scheint auch in diesem Stück zurückgeblieben. - Ihr Beide, Lise und Du, werdet euch nun einigermaßen erholen, wenn nicht das Kind hinstirbt und die Maddelei physiquement et moralement aufs Neue beginnt. Dies DesteuquesCitat ist natürlich der Uebergang zu Mama. Sie litt gestern ein paar Stundenlang sehr und dachte ganz ernsthaft, sie müsse sterben. Auch in diesem Augenblick ist ihr noch schlecht. Um 4 Uhr früh wollte sie aufstehn; ich schlief ganz fest und wurde von einem Fall und Schrei aufgeschreckt; als ich aus dem Bette sprang, lag die arme Frau ohnmächtig da. Sie berappelte sich dann einigermaßen und um 8 machte sich Anna zu Dr. Salomon auf, der dann auch schon um 9 hier war. Es ist nichts Schlimmes: starke Magenverstimmung, dito Erkältung, schwerer Kopfdruck und in Folge davon Ohnmachtszustände. Dr. S. war wieder sehr verständig und kommt der Sache mit kleinen Hausmitteln bei, darunter Crémor Tartari und Migränestift, zwei Dinge, die an Unschuld kaum übertroffen werden können. Eh wir uns für Dr. Salomon entschieden, schickten wir gestern Abend zu Dr. Greulich. Anna - da natürlich auch Greulich in Schulferien ist - brachte aber nur beiliegende Karte
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mit zurück, von der ich nicht Nutzen ziehn konnte, da mich gegen Kanitz meine antiagrarischen Gefühle einnehmen und Kirchhoff aus andern Gründen nicht in Frage kommen kann. Ich wünsche Dir, daß Du baldmöglichst Berlin als Reconvalescenz=Ort beziehen und auf einem 5 Pfennigstuhl am Wrangelbrunnen Deine Nerven wiederherstellen kannst. Mit mir geht es leidlich. Auch Friedel ist wohl und hat sich schon ein Tatra=Buch angeschafft. Ich wette, daß Theo in 12. Stunde wieder abschnappt und in eine reiche Judensommerwohnung zieht; es ist bequemer, billiger und - gesinnungstüchtiger. Berlin wimmelt von Russen, Australiern, Californiern und lllinois=men, auch viele „Franzosen" sind da, - alle hier aufgezählten sind aber Juden. Und dabei darf man nicht mal Antisemit sein, weil das wieder zu dumm und zu roh sein würde. Geh es euch so gut, wie die deprimirenden Zustände es irgendwie erlauben. Herzlichste Grüße. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Postkarte. Berlin, 14. Juli 1896]
Eines habe ich in meinem Briefe vergessen: wann ist des alten Schreiner Geburtstag? Zunächst hat Frl. v. Flemming angefragt. Es ist vielleicht das Beste wenn Du gleich direkt eine Karte an die Dame richtest. Adresse: „Fräulein v. Flemming, Landsitz Schönweide bei Coepnick." Zwei, drei Zeilen genügen. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 15. Juli 96. Meine liebe Mete. Deine Karte, die heute eintraf, klingt ziemlich misig; Judith, da ich Simson nicht gut citiren kann, hat die Locken ihrer Kraft verloren. Aber ich finde diesen Elendszustand nur zu natürlich; ein Glück, daß das Würmchen in des guten alten Thierfelder und nicht mehr in eurer Obhut ißt; richtig placirt, bin ich für Einsetzung aller
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Kraft, auch wenn man dabei mit in die Brüche geht, aber jede Kraftvergeudung ärgert und reizt mich. Ich glaube, daß ich in jeder Schlacht, auch unter furchtbarster Angst, immer ein Stückchen Held gewesen wäre, die Vorstellung aber mich wegen eines beim Skat gemachten Ulks todtschießen zu lassen, hat was Entsetzliches für mich. Und wer das nicht empfindet, der ist ein in ödem Conventionalismus befangener Schafskopp. Wenn Lise nun bald fort ist, wirst Du wohl noch eine Weile aushalten müssen, aber nicht länger als nöthig; Du bedarfst, wie ich aus Deinen Zeilen ersehe, durchaus der Aufkratzung und selbst Kohlhasenbrück kann als eine Erheiterungsstation angesehn werden. Mit Mama geht es wieder besser; ich glaube, daß ihr ein paar Stundenlang ganz schrecklich zu Muthe gewesen ist, was aber auf Friedel und auch wohl auf Anna den meisten Eindruck macht, ängstigt mich nicht sehr; Mama verfällt nämlich leicht in ein gewisses Irresreden und wenn man ihr einen Kranz einflicht, so ist Ophelia oder ohne Kranz die Lady Macbeth fertig; es ist nicht eigentlich Komödie aber ein sich gehen lassen; zwei Stunden später ißt sie dann eine Sardellensemmel. Ich würde dies noch mehr betonen, wenn ich mir nicht sagte, daß mit beinah 72 mit nichts zu spaßen ist und auch Kleinigkeiten - irgend ein unverdautes Radieschen - sehr gefährlich werden können. Dr. S. war heute wieder hier und ist ganz zufrieden mit ihrem Zustand; sie muß Rheinwein trinken und sich kräftigen. Unglückseligerweise hat er eine Vorliebe für Sardellensemmeln, so ziemlich das Tollste was es giebt. Mamas Laune ist verhältnismäßig sehr gut. Heute früh hatte sie das Bedürfniß sich zu unterhalten und trotzdem ich gern noch weiter geschlafen hätte, entspann sich, völlig vom Zaun gebrochen, folgendes Gespräch. Sie. Ich weiß nicht wie die Frommen so gegen das Verbrennen sein können; Asche oder Erdenstaub ist doch ganz dasselbe, wenn sich's um Auferstehung handelt. Ich. Ja, so sind die Frommen. Der Kaiser red't auch so. Sie. Ja, der. Das macht, weil sie immer eine Wand um sich 'rum haben. Er sollte nur auch mal unerkannt durch die Straßen gehn und hören wie das Volk spricht, so wie Hassan. Ich. Harun. Sie. Ja, Harun al Hassan. Uebrigens find' ich, daß Friedeis neuer Anzug sehr gut sitzt. Ich. Ja.
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Sie. Und ich will auch gleich mal nachsehn ob mein Knie heilt. (Sie thut es.) Ja, es heilt. Ich habe so sehr gesunde Säfte. Ich. Ja wohl. Ich muß sagen, daß solche kleinen Erlebnisse sehr zu meiner Erheitrung beitragen. Gestern Abend war der gute Herr Sternheim hier, um Mama zu Kroll abzuholen. Heute früh hatte ich einen Brief von der liebenswürdigen Frau aus Tarasp. Ergeh es Dir leidlich gut. Cheer up! Grüße Lise, ihren Mann, ihre Mutter und sei selber gegrüßt von Deinem alten Papa.
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Martha Fontane an Paul Schienther Berlin d. 18 A u g 96.
Sehr verehrter Herr In der fröhlichen Hoffnung, daß der Volksmund recht hat, wenn er behauptet, kleine Geschenke erhielten die Freundschaft nahe ich Ihnen an Ihrem Wiegenfeste (Kürschner) mit einem bescheidenen Angebinde. Möge Ihnen das grüne Fläschchen etwas Ozon vorgaukeln, wenn es noth thut. Mit schönsten Grüßen an Ihre Frau sehr getreulich Ihre Martha Fontane.
(Wir gehen Donnerstag nach Waren am Müritz See.)
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Martha Fontane an Gerhart Hauptmann [Rohrpost-Karte. Berlin, 26. November 1896]
Würden Sie zwei Generationen die Freude machen und am Sonntag 6 Uhr bei uns den bekannten Löffel Suppe essen? Mit besten Grüßen (u. nachträglichen Glückwünschen) (Es leben die Abreiß Kalender) Ihre Sie hoch verehrende Martha Fontane.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Sonntag den 20. Dezember [1896].
Meine liebe Mete. Besprich doch, wenn es Dir passend scheint, mit unsrer theuren Frau Sternheim einen Festtagstheaterabend (eventuell dritter, vierter, fünfter Feiertag) für Ida und Anna. Natürlich „Versunkene Glocke"; sie müssen doch was davon haben, daß sie mit zur Literatur gehören. Ida kennt ja schon das Neuste und Größte: „Die Geschichte vom kleinen Ei". Mama wird schwerlich dagegen sein. Ich bin sehr für solche kleinen Extras, bei denen man auch persönlich gut fährt. Denn nachdem Schienther gesprochen, ist es interessant, auch Ida und Anna zu hören. Werden sie mit dem Schluß des 4. Akts (Rückkehr zu „Muttern") oder mit dem des 5. Akts (Rückkehr zur rothen Hexe) sympathisiren? Vielleicht mit beiden, was auch was für sich hat. Empfiehl mich allerseits. Dein alter Papa. 308
Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 25. Januar 97.
Meine liebe Mete. Wir haben merkwürdige 24 Stunden hinter uns. Die Braut war gestern in ponceaurothem Kleid und weißen Aufschlägen bei uns zu Tisch, gesprächig, frank und frei wie immer. Dann ging ich spazieren. Als ich um 8 wieder zu Hause war Mama kam von Heydens zurück - begann ich, im Zimmer auf und abschreitend, von 8 bis 12 mein Herz auszuschütten, was also sagen will ein sehr wiederholungsreiches Gespräch mit Mama zu führen. Das Resultat war: non possumus; es geht nicht; wir können nicht mit; Bourgeois=Größenwahn, die herkömmliche Berliner Sechsdreierverwechselung mit Astor oder Mackay. Gegen 2 schlief ich ein; Mama gar nicht. Heute früh Wiederaufnahme. Mama. „Ja, was thun?" Ich. „Bruch. Erklärung, daß ein Verkehr unmöglich sei". Darauf hin RohrpostsBrief an Friedel und um sein Erscheinen gebeten. 11 Vi trat er an. Nie hätte ich geglaubt, daß dieser doch auch an gewissen Ueberschraubungen leidende Mensch sich so musterhaft benehmen könnte. Den Ernst der Sache tief fühlend, war er doch zugleich
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vollkommen ruhig, ohne jede Bitterkeit, fast ohne Ueberraschung. Er sah alles ein, gab alles zu, machte gar keinen Versuch einer Applanirung, so daß seine Haltung mich rührte, fast zu einer kleinen Bewunderung stimmte. Wenn es Dir möglich, stifte ihm einen Brief, mit einem „ cheer up" als Hauptinhalt. Bei dem vielen „breakfast" und „lunch" der letzten 2 Wochen, kann ich mir das „cheer up" schon gönnen. Was ich ihm gesagt habe, lief darauf hinaus: „wir haben gar nichts gegen sie, ja, sie gefällt uns fast, weil wir sie für freiweg und ehrlich halten, - sie paßt nur nicht zu uns. Sie vertritt eine Welt= und eine Gesellschafts « Anschauung, die der unsrigen diametral entgegengesetzt ist. Bei Martha Robert war alles Justizraththum mit Liaisons und Pfannkuchen, bei Martha Soldmann alles Beamten=Borussismus, bei Frida Lehmann alles Berliner Bourgeoisthum mit Sauerkraut und Standesamt. An Charakter ist die letztre die beste, aber die Confusion und der Blödsinn ist bei ihr am größten." Von dieser dritten Charakterisirung habe ich aber Friedel gegenüber nur das Wort „Berliner Bourgeoisthum" gebraucht. Schreibe ihm: „es ist wohl so am besten" und war unausbleiblich, füge aber hinzu (auch das habe ich ihm wiederholentlich gesagt) „daß er, wenn er sich ihren Standpunkt zu eigen machen will und kann, möglicherweise ganz glücklichen Tagen entgegengeht." Er thut mir ungeheuer leid und dabei bewundre ich den Muth, womit er das alles verhältnismäßig ruhig auf seine Schultern nimmt. George hatte, nach dieser Seite hin, denselben Charakter. Deine Zeilen an Friedel werden ihm gewiß eine Aufrichtung oder wie mein Vater sagte, eine „recreation" sein. Tausend Grüße an die verehrte Tante Witte. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 9. Mai 97.
Meine liebe Mete. Heute früh 10 Uhr erschien „Deine Gräfin"; Mama litt gerade stark unter einem Schlei, den wir gestern gegessen (in einem halben Jahr nicht wieder) während ich im ganzen Glanz meines Dir bekannten Morgenkostüms erstrahlte. So konnten wir sie nicht sehn, was uns sehr unangenehm war, aber sich nicht ändern ließ. Viel-
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leicht nimmst Du Veranlassung, uns auch noch brieflich zu entschuldigen und unser Bedauern auszusprechen. An Caspars haben wir telegraphirt. Die FriedeUFrage steht. Heute - bei großer Clubfestlichkeit in Halensee - wird wahrscheinlich geradelt. Wenn ich mir meinen armen Friedel als Zuschauer dabei denke! Früher sagte man: „nicht zu denken gedacht zu werden" - eine alte Zwickauersche Wendung aus dem Kladderadatsch. Aber Friedel hat sie zu Schanden gemacht. Er thut mir leid und dann könnte ich auch wieder eine laute Lache aufschlagen; so verläuft Größenwahn wenn er sich mit Confusion und Profitlust paart. Ich hätte dies Schlußzeitwort eigentlich vermeiden sollen. Beiliegend viele Ausschnitte. Alles sehr gut, namentlich auch die 2 Stephan=Anekdoten. Zu den politischen Sachen eine Zubemerkung. Drumont ist ein französischer Antisemit. In der That sind gerade viele reiche Jüdinnen verbrannt. Jaurès der von Kaiser Wilhelms Gebeten nichts wissen will (was ich ihm nicht übel nehme) ist Sozialist. Als solcher ist er überhaupt nicht für Gebete und nun gar als Import von Berlin. Trotzdem ist er natürlich ein Esel, wie so ziemlich alle Franzosen in ihrer quatschen Haltung gegen Deutschland und Kaiser Wilhelm. Von Esprit, Générosité und Aehnlichem merkt man nicht mehr viel. Die Welt wird überall roher und gemeiner. Nur Potsdamerstraße 134. c. drei Treppen giebt es noch ein Plätzchen, wo edlere Menschen wohnen, darunter auch der Gefertigte, Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Paul Schienther [Berlin, Anfang Juni 1897]
Wareniana. Vorschläge. d. 12 Juni. 8.40. Abfahrt Stettiner Bahnhof. (Retourbillet III Kl. er. 8 Mrk, 11.8. Ankunft in Waren. Hotel „Stadt Hamburg" Inh: Wittwe Schubart; vorz: Frau u. Köchin; Figur. (Liversan= Rothwein).
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1 Uhr
Mittagessen (vorherige Anmeldung von Berlin aus erwünscht, von Vi 1 2 - 1 Uhr - Kietz, Ecktannen, Tiefwaren-See. 2 oder 2 V2 Fahrt in Kremsern nach Burg Schlitz. (Sehr berühmt) oder Dampferfahrt nach Röbel (sehr poetisch) Sonntag d. 13. Neubrandenburg Hotel zur „goldenen Kugel" oder Augusta-Bad; 30 M. von der Stadt (schattiger Weg. Für Bildungstiger u. Patrioten Höhen-Zieritz, Ankershagen etc. etc. - für Gefühls= menschen - Familie Fontane. Vorstehendes ist ein Bestreben nach Kürze keine Herrschsucht. Jedenfalls freuen wir uns ganz kolossal auf die Berliner-Invasion; auf wen am meisten wird Ihr Scharfsinn vielleicht errathen. Stets Ihre Corinna. 311
Martha Fontane an [Paul Schienther] 2 Pfingsttag [Berlin, 7. Juni] 1897
Lieber verehrter Herr Am einfachsten wäre es, ich dirigirte den ganzen Menschenballast nach Waren u. ermunterte Sie zu einem Extrazug nach N.B. - Aber meine gräßliche, unausrottbare Tugend macht mich ascetisch und weitschweifig. Waren's Reize sind zu intim für Kürze; nach meiner Orts- und Sachkenntniß muß ich den Zwanglosen zu N.-B. zureden. Der See ist nicht voll so schön wie die Müritz, die Wälder aber dafür unvergleichlich.
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Ich formulire also nun so. Sonnabend 3.36. Abfahrt. Stettiner Bahn[hof]. 6.58. Ankunft in N.B. Entweder dort „goldene Kugel" oder Augusta-Bad. An beiden Stellen Anmeldung erwünscht. Sonntag kann dann entweder einfach N a t u r gekneipt werden oder Burg Schlitz etc. etc. werden (per Bahn bis Stavenhagen (wenn ich nicht irre) absolvirt. In Architekten und Künstlerkreisen gilt dies vielerwähnte Schlitz für die Krone mecklenburgischer Sehenswürdigkeiten, ist also allen Reiserenommisten dringend zu empfehlen. Was sollten die Zwanglosen abends 7 Uhr in Waren?! Waren ist überhaupt Station für Partieen u. Sommerfrische; kein Ziel für eine Tagestour. Ich bin schon morgen Mittag in Augusta-Bad u. werde Ihnen spätestens Donnerstag noch ein dem Warener Führer entsprechendes Buch aus Ν.- B. zuschicken. In herzlicher Vorfreude Ihre Martha Fontane. Können Sie nicht unter allen Umständen statt der öden Vorort-Bummelei mit dem Schnellzug morgens 8.40 fahren? Wir hätten Sie dann doch einen halben Tag für uns. Äußern Sie sich darüber, - wenn es nicht zu arg heiß ist, komme ich Ihnen dann entgegen.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Neubrandenburg Augusta s Bad 13. Juli 97.
Meine liebe Mete. Auch ich will Dir für Deine Karte danken; am meisten hatte die Mülbesche Stelle „sehr getroffen" mich amüsirt. Das Ausgeflogensein der 3 andern ist überraschlich, denn wo kann man in Berlin bei Wind und Hitze hin? Hier hat man doch den „Wald", freilich ich nicht; er steht mir noch zu sehr als Mückentummelplatz in Erinnerung. Bei Tisch sitze ich jetzt neben Frau Dr. Stein, - sie ist, seit
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seinem Hiersein, affabler geworden; die Erdbeerberge bleiben freilich dieselben. Mama sitzt fest am Schreibtisch und packt Blatt auf Blatt; ich bewundre den Fleiß, aber nicht die Stimmung; sie leidet unter einer kolossalen Langenweile, deren zu Tage treten weder schmeichelhaft noch fördersam für mich ist, auch nicht durch die Resignation in die sie sich kleidet. Denn diese Resignation hat weniger von einer weichen Wehmuth als von einer stillen aber starken Verzweiflung. Schriebe ich noch einen Roman - allerdings undenkbar - so würde ich einen Abschreiber nehmen, coûte que coûte. Das Leben ist unverändert, nur die guten Weinrichs fehlen; Abends fahren die jungen Mädchen auf den See hinaus und singen und brennen Feuerwerk ab, was reizend aussieht; heute haben sich auch Schwäne eingestellt, wenn es nicht Wellenkämme waren. Mama hat zwar durch ihr „Glas" Schwäne festgestellt, aber das hat mich in meinen Zweifeln bestärkt. Ich will mich nun anziehn und meinen Abendspaziergang zwischen den Kornfeldern machen. Empfiehl mich Sternheims unter Dank für Ihren Besuch. Beste Grüße an Anna, deren Wirsingkohl und Abendaufschnitt ich ersehne. An Theo habe ich geschrieben, heute auch an James Morris. Dir aber geh es gut und sorge für Eingemachtes. Wie immer Dein alter Verehrer und Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane [Postkarte. Neubrandenburg, 16. Juli 1897]
Meine liebe Mete. Morgen also wieder heeme. So schön und erquicklich es war, so ist es doch nun genug. Die eigentliche Wiederaufbesserung liegt immer zwischen Berlin und Trebbin, erreicht in Trebbin ihre Höhe und nimmt in Luckenwalde schon wieder ab. - Die 4 6 (!) Kapitel ruhen bereits verpackt im kleinen schwarzen Koffer; klingt wie Sarg, was hoffentlich nichts Schlimmes bedeutet. Mama hat sich hinsichtlich ihrer Stellung zu dem Ganzen wieder berappelt und das Desperationsstadium hinter sich. Sprich also nicht zu ihr über das, was ich Dir darüber geschrieben. - In Hain, wie wir aus der Vossischen ersehn, hat's einen wunderbaren Mondregenbogen gegeben, ich nehme an zur Begrüßung von Fräulein Weinrich. - Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Paula Schlenther-Conrad [Postkarte. Berlin, 22. November 1897]
Ist die freie Stelle in Ihrem Haushalt schon besetzt oder darf ich Ihnen eine Landsmännin meiner Anna zur Besichtigung zuschicken? Die Betr: ist sehr jung, aber im Bügeln und Nähen geschickt u. von angenehmen Äußeren. Mit schönsten Grüßen Ihre Martha Fontane.
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Theodor Fontane an Anna Witte
Berlin 24. Januar 98. Hochverehrter Frau und Freundin. Es geschehen Zeichen und Wunder (siehe das folgende) und so kommt es, daß ich heute statt Marthas schreibe und gleich vorweg mit einer Bitte mich melde. Würden Sie, hochverehrte Freundin, geneigt sein, wie schon so manchesmal zuvor, bis zu Ihrer bevorstehenden Abreise nach Meran hin, Martha einen Unterschlupf in Ihrem gastlichen Hause zu gewähren? Es hat sich nämlich Großes zugetragen, ja, vom egoistischen Standpunkte das Größte und in mancher Augen sogar das Unglaublichste: Martha hat sich verlobt. Der Beglückte und Beglückende ist der Architekt Fritsch, Wittwer neuesten Datums, dessen schöne Frau vor zwei Monaten erst starb. Dieser kurze Abstand zwischen Todes- und Verlobungstag, schafft nun, wie Sie sich denken können, allerlei Verlegenheiten, denen das Brautpaar, das vorläufig ganz im Verborgenen blüht, wenigstens nach Möglichkeit entgehen möchte. Dazu bietet Verschwinden von der Bildfläche das beste Mittel. Der Bräutigam will im April und Mai nach Italien und die zwei Monate bis dahin muß die Braut außerhalb Berlin's untergebracht werden, sonst ist es, bei den hundert Augen die wachen, mit der Cachirung vorbei. Martha rechnet darauf, daß Tante Witte mit gewohnter Güte durch den Februar hin aushilft. Das Weitere findet sich dann wohl und wenn es in einer „Mädchenpension" wäre. Martha, wie sich's geziemt, ist sehr glücklich und hat glaub ich auch alle Ursach dazu. Fritsch ist ein kluger und gescheidter Mann
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von guter Gesinnung und sogar guter Kasse, was mir persönlich nicht viel bedeutet, aber den Mann wenigstens nicht entwerthet. Die verhältnismäßig junge Braut ist in einer kleinen Aufregung, wie die geliebte Tante das alles aufnehmen, ob sie sich freuen und zunächst zu dem angedrohten Besuch ihr „ja" sagen wird. In Aufregung aber nicht in Sorge. Wie könnte sie auch. Unter vielen vielen Grüßen von uns zwei Alten, in alter herzlicher Ergebenheit Ihr
Th. Fontane.
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Theodor Fontane an Martha Fontane
Berlin 9. März 98. Meine liebe Mete. Laß Dich - wir haben Deinen Brief an Anna gelesen - durch Betrachtungen über meinen Zustand in Deiner Reconvalescenz und Deiner guten Laune nicht stören. Mit 78 ist man natürlich ein unsicherer Passagier, aber will man sich damit ängstigen, so hat man (und die Familie mit) keine ruhige Stunde mehr. Im Uebrigen geht es mir, seit ich eine aus Salzsäure, Pepsin und Nux zusammengebraute Medizin nehme, entschieden besser, woran nur der Verordner selbst, also unser Delhaes, keine rechte Freude hat. Entweder glaubt er nach wie vor, daß ich die Medizin heimlich in die Wasserleitung gieße oder er hat mir meine Aufsässigkeit gegen sein Allheilmittel: Morphium und Kirschlorbeerwasser, noch immer nicht verziehn. Einig sind wir nur auf weitab liegenden Gebieten und so haben wir uns gestern Mama war abwesend - eine Stundelang über Personen unterhalten, die mit Hundeliebe behaftet sind. Er erzählte mir Geschichten aus seiner Praxis, die einen halb mit Schauder halb mit Wehmuth erfüllen konnten. Auch mit Wehmuth; denn der letzte Grund dieser Erscheinung ist doch eine Art Verzweiflung an der Menschheit. Wer nichts wie Egoismus und Lug und Trug erlebt, flüchtet zuletzt in die Thierwelt und sagt: „Belly'chen ist Trumpf." Der Held von Delhaes' Geschichte hieß aber nicht „Belly'chen", sondern „Rackerl." Der Besitzer von „Rackerl", ein adliger Oberst a. D., dessen Frau und Töchter Delhaes seit 7 Jahren behandelt, hat sich übrigens in dieser ganzen Zeit noch nicht emmal vor seinem Hausarzt sehen lassen; er hat nur Conferenzen mit dem Thierarzt. Was sich ein Sanitätsrath, wenn auch unter Knirschen, doch alles gefallen lassen muß!
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Gertrud war letzten Sonntag hier und erneuerte den alten Eindruck: klug, fein, von durchaus aristokratischem (wobei ich unsre Mark vergesse) Gepräge. Nur immer wieder kommt mir die Frage: „wer soll sie heirathen?" Fritsch ist ja untergebracht. Ida und Anna gehen heut in den „Johannes", der besser paßt als die „versunkene Glocke." Salome ist verständlicher als Rautendelein. Uebrigens hat Mathilde Rube bereits ein Bild an ihrem Schaufenster, einen falschen (sehr falschen) Böcklin, wo Rautendelein auf dem Brunnenrand sitzt, während Nickelmann dick und grün aus dem Brunnen aufsteigt. So ein wild gewordener Maler ist immer zum Lachen oder Weinen. Grüße Liesen aufs Beste. Sonst „nichts Neues vor Paris", mit Ausnahme davon, daß gerade Podbielski merkwürdige Post=Reden hält. Erhole Dich weiter und geh es Dir gut. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 20. März 98. Potsdamerstraße 134. c.
Meine liebe Mete. Morgen ist Dein Geburtstag und Frühlingsanfang. Ich denke mir, daß Fritsch seinen Brief mit denselben Worten beginnen wird und von seiner Hand enthält diese Zusammenstellung das denkbar Schmeichelhafteste. Vielleicht aber findet er noch was Besseres; Liebe macht dichterisch und genial. Was meine Wünsche für Dich sind, brauche ich Dir nicht zu schreiben: ein langes Glück und einen kurzen Aufenthalt in Spanien. Fern im Süd das schöne Spanien, Spanien ist mein Heimathland, Wo die schattigen Kastanien Rauschen an des Ebro Strand ... auch diese Zeilen, die ich vor 60 Jahren schön fand, können mich nicht umstimmen. Morgen ist ein großer Tag, aber heute auch schon; Mama hat heute Gäste (Friedel und Trude) und ist dann Gast bei der IbsensFeier. Um 6 Uhr drüben in der „Gesellschaft der Freunde", also so jüdisch wie möglich. Immer wieder erschrecke ich vor der
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totalen „Verjüdelung" der sogenannten „heiligsten Güter der Nation", um dann im selben Augenblick ein Dankgebet zu sprechen, daß die Juden überhaupt da sind. Wie sähe es aus, wenn die Pflege der „heiligsten Güter" auf den Adel deutscher Nation angewiesen wäre. Fuchsjagd, getünchte Kirche, Sonntagnachmittagspredigt und jeu. Dabei fällt mir mein Sohn Theo ein, der gestern Abend - unter dem Einfluß seiner Zeitung („Post") - geneigt war, den 18. März für einen Tag zu halten „den die Thränen kommender Geschlechter vergeblich bemüht sein werden, von den Tafeln preußischer Geschichte wegzuwaschen." Wie wird die Welt nach hundert Jahren aussehn? All dieser Unsinn wird wenigstens verschwunden sein. In dieser Hoffnung und noch manch andrer (zunächst für Dich) wie immer Dein alter Papa. Herzlichste Grüße dem Mengeischen Paar. Trude werde ich heute Mittag studieren; - ich kann mich nicht entschließen, auf die „Zuckungen" ein groß Gewicht zu legen; das kommt und geht.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 28. März 98. Potsdamerstraße 134. c.
Meine liebe Mete. Mama liegt im Bett; so komme ich dazu, Deinen Sonntagsbrief (in dem mich die Stelle, daß Schuch von den „Dreien" der Ersehnteste ist, am meisten amüsirt hat) statt ihrer zu beantworten. Mama ängstigte sich wegen Lungenentzündung und ich konnte es ihr kaum verdenken; Delhaes aber, der eben hier war, hat sie völlig beruhigt, was ja bekanntlich leicht ist. Puls, Zunge, alles in bester Ordnung, - das Ganze ein bischen Rheumatismus, ein bischen Neuralgie. Sie hat sich, bei dem schaudervollen Sturmwetter der letzten Tage, an unsrer Linkstraßen s Ecke erkältet. Aus unsrem Paula Conrad-Diner wurde nichts; um 3 kam statt ihrer ein Brief, der uns eine kolossale Migräne vermeldete. So ließen wir den Braten ausfallen und an den Zander mit Mostrich reihte sich sofort Vanillens und Himbeer=Eis. Das Nierstück kam erst gestern als Sonntagsbraten. Am Abend (Sonntag) erschien der gute Sternheim, fresh from the Rivierra, woraus ich schließe, daß man an
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der Riviera doch vielleicht Rivierra sagt. Oder sollte er auch in Sprachfragen ganz seiner Marie unterworfen sein? Berühre dies Thema aber nicht nach Mentone hin; selbst die Gegenwart der jungen Prinzeß von Mecklenburg==Strelitz sorgt nicht für drüberstehende Behandlung aller Fragen. Und nun zur Hauptsache, zu Deiner Rückkehrsfrage. So gern wir Dir in dieser zu Willen wären, so geht es doch nicht; Mama hat der jungen Frau geschrieben, daß sie sich freuen würde, sie (Hedwig) bis in die ersten Apriltage hier zu haben und davon kann sie nun nicht los. Du mußt also aushalten, was bei gutem Willen auch wohl gehen wird. Erscheint es Dir aber unmöglich, so muß versucht werden, Dich statt nach Berlin nach Blasewitz zu dirigiren. Das wirst Du aber nicht wünschen und von zwei Uebeln lieber das kleinere wählen. Es ist aus vielen Gründen entschieden besser, Deine Blasewitzs oder Weiße Hirsch=Mission erst nach dem 18. April beginnen zu lassen, so daß Du dann gleich da bleiben kannst. Es handelt sich dort um Miethung eines kleinen Häuschens, ähnlich wie im Riesengebirge. Dieser Modus empfiehlt sich auch schon deshalb, weil Du bei dem Wohnungsmiethen hier doch Deine Stimme abgeben mußt, auch wenn ich ganz Deiner Meinung bin, daß Fritsch es ebenso gut allein besorgt. Laß Dich all solcher Complicirtheiten nicht verdrießen und vergiß nicht, daß es alles die Consequenz einer wenn auch nach wie vor zu billigenden Flinkigkeit ist. Grüße das verehrte Mengeische Paar. Wie immer Dein alter
Papa.
Hast du an die Krigar geschrieben? Natürlich war das Telegramm von ihr. Wir haben außer Mama nur zwei Emilien.
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Berlin 13. 5. 98. Meine liebe Mete. Mama's Brief ist eben 9 Vi zur Post, ich will ihm aber, bestätigend, noch ein Nachwort geben. Wenn Du - was mir aber sehr unwahrscheinlich - noch etwas sehr Hübsches, Anheimelndes, Preiswürdiges (auch das spielt mit, weil wir uns über verurschtes Geld ärgern) finden solltest, so miethe
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es, aber erst vom 1. Juni an. Auch dies Hinausschieben ist nöthig geworden: die Kälte, mein Buch, vor allem Mamas Befinden. Sie ist nicht krank, aber ganz ersichtlich sehr elend und grault sich vor jeder Aufgabe, die an sie herantritt. Findest Du nichts, so nimm Deine Dresdenfahrt als einen Blasewitz s und Treutierbesuch und kehre zu Deinen Penaten sammt Ofen zurück. Du triffst dann auch wohl noch Fr. Reisen ist gut, aber reisen à tout prix ohne Rücksicht auf Leib, Seele und Thermometer, ist Blödsinn. Empfiehl mich den theuren Treutiers angelegentlichst, Tante Johanna für ihre Marienbader Kur alles Beste von mir wünschend und gehe vor allem nicht davon aus, daß meine Gesundheit oder mein Wohlbefinden durchaus den „Weißen Hirsch" oder die „rothe Kuh" oder dem Aehnliches erheischt. Ich habe mich glücklicherweise so erholt, daß mir Königin Luise und der Riester von Fr. W. III vorläufig vollkommen genügt. Kommt große Hitze, so ändert sich das. Wie immer Dein alter Papa.
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Theodor Fontane an Martha Fontane Berlin 16. Mai 98.
Meine liebe Mete. Uebermorgen (Mittwoch) also fort von hier, mit dem Mittagszuge, so daß wir 4 Uhr 27 auf dem Altstädter großen Bahnhof einzutreffen und Dich dort zu finden hoffen. Die Frage von Alt= und Neustadt, Berliner oder böhmischer Bahnhof, aussteigen auf der Loschwitz= oder Blasewitz^Seite, - alle diese durch Mama immer noch confundirten Fragen, werden dann durch „reine Beobachtung" wohl endlich gelöst werden. Von Κ. E. O. haben wir nichts gehört; ihn zu einer Plauderstunde invitiren, wäre vielleicht ziemlich, ja vorgeschrieben, aber Mama ist so klapprig, daß sie vor allem erschrickt, was in der Phantasie vor ihr steht; ist er mit einem Male da, so liegt in dem Thatsächlichen auch zugleich was Beruhigendes. So lange Du bei Tr.'s warst, wird eure Correspondenz Schwierigkeiten gemacht haben. Schlegel, ohne das Wangenheimsche Musikfräulein mit einzurechnen, ist ein großer sächsischer Kunst= und Literatur=Namen.
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Der Vater der berühmten Schlegels (es waren alles in allem 4 oder 5 Brüder) war ein sächsischer Pastor, daher die Söhne so höchst unpastoral. Ich war heute bei Geh. R. Lessing; er berückend liebenswürdig, so daß es mich beinah rührte. Manches davon kann ich Dir erzählen, vorausgesetzt, daß Du ein Ohr dafür hast. Den lieben Treutiers, allen vorauf Tante Johanna, empfiehl mich angelegentlichst. Portier Bickner wird in den nächsten Tagen das Lokal verlassen. Große Streitscene. B.'s Hauptausruf war: „ja wer bezahlt mir nu die Brüche, die ich mir in Ihrem Dienst geholt habe?" Herrlich. „Ach was. Sie hatten immer einen Bruch." RealistensDialog! Wie immer Dein alter Papa.
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Martha Fontane an Lise Mengel-Witte [Karlsbad] Stadt Moskau. 3 Sept. 98.
Meine liebe alte Lise Der Draht mit Rostock-Warnemünde ist nicht zerschnitten: ich habe vorgestern von Annemarie u. gestern von Lolly sehr liebe Briefe erhalten. Ich werde es freilich wohl Deiner wohlwollenden Berichterstattung zu danken haben, daß die Glückwünsche so herzlich und intressirt ausgefallen sind. Ein wenig freundliche Eindrücke waren mir letzthin auch recht zu gönnen, da ich durch mein mäßiges Befinden recht deprimirt war und bin. In den ersten 14 Tagen hier konnte man wirklich mit mir renommiren, dann aber muß der Brunnen mir den Magen greulich empfindlich gemacht haben, wozu sich eine versteckte aber schwere Erkältung gesellt. Seit Tagen krieche ich nur so herum u. bin natürlich traurig, Keo nicht das Maaß von Frische mitzubringen, das ich ihm so gern gegönnt hätte. Dafür ist aber, was doch die Hauptsache bleibt, unser Milachen in einer erstaunlichen Verfassung, sie kann mühelos stundenlang gehen u. steigen u. ihre große Erholungsfähigkeit ist mir auch im Hinblick auf die Zukunft wirklich eine außerordentliche Freude und Beruhigung. Da bei Treutiers viel Krankheit u. Besuch ist, steht noch nicht ganz fest ob sie zur Nachkur nach Blasewitz geht; sie plant andernfalls einen kurzen Aufenthalt auf dem W. Hirsch mit Hedwig zur Gesellschaft. - Papa
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ist etwas unsicherer Stimmung u. schimpft mehr wie schön ist auf die Juden; er hat uns gesagt, es wäre eine Alterserscheinung, wenn man über 70 so fanatisch würde. Von seinem Stechlin der noch lange nicht erscheint ist die erste Auflage schon jetzt durch sog: Baarbestellungen ziemlich gedeckt, was den alten Herrn sehr freut; da dies doch eine Folge des Eindrucks beim Erscheinen in Ueber Land u. Meer ist, so muß es doch auch Menschen geben, denen der Roman gefällt. Es wäre mir sehr traurig wenn Papa gerade bei diesem Buch, auf das er so besonders stolz ist, sich geirrt haben sollte. Natürlich ist es mehr denn je nur für Kunstverständige geschrieben. Ich bin in den letzten Tagen mehrfach mit Weinrichs zusammen gewesen, konnte es aber wegen meiner Schlappheit nicht recht genießen. Ich lebe im Wesentlichen von Keo's Briefen, die mir immer mehr bestätigen, daß er, was und wie er auch sonst sein mag, für mich gut und liebevoll ist und fast zu weitgehend nur in dem Gedanken lebt, mich endlich für sich zu haben. Momentan kleidet er Lili, die (sich in ihren Fähnchen erkältet hat, warm ein. Anni kommt am 10 zurück und Fr. plant am Sonntag d. 11. die Fahrt nach Potsdam mit Dir u. Gertrud; aber ich fürchte, daß ich Dich allerhöchstens den 10 dem Schicksal abringe - Von Deinen Kindern, besonders von Anni u. der neuen Lebenslage, schreibst du kein Wort, na, ich werde Dich ordentlich ausfragen. - Wie geht es Dir denn mit Deiner Gesundheit, davon schreibst Du auch seit vielen Wochen nichts. Es ist hier einfach himmlisches Herbstwetter, nur für mich Jammerlappen zu gebirgskalt; täglich wird es leerer am Brunnen und auch bei Pupp. Wir sind bestimmt Freitag Abend in Berlin. Danke Annemarie recht sehr für ihren schwesterlichen liebenswürdigen Brief, grüße die gute Mutter von's Janze u. sei umarmt von Deiner alten Mete.
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Martha Fontane an Paula Schlenther-Conrad Berlin 10 Sept. 98.
Liebe Frau Schienther Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Willkomm u. die schöne Myrthe. Ich habe bei ihrem Anblick etwas ängstlich in meiner langen Vergangenheit geforscht, ob ich sie wohl noch verdiene; u.
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mit einem nicht allzu ängstlichen Gewissen kann ich sie mir ja allenfalls noch zuerkennen. Ich würde gern versuchen, Sie zu treffen, bin aber in einer unerhörten Hetze. Mama ist wohlweislich noch in Blasewitz geblieben. Sagen Sie Ihrem Mann Hauptmotiv zu meiner That wäre, daß ich mich über seinen Fortgang hätte trösten müssen. Papa ist erholt u. frisch; er billigt die Verlobung hochgradig, Alles, was sie im Gefolge hat ist ihm aber kolossal langweilig. Wissen Sie übrigens, daß ich (nicht leicht aber schmerzlos) auch Mutter und Großmutter bin? Mit schönsten Grüßen an Sie Beide in der Hoffnung Sie in Berlin u. Wien in nicht allzu großen Pausen zu sehen Ihre alte Martha Fontane.
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Martha Fontane an Paul Schienther
[Berlin] 25 Sept. 98 Lieber verehrter Freund Ich wollte Ihnen das Gedicht telegraphisch senden, aber mein Mann behauptet das sei übertrieben u. Vergeudung des Nationalvermögens; er wird nun diesen Brief in den Wiener Zug stecken. Wir denken Ihrer fast - so viel wie unseres lieben Entschlafenen. Die letzten Worte in seinem Tagebuch gelten Ihnen. Mama ist sehr ruhig u. ganz wie Papa es von seiner Erziehung erwarten konnte. Ein starkes tiefes Dankesgefühl für den wundervollen Tod überwiegt vorläufig in unser aller Herzen. - Er liegt unter einem großen Baum auf einem kleinen „schmustrigen Kirchhof; der Hügel ist nicht zu erkennen unter der Fülle der Liebesgaben; „ja mein Milachen, so wird der kleine Apteker begraben" höre ich ihn sprechen. Wenn Ruhe u. Muße kommt, hören Sie von uns; es findet sich so Vieles was Sie interessiren u. Manches was Ihnen wohlthun wird. - Wie schön daß wir die Freitags-Erinnerung haben. In dankbarer Liebe und Verehrung Ihre alte Martha Fontane
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Lise Mengel-Witte an Anna Witte Elsenau d. 26.9 98
Meine liebste Mutter! Gestern Abend bin ich glücklich hier wieder angelangt und will dir sofort Nachricht geben, nach der dich gewiss verlangt. Zuerst möchte ich dich aber bitten Fr. Carl recht herzlich von mir zu grüssen, es war so nett von ihm, dass er mich mit Fritschens vom Bahnhof holte und auch bei Frederichs war um mir Quartier zu bestellen. Ich konnte ihm nur ein paar mal die Hand drücken, auch Tante Fontane that es so leid, ihn nicht gesprochen zu haben, sie war aber zu schwach, um Besuch zu empfangen. - Ich ging Freitag Abend, nachdem ich mein Zimmer bei Frederich bezogen hatte zu Fontanes hinüber. Das erste Wiedersehn mit mir und Tante war natürlich sehr schmerzlich aber im Ganzen waren Alle sehr gefasst und der Gedanke an seinen wunderbar schönen Tod immer der erste. Die arme Anna hat sich wieder enorm bewährt und Martha Grosses geleistet. Der Zusammenklapp wird bei Tante und Mete nicht ausbleiben wenn nur erst mehr Ruhe eintreten wird. Eine unglaubliche Fülle von Blumen war zusammengekommen und noch immer, auch nach der Beerdigung trafen Kränze mit der Post ein. Tante und Mete schliefen in Onkels Arbeitszimmer, da in der Schlafstube die ankommenden Kränze niedergelegt wurden. Die Reise von Tante mit Friedel ist schwer gewesen, da sie immerwährend Gallebrechen hatte, auch den ersten Tag nach ihrer Ankunft noch. Martha meint, wenn sie nicht so erholt gewesen wäre nach Carlsbad würde sie es nicht überlebt haben. Aber nun ging es ihr ganz leidlich, sie konnte essen und auch etwas schlafen. Ich schrieb auf Metes Wunsch an Frl. Henne, Gertrud zu erlauben am Sonnabend um 10 Uhr nach der Potsdamerstrasse zu kommen und kam sie auch pünktlich an, ganz ruhig, wie erstarrt sah sie um sich, als könnte sie es nicht fassen, dass Onkel nun nicht mehr da wäre. Das einzige Mal, dass ich Mete habe laut weinen sehen war, als das Kind kam [Seitenwechsel] die junge Frau Fontane mit ihren beiden ältesten Kindern war da und fuhren sie, Herr Fritsch und ich zusammen zum Kirchhof, die beiden Brüder zuerst und Martha mit dem Prediger als die letzten. Der Eintritt in die Kapelle mit dem unter Blumen begrabenen Sarge auf dem die Sonne spielte war sehr feierlich, der Mangel an Gesang fiel auf, es war dies aber der oft ausgesprochene Wunsch des Verstorbenen.
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Die Rede des Predigers war nicht schlecht aber auch nicht hervorragend gut, nur sehr schön die Auswahl des Textes: „Weil du so werth bist vor meinen Augen geachtet, musst du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb." Es war ja furchtbar schwer für den Mann vor dieser Versammlung zu sprechen, so viel kluge Menschen und so wenig gläubige. - Das Wetter war schön, nicht zu kühl und sonnig. Frenzeis Rede am Grabe fand ich sehr rührend so einfach, schlicht und kurz und die Sprechweise so ergreifend. Lessings Worte wirkten wie eine Reklame für die Vossin. Die arme Mete musste dann noch lange stehen und die Händedrucke vieler Menschen entgegen nehmen, was ihr sehr sauer wurde. Die liebe Frau Sternheim habe ich begrüsst, sie sah so lieb und traurig aus, hat auch viel verloren. Ich fuhr mit dem Brautpaar zurück, die ganze Feierlichkeit dauerte bis Vi 1, da waren wir schon wieder zu Hause. Tante hatte erst etwas mit Trudy gesprochen, aber dann ihr Zeitungen gegeben und war in ihre Stube gegangen. Trudy hatte ihr nach einiger Zeit Bouillon gebracht, die sie auch getrunken hatte und fanden wir Beide ruhig wieder vor. Das Mädchen von Herrn Herrlich unten war auch noch dageblieben. Der Prediger erwähnte auch die 9jährigen treuen Dienste von Anna[.] Um 3 assen Gertrud, Friedel, Martha und ich ein Roastbef, das Anna nach der Rückkehr bereitete, um 5 brachte ich Trudy in die Stiftung zurück und blieb von 6-8 bei Tante, während Mete mit Herrn Fritsch spaziren ging. Theo und Friedel habe ich auch viel gesehen. Wie es nun später werden soll ist natürlich noch nicht endgültig bestimmt das Eine aber ist sicher dass Friedel und die Mutter zusammenziehen werden. Wie Tante's Verhältnisse sein werden, ist jetzt auch noch nicht zu übersehen, bis jetzt hat sie noch keinerlei Fixum und muss abgemacht werden was für sie geschieht, doch kann man wohl mit Sicherheit annehmen, dass Manches für sie geschehen wird. - Welch Glück, dass Martha nun einem anderen Leben entgegengeht, wie tausendmal härter würde sie sonst das Aufhören des gemeinsamen Lebens mit ihrem Vater empfinden.
Hoffentlich geht es dir gut, mein liebes, altes Mutting und empfangen dich Anni und Frl. Kahl mit so grosser Freude, dass du auch gern in dein Rostocker Haus zurückkehrst. Ich muss mich noch viel tausendmal bedanken für die schöne Kiste mit den Tütchen und vielen andern Sachen, die du mir geschickt, auch die gewaschene Wäsche
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ist wieder angelangt. Von Richard weiss ich nichts doch soll er erst am 27sten wieder in Bromberg sein. 1000 Grüsse deine Lise
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Martha Fontane an Paul Heyse Berlin 26 Sept. 1898 9 Uhr.
Hochverehrter Herr und Freund Innigen Dank für Ihre Zeilen aus dem schönen Labers, die soeben eintrafen. Alles, was Sie uns angethan war zur rechten Stunde da und hat den richtigen Ort gefunden ganz besonders in unserm Herzen. Noch leben wir in Hetze u. Unruhe, da wir im Sinne des höflichsten aller Menschen handeln wollen, aber ich schiebe das Tagesprogramm beiseite, um mir erst den Genuß zu machen, Ihnen noch ein paar Worte zu sagen. Was die Zeitungen brachten ist leidlich richtig, aber wer außer mir weiß wie unbeschreiblich dankenswerth der Tod an unsern lieben Entschlafenen herangetreten ist. Um 9 Uhr fand ich ihn über seinem Bette liegend und 3 Minuten vorher hatte er mir anläßlich eines Artikels in der Rundschau auseinandergesetzt, daß durch Spinoza und Kant die Philosophie auf falschen Füßen stehe. Er war heiter und ohne jede Vorahnung seines Endes. Nur über zunehmende Müdigkeit klagte er und seine 34 Pulsschläge waren seine letzte Lieblingswendung geworden. Wir Nächsten, aber auch nur wir, fanden Papa verändert u. nur die Plötzlichkeit durfte uns überraschen. Wir Alle ohne Ausnahme sind nur dankerfüllt für das schönheitsvolle leidlose Ende und selbst meine arme Mutter hat kein bitteres Schmerzgefühl und keine laute Trauer. Ich habe Papa stets einen leichten Tod gewünscht, ihn so zu wünschen hätte ich vermessen gefunden. Wie gern zitirte er Thorwaldsen's Tod u. nun ist ihm dieselbe Gnade geworden. Er wurde an George's Todestag unter einem schönen großen Baum auf einem kleinen traulichen Colonie-Kirchhof gebettet und viel ehrliche zärtliche Liebe stand an seinem Grabe. So sanft unser Schmerz so unendlich ist er auch, wir müssen uns mit dem stündlichen Vermissen einleben. Wie es mit unsern sog: Verhältnissen aussieht nach denen Sie in eingeweihter treuer Freundschaft fragen kann ich heute noch nicht
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übersehen. Mama hat ja nicht unerhebliche Einnahmen von den neuesten Arbeiten zu erwarten, aber das sind unsichere Extras und ihr kleiner Wittwenhaushalt muß doch auf festen Füßen stehen. Sie wird muthmaßlich mit Friedel zusammen ziehen, da ich, lieber verehrter Freund, wohl spätestens im Jan. in mein eigenes Haus gehe. Ich bin seit Kurzem verlobt und habe noch die unendliche Freude gehabt, Papa einen von ihm geschätzten Sohn zu bringen; einen Mann, der weiß, was Papa war u. der mir helfen will und soll zu lernen noch einer anderen Generation anzugehören. Es ist der Herausgeber der Deutschen Bau-Zeitung, Architekt, Fritsch, für die Welt ein sehr angesehener, wohlhabender Mann für mich ein spätes, ernstes Lebensglück. Ich muß nun umlernen und meine wundervolle Tochterschaft ist vorbei. Unser Theo kommt ζ. 1 Dez. als Intendant nach Cassel. Friedel, der nach kurzer Ehe geschieden ist, ist ein sehr lieber Haussohn u. für das äußerliche Leben mit Mama der geeignetste von uns; innerlich freilich werde ich in ihrem Herzen der leeren Stelle am nächsten stehen. Ich schreibe in Hast auf meiner Sophalehne, das werden Sie merken; hoffentlich auch alle nähernde Liebe und Dankbarkeit die ich für Sie empfinde. Ihrer lieben verehrten Frau schönste Grüße von Ihrer alten M. Fontane.
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Martha Fritsch-Fontane an Paul Schienther und Paul Meyer
Herrn Dr. Paul Schienther Direktor des Κ. K. Hofburgtheaters in Wien. Herrn Rechtsanwalt Paul Meyer in Berlin. Berlin 2 März 1902. Der Tod meiner lieben Mutter und die bereits im Gange befindliche Auflösung ihres Haushaltes fordert eine Entscheidung der Frage, wo fortan die bisher von ihr verwahrten von meinem Vater hinterlassenen Schriftstücke und Aufzeichnungen aufgehoben werden sollen. Zu dieser Entscheidung ist nach dem Wortlaute des von meinen Eltern errichteten Testaments zunächst die in § 5 desselben eingesetzte Kommission berufen; doch dürfte es von dieser den Erben des Nachlasses wohl kaum versagt werden, auch ihrerseits einen Wunsch auszusprechen.
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In den Nachrufen auf meine Mutter, welche in den Zeitungen erschienen u. vermuthlich auf eine gemeinsame Quelle zurückzuführen sind, findet sich fast überall die Angabe, daß jene sich veranlaßt gesehen habe, noch im letzten Jahr ihres Lebens ihr Testament abzuändern und den gesammten litterarischen Nachlaß ihres Gatten dem Märkischen Provinzial Museum zu überlassen. Wo die Quelle dieser Nachricht zu suchen ist und ob sie vielleicht auf eine thatsächliche, aber mißverstandene, und in indiskreter Weise verbreitete Äußerung meiner Mutter sich stützt, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls wäre eine solche Ueberweisung unmöglich gewesen, da das von meinen Eltern errichtete gemeinsame Testament von dem überlebenden Theile nicht einseitig abgeändert werden konnte u. da meine Mutter überdies bekanntlich schon vor IV2 Jahren das ihr zustehende Verfügungsrecht über den Nachlaß ihres Gatten an die Kommission abgetreten hatte. Am wahrscheinlichsten dürfte es sein, daß meine Mutter zeitweise daran gedacht hat, die fraglichen Schriftstücke in die einstweilige Verwahrung des Märkischen Museums zu geben, wo sie zugleich dem mit der Sichtung derselben zum Zwecke einer Gesammtausgabe der Werke Theodor Fontanes beauftragten Herrn Dr. Pniower am bequemsten zugänglich gewesen wären. Gegen eine Ausführung dieser Absicht, falls eine solche überhaupt bestanden hat, habe ich jedoch wesentliche Bedenken. Einmal befindet sich das Märkische Provinzial Museum ζ. Z. in einem Noth-Aufenthalte und wird erst in den nächsten Jahren seinen Umzug in den für seine Zwecke errichteten Neubau vollziehen. Es ist mir zweifelhaft, ob hierbei für eine genügende Sicherung der Handschriften gesorgt werden kann. Zweitens ist es erwünscht, daß im Zusammenhange mit den vielleicht noch für den Druck zu verwerthenden Schriften, auch die intimen persönlichen Aufzeichnungen meines Vaters, insbesondere seine Tagebücher, verwahrt werden, in welche die Familie mit gutem Recht keinem Anderen als einzig seinem Biographen Einsicht gestatten möchte. Ob sich dies durchführen ließe, wenn alle diese Papiere an einer öffentlichen Stelle verwahrt würden, erscheint fraglich. Endlich würde durch eine solche, wenn auch nur einstweilige Uebertragung jener Papiere in das Märkische Museum in den Augen der Welt einfach jene oben erwähnte Zeitungsnachricht bestätigt werden, welche die Kinder der Verstorbenen schmerzlich berührt hat und berühren mußte, weil als Beweggrund für deren Verhalten zunächst ein Mißtrauen gegen jene vermuthet werden mußte.
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Da die Mitglieder der Kommission, von denen zwei überdies außerhalb Berlin's wohnen, schwerlich geneigt sein dürften, ihrerseits die Papiere zu übernehmen, so gestatte ich mir, sowohl in meiner Eigenschaft als Kommissionsmitglied wie als Miterbin und als solche in Uebereinstimmung mit meinem Bruder Friedrich den Vorschlag, dieselben in Gewahrsam des letzteren zu lassen, der nicht nur ein starkes persönliches Interesse daran hat, sie in guter Obhut zu halten, sondern in seinem Geschäftslokale auch über Räume von genügender Feuersicherheit verfügt. Derselbe würde auf Anordnung der Kommission, nach Bedarf die einzelnen Stücke an die Leiter der neuen Ausgabe bezw. den Biographen abliefern. Ich bitte die beiden andern Mitglieder der Kommission sich freundlichst zu diesem Vorschlage äußern zu wollen. Martha Fritsch. geb. Fontane.
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Martha Fritsch-Fontane an Theodor Fontane jun. und Friedrich Fontane, mit Zusatz von Theodor Fontane jun.
An meine Miterben: a) Herrn W. Geh: Kriegsrath Th. Fontane1 b) Herrn Verlagsbuchhändler Fr. Fontane. Angesichts der beiden mir durch meinen Bruder Friedrich zugeschickten Schriftstücke vom 5 d. M. 1) An die Kommissions-Mitglieder des Th. Fontane'schen Nachlasses u. die Erben Theodor Fontane's 2) An meine Miterben kann ich nur eindringlicher wiederholen, was ich bereits in meinem Schreiben an den Verfasser vom 20 Februar d. J. gesagt hatte. Obgleich ich nicht leugnen will, daß manches in den betreffenden Ausführungen desselben von seinem Standpunkt aus nicht unberechtigt ist, und unbeschadet der Anerkennung, die wir ihm für seine mühevolle positive Thätigkeit in den Vorarbeiten zur Erschließung des literarischen Nachlasses unseres Vaters schulden, überwiegt in mir doch die Ueberzeugung, daß ein Zurückgreifen auf die bisherigen Vorgänge in dieser Angelegenheit nicht nur zwecklos, sondern für 1
[Darunter von der Hand Theodor Fontanes jun.:] weiter den 12. 3. mit
Zusatz auf S. 6.
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die weitere Förderung derselben geradezu verhängnißvoll ist. Wohin soll ein solcher Schriftwechsel führen? Zwar werden die gereizten und zum Theil beleidigenden Vorwürfe und Anklagen, welche mein Bruder Friedrich gegen die Kommission und seine Miterben erhebt, von diesen niemals in der gleichen Tonart erwidert werden. Aber es steht zu befürchten, daß das Gefühl des Widerwillens, das dadurch in ihnen erregt werden muß, allmählich so anwächst, daß sie auf weitere Erörterungen sich überhaupt nicht mehr einlassen, so daß schließlich nichts mehr übrig bleiben dürfte, als eine Austragung der vorliegenden Streitpunkte vor dem Richter. Daß dies nicht nur das Andenken unseres Vaters beleidigen hieße, sondern auch jeden Fortschritt in der Erschließung des Nachlasses auf unabsehbare Zeit hinaus unmöglich machen würde, dürfte wohl nicht zu bestreiten sein. Ich kann meinen Miterben daher nur empfehlen, unter Alles bis jetzt Geschehene u. Geschriebene einen Strich zu machen, die durch das Vorgehen der Kommission geschaffene Sachlage anzunehmen und unsere volle Kraft daran zu setzen, um auf Grund dieser Sachlage vorwärts zu kommen. Daß die Kommission ihrerseits gern bereit sein würde bei jedem ihrer weiteren Schritte im engsten Einvernehmen mit den Erben sich zu halten u. daß ihr nichts ferner liegt, als die Absicht den berechtigten Interessen und Ansprüchen der Erben zu nahe zu treten, kann ich nicht nur in meinem Namen versichern, sondern glaube das auch für die beiden anderen Mitglieder der Kommission thun zu können. Volles Einverständniß herrscht, soviel ich weiß, unter allen Betheiligten darüber, daß die Briefe unseres Vaters derjenige Theil seines Nachlasses sind, der zunächst in Angriff genommen und zur Veröffentlichung vorbereitet werden muß und ebenso ist von allen Seiten mein Anerbieten angenommen worden, daß ich mich meinerseits sowohl der weiteren Sammlung von Briefen, wie auch der ersten Sichtung des schon vorliegenden und noch eingehenden Materials - insbesondere inbetreff der zu beobachtenden Diskretion - unterziehen will. Mein gegenwärtiger Gesundheitszustand, der sich hoffentlich noch weiter bessern wird, hat mir erlaubt, dieses Anerbieten zu machen. Demgegenüber spielt die Frage, ob jene Briefe überhaupt als ein literarischer Nachlaß zu betrachten sind, über welchen im Sinne des Testaments unserer Eltern der Kommission ein Verfügungsrecht zusteht, keine wesentliche Rolle mehr. Ich habe meinen Brüdern s. Z. bekannt gegeben, daß ich meinerseits geneigt war, jene Frage zu verneinen u. daß ich dieselbe der Entscheidung der Kommission
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unterbreiten zu müssen glaubte, was auch am 11. Nov. v. J. geschehen ist. Die beiden anderen Mitglieder der Kommission haben sich allerdings nicht ganz auf meinen Standpunkt gestellt, sondern sich vorbehalten, ihre Stimmen wenigstens inbezug darauf geltend zu machen, ob und wie die ihnen vorgelegten Briefe im literarischen Sinne zur Veröffentlichung geeignet seien. Daß sie dabei aber keine schroffe Stellung gegen die Erben einnehmen wollen, dürfte aus der folg: Stelle der mir durch Herrn Dr. Schienther ertheilten Antwort vom 14 Nov. v. J. hervorgehen. „Ob ein Brief der Öffentlichkeit gehört oder nicht, scheint mir Sache der Familie zu sein. Hat aber die Familie den Brief für publizirbar erklärt, so ist es Sache der Kommission, Art u. Form der Publikation zu bestimmen." Herr Dr. Schienther hält also inbetreff der Briefe dasselbe Verfahren für angezeigt, welches mein Bruder Friedrich in seinem jüngsten Schreiben an die Kommission für die Behandlung des lit: Nachlasses überhaupt in Vorschlag bringt. Nach alledem halte ich in diesem Punkt ein Einvernehmen zwischen der Kommission und den Erben bereits für bestehend u. sehe keinen Grund, warum mit den betreffenden Arbeiten nicht sofort begonnen werden könnte. Ich ersuche meinen Bruder Friedrich daher, mir das noch in seinen Händen befindliche Material an Briefen möglichst bald aushändigen u. zugleich mittheilen zu wollen, welche Briefe noch der Abschrift harren. Auch wäre mir sehr erwünscht, seine u. meines Bruder Theodor Ansicht darüber zu hören, an welche Personen man sich noch mit der Bitte um Ueberlassung weiteren Stoffs zu wenden hätte, insbesondere auch die Adresse des Herrn v. Lepel junior zu erfahren. Das von mir vorbereitete Material will ich gern, vor Abgabe desselben an die Kommission zunächst der Ansicht meiner Brüder unterbreiten. In welcher Art die allseitig genehmigten Briefe demnächst zu veröffentlichen sind - ob zunächst als selbstständiges Buch oder sogleich im Rahmen einer Gesammt-Ausgabe - ist eine Frage, deren Entscheidung vorläufig noch nicht nöthig ist. Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, will ich jedoch ausdrücklich erklären, daß ich mich der Veranstaltung einer Gesammt-Ausgabe nicht nur nicht widersetze, sondern den Abschluß eines Vertrages über eine solche nach wie vor für ein Mittel halte, das auf den Eifer aller bei den Vorarbeiten betheiligten Personen nur anfeuernd wirken könnte. Eine weitere, zwischen den Erben und der Kommission noch unerledigte Frage ist diejenige, ob auch die Tagebücher unseres
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Vaters als zu dessen literarischem Nachlaß gehörig zu betrachten und daher der Kommission zu überantworten sind. Hierüber hat Herr Dr. Schienther noch nicht sich geäußert, während ich meinerseits im Interesse der Erben und - wie ich nach früherem mündlichen Meinungsaustausche glaube, auch in Uebereinstimmung mit der Ansicht meiner Brüder - gegen eine solche Auffassung entschiedenen Widerspruch eingelegt habe. Ich behalte mir spätere Mittheilungen hierüber vor. Den uns vorgelegten neuen Verlagsvertrag mit der Firma F. Fontane u. Co. über weitere Auflagen von „Graf Petöfy" habe ich unterzeichnet und erbitte nach Vollziehung desselben ein Exemplar für die von mir geführten Akten. Den letzteren habe ich die mir übersandten andern Verträge beigefügt. Auch der Vertrag über „Schach v. Wuthenow" hat sich vorgefunden. An Zahlungen für die Erben sind seitens der Firma Cotta Nachfolger 500 Mrk. für die IV Auflage von „Grete Minde" u. seitens der Firma F. Fontane u. Co. 1000 Mrk. für die IV Auflage von „Meine Kinderjahre" und die VII Auflage von „Jenny Treibet" eingegangen. Ich habe Herrn Sternheim angewiesen, an meine Brüder je 500 Mrk. zur Auszahlung zu bringen. 8. März 1903. Martha Fritsch. Waren./M. geb. Fontane [Zusatz von Theodor Fontane jun.] 1. Den vorstehenden Ausführungen stimme ich im Wesentlichen zu, möchte aber noch stärker betonen, daß ich den in den letzten 3 Schreiben des Berliner Erben gewählten Geschäftsgang für unangebracht halte. Es entspricht nicht meinen Wünschen, meine eigenen Handlungen und Ansichten sowie diejenigen mir nahe stehender Personen einer z. T. recht abfälligen Kritik unterzogen zu sehen oder Belehrungen zu empfangen. Auf an mich herantretende Tatsachen, greifbare Vorschläge u. dergl. werde ich im Sinne der Äußerung meiner Schwester und meines Schreibens vom 20. 2. weiterhin bereitwilligst eingehen, bloße kritische Erörterungen dessen, was hätte geschehen können oder müssen, dagegen nicht mehr beantworten. 2. Wegen etwa noch vorhandener Briefe wüßte ich Namen von Adressaten nicht anzugeben. Vielleicht komme ich selbst noch in Betracht, doch werden die an mich gerichteten Briefe wegen ihres zu intimen Inhalts kaum verwertbar sein. Immerhin will ich eine Sich-
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tung vornehmen. Sofern eine andere Möglichkeit, die Adresse des Η. v. Lepel je zu erhalten, nicht bestehen sollte, würde ich mich an einen in Hofgeismar stehenden Rittmeister gleichen Namens wenden können. 3. Gemäß meiner mündlich u. schriftlich abgegebenen Ansicht über möglichst enge Begrenzung des Begriffs: litterarischer Nachlaß stimme ich der Auffassung, daß dazu Tagebücher nicht gehören, bei. Cassel 12. 3. 03.
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Theodor Fontane W . Geh. Kriegsrat
Martha Fritsch-Fontane an den Verlag F. Fontane & Co.
An die Verlagsbuchhandlung F. Fontane u. Co. Berlin-Grunewald. Mit bestem Dank bestätige ich den Empfang des gefälligen Schreibens vom 21 d. M . u. seiner Anlagen. Auch von der Druckerei Roitzsch sind heute die bestellten 4 Abzüge an mich gelangt, von denen 3 sofort an die Herren Schienther u. Meyer sowie an meinen Bruder Theodor geschickt werden sollen. Allerdings ist es mir nach den Schlenther'schen Mittheilungen über den Stand der Vorbereitungen zur Herausgabe der TheaterKritiken zweifelhaft geworden, ob wir unsere bisherigen Pläne inbetreff der Briefe unseres Vaters werden verwirklichen können, denn offenbar ist es der dringende Wunsch von Herrn Dr. Schienther, seine Arbeit nunmehr schnell veröffentlicht zu sehen u. wir können uns, bei der Rücksicht, die wir ihm schulden, einem solchen Wunsche unmöglich widersetzen. Dann müßte aber die Herausgabe der Briefe verschoben werden; denn es ist nicht nur die Arbeit, die andernfalls den Mitgliedern der Kommission u. den Herausgebern zugemuthet werden würde, zu groß, sondern es schiene mir auch der Aufnahmefähigkeit des Publikums zu viel zugemuthet zu sein, wenn gleichzeitig 1 Band Kritiken u. 2 Bände Briefe erschienen. Wahrscheinlich dürfte dabei der Absatz des Kritiken-Bandes am meisten leiden. Ueber diese Frage ist eine Verständigung zunächst mit Herrn Dr. Schienther, dann aber auch mit dem Geschäftsführer der Kommission dringend erforderlich, die sich jedoch auf schriftlichem Wege kaum herbei führen Iäßt u. demnach bis zu dem Besuche von Herrn [Am oberen Briefrand von fremder Hand:] Antwort 2 5 / V I I 03 im Copiebuch.
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Dr. Schienther in Waren dürfte vertagt werden müssen. Ob bis dahin eine - wenn auch nur flüchtige Durchsicht der zum Druck vorbereiteten Briefe durch die beiden andern Mitglieder der Kommission, welche ich für unerläßlich halte, erfolgen kann, weiß ich nicht, zumal Herrn Schienthers Antwort auf die diesseitigen Briefe an ihn noch aussteht. Sollte sie in der gegenwärtigen Ferien = und Reisezeit sich nicht ermöglichen lassen u. bis in den September verschoben werden müssen, so dürfte die Drucklegung der Briefe für dieses Jahr so wie so ausgeschlossen sein, zumal wenn die Druckerei nicht schneller arbeitet, wie bei dem Satz der Probebriefe. Ich würde einen solchen, meinerseits ganz unverschuldeten Ausgang um so mehr bedauern, als dann ein Konflikt unserer Veröffentlichung mit der von Herrn A. G . Dr. Friedländer beabsichtigten kaum zu vermeiden wäre. Sollte das Friedländer'sche Buch mit seinem - im Vergleich mit den andern Briefen unseres Vaters entschieden minderwerthigem u. durch lange interesselose Kommentare F.s vermuthlich sehr ungenießbar gemachten Inhalte zuerst erscheinen, so würde uns daraus m. E. ein unberechenbarer Schaden geschehen; denn das Publikum dürfte daraus einen Maßstab für die Werthschätzung Fontane'scher Briefe sich bilden, der es zum Ankauf weiterer Bände nicht eben ermuthigen würde. Ich kann daher meinen Protest gegen jede unsererseits an Herrn Friedländer zu machende Konzession nur wiederholen u. hinzufügen, daß ich - falls dieser Protest unwirksam bleiben sollte - jedenfalls dafür stimmen würde, daß die von uns zu veröffentlichenden Briefe in einem andern Verlage erscheinen müßten als das Friedländer'sche Buch. Daß Herr F., wie aus seinem letzten Briefe hervorgeht, von meinem Proteste noch nichts weiß, läßt mich übrigens vermuthen, daß der Briefwechsel der Verlagshandlung mit ihm u. das scheinbare Eingehen auf seine Vorschläge nicht ernstlich gemeint war, sondern dilatorische Zwecke verfolgte. Was endlich die Frage der Honorirung der Herausgeber betrifft, so bin ich der Ansicht, daß letztere auf gemeinschaftliche Rechnung der 3 Erben erfolgt. Auch pflichte ich Herrn Dr. Schienther bei, daß nunmehr endlich an erster Stelle das Verhältniß zu Herrn Dr. Pniower geregelt werden muß. Mit vorzüglicher Hochachtung Frau Martha Fritsch. geb. Fontane. Waren. 23 Juli 1903.
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Martha und K. E. O. Fritsch-Fontane an Paul Schienther Waren 12 Sept. 1904. Montag.
„Die Woche fängt jut an" Hochverehrter Herr und Freund Zugleich mit meinem Kaffee habe ich soeben Ihre Vorrede geschlürft und mich an den warmen, würdigenden Worten dankbarlichst erfreut. Der kleine Essai ist mir lieber wie eine Biographie - außer der von Ihnen in Villen Str. 2 einst zu schreibenden! Am wohlthuendsten hat mich die Anerkennung berührt, die Sie auch dem eigentlichen Kritiker zollen und die zweite Hälfte von Seite V würde dem lieben Alten eine immense Genugthuung gewesen sein. Wenn ich solche herzerquickenden Dinge lese, bedaure ich doch, daß es keinen Himmel mit einem Guckfensterchen u. Phonographen oder ähnlichem giebt - wie viele Freuden könnten nachgeholt werden. Fürchten Sie aber nicht, daß ich fromm werde! Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Briefe unter dem Titel: Briefe Th. Fontanes an seine Familie" herausgegeben werden; das bloße Streichen der Gänsefüßchen würde falls Sie werth auf absolute Korrektheit legen, wohl schon genügen. Als Herausgeberin möchte ich aber wirklich nicht figuriren. Mein Mann hätte sehr wohl ohne mich, ich keinenfalls ohne ihn die Sache machen können. Ich möchte nicht in eine unverdiente Unsterblichkeit hineingemogelt werden und müssen Sie, hochverehrter Herr, schon gütigst einen Vorschlag machen, denn auch K. E. O. sträubt sich u. weiß ich nicht, ob es mir allein gelingen wird, ihn umzustimmen. Auch sachlich* fände ich einen Nicht-Fontane auf dem Titelblatt erwünscht, da einem Fremden viele Vorwürfe der Indiskretion etc. erspart bleiben dürften. Mit den Briefen geht es ganz gut vorwärts. Viele herzliche Grüße von uns Beiden an Sie Zweibeide (ob das wohl eine Steigerung oder eine kleine Entfernung bedeutet) und Glück auf den Weg für die Causerien. Treulichst K. E. O . u. M. Fritsch. * für die Sache
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Martha Fritsch-Fontane an Theodor Fontane jun. und Friedrich Fontane
Waren d. 24 April 1905. An meine Miterben 1) Herrn Wirkl. Geh. Kriegsrath Th. Fontane in Cassel.1 2) Herrn Verlagsbuchhdlr: Fr. Fontane in Grunewald.2 Bringe ich nachstehend einige Angelegenheiten inbetreff des litterarischen Nachlasses unseres Vaters zur Vorlage, über welche unsererseits ein Beschluß gefaßt werden muß. I Veranstaltung einer kleinen Auswahl aus den Wanderungen durch die Mark Brandenburg in Form einer Volksausgabe Die anliegenden beiden Briefe der Firma J. G. Cotta Nachfolger3 geben genügende Auskunft über den gegenwärtigen Stand der Dinge. Ich habe der Firma einstweilen für meine Person dahin geantwortet, daß unsere Forderung einer Betheiligung an dem etwaigen Gewinn des Unternehmens nur als eine Wahrung unserer grundsätzlichen Rechte anzusehen sei und daß voraussichtlich auch meine Brüder mit einem Gesammtantheil von 5 % des Ladenpreises sich begnügen würden. Sollte dies der Fall sein, so bitte ich um ihre ZustimmungsErklärung. II Aufstellung eines Programms für die Serie II der Gesammt-Ausgabe. Ein solches Programm war s. Z. schon vor 4 bezw. 3 Jahren, als es sich um den Entwurf eines Vertrages über die Gesammtausgabe der Werke Th. Fontanes handelte, aufgestellt worden, ward aber nach dem Scheitern dieses Vertrages zunächst nicht weiter verfolgt. Als dann im vorigen Jahre der Gedanke jener Gesammt-Ausgabe wieder aufgenommen wurde, einigten sich die Fontane'schen Erben mit den gegenwärtigen Inhabern der Verlagshandlung F. Fontane u. Co. dahin, daß der zwischen ihnen abzuschließende Vertrag sich zunächst 1 2 3
[Darunter von der Hand Theodor Fontanes jun.:] an den 28. 4 weiter den 30. 4. mit Äußerung Th. Fontane [Darunter von der Hand Friedrich Fontanes:] eingeg. Mittags 2. V. 05. weiter 5. V. 05. [Am linken Rand von der Hand Martha Fritsch-Fontanes:] Anlage 1. u. 2.
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nur auf die Serie I der Gesammt-Ausgabe erstrecken und daß diese Serie lediglich die schon gedruckten Romane und Erzählungen unseres Vaters enthalten solle. Maßgebend war hierbei die Erwägung, daß ein solcher Vertrag abgeschlossen werden könne, ohne daß eine Zuziehung der im Testamente unserer Eltern eingesetzten Kommission, welche über die Zulässigkeit von Veröffentlichung noch ungedruckter SchriftenTh. Fontanes zu entscheiden hat, erforderlich wäre. Nachdem verschiedene Stimmen aus dem Buchhandel auf Bekanntgabe eines Prospektes über den Inhalt von Serie II und III der Gesammt-Ausgabe gedrungen haben, tritt nunmehr die Firma F. Fontane u. Co. in den beiliegenden Briefen vom 4 u. 5 April d. J.4 an die Erben mit der Forderung heran, sich möglichst bald über die Zusammenstellung dieser weiteren Theile der Gesammt-Ausgabe schlüssig zu machen. Sie unterbreitet ihnen zugleich bestimmte Vorschläge, 5 wie etwa der Inhalt der beiden letzten Serien gestaltet werden könne. Ohne auf alle Einzelheiten dieser Vorschläge einzugehen - ich will nur erwähnen, daß eine Heranziehung der Wanderungen u. der „Fünf Schlösser" nach dem von uns mit der Firma J. G. Cotta Nachf. abgeschlossenen Vertrage vorläufig unmöglich ist, daß es mir unzweckmäßig erschiene, die Briefe an die Familie und die an andere Persönlichkeiten in verschiedene Serien zu verweisen und daß weder ich noch mein Mann jemals eine Erweiterung von „Von Zwanzig bis Dreißig" durch Gelegenheitsgedichte angeregt haben, 6 - daß die Verhältnisse, welche uns im vorigen Jahre zu einer vorläufigen Beschränkung auf die bereits gedruckt vorliegenden Romane u. Erzählungen unseres Vaters, deren Zusammengehörigkeit keinem Zweifel unterliegen kann, bestimmten, noch heute unverändert sind. Der Brief der Firma F. Fontane u. Co. vom 4 April d. J., dessen allgemeinen Darlegungen ich durchaus beistimme, betont mit Recht, daß es dringend erwünscht wäre, wenn die Anziehungskraft der Serien II u. III durch Aufnahme je eines Theiles von bisher noch ungedrucktem „erstklassigem" Stoff erweitert werden könnte. Um aber entscheiden zu können, ob solcher Stoff in genügendem Um-
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[Am linken Rand von der Hand Martha Fritsch-Fontanes:] Anlage 3 und 4. [Am linken Rand von ders.:] Anlage 5 u. 6. [Am linken Rand von der Hand Κ. E. O. Fritschs:] muß ich vor allem meiner Ansicht Ausdruck geben,
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fange vorhanden ist und wie er am zweckmäßigsten auf die beiden Serien zu vertheilen wäre, muß doch vor allen Dingen der ungedruckte litterarische Nachlaß unseres Vaters von sachverständiger Seite einer genauen Durchsicht unterworfen werden und es muß, nachdem diese erfolgt und eine Auswahl getroffen ist, die Kommission darüber beschließen, welche von den ausgewählten Arbeiten sie des Druckes und der Aufnahme in die Gesamt-Ausgabe für würdig hält. Es wird uns daher - so bedauerlich diese Verzögerung auch sein möge - kaum etwas anderes übrig bleiben, als vorläufig auf den Versuch zur Aufstellung eines festen Programms für die Serien II und III zu verzichten. Dagegen müssen III Maßregeln zur Herbeiführung einer möglichst schnellen Entscheidung über die Druckwürdigkeit der noch unveröffentlichten nachgelassenen Schriften Th. Fontanes unverzüglich in die Wege geleitet werden. Daß dies bisher noch nicht geschehen ist, war zweifellos ein Fehler, an dem wohl alle Betheiligten einen größeren oder geringeren Theil der Schuld tragen. Retrospektive Erörterungen darüber können wir unterlassen. Dagegen drängt sich vor Allem die Frage auf, von wem die zunächst erforderliche erste Durchsicht und Auswahl des Nachlasses eingeleitet u. durchgeführt werden soll. Der Brief der Firma F. Fontane u. Co. vom 4 April d. J., der es für wichtig erklärt, „daß die Kommission sich endlich auch der Prüfung der übrigen Konvolute, sei es mit positiven oder negativen Resultaten, zuwende," will diese Aufgabe der Kommission zuweisen. Nach meiner Meinung jedoch mit Unrecht. Wer die von unserem Bruder Friedrich mit dankenswerthem Fleiß und vollster Umsicht aufgestellte, in der Anlage beigefügte „Inventur" 7 über den litterarischen Nachlaß unseres Vaters durchsieht, wird es als eine unmögliche Zumuthung empfinden, daß 2 in angestrengtem Berufsleben stehende Männer wie die Herren Dr. Schienther und R. A. Meyer, welche die ihnen von unsern Eltern zugewiesene Funktion als ein Ehrenamt übernommen haben, durch Monate hindurch einen namhaften Theil ihrer Kraft und Zeit einer solchen mühseligen Arbeit widmen sollten. Und selbst demjenigen, der von der Entstehung der betreffenden Bestimmung im Testamente unserer Eltern nichts weiß, wird es undenkbar erscheinen, daß diese einer solchen Zumuthung fähig
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[Am linken Rand von der Hand Martha Fritsch-Fontanes:]
Anlage 7.
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gewesen wären. Der Wortlaut des Testaments, das der Kommission lediglich die unbeschränkte Verfügung über den litterarischen Nachlaß unseres Vaters anvertraut, ohne über die Art des dabei einzuschlagenden Geschäftsganges irgend welche Andeutungen zu machen, unterstützt jene Annahme auch in keiner Weise. Wohl aber hat sich bei Vorbereitung der beiden bisherigen Veröffentlichungen aus dem Nachlaß, der „Causerien" und der „Familienbriefe", ohne daß vorher grundsätzliche Erörterungen stattgefunden hätten, inzwischen in natürlichster Weise ein Verfahren entwickelt, bei dem die Rechte der Erben und die Rechte der Kommission in gleicher Weise zur Geltung kommen und das sich als durchaus zweckmäßig bewährt hat. Demnach steht es den Erben kraft ihres durch das Testament zwar eingeschränkten aber nicht aufgehobenen Rechtes zur Verwerthung jenes Nachlasses zu, bestimmte, noch ungedruckte Schriften ihres Vaters zur Veröffentlichung in Aussicht zu nehmen. Es liegt ihnen ob, sie in druckfertige Form zu bringen oder bringen zu lassen u. demnächst der Kommission vorzulegen. Dieser steht es zu, zu entscheiden ob bezw. mit welchen Änderungen die Schrift gedruckt werden soll. Selbstverständlich darf das Verfahren keinen rein formellen Charakter tragen sondern es ist erwünscht, daß Erben und Kommission sich in allen Stadien desselben im Einvernehmen halten und daß die letztere insbesondere auch bei der Wahl des Herausgebers und Bearbeiters für die einzelnen Schriften von vornherein zugezogen wird. So ist bei d e n „Causerien" u n d den „Familienbriefen" v o r g e g a n -
gen worden, für welche die Bearbeitung Herrn Dr. Schienther und mir (bezw. in meiner Vertretung meinem Mann) obgelegen hat, und so wird auch bei der wiederum von Herrn Dr. Schienther übernommenen Herausgabe weiterer Briefe Th. Fontanes verfahren werden. Es liegt nahe, den gleichen Weg auch für die übrigen Theile des Nachlasses einzuschlagen; nur daß die Prüfung und etwaige Druckfertigstellung angesichts der durch das Erscheinen der GesammtAusgabe geschaffenen Sachlage, sich nicht auf eine einzelne Schrift, sondern auf den gesammten Rest des Nachlasses erstrecken muß. Ebenso unmöglich, wie es mir scheint, diese Arbeit der Kommission zuzumuthen, erscheint es mir auch, daß die Erben in ihrer Gesamtheit oder einer von ihnen sich ihr unterziehen könnten. Wir müssen daher versuchen, eine geeignete litterarische Kraft gegen entsprechende Honorirung dafür zu gewinnen und es dürfte am zweckmäßigsten sein, wenn wir Herrn Dr. Schienther bäten, uns eine bestimmte Persönlichkeit dafür in Vorschlag zu bringen. Daß
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er selbst die Arbeit übernehmen könnte, was ja die beste Lösung wäre dürfte bei seiner Arbeitsüberbürdung und dem durch die Verhältnisse gebotenen Tempo für jene ausgeschlossen sein. Das nächste Anrecht darauf dürfte Herr Prof. Dr. Pniower haben, der ja schon zu Lebzeiten unserer Mutter und in deren Auftrag mit der Durchsicht und Ordnung des litte: Nachlasses begonnen hatte, ohne daß ihm meines Wissens bisher ein Entgelt dafür zutheil geworden ist. Selbstverständlich setze ich dabei voraus, daß er augenblicklich nicht mit anderen litterarischen Arbeiten zu stark belastet ist und der ihm von uns übertragenen einen namhaften Theil seiner Zeit widmen könnte. IV. Sammlung der Briefe unseres Vaters für die von den Herren Dr.
Schienther u. Prof. Dr. Pniower herauszugebende
Veröffentlichung.
Bei dem Abkommen, das zwischen uns Erben und den Herausgebern über diese Veröffentlichung getroffen worden ist, haben die letzteren die Forderung aufgestellt, daß die Einsammlung des Stoffes dafür vonseiten der Erben zu geschehen habe. Ich habe mich zunächst für mein Theil hierzu bereit erklärt u. von meinen Brüdern die Zusicherung erhalten, daß sie mich dabei unterstützen würden. Ich hegte damals die Hoffnung, daß mein Herz- und Nervenleiden sich soweit bessern werde, um mir eine aktive Theilnahme an dieser Arbeit zu gestatten, deren Umfang und deren Mühseligkeit nach dem anliegenden, von unserm Bruder Friedrich aufgestellten Verzeichniß der Personen,8 welche hierbei infrage kommen, gewiß nicht zu unterschätzen ist. Jene Hoffnung ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Jede derartige Arbeit regt mich in einer Weise auf und strengt mich so an, daß dadurch alle, naturgemäß nur sehr langsam zu erwartenden Erfolge meiner nunmehr mit Ernst in's Werk gesetzten Kur in Frage gestellt werden würden. Ich bin daher genöthigt, meine frühere Zusage zurück zu ziehen u. die Bitte auszusprechen, mich von der Theilnahme an der Sammlung des Briefstoffs völlig zu entbinden. Denn meinem Mann, der seit mehr als 3 Jahren die ganze umfangreiche und stellenweise sehr unerquickliche Korrespondenz in den Angelegenheiten des litterarischen Nachlasses unseres Vaters für mich besorgt hat, kann u. will ich ein solches Opfer nicht länger zumuthen. Wir schreiben ja auch Niemand vor, wie er seine Tage anlegen soll, und er ist 67. 8
[Am linken Rand von der Hand Martha Fritsch-Fontanes:]
Anlage 8
April 1905 - November 1915
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Wenn keiner meiner Brüder der betreffenden Arbeit sich unterziehen will, bleibt daher nichts anderes übrig, als auch hierfür die Hilfe einer anderen Persönlichkeit in Anspruch zu nehmen. Auch hierzu würde sich Herr Prof. Dr. Pniower, als einer der beiden Herausgeber in erster Linie empfehlen und ich stelle anheim, mit ihm hierüber zu verhandeln. Meine Bitte, mich mit Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand, die Warnungen der Ärzte und die von unserer Seite bisher geleistete Arbeit von allen weiteren geschäftlichen Obliegenheiten zu entlasten, bezieht sich natürlich nicht allein auf das Sammeln der Briefe, sondern auch auf alle anderen Geschäfte, bei denen im Interesse der Erben eine Initiative zu entwickeln ist und die bisher von mir bezw. meinem Mann wahrgenommen sind. Ich halte es für naturgemäß, daß sich ihnen fortan der Aelteste von uns Geschwistern unterzieht, während ich mich darauf beschränken werde, zu den Vorlagen, die an mich als Erbin und Kommissionsmitglied gelangen, eine Erklärung abzugeben. Ich erwarte demnächst eine Angabe, an welche Stelle ich die bisher in meiner Verwahrung befindlichen Manuskripte unseres Vaters, sowie die im Verlauf unserer bisherigen Geschäftsführung angesammelten Briefe, Verträge u. s. w . abliefern soll. Martha Fritsch geb. Fontane.
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Martha Fritsch-Fontane an Paul Schienther
Grunewald. 23 Nov. 1915. Hochverehrter lieber Freund Ich dachte Sie 4/5 zu kennen und 1/5 zu ahnen - nun kam es doch noch anders!, herzlichen Dank, daß Sie meiner überhaupt gedacht haben. Aber in die Leuchter kann ich mich nicht finden, da bleibe ich meiner Mutter Tochter u. Papa hätte von „kleinem Z u g " gesprochen; Wien ist und bleibt forscher. Sollten Sie Pniower eher sehen wie Theo, so sagen Sie ihm bitte, daß ich Etwas (ich darf es groß schreiben) für das M . Museum habe; mein Mann wünschte, daß ich erst nach meinem Tode verfügte, ich bin aber mit meiner Tochter übereingekommen, mich schon jetzt zu trennen.
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November 1915
Eins habe ich beschlossen, weitschweifig soll mich auch das Alter nicht machen, ich bin also mit dankbaren Grüßen für die schönen Stunden, die an noch schönere gemahnen Ihre allezeit getreue Martha Fritsch.
5
Dokumente Juli 1882 bis 20. März 1903
I
Briefentwürfe von Theodor Fontane
Der Druck erfolgt abgebildet.
diplomatisch,
d. h. die Handschrift
wird so gut wie möglich
Für folgende Fälle gilt ein Schlüssel: Unleserliche Überschreibung: Ist das zuerst Geschriebene unleserlich, so erfolgt die Überschreibung in Fettdruck. Leserliche Überschreibung: wird nacheinander gesetzt, Bsp. [und]