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German Pages 188 Year 1977
Linguistische Arbeiten
52
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Bernhard Marfurt
Textsorte Witz Möglichkeiten einer sprachwissenschaftlichen Textsorten-Bestimmung
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Marfurt, Bernhard
Textsorte Witz : Möglichkeiten e. sprachwiss. Textsorten-Bestimmung. - 1. Aufl. - Tübingen : Niemeyer, 1977. (Linguistische Arbeiten ; 52) ISBN 3-484-10269-1
ISBN 3-484-4 0869-1 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977 " -AJle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es ätiph nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege^su vervielfältigen." Printed in Germany
v VORWORT
In den vergangenen Jahren hat sich ein beträchtlicher Teil der linguistischen Forschung dem Phänomen Text zugewandt. Dabei verschob sich das Interesse der Diskussion zunehmend in Richtung auf Fragen nach der Produktion und Rezeption sprachlicher Texte in Kontnunikationsprozessen. Die vorliegende Arbeit versteht sich nun als Versuch, einige Ergebnisse dieser Diskussion für eine Textsortenbestimmung des Witzes fruchtbar zu machen. Der Darstellung zugrundegelegt ist die Tagmemik-Theorie Kenneth L. Pike's. Da diese nur in Ansätzen auf die Textebene Bezug nimmt, das Modell insgesamt jedoch von seiner Konzeption her für eine Textsortenbeschreibung überaus interessant erscheint, soll hier versucht werden, die im Modell angelegten Erweiterungsmöglichkeiten auszuführen und gleichzeitig am konkreten Einzelfall h/ztz die Tragfähigkeit eines solcherart erweiterten und in den Dienst textlinguistischer Ueberlegungen gestellten Modells zu erproben. Neben der Kontrastierung und teilweisen Integration verschiedener linguistischer Forschungsansätze verfolgt die Arbeit aber noch ein zweites Ziel: Durch die sprachwissenschaftliche Untersuchung sollen einige interessante Aspekte des Phänomens Witz in einen Beschreibungszusaimenhang gebracht werden, der sich von den bisherigen vorwiegend ästhetischen und psychologischen Darstellungen unterscheidet. Es geht dabei vor allem darum, den engen Zusammenhang zwischen dem Komnunikationsvorgang des Witzeerzählens und seinem sprachlichen Korrelat aufzuzeigen und von daher gewisse strukturelle Eigenarten des Witzes zu begründen, ohne dass jedoch gleich eine Theorie des Witzes vorgelegt werden soll. Die Arbeit stellt die Weiterführung eines Projekts dar, das ursprünglich als Gruppenarbeit geplant und auch begonnen worden ist: Sie basiert auf einer Li-
VI
zentiatsarbeit, die mein Kollege P. Portmann und ich gemeinsam im Herbst 1973 an der Universität Zürich einreichten. Trotz dem vielversprechenden Anfang konnte sich mein Kollege nicht dazu entschliessen, die Untersuchung fortzusetzen, doch überliess er mir den von ihm ausgearbeiteten Entwurf einer Beschreibung der Textsorte Witz in grosszügiger Weise zur weiteren Auswertung. Es muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass ich dieser Vorlage ausserordentlich viel an Anregungen verdanke: die zahlreichen Verweise und Zitate drücken dies nur sehr oberflächlich aus. Besonderen Dank schulde ich aber auch meinem Lehrer, Professor H. Burger, dessen Unterstützung mir über verschiedene Phasen von Schwierigkeiten hinweggeholfen hat. Er ist es auch, der mich auf die Tagmemik-Theorie aufmerksam machte. Einige Literaturangaben zur Tagmemik-Theorie verdanke ich ferner Professor S. Wyler, St. Gallen. Schliesslich sei all jenen gedankt, die mich durch Verständnis und Entgegenkommen bei dieser Arbeit unterstützt haben.
Luzem,im August 1975
VII
INHALTSVERZEICHNIS
0.
VORWORT
1.
EINLEITUNG Aesthetisch-philosophische und literaturwissenschaftliche Untersuchungen zum Witz 1.2. Psychologische Untersuchungen zum Witz 1.3. Aspekte einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung des Witzes
v
l
1.1.
2.
2 5 7
THEORETISCHE VORBEMERKUNGEN
10
2.1. Das Konzept der Textlinguistik 1.1. Die Entwicklung der Textgrammatik 1.2. Die Texttheorie 2.2. Kenneth L. Pike's Tagmemik-Theorie 2.3. Abschliessende Bemerkungen
11 11 14 22 32
3.
ZWEI ZENTRALE ASPEKTE DER WITZUNTERSUCHUNG
34
4.
DAS INTERAKTIONSMUSTER WITZERZAEHLEN
39
4.1. Einführende Beispielanalysen: Die wichtigsten Elemente des Interaktionsmusters Witzerzählen 4 . 2 . Die Voraussetzungen von Witz und Witzerzählen:
39
Merkmale des Hypermorphems Hitzerzählen 47 4.2.1. Sprecherseitige Voraussetzungen 47 4.2.1.1. Die Ankündigung der Witzerzählung 47 4.2.1.2. Die Wiedergabe des Idealtexts 50 4.2.2. Hörerseitige Voraussetzungen 56 4.2.2.1. Textbedeutung und Interpretation 56 4 . 2 . 2 . 2 . Die Beschreibung des Textsinns im TagmemikModell 63 4 . 2 . 2 . 3 . Die Situation des Hörers in der Interaktion Witzerzählen 68 4 . 2 . 2 . 4 . Zusammenfassung: Hörerseitige Voraussetzungen 75 4.2.3. Die Darstellung der Voraussetzungen von Witz und Witzerzählen im Tagmemik-Modell 76
VIII
4.3. Funktion und Thematik des Witzes: Das Hypertagmem HT als Merkmal des Hypermorphems Witzerzählen 4.3.1. Die zentrale Bedeutung des Hypertagmems HT : Die Erzeugung des quasi-ästhetischen Vergnügens 4 . 3 . 2 . Die marginale Bedeutung des Hypertagmems HT · Sekundärfunktionen des Witzes 5.
6.
78 78 82
DAS VEKTEXTUNGSMUSTER WIT/,
91
5.1. Der Witz als Hypermorphem HM 5.1.1. Inhärente Merkmale des Hypermorphems HM 5.1.2. Die Strukturelemente des Witzes 5.1.2.1. Das Hypertagmem HT : Einleitung 5.1.2.2. Das Hypertagmem HT : Dramatisierung 5.1.2.3. Das Hypertagmem HT : Pointe 5.1.3. Ergänzende Bemerkungen zur Bestimmung des Hypermorphems HM 5.2. Exkurs: Dialogwitze
91 91 93 93 97 99 109 111
DIE TECHNIKEN DES WITZES
117
6.1. Das Hyperphonem HP Witz 6.2. Funktionalisierung von Bedeutungskomponenten zu technischen Mitteln der Witzbildung 6.2.1. Syntaktisch-konnektive Bedeutung 6 . 2 . 2 . Die Bedeutung von Eigennamen 6.2.3. Die konnotative Bedeutung 6.2.4. Absolute und relative Bedeutung von Quantoren 6 . 2 . 5 . Metakommunikative Bedeutung 6.2.6. Paradigmatische Bedeutungsrelationen: Wortfeldbedeutung und Synonymie 6.2.6.1. Wortfeldbedeutung 6 . 2 . 6 . 2 . Synonymie 6.2.7. Syntagmatische Bedeutungsrelationen: Kontextuelle Merkmale 6.2.8. Phraseologische Bedeutung 6.2.9. Präsuppositionelle Bedeutung 6.2.10 Ambiguität 6.2.10.1. Systemimmanente Homonymie 6.2.10.2. Systemtranszendente Homonymie 6.2.11 Illokutionäre Bedeutung 6.2.11.1. Indirekte Sprechakte 6.2.11.2. Konventionelle Sprechhandlungssequenzen 6.3. Nachtrag zum Problem einer Beschreibung des Hyperphonems HP
117 119 119 122 124 127 129 133 134 135 139 141 145 148 148 150 152 154 158 161
IX
7.
EINZELPROBLEME
163
7.1. Semiotische Ueberlegungen zum Witz 7.2. Zur Qualität von Witzen 7.3. Probleme der Abgrenzung einer Textsorte Witz
163 165 167
LITERATUR
172
EINLEITUNG
Im Verlauf der Forschungsgeschichte hat sich gezeigt, dass der Witz keineswegs ein so unwürdiger und abwegiger Gegenstand wissenschaftlicher Bertühungen ist, wie nan zunächst vermuten möchte. Im Gegenteil: Eine Reihe namhafter Autoren haben ihn zum Objekt ihrer Untersuchungen gewählt und haben gezeigt, dass diese scheinbare Bagatelle in Wirklichkeit ein äusserst komplexes Phänomen darstellt, welches für verschiedenste Disziplinen zweifellos von Interesse
ist. Unsere Aufgabe kann nun allerdings nicht sein, die wechselnden Auseinandersetzungen zum Thema Witz im einzelnen nachzuzeichnen. Hier sollen nur einige Stationen der Forschungsgeschichte kurz aufgegriffen werden, und zwar, soweit dies möglich ist,
unter systematischem Aspekt. Es liegt uns also nichts an
einer historischen Uebersicht, sondern wir wollen versuchen, aus der Abgrenzung gegenüber ästhetisch-philosophischen und psychologischen Erwägungen einigermassen Klarheit darüber zu erhalten, worin die Aufgaben einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung des Witzes bestehen könnten. Noch eine Vorbemerkung: Wenn wir hier Witz ganz selbstverständlich als Bezeichnung für eine bestimmte Textsorte verwenden, dann tun wir dies in der Annahme, unser Verständnis des Begriffs decke sich mit dem heute üblichen Sprachgebrauch. Zwar wird zum Teil immer noch unterschieden zwischen Witz als 'Gabe, einen Sachverhalt treffsicher zu formulieren1 und Witz als 'sprachlichem Gebilde, scherzhafter Aeusserung' etc., doch gilt die erste Bedeutung auf jeden Fall als veraltet.
Die Unterscheidung ist auf die Wortgeschichte zurückzu-
Vgl. z.B. Ullstein (1969 : 987) ; das Duden Bedeutungswörterbuch Bd. 10 (1970) führt nur noch die zweite Bedeutung an.
führen: Im neunzehnten Jahrhundert bezeichnet uitz sowohl eine intellektuelle Fähigkeit, wie auch bestinmte Formen sprachlicher Aeusserungen.
1.1
Aesthetisch-philosophische und literaturwissenschaftliche Untersuchungen zum Witz
Noch deutliche Züge der älteren Wortbedeutung trägt der Witzbegriff bei Jean Paul, wenngleich dessen Bemerkungen über die Metapher, das Wortspiel etc. auch Aspekte der neuen Bedeutung sichtbar werden lassen. Als ästhetischen Witz oder Witz im engeren Sinne bezeichnet Jean Paul die Fähigkeit, spontan "das Verhältnis der Aehnlichkeit, d.h. teilweise Gleichheit, unter grössere Ungleichheit versteckt" zu finden. (Richter 1813;1963 : § 43) Diese Definition gliedert den Witz ein in das System der intellektuellen Vermögen und hat im Rahmen der "Vorschule der Aesthetik" in erster Linie einen poetologischen Stellenwert. Eine Nachbarschaft des Witzes mit dem Komischen wird zwar festgestellt, doch schliesst die Vielfalt der Bedeutungsaspekte des Witzbegriffs einen engeren Zusammenhang vorerst noch aus. In diesem Punkt widersprechen die späteren Autoren den Ansichten Jean Pauls. Bereits mit F.1h. Vischer beginnen die Versuche, eine Theorie zu entwerfen, in der Komisches und Witz systematisch miteinander verbunden sind. Erneut wird der Witz in Abhängigkeit zu dem ihn hervorbringenden Subjekt beschrieben. Der Philosoph Kuno Fischer z.B. definiert: "Um also gleich die nähere Grenze zu ziehen, so soll hier unter Witz jene allen bekannte Vorstellungsart verstanden und erklärt werden, der die erzeugende und mitteilende Kraft des Konischen innewohnt." (Fischer 1871 : 7) Die Eingliederung unter 2 3 4
Zur Wortgeschichte vgl. K.O. Schütz 1963 Vgl. Richter 1813; 1963 : § 30 Vgl. Vischers Abgrenzung des 'Objektivkomischen 1 und des 'Subjektivkomischen 1 : "Da nun der Widerspruch aus dem Gebiete der Anschauung i n ' s Innere verlegt ist, so muss die das Komische erzeugende Subjectivität ihren Stoff überhaupt in ein innerlich Vorgestelltes und Gedachtes verwandeln und daher kann sie ihn nicht einfach als objectiven Vorgang zeigen, sondern muss ihn auch in der Form des für das Innere Ermittelten aussprechen. Sie bedient sich daher wesentlich der Sprache ..." (Vischer 184657 : § 193)
die ästhetischen Vorstellungsarten begründet denn auch die Kennzeichnung des Witzes als "Urteil, welches den komischen Contrast erzeugt" (durch Aufdecken versteckter Zusaittnenhänge und Auslassen von Mittelgliedern des logischen Schliessens), ebenso wie seine Charakterisierung als 'spielendes Urteil1 (rein ästhetisch betrachtend frei von jedem Verlangen nach dem Gegenstand. (Fischer 1871 : 31) Mit diesen Bestimnungen wird der Witz dargestellt als Tätigkeit des Subjekts, eine Tätigkeit, die sich allerdings an besonderen sprachlichen Erscheinungsformen manifestiert. Die sprachlichen Eigenarten sind dabei mehr als blosse Nebensache: Es ist die Form, die das Urteil zum Witz macht. Witz drückt sich nur in Sprache aus. Sei konkreter Ausdruck wird allmählich vom oberflächlichen zum konstituierenden Merkmal, wenn auch noch nicht die Rede sein kann davon, dass etwa der Witztext als selbständiges sprachliches Gebilde ins Zentrum des Interesses gerückt würde. Anders als K. Fischer, der den Witz nach Entstehungsart und Entwicklungsformen untersucht, versucht Henri Bergson, das Phänomen des Konischen unter dem Aspekt seiner Wirkung zu ergründen. Er geht dabei aus vom Lachen: Es ist die AntwDrt des Zuhörers, die bei jedem komischen Ereignis das Gleiche trifft: ein Uebermass an 'Steifheit1, eine Unfähigkeit zur Anpassung an veränderte Umstände. (Bergson 1899; 1972 : 16) In diesem Kontext bekonmt das Lachen die Funktion einer Strafe. Damit wird etwas Neues in die Definition des Komischen eingeführt: ein sozialer Gesichtspunkt. Komisch wird etwas wegen seines Widerspruchs zu Nonnen und Erwartungen. Bezogen auf die Wortkomik ergibt sich: Diese "konstatiert nicht einfach mit Hilfe der Sprache irgendwelche besonderen Zerstreutheiten der Sprache selbst. Die Sprache selber wird komisch." (Bergson 1899; 1972 : 73) Allerdings wird die Sprache nicht von sich aus lächerlich: ihre Verrenkungen müssen ausfindig gemacht werden. Wiederum wird somit das aktive Verhalten des geistigen Subjekts mit in die Bestimmung des Witzes hinein6 genommen. Was dem deutschen Begriff Witz entspricht, nennt Bergson auf das Subjekt gerichtet Geist ( l ' e s p r i t ) , dessen Ausdruck im Bereich der Sprache dagegen Wortkomik (le comique de m o t s ) . Eine andere Interpretation des Lachens gibt J. Habermas: "Das Lachen, mit dem wir fast zwangshaft auf die Komik des Witzes reagieren, hält die befreiende Erfahrung des Uebergangs von der Stufe des paläosymbolischen zum sprachlichen Denken fest: Komisch ist die entlarvte Zweideutigkeit des
Trotzdem ist die Tendenz der Autoren unverkennbar, die spekulative Bestimmung des subjektiven Vermögens aufzugeben zugunsten einer Untersuchung des Produkts dieses Vermögens. Die Erfassung der sprachlichen Mittel des Witzes erlangt für seine Abgrenzung gegenüber der Komik und somit für seine Charakterisierung überhaupt eine immer entscheidendere Bedeutung. Diese Entwicklung wird vorläufig abgeschlossen durch A. Jolles, der den Witz als 'einfache Form1, als literarische Gattung im weitesten Sinn begreift. Bestimmungsmerkmal des Witzes ist, "dass in der Form Witz, wo immer wir sie finden, etwas gelöst wird, dass der Witz irgendein Gebundenes entbindet", womit die Aufhebung eines erwarteten Zusammenhangs gemeint ist. (Jolles 1930; 1968 : 248) Bemerkenswert an dieser Darstellung ist, dass trotz der rein 'morphologischen1 (Jolles 1930; 1968 : 252) Bestimmung der Gattung Witz das dynamische Moment seiner Wirkungsweise in der Definition erhalten bleibt. Hier wird in den Text verlegt, was bei den früheren Autoren noch vor allem als Leistung der ästhetischen Vorstellungsart begriffen wurde. Auch einer der jüngsten Versuche über den Witz, die Rede des Literaturwissenschaf tiers W. Preisendanz, beschränkt sich nicht auf eine rein statische Darstellung des Phänomens, obwohl sich der Autor bewusst auf den Witz als "Sprachgebilde" konzentriert. (Preisendanz 1970 : 17) Er begreift den Witz als einen "Text, der [ ...] nicht durch den Gegenstand seiner Aussage definiert ist, sondern allein durch die Art und Weise des Aussagens." (Preisendanz 1970 : 17) Das Spezifisch Witzige liegt darin, dass sich "in der Aussage Gemeintes und Mittel des Meinens voneinander abheben". (Preisendanz 1970 : 21) Mit dieser Bestimmung und mit dem Hinweis auf die für den Witz typische "Zeichenfunktion der Sprache" (Preisendanz 1970 : 21) wird zwar eine UnterWitzes, die darin besteht, dass uns der Erzähler zur Regression auf die Stufe vorsprachlicher Symbolik, z.B. zur Verwechslung von Identität und Aehnlichkeit verführt und uns zugleich des Fehlers dieser Regression überführt. Das Lachen ist eines der Erleichterung. In der Reaktion auf den Witz, der uns virtuell und versuchsweise die gefährliche Passage über die archaische Grenze zwischen vorsprachlicher und sprachlicher Kommunikation wiederholen lässt, vergewissern wir uns der Kontrolle, die wir über die Gefahren einer überwundenen Bewusstseinsstufe erlangt haben." (Habermas 1971 b : 147)
suchung der eigentlichen Textstruktur angestrebt, doch wird nicht ausser acht gelassen, dass eine adäquate Beschreibung des Wit2es diesen als Prozess, als Vollzug einer Aussage darstellen muss: "Zwischen der witzigen Denkstruktur und dem Adressaten, dem Hörer oder Leser, der den Witz erfassen soll, aktualisiert sich das Witzige durch eine spezifische Aussagetaktik." (Preisendanz 1970 : 18) Entscheidend ist zudem die Bemerkung, der Witz löse "das Verständnis von der sprachlichen Aussage" und lasse "es doch zugleich an diese Aussage gebunden sein." (Preisendanz 1970 : 32) Damit werden Gesichtspunkte hervorgehoben, die eine kcmnunikationstheoretische Untersuchung des Phänomens vorbereiten.
1.2
Psychologische Untersuchungen zum Witz
Als eine der bedeutendsten Arbeiten über den Witz gilt die Schrift S. Freuds 'Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten.' (Freud 1905; 1971) Nach Freud sind Witz, Komik und Humor "Arbeitsweisen unseres seelischen Apparats", "Methoden [...], um aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewinnen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit verloren gegangen ist." (Freud 1905; 1971 : 193) Die spezifische Lust am Witz resultiert (beim Erfinder, beim Erzähler wie auch beim Hörer) aus einem plötzlichen Abbau von Hemnungsaufwand, jenem psychischen Aufwand, der - von Erziehung und Gesellschaft normalerweise gefordert - zur Unterdrückung von unbewussten Gefühlen, Gedanken und Triebregungen geleistet werden muss. Dieser Aufwand entfällt mit dem Witz. Je nach Art des sonst unterdrückten Triebes unterscheidet sich der Lustgewinn: Lustgewinn auf der Ebene des Hintergrunds bieten die tendenziösen Witze, welche die Unterdrückung des Sexual- und Aggressionstriebes ersparen. Lustgewinn auf der Ebene der Form lässt sich in erster Linie aus den harmlosen, in geringerem Mass natürlich auch aus den tendenziösen Witzen schöpfen: Er beruht auf der durch den Viitz herbeigeführten Befreiung vom Denk- und Realitätszwang, denen der Erwachsene (nicht aber das Kind) sonst
unterworfen ist. Mit der Bestirrmung des Witzes als psychische Methode taucht wiederum ein dynamisches Element in der Darstellung auf. Es wird zudem ergänzt durch die Bemerkungen Freuds über die soziale Seite des Witzes: Danach sind beim Witz nämlich drei Personen zur Vollendung des lustbringenden Vorgangs unentbehrlich: Die erste Person, die die Witzarbeit leistet, die zweite, auf welche sich die Tendenz des Witzes richtet (z.B. beim aggressiven Witz) sie kann allerdings wegfallen -, und schliesslich die dritte Person, an der sich die Witzeslust im Lachen erweist. Hier ist ein Rahmen abgesteckt, der die wesentlichen Elemente des Kcnmunikationsvorgangs Irfi-tzeerzählen enthält und damit auch für unsere Untersuchung von entscheidender Bedeutung sein wird. Im Gegensatz zu Freud, der das Lachen auf eine plötzliche Abfuhr von übero schüssig gewordener Unterdrückungsenergie zurückführt, erklärt es Helinuth Plessner in seiner Studie "Lachen und Weinen' aus dem Antagonismus zwischen der Bindung des Witzhörers an die im Witz vorgestellte Situation und der gleichzeitig gegebenen Möglichkeit, sich von dieser Situation zu distanzieren. "Die Ablösung, die im Lachen sich anzeigt - im Lachen quittiert der Mensch die jeweilige Situation, d.h. er bestätigt sie und er durchbricht sie -, geschieht gegen einen Widerstand. Nur dieser Widerstand erklärt die Spannung, die sich im Lachen löst, und er wiederum ist auf die Bindung bezogen, welche die Situation auf den Menschen ausübt. Sie hält ihn fest und verwehrt ihm zugleich jede Möglichkeit der Anknüpfung." (Plessner 1941; 1950 : 150) "Ein an den Ausdruck gebundenes und gewiesenes Verstehen verselbständigt sich gegen ihn durch Der Witz umgeht durch raffinierte Formulierung die Zensur des Intellekts und erlaubt, dem ebenfalls im Unbewussten lokalisierten Spieltrieb freien Lauf zu lassen. (Vgl. Freud 1905? 1971 : 96ff) Dieser zweite Aspekt der Witzeslust wird in der Auseinandersetzung mit Freud meist übersehen. (Vgl. z.B. die heftige Kritik J. Körners, der allerdings noch andere, zum Teil fragwürdige Einwände vorbringt. J. Körner 1935) Weiter ausgeführt wird der Gedanke bei Th. Reik (1929 : 101) Vgl. Freud 1905; 1971 : 118ff
Bindung und Verweisung an ihn." (Plessner 1941; 1950 : 134) Das hier von Plessner aufgezeigte distanzierte Verhältnis des Hörers zum Witztext ist so eigenartig, dass wir darauf an geeigneter Stelle näher eingehen müssen. Eine Reihe weiterer psychologischer Untersuchungen zum Witz müssen wir übergehen, obwohl auch sie zweifellos interessante Gesichtspunkte aufgreifen. Erwähnt seien immerhin der Aufsatz A. Welleks, der eine phänomenologische Darstellung des Witzes gibt, sowie der Beitrag des Sprachpsychologen H. Hörmann, 1 Semantische Anomalie, Metapher und Witz 1 , welcher einige Aspekte zum Thema Witz im Rahmen einer Diskussion der semantischen Theorie der generativen 9 Grammatik aufgreift.
1.3
Aspekte einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung des Witzes
Der Ueberblick über bisherige Forschungsbeiträge zum Witz hat gezeigt, dass vor allem Untersuchungen von philosophisch-ästhetischer sowie psychologischer Seite vorliegen. Im eigentlichen Sinne sprachwissenschaftliche Darstellungen fehlen. Zwar gehen verschiedene Autoren zum Teil recht ausführlich auf den Zusammenhang von Witz und Sprache ein, doch von anderen Gesichtspunkten her, als es diejenigen der Sprachwissenschaft sein können. Eine Ausnahme macht hier, zumindest in Ansätzen, W. Preisendanz, aber auch er bietet keine zusammenhängende Darstellung, geschweige denn ein Modell einer sprachwissenschaftlichen Witzbeschreibung. Ebensowenig als solche gelten können die da und dort in der linguistischen Literatur auftauchenden Bemerkungen zum Witz, etwa bei A.J. Greimas, H. Brekle u.a.. Wir sind somit in unseren Bemühungen ziemlich alleingelassen. Wegweisend wird für unsere Arbeit die festgestellte Verschiebung des Interesses am Witz in Richtung auf eine Strukturanalyse sein. Dabei werden wir versuchen, die 9 10
Vgl. Wellek (1949; 1970), Hörmann (1971), sowie auch Grotjahn (1957; 1974) Vgl. Greimas (1966; 1971 : 61f und 8 2 f ) , sowie Brekle (1972 : 102f). Der Beitrag von Reger (1975) konnte für die vorliegende Diskussion leider nicht mehr berücksichtigt werden.
immer wieder aufgezeigten dynamischen Elemente im Witz in einen Beschreibungszusaitmenhang zu bringen: die Vereinigung von Gegensätzlichem, das Verhältnis von Gesagtem und ungesagtem, die Antwort- und Verstehensleistungen des Witzhörers, die Funktionen und Tendenzen des Witzes, seine soziale Seite, sowie die Eigenart der Witzerzählsituation, alle diese Aspekte des Witzes sollten in einer auch nur einigermassen adäquaten Darstellung enthalten sein. Ein gewagter Anspruch für den Rahmen dieser Arbeit! Wir müssen ihn dehn auch gleich einschränken. Es kann keineswegs darum gehen, hier nun endlich das Richtige sagen zu wollen oder gar eine umfassende Theorie über den Witz zu entwerfen. Wir werden unser Ziel für erreicht halten, wenn es uns gelingt, am Beispiel des Witzes einige Aspekte aufzuzeigen, welche für die sprachwissenschaftliche Beschreibung einer Textsorte relevant sein können. Unser Anliegen ist also nicht, in erster Linie eine vollständige Analyse des Witzes zu geben, sondern einen Beitrag zur Erprobung und Anwendung sprachwissenschaftlicher Forschungsergebnisse zu liefern. Wir werden versuchen, die Eigenarten der Textstruktur darzustellen und zu zeigen, wie diese mit dem Kommunikationsvorgang des Witzerzählens korrelieren. Noch eine Bemerkung zum Gegenstand der Untersuchung: Die bisherigen Studien über den Witz haben meist darauf verzichtet, eine genaue Abgrenzung zwischen dem Witz und anderen, verwandten Arten von Texten zu treffen. Dies liegt daran, dass sie sich in erster Linie im Hinblick auf die Genese oder auf die witzige Wirkung mit dem Witz beschäftigten. Sie bestimttten somit nicht eine Gattung Witz, sondern eine Kategorie des Witzigen, welche auch Texte und Aussprüche mitumfasst, die zumindest terminologisch vom Witz getrennt werden können: etwa das Bonmot oder die Anekdote. Wird aber das Witzige zum Problem gemacht, dann ist anzugeben, worin die spezifisch witzige Wirkung besteht, warum eine Aeusserung witzig ist, eine Erklärung, die wir nicht leisten können. Wir versuchen deshalb, anders vorzugehen, indem wir aus der Vielfalt möglicher sprachlicher Erscheinungsformen des Witzigen einen relativ engen Bereich ausgrenzen und eine Textsorte Witz bestimmen. Begründet werden soll diese Abgrenzung mit strukturellen Merkmalen der Texte selbst sowie mit Merkmalen ihres
Vorkommenskontexts. Dass dabei die Kriterien der Abgrenzung bloss vorläufige Gültigkeit haben werden, ist angesichts des Standes der Textsortenforschung nicht weiter verwunderlich. Deshalb lässt sich auch die Auswahl der beigezogenen Witzexeroplare nicht anhand eindeutiger Unterscheidungsmerkmale rechtfertigen. Wir sind darauf angewiesen, auf unser Vorverständnis zu vertrauen, und erst die Resultate der Untersuchung werden möglicherweise abklären helfen, ob es Regeln gibt, die in Zweifelsfällen die Einteilung beeinflussen können.
10
THEORETISCHE VORBEMERKUNGEN
Im Anschluss an den kurzen Ueberblick über die bisherige Witzforschung haben wir einige Gesichtspunkte erwähnt, die im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens Witz berücksichtigt werden sollten. Die Frage ist nun, welche Ansätze und Methoden der Sprachbeschreibung für unsere Zwecke am geeignetsten sind. Es sollen deshalb im folgenden einige dieser Ansätze kurz dargestellt werden. Selbstverständlich handelt es sich dabei nur um eine Ueberblicksskizze, denn Detailprobleme werden später noch ausführlich behandelt werden. Zwei Fragenkomplexe sind es, die den Hintergrund für die folgenden Ueberlegungen bilden: Die Frage, was für ein Bedeutungskonzept der Linguistik zugrundegelegt werden soll, und das Problem, was als konstitutive Grundeinheit der Sprache angesehen wird. Dass die diesbezüglichen Annahmen keineswegs belanglos sind, sondern eine ganze linguistische Theorie grundsätzlich prägen können, zeigt die gegenwärtige Diskussion innerhalb der verschiedenen linguistischen Forschungsrichtungen mit aller Deutlichkeit. Was unsere Untersuchung betrifft, gehen wir von vornherein davon aus, dass für eine einigentassen adäquate Witzbeschreibung nur Modelle in Frage können, welche erlauben, den Witz als eine komplexe Struktureinheit in einen Zusammenhang mit konntunikationstheoretischen Ueberlegungen zu bringen. Angesichts der Vielfalt gegenwärtig diskutierter und sich zum Teil konkurrenzierender Entwürfe linguistischer Modelle scheint es uns freilich unmöglich - und im Rahmen dieser Arbeit auch unnötig - auf alle die verschiedenen Ansätze einzugehen. Wir wollen uns deshalb darauf beschränken, die allgemeinsten Grundzüge und Merkmale jener Theorien zusammenzufassen, die sich unter die Begriffe Textlinguistik bzw. Texttheorie subsumieren lassen, und diesen einige - wie wir glauben - interessante Aspekte aus den Untersuchungen amerikanischer und englischer Sprachwissenschaftler gegenüberzustellen.
2.1
Das Konzept der Textlinguistik
2.1.1
Die Entwicklung der Textgranmatik
"Die Anfänge textlinguistischer Forschung sind gekennzeichnet durch eine bewusste Abwendung von der traditionellen Analyseeinheit, dem Satz. Entgegen den Feststellungen des Strukturalismus (Bloomfield, Lyons u.a.), dass der Satz eine selbständige, unabhängige und ausserdem die grösste Beschreibungseinheit für eine Granmatik sei, vertreten Textlinguisten die These, dass ihm diese Sonderstellung nicht zukonme. " (Kallmeyer u.a. 1974a : 90) "Der Text, verstanden als die grundsätzliche Möglichkeit des Vorkomens von Sprache in manifestierter Erscheinungsform [. . . ] bildet das originäre sprachliche Zeichen. " (Hartmann 1971 : 10) Solche Postulate lassen sich leicht verstehen aus der kritischen Situation, in welche die Satzgranmatiken (wie etwa die generative Transformationsgrammatik) bei der Analyse von Phänomenen wie Pronominalisierung, Paraphrase usw. geraten sind. Ausser in Idealfällen gelingt es den Satzgrartitiatiken nur durch Hilfskonstruktionen und verpönte ad-hoc-Regeln, solche Erscheinungen zu beschreiben. Dies führte zunächst zu den Entwürfen der Vertreter einer Textgraimatik , welche über der Satzebene eine unabhängige Textebene einführten, um Phänomene wie pronominale Verkettung etc. beschreiben zu können. Darüber hinaus sollte es im Rahmen der Textgranmatik möglich werden, Aspekte theoretisch zu erfassen, die auch der komplexesten Satzgrammatik unzugänglich sind: semantische Bedingungen des Textzusartmenhangs, Regulari täten von Textende und Textanfang, etc. Gesetze, die konstitutiv sind für rfos Zustandekommen verständlicher Sprache überhaupt. Die Etablierung des Texts als einer linguistischen Beschreibungsebene brachte mit sich das Problem einer Begründung der Textualität von Texten und 1
2
Im Abschnitt über die Entwicklung der Textgrammatik folgen wir den wesentlichsten Punkten der Diplomarbeit P. Portmanns, Teil A, Kap. I (Portmann 1973) Eine Zusammenstellung grammatischer und anderer Argumente für eine Textgrammatik geben Dressler 1971, Petöfi 1971, van Dijk 1972
12
deren Beschreibung mithilfe der verfügbaren Begriffe. Ausgehend von der Hypothese, dass Textstrukturen, wie andere komplexe sprachliche Strukturen auch, sich als Merkmalskcribinationen darstellen lassen sollten, hat man versucht, diese Morkmale in einer Faktorenanalyse zu fassen und damit eine Menge von gebräuchlichen Vertextungsmustern zu bestirnten.
Es handelt sich dabei um syn-
taktisch-semantische Merkmale, wie sie etwa R. Harweg in seinen Untersuchungen zur textreferentiellen Verknüpfung aufzeigt (Harweg 1968). Mit der Faktorenanalyse ist die grammatische Erfassung von Texten abgeschlossen; allerdings stellt sich hier die Frage, ob sich Textual itat einzig aufgrund von grammatischen Kriterien bestimmen lässt. Wohl könnte der Versuch unternommen werden, eine Textgrammatik aufzubauen, welche sich als rein innerlinguistische Sprachbeschreibung versteht und demgemäss Text nur mit syntaktisch-semantischen Merkmalen zu definieren versuchte. Indessen unterschlüge eine solche Bestimmung des Phänomens Text dessen wesentlichsten Aspekt, seine 4 Funktion im Gesprächskontext. Texte sind nämlich nicht 'irgendwie vorfindbare Objekte1, die es bloss strukturell zu erfassen gilt, sondern sie sind zu bestimmten Zwecken und in bestimmten Situationen produzierte Aeusserungen, deren Sinn und Struktur mitbestimmt sind durch diese Zwecke und Situationen;
sie
sind, m.a.W., 'kommunikative Zeichen1. Diesen Aspekt berücksichtigen die meisten neueren Versuche, Text zu definieren, auch wenn das vorläufige Ziel vieler Linguisten, wie etwa Petöfis, der Aufbau eines ko-textuellen (rein grantnatischen) Textnodells bleibt. So ist für Hartmann Text zwar eine "zweckgerecht geordnete Menge"; diese Ordnung aufzudecken ist Aufgabe der Linguistik. Nicht mehr linguistisch einzuholen ist aber die Festsetzung, nach der die Objekte der grammatischen Untersuchung bestimmt werden: mit Text "kann man alles bezeichnen, was an Sprache so vorkommt, dass es Sprache in kcmnunikativer oder wie immer sozialer, d.h. partnerbezogener Form ist", (Hartmann 1972 : 13) und: "Es geht um die möglichst vollständige Erfassung textinhärenter Strukturen, wobei Struktur als das gilt, was Vergleichbarkeit ermöglicht." (Hartmann 1972 : 12) Zur Faktorenanalyse vgl. H. Isenberg 1971, B. Sandig 1972, G. Brettschneider 1972 Zum Begriff Kontext vgl. H. Schnelle 1971
13
"Text ist eine nach der Intention des oder der Sender und Gnpfänger sprachlich abgeschlossene Spracheinheit, welche nach den Regeln der Grammatik der jeweils verwendeten Sprache gebildet ist." (Dressler 1971 : l, Anm. 2) Der in diesen Definitionen vorgenommene Rückgriff auf die Komnunikationssituation und die Intentionen der Sprecher ist mehr als eine nur zusätzliche, der Vollständigkeit der Darstellung halber getätigte Ausweitung des Bestimmungshorizontes. Das Moment der Situationsbezogenheit ist keineswegs nur iirmanente Funktion von Texten, von der eine grainratische Beschreibung auch absehen könnte ohne Beeinträchtigung ihrer Erklärungsadäquatheit, sondern es drückt sich in ihnen auch äusserlich aus: Mit zu den wichtigsten Mitteln der Vertextung gehören die Verwendung von Pronomina der ersten und zweiten Person zur Bezeichnung der Sprecher- und Hörerrollen, von deiktischen Ausdrücken, mit denen auf die übrigen Dimensionen des Zeigraums verwiesen wird, von Lexemen und Satzkonstruktionen, die illokutionäre Rollen bezeichnen, mit denen der Sprecher seine Situations- und Beziehungsdefinitionen ausdrücken kann. Schwierigkeiten für eine grantnatische Beschreibung solcher Elemente ergeben sich aus der Tatsache, dass ihr Auftreten nicht von rein innersprachlichen Faktoren abhängt. Sollte auf ihre Untersuchung verzichtet werden, so hiesse das, den Anspruch der Textgranmatik auf eine vollständige und adäquate Erfassung von Texten aufzugeben. Eine Ausweitung des Bereichs der linguistischen Beschreibung auf Texte und Elemente, die die aktuelle Sprechsituation reflektieren, bedeutet demgegenüber die Auflösung eben dieser Textgrammatik und den Aufbau eines neuen Modells, das mehr als nur grammatische Aspekte von Sprache erfasst. An diesem Punkt der Ueberlegungen wird die semiotische Disziplin, die sich mit der Situierung sprachlicher Ausdrücke in die Kontexte und Situationen ihrer Verwendung beschäftigt, die Pragmatik, zu einem Hauptproblem der Textgrammatik. Zum Zeigraum vgl. Bühler 1934 Zur Deixis vgl. Bühler; Wunderlich 1970} 1971 Zu illokutionären Rollen und Sprechakten vgl. Austin 1962; Searle 1969; Wunderlich 1972a; 1974 : 309ff. Der Gegenstandsbereich der Pragmatik wird z.B. von Stalnaker folgendermassen abgegrenzt: "Pragmatics is the study of linguistic acts and the contexts in which they are performed. There are two major types of problems to be solved within pragmatics: first, to define interesting types of
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Kennzeichen der Pragmatikauffassung, wie sie die Textgranrnatiker vertreten, ist die Ansicht, Situationseinflüsse liessen sich an einzelnen sprachlichen Elementen festmachen, Pragmatik sei demnach die Disziplin, die solche Ausdrücke zum Gegenstandsbereich habe - deiktische Wörter, performative Verben etc. - und die Bedingungen ihres Auftretens in Regeln fasse. Aus van Dijks Auseinandersetzung mit dem Problem lässt sich jedoch absehen, dass in Texten kaum etwas Relevantes auszumachen sein wird, das nicht abhängig ist vom Kontext und in ihm eine mehr oder weniger präzis angebbare Funktion erfüllt. Obwohl van Dijk die naheliegenden Konsequenzen nicht zieht - auch er beschränkt sich auf Kontexteigenschaften, die die Form einer Aeusserung vorhersagen lassen -, ist in seinen Ausführungen, durch die Berufung auf einen 'Kommunikationsakt1, in den der Text eingebettet wird, (van Dijk 1972 : 321f) der Uebergang zur Position der Texttheoretiker vorbereitet.
2.1.2
Die Texttheorie
Anders als die Textgrammatiker, die so weit wie möglich grammatisch argumentieren, verlangen die Vertreter einer Texttheorie die Begründung ihrer Disspeech acts and speech products; second, to characterize the features of the speech context which help determine which proposition is expressed by a given sentence. The analysis of illocutionary acts is an example of the second." (Stalnaker 1972 : 383} Bereits die Frage, ob die Referenzsemantik noch in den Bereich der Sprachwissenschaft fällt, hat zu Kontroversen unter den verschiedenen Autoren geführt. So verbannt U. Eco ausdrücklich die Verweissemantik aus dem Bereich semiotischer Wissenschaft: "Das Problem ist [. ..] die schädliche Auffassung von 'Bedeutung 1 (im fregeschen Sinn) aus jeder semiotischen Untersuchung kurz und bündig zu eliminieren." (Eco 1972 : 70) Zu ähnlichen Ansichten, wenn er sie auch nicht so dezidiert vertritt, neigt C. Cherry (1967 : 264ff) - Andere Autoren, wie etwa W. Dressler, versuchen das bisherige Modell der Linguistik zu modifizieren, indem sie die Möglichkeit der rein additiven Einführung einer Pragmatikkomponente überprüfen. Am weitesten von den 'Textgrammatikern 1 geht wohl van Dijk, der die Umrisse einer pragmatischen Theorie aufzeigt, die zusammen mit grammatischem Textmodell, Referenz- und Performanztheorie die generelle Beschreibung der Kompetenz eines idealen Sprecher/Hörers darstellen soll.
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ziplin auf der Grundlage einer Klärung der Funktion von Texten in Kcnmunikationsprozessen. In ihrer Kritik an der Textgrammatik äussert sich eine Differenz der theoretischen (semiotischen) Grundlagen, die sich direkt in einem dem textgranmatischen gegenüber veränderten Begriff von Pragmatik ausdrückt: Anstelle einer Pragmatik als Theorie der deiktischen Ausdrücke - oder einer erweiterten Theorie der situationsabhängigen Elemente überhaupt - tritt eine Sprachverwendungstheorie, deren zentraler Begriff der der Konmunikation ist. "Damit hat die Textlinguistik [...] nicht nur oberflächlich ihren Beobachtungsansatz erweitert, sondern auch mit einer Umorientierung ihrer Erkenntnisinteressen begonnen, die nun nicht mehr auf das Sprachsystem beschränkt werden, sondern sich auf den Gesamtkomplex sprachlicher Kommunikation als einer besonderen Art sozialer Interaktion richten." (Schmidt 1974b : 7) Den Ausgangspunkt für die Untersuchungen der Texttheoretiker bildet die Ueberlegung, "dass Sprechen ein besonderes Verhalten des Menschen darstellt." Es zeichnet sich dadurch aus, "dass es als eine zielgerichtete Tätigkeit betrachtet werden kann. Sprechen ist ein intentionales Verhalten", mit dem "ein subjektiver Sinn verbunden wird. Ein solches 'sinnvolles1 intentionales Verhalten", das "auf einen Partner bezogen" ist, "stellt eine Form sozialen Handelns dar." Und da es ein "Hervorbringen von Lauten [ist ...], die 'Bedeutung1 haben, mit denen also kommuniziert werden kann", wird es als "kommunikatives o Handeln (symbolische Interaktion)" bezeichnet. (Kallmeyer u.a. 1974a : 15) Die Begründung für diesen handlungstheoretischen Ansatz sieht S.J. Schmidt darin, dass das, "was dem Linguisten phänatienologisch primär gegeben ist, [...] die Tatsache der beobachtbaren sprachlichen Kommunikation Üst], und nicht etwa das Vorkamen von Wörtern, Sätzen oder Texten. Primär gegeben ist, dass Partner mittels Sprache in Kontakt treten, sich über etwas unterhalten, sich verstehen Die 'Texttheoretiker 1 lassen sich noch weniger als die 'Textgrammatiker' als Vertreter einer einheitlichen Richtung bezeichnen. Ein Uebergang zwischen den beiden Positionen lässt sich nicht scharf festlegen. Als Texttheoretiker könnten etwa gelten: D. Wunderlich, S.J. Schmidt, A. Leist, B. Sandig, G. Brettschneider, U. Maas, U. Oomen, W. Kallmeyer u . a . Zum Handlungsbegriff, der hier vorausgesetzt wird, vgl. Schmidt 1973 : 43, Anm. l
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oder missverstehen. Das geschieht nie in einem 'luftleeren Raum 1 , sondern stets in konkreten Situationen der verschiedensten Art, in Katitiunikationsge9 schichten oder 'kommunikativen Handlungsspielen'." (Schmidt 1973 : 13) Von diesen Voraussetzungen her ergibt sich für eine 'Texttheorie1 die Forschungsaufgabe, eine "explizite Theorie sprachlicher Kdnmunikation zu entwickeln." (Schmidt 1973 : 15) Eine solche Theorie hätte u.a. "die Bedingungen festzustellen, unter denen sich sprachliche Handlungen konstituieren und wie sie sich voneinander unterscheiden, welche Intentionen ihnen zugrunde liegen bzw. auf welches Ziel sie ausgerichtet sind." (Kalimeyer u.a. 1974 a : 16) Ein derart weitgespanntes Programm kann freilich im Augenblick bloss als Rahmenprogranm verstanden werden, so dass es als Nahziel vorläufig darum geht, "Modellskizzen der Interaktion von Texten, Kommunikationsakten und Kommunikationssituationen zu entwerfen, um das Faktorenschema eines idealisierten sprachlich-sozialen Kommunikationsmodells zu gewinnen." (Schmidt 1973 : 20) Der handlungstheoretische Ansatz der Texttheorie führt zu einer gegenüber der (Sprach-)System-Linguistik stark veränderten Auffassung der sprachlichen 'Bedeutung1. Bedeutung wird nicht mehr aufgefasst als zweistellige Relation zwischen einer sprachlichen 'Form1 und dem durch diese Form 'Bezeichneten1, sondern als 'Anweisung' an den Sprachteilnehmer, sich in bestimmter Weise auf sein Wissen und seine Wahrnehmung, d.h. auf "Geschichten1 innerhalb seines Wirklichkeitsmodells zu beziehen. Das sprachliche Zeichen wird als 'kommuni-
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Der Begriff kommunikatives Handlungsspiel wurde von Schmidt in Anlehnung an Wittgensteins Sprachspiel entwickelt. Vgl. Schmidt 1971b : 218ff. Zum Sprachspiel vgl. Wittgenstein 1971 : §§ 7 , 2 3 f f . Vgl. F. de Saussures Unterscheidung zwischen signifiant und signifie (Saussure 1916} 1967 : 136ff), die sich, zum Teil in modifizierter Form, in verschiedensten Zeichenmodellen wiederfindet. Zum Terminus Geschichte und dem Zusammenhang von Bedeutungsanweisung und Wirklichkeitsmodell vgl. Kallmeyer u.a. 1974 a : 138ff, sowie die Arbeiten von Schmidt (1969b, 1971b). Geschichte bezeichnet "den Fundierungsund Vorkommensrahmen für alles, was Gegenstand menschlicher Erfahrung sein kann", innerhalb des Wirklichkeitsmodells der Kommunikationspartner. (Kallmeyer u.a. 1974a : 140) "Gegeben sind nicht primär Dinge (Elemente), sondern Geschichten/Situationen, aus denen sich Elemente herausanalysieren lassen I...] Geschichten geben zugleich den Rahmen ab für das Auftreten
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katives Signal1 verstanden. "In der Komtiunikation gibt der Sprecher dem Hörer Anweisungen, bestirnttte Operationen auszuführen (nämlich Bezüge herzustellen). [...] Die verwendeten kommunikativen Signale haben dabei die Funktion von Anweisungsträgern." (Kallmsyer u.a. 1974a : 44. Hervorhebung weggelassen) Von daher erhält die besondere Stellung, welche die Einheit Text im Rahmen der Texttheorie einnirmt, ihre Rechtfertigung: Eigentliche Handlungsanweisungen können nur in Form von Texten gegeben werden. "Ein Text kann, so gesehen, aufgefasst werden als eine geordnete Menge von Anweisungen an Kommunikationspartner. [...] In kommunikativen Handlungsspielen realisieren Kommunikationspartner die Anweisungsmenge eines Textes, d.h. seine Bedeutung. Ein isolierter Text hat keine Bedeutung, er bekommt vielmehr solche in kommunikativen Handlungsspielen." (Schmidt 1973 : 76. Hervorhebungen z.T. weggelassen) S.J. Schmidt unterscheidet drei verschiedene theoretische Ebenen von Anweisung: "Referenz benennt die Anweisung von Textkonstituenten an Kommunikationspartner, sich auf aussertextliche Elemente der Konmunikationssituation und des in ihr geltenden Wirklichkeitsmodells zu beziehen; Relation benennt die Anweisung von Textkonstituenten, diese selbst auf andere sprachliche Konstituenten des Kontextes zu beziehen; Konsequenz schliesslich benennt die intendierten Folgehandlungen, die ein Sprecher mit der Verwendung von Textkonstituenten erzielen will (= die Perlokutionseffekte)." (Schmidt 1973 : 76. Hervorhebungen z.T. weggelassen) Die Unterscheidung der drei Anweisungsebenen "ist als eine heuristische zu verstehen. M.a.W. es handelt sich bei diesen Ebenen um unterschiedliche, von jeweiligen Relevanzgesichtspunkten abhängige Beschreibungsebenen und nicht etwa um selegierbare Teilphänomene (Teilebenen) eines Textes." (Kallmeyer u.a. 1974a : 97. Hervorhebungen weggelassen) Der erwähnte Hinweis, ein isolierter Text habe keine Bedeutung, meint freilich nicht, dass Texte durch ihre Einbettung in eine bestimmte Konmunikationssituation eine völlig beliebige Bedeutung erhalten können. Eine solche
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von Dingen wie für die Bedeutungsverleihung an Dinge." (Schmidt 1969b : 56) Betont werden muss ferner, dass die Bedeutungsanweisung vom Empfänger die Ausführung einer Handlung, z.B. Referenzakt etc., verlangt. Kallmeyer u . a . verwenden statt dem Begriff Relation von Schmidt den Terminus Konnexion . Wir werden uns im folgenden dieser Terminologie anschliessen.
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Auffassung vermöchte rfoa Faktum der Verständigung mittels Sprache in verschiedensten Situationen schwerlich zu erklären, ebensowenig wie die Tatsache, dass sich bestirnnte Interaktionsformen überhaupt erst durch sprachliche Kommunikation konstituieren. Deshalb unterscheidet die Texttheorie zwischen 'virtu1 eller und 'aktueller' Bedeutung einzelner Textkonstituenten, z.B. von Lexemen. 14 Damit ist - bezogen auf das Beispiel Lexem - folgendes gemeint: Zunächst gilt im Rahmen der Texttheorie, dass ein Lexem als Handlungsschema aufgefasst werden muss. Als solches kann es je nach Art seiner Verknüpfung mit dem Kontext verschiedene Handlungsanweisungen repräsentieren. Seine Verwendungsmöglichkeiten sind jedoch durch den Sprachgebrauch sozial normiert, d.h. es kann nur in bestinntten, mehr oder weniger typischen, Konmunikationszusammenhängen ('kommunikativen Handlungsspielen1) verwendet werden. Die Möglichkeiten seiner Verwendung determinieren demnach das Referenz-, Kbnnexions- und Konsequenzpotential, seine potentielle Anweisungsleistung, m.a.W. die virtuelle Bedeutung. "Die virtuelle (lexikalische) Bedeutung eines Lexems lässt sich
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Vgl. F.v. Kutscheras Diskussion von Wittgensteins Sprachspiel (Kutschera 1971 : 2 2 4 ) : Man darf "die Redeweise von den Sprachspielen nicht zu wörtlich nehmen. Denn zunächst kann man nicht übersehen, dass wir in allen Handlungskontexten die gleiche Sprache verwenden, nicht aber verschiedene Sprachen. D.h. aber, dass die Sprachfonnen und Wörter in gewissen Grenzen invariant sind gegenüber den verschiedenen Kontexten ihrer Verwendung und dass ihre Bedeutungen nicht einfachhin von Anwendungsfall zu Anwendungsfall verschieden sind, sondern in etwa konstant bleiben." Vgl. J. Habermas 1971a. Textkonstituenten in diesem Sinn sind alle anweisungstragenden Einheiten. Die Frage ist, ob Phoneme, die aufgrund ihrer distinktiven Funktion bestimmt werden, auch dazu zu zählen sind. Kalimeyer u.a. scheinen dies auszuschliessen, wenn sie das Morphem als 'kleinste anweisungstragende Einheit 1 bezeichnen. (1974 a : 84) Schmidt erwähnt nur 'Lexem' und 'Satz' als Textkonstituenten, ohne allerdings andere Einheiten explizit auszuklammern. (Schmidt 1973 : 85f) Eine solche Sonderstellung des Phonems dürfte sich zumindest für suprasegmentale Phoneme, die der Kennzeichnung von illokutionären Rollen dienen, als problematisch erweisen. Wir werden weiter unten (Abschnitt 2.2 : Tagmemik-Theorie) auf diese Frage zurückkommen. Vgl. W. Kamlah/P. Lorenzen 1967 : 58ff, und S.J. Schmidt 1969a : 67 Die virtuelle Bedeutung von Lexemen wird formuliert als ihre Gebrauchsbedingungen. "Nach den Gebrauchsbedingungen eines Wortes zu fragen heisst,
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definieren als die Summe/das Integral seiner aktuellen Bedeutungen und - entsprechend - jede seiner aktuellen (textuellen) Bedeutungen als eine spezielle koitinunikative Nutzbarmachung seiner Virtualität." (Kallmeyer u.a. 1974a : 129)17 Mit der Unterscheidung von lexikalischer und textueller Bedeutung schafft sich die Texttheorie die Möglichkeit, die Untersuchungsergebnisse der traditionellen (strukturalistischen) Semantik für sich fruchtbar zu machen, allerdings in verändertem theoretischem Kontext. Lexikalische Bedeutung, oder nach Schmidt kanonische Instruktion bezeichnet "die linguistische Hypothese über den Inhalt der Anweisung eines isolierten Textkonstituens, die als ein geordnetes Bündel semantischer Merkmale (verschiedener Typen) beschrieben wird. Diese Merkmale haben den Status von sozial rekurrenten, für typische kamtunikative Handlungsspiele erwarteten Gebrauchskriterien eines Textkonstituens. \Iextue11e Bedeutung oder] situative Instruktion bezeichnet die faktischen Instruktionsleistungen eines Ausdrucks in tatsächlichen konmunikativen Handlungsspielen. " (Schmidt 1973 : 85) "Kanonische Instruktionen sind Abstraktionsbildungen [...] über den sozial erwartbaren, also statistisch rekurrenten Gebrauchsgeschichten eines Ausdrucks in typischen kcranunikativen Handlungsspielen. (Die Linguistik als str-ufetu^erforschende Disziplin kann nur kanonische Instruktionen und daraus abgeleitete projektive Modelle situativer Instruktionen beschreiben bzw. konstruieren.)" (Schmidt 1973 : 86) Zusammenfassend wollen wir vorläufig festhalten: (1) Nach Ansicht der Texttheoretiker kommen Lexeme primär als Textkonstituenten vor und erhalten deshalb ihre volle Bedeutungsleistung erst im Verwendungszusanmenhang. (2) Als "isolierte Wörter lhaben sie] eine bedeutungsvolle Existenz nur dadurch [—], dass sie [...] auch in isolierter Stellung implizit irgendwelche Verweise auf vorhergegangene oder mögliche Verwendung mit sich führen müssen (bzw. auf eine ent-
nach seinen Vertextungsbedingungen zu fragen." (Kallmeyer u.a. 1974 a : 115) Vgl. auch Wittgenstein 1971 : § 43, sowie Leisi 1953; 1971 : 2 0 f f , und 1973 : 36ff. 17
Zur Diskussion der Zirkelhaftigkeit einer solchen Definition vgl. Kallmeyer u.a. 1974a : 129ff.
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sprechende Erinnerungsfähigkeit der Sprecher angewiesen sind) oder ein Verweisungselement auf ihre Syntagierbarkeit benötigen." Auch das isolierte Wort "bringt einen Grundbestand (statistischen Mittelwert) von Information aus der Fülle von Verwendungssituationen in die isolierte Stellung mit ein." (Schmidt 1969b : 92) 18 Dazu kommt (3), dass im Rahmen der Texttheorie Abstraktionen wie semantische Merkmale etc. als solche reflektiert werden. Immer wieder wird betont, dass solche Konstrukte bloss dann eingeführt werden, wenn die Analyse von beobachtbaren Oberflächenelementen nicht mehr ausreicht, um die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Einheiten und ihrer Funktion bzw. Bedeutung zu beschreiben. "Konstrukte sind als solche nicht beobachtbare hypothetische Hilfskonstruktionen; mit ihrer Hilfe sollen systematische und ihrerseits operationalisierbare Zusammenhänge beschrieben werden." (Kallmeyer u.a, 1974a : 89) Ihre Einführung hat also "heuristischen Wert, der nur im Zusammenhang konkreter Forschungsprobleme beurteilt werden kann." (Schmidt 1973 : 71) 18
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Diese Darstellung darf nicht dazu verführen, die texttheoretische Position als Neuauflage der traditionellen zeichentheoretischen Auffassung zu missverstehen. Wie W. Kallmeyer u.a. in ihrer Auseinandersetzung mit der 'Wortsemantik 1 (H. Brekle u . a . ) darlegen, sind Wörter keine Zeichen im Sinne des Zeichenmodells von Ogden-Richards (1923), denn sie "lassen sich referentiell auf eine Vielzahl von aussersprachlichen Objekten oder Sachverhalten beziehen, die begrifflich nichts miteinander zu tun zu haben brauchen." (Kallmeyer u.a. 1974a : 103ff, Zitat S. 113) Zum Zeichenmodell vgl. Schmidt 1969 : l l f f . Schmidt verweist in seiner Diskussion über den Status semantischer Merkmale darauf, dass ein zu erarbeitendes hierarchisch geordnetes System semantischer Merkmale als ein "Modell der Informationscodierung und Informationsstruktur i erung einer Sprechergemeinschaft, als ein Modell der kategorialen Gliederung besprechbarer/besprochener Inhalte interpretiert" werden könnte. "Erst dieses Modell könnte dann in seiner Gesamtheit daraufhin untersucht werden, welche seiner Faktoren als kognitive Dispositionen [vgl. z.B. J.J. Katz 1966], welche als begriffliche Verallgemeinerungen der für eine Sozio-Kultur relevanten Aspekte der Erfahrungsdeutung und welche als situationsspezifische Akzidentien interpretiert werden können." (Schmidt 1973 : 69. Zur Entstehung semantischer Merkmale vgl. S. 8 4 ) .
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Mit der Darstellung des Konzepts Bedeutung - (Handlungs-)Anweisung haben wir den Beitrag der Texttheorie zu unserem ersten Grundproblem - Welches Bedeutungskonzept muss einer Sprachbeschreibung zugrundegelegt werden, damit ein Phänomen wie der Witz beschrieben werden kann? - zu explizieren versucht. Die Antwort der Texttheorie auf unsere zweite Grundfrage - Was ist als sprachliche Grundeinheit anzusehen? - erhält von daher einen neuen Akzent. Wie bereits erwähnt, ist nach Ansicht der Texttheoretiker einzig der Text ein vollständiges kommunikatives Signal mit entsprechenden Handlungsanweisungen. Damit nun aber der Tatsache Rechnung getragen werden kann, dass komplette Handlungsanweisungen auch mithilfe bloss eines einzigen Lexems oder gar noch kleinerer Einheiten gegeben werden können, muss Text als kcmmunikative Einheit unabhängig von seiner sprachlichen Realisationsform definiert werden. Zu diesem Zweck führt S.J. Schmidt den Begriff der Textualität ein, der "die Bezeichnung für eine zweiseitige Struktur [sein soll], eine Struktur, die sowohl unter sprachlichen als auch unter sozialen Aspekten betrachtet werden muss." (Schmidt 1973 : 144) Text dagegen bezeichnet die "jeweilige konkrete Realisierung der Struktur Textualität in einem bestimmten Konmunikationsmedium." (Schmidt 1973 : 145) "Ein Text ist jeder geäusserte sprachliche Bestandteil eines Konnrunikationsaktes in einem kommunikativen Handlungsspiel, der thematisch orientiert ist und eine erkennbare kommunikative Funktion erfüllt [...]." (Schmidt 1973 : 150) Diese Definition enthält also keinen Hinweis darauf, dass nur Redeteile von bestinntter syntagmatischer Struktur als Texte auftreten könnten. "Vom Gesichtspunkt des Kommunikationsaktes aus erscheint [jedoch] der Satz als die vom Sprachsystem als komplexeste Einkeit [...] bereitgestellte Ebene der Aktualisierung der Textualität [...] Satzformen sind die kleinsten Rahmeneinheiten, in denen Konstituenten des Sprachsystems [...] mit kommunikativer Relevanz 1...] kombiniert werden können. Einwortsätze bilden dabei keine Ausnahme, hier wird man mit Null-Stellen in komnunikativ relevanten Satzformen argumentieren können." (Schmidt 1973 : 151) Zum Abschluss unseres kurzen üeberblicks über zwei zentrale Fragen der Textlinguistik noch folgende Bemerkung: Mit ihrem handlungstheoretisch orientierten Bedeutungskonzept liefert uns die Texttheorie einen entscheidenden An-
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satz für die Beschreiblang der kommunikativen Einheit Text. Indessen nüssen wir, um unser Ziel einer Darstellung der Textsorte Witz zu erreichen, den Witztext als sprachlichen Bestandteil eines Kannunikationsmusters möglichst genau auf die Korrelation von Interaktionsform und Textstruktur hin untersuchen. Zu diesem Zweck benötigen wir einen Beschreibungsrahmen, der die erforderlichen strukturellen Kategorien für die Beschreibung des Interaktionsmusters und seines sprachlichen Korrelats zur Verfügung stellt. Die Grundzüge einer solchen strukturellen Theorie finden wir bei K.L. Pike, dessen umfangreichem Entwurf wir uns im folgenden zuwenden.
2.2
Kenneth L. Pike's Tagmemik-Theorie
Innerhalb des amerikanischen Distributionalismus finden sich imner wieder "Ueberlegungen dahingehend, dass die Linguistik recht eigentlich Verhalten, habits, beschreibt, d.h. sozial verbindliche Sprechgewohnheiten, die sich als Verteilungsregularitäten in den Aeusserungen fassen lassen." (Heeschen 1972 : 97) Ausgehend von diesem Grundgedanken hat Kenneth L. Pike in seinem umfangreichen Werk "Language in Relation to a Unified Theory of the Structure of Human Behavior" die Grundzüge einer einheitlichen Theorie entworfen, welche strukturelle Kategorien für die Analyse und Beschreibung von sprachlichem und nichtsprachlichem Verhalten entwickelt. (Pike 1959; 1967) Pike's Ausgangspunkt bildet die Feststellung, dass sprachliches und nichtsprachliches Verhalten ein einheitliches Ganzes darstellen und dass sie sich zudem strukturell so ähnlich sind, "dass bei manchen Gelegenheiten einige ihrer Teile gegeneinander austauschbar sind." 21 Er kortntt deshalb zum Schluss, "(1) dass man eine Theorie 20 21
Voraussetzung ist hier, dass Interaktion und Vertextungsmuster als analog strukturierte Systeme aufgefasst werden} vgl. U. Oomen (1972; 1974 : 53f) Zitiert nach Schmidt 1974b : 29 (Pike 1959; 1967 : 30) - Für den Sammelband Pragmatik I wurde ein kleiner Teil von Pike's Buch(Auszüge aus Kapitel l und Kapitel 17) von J. Nieraad übersetzt und mit einem einleitenden Kommentar versehen. (Schmidt (Hrsg.) 1974b : 21 - 51) Passagen aus diesen Auszügen zitieren wir in der Uebersetzung, geben aber die Stelle im Original zusätzlich an.
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benötigt, die nicht diskontinuierlich ist und die nicht zu einem scharfen Bruch führt, wenn man von der Beschreibung sprachlicher Aktivitäten zu Beschreibungen nichtsprachlicher Aktivitäten übergeht. Erforderlich sind eine einheitliche Theorie, eine einheitliche Menge von Bezeichnungen und eine einheitliche Methode, die von jeder Art komplexer menschlicher Aktivität einschliesslich ihrer verschiedenen Sub-Typen ausgehen und diese ohne scharfe theoretische oder methodologische Diskontinuitäten analysieren kann. Es wird gefolgert, (2) dass Sprache Verhalten ist,
d.h. eine Phase mensch-
licher Aktivität, die grundsätzlich nicht als strukturell verschieden von der Struktur nichtsprachlicher menschlicher Aktivität behandelt werden darf." (Schmidt 1974b : 25; Pike 1959; 1967 : 26) Die geforderte einheitliche Methode besteht darin, dass das Verhalten auf eine hierarchische Struktur hin untersucht wird. Verhaltenseinheiten werden aufgefasst als hierarchisch strukturierte Ganzheiten, die sich segmentieren lassen und die zudem selbst als vollständige, abgrenzbare Segmente in übergeordnete Einheiten eingebettet sein können. Pike erläutert dies am Beispiel eines Fussballspiels: Man kann den eigentlichen Spielverlauf vom Anfangs- bis zum Schlusspfiff des Schiedsrichters als eine selbständige Verhaltenseinheit herausgreifen und untersuchen. Dies ist z.B. dann sinnvoll, wenn einem Aussenstehenden die Spielregeln erklärt werden sollen. Zu diesem Zweck wird der Spielverlauf analysiert, d.h. in einzelne Segmente zerlegt, damit die einzelnen Strukturelemente erkennbar werden. Erst wenn der Zuhörer merkt, dass sich gewisse Verhaltenssegmente laufend wiederholen, wird er imstande sein, sie zu identifizieren. Er wird erkennen, dass sich das vermeintlich unstrukturierte Ganze in einzelne, mehr oder weniger selbständige Untereinheiten aufteilt, welche im Rahmen des ganzen Spiels eine gewisse eigenständige Funktion bzw. Bedeutung haben. Zugleich wird aber auch sichtbar, dass sich ihre vollständige Bedeutung erst vom gesamten Spielzusattr menhang her erklären lässt. So ist ein Strafstoss z.B. eine deutlich abgrenzbare Sequenz mit einer eigenen Bedeutung. Vollständig beschrieben werden kann diese aber nur, wenn man das dem ganzen Spiel zugrundeliegende Streben der Mannschaften nach dem Sieg u.a. mitberücksichtigt. Selbst die Bedeutung einer scheinbar abgeschlossenen und eigenständigen Verhaltenseinheit wie ein Fussball-
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spiel lässt sich nicht allein aus einer isolierenden Betrachtung erschliessen: Erst aufgrund ihrer Einbettung in grössere Einheiten wie etwa eine regionale Fussballmeisterschaft könnte z.B. erklärt werden, warum eine Mannschaft nicht auf Sieg, sondern auf Unentschieden spielt: aus taktischen Gründen, um sich den Meisterschaftsgewinn zu sichern. Zwei Merkmale der Methode Pikes werden an diesem Beispiel ersichtlich: Erstens wird hervorgehoben, dass für eine Bedeutungsanalyse die Funktion eines Strukturelements innerhalb übergeordneter Einheiten eine wichtige Rolle spielt. Zweitens kann jede Verhaltenseinheit (behawioreme) in mehrfacher Hinsicht untersucht werden: Einerseits als selbständiges, in sich abgeschlossenes Element auf inhärente Merkmale hin, andererseits als Bestandteil einer umfassenderen Struktur auf seine Funktion hin. Ausschlaggebend für die Wahl der Segmentierungsebene ist der Fokus, der an das Untersuchungsobjekt angelegt wird. Nun stellt sich die Frage, wie eine Verhaltenseinheit abgegrenzt werden kann. Pike erwähnt zwei Kriterien: Kulturell begründbare Abgrenzbarkeit und Absicht. "The term behavioreme [... ] be used to label an emic unit of top-focus behavior which is related to its cultural setting in such a way that cultural documentation may be found for its beginning, ending, and purposive elements." "The threshold for minimum behavioremes must not be allowed to go lower [...] than can be culturally, objectively documented as having closure and as being pur22 posive." (Pike 1959; 1967 : 121, 129. Hervorhebung weggelassen) Die Zitate
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Die "kulturelle, objektive Begründung" von Verhaltenseinheiten stellt ein Problem dar, welches Pike wie folgt zu lösen versucht: "Es erweist sich als nützlich - wenngleich teilweise willkürlich -, Verhalten unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten zu beschreiben, die zu Ergebnissen führen, die aneinander anschliessen. Der etische Ansatz nimmt bei der Untersuchung von Verhalten einen Standpunkt ein, der ausserhalb eines besonderen Verhaltenssystems liegt und einen wesentlichen anfänglichen Zugang zu einem fremden Verhaltenssystem ermöglicht. Der emische Ansatz untersucht Verhalten von einem Standpunkt innerhalb des Systems." (Schmidt 1974b : 31; Pike 1959; 1967 : 37) Pike unterscheidet also zwischen einer "kultur-übergreifenden, systemexternen" und einer "kultur-spezifischen, system-internen" Betrachtungsweise. Der system-externe, etische Ansatz wird im Idealfall· vollständig vom system-internen, emischen ersetzt, d.h. der analysierende Forscher ist
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weisen daraufhin, dass es für eine selbständige Verhaltenseinheit wohl eine untere (minimum lehaviorame), jedoch keine obere Grenze gibt. Was als Einheit höheren Grades gilt, wird mit dem Begriff hyperbehavioreme bezeichnet. Für sprachliche Verhaltenseinheiten gelten analoge Bestimmungen: Ein Satz stellt eine minimale Aeusserungseinheit (minimum uttereme), eine Unterhaltung eine Hyper-Aeusserungseinheit (hypsr-uttepemc)
dar. Die Sonderstellung
des Satzes ist hier wohl ähnlich zu verstehen wie bei S.J. Schmidt: Es geht nicht etwa um eine bestimmte Oberflächenstruktur, sondern um eine Organisationsstruktur, die jeder Realisierung einer vollständigen minimalen Aeusserung zugrundeliegt. "Minimum, in the sense used here, refers to the presence of a single set of obligatory parts in the emic structure, and not to the particular length of its variants." (Pike 1959; 1967 : 131)
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Auch unterhalb der Satzebene sind weitere Segmentierungen möglich, doch sind die kleineren Segmente nicht mehr Einheiten, die unter Umständen auch isoliert auftreten können, sondern sie sind notwendig in übergeordnete Strukturen eingebettet. Hier trifft sich die Analyse Pikes mit den Untersuchungen englischer Autoren wie M.A.K. Halliday, A. Mclntosh u.a., die im Anschluss an die Ueberlegungen J.R. Firths eine Art 'Schichtentheorie1 der Sprache ent24 worfen haben. "The five typical levels of grammar are the sentence, clause, phrase, word, and morpheme levels. These correspond to the sentence, clause, group, word, and morpheme levels of M.A.K. Halliday's scale-and-category grammar." (Cook 1969 : 30) Zu betonen ist,
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dass jede dieser niedrigeren Ein-
nicht mehr ein ausserhalb des Systems stehender Beobachter, der möglicherweise mit system-fremden, unangebrachten Kategorien operiert, sondern er ist selber Teilnehmer (participant) an den zu beschreibenden Vorgängen, die er nun vom System selbst her analysiert. "Charakteristika des emischen Ansatzes sind deshalb Entwicklung interner, d.h. an der jeweiligen Kultur orientierter und aus deren Kenntnis resultierender Beschreibungskategorien, Bezug auf Distribution und Funktion von Einheiten im System." (Anm. J. Nieraads in Schmidt 1974b : 32) Wir werden im folgenden eine emische Betrachtunsweise simulieren, im Bewusstsein, dass es sich hierbei um eine in der Praxis nicht erreichbare Idealbeschreibung handelt. (Vgl. Pike 1959; 1967 : 38f) Zum Begriff Oberflächenstruktur vgl. N. Chomsky 1965. Vgl. auch Anm. 27 Vgl. J.R. Firth 1951, M.A.K. Halliday 1961, A. McIntosh/M.A.K. Halliday 1966, Ch. Bazell a.o. 1966; vgl. auch Dixon 1965 : 91ff.
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heiten ebenfalls als Verhaltenseinheit anzusehen ist und damit die Bedingungen der Abgrenzbarkeit und der Funktionalität genauso erfüllen mass wie die übergeordneten Einheiten. Es gibt also keinen prinzipiellen Unterschied, womit ein bruchloser Uebergang der Analyse gewährleistet ist. Der Funktionalität einer Verhaltenseinheit kommt, wie bereits erwähnt, in der Pike'sehen Analyse eine entscheidende Bedeutung zu. Sie ist wesentliches Kriterium für die Identifikation eines Segments und zugleich ein wichtiges strukturbildendes Element überhaupt. "Pike considers that the function of a unit in a higher structure is more important than the way it is itself structured [...]." (Dixon 1965 : 103, Anm. 436) Eine Verhaltenseinheit enthält - abstrakt gesehen - eine Menge funktionaler Leerstellen (functional
slots) ,
die durch Klassen geeigneter verbaler und nicht-verbaler Aktivitäten (fillerclasses) gefüllt werden. Die Füllerklassen stellen ihrerseits Verhaltenseinheiten oder Ganzheiten auf niedrigerer Ebene dar, mit entsprechenden Leerstellen und Füllerklassen. Diese Beziehung zwischen Leerstellen und Füllerklassen (slot-olass-Qovrelation) konstituiert die zentralen Strukturelemente 25 jeder Verhaltenseinheit, die Tagmeme. "The basic unit of grammar must be a correlation of function and form, the correlation of a grammatical function or slot with the list of mutually substitutable fillers that fill that slot. This unit was labeled the tagmeme [...] and posited as the fundamental unit of grammatical arrangement [...]. The tagmeme unit is a slot-class correlative. The functional slot gives the grammatical relation, the filler class gives the grammatical categories involved, but neither exists without the ?fi other." (Cook 1969 : 7) Die in diesem Zitat erwähnte Korrelation von Funk-
25
26
Der Terminus Tagwem stammt ursprünglich von Bloomfield und bezeichnet dort "the smallest meaningful units of grammatical form." (Bloomfield 1933, zit. nach der britischen Ausgabe 1935; 1969 : 166) Pike verwendet ihn in anderem Sinn} zur Differenz vgl. Pike 1959 f 1967 : 286ff, 490ff. Vgl. Pike's "Expanded Definition: A motifemic-slot-class-correlative [...] is a minimum, active, trimodally- structured emic segment or component of human activity within the pyramided hierarchy of the distribution mode of a minimum or included behavioreme or hyperbehavioreme; it is characterized by an emic slot correlated with a morpheme class [...]; it is manifested by free or conditioned [...] variants through the manifested variants of
27
tion land Form weist auf eine spezifische Eigenart der Pike'sehen Analyse hin: Einzelne Elemente von Verhaltenseinheiten können sich ihrer Manifestationsform nach unterscheiden, obwohl den verschiedenen Einheiten dieselbe grundlegende Struktur zuzuschreiben ist. Ausschlaggebend für die konstitutierende Struktur einer besonderen Verhaltenseinheit ist die Anordnung der Funktionselanente, die dann an der Oberfläche durch verschiedene fillers repräsentiert werden können. Es wird hier also eine Unterscheidung gemacht zwischen grundlegenden (graimatischen u.a.) Funktionsbeziehungen und ihrer Oberflächenrepräsentation, eine Unterscheidung, die der Differenzierung von Oberflächen- und Tiefenstruktur in der Transformationsgrammatik ähnlich ( I ) ist. 27 Pike geht davon aus, dass jede emische Einheit auf jeder möglichen Segmentierungsebene drei komplexe Komponenten aufweist, die er Modus (mode) nennt: den Merkmalsmodus (feature-mode), den Manifestationsmodus (manifestation-mode) und den Distributionsmodus (distribution-mode). "The feature mode of an emic unit of activity will in general be viewed as composed of simultaneously occurring identificational-contrastive components. [...] The manifestation mode
27
its manifesting emic motifs or classes of emic motifs, and it occurs within a triinodally- and hierarchically-structured system of motifemic-slotclass-correlatives and within a system of behavioremes, and hence within a structured physical setting. Some motifemic-slot-class-correlatives have a recognizable structural meaning or structural purpose as one of their characteristics. A verbal motifemic-slot-class-correlative is a TAGMEME." (Pike 1959; 1967 : 194f) Diese Bemerkung darf nicht missverstanden werden. Pike unterscheidet nicht zwischen Oberflächenstruktur und (syntaktischer) Tiefenstruktur wie etwa Chomsky 1965. Er analysiert grundsätzlich die konkreten Realisate sprachlichen und nichtsprachlichen Verhaltens, d.h. also Oberflächenrepräsentationen. Doch geht er davon aus, dass jeder solchen Repräsentation eine abstrakte Slot-Struktur entspricht. Ein Tagmem ist dann jene Einheit, welche durch die Beziehung zwischen Slot und Filier und damit (indirekt über den Slot) durch ihre funktionale Relation zu den übrigen Elementen definiert wird. Ein Tagmem ist kein Konstrukt: "Nevertheless, the tagmeme is treated as an objective emic unit occurring within normal participant behavior - not a mere conceptual construct of the linguist (but c f . tagmemic slot [...] ) - because of its function and structural relation to the uttereme." (Pike 1959; 1967 : 203)
28
of an emic unit of activity will often be viewed as composed of nonsimultaneously occurring physical variants (or nonsimultaneous components). [...] The distribution mode of an emic unit of activity will be seen as composed of relational components, including its class membership and its function in a slot of a hierarchically-ordered larger construction (its external distribution) 9R
[...]." (Pike 1959; 1967 : 85) Der Merkmalsmodus einer emischen Einheit bezieht sich also "auf deren kontrastiv-identifikatorische Komponenten; der Manifestationsmodus auf deren freie, bedingte oder komplexe Varianten: der Distributionsmodus auf deren Vorkommen in funktionalen Leerstellen und als Mitglieder entsprechender Füllerklassen." (Nieraad 1974 : 21) Diese Komponentenanalyse macht es, zusammen mit der Segmentierung auf verschiedenen Ebenen, möglich, eine Verhaltenseinheit sowohl auf ihre Manifestationsform, wie auch auf ihre zugrundeliegende Organisationsstruktur (Anordnung funktionaler Leerstellen etc.) hin zu untersuchen. Bezogen auf die Darstellung der minimalen Verhaltenseinheit (minimum bekavioreme) und der minimalen Aeusserungseinheit (minimwn uttereine) nach der Konponentenanalyse lässt sich folgende Matrix entwickeln: (Nieraad 1974 : 22) Miniwale Einheit nach von Merkmal -Modus
Behaviorerne
t/t tereme
emisches Motiv "emic motif", "motifeme"
Morphem "morpheme " vs . "etic morph "
Distributions-M.
Manifest. -Modus
motifernisches LeerstellenFüll er-Korrela tiv "motif emicslot-classcorrelative"
Tagmen
Akten?
Phonem "phoneme" vs. "etic phone "
"acteme"
28
"tagmeme" vs. "etic tagma "
Pike's Definition des distribution mode umfasst neben der external distribution auch noch die internal distribution einer emischen Einheit, womit ihre internal segmentation gemeint ist. In Pike 1959; 1967 : 85, Anm. 4 erwähnt er dazu folgendes: "This term [internal distribution] has not ap-
29
Bemerkenswert ist,
dass jede Einheit nach den drei Modi dargestellt werden kann,
also auch die Einheiten Morphem, Tagmem, Phonem bzw. die nicht-minimalen Einheiten Hyper-Utterem, Hyper-Morphem, Hyper-Tagmem etc. Es wird also in der tagmemischen Analyse jede sprachliche Einheit (vom Phonem bis zur kompletten Unterhaltung) nach grundsätzlich den gleichen Prinzipien untersucht: - auf ihre Realisationsform hin (Manifestationsmodus) - auf ihre inhärenten (Bedeutungs- und Struktur-) Merkmale hin (Merkmalsmodus) - auf ihre Einbettung in übergeordnete Einheiten, d.h. auf ihre Funktion bzw. funktioneile Bedeutung hin (Distributionsmodus). Daraus geht hervor, dass auch Pike darauf verzichtet, irgendeiner Oberflächeneinheit einen Sonderstatus zuzuschreiben. (Zur Stellung des Satzes vgl. oben.) Was das Bedeutungskonzept der Tagmemik-Theorie anbelangt, haben wir bereits darauf verwiesen, dass der Funktion eines Elements innerhalb des behavioralen Rahmens eine hervorragende Rolle zukommt. D.h., dass ein wesentlicher Bestandteil jeder Bedeutungsuntersuchung in der Analyse des Distributionsmodus und damit in der Darstellung von Tagmemen bzw. Hypertagmemen besteht. Im übrigen geht auch Pike davon aus, dass Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem Kommunikationsvorgang untersucht werden kann. "Meaning, in this view, would have reference to the activity of the communicating individuals." (Pike 1959; 1967 : 598) Miteinbezogen wird dabei nicht nur das absichtsvolle Verhalten des Sprechers, sondern auch das Antwortverhalten des Hörers. "The various components of this communicating situation of eliciting activity and responding activity, of intention and of understanding, constitute the social components of language meaning." (Pike 1959; 1967 : 598)
peared frequently in recent tagmemic writings. The included sequence of tagmemes characterizing a construction has by Crawford [...] been referred to the feature mode. I am attempting to follow him in this, but the implications are not yet clear enough to allow full revision here." Für unsere Darstellung folgen wir diesem Aenderungsvorschlag und fassen demnach die innere Tagmem-Struktur einer Einheit als inhärentes Merkmal des betreffenden Morphems/Hypermorphems auf. Die Gründe für diese Abweichung von Pike werden wir später erörtern.
30
Innerhalb dieses komnunikativen (behavioralen) Rahmens lassen sich die verschiedensten Teilaspekte von Bedeutungen unterscheiden, die gegenseitig voneinander abhängig sind. "Meaning has its locus not in the individual bits and pieces of the total structure, but within the language structure as a whole functioning within a behavioral matrix as a whole. None of the bits and pieces has meaning of and by itself. Meaning occurs only as a function of a total behavioral event in a total social matrix." (Pike 1959; 1967 : 609) Verschiedene 'Bedeutungsarten1 werden also, wie in der Texttheorie, allein aus heuristischen Gründen unterschieden. Die wichtigste Differenzierung ist diejenige zwischen zentraler (zunächst gelernter, allgemein gebräuchlicher, relativ kontextunabhängiger, lexikalischnormierter) und marginaler (nach Kontext und Situation etc. modifizierter) Bedeutung. Hier ist zu beachten, dass die zentrale (lexikalische oder granttiatische) Bedeutung grundsätzlich unscharf abgegrenzt ist.
Sie kann, je nach syntaktischem,
semantischem und behavioralem Kontext von der marginalen Bedeutung vollständig überlagert werden. Als Aspekte der zentralen Bedeutung sind zu nennen: Ihr Stellenwert im lexikalischen System, die (Wort-) Klassenbedeutung, bei Hypermorphemen ferner die eolloaational meaning etc. Pike erwähnt hier sogar eine Art "Textsortenbedeutung1: "Special meanings relative to the universe of discourse are seen clearly on April Fool's day when the impact of sentences is not designed to coninunicate in the ordinary way but to be deceptive.
[...] If a mean-
ing central to a word has reference to a particular universe of discourse, the implication follows that a universe of discourse, as a whole, may also, in some way, be central to the total body of universes of discourse. The possibility of a hierarchy of universes of discourses, with progressive degrees of centrality, is implied by this approach." (Piks 1959; 1967 : 602. Hervorhebung weggelassen.) In denselben Zusammenhang gehört auch die illokutive Bedeutung eines Sprech29 akts: "A lie on the other hand is intended to be deceptive within the normal use of discourse by eliciting a response as to the regular meaning of the sentences while actually the normal connection between these sentences and reality is broken." (Pike 1959; 1967 : 602)
29
Der Terminus Sprechakt wird von Pike nicht verwendet, ebensowenig illokutive Bedeutung. Vgl. Austin 1962; 1972, Searle 1969; 1971.
31
Die Unterscheidung von zentraler und mrginaler Bedeutung betrifft aber nicht nur die lexikalisch-semantischen Einheiten des Merkmalsmodus (Morpheme und Hypermorpheme wie Lexeme, Textsorten etc.), sondern auch die funktionalen Einheiten des Distributionsmodus wie das Tagmem, das Hypertagmem etc. Ein Beispiel von Pike: Er vergleicht die beiden Sätze John ran away und Away ran John. Der zweite Satz, der einem besonderen Erzählstil angehört, unterscheidet sich vom ersten durch die Umstellung des Tagmems mit der zentralen Bedeutung Ortsangabe1 . Diese Bedeutung wird im zweiten Satz überlagert von der durch die Umstellung bewirkten Konnotation 'besonders lebendiger Erzählstil'. Damit haben wir eine semantische Variante eines Tagmems vor uns, die durch das System der 'Textsorten1 bedingt ist. 3° In Anmerkung 14 zu Abschnitt 2.1.2 haben wir darauf hingewiesen, dass die Texttheoretiker das Phonem nicht als anweisungstragende (= bedeutungsvolle) Einheit betrachten. Im Unterschied dazu kommt dem Phonem innerhalb der Pike1schen Schichten- und Komponentenanalyse keine eigentliche Sonderstellung gegenüber anderen sprachlichen Einheiten zu. Als minimale Einheit des Manifestationsmodus ist es zwar nicht selbständig, doch können die Merkmale einer bestimmten Manifestationsform u.U. eine besondere bedeutungstragende Funktion übernehmen. Pike erwähnt zwei Fälle: Reim/Alliteration sowie die phonologische Struktur von Dialekten. "The fl- in these words [flicker, flare, flame], for example, seems to heighten the impact of the component of 'light' in the words referred to. It is not sufficiently uniform in this impact, however, to seem to have an effect on words such as flow, flimsy [...]. Usually the phonological material by itself does not carry this impression. It occurs only as a heightening of a lexical semantic component already present in the morpheme [...]. Whenever part of the response is linked directly to the sounds as sounds, rather than to morphemes as morphemes or to words as words, part of the meaning -
30 31
Vgl. Pike 1959; 1967 : 236 Vgl. die Diskussion zur Frage The possibility of contrastive-identificational features of phonemes as ernes., Pike 1959; 1967 : 3 0 2 f f ; vgl. auch S. 4 0 5 f f .
32
within this theory - may be attributed to the phonological hierarchy rather than to the lexical one as such." (Pike 1959; 1967 : 606f) "These special items are quite different from the response obtained from one's general phonological pattern as a whole. One also attains an effect from his general over-all style of pronunciation. Ihis style may become indicative of the particular individual and obtain a response from listeners [...] as 'meaning' that 'such and such a person is speaking". [...] In this type of a situation, the general phonological style can 'mean1 the 'belongingness1 to a particular group [...]." (Pike 1959; 1967 : 607)
2.3
Abschliessende Bemerkungen
Die unterschiedliche Beurteilung des Phonems in Texttheorie und TagmemikTheorie ist zweifellos auf verschiedene Differenzen der beiden Sprachbeschreibungsmethoden zurückzuführen, Differenzen, denen wir im Rahmen dieser Arbeit nicht im einzelnen nachgehen können. Als grundlegend ist jedoch das Konzept der Trimodalität hervorzuheben, das die Pike'sehe Theorie gegenüber der Texttheorie auszeichnet. Die trimodale Betrachtungsweise erlaubt nämlich, auch Einheiten des Manifestationsmodus (wie etwa das Phonem) unter funktionalem Aspekt zu untersuchen, d.h. auf ihre Einbettung in übergeordnete Verhaltenseinheiten hin. Erst wenn neben ihren inhärenten kontrastiv-identifikatorischen Merkmalen auch ihre Funktion innerhalb des Vorkommenskontexts geklärt ist, lässt sich die Bedeutungs- bzw. Anweisungsleistung einer sprachlichen Einheit abschliessend beschreiben. Dass diese Funktion je nach Vorkommen variiert, darf hier nicht als störend empfunden werden, denn die Tagmemik-Theorie beschreibt nicht irgendein abstraktes Sprachsystem, sondern konkret vorliegende Realisate sprachlichen und nichtsprachlichen Verhaltens. Das texttheoretische Konzept Bedeutung = Handlungsanweisung liefert die Möglichkeit, sprachliche Aeusserungen auf die Kommunikationsabsichten von Sprecher und evt. Hörer hin zu untersuchen. Es ist aber fraglich, ob damit auch die Eigengesetzlichkeiten eines Vertextungsmusters, wie es die Textsorte Witz dar-
33
stell t, adäquat erfasst werden können. Um zu einer systematischen Beschreibung des Witzes zu gelangen, müssen wir annehmen, dass sich die Intentionen des Witzerzählers in der Textßtr^ktur kodiert auffinden lassen. Bei der Darstellung einer Textsorte kann es nicht darum gehen, individuelle Intentionen eines Sprechers nachzuweisen, sondern gleichsam ein Intentions"VKßter aufzuzeigen. Da Intentionsmuster und Textstruktur in enger Korrelation stehen, scheint es angebracht, von einem strukturellen Ansatz, wie ihn die Tagmemik-Theorie zur Verfügung stellt, auszugehen. Das Konzept des Tagmems erlaubt dabei, die Zusammenhänge zwischen einem einzelnen Element und übergeordneten Einheiten als Funktionszusammenhänge zu erfassen und strukturell zu beschreiben. Damit weichen wir der Schwierigkeit aus, auf die mit dem Handlungsbegriff gegebene subjektive Intention der Kommunikationspartner eingehen zu müssen, ohne dass wir diese allerdings vollständig ausklammerten. Denn im Begriff Funktion einer
cinhcit ist natürlich der Aspekt der Handlungsanweisung mitenthalten.
Verhaltfns32
Die Analyse, wie sie Pike vorschlägt, vollzieht sich in mehreren Schritten. Sie geht aus von der Untersuchung einer Verhaltenseinheit nach ihrem Merkmalsmodus, d.h. die Einheit wird zunächst als Morphem bzw. Hypermorphem isoliert und nach ihren inhärenten Merkmalen beschrieben. Nach dieser 'morphematischen1 Betrachtung wird ihre Einbettung in andere Einheiten überprüft, d.h. sie wird nach dem Distributionsmodus als Tagmem bzw. Hypertagmem untersucht. Zusammen mit anderen Tagmemen (Hypertagmemen) konstituiert sie auf höherer Ebene eine neue Einheit, die wiederum isoliert als Hypermorphem, funktional als Hypertagmem analysiert und beschrieben werden kann usw. Auf sämtlichen Ebenen ist ferner eine Darstellung nach dem Manifestationsmodus möglich. Ob die Analyse von niedrigeren zu höheren Einheiten oder umgekehrt fortschreitet, spielt natürlich keine Rolle, da die hierarchische Struktur der Elemente auf jeden Fall erfasst wird.
32
Zum B e g r i f f Funktion vgl. U. Oomen (1972} 1974 : 5 3 ) : "Die Bezogenheit der Komponenten auf das System wird häufig ihre Funktion genannt. Damit ist gemeint, dass auch zwischen den Komponenten des Systems und dem Ganzen eine wechselseitige Relation besteht. Die Komponenten haben eine bestimmte Funktion oder Bedeutung für das Ganze, sie beziehen umgekehrt ihre Funktion erst aus ihrer Integration in das Ganze." Die Relation von der Komponente auf das System hin kann mit dem Begriff der Handlungsanweisung erfasst werden.
34
ZWEI ZENTRALE ASPEKTE DER WITZUNTERSÜCHÜNG
Sollen Witze sprachwissenschaftlich untersucht werden, so ist damit bereits die Voraussetzung gemacht, dass an den verschiedenen Beispielen etwas Vergleichbares zu finden sei, das erlaubt, Ergebnisse der Analyse zu verallgemeinem und die einzelnen Exemplare einer "Gattung1 zuzuordnen. Wir drückten diese Voraussetzung implizit dadurch aus, dass wir den Witz als Textsorte bezeichnet haben. Die Ueberlegungen des vorangegangenen Kapitels haben gezeigt, wie weit die Grenzen sprachwissenschaftlicher Untersuchungen gezogen werden müssen, damit sprachliche Phänomene beliebiger Art, sofern auch ihre kommunikative Funktion zur Diskussion steht, angemessen beschrieben werden können. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die gesuchten Gemeinsamkeiten von Witzen allein an ihrer sprachlichen Form nachweisen Hessen; vielmehr werden wir auch nach wiederkehrenden Merkmalen des sprachlichen und nichtsprachlichen Verhaltenskontexts forschen müssen, in den der Witz als kleinere selbständige Verhaltenseinheit eingebettet ist. Die einzelnen Witze können also einerseits als Realisationen eines bestimmten Vertextungsmusters begriffen werden, andererseits muss gezeigt werden, dass und wie dieses Vertextungsmuster einen bestimmten Typ von Interaktion konstituiert. D.h., es soll dargestellt werden, was mit einem Witz bezweckt werden kann und was man als Erzähler oder Hörer/Leser damit anzufangen hat. (Damit verbunden, aber nicht im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchen, sind Probleme psychologischer, soziologischer und anderer Art; aufgrund des Zusammenhangs jeder Kommunikation mit den Umständen der Situation und der Lebenswelt des Einzelnen und
Im folgenden werden wir auf die Differenzierung Hörer/Leser verzichten und den Adressaten eines Witzes generell als Hörer bezeichnen. Ausnahmen werden nur dann gemacht, wenn es sich erweisen sollte, dass ein Beispiel ausschliesslich für die schriftliche Wiedergabe bestimmt ist. (Vgl. Kap. 7)
35
der Gesellschaft sind die Ergehnisse sprachwissenschaftlicher und kommunikationstheoretischer Forschung inner offenzuhalten für weitere Interpretationen.) Es versteht sich von selbst, dass Vertextungs- und Interaktionsmuster voneinander gegenseitig abhängig sind. Sowohl determiniert ein bestirtmter Interaktionstyp die Art der Vertextung - der Interaktionstyp befehlen z.B. bestimmt bis zu einem gewissen Grad u.a. die syntaktische und phonologische Form der Aeusserung -, ebenso werden aber durch das einem bestimnten Interaktionstyp zugehörige Vertextungsmuster andere Interaktionstypen (meist) ausgeschlossen, was dazu führt, dass ein Sprecher durch die Verwendung dieses Vertextungsmusters 2 die betreffende Interaktion überhaupt erst herstellen kann. Bei der Auswahl von Kriterien zur Bestimmung von Textsorten muss demnach beiden Aspekten - der Eigenart der Interaktion wie der Vertextung - Rechnung getragen werden, wie dies etwa Pike tut in seinem allerdings bloss vorläufigen Versuch, eine Liste von "etic classificatory criteria for utterance types" aufzustellen. (Pike 1959; 1967 : 135ff) Einige der von Pike angeführten Kriterien werden für unsere Untersuchung eine Rolle spielen, so die Fragen nach der Beziehung einer Aeusserung zu möglicherweise übergeordneten Einheiten, nach der Anzahl der beteiligten Kommunikationspartner, nach dem spezifischen Zweck der Aeusserung, nach ihrer inneren Organisationsstruktur (nach den slots), sowie nach der Notwendigkeit einer wortgetreuen Wiedergabe etc. Wir werden diese Fragem im folgenden zwei Hauptgebieten der Untersuchung zuweisen. Zunächst werden wir den Distributionsmodus des Witzes untersuchen, d.h. wir beschreiben das Utterem Witz als Hypertagmem, welches in ein übergeordnetes Hyperbehaviorem Uitzerzählen eingebettet ist. Für eine adäquate Darstellung ist es natürlich notwendig, das Hyperbehaviorem (bzw. Interaktionsmuster) Witzeerzählen insgesamt nach seinem Merkmalsmodus als Hypermorphem zu untersuchen, m.a.W., seine interne Tagmemstruktur sowie die verschiedenen Hypertagmeme im einzelnen zu beschreiben.
Vgl. J. Habermas 1971a, sowie die Weiterentwicklung der Sprechakttheorie bei D. Wunderlich 1972a, 1974. Nach Pike sind diese Kriterien hierarchisch geordnet, wobei die Fragen nach den Charakteristika der Interaktionssituation denjenigen nach der spezifischen Vertextung übergeordnet sind. Da wir uns aber bezüglich der Textsor-
36
Der zweite Teil der Untersuchung erörtert dann den Merkmals- und Manifestationgmodus des Witzes, d»h. das Utterem Witz wird als Hypernorphem/-phonan abgehandelt. Es soll geprüft werden, welche Funktionselemente (Hypertagmeme) die zu·^ grundeliegende VertextungsStruktur konstituieren, und wie das Zusantnenspiel die= ser Elanente und ihrer Manifestationsformen die für den Witz spezifischen ' niken1 der Pointenbildung ergibt. Scheroatisch lassen eich die beiden grundlegenden Aspekte der Untersuchung etwa folgendennassen skizzieren;
Darstellung dies Utterems Witz nach Distribqtionsmodus HB Witzeerzählen
(untersucht als HM)
- i HT
!L 1
_ 2
-» r-i
1 Utter em Witz. nach Merjimalsmpdus: HM
l l L·.
Witz HT
HBi Hyperbehaviorem HTi Hypertagmem Hf4; Hypermorphem
tenuntersuchung npch im Stadium der "etic description" befinden, ist es vorläufig noch möglich, je nach Untersuchungsziel andere Prioritäten zu setzeq. Für die Textso.rten Witz, Limejrick, Parodie usw. führt Pike nur ein einzige^ Kriterium an: "humorous purpose". (1959; 1967 : 138) Leider war mir ein kurzer Aufsatz Pike's, der sich speziell auf den Witz bezieht, nicht zugänglich (Pike 1964).
37
Durch die Abgrenzung verschiedener Problenikreise könnte im folgenden möglicherweise der Eindruck entstehen, die jeweils angeschnittenen Fragen liessen sich voneinander getrennt behandeln. Wie schon die theoretischen Bemerkungen des vorigen Kapitels gezeigt haben, wäre eine solche Auffassung falsch. Wenn wir im Laufe der Untersuchung einzelne Gesichtspunkte isoliert herausgreifen, geschieht dies einzig aus Gründen der Darstellbarkeit bzw. aus methodischen Gründen der Analyse. Auch wenn dies nicht dauernd erwähnt wird, darf doch keinesfalls ausser acht gelassen werden, dass sich Textstruktur und Interaktionstyp gegenseitig determinieren, und dass jedes Element eines Witzes bzw. des Interaktionsvorgangs seine volle Bedeutung erst aufgrund seiner Funktion innerhalb des gesamten Interaktionsmusters witzerzählen und des damit korrelierenden Vertextungsmusters Witz erhält. Bevor wir uns nun der detaillierten Untersuchung zuwenden noch eine Schluss4 bemerkung: Der aufgezeigte Doppelaspekt einer Beschreibung von Textsorten - sie sind zugleich als Struktur- und als Interaktionstypen zu fassen - schafft offensichtlich ein Problem: Beginnen wir mit dem Versuch, die Textsorte Witz vom Aspekt ihrer kommunikativen Funktion her zu bestimmen, so nehmen wir voraus, was erst zu klären wäre: die strukturelle Verwandtschaft der einzelnen Witze, durch welche sich ihre gleiche Funktion begründen lässt; beginnen wir mit dem Versuch, Witze rein strukturell auf ihre Aehnlichkeit hin zu untersuchen, sind wir in Gefahr, in die Interpretation der Ergebnisse das mit einzubeziehen, was auch die Auswahl der Texte leitete, aber erst durch die Untersuchung bestätigt werden sollte: die Annahme einer spezifischen Funktion des Witzes in einer Kommunikationssituation. Die beiden Aspekte lassen sich offensichtlich nicht unabhängig voneinander darlegen, wie wenn einer davon der grundlegende wäre. Das Dilemma, das sich .hier zeigt, lässt sich kaum völlig beseitigen, aber um einiges entschärfen, wenn eingestanden wird, dass der Zugang zu einem Untersuchungsgegenstand immer schon von einem Vorverständnis allgemeinster Art geprägt ist. Dieses artikuliert sich bereits darin, dass und wie Fragen aufgeworfen und Lösungen gesucht werden. Vor diesem Hintergrund verflüchtigt sich die Schwierig-
Vgl. Portmann 1973 : 79f.
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keit zu einem primär theoretischen Problem, während es hier in erster Linie um eine Weiterentwicklung von Einsichten geht, die in Ansätzen bereits bekannt sind. Aufgrund unseres Vorverständnisses formulierten wir die These, dass sich der Witz als Textsorte darstellen lasse. Die folgenden Ausführungen rrüssen zeigen, ob genügend stichhaltige Gründe beigebracht werden können, um diese These zu stützen. Ein strikter Nachweis ihrer Richtigkeit oder Falschheit wäre nur zu leisten in bezug auf ein (bisher nicht existierendes) System von Definitionsmerkmalen für TextSorten. "Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt damit der Versuch, durch die Aufhellung von Strukturen der Texte und der Interaktionen, in denen sie auftreten, die Voraussetzungen zu prüfen und Zusanroenhänge explizit zu machen, welche am Beispiel des Witzes Mechanismen und Stabilität alltagssprachlicher Karinunikation klären helfen." (Portmann 1973 : 80)
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DAS INTERAKTICWSMUSTER
4.1
UITY.KRYAF.HLKN
Einführende Beispielanalysen: Die wichtigsten Elemente des Interaktionsmusters Witzerzählen
Wir vollen zunächst anhand einiger Beispiele einen Ueberblick über die wesentlichen Elemente des Interaktionsmusters bzw. Hyperbehaviorenis Witzerzählen gewinnen. Ein neu beförderter Oberst inspiziert das ihm eben übergebene
Regiment und die Kasemenräume. Als er vom Stabsarzt durch die Pevierkrankenstuben geleitet wird, gewahrt er einen Schwerkranken. "Aeh, was fehlt dem Kerl?" "Typhus, Herr Oberst." "Typhus, äh, scheussliche Krankheit, selbst schon gehabt. Entweder man krepiert oder wird blödsinnig." (viii, 47) Der kürzeste Schottenwitz: Es war einmal ein Zwerg. Sein Vater war ein Schotte, (iv, 87) Unter Freundinnen. "Ich mache zur Zeit eine japanische Abmagerungskur." - "Wie geht denn das vor sich?" - "Ich esse statt mit zwei nur mit einem Stäbchen ..." (ix, 30.11.74, 65) Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten dieser Texte wird man bald zum vorläufigen Schluss kommen, dass sich ihre Uebereinstimnung nach Merkmalen der Vertextung in
Die römischen Ziffern verweisen auf die WitzSammlung, der das Beispiel entnommen ist, die arabischen Ziffern auf die Seite. Die Sammlungen sind im ersten Teil der Bibliografie aufgeführt. Witze ohne Angaben sind mündlich überliefert.
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relativ engen Grenzen hält. Weder lassen sie sich einer der in Witzbüchem üblichen Gruppen wie Irren-, Arzt-, Juden-, Ehe-, Bettwitze etc. zuordnen, noch scheinen ihnen eindeutig gemeinsame sprachliche Merkmale der Witztechnik eigen zu sein. Es wäre in der Tat schwierig, die Zusammengehörigkeit verschiedener Witze allein durch Gemeinsamkeiten der Technik, des Inhalts, der Tendenz und ähnlichem begründen zu wollen. Es Hessen sich immer genügend Gegenbeispiele finden, welche die festgestellten Eigenschaften nicht aufweisen und dennoch unbezweifelbar als Witze gelten würden. Demzufolge muss es etwas anderes sein, was uns veranlasst, die obigen Texte alle der Gattung Witz unterzuordnen: möglicherweise die Erfahrung spontaner Belustigung beim Zuhören bzw. bei der Lektüre, möglicherweise die Beobachtung, dass unser Verständnis besonderen Regeln zu gehorchen hat, jedenfalls Feststellungen, die sich nicht ausschliesslich auf Eigenarten der Texte selbst, sondern auch auf solche ihrer Wirkung innerhalb der besonderen Kcmnunikationssituation des Witzerzählens beziehen. Tatsächlich sind Witze extrem von einer spezifischen Kommunikationssituation, die wir Witzerzählsituation nennen wollen, abhängig. Dies illustriert sehr deutlich unser zweites Beispiel von oben. Der eigentliche Witztext wäre für sich genommen nie als Witz erkenntlich, denn er zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er mit dem typischen formalen Merkmal einer anderen Textsorte - des Märchens - beginnt: mit der Einleitung Es war einmal ... Damit trotzdem die intendierte Interaktion Witzerzählen realisiert werden kann, braucht es eine explizite Ankündigung der Textsortenzugehörigkeit. Durch keine besonderen Merkmale als Witz charakterisiert, zwingt also unser Beispiel den Erzähler zu einer speziellen Einführung, nämlich zu einer metakommunikativen Aussage, welche darauf hinweistj wie der restliche Teil der Aeusserung zu rezipieren ist. Doch selbst 2 der erweiterte Witztext wäre für sich allein genommen, ohne Rückgriff auf bereits bekannte Charakteristika der Gruppe Sohottenwitze, nicht zu deuten. Denn er ist nur einem Hörer verständlich, der noch andere Schottenwitze kennt und darüber hinaus deren - in unserem Beispiel als Interpretationshilfe unentbehrliches - Hauptmerkmal erfasst hat: ihr immer wiederkehrendes Thema ist der
Ob die Differenzierung von eigentlichem und erweitertem Witztext ganz korrekt ist, spielt für unsere Argumentation keine Rolle, denn es geht im Augenblick bloss darum, das Element Ankündigung zu illustrieren.
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sprichwörtliche Geiz der Schotten. Das Beispiel integriert dieses in unseren Breitengraden - zumindest im Zusaimenhang mit Witzen - voraussetzbare Wissen in den Text, indem der Superlativ kürzeste die Beziehung zu anderen Schottenwitzen herstellt. Mit dieser Anmerkung ist allerdings das Verständnis des Witzes noch nicht abschliessend erklärt. Dass der Hörer hier notwendig seine Kenntnis des Grundgedankens der Schottenwitze in die Interpretation einbringen muss, macht nur die Eigenart des obigen Beispiels aus. Nicht nur für diesen Witz, sondern für alle Witze spezifisch ist dagegen die Tatsache, dass sie auf eine bestinrote Art von Deutung angewiesen sind. Sie ist die Kehrseite dessen, was W. Preisendanz als "Aussagetaktik" bezeichnet hat, (1970 : 18) und sie wird hier besonders deutlich fassbar: Der schottische Geiz wird als 'Mittelglied' im Verstehensprozess zur Ursache der - rein sprachlich nicht vorgegebenen - Lhdeutung einer einfachen Aufeinanderfolge zweier Aussagen in einen reziproken Begründungszusanmenhang. Dies ist nur möglich dank der Bereitschaft des Hörers, den Text als Witz zu verstehen. Ohne eine solche spezifische Rezeptionshaltung rtüssten viele Witze als blöde oder schlechthin unverständlich bezeichnet werden, während sie innerhalb des Interaktionsmusters
Witzerzählen als wohlgeformte Texte gelten.
Fahrgast zum Buschauffeur: "Wie spät ist es?" - "Mittwoch" "(3i, dann muss ich schleunig aussteigen!" (v, 71) "Diese Rezeptionshaltung, die es erlaubt, zu Fragmenten wie dem obigen [oder unserem dritten Beispiel von vorne] die 'richtigen' Ergänzungen zu finden und aus dem nur Angedeuteten ein sinnvolles Ganzes zu machen, kann als Fertigkeit angesprochen werden, Texte in bestimmter Hinsicht auf 'maximalen Effekt' hin zu interpretieren, als Strategie der Ergänzung und Zusammensetzung vorgegebener und erschlossener Informationen." (Portmann 1973 : 82) Beim kürzesten Schottenwitz besteht die Interpretationsstrategie darin, den implizit angesprochenen Geiz zur Grundlage der Deutung eines scheinbar unverfänglichen Märchenanfangs zu machen, trotz oder vielmehr wegen der seltsamen Assoziationen, welche die Deutung begleiten. Unser obiges Beispiel macht dem Hörer die Sache etwas schwieriger: Als
Vgl. oben Abschnitt 1.1
42
Unsinnswitz liegt es zweifellos an der Grenze des noch Akzeptierbaren und Verständlichen. Der Hörer wird hier vergebens nach einem thematischen Zusammenhang 4 oder einem hintergründigen Sinn suchen. Der erreichbare "maximale Effekt" der Interpretationsstrategie besteht wohl einzig in der überraschenden Entdeckung, dass ein Dialog zwar formal korrekt, inhaltlich jedoch vollkommen sinnlos sein kann. Im Gegensatz zum kürzesten Schottenwitz fehlt beim zitierten Unsinnswitz ein expliziter Hinweis auf die Textsorte, was bei einem derart zerfahrenen und deshalb schwer zu verstehenden Beispiel nicht unproblematisch ist, denn das Merkmal 'zusammenhangloser Unsinn1 reicht natürlich nicht aus, einen Text als Witz zu kennzeichnen. Es ist deshalb zu vermuten, dass dieser Witz extrem von den Voraussetzungen des Komtunikationszusaritnenhangs abhängt: Der Erzähler/Autor wird darauf achten müssen, ob ihm der Hörer/Leser die skizzierte Rezeptionshaltung entgegenbringt. Sollte dies nicht der Fall sein, muss er durch eine entsprechende Ankündigung die Witzerzählsituation herstellen. Es ist jedenfalls völlig undenkbar, dass ein Autor seine Witzsanrnlung mit dem obigen Unsinnswitz eröffnen, oder dass ihn ein Erzähler ohne einleitende Bemerkung oder zumindest voraus erzählte andere Witze zum besten geben würde. Schliesslich verschafft uns der Unsinnswitz auch noch Aufschluss über die Funktionalität des Witzes. In einen übergeordneten Ihteraktionszusammenhang eingebettet kann der Witz ganz verschiedene Funktion haben, d.h. die Bedeutung des Hypertagmems Witz ist keineswegs so eindeutig, wie man nach vordergründigen Ueberlegungen annehmen könnte. Obiges Exemplar z.B. dient nicht etwa, wie man gemeinhin glaubt, in erster Linie der Belustigung des Hörers (der Erzielung eines 'witzigen Effekts 1 ). Dazu ist der Verstehensaufwand und die Enttäuschung, dass dieser keine hintergründige Erklärung zutage gefördert hat, wohl zu gross.
Ein solcher ist auch nicht auf Umwegen zu entdecken: So scheitert z.B. der Versuch, die Zusammenhanglosigkeit des Dialogs auf ein Missverständnis zurückzuführen (etwa bedingt durch Motorenlärm) an der Tatsache, dass auch die beiden Aeusserungen des Fahrgasts keine durchgehende Sprecherintention verraten, denn normalerweise wird wohl niemand seinen Entschluss, aus dem Bus auszusteigen, von der Uhrzeit abhängig machen.
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Vielmehr erlaubt ein Unsinnswitz dem Erzähler, sich auf Kosten des Hörers zu belustigen. Ein Mann greift bei Tische, als ihm der Fisch serviert wird, zweimal mit beiden Händen in die Mayonnaise und streicht sie sich dann durch die Haare. Von Nachbar erstaunt angesehen, scheint er seinen Irrtum zu bemerken und entschuldigt sich: "Pardon, ich glaubte, es wäre Spinat." (vi, 112) "Diese extremen Beispiele wirken dadurch, dass sie die Erwartung des Witzes erwecken, so dass man hinter dem Unsinn den verborgenen Sinn zu findan sich bemüht. Man findet aber keinen, sie sind wirklich Unsinn, [...] Diese Witze sind nicht ganz ohne Tendenz; es sind 'Aufsitzer', sie bereiten dem Erzähler eine gewisse Lust, indem sie den Hörer irreführen und ärgern. Letzterer dämpft dann diesen Aerger durch den Vorsatz, selbst zum Erzähler zu werden." (Freud 1905; 1971 : 112, Anm. 1) Wie unser Exemplar von Obersten im Krankenrevier zeigt, können auch andere als Unsinnswitze neben der Erzielung des 'witzigen Effekts1 weitere Funktionen übernehmen, indem sie z.B. einer aggressiven Tendenz gegenüber Drittpersonen oder Institutionen Ausdruck verleihen etc. Es ist klar, dass die Bestimmung der verschiedenen Funktionen des Witzes oder der Natur des erwähnten 'witzigen Effekts1 nicht allein der Sprachwissenschaft obliegt, doch erlaubt unser Tagmemik-Modell zumindest die teilweise Integration von Ergebnissen anderer Wissenschaftszweige in eine sprachwissenschaftliche Beschreibung. Wir werden auf diesen Punkt später zurückkönnen. Obwohl wir damit im Grunde den eingeschränkten Bereich einer Untersuchung des Interaktionsmusters verlassen, soll doch noch kurz darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch die einzelnen Elemente der Vertextungsstruktur in enger Korrelation zum Vorgang des WitzerzMhlens dargestellt werden müssen. Zur Illustration greifen wir die Pointe heraus, das zentrale Kennzeichen jedes Witzes. Ihrer Erzeugung und überraschenden Wirkung dient das Bestreben der Kommunikationspartner, die Witzerzählung ohne Schwierigkeiten ablaufen zu lassen, ebenso wie die oft genannte Kürze und Geradlinigkeit des Textes. Als der springende Punkt jedes Witzes ist sie unveräusserlicher Bestandteil der Witzerzählung, will ein Erzäh-
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ler sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, er habe gemogelt und mit seinen Hörern Scherz getrieben. Oft, jedoch nicht immer, liegt der Pointe die Schilderung einer absonderlichen Abweichung von Verhaltensnormen bzw. die unerwartete Rechtfertigung solcher Abweichungen zugrunde: "Entschuldigen Sie bitte", sagt ein Strassenpassant zum anderen, "könnten Sie mir den Weg zum City-Kino zeigen?" "Ich könnte schon, aber ich will nicht." "Warum wollen Sie nicht?" "Ich bin als höflicher Mensch erzogen worden. Um diese Zeit sind die Abendvorstellungen im City inmer schon ausverkauft." Die Pointe muss, damit sie wirkt, neu sein und überraschen. Der Hörer darf sie in der kurzen Zeit, währendder er darauf wartet, keinesfalls voraussehen können. Es gibt zwar vereinzelte Witze, die erst "wirken1, wenn man sie ein zweites Mal hört - z.B. stark verklausulierte politische Witze -, neben denjenigen, die man, wie erwähnt, selbst erzählen muss, um daran das richtige Vergnügen zu haben. Diese Sonderfälle schmälern aber die Gültigkeit unserer allgemeinen Aussage kaum. Ein durchschauter Witz ist in der Pegel entwertet, weil er sein Ueberraschungsmonient verloren hat. Mit W. Preisendanz kann man daher die 'Erwartung von Unerwartetem" als das für den Hörer charakteristische Merkmal der Witzerzählsituation bezeichnen. (Preisendanz 1970 : 27) Die scheinbar paradoxe Verpflichtung, die einer eingeht, wenn er einen Witz erzählen will - er hat jemanden zu überraschen, der vorgewarnt ist, dass er überrascht werden soll - begründet auf der anderen Seite die spezifische Art der Vertextung, durch welche sich die Witze als Textsorte auszeichnen. Damit sind in grossen Zügen die Elemente einer Witzerzählsituation umrissen, welche in ihren verschiedensten Variationen die Eigenart des Interaktionsrausters Witzerzählen, und der Textsorte Witz ausmachen. Im Rahmen des Tagmemik-Modells lassen sich die Zusammenhänge mit folgendem vorläufigen Schema darstellen:
Vgl. die Spezialfälle Unsinnswitz und Metawitz. Besprechung im Abschnitt 4.3.2
45
Hierarch. Ordnung der 'Schichtenanalyse 1 >
I d L U;
HB
Witzerzählen
HM:
|_HT1
HT
|"
2
[
HT 3]
Handlungsablauf
(Ausschnitt:)
HT2
HT - Herstellung der Hi tzerzählsi t .
HT : Kundgabe des Vers tändni sses
HM ; Ankündigung
HM ·
HP. : Fragen wie Kennst du den Mi tz von . . .?
HP : Äußerungen wie feiner Hi tz etc . , sowie Gelächter in Form von Kichern, Grölen etc.
Beifall
(Ausschnitt: Utterem Witz 2: HM 2 :
Erzeugen des witzigen Effekts
HT
HB: HT: HM: HP:
Hyperbehaviorem Hypertagmem Hypermorphem Hyperphonem
1 1 1
HT _
HT
_
J
b
[
HT
1
c
(Pointe) _l
46
In diesem Schema werden die einzelnen Verhaltenseinheiten nach den drei Modi dargestellt als Hypertagmeme, -morpheme und -phoneme. Es ist zu beachten, dass es sich bei den Bezeichnungen mit gleichen Indices jeweils um dieselbe Einheit handelt und nicht etwa um hierarchisch verschiedene Ebenen. Ferner muss darauf hingewiesen werden, dass die Hypermorpheme HM, und HM_ durch semantische Merkmalskomplexe identifiziert werden, während HM_ vorerst nur durch seine interne Tagmemstruktur bestimmt ist. Eine entsprechende interne Strukturierung von HM, und HM_ scheint sich für unsere Zwecke zu erübrigen. Auf die Frage einer semantischen Bestimmung von H^ werden wir später zurückkönnen. Beide Identifikationsmöglichkeiten sind in der Definition des Merkmalsmodus mit dem Begriff kontrastiv-identifikatorisohe Merkmale gegeben. Schliesslich noch eine Bemerkung zu HP : Die Reaktion des Witzhörers kann sich sowohl in sprachlicher wie in nichtsprachlicher Form manifestieren, weshalb sie als ütterem und als Behaviorem zu beschreiben ist. Auch dazu werden wir weiter unten Stellung nehmen.
47
4.2
Die Voraussetzungen von Witz und Witzerzählen: Merkmale des Hypermorphems Witzerzählen
In diesem Abschnitt werden die Bedingungen und Elemente diskutiert, Vielehe das Hypermorphem Witzerzahlen konstituieren. Dabei werden in erster Linie zwei Bereiche von Voraussetzungen zur Sprache kommen: solche, die das Erzählen von Witzen, und solche, die ihre Rezeption betreffen. Nur am Rand wird auf strukturelle Voraussetzungen des Vertextungsmusters sowie auf Probleme der Thematik eingegangen werden. Diese Fragen werden später gesondert behandelt.
4.2.1
Sprecherseitige Voraussetzungen
4.2.1.1 Die Ankündigung der Witzerzählung Die Diskussion der Beispiele im vorigen Abschnitt hat gezeigt, dass der Witz, soll er seine gewünschte Wirkung zeitigen, in eine spezifische Situation des Witzerzählens eingebettet sein muss. Es ist kaum denkbar, dass jemand seinen Tischnachbarn unmittelbar, ohne vorhergehenden Hinweis, anredet mit der Bemerkung: Zwei Wcbstübeler fahren mit dem Tandem den Gotthard hinauf ··· Erste Voraussetzung für das Erzählen von Witzen ist deshalb, dass der Erzähler überprüft, ob die Bedingungen für eine unbeschwerte Unterhaltung sowie die Bereitschaft des Hörers zur textsortenspezifischen Rezeption gegeben sind. "Tatsächlich können wir aber Sätze in Aeusserungen [bzw. Texte] nur verwenden, indem wir mit Hilfe der pragmatischen Universalien die Bedingungen möglicher Rcranunikation und damit die Sprechsituation erst hervorbringen [...] ." (Habernas 1971a; 1972 : 110. Hervorhebung weggelassen.) Für das Interaktionsmuster Witzerzählen gilt demnach, dass der Erzähler die Witzerzählsituation durch den Akt der Ankündigung herstellen muss. Ankündigungen gibt es in vielen Manifestationsformen, die sich allerdings nur unwesentlich durch die Formulierung unterscheiden: Soll iah dir einen Witz erzählen? - Ieh habe neulich einen feinen Witz gehört. -Kennst du den neusten Witz?
usw. Sie erschöpfend aufzuzählen wäre kaum möglich und sinnvoll, denn es
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kennt sie jeder. Mit ihnen verkündet der Sprecher seine Absicht, einen Witz zu erzählen, und versucht gleichzeitig, von Hörer dessen Zustimmung und die Bestätigung der Bereitschaft 'mitzumachen1 zu erhalten. Aus diesem Grund sind denn auch die Ankündigungen in Frageform vorherrschend. Eine trockene Bemerkung (loh erzähle einen Witz), welche in keiner Weise, auch nicht durch auffällige Intonation, einen Bezug zum Hörer im Sinne einer Anfrage herstellt, scheint jedenfalls zur Etablierung der Witzerzählsituation wenig geeignet. Da es sich beim Witzerzählen um eine institutionalisierte Form der Kommunikation handelt, ist der Hörer andererseits praktisch gezwungen, zur Intention des Sprechers sein Einverständnis zu geben; explizite Ablehnung der Witzerzählung ist wohl in den seltensten Fällen möglich. Die Ankündigung konstituiert also die besondere Witzerzählsituation, indem sie eine Kbninunikationsbeziehung herstellt und zugleich - vor jedem Inhalt - den Sprecher auf eine bestimmte Erzähl-, den Hörer auf die komplementäre Rezeptionshaltung verpflichtet. Diese realisiert sich dann im konkreten Fall als 'witzgerechtes1 Verstehensprogranm, wie sich auf der anderen Seite Erzählhaltung als Aussagetaktik fassen lässt. Obwohl sich bei vielen Witzen auch aus ihrem strukturellen Aufbau entnehmen lässt, um welche Art Text es sich handelt, wird die Ankündigung selten unterlassen. Wo die Gefahr besteht, dass ein Witz ohne Ankündigung nicht verstanden wird, ist diese ohnehin bereits in den (erweiterten) Witztext integriert, wie der zitierte Schottenwitz zeigt. Dass aber auch Witze mit einer 'gewöhnlichen1 Einleitung kaum je anders als durch einen expliziten Hinweis eingeführt werden, weist auf eine dem Witzerzählen inhärente Gesetzmässigkeit hin: Ein Witz muss ohne Behelligung durch Missverständnisse beim ersten Erzählversuch ankommen; Wiederholungen und Erklärungen wirken nicht nur bemühend, sondern zerstören auch den mit dem Anfang der Erzählung aufgebauten Spannungsbogen, der erst durch die Pointe gebrochen werden darf. Die Redundanz,
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Eine Ausnahme bilden hier wiederum z.T. die Unsinns- und Metawitze Dies gilt in erster Linie für das mündliche Erzählen; im Bereich der schriftlichen Wiedergabe bestehen z.T. andere Gesetzmässigkeiten. (Vgl. Kap. 7.1) - Der Begriff der expliziten Ankündigung wird in bewusster Analogie zu Termini wie explizite performa tori sehe Formel der Sprechakttheorie verwendet. (Vgl. Austin, Searle)
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welche durch die Ankündigung geschaffen wird, sichert das Witzerzählen vor Störungen dieser Art. Sie enthebt den Hörer der Schwierigkeit, den Witztext erst als solchen erkennen zu müssen, und markiert eindeutig eine Grenze zwischen mehr oder weniger ernstem Sprechen und einer Ebene der Kommunikation, auf der weder nach Wahrheit noch Wahrscheinlichkeit des Gesagten gefragt werden darf, sondern völlig andere Kriterien der Beurteilung eingesetzt werden müssen. Die durch die explizite Ankündigung der Textsorte etablierte Witzerzählsituation begründet eine Eigenart des Witzes, die ihn vor anderen Texten auszeichnet: seine "Universalität der Verwendbarkeit." (Portmann 1973 : 95) Sie ist Voraussetzung dafür, dass der Witz in unserer Gesellschaft ein überall gängiges Kbrnmunikationsmuster darstellt. Zwar ist er aus den geschilderten Gründen an die Witzerzählsituation gebunden, diese selbst jedoch ist praktisch in jedem denkbaren übergeordneten Handlungszusaimenhang herstellbar. Es gibt natürlich Situationen, in denen Witze generell, oder nur solche einer bestimmten Sorte, nicht am Platz sind, aber prinzipiell ist, wo überhaupt Witze erzählt werden können, wo die Witzerzählsituation möglich ist, jeder Witz erzählbar. Losgelöst von jeder Bindung an bestimmte Situationen und Handlungen passt er überall. Das bedeutet nicht, dass der Inhalt von Witzen, ihr Thema etc., eine Kommunikationssituation nicht prägen, die 'Stimmung1 und unter Umständen die Fortsetzung des Gesprächs nicht beeinflussen könnte. Aber das Fehlen der Notwendigkeit eines spezifischen 'Zutreffens' auf eine bestimmte Situation - von Jean Paul im Zusammenhang mit dem Wortspiel als "Geistesfreiheit" bezeichnet, "welche imstande ist, den Blick von der Sache zu wanden gegen ihr Zeichen hin" (Richter 1813; 1963 : §52) - erlaubt die universelle Austauschbarkeit unter den Elementen der Gattung. Die möglichen Situationen, in denen Witze erzählt werden können, lassen sich deshalb nicht aufzählen oder gar klassifizieren. Am ehesten denkbar wäre noch eine Zusammenstellung der Merkmale jener Situationen, in denen Witze nicht erzählt werden können (oder sollten). Neben der Herstellung der geeigneten Rezeptionshaltung könnt dem Akt der Ankündigung noch eine zweite Funktion zu, die mit zur Konstituierung der WitzerQ
Die Aussagen zur universellen Verwendbarkeit von Witzen werden z.T. eingeschränkt im Abschnitt 4.3
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Zählsituation gehört: Erweitert durch einen Hinweis auf die Thematik des angekündigten Witzes dient die Ankündigung dem Sprecher dazu, sich zu vergewissern, dass der Hörer den betreffenden Witz noch nicht kennt. Das Moment der Neuheit ist absolut wesentlich für den Effekt des Witzes; die Erzählung bekannter Witze 9 langweilt. Witze, von denen nicht ohne weiteres angenanmen warden kann, dass sie dem Hörer noch unbekannt sind, werden deshalb in der Ankündigung bereits gekennzeichnet, meist durch Nennung der handelnden Personen oder charakteristischer Merkmale des besprochenen Gegenstands: "Kennst du den Witz von Kennedy und Chruschtschow?" - "Nein" - "Also: Kennedy ..." "Kennst du den von der japanischen Abmagerungskur?" - "Nein" - "Zwei Freundinnen ..."
4.2.1.2 Die Wiedergabe des Idealtexts Nicht die Neuheit selbst, sondern die Mühe, die darauf verwendet wird, sie herauszustreichen und zu garantieren, ist ein Ausdruck des Sachverhalts, dass Witze in der Regel nicht spontan erfunden, sondern irgendwo gehört und dann wiedergegeben werden. Kaum jemand, der Witze erzählt, hat je selbst einen erfunden; und wenn, so wird der Witz durch das Erzählen ein öffentlicher Gegenstand, jedermann frei verfügbar zum Gebrauch. Sämtliche Zeichen seiner Herkunft, alle Hin-
9
10
Vieles, was hier für den Witz hervorgehoben wird, mag für andere Textsorten ebenfalls zutreffen. Da keine Untersuchungsergebnisse zu dieser Frage vorliegen, ist es vorläufig unmöglich, für den Witz Spezifisches von Allgemeingültigem zu trennen. Auf jeden Fall ist der unterschiedliche Stellenwert formal sonst gleicher Kriterien zu berücksichtigen: Die Neuheit einer Nachricht z.B. meint etwas anderes und besitzt einen anderen Stellenwert als die des Witzes. Umgekehrt gibt es natürlich Textsorten, welche von der Kategorie Neuheit unabhängig beschrieben werden können: z.B. Romane etc. Voraussetzung dafür ist wohl eine wesentlich höhere Komplexität der Information. Witze dagegen sind in diesem Sinne Verbrauchsgut. Vgl. Portmann 1973 : 94.
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weise auf seinen Urheber sind in um getilgt. Deshalb ist der Witz beschreibbar ohne Spekulationen über die Fälligkeiten und Gründe, die jemanden zur Erfindung eines Witzes veranlasst haben. Die Beantwortung der Frage nach den Bedingungen der Entstehung eines bestitmtten Witzes ist von anderen Disziplinen als der Sprachwissenschaft zu leisten. Die freie Verfügbarkeit des Witzes hängt nicht nur von der Unabhängigkeit von seinem Erfinder ab, sondern auch von seiner Textstruktur: In erster Linie deren Mirze und Geradlinigkeit des Aufbaus garantieren, dass ein Witz bereits nach ein-, höchstens zweimaligem Hören behalten und weitergegeben werden kann. 12 Die Bedingung einer einfachen Textstruktur ist deshalb wichtig, weil es beim Witz nicht genügt, sich die semantische Grundinformation einzuprägen, wie dies im Fall von anderen Textsorten möglich ist. Die Umschreibung des Inhalts mittels einer Paraphrase ist beim Witz ausgeschlossen, da es beim Witzerzählen um mehr geht als nur um Uebermittlung von Grundinformation. Auch wenn nicht alle Witze an eine vollständig wortgetreue Wiedergabe gebunden sind, gibt es für die weitaus meisten doch zumindest einen "Idealtext, [ eine] Grundstruktur der Formulierung, die sich nur oberflächlich variieren lässt [...]." (Preisendanz 1970 : 19) Vor allem die zentralen Stellen - Einleitungssätze und Pointe - erlauben kann je eine Abweichung von der idealen Formulierung, denn nur diese
11
12 13
Vgl. Portmann 1973 : 117, Anm. 29: "Die thematische Bindung an Ereignisse oder historische Personen, wie sie v.a. im politischen Witz gängig ist, lässt sich als Zeitgebundenheit bezeichnen, die sich auch in verschiedenen anderen Eigenheiten äussern kann (vgl. Meyerowitz [1971] über die Abhängigkeit des 'jüdischen Witzes 1 von der Situation der Juden in Osteuropa in der Zeit von Mitte des letzten Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg). [Vgl. dazu auch Landmann 1962} 1970 : 24-54] Ereignisse, etc., die den Bewusstseinshintergrund ganzer Sprachgemeinschaften und Bevölkerungsschichten zu bestimmten Zeiten ausmachen, können kaum als situationeile oder gar persönliche Spuren [der Entstehung eines Witzes] angesehen werden." Zum verschiedenen Komplexitätsgrad der Strukturen mündlich und schriftlich übermittelter Witze vgl. Kap. 7.1 Deshalb müssen Witze auch oberflächenstrukturell untersucht werden, d.h. in ihrer manifesten Form. Eine Bedeutungsbeschreibung kann sich demnach nicht auf die Darstellung globaler thematischer Merkmale und deren logischer Verknüpfung, also auf eine Texttiefenstruktur (vgl. Schmidt 1974a) beschränken wie im Falle anderer Textsorten.
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trägt der gegenseitigen Abhängigkeit der verschiedenen Strukturelemente Rech14 nung. Entgegen einer verbreiteten Meinung ist es nämlich nicht so, dass die Pointe allein den Witz konstituiert, obwohl sie natürlich die restlichen Strukturelemente zu einem wesentlichen Teil determiniert. Gerade weil aber sämtliche Elemente gemeinsam die komplexe Gesamtstruktur bestimmen, lassen sich nicht einfach einzelne davon beliebig auswechseln, ohne dass dadurch der ganze Witz entscheidend verändert, ja sogar zerstört würde. Unter dem Begriff Idealtext ist also nicht nur eine ideale Formulierung, sondern auch die sorgfältig abgestimmte Auswahl und Kombination der einzelnen Textelemente zu verstehen. Wie sorglos gewisse Autoren den Idealtext eines Witzes abändern und die Ausgewogenheit der Elemente vernachlässigen, soll ein Vergleich verschiedener Varianten desselben Witzes illustrieren. Die älteste und wohl ursprüngliche Variante hat schon Freuds Interesse gefunden: Er gebraucht sie, um daran die Technik der Verbindung von Doppelsinn und Verschiebung zu illustrieren. Es ist "einer der 'Badewitze', welche die Badescheu der Juden in Galizien behandeln": (Freud 1905; 1971 : 38) Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. "Hast du genommen ein Bad?" fragt der eine. "Wieso?" fragt der andere dagegen, "fehlt eins?" (vi, 39) Die Interpretation dieser Variante bietet kaum Probleme: Der Witz ist unverkennbar abhängig vom Wortlaut der Frage Hast du genommen ein Bad?, genauer, von der Homonymie des Lexems nehnen. Die Mehrdeutigkeit dürfte allerdings unter gewöhnlichen Umständen kaum bemerkt werden - streng genommen besteht sie in unserem Beispiel nicht einmal -, denn phraseologischer Zusammenhang und Ein-
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Vgl. z.B. Preisendanz 1970 : 18 Diese Behauptung stützt sich auf die Feststellung, dass nehmen in der Bedeutung 'etwas (mit der Hand) ergreifen', 'etwas wegnehmen' nicht mit Bad kombinierbar ist, da Bad nicht eigentlich 'Badewanne 1 , sondern vielmehr (1) 'Wasser zum Eintauchen oder Uebergiessen eines Körpers', (2) die Tätigkeit des Badens selbst, oder (3) 'Raum, Haus, Ort [Umgebung], wo man baden kann 1 bedeutet. (Vgl. Ullstein 1969 : 107. Duden Bd. 10, 1970 führt gar nur "Badezimmer 1 und 'Wasser zum Baden in einer Wanne' als Bedeutungen an.) - Deshalb ist auch die Beobachtung Freuds, durch Verschiebung des Ak-
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bettung in den geschilderten Situationskontext lassen nur eine mögliche Interpretation zu. Deshalb ist die Pointe des Witzes nicht in der Frage zu suchen, sondern sie liegt vielmehr darin, dass die Antwort wieso, fehlt eins? nicht an den vom Fragesteller intendierten (und vom Witzhörer automatisch verstandenen) Sinn, sondern an einen (zumindest ungewöhnlichen) Nebensinn der Frage anknüpft. Die Erklärung, es handle sich hier eben um ein komisches Missverständnis, wird nun allerdings den gewiegten Witzkenner nicht befriedigen, denn interessant sind ja vor allem die Gründe für das Missverständnis. Diese sind natürlich offensichtlich: Die Witzfigur ist nämlich ein Jude. Die Juden gelten, nach einem verbreiteten Vorurteil, als schmutzig und badescheu, dazu noch als habgierig und diebisch. Unsere Witzfigur zeichnet sich, wie wir sehen, durch genau diese Eigenschaften aus. Deshalb ist es gar nicht anders möglich, als dass sie die Frage missversteht und nehmen im Sinne von 'stehlen1 interpretiert. Hierzu ist allerdings zu bemerken, dass "das Uebersehen des Bades bedeutsamer ist als das Missverständnis des Wortes 'nehmen'", (Freud 1905; 1971 : 39) denn nur weil der Jude offenbar nicht genau weiss, was ein Bad ist , ist die Möglichkeit und zugleich die Wahrscheinlichkeit eines Missverständnisses gegeben. Man beachte das Detail, dass sich die beiden Juden nicht im Badehaus, sondern in dessen Nähe treffen (andernfalls wäre die Unkenntnis wohl kaum plausibel). Wieviel hintergründiger Sinn diesem (abgesehen von der diskriminierenden Tendenz) glänzenden Witz verloren geht, wenn man ihn abändert, zeigt folgende Variante: Zwei Diebe treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. "Hast du ein Bad genommen?" fragt der eine. "Wieso?" fragt der andere dagegen, "fehlt eins?"
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zents der Frage von Bad auf genommen lasse sich die Doppeldeutigkeit feststellen, nicht ganz exakt, obwohl natürlich seine Folgerung, mit einer Aenderung des Wortlauts falle der Witz dahin, ihre volle Gültigkeit behält. (Vgl. Freud 1905f 1971 : 41) - Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Idiom ins Bad steigen u.U. die obige Darstellung in Frage stellen könnte: Hier ist jedenfalls nicht auszuschliessen, dass die Bedeutung 'Badewanne 1 gemeint sein könnte, obwohl auch Bedeutung (1) denkbar ist. Wie dem auch sei: Unsere Argumentation hängt nicht davon ab, ob das Idiom ein Bad nehmen doppeldeutig ist oder nicht. Vgl. Anm. 15. Der Jude nimmt jedenfalls an, es handle sich um einen wegtragbaren Gegenstand.
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In diesen Beispiel sind die beiden Juden ersetzt durch zwei Diebe, der Rest ist unverändert, abgesehen von der Berichtigung der WbrtStellung, die nun natürlich keiner Angleichung an eine fremdartige Syntax mehr bedarf. Durch die Vertauschung der Personen wird aber bereits die von uns als entscheidend angesehene Vorbedingung für das Missverständnis, die Badescheu, fallengelassen: Was oben als konnotativer Bedeutungsaspekt in der Bezeichnung Jude enthalten und somit dem Witzhörer als Interpretationshilfe zugänglich war, fehlt hier völlig. Als einzige Motivation für das ungewöhnliche Verständnis der Frage lässt sich dem Dieb eine immer vorhandene Bereitschaft zum Stehlen unterschieben: zweifellos eine Interpretation, die von Anfang an auf der Hand lag und keiner hintergründigen Ueberlegungen bedarf. Dazu kcrnnt, dass in dieser Fassung die Szenerie des Badehauses wie auch das Bad selbst als Gegenstand der Verwechslung völlig willkürlich erscheinen, was angesichts unserer Vorbehalte gegenüber der Mehrdeutigkeit des Idioms die Qualität des Witzes nicht gerade steigert. Noch krasser verletzt ist das Prinzip einer gegenseitigen Abstimmung der Elemente in der nächsten Variante: Zwei Irre treffen sich im Badehaus der Anstalt. "Hast du schon ein Bad genommen?" fragt der eine. "Wieso" entgegnet der andere, "fehlt womöglich eins?" (iv, 138) Statt der Juden sind hier zwei Irre die Witzfiguren. Damit macht es sich der Erzähler des Beispiels natürlich leicht: Bei Irren - mag er sich gedacht haben ist es zum vornherein aussichtslos, nach plausiblen Motiven ihres Handelns zu suchen. Da braucht es gar keine tiefsinnige Begründung für ein Missverständnis. Deshalb können sich die beiden Irren ohne weiteres im Badehaus selbst treffen; deshalb stört auch das völlig verfehlte womöglich in der Antwort des Irren nicht. (Der Einschub verbietet natürlich die Annahme, der Antwortende habe nehmen spontan falsch verstanden. Diese Annahme wäre aber nötig, soll dia Pointe auch nur einigermassen plausibel sein.) Im übrigen steht die obige missglückte Variante nicht allein: "Haben Sie heute ein Bad genommen?" fragt der Aufseher in einer psychiatrischen Klinik einen Patienten. "Warum, fehlt eines ...?" (ix, 30.11.74, 65)
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Mit diesen Beispielen sollte gezeigt werden, dass die meisten Witze eine Abweichung vom Idealtext höchstens in unwesentlichen Einzelheiten erlauben. Die Textstruktur eines guten Witzes ist im allgemeinen zu kompliziert, als dass man, ausgehend von Wortlaut einer bestiimtten Pointe (bzw. dem Wortlaut des vorbereitenden Textelenents), einfach einen mehr oder weniger beliebigen Rahmen darum herum aufbauen könnte. Von der Produktions- bzw. Sprecher-Seite her betrachtet heisst dies: Der Witzerfinder hat die einzelnen Elemente seines Witzes sorgfältig aufeinander abzustimmen, der Witzerzähler hat den Witz in der Regel annähernd wortgetreu wiederzugeben. (Nähere Angaben zur Produktion sind hier nicht zu machen, denn es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, ein Modell der Witz-Generierung zu entwerfen.) Vom Text selbst her gesehen gilt vorläufig: Seine Struktur konstituiert sich aus (drei) verschiedenen Tagmemen, die sich gegenseitig determinieren. Von der Textstruktur her haben wir es also nicht mit der Abstimmung, sondern mit der Abgestirmtheit der Teile zu tun, ein Aspekt, der im Rahmen der Untersuchung der Technik des Witzes zur Geltung kommen wird. Im wesentlichen lassen sich die sprecherseitigen Voraussetzungen des Interaktionsmusters Witzerzählen zusammenfassen wie folgt: (1) Herstellung der Witzerzählsituation (durch den Akt der Ankündigung) (2) Dem Idealtext gerechte (meist wortgetreue) Wiedergabe des Witzes Die Realisierung der Voraussetzung (1) garantiert den reibungslosen Ablauf der Witzerzählung innerhalb des übergeordneten Handlungszusammenhangs (der Hörer wird auf die witzgerechte Rezeptionshaltung verpflichtet), die Voraussetzung (2) garantiert den Erfolg der Interaktion innerhalb der Witzerzählsituation (durch die Wiedergabe des Ideal texts wird der 'witzige Effekt1 auch tatsächlich ermöglicht und nicht etwa die Pointe verpatzt).
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4.2.2
Hörerseitige Voraussetzungen
Bei der einleitenden Diskussion einiger Witzbeispiele haben wir festgestellt, dass für das Gelingen der Interaktion witzerzählen auf selten des Hörers eine spezifische Rezeptionshaltung nötig ist.
Doch worin besteht diese spezifische
Rezeptionshaltung? Initier wieder haben die Autoren auf das eigenartige Verhältnis von Gesagtem und Ungesagtem im Witz verwiesen. Stellvertretend für viele andere sei hier eine Aussage von W. Preisendanz angeführt: "[...] In jedem Fall wird im Witz so geredet, dass die ausdrückliche Bedeutung gerade das mitteilen muss, was sie an sich ausklammert, unterdrückt, verdrängt." (Preisendanz 1970 : 30) Sollte man daraus schliessen, dass im Witz Wesentliches überhaupt nicht gesagt wird, dass der Witz vielmehr notwendigerweise einer ergänzenden Interpretationsleistung des Hörers bedarf? Tatsächlich hat bereits H. Plessner (neben anderen Autoren) hervorgehoben, dass sich beim Witz "ein an den Ausdruck gebundenes und gewiesenes Verstehen [...] gegen ihn durch Bindung und Verweisung an ihn" verselbständigt-
(Plessner 1941; 1950 : 134) Das heisst doch wohl nichts
anderes, als dass sich der Sinn eines Witzes nur unter Einbezug der aktiven Verstehens- und Interpretationsleistung des Hörers beschreiben lässt. Damit sieht sich eine sprachwissenschaftliche Darstellung des Witzes und der Interaktion Witzerzählen allerdings vor die schwierige Aufgabe gestellt, den Verstehensprozess untersuchen zu müssen oder doch zumindest abzuklären, in welchem Verhältnis die linguistisch beschreibbare Bedeutung eines Texts und die interpretierende Ergänzung bzw. Zusammensetzung von erschlossener Information durch den Hörer zueinander stehen.
4.2.2.1 Textbedeutung und Interpretation Die Erörterung des Verhältnisses von Textbedeutung und Interpretationsleistung des Hörers ist wohl eines der schwierigsten Probleme, das uns die Untersuchung der Textsorte Witz aufgibt. Hier sollten für eine adäquate Darstellung die verschiedensten Aspekte und Forschungsergebnisse der sich mit Sprache und Kommunikation beschäftigenden Disziplinen berücksichtigt und möglichst in Einklang ge-
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bracht werden: Einerseits muss untersucht werden, wie sprachliche Bedeutung auf Textebene realisiert wird und beschrieben werden kann, anderseits ist eine Analyse des Interpretationsvorgangs wohl kaum denkbar ohne Einbezug sprachpsychologischer Ueberlegungen. Generell lässt sich die Problematik zusammenfassen in der Forderung H.G. Tillmanns, "die Dynamik des psychisch manifesten Kommunikationsprozesses mit der Statik eines geltenden Sprachsystems zu verbinden." (Tillmann 1970 : 350) Es ist klar, dass wir an dieser Stelle keinen umfassenden Ueberblick über die hier angeschnittenen Fragen geben können; wir werden uns im Gegenteil auf die Erläuterung einiger konkreter Witzbeispiele beschränken, ohne Zweifel auf Kosten einer gründlichen Diskussion. A.J. Greimas hat in seinem Buch "Semantique structurale" ein Konzept entwickelt, welches erlaubt, semantische Textstrukturen zu beschreiben: Anhand des Begriffs der Isotopie zeigt er, dass Texte, obwohl aus heterogenen Einheiten zusammengesetzt, auf homogenen semantischen Ebenen
(Isotopieebenen)
situiert sind
und so ein Bedeutungsganzes bilden. (Greimas 1966; 1971 : 45f) Diese Isotopieebenen konstituieren sich durch die jeweils über rekurrente Merkmale verbundenen Lexeme eines Texts.
Mithilfe des Isotopiebegriffs analysiert Greimas dann
den folgenden Witz: Ein Pferdehändler empfiehlt dem Kunden ein Reitpferd: "Wenn Sie dieses Pferd nehmen und sich um 4 Uhr früh aufsetzen, sind Sie um 1/2 7 Uhr in Pressburg." - "Was mach1 ich in Pressburg um V2 7 Uhr früh?" (vi, 43)
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Zum Begriff Isotopie vgl- E.U. Grosse: "Der Terminus bezeichnet a) die syntagmata sehe Iterativität mehrerer Klasseme (= syntagmatische Isotopie), wobei zu unterscheiden ist zwischen einfacher Isotopie [ . . . ] und komplexer Isotopie bei intendierter kontinuierlicher Doppeldeutigkeit der Aeusserung [ . . . ] und b) unter Voraussetzung ihrer Iterativität in einem invariabel gehaltenen Kontext das Vorkommen mehrerer gleicher Klasseme in den paradigmatischen Einheiten, die durch Kommutations- oder Einsetzproben ermittelt wurden (= paradigmatische Isotopie [...] ) . " (1971; 1974 : 95, Anm. 8) Anzumerken ist, dass Greimas nur die Rekurrenz von Klassemen (kontextuellen Merkmalen) als konstitutiv für eine Isotopieebene ansieht. Eine derartige Einschränkung ist problematisch, denn sie erfasst das rekurrente (und damit relevante) Auftreten anderer Merkmale nicht. Vgl. deshalb Rastier, dessen Isotopiebegriff sich auf die Iterativität jeglicher Merkmale stützt. (F. Rastier 1972; 1974)
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"In dieser Geschichte setzt die zweite, fast buchstäbliche Isotopie offensichtlich [ ] das Vorhandensein einer ersten nicht buchstäblichen Isotopie voraus. Und in der Tat wird jeder 'durchschnittliche und kultivierte1 Hörer (Riffaterre) [1957] in dem Masse, wie er die formalen Regeln des Spiels akzeptiert, die erste Isotopie zu erfassen suchen, und er wird sie spontan erfassen. Diese weist jedoch bestürmte Ereigniselemente auf, die ihm unbekannt sind. Er braucht z.B. nicht zu wissen, dass Pressburg der alte Name von Bratislava ist, und weder das eine noch das andere zu kennen. Ebenso ist ihm der Ort, an dem sich im Augenblick des angenommenen Austausche der Nachrichten der Pferdehändler und sein Kunde befinden, völlig unbekannt, um so mehr folglich die die beiden Orte voneinander trennende Entfernung. Dessenungeachtet begreift der Zuhörer unmittelbar, dass diese Entfernung gross ist und dass das Pferd, das sie in zweieinhalb Stunden zurücklegt, schnell sein muss. Diese ganze "spontane1 Kenntnis jedoch, die in keiner Weise in den in der fraglichen Sequenz enthaltenen Tatsachen impliziert ist, kann ihm nicht - und darauf bestehen wir - aus der Kenntnis der Ereignisse, sondern einzig aus dem globalen Kontext kommen, selbst wenn dieser ihm nur durch eine kurze Einleitung gegeben ist: Ein Pferdehändler empfiehlt dem Kunden ein Reitpferd ... Der Kontext kündigt in der Tat durch die Summe der Auskünfte, die er enthält, und durch die Verwendung eines syntaktischen Graphems (:) (oder eines suprasegmentalen Phonems im Falle der mündlichen Koirtiunikation [Anm. des Uebers.]) sowie mit hoher Wahrscheinlichkeit folgendes an: a) b) c) d)
eine weitere Nachricht, deren Sprecher der Pferdehändler sein wird, deren Gesprächsthema rfos Reitpferd sein wird, und deren Prädikat dem Thema der bevorstehenden Aeusserung irgendeine positive Qualität attribuieren wird.
Wie man sieht, wird die erwartete Information in einem sehr grossen Ausmass durch die Isotopie des Kontextes vorausbestimmt: sie wird in der Wahl einer der Variablen aus der Klasse der für ein Reitpferd möglichen positiven Qualitäten bestehen. Jedoch schreibt die - durch die Anwesenheit der Terme Aufbruah und Ankunft - tatsächlich manifestierte Nachricht dem Pferd nur das Prädikat
59
"Dislokation1 zu. Die wirkliche Funktion dieser Nachricht tritt nun deutlich hervor: sie besteht einzig darin, mit Hilfe des Prädikats 'Dislokation' den mit ihm kompatiblen generischen Ausdruck innerhalb des Paradigmas der Qualitäten des Pferdes zu selektieren, zu spezifizieren, und die ganze Ereignissequenz letztlich nur die oblique Definiton Das Pferd
ist
ist
Pferd:
schnell (ein schnelles
Pferd).
Man versteht nun die Operation des verständigen Denkens besser, das uns durch seinen deduktiven Charakter (weil das Pferd schnell ist, muss die Entfernung, die es zurückzulegen haben wird, gross sein) der tatsächlichen Kenntnis der berichteten Ereignisse überhebt." (Greimas 1966; 1971 : 82f. Arm. franz. Originaltermini durch den Uebers. weggelassen) Wir haben diesen längeren Passus so ausführlich zitiert, weil sich daran u.E. die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer semantischen Textbeschreibung und das Verhältnis von Textbedeutung und Interpretationsleistung des Hörers illustrieren lassen. Beginnen wir die Diskussion mit einer künstlichen Massnahme: Wir analysieren vorerst nur den Dialog, d.h. wir ignorieren die Einleitung
Ein Pferdehändler
... Es ist klar, dass durch diese Reduktion die
Pointe des Witzes verloren geht: Der Witzhörer wird in diesem Fall die Aussage der Figur A (nun nicht mehr als Pferdehändler charakterisiert!) zu ihrem 'Nennwert1 nehmen; er wird m.a.W. dem (isolierten) Satz ungefähr die folgende 'semantische Interpretation' zuschreiben: 'B kann (mit einem Pferd) in zweieinhalb Stunden nach Pressburg gelangen.' In dieser Satzbedeutung ist die Isotopieebene 'Das Pferd ist schnell1 sicher nicht enthalten. Ein entscheidendes Element der Aussage A 1 s ist nämlich im reduzierten Text nicht mehr spezifiziert: ihre illokutionäre Rolle, welche im Originaltext durch die Einleitung als 'Verkaufsempfehlung' festgelegt wird. Wenn aber die Spezifikation der illokutionären Rolle fehlt, kann auch B die Aussage A's zu ihrem Nennwert nehmen, sie also auffassen als eine Aussage über die Möglichkeit, dass er, B, sich nach Pressburg begeben könnte. Von daher ist seine Antwort Was mach' iah ... durchaus plausibel. (Man darf freilich nicht übersehen, dass die 'Nennwert-Interpretation1 nur eine rein hypothetische M3glichkeit darstellt, denn in jedem Fall wird eine konkrete Gesprächssituation da-
60
zu beitragen, die iilokutionären Rollen von Aeusserungen zu spezifizieren. Die hypothetische Interpretation ist hier nur deshalb möglich, weil unser reduzierter Bericht über einen Dialog die Gesprächssituation nicht wiedergibt.) Die Analyse des Beispiels zeigt also folgendes: Die Einleitung Ein Pferdehändler1 empfiehlt
entwirft für den folgenden Dialog einen Vorkommenskontext, oder, wie
S.J. Schmidt es nennt, eine "semantische Situation." (Schmidt 1971b : 219) Das 18 Verb empfehlen hat den Stellenwert einer extrakontnunikativen Aussage über den Sprechakt des Pferdehändlers, d.h. es spezifiziert die Absicht, die dieser mit seiner Mitteilung verfolgt. (Sine diese Spezifikation wäre die Bemerkung des Pferdehändlers kaum in dem von Witz intendierten Sinn zu verstehen. Nun bestreitet aber Greimas, dass die einer Aussage zugrundeliegende Absicht eines Sprechers für die Interpretation eines Textes relevant sein könnte: "ES ist uns nicht möglich, an der Erklärung festzuhalten, die der Organisation der Nachrichten, deren Aufeinanderfolge die Rede konstituiert, [...] durch die Intentionalität des Sprechers Rechnung trägt, und das nicht so sehr aus Furcht vor dem Mentalismus, sondern ganz einfach deshalb, weil eine solche Interpretation auf der Ebene der Emission der Nachrichten und nicht der ihres Empfanges oder ihrer Uebermittlung situiert ist."
(Greimas 1966; 1971 : 60. Hervorhebung weggelassen)
Vom Standpunkt des Semantikers, der Bedeutungsstrukturen in vorliegenden Texten untersucht, her gesehen mag diese Argumentation einleuchten. Doch liegt hier, bezogen auf unser Witzbeispiel, nicht ein Kurzschluss vor? Ist es nicht gerade für den Empfang einer Nachricht von entscheidender Bedeutung, dass der Hörer versteht, was der Sprecher damit sagen will? Wir lachen doch deshalb über den Witz, weil die Figur B anders reagiert, als wir es an ihrer Stelle tun würden, indem sie nämlich für die Interpretation der Aeusserung A 1 s den Situationskontext des Gesprächs nicht berücksichtigt und damit die Absicht der
Verkaufsempfehlung
ausser acht lässt. Freilich: Greimas kann die illokutionäre Rolle der Aeusse-
18
Der Terminus extrakommunikativ bezeichnet ein Sprechen, das über Kommunikation spricht, ohne selbst in dieser Kommunikation zu stehen. Im Gegensatz dazu benennt metakonmunikativ jenes sprachliche Verhalten, das über eine Kommunikation spricht, während es zugleich in dieser Kommunikation steht. (Vgl. Wunderlich 1970 : 19, Anm. 8)
61
rung A1 s ohne weiteres aufgrund rein semantischer Daten bestirnten, denn er hat ja nicht selbst am Dialog teil, muss also keine Sprecherabsichten 'erraten', sondern analysiert einen Bericht, einen Text, der die Definition der illokutionären Rolle enthält in Form einer durch die einführende Kontextangabe konstituierten Isotopieebene. Doch selbst Greimas geht mit seiner Analyse über eine rein semantische Bestimmung der im Text enthaltenen Bedeutungsstrukturen hinaus, dann nämlich, wenn er die Ebene des witzinternen Dialogs verlässt und versucht, die für den Witzhörer und dessen Witzverständnis relevante Isotopie zu beschreiben. Wie er selbst erwähnt, "schreibt die [...] tatsächlich manifestierte Nachricht dan Pferd nur das Prädikat 'Dislokation' zu." U.E. ist es nun aber nicht die "Funktion dieser Nachricht", also eine Leistung des Textes, sondern die Interpretationsleistung des Witzhörers, "mit Hilfe des Prädikats 'Dislokation' den mit ihm kompatiblen generischen Ausdruck innerhalb des Paradigmas der Qualitäten des Pferdes zu selektieren." (Greimas 1966; 1971 : 83) Was im Text als Bedeutung vorliegt, ist nicht eine Isotopie 'Das Pferd ist schnell1, sondern es sind die Bedeutungselemente 'Der Pferdehändler empfiehlt ...' und 'Pferd als Mittel der Dislokation', deren Konnexion für den Hörer zur Bedeutvngs.anweisung wird, den Prädikat ionsaJc t "Das Pferd ist schnell" auszuführen. Im Text aber ist das Merkmal 'schnell' nicht enthalten. Greimas weist im übrigen selbst auf die Tatsache hin, dass es sich bei der "obliquen Definition von Pferd um eine besondere Art von 'Isotopie' handelt, wenn er sie 'nicht buchstäbliche Isotopie1 nennt und zudem anführt, dass "jeder 'durchschnittliche und kultivierte' Hörer [...] die erste Isotopie zu erfassen suchen" wird. (Greimas 1966; 1971 : 82) Die Frage bleibt, ob es sinnvoll ist, 1
topie einer Nachricht
die aktive Verstehensleistung des Hörers als 'Iso-
zu bezeichnen.
Die Einwände, die wir gegen die Analyse Greimas' vorgebracht haben, mögen irrelevant erscheinen angesichts der Tatsache, dass Greimas eine gültige Interpretation der Aeusserung des Pferdehändlers gibt und damit die Vorbedingung für die Pointe erklärt. Dazu könnt, dass auch unsere Darstellung nicht beschreibt, auf welche Weise genau die Verbindung der Merkmale 'Dislokation1 und 'schnell' zustandekoramt, denn wir haben den verbindenden Prozess einfach in den Hörer ver-
62 19
legt, ohne zu spezifizieren, wie er dort abläuft. Und doch ist es nicht belanglos, wenn Greimas mehr oder weniger unvermerkt die Grenzen einer rein am Text orientierten senentischen Analyse überschreitet, wenn er den Hörer (und indirekt die Witzerzählsituation überhaupt: vgl. die Bedingung "in dem Masse, wie er die formalen Regeln des Spiels akzeptiert") in seine Argumentation einbezieht. Die Gefahr ist gross, dass dadurch Elemente des Kommunikationsvorgangs in semantische Gegebenheiten uminterpretiert werden. Wie unsere Erörterungen gezeigt haben dürften, lässt sich der Sinn eines Textes kaum aufgrund einer rein textinhärenten, semantischen Analyse beschreiben. Damit soll jedoch keinesfalls bestritten werden, dass die Untersuchung von Isotopieebenen, wie Greimas sie vorschlägt, für die Analyse von Kommunikationsprozessen einen wertvollen Ansatz bietet. Auch von Seiten anderer Disziplinen, etwa der Sprachpsychologie, wird immer wieder betont, dass "die Konstanten einer linguistischen Strukturbeschreibung" mit zu den notwendigen Bedingungen gehören, "die ein Potential möglicher, im einzelnen aber erst durch die situativen, sozialen und individuellen Randbedingungen festgelegter faktischer Satzverständnisse [...] erschliessen." (Leuninger u.a. 1972 : 120. Hervorhebung weggelassen) Vielleicht lässt sich der "Gegensatz1 von Textbedeutung und Interpretationsvorgang etwas entschärfen, wenn man den Bedeutungsbegriff, wie dies die Textlinguistik tut, dynamisch als Anweisung fasst, wobei alle drei Aspekte der Bedeutungsanweisung, die Referenz-, die Kbnnexions- und die Konsequenzanweisung, einbezogen werden müssen. Die Textbedeutung kann dann u.a. angesehen werden als Anweisung zur Interpretation. In dieser Bestimmung ist eingeschlossen, dass sich sprachliche Bedeutung erst in der Ausführung dieser Anweisung, im Verstehensprozess des Hörers realisiert. Damit wird die von uns kritisierte Tendenz vermieden, dem Text zu unterschieben, was im Grunde von den Kommunikationspartnern geleistet wird, Isotopien als im Text vorgegebene Bedeutungsebenen einzuführen, wo Verstehens- und Interpretationsleistungen des Hörers vorliegen. Der Forderung
19
Das ist natürlich Sache der Sprachpsychologie. Welche perzeptuellen Strategien Sprecher und Hörer zur En- bzw. Dekodierung von Aeusserungen benutzen, und in welchem Bezug diese Strategien zu einem linguistischen Regelsystem stehen, ist innerhalb der sprachpsychologischen Forschung nach wie vor ungeklärt. (Vgl. dazu Hörmann 1967} 1970, List 1972, Leuninger u.a. 1972)
63
Greimas1, "auf don phänonenologischen, d.h. sprachlichen Plan" zu bleiben (Greimas 1966; 1971 : 21), wird diese Auffassung insofern gerecht, als ja das Phänomen Kormunikation untersucht wird. Dabei sollen Mutmassungen über den psychischen Prozess des Dekodierens möglichst eliminiert werden. Es geht einzig darum, zu zeigen, dass der Hörer die im Text vorgegebenen Isotopien als Anweisungen versteht, sich auf sein Wirklichkeitsmodell zu beziehen; dass er die durch die Textstruktur vorgezeichnete Konnexion verschiedener Isotopien als Anweisung auffasst, Relationen zwischen den Bedeutungselenenten herzustellen und, wie in unserem Witzbeispiel, aufgrund der vorgegebenen Bedeutung neue Prädikationsakte auszuführen.
4.2.2.2
Die Beschreibung des Textsinns im Tagmemik-Modell
Das Konzept Textbedeutung - (u.a.) Anweisung zur Interpretation verlangt für
eine einigermassen adäquate Darstellung des realisierten Textsmns 20 einmal mehr eine "Integrated Theory", welche sowohl semantische als auch kommunlkations- und handlungstheoretische Aspekte berücksichtigt. Die Tagmemik-Theorie bietet hier einen interessanten Ansatz, doch sind wir beim jetzigen Stand der Forschung noch weit von einer endgültigen Darstellung entfernt. Wenn wir im folgenden den 'Pressburg-Witz' mit dem Tagmemik-Modell beschreiben, sind wir uns bewusst, dass dabei nichts entscheidend Neues herauszufinden sein und die Beschreibung nach wie vor sehr unvollkommen bleiben wird. Insbesondere müssen wir auf eine Formalisierung der Ergebnisse verzichten. Auf Details der internen Textstruktur werden wir später zurückkcntnen; an dieser Stelle geht es vor allem um die Rolle des Hörers im Interpretationsprozess.
20
Der Begriff Textbedeutung bezeichnet hier die Summe der im Text vorgegebenen Bedeutung, während Textsinn die realisierte Bedeutung meint, die erst mit der Interpretation gegeben ist.
64
Die drei Hypertagmene des witzigen Effekts
. Herstellung der- Witzerzählsituation, HT- Erzeugen
und HT, Kundgabe des Verständnisses sind - wie wir uns er-
innern - eingebettet in das Hyperbehaviorem Witzerzählen und erhalten erst dadurch ihren Stellenwert. Das Hyperbehaviorem ist also gleichsam eine Rahmenstruktur, auf welche die einzelnen Elemente des Komtunikationsprozesses bezogen sind. Das bedeutet z.B. für das Hypertagmem HT , dass es nur beschreibbar ist in bezug auf die Interaktion witzerzählen: Statt dass wir also den Witz statisch als einen fixfertig vorliegenden Text auffassen, nehmen wir ihn als das, was er im Grunde wirklich ist, als eine Verhaltenseinheit, als einen zwischen dem Sprecher und dem Hörer innerhalb der Witzerzählsituation ablaufenden Prozess (Witzerzählung, exkl. Ankündigung etc.).
Das hat für die Beschreibung
1
des sprachlichen 'Kondensats dieses Prozesses beträchtliche Folgen: Sie hat (1) die Dynamik des Prozesses und (2) die Funktionen, die dabei Sprecher und Hörer übernehmen, mit zu umfassen. Der Forderung (1) versuchen wir dadurch gerecht zu werden, dass wir das 'Textkondensat1 als ütterem, bestehend aus drei eingebetteten Hypertagmemen HT _ , darstellen, die als funktionale Verhaltenseinheiten per definitionem dyci^C
namischen Charakter haben. Forderung (2) wird durch die trimodale Komponentenund Schichtenanalyse erfüllt, deren besonderer Vorteil ja darin besteht, dass dieselbe Einheit auf verschiedenen Segmentierungsebenen nach jeweils anderen Gesichtspunkten untersucht werden kann. Der Textsinn konstituiert sich nach dieser Darstellung aus folgenden Elementen: (1) aus den inhärenten Merkmalen (u.a. 'Bedeutung') des Hypermorphems HM_ Witz. Diese wiederum setzen sich zusammen aus der Summe der funktionalen Relationen der Hypertagmeme HT _ und aus den inhärenten
21
Vgl. G. Ungeheuers Forderung, "dass Kommunikation in jedem Falle angesehen werden muss als ein Zusammenwirken mehrerer Individuen und dass dieses Moment auch in der Theorie zu berücksichtigen ist. Damit wird [ . . . ] behauptet, dass Kommunikation prozessualen Charakter besitzt, d.h. dass eine zeitliche Entwicklung [meine Auszeichnung] ihrer Elemente - nicht nur eine zeitliche Erstreckung - wesentliches Element ihrer begrifflichen Bestimmung ist." (Ungeheuer 1972; 1974 : 21)
65
Merkmalen der entsprechenden Hyperirorpheme/-phoneme HM/HP
cl""" C
(2) aus der Einbettung des Hypermorphems HNL Witz als Hypertagmen HT in das Hyperbehaviorem Witzerzählen. Diese Einbettung bedeutet u.a., dass auch die Hypertagmeme HT _ , die ja eigentlich 'Konstituenten' des Hypermorphems HM sind, vermittelt über dessen tagmemische Funktion das Hyperbehaviorem Witzerzählen determinieren; dass sie umgekehrt aber auch erst vom Hyperbehaviorem Witzerzählen her, wieder vermittelt über das Hypertagmem HT_, ihren eigentlichen Stellenwert zugewiesen bekamen. (D.h.: Tagmsmische Relationen bestehen über die unmittelbar über-/untergeordnete Einbettungsebene hinaus.) Der Textsinn ist somit nicht ein Merkmal des Hypermorphems HM, Witz, sondern eines (unter anderen) des Hypermorphems Witzerzählen. Vielleicht lassen sich die Zusammenhänge mit einer schematischen Darstellung verdeutlichen:
HB Witzerzählen (einschließlich Sprecher und Hörer) HM Wi tzerziihlen ( u . a . Merkmal 'Textsinn 1 )
l l
( u . a . Merkmal 'Textbedeutung 1 )
bezeichnet gegenseitige Determination)
66
Die gegenseitige Determination der Elemente hat zur Folge, dass sich die funktionale Bedeutung der Strukturelemente HT a-c nicht allein damit beschreiben lässt, dass auf ihre textinterne Funktion als konstituierende Strukturelemente verwiesen wird; im Fall von HT (Pointe) z.B. auf die Funktion, durch die Etablierung einer mit dem vorangehenden Text z.T. unvereinbaren Schlussisotopie 22 polyfunktionale Vertextungen hervorzuheben. Vielmehr kann ihre Funktion nur unter Berücksichtigung der vermittelten Einbettung in HB Witzerzählen abschliessend geklärt werden, für die Pointe z.B. durch den Hinweis auf die Funktion einer Anweisung an den Hörer, eine bereits vollzogene Interpretation des vorangegangenen Texts zu revidieren oder zu ergänzen etc. Die wechselseitige Abhängigkeit von Textbedeutung und Interpretationsleistung des Hörers, welche zusammen den Textsinn realisieren, lässt sich also im Rahmen des Tagmemik-Modells strukturell beschreiben als eine Vielfalt von Relationen zwischen den einzelnen Elementen einer komplexen Verhaltenseinheit. Freilich ist unsere Darstellung hier nichts als ein vorläufiger Versuch, die prinzipielle Möglichkeit einer solchen Beschreibung zu zeigen. Von einem präzisen und detaillierten Modell sind wir mit unserem grobrasterigen Schema natürlich weit entfernt. Das Verhältnis von Textbedeutung und Interpretation beim 'Pressburg-Witz1 lässt sich nun etwa wie folgt umreissen: (Einleitung:)
HT3. : Etablierung des Handlungsrahmens HM : Einführung von Situation und Personen a HP : Isotopie 'Der Pferdehändler empfiehlt dem Kunden ein Reitpferd (Zwischenteil .·)
HT : Dramatisierung HM, : Dialogbeginn HP, : Isotopie 'B kann mit diesem Pferd in zweieinhalb Stunden Pressburg erreichen1 22
Die hier angeführte Bestimmung der Pointe hat natürlich bloss vorläufige Gültigkeit und wird später präzisiert und begründet.
67
Hier wird die Einbettung von HT und HT 3i
JD
in das Hyperbehaviorem wit z-
erzählen relevant. Der Hörer vergleicht die beiden Isotopien und gelangt (unter Berücksichtigung ihrer Konnexion und ihrer funktionalen Abhängigkeit) zum Schluss, dass sie (als Bedeutungsanweisungen) von ihm als Interpretationsleistung die Ausführung des Prädikationsakts 'Das Pferd ist schnell' verlangen. Er etabliert damit die im Text selbst nicht enthaltene, wohl aber in ihren Anweisungsbedingungen vorgegebene 'nicht buchstäbliche Isotopie', welche ihm die Grundlage für die weitere Interpretation sein wird. (Pointe:) HT : Etablierung einer mit dem vorangegangenen Text unvereinbaren c Schlussisotopie, Anweisung zur Revision früherer Interpretation HM : Dialogschluss HP : Isotopie 'B hat nicht die Absicht, um halb sieben Uhr morgens c in Pressburg zu sein" Die Interpretationsleistung des Hörers besteht zunächst in der Feststellung, dass HPC nicht an die soeben etablierte 'nicht buchstäbliehe Isotopie' anschliesst. Zusätzlich wird sich der Hörer aber nach dem Grund für die inkohärente Konnexion fragen, d.h. er wird nach dem Motiv für die unerwartete Antwort B's suchen. Ausschlaggebend für das "'geistige' Vergnügen" am Witz ist somit nicht, wie Greimas annimmt, die "Entdeckung zweier verschiedener Isotopien innerhalb einer vorgeblich homogenen Erzählung", (Greimas 1966; 1971 : 61) sondern die
23
Die Frage nach den Motiven einer Sprechhandlung gehört durchaus mit zur Beschreibung des Kommunikationsprozesses. Vgl. z.B. A.A. Leont'ev: Der Kommunikationsprozess ist "die Herstellung einer Entsprechung zwischen der konkreten Situation, auf der die Bezeichnung der Tätigkeit basiert, d.h. zwischen dem Inhalt, dem Motiv [meine Auszeichnung] und der Form dieser Tätigkeit auf der einen Seite und zwischen der Struktur und den Elementen der sprachlichen Aeusserung auf der anderen." (1969; 1971 : 25) - Es zeigt sich hier einmal mehr, dass "die Sprache nicht als reine Struktur von den Motivationskomponenten und den Zielen des sprechenden, d.h. handelnden Subjekts losgelöst werden" kann. (C.Heeschen, W.Stölting im Vorwort zu A.A.Leont'ev 1971:11)
68
daraus resultierende Feststellung, dass B's Sprechverhalten von der üblichen Norm abweicht und die illokutionäre Rolle der Aeusserung A's ignoriert, um das Qualitätsmerkmal 'Schnelligkeit1 als Verkaufsargunent zurückzuweisen.
4.2.2.3
Die Situation des Hörers in der Interaktion Witzevzählen
Wir haben in den zwei vorigen Abschnitten versucht, den Rezeptionsvorgang und das Problem seiner Beschreibung darzustellen. Es wurde festgestellt, dass der Witzhörer für ein adäquates Verständnis des Textsinns darauf angewiesen ist, vorgegebene Informationen zu ergänzen und daraus entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Dabei wurde von der stillschweigenden Voraussetzung ausgegangen, dass der Hörer - wie Greimas sagt - "die formalen Regeln des Spiels akzeptiert." (Greimas 1966; 1971 : 82) Zu zeigen, worin diese Regeln bestehen, ist nun nicht ganz leicht, denn die Bereitschaft des Hörers, als Witz aufzufassen, was als solcher angekündigt wird, macht den Nachweis einer durchaus nicht selbstverständlichen Interpretationshaltung fast unmöglich. Nur an seltenen Beispielen, wie etwa dem zitierten "kürzesten Schottenwitz", lässt sich deutlich machen, dass einzig eine spezifische Rezeptionshaltung die Realisierung der im Text angelegten Bedeutung garantiert. Wie wir gesehen haben, ist dieser Witz nur jemandem verständlich, der sich auf eigene Erfahrung im Umgang mit Schottenwitzen abstützen kann. Dass jede Interpretation sprachlicher Texte den Bezug auf den eigenen Erfahrungsbereich einschliesst, ist natürlich eine Binsenwahrheit. Die Eigenart der Textsorte Witz besteht jedoch gerade darin, dass diese Bedingung, wenigstens zum Teil, aufgehoben ist! Nur so ist erklärbar, dass der Hörer die seltsame 'Logik' des Schottenwitzes akzeptiert. Dieser Sachverhalt kann als "'Fiktivität' von Witzen" bezeichnet werden. "Witze, so wie sie sich in der Witzerzählsituation konstituieren, sind nicht als Zeichen zu nehmen, womit auf etwas [Reales] hingewiesen werden soll, ihnen steht nichts Bezeichnetes gegenüber, an dem sie zu kontrollieren wären. Witze itüssen als in sich sinnvolle Gebilde begriffen werden." (Portmann 1973 : 115f, Anm. 10)
69
Der Hörer muss also bereit sein, die Fiktivität einer im Witz entworfenen Wirklichkeit anzunehmen bzw. sogar zu übersehen. Man könnte dies als Konvention des Witzverständnisses bezeichnen, eine Verstehenskonvention, die auf eine ganz bestimmte Textsorte hin angelegt ist.
Die Annahme von Verstehenskonventionen
geht davon aus, dass der Prozess des Verstehens nicht schon vollständig determiniert ist durch einen sprachlich vorgegebenen Text, sondern dass der Hörer dabei eigene "kreative Leistungen" (Leuninger u.a. 1972 : 120) zu \OlIbringen hat, die genauso bestiimtten Regeln folgen wie das Sprechen. "Verbales Verhalten ist [...] - und das unterscheidet es von anderen Verhaltensarten - ein Verhalten, das zum Ziel führt durch Zwischenschaltung anderer Personen. [...] Erst der Hörer macht es, zumindest prinzipiell, möglich, dass verbales Verhalten ein Ziel erreicht." (Hörmann 1967; 1970 : 216)24 Es gibt für den Witzerzähler denn auch nichts Unangenehmeres, als einen Hörer vor sich zu haben, der nicht bereit ist,
dieser Verstehenskonvention -
gleichzeitiges Akzeptieren und Uebersehen der Fiktivität von Witzen - zu ent25 sprechen. Absichtliche Ablehnung ungewohnter, der Alltagserfahrung nicht entsprechender Vorgänge im Witz lässt nur den Schluss zu, dass der Hörer die Konnunikation auf der Witzerzählebene sabotieren will. Anfällig für solche Sabotage sind besonders die Unsinnswitze, wie der folgende Dialog zeigt: '"Zwei Kühe sitzen auf einem Kirschbaum und ..." - "Wie sind die hinaufgekoititven, da sie doch gar nicht klettern können?1 - 'Ist doch ganz egal, wie. Sie sitzen also im Baum ...' - 'War's nicht eher eine Eiche? Die Aeste eines Kirschbaums vermögen doch keine Kuh zu tragen.' - 'Meinetwegen eine Eiche! Da sitzen sie also und stricken.' - 'Was stricken sie denn?" - 'Zum Donnerwetter, das spielt doch keine Rolle - vielleicht ein Futteral für's Euter! Weiter: Da fliegt ein Pferd vorbei ...'
Der Logiker wird wissen wollen, ob es sich um den mythologischen Pe-
gasus handle, ob dieses Tier vier Beine plus zwei Flügel habe oder je ein Paar
24 25
vgl. auch J. Mey 1972 Zum Geltungsbereich dieser Verstehenskonvention auch in Bezug auf andere Textsorten vgl. die Diskussion um die 'Wirklichkeit der Dichtung', z.B. K. Hamburger 1957; 1968.
70
Beine und Flügel ... Und bei solcher Misshandlung ist der blöde Witz - ohnehin nicht besonders lebensfähig - krepiert." (VII, Heft 47/1972 : 67) Der Hörer befindet sich also in der eigenartigen Situation, etwas als Wirklichkeit akzeptieren zu rtüssen, wovon er weiss, dass es blosse Fiktion ist. Dieses Phänomen lässt sich, zumindest annäherungsweise, als Doppelbindung s situation beschreiben. Wesentliche Charakteristlka einer Doppelbindung sind: (1) Die Kommunikationspartner stehen in einer besonderen (Abhängigkeits-) Beziehung zueinander. (2) In diesem Kontext wird eine Mitteilung gegeben, die (a) etwas aussagt, (b) etwas über ihre eigene Aussage aussagt und (c) so zusammengesetzt ist, dass diese beiden Aussagen unvereinbar sind. (3) Der Hörer kann der durch die Mitteilung hergestellten Beziehungsstruktur nicht dadurch entgehen, dass er ent?fi weder über sie metakommuniziert oder sich aus der Beziehung zurückzieht. Was daraus für die Witzerzählsituation abzuleiten ist, möge die Analyse des folgenden Texts zeigen: (Zwei Juden unterhalten sich in Hitlers Deutschland) "Ich werde dir einen Witz erzählen" - "Bitte" - "Zwei Juden treffen sich 1970 auf dem Kurfürstendatnn ..." (Pause, Schweigen) "Nun und, weiter?" - "Nichts weiter, der Witz ist schon zu Ende." (v, 88) Zu Punkt (1): Durch die Ankündigung Ich werde dir einen Witz erzählen gibt A zu verstehen, dass er eine Konwunikationsbeziehung herstellen möchte, in der er die Rolle eines Erzählers zu übernehmen gedenkt. Mit der Aufforderung Bitte akzeptiert B diese Intention A 1 s: Die Witzerzählsituation ist hergestellt, die Abhängigkeit B1 s von A gegeben. B erwartet, dass A ihm nun eine amüsante fiktive Geschichte erzählen werde. In dieser Erwartungshaltung liegt die Abhängigkeit: Sie determiniert die Bereitschaft B 1 s sich 'witzgerecht1 zu verhalten. Zu Punkt (2): Die Mitteilung Zwei Juden treffen sich — etabliert eine semantische Situation, welche als vorläufige Realität die Grundlage für die Beur-
26
Zur Doppelbindung vgl. Watzlawick u.a.
1967} 1974 : 195f.
71
teilung weiterer Ereignisse abgeben soll. Als Einleitung eines Witzes schliesst sie jedoch die Wirklichkeit dieser Situation gleichzeitig aus. Der Hörer ist entweder gezwungen, die Mitteilung vorderhand als Bericht aufzufassen und somit am realen Charakter der geschilderten Situation zunächst nicht zu zweifeln, oder aber er beruft sich auf deren Fiktionalität und beraubt sich damit der Interpretationsgrundlage für den weiteren Witztext. Zu Punkt (3): Diese letztere Nßglichkeit ist deshalb ausgeschlossen, weil eine Diskussion über die Realität der etablierten semantischen Situation die Konmunikation auf der Witzerzählebene sabotieren würde. Eine solche Sabotage könnt aber im Normalfall nicht in Frage, zumal der Hörer ja - indem er die Erzählabsicht seines Partners akzeptiert hat - freiwillig die Verpflichtung eingegangen ist,
den Witzerzählvorgang ungestört ablaufen zu lassen. Unser Bei-
spiel thematisiert das Problem der Fiktivität von Witzen, indem es die Haltung B1 s, als Realität zu nehmen, was im Grunde blosse Fiktion zu sein beansprucht, in einen Bezug bringt zur eigenen unheilvollen Wirklichkeit der Konitrunikationspartner und damit die lyßglichkeit jeglicher weiterer Fiktionalisierung leugnet. Wir erheben nicht den Anspruch, mit dem Hinweis auf die Doppelbindungssituation die Problematik der Fiktivität von Texten abschliessend erläutert zu haben. Es ging vielmehr darum, zu zeigen, dass sich der Hörer mit dem Eingehen in die Witzerzählsituation in eine Abhängigkeit begibt, welche von ihm ein scheinbar paradoxes Verhalten verlangt: Er kann den Witz nur interpretieren, indem er etwas ernst nimmt, wovon er weiss, dass es nicht emstgenonnen werden darf. Freilich - und darin liegt ein entscheidender Unterschied zu den bei Watzlawick u.a. aufgeführten Beispielen von Doppelbindungssituationen in der Kommunikation schizophrener Patienten - findet diese Paradoxie mit dem Abschluss der Witzerzählung ihr glückliches Ende. Der Vergleich der Witzerzählsituation mit der Doppelbindung kann deshalb nicht mehr als eine oberflächliche Gültigkeit beanspruchen. Nebst der Tatsache, dass die Witzerzählsituation bloss eine vorübergehende Abhängigkeitsbeziehung zwischen den Konntunikationspartnern schafft,
ist
vor allem auch zu beachten, dass die in der Witzankündigung inplizit enthaltene Aufforderung Frage nicht nach Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit des Gesahilderten! nicht im gleichen Sinne eine paradoxe Handlungsaufforderung darstellt wie das
72
von Watzlawick u.a. zitierte Beispiel Sei Spontan.'. (Watzlawick u.a. 1967; 1974 : 184) Während in diesem Beispiel die "Bedeutung der Mitteilung [...] unentscheidbar" ist,
weil sie "durch Befolgung missachtet und durch Missachtung
befolgt" würde, (Watzlawick u.a. 1967; 1974 : 196) weil sich also illokutionäre Rolle und Proposition widersprechen, ist beim Witz nur der referentielle Bezug ungeklärt. Von verschiedenen Autoren, so z.B. von W. Preisendanz, wird eine andere Zwiespältigkeit in der Situation des Witzhörers hervorgehoben, nämlich die "Er27 Wartung von Unerwartetem." (Preisendanz 1970 : 27) Sie bestimnt die Rezeptionshaltung entscheidend. Der Hörer ist darauf gefasst, dass in ihm Erwartungen geweckt und schliesslich "auf eine nicht von vornherein erwartete Weise erfüllt werden", so dass es "zum Kollaps des Erwartungsschemas kommt." (Preisendanz 1970 : 27f) Er weiss, "dass der Verstehenshorizont, den er sich aufbaut, durch die Pointe zerstört werden wird. Wenn er sich trotzdem immer wieder enttäuschen lässt, so darum,weil er nicht zum voraus wissen kann, worauf der Witz hinauswill, d.h. welche Art von Abweichung der Pointe zugrundeliegen wird. Er ist deshalb gezwungen, [... in jedem Augenblick] des Gesprächs oder der Handlung das Geschehende zum 'Nennwert' zu nehmen, weil es u.U. nicht die Pointe auslöst, sondern zu der Passage des Witzes gehört, in der diese erst vorbereitet wird, d.h. deren Hintergrund bildet, ohne den sie nicht verständlich wäre. Die mit dieser Unsicherheit der Dekodierung verbundene 'Spannung' ist,
neben dem Ungereim-
ten der Vorfälle, nicht zuletzt an der Wirkung des Witzes beteiligt. Vielleicht liegt darin auch ein Grund für die durchschnittlich grössere Wirksamkeit nicht allzu kurzer Witze." (Portraann 1973 : 100)
27
"Mitgedacht in dieser Bestimmung ist, dass das Eintreffen des Unerwarteten einen witzigen Effekt mache - sonst müssten u.U. auch Kriminalromane als Witze gelten. [...] Das Eintreffen des Unerwarteten charakterisiert die Witzerzählsituation nur im Zusammenhang mit einer Reihe anderer erfüllter Bedingungen." (Portmann 1973 : 116, Anm. 12) - Zur Erwartung als kommunikativer Grundkategorie vgl. Schmidt 1973 : 108ff, W. Kallmeyer u.a. 1974 : 48ff, sowie Ehlich/Rehbein 1972b. Die Determination von Sprechhandeln und Erwartung ist reziprok: "Das f worüber
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Das Kollabieren seines Erwartungsschemas nüsste eigentlich - so ist man geneigt anzunehmen - dazu führen, dass sich der Hörer verunsichert vorkommt, weil er seine Interpretationsleistung in Frage gestellt sieht. Warum dem nicht so ist,
zeigt P. Portmanns Analyse des folgenden Witzes: Ein polnischer Adliger sass neben einem jüdischen Kaufmann im Eisenbahnabteil, und während der Fahrt kamen die beiden ins Gespräch ""d vertrieben sich die Zeit mit nichtssagendem Geplauder, das schliesslich wieder in Schweigen versickerte. "Sag, Judel", meinte der Adlige endlich, "Ich habe eine Idee, wie wir uns die Langeweile auf dieser Reise vertreiben können. Wir geben einander Rätsel auf, und wer eines nicht errät, muss dem anderen zwanzig Rubel zahlen." "Aber das wäre nicht fair", wandte der Kaufmann ein. "Zwanzig Rubel bedeuten für Sie so gut wie gar nichts, aber für mich ist cfcs ein kleines Vermögen. Sagen wir also: Wenn Sie verlieren, geben Sie mir zwanzig Rubel, und wenn ich verliere, zahle ich Ihnen einen." "Abgemacht", stiimtte der Adlige zu. "Geben Sie mir jetzt das erste Rätsel auf."
"Schön", sagte der Jude, "hier ist es: Wenn es läuft, hat es vier, wenn es geht, hat es drei, wenn es steht, hat es zwei, und wenn es sitzt, hat es nur eins; was ist das?" Der Adlige grübelte eine Viertelstunde lang angestrengt, gab es aber schliesslich auf. "Hier sind Ihre zwanzig Rubel", sagte er, "wie lautet die Lösung?" "Weiss ich auch nicht", gestand der Kaufmann fröhlich, "hier ist ein Rubel für Sie." (ii, 123)
Die Pointe dieses Witzes beruht auf der krassen Diskrepanz zwischen dem erwarteten und dem tatsächlichen Verhalten des Juden. Dieses "ist nur zu begreifen, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass in der Unterhaltung der beiden Witzfiguren keine expliziten Abmachungen über die Regeln des Rätselratens getroffen werden. Der Jude [...] macht sich diesen Umstand zunutze in einer Weise, die kaum
Erwartungen bestehen, kann [von selten des Sprechers] stillschweigend in Anspruch genommen werden." (Ehlich/Rehbein 1972 b : 108)
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gültige Einwände erlaubt und gerade deshalb seine intellektuelle Ueberlegenheit ins rechte Licht rückt." (Portmann 1973 : 101) Die Erklärung des abweichenden Verhaltens gipfelt für den Witzhörer in der Feststellung, dass sich einmal mehr die den Juden zugeschriebene Schlauheit und Geschäftstüchtigkeit als grundlegende Triebfeder ihres Handelns entlarvt hat. Das Unerwartete erweist sich demnach "als etwas von vornherein [entsprechend den Konnotationen von Jude·] durchaus Erwartbares." (Preisendanz 1970 : 27) "Damit ist auf ein Spiel der Erwartungen angesprochen, in dessen komplizierten Bezügen die Lust am Witz wahrscheinlich ihren Grund hat. Das abweichende Verhalten der Witzfigur und die Erwartung des Hörers sind meist nicht so unmittelbar aufeinander bezogen, wie es aus den bisherigen Ausführungen erscheinen möchte. Die letztere ist stets vermittelt durch das Verstehen der Absichten und Handlungen der Witzfiguren, die aus offenen und versteckten (Präsuppositionen, Folgerungen, etc.) Informationen des Textes erschlossen werden. Dies gelingt zwar nur auf dem Hintergrund der Erfahrungen und Einsichten, die der Hörer in den Verständnisprozess einbringt; im Verstehen des Texts bleiben sie aber nicht die des Hörers: er leiht sie, und sein Situationsverständnis, den Witzfiguren selbst." (Portmann 1973 : 101) Damit werden Einsichten und Erwartungen des Hörers in den Witzfiguren gleichsam Objektiviert1, obwohl sie im Grunde diejenigen des Hörers bleiben. "So wird fast jeder im obigen Beispiel mit dem polnischen Adligen einen regulären Verlauf des Ratespielens erwarten - wenn er auch, explizit daraufhin angesprochen, kaum mit 'ja' antworten würde, da er weiss, dass etwas Unvorhergesehenes geschehen muss - bis der Jude durch sein Vorgehen den von Hörer aufgebauten Verständnishorizont erschüttert." Sein Handeln "ist im Rahmen des Verstähdnisentwurfes, den der Hörer für den Text bereitgestellt hat, nicht mehr zu integrieren. 'Betroffen1 davon ist allerdings in erster Linie die zweite Witzfigur, der Adlige. Stellvertretend für den Hörer hat sie, als verbleibender Exponent einer zunichte genachten Erwartungsstruktur, sich übertölpeln lassen. Dieser selbst ist dadurch weitgehend 'entlastet': mithilfe der Informationen des Textes, etwa der Konnotationen von Jude, u.a., kann er sich eine Erklärung des Geschehens zurechtlegen, die es ihm erlaubt, sowohl mit dem Juden über den Adligen zu triumphieren, wie auch gegen jenen an der prinzipiellen
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Richtigkeit von dessen und seiner Erwartung festzuhalten. In diesen Bezügen hat 281 die Rede von der 'Distanziertheit' des Hörers ihre Begründung. Die Erwar1 tungsenttäuschung trifft mit voller Schärfe eine 'unvorbereitete Figur, und nicht den mit ihr assoziierten Hörer, der ausreichen kann, um, von der Pointe her, aus der Perspektive des Beobachters die Motivation für das Verhalten der Witzfigur, die 'querschiesst', zu durchschauen und zu relativieren". (Portmann 1973 : 102).
4.2.2.4 Zusanmenfassung: Hörerseitige Voraussetzungen Wenn wir die bisherigen Ausführungen zusammenfassen, ergeben sich folgende generelle hörerseitige Voraussetzungen der Interaktion h/itzerzählen: (1) Akzeptieren der 'Spielregeln1: Damit ist die Bereitschaft des Hörers gemeint, sich in die Abhängigkeit der doppelbindungsähnlichen Witzerzählsituation zu begeben. Er hat sich stillschweigend zu verpflichten, jegliche Unterbrechung oder Störung des Erzählflusses durch Metakommunikation etc. zu unterlassen. Ferner gehört dazu die spezifische Haltung des 'Erwartens von Unerwartetem1, die ihrerseits eine besondere Rezeptionshaltung determiniert (vgl. 2). (2) Adäquate Interpretation:
Der Hörer hat für den Aufbau seines Verstehenshorizonts das im Witz Erzählte bei seinem 'Nennwert' zu nehmen: Kritische Zweifel an seiner Wahrheit/Wahrscheinlichkeit sind ausgeschlossen. Eigene Erwartungen stiitmen zunächst mit denen der Witzfiguren überein. Miteinander kontrastierende Isotopien sind von Hörer zu ergänzen, indem er nach verbindenden Merkmalen sucht. Dabei hat er seine Erfahrungen im Umgang mit den verschiedenen Witzgruppen in die Interpretation mit einzubeziehen: Abweichendes Verhalten der Witzfiguren wird nachträglich motiviert durch Berücksichtigung entsprechender Konnotationen etc. (3) Schliesslich gehört zum Gelingen der Interaktion witzerzählen auch die Bereitschaft des Hörers, dem erzählten Witz als Antwort und zum Zeichen des
28
Vgl. die Ausführungen über H. Plessner in Kap. 1.2.
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Verständnisses ein mehr oder weniger spontanes Lachen nachzusenden, eventuell ergänzt durch verbale Aeusserungen des Wohlgefallens wie feiner Witz etc. Dieses Lachen bzw. die verbale Replik beeinflusst zwar die eigentliche Witzerzählung nicht mehr, gehört jedoch unbedingt mit zur ganzen Interaktion witzerzählen·, denn sein Wegfallen brächte den Erzähler um seinen verdienten 'Lohn 1 , die Befriedigung belustigt zu haben, und würde damit die Witzerzählsituation augenblicklich zerstören. Ein Stillschweigen des Hörers kann in der Regel nur bedeuten, dass dieser die Erzählleistung oder die Erzählabsicht seines Partners ernsthaft in Frage stellt. Gründe dafür wären etwa: Andere Einschätzung der Umgebungssituation, in welche das Hyperbehaviorem witzerzählen eingebettet ist
(dies ist nur möglich, wenn
sich der Erzähler nicht zuvor durch die Ankündigung versichert hat, dass die Witzerzählsituation angebracht ist:
Resultat ist ein "betretenes
Schweigen'); ungeschicktes Verfehlen der Idealformulierung und damit Verpatzen der Pointe durch den Erzähler (Resultat ist ein "verständnisloses Schweigen'); absichtliches Ignorieren der KonTnunikationsbemühungen des Erzählers durch den Hörer ("abweisendes, eisiges Schweigen") etc. Die Möglichkeit, dass der Hörer nicht lacht, weil er aus eigenem Verschulden die Pointe nicht begriffen hat, ist wohl eher selten, denn meistens wird ein verlegenes oder auch lautstarkes Gelächter diese Tatsache zu vertuschen suchen.
4.2.3 Die Darstellung der Voraussetzungen von Witz und Witzerzählen im Tagmefnik-Modell Zum Schluss unserer Diskussion der Voraussetzungen von Witz und Witzerzählen erhebt sich die Frage, in welchem Zusammenhang die aufgezeigten Voraussetzungen mit den von uns unterschiedenen drei Hypertagmanen HT1
des Hyperbeha-
viorems Witzerzählen stehen. Es zeigt sich sofort, dass eine einfache Zuordnung sprecherseitige Voraussetzungen - HT
nicht adäquat ist.
Die Verhaltens-
einheit Witzerzählen erweist sich als zu komplex strukturiert, als dass sie
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sich mit der Differenzierung von drei Funktionseinheiten darstellen liesse. Zwar scheint es sinnvoll, den verbalen Akt der Ankündigung als Hypertagmen HT auszugliedern, ebenso den verbalen oder nicht-verbalen Akt der Hörerantwort als Hypertagmem HT
Kundgabe des Verständnisses (je nachdem als Utterem oder Beha-
viorem zu beschreiben). Die ändern skizzierten Voraussetzungen, ideales Erzählen, spezifische Rezeptionshaltung etc., entziehen sich als Bedingungen für einen erfolgreichen Ablauf der Interaktion jedoch einer funktionalen Bestintnung. Sie sind nicht einem der integrierten Hypertagmeme zuzuschreiben, sondern als inhärente Merkmale des Hypermorphems Witzerzählen aufzufassen. Zwischen ihnen und der ebenfalls als Merkmal des Hypermorphems zählenden Tagmemstruktur bestehen wiederum vielfältige Beziehungen einer wechselseitigen Determination: So ergibt sich die Anordnung der einzelnen Tagmeme aus den Voraussetzungsbedingungen, wie sich umgekehrt diese Voraussetzungsbedingungen von der Tagmemstruktur her erschliessen lassen. Erst eine umfassende trimodale Komponentenanalyse ergäbe also eine einigermassen adäquate Darstellung des Interaktionsmusters witzerzählen. Da wir von einer solchen vorläufig noch ziemlich weit entfernt sind, verzichten wir hier auf den Versuch, unsere bisherigen Untersuchungsergebnisse formalisiert darstellen zu wollen.
78
4.3
Funktion und Thematik des Witzes: Das Hypertagmen HT als Merkmal des Hypermorphems Witzerzählen
4.3.1 Die zentrale Bedeutung des Hypertagmems HT : Die Erzeugung des quasi-ästhetischen Vergnügens Mit Herstellung der Witserzählsituation und Kundgabe des Verständnisses haben wir die wesentlichen Charakteristika der beiden Hypertagmeme HT und HT innerhalb des Hyperbehaviorems Witzerzählen umschrieben. Es bleibt uns die Diskussion des Hypertagmems HT , die Beantwortung der Frage, welche funktionalen Relationen zwischen der eigentlichen Witzerzählung und dem übergeordneten Interaktionszusanmenhang bestehen, d.h. die Darstellung der tagmemischen Bedeutung von HT?. Auch hier treffen wir einmal mehr auf eine Problematik, die nicht mit sprachwissenschaftlichen Ueberlegungen allein erörtert werden kann. Dies geht schon daraus hervor, dass die Autoren dem Witz die unterschiedlichsten Leistungen zuschreiben, von der "Entdeckung verborgener Aehnlichkeiten" über die "Erschütterung der Rangordnung der Werte" bis zum "Lustgewinn 29 durch ersparten Hermungsaufwand". Zusammenfassen lässt sich die Vielfalt der erwähnten Leistungen wohl einzig in der sehr allgemeinen und dadurch scheinbar nichtssagenden Feststellung, die Witzerzählung rufe einen 'witzigen Effekt 1 hervor. Der Vorteil dieser Formel besteht allerdings darin, dass sie ein breites Spektrum von Itöglichkeiten für die Diskussion über die Eigenart des witzigen Effekts offen hält. Das ist insofern wünschenswert, als eine sprachwissenschaftliche Untersuchung nicht endgültig wird erklären können, worin denn eigentlich das spezifisch Witzige des Effekts zu sehen ist. In der Interaktion ist nur die manifeste Reaktion des Hörers auf den witzigen Effekt, das Lachen, zu beobachten. Daraus lässt sich ableiten, dass Belustigung offenbar das Ziel der Witzerzählung darstellt. Warum aber der Hörer lacht, warum also ein Witz witzig ist, dies zu erklären bleibt letztlich Sache der Psychologie, denn nur sie kann den Lacheffekt auf seine Hintergründe hin untersuchen.
29 30
Vgl. Kap. l Vgl. Kap. 1: Diese Hintergründe reichen von der Lust am Spiel mit Worten bis zu unterdrückten aggressiven und sexuellen Tendenzen.
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Inrnerhin ergeben sich aus dem Ziel Belustigung und aus einigen Merkmalen der Witzerzählsituation, wie etwa der Distanziertheit des Hörers und der Fiktivität von Witzen, gewisse Anhaltspunkte für eine Beschreibung der Natur des witzigen Effekts im Rahmen einer Uhtersuchung von Kcmnunikationsprozessen. Die erwähnten Kennzeichen des Interaktionsmusters hfitzerzählen stirmen nämlich in auffälliger Weise mit gewissen Charakteristika der Rezeption und Verarbeitung ästhetischer Texte überein, wie sie von S.J. Schmidt in seiner Studie über Aesthetizität beschrieben werden. Schmidt geht aus vom ästhetischen Vergnügen, das "entsteht bei der geeigneten Rezeption formaler Strukturen autonomer [...] Texte. [. . „ ] Das ästhetische Vergnügen ist die Funktion von Wahmehmungs- und Erkenntnisprozessen (Decodierungsvorgängen), d.h. eher ein cognitiv bestimmter als ein rein emotiv-irrationaler Prozess." (Schmidt 1971a; 1972 : 51) Das Besondere des hier angesprochenen Decodierungsvorgangs besteht darin, dass "der Wahmehmungs- und Interpretationsvorgang selbst erfahrbar" wird. (Schmidt 1971a; 1972 : 52) Der Grund dafür liegt in der durch polyfunktionale Vertextung bedingten "Wahmehmungshemmung": Der Hörer - gewohnt, Texte auf einem einzigen Bedeutungsplan zu interpretieren, was zum Verständnis der mitteilungspraktischen Absicht normaler Texte durchaus genügt - sieht sich bei ästhetischen Texten konfrontiert mit einer Art von Vertextung, deren Kennzeichen es ist, dass die einzelnen Textkonstituenten mehrere mögliche Bedeutungsanweisungen zugleich, oft sogar auf verschiedenen Ebenen, enthalten. Die mehrfachen "Wirkungspotenzen" eines Elements konstituieren seine Polyfunktionalität, diese wiederum hindert den Hörer am einfachen "Konsumieren" der Textaussage und zwingt ihn, zu überprüfen, ob seine Interpretation die "polyvalente Sinnpotenz" des Texts wirklich auslotet. "In diesem Thematisch-Werden des Rezeptionsvorgangs [...] wird der Rezipient selbst thematisch, erfährt er sich selbst als nach Massgabe von Per-
31 32
Vgl. dazu auch Schmidt 1972 Vgl. dazu Lotmann 1972 : 4 3 f f ; Lotmann weist darauf hin, dass der Empfänger künstlerischer Kommunikation aufgrund der "Pluralität" des künstlerischen Kodes oft überhaupt erst feststellen muss, in welcher "Sprache" der Text kodiert ist.
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spektiven und Interessen Erfahrenden, Wahrnehmenden, Deutenden." (Schmidt 1971a; 1972 : 52) 33 Das ästhetische Vergnügen ist zudem "bedingt durch rezeptive Distanz." Der Rezipient befindet sich in einer "ambivalenten Erfahrungssituation": einerseits identifiziert er sich mit dem im Text Dargestellten, andererseits distanziert er sich als bewusst Interpretierender davon. (Schmidt 1971a; 1972 : 52f) Voraussetzung dafür ist, dass der ästhetische Text in einem "aus zweckrationalen Handlungs- und Konsumbedingungen ausgesparten Vorkonmensraum" existiert. (Schmidt 1971a; 1972 : 53) Wenn wir die hier aufgezählten Charakteristika des ästhetischen Vergnügens und der Rezeption ästhetischer Texte vergleichen mit den Merkmalen des Interaktionsmusters Witzerzählen, erkennen wir sofort grosse Aehnlichkeiten: Der "rezeptiven Distanz* und der 'ambivalenten Erfahrungssituation1 entspricht beim Witz die von uns festgestellte eigentümliche Distanziertheit des Hörers und das komplizierte Spiel von Erwartungen. Die Existenz eines 'zweckfreien Vorkommensraums1 ist gegeben mit der Witzerzählsituation, die sich ja u.a. durch die Befreiung vom (sonst das Handeln determinierenden) Realitätszwang auszeichnet. Dazu kommt wohl als entscheidende weitere Uebereinstimnung die Thematisierung des Rezeptionsvorgangs und der damit verbundene Zusammenschluss von "Texterfahrung und Selbsterfahrung." Eine der zentralen (im Rahmen unserer Untersuchung noch erfassbaren) Ursachen der Witzeslust scheint uns nämlich die Freude an der geglückten Interpretation, am Entdecken eines hintergründigen Sinnes zu sein. Die Taktik des Witzes ist in der Regel, den Hörer zunächst irrezuführen, indem man ihn zu einer scheinbar eindeutigen Interpretation verleitet, und ihm gleich darauf zu beweisen, dass und warum diese Interpretation unvollständig (oder gar falsch) war, indem gezeigt wird, dass auch für andere Interpretationen die nötigen Voraussetzungen gegeben sind. Der Interpretationsvorgang wird also problematisiert, und der Rezipient erfährt, dass seine Interpretationen je nach Perspektiven und Interessen anders ausfallen können. "Wie geht's?" fragte der Blinde den Lahmen. "Wie Sie sehen", antwortete der Lahme dem Blinden, (vi, 27)
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Auf die Polyfunktionalität kommen wir nochmals zurück bei der Erörterung des Vertextungsmusters Witz.
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Das Beispiel zeigt deutlich, wie komplexe mehrdeutige Textelemente (illokutionäre Bedeutung von Grussformeln vs. propositionale Gehalte) erst im nachhinein als solche erfasst werden: Wbhl kaum jemand wird die Polyfunktionalität von Wie geht's? gleich zu Beginn entdecken. Freilich - und deshalb werden wir darauf verzichten, den Witz als ästhetischen Text zu bezeichnen - bestehen auch gewisse Unterschiede zwischen Witzen und den von Schmidt als ästhetische Texte bezeichneten Kunstwerken: Während sich die Witztexte dadurch auszeichnen, "dass in ihnen eine komplexe Isotopie fei.h. Polyfunktionalität der Vertextung] zunächst aufgebaut und auf dem Wege der Expansion durchsichtig gemacht wird, gleichzeitig mit ihrer Expansion aber auch wieder auf eine Monosemierungsebene reduziert wird, findet in ästhetischen Texten eine solche Reduzierung nicht statt. Diese sind gerade durch ihre semantische Offenheit [d.h. gleichzeitige Bedeutungshaltigkeit auf verschiedenen Ebenen, sowie durch ausserordentliche Komplexität der intendierten Bedeutungen] charakterisiert. " (Kalimeyer u.a. 1974 : 159. Hervorhebungen z.T. weggelassen) Demgemäss könnt auch der Thematisierung der Interpretation ein etwas anderer Stellenwert zu: Während beim Witz die Möglichkeit von unzulänglichen Interpretationen nur vorübergehend gegeben ist, schliesslich aber eine bestirnnte Interpretation als die 'richtige1 feststeht, hiesse es, die einem ästhetischen Text zugrundeliegende Intention prinzipiell zu verfehlen, wollte man ihn auf eine einzige Lesart festlegen. Die einzelnen Textelemente müssen hier zumindest als Zeichen und Objekte aufgefasst werden, d.h. ihre Materialität wird u.a. selbst zu einer 34 Bedeutungsdimension des Texts. Entsprechend wird die Rezeption thematisch als
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Dieses Charakteristikum ästhetischer Texte beschreibt R. Jakobson als poetische Funktion der Sprache. Jede Sprache umfasst nach Jacobson "mehrere zusammenwirkende Systeme, deren jedes durch verschiedene Funktionen gekennzeichnet ist." (R. Jakobson 1960; 1971 : 146) "Die poetische Funktion ist nicht die einzige Funktion der Wortkunst, sondern nur ihre dominante, determinierende Funktion, während sie in allen anderen Sprachhandlungen eine stützende, nebensächliche Rolle spielt. Indem diese Funktion die unmittelbare Erfahrbarkeit der Zeichen ermöglicht, vertieft sie die fundamentale Dichotomie von Zeichen und Objekten." (151) - Die Problematik einer solchen Auffassung liegt darin, dass hier einem Subsystem der Sprache eine eigen-
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ein Vorgang, der gerade nicht endgültig abgeschlossen werden kann, sondern dem Rezipienten inner wieder aufs neue die Fähigkeit abverlangt, bisher unberücksichtigte Bedeutungsebenen zu entdecken. Trotzdem scheinen uns die festgestellten Aehnlichkeiten - Polyfunktionalität der Vertextung, besonderer Vorkonroensraum, Distanziertheit des Rezipienten, Ihematisierung der Interpretation - ausreichend, um den Witz als quasi-ästhetisohen Text zu bezeichnen. Damit aber haben wir implizit bereits auch das Vergnügen am Witz als quasi-ästhetische s Vergnügen bestirnnt und so den zur Diskussion stehenden witzigen Effekt wenigstens zum Teil näher aufgeklärt. Hauptfunktion der Witzerzählung (und zentrale Bedeutung des Hypertagmans HT ) ist also - vom Standpunkt einer Untersuchung des Kammnikationsvorgangs her gesehen die Erzeugung eines quasi-ästhetischen Vergnügens, eines Teilaspekts des witzigen Effekts.
4.3.2
Die marginale Bedeutung des Hypertagmems HT : Sekundärfunktionen des Witzes
Weitere Anhaltspunkte für die Untersuchung der Hintergründe des witzigen Effekts lassen sich aus einer Bemerkung S. Freuds über die soziale Seite des Witzes ableiten. Wir erinnern uns, dass Freud nicht nur zwei, sondern drei am Witz beteiligte Personen unterschieden hat: den Erfinder/Erzähler, den Hörer, sowie eine dritte Person, auf welche sich die Tendenz des Witzes richtet. Dieser Hinweis verdient nähere Beachtung. Er besagt nichts anderes, als dass Drittpersonen zum Gegenstand der Witzerzählung gemacht werden können, ein Sachverhalt, der sich in der weithin üblichen Einteilung der Witze in Juden-, Schotten-, Arztwitze etc. widerspiegeln. In diesem Fall dient das Erzählen des Witzes nicht nur dem quasi-ästhetischen Vergnügen, sondern gleichzeitig - und darin liegt wenigstens zum Teil der Grund für die witzige Wirkung - einer mehr oder weniger treffenden Charakterisierung der Drittperson bzw. ihres eigentümlichen
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ständige Funktion zugeschrieben wird, die im Grunde nur der kommunikativen Tätigkeit zukommt. Vgl. die Kritik an der Position Jakobsons bei W. Härtung (1974 : 299ff) . Vgl. Kap. 1.2.
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Verhaltens. Wir nennen dies eine Neben- oder Sekundärfunktion der Witzerzählung und beschreiben sie als marginale Bedeutung des Hypertagmans HT Erzielen des witzigen
Effekts.
Der Hinweis auf den Gegenstand der Witzerzählung könnte dazu verleiten, die Sekundärfunktion der Witzerzählung mit der Thematik des Witzes gleichzusetzen. Das wäre natürlich falsch: Zweifellos besteht eine enge Korrelation zwischen beiden, doch bezeichnet der Begriff Thematik ein textinhärentes Merkmal des Hypermorphems HM_,
während Sekundärfunktion eine Relation des Hypertagmans
HT. zum Interaktionsmuster Witzerzählen meint. Der Terminus soll den Sachverhalt erfassen, dass ein Witzerzähler durch die Wiedergabe eines Witzes mit best imnter Thematik an den Hörer eine Mitteilung richten kann, die sich zwar auf die Thematik des Witzes bezieht, ihre komnunikative Bedeutung aber auf der Ebene der Witzerzählsituation hat. Man vergleiche folgendes Beispiel: Hindenburg wettert über die Verlotterung der Jugend. Der Souffleur: "Nächtelang treiben sie sich in Bars herum -" Hindenburg (mit sonorer Stimne): "Nächtelang treiben sie sich in Bars herum -" Souffleur: "- und auf Bällen -" Hindenburg (flüsternd): "Wie?" Souffleur: "- und auf Bällen - Bällen -" Hindenburg (sonor): "Wau-wau." (i, 53) Der Witz ist klar abhängig von der Homonymie Bällen/Bellen, welche die Grundlage für ein unerwartetes Missverständnis liefert. Homonymie und Missverständnis allein machen aber den Witz nicht aus. Vielmehr ist es die Tatsache, dass das Missverstähdnis dem Reichspräsidenten Hindenburg unterläuft, welche die entscheidende politische Anspielung enthält: Sie kennzeichnet Hindenburg als
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Zur Definition des Begriffs Thematik vgl. F. Rastier: "Die Manifestation verschiedener Sememe kann eine Isotopie bilden, soferr. jedes dieser Sememe ein Sem oder ein Sembündel enthält, das den Kernfiguren [figures nucleaires] gemeinsam ist." Diese Art von Isotopie "wurde eine neue wissenschaftliche Definition dessen geben, was die Theorie der repräsentativen Literatur des Thema [sujet] eines Textes oder einer Sequenz nennt." (1972} 1974 : 160)
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einfältigen, bereits etwas senilen Kauz, als politische Marionettenfigur. Der Witzerzähler kann mit der Schilderung eines scheinbar harmlosen Vorfalls dem Witzhörer deutlich zu verstehen geben (auf der Ebene der koimtunikativen Interaktion) , wie er die Qualitäten der Regierung (also die Lage ausserhalb der Witzerzählsituation) einschätzt. Thematisch ist die negative Charakterisierung Hindenburgs im Text wohl angelegt, aber nicht explizit enthalten, sondern sie wird erst realisiert durch die Interpretationsleistung des Hörers, der den Witz in Beziehung setzt zu den politischen Verhältnissen im Deutschland der beginnenden Dreissigerjahre. "Gott sei Dank", sagt die Bäuerin, "es kommt Regen." "Aber Genossin", antwortet der Leiter der Kolchose, "du weisst doch, einen Gott gibt es nicht." "Sicher, Genösse, aber wenn es nun, was Gott verhüten möge, doch einen gibt?" Ein amüsantes Spiel mit Redensarten und bäuerlicher Logik. Es erhält seinen Reiz durch den Hinweis auf die Schwierigkeiten, die sich einer Aenderung
tra-
ditioneller Sprechgewohnheiten entgegenstellen. Die Sekundärfunktion des Witzes liegt darin, zu zeigen, wie aussichtslos das Bestreben der sowjetischen Führung, die Religionen abzuschaffen, im Grunde genontnen ist. Mit dem Erzählen eines Witzes kann also nicht nur auf Personen, sondern auch auf Sachverhalte angespielt werden. Als 1915 an einem Frontabschnitt etwas Ruhe eingetreten war, sagte der Leutnant, der schriftstellerische Ambitionen hatte, zu seinen Leuten: "Männer, wer mir eine saubere Kurzgeschichte von 30 Worten schreibt, bekannt 14 Tage Urlaub." Den Urlaub erhielt der Gefreite Gnietschke für seine Kurzgeschichte von 30 Worten. Er schrieb: "Hinter unserem Graben ist eine Grube. Ueber dieser Grube liegt ein Balken. Dieser Balken war angesägt. Das sind 16 Worte, die restlichen 14 Worte sprach unser Spiess, als er in der Grube lag." (iv, 95)
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Hier besteht die Sekundärfunktion der Witzerzählung darin, im Hörer eine garstig-obszöne Vorstellung zu evozieren. lim Text selber ist diese nicht enthalten. Es lässt sich keine Isotopieebene finden, die als Merkmal irgendein 'anrüchiges1 Bedeutungselement enthielte. Somit erweist sich, was wir oben unter dem Aspekt der Verstehensleistung des Hörers diskutiert haben, auch als abhängig von der iunktion des Witzes: die Notwendigkeit zur ergänzenden Interpretation. Die Sekundärfunktion der Witzerzählung setzt den Witzhörer al so in Beziehung zu einer ausserhalb der Witzerzählsituation liegenden Wirklichkeit, deutet politische Missverhältnisse an, weckt obszöne Vorstellungen etc. Wir begegnen damit erneut der Tatsache, dass die tagmemischen Relationen unter Anständen die nächsthöhere Einbettungsebene transzendieren. Deshalb finden hier denn auch die oben betonte Fiktivität und das spielerische Wesen des Witzes ihre Grenzen. Zwar ist nach wie vor daran festzuhalten, dass ein Witz keine realen Begebenheiten darstellt, aber im Begreifen der Pointe und in der zusätzlichen Mitteilungsfunktion auf der Interaktionsebene liegt immer ein Rückbezug auf sozial vermittelte Grossen wie Einschätzung politischer Verhältnisse, Vorurteile gegenüber Angehörigen bestiimtter Nationen etc. Wir müssen demnach unsere früheren Aussagen über die Möglichkeiten des Witzerzählens etwas revidieren. Grundsätzlich gilt zwar immer noch, dass der Witz durch seine Einbettung in die Witzerzählsituation "auf Folgenlosigkeit angelegt ist." (Portmann 1973 : Io6) Das angestrebte quasi-ästhetische Vergnügen verhindert in der Regel, dass der witzerzählung eine allzu grosse Ernsthaftigkeit zugemessen wird. Der Erzähler kann sich deshalb - unter dem Vorwand, Belustigung zu bewirken - sogar zu Themen äussern, die sonst kaum Gegenstand einer Unterhaltung werden könnten, und dies ohne dass er befürchten müsste, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Er kann im Gegenteil gerade die Witzigkeit vorschützen, wenn er - zu denken ist da vor allem an politische Witze - mit seiner Erzählung die Nebenabsicht verfolgt, zu prüfen, ob der Hörer die implizit angesprochenen Fragen ähnlich beurteilt oder nicht.
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Was Grube hier bezeichnet, kann nur vermutet werden, und zwar nur von jemandem, der über gewisse Erfahrung mit militärischen Gepflogenheiten verfügt.
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Doch ist hier eine Einschränkung zu machen. Wir haben bereits auf die Existenz von Normen hingewiesen, die in vielen Fällen zwar nicht das Witzerzählen überhaupt - als zu einer Situation unpassende Unterhaltung - verbieten, 38 aber doch bestimmte Witzgruppen ausschliessen. Dies widerspricht unserer Behauptung, Witze seien, sofern in die Witzerzählsituation eingebettet, grundsätzlich austauschbar. Es ist so, dass in jenen Fällen, wo gewisse Sekundärfunktionen der Witzerzählung deutlich dominieren, "die Gegebenheiten der Witzerzählsituation nicht mehr ausreichen, um die durch die schärfsten Tabus inkriminierten Inhalte und den Witzerzähler gegen Kritik abzudecken." (Portmann 1973 : 105f) Zwar wird der "Bann des Ernstes" (Preisendanz 1970 : 32) auch hier vordergründig aufgehoben, doch schimmert dahinter die Mitteilungsabsicht des Erzählers, die sich in der Wahl des bestimmten Witzes verrät, allzu sichtbar durch. In unseren Breitengraden sind es vor allem die Sekundärfunktionen sexuelle bzw, religiöse Anspielungen^ welche in verschiedenem Mass der Ablehnung und Unterdrückung unterliegen, entsprechend der Sitte, solch ausgewählte Themen nur in streng abgegrenzten Kontexten und auf angemessenen Stilebenen zu diskutieren. Die Wirkung solcher Einschränkungen und ihre sozialen Geltungsbereiche zu bezeichnen, ist nicht unsere Aufgabe; festzustellen ist nur, dass sie die Verbreitung und die Erzählweise sexueller und blasphemischer Witze stark beeinflussen. Unter eingeschränkten Bedingungen sind solche tendenziösen Witze ohne weiteres erzählbar; mehr als die übrigen sind sie jedoch an passende Gesellschaft und Stimmung gebunden. "Zum Vergnügen an der Pointe tritt hinzu die Faszination des Themas und die Aura einer gewissen 'Verruchtheit', mit der sich Sprecher und Hörer umgeben können. Wird aber einerseits durch die Freiheit, die sich beide in solchen Fällen nehmen, die Lust am Erzählten erhöht, so beschränken andererseits die vorhandenen Tabus die unkontrollierte Verbreitung des Gehörten. Ein obzöner oder blasphemischer Witz kann ebensowohl Heiterkeit erregen, wie als fast persönlicher Affront oder unanständige Aufforderung empfunden wer39 den". Die Frage, wann die Sekundärfunktion einer Witzerzählung dermassen do-
38 39
Vgl. Abschnitt 4.2.1.1 Vgl. hierzu Freuds Annahme, "dass die Zote an eine bestimmte Person gerichtet werde, von der man sexuell erregt wird, und die durch das Anhören der
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miniert, dass dadurch die Witzerzählsituation aufgehoben wird, ist von uns nicht zu beantworten. In jedem Einzelfall entscheiden die Faktoren der übergeordneten Situation und des Textes darüber, was ein Erzähler mit einem Witz erreichen kann und will, und welche Intentionen der Hörer dem Sprecher unterschiebt. Man könnte in diesem Zueammanhang den Einwand erheben, eine Unterscheidung von Thematik und Sekundärfunktion erübrige sich, da erstere die letztere völlig determiniere. Abgesehen davon, dass die beiden Begriffe, wie erwähnt, verschiedene Aspekte des Witzes bezeichnen (inhärentes Merkmal vs. tagmemische Relation), sollte auch hier die diskutierte Unterscheidung von Textbedeutung und Text sinn berücksichtigt werden. Thematik benennt ein inhärentes Merkmal des Hypermorphems HM„ und somit im konkreten Fall die in einem Text manifestierte Bedeutung (ein Merkmal des betreffenden Hyperphonems), und nicht den erst vom Hörer realisierten Textsinn. Die Sekundärfunktion aber zielt genau auf die Realisation des Textsinns, wie das folgende Beispiel zeigt: "Feitel, du bist doch ein so kluger Mensch. Was heisst eigentlich a priori?" "A priori heisst: von vornherein." "Danke, jetzt weiss ich auch, was a posteriori heisst." (v, 20) Thematisch beschränkt sich der geschilderte Dialog auf die Erörterung der Bedeutung der gegensätzlichen Begriffe priori/a posteriori. Realisiert wird mit der Erzählung des Witzes aber eindeutig eine obszöne Anspielung. Das Thema Sexualität taucht im Witztext selbst überhaupt nicht auf, sondern gelangt in die Interpretation einzig durch die ergänzenden Schlussfolgerungen des Hörers, wenn dieser die Bemerkung Danke, jetzt ... zu verstehen sucht. Es soll natürlich nicht bestritten werden, dass zwischen Thematik und Sekundärfunktion eine enge Korrelation besteht, doch ist die Determination sicher nicht allein durch semantische Relationen im Text selbst zu begründen. Wie im obigen Beispiel gehört es zur Eigenart vieler tendenziöser Witze,
Zote von der Erregung des Redenden Kenntnis bekommen und dadurch selbst sexuell errregt werden soll." (Freud 1905; 1971 : 78)
88
dass sie theiratisch auf etwas anderes Bezug nehmen, als darauf, was der eigentlichen tendenziösen Absicht der Witzerzählung entspricht. Die Irrenanstalt in K. erwartet den Besuch eines hohen Funktionärs der nationalsozialistisch dirigierten Aerztefachschaft. Drei Tage lang muss die ganze Anstalt in strammer Haltung den Deutschen Gruss üben. Als das hohe Tier könnt, stehen alle Insassen der Irrenanstalt in Reih und Glied, heben den Arm und schreien wie ein Mann: "Heil Hitler!" Nur der letzte in der Reihe rührt sich nicht und macht den Mund nicht auf. Der Besucher sieht ihn strafend an und fragt: "Warum grüssen Sie nicht wie die anderen?" "Entschuldigen Sie bitte, aber ich bin nicht verrückt!" (i, 56) Die Rede ist hier von einer Irrenanstalt und der in 'Irrenwitzen1 vielzitierten Eigentümlichkeit ihrer Insassen, sich für normal zu halten. Die Sekundärfunktion zielt jedoch darauf ab, die Verhältnisse umzukehren, die Wirklichkeit, in die sich der Witzerzähler selbst versetzt sieht, als irr zu brand, 40 marken. Aus dieser Diskussion geht hervor, dass die üblichen Witzeinteilungen in Arzt-, Irren-, politische u.a. Witze im Grunde Einteilungen nach den jeweiligen Sekundärfunktionen sind, und nicht in erster Linie nach im Text selbst manifesten Bedeutungsmerkmalen. Wir können hier nicht auf die Vielfalt weiterer möglicher Sekundärfunktionen eingehen. Erwähnt werden sollen bloss noch die Bestätigung von Vorurteilen gegenüber Angehörigen von gewissen Nationalitäten oder Gruppen, eine Nebenfunktion, die oft mehr oder weniger ernsthafte aggressive Tendenzen verrät, die Befreiung vom Denk- und Realitätszwang, welche vor allem den tendenzlosen Witzen eignet 41, sowie eine seltener anzutreffende Se-
40 41
Dieser Witz ist denn auch extrem abhängig von seiner Entstehungssituation. Vgl. Abschnitt 1.2, Anm. 7
89
kundärfunktion: die Ueberlist-ung des Witzhörera. Sie gelingt allerdings nur, wenn der Erzähler seine mit dem Interaktionsmuster gegebenen Verpflichtungen nicht voll einhält, indem er den Hörer zu vergeblichen Interpretationsbemühungen veranlasst und ihn damit eher ärgert als belustigt. Geeignet sind dazu, wie 42 bereits erwähnt, vor allem die Unsinnswitze oder Aufsitzer: Botanischer Garten. Ein Spaziergänger wirft ein Stück Holz iii den Teich. Sein Hund läuft über die Wasserfläche und bringt es zurück. Darauf ein verblüffter Zuschauer: "Donnerwetter! Der Hund läuft ja auf dem Wasser!" "Was wollen Sie? Er kann nicht schwimnen." (i, 158) Zweifellos wird dieser Witz den Hörer unbefriedigt zurücklassen, ist man doch bereit gewesen, der besonderen Fiktivität von Witzen Rechnung zu tragen und selbst Unglaubliches in Erwartung eines hintergründigen Sinnes hinzunehmen: Da ist ein solcher nicht zu finden, und an seine Stelle tritt eine reichlich platte, realitätsbezogene Erklärung. Deutlicher noch wird dieselbe Sekundärfunktion am folgenden Beispiel: "Kennst du den neuesten Witz?" - "Nein" - "Ich auch nicht." P. Portmann bezeichnet diesen Witz als Metauitz und analysiert: "Hier wird die Frage, die sonst als Ankündigung dient und als solche ganz andere Funktionen zu erfüllen hat, inhaltlich genommen, ohne dass der Hörer dies wissen könnte." Der Witz beginnt mit der Konstituierung der Witzerzählsituation, erfüllt dann aber die Erwartungen, die der Hörer daran knüpft, nicht - "womit solche Texte (es sind immer 'Zwiegespräche1, in denen der Hörer, nach den Regeln des Witzerzählens, vorhersagbare Antworten geben muss), [...] die Bedingungen des Witzes [auf unkonventionelle Weise] erfüllen. Metawitze zeichnen sich dadurch aus, dass das Versprechen, welches durch die Einführung einer Witzerzählsituation gegeben wird, gerade dadurch eingelöst wird, dass es nicht eingehalten wird." (Portmann 1973 : 104) Ob die Bezeichnung Metauitz ganz glücklich gewählt
42
Vgl. Abschnitt 4.1
ist,
90
bleibe dahingestellt. Sicher ist jedenfalls, dass der Erzähler dieses Beispiels das Ziel, Vergnügen zu bereiten, völlig ignoriert zugunsten der Sekundärfunktion Ueberlisten des Hörers. Zun Abschluss der Besprechung des Hypertagmams
und seiner funktionalen
Bedeutung vollen wir zusammenfassend festhalten: Als Merkmal des Hypermorphems Witzerzählen zeichnet sich das Hypertagmem HT_ durch seine Funktion der Erzielung des witzigen Effekts
aus. Dieser Effekt ist nicht von der Sprachwissen-
schaft allein zu beschreiben, doch sind innerhalb des Tagmemik-Modells zumindest die Hauptfunktion Erzeugung von quasi-ästhetischem Vergnügen und die Möglichkeit verschiedener Sekundärfunktionen, die allesamt einer über den Witz hinausgehenden Mitteilungsabsicht des Erzählers entsprechen, aufzeigbar. Die Sekundärfunktionen der Witzerzählung korrelieren mit der Thematik der jeweiligen Beispiele und schränken zudem teilweise die Autonomie der Witzerzählsituation ein.
91
DAS VEKTEXTUNGSMJSTER
WITZ
5.1
Der Witz als Hypermorphem HNL
5.1.1
Inhärente Merkmale des Hypermorphems HM_
Unsere bisherige Diskussion bezog sich in erster Linie auf das Interaktionsmuster Witzerzählen. Dabei wurde verschiedentlich eine enge Korrelation zwischen Interaktionstyp und Vertextungsmuster festgestellt. Dies ist weiter nicht verwunderlich, bezeichnen doch die beiden Begriffe zwei unterschiedliche Komponenten desselben Untersuchungsgegenstands: Den Witz als Interaktionstyp auffassen heisst im Tagmemik-Modell, seinen Distributionsmodus zu untersuchen, während die Beschreibung des Witzes als Vertextungsmuster seinen Merkmals- und Manifestationsmodus hervorhebt. Diesen zweiten Aspekt gilt es im folgenden darzustellen. Vorerst sollen die inhärenten kontrastiv-identifikatorischen Merkmale des Hypermorphems HNL Witz untersucht werden, insbesondere die einzelnen Elemente der internen Tagmemstruktur. Nach einem kurzen Exkurs über eine Variante des Vertextungsmusters, über die Struktur der Dialogwitze, werden dann verschiedene Manifestationsformen der Pointenbildung, d.h. der Witz insgesamt als Hyperphonem HP beschrieben. Schon vielfach haben wir auf die gegenseitige Determination von Interaktion und Vertextung hingewiesen. Es muss deshalb wohl kann betont werden, dass auch die Darstellung des Hypermorphems HM^, obwohl sie sich prinzipiell auf die inhärenten Merkmale und somit auf den Witz als isolierte Einheit bezieht, nicht völlig von Zusammenhängen mit dem Interaktionsvorgang absehen kann. Tatsächlich wird nachzuweisen sein, dass zwischen den einzelnen Textelementen und dem Interaktionsmuster tagmemische Relationen über die unmittelbar über-/untergeordnete Einbettungsebene (hier HM_) hinaus bestehen.
92
Das Hypermorphem HM^ konstituiert sich aus den drei eingebetteten Hypertagmemen
cl
Einleitung, HT Opamatisie rung und HT Pointe. Diese interne TagmemD
C
Struktur ist das zentrale kontrastiv-identifikatorische Merkmal des Hypermorphems HM„. Hier liegt denn auch der Grund dafür, dass wir bei der Definition des Distributionsmodus von Pike's Darstellung abgewichen sind und die "internal distribution" dem Merkmlsmodus zugeordnet haben. Entsprechend stinmt unsere Auffassung des Hypermorphems nicht ganz mit derjenigen Pike's überein: Pike lehnt es ab, Hypermorphem und Strukturtyp einer Aeusserung gleichzusetzen. "John came home and Bill aame home are manifestations of the same uttereme, but are 2 distinct hypermorphemes." (Pike 1959; 1967 : 425) Dieses Argument ist plausibel, wenn die konkrete Bedeutung der Sätze als inhärentes Merkmal des betreffenden Hypermorphenis angesehen wird, was unserer Ansicht nach aber problematisch ist. (Vielmehr sollte geprüft werden, ob es nicht konsequenter wäre, die Manifestationsformen desselben Strukturtyps unter ihrem Manifestationsmodus, d.h. als Hyperphoneme zu untersuchen. Die Implikationen einer solchen Aenderung können hier jedoch nicht weiter verfolgt werden.) Es ist nämlich fraglich, welchen Sinn in diesem Fall die Unterscheidung zwischen Hypermorphem und Hyperphonem noch hat vor allem bezogen auf grössere Einheiten wie Textabschnitte etc. Anderseits
ist
auch nicht einzusehen, aufgrund welcher inhaltlich-semantischer Kriterien die von Pike erwähnte Klassenbedeutung für Hypermorpheme bestimmt werden könnte: der Versuch, eine Textsorte auf spezifische, für jedes einzelne Exemplar gleiche inhärente Bedeutungsmerkmale festzulegen, dürfte jedenfalls aussichtslos sein. Entsprechende Vorschläge früherer Autoren, die den Witz inhaltsbezogen definierten ("Entdeckung von Aehnlichem im Unähnlichen", 'Vereinigung von Gegen-
1 2
3
Vgl. Abschnitt 2 . 2 , Anm. 28 Vgl. Pike's Definition des Hypermorphems (S. 4 2 4 ) : "A HYPERMORPHEME is a multimorphemic manifestation of an expanded tagmeme, or of a hypertagmeme; i.e., it is any morphemically-complex manifested variant of a tagmeme or hypertagmeme, or of an uttereme or hyper-uttererne; it is emically trimodally - structured." Diese Definition schliesst unseren Modifikationsvorschlag nicht aus. Pike erwähnt die Klassenbedeutung im Zusammenhang mit Morphemklassen (1959; 1967 : 606); die Einschränkung, eine analoge Bestimmung sei für Hypermorpheme nicht möglich, wird nicht gemacht.
93
sätzlichem" etc.), haben sich denn auch als unzulänglich erwiesen. So scheint denn zur Bestimmung des Hypermorphems HNL Witz nur das zugrundeliegende Strukturmuster als kontrastiv-identifikatorisches Merkmal übrigzubleiben, ein Merkmal allerdings, das zusammen mit den tagmemischen Relationen zwischen Text und 4 Interaktionstyp die Textsorte Witz einwandfrei identifiziert.
5.1.2
Die Strukturelemente des Witzes
5.1.2.1 Das Hypertagmem HT : Einleitung a Es lassen sich, wie erwähnt, innerhalb des Witztexts drei Hypertagmene mit verschiedenen funktionalen Bedeutungen unterscheiden. Sie determinieren und ergänzen sich gegenseitig, haben aber meist auch noch Funktionen, welche die Ebene der Witzstruktur transzendieren und sich auf das Interaktionsntuster beziehen. Die Bedeutung des Hypertagmems
3.
Einleitung
besteht zunächst darin, kurz
und prägnant eine fiktive Wirklichkeit zu entwerfen, in der sich dann das im Witz dargestellte Geschehen abspielen wird. Ein nervöser Mann kommt zum Arzt und sagt: "...
Lenins Begräbnis. In der grossen Menschenmenge könnt ein Mann aus Odessa mit einem Mann aus Kiew ins Gespräch, (i, 164, abgeändert)
"...", sagt ein Fremdling zu dem Spartaner Theopompos, " (i, 12) Der Angestellte zum Chef: "...
Wenn wir an anderer Stelle (Abschnitt 4 . 2 . 2 . 2 ) die Textbeaeutung (im Gegensatz zum Textsinn) als inhärentes Merkmal des Hypermorphems HM bezeichnet haben, so erweist sich das jetzt als problematisch. Textbedeutung ist im dortigen Zusammenhang jedoch nicht inhaltlich zu fassen, schon gar nicht als konkrete Bedeutung eines Einzeltexts, auch wenn die Analyse des Pressburg-Witzes das vielleicht nahelegte. Vielmehr ist der Terminus formal zu verstehen: er soll nichts anderes bezeichnen als die Summe der funktionalen Relationen der eingebetteten Hypertagmeme HT und der inhärenten Merkmale a—c der entsprechenden Hypermorpheme HM _ eines Witzes. Die Termini Einleitung, Dramatisierung und Pointe benennen allgemein die
94
Diese Beispiele zeigen, wie mit der Einleitung in wenigen Worten Situationen skizziert und die darin handelnden und sprechenden Personen benannt werden. Als Hypertagmem ist die Einleitung definiert durch die Funktion Etablierung des Handlungsrahmens, weshalb weder der genaue Ort ihrer Manifestation in der Oberflächenrepräsentation des Texts (ob unmittelbar am Anfang des Texts oder später als Einschub) noch die Manifestationsform selbst (Länge und Komplexität der repräsentierenden Elemente: Ellipse oder mehrere Sätze) für die Bestimmung des zugrundeliegenden Strukturelements eine Rolle spielen. Als Hypermorphem zeichnet sie sich durch eine Tagmemstruktur aus, die mindestens zwei "slots" enthält: einen für die Situationsangabe und einen für die Einführung der Figuren. Beide "slots" können in der konkreten Manifestation von mehreren, aber auch bloss von einem polyfunkticnalen Hypertagmem gefüllt werden: So trennt unser zweites Beispiel von oben deutlich die Situationsangabe Lenins Begräbnis von der Einführung der beiden Figuren, während die Einleitung Der Angestellte zum Chef beide Funktionen zugleich übernimmt. Im einen Fall macht es der Fortgang der Erzählung nötig, ausführlich auf gewisse Einzelheiten wie Zeit und Ort der Handlung einzugehen, im anderen Fall genügt der einfache (implizite) Verweis auf eine Gesprächssituation, dafür werden die handelnden Personen näher charakterisiert, indem ein zwischen ihnen bestehendes Abhängigkeitsverhältnis aufgezeigt wird. Aus der Funktion Etablierung des Handlungsrahmens lassen sich wesentliche Kennzeichen der verschiedenen Manifestationsformen des Hyperphonems HP ableiten. Zunächst einmal die Kürze der Einleitung: Vorherrschend sind einfache Hauptsätze, die jeweils die wichtigsten Sachverhalte hervorheben sollten. Anfänge wie Ein Rekrut, der in nachlässigem Gang über den Kasernenhof schlendert, wird von seinem Hauptmann unwillig herbeigerufen: ....
drei wichtigen zugrundeliegenden Strukturelemente, bezeichnen aber nicht etwa die spezifischen Funktionen/Bedeutungen der entsprechenden Hypertagmeme.
95
sind untypisch und laufen Gefahr, ihre Wirkung auf den Hörer zu verfehlen. Wesentliche Elemente wie das völlig unmilitärische Schlendern des Rekruten, Ausgangspunkt für den folgenden Dialog, sollten nicht bloss nebenbei erwähnt, sondern betont werden, sonst entgehen sie dem Witzhörer. Ein Kenner würde deshalb den obigen Anfang umformen in eine knappe Folge von Hauptsätzen und dabei jegliche Zierat, wie umständliche Nebensätze und unnötige Attribute ("nachlässig", "unwillig") fallenlassen. Neben der Kürze ist die Prägnanz der Schilderung ausschlaggebend : Der Witzhörer soll sich die entworfene Situation in ihren wesentlichen Zügen so konkret wie möglich vorstellen können. Sprachlich komtrt dies zum Ausdruck im häufigen Gebrauch von Eigennamen und des bestimmten Artikels, welche beide dazu dienen, Personen und Ereignisse mit der Aura des schon Bekannten zu versehen: Meier hat ... dreihundert Mark erspart ... (i, 57) Der Feldwebel zu den Rekruten: ...
(iv, 93)
Die beiden Landser ... (iv, 95) Musketier Schuh ...
(iv, 97)
Das Schiff ist am Sinken ... Demselben Ziel der Konkretisierung dient auch die Integration der Situationsund Personeneinführung in einen direkt beginnenden Dialog: "Vor der Hochzeit versprach er mir ein Paradies ..." (viii, 157) "Na, wie geht's im jungen Eheglück?" ... (viii, 81) In beiden Fällen wird die Situation durch die direkte Rede als Gesprächssituation, einer der beiden Dialogpartner zudem als Ehegatte charakterisiert. Dieses Vorgehen ist allerdings nur möglich bei schriftlich fixierten Witzen; in mündlicher Erzählung wären weitere Angaben zu den Umständen des Dialogs unerlässlich. Ferner zeichnet sich eine prägnante Einleitung im allgemeinen durch den Ge-
Zum Problem der Artikelwähl etc. in Textanfängen vgl. die Ausführungen R. Harwegs. (1968 : 150ff)
96
brauch des Präsens aus, das meist atemporal verwendet wird: Nicht die zeitliche Einordnung der dargestellten Ereignisse, sondern die Aktualität des witzigen Geschehens für den Hörer soll hervorgehoben werden, vor allem auch dann, wenn ein Bezug zu historischen Hintergründen hergestellt wird: Invasion in Frankreich. Im schwersten Feuer waten zwei Kriegsfreiwillige Iren ... (i, 37) Im August 1914 ... bekommt der Kommandant ... (i, 34) Neben der Etablierung des Handlungsrahmens kommt dem Hypertagmem HT noch eine cl
zweite, wesentliche Funktion zu, die jedoch die WitzStruktur transzendiert und einen Beitrag leistet zu dem, was wir an anderer Stelle unter dem Aspekt Sekundär funktion des Witzes behandelt haben: Die Einleitung charakterisiert die Witzfiguren und übernimmt damit die Funktion, die Pointe zu motivieren. Erst durch die Berücksichtigung der besonderen Eigenarten der eingeführten Figuren wird in den meisten Fällen die Pointe plausibel. Im Grunde stellt die Einleitung nicht Individuen, sondern Typen von Witzfiguren vor. "Diese helfen in hervorragender Weise dazu, WitzSituationen über fclen 'Umweg' der] Erwartungen und Vorstellungen des Hörers zu strukturieren. 'Typen' in diesem Sinne sind nicht nur die Juden, Webstübeler und Schotten - neuerdings, je nach Modeströmung, Ostfriesen, Belgier oder Elephanten - oder die namentlich bekannten Klein-Erna, Graf Bobby, Kohn und Blau, etc., sondern, was inner im Witz vorkommt, wird, durch seine Fixierung auf eine Berufs- oder Verhaltensrolle, zum 'Typ1 und prägt die Situation [...] auf eigenartige Weise." (Portmann 1973 : 97) Von daher erhält das Merkmal bestimmter Artikel am Textbeginn des Hyperphonems HP nochmals seine Becl
gründung: Der Arzt .../der Pfarrer .../der Bräutigam ... etc., mit solchen Einleitungen werden pauschale Vorurteile und Rollenerwartungen geweckt, die dann im weiteren Verlauf durch die Pointe bestätigt werden und somit zur Erfüllung von Sekundärfunktionen des Witzerzählens beitragen.
97
5.1.2.2
Das Hypertagmem H T : Dramatisierung
Mit der Einführung der Situation und der Figuren sind die Bedingungen dargestellt, auf deren Hintergrund das Witzereignis iri Gang kommt. "Ob es die eingeführte Situation selbst ist,
welche die Personen des Witzes zu Reaktionen ver-
anlasst, oder ob sie nur den Rahmen absteckt, der sie zusanmenführt und gegenseitig handeln [...] lässt, ist gleichgültig; jedenfalls ist mit der Skizze der Situation der Beginn einer Konfrontation im weitesten Sinne gegeben." (Portmann 1973 : 97) Diese Konfrontation auf einen pointenwürdigen Stand zu bringen, d.h. das sich abspielende Ereignis so zu dramatisieren, dass am Schluss etwas wirklich Unerwartetes passieren kann, das ist die Funktion des Zwischenteils zwischen Einleitung und Pointe. Hier werden die Figuren und ihre Handlungen erzählerisch vergegenwärtigt, und zwar möglichst in einer Weise, die dem Hörer erlaubt, eigene Erwartungen ins Spiel zu bringen, welche dann schliesslich enttäuscht werden können. Formales Merkmal des Strukturelements Dramatisierung ist die Tatsache, dass es sich fast ausschliesslich in Form eines Dialogs manifestiert. Ein Grund dafür liegt vermutlich in der Oekononie der Darstellung (ihrerseits natürlich bedingt durch die Funktion der Dramatisierung) : Dialogische Aeusserungen der Witzfiguren kennzeichnen nämlich nicht nur den Sachverhalt, auf den sie sich beziehen - und erweitem so dem Witzhörer das Bild der Situation -, sondern sie charakterisieren auch gleich die Einstellung der Witzfigur zu dieser Situation und damit die Figur selbst. Der zweite Weltkrieg tobt schon seit einigen Jahren. Im Zug des Luftkriegs überfliegt ein englisches Bcmbergeschwader die Schweiz auf dem Weg nach Deutschland. Die Schweizer Flak funkt hinauf: "Ihr befindet euch über schweizerischem HoheitsgebietI" Die Engländer funkten zurück: "Das wissen wir!" Die Schweizer funken: "Wenn ihr nicht sofort das schweizerische Hoheitsgebiet verlaset, dann schiessen wir!"
98
Die Engländer funken zurück: "Das wissen wir!" Und sie überfliegen weiter schweizerisches Hoheitsgebiet. Die Schweizer funken: "Wir schiessenl" Und sie schiessen. "Ihr schiesst daneben!" funken die Engländer. Die Schweizer funken zurück: "Das wissen wir!" (i, 76) Die Aussagekraft und "Spontaneität" (Portmann 1973 : 90) direkter Rede kann durch keine umschreibende Darstellung erreicht werden; deshalb gilt es auch als allgemein gebräuchliches stilistisches Mittel, Personen sich mit ihrem Sprechen selbst charakterisieren zu lassen. Im obigen Beispiel wird der stilistische Effekt zudem gesteigert durch den mehrfachen Refrain Das wissen wir·. Und noch ein zweites Mcment, das die Dialogform begünstigt, wird hier sichtbar: die Möglichkeit, durch ein abgestimmtes Zusammenspiel von Ereignisschilderung und direkter Rede situationsbedingte Mehrdeutigkeiten von Aeusserungen für die Pointenbildung auszunutzen. Selten sind nämlich die einzelnen Aussagen im Verlauf eines Gesprächs für sich allein genontnen vollständig eindeutig, sondern sie erhalten ihren endgültigen Sinn erst durch eine Interpretation, die den Gesprächszusammenhang und besonders auch die Situation mitberücksichtigt. Da aber, wie wir gesehen haben, die Gesprächssituation im Witz meist nur sehr knapp angedeutet wird, fehlen dem Witzhörer oft entscheidende Angaben für die Entdeckung eines hintergründigen Sinns (unser Beispiel) oder einer grundsätzlich mehrfachen Bedeutung einzelner Redeteile: Was gibt's für einen neuen Witz? - Ein Jahr Gefängnis,
(i, 60)
Auch wenn der Dialog zweifellos die häufigste Manifestationsform des Strukturelements Dramatisierung ist, soll nicht behauptet werden, er sei die einzig mögliche. Allerdings wird in den meisten übrigen Fällen wenigstens die Pointe selbst durch eine Aeusserung in direkter Rede repräsentiert, und der vorangehende Zwischenteil enthält in der Regel einen Hinweis auf eine Gesprächssituation.
99
Das festgestellte Charakteristikum einer Erzählung in Dialogform, nämlich die Darstellung der Ereignisse aus der Sicht der Witzfiguren, fehlt jedenfalls praktisch nie, weshalb es wohl zu Recht als kcntrastiv^identifikatorisches Merkmal des Hypermorphems HM, bezeichnet werden darf. Es ermöglicht das bereits an anderer Stelle beschriebene Spiel der Erwartungen, indem es den Hörer veranlasst, sich mit den Erwartungen der Witzfiguren zu identifizieren und sich so ein Erwartungsschema aufzubauen, das dann in der Pointe kollabieren soll. Entsprechend ist die Bedeutung des Hypertagmems HT
nicht ohne Verweis auf tagmemische Rela-
tionen über die interne WitzStruktur hinaus zu beschreiben: Sie besteht in der Funktion, das Witzgeschehen für den Hörer zu dramatisieren, jene Spannung zu erzeugen, die dann in der Pointe gelöst wird. Eine Bemerkung noch zum Verhältnis von HT Etablierung des Handlungsrahmens 3.
und HT
Dramatisierung^ Beides sind zugrundeliegende Strukturelemente mit je
eigenständigen Funktionen. Unter Unständen aber kann HT vollständig in HT et JD integriert werden, so dass sich die beiden Hypertagmeme in ihrer Manifestation nicht mehr differenzieren lassen. Wir sind einem solchen Fall bereits begegnet: "Na, wie geht's im jungen Eheglück?" - "Scheusslich, reinste Hundeleben - Frau streichelt mich von früh bis spät." (viii, 81) Die Einführung von Situation und Witzfigur geschieht hier gleichzeitig mit dem Beginn der Dramatisierung im Dialog. Diese allerdings erreicht ihren Höhepunkt erst mit der überraschenden Bezeichnung der Ehe als Hundeleben, erst dort findet der Umschlag in die Pointe, in die unerwartete Erklärung statt. Wir erkennen an diesem Beispiel nochmals deutlich, dass sich die grundlegenden Strukturelemente nicht einfach direkt aus der Erscheinungsform eines Witzes ablesen lassen, sondern dass sie nur aufgrund ihrer Funktionen bestimmt werden können.
5.1.2.3 Das Hypertagmem HT : Pointe Wie die beiden eben diskutierten Strukturelemente Einleitung und Dramatisierung zeichnet sich auch die Pointe durch tagmemische Relationen aus, welche über die WitzStruktur hinaus bestehen: durch Funktionen, die sich erst auf der Witzer-
100
zählebene realisieren. Vor allem dieser Aspekt könnt zum Ausdruck in den Definitionen der Pointe, wie sie von den verschiedenen Autoren vorgeschlagen werden. Vergleichen wir etwa die folgenden Bemerkungen bei Preisendanz: Die Pointe verweist "den Hörer auf ein unausgesprochenes vorenthaltenes Faktum"; "Die Pointe ist
I...] eine plötzliche Erwartungserfüllung." (Preisendanz 1970 : 27)
Solche und ähnliche Bestimmungen beziehen den Witzhörer mit in die Definition ein und treffen damit durchaus einen grundlegenden Aspekt: die Wirkung der Pointe, die zusairmen mit jener der Einleitung (Motivierung) und der Dramatisierung (Spannung) die Wirkung des Witzes insgesamt ausmacht. Ebenso wird mit solchen Definitionen auf die wesentlich notwendigen Ergänzungsleistungen des Hörers angespielt (Verbindung von verschiedenen Isotopien in der Interpretation, Schlussfolgerungen, Aufbau eines Erwartungsschemas etc.). Gleichzeitig ist jedoch das Bestreben der Autoren unverkennbar, diese Bestimmungen zu ergänzen und zu präzisieren durch eine Definition, die sich auf den Text selbst bezieht. Zitieren wir nochmals Preisendanz: "Die Pointe [ist...] das einzig Unabdingbare, in jedem wirklichen Witz formal Wiederkehrende"; "die Pointe [ergibt] sich aus der Zuordnung von sprachlicher Bezeichnung und bezeichneten Korrelaten"; "die Pointe ist der - im Grunde stets semantische - Trick [...]". (Preisendanz 1970 : 18, 30, 32. Meine Hervorhebung) Diese und ähnliche Angaben verweisen alle auf ein zentrales Kennzeichen der Textsorte Witz: auf die Tatsache, dass die Techniken der Pointenbildung iitmer wieder zurückgreifen auf die sprachlichen Mittel der Vertextung. Entsprechend bezeichnet Greimas den Witz als diejenige literarische Gattung, "die willentlich die sprachlichen Verfahren zur Schau stellt, deren sie sich bedient." (Greimas 1966; 1971 : 61) Die Frage ist,
worin diese sprachlichen Verfahren bestehen und ob sie sich auf einen
Nenner bringen lassen. Sicher wird im Witz mit den verschiedensten Möglichkeiten und Besonderheiten sprachlicher Komnunikation gespielt: mit der ausserordentlichen Vielfalt differenzierbarer Bedeutungsaspekte und -elemente, mit der Variation oder gar dem Nichteinhalten von Regeln der Sprachverwendung, mit der einfachen Möglichkeit, Informationen zurückzuhalten etc. Das hat zur Folge, dass sich der Versuch, ein einheitliches Prinzip der Witztechniken zu finden, zum vornherein auf den Nachweis rein formaler Vertextungsmerkmale beschränken muss;
101
jede inhaltliche Bestimmung (Vereinigung von Gegensätzlichem, falsche Identifikation etc.), wie sie frühere Autoren z.T. versucht haben, kann hier nur fehlgehen. Greimas erläutert die sprachlichen Verfahren der Witztechnik an folgendem Beispiel: Wir befinden uns auf einer hocheleganten, glänzenden Abendgesellschaft der vornehmen Welt mit sorgfältig ausgewählten Eingeladenen. Zwei Gäste schöpfen ein wenig Luft auf der Terrasse: - "Ah", sagte der eine, Befriedigung in der Stiitme, "eine vornehme Abendgesellschaft, wie? Vorzügliches Essen ... und dann, entzückende Toiletten, wie?" - "Darüber", sagt der andere, "kann ich nichts sagen."
- "Wie das?" - "Nun, ich bin nicht dort gewesen."
(Greimas 1966; 1971 : 61)
"Die Geschichte besitzt wie tausend andere ihres Genres eine bestimmte Anzahl konstanter formaler Merkmale: 1. Sie weist obligatorisch zwei Teile auf: einführende Erzählung und Dialog;
Der französische Originaltext, auf den sich Greimas bezieht, lautet: "'C'est une brillante soiree mondaine, tres chic, avec des invites tries sur le volet. A un moment, deux convives vont prendre un peu l'air sur la terrasse. - Ah! fait l'un d'un ton satisfait, belle soiree, hein? Repas magnifique et puis jolies toilettes, hein? - £a, dit l'autre, je n ' e n sais rien. - comment na? - Non, je n'y suis pas alle: 1 (Point de vue, 23 fev. 1962)" (zit.
nach Greimas 1971 : 61)
In der deutschen Uebersetzung hat der Witz natürlich nicht dieselbe schlagende Wirkung wie im französischen Original. Das eingedeutschte Toiletten gibt die Homonymie des französischen toilettes nur sehr unvollkommen wieder, ist das Wort als Bezeichnung für Abendkleider doch ziemlich ausser Gebrauch gekommen.
102
2. die Einführung bereitet die Geschichte vor: sie ist eine kurze Erzählung, die einen hcnogenen Bedeutungsplan, eine erste Isotopie, etabliert; 3. der Dialog ist das Verfahren, das die Geschichte dramatisiert und ihre Einheit zersprengt, indem er abrupt der ersten Isotopie eine zweite Isotopie gegenüberstellt; 4. die beiden Isotopien sind durch den gemeinsamen konnektierenden Term miteinander verbunden. In den einfachsten Fällen (Kalauer, Witze, etc.) genügt die Identität, oder sogar die einfache Aehnlichkeit des Formans, um die beiden Isotopien miteinander zu verbinden ( [ . . . ] ) ; 5. das "geistige1 Vergnügen besteht in der Entdeckung zweier verschiedener Isotopien innerhalb einer vorgeblich homogenen Erzählung. Folglich erhebt, wie man sieht, das 'Bonmot', als literarische Gattung betrachtet, die Variationen der Isotopien der Rede auf die Ebene des Bewusstseins, Variationen, welche man zugleich durch die Anwesenheit des konnektierenden o
Terms zu verdecken vorgibt." (Greimas 1966; 1971 : 61f)
Wie aus dem Zitat her-
vorgeht, sieht Greimas das Kennzeichen eines Witzes in der Tatsache, dass ein angefangener Gedankengang abrupt unterbrochen und ihm ein zweiter Gedanke gegenübergestellt wird; linguistisch gesehen: es werden zwei heterogene Isotopien durch die Gesamtstruktur des Texts miteinander verbunden, obwohl sie im Grunde unvereinbar sind. Allerdings ist ihre Inkohärenz nicht total, denn die zweite Isotopie schliesst an die Bedeutung, genauer, an eine anfangs verdeckte Bedeutung des "konnektierenden Terms" an, der sich somit im nachhinein als vieldeutig erweist. Auf diese Weise ist die Bedingung eines - wenn auch lockeren semantischen Textzusanmenhangs erfüllt, wodurch gleichzeitig ausgeschlossen wird, dass irgendwelche beliebigen Isotopien zu einem sinnlosen Text zusammengefügt werden. Welches ist nun die Funktion der Pointe, die Bedeutung des Hypertagmems HT ? Zunächst einmal besteht sie sicher darin, eine zweite Isotopie zu etablieren, die einesteils mit dem vorangegangenen Text verbunden ist,
andernteils aber zu
(Hervorhebungen und Ergänzungen der Originaltennini durch den Uebersetzer sind weggelassen) - Der französische Terminus bonmot ist nicht äquivalent mit dem eingedeutschten Bonmot; Greimas meint hier offensichtlich die Textsorte Witz.
103
diesem in Kontrast steht. Die Konnexion der verschiedenen Isotopien ist als
sol-
che signifikant: Sie wird für den Hörer zur Bedeutungs- (Konsequenz-) anweisung, die Uebereinstirmrung der Elemente zu überprüfen. Da, wie wir behaupten, inner eine mehr oder weniger ausgeprägte Uhstinmigkeit zwischen den beiden Isotopien besteht, wird der Hörer gezwungen, nach verbindenden Elementen zu suchen. Er wird, wie im obigen Beispiel, Mehrdeutigkeiten entdecken, die ihm bisher entgangen sind, weil er sich - entsprechend dem üblichen Vorgehen beim Verstehen eines Texts - bemüht hatte, die erhaltenen Bedeutungsanweisungen auf einer mög9 liehst einheitlichen Monosemierungsebene zu spezifizieren. Die Pointe veranlasst also mit der Etablierung der zweiten, teilweise inkohärenten Isotopie den Hörer, seine frühere Interpretation zu revidieren: Es könnt zum vielzitierten Kollabieren des Erwartung s Schemas. Dem Leser dürfte aufgefallen sein, dass wir mit der obigen Bestimmung der Pointe die Grenzen einer Definition, die sich nur auf den Text selbst bezieht, überschritten haben. Der Grund dafür geht aus der bisherigen Diskussion wohl eindeutig hervor: Das Konzept Bedeutung=Anweisung und die damit verbundene Differenzierung von Textbedeutung und Textsinn erlauben eine rein textinhärente Bestimmung ganz einfach nicht.
Die Struktur eines Witzes ist grundsätzlich
so angelegt, dass Ergänzungsleistungen des Hörers mitberücksichtigt werden müssen. Immerhin können wir versuchen, wenigstens eine Teilfunktion der Pointe als textinterne tagmemische Relation zu beschreiben, etwa mit der Formel: Die Pointe verbindet über ein mehrdeutiges Textelement zwei miteinander (mindestens teilweise) unvereinbare Isotopien. Diese Bestimmung des Hypertagmems HT
setzt explizit die Existenz von Mehr-
deutigkeiten im Witztext voraus. Im obigen Beispielwitz ist die Voraussetzungsbedingung erfüllt durch die Homonymie von Toiletten. Indessen verwenden längst nicht alle Witz Homonyme zur Pointenbildung, so auch nicht das folgende Exemplar:
9 10
Zum Begriff Monosemierungsebene vgl. W. Kallmeyer u.a. 1974 : 150ff. Selbst A.J. Greimas, bei dem nur von Isotopien die Rede ist, kommt nicht ohne implizite Bezugnahme auf den Kommunikationsvorgang aus: "die Variationen der Isotopien" werden "auf die Ebene des Bewusstseins" gehoben, ihre Verschiedenheit wird entdeckt.
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Nach dem Sieg über Frankreich steht Hitler an der Kanalküste und schaut sehnsüchtig zum Kreidefelsen von Dover hinüber. "Wie könne ich nur da hinüber?" fragt er seine Mitarbeiter. Keiner weiss Rat. Nur Goebbels neidet sich. "Wie sind die Juden durchs Rote Meer gekonnten?" fragt er. "Moses hat das Wasser geteilt!"
Hitler schnauzt den Reichsführer SS Himnler an: "Her mit dem Mann:11 Sofort werden alle Konzentrationslager durchgekänmt. Moses wird gefunden und zu Hitler gebracht. "Wie hast du das Rote Meer geteilt?" "Mit einem Stab."
"Her damit: Wo ist der Stab?" "Im Nationalmuseum in London."
(i, 64)
In diesem Text ist bestimmt kein Homonym zu finden, welches die Inkongruenz der Isotopien teilweise überbrücken könnte. Vordergründig besteht hier das sprachliche Verfahren der Pointenbildung darin, dass "eine neue Information - die letzte nötige und im Zusammenhang mögliche - alles Vorherige über den Haufen wirft." (Portmann 1973 : 103) Was wir früher von der Hörerseite her als Abweichung von Erwartensnormen und Eintreffen des Unerwarteten bezeichnet haben, lässt sich nun von Text her beschreiben als abrupte Einführung eines inhaltlich neuen Elements. Die Witztechnik thematisiert hier einen zentralen Aspekt sprachlicher Kommunikation, nämlich den Aspekt der Ihformationsübermittlung, genauer, des Informationsflusses. Während wir als Hörer normalerweise auf den Inhalt der Mitteilungen, d.h. auf die Information selbst, achten, die Art und Weise des Mitteilens - wie neue Inhalte kontinuierlich aus dem bereits Gesagten heraus entwickelt werden und aneinander anknüpfen - aber kaum berücksichtigen, werden wir im obigen Witzbeispiel genau auf diesen zweiten Gesichtspunkt aufmerksam gemacht, durch Exemplifikation des gegenteiligen, nichtkontinuierlichen Verfahrens, welches in diesem Witz besonders ausgeprägt dargestellt wird.
105
Diese Feststellung (die übrigens auf alle Witze mehr oder weniger spezifisch zutrifft) ist allerdings zu ergänzen: Ebenso bedeutsam, wann nicht wichtiger als das Zurückhalten von Information ist hier das raffinierte Spiel mit der Fiktivität des Dargestellten; auf die "sprachlichen Verfahren" der Witztechnik bezogen: es wird das Problem der Referenz sprachlicher Ausdrücke "zur Schau gestellt." In der Einleitung des Witzes werden wir auf eine Situation verwiesen, die sich vor einiger Zeit durchaus so abgespielt haben könnte. Nennen wir sie historische Situation (ohne damit ihre historische Realität behaupten zu wollen). Mit der Diskussion über den Durchzug der Juden durch das Rote Meer wechselt nun der referentielle Bezug von der historischen zu einer mythischen Geschichte. Die Schlussisotopie dagegen macht diesen Schritt rückgängig und schliesst unvermittelt wieder an die 'historische1 Situation an. Erneut ist eine Inkohärenz der verknüpften Elemente feststellbar: Diesmal beruht sie auf der Inkompatibilität der Bezugsebenen, auf die in ein und demselben Text verwiesen wird, ohne dass der Ebenenwechsel semantisch explizit gemacht würde. Im Gegenteil, die Unvereinbarkeit wird raffiniert überbrückt (was den Textzusammenhang ja erst garantiert), diesmal nicht durch verbindende Homonymie, sondern durch die Mehrdeutigkeit der Referenzanweisungen, die mit dem Namen Moses gegeben werden. Einerseits verweist Moses auf den 'mythischen', andererseits auf den 'historischen' Moses, so dass die beiden Figuren schliesslich nicht mehr deutlich auseinandergehalten werden können. Der Witzhörer wird geschickt in die Irre geleitet: Zuerst erwähnt wird nämlich der 'mythische' Moses; aufgrund der charakteristischen doppelbindungsähnlichen Situation, welche Fragen nach Wahrheit und Wahrscheinlichkeit ausschliesst, schöpft der Hörer natürlich überhaupt keinen Verdacht, wenn dieser Moses plötzlich an der Kanalküste auftaucht. Erst die Pointe klärt ihn darüber auf, dass er im vorliegenden Fall zuviel Unwahrscheinliches akzeptiert hat, indem er auf die Unterscheidung der mehrfachen Referenz verzichtete.
11
12
Zum Terminus Geschichte vgl. 2.1.2, Anm. 11 - Die Bezeichnung mythisch soll nicht die historische Wirklichkeit eines Durchzugs durch das Rote Meer in Frage stellen: es geht in diesem Zusammenhang überhaupt nicht darum, dessen Realität zu behaupten oder zu verneinen. Voraussetzung dieser Interpretation ist u.a. die Annahme, der 'historische' Moses gehe absichtlich auf das mit ihm getriebene Spiel ein, d.h. er akzep-
106
Wir vollen in diesem Zusammenhang den semantischen Begriff
Mehrdeutigkeit
ersetzen durch den an anderer Stelle bereits eingeführten Terminus lität. Polyfunktionalität
Polyfunktiona-
bezeichnet eine Vertextungsart, in der ein Textkonsti-
tuens zugleich mehrere Funktionen erfüllt, mehrere Bedeutungsanweisungen erteilt. Der Begriff hat gegenüber Mehrdeutigkeit den Vorteil, nicht nur semantische, sondern auch pragmatische Relationen einzuschliessen und zudem ein dynamisches Moment mit auszudrücken. Er erfasst sowohl textinterne als auch textexterne Funktionen, bezieht sich also nicht etwa nur auf heterogene Referenzanweisungen, sondern auf jegliche Art von Bedeutungsanweisungen. Auf der Rezeptionsseite zwingt die polyfunktionale Vertextung den Hörer zu einem grundsätzlichen "Perspektivismus, d.h.
[—] zur Auflösung der auf Eindeutigkeit und
Einwertigkeit angelegten pragmatisch-sozialen Erwartungsschemata", (Schmidt 1971a; 1972 : 42) ein Aspekt, den wir an anderer Stelle bereits als Thematisierung des Rezeptionsvorgangs besprochen haben.Die Diskussion des obigen Witzes erlaubt uns nun, die bisherige textinterne Bestimmung der Pointe zu ergänzen durch Einbezug der textexternen Wirkung, der tagmemischen Relation zwischen HT c und HB Witzerzählen: Danach kontrastiert die Pointe nicht nur zwei verschiedene Isotopien, sondern sie verweist den Hörer durch die teilinkohärente Konnexion auf die polyfunktionale Vertextung eines verbindenden Textelements. Sie macht den Hörer damit auf bis anhin unbemerkte Bedeutungsdiinensionen des Texts aufmerksam und veranlasst ihn zur Ergänzung bzw. Revision seiner Interpretation.
13
tiere Hitlers Präsupposition, den 'mythischen' Moses vor sich zu haben. Selbstverständlich ist damit der Witz nicht abschliessend erklärt. Aspekte wie z.B. die rechthaberische Befehlsweise des Diktators, welche die Ausführbarkeit seiner Befehle nie in Frage stellt, müssten genauso wie weitergehende Kenntnis der damaligen Situation für eine umfassende Interpretation mitberücksichtigt werden. Polyfunktionalität der Vertextung und die Möglichkeit, dass diese erst nachträglich entdeckt wird, schliessen sich nicht aus. Grundsätzlich gilt, dass die verschiedenen Funktionsmöglichkeiten polyfunktional vertexteter Elemente simultan wirksam bleiben, doch ist damit "zugleich gesagt, dass in den meisten Fällen/Texten eine Ebene dominant sein wird [...]" (Schmidt 1971a; 1972 : 25) Auf den Text bezogen wird hier formuliert, was für den Verstehensprozess als Tendenz zur Monosemierung bezeichnet wird.
107
Mit dem Sichtbarmachen polyfunktionaler Vertextung stellt die Pointe die sprachlichen Verfahren zur Schau, worr.it zusätzlich zu jedem Inhalt "die Art und Weise des Aussagens", die "spezifische Aussagetaktik" (Preisendanz 1970 : 17, 18) signifikant wird. Man könnte dieser Bestimmung der Pointe gegenüber einwenden, sie sei unvollständig, da ja schliesslich die Pointe selbst ein Mehrfaches ausdrücke, etwas mitteile, was sie gleichzeitig ausklammert, also polyfunktional vertextet sei. Dem Einwand ist folgendes zu entgegnen: Er lässt ausser acht, dass die Pointe definiert wurde als zugrundeliegendes Strukturelement, der Begriff polyfunktionale Vertextung sich aber auf ein Textelenent der Oberflächenstruktur bezieht. Das Hypertagmem HTG hat zwar mehrere tagmamische Funktionen, die Qualität polyfunktionale Vertextung könnte aber allenfalls seiner Manifestationsform, dem Hyperphonem HP , zukommen. Tatsächlich ist es nicht ausgeschlossen, dass die Pointe oberflächenstrukturell durch polyfunktional vertextete Elemente repräsentiert wird, doch darf dies nicht als wesentliche Bedingung in die Definition 14 der Pointe eingehen. Behauptet werden kann bloss, dass jeder Witz auf seiner Manifestationsebene mindestens ein polyfunktionales Oberflächenelement aufweist; dessen Auftretensort im syntagmatischen Textzusammenhang ist jedoch nicht allgemein festzulegen. Im vorigen Witz z.B. ist die Pointe selbst bestimmt nicht polyfunktional vertextet. Die etablierte Isotopie nacht eine eindeutige Angabe über den Aufbewahrungsort des fraglichen Stabes. Wer argumentiert, es werde damit gleichzeitig ausgesagt, Hitler könne unmöglich je nach England hinüber gelangen, der verwechselt die Manifestationsform der Pointe mit dan Gesamtsinn des Witztextes: Erst der Vergleich der verschiedenen im Text enthaltenen Isotopieebenen führt nämlich zu dieser Schlussfolgerung. Dass die Pointe keineswegs immer etwas mitteilt, was sie gleichzeitig ausklammert, wird noch deutlicher im folgenden Witz:
14
Meist ist es in diesem Fall so, dass die Witzfigur selbst ihre Aussage witzig meint.
108
Zwei Patienten lagen nebeneinander im Krankenzimmer. Beide hatten die gleiche Verletzung: eine sehr schmerzhafte Schulterverrenkung. Ein eifriger Assistenzarzt kam herein und untersuchte die Schulter des einen Patienten, eines jungen Mannes in den Zwanzigern. Mit berufsmässiger Gleichgültigkeit drehte und zog der Assistenzarzt am Arm des Patienten, der vor Schmerz irrmer wieder laut aufschrie. Dann trat der Arzt an das Bett des ändern Patienten, eines alten Juden. Er untersuchte ihn auf die gleiche Weise und drehte und zog an dessen Ann, aber der Alte zuckte und schrie nicht, sondern blieb stoisch ruhig. "Ich muss zugeben, dass ich Sie wirklich sehr bewundere", gestand der junge Mann dem Juden, als der Assistenzarzt endlich gegangen war. "Wie können Sie solche Qualen aushalten, ohne einen Laut von sich zu geben?" "Es ging nicht darum, Qualen auszuhalten", antwortete der Alte. "Es war nur eine Frage des gesunden Menschenverstandes." "Gesunder Menschenverstand?" wiederholte der junge Mann verblüfft. "Wie meinen Sie das?" "Glauben Sie denn wirklich, dass ich so blöd war, diesem unerfahrenen Grünschnabel meine verletzte Schulter hinzuhalten?" (ü, 121)
Hier wird auf keinen hintergründigen Sinn angespielt, sondern alles gesagt, was zu sagen ist. Trotzdem erzielt dieser Witz unbestritten seine Wirkung. Durch die Etablierung der Schlussisotopie verweist die Pointe auf die Polyfunktionalität des Referenzausdrucks dessen Arm und verlangt die Abänderung der bisherigen Interpretation. Der Härer realisiert die Möglichkeit verschiedener Lesarten, merkt, dass offenbar eine andere als die zuerst vermutete die richtige ist, sieht diese Erkenntnis dadurch bestätigt, dass die eingerührte Figur ein Jude ist, dessen 'typische1 Schlauheit sein abweichendes Verhalten motiviert, m.a.W., er 'erfährt den Interpretationsvorgang1. Das Beispiel zeigt ganz klar,
109
dass nicht die Pointe allein die witzige Wirkung ausmacht, sondern dass diese erst zustandekomnt, indem sich "ein 'Verstehensbogen' zurückschliessen Ikann] an den Anfang des Witzes." (Portmann 1973 : 100)
Es muss in diesem Zusanmenhang wohl nochmals festgestellt werden, dass wir nicht den Anspruch erheben, mit dem Hinweis auf die Thematisierung des Rezeptionovorgangu die Wirkung eines Witzes abschliessend zu beschreiben. Es ist dies nur derjenige von vielen Aspekten, der sich in unserer Untersuchung am ehesten darstellen lässt. Die im obigen Witz hervorgehobene Abweichung von Verhaltensnormen, denen Patienten üblicherweise unterworfen sind, trägt zur überraschenden Wirkung zweifellos am meisten bei, ist jedoch im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen Beschreibung nicht mehr zu erklären. Einzig ihre Hervorhebung im Witz ist erfassbar unter dem Gesichtspunkt der plötzlichen Erwartungserfüllung durch Kollabierenlassen des Erwartung asohemas, jener textextemen Funktion der Pointe, die von den Autoren immer wieder angeführt wird.
5.1.3
Ergänzende Bemerkungen zur Bestürmung des Hypermorphems HM_
Der besondere Aufbau der Gesamtstruktur und das Zusammenwirken ihrer Elemente sind die spezifischen Kennzeichen der Textsorte Witz. Isoliert lassen sie sich als inhärente Merkmale des Hypermorphems HM_ beschreiben, im Hinblick auf den immer wieder festgestellten Zusanmenhang mit dem Hyperbehaviorem Witzerzählen könnte man sie etwas dynamischer als allgemeine Merkmale einer für den Witz typischen 'Technik' der Erzeugung eines witzigen Effekts bezeichnen. Die Vielfalt möglicher Manifestationsformen dieser grundlegenden Merkmale des Hypermorphems HM_, d.h. die Verschiedenheit der technischen Varianten der Witzbildung und damit der Varianten des Hyperphonems HP«, können wir nach den wenigen Witzanalysen erst ahnen; näher darauf eingehen werden wir im folgenden Kapitel. Hier bleibt noch ein Problem zu besprechen, das wir bis jetzt stillschweigend ausgeklammert haben. Weiter obern wurde festgestellt, dass es wohl kaum in Frage könne, zu den inhärenten Merkmalen des Hypermorphems HM_ auch eine Art Textsortenbedeutung zu zählen, etwa im Sinne einer inhaltlichen Definition des Witzes, wie sie frühere Autoren gegeben haben ("Vereinigung von Gegensätzlichem" etc.). Wir haben uns darauf beschränkt, als kontrastiv-identifikatorisches Merk-
110
mal allein die zugrundeliegende Textstruktur anzunehmen. Nun setzt aber ein Element dieser Textstruktur, die Pointe, voraus, dass in den verschiedenen Oberflächenmanifestationen des Witzes mindestens ein polyfunktional vertextetes Element auftritt: Dieses Oberflächenelement wird jeweils zum Ansatzpunkt für die Schaustellung der sprachlichen Verfahren, und über die Thematisierung der Rezeption zur Vorbedingung des quasi-ästhetischen Vergnügens am Witz. Es spielt also für die Witzbildung eine entscheidende Rolle und darf keinesfalls fehlen. Die Frage ist demnach, ob polyfunktionale Vertextung als kontrastiv-identiflkatorisches Merkmal mit zu den inhärenten Merkmalen des Hypermorphems HM_ zu rechnen ist. Sicher trifft dies nicht zu für ein bestimmtes Oberflächenelement, denn ein solches kann natürlich nicht Merkmal des Hypermorphems, sondern bloss des Hyperphonems sein. Doch wäre denkbar, dass Polyfunktionalität der Vertextung als allgemeines Merkmal der Manifestation von Witzen wenigstens in Form einer Voraussetzungsbedingung auch dem Hypermorphem HVL als Merkmal zugeschrieben würde. Für diese Darstellungsweise spricht jedenfalls der enge Zusammenhang von Aesthetizität und polyfunktionaler Vertextung, auf den immer wieder hingewiesen wird. 15
16
17
Vgl. S.J. Schmidt (1971a; 1972 : 21): "Polyfunktionalität der Vertextung [ist] eine unumgängliche, wenn auch vielleicht noch keine erschöpfende Bedingung des Aesthetischen." (Hervorhebungen weggelassen) Wir haben bisher die Existenz eines oder mehrerer polyfunktional vertexteter Elemente im Witz bloss behauptet. Ein Nachweis der Richtigkeit dieser Behauptung ist natürlich nicht erschöpfend zu führen. Da wir jedoch den Begriff polyfunktionale Vertextung relativ allgemein gefasst haben, ist er ohne weiteres auch auf Elemente beziehbar, die nicht bereits aufgrund von Homonymie-Relationen, sondern nur aufgrund defizienter Monosemierungsebenen mehrere Bedeutungsanweisungen zugleich repräsentieren. (Vgl. dessen Arm im letzten Witzbeispiel) Defiziente Monosemierungsebenen aber sind wohl in jedem Witz nachzuweisen. (Vgl. die Bedingung der Kürze der Darstellung) Die Begriffe Oberflächenstruktur bzw. Oberflächenelement sind in diesem Zusammenhang nicht zu eng zu fassen! Sie entsprechen nicht etwa der Oberflächenstruktur im Sinne der frühern Transformationsgrammatik (phonologische Repräsentation), sondern bezeichnen allgemeiner die Repräsentationsform der zugrundeliegenden Tagmemstruktur, beziehen also semantische Aspekte mit ein: Vgl. die Analyse des Pressburg-Witzes in Abschnitt 5 . 2 . 2 . 2 , wo die konkreten Isotopien dem Hyperphonem zugeteilt werden. Vgl. Anm. 15 - Auch H. Blumenberg betont diesen Zusammenhang: Der ästhetische Reiz haftet für ihn "an der Steigerung der elementaren Vieldeutigkeit aus der Komplexität der Konstellationen und BedeutungsInduktionen." "Der ästhetische Effekt der sprachlichen Tendenz auf Vieldeutigkeit ist zunächst die
Ill
Wir wollen aber die Beantwortung dieser Frage im Rahmen unserer Untersuchung offenlassen, zumal uns das Verhältnis von Hypermorphem und Hyperphonem im Pike'sehen Modell ohnehin nicht völlig geklärt zu sein scheint.
5.2
Exkurs: Dialogwitze
18
Den Aufbau der Gesamtstruktur des Vertextungsmusters und das Zusammenwirken der einzelnen Elemente haben wir im vorangehenden Abschnitt als allgemeine Merkmale einer typischen Technik der Witzbildung kennengelernt. Ein anderes Vertextungsmuster und demgemäss eine andere Witztechnik liegt der kleinen Gruppe von Dialogtfitzeri zugrunde, die deshalb speziell besprochen werden müssen. Mit dem Terminus Dialogaitze bezeichnen wir Witze, die - zumindest vordergründig - die Ebene der Witzerzählsituation nicht verlassen und somit keinen fiktiven Handlungsrahmen einführen, der dann zum Ausgangspunkt eines beliebigen Geschehens wird: "Wer hat den Kupferdraht erfunden?" - "???" - "Zwei Belgier, die sich um einen Cent stritten." "Was ist das: Es ist zwanzig Meter lang und riecht nach Pennies Frites?" - "Keine Ahnung" - "Ein Reisebus voll Belgier." "Was geschieht, wenn der dünnste Berner nach Fribourg auswandert?" - "Was denn?" - "In beiden Kantonen hebt sich das Intelligenzniveau. " "Kennst du den Unterschied zwischen einer Möwe und einem Neger?" - "Nein" - "Die Möwe hat einen weissen Schwanz und der Neger kann nicht fliegen."
18
Ueberraschung am Vertrauten, der Selbstwertgewinn des blossen Mittels, das Heraustreten des Selbstverständlichen aus der Sphäre der als solcher unbeachteten 'Lebenswelt 1 ." (Blumenberg 1966 : 155 und 150) Wir folgen in wesentlichen Punkten der Darstellung in Portmann 1973 ( 8 5 f f ) .
112
Kennzeichen der Dialogwitze ist, dass sie den Witzhörer in den Ablauf der Witzerzählung direkt einbeziehen. Strukturell findet sich immer dasselbe Schema: Problemfrage - Antwort des Hörers - Lösung. Der Dialog, der hier zwischen Erzähler und Hörer geführt wird, erweist sich aber regelmässig als blosses Scheingespräch. Die Antworten des Hörers sind stereotyp: Er hat keine Möglichkeit einzugreifen und darf, wenn er nicht als Spielverderber gelten will, weder mit ja antworten, noch selbst einen Lösungsvorschlag anbringen. "Damit würde er die Erzähltätigkeit des Sprechers behindern, statt sie, wie programmiert, durch das Eingeständnis seiner Unwissenheit ( [ . . . ] ) zu fördern. Die Frage erweist sich damit als Scheinfrage, das angeschnittene Problem als Scheinproblem. In diesen Witzen wird ein Problemlösungsverhalten nachgeahmt, nicht durchgeführt." (Portmann 1973 : 87) Der enge Zusammenhang zwischen Interaktionsschema und Vertextungsmuster wird am Beispiel der Dialogwitze nochmals besonders deutlich. Er erlaubt, die verschiedenen Aeusserungen in dialogischer Konmunikation zu einer Gesamtstruktur zusammenzufassen, obwohl sich vom Aspekt Bedeutung = Handlungsanweisung
her
ein Dialog eigentlich in eine Reihe von einzelnen Aeusserungen aufzulösen 19 droht. Deren Verbindung ist jedoch gleich mehrfach gewährleistet: Einmal durch die "thematische Orientierung der Kommunikationsakte" (Schmidt 1973 : 48) , dann aber auch durch formale Mittel, etwa "charakteristische Konnexionsformen wie die Abfolge Frage - Antwort [...]" (Kallmeyer 1974 : 57) 2° Das Vertextungsmuster Dialogwitz konstituiert sich ebenfalls aus drei eingebetteten Hypertagmemen, ^ ^ ,/ jedoch sind diese natürlich nicht äquivalent mit den Hypertagmemen HT
~
. Was in den herkömmlichen Witzen als HT dazu 3.
dient, den Handlungsrahmen des Witzgeschehens abzustecken, ist im Dialogwitz ersetzt durch die einführende Scheinfrage: Sie etabliert nicht mehr eine fiktive Situation, sondern hat die Funktion, den Hörer zu aktivieren, sein Interesse zu wecken für ein witziges Rätselspiel, an dem er selbst teilnehmen soll.
19 20
Vgl. W. Kallmeyer u . a . 1974 : 5 7 f . Vgl. auch D. Wunderlichs Ausführungen über Sprechhandlungssequenzen (Wunderlich 1972b).
113
Die illokutionäre Form der Frage ist dazu am besten geeignet, denn sie provoziert ein aktives Verhalten des Zuhörers, zwingt ihn zum Reagieren. Eine Ankündigung der Witzerzählsituation, wie wir sie bei den übrigen Witzen kennengelernt haben, muss hier freilich unterbleiben. Abgesehen davon, dass zwei aufeinanderfolgende Fragen, welche beide ablehnend beantwortet werden müssten (Kennst du den neusten Witz - Nein - Weisst du den Unterschied ... - Nein Also ...)} einen reibungslosen Ablauf des Gesprächs empfindlich störten, würde die explizite Kennzeichnung des Dialogs als Witz die Vorspiegelung einer sinnvollen, ernsthaft gemeinten Frage hinfällig machen und damit dem Scheindialog jeden Reiz nehmen. Als Standardtypen der Einleitung dominieren Definitions-, Unterschieds- und Identifikationsfragen.
Sie führen das Thema ein, worüber gesprochen werden
soll. Ihr Inhalt erlaubt meistens, die Vorspiegelung einer ernsthaften Frage zu erkennen, und ermöglicht so dem Hörer die richtige Reaktion.
"Das angeschnitte-
ne Problem wird auf eine Weise gestellt, die sich von vornherein als nichternsthaft deklariert. Die Frage nach dem Unterschied zwischen einer MSwe und einem Neger ist ausserhalb des Witzbereichs kaum zugelassen, weil sie den allgemeinen, zwar schwer fasslichen, Vorstellungen über erfragbare und sinnvolle Probleme nicht entspricht; sie widerspricht einer Sprechverhaltens-, nicht einer linguistischen Norm." (Portmann 1973 : 88) Das erste Strukturelement des Dialogwitzes ist somit ein polyfunktionales Hypertagmem H T : Es etabliert ein Gesprächsthema, führt damit gleichzeitig die Witzerzählsituation ein und aktiviert den Hörer, Interesse an der Lösung des Problems zu bekunden.
21
22
"Selten kommt es auch vor - vor allem im Druck - dass nur eine Behauptung aufgestellt und danach 'begründet 1 wird. - Im Gespräch ist aus vielerlei Gründen die Frage fast stets vorhanden: der Hörer muss kundtun können, dass er den Sinn der Frage [...] verstanden hat." (Portmann 1973 : 116, Anm. 16) Hinzuzufügen wäre, dass der Hörer zu erkennen geben muss, dass er den Wunsch des Erzählers, einen Witz vorzubringen, akzeptiert. Zwischen dieser Feststellung und der oben angegebenen Begründung für den Wegfall der Ankündigung besteht nur ein scheinbarer Widerspruch. Der Hörer weiss sehr wohl, dass ihm keine ernsthafte Frage gestellt wird, ist sich also der Vorspiegelung bewusst, nimmt diese jedoch als solche hin, wie es die doppelbindungsähnliche Situation von ihm verlangt. Die Kennzeichnung des Dialogs als Witz würde aber gerade den Charakter der Vorspiegelung ernsthafter Erörterungen zerstören.
114
Einen Grenzfall stellt die Einleitung "Wer hat den Kupferdraht
erfunden?"
dar. Fragen wie diese könnten durchaus ernstgemeint sein. Werden sie nicht durch den Zusammenhang mit vorausgegangenen Aeusserungen oder durch jederzeit einsetzbare aussersprachliche Mittel (Mimik, Gesten etc.) als Witzeinleitungen gekennzeichnet, deckt erst ihre Beantwortung - "Zwei Belgier, die sich um einen Cent stritten" - den nicht-ernsthaften Charakter auf. In diesem Fall dominiert eindeutig die Sekundärfunktion Ueberlisten des Witzhörers über die Erzielung des witzigen Effekts.
Wir begegnen hier ähnlichen Verhältnissen wie beim Beispiel
"Kennst du den Neuesten?" - "Nein" - "loh auch nicht"r das wir als Metawitz im Zusammenhang mit den Funktionen des Hypertagmems HT bereits besprochen haben. Zweites Strukturelernent eines Dialogwitzes ist die Antwort des Hörers, deren Funktion sich - wie erwähnt - darauf beschränkt, sein Interesse an der zweifellos unerwarteten Lösung kundzutun. Eine Phase der Dramatisierung, wie wir sie bei den übrigen Witzen als charakteristisch erkannt haben, kann hier ohne weiteres fehlen, da die notwendige Spannung beim Hörer schon gegeben ist mit dem Erwarten der Lösung. Trotz dem Sprecherwechsel gehört die Antwort des Hörers klar zur Vertextungsstruktur der Dialogwitze. Die für die Konstitution einer Gesamtstruktur dialogischer Aeusserungen nötige thematische Orientierung ist hier per negationem vorhanden: Manifestationsform der Antwort ist immer eine ablehnende Bemerkung wie "Nein",, "Iah weiss es niaht" etc., denn die Scheinhaft igkeit des Problems überlässt zwangsläufig dem Erzähler die Lösung. "Beispielhaft wird dies etwa in folgendem Rätsel ausgenützt, das in dem Aspekt, dass der Hörer nicht recht haben darf, mit den [Dialogwitzen] übereinstirtmt: 'Was ist das: es ist aussen blau, hat innen einen Kern und liegt unter einem Zv/etschgenbaum?' - 'Eine Zwetschge* - 'Falsch, ein blauer Husar, der eben eine Zwetschge gegessen hat'. Weiss der Hörer die richtige Antwort, so ist sie trotzdem falsch: in diesem Falle liegt unter dem Baum die Zwetschge, weil der Husar noch nicht gekommen ist." (Portmann 1973 : 116, Anm. 15) Die Funktion des dritten Strukturelements, des Hypertagmems HT
Pointe,
besteht nicht, wie in den übrigen Witzen, darin, auf polyfunktionale Vertextung zu verweisen. Zwar werden auch in Dialogwitzen gelegentlich nichtbeachtete Bedeutungsrelationen manifest gemacht (etwa die Hononymie in Beispiel vier), doch
115
bleiben Oberflächenphänomene der Vertextung normalerweise im Hintergrund. Semit lässt sich die Bedeutung von HT
wohl einzig darin sehen, dass die unerwartete
Lösung des aufgeworfenen Problems gegeben wird: eine Definition der Pointe, die textinteme (semantische Relation zwischen Scheinfrage und Lösung) und textexterne (auf die Hörererwartung bezogene) Aspekte in sich vereinigt. Entsprechend dieser veränderten Funktion der Pointe ist auch die Funktion der Dialogwitze insgesamt leicht modifiziert gegenüber den anderen Witzen: Zwar ist immer noch die Erzeugung des witzigen Effekts
das Hauptziel der Witzerzäh-
lung, doch fällt die Thematisierung des Interpretationsvorgangs und damit das quasi-ästhetische Vergnügen am Witz dahin. An seiner Stelle erhalten die Sekundärfunktionen des Witzerzählens eine verstärkte Bedeutung. Ein letzter Rest von Quasi-Aesthetizität liesse sich ebenfalls in der von P. Portmann erwähnten Nachahmung eines Problemlosungsvevhaltens erkennen: "Vielleicht wird man den [Dialogwitzen] am besten gerecht, wenn man sie - wenigstens in dieser Beziehung als Parodien forschenden Verhaltens auffasst." (Portmann 1973 : 89) Von daher ist auch zu erklären, warum die Abgrenzung von Dialogwitz und anderen, nicht-ernsthaften Gesprächsformen wie Rätselspielen etc. nicht genau festzulegen ist.
Zwar werden in vielen Fällen die Gegebenheiten der Witzerzähl-
situation und die Eigenart der Strukturelemente eine relativ klare Zuordnung erlauben, doch allgemeingültige und eindeutige Unterscheidungskriterien sind wohl kaum zu finden. Eine besondere Zwischenstellung nehmen hier die eigentlichen "Witzparodien" ein: "Kennst du den unterschied zwischen einer Taube?" - "???" "Es gibt keinen: beide Beine sind gleich lang, besonders das linke." "Damit nähern wir uns den im Witz häufig vorkonmenden Parodien von Spielen aller Art, die ja nichts anderes als besonders durchsichtige Formen normierten Verhaltens darstellen. Dazu gehört etwa der Witz vom Juden und vom polnischen Adligen" (Portmann 1973 : 119f, Anm. 43), oder folgender:
116
"Ich war' dir ein Rätsel aufgeben: das erste is ein Vogel, das zweite ein Waffenstück, das ganze ein österreichischer Dichter" - "Weiss ich nich" - "Denk nach" - "Weiss ich nich. Also was?" - "Grillparzer" - "Aber Parzer is doch kein Waffenstücki" - "Nu is Grill vielleicht ein Vogel ??'." (v, 77) vtfie diese Beispiele zeigen, sind die Uebergänge fliessend, so dass wohl im jeweiligen Einzelfall über die Zuordnung entschieden werden muss. Wir werden auf das Abgrenzungsproblem weiter unten nochmals zurückkommen.
117
DIE TECHNIKEN DES WITZES
6.1
Das Hyperphonem HP_ Witz
Die Diskussion des Vertextungsmusters Witz war daraufhin angelegt, allgemeine Merkmale der zugrundeliegenden Witzstruktur und des Zusanmenwirkens ihrer Elemente zur Erzielung des witzigen Effekts
aufzuzeigen. Dabei hat sich herausge-
stellt, dass zwischen Tagmemstruktur und Oberflächenrepräsentation
eine enge
Korrelation besteht: Die Funktionen der einzelnen Strukturelemente sowie auch des Hypertagmems HT2 insgesamt setzen Manifestationsformen voraus, als deren zentrales Charakteristikum wir eine besondere "Schaustellung sprachlicher Verfahren" erkannt haben.
Damit werden dem Hörer verdeckte Bedeutungsdimensionen
sichtbar gemacht, was ihn zur Ergänzung bzw. Aenderung seiner Interpretation zwingt und schliesslich jene Thematisierung des Rezeptionsvorgangs bewirkt, die das wesentliche Kennzeichen des quasi-ästhetischen Vergnügens am Witz ausmacht. Eine Untersuchung der Textsorte Witz kann deshalb nicht davon absehen, auch die Manifestationsformen der Vertextung von Witzen zu beschreiben. Wie verschiedenartig die sprachlichen Verfahren sind, die im Witz zur Schau gestellt werden, haben einige Beispielanalysen bereits angedeutet: Vom Zurückhalten von Information über den Einsatz referentiell mehrdeutiger Textelemente bis zum Spiel mit der Fiktivität der Schilderung finden sich unzählige Variationen von Techniken der Witzbildung. Allen Verfahren gemeinsam ist zwar, dass sie mittels polyfunktionaler Vertextung die "Zeichenfunktion der Sprache" (Preisendanz 1970 : 21) problematisieren, doch sind die Mittel, die im konkreten Einzel-
Die Determination von grundlegender Funktion und Oberflächenrepräsentation ist natürlich wechselseitig. Vgl. die Bemerkung zum Tagmem in Anm. 27 von Abschnitt 2.2 .
118
fall zu diesem Zweck eingesetzt warden, ausserordentlich vielfältig. Ihre erschöpfende Aufzählung und Darstellung wäre deshalb ein zum vornherein aussichtsloses Unterfangen. Wir beschränken darum die Untersuchung der Manifestationsformen des Witzes, d.h. des Hyperphonems HP_, auf einen Teilaspekt, der im Rahmen einer sprachwissenschaftlichen Beschreibung allerdings von gewissem Interesse sein dürfte: auf die Frage nämlich, welche verschiedenen Aspekte bzw. Komponenten sprachlicher Bedeutung in den Dienst der Witztechnik gestellt, zur Witzbildung funktionalisiert werden können. Es soll gezeigt werden, wie normalerweise unauffällige Bedeutungselemente und -relationen aufgrund besonderer Umstände plötzlich eine dominierende Funktion erhalten, indem sie jene Teilinkohärenz bestitmtter Isotopien verursachen, die wir als typisches Merkmal des Witzes bezeichnet haben. Wir versuchen dermach nicht, eine umfassende semantische Beschreibung einzelner Witze zu geben, sondern erfassen jeweils bloss solche Hauptmerkmale der Vertextung, welche besonders deutlich einen repräsentativen Eigenwert der Aussage2 weise hervortreten lassen. Unsere Darstellung soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen Witzen - v.a. mit zunehmender Dominanz der Sekundärfunktionen
- die sprach-
liche Form der Vertextung gegenüber der jeweiligen Thematik eine weniger wichtige Rolle spielt. Doch selbst in diesen Fällen beruht das spezifisch Witzige unter anderem auf einer Besonderheit der Darstellungsweise, denn "kein Gedanke und keine Gedankenverbindung ist und wirkt witzig, wenn sich nicht in der Aussage Gemeintes und Mittel des Meinens voneinander abheben." (Preisendanz 1970 : 4 21) Inner - und sei es auch nur aufgrund defizienter Monosemierungsebenen -
Weitere Aspekte einer Beschreibung der Manifestationsformen haben wir in anderem Zusammenhang bereits angetönt: Ideale Formulierung, Kürze, Prägnanz, gegenseitige Abgestirmtheit der Elemente etc. Vgl. Abschnitt 4.2.1.2 und die Bemerkungen zur Manifestation der einzelnen Strukturelemente HT in Abschnitt 5.1.2. Mit dieser Bemerkung soll kein zwingender Zusammenhang zwischen Funktion und Technik behauptet werden. Es ist jedoch offensichtlich, dass das subtilere Vergnügen am sprachlichen Verfahren bei ausgeprägt aggressiven und obszönen Witzen eher in den Hintergrund tritt, Vgl. Kap. 5.1.2.3 ftnm. 9 und 5.1.3 Anm. 16
119
werden sich polyfunktionale Vertextung und bestimmte teilinkohärente Isotopien als Mittel der Witztechnik nachweisen lassen.
Für eine rein sprachwissenschaft-
liche Untersuchung sind jedoch solche Beispiele, in denen sprachliche Phänomene eher in den Hintergrund treten, weniger interessant. Wir wenden uns deshalb im folgenden jenen Witzen zu, die dank besonders ausgeprägten sprachlichen Verfahren erlauben, den Rahmen von Möglichkeiten abzustecken, die der Witztechnik zur "Semantisierung der Textmaterialität"
zur Verfügung stehen, auch wenn wir
damit nur einen Teilaspekt des Hyperphonems HP
6.2
beschreiben.
Funktionalisierung von Bedeutungskomponenten zu technischen Mitteln der Witzbildung
Die für die folgende Darstellung wegleitende Unterscheidung verschiedener Aspekte sprachlicher Bedeutung ist natürlich das Resultat einer Abstraktion und dient in erster Linie heuristischen Zwecken. Dabei darf nicht ausser acht gelassen werden, dass die jeweils hervorgehobenen Bedeutungsmerkmale nur einen Teil der Anweisungsleistung der betreffenden Textelemente ausmachen. Wenn wir also beispielsweise die syntaktisch-konnektive Funktion oder die Wortfeldzugehörigkeit eines Oberflächenelements als sprachliches Mittel der Witztechnik beschreiben, so erfassen wir nur die im jeweiligen Zusammenhang relevante Bedeutungskomponente, die für eine bestimmte Pointe die dominante Rolle spielt.
6.2.1
Syntaktisch-konnektive Bedeutung
Der Terminus syntaktisch-konnektive Bedeutung kennzeichnet den dominanten Bedeutungsaspekt sogenannter Funktionswörter , d.h. der Präpositionen, Konjunktionen etc., deren hauptsächliche Bedeutungsanweisung darin besteht, Relationen
5
6 7
Der in dieser Behauptung vorausgesetzte enge Zusammenhang zwischen sprachlicher Form der Darstellung und dem im Einzelfall Dargestellten ist erneut ein Argument dafür, das das Verhältnis von Hypermorphem und Hyperphonem überprüft werden müsste. Vgl. Schmidt (1971a> 1972 : 38). 'function words' bei Pike. (Vgl. Pike 1959? 1967 : 576)
120 g
zwischen einzelnen Syntagmen oder Teilsätzen zu spezifizieren. In diesem Zusammenhang taucht natürlich sofort die Frage auf, welche Korrelation zwischen der lexikalischen Bedeutung des einzelnen Funktionsworts und der Bedeutung des Tag9 items, das es manifestiert, vorhanden ist. Für unsere Analyse bestimmter Witze können wir jedoch dieses primär theoretische Problem ausser acht lassen. Fest steht jedenfalls, dass solche Funktionswörter oberflächenstrukturelle Repräsentanten nicht nur einer rein syntaktischen Zuordnung, sondern auch semantischer Relationen sind. Das hat umgekehrt zur Folge, dass ihre Vertextungsbedingungen von den Bedeutungen der verknüpften Elemente abhängen. Man vergleiche das folgende Witzbeispiel: Beim Empfang einer seiner vielen Auszeichnungen wich Jack Benny von der üblichen Masche der demütigen Dankbarkeit ab, indem er
sagte: "Ich verdiene diesen Preis nicht, aber ich habe Arthritis, und die verdiene ich auch nicht." (ii, 61) Hier werden die "nebenordnenden Konjunktionen" (Duden 1966 : § 3605) und bzw. auch dazu verwendet, zwei Textelemente mit völlig verschiedenen Bedeutungen in den gleichen syntagmatischen und somit auch semantischen Zusammenhang zu bringen: loh verdiene diesen Preis nicht und die Arthritis auch nicht. Durch die syntaktische Koppelung wird die Relation verdienen-Preis der Relation verdienenArthritis gleichgeschaltet. Die Nebenordnung ist zwar nicht direkt ungrammatisch , denn die formale Bedingung, durch und nur Elemente mit gleicher Klassenbzw. Kategorienzugehörigkeit zu verbinden, ist nicht verletzt.11 Doch wird sie unter gewöhnlichen Umständen wohl kaum als akzeptabel erachtet, weil zwischen 8 9 10
11
Zur Frage einer Abgrenzung von grammatischer und lexikalischer Bedeutung vgl. Lyons 1968; 1971 : 445ff. Vgl. Pike 1959; 1967, §§ 6.45, 7.324 Zur Unterscheidung von Grammatikalität und Akzeptabilität vgl. die Trennung von grammatischen Kennzeichnern und semantischen Merkmalen bei Katz/Fodor 1963; 1970 ( 2 2 7 f f ) , sowie die Differenzierung verschiedener Grammatikalitätsgrade in Chomsky 1965; 1970 (188ff). Die Bedingung findet sich in der Duden-Grammatik nicht explizit. Doch scheinen die in den Beispielen zu § 3645 durch und kombinierten Wörter eine solche Bedingung nahezulegen. Wieweit sie 'formal' ist, bleibe hier offen.
121
Preis und Arthritis keine semantische Beziehung besteht, -welche eine nebenordnende Koordination irgendwie nahelegte. Die Unregelmässigkeit der Konnexion wird hier jedoch akzeptiert, weil ihr eine besonders leicht erkennbare pragmatische Bedeutung zukortmt: Jack Benny tönt damit an, dass er es für ebenso natürlich hält, den Preis zu bekamen, wie er seine Arthritis als naturgegeben ansieht. Die folgende Pointe zeigt, welche Rolle pragmatische Aspekte für die Vertextungsbedingungen von Konjunktionen spielen können: Besuch Adenauers im Vatikan. Die Audienz des Bundeskanzlers beim Heiligen Vater währt schon über eine Stunde. Die ändern angemeldeten Besucher werden ungeduldig. Der Kardinal-Staatssekretär geht nervös auf und ab und schaut immer wieder auf seine Uhr. Endlich hält er es nicht mehr aus, öffnet die Tür zu einem Spalt und späht ins Arbeitszimmer des Papstes. Der Papst kniet vor Adenauer, ringt die Hände und sagt flehend: "Glauben Sie mir, Herr Bundeskanzler: Ich bin ja auch katholisch!" (i, 66) Die Konjunktion auch spezifiziert die Relation zwischen zwei Syntagmen als Vergleich (sofern sie nicht mit ändern Konjunktionen zusammen auftritt, z.B. und auch). Dabei ist das erste der beiden Vergleichsglieder als Norm anzusehen, worauf sich der Vergleich bezieht. Diese Vergleichsnorm muss im Text nicht unbedingt explizit angegeben sein: In unserer Pointe z.B. ist sie nur versteckt enthalten in der Tatsache, dass der Papst sich an den Kanzler wendet. Auch legt also seiner grammatisch-konnektiven Funktion nach den Stellenwert der Aussage loh bin katholisch fest. Nun muss aber berücksichtigt werden, wer mit Ich auf sich selbst verweist: der Papst, das Oberhaupt der katholischen Kirche. Die Aussage des Papstes ist somit im Grunde tautologisch. Diese Tautologie wird für den Hörer denn auch zur Konsequenzanweisung, die Norm des Katholizismus nicht mehr im Papst, sondern in Adenauer verkörpert zu sehen. Syntaktisch-semantische Relationen zwischen verschiedenen Textelementen können statt durch Präpositionen etc. auch bloss durch die Anordnung der oberflä-
122
chenstrukturellen Konstituenten repräsentiert werden. In diesem Fall lässt sich die syntaktisdi-konnektive Bedeutung nicht einem bestiitmten Oberflächenelement, sondern der Struktur selbst zuordnen. "Der junge Cohn hat sich Aschermittwoch taufen lassen." "Ein komischer Name ..." (v, 57) Die Pointe baut auf der Möglichkeit auf, dass Wbchentagsnamen im Deutschen ohne Präposition als Zeitbestimmung verwendet werden können. Mehrdeutig und somit missverständlich wird die Konstruktion ohne Präposition natürlich nur für einen Hbrer, der den Namen nicht als Wbchentagsnamen erkennt und deshalb seine Funktion als Zeitangabe nicht durchschaut. Ein solcher Fall wird im obigen Witz raffiniert konstruiert: Die Oberflächenstruktur sioh+Eigenname+taufen lassen kann zwei verschiedene Tiefenstrukturen repräsentieren, sofern sich ein Eigenname findet, der in beiden Fällen eingesetzt werden kann. Weil sich der Jude in den Bezeichnungen christlicher Festtage nicht auskennt, ordnet er in der Folge der Oberflächenstruktur die falsche Tiefenstruktur zu.
6.2.2
Die Bedeutung von Eigennamen
Es kann nicht davon die Rede sein, an dieser Stelle das Problem der 'Bedeutung1 von Eigennamen ausführlich zu besprechen. Wir haben uns nur mit Witzen zu beschäftigen, deren Technik Eigennamen zur Pointenbildung ausnützt. Wir schränken den Terminus Eigenname zudem ein auf "ostensive Eigennamen", verwenden ihn also nicht in seinem logischen Sinn als Gegensatz zum Prädikator. 12 Die 'Bedeutung1 ostensiver Eigennamen besteht in erster Linie in ihrer Funktion, auf genau identifizierbare Einzelpersonen bzw. -Objekte zu verweisen. Diese Formulierung ist allerdings etwas unglücklich gewählt, denn natürlich ver-
12
"Ostensive Eigennamen" sind "Eigennamen, die nicht die Form einer Kennzeichnung, eines Klassenterms oder eines Funktionsterms haben [...] z.B. 'Sokrates', 'München', 'Die Zugspitze 1 usw. Von diesen Eigennamen können wir sagen, dass ihre primäre semantische Funktion in ihrem Bezug besteht." (Kutschera 1971} 136) - Zum Gegensatz Eigenname/Prädikator vgl. auch Kamlah/Lorenzen 1967 : 31ff.
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weist nicht der Eigenname selbst, sondernder Sprecher mithilfe des Eigennamens auf das bezeichnete Objekt. Eigennamen machen es möglich, Personen und Objekte zu identifizieren, auch wenn diese nicht im Zeigfeld anwesend sind, d.h. sie können situationsunabhängig verwendet werden (im Gegensatz etwa zu deiktischen „_ . d^eser ,. . .14 Pronomina wie yener u.a.). Hitlerdeutschland. Ein Jude kommt seinen Namen ändern. "Wie heissen - "Adolf Stinkfuss." - "Nun, dann sagt der Beamte, "wie möchten Sie "Nbritz Stinkfuss."
auf's Einwohneramt und will Sie denn?" fragt der Beamte. ist Ihr Wunsch verständlich", denn von nun an heissen?" -
Normalerweise haben ostensive Eigennamen keine andere als ihre referentielle 'Bedeutung1. Gelegentlich allerdings lauten Eigennamen zufällig oder aus historischen Gründen gleich wie andere Lexeme. Dies wird jedoch kaum je bemerkt, falls nicht, wie im obigen Witzbeispiel, die Bedeutung des Homonyms besonders auffällig ist: Der Name Stinkfuss weckt wohl bei jedermann sofort unangenehme Assoziationen, welche seine Funktion als identifizierende Personenbezeichnung völlig in den Hintergrund drängen. Es ist deshalb mit gutem Grund anzunehmen, der Jude wolle seinen Familiennamen ändern lassen. Hier setzt nun die Witztechnik mit ihrem zweiten Mittel ein: Sie nutzt geschickt die Tatsache aus, dass derselbe Eigenname zur Bezeichnung verschiedener Personen dienen kann. Der Eigenname Adolf erweist sich aufgrund der Situationsangabe Hitlerdeutsohland plötzlich als referentiell mehrdeutig, so dass er unerwarteterweise Konnotationen erhält, die die wörtlich genommene Bedeutung von Stinkfuss an Anstössigkeit noch übertreffen.
13
14
Ein Teil der Diskussion um die Eigennamen wurde sich darum auch erübrigen, wenn alle Autoren diese Unterscheidung machten. Vgl. hierzu Searle, der Referenz als Sprechakt auffasst und zwischen hinweisenden Ausdrücken und hinweisendem Gebrauch unterscheidet. (1969; 1971 : 114ff) - Mit dem Bedeutungskonzept der Texttheorie verschwindet das Problem ohnehin, da ja Referenzanweisungen immer nur von vertexteten und damit 'verwendeten 1 Eigennamen gegeben werden. "Die Frage, wozu wir überhaupt Eigennamen brauchen, lässt sich teilweise damit beantworten, dass wir eines geeigneten Mittels bedürfen, um eine
124
6.2.3
Die konnotative Bedeutung
Auch der folgende Witz hat mit Eigennamen zu tun, doch spielt hier neben der referentiellen Mehrdeutigkeit eines Namens noch eine andere Bedeutungskomponente eine Rolle: die emotive oder konnotative Bedeutung. In der Unterscheidung zwischen kognitiver/denotativer und emotiver/konnotativer Bedeutung "spiegelt sich die Ansicht, dass für den Sprachgebrauch zwsi oder mehr trennbare psychologische 'Fähigkeiten1 nötig sind - der Verstand einerseits und die Vorstellungskraft und die Emotionen andererseits. [...] Man sagt, dass zum Unterschied vom Wbrtgebrauch der wissenschaftlichen und technischen Sprache die Wörter der Alltagssprache über die primäre, rein 'intellektuelle' Bedeutung hinaus mit emotionalen 'Assoziationen1 oder 'Konnotationen' angereichert sind." (Lyons 1968; 1971
: 459)
Um solche Konnotationen geht es im folgenden Witz:
Hymie Cohen und Morris Goldberg waren Teilhaber in einem Modewarengeschäft, aber die Geschäfte gingen ganz schlecht. Also erklärte Cohen eines Tages seinem Partner Goldberg, er werde seinen Namen ändern, um mehr Glück im Geschäft zu haben. "Von jetzt an, Morris, lautet mein Name O'Brien." Goldberg ging heim und dachte über die Angelegenheit nach. Am nächsten Morgen entschied er sich, auch seinen Namen zu ändern. Als er ins Geschäft kam, wies er das Mädchen in der Fernsprechvermittlung an, sich am Telephon in Zukunft mit "O'Brien
15
identifizierende Referenz in bezug auf Objekte, auf die man hinzuweisen pflegt, auch dann vollziehen zu können, wenn diese Objekte gerade nicht gegenwärtig sind." (Searle 1969; 1971 : 118) - Vgl. auch Kamlah/Lorenzen 1967 : 32. Vgl. auch St. üllmann (1957; 1967 : 90). - Die Unterscheidung von denotativer und konnotativer (kognitiver/emotiver) Bedeutung bleibt vage und ist denn auch bei den Autoren umstritten. Dass sich die sogenannte konnotative Bedeutung aus verschiedenen differenzierbaren Teilaspekten zusammensetzt, geht aus der Analyse G. Blankes hervor, der u.a. zwischen assoziativer, affektiver und stilistischer Bedeutung unterscheidet. (G. Blanke 1973) Es stellt sich ferner die Frage, ob Konnotation einen individualpsychischen oder einen intersubjektiven Bedeutungsaspekt meint. Vgl. in diesem Zusammenhang die Diskussion um Osgoods semantisches Differential (Osgood 1957 und 1962) in Hörmann 1967} 1970 : 199ff.
125
und O'Brien" zu melden. Nicht lange danach rief ein Kunde an und wollte O'Brien sprechen. "Welchen O'Brien möchten Sie gern sprechen?" fragte die Telephonistin. "Cohen oder Goldberg?" (ii, 112) Der Witz ist sofort verständlich: Die beiden Geschäftspartner legen sich denselben Namen zu, der damit referentiell mehrdeutig wird, thi trotzdem eine genaue Identifikation zu gewährleisten, führt die Telephonistin die alten Namen wieder ein. Diese doppelte Namensänderung allein vermöchte allerdings kaum einen grossen Lacheffekt zu erzielen. Von entscheidender Bedeutung ist deshalb der Grund, warum Cohen und Goldberg ihre Namen ändern: der konnotative Aspekt ihrer 'jüdischen1 Namen. Die Konnotation "Jude1 hat offenbar auf die Kundschaft einen so grossen Einfluss, dass der Geschäftsgang dadurch beeinträchtigt wird. Nun unterläuft Morris Goldberg bei der Namensänderung allerdings ein Missgeschick: Gerade weil er die Erfahrung gemacht hat, dass die Namen Cohen und Goldberg für das Publikum die Bedeutung 'jüdisch1 haben, sieht er darin eine entscheidende Gemeinsamkeit. Man darf sogar annehmen, dass Goldberg selbst die Konnotation als eigentliche Bedeutung der Namen aufgefasst hat. Fällt die Gemeinsamkeit durch die Namensänderung Cohens dahin, so muss sie nach Ansicht Goldbergs mit den neuen Namen irgendwie kompensiert werden. Vermutlich hat er sich, als er über die Angelegenheit nachdachte, darüber Gedanken gemacht, welche neue Uebereinstirrmung der Namen in Zukunft die Zusammengehörigkeit der Geschäftspartner dokumentieren sollte. In Verkennung der referentiellen Funktion der Eigennamen wählt er denselben Namen wie sein Partner. Die tragikomische Pointe gipfelt schliesslich darin, dass zur Identifikation der beiden Partner ihre ursprünglichen Eigennamen und damit - sogar noch in verstärktem Mass deren unerwünschte Konnotationen wieder eingeführt werden. Bukarest. Qn vier Uhr früh läutet es im dritten Stock bei Popescu. Popescu fährt aus dem Schlaf und stürzt verwirrt zur Tür. Er wagt aber nicht zu öffnen, sondern bleibt zitternd mit angehaltenem Atem hinter der Tür stehen. Von draussen hört er die Stimme des Hausmeisters: "Keine Angst, Genösse Popescu! Es ist nichts Ernstes! Ich wollte Ihnen nur sagen: Das Haus brennt!" (i, 137)
126
Auch dieses Beispiel nützt die Dominanz der konnotativen Bedeutung für die Pointenbildung aus: Ernst hat in Bukarest offenbar nur dann die Bedeutung 'bedrohlich, kritisch", wenn auf politische Schwierigkeiten angespielt wird. Wenn der Hausmeister den Brand des Hauses als "nichts Ernstes" bezeichnet, wird deutlich, dass der denotative Aspekt von ernst durch die Konnotation "hoffnungslos1 verdrängt worden ist. Etwas Ernstes ist zu einer euphemistischen Umschreibung für eine aussichtslose Sache geworden. (Vermutlich darf es als Charakteristikum aller Euphemismen gewertet werden, dass die Konnotationen die denotative Bedeutung dominieren.) Polen: Ein Bauer kommt zum Arzt und beklagt sich: "Herr Doktor, ich habe fürchterliche Schmerzen im Stern!" "Wo haben Sie Schmerzen?" "Hier, im Stern!" Der Bauer zeigt auf seinen Rücken. "Das heisst doch nicht Stern, sondern Kreuz!" "Entschuldigen Sie, Herr Doktor, ich habe nicht gewusst, dass Sie katholisch sind!"
(i,
119)
Kreuz in der Bedeutung 'christliches Heilssymbol1 und Kreuz als Bezeichnung für die untere Rückenpartie sind zwei Homonyme, deren Bedeutungen normalerweise keinerlei Gemeinsamkeiten aufweisen. Doch in diesem Witz sind sie über Konnotationen miteinander verbunden: Gegen sein besseres Wissen wagt der polnische Bauer nicht, seinen schmerzenden Rückenteil mit dem richtigen Namen zu bezeichnen. Er verwechselt nicht etwa die zwei Homonyme, sondern er fürchtet, der medizinische Begriff könnte beim Arzt, wie bei ihm selbst, die Assoziation "katholisch" wecken, was er aus politischen Gründen vermeiden will. Seiner Ansicht nach hat also die Lautfolge Kreuz in jedem Fall die Konnotation 'katholisch'. Besonders trefflich ist die Pointe natürlich deshalb, weil der Bauer nicht irgendein beliebiges Ersatzwort verwendet anstelle von Kreuz, sondern dass er Stern wählt. Roter Stern hat in der sowjetischen Propaganda ebenfalls symbolische Bedeutung. Kreuz und Stern sind also in diesem Sinn austauschbar, da beide ein Heilszeichen benennen. (Dazu kommt, dass Stern auch noch das Hinterteil eines Schiffes bezeichnet, was die Wahl nochmals etwas plausibler macht, obwohl natürlich dieser Bedeutungsaspekt hier nicht gemeint ist.)
127
Witze, in denen Konnotationen eine Rolle spielen, sind überaus zahlreich. Wir haben an anderer Stelle bereits darauf verwiesen, dass Konnotationen nicht nur direkt zur Pointenbildung, sondern auch zur Motivierung der Pointe eingesetzt werden, durch die Einführung von 'typischen1 Witzfiguren: Mit Bezeichnungen wie Schotte, Professor etc. wird zwar auf die handelnden Personen verwiesen, aber gleichzeitig werden im Witzhörer bestimmte Assoziationen geweckt, welche seine Erwartungshaltung determinieren.
6.2.4
Absolute und relative Bedeutung von Quantoren
Eine besondere Art von scheinbarer semantischer Inkongruenz illustrieren die folgenden zwei Witze. Ihre Technik arbeitet mit der Doppeldeutigkeit von Mengenv„ 16 angaben. Die deutsche Sprache weist verschiedene Arten von Mengenbezeichnungen auf: Einige davon sind bloss relative Mengenangaben, d.h. sie bestimmen die Stärke einer Menge in Relation zu einer Vergleichsmenge. Zu diesen relativen Mengenangaben gehören Begriffe wie mehr, weniger u.a. Es existieren aber auch absolute Mengenangaben. Hierzu sind natürlich in erster Linie die Kardinalzahlen zu rechnen: Sie best innen die absolute Zahl der Elemente, aus denen sich eine Menge konstituiert. Daneben gibt es - und hier werden die Mengenangaben für die Witztechnik relevant - Quantoren, welche üblicherweise als absolute Mengenangaben verwendet werden, in gewissen Kontexten aber nur relative Bedeutung haben. "Pflegt ihr ist?" fragt nicht, Herr war." (iv,
16
Freund Selbstgespräche zu führen, wenn er allein der Vernehmungsrichter die junge Zeugin. "Ich weiss Richter. Ich war noch nie bei ihm, wenn er allein 54, abgeändert)
Zur Ambiguität von Quantoren aufgrund einer Differenz des 'Bezugsbereichs1 vgl. die einschlägige Diskussion im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen generativer und interpretativer Semantik innerhalb der generativen Transformationsgrammatik. Eine Darstellung des Problems gibt Lakoff 1971 : 238ff.
128
Der Witz beginnt mit einer Ungenauigkeit in der Formulierung der richterlichen Frage: "wenn er allein ist"
statt "wenn er sich allein glaubt". So wie die Frage
gestellt ist, lässt sie sich gar nicht beantworten. Weshalb kann denn die Zeugin trotzdem eine Antwort geben? Der Grund wird aus ihrer Entgegnung ersichtlich: Der Quantor allein hat sowohl eine absolute wie eine relative Bedeutung. Wenn jemand sagt, er sei allein, dann meint er normalerweise, er sei als Einziger an einem bestimmten Ort anwesend. Allein wird in diesem Fall als absolute Mengenangabe verwendet. Es ist aber auch möglich zu sagen: "Wir waren allein im Hotel." Hier hebt der Quantor eine Gruppe von Personen ab gegenüber anderen Personen, die nicht näher bezeichnet werden können. Beidemale wird mit allein eine Teilmenge aus einer hypothetisch angenommenen übergeordneten Menge ausgegrenzt, doch sind die beiden Teilmengen verschieden stark. Ein Sprecher, der allein in der relativen Bedeutung verwendet, setzt sich damit ab von einer ganz bestimmten Personengruppe, von ändern Hotelgästen etc., während die absolute Bedeutung die ausgeschlossene Menge überhaupt nicht spezifiziert, weil jedermann dazu gehört ausser der Sprecher selbst. In ihrer Antwort verwendet die Zeugin den Quantor in seiner relativen Bedeutung: Sie setzt voraus, dass der Freund allein sein kann, wenn sie bei ihm ist.
Der springende Punkt des Witzes liegt natürlich darin, dass allein in der
Frage des Richters in seiner absoluten Bedeutung gemeint ist,
weshalb die Frage
gar nicht beantwortet werden kann. Zudem scheint der Wortlaut der Entgegnung ebenfalls auf die absolute Bedeutung Bezug zu nehmen: "Ich war noch nie bei ihm, wenn er allein war." Formulierungsungenauigkeiten auf beiden Seiten führen zu einem scheinbaren Widerspruch: Statt die Möglichkeit einer Antwort auf die gestellte Frage zu verneinen, antwortet die Zeugin nach ihrer Meinung durchaus sinnvoll, genau wie ihr auch die Frage berechtigt und sinnvoll erscheint. Der Witzhörer aber erkennt, dass eine metakommunikative Zurückweisung der Frage am Platz gewesen wäre, und ist gleichzeitig überrascht, dass aufgrund der Doppeldeutigkeit von allein doch eine Antwort möglich ist.
(Ein Wort noch zur ur-
sprünglichen Fassung des Witzes. Dort lautet die Antwort der Zeugin: "Ich war doch noch nie bei ihm, wenn er allein war." In dieser Variante geht ein Teil der Wirkung verloren, denn sie lässt ja nur die Annahme zu, die Zeugin habe die
129
Unmöglichkeit, die richterliche Frage zu beantworten, durchschaut. Statt naiver Unschuld verrät ihre Antwort nun Aggressivität und Betonung der eigenen Klugheit.) Zwei verschiedene Mengen bezeichnet auch der Quantor alle im folgenden Witz: Auf dem Höhepunkt seines Terrors hat Nero panische Angst, ermordet zu werden. In einem Augenblick der Aufrichtigkeit gesteht er Seneca, dass er sich mit dem Gedanken trage, alle seine Senatoren umbringen zu lassen. "Das mag dir wohl gelingen", sagt Seneca. "Du kannst alle umbringen, nur nicht deinen Nachfolger." (i, 13) Man erkennt sofort, worin das sprachliche Verfahren des Witzes beruht: Die Mengenangabe alle Senatoren bezeichnet nicht die Menge aller möglichen Nachfolger auf dem Kaiserthron. Die Menge aller Senatoren konstituiert sich aus einer genau bestimmbaren Zahl von Personen, die alle durch ihren Beruf spezifiziert sind. Dagegen ist die Menge der möglichen Nachfolger weder nach ihrer Stärke noch nach einem anderen als einem relationalen Merkmal ihrer Elemente identifizierbar. Nachfolger kennzeichnet eine bestimmte Person nur relativ zu einer ändern, hier Nero. Der Begriff sagt aber nichts aus über die Person an sich, woher sie kommt, welcher Gruppe sie angehört, wer sie ist. Der Quantor alle bezeichnet also wohl eine absolute Anzahl, wenn er die Senatoren zu einer Menge zusammenfasst. Jedoch bestimmt die Angabe alle Senatoren nur eine Teilmenge, eine relativ kleine Zahl der möglichen Nachfolger. Diesen relativen Aspekt der absoluten Mengenangabe greift Seneca auf. Er umgeht dabei die exakte Bezeichnung alle Senatoren, sondern verwendet den Quantor pronominal. Dadurch wird vermieden, dass die beiden Mengen explizit als disjunktiv gekennzeichnet werden, und der Ausspruch erhält so seinen paradoxen Anstrich.
6.2.5
Metakamnunikative Bedeutung
"Wenn ich sage 'Felix hat rote Haare', so gebrauche ich das Wort 'Felix', um über den Menschen Felix zu sprechen. [...] Wenn ich aber über diesen Satz spreche und z.B. sage, dass in ihm das Wort 'Felix* vorkommt, so gebrauche ich nicht
130
das Wort 'Felix1, sondern erwähne es, führe es an." (v. Kutschera 1971 : 29. Hervorhebungen weggelassen.) Diese Unterscheidung von Gebrauch und Anführung steht in Zusanmenhang mit der Unterscheidung von Objekt- und Metasprache bzw. Konmunikation und Metakoranunikaticti. Ungenügende Differenzierung der beiden möglichen Aspekte der Sprachverwendung stiftet Verwirrung und führt unter Umständen gar zu Paradoxien. Mitteilungen, denen eine "eindeutige metakommunikative Verstehensanweisung fehlt", sollten deshalb vermieden werden. (Watzlawick u.a. 1967; 1974 : 56) Tatsächlich jedoch sind solche Mitteilungen im alltäglichen Gespräch sehr häufig. "Ach", klagt die junge Ehefrau ihrer Freundin, "Max ist eben einsilbig." "Dem kann abgeholfen werden. Nenn ihn doch Maximilian!" (iv, 201, abgeändert) Von der sprachlichen Form der Aeusserung Max ist eben einsilbig her ist nicht entscheidbar, ob Max gebraucht oder angeführt und ob einsilbig· demgemäss als Term einer linguistischen Metasprache verwendet wird. Die in der Einführung geschilderten Umstände legen natürlich die erste Möglichkeit nahe, schliessen aber die zweite nicht aus: Es wäre ja immerhin denkbar, dass sich die junge Ehefrau aus Gründen der Eitelkeit o.a. über den Namen ihres Mannes ärgert. Das scheint jedenfalls ihre Freundin anzunehmen, deren Antwort den Witzhörer - sicher unerwartet - auf den metakommunikativen Bedeutungsaspekt aufmerksam macht. (Die Originalfassung des Texts ist in mehrfacher Hinsicht missglückt. Dort wendet sich die junge Frau direkt an ihren Ehemann: "Wenn du doch nicht immer so einsilbig wärst ..." Abgesehen davon, dass so eine mehrfache Bedeutung von einsilbig ausschliesst, ist auch nicht einzusehen, warum sich einsilbig dann noch auf Max, statt auf du beziehen sollte.)
17
Letztere Terminologie ist vorzuziehen, weil sie deutlicher macht, dass die Unterscheidung nur sinnvoll ist in bezug auf die Sprachverwendung. Zudem ist der Begriff Hetakommunikation umfassender in dem Sinn, als er nicht nur die sprachliche Form, sondern auch den Beziehungsaspekt einer kommunikativen Aeusserung einbezieht. (Vgl. Watzlawick u.a. 1967j 1974 : 55f)
131
Gegenstand einer netakcftirajnikativen Mitteilung kann nicht nur die sprachliche Form einer Aeusserung, sondern auch deren Wahrheitswert sein. Berühmt ist in diesem Zusaimenhang die Antinomie jenes Kreters, der sagt: "Alle Kreter sind Lügner." Wenn man diese Aussage untersucht, so stellt sich heraus, "dass sie nur dann wahr ist,
wenn sie nicht wahr ist - d.h., dass der Mann nur dann lügt,
wenn er die Wahrheit sagt, und umgekehrt wahrheitsgetreu ist,
wenn er lügt."
Seine Behauptung enthält zwei Aussagen. "Die eine Aussage wird in der Objektsprache, die andere in der Metasprache getroffen und sagt etwas über die Aussage in der Objektsprache aus, nämlich, dass sie nicht wahr ist. aber ist
Gleichzeitig
I...] impliziert, dass die Aussage in der Metasprache selbst eine der
Aussagen ist,
über die die Metaaussage (hier die Selbstdefinition 'Ich bin ein
Lügner') gemacht wird, d.h., dass sie selbst auch eine Aussage in der Objekt18 spräche ist I ]" Im folgenden Witz etwa wird mit Wahrheitswert und Metakdtnnjnikation gespielt. Nach dem 20. Juli In einem KZ. Ein Arbeitskaimando kehrt ins Lager zurück. "Was gibts Neues?" - "Zwei Nachrichten: eine gute und eine schlechte." - "Wie ist die gute?" - "Hitler ist tot." - "Und die schlechte?" - "Es ist nicht wahr." Die Mitteilung "zwei Nachrichten" lässt zwei 'Objekt'-Meldungen erwarten. Sie ist irreführend, weil sich die zweite Nachricht als metakcmnunikativer Kcmnentar zur ersten Mitteilung erweist, nicht als Aussage über einen konmLinikationsunabhängigen Sachverhalt.
L8
Watzlawick u.a. beziehen sich allerdings nicht auf den Satz "Alle Kreter sind Lügner", sondern auf die Aeusserung "Ich lüge". Dass es sich damit jedoch anders verhält und die Unterscheidung von Kommunikation/Metakommunikation die Aeusserung nicht erklärt, haben Ehlich/Martens nachgewiesen: lügen wird in diesem Fall als performatives Verb verwendet, was darum nicht angeht, weil eine Lüge nur dann wirksam wird, "wenn si^. als solche nicht indiziert ist, sondern wenn die illokutive Kraft zur Wirksamkeit kommt (nämlich beim Hörer), die der Lügende vortäuscht, die der Behauptung [...] In dem 'Paradox1 wird also beides, die als Behauptung getarnte Lüge des Sprechers und die aufdeckende Behauptung des Hörers, zusammengeworfen. Das ist, als reale Situation genommen, nicht paradox, sondern in der Tat sinnlos." (Ehlich/Martens 1972 : 388, Hervorhebungen z.T. weggelassen.)
132
Nicht ganz eindeutig ist das nächste Beispiel zu beurteilen: Ein New Yorker Journalist sucht einen Senator aus Texas auf und bittet ihn um ein Interview. Der Senator winkt ab: "Ich habe nichts zu sagen." "Ich weiss", erwidert der Journalist. Fangen wir also an." (i, 40f) Der Witz ist eine anüsante Illustration jenes vielzitierten Axioms von Watzlawick: "Man kann nicht n-Loht komnunizieren." (Watzlawick u.a. 1967; 1974 : 53) 19 Indem der Senator äussert "Ich habe nichts zu sagen", hat er natürlich bereits etwas gesagt, eine Kbinnunikationsbeziehung hergestellt. Gleichzeitig soll seine Aussage zu verstehen geben, er wünsche diese Kommunikation nicht weiter zu führen: In diesem Sinn ist sie eine metakcmnunikative Mitteilung über den Beziehungsaspekt der Kommunikation. Sie kann sich aber auch auf kommende Aeusserungen beziehen, im Sinn von: "Ich habe nichts Aussergewöhnliches, Besonderes zu sagen", d.h. sie kann auch als metakommunikative Mitteilung über den Inhaltsaspekt der Kommunikation gelten. 20 Die beiden metakommunikativen Bedeutungen konkurrenzieren sich, was darin begründet ist, dass sich keine genaue Bedeutung (Referenzanweisung) von nichts bestimmen lässt. 21
19
20
21
Kalimeyer u „ a . (1974 : 16) verweisen darauf, dass mit diesem Axiom impliziert wird, Intentionalität sei nicht eine notwendige Bedingung für Kommunikation. Zur Terminologie: Jede Mitteilung über den Beziehungsaspekt der Kommunikation ist metakommunikativ (vgl. Watzlawick u.a. 1967; 1974 : 5 5 f ) , aber nicht jede Metakommunikation betrifft den Beziehungsaspekt. Vgl. die unbeholfenen Definitionen der Wörterbücher, z.B. die Angabe im Ullstein Lexikon 1969: "Verneint etwas Gemeintes, was nicht näher beschrieben werden kann."
133
6.2.6
Paradigmatische Bedeutungsrelationen: Wbrtfeldbedeutung und Synonyme
Paradigmatische Bedeutungsbeziehungen bestehen nach Lyons dann, wenn alle Glieder einer Gruppe semantisch verwandter Ausdrücke im selben Kontext vorkommen können. (Lyons 1968; 1971 : 438) D.h.: Ein distributionelles Kriterium, die Einsetzbarkeit an einem gewissen Punkt der "chaine parlee" (Vgl. Coseriu 1968; 1970 : 167), soll die Bildung von semantischen Klassen ermöglichen, deren Elemente mindestens einige Bedeutungsmerkmale gemeinsam haben. Nach Lyons gehören z.B. gut und böse derselben Klasse von Einheiten an, nicht aber gut und rot. (Lyons 1968; 1971 : 438) Es lässt sich jedoch leicht ein Kontext finden, in dem zwar gut und rot, nicht aber gut und böse austauschbar sind, also in paradigmatischer Relation stehen: das Buch -ist gut/rot. Demnach ist es offenbar nicht möglich, nur aufgrund der Distribution eine semantische Zusammengehörigkeit von gut und böse zu beweisen. Das bedeutet freilich nichts anderes, als dass die in paradigmatischen Bedeutungsbeziehungen oft gesuchte und gefundene 'Inhaltskontinuität' nicht allein von der Sprache her vorgegeben ist,
sondern vielmehr auf-
grund aussersprachlicher Zusammenhänge erst vom Sprecher hergestellt wird. Man vergleiche z.B. die drei Begriffe Glaube - Hoffnung
- Liebe : Sie sind einzig
vom kulturellen Kontext des Christentums her als Inhaltskontinuum zu bezeichnen. Ebenso konstituiert sich das Paradigma glauben-meinen-vermuten nur scheinbar nach rein distributioneilen Kriterien: In Wirklichkeit sind es psychologische, also aussersprachliche Gesichtspunkte, welche den Eindruck eines sprachlichen Inhaltskontinuums evozieren. Der Anspruch, Paradigmata einzig nach distributionellen Kriterien zu formieren, erweist sich damit (für den semantischen Bereich) 22
als Fiktion und muss deshalb fallengelassen werden. Sollen paradigmatische Relationen onomasiologisch bestimmt werden, ist allerdings Voraussetzung, dass von einem "archilexematischen Inhalt" ausgegangen wird, d.h. dass sich ein "Archilexem" finden lässt, welches semantische Affinitäten von Einheiten in para-
22
Tatsächlich wird er von den Autoren denn auch nicht in dieser strengen Form aufrechterhalten: Lyons z.B. setzt - wie erwähnt - die semantische Verwandtschaft der Begriffe voraus.
134
digmatischer Relation von der Sprache her bestätigt.
23
Auf diese Weise lassen
sich durch die Untersuchung paradigmatischer Beziehungen im lexikalisch-semantischen Bereich sogenannte "Wörtfelder" feststellen.
6.2.6.1 Wbrtfeldbedeutung Der Wortfeldforschung liegt der Gedanke zugrunde, dass die Bedeutung eines Begriffs nur in Relation zu anderen Begriffen beschrieben warden kann. Primär sind deshalb die Beziehungen zwischen "Begriffsverwandten" zu untersuchen, die "unter sich [...] ein gegliedertes Ganzes, ein Gefüge, das man Wortfeld oder sprachliches Zeichenfeld nennen kann", bilden. (Trier 1931; 1973 : 1)
Die
einzelnen Glieder eines Wortfeldes haben eine Art 'Wortfeldbedeutung1 ('archilexematischen Inhalt1) gemeinsam, welche ihren Niederschlag im entsprechenden Archilexem des Wortfeldes findet. Die Technik des folgenden Witzes verwendet in interessanter Weise die Relation zwischen Archilexem und Wortfeldelement zur Pointenbildung : Der witzige jüdische Hofnarr hatte dan Sultan viele Jahre treu gedient, wurde dann aber bei einem Akt von unverzeihlicher Treulosigkeit ertappt. Und der Sultan verurteilte ihn erwartungsgemäss zum Tode. Aber da ihn der Hofnarr in einigen seiner trübsten Stunden erheitert hatte, beschloss der Sultan, die Strafe ein wenig zu mildern. "Narr", erklärte er, "du bist zum Tode verurteilt, aber ich überlasse es dir selbst, deine Todesart zu wählen."
23
24
Vgl. Coseriu 1968; 1970 : 161ff - Auf die Problematik eines Begriffs wie archilexematischer Inhalt kann hier nicht eingegangen werden. Coseriu setzt natürlich die Trennbarkeit von Ausdruck und Inhalt eines Zeichens voraus. (Vgl. ebd. S. 159) Vgl. auch Trier 1968 : 13 - Zur Wortfeldforschung vgl. auch die neueren Arbeiten von Baumgärtner 1967, Geckeier 1971, die Angaben in Coseriu 1967; 1974, 1968; 1970, sowie die bibliografischen Hinweise in Kreuder 1974 : 62.
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Der schlaue Jude überlegte einen Moment und sagte dann: "Ich will an Altersschwäche sterben." "Bewilligt", verkündete der Sultan. Todesart ist Archilexem des Wortfeldes jener Begriffe, die die verschiedenen Möglichkeiten des Sterbens bezeichnen. Insbesondere umfasst der Begriff auch natürliche, nicht durch äusserliche Gewaltanwendung herbeigeführte Sterbeursachen, also auch die Altersschwäche. Durch den Begriff Todesurteil wird nun allerdings das Wortfeld eingeschränkt auf jene Glieder, die gewaltsame Todesarten bezeichnen. Die Witztechnik jedoch übergeht diese Einschränkung: Sie nutzt die Gemeinsamkeit des archilexematischen Bedeutungsaspekts von Altersschwäche und Todesart aus und berücksichtigt dabei nicht, dass der syntagmatische Zusammenhang ein Nebeneinander von Todesurteil und Altersschwäche ausschliesst.
6.2.6.2 Synonymie Zwischen sogenannten 'totalen Synonymen1 besteht in musterhafter Weise eine paradigmatische Beziehung. Einzig totale Synonyme erfüllen nämlich eindeutig das distributionelle Kriterium für die paradigmatische Beziehung, in jedem objektsprachlichen Kontext ausgetauscht werden zu können. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es überhaupt totale Synonyme gibt. Ullmann nennt für die Synonymie (ohne die Einschränkung 'total'!) z.B. folgende Kriterien: "Als synonym können nur solche Wörter gelten, die sich in einem beliebigen Kontext gegeneinander austauschen lassen, ohne dass sich an der erkenntnis- oder gefühlsmässigen Be25 deutung das Geringste ändert." (Ullmann 1957; 1967 : 102) Die Bedingung der Substituierbarkeit in allen Kontexten wird somit verschärft durch die Forderung nach Identität von kognitiver und enotiver Bedeutung. Es ist zweifellos fraglich, ob tatsächlich in irgendeiner Sprache Synonyme existieren, welche diesen Kriterien gerecht werden. Denn auch die für das Deutsche gelegentlich herbeigezogenen Beispiele Fleischer und Metzger sind ja als regionale Varianten im
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Zum Problem der Synonymiedefinition vgl. Wunderlich 1974
: 287ff.
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Grunde nicht synonym, da ihnen die Indikation regionaler Verschiedenheit anhaftet. Deshalb ist die 'totale1 Synonymie für die Sprachwissenschaft kaum interessant, spielt sie doch auch im Sprachbewusstsein der meisten Sprecher eine völlig untergeordnete Rolle. Interessant ist aber die im Zitat von Ullmann angetönte Tatsache, dass zwei Wörter entweder hinsichtlich ihrer kognitiven oder ihrer emotiven Bedeutungskomponenten synonym sein können. Beispiele für emotive (bzw. konnotative) Synonyme sind leicht zu finden, wenn man rein intuitive Kriterien gelten lässt. Schwierig dürfte es dagegen sein, solche Beispiele exakt zu beschreiben und systematisch zu ordnen, da in diesem Fall höchst komplexe konnotative Bedeutungsaspekte nach deutlich abgrenzbaren Merkmalen aufgeschlüsselt werden müssten. Die grösste Schwierigkeit wäre vermutlich, dass sich Konnotationen je nach Verwendungskontext des Wortes erheblich ändern, ütmerhin haben wir bereits einen Witz kennengelernt, der mit einer Art konnotativer Synonymie arbeitet: den Witz von Cohen und Goldberg, die sich O'Brien nannten, um die emotionsgeladenen Assoziationen der Konnotation 'jüdisch' zu vermeiden. Wenn wir die Forderung nach konnotativer Synonymie aufgeben, bleiben uns eine Reihe semantisch interessanter Beziehungen zwischen Wortbedeutungen, die sich unter dem Stichwort Synonymie vereinen lassen. Wir werden hier allerdings nur auf Phänomene Bezug nehmen, die sich uns von den - leider nur spärlich vorhandenen - Witzen, die mit Synonymierelationen arbeiten, her aufdrängen. Auch wenn man sich auf den denotativen Bedeutungsaspekt beschränkt, lassen sich nur wenige Synonyme finden, die der strengen Bedingung 'ersetzbar in jedem Kontext' genügen. Meist liegt in diesen Fällen systemtranszendente Synonymie vor, d.h. Synonymie zwischen Wörtern, die verschiedenen sprachlichen Systemen bzw. Subsystemen angehören. Beispiele dafür wären regionale Varianten wie das oben erwähnte Paar Fleisoher/Metzgev. Schwächt man