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German Pages 388 [385] Year 2014
Tilo Grätz Technologische Dramen
Locating Media | Situierte Medien
Band 6
Editorial Orts- und situationsbezogene Medienprozesse erfordern von der Gegenwartsforschung eine innovative wissenschaftliche Herangehensweise, die auf medienethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung, Interviews und audiovisuellen Korpuserstellungen basiert. In fortlaufender Auseinandersetzung mit diesem Methodenspektrum perspektiviert die Reihe Locating Media/Situierte Medien die Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer und historischer Medienentwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Situierung der Medien und durch Medien. Die Reihe wird herausgegeben von Gabriele Schabacher, Jens Schröter, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.
Tilo Grätz (Dr. phil. habil.) ist Dozent an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienethnologie, Wirtschaftsethnologie, soziale und politische Ethnologie.
Tilo Grätz
Technologische Dramen Radiokulturen und Medienwandel in Benin (Westafrika)
Diese Publikation ist in der Graduiertenschule »Locating Media/Situierte Medien«, seit 2012 DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media«, an der Universität Siegen entstanden und wurde unter Verwendung der dem Graduiertenkolleg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt. Die Forschungen 2008-2010 wurden zudem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie dem Forschungskolleg Kulturwissenschaftliche Technikforschung Zürich (ehemals Hamburg) gefördert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Radiomoderator Miftaou Sidikou während einer Anrufersendung, Radio Nanto FM, Natitingou, März 2012 Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2591-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2591-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Danksagung | 7 I
Radio in Benin. Medienpolitik und Institutionen | 9
1. Einleitung: Neue Perspektiven eines klassischen Massenmediums | 10 2. Forschungslage, Methoden und zentrale Forschungsansätze | 16
3. Geschichte und Politischer Kontext der Radioproduktion in Benin | 31 4. Radiosender in Benin: Überblick und Beispiele | 44
II Radioproduzenten und Technologien | 65
1. Radioproduktion im Alltag: Routinen und Improvisation | 66
2. Community-Radiostationen – Potentiale und Problemlagen | 112 3. Religiöse Radioproduktion in Benin | 136
4. Generationen und Medienkarrieren von Radioproduzenten in Benin | 164
III Radiosendungen und Aspekte der Mediatisierung öffentlicher Kommunikation | 199 1. Dominante Radio-Sendeformate in Benin | 200
2. Radiowerbung und neue Ökonomien der Aufmerksamkeit | 236 3. Neue Kommunikationsstile | 254
IV Aneignungen | 259
1. Radiohören im Alltag | 260 2. Hörerkarrieren | 272
3. Radiotechnologien und Aneignungsprozesse | 283
4. Beziehungen von Radiohörern zu Radiosendern und -moderatoren | 288
V Mediale Interaktionen | 293
1. Grogneurs und Grogne-Sendungen | 294
2. Erfolgsgeschichten: Ratgeber-Sendungen zu intimen Problemen | 327
VI Zusammenfassung und Ausblick | 343
1. Medienwandel, Radio und Öffentlichkeiten | 344
2. Radioentwicklungen in Benin als Technologische Dramen | 347
Anhang | 355 Abbildungsverzeichnis | 355 Akronyme | 356 Literatur | 357
Danksagung
Diese Studie ist seit 2008 über einen Zeitraum von mehreren Jahren entstanden. Während dieser Zeit habe ich an verschiedenen Forschungszentren und Universitäten in Deutschland gearbeitet. Dadurch sind immer wieder ganz neue Ideen und Anregungen in die Arbeit mit eingeflossen, die ich im Einzelnen nur unvollständig auflisten könnte. Deshalb möchte ich stellvertretend für alle, die mich bei dieser Arbeit unterstützt und begleitet haben, nur einige erwähnen. Dazu zählen insbesondere die Mitglieder des Forschungskollegs Kulturwissenschaftliche Technikforschung (Universität Hamburg, jetzt Zürich), der Graduiertenschule Locating Media (Universität Siegen), die Mitarbeiter und Studierenden des Instituts für Ethnologie der Freien Universität (Berlin) sowie die Kollegen des Zentrums Moderner Orient (Berlin), die jeweils auf unterschiedliche Art und Weise den Fortgang der Arbeit begleitet und gefördert haben. Auch bei diesem Projekt hat mir wieder meine Familie, meine Frau und meine drei Söhne, viel Kraft und vor allem auch den zeitlichen Freiraum gegeben, den die Forschungen in Westafrika erforderten. Hauptsächlich bin ich aber allen Gesprächspartnern in der Republik Benin, insbesondere den leidenschaftlichen Radiohörern und engagierten Journalisten zu Dank verpflichtet, ohne deren Dialogbereitschaft, Geduld und Langmut dieses Buch nicht möglich geworden wäre.
I Rundfunk in Benin. Medienpolitik und Institutionen
Abbildung 1: Live-Bericht per Mobiltelefon, Remy Yokossi, Journalist Radio Nanto, FM, November 2009
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1. Einleitung: Neue Perspektiven eines klassischen Massenmediums Läuft man an einem Wochentag vormittags durch die Straßen von Cotonou, der größten Stadt der westafrikanischen Republik Benin, fällt dem Besucher
auf, dass um 10 Uhr viele Radioempfänger laut aufgedreht werden. Eine hohe Männerstimme tönt in rufender Art aus den Lautsprechern; Passanten
bleiben stehen, Taxifahrer halten an, Büromitarbeiter und Markthändlerin-
nen unterbrechen ihre Arbeit. Es handelt es sich um eine Presseschau (revue de presse), die der Sender Radio CAPP FM in Cotonou ausstrahlt und die durch den Moderator Dah Houawé (mit bürgerlichem Namen Eustache
Atinkpahoun) gestaltet wird. Sie gehört zu den meistgehörten Radiosendungen in Benin (Grätz 2011a: 151) und ist auch als Podcast verfügbar. Warum? Dah Houawé präsentiert die Überschriften der Tageszeitungen in seiner Mut-
tersprache Fongbé, der meistgesprochenen Sprache im Süden Benins. Er nutzt einen schrillen, deklamatorischen Stil, der sofort die Aufmerksamkeit
der Hörer fesselt. Die Sendung (im Originaltitel Xò-Djalaweman-lè) sowie die
vor und danach platzierten, dem Sender wichtige Einnahmen bringenden
Werbespots, die meist ebenfalls Dah gestaltet, leben vor allem von den Übersetzungsleistungen des Moderators. Er nimmt für sich in Anspruch, „das wahre Fongbé“ zu beherrschen. Seine sprachlichen Strategien erläutert er wie folgt:
„Ich übersetze die Titel direkt aus dem Französischen, ich mache mir nie vorher Notizen; die Zahlen lasse ich aber im Französischen, das ist für viele Hörer einfacher, die Fongbé nicht als Muttersprache sprechen und die Ausdrücke der Zahlen nicht kennen. Auch Fremdwörter wie fondation [politische Stiftung, T.G.] belasse ich im Original, ebenso wie Eigennamen, aber skandalöse Dinge wie Veruntreuung (malversation) versuche ich, in ein verständliches Wort zu übersetzen.“ (Cotonou, März 2009)1
Dah Houawé will bewusst an die Tradition der öffentlichen Ausrufer und
Königs-Sprecher (hier v.a. der Könige von Abomey) anknüpfen, und dabei
zugleich brennende aktuelle politische Themen ansprechen. Er möchte verständlich sein, dabei soll sich die Sprache zugleich aber weiterentwickeln, in
1
Alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, stammen vom Autor.
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dem dieser neue Inhalte, Fremdwörter und sinnvolle Neologismen und Paraphrasierungen hinzugefügt werden. Gleichzeitig lässt er Sprichwörter und
Sinnsprüche in seine Rede einfließen. Dah Houawé (vgl. Abbildung 5) erfand diese Radiosendung im Jahre 2000, als große Skandale der Bestechung und Misswirtschaft in Benin bekannt wurden. Diese Probleme wurden aber häu-
fig nur in einigen wenigen unabhängigen Zeitungen offenbart und waren daher einem breiteren, zum großen Teil auch nicht-französischsprachigen und analphabetischem Publikum kaum bekannt. Dah will auf die Themen des
Tages anhand der Schlagzeilen der Zeitungen hinweisen und so den Informationskreislauf zwischen den Zeitschriftenartikeln und dem öffentlichen Dis-
kurs verkürzen. Im Eingangsjingle der Sendung heißt es (übersetzt aus dem Fongbé): „Hört was die Zeitungen sagen über das, was los ist; jede auf ihre Art und Weise.“
Dieses Sende-Format stellt ein in Benin neuartiges mediales Genre dar
und wurde später von anderen Radiostationen kopiert. Der Erfolg der Sen-
dung beruht auf einer kreativen Integration von Genres der mündlichen Li-
teratur in ein neues Format der Radioproduktion sowie dem einzigartigen
Stil des Moderators selbst, seiner Sprechweise sowie der geschickten Aus-
wahl tagesaktueller Themen. Es handelt sich zudem um ein ‚hybrides‘ SendeFormat, das Querbezüge zu anderen Massenmedien sowie zur mündlichen Literatur aufweist. 2
Das Beispiel steht für die neue Kreativität und Vielfalt der gegenwärtig
von Radioproduzenten in Benin3 entwickelten Programme. Das vorliegende Buch analysiert den Kontext ihrer Entstehung und ihre Aneignung durch Ra-
dio-Hörer. Es geht dem Einfluss (radio-)medialer Räume auf die Alltagskultur als auch Fragen der Wandlung von Öffentlichkeiten und Kommunikations-
praxen in Benin nach. Die Gesamtheit dieser Aspekte möchte ich als Radiokulturen (Pias 1999, Hickethier 2003, Urricchio und Kinnebrock 2006, Hepp
2
Seine Sendung ist nicht unumstritten (vgl. Abschnitt I,4). Ähnliche Sendungen werden inzwischen auf von Radio Golfe FM sowie Radio Planète u.a. ausgestrahlt.
3
Ich verwende hier in der amtlichen Kurzform (amtliche Vollform ‚Die Republik Benin‘) eine neutrale Landesbezeichnung. Im Französischen ist das grammatikalische Geschlecht männlich (Le Benin). Die Nutzung des Attributes beninisch sowie der Bezeichnungen Beniner, Beninerin entspricht dem offiziellen Länderverzeichnis für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland des Auswärtigen Amtes (Oktober 2013)..
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2013) bezeichnen. Sie verweist auf die Verschränkung von Medien, Alltags-
kultur, Technologien und gesellschaftlichem Wandel. Ich bevorzuge dabei eine plurale Begriffsverwendung, um explizit auf die Vielfalt der Radiosender und -formate, ihre auch durch individuelle Radiogestalter bestimmten Sen-
destile sowie regional und soziale unterschiedlich ausgeprägte Hör- und Nutzungsgewohnheiten zu verweisen. Meine Studie basiert auf partizipativen Forschungsansätzen sowie Beobachtungen, Interviews und Inhaltsanalysen.
Sie untersucht Veränderungen von Medienkulturen in Westafrika am Beispiel
des Rundfunks in Benin. Aus ethnologischer Sicht wird dargestellt, wie die jüngste Welle der Gründung staatsunabhängiger UKW-Sender, die eine liberale Medienpolitik in Benin möglich gemacht hat, sowie der Einfluss neuer Medientechnologien individuelle und kollektive Mediennutzungspraxen im
Alltag nachhaltig verändert haben. Neue Medienangebote und bessere Zu-
gangschancen zum Radio fördern die Entstehung neuer Hörgewohnheiten, die Identifikation mit Sendungen oder Radiomitarbeitern.
Als Fallbeispiele stehen fünf Radiosender des Landes im Zentrum meiner
Analyse, bei denen ich die alltägliche Radioproduktion, ihre Betreiber, ihre
Sendeprogramme sowie ihre Hörergemeinschaften in den Blickpunkt der Betrachtung stelle. Über die meist übliche Form der Einzelfallstudie wird hier
also ein Vergleich vorgenommen. Ich diskutiere die Bedingungen des Erfolgs dieser Sender und werde dabei die spezielle Verknüpfung von Produktion und Rezeption, Medienpraxis und politischer Öffentlichkeit analysieren. Hier
wird an jenen medienwissenschaftlichen Ansätzen angeknüpft, die Radiohörer nicht als passive Konsumenten betrachten, sondern als elementare Ak-
teursgruppe der Mitgestaltung radiomedialer Formen untersuchen (Alasuutari 1999). Im Weiteren geht es um die Rezeption von Sendungen bei
ausgewählten Hörergruppen in urbanen Milieus und die Veränderungen ih-
rer medialer Praxen (Kommunikation, Hörgewohnheiten, Informationsgewinn für den Alltag), die sich in individuellen und kollektiven Aneignungsformen des Mediums4 manifestieren. Formen aktiver Mit-Gestaltung des Mediums finden eine besondere Beachtung.
Ferner liegt ein Schwerpunkt der Betrachtung auf der biographischen Er-
fahrung des Umgangs mit dem Medium Radio. Dabei habe ich Aspekte der
symbolischen Nutzung und Repräsentation sowie der ‚Veralltäglichung‘ der
4
Medien werden hier als technische Institutionen der Kommunikation untersucht (Krotz 2007:37).
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Radionutzung in der individuellen und familiären Lebensgestaltung untersucht. Schließlich wurden Veränderungen moralischer Diskurse im familiä-
ren wie kommunal-öffentlichen Rahmen durch aktiven Radiokonsum eruiert. Ein wichtiges Augenmerk lag zudem auf neuen Prozessen der Medienkonvergenz und Intermedialität, in diesem Falle hinsichtlich des Wechselspiels netz-
basierter Daten mit Radioformaten in der Sendeproduktion und multimedialen Senderpräsenz.
Die empirischen Daten habe ich in der Republik Benin gewonnen, einem
kleinen, in weiten Teilen vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Land in
Westafrika. Das heutige Staatsgebiet Benins wurde in vorkolonialer Zeit von verschiedenen ethnischen Gruppen bewohnt und war von sehr heterogenen wirtschaftlichen und politischen Strukturen geprägt. Neben zentral organisierten Königreichen (bekannt ist u.a. das Königreich von Abomey) und Sta-
tusgesellschaften sind hier auch akephale Gruppen (ohne zentralisierte Machtstruktur) mit unterschiedlichen Produktionssystemen zu nennen. Das
Landesterritorium geht auf die ehemalige französische Kolonie Dahomey (seit 1894) zurück, die im August 1960 unabhängig wurde. Die heutige
Staatsbezeichnung Benin wurde 1975 eingeführt, die Amtssprache ist Fran-
zösisch. Nach 1963 ereigneten sich zahlreiche Staatsstreiche (Ronen 1975; Cornevin 1981), bevor dann im Jahre 1972 die Militärs die Macht übernah-
men. Sie etablierten unter Führung von Mathieu Kérékou eine staatssozialis-
tische, an osteuropäischen Vorbildern orientierte Regierung (Banégas 2003).
Wirtschaftliche Krisen und Protestbewegungen führten zu einem friedlichen politischen Wandel (Renouveau Démocratique), der 1990 durch eine Nationalkonferenz eingeleitet wurde. Diese ebnete den Weg für eine demokratischere Verfassung, der Etablierung eines obersten Verfassungsgerichtes und einem
Mehrparteiensystem (Raynal 1991, Allen 1992, Kohnert und Preuß 1992:6, Bierschenk 1995, 2009; Bako-Arifari 1995). Ende der 1990er Jahre wurde
zudem ein Dezentralisierungsprozess auf den Weg gebracht, der mehr Selbstbestimmungsrechte der Kommunen ermöglichte.
Benin ist eine ausgeprägte Präsidialrepublik, d.h. der Präsident ist direkt
gewählt und ernennt selbst die Kabinettsmitglieder. Nach einer langjährigen
Präsidentschaftszeit von Mathieu Kérékou (1996-2006) regiert derzeit (2013) Dr. Thomas Boni Yayi das Land, der in der Wahl 2011 im Amt bestä-
tigt wurde. Benin ist in Westafrika seit 1990 zwar durch seine demokratische Öffnung, sein reges politisches Leben und eine aktive Zivilgesellschaft be-
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kannt, trägt aber nach wie vor viele Züge einer autokratischen Regierungs-
führung. Hinzu kommen Korruption und Klientelismus. Wirtschaftlich befin-
det sich das Land trotz zahlreicher Investitionen vor allem in die Infrastruktur in einer Stagnation (Bierschenk 2009), wodurch nach wie vor Transfers von Geberländern von großer Bedeutung sind. In Benin haben auch neuere Medien wie das Internet und Satellitenfernsehen in jüngerer Zeit massiv Einzug gehalten.
Warum steht hier aber das Radio im Zentrum? Das Radio ist immer noch
das wichtigste elektronische Massenmedium in Westafrika, so auch in Benin.
Hier gibt es derzeit 83 Rundfunkstationen verschiedenster Kategorien: privat, gemeinnützig und vereinsgeführt, universitär, religiös und z.T. auch Pi-
ratensender. Fast alle nichtstaatlichen Rundfunkstationen finanzieren sich durch Werbung, Auftragsendungen und Annoncen. Sie zahlen je nach Status unterschiedlich hohe Steuern und Gebühren. Obwohl das Fernsehen in seiner
Bedeutung zunimmt, erreicht der Rundfunk fast alle Landesteile und wird
von Büroangestellten, Wachmännern, Bauern, Händlern, Studenten und Schülern5 gleichermaßen, wenn auch auf individuelle Art und Weise genutzt. Radiogeräte sind sehr leicht zugänglich, mit Batterien mobil nutzbar und
preiswert;6 einfache Geräte mit Lautsprechern kosten nur ungefähr fünf Euro, ohne Lautsprecher gar nur einem Euro. Auch die Radiofunktion in Mobilte-
lefonen erleichtert die Verfügbarkeit von Rundfunkprogrammen. Vor allem
in den städtischen Zentren wie Cotonou (924.000)7, Abomey-Calavi (307.745), Porto-Novo (314.000) oder Parakou (206.667) ist das frei empfangbare Radioangebot sehr groß; Zuhörer können zwischen verschiedenen Stationen und vielseitigen Programmen wählen, die Information, Unterhal-
tung, Ratgebersendungen, Werbung, Bekanntmachungen und vieles mehr einschließen.
5
Allgemeine Akteursbezeichnungen werden in dieser Arbeit in der männlichen Form angegeben, gelten aber für beide Geschlechter, wenn dies nicht anders vermerkt ist.
6
Steuern auf Radiogeräte werden einerseits indirekt beim Import von Geräten erhoben; andererseits als direkte Jahressteuer auf die Nutzung der Geräte. Diese zahlen de facto aber meist nur Staatsangestellte. Gegenwärtig beträgt die Gebühr 500 FCFA, 0,80€ (3000 FCFA, 4,50 € für TV-Geräte), soll aber im Radiobereich um 500 FCFA steigen.
7
Zahlen aus dem World Factbook der CIA (CIA 2010).
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Radiosender gibt es in Benin seit den 1950er Jahren. Diese wurden zu-
nächst allein vom Zentralstaat geführt (s. unten). Mitte der 1990er Jahre
kamen sogenannte Radios Rurales hinzu, aber erst mit einem neuen Medien-
gesetz setzte 1997 eine umfassendere Liberalisierung mit der Zulassung vieler unabhängiger Radiostationen ein. Diese haben der Medienlandschaft so-
wohl im urbanen als auch im ländlichen Raum neue Impulse verliehen (Grätz
2003, 2009; Open Society Initiative for West Africa 2010). Neben vielen ähn-
lichen Sende-Formaten8 finden wir zum einen eine durch zunehmende Konkurrenz der Sender bedingte radiomediale Differenzierung hinsichtlich be-
stimmter Formatradios, bzw. Spezialisierungen im Bereich von Musik, Sport, Politik oder der Auswahl der Sendesprachen. Deutlich wird in Benin auch die Zunahme religiöser Radioprogramme (vgl. Abschnitt II,3).
Zum anderen findet man ausgesprochene Erfolgsformate, die viele Sen-
der gleichermaßen im Programm haben. Zu diesen gehören vor allem inter-
aktive Sendungen, bei denen die Hörer anrufen können, um beispielsweise ihre Meinung zu aktuellen politischen Themen zu bekunden, oder um mit den Moderatoren oder Studiogästen (oft Politikern) zu diskutieren. Sie haben
durch Nutzung von Mobiltelefonen einen neuen Boom erfahren. Zudem gibt
es Sendungen, bei denen sich die Hörer zu einem beliebigen Problem äußern
oder gesellschaftliche Missstände ansprechen können (vgl. Abschnitt V,1). Beliebt sind nach wie vor auch Gewinnspiele sowie Gruß- und Wunschsen-
dungen. Dies gilt auch für jene Sendungen, die Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse bedienen, die auf anderen Wegen (noch) nicht erfüllt wer-
den können. Dazu gehören vor allem private Ankündigungen im Radio, von Familienfesten über Versammlungen bis hin zu Beerdigungsfeiern. Hinzu
kommen auch Jobangebote sowie Auftragsendungen für staatliche und nichtstaatliche Entwicklungsagenturen. Aufwändige Reportagen findet man auf-
grund unzureichender zeitlicher und finanzieller Ressourcen der Sender bisher aber in geringerem Maße.
In Benin überwacht die oberste Medienbehörde HAAC (Haute Autorité de
l‘Audiovisuel et de la Communication) die Einhaltung der Standards journalistischer Praxis, und übt Zensur aus. In den letzten Jahren hat die Einflussnahme des Staates auf die Medien zugenommen. Im Zentrum dieser Studie stehen mediale Alltagspraxen hinsichtlich – der Produktion von Radiosendungen 8
Hier ist ein Typ von Programmen mit einer ähnlichen Struktur gemeint.
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– des Umgangs mit Radiotechnik und -geräten im Alltag
– der Entstehung neuer Hörergemeinschaften, damit verbunden
– den Wechselwirkungen zwischen Hörern und Radiogestaltern, sowie
– den Veränderung medialer (öffentlicher) Diskurse und Praxen durch Radiohören.
In den nachfolgenden Kapiteln werde ich den Erfolg vor allem der neuen UKW-Stationen und ihrer Sendungen in Benin auf verschiedenen Pfaden
nachzeichnen und aus den Perspektiven der Medienethnologie sowie der Science and Technology-Studies analysieren. Technik wird hier in einem weiten Sinne als technae (altgriechisch für Fähigkeit, Kunstfertigkeit, Kulturtechnik)
verstanden. Dabei geht es sowohl um die materiell-stoffliche Dimension, aber auch um die Verbindung von Radiotechnologien mit öffentlichen Räumen
sowie den Inhalten, die Radioproduktionen im Alltag bereitstellen. Die Studie kann damit helfen, verkürzte entwicklungspolitische Sichtweisen auf medialen Wandel in Afrika zu relativieren. Zunächst werden die Geschichte des
Rundfunks in Benin aus institutionen- und kulturgeschichtlicher Sicht rekonstruiert und anschließend Einblicke in die alltägliche Radioproduktion gege-
ben. Weiterhin sollen besondere Sende-Formate analysiert und schließlich die Beziehungen der Radiogestalter zu ihren Hörern sowie die vielfältigen
Formen der soziokulturellen Aneignung des Mediums durch diese im benini-
schen Alltag dargestellt werden. Viele dieser Aneignungsprozesse verlaufen nicht ohne gesellschaftliche und politische Interventionen, die technologische
Dramen (Pfaffenberger 1992b) erzeugen, die den Medienwandel im Bereich des Rundfunks in Benin begleiten.
2. Forschungslage, Methoden und zentrale Forschungsansätze „Das Radio ermöglicht es mir, mich zu bilden. Es ist für mich etwas, das mir das Tor zu anderen Orten und anderen Menschen öffnet.“ (Georges, Natitingou, 27.2.2010)
Das Radio ist das Massenmedium in Afrika südlich der Sahara und dürfte
auch (wenn man von Südafrika absieht) von ,neueren‘ Medien wie dem Internet und dem Satellitenfernsehen auf absehbare Zeit in dieser Bedeutung
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kaum eingeholt werden. Radiosendungen setzen keine Lesefähigkeiten vo-
raus,9 sie können in städtischen wie auch in ländlichen Gebieten empfangen
werden. Die Empfangsgeräte benötigen keinen Netzanschluss und werden zunehmend kostengünstiger. Die Medienlandschaft vieler westafrikanischer Staaten hat zudem im Zuge der politischen Liberalisierung in Westafrika
durch die Etablierung vieler staatsunabhängiger Radiostationen in den letzten Jahren, so auch im Fallbeispiel Benin, völlig neue Impulse erfahren. Eine freiere Berichterstattung über aktuelle, nationale und globale Ereignisse
führt zur allmählichen Auflösung staatlicher Monopole der offiziellen Mei-
nungsbildung. Sie erzeugt zusammen mit einer neuen Vielfalt an Sendeformaten auch neue Informations- und Unterhaltungsangebote. Auch lokale Kulturvereine und religiöse Gemeinschaften eignen sich das Medium verstärkt an.
Trotz der zentralen und wachsenden Bedeutung des Radios gibt es aber
überraschend wenig fundierte, empirisch orientierte soziologische und so-
zial- bzw. kulturanthropologische Studien, die die Rolle dieses Mediums im
Alltag und seine Wechselwirkung mit politischen Veränderungen genauer
verfolgen und vor allem auf den Boom der neuen Stationsgründungen in vie-
len Ländern eingehen. Eine erste Bestandsaufnahme institutioneller Aspekte des Radios unter modernisierungstheoretischen Vorannahmen (und heute
veraltetem Zahlenmaterial) boten die Texte von Mytton (1983, 2000), Head (1974) und Bourgault (1995). Neuere Arbeiten berücksichtigen die
politischen und strukturellen Veränderungen der afrikanischen Medienland-
schaften, diskutieren aber vor allem technische und rechtliche Aspekte (Vogt 1996; Moumouni 2001; Adjovi 2003a) sowie die Relevanz einzelner Programmformate (Englund 2011).
Der von Fardon und Furniss (2000) herausgegebene Band African
Broadcast Cultures war auf das Radio bezogen ein wichtiger Meilenstein. Er beleuchtet insbesondere institutionelle Aspekte der Produktion afrikanischer Radiokulturen im Zuge der Demokratisierungsbewegungen der 1990er
Jahre, diskutiert entwicklungspolitische Fragestellungen sowie staatlicheFörderprogramme. Einige Beiträge gehen zudem auf die Rolle des Radios in Bürgerkriegen, aber auch auf kulturelle Aspekte wie Werbesendungen ein. Weitaus detailliertere und methodisch fundierte Beiträge liegen im jüngst
zum Thema veröffentlichten Sammelband von Gunner et al. (2011) vor. Hier 9
In Benin beträgt z.B. der Alphabetisierungsgrad nur 42,4% (CIA op.cit.)
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wird ein weiter Bogen, von identitätsstiftenden Aspekten des Radios, seiner Bedeutung für politische Emanzipationsprozesse, die Entstehung hybrider
medialer Formate sowie für religiöse Gruppen gespannt. Auch im medienpolitisch orientierten Band von Wasserman (2010) wurden Beiträge aufgenommen, die alltägliche Formen der Radioproduktion(vor allem in Kenia und
Südafrika) untersuchen. Aus entwicklungspolitischen Gründen dominieren
Studien zu vereinsgeführten und Gemeinde-Radios (vgl. Tudesq 2002). Die Literaturlage zu neuen Radiosendern ist für die einzelnen Länder unter-
schiedlich. Arbeiten zum Rundfunksektor einzelner afrikanischer Länder lie-
gen von Nombré (2000) und Frére & Balima (2003) für Burkina Faso; für Ghana von Heath (2001), von Ceesay (2000) und Benamrane (2000) für Niger; von Daloz & Verrier-Frechette (2000), Spitulnik (2000) und Englund
(op.cit.) für Sambia sowie von Girard (1992), Tower (2005), Diawara (1994, 2007) und Schulz (1997, 1999a, 1999b) für Mali vor.
Medien stellen in der Ethnologie, im Gegensatz zu den verwandten Dis-
ziplinen der Kommunikations- und Kulturwissenschaften sowie Mediensoziologie, generell ein relativ junges Interessengebiet dar, das sich erst seit den
1990er Jahren etabliert hat (Spitulnik 1993, Dracklé 1999, 2005; Askew et
al. 2002; Ginsburg 2002; Wendl 2004; Rothenbuhler und Coman 2005). Somit steckt auch die afrikabezogene medienethnologische Forschung ebenso
wie die Diskussion um den Öffentlichkeitsbegriff in Afrika – zwischen globa-
len Einflüssen und regionalen soziokulturellen Besonderheiten – noch in den Anfängen (Förster 2001; Beck und Wittmann 2004; Wasserman 2010). Dies sicherlich auch, weil man dem Einfluss moderner Technologien und Medien lange Zeit einen nur begrenzten Einfluss auf die Lebenswelt der Bewohner
dieser Regionen zusprach. Erst seit ca. 20 Jahren nehmen sozialwissenschaftliche Studien zu Medien in Afrika signifikant zu. Vor diesen Zeitraum domi-
nierten Arbeiten zur kulturhistorischen Entwicklung der Medien. Hier sind
vor allem die Studien von Powdermaker (1973), Ziegler/Asante (1992),
Ambler (2002), Akyeampong/Ambler (2002) und vor allem die hervorragende Monographie von Larkin (2008) zu nennen.
Relativ gut erforscht ist die Geschichte des afrikanischen Films (Ukadike
1994; Gugler 2003; Kilian 2010) und der Presse (Agbaje 1992; Heuva 2001; Barber 2005; Falola und Fleming 2005). Diesen Arbeiten zufolge gestalteten sich die Medienlandschaften zur Zeit der formellen Unabhängigkeit vieler
afrikanischer Staaten (bezogen auf den Zeitraum 1957-1964) äußerst unterschiedlich. Während sich in den meisten anglophonen Staaten und vor allem
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in Südafrika (Presse seit 1880, vgl. Njogu 1997: 541p.) schon frühzeitig ein signifikantes Angebot an Radiosendungen (anfangs über drahtgebundene ur-
bane Informationssysteme, Larkin op.cit.) und Presseerzeugnissen – zunächst für Angehörige der Kolonialverwaltung oder Siedler sowie im Missionskon-
text – entfaltete (Njogu 1997, S. 540f., 1997, 1997), begann diese Entwicklung in den meisten frankophonen Ländern (mit Ausnahme Senegals) erst
Ende der 1950er Jahre. Besonders auffällig war die Medienentwicklung (neben Südafrika) in Ländern wie Ghana, Nigeria, Kenia und in Sambia (früher
Nordrhodesien), wo sich jeweils in urbanen industrialisierten Zentren wie dem Copperbelt (Powdermaker op.cit; Ambler op.cit.) eine breitere Mittel-
schicht etablieren konnte, die über mehr Kaufkraft verfügte und Medienkon-
sum stärker in den Alltag integrierte. Schließlich waren zahlreiche Arbeiten
seit der formellen Unabhängigkeit vieler Staaten (Ende der 1950er-Anfang der 1960er Jahre) von Diskussionen um die politisch-integrative Rolle der Medien in den neuen Nationalstaaten geprägt. Gemeinsam war fast allen
Ländern in Afrika die Dominanz der staatlichen elektronischen Medien (Ugboajah 1985), die in einem Umfeld von Propaganda und Zensur sowie der
Idee von nationaler Integration und Entwicklung operierten (Grätz 2012a,
2012a). Nur in wenigen Fällen (Kenia, Südafrika, Nigeria) entfalteten sich ab 1960 auch private Medienanbieter.
In vielen Ländern wurde Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre
vor allem der Rundfunksektor, meist mit massiver Geberhilfe, ausgebaut. Die
Radionutzung wurde in dieser Zeit durch die wachsende Verbreitung von
mobilen Endgeräten in Transistorbauart erleichtert. In diese Zeit fällt auch
die verstärkte Förderung von Radio- und Fernsehprogrammen in afrikanischen Sprachen. In der Folge war Anfang der 1980er Jahre ein signifikanter
Anstieg medien-entwicklungspolitischer Arbeiten zu beobachten, die den
Ausbau der Empfangsmöglichkeiten nationaler Rundfunk- und Fernsehstationen sowie die Versuche des Staates, sich auch verstärkt an ein ländliches
Publikum zu wenden (vgl. Amupala 1989; Kalb 1986), begleiteten. In der Bundesrepublik Nigeria war zudem die Medienentwicklung von einer starken Regionalisierung geprägt (Trieselmann 1999).
Seit der politischen Liberalisierung und der Verabschiedung neuer Medi-
engesetze ab 1990 kam es zugleich zu einem signifikanten Anstieg der Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Medienwissenschaft, Cultural Studies,
Anthropologie und Mediensoziologie. Neben Sammelbänden und Überblicksdarstellungen (Hydén et al. 2002; Thiam et al. 1996, Nyamnjoh 2005; Brüne
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2007; Kintz 2007; Vidali 2008; Njogu und Middleton 2009; Grätz 2011a)
entstanden auch verstärkt Einzelfallstudien zu Medieninstitutionen (z.B. Wittmann 2007 zur Presse im Senegal), die aber immer noch sehr lückenhaft sind. Die Untersuchung bezieht sich dabei auf Diskussionen innovativer Ver-
änderungen von Öffentlichkeiten in Afrika, die hier nicht im normativ-historischen Sinne von Habermas (2009), sondern als jeweils spezifische Räume
der Kommunikation und Verhandlung politischen und sozialen Wissens
(Neidhardt 1994) verstanden werden. Sie verändern sich im Kontext neuer
Medientechnologien (Garnham 1994, Brüne 2000, Husband 2000, Weisbrod
2001). Sie sind in spezifischer Weise mit kulturellen Faktoren wie beispiels-
weise Ritual, Rhetorik und Religion (vgl. Weber und Vries 2001, Eickelman 1999; Meyer und Moors 2006; Meyer 2010) verbunden.
Die aktuellen Veränderungen der Radiokulturen in vielen postkolonialen
Staaten Afrikas muss man vor dem Hintergrund des Endes der jahrzehntelang
fehlenden Meinungsfreiheit, der staatlichen Medienmonopole und der Dominanz der ehemaligen Kolonialsprachen Französisch und Englisch betrachten. Im sozialwissenschaftlichen Diskurs wird die gegenwärtige Medienliberali-
sierung in vielen Staaten daher primär als wichtiger Schritt zur Pressefreiheit betrachtet (Nyamnjoh 2005) und weniger als Wegbereitung einer politischen
Ökonomie global dominanter Medien (McChesney 2008). Zur Situation der
beninischen Medienlandschaft allgemein liegen, außer den Arbeiten von Saxer und Grossenbacher aus den 1980er Jahren (Saxer et al. 1984; Saxer
und Grossenbacher 1987), bisher nur wenige fundierte Arbeiten vor. Diese diskutieren vorwiegend rechtliche Aspekte, insbesondere die Rolle der Me-
dienaufsichtsbehörden (Adjovi 2003), und gehen vor allem auf die Situation der Zeitungen (Frère 2000; Campbell 1998; Assogba 2012; Assogba 2011; Agognon und Eyebiyi 2011; Adélakoun 2008; Zantou 2007) ein.
Zum Rundfunk in Benin gibt es bisher kaum sozialwissenschaftliche Stu-
dien. Es finden sich zahlreiche kleinere Auftragsuntersuchungen einheimi-
scher Consulting- Organisationen wie dem Centre Afrika Obota, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (Programme des Nations Unis pour le
Développement, PNUD) in Benin oder dem Institut Kilimandjaro sowie vereinzelte Zeitungsberichte. Sie sind primär von anwendungsbezogenen Fragestel-
lungen im Sinne der Auftraggeber geprägt (z.B. Edah 2002). Ähnlich entwicklungspolitisch sind die meisten Abschlussarbeiten zum Thema Radio
orientiert, die an der Universität Abomey-Calavi (z.B. Chabi 2002; Ologou
2005), an privaten Hochschulen oder ausländischen Universitäten (Assogba
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2010a; Dessoh 2011; Ahomangnon 2011) angefertigt wurden. Zur Rolle der Medien im Alltag bzw. der alltäglichen Produktion von Medienkulturen in
Benin gibt es – bis auf Arbeiten des Autors (Grätz 2000b, 2003, 2009) – keine Untersuchungen.
METHODISCHE ANNÄHERUNGEN In dieser Studie wurde mit einem plurimethodischen Untersuchungsdesign gearbeitet. Dieses schloss
– umfangreiche Beobachtungen und informelle Gespräche, vor allem in Radiosendern, Medienbehörden und -vereinigungen, auf Schulungen und Seminaren
– teilnehmende Beobachtungen im Alltag der Radioproduktion, insbesondere Reportagen und Veranstaltungen
– Leitfadeninterviews, v.a. auch narrativer Art, mit Transkriptionen ausgewählter Gespräche mit Radioproduzenten, Hörern, Experten
– Inhaltsanalysen von Radiosendungen
– zwei Hörerumfragen (jew. n=100), Natitingou und Cotonou sowie
– eine umfangreiche Auswertung von Dokumenten, ‚grauer Literatur‘, Abschlussarbeiten und Medienberichten ein.
In der ersten Feldforschungsphase wurden ausführliche Informationen zur
rechtlichen und organisatorischen Situation der Radiosender und zum aktu-
ellen politischen Kontext des Rundfunks in Benin gewonnen (Gespräche mit institutionellen Vertretern, Journalisten, Vertretern von NRO). In der zweiten Feldphase erfolgte schließlich, neben regelmäßigen Besuchen in vielen anderen Radiosendern, die fallspezifische Konzentration auf fünf Sender: Ra-
dio Nanto FM (Natitingou), Radio CAPP FM, Radio Tokpa (jeweils Cotonou), Radio Arzèkè FM sowie Radio Maranatha (jeweils Parakou).
Für diese Auswahl galten drei Kriterien: Zugänglichkeit, räumliche und
rechtliche (kommerziell, assoziativ, religiös) Diversität der Fallbeispiele. Zunächst erfolgte die Wahl von unterschiedlichen Typen von Sendern: ein Ge-
meinderadio-Sender (Radio Nanto FM), drei private Stationen (Radio CAPP FM, Radio Tokpa, Radio Arzèkè) und ein religiöser Sender (Radio Mara-
natha). Zweitens, aus Gründen des Vergleiches, wurde eine Auswahl von Sendern an drei verschiedenen regionalen Standorten, Cotonou, Natitingou,
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und Parakou, vorgenommen.Drittens war eine gute Zugänglichkeit der Stationen maßgeblich, d.h. eine Akzeptanz meines Forschungsvorhabens ein-
schließlich des methodischenRahmens durch die Stationsleitung und Mitarbeiter sowie ein unproblematischer Zugang zu den entsprechenden
Räumlichkeiten. Neben den zentralen Fallbeispielen wurden auch Radiomitarbeiter und Programme anderer Sender sowie deren allgemeine Situation in
die Untersuchung mit einbezogen.Aufgrund guter Arbeits- und persönlicher
Kontakte konnte ich vor allem die Sender Radio Bénin (Cotonou), Atlantic FM (Cotonou), Radio Parakou (jeweils ORTB), Océan FM (Cotonou), Radio
Afrique Espoir (Porto-Novo), Radio Immaculée Conception (Allada), Radio Fraternité FM (Parakou), Radio Suuti Deera (Nikki), Radio Solidarité FM Djougou sowie Radio Rurale Locale Tanguiéta regelmäßig besuchen. Weitere
Sender wurden hingegen nur punktuell einbezogen, meist in Form ein-bis zweitägiger Besuche, die mit Gesprächen mit der Direktion und den Mitar-
beitern sowie einem Rundgang durch die Studioeinrichtungen verbunden waren. 10
Die Feldforschungen bauen auf früheren Forschungen (Grätz 2003) auf
und waren mit zahlreichen Interviews mit Hörern, Radiomoderatoren, Stati-
onsdirektoren, Experten, aber auch Beobachtungen sowie der aktiven Teilnahme an Sendungen (im Falle der Anrufersendungen zu intimen und Part-
nerschaftsbezogenen-Problemen vor allem bei Radio Nanto FM sowie Radio Tokpa), und schließlich Transkriptionen und Hörerumfragen verbunden.
In der ersten Feldphase standen intensive Beobachtungen in den Studios,
der Sendeproduktion, dazu viele Einzelbesuche und die Begleitung von Radio-Journalisten im Alltag auf dem Programm. Höhepunkt war dabei die
eigene aktive Mitarbeit bei Sendungen, v.a. Radio Nanto FM (Evasion,
supplice du coeur), die in allen Phasen immer wieder stattfand.11 In weiteren
10 Hierzu zählen unter anderem Radio Cité (Savalou), Radio Bassila, Radio Dinaba (Boukombé), Radio Tuku Sari (Kouandé), Radio Nikki, La Voix du Mono (Lokossa), La Voix de la Lama (Allada), Radio Wêkè (Djrègbé), Radio Tado (Abomey-Calavi); Radio Urban FM, Radio Deeman (jeweils Parakou), Radio Ilèma (Dassa); Radio Trait d’Union (Bohicon); Radio Non Siina (Bèmbèrèkè), Radio Lalo und Radio Kandi. 11 Im Sender Radio Nanto, Natitingou, wechselte ich von der Beobachtung oder der Präsenz als Studiogast häufig in die Rolle des Co-Moderators von Anrufersendungen (supplice du coeur), was auch die intensive Vor- und Nachbereitung der Sen-
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Sendern erfolgten punktuelle Besuche, besonders regelmäßig in den Sendern Radio Océan und Radio Planète (Cotonou), Radio Solidarité FM Djougou,
Radio Rurale Locale Tanguiéta sowie Radio Fraternité (Parakou). An allen Forschungsorten erfolgten zudem viele sporadische Beobachtungen von
Radiohörern im Alltag. Anschließend führte ich ca. 50 Leitfadeninterviews mit Stationsdirektoren, Moderatoren und Journalisten, Technikern und anderem Personal der jeweiligen Sender.
Es wurden weiterhin viele eigene, beauftragte und kopierte Audio-
Mitschnitte sowie Protokolle von Sendungen verschiedener Radiostationen
angelegt. In diesem Zusammenhang habe ich bestimmte Sendeformate, vor allem Nachrichtensendungen, politische Diskussionen, Radiowerbung,
Anrufersendungen, Unterhaltungsshows mit einem Anruferteil (auch in einheimischen Sprachen) sowie religiöse Sendungen besonders intensiv ausgewertet. Im November 2008 nahm ich, entsprechend dem bekannten
Vorschlag von George Marcus follow the plot (1995), d.h. dem Verfolgen von Ereignissen, Themen und ihrer medialen Verarbeitung durch Medienakteure
und ihrer Dominanz in der Öffentlichkeit, einen Banküberfall am 21.11.2008
in Cotonou zum Ausgangspunkt einer querliegenden Untersuchung darüber, in welcher Art und Weise Radiostationen im Raum Cotonou auf ein solches aktuelles Ereignis reagierten.
In der vierten Forschungsphase standen klassische, fragebogengestützte
Hörerumfragen auf dem Arbeitsprogramm, zum einen in Cotonou und zuletzt in Natitingou, Nordbenin. Dabei wurden jeweils 100 Hörer in drei Stadtvierteln der beiden Orte mittels eines umfangreichen Fragebogens zu
ihren Präferenzen und Hörgewohnheiten befragt.12 Weiterhin wurden Interviews zu Berufsbiographien der Radiomitarbeiter (n=50) durchgeführt. Ergänzend wurden Diskussionen mit Experten geführt.
dungen einschloss. Dies brachte viele Vorteile mit sich. So kannten mich viele Hörer in Natitingou aus dem Radio, was es erleichterte, anschließend Gespräche mit sehr aktiven Hörern zu führen. Allerdings war die Rolle des Co-Moderators nicht immer einfach einzunehmen, da ich aktiv Ratschläge einbringen sollte, mir aber den kulturellen Kontext der diskutierten Probleme aber oft erst erschließen musste. 12 Mitarbeit Cotonou: Marius Totin, Soziologe, Uni Abomey-Calavi; Natitingou: Germaine N‘Tcha, Nanto FM. Transkriptionshilfe: Isabel Meyn (Hamburg), Georgette Avimadjenon (Cotonou).
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Schließlich habe ich in der Stadt Natitingou ein Stadtviertel, das Viertel
Santa, genauer betrachtet, um dort mit Beobachtungen und Umfragen Hörerpraxen im Alltag zu eruieren (vgl. Abschnitt IV,1). Hinsichtlich der zielgruppenorientierten Untersuchungen zur Rezeption von Sendungen und
Hörergewohnheiten wurden in Natitingou jugendliche Hörer im Stadtviertel Sotchirantikou in Gruppendiskussionen und Einzelinterviews befragt, die z.T. transkribiert wurden. Weiterhin wurden in Cotonou Handwerker und
Händler im Viertel Akpakpa sowie Händlerinnen des Marktes Dantokpa
als Untersuchungsgruppen gewählt. Auch hier wurde die individuelle Bedeutung des Radiohörens im lebensgeschichtlichen Zusammenhang
eruiert und – auf der Basis von inzwischen erfolgten ausführlichen
Transkriptionen von Interviews und Sendungen – Gruppendiskussionen zu ausgewählten Sendern und Sendungen durchgeführt.
Durch den Mitarbeiter Daouda Tidjani, Sozialanthropologe aus Benin,
wurde als weiteres Fallbeispiel Radio Kandi (Borgou) im Zeitraum November
bis Dezember 2009 analysiert. Schwerpunkte seiner Studie waren die Sende-
produktion im Alltag, die Beziehungen Radiomitarbeiter – Hörer – Bewohner, eine Analyse und Diskussion ausgewählter Sendungen sowie allgemeine Erkundungen zum Radio(hören) im Alltag der Bewohner der Region. Weiter-
hin wurde eine Volltranskription ausgewählter Interviews und Mitschnitte (teils selbst, teils durch die studentische Hilfskraft) vorgenommen.13 Eine der zentralen Vorgehensweisen in diesem Zusammenhang war vor allem in den ersten Forschungsphasen das kontinuierliche Beobachten und Protokollieren alltäglicher Arbeitsabläufe und Interaktionen in den jeweiligen Radiostationen. Dies erfolgte in mehrwöchigen, quasi ununterbrochenen Beobachtun-
gen in einem Sender, die dann durch viele weitere Besuche und Beobachtungen kontinuierlich ergänzt wurden.
Während der Intensivbeobachtungen hielt ich mich vor allem in der Sen-
deregie, den Produktionsstudios, den Empfangsfoyers einschließlich der
Public Relations – Abteilung sowie in den Redaktionsräumen der jeweiligen Sender auf. In etwas geringerem Maße wurden auch Büroräume der Statio-
nen, und – wenn vorhanden – der Programmdirektoren und ihrer Sekretärinnen sowie Reparatur-Werkstätten der Techniker einbezogen, da hier kaum
13 Forschungsmittel des Forschungskollegs Kulturwissenschaftliche Technikforschung (Prof. Hengartner). Herr Tidjani wurde aufgrund regionaler und Sprachkenntnisse gewählt.
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gruppenbezogene Interaktionen erfolgten, und meine Anwesenheit war auch
nicht immer erwünscht. Viele Diskussionen zu rechtlichen Problemen der Arbeit der Radiosender konnte ich mit Experten der HAAC in Cotonou und
Natitingou und den Vertretern der Journalistenverbände im Maison des
Médias in Cotonou führen. In dieser Hinsicht war die Teilnahme an einem von der West African Media Foundation in Zusammenarbeit mit DANIDA (Danish International Development Agency) organisierten Workshops im No-
vember 2008 in Parakou von Bedeutung, auf dem die Teilnehmer – überwiegend Mitarbeiter von Radiostationen in Benin – am neuen Pressegesetz arbeiteten, dass inzwischen dem Parlament vorliegt.
Am Anfang meiner Abhandlung müssen allerdings noch einige Vorbe-
merkungen erfolgen, die diese Studie im Kontext neuerer medienethnologi-
scher Untersuchungen in Westafrika positionieren. Hier liegt der Fokus primär auf Radiokulturen. Das Radio ist nach wie vor das wichtigste Massenmedium, und die hier vorgelegten Analysen lassen sich auch gut mit
anderen Studien zu diesem Bereich, die in den Afrikawissenschaften immer noch zahlreicher als zu anderen Medien sind, in Beziehung setzen. Ich habe zwar ausgewählte Radiosender intensiv begleitet, aber dabei bewusst nicht nur eine Station ins Blickfeld gerückt, da eine zu einzelfallorientierte Dar-
stellung den gegenseitigen Einflüssen der Sender, übergreifenden Tendenzen sowie der Vielfalt der Radiokulturen in Benin nicht gerecht werden kann. Diese Erweiterung auf einen nationalen Rahmen ist wiederum problema-
tisch, wenn es um Reichweiten internationaler Sender sowie kultureller Prozesse im überregionalen Maßstab, vor allem im frankophonen Raum geht. Zugleich wird vor allem die Begrenzung auf das Medium Radio immer mehr problematisch, insofern als gerade in urbanen Räumen Mediennutzer ver-
schiedenste Informations- und Unterhaltungsmedien kombinieren, sich me-
diale Inhalte auch im Wechselspiel verschiedener Medien entfalten und zir-
kulieren. Hinzu kommt, dass Medienproduzenten auch von anderen Medien beeinflusst wurden, und Medieninhalte einen zunehmend hybriden und intermedialen Charakter annehmen.
Schließlich wechseln junge Medienprofessionelle auch in Benin zwischen
den Medienunternehmen, hinsichtlich ihrer Arbeitgeber oder ihrer paralle-
len einkommensgenerierenden Tätigkeiten. Durch das Mobiltelefon, aber
auch das Internet ergeben sich trotz noch unzulänglicher Zugangsmöglichkeiten auch in Benin neue Möglichkeiten für die Zirkulation medialer In-
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halte. Diese erweitern jene der ‚älteren‘ Massenmedien auf neue Weise. Me-
dienspezialisten wie Journalisten stellen ihre Veröffentlichungen aus den verschiedensten Medien-Quellen zusammen. Viele dieser Prozesse werden in
dieser Studie auch beleuchtet (vgl. Kapitel V,1 zu grogne-Sendungen); ihre
adäquate Betrachtung verlangt aber zukünftig von Anfang an ein anderes Forschungsdesign. Demgegenüber stellt das Radio als Teil des journalisti-
schen Feldes (Bourdieu 1998: 74p.; vgl. auch Benson und Neveu 2005) von Akteuren, Technologien und Institutionen14 für die meisten Beteiligten in Benin einen etablierten semantischen Raum dar, der die Forschung in idealer Weise leitete. Gerade für sehr junge und sehr alte Nutzer ist das Radio neben dem TV ein Leitmedium. Wenn hier Nutzer angesprochen sind, so muss eben-
falls einschränkend angemerkt werden, dass diese Arbeit primär die Produktion radiomedialer Inhalte anspricht. Die Perspektive der Hörer, ihre Wech-
selbeziehungen zu Radiomitarbeitern, ihre Gewohnheiten des Radiohörens im Alltag sowie im Lebenslauf wurden am Beispiel bestimmter Stadtviertel
und sozialer Gruppen sowie anhand ausgewählter Sende-Formate analysiert. Eine umfassende Rezeptionsstudie wird hier nicht vorgelegt: einerseits,
weil dies im Rahmen einer Einzelforschung zeitlich nicht zu leisten war, an-
derseits hier aber auch ein noch breiteres Methodenarsenal hätte Anwendung finden müssen, dass noch viel stärker quantitative sowie psychologische Methoden erfordert hätte. Generell liegen aber noch zu wenige Rezeptionsstudien für das subsaharischen Afrika vor, was ein Desideratum zukünftiger Forschung darstellt.
WARUM „TECHNOLOGISCHE DRAMEN“? Vorweg eine Bemerkung zum Titel der Arbeit. Hier ist nicht jenes vom The-
ater beeinflusste Radioformat des radio drama (Gunner 2000) gemeint. Drama wird vielmehr als ein gesamt-gesellschaftlich geprägter Prozess aufgefasst, der generelle Umgangs- und Deutungskonflikte im Zusammenhang
mit der Einführung von Medientechnologien beschreibt. Diese Prozesse be-
14 Bessire und Fisher (2012) nutzen für die Beschreibung der gesellschaftlichen Einbettung des Mediums den Begriff „radio fields“ als „intersection of radio, technology and social relations“ (op.cit.:4; 34), der m.E. mit dem Ansatz von Bourdieu vergleichbar ist.
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ziehen inhaltliche wie technologische Aspekte der Medienproduktion gleichermaßen mit ein. Sie gehen von einem Wechselspiel der Nutzer, institutio-
neller Akteure, Produzenten sowie Technologien aus, das aber nicht vollkommen beliebig verläuft. Die besonderen Hintergründe, Aushandlungsprozesse
und Wendepunkte dieser Dramen sollen im Mittelpunkt der Arbeit stehen.
Der Titel des Buches bezieht sich also auf einen Begriff von Pfaffenberger (1992b), der viele der hier skizzierten Entwicklungen im Feld des Rundfunk in Benin in den vergangen Jahren zugleich deskriptiv und theoretisch rah-
men kann. In deskriptiver Hinsicht können Entwicklungen des Radios in Benin, vor allem die Durchsetzung gegen vielfältige Rückschläge und Wider-
stände, bestimmter Sende-Formate sowie ihre Aneignung durch die Hörer als
Dramen gesehen werden. Die Veränderungen des Radiofeldes in Benin vollziehen sich quasi in bewegten Auseinandersetzungen zwischen verschiede-
nen Akteuren, die versuchen, ihre Interessen und Positionen durchzusetzen,
d.h. bestimmte Nutzungsformen des Radios im Alltag etablieren. So wurden
1997 z.B. private Sender in Benin zugelassen, die aber an viele Auflagen ge-
bunden waren. Trotzdem entwickelten Radiomitarbeiter auch kritische
Sende-Formate wie grogne matinal oder questions actuelles, die dann zeitweise verboten, aber auf Druck der Hörer und Journalisten wieder zugelassen und – in veränderter Form – wieder ausgestrahlt wurden. Heute sind diese Sen-
dungen nicht mehr aus der radiomedialen Öffentlichkeit Benins wegzudenken.
Es sind (sozio-)15technologische Dramen, die die Etablierung der radio-
medialen Technologien hervorbringen. Sie erzeugen eine ganz eigene „Dra-
maturgie“ der Ereignisse (Boom und Krisen von Stationen, Sende-Formaten etc., die u.a. durch Implementierung von Gesetzen, politische Zensur, domi-
nante Sende-Formate, zentrale Inhalte und mediale Ereignisse, aber auch das Momentum des Mobiltelefonbooms) beeinflusst wird, die aber auch mit ge-
samtgesellschaftlichen Veränderungen und ihren Widersprüchen verbunden
sind, und sich z.B. in der allgemeinen Zunahme moralischer Debatten im öffentlichen Raum in Benin zeigen.
15 Da Pfaffenberger gesamt-gesellschaftliche Prozesse technologie-induzierten Wandels diskutiert, sollte meines Erachtens auch sein Leit- Begriff etwas erweitert werden. Somit müsste man konsequenterweise von einem sozio-technologischen Drama sprechen. Ich nutze den Originalbegriff aus Gründen der Vereinfachung.
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Der Begriff des technologischen Dramas ist aber mehr als nur Narrativ.
Er stellt zugleich auch einen theoretisch-analytischen Rahmen bereit, der diese Veränderungen im journalistischen Feld des Radios als Transformatio-
nen sozio-technischer Konstellationen (Rammert 2006b) deuten hilft. Der Begriff vermag – ähnlich wie z.B. der Ansatz des Circuit of Culture (Du Gay et al. 1997) – den soziokulturellen Gesamtprozess der Einführung technischer
Innovationen zu beschreiben, aber zugleich eine Offenheit und Vielfalt der
Verlaufsformen solcher Wandlungsprozesse jenseits technikdeterministischer Vorannahmen abbilden. Im hier diskutierten Zusammenhang lassen sich bestimmten Typen von Konflikten bzw. Aushandlungen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Radiotechnologien in Benin dann bestimmte
‚kleinere‘ oder ‚größere‘ Dramen beschreiben (siehe Abschnitt VI, 2). In den Grundzügen dieses Ansatzes beziehe ich mich also im Besonderen auf die
Arbeiten des Technikethnologen Brian Pfaffenberger (1992), der diesen im Anschluss an Victor Turners (1975) Begriff des sozialen Dramas und seinen Phasen breach, crisis, redressive action und reintegration or schism (op.cit.: 91f.)
entwickelt hat. Ausgangspunkt ist im Ansatz von Pfaffenberger ein soziotechnisches System.
Auf den Rundfunk in Benin bezogen bedeutet dies, dass Radiogestalter,
Hörer, die nutzbare Medientechnik, im weitesten Sinne auch Medienpoliti-
ker, Firmen, Radiomechaniker etc. ein Handlungsfeld bilden, das zugleich von all diesen beständig ausgehandelt und verändert wird. Im Verlaufe ihrer Einführung und Etablierung durchlaufen die jeweiligen sozio-technischen Systeme (wie z.B. ein Bewässerungssystem, Transportsysteme, neue medizinische Verfahren, Personalcomputer) Phasen einer größeren Offenheit ihrer
Interpretation und Aneignung sowie jener der Schließung, Implementierung und Etablierung von Deutungs- sowie dominanten Nutzungsformen.16
Pfaffenberger unterscheidet im Wesentlichen drei primäre Phasen oder
Momente17 des technologischen Dramas. Zunächst erfolgt die technological regularization, d.h. die offizielle Einführung technischer Entwicklungen unter
16 In dieser Hinsicht kann an den klassischen, auf die Wissenschafts- und Technikentwicklung bezogenen Ansatz der STS angeknüpft werden, der von einer generellen Deutungsoffenheit bzw. interpretativen Flexibilität hinsichtlich neuer Technologien Bijker et al. einerseits und Momenten der Schließung (closure) bzw. Stabilisierung (op.cit.: 44) andererseits geprägt ist. 17 Pfaffenberger bildet noch Unterkategorien zu den jeweiligen Ebenen.
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politischen Vorgaben (hier die Einführung von UKW-Radiotechnik kleinerer
Reichweite sowie die Zulassung auch unabhängiger Radiosender). Nachfolgend beschreibt er die Phase des technological adjustment – hier die Anpassung an und Integration von Medientechnik in lokale Lebenswelten (beispielweise der Bau von kleinen ländlichen Radiostationen, die vorwiegend in einheimischen Sprachen senden).
Alternativ könnte sich technological reconstitution vollziehen, d.h. eine Ab-
lehnung oder Umwidmung derselben Technologien (beispielweise der Bau
von Mini-Piratensendern sowie die Einführung von freien Anrufer-Sendungen), die wieder auf die technologische Entwicklung sowie politische Ebene im engen Sinne zurückwirken können (Verbote oder Integration nach Ver-
handlungen). Am Ende einer (momentanen) Schließung dieses Prozesses ste-
hen dominante Nutzungsformen und – politiken, die jedoch immer wieder aufgebrochen werden können. ‚Drama‘ bezeichnet also einen Prozess der De-
stabilisierung und Restabilisierung sozio-technischer Systeme, der im Gegensatz zum Modell des Circuit of Culture (op.cit) stärker gesellschaftliche Konflikte der Technikaneignung akzentuiert. Für die Analyse der hier
diskutierten Veränderungen der Radionutzung in Benin, sollen aber selbstredend weitere Begriffe in dieser Studie leitend sein. Sie werden zunächst im
Rahmen eines Überblicks über die Struktur des Buches allgemein vorgestellt und dann in den einzelnen Kapiteln der Studie, eng am empirischen Material, genauer diskutiert.
Nach einer Vorstellung des methodischen Rahmen der Studie zeichne ich
die Konturen des (radio)journalistischen Feldes in Benin nach, das im An-
schluss an Bourdieu (1985, 1998) als Gesamtensemble von Akteuren, Institutionen, Ressourcen, Spielregeln und Bedeutungen verstanden wird. Der
Feldbegriff umreißt die Emergenz bestimmter gesellschaftlicher Handlungs-
bereiche (wie z.B. jene der Wirtschaft, des Rechtes, der Politik, oder der Literatur). Ein soziales Feld – wie jenes des Fernsehens (op.cit), des Radios – ist ein weitgehend autonomer sozialer Raum, bei denen bestimmte Interessen, die Verteilung verschiedener Kapitalsorten, auf die Ressourcen des Feldes bezogene Strategien und Positionsbildungen Pole erzeugen und das Feld dadurch strukturieren. Die Akteure des Feldes sind durch die Art und die
Institutionalisierung ihrer jeweiligen Praxen miteinander verbunden (Bourdieu et al. 1985; Bräuchler und Postill 2010).
Der Feldbegriff gilt als Leitbegriff für die Abschnitte 3 und 4 der Kapitels
I Radio in Benin. Medienpolitik und Institutionen. Hier werden die Geschichte
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des Radios in Benin, die wichtigsten politischen Rahmenbedingungen, ge-
setzlichen Grundlagen, Behörden und Institutionen vorgestellt. Vervollständigt wird dies durch eine Übersicht der Radiosender in Benin. Im Anschluss
daran werden unter der Überschrift Akteure und Technologien im Kapitel II die alltägliche Produktion von Radioinhalten, bestimmte Sendertypen sowie
Karrierewege verschiedener Generationen von Radioprofessionellen in Benin beleuchtet. Das Kapitel III Radiosendungen und Aspekte der Mediatisierung öf-
fentlicher Kommunikation geht hingegen auf verschiedene Sendeformate18 ein und verweist am Beispiel von Radiowerbung auf neue Verbindungen zwi-
schen ökonomischen und Medienakteuren, neuen Öffentlichkeiten und Kommunikationsstilen.
Im nachfolgenden Kapitel IV Aneignungen stehen demgegenüber die Ra-
diohörer. Hier wird auch auf die Rolle von Radiogeräten im Alltag sowie im
individuellen Lebensverlauf eingegangen. Dabei wird auf besondere Praxen der Nutzung von Radiotechnik in Benin fokussiert und neben dem bereits
eingeführten Begriff der Radiokulturen vor allem jener der Aneignung (appropriation) verwendet. Ich verstehe diesen als aktiven soziokulturellen Prozess der Inkorporation und Transformation der ins Land eingeführten Radi-
otechnik. Er umfasst verschiedene Teilaspekte, u.a. die räumliche, aber auch ludische Dimension dieser Aneignungsprozesse.
Auch im Falle Benins können wir von einer sozialen und technischen
(Co)Produktion19 von Radiokultur(en) sprechen, die vor allem im Kapitel V
Mediale Interaktionen näher beleuchtet wird. Hier wird mit Fallanalysen zur grogne- Sende-Format sowie zu intimen Ratgeber-Sendungen den engen Wechselwirkungen und Verschränkungen zwischen Nutzern und Produzen-
ten sowie Technologien und Inhalten nachgegangen. Ausgehend von diesen Beispielen soll schließlich im Schlusskapitel VI Zusammenfassung und Aus-
blick die Diskussion der generellen Veränderungsprozesse des radiomedialen
18 Als Sende-Formate bezeichne ich eine Gruppe ähnlicher Typen (z.B. Musikprogramme) von Rundfunkprogrammen (nicht Sendern). Sie bestehen aus verschiedenen Genres (z.B. Gospelmusikshows). 19 Co-production bezeichnet das Wechselverhältnis zwischen außen- bzw. institutionell induzierter Technikentwicklung und soziokulturell- bzw. nutzerbezogenen Formung von Technologien, bzw. der engen Verknüpfung beider Instanzen (Oudshoorn und Pinch 2003).
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Feldes und der Radiokulturen in Benin unter Einwirkung institutioneller In-
terventionen wieder aufgegriffen werden. Dabei wird vor allem der konflikthafte Verlauf der Entfaltung interaktiver Sendungen unter Nutzung des er-
wähnten Begriffes des technologisichen Dramas von Pffaffenberger (1992b) interpretiert werden.
In dieser Arbeit wird aus Gründen der Vereinfachung auf eine gender-
neutrale Schreibweise der Nomina verzichtet, die in der Regel – sofern nicht explizit gekennzeichnet bzw. aus dem Satzkontext erkennbar – für alle Geschlechter gilt. Akronyme werden bei ihrer ersten Erwähnung erläutert, aber
in einer gesonderten Liste im Anhang noch einmal aufgeführt. Die Darstellung von Beobachtungen und die Vorstellung einzelner Personen beziehen sich auf verschiedene Zeitpunkte der Feldforschung zwischen 2007 und
2013, erfolgen aus stilistischen Gründen (Tagebuchaufzeichnungen) aber meist im ethnografischen Präsens.
Teile der Studie beziehen Daten aus früheren Veröffentlichungen mit ein,
so in den Abschnitten II,2 (Grätz 2010); II,3 (Grätz 2011b); III, 2 (Grätz
2013), IV,4 (Grätz 2012b) und V,2 (Grätz 2009, 2014). Ich habe mich zudem entschieden, nur wenige theoretische Leitbegriffe in der Arbeit anzuwenden, die helfen, die unterschiedlichen Aspekte der medialen Wandlungen zu in-
terpretieren. Diese Entscheidung soll der besseren Fokussierung auf die rele-
vanten empirischen Prozesse dienen. Viele theoretische Referenzen sind eng mit dem empirischen Material verknüpft und werden daher direkt in den
einzelnen Kapiteln, und nicht in einer langen theoretischen Abhandlung, entfaltet.
3. Geschichte und Politischer Kontext der Radioproduktion in Benin Bevor im nachfolgenden Abschnitt die aktuelle Situation der Radiolandschaft
in der Republik Benin skizziert wird, blicken wir zunächst auf die Geschichte
des Rundfunks in Benin zurück. Das kabellose Radio hat auf institutioneller
Ebene keine lange Vorgeschichte in Benin. Radiosendungen gibt es in Benin seit den 1950ern, zunächst in Gestalt des staatlichen Rundfunks. Der erste
Radiodienst in der früheren französischen Kolonie Dahomey, Radio Cotonou, begann mit seinen Sendungen am 7.März 1953. Zu jener Zeit handelte es
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sich noch um keine etablierte Radiostation. Der Sendedienst wurde aus ei-
nem örtlichen Postamt in Akpakpa, einem Stadtviertel Cotonous, zunächst
nur mit einem 1 KW-Sender auf Mittelwelle und einem 250 W-Sender auf Kurzwelle, sowie einer begrenzten Anzahl von fünf Mitarbeitern unter Lei-
tung von Jean-Claude Bertault gefahren, die jeden Tag 75 Minuten-Programm produzierten (ODEM 2001). Die ersten größeren Radiostudios wurden 1957 im Stadtzentrum von Cotonou mit Hilfe der SORAFOM (Société de
Radiodiffusion de la France d'outre-mer) eingerichtet (heute bekannt als Ancienne Maison de la Radio, teilweise noch genutzt vom staatlichen Sender At-
lantic FM). Die Station wurde 1958 in Radio Dahomey und 1970 in La Voix du Progrès umbenannt und sendete auch nach dem Jahre 1960 als Staatsrundfunk, als das Land die Unabhängigkeit erreichte.
Die Sendungen wurden in der Woche vor allem morgens und abends auf
Kurzwelle und später auf Mittelwelle über zwei Sendeanlagen (Chaine National 1 sowie Chaine National 2-régionalisée, Vorläufer von Radio Parakou)
übertragen (Deutsche Afrika-Gesellschaft 1970: 55). In den 1960er und frühen 1970er Jahren beeinflussten Programme aus Zentral- und dem südlichen Afrika, aus Libreville, Yaoundé, Kinshasa oder Brazzaville, die meist auf
Kurz-oder Mittelwelle empfangen wurden, die Freizeitkultur. Vor allem Mu-
sikprogramme wurden gehört und beeinflussten Musiker und die ersten Tanzbars der städtischen Zentren Benins.
Die ersten Radiogeräte, die damals noch ein Statusgut darstellten, brach-
ten in dieser Zeit Arbeitsmigranten ins Land, die aus Ghana und Nigeria zu-
rückkehrten (zur Veränderung der Gerätekultur vgl. Abschnitt IV,2). Im Jahre 1962 wurden die ersten Programme auch in einheimischen Sprachen
eingeführt; ein Dienst, der 1968 und dann vor allem ab 1976 mit der Einrichtung einer besonderen Abteilung, Service Radio Rurale, weiterentwickelt
wurde. In den 1980er Jahren wurde das Angebot von Radiosendungen in einheimischen Sprachen erheblich erweitert. Nun wurden Sprecher – oft Studierende oder Angestellte aus den entsprechenden Landesregionen – rekru-
tiert, die Sendefenster im Programm des staatlichen Rundfunks gestalteten (heute in 18 Sprachen). Hier dominierten entwicklungspolitische Programme, aber auch Kultursendungen, die die Musikstile und Festkulturen
der einzelnen Regionen des Landes vorstellten. Diese begleiteten allgemein
die zunehmende Stärkung einheimischer Sprachen, u.a. in den commissions linguistiques, die vor allem in den 1980er Jahren sehr aktiv waren.
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Anfang der 1970er Jahre wurde ein neues Radiozentrum (und später ab
1978 ein TV-Dienst)20 nahe des Flughafens errichtet. Der staatliche Radiodienst (la chaîne nationale) wurde als Teil des ORTB (Office de Radiodiffusion et Télévision du Bénin) durch die Ausstrahlung auf UKW, MW und KW ausge-
baut und durch einen leistungsstarken Sendemast in Abomey-Calavi und viele neue Relais-Übertragungszentren im Lande erleichtert. Dies erfolgte mit Mitteln der UNESCO und der Entwicklungszusammenarbeit (im Folgenden:
EZ), unter anderen der BRD.21 Der Radiodienst wurde durch die Regierung
der Revolution (ab 1972 bis 1989) besonders gefördert und in La Voix de la Révolution umbenannt (Chabi 2002; Bardelli-Danieli 2001). Er hatte das pri-
märe Ziel, die marxistisch-leninistische Ideologie zu verbreiten, die das damalige Regime angenommen hatte.
In der Zeit der Revolution war das Hören von Radiosendungen für Staats-
angestellte quasi Pflicht. In dieser Zeit dominierten Propagandasendungen, vor allem im Nachrichtenbereich und direkte Einflussnahmen durch das In-
nenministerium.22 Aber auch in dieser Zeit waren viele Radiomitarbeiter in
manchen Bereichen sehr kreativ, z.B. in der Schaffung von Hörerclubs (Saxer et al. 1984).
Später kam eine zweite staatliche Sendeanstalt in Parakou im Norden
Benins, 400km nördlich von Cotonou, hinzu. Radio Parakou wurde zunächst im Jahre 1963 als kleine Relaisstation für Radio Cotonou mit einem geringen
eigenredaktionellen Anteil installiert, im Jahre 1972 aber wieder geschlossen. Dann wurde aber (ebenfalls mit deutscher Entwicklungshilfe) eine neue,
größere Station errichtet, die am 23. März 1983 den Sendebetrieb auf Mittel-
20 Das Fernsehen war durch französische Hilfe bereits installiert und sollte eigentlich schon eher seinen Betrieb aufnehmen, der Militärputsch von 1972 verzögerte aber das Projekt. Der neue Staatschef Kérékou räumte dem Radio eine größere Priorität ein. Ende Dezember 2013 wurde das 35-jährige Sender-Jubiläum mit zahlreichen Veranstaltungen und Sondersendungen begangen. 21 Hier waren auch deutsche Experten (u.a. vom saarländischen Rundfunk) unter Federführung der GTZ beteiligt. 22 Viele Mitarbeiter des staatlichen Rundfunks erinnern sich an die zahlreichen Interventionen seitens des damaligen Innenministers Col. Martin Dohou Azonhiho. Einige Journalisten hielten dem Druck nicht stand und emigrierten (Jerôme Carlos, Issiaka Soulé), andere arrangierten sich (inf. Diogo Pelu, Cotonou, März 2011, Ephrem Quénum, März 2011).
34 | T ECHNOLOGISCHE D RAMEN
und Kurzwelle aufnahm. Es ging darum, die Radioversorgung mit weiteren einheimischen Sprachen auch im Norden des Landes zu verbessern.
Radio Parakou (La station régionale) verfügte offenbar über Spielräume,
die das zentrale Radio nicht hatte. So wurden bewusst auch Hörer eingela-
den, per Brief kritische Meinungen zur Situation in den Regionen zu äußern, die z.T. auch verlesen wurden. Dies war von der Form heutiger kritischer
Anrufer-Sendungen weit entfernt, aber stellte eine Neuerung dar. Redakti-
onsmitarbeiter von Radio Parakou waren es auch, die – unter vielen Mühen aufgrund der Abwesenheit guter Telekommunikations- und Postinfrastrukturen – ein Netzwerk von ehrenamtlichen Korrespondenten aufbauten. Es han-
delte sich um Lehrer oder Angestellte der Verwaltung, die das Funknetz des
Innenministeriums in einigen Zeitfenstern für Berichte aus entlegenen Regionen nutzen konnten. Das System besteht bis heute- allerdings nun auf der Basis von Mobiltelefonen (David Ogouchina, Parakou, Oktober 2010).
Parallel zu diesen Entwicklungen wurden aber auch Auslandssender wie
RFI (Radio France International), Deutsche Welle oder BBC (British Broadcasting Corporation), vor allem seit den 1980er Jahren, auch Africa
No.1 auf Kurz- und Mittelwelle gehört. Der staatliche Mediensektor wurde
durch Zeitungen wie EHUZU (heute: LA NATION) und AUBE NOUVELLE sowie die mit Regionalzentren arbeitende Presseagentur Agence Benin Press (ABP) komplettiert.
Seit der demokratischen Erneuerung (Renouveau Democratique) ab 1990
hat eine Medienliberalisierung in der Republik Benin eingesetzt (Carlos und
Djogbénou 2005; Adjovi 2001). Zunächst erfolgte die Gründung vieler staats-
unabhängiger Zeitungen (Campbell 1998; Frère 2000). Obwohl von den meisten Gebern seit Beginn der neunziger Jahre als ‚Musterschüler’ der De-
mokratisierung angesehen war Benin im Vergleich zu anderen Ländern im subsaharischen Afrika (z.B. Mali, Ghana, Senegal) allerdings zunächst kein
Vorreiter in der Zulassung neuer, unabhängiger Radiostationen. In einem ersten Schritt kam es ab 1994 zur Gründung von fünf so genannten Radios Rurales, d.h. Gemeinde- Radiosendern (d.h. nichtkommerzielle Rundfunksta-
tionen in Eignerschaft gemeinnütziger Vereine oder dezentraler Gebietskör-
perschaften) mit staatlicher und internationaler Geber-Förderung (Grätz
2000b), die vorwiegend in kleinen ländlichen Gemeinden eingerichtet wurden und überwiegend in einheimischen Sprachen sendeten (Da Matha 1995). Schließlich wurde in Benin 1997 ein Gesetz zur Liberalisierung der Me-
dienlandschaft (Loi Nー37 010 du 28 Février 1997 sur la libéralisation de l’espace
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audiovisuel) verabschiedet, das unter anderem die Gründung weiterer ge-
meinnütziger oder privater (kommerzieller) Stationen – einschließlich reli-
giös orientierter Sender – ermöglichte. In der Folge kam es zu drei Wellen (1998, 2003, 2013)23 der Zulassung vieler staatsunabhängiger Radiostatio-
nen und einiger (weniger) privater TV-Sendern durch die Medienbehörde HAAC (siehe unten). So wurden seit 1998 und nach einer zweiten Ausschreibung dann im Februar 2003 weitere Sender, unter anderem der verschiedenen Religionsgemeinschaften (Radio Alléluia FM, Église du Christianisme
Céleste; La Voix d’Islam, Mosquée Centrale Cotonou; Radio Maranatha, Conseil des Églises Protestantes et Évangéliques du Bénin (CEPEB); Radio Immaculée Conception, Conférence épiscopale du Bénin) von der HAAC zugelassen.
Im Rahmen der Ausschreibung 1998 wurden unter Federführung des
Institut Kilimandjaro (Projet PACOM), im Auftrag der Schweizer Entwick-
lungsmission, die Einrichtung von fünf weiteren ländlich-kommunalen Ra-
dios ab September 2000 ermöglicht. Weitere kamen ab 2003 in verschiede-
nen Landesteilen hinzu. Alle Stationen müssen nach sechs Jahren ihre
Zulassung in Form eines neuen Vertrages mit der HAAC erneuern lassen. Die Mehrzahl der kommerziellen bzw. privaten Stationen sendet im Gebiet von Cotonou, der größten Stadt Benins im Süden des Landes, wo die Dichte der
Stationen auch durch internationale Sender auf UKW (RFI, BBC, Africa No.1) immer größer wird.
Vor allem die vielen neuen Radiosender haben die Medienlandschaft so-
wohl im urbanen als auch ländlichen Raum bereichert. In Ballungsräumen wie Cotonou ist das frei empfangbare mediale Angebot fast ebenso groß wie
in deutschen Großstädten. Auf dem Lande ist dies weitaus geringer. Die lokalen Radiosender werden – trotz vieler technischer und organisatorischer
23 Im Jahre 2013 wurden erneut Radiosender zugelassen und älteren Sendern Relaisstationen zugestanden. Es wurden sieben neue Sender, davon sechs kommerzielle Stationen (Diaspora FM, Abomey-Calavi; Radio Dialogue, Banikoara; Radio Aïfa Fm, Glazoué; Frissons Fm, Cotonou; Royal FM in Porto-Novo und Radio Soleil FM, Sèmè-Kpodji) und ein religiöser Sender (Hossana FM, La voix de l’Espérance in Porto-Novo) lizensiert (décision N°13-011/HAAC du 26 mars 2013; portant attribution de fréquences aux promoteurs sélectionnes pour l’installation et l’exploitation de radiodiffusions sonores et de télévisions privées).
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Probleme – von der lokalen Bevölkerung meist gut angenommen (Grätz 2000b; 2010).24
Auch die verstärkte Einführung von Informations- und Kommunikations-
technologien (IKT) seit dem Ende der 1990er Jahre ist nicht unwichtig, weil
sie die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten ebenso wie Informations- und Unterhaltungsangebote der Nutzer erheblich erhöht. Es gibt – vor allem im Großraum Cotonou – inzwischen rund 200 Internetcafés, deren Nutzung
preiswerter geworden ist (Moratti und Tolo 2009). Neben Radio und Zeitung
hat das Internet bestehende mediale Öffentlichkeiten vor allem in der politi-
schen Kommunikation erweitert (vgl. Grätz et al. 2006). Internetcafés und kleine Telezentren verändern vor allem urbane Landschaften sehr stark. IKT sind z.T. auch ein Einkommensmotor. Es haben sich hier zudem auch neue Tätigkeitsfelder für Lehrkräfte aller Niveaus (Kurse der Heranführung ans
Internet, Schaffung von Webseiten, Netzwerkadministration), Webdesigner, Hardware-Händler, Mechaniker, aber auch spezialisierte Journalisten, Gut-
achter (consultants) und EZ-Programmleiter entwickelt. Diese Wandlung als
IT-Boom zu bezeichnen führt sicherlich zu weit, da die Nachfrage nach die-
sen Dienstleistungen, die ‚kritische Masse’ noch begrenzt ist. Zudem sind die Internetverbindungen in Benin nach wie vor sehr instabil und vor allem im Landesinneren nicht gut ausgebaut.
Auch in anderen medialen Bereichen vollziehen sich rasante Wandlun-
gen.25 Mobiltelefone haben wie in anderen afrikanischen Ländern auch in Benin einen besonders rasanten Boom erlebt. Das permanente Klingeln von Handys, die in Bars und Restaurants auf den Tischen abgelegt werden, die
überdimensionale Werbung für Telecom-Firmen in den Städten zeugen ebenso davon wie die zunemende Zahl der Anbieter. In Benin gibt es vier
24 Die Einführung digitaler Sende- und Empfangstechnik soll ab 2015 auch in Benin erfolgen). Dieser Veränderung hat Benin im Rahmen einer allgemeinen internationalen Konvention, die auf der World Radiocommunication Conference 2012 verabschiedet wurde, zugestimmt. Zunächst betrifft dies Fernsehprogramme, das Radio soll kurz darauf folgen. Viele herkömmliche Empfangsgeräte werden unbrauchbar, Übergangsregelungen sind daher zu erwarten. 25 Davon allein 100 in der ökonomischen Hauptstadt Cotonou (rund 700.000 Einwohner), weniger aber in peripheren Regionen (Grätz et al. 2006). In den Mittelstädten Parakou und Porto-Novo ist die Situation besser, dort gibt es jeweils rund 10 dieser Einrichtungen.
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große Mobilfunkfirmen. Die Preise fallen, die Zugänglichkeit zum Mobilfunk ist auch über Kleinstsummen im Prepaid-Verfahren möglich.
Die neuen Fernsehsender Golfe TV und Canal3, sind neben dem ersten
(vorwiegend Musikvideos ausstrahlenden) Privatsender LC2, dem staatlichen
Fernsehsender ORTB26 und kleineren lokalen Fernseh-Stationen wie TV-Carrefour (Bohicon) und TV-Inmale (Porto-Novo) Teil von Mediengruppen, zu denen auch Zeitungen und Radiosender gehören.
Die zentrale institutionelle Stellung in der beninischen Medienlandschaft
nimmt wie erwähnt die paritätisch besetzte oberste Medienbehörde HAAC
ein. Die HAAC besteht seit 199227 aus einem jeweils fünf Jahre amtierenden, neunköpfigen Leitungskolleg sowie festen technischen Mitarbeitern. Das Leitungskolleg setzt sich zum einen aus drei intern gewählten Vertretern der
Journalisten und Arbeitgeber des Medienbereichs (davon einer für Presse
und audiovisuelle Medien sowie ein Techniker), drei gewählten Vertretern des Parlaments (Assemblée Nationale) sowie drei vom Staatspräsidenten bestimmten Vertreter des Staates (die jeweils einen Juristen, einen Vertreter
der Zivilgesellschaft sowie einen Medienfachmann umfassen) zusammen. Der Präsident der HAAC wird von der Regierung Benins ernannt.
Die HAAC unterhält regionale Niederlassungen, vergibt Presseausweise28
und arbeitet mit verschiedenen Unterkommissionen (commissions permanen-
tes), denen jeweils ein Mitglied des Leitungskollegs vorsteht. Die HAAC
26 Das Fernsehen des ORTB erreicht nicht das gesamte Landesterritorium, der Norden des Landes wurde aber durch den Bau neuer Relaissender schrittweise besser abgedeckt. Die Programme werden dorthin per Satellit übertragen. Die entsprechenden Anlagen hatte die Firma TITAN installiert (die später in die Schlagzeilen kam, weil diese später offenbar nichtdeklarierte Mittel zur Wahlkampfhilfe an die damalige Regierung Kérékou überwies, um eine Mobilfunklizenz zu bekommen (Adoun und Awoudo 2008:185). Konkurrenz bietet der private Sender CANAL3, der überwiegend per Satellit empfangen werden kann. 27 Loi Organique N°92-021, 21 août 1992 relative à la Haute Autorité de l‘Audiovisuel et de la Communication. 28 Ein Presseausweis wird nach einem aufwändigen Verfahren durch die HAAC vergeben. Sie ruft ca. alle fünf Jahre Kandidaturen auf, und vergibt dann Presseausweise an jene, die eine journalistische Ausbildung, Berufserfahrung, Arbeitsproben sowie ein berechtigtes Interesse – durch ihre entsprechende Position im Sender – nachweisen können).
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schreibt in regelmäßigen Abständen Frequenzen aus, erfüllt eine Wächter-
funktion und geht Verstößen gegen die Auflagen der Sendeproduktion wie
Diffamationen etc. nach. Anonyme beauftragte Hörer, Mitarbeiter in ver-
schiedenen regionalen Niederlassungen (antennes régionales) sowie ein Mitschnittdienst sollen die Kontrolle gewährleisten.
Die Gründung eines Radiosenders in Benin kann – im Gegensatz zu Print-
Medien, die das Innenministerium auf einfachen Antrag hin zulässt – nur im Zuge des Erwerbs einer entsprechenden Sendelizenz durch die HAAC erfol-
gen. Diese Ausschreibungen werden meist im 5-Jahres-Ryhthmus veröffentlicht. In der ersten Phase können Interessenten eine erste Bewerbung unter
Angabe des grundsätzlichen Charakters der Station – privat, gemeinnützig,
religiös – abgeben. Sie müssen sich an Ausschreibungsunterlagen (cahier des charges; HAAC 2008) orientieren, die genaue Angaben zur technischen Aus-
stattung, finanziellen Basis, der Organisationsstruktur, der inhaltlichen Pro-
grammplanung sowie der zukünftigen Ziele und Hörer einfordern. Dann trifft die HAAC eine Vorauswahl die seriösesten Projekte. Anschließend werden die Kandidaten aufgefordert, weitere Unterlagen einzureichen, bevor dann
die Entscheidung über die Zuweisung einer Frequenz sowie die Unterzeichnung eines Zulassungsvertrages (convention) erfolgen.29
Die HAAC hattte einigen Sendern jedoch auch die Sendelizenz entzogen,
so im Falle von Radio Star (2008) sowie La Voix Islamique de la Donga (nach
2005), aber auch – für kürzere Zeit – CAPP FM (November 2009, vgl. Abschnitt I,4) und Radio Rurale Locale Tanguiéta (Februar 2010). Die HAAC
wird von den Journalisten in Benin generell anerkannt. Letztere kritisieren aber die ihrer Meinung nach oft zu große Nähe des Präsidenten der HAAC
zum Präsidenten, zu harte Urteile, die als Zensur aufgefasst werden, und de-
ren nicht immer eindeutige gesetzliche Grundlagen.30 Eine wichtige Rolle in 29 Das jüngste Zulassungsverfahren neuer Radiostationen wurde- unter Ausnutzung rechtlicher Unklarheiten – lange Zeit von der Regierung blockiert. Etliche bereits 2008 vorausgewählte Sender wurden nicht zugelassen. 30 Am 20.11.2012 hat die HAAC den Sender Canal 3 auf Betreiben des Präsidenten gezwungen, die kritischen Sendereihen sous l'arbre à palabres (für 3 Monate) sowie Actu Matin (für 2 Wochen) zeitweise abzusetzen (Committee to Protect Journalists 2012). In beiden Sendungen wurden Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Schaffung eines Trockenhafens angesprochen, die der ehemalige Berater des Präsidenten Lionel Agbo öffentlich erhob (18.9.2012). Gleichzeitig reichten einige beschuldigte Minister der damaligen Zeit eine Anklage gegen Berthe Cakpossa ein,
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der Medienlandschaft Benins spielen inzwischen auch das Journalistenzent-
rum Maison des Médias, das Observatoire de la Déontologie et de l'Ethique dans
les Médias (ODEM) und die Journalistenverbände. Geht es letzteren vor allem um Interessenvertretung, die Verbesserung von Arbeitsbedingungen sowie
Fortbildungsmöglichkeiten, so wirkt das ODEM als eine Art Selbst- Kontrollgremium der Journalisten Benins, das unabhängig von der HAAC möglichen
Problemen der Einhaltung von Normen journalistischer Produktion und der Einhalt des offiziellen Berufsethos (code de la déontologie de la presse béninoise (Godjo und Quénum 2009) nachgeht.
Das ODEM spricht nach der Untersuchung von Beschwerden, z.B. über
einzelne Artikel oder Sendungen regelmäßig auch Rügen aus bzw. fordert zu Richtigstellungen auf. Das ODEM veröffentlicht zudem regelmäßig Berichte
über seine Entscheidungen.31 Die Gremien der Journalistenverbände werden regelmäßig neu gewählt.32 Schließlich gehören zur Medienlandschaft in Be-
nin auch Förderinstitutionen, NRO und politische Stiftungen. So ist neben
Direktorin des TV-Senders Canal 3 Bénin, der Präsident gegen Agbo. Cakpossa und Agbo wurden später vom Präsidenten amnestiert. Auch RFI war von Abschaltungen betroffen, so im August 2011 (Friedrich-Ebert-Stiftung 2012b:25). 31 So wurden vom ODEM regionalistische Tendenzen der Zeitung LE BENINOIS am 11.1.2005, die anlässlich der Parlamentswahlen zur Einheit der Kandidaten des Südens gegen jene des Nordens aufrief, kritisiert (Adoun und Awoudo 2007: 47). 32 In Benin gibt es mehrere Verbände der Medienprofessionellen. Zum einen haben die staatsangestellten Journalisten ihren eigenen Verband (Syndicat national des professionnels des Médias du Bénin, SYNAPROMEB). Weitaus bedeutender ist die Union des Professionnels des Médias du Bénin (UPMB), die allen Journalisten (staatlicher wie privater Medien) offensteht und Untersektionen z.B. der Frauen (Cellule des Femmes) umfasst. Die UPMB vergibt regelmäßig Preise (z.B. der jährliche Concours des meilleures productions de Presse au Bénin in verschiedenen Kategorien), organisiert Weiterbildungen, setzt sich für soziale Belange der Journalisten sowie Medieneinrichtungen in Schwierigkeiten ein (wie z.B. für Radio Collines, Glazoué, das bei einem lokalen Konflikt im Jahre 2008 beschädigt wurde). Weiterhin arbeitet der Verband der Medieneigner, der Conseil National du Patronat de la Presse et de l’Audiovisuel (CNPA Bénin) sowie der Verband der jungen Journalisten (Fédération des jeunes journalistes professionnels des médias du Bénin) sowie die Section Béninoise de l’Union internationale de la Presse Francophone (UPF-BENIN). Schließlich gibt es zahlreiche Netzwerke spezialisierter Journalisten, z.B. für den Sport, lokale Sprachen, Frauenförderung, juristische Fragen oder den Wissenschaftsbereich (Association des Journalistes et Communicateurs Scientifiques du Bénin).
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der West African Media Foundation die Friedrich-Ebert-Stiftung in Benin generell im Bereich der Medienentwicklungszusammenarbeit in Afrika aktiv. In Benin hat sie die Gründung und Arbeit der Journalistenverbände ebenso
wie die Publikation von Berichten und Datensammlungen 33 zur Mediensituation gefördert. Hinzu kommt die Co-Organisation von Weiterbildungsseminaren für Journalisten.
Die Situation der Medien in Benin hat sich seit einiger Zeit allerdings
zunehmend verschlechtert. Kritische Berichterstattung findet nur in wenigen
Zeitungen und Radiostationen statt. Dies liegt zum einen an direkter Repres-
sion gegenüber Journalisten, die weniger in Form von – eher plötzlichen –
Verhaftungen (Assogba 2011: 87) erfolgt, sondern zeitweisen oder endgültigen Verboten für Sender oder Zeitungen, meist aufgrund politisch missliebi-
ger Berichterstattung. Zum anderen wendet die Regierung viele eher indi-
rekte Methoden der Beeinflussung der Medien an. Es gibt selten die aus anderen Staaten bekannten Anschläge oder Verwüstungen von Redaktionen. Jedoch werden viele Elemente einer indirekten Einflussnahme bzw. Zensur
des Staates, der so genannten soft censorship (Podesta 2009) werden deutlich. Dazu zählen u.a. die administrative Behinderung kritischer Stationen,
der Einsatz von Finanzmitteln, die Blockade von Mediengesetzen, die Koop-
tation von namhaften Medienakteuren sowie persönlicher Druck auf einzelne
Journalisten und deren Vorgesetzte. Die finanzielle Seite lässt sich über die
seit langem übliche und prinzipiell sinnvolle, aber vom Informationsministerium koordinierte Hilfe des Staates für die private Presse steuern. Da viele,
vor allem wenig auflagenstarke Zeitungen, ohne diese Mittel kaum überleben bzw. den staatlichen Presseorganen qualitativ ebenbürtig werden können,
gibt es ein Budget (Fonds de l‘aide de l’état à la presse privée), das in regelmäßigen Abständen verteilt wird. In diesem Zusammenhang hat die Regierung
unter Boni Yayi diese Hilfe aber an Bedingungen geknüpft, meist in Form eines Vertrages, der – verklausuliert – eine loyale Berichterstattung der Empfänger vorsieht. Etliche Zeitungen, Zeitschriften und auch Radiosender wie
33 Jährlich gibt die Friedrich-Ebert-Stiftung Benin die Agenda des Médias heraus, ein Kalendarium, das neben einem ausführlichen Adressverzeichnis der Journalisten des Landes und Dokumenten zur Gesetzgebung auch Leitartikel und Berichte zur Mediensituation des Landes enthält. Die Vorstellung der Agenda erfolgt meist auf einer großen öffentlichen Veranstaltung.
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Golfe FM haben sich diesem unterworfen und wurden quasi zu regierungskonformen Sendern.
Eine andere Form der Beeinflussung finanzieller Art ist die Steuerung der
Anzeigen und Werbeblöcke in den Medien, d.h. kritische Zeitungen werden
davon tendenziell ausgenommen, auch wenn ihre Auflage eigentlich groß ist, und so geht eine wichtige Einnahmequelle der Zeitungen verloren, was
sich auf die alltägliche Arbeit auswirkt. Schließlich wird ab und an das –
auch unter der Vorgängerregierung praktizierte – Mittel der Steuerinspektion (rédressement fiscale) eingesetzt, d.h. die Buchführung der Redaktionen hinsichtlich nicht deklarierter Einnahmen überprüft, um mögliche Steuerschul-
den ausfindig zu machen. Tendenziell lässt sich in dieser Hinsicht bei fast
jeder Redaktion, jedem Sender etwas finden – wie hoch man dann die Strafen ansetzt, in welcher Form man sie geltend macht, obliegt dann den staatlich beeinflussten Steuerbehörden und kann als Druckmittel eingesetzt werden.
Auch die Kooptierung von prominenten Medienakteuren und –unterneh-
mern kann als Einflussnahme des Staates im Medienbereich gesehen werden.
So wurde z.B. der Stationsdirektor von Radio Wêkè (Djrègbé nahe PortoNovo) Minister in der Regierung Yayi. Schließlich wird auf einige Journalis-
ten direkt Druck ausgeübt, bzw. dafür gesorgt, dass diese nicht mehr an prominenter Stelle arbeiten können.34 Auf die Radiolandschaft bezogen bedeutet
dies eine große Vorsicht vieler staatsunabhängiger Medien. So bieten viele Sender nur ein begrenztes, kaum regierungskritisches Nachrichtenprogramm
an. Viele von ihnen berichten zudem nur explizit über lokale Ereignisse, und
34 Ein beredter Fall ist in diesem Zusammenhang jener des Journalisten Willéandre Houngbedji. Von Hause aus Jurist, machte er eine Karriere in verschiedenen Zeitungen, war dann erfolgreicher Online-Redakteur der ersten Web-Zeitung in Benin L’ARAIGNÉE und wurde schließlich bei der staatseigenen Zeitung LA NATION angestellt. Dort schrieb er kritische Berichte über die Regierung Kérékou und setzte seinen Stil auch unter der neuen Regierung fort. Als Talent und dynamischer Journalist wurde er zunächst gefördert und zum Redaktionsassistenten ernannt. Die Einflussnahme der Regierung führte dazu, dass er aber degradiert wurde und eine Zeit lang in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Zeitung arbeiten musste. Seine Erfahrungen hat Houngbedji in zwei Büchern verarbeitet, eines davon wurde unter dem Titel „Scandales sous Yayi Boni“ veröffentlicht (Houngbédji 2008).
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begründen dies mit ihrem Sendeauftrag. Ausnahmen sind in dieser Hinsicht nur Océan FM, CAPP FM und Radio Tokpa FM.35
Es zeigen sich Merkmale einiger in Entwicklungsdiktaturen üblichen, un-
differenzierten Vorgehensweisen nach der Devise „wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Zudem strahlen die staatlichen Medien, allen voran das Fernse-
hen ORTB, z.T. auch Radio Benin (Cotonou), eine Lawine von Produktionen
in einer Art Propaganda- und Hofberichterstattung aus, die einem Personenkult um den Präsidenten und seine Aktionen nahe kommen.36 Ein deutliches Zeichen dieser Situation ist die Position Benins in der aktuellen Rangliste von Reporters sans Frontières.37 Hier ist das Land gegenüber früheren Einstufungen zurückgefallen.
Gegenwärtig hoffen Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft, dass
ein bereits neu erarbeitetes Mediengesetz vom Parlament verabschiedet
wird. Es sieht eine professionellere Gestaltung der Medienlandschaft Benins
vor, d.h. klarere gesetzliche Bestimmung bei Verstößen gegen das Mediengesetz (Akpovo 1999), einen besseren Zugang zur Information und den
Schutz von Informanten, aber auch strengere Zulassungskriterien von Pres-
seorganen und Journalisten. Das Gesetz wurde zuletzt im Februar 2014 wäh-
rend der zweiten Generalversammlung aller Medienakteure in Benin (États Généraux de la Presse) beraten, auf der zudem ein Katalog von Vorschlägen
zur Verbesserung der Mediensituation einschließlich staatlicher Subventionen sowie Einkaufsgemeinschaften erarbeitet wurde.
35 Yayi fühlt sich offenbar durch Medienberichte seriöser wie unseriöser Art immer persönlich angegriffen, viel stärker als sein Vorgänger Kérékou, der kaum Notiz von der Presse nahm. Die Vertreter der Journalistenverbände sind der Meinung, dass Pressevergehen bestraft, aber weder mit Gefängnisstrafen noch Berufsverboten geahndet werden sollten. 36 Die einseitige Berichterstattung des ORTB-Fernsehens mit seinen heute zwei Kanälen, La Télévision Nationale (im Volksmund „Yayi TV“ genannt) sowie (seit 2013) Bénin Business 24 führte nicht nur zu (folgenlosen) Beschwerden der Opposition (Segnigbindé 2013), sondern auch zu offenen Briefen einer Reihe von Mitarbeiter aus dem eigenen Haus. 37 Im Ranking der Organisation, dem Press Freedom Index, wird Benin derzeit an 79. Position geführt (2014). In den Berichten der Organisation wurde das Land mehrfach negativ erwähnt.
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Trotz dieser Ein- und Beschränkungen ist das Feld der Medien in Benin
generell, als Ensemble von Institutionen, Akteuren, Technologien und be-
stimmten Spielregeln seit 15 Jahren von einer zunehmenden Pluralität ge-
prägt. Diese Vielfalt wird von einer wachsenden Zahl der Medien(-institutionen) und ihrer Akteure sowie einer sich vergrößernden Diversität, in Bezug auf die Art der Medien, ihrer Inhalte und Kommunikationsformen, bestimmt.
Neben den bereits erwähnten Zeitungen, Radiostationen und TV-Sendern
finden wir auch immer mehr Medienproduktionsfirmen kleineren und grö-
ßeren Zuschnitts, vor allem in den Städten des Landes. Beispiel hierfür sind
die Firmen Media Productions, AG Partners, aber auch Acajou Communication, O’point.com und Max2procom, die Fernsehprogramme für den ORTB und Canal3, Werbung und Dokumentarfilme produzieren. Neben den rein kom-
merziell arbeitenden Produktionsfirmen gibt es auch jene, die in einem Bereich zwischen privat-kommerziellen und entwicklungspolitischen Zielen
und entsprechenden Auftraggebern arbeiten. Zu nennen sind hier z.B. die Medienproduktionsfirmen CILCOM oder ZIMProcom in Parakou.
Eine neuere Entwicklung ist die Entstehung von Medienkonglomeraten
(groupes de presse), die entweder private Unternehmer oder Karriere-Journalisten führen (vgl. II,4), wie z.B. Groupe de Presse Le Matinal (u.a. Océan FM),
Groupe de Presse Golfe Médias (u.a. Golfe FM) oder Groupe de Presse Fraternité (u.a. Fraternité FM). Diese halten zugleich Zeitungen und Zeitschriften, TV-
und Radiosender.38 Mediengruppen können größere Investitionen in MedienInfrastrukturen vornehmen, profitieren von Synergieeffekten der Verwaltung
sowie einem personellen und inhaltlichen Programmaustausch zwischen den Medienzweigen. Man strebt hier auch meist eine höhere Professionalität an. Groupes de presse können in Benin zukünftig sicher leistungsstarke Akteure
einer vielstimmigen Medienlandschaft, aber mitunter auch zu manipulativen Spielern in der nationalen Politik werden. Hier ist das Risiko einer zu starken Verflechtung politischer und kommerzieller Interessen (Adjovi 2002) groß.
In diesem dergestalt rechtlich, institutionell und technologisch konstitu-
ierten, im Wandel begriffenen medialen Feld arbeiten die neuen Radiosender und ihre Protagonisten, die hier im Fokus der Analyse stehen.
38 Es wird immer nur jeweils ein Sender/Pressorgan pro Mediengruppe (groupe de presse) zugelassen, wodurch viele private UKW-Sender eine landesweite Verbreitung über Satelliten- oder Relaissysteme anstreben.
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4. Radiosender in Benin: Überblick und Beispiele „Radio Tokpa – Le tambour de l’information“ (Werbeslogan, Tokpa FM, Cotonou, 2013)
Im Folgenden wird ein Überblick über die Situation der Radiosender in Benin gegeben und anschließend ausgewählte Beispiele vorgestellt. Insgesamt gibt
es in Benin 83 Radiosender (Stand Ende 2013). Sie lassen sich grob in staat-
liche Sender (unter dem Dach des ORTB), privat-kommerzielle, Gemeindebzw. vereinsgeführte und religiöse Sender einteilen. Besonderheiten stellen
teilautonome Sender dar, die von staatlichen Institutionen finanziert werden, wie den Jugendsender Ado 3S, sowie die ersten ländlichen Gemeinderadiosender (Radios Rurales Locales), die vereinsgeführt sind, aber bei denen der Direktor vom staatlichen Mediendienst ORTB entsandt und bezahlt wird. Staatlich
Teilautonome
Erste Gemein-
Freie Gemein-
Freie private
Religiöse
(3)
Sender39 (3)
deradios 40(5)
deradios, as-
Sender (30)
Sender (4)
soziative Sender (38) ORTB
Jugendradio
Radios Rurales
Radio Solida-
Golfe FM,
Radio Ma-
(Radio
Ado3S, Coto-
Locales Tan-
rité Djougou,
Tokpa FM,
ranatha,
Parakou,
nou, Studen-
guiéta, Ouèsse,
Nanto FM, Ra-
CAPP FM, Ra-
Radio Im-
Radio
tenradio Radio
Lalo, Bani-
dio Ilèma, Ra-
dio Planète,
maculée
Benin,
Univers,
koara, Nikki
dio Suuti
Fraternité FM,
Concep-
FM)
Radio Hémi-
dio Dialogue,
Alléluia,
cycle, Porto-
Radio Aïfa FM,
Novo
Frissons FM,
Hossan
Atlantic
Abomey-Calavi,
Deera, u.a.
Océan FM, Ra-
Royal FM, So-
tion, Radio
FM u.a.
leil FM u.am.
Tabelle 1: Radiolandschaft in Benin (2013) – Kategorien von Radiosendern
39 Es handelt sich um zielgruppenorientierte Sender geringer Reichweite, die entweder einer Ausbildungseinrichtung (Radio Univers: Universität Abomey-Calavi) bzw. einer Behörde (Ado3S: Jugend-Ministerium; Radio Hémicycle: Parlament) unterstehen. Sie werden von diesen und weiteren EZ-Partnern finanziert und oft für Ausbildungszwecke genutzt. Die Trägervereine setzen sich aus Mitarbeitern und Vertretern der jeweiligen Behörden zusammen. 40 Wurden 1995 durch den Staat mit Partnern der EZ (Organisation internationale de la Francophonie) gegründet. Die Sender haben unabhängige Trägervereine; der Stationsdirektor ist ex officio Mitglied und vertritt den ORTB (vgl. Abschnitt II,2).
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RAUM COTONOU – PORTO NOVO Ich stelle zuerst private Radiostationen im Süden des Landes vor. Hier ist
zunächst Radio Golfe FM zu nennen, der als einer der ersten privaten Sender
im Jahre 1998 zugelassen wurde. Er gehört der Mediengruppe Golfe Médias
des privaten Eigners Ismaël Soumanou (die zudem die Wochenzeitschrift La Gazette du Golfe sowie den TV-Sender Golfe Television umfasst) an. Der Sender bietet seitdem ein umfangreiches Spektrum an Information und Unterhal-
tung an. Golfe FM entwickelte viele neue Genres, z.B. die Sendung grogne matinal (siehe unten). Die Mitarbeiter arbeiten in gut ausgestatteten Studios in einem mehrstöckigen Gebäude im Stadtzentrum (Viertel Sikékodji).
Eine sehr hohe Zuhörerzahl hat auch der Sender Radio CAPP FM in
Cotonou, der im Jahre 1998 vom erfahrenen, gesellschaftspolitisch engagier-
ten Journalisten und Schriftsteller Jerôme Carlos (Stationsdirektor) und dem ehemaligen Botschafter Benins Thomas Boya gegründet wurde, um die Programmvielfalt in Cotonou zu erhöhen und das politische Bewusstsein breiter
Bevölkerungsgruppen zu fördern (Beispiel eines Sendeplanes der Station vgl. Abbildung 7). Die Station hat 13 feste und 6 freie Mitarbeiter (2013). Der Sender ist Teil der kulturellen Vereinigung Centre Africaine de la Pensée Positive (CAPP), der Boya und Carlos vorstehen und zog aus einem Industriege-
biet Ende 2013 in ein neues, geräumiges Gebäude im dichtbewohnten Viertel Cotonou-Acocodji um.
Der Hauptsitz des Vereins mit dem Conseil d’Administration befindet sich
im Stadtzentrum Cotonous nahe dem Dantokpa-Markt. Radio CAPP FM ist
ein privater kommerzieller Sender, die Programmstruktur sowie die „Philosophie“ des Stationsgründers ähneln aber vielen eher entwicklungsorientier-
ten Sendern– bzw. CRS. Dies äußert sich in vielen Sendungen in beninischen
Sprachen, zahlreichen entwicklungsrelevanten Programme sowie der aktiven
Einbeziehung von Hörern vor allem der umliegenden Stadtviertel. Allerdings werden auch erfolgreiche Sende-Formate wie politische Diskussionen und
Anrufersendungen produziert, die auch die anderen privaten Radiostationen der größten Stadt Benins wie Golfe FM, Radio Planète, Radio Tokpa und Radio Océan anbieten. Die Ausstattung des Senders ist gut, im Vergleich zu Sendern wie Golfe FM oder auch Radio Tokpa sind die Studioeinrichtungen
jedoch weniger großzügig angelegt. Ähnlich wie bei diesen genannten Sen-
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der ist der Anteil von Werbung und Auftragsendungen für private Geber relativ hoch, ohne dass dabei eine umfangreiche tägliche Nachrichtenproduktion, kulturelle sowie zahlreiche interaktive Programme leiden würden.
Der Direktor des Senders, Jerôme Carlos (Berufsbiographie vgl. Abschnitt
II,4), ist ein renommierter Journalist und Publizist, Schriftsteller und Medienwissenschaftler. Er wählte die Form des Privatsenders, um finanziell zu-
gleich unabhängig vom Staat als auch von Entwicklungsagenturen zu sein. Ebenso wie Radio Tokpa und Radio Océan gilt CAPP FM eher als regierungskritischer Sender, der den oben erwähnten Vertrag mit der Regierung Boni
zur finanziellen Unterstützung als Gegenleistung für regierungskonforme Berichterstattung nicht unterschrieb.
Im November 2009 musste CAPP FM auf Anordnung der HAAC ihren
Betrieb aber für einen Monat einstellen (Friedrich- Ebert-Stiftung 2009). Unmittelbarer Grund hierfür waren den Präsidenten beleidigende Worte, die
die (Gast)-Moderatorin Valdave Emilia Dagnonhouéton in der Sendung La Voix de la Sentinelle („Die Stimme der Wache“) vom 3.11.2009 äußerte, die
von der christlichen NRO Étoile brillante du Matin gestaltet wurde, die den entsprechenden Sendeplatz erworben hatte. Dem Sender wurde vorgewor-
fen, den Beitrag nicht zuvor überprüft zu haben. Die Journalistenverbände
und Organisationen der Zivilgesellschaft solidarisierten sich massiv und wiederholt mit dem Sender (im Gegensatz zum eher formellen Einspruch gegen-
über dem Verbot der Zeitung Le Béninois Libéré sowie von Radio Tonignon in
Zogbodomey zwei Jahre später) und forderten die Aufhebung der Maßnahme, die dann vorzeitig beendet wurde.
Die Strafe der HAAC (Décision n°09-053/HAAC du 05 novembre 2009,
HAAC 2009) richtete sich nach Aussagen vieler Medienprofessioneller in Benin offensichtlich als Warnung an den Sender und seinen Direktor Carlos generell. Ihm wurde eine zu große Toleranz bezüglich der Presseschau des
Senders auf Fongbé (von Dah Houawé, vgl. I,1) vorgeworfen wurde, dem
eigentlichen und permanenten Streitpunkt aufgrund der Wahl oft reißerischer Schlagzeilen und eigener Kommentare.41 Carlos verzeichnete daraufhin
41 Verwarnungen seitens der HAAC aufgrund der Presseschau erfolgten bereits 2005 (Robertho 2005; Tchomakou 2005). Auch in Stellungnahmen des ODEM wurde der Sender gerügt, allein im sensiblen Wahlzeitraum Februar-April 2006 wurden 21 Probleme registriert, vor allem aufgrund der provokanten Presseschau (2007).
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hohe Einnahmeverluste (ausbleibende Werbung, Annoncen), die mit zeitweisen Lohnkürzungen der Mitarbeiter aufgefangen werden mussten. Die große
Solidarität der Berufskollegen festigte aber seine Position als unabhängiger Journalist. Allerdings legte er dann fest, dass in den Presseschauen des Sen-
ders fortan nur eine ausgewählte Anzahl von Tageszeitungen, die allgemein für einen gewissen journalistischen Standard bekannt sind, ausgewertet wurde. Zweifelhafte Blätter wurden auf einer Art „roten Liste“ vermerkt.
Radio Planète in Cotonou wurde 1999 als kommerzielle Station vom
Medienunternehmer und Politiker Janvier Yahouédéhou gegründet. Radio
Planète ist Golfe FM sehr ähnlich, viele Sende-Formate wurden übernom-
men. Die erfolgreichste Sendereihe dieser Station ist eine politische SatireProduktion unter dem Titel Bébête-Info.42 Der Sender strahlt auch Deutschlernkurse aus. Nach Aussagen vieler Beobachter steckt der Sender derzeit in einer gewissen Krise. Man hat Hörer an andere Sender verloren,
die Auftragseingänge sind zurückgegangen. Zusatzeinnahmen wie aus dem Verkauf der genannten Radiokomödie auf CD stagnieren.
Zeitweise war Yahouédéhou auch Regierungsberater und vernachlässigte
das Radio. Es sind mittlerweile auch einige Mitarbeiter entlassen worden,
was die Qualität der Programme nicht erhöht. Ein Teil des Programms wird mit älteren Sendungen, also Wiederholungen gefahren. Diskussionssendun-
gen zu aktuellen politischen Fragen werden seltener ausgestrahlt, die Nach-
richtensendungen beinhalten wenige eigene Reportagen. Dadurch wenden sich viele eher intellektuelle orientierte Hörer anderen Stationene zu; ebenso wie eine breitere Hörerschaft, die hier Formate wie Ratgeber-Sendungen ver-
misst. Allein bei grogne- und Musiksendungen kann der Sender punkten, weil man hier eine überaus große Vielfalt findet, wenngleich andere Sender wie Océan FM auch hier konkurrieren.
42 Es handelte sich um eine Serie politiksatirischer Sketchen nach dem Vorbild der
französischen Guignoles de l’Infos sowie Bébête Show, bei denen mit verstellten Stimmen Politiker als Figuren wie Démi-dieu (Präsident) imitiert wurden und typische
Persönlichkeiten in Figuren wie Bébête Emmerdeur, Bébête Moquer, Bébête Craca u.a. in der imaginären République Biglotchémè auftraten (Radio Planète, Flyer, 2002). Der Stationsdirektor schrieb das Szenario zusammen mit seinem Neffen, das dann
mit einer Reihe junger Schauspieler und Moderatoren umgesetzt wurde. Die Sendung ist daher kostspielig und wird nicht permanent produziert.
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Radio Tokpa wurde am 31.07.2003 gegründet. Stationsgründer waren
hier zwei Brüder, Guy und Alain Kakpo, die sich zunächst die Aufgaben teil-
ten. Guy Kakpo als ehemaliger Mitarbeiter des ORTB übernahm den journalistischen Bereich, sein Bruder Alain, der lange im Frankreich lebte und viel Eigenkapital einbrachte, den geschäftlichen Teil, bevor letzterer im Jahre
2007 verstarb. Radio Tokpa, nach eigenem Slogan das beste Radio in Bénin
(la meilleur radio au Benin, Dezember 2013; oder la vraie radio, Januar 2014), ist ebenfalls kommerziell orientiert, verfügt aber über ein sprachlich und inhaltlich überaus breites Programmangebot. Dieses reicht von Sendungen für
einzelne Sprachgruppen über ein vielfältiges Nachrichtenangebot, politische Debatten, eine sonntägliche kritische politische Wochenrückschau-Debatte
der Redaktion (infos à la loupe), spezialisierte Musikprogramme bis hin zu interaktiven Programmen und Ratgebersendungen. Sehr beliebt sind die
Morgenprogramme mit Anrufersendungen (hier vor allem auf Fongbé, moderiert von Eugenie „Nan“ Adokounon). Die Station befindet sich auf einem
Grundstück der Gründerfamilie in unmittelbarer Nähe zum Dantokpa-Markt und möchte sich auch primär an die Händler und Händlerinnen sowie kleine Geschäftstreibende und Handwerke rund um den Markt wenden. Zudem be-
steht eine Zusammenarbeit mit der Zeitung Confrère de la Matinée, deren Eigner Félix Sohoundé Péripé (meist kurz FSP genannt) ein renommierter Sport-
journalist ist, oft von Sporteignissen auch aus dem Ausland berichtet und zahlreiche Sportsendungen – u.a. die derzeit einzige Fußball-Livekonferenzsendung im Land – und zusammen mit dem Stationsdirektor eine samstägli-
che Sportsendung moderiert. Die technische Ausstattung des Senders, der neben einer Webseite auch einen Internet-livestream anbietet, ist vergleichsweise gut.
Radio Océan FM wurde im Jahre 2003 zugelassen. Der Sender gehört
der Mediengruppe Le Matinal des privaten Eigners Charles Toko an (hierzu
gehören auch die 1998 gegründete Tageszeitung LE MATINAL sowie der Partnersender Urban FM in Parakou; eine TV-Station ist geplant). Radio
Océan ist seit März 2009, zusammen mit der Zeitungsredaktion, in ein neues Gebäude im Stadtviertel Cotonou-Akpakpa in der Nähe der Druckerei Tundé gezogen. Der Eigner des Medienhauses, Charles Toko, wollte nicht mehr mie-
ten und hat in einen eigenen Gebäudekomplex, der auch eine eigene Drucke-
rei umfasst, investiert. Dort hat die Radioredaktion etwas mehr Platz als zu-
vor, allerdings sind die Räumlichkeiten auch hier begrenzt, v.a. im Vergleich
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zu staatlichen Sendern des ORTB. Im Raum Cotonou konkurrieren heute, ne-
ben dem ORTB (mit Radio Benin und Atlantic FM) und religiösen Sendern, vor allem die genannten privaten Sender Golfe FM, Radio Planète, Capp FM und Radio Tokpa um die Gunst der Hörer.43
Der kleinere Sender Radio Star 94.3 MHZ gehörte zu den ersten kom-
merziellen Sendern in Cotonou und wurde 1998 gegründet. Der Sender war
vor allem als beliebter Musik- und Unterhaltungskanal bekannt. Die Station mit dem Slogan La Star des Radios strahlte damals z.B. die Sendungen Assiéto
et Assiénon auf Fongbé,44 mit dem beliebten, inzwischen verstorbenen Moderator Mathias Ahomagnon, aus. Hier durften nur Frauen anrufen, die aktuelle
Themen diskutieren und Grüße abgeben konnten. Es gab auch etliche Feste,
die der Sender rund um die Sendung organisierte. Viele Hörer kamen direkt
zum Sender, was durch die zentrale Lage am Kreiverkehr Étoile Rouge erleichtert wurde.
Der Sender geriet im Jahre 2003 in eine finanzielle Krise. Radio Star
musste das erste Mal sein Programm aufgrund von Steuerschulden zeitweise
einstellen. Schließlich verstärkte sich die Krise Ende des Jahres 2006, sodass Anfang des Jahres 2007 Karl Djimadja im Auftrag der Anteilseigner die Sta-
tion als Interims-Manager übernahm und primär als Musikkanal betrieb. Zuvor war er bei Radio Star, das von Anfang an ein umfangreiches Programm an moderner Musik ausstrahlte, Kunde und gab dort Werbung in Auftrag.
Zeitweise musste der Radiosender auf Anordnung der HAAC aufgrund des
nicht genehmigten Eigentümerwechsels schließen (Friedrich-Ebert-Stiftung 2012b). Karl Djimadja (Biographie vgl. Abschnitt II,4) ist Eigner des Musiklabels und -vertriebs Top Showbiz.
43 Im März 2008 verlor Radio Planète seinen beliebtesten Moderatoren, den Komödianten Dah Badou. Er hatte einen Schlaganfall auf einer Tournee in Ouidah und verstarb später in der Klinik. Es gab zahlreiche Kondolenzbriefe, viele Persönlichkeiten kamen zur Trauerfeier im Sender, „meist zu Fuß, weil die Straßen verstopft waren.“ (Anselme, Cotonou, November 2008) Das Sendestudio von Radio Planète heißt nun Studio Dah Badou, überall sind seine Bilder zu sehen. 44 Assiénon bedeutet Schwiegermutter; Assiéto Schwiegervater. Die Sendung war vor allem bei Marktfrauen sehr beliebt. Ahomagnon, auch Theaterschauspieler, arbeitete später bei Océan FM. Sein Tod Anfang des Jahres 2009 löste große Trauerbekundungen seitens seiner treuen Hörer aus. Sein Sendername Gbo magni Avoko bedeutet Kraft (Isac 2009).
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WEITERE SENDER IM SÜDEN DES LANDES Die Station Ado 3 S FM ist ein staatlich geführter Jugendsender. Er befindet sich im Sportpalast von Cotonou und war sowohl als entwicklungspolitischer
Sender als auch als eine Art Jugendclub gedacht. Der Sendebetrieb war zeitweise eingestellt, nach einer Reorganisation strahlt der Sender jetzt wieder ein Vollprogramm aus. Ado FM ist zugleich auch als Ausbildungssender gedacht und bekam kürzlich eine TV-Komponente.
In ähnlicher Weise ist Radio Univers auf dem Campus der Universität
Abomey-Calavi aufgestellt. Den universitären Sender gibt es allerdings schon seit dem Beginn der 1990er Jahre. Die überwiegend von Studierenden betriebene Station hat Höhen und Tiefen erlebt, floriert aber derzeit dank der Unterstützung des universitären Sozialwerkes. Radio Univers versteht sich in
erster Linie als Ausbildungssender, in dem jedes Jahr viele Studierende ein
Praktikum absolvieren können. Zugleich ist die Gruppe der – generell ehrenamtlichen – Mitarbeiter als Verein organisiert, der auch Personen umfasst,
die nur zeitweise Sendungen gestalten. Deshalb trifft man in der Station meist eine Vielzahl junger Leute an, die in den unterschiedlichsten Bereichen tätig sind.
Radio Univers sendet zwar in erste Linie für Studierende und junge Leute
vor allem auf dem Campus der Universität Abomey-Calavi, möchte aber ernst
genommen werden. Daher gibt es klare Zuständigkeiten und Hierarchien,
Redaktionssitzungen und Programmstrukturen.45 Die Anzahl der Praktikanten wird zu Beginn eines jeden Jahres festgelegt, anschließend erfolgt eine Ausschreibung und Auswahl, bevor dann die Praktikanten in einer Intensiv-
phase (meist im Februar/März) theoretisch und praktisch unterwiesen werden. Hier werden auch andere Ausbilder, meist erfahrene Journalisten, hinzugezogen. Anschließend werden die Praktikanten einer Abteilung oder
Sendung zugeteilt und arbeiten dort über den Zeitraum des restlichen Jahres mit. Nach Beendigung des Praktikums steht es ihnen frei, weiter im Sender
45 Radio Univers besitzt eine ähnliche Struktur wie viele professionelle Sender, mit einem Directeur, einem Secrétaire Génerale, einem Directeur Adjoint, einem Chef de Programme, einem Chef des relations publiques, einem Chef financier sowie einem Chef de Service technique. Der erwähnte Personenkreis ist Mitglied des Direktorats (comité de direction). Radio Univers steht die AFARU (Association des fidèles auditeurs de Radio Univers) nahe.
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tätig zu sein, und ihrerseits dann später an der Ausbildung neuer Praktikan-
ten mitzuwirken. In dieser Art und Weise übernimmt – trotz der fehlenden 100%igen Professionalität – das Radio ein wichtige Rolle an der Universität,
an der Kommunikationswissenschaft meist vorwiegend theoretisch gelehrt werden.46 Das Radio ist bei den meisten Studierenden sehr beliebt. Es bietet
ein enormes Spektrum an Programmen an, von Poesie über Sport zu Bildungspolitik. Radio Univers begleitet viele Universitäts-Ereignisse auf dem Campus, und hat vor kurzem auch mit der Übertragung von Vorlesungen begonnen.
Einen besonderen Fall stellt das Parlamentsradio Radio Hémicycle in
Porto-Novo dar. Es erhielt von der HAAC eine Sondergenehmigung und
wurde aus dem speziellen Budget für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des Parlaments (Assemblée Nationale) finanziert, das mit EZ-Geldern der Vereinten Nationen (Programme des Nations Unies pour le Développement, PNUD) ergänzt wurde. Das Radio wurde am 16.9.2011 eröffnet und befindet
sich direkt auf dem Gelände der Assemblée Nationale in einem nahegelegenen Dienstgebäude (z.T. im Souterrain). Der Sender ist sowohl technisch als auch
personell sehr gut ausgestattet. Man konnte einige junge Mitarbeiter rekru-
tieren, die schon Erfahrungen aus anderen Sendern mitbrachten, wie z.B. den Cheftechniker Julien Akodjénou, der zuvor bei Radio Tokpa in Cotonou tätig
war (aber weiterhin dort die Moderation der Samstags-Musikshow carrefour de la Fiesta mit Edwige Klutse gestaltet).
Zentraler Auftrag der Station ist eine Berichterstattung über die Beratun-
gen und Beschlüsse des Parlaments, die mit entwicklungspolitischen Sendun-
gen und Unterhaltung ergänzt wird. Eine Neuerung stellen hier Direktübertragungen der Beratungen des Parlaments dar, womit mehr Transparenz der Politik sowie ein Interesse der Bürger an politischen Entscheidungen geför-
dert werden sollen. Der Sender soll schrittweise mit einer größeren Sendeleistung sowie Relaisstationen ausgestattet werden, um auch in nördlichen Landesteilen empfangbar zu werden (Februar 2012).
46 Ehemalige Mitarbeiter von Radio Univers: Fréjus Quénum, ehemals Chefredakteur im Radio Golfe FM, jetzt Deutsche Welle (Bonn); auch Chabel Ahaihou, derzeit Direktor der TV-Station Golfe TV, Peggy Ludovic Dagba, Chefredakteur bei Golfe FM, ebenso Gilles Yacoubou (ORTB).
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Radio Espérance ist ein ungenehmigter kleiner Sender in einem Ort
nahe Cotonou, der 1999 auf Sendung ging. Es handelte sich um eine selbstgebaute Sendeanlage, die vom Radiomechaniker Philipp Hounson im Dorf
Ekpé genutzt wurde. Er entwarf sein eigenes, von den Dorfbewohnern gut angenommenes Sendeprogramm, das er aus einer kleinen Bambushütte her-
aus sendete. Ob seiner Kreativität – es gab u.a. Sendungen aus der Geburtsklinik (maternité) über Mütterkurse – von einigen Journalisten und NRO gelobt, gelang es ihm aber nicht, die Vertreter der Medienbehörde HAAC
umzustimmen, die ihm die Sendelizenz verweigerte. Er musste den Sendebe-
trieb einstellen, hofft aber nun nach der Zusammenstellung nötiger Unterla-
gen und Finanzmittel von Sponsoren, bei einer nächsten Zulassungswelle berücksichtigt zu werden.
Radio France International (RFI) kann in den größeren Städten Benins
auf UKW empfangen werden. Der Sender ist im Lande mit Korrespondenten
vertreten (z.B. Raissa Gbédji, ehemals Golfe FM), vertreibt eine Hörerzeitschrift und unterstützt lokale Hörerclubs (Clubs RFI). In regelmäßigen Ab-
ständen finden Quizveranstaltungen statt (Coucours RFI), an denen meist junge Hörer teilnehmen, und werden Vor-Ort-Sendungen in Benin produziert, zu denen Mitarbeiter aus Frankreich anreisen.
Radio Plus Près FM ist das erste reine Internetradio aus Benin. Es wurde
Ende des Jahres 2012 vom Tontechniker Georges Syviston (hauptberuflich
zuvor bei Radio Bénin und Radio Tokpa, jetzt bei Radio Soleil FM), fast im Alleingang eingerichtet. Ihm kamen seine hervorragenden technischen
Kenntnisse zugute, sowie Hilfsangebote von befreundeten Kollegen, mit denen er z.B. Jingles aufnahm. Syviston hat ein kleines Aufnahmestudio in
seine Wohnung in Cotonou-Jericho eingebaut, wo er Sendungen produziert.
Mittels automatisierter Sendesoftware (Radio Manager) und eines Inter-
netservers bietet er einen permanenten live-stream an (pluspresfm.net/live). Ein Freund hilft ihm bei der Aktualisierung der Playlisten. Der Sender hat
auch eine Webpräsenz, ist aber mit seinen Hörern vor allem über Facebook verbunden.47 Die neugestarteten Internetradios, empfangbar auch über
47 Kürzlich haben auch die Betreiber des Anzeigenportals BeninInfo.com (Réseau d’Information Multimédia du Bénin, www.benininfo.com) einen live-stream gestartet, der aber nur aus einer Schleife von 18 Musiktiteln besteht. Darüberhinaus wird von einem Auslandsbeniner in den USA ein Service angeboten, bei dem die Sender
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Smartphones, können aber – eine bessere Bandbreite und gute Zugangsmög-
lichkeiten zum Internet vorausgesetzt – vor allem im Raum Cotonou die Hörgewohnheiten künftig weiter verändern. RAUM PARAKOU Parakou hat 300.000 Einwohner (Stadtgebiet), ist die drittgrößte Stadt Benins, vor allem aber die größte Stadt im nördlichen Teil des Landes, sowie
ein wichtiger ökonomischer Standort und Verwaltungszentrum (Bierschenk 1999). Der Ort wuchs in Folge seiner Wahl als regionaler Verwaltungssitz in
der französischen Kolonialzeit, und profitierte von seiner Lage am Endpunkt einer Eisenbahnlinie. Am Ort sind einige große Firmen (Baumwollverarbeitung) ansässig sowie ein bedeutender Markt. Die Universität Parakou wird immer mehr ausgebaut, ähnlich wie die kulturelle und mediale Infrastruktur.
Parakou war zunächst von Angehörigen der ethnischen Gruppen der
Baatombu, Wasangari, Dendi und Fulbe sowie Minderheiten aus dem Süden des Landes (Fon, Yoruba etc.) bewohnt, hat in den letzten Jahren aber einen
enormen Bevölkerungszuwachs sowohl aus dem Norden als auch aus dem Süden des Landes erlebt, der in die Gründung neuer Stadtteile mündete.
Fraternité FM ist neben dem ORTB der erfolgreichste Sender in der
größten Stadt im Norden Benins, in Parakou. Der private Sender befindet sich auf einer Etage eines neuen Bürogebäudes im Stadtviertel Camp Dagba
gegenüber der Baumwollfabrik Complexe Textile du Benin (COTEB). Der Sender (Direktor: Rodrigue Azinnongbé) gehört zur privaten Mediengruppe
Groupe de presse Fraternité (mit der Zeitung Fraternité FM und dem Fernsehsender Canal 3; Eigner: Issa Salifou). Die Ausstattung von Senderegie, des Studios sowie eines Schnittraumes sind sehr gut.
Darüber hinaus gibt es aber wie bei anderen Sendern meist auch nur we-
nige Räume für leitendes Personal sowie die Redakteure und Sprecher. Letztere haben nur einen Konferenzraum, in dem sie z.T. auch Beiträge bearbeiten. Fraternité profitiert von der Zusammenarbeit mit der gleichnamigen
Zeitung in Cotonou, die zur gleichen Pressegruppe gehört. Fraternité FM ist stolz auf den großen Zuspruch im Raum Parakou. Viele Programme wenden
Radio Tokpa (Cotonou) sowe Radio Fraternité (Parakou) über den Anruf einer kostenlosen Telofenummer empfangen werden können.
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sich an junge Hörer, wie z.B. Jcomme Jeunesse, einem wöchentlichen Magazin mit vielen Rubriken, die auch Informationsangebote mit Unterhaltung
mischt. Hier sind z.B. Erklärungen französischer Wörter ebenso zu finden wie Jobangebote oder eine Art Führer durchs Internet. Der Programm- und Mar-
ketingchef des Senders, Nicolas Houétohossou, verwies stolz darauf, dass Radio Fraternité in Parakou derzeit der meistgehörte Sender laut Umfragen des
Umfrage-Instituts IMAR im Auftrage von RFI aus dem Jahre 2008 sei (Aoubre
2008),48 gefolgt von Radio Parakou (ORTB) und RFI. Radio Fraternité FM ist nach meinen Gesprächen der einzige Sender, der auf Daten zum Hörerspruch achtet und versucht, hier Vorteile durch entsprechende Programmgestaltung zu erwerben.
Radio Arzèkè FM ist ein kleiner privater Sender in Parakou, der eine
überwiegend junge Mitarbeiterschaft hat. Er wurde als Teil einer Medienfirma (Groupe Arzèkè Média et Communication, GRAMEC) von einer Gruppe
von Freunden, die im Verein unter Federführung des Stationsdirektors
Mansourou Traoré gegründet und möchte sich – dem Namen des Senders („großer Markt“) Rechnung tragend – vor allem einfachen Leuten der Stadt wie den Händlern etc. widmen.
Das Programm wird auf Französisch und einigen einheimischen Sprachen
ausgestrahlt. Es weist viele Musik- und Informationsanteile auf. Kürzlich wurde die Reichweite durch eine bessere Sendeanlage erhöht. Zu beliebten
Sendungen der Station mit dem Leitspruch La providence à portée de mains; ‚die Vorsehung in den Fingerspitzen,‘ gehören die sehr ausführlichen Nach-
richtenblöcke und die politischen Morgensendungen (bonjour chez vous), die von einem sehr motivierten Team rund um den Chefredakteur Donatien Djegle sowie den Programmchef Gaston Yamaro gestaltet werden; aber auch
politische Kommentare und Debatten (diagnostique), grogne-Sendungen sowie
48 Morgens um 7 Uhr ist offenbar der Zuspruch der Hörer besonders hoch. Houétohossou erklärt dies damit, dass Fraternité FM bewusst früher als alle anderen Sender in der Region mit der Ausstrahlung einer Morgenshow mit viel Unterhaltung beginnt. Demzufolge haben viele Hörer den Sender bereits eingeschaltet. Weitere kommen dann für die Morgennachrichten, die als detailliert und kritisch bekannt sind, dazu. Ähnlich verhält ist es zur Mittagszeit, während zur dritten Tagesspitze gegen 19 Uhr die Hörerquoten für alle örtlichen Sender wieder angleichen. Inzwischen hat Fraternité um 10 Uhr eine weitere Anrufersendung ins Programm genommen, die zusätzlich Hörer anzieht.
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jene zu Partnerschaftsproblemen (fréquence rose). Der Sender hat eine einfache Internetpräsenz, auf der ausgewählte Sendungen zum Nachhören ange-
boten werden. Arzèkè FM konkurriert in Parakou vor allem mit den anderen
ähnlich konfigurierten Privatsendern Fraternité FM (Mediengruppe Frater-
nité) sowie Urban FM (Mediengruppe Le Matinal). Am 14. Februar 2014 wurde der 10.Jahrestag des Senders begangen.
Der Sender Radio Suuti Deera in Nikki (département Borgou) ist wiede-
rum eine Beispiel für einen Gemeinderadiosender Er wurde im Zuge der ersten Ausschreibung der HAAC 1998 gegründet. Zunächst startete man mit viel
Enthusiasmus und erlebte auch einen guten Zuspruch seitens der Bevölke-
rung. Anfangs war der Sender in einem kleinen Haus am Markt im Stadtzentrum untergebracht. Man nutzte ein kleines Sendestudio sowie eine Aufnah-
meregie. Die meisten Verwaltungseinrichtungen, auch den Redaktionssitz
sowie das Büro der Relations Publiques, konnten darin jedoch keinen Platz finden. Daraufhin wurden Behelfsbüros neben dem Stationsgebäude errichtet. Diese bestanden im Grunde nur aus mit Wellblech und Holzpfeilern er-
richteten provisorischen Unterständen, in denen die Mitarbeiter arbeiteten. Dies wirkte sich allmählich ungünstig auf die Vielfalt der Sendeinhalte aus.
Diese Situation änderte sich im Jahre 2008, als der Sender – unterstützt
durch die Schweizer Entwicklungs-Mission – ein neues Gebäude beziehen konnte, welches mit neuester Studiotechnik und ausreichend Raum für alle Mitarbeiter ausgestattet wurde.
Radio Maranatha (Cotonou und Parakou): Es handelt sich um die seit
2003 bestehende lokale Zweigstelle von Radio Maranatha. Die ‚Mutterstation’ selbst, Radio Maranatha in Cotonou (Bedeutung: „Herr, komm zu mir“) wurde 1998 als eine gemeinsame Initiative mehrerer evangelischer Kirchen
in Benin gegründet, die im Conseil des Églises Protestantes et Évangéliques du
Bénin (CEPEB) vereint sind. Der Haupt-Sender befindet sich im dichtbevölkerten Stadtteil Wolloguèdè in Cotonou49 und hat mittlerweile eine gut etablierte Hörerschaft im Raum Cotonou. Die wichtigsten Trägerkirchen von Ra-
dio Maranatha sind die Église Évangélique des Assemblées de Dieu du Bénin, Église Evangélique Galilée (EEG), Église Foursquare,50 und die Église Pentecôte
49 Erster Direktor war Pasteur Clovis Kpadé; gegenwärtig amtiert Gervais Sossoukpè. 50 Foursquare ist eine Kirche aus den USA, die missionarische Aktivitäten in Westafrika zunächst in Nigeria entfaltete, von wo aus Zweige im Süden und Norden Benins gegründet wurden.
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de la Foi).51 Der Sender in Cotonou arbeitet mit sechs festen, überwiegend
jungen Technikern und Moderatoren sowie zahlreichen Teilzeit- und ehren-
amtlichen Mitarbeitern. Radio Maranatha Cotonou verfügt über einen Hörer-
club (Association des Amis de Radio Maranatha). Die Station arbeitet 18 Stun-
den am Tag. Wir finden ein breites Programmspektrum, das von Musik- und Ratgebersendungen, Direktübertragungen von Gottesdiensten, Bibelkunde, Nachrichten bis hin zu Anruferdiskussionen und Reportagen reicht. Viele In-
formationsanzeigen, die der Sender ausstrahlt, werden von christlichen Vereinigungen oder Behörden beauftragt.52 In einer der meistgehörten Sendun-
gen témoignages berichten ‚Erleuchtete’, die aufgrund spiritueller Erfahrungen ihr Leben änderten, von ihren Erlebnissen. Die Station strahlt
zudem regelmäßig vorproduzierte Sendungen von Predigern aus den USA,
Frankreich und Burkina Faso aus. Eines seiner Programme kommt z.B. von Perspectives Reformées, einer Bibelstudiums-Gesellschaft, die von der US- ba-
sierten Organisation HCBJ global sowie dem christlichen Radiodienst Life Changing Radio unterstützt wird.
Die Stationsgründung ist symptomatisch insofern, als Pfingstkirchen in
Westafrika am nachdrücklichsten eine Institutionalisierung ihres medienkul-
turellen Einflusses suchen, ebenso wie die Vernetzung mit Partnerkirchen und Medieneinrichtungen in Afrika, Westeuropa und vor allem den USA (vgl.
Abschnitt II,3). Die Station – dies gilt auch für die Niederlassung in Parakou – wendet sich ausdrücklich nicht an eine ethnisch, linguistisch oder regional determinierte Hörergruppe.
Im Jahre 2008 wurde schließlich die regionale Niederlassung in Parakou
eröffnet, die generell ein ähnlich orientiertes Programm wie jene in Cotonou ausstrahlt. Sie soll im regionalen Rahmen für die nördlichen Landesteile sen-
den. Die regionale Station in Parakou ist in ähnlich kleinen Gebäuden wie
51 Ebenfalls in den USA gegründet wirkt diese in Benin, Togo, Nigeria und Côte d'Ivoire. 52 „Die Stimme der Gnade‘ (La voix de la grace) ist eine Sendung der Mission Evangélique de la Dispensation unter der Regie von Radio Maranatha Parakou. Folgen Sie dem Programm der ‚Stimme der Gnade‘; es wird jeden Montag von 21 Uhr bis 21.30 Uhr auf Radio Maranatha ausgestrahlt. Für all ihre Anliegen schreiben Sie uns an Postfach 529 Parakou oder rufen Sie unter folgenden Nummern an: 973500213, 95189329, oder besuchen Sie uns im Stadtviertel Tranza hinter der Möbel-Genossenschaft neben dem Motel Le Logis. Gott schütze Sie.“ (Verlautbarung, Radio Maranatha, Parakou, März 2009)
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jene in Cotonou untergebracht (Februar 2013). Sie verfügt in Parakou über eine 250 Watt-Sendeanlage auf einem 42 m-Sendemast, wodurch man Hörer recht weit entfernt von Parakou erreichen kann, wie in Tchaourou im Süden, Onklou in Richtung Westen, Nikki und Pèrèrè im Norden und Osten. Es gibt
auch viele Hörer in Nigeria. Ein neuer Sendemast soll bald in der Nähe von Onklou installiert werden, um die Reichweite noch zu erhöhen.
Der Sender arbeitet ‚unter höherem Beistand‘ (typischer Slogan: Jesus
Christ est à la supervison technique générale), sieht sich aber mit den typischen Problemen der kleinen Radiosender konfrontiert, wie ständige Stromausfälle, niedrige Netzspannung, nicht immer funktionierende Generatoren und Kli-
maanlagen. Derzeit besitzt man keinen Spannungsstabilisator, was das Risiko
von Beschädigungen der Geräte erhöht. Radio Maranatha in Parakou muss oft die Direktion in Cotonou bitten, Ersatzteile zuzusenden oder dem Kauf
dieser zuzustimmen. Wiederholt haben Blitzschläge die Station getroffen, zu-
dem sind hier die üblichen Probleme von Computertechnik unter tropischen Bedingungen, mit Hitze und Staub feststellbar. Der Sender nutzt eine recht
aber drahtlose Internetverbindung des Anbieters Kanakoo, die preisgünstig aber langsam ist. Radio Maranatha Parakou verfügt über zwei Aufnahmestudios, eines für den laufenden Betrieb und ein kleineres getrenntes Studio für
Aufzeichnungen. Hinzu kommt eine kleine Werkstatt. Im Eingangsbereich
befinden sich mit Sperrholz abgetrennte Einzelbüros der Mitarbeiter für Pro-
grammdirektion, Sekretariat, und Buchhaltung. Der Direktor verfügt einen eigenen Raum für sein Büro.
Zu den insgesamt acht ständigen, bezahlten Mitarbeitern, die fast täglich
Dienst in der Station haben, kommen mehrere Vertragsmitarbeiter für be-
stimmte Programme sowie Praktikanten und freiwillige Mitarbeiter hinzu,
insgesamt 20 Personen (12 Personen als Techniker, Moderatoren; jeweils ein chef technique, chef de programme, chef de station, ein Buchalter sowie ein
Sekretär). Man sendet in acht Sprachen. Es ist generell geplant, weitere regionale Ableger zu gründen und ähnlich wie RIC (siehe unten) landesweit über
Relaisstationen zu senden. Entsprechende Anträge legte das Management
von Maranatha anlässlich der Ausschreibung von Sende-Frequenzen durch
die HAAC im Jahre 2008 und 2013 vor, die jedoch in beiden Fällen nicht positiv beschieden wurden.
Der Stationsdirektor Louis Togo sammelte erste Erfahrungen als Prakti-
kant bei Radio Univers, dem Studentensender der Universität AbomeyCalavi. Später arbeitete er beim ORTB und dann einige Jahre zunächst als
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Techniker in der Mutterstation in Cotonou.53 Ähnlich wie in anderen Stationen dieser Art wird auch hier das Personal in Weiterbildungsmaßnahmen
fortgebildet. Viele der Angestellten arbeiteten zuvor in der Station in Coto-
nou und wurden später nach Parakou in die neue Station versetzt. Im Unter-
schied zu Radio Maranatha in Cotonou ist beim Sender in Parakou der Anteil importierter Programme anderer christlicher Sender recht hoch, hingegen werden Gruß- und Wunschsendungen und Anrufersendungen aller Art vor
Ort und in den Sprachen der Region produziert. Louis Togo berichtet, dass ungefähr 80% aller Programme religiös-evangelikalen Inhaltes sind, der Rest des Programmschemas schließt dann allgemeine und politische Informationen, kulturelle Programme, Musik, Spielshows, Gruß- und Wunschsendun-
gen, entwicklungsorientierte Programme sowie Ankündigungen und Radioannoncen ein.
Obwohl viele Sendeelemente von der Mutterstation in Parakou übermit-
telt werden, sind die Mitarbeiter sehr darauf bedacht, ihr lokales Profil,
durch die Wahl lokaler Sprachen (einschließlich jener der größeren Einwandergruppen, wie Fongbé, Adja, Yoruba), aber auch durch die umfangreiche
Sendezeit, die für Ankündigungen, Berichte zu Ereignissen in der Stadt oder
für Spielshows im Kontakt zu den Hörern eingeräumt wird, zu schärfen. Die Sendepläne werden auch hier vom chef de programme entwickelt und dann der Stationsleitung in Parakou, anschließend jener in Cotonou und schließ-
lich der HAAC zur Genehmigung vorgelegt.54 Man ist allerdings bemüht, den Sendeplan nicht zu oft zu verändern, damit die Hörer feste Hörgewohnheiten entwickeln und die Station leichter wiedererkennen können.
Die beliebtesten Sendungen von Radio Maranatha in Parakou sind die
Morgensendungen, die spirituelle Begleitung für den Tag, Gebete, Rat-
schläge, Bibelkunde und Musik bieten. Viele der religiösen Sendungen, ins-
besondere Gebete und Anrufungen (incantations), sind vom ähnlichen Stil 53 Togo ist ausgebildeter Linguist und studierte Sprachen an der Universität AbomeyCalavi, wo er während einer dreijährigen Mitarbeit im Radio Univers auch seine ersten Medienerfahrungen gewann. Später absolvierte er eine Ausbildung bei Radio Bénin, bevor er 1999 vom Sender Maranatha in Cotonou angestellt wurde. Er selbst ist als Moderator in der Station in Parakou mittwochs und Samstag morgens aktiv. Derzeit übernimmt er auch Aufgaben eines Redakteurs. 54 Im Jahre 2006 wurde die Station von der HAAC gerügt, weil ein Moderator sich negativ zur in Benin aktiven Loge der Rosenkreuzer äußerte. Dieser wurde dann das Recht auf Entschuldigung und Gegendarstellung eingeräumt (droit de réponse).
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wie allgemein die Gottesdienste der evangelisch-charismatischen Kirchen in Benin geprägt, d.h. einer meist zweisprachigen Präsentation und einem ex-
pressiven, schrillen Predigt- und Gebetsstil. Sowohl die Station in Parakou als auch jene in Cotonou sind offen für die Gestaltung von Sendungen durch
Pastoren der jeweiligen Mitgliedskirchen der Trägerunion. Der Sender in Pa-
rakou scheint in vielerlei Hinsicht näher an den Hörern zu agieren als das Mutterhaus in Cotonou. Den Mitarbeitern, aber auch den freiwillig hier Programme anbietenden Pastoren55 geht es darum, die Verbindungen zu den Hörern und den verschiedenen Mitgliedskirchen beständig zu erneuern. In diesem Zusammenhang produziert man Sendungen, die die jeweiligen Kirchen abwechselnd vorstellen.
Dies geschieht vor allem an Sonntagen, wenn ein kleines Team des Sen-
ders gewöhnlich eine der Mitgliederkirchen in Parakou aufsucht, Teile des Gottesdienstes aufnimmt, Darbietungen von Chören und Gesangsgruppen
aufzeichnet, und anschließend Kurzinterviews mit dem einladenden Pastor
und anderen Kirchenmitgliedern führt. „Die Gläubigen in den einzelnen Kirchen freuen sich sehr, wenn wir kommen und Sendungen mit ihnen gestal-
ten“ erwähnt der Radiotechniker André Bokassa, der in einer apostolischen
Kirche aktiv ist. Die Nähe zu den Hörern sucht man zudem in vielen interaktiven Programmen, die in fast allen Sendesprachen von in der Stadt bekannten Moderatoren produziert werden, mit einer großen Themenbandbreite.
Ab und an werden Tage der offenen Tür veranstaltet (Journée des portes ouvertes), zuletzt im Jahre 2008.
Von Zeit zu Zeit gestaltet man Sondersendungen, um einen Feiertag zu
begehen, entweder im kirchlichen Kalender, öffentliche Feiertage oder Geburtstage der Station selbst. Ähnlich wie das Mutterhaus in Cotonou ist man
sich auch in Parakou mit verschiedenen internationalen christlichen Medi-
enanbietern vernetzt. Auch hier wird das Sendeprogramm mit Material internationaler christlicher Stationen ergänzt und zudem von TWR-Programmen (siehe unten) gespeist. Zudem nutzt man Programme von Sendern wie Radio Colombe oder Radio Évangile in Frankreich. Maranatha Parakou strahtl auch englischsprachige Programme aus, vor allem an Sonntagen, die von der
Billy Graham Association in den USA produziert werden. Der Stationsdirek-
55 Dafür werden meist Telefonnummern und physische Adressen hinterlassen, unter denen man die Programmgestalter finden kann.
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tor erwähnte, dass viele Stadtbewohner in Parakou, insbesondere Einwanderer aus Nigeria, sehr positiv auf die englischsprachigen christlichen Programme des Senders reagieren (März 2008- März 2013). SENDER IM RAUM ZENTRAL-BENIN UND NORD-WEST-BENIN: Radio Cité Savalou: Es handelt sich um einen privaten Sender in der Region Collines. Er befindet sich unweit des Stadions und des Krankenhauses im Zentrum des Ortes. Der Sender wurde im Jahre 1998 gegründet. Ideengeber
und Gründer (promoteur) des Radios war Georges Gbaguidi, im Hauptberuf
ist er Leiter und Besitzer eines privaten Krankenhauses am Ort. Radio Cité strahlt seine Programme von 6 Uhr bis 0 Uhr in verschiedenen Sprachen
(Französisch, Mahi, Ifè, Adja). Die Studiotechnik war bei meinem letzten Besuch etwas veraltet, die Sendeanlage ebenso wie das Mischpult waren erneuerungsbedürftig (März 2010).
Weitere Sender im Norden des Landes firmieren vor allem als vereinsge-
führte bzw. Gemeinderadiosender. Im Département Borgou und Alibori gehören zu diesen Radio Kandi, Radio Banikoara, Radio Bèmbèrèkè, Radio
Nikki; im Département Atakora und Donga: Radio Rurale Locale Tanguiéta; Radio Dinaba Boukombé; Radio Kouandé, Radio Kérou, Radio Rurale Locale Ouaké und Radio Bassila. Außerhalb von Parakou arbeitet als privater Sen-
der im Norden des Landes nur die 2013 gegründete Station Radio Dialogue in Banikoara.
Radio Solidarité FM Djougou:56 Djougou ist ein Handelsknotenpunkt
im Nordwesten Benins (17.000 Einwohner) und Verwaltungssitz des Departments Donga. Radio Solidarité hat eine besondere Vorgeschichte. Im Jahre
1996 ging ein kleiner Sender im Zentrum Djougou in Betrieb, der Musik aus-
56 Im (europäischen) Sommerzeitraum 2009 (selbstorganisiert), 2010 und 2011 (ASA-GLEN-Programm) waren jeweils zwei Praktikantinnen aus Deutschland im Sender zu Gast. Sie begleiteteten die Mitarbeiter bei Reportagen, gestalteten eigene Sendungen und führten Hörerumfragen durch, ähnlich wie 2013 ASA-Teilnehmer, die bei Nanto FM Programme zu Kinderrechten erarbeiteten (Heberer 2014).
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strahlte und Grüße an die städtischen Bewohner im Umfeld des Senders über-
mittelte. Der Elektriker Yéyé57 hatte in seiner Radio- und TV-Werkstatt im Stadtteil Zongo eine kleine Sendeanlage mit einer Reichweite von rund 5 km
montiert. Die Idee dazu kam ihm bei einem Aufenthalt in Nigeria, bei dem er eine ähnliche Piraten-Radiostation besuchte. Er besorgte sich einen alten
Transmitter, den er umbaute. Die Sendungen aus seiner Werkstatt sollten
zunächst nur Werbung für diese selbst machen. Sie wurden aber schnell im städtischen Umfeld bekannt und beliebt. Dies blieb den lokalen Behörden jedoch nicht verborgen, die ein formelles Verbot aussprachen.
Daran hielten sich die Betreiber jedoch nicht zumal anfangs niemand
dessen Einhaltung einforderte. Ende des Jahres 1997 wurden jedoch die obersten Medienhüter der HAAC auf die Station aufmerksam. Sie verlangten die Einstellung des Sendebetriebes, verwiesen jedoch gleichzeitig auf die
Möglichkeit, eine legale Sendelizenz als privat-kommerzieller oder gemeinnütziger Sender auf der Grundlage des damals gerade verabschiedeten Me-
diengesetzes zu beantragen. Die Betreiber entschieden sich für die Form des nicht-kommerzellen Gemeinderadios und wurden auf der Suche nach einem
finanzstärkeren Partner in der Vereinigung der lokalen Baumwollproduzenten (Union Sous Préfectorale des Producteurs, USSP) fündig. Diese nahm das
Projekt an und rekrutierte einen Stationschef, den Soziologen Saré Sayo, weitere Moderatoren und Techniker. Zusammen mit den Technikern wurden
entsprechende Basis-Ausrüstungen gekauft, ein Privathaus als erster Stationsstandort angemietet und eingerichtet. Die Sendelizenz wurde offiziell beantragt und genehmigt, und der Sendebetrieb startete im Oktober 1998. Die
meisten Mitarbeiter gehen gleichzeitig anderen Aktivitäten nach. Einige von ihnen sind Allrounder mit Festverträgen (so genannte titulaires), andere nur für bestimmte Sendungen zuständig.
Radio Solidarité FM Djougou versucht einen Spagat: man will sich zum
einen an Hörer im Stadtzentrum von Djougou – überwiegend Händler, Handwerker, kleine Angestellte; meist Dendi-sprachige, muslimische Bewohner – wenden, ohne die das finanzielle Überleben des Senders vor allem durch viele privaten Bekanntmachungen und Werbeanzeigen kaum möglich wäre.
Andererseits ist die Station entsprechend ihres Status auch für die Bewohner
57 Er ist nach wie vor zugleich Elektriker und Radiotechniker und pendelt zwischen seinem Atelier und der Radiostation, in der er vor allem für die Wartung der technischen Geräte, aber auch für den Dienst im Sendestudio zuständig ist.
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der umliegenden Gemeinden58 – vor allem Bauern – gedacht. Inzwischen hat
das Radio seit 2003 einen unter Mithilfe des Programmes PACOM eigenen
Trägerverein (association de promotion), der Mitglieder im gesamten Sendegebiet hat. Im Jahre 2008 zog man in ein neues Gebäude am Stadtrand, das mit Unterstützung der Schweizer Mission erbaut wurde. Anzeigenkunden
können sich aber an ein eigens dafür eingerichtetes Büro im Stadtzentrum
wenden. Die Sendeproduktion ist in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden.
Schließlich soll hier natürlich auch die staatliche Medienanstalt ORTB
erwähnt werden, die die drei Radiosender Radio Bénin und Atlantic FM
(jeweils in Cotonou) und Radio Parakou (zur Gründung dieser Sender vgl. Kapitel I,4) unter ihrem Dach vereint. Radio Bénin befindet sich im Stadt-
zentrum neben der TV-Anstalt des ORTB und beschäftigt zahlreiche Mitarbeiter. In einem langgestreckten Flachbau befinden sich zwei große Aufnah-
mestudios, etliche kleinere Büros sowie ein großer Redaktionsraum. Typisch ist eine differenzierte Rollenstruktur der Mitarbeiterschaft: neben verschie-
denen Verantwortlichen für Programmplanung und Technik arbeiten hier zahlreiche Tontechniker, Redakteure und Sprecher. Die meisten Sendungen des 20-stündigen Programmes werden mindestens mit einem Tontechniker
und einem Sprecher/Moderator gefahren. Der Ableger Atlantic FM wurde 1995 im ehemaligen, kleineren Radiosendezentrum in Cotonou primär als eine Unterhaltungswelle etabliert.
Radio Parakou wiederum ist etwas kleiner, aber im Vergleich zu den pri-
vaten Sendern ebenfalls gut ausgestattet. Die Station befindet sich am Rande von Parakou, arbeitet derzeit nicht mit allen Sendeeinrichtungen, sodass die
Programme nur Mono ausgestrahlt werden. Sie erreichen aber den gesamten Norden Benins. Hier ist der Anteil von Sendungen in einheimischen Sprachen
noch höher als im Falle von Radio Bénin. Manche Nachrichtensendungen
von Radio Benin werden vom Sender in Parakou aber übernommen. In den Vormittagsstunden wird schließlich ein eher kommerziell orientiertes Unterhaltungsprogramm unter dem Namen Septentrional FM ausgestrahlt.
58 Dies bedeutet nicht, dass die Bauern nicht auch andere Sendungen hören würden, zumal die meisten von ihnen auch Dendi verstehen. Hier, wie auch in anderen Fällen, war es der Verweis auf kulturelle Identität seitens der Vertreter dieser Gemeinden im Trägerverein, der in der Sprachwahl und Programmgestaltung des Senders berücksichtigt werden musste.
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Dieser kursorische Blick auf verschiedene Radiosender in Benin verdeut-
lichte zunächst ihre strukturelle und inhaltliche Vielfalt. Im folgenden Kapitel blicke ich genauer auf ausgewählte Radiostationen als Fallbeispiele und
analysiere technische und organisatorische Aspekte ihrer Produktionen im Alltag. Anschließend werden die Besonderheiten religiöser und Gemeinderadiosender in Benin besprochen, bevor verschiedene Berufskarrieren ihrer Gestalter erörtert werden.
II Radioproduzenten und Technologien
Abbildung 2: Bei einer Straßen-Umfrage, Stéphane Tankwouano, Journalist, Radio Rurale Locale Tanguiéta, März 2010
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1. Radioproduktion im Alltag: Routinen und Improvisation Moderator: „Hallo? Ah [...] Ich denke, dass uns der Hörer gerade verlassen hat – aber da ist schon ein anderer. Wir erinnern Sie daran, dass Sie bitte die 23 82 01 63 oder 90 66 25 15 wählen, da andere Telefonnummern nicht nutzbar sind, sie brauchen es auch nicht auf MTN versuchen. [...] Und es gibt nun einen Hörer in der Leitung, Hallo, könnten Sie sich bitte vorstellen? Hörer in der Leitung, Guten Abend!... Guten Abend! Ja, danke, aber wir können Sie nicht hören. Wie ist Ihr Name? Ja, wir können Sie nicht hören. Sie müssen lauter sprechen… Ja, jetzt empfangen wir Sie. Sprechen Sie weiter! Ja. Ja. Ja. Okay, aber bis jetzt haben Sie sich nicht vorgestellt [...] Ich glaube, dass wir es heute – entschuldigen Sie – mit ein wenig renitenten Zuhörern zu tun haben [lacht]!“ (Valentin Kwagou, Natitingou, Nanto FM, Sendung supplice du cœur, 14.03.08, 22.00)
Ich habe in den vorangegangenen Abschnitten die gegenwärtige Radiolandschaft in Benin hinsichtlich ihrer rechtlichen und institutionellen Rahmenbe-
dingungen vorgestellt. In diesem Kapitel wird vor allem die Seite der alltäglichen Radioproduktion und Nutzung von Radiotechnologien beleuchtet. Dabei
werden zu Beginn Beobachtungen in zwei ausgewählten Sendern ins Zentrum
der Betrachtung gestellt. Weiterhin wird den Besonderheiten von GemeindeRadiosendern (gängige englische Bezeichnung: community radio stations, im Folgenden: CRS genannt) sowie kon-fessioneller Radiostationen in detaillierteren Analysen ihrer Programme und Akteure Rechnung getragen. Im ab-
schließenden Teil des Kapitels werde ich verschiedene Generationen professi-
oneller Radiomitarbeiter und ihre Karrierewege in Benin betrachten. In diesem Zusammenhang werde ich vor allem die Arbeitssituation der gegenwärtigen Generation von Radioproduzenten in Benin analysieren.
Während der Feldforschungen wurden mittels der Methode der teilneh-
menden Beobachtung vor allem fünf Radiostationen, Radio CAPP FM, Radio
Tokpa (jeweils Cotonou), Radio Maranatha, Radio Arzèkè (jeweils Parakou) sowie Radio Nanto FM (Natitingou) näher untersucht. Eine der zentralen Methoden in diesem Zusammenhang war das kontinuierliche Beobachten und
Protokollieren der alltäglichen Arbeitsabläufe, Interaktionen und Handlungs-
strategien der Mitarbeiter in den jeweiligen Stationen. Kern der Vorgehens-
weise waren dabei jeweils mindestens einwöchige quasi ununterbrochene Beobachtungen in einem Sender, die dann durch viele weitere Besuche und
Beobachtungen kontinuierlich ergänzt wurden. Ich hielt mich vor allem in der
Senderegie, den Produktionsstudios, den Empfangsfoyers einschließlich der
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Public Relations – Abteilung sowie in den Redaktionsräumen auf. In etwas ge-
ringerem Maße wurden Büroräume der Stations- und, wenn vorhanden,
der Programmdirektoren und ihrer Sekretärinnen sowie Reparatur-Werkstätten der Techniker der Stationen einbezogen, weil hier weniger gruppenbezo-
gene Interaktionen stattfanden, meine Anwesenheit auch nicht immer erwünscht war und zudem zeitlich nicht parallel erfolgen konnte. BEOBACHTUNGEN IM STUDIO (UND DARÜBER HINAUS) Die folgenden Kurzprotokolle59 sollen Einblicke in den Stationsalltag von Radiosendern in Benin geben. Hier habe ich zwei Fallbeispiele gewählt: den privaten Sender CAPP FM (Cotonou) sowie den Gemeinderadiosender Radio
Nanto FM (Natitingou). Die Beobachtungen in letzterer Station gehen dann
über in detailliertere Fallanalysen von Radioproduktionen anhand der Be-
richterstattung über öffentliche Ereignisse im Raum Natitingou, die auch die Nutzung der Medientechnologien einbezieht. RADIO CAPP FM, COTONOU Der Sender Radio CAPP FM wurde bereits vorgestellt. Hier arbeiten wenige, allerdings sehr vielseitig befähigte Mitarbeiter, die aber nur wenige Räume für ihre Arbeit nutzen können.
Donnerstag, 20.11.2008. Heute hat die Tagesbegleitmoderatorin Rachi-
datou (Biographie vgl. Abschnitt II,4) Dienst und gestaltet die Morgen-Sendungen, spricht Anmoderationen und fährt aufgezeichnete Programme ab.
Rachidatou fügt in ihre Morgenmoderation zwischen 7.00 Uhr und 7.30 Uhr
meist ermunternde Sprüche, Aphorismen und Mottos ein, wie „zeigen Sie heute Mut – wer nichts versucht, wird nichts gewinnen.“ Dann wird um 7.30 Uhr die Presseschau auf Französisch, als Wiederholung vom Vortage gesendet.
Nach einem anschließenden musikalischen Intermezzo und verschiedenen An-
kündigungen wie „es wurde im Sender ein Ausweis von Herrn D. abgegeben“ und Werbeeinblendungen folgt daraufhin später die Sendung Chronique du
jour (Leitkommentar). Diese gestaltet der Direktor jeden Werktag und widmet
59 Auszüge aus weit umfangreicheren Feldtagebüchern. Die Beobachtungszeiträume beginnen nicht immer mit dem Wochenanfang.
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sich dabei aktuellen Themen der Gesellschaft. Heute geht es um einen promi-
nenten politischen Gefangenen (Andoche Amegnisse, Gründer der kritischen
Inter-Zeitschrift Tous sauf Yayi Boni en 2011), dessen Auftreten der Direktor missbilligt, seine Freilassung aber unterstützt. Dann wird auf Französisch eine
Bekanntmachung der Stadtverwaltung (Communiqué de la Mairie de Cotonou) vorgelesen, in dem es um die Zuständigkeiten und Ansprechpartner für ein-
zelne Bereiche der Verwaltung geht. Ich besuche kurz die Senderegie und führe danach mit dem Stationsdirektor ein langes Gespräch über die aktuelle
Situation des Senders. Am Empfang der Relations Publiques ist heute Vormittag Florimond Aclassato. Er wechselt sich mit Georgie ab. Zeitweise wirkt er auch als Sprecher von Werbespots oder Nachrichtensendungen. Einige Besucher
warten im Vorraum auf den Direktor. Sie wollen eine größere Werbekampagne in Auftrag geben.
Ich treffe die derzeitigen Praktikanten Elvire sowie Patrick, die für die
Nachrichtenproduktion (Reportagen vor Ort, Auswertung von Meldungen,
Vorbereitung der Nachrichtensendungen) eingesetzt werden. Elvire ist gerade mit ihrem Studium der Kommunikationswissenschaften fertig und möchte
jetzt praktische Erfahrungen im Medienbereich gewinnen. „CAPP FM ist kein großer, aber ein renommierter Sender, ich kann viel lernen“ hofft sie, soll
heute Strassenumfragen machen. Patrick studiert noch Rechtwissenschaften. Auf dem Tisch der Nachrichtenredaktion stapeln sich schon die heutigen Tageszeitungen. Als erstes hat diese bereits Dah Houawé für seine Presseschau
(vgl. Abschnitt I,1) durchgesehen. Er hat die für ihn interessantesten Meldun-
gen markiert und z.T. mit kleinen Randbemerkungen versehen. Immer endet
er in seiner Presseschau mit einer Meldung aus dem Bereich „Verschiedenes“, bzw. Klatsch, Gerüchte, Ungewöhnliches, Kurioses.
Später nimmt der für die französischsprachige Presseschau an diesem Tag
beauftragte Moderator – heute Wilfrid Ahouassou – die Zeitungen zur Hand. Seine Presseschau, die nach jener auf Fongbé läuft, weicht daher von jener
von Dah ab. Schließlich wertet ein Redakteur der Mittagsnachrichten die Zei-
tungen aus und produziert aus den wichtigsten Artikeln einige Informationen für die Mittagsnachrichtensendung CAPP Midi um 13 Uhr. Meist sind dies aber bei CAPP FM nicht mehr als zwei oder drei, denn eigene recherchierte Meldungen stehen im Vordergrund. In der Regel bestehen die Nachrichten auch
aus Elementen, bei denen eine aktuelle Meldung aufgenommen und mit selbst produzierten Beiträgen wie Umfragen oder Interviews ergänzt wird. Am Ende
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der Woche nutzen die Zeitungen noch einmal jene Journalisten, die mit re-
daktionell vorbereiteten politischen Sendungen betraut sind. Dazu gehört die
Diskussionssendung Questions actuelles am Freitagabend, die von Lucien moderiert wird, oder Focal, die von Wilfrid Ahouassou gestaltet wird, und sich meist einem Thema zuwendet. Die Zeitungen werden nach Gebrauch nicht
archiviert, sondern zunächst in einem Stauraum auf einen Stapel gelegt, bevor sie später vernichtet werden. Es ist 13 Uhr, die Mittags-Nachrichtensendung CAPP Midi mit dem Sprecher Wilfrid Ahouassou wird ausgestrahlt. Heute ist invité du jour Philippe Hado, Herausgeber der Tageszeitung Nouvelle Expres-
sion, die erst vor ein paar Tagen neu auf den Beniner Zeitungsmarkt kam. Er stellt die Zeitung und ihre Inhalte vor, verweist auf den hohen Anteil von Recherchen und Reportagen sowie die neutrale politische Position, die man
wahren will. Hado wurde von Wilfrid angerufen und ins Studio eingeladen. Gestern Nachmittag hat man das Gespräch aufgezeichnet.
Wilfrid im Sendestudio ist plötzlich erbost, weil offenbar eine falsche O-
Ton-Datei abgespielt wurde, die nicht zur Ankündigung des Beitrages passte.
Er macht stumme Gesten, die Rachidatou in der Regie aber sofort versteht und die nächste Datei abspielt. Kurz darauf wird die Nachrichtensendung auf
Gungbé gesendet, sie ist etwas kürzer gehalten. Der Moderator Thomas Hemadjé hatte keine Zeit, seine Aufnahmen auf Gungbé rechtzeitig auf den Netzwerkcomputer zu überspielen. Während seines Nachrichtenteiles hält er das
Aufnahmegerät an der entsprechenden Stelle direkt ans Mikrophon. Dah Houawé ruht sich inzwischen aus, er schlummert auf einem Tisch im hinteren
Bereich der Senderegie. Rachidatou telefoniert oft während der Sendungen,
vor allem, wenn sie das Mikrophon nicht freischalten muss, mit Freunden; verabredet Termine für Interviews oder spricht Einladungen von Studiogästen
für ihre eigenen Sendungen aus. Mitunter liest sie nebenbei ein Buch, momentan jenes von Jeanne Bisilliat, Femmes du Sud.
Ein Zettel wird in die Regie gereicht, eine neue Ordnung der Dateien ist
zu beachten: auf dem linken Computer die Einspiele der Nachrichten, auf dem
rechten Werbung, Jingles (Einspieler), Trailer (Anküdigungsspots) und Musik; weitere Dateien befinden sich auf der Festplatte eines alten Computers. Alle Computer sind über ein Netzwerk verbunden, man nutzt aber auch die lokalen
Laufwerke. Gegen 16 Uhr übergibt Rachidatou die Studioregie an Aubin, der die Abendmoderation übernimmt und schnellere Musiktitel wählt.
Freitag, 21.11.2008. Wieder hat Rachidatou Dienst, aber die Sendungen
beginnen mit 20minütiger Verspätung. Rachidatou hatte einfach verschlafen,
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der Direktor hat sie aber per Notanruf geweckt. Wilfrid kommt mit Interviews
vom Vortag, und bereitet damit die Mittagsnachrichten vor. Im kleineren Produktionsstudio befinden sich zwei Computerarbeitsplätze mit Mikrophonen.
Dort überspielen die Mitarbeiter ihre Aufnahmen auf den Netzwerkcomputer
und bearbeiten diese, sprechen Moderationen für vollständig vorproduzierte
Sendungen ein oder produzieren Werbespots. Der Abgeordnete Edgar Agoua
– ein enger Freund des Stationsdirektors – der zugleich Gründer (promoteur) des Radiosenders Radio Collines in Glazoué ist, besucht kurz den Sender. Simplice Hodonou kommt in die Studioregie, scherzt mit Rachidatou. Vormit-
tags wird seine Sendung cas pratique auf Französisch gefahren. Simplice ist Chef Culturel, sein Spitzname ist Rosymoh. Er erläutert uns kurz das Thema
der heutigen Sendung, dann geht es ins Studio. Unterstützt wird er heute von Florimond.
Es handelt sich um eine jener Ratgebersendungen zu intimen Problemen,
die derzeit in Benin einen Boom erleben. CAPP FM strahlt diese auf Fongbé
sowie Gungbé und immer freitags, um 11.30 Uhr, auf Französisch mit Simplice am Mikrophon aus. Wie immer rufen auch heute viele Leute an, um
den Fall eines Briefschreibers, Idelphonse (veränderte Namen), kaufmänni-
scher Angestellter, 38, zu diskutieren, der sich über die Eifersucht seiner Ehe-
frau Audile, 33, Grundschullehrerin, beklagte. „Meine Frau überwacht mich einfach zu sehr“ schreibt Idelphonse. Als Mitarbeiter einer privaten Firma
macht er oft Überstunden im Büro, kommt spät nachhaus. Seine Frau fühlt
sich vernachlässigt, vermutet gar eine Affäre und wird schließlich sogar bei seinem Chef vorstellig wird, um sich nach den Arbeitszeiten des Mannes zu
erkundigen. Der Brief wird zweimal verlesen und dann die Telefonleitung für Anrufer geöffnet.
Viele Hörer halten die Reaktion der Frau für übertrieben, gestehen ihr
kein Verständnis der Arbeitsbelastung ihres Mannes zu. Andere Hörer, vor
allem Frauen, sind der Meinung, dass der Ehemann vielleicht insgesamt seiner
Frau zu wenig Aufmerksamkeit schenkt, sie vielleicht zu wenig in seine beruflichen Probleme einbezieht. Er sollte sie zumindest öfter auch von der Arbeit
anrufen. Alle sind sich jedoch über die Vertrauens- und damit Ehekrise einig, und suchen nach Lösungen. Auch in der Senderegie wird der Fall intensiv
diskutiert, die anwesenden Rachidatou sowie Lucien Doussou, geben ihre Meinung kund. Die Anrufer landen zunächst in der Regie, wo ein entsprechendes
Lämpchen aufleuchtet. Rachidatou nimmt viele Anrufer kurz entgegen, wenn
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im Studio gesprochen wird. Dann gibt Rachidatou Simplice im Studio ein Zeichen und stellt den Hörer durch. Dies geschieht mittels Knopfdruck an einem
speziellen Transmittergerät (Téléphone Hybride) für Telefonanrufe, das die Anpassung und Verstärkung der Leitungsfrequenzen an die Erfordernisse des
Senders ermöglicht. Die gesamte Sendung über wird sanfte Musik gespielt, heute ein sanfter Titel des Gitarristen Pierre Dassabouté.
Während der Sendung sortiert Florimond Geld, denn danach muss er wie-
der zum Empfang und bald abrechnen. Nebenbei wird im zweiten Produkti-
onsstudio fieberhaft an den Beiträgen und Interviewsequenzen für die Mittagsnachrichten gearbeitet. Simplice sagt, dass die Sendung cas pratique eine große Hörerschaft hat, auch aus Porto-Novo rufen Leute an. „Wir haben pro
Sendung mindestens 20 Anrufer, manchmal aber auch 60.“ Oft rufen dieselben Hörer an, „ich erkenne manchmal schon, wer es ist, bevor er den Namen nennt“. Als die Moderatoren mit einer Anruferin scherzen, ruft Rachidatou
den beiden im Studio einmal laut (damit es trotz Glasscheibe vernehmbar ist)
zu: „Vous charmez les femmes!“ (‚ihr macht die Frauen verrückt‘). Sie ist der Meinung, dass einige Frauen nur aufgrund der Moderatoren anrufen, man
kennt sich, und hat Codes der Verständigung. Die zwei im Studio machen daraufhin Grimassen, und sie ruft Simplice zu: „Du imitierst mich!“. Nach der
Sendung folgt zwischen 12.30 und 13.00 Uhr wieder ein Musik- und Werbe-
Annoncen-Block, bevor die Mittagsnachrichten starten. Wieder ist Wilfrid am
Mikrophon. Invite du Journal ist heute der Präsident der beninischen Boxervereinigung. Das Boxen hat in der beninischen Vergangenheit bessere Tage er-
lebt, nun versucht man, wieder daran anzuknüpfen. Florimond ist inzwischen wieder am Empfang. Er macht die wöchentliche Abrechnung. Er muss später
dem Geschäftsführer am Hauptsitz des Verwaltungsträgers des Radios Centre Africain de la Pensée Positive am Markt Dantokpa, das Geld abliefern. Am Nachmittga kommt Aubin wieder in die Senderegie. Zwei Vertreter einer Kirchen-
gemeinde kommen ins Studio und gestalten eine religiöse Informationssendung.
Spätabends empfängt Lucien Dossou, im Hauptberuf Lehrer, seinen Stu-
diogast in der Sendung questions actuelles. Sie diskutieren über die aktuelle Weltfinanzkrise, ihre Ursachen und die Art und Weise, wie diese sich auf Afrika und Benin auswirkt. Die Sendung läuft gerade eine halbe Stunde, als
plötzlich helle Aufregung herrscht: Anrufer vermelden eine Schießerei vom Markt Dantokpa, kurz darauf sind laute Schüsse auch bis zum Sender zu hö-
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ren. Alle stürzen ins Haus, telefonieren umher. Zeitweise brechen alle Mobilfunknetze zusammen. Offenbar wurden zwei Banken am Dantokpa ausgeraubt. Wir schalten den TV-Sender Golfe Télévision ein. Hier wird unter der
Einblendung breaking news eine ad-hoc-Berichterstattung versucht. Ein Repor-
ter des Senders fährt zum Markt, aber es bleibt lange unklar, ob die Bankräuber noch dort sind oder nicht. Spät abends heißt es, dass auf jeden Fall eine
Brücke (ancien pont) für den Verkehr freigegeben worden sei. Ein Wächter fährt mich zu meiner Unterkunft, während der Sendebetrieb eingestellt wird. Auf dem Hof wird aber erregt weiter diskutiert (vgl. ausführlicher Abschnitt III,1).
Samstag, 22.11.2008. Am Morgen sind die gestrigen Ereignisse das wich-
tigste Thema. Alle berichten von ihren Erlebnissen und tragen Informationen zusammen. Um 8 Uhr wird die voraufgezeichnete Sendung Focal ausgestrahlt, die von Wilfrid Ahouassou gestaltet wurde. Es geht um die Rechenschafts-
pflicht der Abgeordneten. Danach gestaltet Rosymoh seine Latino-Musiksendung cuba libre, zwei Mitglieder des Fanclubs der Sendung kommen mit ins
Studio. Später kommen Wilfrid und Mesmin zur Sportsendung. Am Abend ist
Aubin mit seiner Samstagabend-Showsendung im DJ-Stil an der Reihe. Heute geht es ihm aber gar nicht gut, so fährt er zumeist nur Musik ab, ohne zu moderieren. „Um das gut zu machen, muss man in Form sein“ bemerkt er
entschuldigend. Später kommt seine Freundin, um ihm – wie oft an seinen Samstags-Sendungen – Gesellschaft zu leisten. Sie bringt Essen mit, wir teilen uns den Topf Mais mit Fisch.
Sonntag, 23.11.2008. Am Vormittag treffen die Verantwortlichen der
Hörervereinigung des Senders, der Association des auditeurs de la Radio CAPP
FM ein. Sie treffen sich in kleiner Runde zu dritt (Vorstand) meist jeden Sonntag, halten aber auch jährliche Generalversammlungen ab. Die Vereinigung hat rund 50 Mitglieder. Der Stationsdirektor stößt meist am Anfang kurz
hinzu. Die Mitglieder sind passionierte Radiohörer und stehen dem Sender aus verschiedenen Gründen nahe: entweder sind sie Fans bestimmter Sendungen oder von einzelnen Moderatoren, oder sie fühlen sich dem Sender aufgrund
von öffentlichen Veranstaltungen wie dem Märchenfestival FICOP (vgl. Abschnitt III,1) verbunden. Zumeist wohnen sie im unmittelbaren räumlichen
Umfeld des Senders, d.h. der angrenzenden Stadtteile, und haben den Sender vormals meist schon öfter besucht. Die Association ist in verschiedene Aktivitäten des Senders, vor allem in der Organisation größerer Veranstaltungen
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und in die Zusammenarbeit mit Behörden im Stadtteil eingebunden. Ich un-
terhalte mich lange mit dem Präsidenten der Vereinigung Serge Biokou und seinem secrétaire Julien. Sie erklären mir, dass es Ihnen ein wichtiges Anliegen
ist, die Unabhängigkeit des Senders zu bewahren, d.h. diesen frei von Fremdbestimmung und politisch ausgewogen zu halten.
Neben dem fund raising und beratenden Aufgaben in der Programmgestal-
tung, geht es um das Feedback zu einzelnen Sendungen. Grundsätzlich geben
beide ihre Meinung kund, wenn z.B. Sendeplätze nicht günstig sind, oder be-
liebte Sendungen abgesetzt werden. Neben der Mitgestaltung von größeren Events wie dem Sendergeburtstag etc., kommt der Vereinigung zunehmend
eine soziale Aufgabe zu. So hat sich als wichtiger Teil ihrer Arbeit die Beglei-
tung von Sozialfällen herausgestellt. Dabei handelt es sich um Personen mit
sozialen Problemen aller Art, z.B. schwierigen familiären Umständen wie Alleinstehenden mit vielen Kindern, Obdachlosigkeit, fehlende Hilfe bei Krank-
heiten u.a. Diese Fälle wurden entweder in Anrufersendungen wie cas pratique durch Botschaften an den Sender oder während der Reportagen manifest, eine
notwendige Hilfe übersteigt aber meist die Möglichkeiten der einzelnen Mo-
deratoren, „das können die Mitarbeiter allein gar nicht leisten“ merkt Biokou an, „aber gerade dadurch wächst der Ruf des Senders sich nicht einfach nur diese Probleme anzuhören, in Sendungen zu diskutieren, sondern auch Hilfe anzubieten.“
Am Sonntag sind nur wenige Mitarbeiter und Besucher im Sender. Die
Aufregung über den Banküberfall hat sich bereits etwas gelegt. Dafür ist gerade am Sonntag der Sendeplatz für Programme in Sprachen wie Yoruba (siehe weiter unten) und Englisch, aber auch für Wiederholungen, oder Sen-
dungen für Liebhaber bestimmter Musikstile reserviert. Am Nachmittag kommt der Moderator der Yoruba – Sendungen, Aiolé Adekule. Er stammt aus
Nigeria, besitzt bereits Radioerfahrungen und unterhält enge Kontakte zu seiner Hörergemeinde, die – durch die grenzüberschreitende Sprachverbreitung
– sich auch aus Zuwanderern, Geschäftstreibenden und Besuchern aus Nigeria rekrutiert. Später übernimmt Robert Fabiyi, alias Aloba-Dur, das Mikrophon,
der mit seinen Moderationen die Hörer zur Entspannung bringen will: „Ich hoffe, sie hatten ein schönes Wochenende. Nun geniessen sie noch den Abend, bevor wieder die Mühen des Alltags folgen. Hören sie diese Musik, die sie besänftigen wird…“ Nebenbei verfolgen wir ein Fußballspiel, das parallel im Radio und Fernsehen übertragen wird. Die Junioren Benins spielen gegen
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Ghana um die Teilnahme an der Junioren-Afrikameisterschaft. Zum Elfmeterschießen verlassen wir kurz die Studioregie und sehen uns die entscheidenden Szenen im Fernsehen an. Leider verlieren die Beniner Junioren. Robert erzählt
mir, dass er heute wie oft umsonst zu einer großen Musikveranstaltung mit vielen in- und ausländischen Künstlern wie King Mensah oder Nel Oliver eingeladen ist und fragt mich spontan, ob ich ihn begleiten will. So brechen wir
gegen 19.30 Uhr auf. Aubin übernimmt den Rest des Abendprogramms, das dann nur aus Musik, aufgezeichneten Anzeigen und Werbebotschaften sowie einer Wiederholung der Sendung Focal besteht. Robert holt seine Frau ab,
dann fahren wir zum Stadion. Die Veranstaltung, die von der Fluglinie Air France gesponsert wird, beginnt mit reichlich Verspätung. Etliche Musiker treffen erst im Laufe des Abends ein. Als aber die beliebte ivorische Gruppe Magic System auftritt, erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt.
Montag, 24.11.2008. Morgens ist im Sender wieder ein weitaus geschäf-
tigerer Betrieb als am Vortag. Auf einer (Whiteboard-)Tafel sind – wie in den meisten Stationen üblich – die Ereignisse und Veranstaltungen markiert, über
die der Sender berichten will. Der Chefredakteur Maurille hat entweder am Vorabend oder früh morgens die Zuordnung der Journalisten vorgenommen, die entsprechend seiner Einteilung auf Reportage gehen sollen. Dem Praktikanten Patrick wird heute die Moderation der täglichen Presseschau auf Fran-
zösisch übertragen. Seit dem morgendlichen Eintreffen der Tageszeitungen
bereitet er diese daraufhin akribisch vor. Sein dann aber recht lauter, eindringlicher Sprachstil ruft die Kritik von Wilfrid hervor. Er ist der Meinung,
dass Patrick zu reißerisch arbeitet, mehr noch gar als Dah Houawé, und bittet ihn, beim nächsten Mal etwas gemäßigter zu agieren.
Am Nachmittag beginnt erneut Aubin seinen Dienst. Am frühen Abend
fällt plötzlich der Strom aus, im ganzen Stadtviertel ist es – wie so oft in letzter Zeit – völlig dunkel. Zunächst wird der Generator in Betrieb genommen, aber
es stellt sich heraus, dass dieser nicht mehr richtig funktioniert. Um die Anlagen zu schützen, wird er ausgeschaltet. Ein Mechaniker wird angerufen, er kann aber erst am nächsten Morgen kommen. Die Nachrichtensendung läuft
noch weiter, ebenso wie eine kurze Diskussionssendung mit Vertetern einer NRO im Bildungnsbereich im Anschluss. Die Computer im Studio und die Sen-
deanlage bekommen über einen leistungsstarken Puffer-Akku Strom, der noch 30min weiterläuft. Im Studio liest Wilfrid die Nachrichten mit Hilfe einer in seinem Handy eingebauten Leuchte. Auch die Diskussion mit den Gästen fin-
det im halbdunklen Studio statt. Dann fahren wir die Computer herunter, der
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Sendebetrieb wird nun für heute eingestellt. Dadurch fällt auch heute Roberts
Sendung mit jungen Musikern aus. Diese hatten schon eine Weile auf dem Hof gewartet, und sind nun recht enttäuscht. Robert entschuldigt sich bei ihnen und lädt alle ein, in der nächsten Woche wiederzukommen
Dienstag, 25.11.2008. Morgens hat Rachidatou Dienst, fährt wie üblich
die Morgensendungen einschließlich der voraufgezeichneten Chronique ab. Gegen 8 Uhr treffen kurz nacheinander Dah Houawé, Thomas, Wilfrid sowie
die Praktikanten ein. Wilfried und Patrick brechen zu einer Reportage auf dem
Campus der Universität Abomey-Calavi auf. Dort gab es am Vortag eine Schießerei mit mehreren Verletzten. Der Leibwächter des Dekans der juristischen
Fakultät fühlte sich von protestierenden Studierenden bedroht und schoss – in seiner Darstellung aus Notwehr – in die Menge. Die Studierenden gerieten darüber in Aufruhr, zumal sie der Meinung sind, dass Waffen auf dem Campus nichts zu suchen haben. Grund der Proteste waren drastische Erhöhungen der
Studien- und Prüfungsgebühren. Die Praktikantin Elvire und Wilgis sitzen am
Redaktionstisch, werten Zeitungen aus und schreiben Meldungen für das Mittagsjournal, während Thomas seine Sendung auf Gungbé vorbereitet. Wir unterhalten uns über die Resonanz der Sendung, die in seinem Falle nicht nur
Partnerschaftskonflikte, sondern soziale Probleme im weitesten Sinne an-
spricht. Dann kommt ein französischer Botschaftsmitarbeiter, der den Sender
in Begleitung des Direktors besucht. Seine Frau organisiert am Abend im französischen Kulturinstitut eine Literaturveranstaltung und wird darüber von Rachidatou interviewt werden.
Plötzlich wird Rachidatou sehr wütend. Sie hat erfahren, dass ein Techni-
ker schlecht über sie gesprochen hat. In einem Gespräch mit dem Stationsdirektor hat er wohl geäußert, dass sie während der Sendungen oft im Internet
surft und dadurch nicht aufmerksam sei. Sie ereifert sich, stellt ihn kurz zur Rede, und kommt während des gesamten Vormittags nicht zur Ruhe. Sie verweist auf ihre größere Erfahrung, und die Bedeutung der Sendungen, die sie
gestaltet. Wilfrid kommt schließlich nach drei Stunden, Staub bedeckt und erschöpft, zurück. Er geht eilig ins kleine Produktionsstudio, um seine Aufnahmen zu überspielen und zu schneiden. Anschließend schreibt er, wie alle
anderen Redakteure, Kurzberichte auf handliche A5-Zettel, bevor er sich dann
in die Senderegie begibt, um die Reihenfolge der einzelnen O-Ton-Sequenzen
der Nachrichten noch einmal mit dem Studiotechniker abzu sprechen. Da die Senderegie mit dem Produktionsstudio per Netzwerk verbunden ist, kann der
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Moderator im Sendestudio die vorproduzierten Dateien auf seinen Regiecom-
puter kopieren. Anschließend fügt er die entsprechenden Elemente in die Playlists der Software BMP Studio ein. Meist tragen die einzelnen Aufnahmen
Kurzbezeichnungen wie ELT 25.11.Campus, die den Mitarbeiten bekannt sind.
Am Nachmittag wird die Sendung feminin pluriel, gestaltet durch Rachidatou, ausgestrahlt, die zuvor aufgezeichnet wurde. Dabei steht als Studiogast eine Pfarrerin einer Freikirche im Vordergrund. Diese gestaltete zuvor selbst eine
Sendereihe bei Radio CAPP FM, hatte dann für die Bereitstellung der Sendezeit aber von ihrer Partnerkirche in den USA keine Mittel mehr bekommen.
Mittwoch, 26.11.2008. Die Studioregie führt am Morgen wieder Rachi-
datou. Der Vormittag verläuft wieder mit den üblichen Ankündigungen, dem
Leitkommentar des Direktors, der Presseschau sowie den Nachrichten. Um 11.30 Uhr wird eine grogne-Sendung von Thomas auf Gungbé ausgestrahlt. Er
widmet sich noch einmal den Ereignissen des letzten Freitags rund um den
Banküberfall. Vor und nach den Nachrichten werden dann wieder viele private Ankündigungen und Werbebotschaften verlesen. Sie sind handschriftlich oder auch maschinenschriftlich in der Studioregie abgelegt. Die jeweiligen
Themen oder Titel befinden sich aber auch noch einmal auf einer kurzen Liste,
die die Sendezeiten angibt. Am bedeutendsten sind die Zeiten vor und nach
der Presseschau von Dah Houawé, die Werbekunden auch teurer angeboten werden. Die wichtigsten Werbebotschaften und Verlautbarungen sind eigens
markiert; offenbar, weil hier die Auftraggeber besonders auf deren Diffusion
achten und entsprechend dafür bezahlt haben. Laut Aussagen von Rachidatou kam es mitunter vor, dass sich Auftraggeber beschwerten, dass ihre bezahlten Botschaften nicht gesendet wurden. Seitdem wird sehr genau darauf geachtet.
Der Markt für diese Botschaften nimmt in Cotonou immer mehr zu (vgl. Abschnitt III,2).
Am Nachmittag kommt Georgie mit einem Anliegen in die Regie: ein klei-
ner, ca. fünfjähriger, etwas verängstigter Junge wurde zur Station gebracht. Seine Eltern werden gesucht. Mehrfach wird die Nachricht durchgegeben. Pa-
rallel dazu setzen wir uns mit dem zuständigen Kreisamtsleiter (chef d’arrondissement) in Verbindung, um eventuelle Hinweise auf suchende Eltern zu finden. Als am Abend der Junge noch von niemandem abgeholt wird, rufen wir
den zuständigen Sozialdienst Brigade des mineurs an, der den Jungen in Empfang nimmt und sich dann um alles weitere kümmert. Wir vereinbaren, dass
man uns Rückmeldung gibt, ob der Junge abgeholt wurde oder nicht, in letz-
terem Falle werden dann am nächsten Tag in regelmäßigen Abständen die
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Botschaften wiederholt. Sie sind in diesem Falle kostenlos.60 Verliert hingegen jemand etwas, und die Gegenstände werden im Sender abgegeben, so werden dem Besitzer bei Abholung die Kosten der Information in Rechnung gestellt.
Spätabends ein aufgeregter Anruf: der Praktikant Wilgis hat einen Motor-
radunfall. Ein Passant rief den Sender an. Es ist zunächst unklar, was genau
passiert ist, und wo der Unfall war. Wir können Wilgis nicht direkt erreichen.
Schließlich machen sich Wilfrid und der Nachtwächter zusammen auf die Suche. Sie finden Wilgis am Unfallort, an dem inzwischen auch sein Vater ein-
getroffen ist. Gemeinsam bringen sie Wilgis ins Universitätskrankenhaus, wo
u.a. ein Fußbruch festgestellt wird. Die Nachricht spricht sich schnell, trotz später Stunde, unter den Mitarbeitern des Senders herum. Alle sind besorgt, kann doch so ein Unfall auch schlimmere Folgen haben, zumal Wilgis, wie
hier üblich, keinen Helm trug. Einige sind der Meinung, dass er möglicherweise zu viel Alkohol konsumiert hatte und daher sicher zu schnell unterwegs
war. Alle erkundigen sich auch am nächsten Tag nach dem Wohlbefinden von Wilgis, eine kleine Abordnung besucht ihn später im Krankenhaus, wo er nach
ein paar Tagen entlassen wird. Er nimmt nach 3 Wochen den Dienst im Sender wieder auf.
VERGLEICH DER ERFAHRUNGEN Im Vergleich der einzelnen Beobachtungsprotokolle fallen viele Gemeinsam-
keiten im Stationsalltag der Sender, dabei auch unabhängig von ihrem recht-
lichen Status, auf. Dazu zählen in erster Linie die vielfältigen verbalen Interaktionen im Alltag – ständiges Grüßen, Witzeln, Privatgespräche, mitunter gar
kleine Streitigkeiten – zwischen allen Mitarbeitern, die auch ungeachtet laufender Produktion in Studios und Senderegion und gar während der Sendun-
gen stattfinden. Vor allem in der Senderegie, die meist auch als Sendestudio
der Tagesmoderation61 dient, ist ein ständiges Aus- und Eingehen zu beobachten: das Überspielen von Sendedateien, das Besprechen von Abläufen und
60 Kindernotdienste dieser Art sind inzwischen eine übliche Vorgehensweise geworden, gerade seit private Sender mit hohem Besucherverkehr in Ballungsgebieten diese anbieten, z.B. auch Radio Tokpa und Radio Océan (jeweils Cotonou). 61 Im Gegensatz zum staatlichen Sender ORTB sowie einigen der RRL sind die meisten Sender – im Ansatz dem klassischen amerikanischen Kleinstsenderprinzip folgend –
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Nachrichten, und das gleichzeitige Diskutieren, Essen, Umziehen etc. Durch die meist sehr engen räumlichen Verhältnisse lässt sich die parallele Nutzung von Räumen (zur Sendevorbereitung, Aufenthaltsraum, Aufbewah-
rungsort) und die dadurch bedingte Anwesenheit vieler Personen dort zwangsläufig nicht vermeiden.62
Auffällig war die relativ große Ungezwungenheit der meisten Interaktio-
nen, einschließlich der kurzen Wege vom Direktor zu den Moderatoren, die hohe Flexibilität und Improvisationsbereitschaft sowohl im technischen als
auch inhaltlichen Bereich sowie die Polyvalenz der meisten Mitarbeiter, die
trotz ihrer nominellen Spezialisierungen bei Bedarf auch Rollen tauschen können. In manchen Fällen waren zudem erst nach einiger Zeit die „feinen Un-
terschiede“ zwischen festangestellten, längerfristig beschäftigten Mitarbeitern und Vertragsmitarbeitern bzw. Praktikanten erkennbar. Praktikanten durchlaufen meist im Sender mehrere Bereiche. Fast alle Radiostationen haben in-
tegrierte Verkaufsstellen für CDs, DVDs, Zeitschriften oder traditionelle Heilmittel eingerichtet, oft als Kommissionshandel für Künstler oder Händler, mit denen sie zusammen arbeiten (Werbung) und dadurch ein Nebeneinnahmen generieren.
Wesentliche Unterschiede im Alltag der untersuchten Stationen bestehen
einerseits in der generellen Art und Weise, wie die Sendeproduktion erfolgt, z.B. entsprechend bestimmter Standards wie der Einhaltung der Sendepläne
oder vorgesehener Spezialsendungen, aufgrund der jeweiligen, auch durch die
Stationsleitung begründeten Senderkultur, die dies bedingt. Unterschiede bestehen auch in formellen Aspekten: in manchen Sender finden die Redaktionssitzungen unter Leitung des Chefredakteurs regelmäßig, pünktlich und struk-
turiert statt (in Sender wie Radio Tokpa gar zweimal täglich), in anderen eher knapp und informell. Die geplanten Reportagen des Tages werden von einem
sécretaire de la rédaction auf einer Tafel notiert (im Sender Arzèkè FM zugleich
so eingerichtet, dass auch vom Regiepult aus moderierte Sendungen gefahren werden können, vor allem wenn keine weiteren Gäste intervenieren. 62 Im religiösen Sender Radio Alléluia dient der Raum der Studioregie, der zusammen mit dem Aufnahmestudio der einzigen klimatisierten Bereich des Senders ist, zugleich als etwas abgedunkelter Ruheraum, wo man oft schlafende oder ausgestreckt ruhende Mitarbeiter findet. Sie stört es kaum, dass sich andere Besucher laut unterhalten und Besucher auftauchen.
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in einem Heft protokolliert).Zum anderen machen sich die Verortung der Sta-
tion und ihre soziale Verankerung in der Senderegion auch im Stationsalltag bemerkbar. Dies äußerte sich z.B. in der Frequenz der Besucher, der Vielfalt
und Art der Bekanntmachungen, der Kontakte zu Musikern, lokalen Behörden.
Schließlich machen sich auch im Alltag die personelle Ausstattung, die Programmpolitik und das Credo der Stationsgründer und ihrer Träger bemerkbar.
In manchen Sendern wird ein recht kurzes Informationsprogramm erstellt,
während dies in anderen Sendern weitaus vielfältiger und politisch anspruchs-
voller ist. Dies wirkt sich dann auf die Länge und Bedeutung der entsprechen-
den Redaktionssitzungen (Quénum 2004), die Anwesenheit von Experten (invités, personnes ressources), das Auswerten von Zeitungen und das notwendige Improvisieren bei der Produktion von Reportagen aus. In allen Sendern, auch
den personell weniger stark besetzten, werden formelle Hierarchien zwischen einzelnen Verantwortungsbereichen aufrechterhalten.
Vor allem gegenüber Praktikanten achten etabliertere Mitarbeiter auf eine
bestimmte soziale Distanz. Die Direktoren der Sender bestehen meist auf den
Formalien der Position wie getrennte Dienstbüros, finale Mitspracherechte, die Leitung von Mitarbeiterbesprechungen und das Recht zu Dienstanweisun-
gen auch ohne Konsultation.63 Die Art und Weise, wie die Direktoren den All-
tagsbetrieb verfolgen, wechselt aber von Sender zu Sender, ebenso wie die Art und Weise, den Teamgeist unter den Mitarbeitern zu stärken. Regelmäßige Betriebsausflüge aller Stationsmitarbeiter wie z.B. von Radio Arzèkè oder Radio Tokpa oder Fussballspiele gegen Teams aus dem Ort (Radio Nanto FM) sind die Ausnahme.
RADIO TOKPA UND RADIO CAPP64 IM VERGLEICH Radio Tokpa ist breit aufgestellt und versucht möglichst viele Hörergruppen
einzubeziehen, gleichzeitig auch viele praktische und politische Informatio-
nen zu vermitteln. Der Sender wurde bewusst unweit des großen Marktes in-
63 Die Stationsdirektoren werden auch meist mit directeur angesprochen; Ausnahmen gelten nur für wenige Fälle wie prestigereiche Mitarbeiter. Bei Radio Tokpa sprechen Dah und Thomas Jerôme Carlos mit seinem Vor-Namen an. 64 Zusätzliche Informationen zu den Sendern CAPP FM sowie Tokpa FM erhielt ich von Sarah Pelull und Christine Graf (jeweils Berlin), die dort Praktika absolvierten.
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stalliert, um seine Nähe zu den rund um den Markt tätigen Händlern, Handwerker und Dienstleistern als potentielle Hörer und Nutzer zu signalisieren.
CAPP FM wird noch viel mehr als Radio Tokpa – wo einzelne Moderatoren
wie Nan (Eugenie) Adoukonou ebenfalls berühmt sind – von der Individualität und vom Prestige der einzelnen bekannten Moderatoren getragen, die dort
schon sehr lange arbeiten. Sie haben eine starke Anhängerschaft, und wenden sich in ihren Sendungen direkt an „ihre Hörer“. CAPP orientiert sich linguistisch tendenziell etwas mehr an den östlichen Stadtvierteln Cotonous sowie den Regionen bis hin nach Porto-Novo.
Radio Tokpa wiederum hat ein noch differenzierteres Programmschema,
weitaus mehr Mitarbeiter, und wird auch stärker von Besuchern frequentiert. Die Wirkung beider privater Sender wird von der Haltung der jeweiligen
Gründerpersönlichkeiten, aber auch der politischen Integrität ihrer wichtigsten Redakteure wie Wilfrid Ahouassou, Lucien Dossou (CAPP FM) oder Ben-
jamin Agon, Fortune Houndefa (Radio Tokpa) geprägt. In beiden Fällen ist der Stationsdirektor auch selbst im Sendebetrieb aktiv, im Falle von Jerôme
Carlos von CAPP FM durch seine werktäglichen Leit-Kommentare, bei Guy Kakpo65 im Rahmen seiner samstäglichen Sport- und Unterhaltungssendung weekend à tout vent.
In technischer Hinsicht sind die meisten Sender nur unzureichend ausge-
stattet, oder kämpfen mit dem allmählichen Verfall technischer Anlagen. So
gibt es in manchen Sendern mitunter abends nur wenige Lichtquellen, z.B. Leuchtstoffröhren, die die Studios in ein diffuses Halbdunkel tauchen, in dem die Computerbildschirme der Studioregie wie auch Fernseher im Redaktionsraum flackernde Spotlichter einwerfen. Haben zuvor vielleicht Klimaanlagen
funktioniert, so sind diese später oft defekt und werden nicht ersetzt, man behilft sich mit lauten Ventilatoren.
65 Der Direktor von Radio Tokpa FM Guy Kpakpo ist vergleichsweise streng. So hat er Anfang März 2010 Edwige Klutse, eine sehr beliebte Moderatorin, die vor allem durch die Samstagabendshow bekannt ist, für zwei Wochen vom Dienst (ohne Lohnausgleich) suspendiert, weil sie ohne Absprache mit dem Programmdirektor den Dienst mit jemandem getauscht hatte, der zudem nicht kam.
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RADIO COMMUNAUTAIRE NANTO FM, NATITINGOU Radio Nanto FM ist ein Gemeinderadiosender in der Provinzhauptstadt Nati-
tingou. Die Station wurde unter Federführung der damaligen Stadtverwal-
tung, circonscription urbaine (heute: Commune de Natitingou) im Jahre 2003 gegründet, die immer auch noch einen Teil der laufenden Kosten übernimmt.
Das Gebäude der Station befindet sich mitten im Stadtzentrum im Viertel Djindjiré-Béri. Der Sender ist einfach ausgestattet. Natitingou (rund 80.000 Einwohner) ist die Verwaltungshauptstadt des Department Atakora, im Nor-
den der Republik Benin, und neben Djougou die bedeutendste Mittelstadt im
Nordwesten Benins. Der Ort ist zugleich Verwaltungszentrum der Commune
Natitingou, deren Entwicklung seit der Dezentralisierung administrativer Rechte vor einem gewählten Gemeinderat (conseil communal) geführt wird,
der einen Bürgermeister (maire) wählt. Natitingou ist zugleich regionales Zentrum und Sitz verschiedener Organisationen der EZ (u.a. der GIZ). Natitingou ist bei Touristen sehr beliebt, daher gibt es zahlreiche Hotels. Die Region wird
überwiegend von gursprachigen ethnischen Gruppen (Waaba, Ditammari,
Baatombu) sowie Händlergruppen der Dendi und Yoruba bewohnt, die von Landwirtschaft, Viehzucht, Tourismus und Handel leben.
In den letzten Jahren hat auch Natitingou einen Bevölkerungszuwachs aus
verschiedenen Landesteilen erlebt, der mit der allmählichen Erweiterung der
Infrastrukturen (internationale Straßenverbindung, Markt, neue Stadtteile, Schulen) und Dienstleitungs- und Handelssektors verbunden ist. Die mediale Infrastruktur ist allerdings recht begrenzt. Neben Radio Nanto FM gibt es
(noch) keine weiteren Sender. Die Tageszeitungen LE MATINAL und LA NATION unterhalten hier örtliche Büros.
„Hört alle Nanto FM, Radio Nanto, den Sender unseres Herzens“ hört man
derzeit oft, wenn man den Sender einschaltet; ein Preis-Lied des Musikers Kpoto Kwagou aus dem Ort (2013). Im Sender arbeiten überwiegend junge
Techniker und Journalisten, zu denen einige freiwillige und Teilzeit-Vertrags-
mitarbeiter kommen. Zur Zeit sind es drei Kategorien von insgesamt 20 Mitarbeitern (2013): feste Mitarbeiter (permanents salariés) und freie Feste (permanents contractuels oder personnel pigiste), d.h. Vertragsmitarbeiter für
zeitlich befristete Sendereihen oder technische Vertretungs-Dienste, mit denen meist ein einjähriger Werkvertrag abgeschlossen wird und die eine monatliche Summe ohne Zusatzleistungen, weit unter den Bezügen der Festan-
gestellten, erhalten, sowie sieben Ehrenamtliche (bénévoles), die mitunter –
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aber nicht regelmäßig – eine Art Aufwandsentschädigung (5.000-10.000 FCFA pro Monat, 8-13 €) erhalten. Da es aber viele der Freiwilligen dieser Art
gibt, hatten sich diese Aufwandsentschädigungen zwischenzeitlich erheblich summiert und wurden zurückgefahren. Der Stationsdirektor ist auch einer der Nachrichtenredakteure. Anfangs unterstand der Sender direkt der Stadtver-
waltung Natitingous, der langjährige Direktor Aimé Behanzin war zugleich Medienbeauftragter der Commune.
Nach Kritiken an der Führung des Senders wurde im Jahre 2007 – wie in
den meisten assoziativen Sendern – eine neue Trägerstruktur in Gestalt einer Association de Promotion de la Radio Nanto FM mit einem Conseil d’Administration (CA) gegründet. In letzterem sind auch Vertreter der Gemeinde, allerdings
gewählt und nicht ex-officio, wie zuvor. Die offizielle Übergabe der Verwaltung von der Mairie an den CA erfolgte schließlich am 15. Mai 2008. Den
Vorsitz hat derzeit Roger Koura, Mitarbeiter der regionalen Waser- und Mi-
nenverwaltung, inne. Die Mairie bezuschusst das Budget des CA, aus dem z.T. Löhne gezahlt werden. Es gibt eine Jahreshauptversammlung des CA, auf der die einzelnen Vertreter gewählt werden. Der CA wird von einzelnen Untergremien ergänzt, wie dem Finanzkomitee, dem Programmkomitee etc., die sich
im vierteljährlichen Rhythmus treffen. Alle zentralen Belange wie die Jahresfinanzplanung, die großen Linien der Programmgestaltung sowie die Zusam-
menarbeit des Senders mit der Mairie werden im CA hier diskutiert. Der Sta-
tionsdirektor trifft aber alltägliche Entscheidungen in Bezug auf die Verwendung laufender Mittel, der Führung des Personals sowie der Verträge
mit Auftraggebern. Um weitere Interessen-Entflechtungen von Radio und Stadtverwaltung sicherzustellen, zog sich der Direktor Behanzin im April in
die Stadtverwaltung zurück. Ein neuer Direktor, Timothée Kousséré (nach seinem Weggang zum Kommunikationsdienst des Parlements Anfang 2013 der-
zeit ersetzt von Télésphore Sekou), trat den Dienst an. Konflikte um das Budget, vor allem im Zusammenhang mit dem Neubau des Stationsgebäudes, dauerten an (Yotto 2012), bevor Ende 2013 ein neuer CA gewählt wurde.
Die Sendungen in insgesamt 11 Sprachen werden meist von 6 bis 12 Uhr
und von 16 bis 23 Uhr ausgestrahlt und umfassen Informationen, Musik-, Ratgeber- und Diskussionssendungen sowie Direktübertragungen. Erfolgreiche
Sendungen sind auch invité de la semaine (Gast der Woche), éveil des enfants (Kindersendung), die wöchentliche (interaktive) Journalistenrunde actu hebdo zur politischen Aktualität oder supplice du cœur (Ratgebersendung). Radio
Nanto arbeitet derzeit mit einer Vielzahl von Partnern, z.B. im Rahmen der
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Sendereihe amour et vie, zusammen, für die meist kurze Programme produziert und ausgestrahlt werden (vgl. Abschnitt II,2 zu CRS). Häufig werden Sendungen mit Studiogästen gestaltet, die als Experten oder Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen oder NRO bestimmte Anliegen wie den Schutz vor HIV, die Notwendigkeit von Mädchenbildung etc. erläutern sollen.
Die damalige Programmchefin Germaine Yedonté N'Tcha berichtete aber:
„Es ist nicht immer einfach hier in Natitingou, Gäste für Sendungen zu finden. Zum einen ist das Radio etwas abgelegent, zum anderen hoffen manche Gäste
auf Prämien. Dabei müssten doch einige der Eingeladenen selbst ein Interesse haben, im Radio aufzutreten, wenn das Thema ihr Metier berührt, so im Be-
reich der Gesundheitsaufklärung.“ (Natitingou, November 2008) Radio Nanto leidet derzeit unter drei zentralen Problemfeldern: der relativ begrenzten
Reichweite (nicht das gesamte Verwaltungsgebiet der Gemeinde Natitingou
wird abgedeckt),66 der unzureichenden technischen Ausstattung sowie einer problematischen Personalplanung.
Nach einer anfänglichen, durch viele Freiwillige getragenen euphorischen
Phase haben Budgetkürzungen, die Fluktuation von Mitarbeitern (aufgrund
mangelhafter Bezahlung, aber auch Versetzungen und Ausbildungswegen von freiwilligen Mitarbeitern), Probleme der technischen Ausstattung sowie ein
zurückgehendes Interesse von Hörern und Auftraggebern zu einer Phase der Stagnation geführt.67 Nach dem Umzug des Senders in ein neues Gebäude im Stadtzentrum68 erfolgte ab 2010 eine Neuausrichtung. Der Personalspiegel
66 Man kann die Station gut entlang der Nationalstraße gen Süden bis zum Ort Perma empfangen, in allen Stadtvierteln Natitingous und den südlich und südöstlich angrenzenden Dörfern bis zur Grenze Togos, ebenso bis Kotopounga im Südosten auf einer Anhöhe. Allerdings blockieren Berge den Empfang schon in Peporiyakou, 6km nördlich der Stadt, ebenso in Yarikou in östlicher und Kouaba in westlicher Richtung. 67 In solch einer Situation befanden sich nach den Anfangsjahren ebenfalls viele der im Jahr 1998 gegründeten Gemeinderadiosender. Etliche von ihnen haben durch das Engagement von Stationsleitung, Mitarbeitern, Trägervereinen sowie Entwicklungsgebern wie dem Programm PACOM inzwischen eine Neustrukturierung und Verbesserung der Infrastruktur auf den Weg bringen können, wie z.B. Radio Solidarité FM Djougou. 68 Anfang 2008 nahm man bereits den Bau eines neuen Gebäudes im Ortszentrum in Angriff, mit einem Budget von 16 Millionen FCFA, das teilweise die Mairie, teilweise Spenden, teilweise Entwicklungsgeber auch von der ASCOM sowie der Partnerstadt Rilieux in Frankreich aufbrachten. Allerdings verzögerten sich die Arbeiten, weil die
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wurde insofern verändert, als man nun mit mehreren festen Mitarbeitern und nur wenigen Freiwilligen zusammenarbeitet. Ein Team von RFI, das Mitte
2008 den Sender in der Ausbildung unterstützt hatte, empfahl, das ständige Personal zu reduzieren. So sind es momentan sechs feste Mitarbeiter und
zwölf Freiwillige. Zwischenzeitlich „ausgemusterte“ Mitarbeiter wurden Ende März wieder hinzugezogen, vor allem wurden aber zwei neue feste Mitarbeiter eingestellt, um den oft zeitlichen Problemen der anderenorts angestellten Freiwilligen mit einer größeren Planungssicherheit besser zu entgegnen.
Die beiden neuen Mitarbeiter wurden in einem Auswahlverfahren rekru-
tiert und waren zuvor bereits teilweise als Freiwillige im Sender aktiv. Sie erhielten eine erweiterte Ausbildung on the job und arbeiteten sich immer
mehr in den Moderationsbetrieb, das Nachrichtensprechen, die Produktion von Reportagen und die Entwicklung neuer Sende-Formate ein. Trotz dieser Probleme strahlt Nanto unter dem Slogan „La radio du développement par tous et pour tous“ ein Programm aus, das Formate enthält, die viele Hörer anspre-
chen und z.T. in die Radioproduktion mit einbeziehen. Allerdings möchte man nicht als ländliches Radio betrachtet werden, sondern etwas breiter aufgestellt sein. „Wir haben viele Sendungen in einheimischen Sprachen im Programm, aber wir wollen kein Dorfradio sein.“ (Behanzin, 28.11.08, Natitingou)
Ebenso wie in den anderen Stationen der Fallbeispiele ist die Trennung
zwischen Technikern und Moderatoren vor allem im täglichen Sendeablauf
(siehe Tagebuchauszüge, unten) mitunter nur graduell. Allerdings werden auch hier Nachrichten von den jeweiligen spezialisierten Sprechern für die
jeweilige Sprache gesprochen. Man achtet darauf, nicht zur gleichen Zeit wie Radio ORTB Parakou Sendungen ähnlichen Inhaltes auszustrahlen, um unnö-
tige Konkurrenz zu vermeiden. Gleichzeitig will man sich den Gewohnheiten
der Hörer anpassen. So hat man die Haupt-Nachrichten auf französisch abends zunächst auf 19.30 Uhr, später auf 21.00 verschoben, um diese zuvor in Lokalsprachen für Landbewohner zu senden, die meist früher schalfen gehen.
Oft laufen Werbespots in eigener Sache, die zum Schalten von Annoncen über
den Sender anregen sollen. Zu besonderen Zeitpunkten werden alle Mitarbeiter des Senders mobilisiert. Dies betrifft Ereignisse wie Weihnachtsfesttage,
Besuche von Ministern im Ort, Festivals und den Nationalfeiertag, zu denen
Mairie einen Teil des Budgets aus haushaltstechnischen Gründen noch nicht freigegeben hatte. Zudem veruntreute der Bauunternehmer erhebliche Summen. Ins alte Sendestudio wurde verständlicherweise kaum mehr investiert.
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meist auch ein Sonderprogramm ausgestrahlt wird. Zu diesen besonderen Anlässen wird eine umfangreiche Berichterstattung, auch der Nebenveranstaltungen wie Fußballturniere etc. durchgeführt, sodass hier der Einsatz sowohl der festen als auch freiwilligen Mitarbeiter gefordert ist.69
Donnerstag, 27.11.2008. Der Gemeinde-Radiosender Nanto FM befindet
sich (zu diesem Zeitpunkt) auf einer Anhöhe am Rande der Stadt. Man gelangt
zum kaum beleuchteten Stationsgebäude zu dieser Zeit über einen gerölligen, steilen Weg. Ich komme abends zum Sender. Die Programmchefin Germaine
Yedonté N'Tcha hat gerade die Nachrichten auf Französisch verlesen, sie wer-
den am nächsten Morgen wiederholt. Dann liest der freie (Teilzeit-)Mitarbeiter (bénévole) Emile Tawèma die Nachrichten auf Ditammari. In der Studiore-
gie hat heute Tanko Nicolas Kuntori Dienst. Seine Aufgaben bestehen im
Wesentlichen aus dem Hochfahren und Ausschalten des Senders, dem Abspie-
len vorbereiteter Sendungen und Musiklisten, der Studioregie bei Live-Sen-
dungen, der Anmoderation bestimmter Aufzeichnungen sowie jener Live-Sendungen, bei denen es (noch) keine Erkennungsjingle gibt. Hinzu kommen Reparaturen und Wartungen.
Dieser Tages-Begleitmoderationsdienst heißt hier tenue d’antenne. Tanko
ist fest angestellt, und arbeitet im Wechsel mit Biffè Hyacinthe Ikro an vier
Tagen in der Woche. Dabei achtet er darauf, dass er immer an zwei festen
Tagen in der Woche frei hat, damit er einen berufsbegleitenden Kurs an einer technischen Fachschule in Natitingou besuchen kann. Daher ist dieser Wech-
sel, in Absprache mit dem Direktor, tageweise organisiert, nicht wie sonst meist halbtagsweise. Um 20 Uhr übergibt Tanko aber aufgrund einer Veran-
staltung an Aristide. Emile ist nun fertig, wir unterhalten uns über seine Arbeit und seine Anstrengungen, die Nachrichten auf Ditammari zu übersetzen. Er versucht, alle Fremdwörter möglichst adäquat wiederzugeben. Er überlegt sich diese vorher und sucht nach der besten Wortwahl. Bezüglich einer Mel-
dung über die Aktivitäten des MCA in Benin übersetzte er das Wort foncier, das es in dieser Konnotation zuvor nicht gab, mit kètè mukutu, ‚das Landstück, das einem gehört‘.
69 So sieht man beispielsweise auf einem Foto, das am 1.8.2008 aufgenommen wurde, fast die ganze Belegschaft am Rande der Parade in Natitingou zum Nationalfeiertag Benins. Einige Mitarbeiter stellen eine Direktübertragung sicher, die anderen sind z.T. mit der Berichterstattung befasst. Tanko arbeitete im Sendestudio. Manchmal kommt es vor, dass die ganze Belegschaft selbst an der Parade teilnimmt.
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Freitag, 28.11.2008. Heute Morgen hat wiederum Tanko (Spitzname Di-
gital Plus) Dienst und fährt die Morgensendungen. Der Direktor hält eine kurze
Redaktionssitzung ab. Germaine kommt gegen Mittag und arbeitet an der Nachrichtensendung. Am Nachmittag treffe ich mich mit Marcos, wir bereiten die Sendung supplice du coeur vor, in der ich ebenso wie der Buchhalter und Moderator Bienvenu Fandé mitwirken soll. Der Leserbrief wird noch einmal
sauber aufgeschrieben, damit dieser später problemlos verlesen werden kann.
Um 18 Uhr sendet Nanto eine Spielshow, die Marcos moderiert. Es gibt Preise
für richtige Antworten, die Beteiligung ist sehr gut. Meist rufen junge Leute an, nicht immer geben sie aber die richtigen Antworten. Gegen 19.20 Uhr
kommt Gabriel Faradito, freiwilliger Mitarbeiter und im Hauptberuf techni-
scher Mitarbeiter im örtlichen Krankenhaus. Gabriel hat wie alle anderen Moderatoren ein abschließbares Fach in einen größeren Schrank im Redaktionsraum, in dem er seine Unterlagen und Büromaterialien aufbewahrt. Er nimmt einerseits vorbereitete Meldungen auf Französisch entgegen, die er hand-
schriftlich übersetzt. Zum anderen fügt er einen längeren Bericht auf Waaba über die Eröffnung einer Schule nahe Natitingou bei, die in den französischsprachigen Meldungen bereits vor einem Tag gesendet wurde und in der
Waaba-Sendung nur kurz erwähnt wurde. Schließlich beginnen um 19.40 Uhr die Nachrichtensendungen, später als üblich (19.30). Germaine ist mit der Französisch-Ausgabe an der Reihe. Um 20.05 Uhr liest Faradito die Meldungen auf Waaba.
Germaine Yédonté N’Tcha stammt aus der Region, ist Otammari. Ein
Teil ihrer Familie wohnt im nahen Perma, so auch ihre Mutter. Sie hat auch einen Teil der Mädchen-Initiation absolviert. Ihr Vater ist Staatsbeamter. Sie
hat allerdings – bedingt durch Versetzungen des Vaters – lange Zeit in anderen Teilen Benins, vor allem im Süden in der Region Abomey, verbracht. Sie hat
ein Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität AbomeyCalavi absolviert und zudem auch ein Auslandsjahr in Italien (Lombardei) verbracht. Auf Radio Nanto wurde sie im Jahre 2004 aufmerksam, als sie
während der Semesterferien in Natitingou weilte und von einer Ausschreibung von Positionen für Moderatoren erfuhr.
Germaine hatte Erfolg und wurde rekrutiert, und blieb zuächst vor Ort.
Inzwischen ist sie, nach Beendigung eines Journalismus-Studiums, Öffentlich-
keitmitarbeiterin der Stadtverwaltung Natitingous, da ihr Studium von der Stadtverwaltung finanziert wurde (November 2008-März 2013).
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Um 20.30 Uhr trifft eine Nonne, zusammen mit einem Grundschullehrer
ein. Sie werden die Studio-Sendung portes ouvertes mit Germaine zu Proble-
men der Schulbildung gestalten. Die Sendung, die von der NRO INFRE in Auftrag gegeben wurde, beginnt um 21 Uhr. Es geht um die Notwendigkeit der
Schulbildung vor allem auch für junge Mädchen. Tanko arbeitet, wie schon
am Vortag, in der Studioregie, bearbeitet aber wie üblich gleichzeitig am Computer der Studioregie die soeben aufgezeichneten Nachrichten und Wer-
bebotschaften, da Radio Nanto kein separates Studio für diese Arbeiten hat. Er nimmt Leerstellen heraus, fügt Jingles und Nachrichtenblöcke kompakter zusammen, um dann die morgendlichen Wiederholungen zu starten. Die Sendung zur Schulbildung nimmt eine halbe Stunde ein, danach wird etwas Mu-
sik gespielt, bevor wir – Bienvenu Fandé und Marcos – gleich das Studio übernehmen.
Kurz nach 22.00 gestalten wir mit Marcos und Bienvenue Fandé die Rat-
geber-Sendung zu Partnerschaftsproblemen supplice du coeur. Anfangs ruft kaum jemand an, später dafür sind permanent Hörer am Apparat. Es rufen
aber auch Hörer an, ohne vorher genau zugehört zu haben. Daher muss das
Problem des Abends – eine junge Frau hat sich während des langen Auslandaufenthaltes ihres Verlobten neu verliebt, als dieser zurückkommt, und muss
sich nun entscheiden –- noch einmal erläutert werden. Mitunter kann man die Hörer akustisch sehr schlecht verstehen. Wir bitten einige Anrufer, ihre Mei-
nung laut zu wiederholen. Es heißt, dass das Mobilfunknetz in der Region
Probleme hat. Andererseits hat der Sender keinen Verstärker- bzw. Filteranla-
gen für Anruferschaltungen. Bienvenue fragt mich einmal: „Und was würdest Du, als Europäer, der jungen Frau raten?“ Ich fühle mich etwas unwohl, als
‚Experte‘ zu gelten, da ich als Fremder eher etwas über die hiesigen Sorgen der jungen Leute lernen möchte.
Nach der Sendung gehe ich mit Bienvenu und Marcos den Steinweg hin-
unter ins Viertel. Wir nehmen noch ein Glas im kleinen Ausschank Le Calao, lassen die Sendung Revue passieren und unterhalten uns über die Probleme des Senders. Marcos ist der Meinung, dass das neue Programmschema schlecht
gestaltet ist. Er würde eher die Nachmittags- und Abendsendungen ausdehnen, auch gern länger senden. Morgens hört nach den Nachrichten seiner Meinung nach kaum mehr jemand zu. Zudem beklagt er sich, dass er trotz vieler
Sendungen nur den Status eines kaum bezahlten bénévole hat (später wird er als Sekretär im Sender fest angestellt).
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Samstag, 29.11.2008. Die Sendungen beginnen heute mit etwas Ver-
spätung. Gleich zu Sendebeginn gab es Probleme mit dem Computer, er star-
tete nicht richtig. Biffè hat heute Dienst und fährt die Nachrichtensendung des
Vorabends ab, die er z.T. selbst anmoderiert. Anschließend werden – wie an vielen anderen Vormittagen auch – aufgezeichnete Sendungen erneut ausge-
strahlt. Zwischendurch werden Communiqués verlesen oder als Aufzeichnungen abgespielt. Der Sekretär Fandé kommt um 9 Uhr. Er will heute Abrechnungen und Berichte erstellen, ebenso wie Germaine, die gegen 10 Uhr
eintrifft. Sie arbeitet rund zwei Stunden lang, vor allem an Berichten und Re-
portagen, im Rahmen ihrer Nebentätigkeit für das Programm der Vermittlung von Recht im ländlichen Raum. Da es nur zwei funktionierende Computer
(davon einen beim Stationsdirektor, der darüber allein verfügt, und auch im Internet recherchiert und damit Sendungen zusammenstellt) gibt, schreibt Germaine – bei laufendem Sendebetrieb – ihre Texte am Computer in der Stu-
dioregie. Zwischendurch muss Biffè die playlist überwachen, dann kann Germaine weiterarbeiten.
Der Computer wird vor allem ab 12.00 Uhr, der Sendepause, auch von
anderen Mitarbeitern ohne eigenen Computerzugang genutzt. So verfasst der
Buchhalter Fandé seine bereits handschriftlich vorbereitete Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben und Berichte über jene Sendungen, die im Auftrag von Gebern ausgestrahlt werden und zentrale Bestandteile der Einnahmen des Senders sind. Dabei fügt er genaue Sendezeiten in Tabellen ein, die Teil jener
Abrechnungen werden, die dann den entsprechenden Partner vorgelegt werden. Um 10.30 Uhr kommt ein Handwerker, er repariert defekte Türen, gegen
13 Uhr tauchen dann viele Kinder aus der Nachbarschaft auf, die Fernsehen
sehen wollen. Dann treffen fünf Kinder ein, die für eine Sendung über Kinderrechte eingeladen wurden. Sie wurden zuvor in Tests ausgewählt und haben
keine Probleme, sich zu artikulieren. Es sind jeweils drei Mädchen und Jungs
unterschiedlichen Alters. Zur Vorbereitung der Aufzeichnungen werden die Kinder im Vorraum noch einmal vom Stationsdirektor befragt. Es gibt eine Diskussion über das heutige Thema. Einige Kinder fertigen Notizen an.
Gegen 13 Uhr geht dann der Stationsdirektor mit den Kindern ins Studio,
wo die Sendung aufgezeichnet wird, bevor sie am Abend ausgestrahlt wird. Die Kinder antworten auf die Fragen des Direktors sehr bestimmt und klar,
allerdings auch etwas steif. Alles entspricht den zu erwartenden Vorgaben und Intentionen der Sendereihe. Höhepunkt der Sendung ist der Moment, in dem es darum geht, dass die Verwandten einer teilnehmenden Schülerin mit ihr
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niemals über Probleme von Sexualität etc. gesprochen hatten, sie dieses Wis-
sen aus anderen Sozialkontakten – mit allen damit verbundenen Problemen – beziehen muss. Einige der Kinder wurden später regelmäßig Sprecher in Aufklärungsprogrammen zu Kinderrechten.
Wir verlassen den Sender gegen 15 Uhr und fahren mit Marcos und Biffè
ins Stadtviertel Yokossi, wo uns ein treuer Hörer und Bekannter von Marcos, ein erfolgreicher Händler, zum Mittagessen einlädt. Es gibt Mais und Fleisch
und etwas Sodabi, es geht lautstark zu. Dann kehre ich zum Sender zurück,
während die anderen sich noch etwas ausruhen. Unterwegs mache ich kurz Halt in einem Cabaret (Hirsebierbar), das am Fuße des Hügels nahe am Sender liegt und von der Familie des ehemaligen Chefs des Viertels betrieben wird.
Dort berichtet man, dass laut Radio Parakou in Parakou ein Zémidjan-Motorradtaxifahrer überfallen wurde. Um 17 Uhr beginnt wieder der Sendebetrieb, Biffè startet die Geräte. Jetzt wird die aufgezeichnete Sendung ausgestrahlt.
Währenddessen arbeitet Germaine erneut am PC, diesmal bereitet sie einen
Teil der Abendnachrichten vor. Um 18 Uhr kommt Victor Allé, ein Lehrer, der als freiwilliger Mitarbeiter die Nachrichtensendung auf Sahwe präsentiert. Germaine hält sich in dieser Zeit in der Senderegie auf. Sie arbeitet an den
Texten für das Abendjournal, und fährt dabei auch die Sendungen ab. Biffè sitzt derweil vor dem Gebäude und unterhält sich mit Besuchern.
Gegen 19.30 Uhr kommt Gabriel Faradito, der heute für das Verlesen der
Nachrichten auf Waaba zuständig ist. Um 20.30 Uhr trifft Pfarrer Rogatien in
der Senderegie ein. Er bereitet seine Sendung Heure de la Restauration für seine Kirchengemeinde Mission Evangélique de la Restauration vor. Diese Sendung wird zunächst einmalig ausgestrahlt. Ein Vertrag über eine regelmäßige Sen-
dereihe ist aber in Vorbereitung. Der Buchhalter Bienvenu Fandé ist aber nicht da, sodass Rogatien die Verhandlungen über die Höhe der Zahlungen vertagen muss. Er spricht mit Marcos, der sich mit christlichen Musiktiteln gut aus-
kennt, die Titelfolge der Musikauswahl ab, die später Biffè in die Playlists aufnehmen soll. Er macht sich Notizen, bevor seine Sendung um 21 Uhr live ausgestrahlt wird (s. unten). Nach der Sendung unterhalten wir uns noch.
Rogatien erwähnt, dass er und seine Gemeinde gern einen eigenen Radiosen-
der gründen würden, dafür aber das Geld fehlt. Schließlich bereiten wir die samstägliche Musikshow évasion vor. Biffè sucht mit Marcos vor allem tanz-
bare Musiktitel heraus. Dann richten wir das Studio ein. Für spätere Anrufer wird ein Mikrophon auf ein Festnetztelefon gelegt. Zudem werden zwei Han-
dys positioniert, da die Anrufer auch Mobiltelefonnummern nutzen können.
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Biffè bringt sich mit etwas Alkohol in Stimmung. Der Wächter taucht auf, auch
er wird auf etwas Rum eingeladen. Kurz vor Sendebeginn um 22 Uhr fällt
plötzlich wieder der Strom aus. Mit Taschenlampen hantieren wir an den Ge-
räten, und schalten diese zunächst aus. Es dauert bis 22.20 Uhr, bevor wieder Strom da is. Wir fahren den Sender erneut hoch. Um 22.30 Uhr beginnt die
Sendung. Marcos begrüßt die Hörer, und entschuldigt sich zunächst für den späten Beginn. Er moderiert im üblichen lauten, showhaften DJ-Stil mit Sprüchen und Ausrufen. Musiktitel wie jener von Ricos Campos, werden auf sein Handzeichen hin von Biffè abgespielt, nachdem er meist noch ein paar Erläu-
terungen zu den Künstlern und ihren letzten Veröffentlichungen hinzugefügt
hat. Biffè und Marcos tanzen nun, laufen zwischen Regie und Studio hin und her, singen mit. Um 23 Uhr beginnt der Anruferteil der Sendung. Wir wech-
seln uns mit dem Annehmen der Anrufe ab. Später verlesen wir abwechselnd SMS mit Grüßen der Hörer. Die Sendung endet später als üblich gegen 23.45 Uhr, was durch den verzögerten Beginn gerechtfertigt erscheint.
Sonntag, 30.11.2008. Morgens hat Biffè wieder Dienst, ist noch etwas
verschlafen, weil auch er erst spät ins Bett kam. Marcos sollte eigentlich moderieren, ist aber krank, er hat eine Magenverstimmung. Biffè macht daher
alles allein, strahlt aber vor allem Wiederholungssendungen aus. An Sonnta-
gen ist im Moment im Sender wenig Aktivität zu spüren, was sich in den Zeiten der Feiern zum Jahresende sowie in den Ferien immer stark ändert, be-
merkt Biffè. Wir unterhalten uns lange über seine technischen Kniffe, den Sendebetrieb aufrechtzuerhalten. Mittags bin ich unterwegs, denn ich treffe mich mit einigen Hörern, die am Vorabend Nachrichten gesendet hatten. Wir
diskutieren über ihre Vorlieben und über die Probleme der Station. Einer der treuen Hörer, Electromajor, kommt später auf meinen Anruf hin selbst zum
Sender. Abends trifft der Stationschef Behanzin ein, um die Nachrichten auf
Französisch zu verlesen. Schließlich gestaltet auch Gabriel Faradito wieder seine bei älteren Hörern in Natiringou sehr beliebte Nostalgie-Sendung Mélo-
dies Immortelles. Wir sitzen auf der Terrasse vor dem Sender. Wieder kommen Kinder, die hier das Licht nutzen und Hausaufgaben machen wollen.
Montag, 1.12.2008. Am Vormittag ist der Strom ausgefallen. Der Stati-
onsdirektor beschließt, keinen Generator einzuschalten, weil er fürchtet, dass
dieser überlastet wird. Alle gehen nachhause und kommen erst gegen 16 Uhr wieder an den Arbeitsplatz. Abends hat Aristide Dienst, Biffè kommt noch hinzu. Der Stationsdirektor gestaltet heute die Nachrichten auf Französisch.
Es gibt kaum Meldungen aus Natitingou, nur einen Bericht über ein Seminar
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der Präfektur. Juliette Dassagaté spricht dann die Waaba – Meldungen, Emile jene auf Ditammari.
Dienstag, 2.12.2008. Morgens läuft der Sendebetrieb normal an. Wieder
hat Biffè Dienst. Den ganzen Vormittag werden aber nur die aufgezeichneten
Sendungen vom Vorabend sowie jene für eine Umwelt-NRO gespielt. Der Stationsdirekter kommt gegen 9.30 Uhr und empfängt einen Mitarbeiter einer Mobilfunkfirma, um Details eines Werbevertrags zu besprechen. Später be-
richtete er mir von den technischen Problemen, die jetzt aufgetreten sind. Zwar hat der Sender einen Elektrogenerator und auch Mittel für Diesel, aber
kein Kühlwasser. Der Wasseranschluss der Senders – ein abschließbarer Was-
serhahn am Wegesrand – ist wie bei den anderen Bewohnern des Viertels seit etlichen Tagen versiegt. Da die Station etwas abseits liegt, ist auch der Transport von Wasser nicht einfach. Manchmal würde er einen Kanister auf dem Motorrad mitbringen. Das reicht aber nicht sehr lange.
Mittags verlässt Biffè den Sender und arbeitet in der Mittagspause unten
in seinem Atelier, wo er Kunden empfängt, die defekte Fernseh-Geräte bringen. Am Nachmittag treffe ich Frau d’Almeida. Sie ist Vizepräsidentin und
derzeit Interims-Vorsitzende des Trägervereins des Radios. Der nominelle Vorsitzende wurde aus beruflichen Gründen versetzt. Später am Nachmittag treffen Germaine und Fandé ein, die an ihren Moderationen bzw. Abrechnungen
arbeiten. Bei einbrechender Dunkelheit kommen wieder viele Kinder, sie set-
zen sich auf die Terrasse und machen im Licht der Leuchtstoffröhre ihre Hausaufgaben. Sie holen sich, ohne zu fragen, Stühle aus dem Foyer hinaus auf die Terrasse.
Nachtrag, März 2009. Zwei neue Mitarbeiter sind nun eingestellt, Remy
und Basile. Sie waren zuvor ab und an bei Radiosendungen, als Hilfsmodera-
toren dabei, aber der große Arbeitsumfang ist neu für sie: Sprecher, Nachrich-
tengestaltung, reportages, Sondersendungen mit Studiogästen und Nachrichten
aus Internetmeldungen generieren. Germaine führt dann mehrere Sitzungen
mit den neuen Moderatoren durch. Dabei geht es auch um die Veränderung der Sendeformate. Basile schlägt viele neue Formate vor. Allerdings muss er
sich in die grundlegenden Dinge der Radioproduktion gut einarbeiten, vor allem das Verlesen von Nachrichten und Anzeigen sowie die Gestaltung von
interaktiven Sendungen mit Höreranrufen fallen ihm schwer. Germaine lässt
ihn schließlich die Abendnachrichten verlesen. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Yokossi spricht Basile deutlich langsamer, abgehackter, verspricht sich
oft und bekommt nicht immer eine flüssige Rede hin. Germaine hört sich alles
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an und wertet dann die Nachrichtensendung kritisch aus. Basile verspricht
Besserung, obwohl er seine Leistung weniger kritisch als die anderen sieht.
Nach wie vor stagniert die Sendeproduktion. Man beschließt, ehemalige Mitarbeiter auf Vertragsbasis wieder zurück zu holen.
Nachtrag, Oktober 2010. Nun konnte der Sender endlich das neue Ge-
bäude beziehen. Es liegt mitten in der Stadt, ist leicht erreichbar und verfügt über größere Räume. Erst allmählich müssen aber die Studios eingerichtet werden.
STATIONSLEBEN: ALLTAGSBEZIEHUNGEN, ARBEITSSTILE Die Beziehungen der Radiomitarbeiter untereinander schwanken oft zwischen kollegialer Solidarität, gar Familiarität, Konkurrenz und Konflikt. Auf der ei-
nen Seite unterhalten vor allem jüngere Stationsmitarbeiter enge Beziehungen auch außerhalb der Arbeit im jeweiligen Sender. So verbringt man Mittags-
pausen miteinander, oder geht nach Arbeitsschluss zusammen in eine Kneipe
(buvette). Viele Mitarbeiter treffen sich auch für private Feiern oder laden sich zu verschiedensten Anlässen gegenseitig ein.
Ein Beispiel: Aus Anlass des Ramadan-Festes lud der Teilzeit-Mitarbeiter
und Grundschullehrer Idrissou Abdoulaye Karé Ende November 2009 seine
Kollegen zu einem kleinen Essen in sein neu erbautes Haus in Berecingou, nahe Natitingou vor den Toren der Stadt, ein. Idrissou ist Moslem, wollte aber gern den Tag auch mit christlichen Kollegen feiern. Seine Frau war mit der Essenszubereitung beauftragt, er selbst besorgte kühle Getränke. Fast alle Ra-
diomitarbeiter folgten der Einladung. Schnell herrschte eine ausgelassene
Stimmung, als man Anekdoten aus dem Radioalltag austauschte, Videos schaute und die typischen Familienfotoalben ansah. Hintergrund war, dass
einige der Mitarbeiter am selben Tag viel Mühe hatten, die Live-Übertragung des zentralen Gebetes an der großen Moschee in Natitingou zu sichern (siehe
weiter unten). Als alles aber dann erfolgreich über die Bühne gegangen war, herrschte große Erleichterung und dieAnspannung sank.
Es fallen sehr unterschiedliche Arbeits- und Moderationsstile einzelner Ra-
diomitarbeiter auf. Christine Tonlomè, Moderatorin im Radio Maranatha (vgl.
Abschnitt II, 3) z.B. kommt zu ihren Sendungen immer pünktlich. Sie ist nie
in Eile, und bereitet sorgfältig ihre Sendungen vor. In aller Ruhe wählt sie passende Musiktitel für ihre Gruß- und Wunschsendung heraus. Sie spricht Details mit dem Techniker ab, testet das Mikrophon und legt ihr Mobiltelefon
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und vorbereitete Listen mit Ablaufplänen, die sie auch handschriftlich für den Techniker kopiert hat, ordentlich im Studio zurecht. Während der Gespräche
mit den Anrufern hört sie geduldig zu, und fügt den gespielten Titeln meist
Erklärungen, hier insbesondere zu den christlichen Bezügen der Texte, hinzu. Der Buchhalter Constant macht aus ihrer Liste dann die Aufstellung für die
Autorenrechtegesellschaft BUBEDRA (Bureau Béninois du Droit d'Auteur et des Droits Voisins). Während der Sendung grüßt sie alle treuen Hörer, und präsen-
tiert insbesondere Titel, von denen sie annimmt „dass sie die Leute berühren“. Christine ist der Meinung, dass sie die Bedeutung der Titel sehr gut kennt.
Sie unterhält sich zudem vor der Sendung mit vielen Leuten, um ihren Musikgeschmack zu ergründen. Sie grüßt dann auch Hörer, die kein Geld für einen individuellen Gruß bezahlt haben, vor allem aber jene, die oft anrufen, denn
„diese haben eine besonderes Recht, gegrüßt zu werden.“ Bei etlichen Titeln singt und klatscht sie mit (Parakou, März 2013).
Moderan Soglohoun, Moderator im gleichen Sender (vgl. Abschnitt II,3)
hat einen anderen Arbeitsstil. Er kommt immer erst kurz vor Beginn der Sendung, trifft auch keine besonderen Vorbereitungen und versucht dann, alles Nötige während der Sendung, beim Abspielen von Musik, mit dem Techniker
abzusprechen. Er argumentiert, dass er durch seine Arbeit so eingebunden sei, dass er kaum zusätzlich Zeit aufwenden kann. Allerdings führt er seine Sendung recht routiniert und souverän durch, auffällig ist aber ein ganz anderer
Rhythmus der Präsentation; er stellt die einzelnen Musikstile immer recht knapp dar, auch die Telefongespräche mit Anrufern sind kürzer als bei Chris-
tine. Zudem spricht er schnell und mitunter hastig (Februar 2010, März 2013, Parakou).
REPORTAGEN, INTERVIEWS, ÜBERTRAGUNGEN Die folgenden Feldnotizen schildern den Arbeitsalltag von Radiomitarbeitern des Senders Nanto FM in Nordbenin während einer Reportage.
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Natitingou, 26.02.2010, 12 Uhr. Anlässlich der offiziellen Einweihung eines
Denkmals für den Helden des antikolonialen Kampfes Kaba70 sowie einer öffentlichen Bibliothek kommen mehrere Minister aus Cotonou in die Provinz-
hauptstadt. Die Ehrengäste, ihre Begleiter und örtliche Honoratioren nehmen
unter Zeltaufbauten Platz. Lange offizielle Reden wechseln mit Tanzeinlagen
bestellter Folkloregruppen. Journalisten staatlicher und privater Sender wohnen der Veranstaltung bei.
Gerauld Princio Adoukonou, ein junger Radiomoderator, Techniker und
Reporter für den lokalen vereinsgeführten Radiosender Nanto FM, ist vor Ort und hat sein Aufnahmegerät nahe an der Rednertribüne auf einem Hocker platziert. Er fertigt zugleich eifrig Notizen für den späteren Nachrichtenbei-
trag an, führt am Rande des Geschehens Interviews mit Gästen der Veranstal-
tung und meldet sich über sein Handy im Sender für eine kurze Live-Schaltung. Von Zeit zu Zeit muss er sich durch die offiziellen Kameraleute des
Staatssenders ORTB und unter den besorgten Blicken der Leibwächter ans Rednerpult drängeln, schaltet dort das nicht immer zuverlässige Aufnahme-
gerät ein, kontrolliert dessen Funktion, und versucht, zusätzliche Informationen von den anderen Kollegen aus der Hauptstadt zu erhaschen. Er schreibt
anschließend einen handschriftlichen Bericht für die Abendnachrichten und
bearbeitet die Audio-Aufnahmen am PC eines Freundes, der ein Schreibbüro
unterhält, denn im Radio wird der Strom aus finanziellen Gründen nach einer
mehrstündigen Pause erst kurz vor den Abendsendungen um 17.00 Uhr wieder eingeschaltet.
Im Nachrichtenbeitrag um 19.30 Uhr, der erst auf Französisch, dann je-
weils auf Waama, Ditammari und Dendi ausgestrahlt wird, werden auch Ausschnitte aus der einzigen kritischen Rede der Veranstaltung durch Joseph
Kwakiré,71 Vorsitzender des Ältestenrates der Stadt und örtlicher Vertreter im Festkomitee, der sich eine bessere Organisation der Veranstaltung gewünscht
70 Kaba führte zwischen 1915 und 1917 im östlichen Atakora eine regionale Rebellion gegen die französische Kolonialmacht an. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Bis heute ist Kaba aber ein mythischer Held und Gegenstand zahlreicher Legenden sowie populärer Verehrung (Grätz 2000a). 71
Einer der Festredner. Seine Rede wurde im staatlichen Rundfunk nicht erwähnt, aber in den Nachrichten von Nanto FM, das auch Ausschnitte seines Beitrages ausstrahlte.
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hätte, gesendet. Radio Nanto sendet seine Worte, die jedoch in den entspre-
chenden Nachrichten-Beiträgen der staatlichen TV- und Rundfunksender des ORTB, u.a. Radio Parakou und Radio Benin (in Cotonou), die zwei Tage später gesendet werden, nicht vorkommen. In einer Anrufersendung von Nanto FM
Natitingou später am selben Abend wird aber gerade dieser Redebeitrag von den Hörern kontrovers diskutiert. Geraud Princio wird, als er nach Sende-
schluss in sein Stadtviertel zurückkehrt, von vielen Nachbarn darauf angesprochen, die bei der Veranstaltung nicht dabei sein konnten.
Das Beispiel deutet an, dass Nanto FM (zumindest im regionalen Rahmen sei-
ner Reichweite) wichtige Informationen zu aktuellen Ereignissen in die öffentliche Kommunikation einführt, und hier eine multiple Übersetzungsfunktion
übernimmt – in Bezug auf Sendungen in regionalen Sprachen, in der adäqua-
ten Vermittlung politischer Inhalte für breite Zuhörergruppen sowie in technischer Hinsicht als Verknüpfung verschiedener Kommunikationsräume. Das
Feedback der Hörer wirkt sich direkt auf die Sendeproduktion aus. Hier finden wir viele Parallelen zur Radiogeschichte z.B. in den 1930er bis 1950er Jahren in den USA, mit dem Erfolg des Talk Radios, und der Bedeutung von Radios
als Statusgut für Mittelschichten, und später – vor allem nach Einführung von Transistorradios – auch für die Freizeitgestaltung von Jugendlichen, in Verbindung mit neuen Musikstilen und Moden.
Auch in Afrika sind sowohl üppig ausgestatte Anlagen in Privathaushalten
als auch miniaturisierte Geräte, integriert in Mobiltelefone oder MP3-Player,
Objekte symbolischen Konsums, wichtige Begleiter im Alltag und Bestandteil gegenwärtiger Medienumwelten. Anderseits lassen sich, aufgrund finanzieller
und materieller Zwänge, auch Umformungen beobachten, z.B. in Petroleumlampen integrierte Radioempfänger, das Zusammenschalten vieler (schwacher) Batterien oder selbstgebaute Antennen etc.
Natitingou, Freitag, 27.11.2009. Heute ist eine Live-Übertragung des
großen Gebetes zum Ende des Tabaski-Festes72 vor der Hauptmoschee in Natitingou durch die Mitarbeiter der Radiostation Nanto FM geplant. Im Studio bleibt der Techniker Tanko, der die teilweise Übertragung der Veranstaltung
72 Eines der wichtigsten muslimischen Feste (arabisch Aïd-el-Kébir), oft auch Hammelfest genannt, deren Datum dem Mondkalender folgt und jährlich wechselt. Das Fest erinnert an die Opferbereitschaft Abrahams, der anstelle seines Sohnes einen Hammel opferte.
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über den Äther sichern soll. Zum Gebetsplatz wurde Remy Yokossi als Hauptreporter per Dienstanweisung des Direktors Behanzin geschickt. Yokossi ar-
beitet erst seit März 2009 im Sender, hat aber inzwischen etliche Reportagen gemacht, u.a. eine live-Übertragung der Parade zum Nationalfeiertag am 1.8.2009. Er kommt kurz vor Beginn der Veranstaltung gehetzt angefahren,
ein Freund hat ihn auf dem Moped mitgenommen. Er hatte Probleme mit dem Akku seines Handys, musste sich noch eigens einen neuen besorgen. Ihm steht
als beauftragter Helfer Miftaou Sidiku zur Seite, der seit kurzem als Vertragsmitarbeiter beim Sender für bestimmte Aufgaben verantwortlich ist. Er arbei-
tete lange beim Sender Voix Islamique de Donga in der Nachbarstadt Djougou, der den Sendebetrieb aufgrund technischer Probleme einige Jahre zuvor aufgeben musste (ein Neuanfang des Senders ist für Ende 2014 geplant).
Yokossi trägt heute seine Arbeitsweste, die mit der Aufschrift Radio Nanto
FM und dem Logo des Senders bedruckt ist. Er hatte dies selbst anfertigen
lassen, wie er sagt, damit man ihn überall, wo es nötig ist, sofort als Radiomitarbeiter wahrnimmt. Einen Presseausweis besitzt er nicht. Vor Ort ist zu-
fällig auch Idrissou Karé anwesend, ein junger Sekundarschullehrer, freiwilli-
ger Mitarbeiter von Nanto FM (und Korrespondent für Radio Djougou), der als Muslim am Gebet teilnimmt. Er war für die Übertragung nicht vorgesehen, wird aber später von Remy und Miftaou um Hilfe gebeten. Zum Gebet sind
muslimische Bewohner73 aus dem Stadtgebiet und der Umgebung gekommen. Alle Besucher tragen festliche Kleidung, vorzugsweise in weißen oder hel-
len Stoffen afrikanischen und arabischen Stils, die oft eigens anlässlich des
Festes angefertigt wurden. Die Autoritäten der Region, Mitarbeiter von Organisationen und gut situierte Geschäftsleute sind mit ihren Allradfahrzeugen
vorgefahren (worden). Remy platziert das Aufnahmegerät auf einen Stuhl, etwas vom Rednerpult entfernt, auf dem auch ein kleines Mischpult und der
Verstärker aufgetürmt sind. Das Gerät wird an eine vorhandene Steckerleiste
der Veranstalter angeschlossen. Remy bittet Idrissou, die Funktionsweise des Aufnahmegerätes zu überwachen. Er selbst stellt sich nahe an die Rednertri-
büne und fertigt ab und an Notizen auf einem kleinen Zettel an. Zu Beginn
der Veranstaltung begrüßt zunächst ein Assistent des Imams die Anwesenden,
73 Die überwiegende Zahl der Bewohner der Region des nördlichen Atakora gehört christlichen oder traditionalen Religionsgruppen an. Im Stadtzentrum von Natitingou wohnen aber viele muslimische Bewohner, die sich hier nach und nach niedergelassen haben, vor allem Händler und Handwerker.
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bevor der Imam der Zentral-Moschee Imam Djaminou Muhammad Sanni (be-
kam kürzlich Probleme, weil er sich nicht auf die Seite des Präsidenten stellte)
selbst das Wort ergreift. Als das Gebet des Imams beginnt, beeilen sich Remy
und Miftaou, nahe an das kleine Rednerpodest zu kommen. Sie halten die Mikrofone direkt vor ihn. Zugleich wird ein Mobiltelefon angeschaltet und von Miftaou bedient, über welches das Gebet direkt übertragen wird. In spä-
teren Nachrichtensendungen wird allerdings auf die zeitgleich erfolgten Aufnahmen des besseren Aufnahme-Gerätes, ein MARANTZ CDR 310, zurückgegriffen. Neben Remy und Miftaou steht auch Hervé Yotto, regionaler
Korrespondent für die Zeitung LE MATINAL, der sein Diktiergerät ebenso am Rednerpult platziert.
Immer wieder sind die schrillen Pfeifgeräusche von Rückkoppelungen, die
die schlecht eingerichtete Veranstaltungstechnik des beauftragten Tontechni-
kers der Moscheeverwaltung hervorruft, zu hören. Remy, der neben den Laut-
sprechern steht, gibt jeweils schnell per Handzeichen (Daumen runter) Anweisungen an Idrissou. Dieser ist eilig bemüht, den Eingangspegel am Aufnahmegerät etwas herunterzuregeln, bevor die Störgeräusche überhand
nehmen. Der Imam unterbricht seine Ansprache kurz für die Opferzeremonie, während der ein Hammel geschlachtet wird. Daran schließen sich Gebete an.
Nach den Gebeten und dem Opferritual erheben sich alle Besucher recht
schnell; viele eilen sofort zu ihren Fahrzeugen. Yokossi schaltet wieder das Handy an, berichtet erneut live von der Atmosphäre des Gebetes. Tanko fragt, wie das Fest von den Beteiligten erlebt wird, Yokossi antwortet laut und en-
thusiastisch. Anschließend beginnt Yokossi mit spontanen Umfragen und
Kurzinterviews, die ebenfalls direkt übertragen werden. Sidiku hilft Yokossi, Interviewpartner zu finden. Er nimmt parallel die kurzen Gespräche auf den Tonbandgeräten auf. Im Studio zeichnet Tanko die direkt übertragenen Ge-
spräche zu Sicherheit ebenfalls auf. Schließlich kommt Idrissou Karé hinzu,
der bei kurzen Interviews mit Dendi-sprechenden Personen als Dolmetscher helfen soll.
Yokossi und Sidiku finden immer schnell Gesprächspartner; meist sind es
standardisierte Antworten, in denen es um ‚Frieden‘ und ‚Eintracht‘ geht. Auch
Sidiku, der ebenfalls Dendi beherrscht, übernimmt ab und an ein kurzes Interview, damit, wie Idrissou mir später berichtet, die Reportage nicht zu ein-
tönig wird. Im Studio kämpft derweil Tanko mit den Übertragungsproblemen,
er muss entweder permanent die Ausgangslautstärke herauf – oder herunter-
regeln; mitunter bricht das Signal kurz ab, und er muss ein paar Worte an die
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Hörer richten. In den kurzen Pausen zwischen den Gesprächen fährt er Mu-
siktitel ab. Dann entschließt sich Yokossi, den Bürgermeister Kassa Metiki,
selbst Muslim, zu befragen. Dieser ist offenbar davon nicht sehr begeistert, und steigt in sein Geländefahrzeug. Er hat es eilig, zu einem Festbankett in der Mairie zu kommen. Zudem hat er derzeit kaum Interesse. Zu dritt umringen sie den Wagen, sodass der Bürgermeister aus seinem Auto heraus doch
noch ein paar Worte zum Fest übermittelt, bevor er zu einem Empfang davon-
rauscht. Yokossi spricht dann mit einem älteren Gebetsteilnehmer; auch hier hilft wieder Idrissou. Sidiku ist immer dabei und hält dabei das Mikrophon
des Aufnahmegerätes, wenn Remy ein Gespräch per Handy als live-Übertragung führt.
Schließlich überzeugt Idrissou Yokossi, dass es nun wohl genug sei, lobt
Yokossi für sein Engagement, meint aber, dass jetzt kaum mehr jemand wirk-
lich sprechen will. Yokossi ruft Tanko im Studio off air an, berichtet, dass sie nun die Übertragung abbrechen und ins Studio kommen wollen. Tanko stimmt
dem zu, bittet aber Yokossi noch um ein paar Schlussworte. Yokossi bringt die Aufnahmen mit dem Gerät dann am frühen Abend ins Studio. Später muss
Tanko die Mitschnitte des Marantz-Gerätes, die zwar besser sind als die Mitschnitte der Handy-Übertragung, auf den Computer übertragen und stark bearbeiten.
Tanko überspielt auch die Dendi-Interviewpassagen für Idrissou als Dank
für seine Hilfe, auf dessen eigenes kleines Sony-Diktiergerät, der damit den
Bericht an den Sender in Djougou gestaltet.74 Idrissou nutzt auch hier die übliche Form des Anrufes per Mobiltelefon im Sender, der dort aufgezeichnet
und weiterbearbeitet wird, einschließlich der O-Ton-Aufnahmen, für deren Übertragung Idrissou im Verlaufe seines Berichtes das Diktiergerät an sein
74 Die Form telefonischer Korrespondenten-Berichte aus Regionen fernab der jeweiligen Sendezentralen geht auf eine Idee Mitte der 1980er Jahre zurück, die vom damaligen Direktor der staatlichen Station Radio Parakou, David Ogouchina entwickelt wurde. Damals wurde, neben dem kaum entwickelten Festnetztelefon, per Vertrag zu bestimmten Zeiten auf das Funksystem des Innenministeriums (als Kontaktnetz der Gendarmerie-Dienststellen, Präfekturen und Unterpräfekturen) zurückgegriffen. Heute hat das Mobiltelefon neben dem Festnetz dieses System vollständig ersetzt. Meist werden dafür begabte und geeignete Personen wie Lehrer, Verwaltungsangestellte oder Mitarbeiter von NRO und z.T. auch Mitarbeiter kleinerer Radiosender rekrutiert, die eine Kurzausbildung erhalten und Prämien bekommen.
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Handy hält. Nur in wenigen Fällen wird ein Korrespondentenbericht vorpro-
duziert und als fertiges Produkt direkt (persönlich, per Kurier) oder elektronisch (Email) übermittelt. In der späteren Nachrichtensendung um 19.30 Uhr
wird das Manuskript von Remy auf Französisch und Waama, und anschließend von Idrissou auf Dendi vorgelesen. Es fallen unterschiedliche Sprachstile auf:
während Remy eher laut deklamiert, spricht Idrissou schnell und präzise. Das Ereignis wird als wichtiges Fest auch über die muslimische Gemeinde hinaus
dargestellt. Einzelheiten fügen der Sendung eine lokale und indirekt auch kritische Note hinzu; zum Beispiel die Anmerkung, dass das Gebet in diesem Jahr weitaus besser organisiert war als im Jahr zuvor. Am nächsten Morgen wird eine etwas gekürzte Version der Nachrichtensendung um 7 Uhr wiederholt.
Die geschilderte Darstellung kann man zunächst, im Sinne einer erweiterten
case study (Burawoy 2009) als Beispielfall alltäglicher Radioproduktion unter
institutionellen und soziotechnischen Einflüssen im lokalen Rahmen analysie-
ren. Es handelt sich um einen Höhepunkt im Alltagsleben der Stadtgemeinde Natitingou, einem bedeutenden religiösem Fest, das zugleich mit vielfältigen politischen Ritualen verbunden ist.
Für die Radiomacher ist es ein normaler, typischer Arbeitsrahmen. Sie
sind es gewohnt, bei Veranstaltungen dieser Art präsent zu sein, alles zu tun,
um gute Übertragungen zu sichern und Berichte zu liefern und Hörer, die nicht vor Ort sein können, an den Ereignissen in irgendeiner Form teilhaben zu lassen. Sie werden zudem selbst ein Teil der Inszenierung dieses Ereignisses: ihre Anwesenheit, Berichte und somit die Mediatisierung der Abläufe und
ihrer Repräsentation fügen sich in den öffentlich-rituellen Rahmen der Veranstaltung ein. Auf der anderen Seite sind auch die Interviewpartner der Radiojournalisten, wie auch alle anderen Besucher dieses großen Gebetes, an die
Aktivitäten des Radiosenders bzw. seiner Mitarbeiter vor Ort gewohnt. Sie
kennen die meisten von ihnen von anderen öffentlichen Situationen, viele von Radiosendungen und einige persönlich. Sie wissen ungefähr, wie sich die fertige Sendung anhören wird, zeigen Interesse an ihrer Arbeit, aber kaum Neu-
gier oder gar Überschwang. Das Radio ist hier – in doppelter Hinsicht – der
Institution des Senders und seiner Akteure als auch der Radiogeräte – ein normaler Bestandteil kommunikativer Alltagskultur in dieser Region geworden.
Später diskutiere ich mit allen beteiligten Radiomitarbeitern ausführlich
den Ablauf der Reportage. Dabei wird deutlich, dass dieser Tag eine Kette vielfältiger Herausforderungen in technischer und institutioneller Hinsicht
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darstellte, von der Platzierung der Mikrophone, der Stromzufuhr, der instabi-
len Funktionen der kleinen Recorder, der Verlässlichkeit des Mobilfunknetzes bis hin zur Bereitschaft von Interviewpartnern, ihre unvorhersehbaren Ant-
worten, die Notwendigkeit sprachlicher ad-hoc-Übersetzungen etc. Als Erfolg wird auch gewertet, dass man den Bürgermeister zu einem kurzen Interview bewegen konnte, obgleich dieser sein Fahrzeug dafür nicht verlassen hat. Autoritäten mögen ungern ungeplante Interviews, und bevorzugen lieber zuvor abgesprochene Diskussionen im kontrollierten Raum des Studios.
Schwierigkeiten wie im geschilderten Falle zu überwinden, war für die
Radiomitarbeiter allerdings keine wirkliche Stresssituation. Alle Beteiligten, ob Reporter vor Ort oder Techniker im Studio, gingen die Arbeit mit viel Ruhe
und wenig Hektik an. Dies fiel mir auch in anderen Situationen auf, bei Strom-
ausfällen oder Spannungsschwankungen im Studio,75 beim Zusammenbruch eines Handynetzes während einer interaktiven Sendung etc. Radiomacher in Benin sind es gewohnt, oft improvisieren zu müssen. Ausgehend von dieser
simplen, in ihren Konsequenzen aber empirisch genau zu verfolgenden Feststellung, kann man gar behaupten, dass in diesem Kontext Kreativität und Improvisation Teil der (verteilten) Handlungsroutinen der Radioproduktion
geworden sind, oder, anders gesagt: Radiomacher im alltäglichen Improvisie-
ren bestimmte Routinen gewonnen haben. Sie sind gleichzeitig mit situierten
Wissenspraxen (Braun-Thürmann et al. 2003, Braun-Thürmann 2006 am Bei-
spiel der Arbeit in Callcentern) und einem permanenten learning by doing verbunden. Diesen Routinen der Improvisation bei solchen Herausforderungen kann man m.E. gar bestimmte Regelmäßigkeiten zuweisen. Dies soll, ausge-
hend vom hier bereits gewählten Beispiel von Reportagen vor Ort, erläutert werden.
(NOTWENDIGE) ANTIZIPATION DES UNVORHERSEHBAREN Bei Reportagen muss man mit allen möglichen technischen Pannen rechnen.
Man kann sich nie auf irgendeinen technischen Apparat verlassen, weder bei Außenaufnahmen noch später im Studio. Im geschilderten Falle fokussiert
75 Zur Improvisation gehört auch die spontane Verlängerung von Sendezeiten (so gesehen bei Océan FM, in der erwähnten Nacht des Banküberfalls in Cotonou, November 2008), Anrufinterviews mit Informanten bei aktuellen Ereignissen, wenn Reporter nicht am Ort des Geschehens sein können, etc.
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sich diese Problematik auf das Aufnahmegerät. Besonders bei widrigem Wet-
ter kann das Aufnahmegerät plötzlich versagen, oder die Batterien, die man kaufte, waren entgegen den Versprechungen des Händlers doch von schlechter Qualität. Fluchen schafft Erleichterung, hilft aber nicht weiter. In die Wir-
kungsweise des von den Radioreportern in Natitingou benutzten Marantz-Aufnahmegerätes,76 das die digitalen Dateien auf eine wieder beschreibbare CD ablegt (ähnlich einer Festplatte) und allerdings eine gute Qualität besitzen
und leicht überspielt werden können, ist Unberechenbarkeit quasi eingeschrieben. Diese beruht auf der Tatsache, dass das Gerät zwar qualitativ hoch-
wertige Aufnahmen generiert, aber relativ störanfällig, empfindlich und nicht allwettertauglich ist.
Diese Anfälligkeit ist sicherlich nicht mit intendierten Wirkungsweisen
verbunden,77 stellt aber einen Teilaspekt der hier eingeschriebenen Wirkungs-
formen dar. Dabei kann das Aufnahmegerät in enger Interaktivität mit dem Radioreporter nicht nur als hybrider Akteur gedeutet werden, sondern als ein zentrales Element multipler Vermittlungsleistung im Rahmen der Radiorepor-
tage (zwischen den Geschehnissen und ihrer akustischen Repräsentation, zwischen Studio und dem Reporter, der medialen Integration in die späteren Ra-
diosendung und der über diese Verkettungen gebildeten Verbindungen zu den Hörern).
Das Aufnahmegerät ist natürlich nur ein Element in einem technischen
Wirkzusammenhang. Auch das eigene Mikrofon kann womöglich nicht mehr
funktionieren, oder das Handy, mit dem man im Sender anrufen will, ist nicht
nutzbar, weil plötzlich das Netz auffällt, der Akku doch78 leer ist, oder die Tastatur blockiert. Am besten, man nimmt immer zwei Handys mit, um auch in einem anderen Netz zu telefonieren, und Zusatzfunktionen des Handys nut-
76 Im Sender gibt es auch kleinere, handhabbare Diktiergeräte (SONY, OLYMPUS), die von den Mitarbeitern zeitweise genutzt werden. Aufgrund der begrenzten Tonqualität werden sie aber nur als Ersatz- und Zweitgeräte eingesetzt bzw. stehen nur einigen Mitarbeitern zur Verfügung. 77 Dies auch ein einschlägiges Beispiel für die Notwendigkeit, das Geräte dieser Art eben nicht vollkommen anweisungsgetreu genutzt werden können – Umhängen über die Schulter anstelle der Platzierung auf einem Stuhl – und dies auch nicht sollten, damit sie funktionieren. 78 Der Zusatz „wider Erwarten" kann hier m.E. kaum genutzt werden, da prinzipielle Ausfälle zum Erwartungshorizont der beteiligten Medienakteure gehören.
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zen zu können (s.u.). Technische Ausfälle können auch von Veranstaltern bestimmter Veranstaltungen herrühren, deren Stromversorgung zusammen-
bricht, Ton- oder Lichttechnik nicht funktioniert. Möchte man zur Reportage oder von dieser nach Hause oder ins Studio, muss man damit rechnen, dass
das eigene Fahrzeug eine Panne hat. Damit verbunden eine Neben-Regel: Man
sollte sich permanent nach potentiellen Hilfen umschauen, auch wenn man (noch) keine technischen Probleme hat (ohne freilich mit diesen Hilfen dann
immer rechnen zu können). Im Gegensatz zum oben geschilderten Falle ist man bei der Reportage meist allein, vielleicht sind aber Besucher oder Kolle-
gen anderer Sender mit Aufnahmetechnik anwesend, die man zur Not um Hilfe bitten kann.
Natürlich muss man zur Not Interviews ohne Aufnahmegerät durchführen,
und die Antworten dann als Zusammenfassung später in der Nachrichtensen-
dung lebendig schildern. Um die nötige Weiter- oder Rückfahrt zu gewährleisten, sollte man sich am besten während der Reportage schon nach alternativen Transportmöglichkeiten umsehen. Im weiteren kann hier auch die Regel gelten, dass mediale Erfolge – eine gelungene Reportage, die die Hörer an-
spricht – vielleicht zu temporärem Prestige führen können, aber selten in ebensolcher Weise wiederholbar sind. Prestige lässt sich aber mitunter in Solidarität umwandeln, wenn man auf Hilfe angewiesen ist. EFFIZIENZSTEIGERUNG DES MÖGLICHEN Hier ist eine Alltagsweisheit angebracht: Man muss das Beste aus dem machen, was man hat. Es hilft oft nichts, über mangelhafte Technik zu grübeln,
solange diese halbwegs arbeitet: dann ist es besser, man bekommt irgendeinen
Mitschnitt bzw. einen Bericht zustande als gar nichts. Unter Umständen kann man den Tontechniker vorwarnen, der dann vielleicht zum Studio fährt, um
vor der Sendung den Beitrag mit dem Reporter noch etwas zu bearbeiten;
vorausgesetzt, der Computer funktioniert.79 Besteht zur Nachbearbeitung wenig Zeit, sollte man Reportagen dann aber doch sofort annähernd sendefähig gestalten, dann aber nicht intendierte Begleiterscheinungen in Kauf nehmen.
79 Wenn es die Zeit erlaubt, kann man im Sender die Aufnahmen am Computer bearbeiten, vor allem werden inhaltliche Sequenzen getrennt; Leerstellen, Versprecher etc. herausgenommen; u.U. auch leise Stellen verstärkt. Im Sender Nanto FM erfolgt
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Radio Rurale Locale Tanguiéta, 1. März 2010. Der Sender hatte gerade
nach vierwöchiger Pause aufgrund von internen Konflikten wieder den Sendebetrieb aufgenommen. Einige Mitarbeiter sind aber gewissermaßen perma-
nent im Ausstand, da sie für bessere Arbeitsbedingungen streiken. So beginnt die übliche werktägliche Redaktionskonferenz, die vom Chefredakteur Robert Tiando geleitet wird, nur in Anwesenheit eines Technikers und zwei redakti-
onellen Mitarbeitern, in diesem Falle von Jerôme Sambieni und dem externen Mitarbeiter Stéphane Tankwouano. Wir legen die wichtigsten Themen für die Nachrichtensendung am Abend fest. Dazu gehören u.a. der heutige Schulbeginn nach einer Ferienpause, der heutige Markttag sowie die Wiederaufnahme
der Sendungen von RRL Tanguiéta selbst. Jerôme Sambieni übernimmt eine Reportage zum Schulbeginn. Stéphane fährt mit mir in die Stadt, wo er Hörer zur Wideraufnahme der Sendungen befragt. Wir suchen verschiedene zentrale Orte der Stadt auf; Stéphane weiß, dass sich dort immer treue Hörer des Senders aufhalten. So interviewen wir junge Leute vor dem Krankenhaus, Mechaniker und Verkäufer und sprechen auch mit einem jungen Mann im Rollstuhl, der von einer Behandlung kommt (vgl. Abbildung 2).
Später fahren wir zum Markt, wo wir Händler kurz befragen, und längere
Aufnahmen mit zwei Frauen machen, die Maissuppe an einer Straßenkreu-
zung verkaufen. Hier äußert der Hörer auch Kritik, die Stéphane etwas irri-
tiert, denn es geht um ein schlechtes Management der Radiostation, auch durch die Vertreter der Gemeinde. Die Mitarbeiter hatten sich vorgenommen,
die noch schwelende Krise nicht durch entsprechende Statements zusätzlich anzuheizen. Stéphane sagt mir aber, dass er diese Aufnahmen nun nicht än-
dern kann, denn für mögliches Herausschneiden einzelner Äußerungen bleibt kaum Zeit. Alle Äußerungen wären aber moderat formuliert, spiegeln aber eben auch die Meinungen vieler Hörer wider, die erwarten, dass man diese
ernst nimmt. „Alles bleibt im Rahmen dessen, was die HAAC gestattet“ betont er (ein anonymer Mithörer der HAAC wird immer vorausgesetzt).
Die Aufnahmen bringen wir dann zu Robert, der in seinem Privathaus die
Dateien auf seinen eigenen Computer überspielt und nur grob bearbeitet, d.h. er löscht mittels der Audio-Bearbeitungssoftware die Pausenmomente aus den Aufnahmen. In der Station ist dies jetzt nicht möglich, da der Sendebetrieb
gerade eingestellt ist und somit alle Geräte ausgeschaltet sind, um Strom zu
jeweils eine Nachbearbeitung der gesamten Abendnachrichten für die Wiederholungssendung am nächsten Morgen.
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sparen. Wir bearbeiten mit eiliger Hand sowohl die Aufnahmen als auch die
Zusammenfassung der Reportage, da Robert kaum Zeit hat, denn er muss sich
vor Wiederaufnahme des Sendebetriebs noch um seine Kneipe kümmern, die er im Nebenerwerb führt. Robert legt die Sendereihenfolge der Aufnahmen fest, die der Techniker Karim später auf den Computer im Sender überspielt,
bevor diese in den Abendnachrichten genutzt werden. Die Interviews auf Dendi werden dabei in den Nachrichtenblöcken der anderen Sprachen herausgenommen (Tanguiéta, März 2010).
Hat man kein brauchbares Aufnahmegerät zur Hand, kann man auch die Auf-
nahmefunktion von Mobiltelefonen nutzen.80Da die eingebauten Mikros aber wenig leistungsfähig sind, sollte man dann die Geräte den Interviewpartnern
unter Umständen sehr nahe vor den Mund halten, um eine deutliche Aussage aufnehmen zu können.
Meist zeigen Letztere dafür Verständnis, ebenso dafür, wenn man sicher-
heitshalber das Interview parallel auf einem weiteren Handy, oder im An-
schluss an eine live-Übertragung noch einmal zusätzlich auf einem MP3Player aufnimmt. Ist es dunkel, hilft oft die in vielen Handys eingebaute Lichtquelle,81 Notizen anzufertigen.
80 Die Aufnahmefunktion des Mobiltelefons ermöglicht auch spontane Ereignisreportagen, wenn u.U. ein Aufnahmegerät nicht vorhanden ist. Beispiel: Während des Banküberfalls im November 2008 (vgl. Abschnitt III,1) kam es zu Schießereien, die Besucher des Marktes sowie Verkehrsteilnehmer der angrenzenden Straßen in Panik versetzten. Thomas Hemadjé von CAPP FM war zufällig am Ort des Geschehens, und nahm mit seinem Handy die Ereignisse teilweise auf. Auf den Aufnahmen waren Schüsse zu hören und kurze Gespräche, die Thomas mit Nahestehenden und später mit einem der Verletzten führte. Am Folgetag bilden diese Aufnahmen dann den Höhepunkt der Nachrichtensendung von Radio CAPP FM. 81 Auch bei der Arbeit im Studio kommt dieser eingebauten Lichtquelle große Bedeutung zu. Oft fiel der Strom aus, wodurch zumindest die Arbeiten der Techniker und Moderatoren oder mit Studiogästen überbrückend fortgeführt werden konnten. In einigen Fällen wurden Sendearbeiten weitergeführt, wenn Computer und Sender z.B. durch Strom-Puffersysteme (besitzen nur wenige Sender in Benin wie CAPP FM, Tokpa, Océan oder Planète, um die Übergangszeit bis zum Anspringen eines Generators zu überbrücken) noch einige Zeit funktionieren.
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MULTITASKING Wie bereits angedeutet, hat man als Reporter oft kaum Zeit, einen schriftlichen Bericht und den Ton- oder Filmbericht über eine Schuleröffnung, ein Fortbildungsseminar einer Entwicklungshilfeorganisation oder einen Busun-
fall in ausreichender Zeit zu erstellen, und ist dabei oft auf sich allein gestellt. Also kommt es darauf an, so viel wie möglich gleichzeitig zu erledigen: zu beobachten, Notizen für den Bericht zu verfassen, Tonmitschnitte anzuferti-
gen, dabei möglichst lange die Originalveranstaltung mitzuschneiden, Standfotos zu schießen, nebenbei Interviews zu führen, Informationen zu sammeln, u.a. Telefonnummern notieren.
Werden Dokumente, Presseerklärungen etc. vor Ort verteilt, sollte man
diese ebenso ergattern und gleich durchlesen. Zudem sollte man sich in der
Nähe von anderen Journalisten oder informierten Beobachtern postieren, um
deren informelle Kommentare (Lästereien) zu erhaschen. Natürlich sind dies implizite Regeln, die kein Radiomitarbeiter explizit befolgen oder sich be-
wusst machen würde. Ihre Relevanz konnte ich aber in zahlreichen Gesprä-
chen über entsprechende Situationen erkennen, in denen die Mitarbeiter in ähnlicher Weise herausgefordert waren. INTERVENTIONEN Während einer Reportage kann es zu verschiedenen Formen der Einfluss-
nahme von Sicherheitskräften, lokalen Persönlichkeiten oder anderen Anwesenden kommen. Natürlich ist es gut, sofern vorhanden, Einladungsschreiben, Begleitbriefe des Stationsdirektors, oder einen Presseausweis mitzunehmen
und diese Dokumente sichtbar zu tragen, oder ans Fahrzeug zu kleben. Besitzt
man nichts dergleichen, ist ein (mitunter auch selbst gefertigtes) Hemd mit dem Sender-Logo sinnvoll (vgl. Abbildung 1). Trotzdem kann es immer dazu kommen, dass Politiker, Vertreter der Kommunalverwaltung und vor allem
übereifrige Polizisten, denen man die Sicherung der Veranstaltung anvertraut und diesen Wachsamkeit eingeschärft hat, eine Reportage, ein Interview verhindern oder Zugangsrechte verweigern wollen. Hier sollte man besonnen
bleiben, wenn möglich andere Autoritäten ausfindig machen, die einen kennen und vermitteln können.
Gelegentlich helfen auch Tricks, z.B. zu behaupten, dass man mit Herrn X
oder Frau Y zum Interview verabredet sei, und falls dies platzt, Herr Y oder
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Frau Y darüber sicher nicht erfreut wären. Auf alle Fälle sollte man auf diese
Situationen vorbereitet sein: bei Politikern immer mitreisende PR-Mitarbeiter, oder Pressesprecher bzw. Assistenten ausfindig machen, sich mit diesen kollegial verbünden, technische Hilfe anbieten (besondere Sendeplätze für Ex-
klusiv-Interviews, Studionutzung etc.). Oft kennt man sich, von gemeinsamen Seminaren oder war einmal Kollege. Unter den Sicherheitskräften ist mitunter jemand, der schon einmal beim Sender war, dort eine Anzeige geschaltet hat,
den man nun herzlich begrüßt, oder, noch idealer, unter ihnen ist ein alter Schulkamerad.
Damit verbunden ist die Neben-Regel: Man sollte sich selbst als wichtig
darstellen, auch wenn man sich selbst nicht wichtig nimmt, aber nur dann
wird man ernst genommen. Anwesende Bekannte machen andererseits die Arbeit nicht immer leichter, müssen diese doch entsprechend den Erwartungen ausführlich gegrüßt werden, muss womöglich das eigene Tun erläutert wer-
den, oder gar Wüsche nach privilegierten Meinungsäußerungen vor dem Mik-
rophon berücksichtigt werden, wenn man anderes zu tun hat etc. Hier ist wiederum eine routinierter Umgang mit Normen der Reziprozität gefordert, von den man selbst (siehe oben) ja womöglich noch profitieren möchte. STUDIOPRODUKTION Die praktisch-materielle Aneignung schließt auch die Studiotechnik mit ein. Radiomitarbeiter sind permanent mit technischen Unzulänglichkeiten, oftma-
ligen Stromausfällen, dem Fehlen von Ersatzteilen, dem Ausfall von Telefonnetzen sowie ihrer begrenzten Mobilität, konfrontiert. Improvisationen wer-
den zur alltäglichen Routine, entsprechende Beeinträchtigungen der Programmqualität werden von den Hörern aber weniger beanstandet als man-
gelnde Programmvielfalt, Kreativität und Kritikfähigkeit der Gestalter. Aner-
kannte Radiomoderatoren nehmen eine Mittlerrolle zwischen Hörern und öf-
fentlichen Informationsangeboten ein, wenn es Ihnen gelingt, viele Hörer persönlich anzusprechen, relevante Themen zu finden und diese in virtuoser Nutzung technischer Mittel und Informationsquellen in ihren Sendungen um-
zusetzen. Viele von ihnen sind inzwischen zu beliebten Persönlichkeiten regionaler Radiolandschaften geworden.
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Hier wirkt sich auch die zunehmende Konkurrenz der Sender aus, 82 die
Hörer für sich gewinnen und ein vielfältiges Programm bieten müssen, und
dabei Moderatoren fördern, die einen hohen Wiedererkennungs- und Identifikationsgrad besitzen (Marcos). Aber auch ein sicherer Umgang mit der Studiotechnik ist im Alltag essentiell. Die meisten der jüngeren Techniker schaffen
es, schnell und effizient zu arbeiten. Hat man im Studio etwas mehr Zeit, können einzelne Sendeelemente vor allem für Nachrichtenprogramme nachbearbeitet werden (was in vereinfachter Form meist für die Wiederholungssendung am nächsten Morgen erfolgt).
Dabei wird mithilfe von Softwares wie Wavelab o.a. an leisen Passagen die
Dezibel-Zahl erhöht, Höhen und Tiefen moduliert, oder Pausen herausge-
schnitten. Die Techniker kombinieren mit flinker Hand Tastatur- und Mausnutzung, hören die Passagen per Kopfhörer ab, vergeben den fertigen Zusam-
menschnitten dann Dateinamen. Sie kopieren die Audio-Dateien mit Originalmitschnitten bzw. Interviewsequenzen (hier éléments genannt) dann in einen speziellen Ordner und verknüpfen kurz vor der Sendung diese in der Sendebetriebssoftware, in Absprache mit dem verantwortlichen Nachrichten-
sprecher des Senders, mit der Titelliste des Sendeablaufs. Zu letzterem gehö-
ren auch die vielen Standards wie Erkennungstitel, Intromusik, Vor- und Abspann-Einspieler (indicatifs, génériques oder bandes annonces) sowie kurze
Einspielsequenzen für Übergänge, Ankündigungen bestimmter Teilbereiche der Sendung (nationale Nachrichten,internationale Nachrichten, Sport).
Jede Sendung wird dann parallel aufgezeichnet, später im o.g. Sinne nach-
bearbeitet und für die Wiederholung abgespeichert. Zugleich wird meist eine Kopie als MP3-Datei in einem gesonderten Verzeichnis abgelegt, die laut Auf-
lagen der HAAC als Beleg bei möglichen Beschwerden mindestens zwei Wo-
chen erhalten bleiben muss. Die Radiomitarbeiter nutzen dabei die Möglich-
keiten des Computers;– mit umfangreichen Verzeichnissen für Musiktitel verschiedener Genres, die schnell aufgefunden werden können, mit selbst pro-
duzierten Jingles, aber vor allem auch die vorab zusammengestellten playlists, 82 Um 10 Uhr treten in Cotonou an Werktagen die ehemaligen Kollegen Anselme und Dah Houawé in direkte Konkurrenz. Anselme moderiert auf Radio Planète zur gleichen Zeit, zu der Dah seine Presseschau auf Fongbé bei CAPP FM gestaltet, die Sendung Planète Emploi mit Stellenangeboten (vgl. Abschnitt IV,4). Sie erreicht nicht den Zuspruch der genannten Presseschau (HAAC 2007; 2011), belebt aber die vormittägliche Informationsvielfalt im Raum Cotonou und verhilft Radio Planète zu guten Einnahmen, die das Budget des Senders erheblich entlasten.
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die eine Art Automatikbetrieb erlaubt und virtuos eingespielt werden können.
Einige Studiotechniker, vor allem jene, die zugleich als DJs für Clubs oder als Moderatoren arbeiten (z.B. Ludovic), bringen meist ihr Notebook mit, um die dort gespeicherten Titellisten und Datensammlungen nutzen zu können.
Benoit Noé, Radio Maranatha Parakou, gestaltet die Samstagabend-Show
„Weekend avec Jesu“ mit seinem Notebook (vgl. Abbildung 10), spielt neue
Gospelmusik, mischt Comedy-Elemente in die Playlists und telefoniert dann – wie auch in anderen Sendern ebenso üblich – im zweiten Teil der Sendung mit den Anrufern. Auffällig ist, dass er sehr ausführlich und ruhig mit den
Hörern spricht, weniger den schrillen Stil der anderen Samstagsabendshows
pflegt. Er nutzt zudem eine pdf-Version einer französischen Bibelausgabe, die
ihm ermöglicht, in die Moderation immer wieder Bibelzitate einfließen zu lassen. Passende Stellen findet er schnell dank des Suchsystems, was bei den Hörern viel Anerkennung findet (März 2010; Biographie vgl. Abschnitt II,4). INTERNETPRÄSENZ UND SOZIALE NETZWERKE Die Nutzung von Webseiten und sozialen Netzwerken durch die einzelnen Ra-
diostationen ist unterschiedlich ausgeprägt. Mit einem live-stream waren Radio Golfe FM (derzeit eingestellt) und Radio Tokpa hier sicherlich Vorreiter,
aber auch CAPP FM, Océan FM sowie die Sender des ORTB stellen zumindest Programmschemata und ausgewählte Sendungen als Podcast ins Internet. Ra-
dio Tokpa FM begleitet einzelne interaktive Sendungen, wie z.B. sans détour,
direkt über Facebook. Aber auch Fotos mit Moderatoren und Gästen aus dem Studio, vor allem während der Sendung week-end à tous vents am Samstag-
nachmittag sowie von manchen Morgensendungen, werden über Facebook gepostet. Die Web-Präsenz und Aktualisierung der Webseiten der verschiedenen Sender gestaltete sich über die Jahre hinweg sehr inkonstant; auch abhängig von einzelnen fähigen Beauftragten und einem Interesse der jeweiligen
Stationsleitung, die hier auch auf die Kostenseite achtet. Demgegenüber wa-
ren es mitunter einzelne Mitarbeiter, die gezielt Programminhalte über soziale Netzwerke vermittelten.
So stellt Ulysse Elliot Djodji (ORTB) oft die Inhalte seiner Sendung mit
Musik und Veranstaltungstipps affiches du week-end auf Radio Atlantic FM, ebenso wie Playlists und Abstimmungsvoten, ins Internet. Seine FacebookSeite zeigt Fotos von Sendegästen, Ankündigungen von Musikshows, Veran-
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staltungen und neue CDs von eingeladenen Musikern. Der Journalist von Radio Benin, Henri N’Da Sékou, der eine Presseschau auf Französisch präsen-
tiert, stellt eine Zusammenfassung der Titelseiten auf seine Facebook-Seite. Der Internetunternehmer Noah Padonou übermittelt ebenfalls die Inhalte sei-
ner IT-Bildungssendung émission questions technologie auf Atlantic FM über seine Facebook-Seite, ebenso wie der Moderator Anselme Kpaténon aka Anny
Sinclair, der Stellenangebote aus seiner Sendung Planète Emplois (Radio Planète) auf Facebook postet.
Diese parallele Nutzung von sozialen Netzwerken, die z.T. bereits die Sen-
dung sans détour prägt, in der Reaktionen der Hörer auf der Facebook-Seite direkt in die Gestaltung der Sendung einbezogen werden, wird sicher in naher Zukunft auch Radiosendungen gerade im urbanen Raum stärker beeinflussen.
Andere Sender haben sich im Wesentlichen auf direkte Telefonate und vor
allem SMS als kommunikative Strategien zur Stärkung von Hörerkontakten konzentriert. SMS können bei einigen Sendern wie Océan oder Tokpa direkt
auf dem Bildschirm über Schnittstellen empfangen werden; die technischen
Kosten, aber auch die Einnahmen teilen sich die Mobilfunkfirmen und Sender.
In anderen Fällen verfügt die Station über eine Webseite oder wird – vor allem im Falle von Community Sendern oder der Vereinigung von Netzwerkjournalisten – über gemeinsame Webseiten von Radiovereinigungen präsentiert.
Hier ist vor allem auf die Vereinigung Union des Radios Communautaires et
Associatives du Bénin (URCAB) hinzuweisen, die unter Mithilfe von Soulé Issiaka über die Webseite urcab.org in jüngerer Zeit neben Informationen über alle CRS Benins auch Sendungen zur freien Nutzung der teilnehmenden Mitglieder-Stationen anbietet. ASSEMBLAGES Natürlich sind nicht nur Radiomitarbeiter mit einem solchen permanenten ReArrangement von Dispositiven und sozio-technischen Rahmenbedingungen beschäftigt, auch Radiohörer agieren als Experten des (radiomedialen) Alltags. Diese knüpfen dabei ganz allgemein mit schlechten Empfangsbedingungen, problematischer Stromzufuhr oder der Störanfälligkeit ihrer Geräte. All
diese sind Teil des allgemeinen medialen Alltags; sie reflektieren den Kontext,
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in dem mediale Erfahrung hier steht, und sind eine der vielfältigen (unvoll-
kommenen, fragmentierten) lokalen Spielarten der Moderne bzw. multiple modernities (Eisenstadt 2000) und ihrer Versprechen.83
Die Beschreibung alltäglicher Praxen der Radioproduktion und des Ra-
diohörens als Technografie (Rammert und Schubert 2006) verdeutlicht nicht nur, welche Bedeutung Praxen der Improvisation als Alltagsroutine haben,
sondern die Normalität oder gewissermaßen Veralltäglichung (Hengartner
und Rolshoven 1998) des Umgangs mit technischen Unzulänglichkeiten, die Flexibilität, aber auch Optimismus verlangt. Es geht nicht so sehr um eine
Andersartigkeit des fremden Umgangs mit medialer Technik – einige der hier beschriebenen Routinen sind auch aus nichtafrikanischen Kontexten gut be-
kannt – und ihren Unzulänglichkeiten, sondern um eine Ethnographie situierten Wissens. Die (meist) jungen Radiomacher in Benin entwickeln trotz mangelnder Ausrüstung und vieler institutioneller Zwänge einen journalistischen
Anspruch. Erfolgreiche Technikaneignung ist Basis des Erfolgs als Medienprofessioneller und kann als Distinktionsmerkmal wirken. Natürlich sind auch in
Afrika die einzelnen Akteure, gemäß ihrer Dispositionen und Biographien in
der Art ihres Umgangs mit diesen Herausforderungen unterschiedlich kompe-
tent. Technik selbst ist, wie die Beispiele zeigen, umgekehrt aber zugleich auch hier ein Medium, das die sozialen bzw. politischen Rahmenbedingungen und Alltagsbeziehungen vermittelt, in denen Mediengestalter agieren.
Deutlich wird, dass eine begriffliche Trennung einerseits zwischen Routi-
nen, oder der Routinisierung immer wiederkehrender Abläufe im alltäglichen
technisierten Handeln, und andererseits Improvisation, d.h. flexible Ad-hocEntscheidungen im Bruch mit geplanten Tätigkeiten, problematisch ist, wenn letztere zu permanenten Handlungsweisen werden. Eine Auffassung von Routinen als Wiederholung spezifischer Handlungen mit strukturiertem und zugleich strukturierendem Kontext, die keiner Legitimierung bedürfen muss hin-
terfragt werden. Wenn man Alltagsroutinen als wesentlichen Teil kultureller
83 Brian Larkin hat in seiner Studie zur Nutzung von Medien in Geschichte und Alltag städtischer Bewohner in Kano, Nigeria (2008) diesen Unzulänglichkeiten und ihrer alltäglichen (Be-)Zähmung besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Hier werden Unvollkommenheit und Unzuverlässigkeit technischer Infrastrukturen nicht nur als Paradigma der Art technologischer Teilhabe der nigerianischen Mediennutzer an verfügbaren Medientechnologien betrachtet, die durch die Situation Nigerias bestimmt wird, sondern als Ausgangspunkt kreativer Arten des Umgangs mit diesen.
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Tatbestände identifiziert, kann hingegen an jene Kulturtheorien angeschlos-
sen werden, die Momente der Aushandlung (Wimmer 2005), Re- Konstruktion und Re-kombination von Bedeutungen und Praxen der Alltagskultur betonen.84
An diesen Beispielen werden nicht nur differenzierte Vorgänge technolo-
gischer Aneignung (vgl. Abschnitt IV,3) deutlich. Die hier gewählten Beispiele
der Reportagen oder interaktiven Sendungen verweisen darüber hinaus auf eine notwendige Analyse von Radioproduktion als Verkettung oder assemblage (Marcus und Saka 2006) institutioneller, kultureller und technolo-
gischer Elemente. Diese sind durch vielfältige Formen von Division und
Koordination miteinander verbunden (Rammert 2006). Radioproduktion, in den hier vorgestellten Beispielen, ist dabei immer verteiltes Handeln, an dem
verschiedene Instanzen, Agenturen und Akteure (Direktor, Fahrer, Reporter, Organisator der Veranstaltung, vorgestellter Hörer) beteiligt sind. Wenngleich
in den hier gewählten Ausschnitten human generierte Handlungsaspekte do-
minieren, so wird in den Hinweisen auf Einfluss- und Vermittlungsleistungen
aller beteiligter Elemente (Agenten) die Verknüpfung materieller, sozialer, kultureller und politisch-institutioneller Aspekte deutlich.
Im oben geschilderten Beispiel umfasst dies z.B. Radioreporter, Zuschauer
verschiedener Kategorien, Autoritäten, Polizisten, das Wetter, Platzverfügung, aber auch der ritualisierte Ablauf des öffentlichen Ereignisses, das Zeitbudget und die Sprachkompetenz des Reporters, genutzte (oder mitunter schmerzli-
che vermisste) Aufnahmegeräte, Batterien, Mikrofone, Stromkabel, die Weste
Remys mit dem Senderlogo (vgl. Abbildung 1), Notizzettel, Handies, das Mobilfunknetz, Studiocomputer, das Transportfahrzeug, Empfangsgeräte von Ra-
diohörern, Genehmigungen oder Presseausweise (bzw. ihr Fehlen) ... Elemente, die natürlich nicht vollständig erwähnt werden können. In der Gesamtheit von Sendeproduktion und Nutzerreaktionen werden Radiostatio-
nen mittels situierter Handlungspraxen folglich als „socio-technical ensembles“
(Bijker 1993: 117) oder hybride soziotechnische Konstellationen (Rammert 2003) konstituiert. Sie sind Teil des übergeordneten sozio-technischen Systems (Pfaffenberger 1992a) des Rundfunks in der Republik Benin, unterscheiden
84 Wimmer (op. cit.) unterscheidet dabei Prozesse der Aushandlung und Praxis von jenen, die kulturelle Ideale und Normen konstituieren. Letztere sieht er als Ergebnis von Kompromissen und ihrer Nutzung für Inklusions- und Exklusionspraxen.
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sich jedoch stark hinsichtlich ihres Entstehungszusammenhanges. Diese Varianzen werden in den beiden folgenden Abschnitten durch die Fokussierung auf bestimmte Sendertypen bzw. die sie tragenden Interessengruppen deutlich.
2. Community-Radiostationen – Potentiale und Problemlagen „Liebe Hörer, sie haben Radio Djougou eingeschaltet, das auf 102 MHz sendet. Radio Solidarité FM Djougou ist die Station der Ereignisse, die Station aller Bevölkerungsgruppen der Region. Bleiben sie am Apparat, denn die folgenden Sendungen beginnen mit den allerneusten und wichtigsten Informationen und Ankündigungen.“ (Beginn des Sendebetriebes, Radio Djougou, Rokia Tchassama, 11.12.1998, 7 Uhr).
Der folgende Abschnitt beleuchtet einen besonderen Typ von Radiostationen: Gemeinde- oder assoziative Radiostationen (in Benin Radios communautaires oder associatives genannt). Die Einrichtung von solchen nichtkommerziellen Rundfunksendern in Eignerschaft gemeinnütziger Vereine oder dezentraler
Gebietskörperschaften (=Community-Radiostationen)85 ist generell ein wichtiges Element zur Herstellung einer medialen Pluralität, einer Vergrößerung
von Informations- und Unterhaltungsangeboten, vor allem für illiterate Nutzer
und in elektrizitätsfernen Regionen, sowie potentiell auch ein Element in der Förderung von Meinungsvielfalt, Demokratie und entwicklungsbezogener Kommunikation (Myers 2000).
Community-Radiostationen (im weiteren CRS) werden in der Entwick-
lungszusammenarbeit aus diesem Grunde meist ausgesprochen positiv bewer-
tet (vgl. z.B. Daloz und Verrier-Frechette 2000; Naughton 1996; Offor 2002; Alumuku 2006; Power 2006; Girard 2007; Center for International Media Assistance 2007; AMARC Africa 2008; Fairbain 2009). Sie tragen potentiell zur Vergrößerung
von
Kommunikationschancen
sozialer
Initiativen,
von
Bewegungen und Selbsthilfegruppen (wie z.B. Frauenradios) ebenso wie zur
85 Hier wird der englischsprachige Begriff beibehalten; zum einen, weil dieser die Literatur zum Thema – auch in deutschsprachigen Publikationen – dominiert; zum anderen, weil hier es hier mindestens zwei Übersetzungsmöglichkeiten von Community (Gemeinde-Radios? Gemeinschafts-Radios?) gibt. Präferieren würde ich die erste Version, auch wenn diese konzeptionelle Fragen aufwirft (s. unten).
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Festigung regionaler Identität bei. Darüber hinaus bieten sie vielfältige Möglichkeiten zur medienbezogenen Ausbildung.86
Die bereits erwähnten Radio Rurales, unter Aufsicht durch den staatlichen
Sender ORTB und mit starker Geberunterstützung eingerichtet, nahmen als
Vorläufer nachfolgender Gründungen teilweise das Modell CRS bereits auf.87 In zwei nachfolgenden Zulassungswellen (1998 und 2003) wurden weitere
Gemeinde-Sender (im frankophonen Raum auch Radios Communautaires oder Radios de Proximité genannt) zugelassen. Ihre Gründung ist zwar erleichtert worden, jedoch immer mit einem aufwendigen Prozess der Organisation, Mittelbeschaffung und Antragstellung verbunden (HAAC 2008; N'Tcha 2008;
Ahokpossi und Calixte 2008). Das Ausschreibungsverfahren gestaltet sich
meist langwierig und schließt eine Vorauswahl (présélection) der Interessenten ein. Ein Projekt eines Radio Communautaire soll bei Antragsstellung
– die Bestimmungen des Mediengesetzes (1997) für Community-Radios erfüllen; gemeinnützig, nicht gewinnorientiert arbeiten und überwiegend ent-
wicklungsorientierte Programme für breite Bevölkerungsschichten anbieten
– vereinsorganisierte Strukturen aufweisen oder einer physischen oder mora-
lischen (vom Recht anerkannten) Person gehören; kommerzielle Unternehmen sind ausgeschlossen,
– in der Programmstruktur lokale Informationen anbieten, und in Sendeproduktion und -moderation auf die kulturelle Entwicklung und permanente Bildung der potentiellen Zuhörer einwirken.
Die Programmstruktur sollte einen Anteil eigenständiger Produktionen von mindestens 50% der Sendungen aufweisen (außer bei Wiederholungssendungen). Die zu gründende Radiostation soll zudem
– seine Sendungen in einem klar umgrenzten Sendebereich ausstrahlen, – den Ursprung und die Höhe der vorgesehenen Investitionen darlegen,
86 In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Studien zu Gemeinderadiosendern in Afrika entstanden (z.B. Heath 2001; Myers 2000; 2009; Ilboudo 2000; Kahls und Langenbach 2000; Offor 2002; Tower 2005; Bosch 2008; Kannengießer 2006; Grätz 2000b) bzw. zu Piratensendern (Kuhl 2000; Mare 2013). Informationen findet man auch auf den Webseiten von Mediafrica, dem Panos Institute (1993) sowie der Association Mondiale des Radiodiffuseurs Communautaires (AMARC). 87 Sie haben einen Trägerverein und generieren eigenständig Budgets. Die jeweiligen Direktoren werden aber vom staatlichen Mediendienst ORTB eingesetzt und bezahlt.
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– den genauen Ort der geplanten Niederlassung des Senders präzisieren,
– die Verantwortung der Redaktion für die jeweiligen Informationsangebote durch professionelle Medienmitarbeiter absichern (HAAC 2008).
Die Verantwortlichen der geplanten Sender müssen im Prozess der Ausschreibung in der zweiten Phase des Verfahrens gegen nicht unerhebliche Gebühren
(für kommerzielle Radios waren es im Jahre 2009 250.000 FCFA, ca. 380
Euro; für CRS 150.000 FCFA,88ca. 230 Euro; HAAC 2009: 4) eine entsprechende Leistungsbeschreibung (cahier de charge pour l’exploitation d’une radio de type non commercial au Bénin) erwerben. Weiterhin müssen sie auf dieser Grundlage für die Lizenzierung einen detaillierten Projektplan vorlegen, in
dem die rechtlichen, finanziellen und technischen Strukturen des Senders bestimmt werden. Die endgültige Zulassung und Zuweisung der Frequenz erfolgt
unter strengen Auflagen und im Rahmen eines Vertrags, den die beiden Seiten abschließen und deren Einhaltung seitens der HAAC regelmäßig kontrolliert wird.
Generell sind Sendungen verboten, die gegen den Schutz von Minderjäh-
rigen und Jugendlichen verstoßen, aber auch jene, die, wie es heißt, „die innere und äußere Sicherheit der Republik Benin oder seine eingegangenen Ver-
pflichtungen gegenüber dem internationalen Recht“ (HAAC 2008) gefährden würden. Weiterhin bestehen Verbote von Sendeinhalten, die „die öffentliche
Moral angreifen, oder Gewalt befürworten oder banalisieren“ (ibid.). Für po-
litische Parteien oder Interessengruppen darf nicht einseitig Partei ergriffen werden. In Wahlzeiten gelten hinsichtlich der Berichterstattung allgemein
meist noch zusätzliche Auflagen (Friedrich- Ebert-Stiftung 2012a), die vor al-
lem einseitige Wahlwerbung verhindern sollen und z.B. Moderatoren, die zugleich Kandidaten sind, vom Dienst ausschließen. Die zugewiesenen Frequen-
zen können – z.B. bei groben Verstößen gegen den Vertrag, die allgemeinen Richtlinien der HAAC, Steuerschulden, bei längerer Nichtnutzung der Fre-
quenz etc. – auch zeitweise oder endgültig entzogen und damit der Sendebe-
trieb blockiert werden. Universitäts- und Ausbildungssender (Radio Univers,
88 Unverständlich ist, dass die CRS in Benin lange Zeit hohe jährliche Lizenzgebühren für die Frequenznutzung an die HAAC zahlen mussten. Nach vielen Diskussionen wurde diese Summe jüngst herabgesetzt, ebenso wie die Gebühren für die Musikrechte-Verwertungsgesellschaft BUBEDRA, die nun pauschal abgerechnet werden.
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Universität Abomey-Calavi; Radio École APM Porto-Novo) unterliegen einem gesonderten Genehmigungsverfahren.
Zunächst fällt auf, dass die meisten dieser Sender eine enorme Vielfalt
hinsichtlich ihrer Sendeformate aufweisen. Diese reichen von Nachrichten,
Gruß- und Wunschsendungen über Quiz-Spiele, Sport- und Musiksendungen bis hin zu kommunal- oder entwicklungspolitischen Diskussionen, Radiotheater und religiösen Sendungen. Dadurch finden die unterschiedlichsten Hörergruppen Inhalte, die potentiell auf ihr Interesse stoßen. Außerdem werden
auch Sendungen in vielen lokalen und überregionalen Medien kaum vertretenen Sprachen ausgestrahlt, die sich somit auch an kleinere ethnische Gruppen
wenden. So wurden Sendungen auf Biali (RRL Tanguiéta) zu einem Ausgangs-
punkt einer kulturellen Bewegung unter der ethnischen Gruppe der Byerebe (Grätz 1999). Zudem haben diese Sender hinsichtlich ihrer Informationsange-
bote natürlich die Möglichkeit, aktuelle Ereignisse aus der Senderegion zeitnah widerzuspiegeln oder zu begleiten. Das schließt auch die Berichterstattung zu lokalen Problemen und Konflikten ein, die für die größeren Sender
oft wenig bedeutsam erscheinen. Hier kann eine regional wirksame neue mediale Öffentlichkeit erzeugt werden, die auch die Arbeit politischer Entscheidungsträger sowie öffentlicher Institutionen kritisch begleiten kann.
Als recht anschauliches Beispiel kann hier ein Ereignis gelten, das bereits
in das Jahr 1995 zurückreicht, aber dieses Potential andeutet. Damals organisierten die Bauern des Dorfes Taiacou einen Protestmarsch gegen den als kor-
rupt bekannten Gendarmeriechef (Chef de Brigade, kurz CB) der Region Tanguiéta im Nordwesten Benins. Ein Moderator des regionalen Radio Rurale
Locale Tanguiéta führte spontan Interviews mit Teilnehmern des Marsches
und nahm auch ihre Gesänge auf: „CB tuulo CB tuulo!“ (der CB ist ein Dieb, der CB ist ein Dieb!). Am nächsten Morgen berichtete er darüber in einer lan-
gen Nachrichtensendung in der Sprache der Bewohner Taiacous, Nateni. Diese Nachrichten wurden später in kürzeren Versionen auch in den anderen Sprachen gesendet, wodurch nahezu jeder am Ort über die Ereignisse erfuhr. Der
erwähnte Protestgesang wurde dabei jeweils wiederholt, daraufhin von vielen
Kindern des Ortes aufgenommen und tagelang gesungen. Der Druck auf den CB wuchs, der dann versetzt wurde (Grätz 2000b).
Aber auch Direktübertragungen von Sportveranstaltungen, von Festen
und Veranstaltungen aus Schulen oder Clubs der jeweiligen Region stärken oft das Interesse der verschiedenen Zuhörer an den Entwicklungen ihrer Re-
gion und tragen in vielen Fällen zur Diskussion über lokalpolitische Themen
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in der Bevölkerung bei.89 Schließlich bieten viele dieser Sender ein großes Angebot an Beratung zu Alltagsfragen von Bildung, Erziehung und Gesundheit, aber auch Ratgebersendungen zu landwirtschaftlichen Fragen und des
Handels (z.B. Informationen über Preisentwicklungen auf regionalen oder überregionalen Märkten), die gerade in ländlichen Regionen fernab der Groß-
städte von großer Bedeutung sind (Tounessi 2001; Farm Radio International 2008).
CRS sind zudem oft von engen Verbindungen von Radioproduzenten und
Hörern im Alltag gekennzeichnet und tragen zur Schaffung lokaler Identität bei; einem Effekt, den Craig Tower in seiner Studie über eine lokale Radiosta-
tion in Koutiala, Mali, „FM radio ways“ nennt (2008). Die Techniker und Moderatoren dieser Sender sind in der Öffentlichkeit präsent (vgl. Abschnitt
IV,4), den Hörern oft auch durch Reportagen vor Ort90 ebenso bekannt wie
durch die Tatsache, dass sie oft Nebentätigkeiten nachgehen (müssen), die sie als DJ, Hilfslehrer, Veranstaltungs-Tontechniker oder Rundfunkmechaniker
eng ins Gemeinschaftsleben einbindet.91 Sie erhalten dabei ein persönliches Feedback, und beziehen ihre Erfahrungen und Kontakte in die Sendegestal-
tung mit ein. Mitunter grüßen sie gezielt Bekannte und treue Hörer, weisen
damit Prestige zu (vgl. für Mali auch Schulz 1999b; für den Zeitungssektor in Indien Rao 2010).
Diese Sender sind meist leicht zugänglich; man kommt in der Regel schnell
mit Mitarbeitern ins Gespräch oder kann gar Studioräume besichtigen,
wodurch nicht nur eine virtuelle Nähe zu den Radioleuten entsteht. Einige
89 Lokale Radiosender können auch zu Zentren der Vermittlung in Konflikten werden. So geschehen im Februar 2007, als es im Ort Djougou zu Auseinandersetzungen zwischen Teilen der Bevölkerung und Sicherheitskräften kam. Über den Sender wurde schließlich erfolgreich zur Beendigung der gewaltvollen Proteste aufgerufen (Djougou, März 2007). 90 Einige Sender (Radio Bèmbèrèkè, Radio Bassila) versuchen, noch mehr auf die Hörer zuzugehen, indem sie regelmäßig Diskussionssendungen abwechselnd direkt in verschiedenen Dörfern der Senderegion aufzeichneten. Bei diesen Ausflügen werden zugleich auch Erzählrunden und lokale Musiker aufgezeichnet, die dann in nachfolgenden Sendungen genutzt wurden. In beiden Fällen hat die Zahl dieser Reportagen durch Finanzprobleme v.a. für Transportkosten abgenommen. 91 Interessenkonflikte können hier aber nicht ausgeschlossen werden, wenn z.B. Redakteure von CRS zugleich als Pressesprecher für Bürgermeister arbeiten, wie derzeit in Djougou (Radio Solidarité) und Tanguiéta (Radio Rurale).
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Hörer besuchen spontan den Sender, und möchten miterleben, wie Sendungen produziert werden. Vor allem in den kleineren Sendern werden Besucher mit-
unter auch in die Studios eingelassen oder zu Diskussionssendungen eingela-
den. Sie können bei diesen Anlässen auch Hinweise und Kritik am Programm äußern. Initiativen aller Art können oft ohne Hürden ihre Anliegen kommu-
nizieren. Radiomitarbeiter wiederum können dadurch wertvolle Kontakte zu Hörern herstellen, die ihnen dann Informationen zu Ereignissen liefern, wenn sie nicht selbst am Ort des Geschehens sein können.
Betrachtet man die gegenwärtigen Erfolgsformate der CRS, so fällt auf,
dass Gruß- und Wunschsendungen besonders in ländlichen Regionen nach wie vor sehr beliebt sind. Zudem ist die Rubrik für Ankündigungen, Todesanzeigen, Verlautbarungen und öffentliche Informationen von großer Bedeutung,
vor allem dort, wo Zeitungen oder Aushänge etc. dies nicht gewährleisten
können. Auch in den CRS sind Anrufersendungen; z.B. vom Typ der Grogne-
Formate (vgl. Abschnitt V, 1) beliebt. Gerade kleine, junge Radiostationen bieten Möglichkeiten des beruflichen Einstieges für talentierte Radiomacher, die hier auch oft ohne langjährige formelle Ausbildung selbständig Programme produzieren und ihre persönliche Lebenssituation in die Gestaltung der Sendungen einbringen können.
Die ehemalige Programmchefin des Senders Nanto FM in Natitingou, Ger-
maine N'Tcha zählt zu den wenigen Frauen, die in CRS auch Führungspositionen innehaben. Sie stammt selbst aus der Region, ihr Vater ist Staatsbeamter.
Allerdings hat sie – bedingt durch Versetzungen des Vaters – lange Zeit in anderen Teilen Benins verbracht, ein Studium der Kommunikationswissen-
schaften an der Universität Abomey-Calavi begonnen, zudem auch ein Aus-
landsjahr in Italien (Lombardei) verbracht. Auf das Radio Nanto wurde sie im Jahre 2004 aufmerksam, als sie während der Semesterferien in Natitingou weilte und von der Ausschreibung von Positionen für Moderatoren erfuhr. Sie
hatte Erfolg, wurde rekrutiert, und alsbald zur Programmdirektorin ernannt,
die mitunter auch den Stationsdirektor vertrat. Heute arbeitet sie als Kommunikationsbeauftragte der Stadtverwaltung (Natitingou, März 2013).
Gemeinderadios sind nicht automatisch Erfolgsmodelle. Viele von ihnen weisen, nach einer ersten, euphorischen Phase nach ihrer Gründung, eine Reihe von Problemen auf, die den Sendebetrieb oft stark beeinträchtigen und
manchmal auch zu seiner Einstellung führen können. Die wichtigsten Prob-
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lemfelder betreffen die finanzielle und technische Ausstattung, die organisa-
torische und personelle Situation der Stationen, aber auch die strukturelle und
rechtliche Verfassung vieler Sender, bzw. genauer den Umgang mit dieser im Alltag. In letztgenannter Hinsicht ist zunächst auf die generelle medienrecht-
liche Stellung dieser Stationen hinzuweisen, die sich aus der Definition der
Bezeichnung community herleitet. Es liegt nahe, damit eine umfassende Eig-
nerschaft und Kontrolle durch eine administrativ-politisch verfasste lokale Ge-
bietskörperschaft oder Gemeindeverwaltung, oder durch eine gemeinnützige Initiative bzw. einen Trägerverein zu verbinden.
Im Idealfalle haben gewählte Vertreter der Gemeinde bzw. des Trägerver-
eins dann Kontrollrechte über das Budget, das Personal und die Pro-
grammstruktur der Sender. Dies wird in den meisten Fällen durch eine Trägervereinigung gewährleistet, aus deren Reihen dann Vertreter in ein
Aufsichtsgremium gewählt werden. Dort sind der Direktor und z.T. auch lei-
tende Mitarbeiter des Senders oft ex officio ebenfalls Mitglied. In vielen Fällen werden auch gesonderte Instanzen wie Budgetkommissionen, Programmkommissionen etc. gebildet, die regelmäßig tagen und grundsätzliche Entschei-
dungen durch den Trägerverein vorbereiten sollen. Das Direktorium einer Station soll die alltäglichen Geschäfte führen.
Victor Allé ist ein typischer freiwilliger Radiomitarbeiter, seit 2004 im
Sender Nanto FM, und für die Sendungen auf Sahwè, einer nicht unbedeutenden Hörergemeinschaft vor allem in der Stadt Natitingou selbst, verantwort-
lich. Zusätzlich zu den Nachrichten moderiert eine entwicklungspolitische
Sendung, die sich Problemen der Schulbildung und Gesundheitsaufklärung in Benin widmet. Diese wird aufgezeichnet und meist am Samstag von 9.30 bis
10 Uhr ausgestrahlt. Er wohnt seit 1986 in Viertel Orou-Bouga (Natitingou, März 2011).
Der kollektiven Eigner- bzw. Trägerschaft durch eine größere Gemeinschaft steht die individuell verantwortete Radioproduktion im Alltag gegenüber.
Hieraus ergeben sich oft eine Reihe von Interessengegensätzen. Sie resultieren auch aus der Haltung vieler Radiomitarbeiter: vor allem jene mit größerer Erfahrung und einigem Erfolg sehen sich eher als professionelle Journalisten
denn als Freiwillige im Dienste der Allgemeinheit. „Ich bin ein guter Journa-
list und werde von den Kollegen in ganz Benins anerkannt, und wurde deshalb
zum regionalen Verantwortlichen des ODEM gewählt“ äußerte zum Beispiel Berepa Tchinouka, Radio Nanto (Natitingou, März 2012). Mit dieser Haltung
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verbinden sie auf der einen Seite weitreichende Wünsche nach eigenverant-
wortlicher redaktioneller Gestaltung von Sendeinhalten. Diese sollen natürlich die Wünsche und Bedürfnisse der Hörer aufnehmen, folgen aber manchmal nicht immer den Vorstellungen der Mitglieder der entsprechenden
Aufsichtsgremien des Senders. Dies betrifft in vielen Fällen auch insbesondere den Direktor des jeweiligen Senders, der größere Gestaltungsspielräume und Entscheidungsvollmachten beansprucht.
Weiterhin entwickeln viele Radiomacher entsprechend ihres Erfolgs bei
den Hörern auch den Wunsch nach adäquater Bezahlung, die oft nicht ihrem nominellen Status entspricht (siehe weiter unten). Mit der Zeit spielen sich
die entsprechenden Entscheidungswege ein, gerade in Extremsituationen der Budgetierung kann hier aber ein latentes Konfliktpotential virulent werden. Schließlich sind die jeweiligen Aufsichtsgremien auch nicht immer frei von
Egoismen92 und lokalpolitischer Einflussnahme, etwa durch dominante Einzelpersönlichkeiten, die das Radio als Prestigeprojekt stärker für ihre Ziele nutzen wollen (z.B. wie zeitweise in Kandi oder in Zogbodomey).
In diesem Zusammenhang muss auch noch einmal der Begriff Community
kritisch beleuchtet werden. Im Falle jener Sender, die als Radio im Auftrage eines Trägervereins einer Gebietskörperschaft konstituiert sind, muss man die
Vorstellung einer homogenen lokalen Gemeinschaft, für die das Radio senden soll, infrage stellen. In jeder Region Benins gibt es meist mehrere ethnische Gruppen, verschiedene soziale Schichten und Generationen, Sprachgruppen,
Religionsgemeinschaften und Verbände, die in vielen Fällen auch um Möglichkeiten der Einflussnahme ringen.
Dies wird auch im Falle der Auswahl der Sendesprachen deutlich: oft
möchten die Vertreter recht kleiner ethnischer Gruppen ebenso Sendungen in
ihren Sprachen im Programm vertreten sehen, was andere Mitglieder in den Aufsichtsgremien oft mit dem Hinweis der dann notwendigen personellen Ausstattung und daraus möglicherweise erwachsenden Finanzproblemen ab-
lehnen. Aber auch die Zeit, die einzelnen Kommunalpolitikern für Interviews
zugestanden wird, oder auch Sendezeiten für kulturelle Vereinigungen oder
92 So haben Mitglieder des Conseil d’Administration des Trägervereins des Senders Radio Nanto FM (Natitingou) nach ihrer Konstitution 2008 zunächst eine kostspielige Informationsreise zu anderen Sendern unternommen. Die Kosten musste das Budget des Senders tragen, Ergebnisse waren aber kaum spürbar.
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einzelne religiöse Gruppen können oft zu zentralen Streitpunkten in den Vertreterversammlungen werden. Es sei hier auch angemerkt, dass erfolgreiche
Radiomacher oft auch eine politische Karriere – im kommunalen oder gar nationalen Raum – anstreben, und damit ihr Prestige, ihre Popularität und Netzwerke in ein entsprechendes politisches Kapital und Potential der Unterstützung ihrer Ambitionen umwandeln möchten.
Im Sender RRL Tanguiéta führte dies beispielsweise im Vorfeld der Kom-
munalwahlen im Jahre 2007 dazu, dass Moderatoren, die zugleich als Kandi-
daten antraten, generell für die Zeit des Wahlkampfes vom Dienst freigestellt
wurden. Allerdings mussten sie zuvor geeignete Vertreter finden und schulen.
Dies war dem alltäglichen Sendebetrieb durch die gleichzeitige Abwesenheit mehrerer nomineller Moderatoren nicht immer dienlich. In manchen Fällen
führt auch die heterogene berufliche und soziale Zusammensetzung der Hörer zu großen Herausforderungen der Programmplanung.93 Manche Staatsangestellte, in erster Linie jene aus anderen Landesteilen, beklagen oft ein Fehlen
adäquater Nachrichtensendungen und bevorzugen deshalb überregionale Sen-
der. Die große Bedeutung einheimischer bzw. nationaler Sprachen in Rundfunkprogrammen ist dabei ein besonderes Merkmal von CRS (und allgemein
des Rundfunksektors in Afrika. Diese Entwicklung geht bereits auf die Förderung von Lokalsprachen in der funktionalen Alphabetisierung und speziellen Radioprogrammen in staatlichen Senders seit den 1970er Jahren zurück.
Sie wurde durch Initiativen von Entwicklungsgebern sowie der UNESCO
gefördert. Sendungen in einheimischen Sprachen können dabei auch Hörer-
schaften der entsprechenden ethnischen Gruppen jenseits der Landesgrenzen erreichen (z.B. Radio Ilèma, Radio Deeman, Radio Nikki, die daher auch in Nigeria viele Hörer finden, die gar Annoncen in Auftrag geben). Einige kleinere Sprachen finden auch viel leichter Eingang in regionale Sender als in
größere nationale Stationen, die auf höhere Hörer- bzw. Zuschauerzahlen angewiesen sind.
93 Radio Solidarité FM Djougou, „Le tambour nouveau dont les vibrations sont répercutées au cœur de la savane de Djougou...“ (Selbstdarstellung, 2001) versteht sich als Sender sowohl für die von Händlern und Handwerkern dominierte Stadtbevölkerung als auch für Hörer der Umgebung, die überwiegend aus Landwirten besteht. Man richtet die Programmangebote entsprechend inhaltlich und sprachlich aus: morgens und abends eher für die Landbevölkerung, tagsüber eher für die Städter.
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Ob der politische Zustand einer Nation vom Erfolg der in einheimischen
Sprachen sendenden Community-Sender abhängt, wie es Marks (2009: 4) anzeigt, sei aber dahingestellt. Dies bedeutet auch, die integrierende Funktion
der großen Verkehrssprachen zu unterschätzen, wie es in Benin z.B. neben dem Englischen oder Französischen, die schon lange nicht mehr als Sprachen der Kolonialmächte empfunden werden und auch von vielen illiteraten Hö-
rern verstanden werden, auch Fongbé, Yoruba oder Dendi. Daher wählen manche private Sender bewusst nur wenige einheimische Sprachen, weil sie
nicht eine zu große Fragmentierung des Programmes, das dann mit einer Viel-
zahl von Mitarbeitern (unterschiedlichen Status) produziert werden muss und dem in einzelnen Sprachsegmenten u.U. Qualitätseinbußen drohen, vermeiden wollen.
In den CRS spielen mitunter Konflikte um die jeweilige Auswahl der klei-
neren Sprachen, die immer eine politische ist, eine Rolle. Sendungen in ein-
heimischen Sprachen zu gestalten ist aber auch für die jeweiligen Muttersprachler keine Selbstverständlichkeit. Hier gibt es nach meinen Erfahrungen sehr unterschiedlich ausgeprägte individuelle Talente bezüglich der Bega-
bung, einen großen Wortschatz mit der Fähigkeit zu verbinden, geeignete diskursive Strategien sowie viele Register der jeweiligen Sprache zu beherrschen.
Oft geht es um adäquate Übersetzungen für französische Termini, Umschreibungen oder Neologismen, die dann gefunden werden müssen. Dies erfordert
kulturelles Wissen, das aber nicht nur eine Frage des Alters ist, sondern ein Interesse an der eigenen Sprache voraussetzt, die auch nicht jeder gut ausge-
bildete Journalist besitzt. Die Hörer schätzen ein entsprechendes rhetorisches
Vermögen und eine semantische Kreativität meist sehr und unterscheiden gute von mittelmäßigen Sprechern. Germaine N’tcha, ehemalige Programmchefin von Radio Nanto in Natitingou, bemerkte in diesem Zusammenhang:
„Ich spreche Ditammari, habe aber lange Zeit außerhalb der Region verbracht.
Das würden die Hörer sofort merken, deshalb brauchen wir einen Moderator,
der das ‚echte Ditammari‘ (le Ditammari profond) beherrscht.“ (Natitingou, Februar 2010)
Die Bezeichnung „Gemeinde“ als Attribut dieser Stationen kann mit recht
unterschiedlichen rechtlichen und organisatorischen Strukturen verbunden
sein. Neben verschiedenen Sprach-, ethnischen und religiösen Gruppen gibt es regional immer auch vielfältige Erwartungen und Hörgewohnheiten, die die jeweiligen Sender unterschiedlich bedienen müssen. Dies gilt auch für spe-
zielle Zielgruppen wie z.B. Frauen, die natürlich ebenso verschiedenen Berufs-
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und Sprachgruppen sowie Generationen angehören. Diese Problematik, und
die damit verbundenen oben erwähnten Konfliktpotentiale, werden oft unterschätzt, sollten aber im Vorfeld einer Stationsgründung bedacht werden.
Generell ist die finanzielle Ausstattung der Senders eines der Hauptprob-
leme, die sich auf die technische und personelle Situation der Stationen nie-
derschlägt. Die Einnahmen speisen sich im Wesentlichen aus Sendungen im Auftrag für Institutionen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) der Entwicklungshilfe oder des Staates, aus kostenpflichtigen Ankündigungen, Grü-
ßen oder Musikwünschen, Werbung94 sowie vereinzelten Sponsorengaben.95 Mitunter werden auch Sendezeiten auf Vertragsbasis, z.B. für religiöse Institutionen, zur Verfügung gestellt. In einigen Fällen kommen regelmäßig Sammlungsaktionen unter der Bevölkerung hinzu. Manche Sender haben Part-
nerschaften mit bestimmten lokalen Verwaltungseinrichtungen wie den Kom-
munalverwaltungen (Mairies) abgeschlossen, wie z.B. Radio Solidarité FM Djougou. Jedes Jahr wird hier eine gewisse Summe dem Sender zur Verfügung
gestellt. Im Gegenzug verpflichtet sich die Station, Verlautbarungen des Bürgermeisters und seiner Mitarbeiter, Hinweise auf Veranstaltungen oder Berichte über entsprechende kommunale Ereignisse zu senden.96
Auftragssendungen für Vereinigungen, Firmen, die staatliche Lotterie o.a.
können unterschiedliche finanzielle Größenordnungen einnehmen, je nachdem, ob einfach nur vorproduzierte Sendungen ausgestrahlt werden, oder
diese erst aufwändig produziert werden. Die Sender haben dabei oft kaum
94 Auch die Einnahmen, die (derzeit vor allem private) Sender über SMS-Dienste in Partnerschaft mit Mobilfunkunternehmen (z.B. in Radio Fraternité, Parakou, Radio Océan FM, Cotonou) generieren, sind von wachsender Bedeutung (Djiwan 2007). 95 Auch jene Privatsender, die mit massiver Unterstützung nicht nur privater Sponsoren, sondern auch NRO etabliert wurden, haben es schwer, sich dann nach einiger Zeit durch Werbung selbst zu tragen. Eine Radiostation benötigt mindestens fünf bis sechs Jahre, um sich wirklich zu etablieren und bekannt zu werden (Interview mit Jerôme Carlos, CAPP FM, zitiert in Marks 2009: 2). Notwendig sind auch langfristige Entwicklungs- und Investitionspläne. 96 Bei Radio Nanto hat im Zuge der Entflechtung der Strukturen von Sender und Kommune im Jahre 2010 der Direktor seinen Posten abgegeben, weil er sich zwischen einer Tätigkeit als Pressesprecher für die Mairie und jener für das Radio entscheiden musste. Er sah in der Arbeit für die Mairie eine größere Sicherheit und wechselte zu dieser.
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eine Wahl, da sie ihr Budget für viele laufende Kosten97 stabil halten müssen, Personal entlohnen und Technik erwerben müssen. In technischer Hinsicht
gibt es in Bénin von Zeit zu Zeit größere Materialgaben, die von verschiedenen Entwicklungshilfeprogrammen finanziert und durch die HAAC an die einzelnen Sender ausgegeben werden.
Einige Stationen waren auf der Suche nach neuen finanziellen Ressourcen
gezwungen, mit der HAAC abgestimmte Vereinbarungen zur Frequenzmiete
mit großen überregionalen Sendern einzugehen, die selbst über keine lokalen
Relaisstationen verfügen. Dazu gehören BBC oder Voice of America. So werden vor allem auch in den sendefreien Zeiten – oft am Mittag, frühen Nachmittag
oder spätnachts – dann auf den jeweiligen Frequenzen der UKW-Sender französisch- oder englischsprachige Programme der entsprechenden Stationen
ausgestrahlt. Meist werden dazu eine Satellitenempfangsanlage sowie Übertragungsgeräte geliefert, mit der dann die Synchronisation erfolgen kann. Da
diese Einnahmen für den Sender wichtig sind, lassen sich Wünsche der Hörer
nach längeren Sendezeiträumen der eigenen Station nicht realisieren. Die
meisten Hörer schalten aber nach meinen Erkundungen in diesem Momenten meist auf andere nationale Sender um, im Norden Benins vor allem Radio
Parakou, die ein Vollzeitprogramm mit regional relevanten Informationen – auch in nationalen Sprachen – bieten.
Die zuerst gegründeten fünf Radiostationen dieser Art in der Republik Be-
nin, die Radios Rurales, sparen am Gehalt der Stationsdirektoren, weil diese – klassisch ausgebildete Journalisten oder Techniker – vom staatlichen Medien-
dienst ORTB entsandt und bezahlt werden. Dafür können die Trägervereie die jeweilige Person nicht immer selbst auswählen, und müssen die Einflussnahme seitens des ORTB akzeptieren, der dadurch im Aufsichtsgremium der
97 Dies betrifft neben den Löhnen vor allem Stromkosten und jene für den Betrieb von Generatoren, z.T. auch Wasseranschlüsse, Mietkosten, Druckpapier, Tonerkartuschen, Batterien und andere Verbrauchsmittel sowie Gebühren. Viele Sender zahlten lange keine Gebühren an die Rechteverwertungsgesellschaft der Künstler BUBEDRA, sahen sich dann aber mit Nachforderungen konfrontiert. So bemühte sich die Leitung des Senders Nanto Ende des Jahres 2009, entsprechende Außenstände mehrerer Jahre im Zusammenhang mit einer Neulizensierung zu begleichen, und musste die für diesen kleinen Sender vergleichsweise stattliche Summe von 900.000 FCFA (1400 €) aufwenden. Zudem wurden nun eilig Listen mit den gespielten Titeln einheimischer Musiker erstellt.
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Trägervereine der Sender automatisch vertreten ist. Allerdings liegen die Gehälter für Laufbahn-Beamte des Staates dieser Kategorie weit über den Möglichkeiten der meisten Gemeinderadios, die durch die Partnerschaft mit dem
ORTB qualifiziertes und erfahrenes Leitungspersonal erhalten, was gerade in der Aufbauphase eines solchen Senders ein großer Vorteil sein kann. Aufgrund entsprechender Konflikte in der Vergangenheit bemüht man sich nun seitens
des Staates, möglichst einen Stationsdirektor zu entsenden, der die jeweilige Region gut kennt oder gar aus dieser stammt.98
Viele CRS kommen mit sehr wenig Personal aus, im Gegensatz zu den
staatlichen Sendern mir einer Vielzahl spezialisierter Mitarbeiter. In den CRS erwerben die Radiomitarbeiter oft die vielfältigsten Fähigkeiten, vor dem Mikrophon, in der Studioregie, der Zusammenstellung von Informations- und Musikprogrammen, und übernehmen oft dazu oft noch Verwaltungsaufgaben im Sender (Beispiel Bienvenue Fandé, CRS Nanto in Natitingou, ist Buchalter und
zugleich Moderator). In manchen Fällen praktizieren CRS gar den amerikanischen Stil, bei dem der Moderator allein, ohne zusätzlichen Techniker, direkt am Regiepult mit Mikrophon, Computer und Reglern arbeitet. Dies ist vor allem bei reinen Musiksendungen und Tagesbegleitprogrammen99 möglich.
Umgekehrt sind auch viele Techniker zugleich Sprecher, da sie oft den
Sendebetrieb eröffnen oder Programmhinweise und Verlautbarungen übermitteln. Ein Sendebetrieb mit nur einer Person ist aber bei Sendungen mit
98 Ob diese Lösung ideal ist, hängt stark von Einzelpersonen und ihrem Engagement ab. Bei den Sendern Radio Rurale Locale Ouèssè, Radio Rurale Locale Tanguiéta und Radio Ketou führten Differenzen zwischen Trägerverein und Stationsdirektor zur vorzeitigen Ablösung des letzteren (Informationen: Omar Mamadou, Inst. Kilimandajro, November 2009). 99 Unter Tagesbegleitprogrammen werden hier Sendezeiten verstanden, die einen geringen Anteil redaktioneller Elemente aufweisen und meist allein von einer/einem Moderatorin oder gar einem/einer Techniker/in gefahren werden. Dazu gehört meist der Sendebeginn am frühen Morgen, das Ende der Sendungen am späten Abend und eine Art längere mittägliche Pausensendung (nach den Nachrichten). Weiterhin zählen dazu Sendezeiten außerhalb klar gestalteter Programme, die den kontinuierlichen Sendebetrieb aufrechterhalten oder Sendungen ankündigen. Somit muss zumindest immer ein Moderator oder Techniker im Studio anwesend sein, der zugleich den Sendebetrieb gewährleistet. In einigen Sendern wird in den Kernzeiten ein Moderator von einem Techniker unterstützt, der vorbereitete Musik abfährt, damit sich der Moderator auf die mündliche Präsentation (vor allem von Verlautbarungen, Werbung, Kurznachrichten etc.) konzentrieren kann.
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Studiogästen, die auch für Anrufer konzipiert sind, ebenso wenig möglich wie bei Nachrichtensendungen, bei denen ein Sprecher sich auf das Verlesen von
Meldungen im Studio konzentriert. Die Polyvalenz der meisten Mitarbeiter von CRS ermöglicht sicherlich eine große Flexibilität, führt aber auch zu gro-
ßen Belastungen, die wenig Spielraum für redaktionelle Arbeit, vor allem bei wenigen Mitarbeitern lassen.
Ungeachtet der geringen Personalstärke reproduzieren viele Sender for-
mell eine Leitungsstruktur, die von den größeren Sendern bekannt ist. So gibt
es neben dem Stationsdirektor meist immer einen chef de Programme, einen chef de technique und redacteur en chef oder chef de culture.100 Kleinere Sender
führen diese Verantwortungsbereiche neben den normalen Aufgaben der Mitarbeiter.
Aufgrund eines gewissen Zeitmangels sowie des Fehlens adäquater Tech-
nik sind einige Journalisten oft gezwungen, schnell zu arbeiten und in effek-
tiver Weise Beiträge zu erstellen (vgl. Beispiele Abschnitt II,1).101 Dabei versuchen sie gleichzeitig, die Erwartungen der Hörer zu erfüllen. Trotz der oft fehlenden Infrastruktur entwickeln sie dabei erfolgreiche Programme, vor al-
lem in Verbindung mit interaktiven Sendungen. Vielleicht kann man die These wagen, dass das Fehlen einer langen Ausbildung den Effekt hatte, dass viele jener Moderatoren, inspiriert von eigenen Hörerfahrungen, zunächst bekannte
Radio-Sendeformate imitierten, diese dann aber später, ohne Vorgaben, ganz besonders kreativ und frei umgestalteten.
Es sind die Techniker und Moderatoren, die die Stationen im Alltag mit
Leben füllen. Sie müssen technische Probleme überwinden, die Aufmerksamkeit der Hörer gewinnen und beständig eine Vielfalt von Sendungen produ-
zieren. Sie gehören meist zu einer neuen Generation von Radioproduzenten in Benin, die auch für andere dieser jungen Medienetablissements typisch ist
(vgl. Abschnitt II,4). Die jüngeren Mitarbeiter wurden oft direkt von der je-
weiligen Station nach einem Auswahlverfahren rekrutiert, oder begannen hier
100 Gerade Praktikanten und junge Mitarbeiter werden hier nicht immer gleichrangig vom Chefredakteur behandelt. Sie übernehmen oft viele Aufgaben, ohne genügend Anerkennung zu erhalten. Sie müssen sich erst mühevoll ihre Position erarbeiten, können andererseits beim Weggang älterer Mitarbeiter aber auch selbst aufrücken. 101 So haben nach viele Radiojournalisten die Fähigkeit entwickelt, fast sendefertige Beiträge schon während der Reportage, einschließlich von Anmoderation und Interviewstimmen, aufzunehmen (Beispiel Stéphane Tankwouano, Abschnitt II,1).
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zuvor als freie Mitarbeiter. Vor allem die Moderatoren dieser Gruppe haben
inzwischen oft etliche Stationen und Praktika hinter sich, entweder in einem der Community-Sender oder hatten während des Studiums die Möglichkeit,
bei Radio Univers der Universität Abomey-Calavi, beim Jugendsender Ado 3
S FM in Cotonou oder gar beim staatlichen Rundfunk Erfahrungen zu gewinnen. Im Raum Cotonou-Porto Novo sind die entsprechenden Möglichkeiten
viel größer. Stationsdirektoren verfügen hingegen oft bereits über Medienerfahrungen oder haben gar Journalistik oder Kommunikationswissenschaften, in Benin selbst oder im Ausland, studiert.
Viele Mitarbeiter dieser Sender sehen sich, bei wachsenden Fähigkeiten
und Erfolg, aber nicht dauerhaft als (freiwillige) Gemeinderadio-Mitarbeiter, sondern streben eine weitere berufliche Karriere auch in anderen Medien an,
oder gehen gar in die Politik.102 Andere wiederum, z.B. Freizeit-Radiomitar-
beiter wie Schullehrer, hatten sich oft zu Beginn aus Idealismus dem Radio – meist als Nebenbeschäftigung – zugewandt. Werden sie aus beruflichen Grün-
den versetzt bzw. müssen für einen anderen Posten den Ort wechseln, oder schaffen es kaum, die Anforderungen im Hauptberuf mit der Radioarbeit zu verbinden, stellen sie ihre Mitarbeit ein (so beobachtet vor allem im Sender Nanto FM, Natitingou).
Bei einigen dieser Freiwilligen der ersten Stunde spielt zudem auch ge-
ringe Vergütung bzw. Aufwandsentschädigung eine Rolle, die sie – nach der ersten begeisterten Phase ihrer Mitarbeit – bei gleich bleibendem Aufwand
auch für Fahrtkosten etc. nicht mehr hinnehmen möchten, und somit ihre Arbeit niederlegen (wie bspw. Emile Tawèma, Nanto FM). Diese Faktoren führen
zu einer hohen Fluktuation103 oder gar Unterbesetzung, da die Sender nicht immer gleich Ersatz finden können. Eine größere Professionalisierung des
Kernteams der Mitarbeiter kann eine größere Kontinuität und Qualität auch
102 So trat der beliebte Moderator Dacosa Sahgui Sarré des Radio Rurale Tanguiéta bei den Kommunalwahlen 2003 an, und wurde in den Gemeinderat gewählt. Kurz darauf zog er als Nachrücker-Abgeordneter ins Parlament ein. 103 Es verließen viele vormals Freiwillige den Sender Nanto FM, weil sie die Arbeit im Sender entweder nicht mehr mit ihrer Arbeits- oder Ausbildungszeit in Einklang bringen konnten, eine bessere Karriere planten oder nach anfänglichem Enthusiasmus aufgrund der geringen Vergütung frustriert waren. So wechselte der Moderator Norbert Tossou in die Finanzverwaltung. Faruk Salaou, ehemals Sekundarschüler, studiert inzwischen, Raoul Ahouandjissi arbeitet für den Privatsender Radio Trait d’Union in Bohicon.
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der Gemeinderadiosender sichern (Marks 2009: 2). Dies verlangt aber eine entsprechende Rekrutierungspolitik und Gehaltsplanung104 seitens der Trägervereine.
CRS sind meist nicht die einzigen empfangbaren Sender in einer Region
und stehen damit in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen privaten oder staatlichen Stationen, von denen viele auch Sendefenster in einheimischen
Sprachen haben. Oft können CRS kaum mit anderen Sendern hinsichtlich gut
recherchierter, detailreicher, kritischer und gar unterhaltsamer Beiträge zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen mithalten, obwohl viele Hörer das erwar-
ten. Dies ist eher in größeren überregionalen Rundfunkstationen möglich, die zudem oft über bessere Möglichkeiten der elektronischen Recherche sowie
über ein Netz von Korrespondenten105 verfügen. Reportagen sind für viele Radiojournalisten dann eine große Herausforderung, wenn sie nicht Bekannte in entsprechenden Behörden haben.106 Gemeinderadios nutzen zeitweilig auch
104 Die Probleme der Bezahlung der Radiomitarbeiter vor allem in privaten und assoziativen Sendern beruhen auf einer oft unklaren Vertragssituation, bei der die Grenzen zwischen Freiwilligen, Praktikanten, Vertragsmitarbeitern und Festangestellten verwischen und die nicht immer mit realen Arbeitsbelastungen korreliert. Mitunter stellen Praktikanten eine willkommene Hilfe dar, werden aber nicht adäquat bezahlt. Auch Mindestlöhne entsprechend des Rahmentarifvertrages für Medienmitarbeiter (Convention Collective; Friedrich-Ebert-Stiftung et al. 2008) werden oft nicht eingehalten. Zudem arbeiten Praktikanten, meist Schüler oder Studenten, weit über die ursprünglich vorgesehene Zeit oft hinaus in den Sendern. 105 Viele Freiwillige oder Vertragsmitarbeiter der CRS agieren gegen eine kleine Aufwandsentschädigung zugleich auch als Lokalkorrespondenten des staatlichen Rundfunkdienstes. Oft handelt es sich um Lehrer, Verwaltungsangestellte oder Mitarbeiter von NRO, die ihre Berichte dann zweifach produzieren und von der Technik der lokalen CRS profitieren (bspw. Idrissou Karé, Natitingou). Einige CRS wie Radio Kandi haben das Modell der Lokalkorrespondenten übernommen, wobei es hier in erster Linie um das Aufnehmen von Anzeigen, Bekanntmachungen und Grüße geht, bei denen die Helfer prozentual an den Einnahmen beteiligt werden. Besondere Ereignisse aus der Örtlichkeit sollen aber auch hier dem Sender übermittelt und Reportagen vorbereitet werden. 106 Ich habe im Oktober 2010 den Radiojournalisten Princio Adoukonou (Nanto FM) begleitet, als er eine Reportage über unseriöse Jobangebote in Natitingou durchführte. Eine Person hatte ein Jobangebot „im Auftrag einer NRO“ über Nanto FM kundgetan. Es sollten Bearbeitungsgebühren hinterlegt werden, aber keine wirklichen Angebote wurden vermittelt. Ich fuhr mit Princio zunächst zur Arbeitsagentur, wo man davon nichts wusste, dann zur Präfektur, wo die NRO formell bekannt war,
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Informationen in einer Art selektiver Zweitverwertung der Sendungen anderer Stationen, gemischt mit Meldungen aus erreichbaren Zeitungen und dem In-
ternet. Umfangreichere Reportagen findet man besonders dann, wenn solche
von Partnern in Auftrag gegeben werden, und damit auch die Ressourcen z.B. für zeitaufwändige und mit Ortswechseln verbundene Recherchen eher gegeben sind. Meist werden solche größeren Recherchefahrten auch mit der
Sammlung sendefähigen Materials, über das eigentliche Thema hinaus, ver-
knüpft. Schließlich sind die Mitarbeiter oft mit der alltäglichen Arbeit im Radiosender ausgefüllt, und schaffen gerade so, den Sendebetrieb aufrecht zu
erhalten und die wichtigsten aktuellen Ereignisse in der Region, sozusagen
vor der Haustür, widerzuspiegeln. Kritische Berichterstattungen erfolgen dann mehr in Form von Studio- oder Anruferdiskussionen, weniger in Form von Reprotagen.
Die Mehrzahl der CRS sendet kein Vollprogramm. Dies wird im Allgemei-
nen mit dem nicht ausreichendem Personal und seiner Arbeitsbelastung, ho-
hen Betriebskosten sowie angeblichen Hörgewohnheiten begründet. Meist
sind auch Sendezeiten Bestandteil der Vereinbarungen mit der HAAC und kön-
nen nur auf Antrag verändert werden. Meiner Erfahrung nach stellen die lan-
gen Sendepausen für viele Hörer einen Kritikpunkt dar, oft wenden sie sich daher anderen Stationen zu. Vor allem mit den 24h-Programmen überregionaler Sender können die Community-Radios kaum mithalten.
Ein Beispiel aus Natitingou: Radio Nanto sendet dort vormittags nur von
6 Uhr bis 12 Uhr. Nach einer langen Pause beginnt das Programm dann erst wieder um 16 Uhr und endet dann um 24 Uhr. Um 12 Uhr schalten nicht
wenige Hörer notgedrungen um, entweder auf einen Sender Kara im nahen Togo, der dann Musikprogramme bietet, Radio Immaculée Conception, oder
Radio Parakou, wo dann vielfältige Annoncen und Informationen bis hin zur
mittäglichen Haupt-Nachrichtensendung um 13 Uhr angeboten werden. Viele
aber keine Genehmigung zu Aktivitäten eingeholt hatte, und schließlich zum angegebenen Kontaktbüro der NRO, wo niemand war. Die Behörden hielten sich bedeckt, wollten keine Nachforschungen unterstützen, ebenso wenig wie die Polizei, die wir dann aufsuchten. Zudem mussten wir lange auf zuständige Sachbearbeiter warten, oder Dokumente waren unauffindbar.
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Hörer bleiben dann auch bei Radio Parakou, sei es aus Trägheit, sei es, dass die Programme des Konkurrenzsenders sie eher ansprechen.107
Spät abends gestaltete sich die Situation ähnlich kritisch: Erfolgspro-
gramme wie die Anrufer-Sendung supplice du coeur oder die SamstagabendMusik- und Grußsendung évasion, die bei vielen jungen Hörern beliebt sind, müssen aufgrund der begrenzten Sendelizenz um 23 Uhr beendet sein, obwohl die Hörer gerne länger dabei bleiben würden. Ähnliche Sendungen laufen bei Radio Parakou meist auch eine halbe bis eine Stunde länger, mitunter bis 24
Uhr. An Samstagen schalten viele potentielle Hörer von Radio Nanto dann um 23 Uhr auf Radio Parakou um, wenn sie weiter eine Musikshow erleben wol-
len. An den Freitagen um 23 Uhr betrifft dies meist Schüler der collèges (Sekundarschulen) oder Geschichtsinteressierte, weil hier Radio Parakou unter
der Rubrik Archives d’Afrique als Übernahme von RFI alte Radiomitschnitte
historischer Ereignisse sendet. Die Moderatoren von Radio Nanto versuchen,
möglichst nicht zu überziehen, „denn das kann eine Mahnung seitens der HAAC geben, denn sie hat ja nun auch hier einen Sitz.“ (Bienvenu Fandé, März 2012) Längere Sendezeiten sind erstrebenswert, verlangen aber neben einer veränderten Sendelizenz auch mehr Mittel für Betriebskosten und Personal.
Etliche Sendungen, die Gemeinderadios ausstrahlen, sind inhaltlich reich
und gut produziert, aber für die Hörer nur begrenzt von Interesse. Es handelt sich hierbei um vorproduzierte Aufnahmen, die die Stationen umsonst erhal-
ten, und für deren Ausstrahlung sie z.T. auch Entgelte bekommen. Darunter
findet man auch jene Sendungen, die inhaltlich kaum auf die jeweilige Sen-
deregion der CRS zugeschnitten sind. Malische Reisbauern berichteten beispielsweise über ihre Anbauform, die allerdings in der Region, in diesem Falle Tanguiéta, kaum existiert. Ähnliches gilt für manche (nicht alle) vorprodu-
zierte Sendungen des Afrika-Büros von Radio Nederland Wereldomroep in
Cotonou. Andere Ratgebersendungen, auch in Eigenproduktion, sind mitunter
monotone Wortsendungen und nehmen einen belehrenden Unterton an. Viele
107 Ähnlich wie bei anderen Radiosendern schalten auch bei Radio Nanto viele Hörer vor allem in den Abendstunden gezielt bestimmte Sendungen ein, aufgrund der Musikauswahl (z.B. ältere Hörer für die Nostalgiesendung mélodies immortelles), der Vorliebe für bestimmte Moderatoren (wie Fandé, Marcos) oder aufgrund eines Angebotes für bestimmte Sprachgruppen.
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Informationssendungen in einheimischen Sprachen werden zudem – nach ei-
nem üblichen Muster oft nur mit traditioneller Musik umrahmt – was den Zugang jüngerer Hörergruppen erschwert.
Der Erfolg von CRS hängt von ihrer Fähigkeit zu Übersetzungsleistungen
von Informationen ab, die sich an Bevölkerungsgruppen wenden, die oft fern der politischen Debatten in den größeren Städten leben. Hier geht es nicht nur im engen Sinne um eine Übersetzung in einheimische Sprachen, sondern
auch darum, die Inhalte komplexer Themen zu vermitteln, d.h. diese verständlich und erläuternd aufzubereiten, gesellschaftlicher Ereignisse adäquat dar-
zustellen und zu interpretieren. Die Radiomitarbeiter müssen fähig sein, gute
Begriffe zu wählen, zusätzliche Erläuterungen zu geben, und die Hörer einbeziehen.
In Benin war in einigen Fällen leider eine Phase der Stagnation, mitunter
auch eine ernsthafte Krise bei einigen CRS festzustellen, die entweder auf
technische Probleme oder machtpolitische Konflikte108 zurückzuführen waren (Mamadou 2008: 5). So hatte der Sender in Kandi zeitweise notgedrungen
seine Arbeit eingestellt;109 ebenso wie Radio Tado in Abomey-Calavi sowie der Jugendsender Ado 3S in Cotonou. Bei anderen Sendern manifestierte sich eine Stagnation in einer enormen Einschränkung der Programmvielfalt, der Reduk-
tion von Sendezeiten und der Verfügbarkeit von Mitarbeitern. Bei gleichzeitiger Finanznot waren die Sender mitunter gezwungen, irgendein Programm auszustrahlen, wenn es nur vom Geber der EZ bezahlt wurde, und dann gar
oft Wiederholungen ins Programm zu nehmen. Dabei nahm das Interesse der 108 Radio Rurale Tanguiéta geriet 2009 in eine schwere Krise, die auf Konflikte zwischen Stationsdirektor und Verwaltungsrat des Trägervereins zurückging. Konflikte entstanden auch zwischen Stationsdirektor und einigen Mitarbeitern. Letztere forderten damals mehr Mitspracherechte, eine etwas bessere Bezahlung und Aufwandsentschädigungen für die Produktion von Reportagen. Ihnen warf der Stationsdirektor wiederum mangelnden professionellen Ehrgeiz und eine zu große Nähe zur Mairie vor. Auf Anweisung der HAAC wurde der Sendebetrieb im Januar 2010 für vier Wochen eingestellt. Ein neuer Direktor und ein neuer CA starteten anschließend mit einem neuen Konzept, was zukünftige Spannungen aber nicht ausschließt (Februar 2010). 109 In Kandi war es der (ehemalige) Bürgermeister, der die Station vereinnahmen wollte. Als Teile der Belegschaft dem widersprachen, kam es zu Konflikten, in deren Folge mehrere Mitarbeiter und der Direktor entlassen wurden. Der ehemalige Bürgermeister arbeitet inzwischen in einem Ministerium in Cotonou. Ein neuer Stationschef hat kürzlich den Dienst aufgenommen (März 2010; Tidjani 2010).
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Hörer ab, damit auch die Zahl der (bezahlten) Ankündigungen, aber auch der Sponsoren für Spielshows etc., sowie der Bereitschaft von Studiogästen, hier mitzuwirken.
Einige lokale Gemeinderadiosender in Benin konnten aus einer Phase der
Stagnation, die auch aufgrund der prekären Finanzsituation, negative Folgen der defekten oder veralteten technischen Ausstattung und einem Mangel an
Innovationsbereitschaft entstanden waren, nur durch eine erneute, massive
Unterstützung der Schweizer EZ110 heraustreten. In diesem Rahmen konnten die Radiomitarbeiter neue, zweckmäßig eingerichtete Gebäude beziehen und die Studioeinrichtungen auf den neuesten technischen Stand bringen.
Die Radiostation Solidarité FM in Djougou (vgl. Abschnitt I,4) konnte so-
mit eine Krise überwinden und wieder zu einem wichtigen Kommunikationsund Unterhaltungsmedium für die gesamte Region werden. Hier spielte auch die Unterstützung der französischen Partnerstadt Evreux eine große Rolle.
Dem ging ein Prozess der Umorganisation des Trägervereins voraus, einschließlich einer Vergrößerung des Mitgliederkreises in Bezug auf die Station
tragenden Gemeinden Djougou und Copargo. Es folgte eine Programmreform, in Verbindung mit selbstorganisierten Hörerumfragen.
Das Modell der CRS wird gegenüber privat geführten Sendern meist be-
vorzugt. Letztere erhalten nicht die gleiche Zuwendung seitens der EZ und
werden in geringerem Maße in Austausch- und Ausbildungsprogramme ein-
bezogen.111 Allerdings kämpfen aber auch die privaten Radiosender in Benin mit den gleichen Problemen im Alltag. Dazu gehören Stromausfälle, Schäden durch Blitz und Sturm, Spannungsabfälle, die die Technik beschädigen kön-
nen, dier Alterung der technischen Ausstattung, Computerviren, das Fehlen von Ersatzteilen etc. Sie sehen sich in gleicher Weise mit den hohen Erwar-
110 In diesem Falle (ähnlich wie bei den Stationen in Bèmbèrèkè und Nikki) war es die Schweizer Organisation Coopération Suisse au Bénin, die – in Benin bereits in der Unterstützung mehrerer Gemeinderadios seit 1995 aktiv – mittels ihrer Programme PACOM (Programme d‘Appui à la Communication) sowie ASCOM (Appui Suisse à la Communication), die vom Institut Kilimandjaro in Cotonou durchgeführt werden, zu strukturellen und technischen Erneuerungen beitrug. 111 Dies ändert sich bereits in einigen Fällen. So haben die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Schweizer Entwicklungsbehörde DEZA bei der Zusammenarbeit mit kommerziellen Sendern in Uganda positive Erfahrungen gemacht (vgl. Anderson und Elliott 2007).
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tungen der Hörer konfrontiert, ebenso wie mit der Kontrolle durch Medienbehörden, die auf die Einhaltung der Lizenzvereinbarungen ebenso achten wie
auf Meinungsvielfalt und professionelle Standards. In den multikulturellen Milieus der Sendegebiete müssen alle Verantwortlichen, ob von kommerziellen oder assoziativen Radios, immer eine gut überlegte Auswahl der Sendesprachen und ihres Umfanges in der Programmstruktur treffen.
Sie müssen zudem auf eine religiöse und kulturelle Balance ihrer Pro-
gramme achten, um sich eine breite Hörerschaft zu sichern. Zwar versuchen die privaten Sender natürlich, mit entsprechender Programmgestaltung und
marktgünstiger Ortswahl nicht zu viele Risiken hinsichtlich einer gesicherten Zuhörerschaft sowie der laufender Einnahmen durch Auftraggeber einzugehen. Viele dieser Stationen übernehmen jedoch ebenso Funktionen, die gemeinhin den CRS zugeschrieben werden, und in gleicher Weise (mittels Dis-
kussionssendungen, talk-in-shows sowie Reportagen) zur Förderung der demokratischen Kultur beitragen. Auch hier finden wir engagierte Moderatoren und Techniker, die sich bewusst an zuvor wenig beachtete Zielgruppen wenden und ein zivilgesellschaftliches Engagement pflegen.
Dies wird an den Beispielen der Sender CAPP FM und Radio Tokpa in
Cotonou deutlich, die eine große Anzahl von Bildungssendungen in einer Vielzahl einheimischer Sprachen ausstrahlen, die Hörer der unterschiedlichsten
sozialen und linguistischen Gruppen ansprechen. Aber auch andere private
Sender wie Radio Planète (Cotonou), Radio Wêkê (Djèrègbe bei Porto-Novo), Radio Arzèkè (Parakou) oder Radio Trade-Union (Bohicon), versuchen immer auch Sendungen ins Programm zu nehmen, die sich an besondere Bevölke-
rungsgruppen wie Jugendliche, Frauen, Schüler oder Angehörige von religiö-
sen und ethnischen Minderheiten richten, denen oft ohne zusätzliche Kosten eigene Sendezeiten eingeräumt werden.
Die Werbeblöcke dieser Stationen werden oft als merkantile Art der Radi-
oproduktion kritisiert, aber gerade sie geben vielen freien, kommerziellen Radiosendern jene finanzielle Unabhängigkeit, die ihnen politische Freiräume
sichern kann. Stationen mit hohen Werbeeinnahmen, wie z.B. CAPP FM, hän-
gen dabei tendenziell in geringerem Maße von Zwängen der EZ-Partner (und somit der Qualität und Nachfrage entsprechender Sendeproduktionen) ab, und sind zudem weniger auf staatliche Hilfe, die oft nur gegen Auflagen zu
regierungsgenehmen Berichterstattungen erfolgt, oder gar auf die Unterstüt-
zung von Parteipolitikern angewiesen, um ihre tägliche Arbeit zu sichern. Die
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CRS in Benin wiederum müssen in Bezug auf kommerzielle Einnahmen offizi-
ell bestimmte Auflagen einhalten. So dürfen sie beispielsweise nur 20% ihrer
Sendungen für Werbung und Annoncen nutzen, was ihre Finanzsituation oft ungünstig beeinflusst. De facto überschreiten somit viele Sender diese Marke,
weil die Einhaltung dieser Auflagen nur selten genau überprüft wird. Die Einrichtung der Sender verlangt in jedem Falle auch eine vorausschauende Be-
rücksichtigung lokaler Bedingungen, hinsichtlich klimatischer Umstände, der Energiesituation sowie der Verfügbarkeit von Ersatzteilen.112
Inzwischen ist fast eine flächendeckende Digitalisierung (in Bezug auf Sen-
deproduktion) der Studios, die zwischen 2006 und 2008 die Sender prägte, erfolgt. Computer, digitale Aufnahmegeräte und Sendetechnik, radiospezifi-
sche Steuer- und Schnittprogramme mit einer Konvertierung von Dateien
meist in das MP3-Format sind seitdem Standard. Es wurde mitunter zwar an
Kühlvorrichtungen für Computer sowie die Dämmverkleidung der Studioräume gedacht, aber oft nicht an Sicherungs- Hardware (externe Festplatten-
speicher) und Antivirus-Software. Nicht wenige Sender (RRL Tanguiéta, Nanto FM, Radio Planète) verloren z.B. ihren gesamten digitalisierten Bestand
an Informationen, Musik, Einspielern sowie archivierten Sendungen, als die
Festplatte des Hauptcomputers beschädigt war. Dies wog umso schwerer, wenn die überspielten Audio-Kassetten bereits entsorgt oder anderweitig verwendet wurden.
Der Unterhalt digitaler Technik ist (im Gegensatz zur Darstellung von
(Marks 2009: 3) nur teilweise günstiger. Aufnahmegeräte, die eine digitale
Speicherung erlauben, ebenso wie jene die über eine entsprechende HandyFunktion zum Einsatz kommen, sind gut handhabbar und werden immer preiswerter, können aber bei Pannen kaum mehr repariert werden. Der massive Computereinsatz erfordert wie für viele Bereiche der analogen Technik,
ebenso die Beachtung von tropischen Belastungen, und stellt neue Anforderungen an Wartung und Erneuerung (Edah 2002, Mamadou 2008). 113
112 Im Jahre 2003 wurden etliche Sender im Rahmen einer Hilfsaktion von EZ-Gebern, die über die HAAC koordiniert wurden, mit Aufnahme- und Abspielgeräten für MDKassetten ausgestattet, die besser als Audio-Casetten waren, sich aber nicht durchsetzten. 113 Hier haben auch private Sender oft Probleme zu verzeichnen. So hatte man im Sender Radio Planète (Cotonou) einige Zeit die Computer nicht gewartet und verlor viele alte Aufnahmen, insbesondere auch Reportagen, durch einen Virus. Auch überspielte Musikaufnahmen gingen verloren; es gab keine Sicherungskopie. So müssen
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In der Anfangszeit wurden einige Sender (vor allem die RRL) auch mit
Solarpaneelen ausgestattet, die von den Gebern gar als ideale Dauerlösung für
eine Kostendämpfung und Unabhängigkeit vom Stromnetz gedacht waren. Die Effektivität war begrenzt,114 die Folgekosten für die Pflege und Erneuerung
der Akkus, bzw. neue Paneele etc. waren jedoch hoch. Daraufhin unterblieb diese, woraus eine geringere Leistung, bei gleichzeitiger Zunahme der Ausrüstung mit stromverbrauchenden Geräten, resultierte.
Einige Stationen haben sich daraufhin doch an das Netz der klassischen
Elektroversorgung anschließen lassen, mit der Folge, dass man nicht nur hohe
Anschlussgebühren an den Netzmonopolisten Communauté Électrique du Bénin (CEB) zu zahlen hatte, sondern auch mit Stromausfällen und dem permanenten Spannungsabfall kämpfen musste. Dem kann man nur mit speziellen Ge-
räten wie Spannungsreglern und leistungsfähigen Pufferakkus mit Wechsel-
richtern (onduleurs), deren Fehlen anfangs sehr oft die Computertechnik
beschädigte, und der parallelen Anschaffung eines Generators für einen unterbrechungsfreie Stromversorgung entgegnen.115 Hinzu kamen auch Auseinandersetzungen um die oft überhöhten Stromrechnungen seitens des Versorgungsunternehmens.116
Gerade fernab der Metropolen kämpft man bis heute auch mit den Un-
wägbarkeiten von Internetverbindungen. Wenn man nicht auf oft langsame
örtliche Internetcafés zurückgreifen möchte, sind eigene Satellitenverbindun-
gen oder eine Verbindung zu drahtlosen (WLAN)-Netzen, die mancherorts als
Alternative zu den kabelnetzgebundenen Systemen ausgebaut werden; eine
gute Lösung, die jedoch Investitionen erfordert und laufende Kosten erzeugt. Die entsprechende Ausbildung der Techniker in angepassten Technologien
alle Studiomitarbeiter täglich viele Stapel von CDs nebenher überspielen, um die Auswahl der Titel für die Playlists zu vergrößern. 114 Solar-Technologien sind effizienter (op.cit: 9), derzeit in Westafrika aber teuer. 115 Radio Bèmbèrèkè hat einen Teil der Budgetprobleme dadurch gelöst, indem man eine Partnerschaft mit der Mobilfunkfirma BBCom eingegangen ist. Diese kann den Sendemast für eigene Einrichtungen nutzen, und stellt im Gegenzug hochwertige Stromversorgungstechnik in Form von Ersatzakkumulatoren zur Verfügung, die gemeinsam mit der Station im Falle von Stromausfällen genutzt werden. Zugleich übernimmt die Firma die Stromrechnung. 116 Viele Stationen haben Generatoren als Notlösung bei Stromausfällen angeschafft, die aber wiederum hohe Kosten für den Dieselverbrauch erzeugen.
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und pragmatischen Lösungen (wie Luftentfeuchter-Materialen in Studioscheiben, einfache Materialien zur Erzeugung schallgedämpfter Studios) sowie
Wartungsmöglichkeiten (Reinigung von CD-Spielern mit Bürsten, erwähnt
von Marks 2009: 6; kostenfreie Antivirus-Programme, etc., Energiesparlampen) ist von Bedeutung.
Die Nachhaltigkeit der Einrichtung einer Community-Radiostation (vgl.
auch Buckley et al. 2008; Fairbain 2009) ist also an ein erfolgreiches Zusam-
menspiel technischer Faktoren, einer guten Vorplanung, 117 der Programmgestaltung und des Personals, der Reaktion auf Hörerbedürfnisse und der allgemeinen Fähigkeit der Radiomacher, sowie der Trägervereine, flexibel auf sich
ändernde Umstände zu reagieren. Aber auch eine vorausschauende Finanz-
planung118 ist relevant. Dies erfordert einen permanenten Prozess der Selbstevaluation und -erneuerung, ebenso wie die Pflege des Austausches mit Hörern sowie mit anderen Radioproduzenten.119
Generell ist das Ideal, dass unterschiedliche Mitglieder der (Orts-)Ge-
meinde Radioprogramme mit lokal relevanten Inhalten gestalten, ein sinnvoller Ansatz, da sich dadurch eine Pluralität der Sendestile entfalten kann. CRS
sind aber keine Selbstläufer, konkurrieren zudem auch mit anderen regionalen und überregionalen Sendern um Anteile an Hörerschaften, und verlangen einen Prozess der permanenten inhaltlichen, personellen und technischen Er-
117 Bei der Einrichtung von Nanto FM in Natitingou im Jahre 2003 hatte man den Sendemast zwar auf einem Berg installiert, aber nicht hoch genug, um den gesamten Bereich der Gemeinde abzudecken, wodurch viele potentielle Hörer nicht erreicht wurden. Zudem wurde die Station zunächst auf einem Hügel eingerichtet, der nur über einen schlechten Weg erreichbar war. Daher blieben potentielle Besucher oft aus. Der Neubau des Senders im Ortskern verzögerte sich durch Veruntreuung eines Teiles des Baubudgets durch den beauftragten Unternehmer. 118 Radio Ilèma, eines der ersten unabhängigen CRS in Benin, einst Vorzeigeprojekt und Teil einer kulturellen Erneuerungsbewegung, musste seine vielen Aktivitäten radikal zurückfahren, als die Förderung einer belgischen NRO auslief. 119 Die zu diesem Zweck etablierte nationale Vereinigung Union des Radios Communautaires et Associatives du Bénin (URCAB) wurde kürzlich wiederbelebt und soll nicht nur Lobbyarbeit leisten. Sie betreibt eine Webseite für den Programmaustausch (urcab.org). Die CRS im Nordwesten Benins haben zusammen mit staatlichen und privaten Presseorganen der Region das eigene Mediennetzwerk Réseau des Médias de l’Atacora et de la Donga (REMAD) gegründet.
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neuerung und kreativen Sendegestaltung. CRS sind weit mehr als nur „Stimmen der Stimmlosen.“120 Sie können mit Ankündigungen, Reportagen, und
Live-Übertragungen, aber auch als örtlicher Treffpunkt eine polyvalente Rolle in den Kommunikationsstrukturen der jeweiligen Regionen einnahmen. Die
Stationen könnten zudem auch eine kulturelle Archivfunktion erfüllen (Marks 2009: 4). Eine sinnvolle Erweiterung der finanziellen Spielräume der jeweiligen Sender z.B. über Partnerschaften mit Behörden oder Institutionen der EZ, 121
über Auftragsendungen bis hin zum Einsatz von Studiotechnik für Musik-
produktionen etc. ist zentral (vgl. auch Yordy 2008).
Es ist aber in erster Linie die Fähigkeit der Radiomitarbeiter zur Überset-
zung und Vermittlung, die die CRS erfolgreich machen kann, aus der sie ihre
Wirkungsmacht beziehen und mit der sie ihre Hörerschaften erweitern kön-
nen, sei es in einheimischen oder Amtssprachen. Bedingung dafür ist immer ein breites Spektrum verschiedener Programme, die alle sozialen Schichten,
einschließlich junger Hörer, adäquat ansprechen. Dies gilt generell auch für
jene religiösen Radiosender, die im folgenden Abschnitt im Kontext christlicher Medienproduktion in Benin vorgestellt werden sollen, wenngleich jene sich primär an Mitglieder bestimmter Denominationen wenden.
3. Religiöse Radioproduktion in Benin „Die Hauptziele von Radio Maranatha sind: 1. das Evangelium klar darzubieten, 2. die Förderung der grundlegenden christlichen Werte, 3. das Verbreiten der Botschaft auf der Grundlage der heiligen Bibel, 4. den Menschen den Weg zum himmlischen Königreich zeigen, 5. die Gläubigen in ihrem täglichen Leben mit Gott zu ermutigen, 6. Menschen zu ermahnen, sich von schlechten Wegen abzuwenden, 7. eine größere Einheit der Christenheit in Benin zu fördern, 8. Die Förderung des Friedens und der Harmonie, und 9. ein gesundes und erbauliches Kulturprogramm zu senden.“ (Selbstdarstellung der Station Radio Maranatha auf seiner Webseite, Radio Maranatha 2008)
120 La voix des sans voix ist ein typischer Name für CRS, u.a. in Kamerun, Mali und Madagaskar. 121 Der seit 25 Jahren aktive Weltverbund AMARC versucht hier, ebenso wie das Institut Panos in Dakar den Erfahrungstausch durch Publikationen, Internetplattformen und Konferenzen und zu stärken, ist aber in Benin nur begrenzt aktiv.
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Im folgenden Kapitel sollen – über das Fallbeispiel Radio Maranatha hinaus – die gegenwärtigen Spielarten religiöser Radioproduktion vor allem durch
christliche Gruppen in Benin beleuchtet werden. Dabei wird die derzeitige
Situation in Trends in Benin mit der generellen Zunahme der Bedeutung religiöser Medien in Westafrika in Beziehung gesetzt. Es sollen zum einen verschiedene Arten medialer Aneignung durch kleinere christliche Gemeinschaf-
ten beschrieben werden. Zum anderen sollen die Programme etablierter
Radiosender wie Radio Immaculée Conception (Allada), Radio Alléluia (PortoNovo) und die bereits oben vorgestellte Station Radio Maranatha in Parakou in einen Vergleich einbezogen werden.
Zunächst gehe ich auf den geschichtlichen Kontext der religiösen Radio-
produktion in Benin ein, dann werden die größeren Radiostationen christlicher Gemeinschaften vorgestellt, ebenso die Art und Weise, in der christliche
Gemeinschaften in kleineren Radiosendern präsent werden.122 Ich versuche, ein umfassendes Bild der religiösen Sendeproduktion zu zeichnen und dabei
eine Vielzahl religiöser Gruppen einzubeziehen. Anschließend möchte ich die
individuelle Dimension und Motivation religiöser Radioproduzenten beleuchten. Dabei wird ein besonderer Akzent auf christliche Radiomoderatoren, ihre Praxen, Motive und Beziehungen zu Hörern und den Gründen für ihren individuellen Erfolg gesetzt.
An den Anfang möchte ich ein Beispiel aus Natitingou stellen. Rogatien
ist Pastor in Natitingou und steht der lokalen Filiale der charismatischen evangelischen Kirche Mission Evangélique de la Restauration123 vor. Beim lokalen Radiosender Radio Nanto (s.o.) hat er Sendezeit erworben, die es ihm erlaubt,
sich jeden Samstagabend live zur besten Sendezeit um 21.00 Uhr an seine Kirchengemeinde zu wenden. In seinem Programm namens Heure de la Res-
tauration versucht Rogatien, seine Anhänger im Glauben und Alltagsleben zu bestärken, zu trösten oder Mut zu machen. Seine expressive, laute Ansprache,
charakteristisch für charismatische Kirchen, schließt Gebete, Segnungen und Bibelzitate, die schnell aufeinander folgen, ein. Rogatien äußert, dass seine
Sendungen mittlerweile ein zentraler Bestandteil seiner Evangelisierungsar-
beit geworden sind, und dass es gar Leute gibt, die seiner Kirche beitreten, da
122 Auch hier ist zu beachten, dass Hörer oft parallel mehrere Medienangebote nutzen, d.h. Sendungen auch anderer als der eigenen religiösen Gemeinschaft verfolgen. 123 Die Kirche hat ihre Ursprünge im Congo, ist mit dem Kimbanguismus verwandt, und breitet sich allmählich auch in Westafrika aus.
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sie ihn vom Radio kannten und von seinen Darbietungen beeindruckt waren.
Rogatien ist zudem dabei, seine erste Gospel-CD herauszubringen, die er in einem lokalen Aufnahmestudio in Natitingou produziert hat. Sein Wunsch ist
es aber, einmal eine eigene Radiostation zu gründen, um Gottes Wort besser in dieser Region zu verbreiten (Natitingou, 28.11.08). Später besuchte ich einige der Gottesdienste seiner Kirche. Einer davon wird regelmäßig am Diens-
tagmittag in Natitingou open air an einem Ort names Mt. Carmel abgehalten, wo man nur ein paar Bänke und einen Tisch aufstellt, da hier noch kein Kirchengebäude existiert.
Die Hauptgottesdienste finden an Sonntagen im Stadtviertel Orou-Bouga
statt, wo die Gemeinschaft eine recht einfache Kirche mit einem Strohdach
errichtet hat. Die Gottesdienste werden in der für Pfingstkirchen typischen
expressiven Art und Weise (vgl. auch Meyer 1998, Marshall-Fratani 1998) abgehalten. Es handelt sich um gemeinsame Gebete, emotional berührende
Ansprachen und Anrufungen, die lautes Schreien und Singen im call-and-re-
sponse-Stil der Teilnehmer einschließen. Immer wieder beendet der Pfarrer seine Sätze mit Ausrufen wie ‚Zoé‘ (Leben) oder „Alléluia, au nom du Jesus
Christ“, und die Teilnehmer antworten mit geschlossenen Augen „amen“. Der Gottesdienst wird meist zweisprachig abgehalten, d.h. ein Assistent übersetzt
entweder ins Englische oder eine lokale Sprache, je nach örtlichem Kontext.
Der Gottesdienst schließt auch Gesänge, Trommeln, Tänze, sowie „témoig-
nages“ (Bezeugungen) meist von Laien ein. Diese berichten über den Wandel in ihrem persönlichen Leben, den die Konversion zu dieser Religionsgemeinschaft ausgelöst hat (November 2008, März 2009, Oktober 2010).
Auch die vor allem in Nordbenin sehr etablierte Pfingst-Kirche Assemblée de Dieu gestaltet im Sender Nanto inzwischen Radiosendungen. Diese Beispiele
können für einen Trend stehen: es gibt gegenwärtig viele solcher Interventio-
nen religiöser Akteure in kleineren Radiostationen, die Sendezeit – meist im Rahmen klar umrissener Verträge – erwerben. Sie sind Teil der gegenwärtigen Tendenz einer größeren Verbreitung religiöser Radiosendungen in Benin. Dabei stellen die größeren christlichen Radiosender, die direkt von einer christ-
lichen Gemeinschaft betrieben werden, nicht nur das auffälligste Element dieser Veränderung medialer Landschaften dar, sondern bedeuten auch eine
Anregung und Ermutigung für zahlreiche andere religiöse Führer, sich mediale Möglichkeiten in gleicher Weise anzueignen.
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Dies ist als Teil einer generellen Verbreitung des sozialen Feldes der Me-
dienproduktion in der Republik Benin zu sehen, aber auch als Zeichen einer
wachsenden Konkurrenz zwischen religiösen und anderen Radiostationen vor allem in urbanen Räumen. Zuhörer finden religiöse Radiostationen auch im-
mer mehr bei jüngeren Hörern, die spirituelle Unterstützung sowie religöses Wissen suchen. Religiöse Medien, die vor allem von evangelischen und cha-
rismatischen Kirchen organisiert (Hackett 1998, 2009; de Witte 2011) oder
von prophetischen Bewegungen genutzt werden (Vokes 2007a), sind in vielen afrikanischen Ländern gegenwärtig auf dem Vormarsch. Dabei suchen besonders die Pfingstkirchen eine Institutionalisierung ihrer Medieninterventionen
sowie Verbindungen zu Partnerkirchen und Mediendiensten in Afrika, Westeuropa und besonders den USA. Radiosendungen sind in diesem Kontext Fo-
ren, in denen sie religiöse Begleitung im Alltag anbieten. Viele Studien zu religiösen Medien in Afrika fokussieren nur auf ein Fallbeispiel, eine Kirche
oder Medieninstitution. Die folgenden Ausführungen beziehen aber everschiedene Religionsgemeinschaften in Benin ein und zielen darauf ab, ihre jeweiligen Aktivitäten und generellen Strategien im Radiobereich zu vergleichen.
Lange Zeit war es in dieser Region in allererster Linie die römisch-katho-
lische Kirche, die im Lande am besten etabliert war und schon vor 1945 zahl-
reiche Missionsstationen und Schulen leitete (Bonfils 1999; Alladaye 1992, 2003). Protestantische Missionen wie die S.I.M. (Serving in Mission) und die Methodistische Kirche (letztere ab 1843, vor allem unten unter den Gruppen
im Süden des Landes) ebenso wie in Afrika selbst entstandene christliche Ge-
meinschaften begannen erst langsam, ins Hinterland vorzustoßen. Einige von ihnen nahmen vor allem ab 1945 an Bedeutung zu, vor allem die Église Evangélique des Assemblées de Dieu du Bénin sowie die Kirche Christianisme Celeste (siehe weiter unten).
Diese „neuen“ evangelischen124 und charismatischen Kirchen wuchsen ge-
nerell in Bedeutung und Zahl in Westafrika seit den 1990er Jahren (Gifford 1995).125 So erweiterte sich ihr Spielraum auch in Benin (Mayrargue 2001, 124 In Benin operieren meist Kirchen, die außerhalb des Einflusses der ehemaligen Missionsgemeinschaften stehen (aber mit diesen z.T. zusammen arbeiten); einschließlich charismatischer, pfingstlerischer und anderer Gruppen. 125 Vgl. dazu auch Hollenweger(1997b); Corten (2000); Corten und Marshall-Fratani (2001) und Mary (2002). In benachbarten Ländern Westafrikas vollziehen sich ähnliche Tendenzen der Ausbreitung christlicher Radiostationen, so senden z.B. in Togo Radio Christ, Radio la Grâce 89,1 Radio Maria, Radio Sinaï 105,5 Radio Zion und
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2002, 2008, 2009), besonders seit der Renouveau Démocratique und einer größeren Freiheit für alle religiösen Akteure. Hier kam der wachsende Einfluss
aus dem Nachbarland Nigeria hinzu, wo viele dieser Gruppen ihre Ursprünge
haben. Eine massivere Durchdringung des öffentlichen Lebens durch religiöse
Medien ist jedoch, im Gegensatz zu Ländern wie Ghana (de Witte 2003, 2005, 2011) oder Nigeria (Hackett 1998, 2009) in der Republik Benin ein jüngeres Phänomen. Die Medienliberalisierung seit 1997 erlaubte aber auch hier die Gründung konfessioneller Radiosender. 126
Derzeit ist das politische Klima für christliche Medienakteure sehr gut.
Präsident Boni Yayi, ähnlich wie sein Amtsvorgänger Kérékou in seinen letzten Regierungsjahren (Strandsbjerg 2000, 2005a, 2005b), ist Anhänger der evangelischen Kirche Union des Églises Évangéliques du Bénin (VOXDEI 2006) und bekannt für seine positive Haltung gegenüber evangelischen missionari-
schen Aktivitäten. Von Zeit zu Zeit tauchen auch Pastoren verschiedener Ge-
meinschaften als Gäste in politischen Diskussionen vor allem der staatlichen TV- und Radio-Programme auf.
Zudem werden immer mehr öffentliche, an Pop-Konzerte erinnernde
Großveranstaltungen (croisades) mit vielen Teilnehmerzahlen von evangelischen Pastoren veranstaltet und oft vom TV übertragen, wie überhaupt die
Zahl und vielfalt von religiösen Programmen in Radio- und Fernseh-Sendern
andere (Institut Panos Afrique de l'Ouest 2009). In Nigeria ist deren Zahl noch weitaus höher. 126 Derzeit gibt es in Benin nur eine muslimische Radiostation, La Voix d’Islam. Die Station wurde vom Imam El Hadj Mohamed Habib 1998 gegründet und befindet sich auf dem Gelände der Zentral-Moschee im Stadtteil Zongo der Metropole Cotonou. Es wird zur Hälfte auf französisch sowie in lokalen Sprachen gesendet und einige Gebete auf Arabisch ausgestrahlt. Die muslimische Gemeinschaft hier ist reformorientiert, sunnitisch geprägt und wird z.T. von arabischen Ländern finanziell unterstützt (vgl. Abdoulaye 2007; Brégand 2010). Zudem gibt es auch muslimische Radiosendungen auf der Basis von Verträgen muslimischer Gemeinschaften (vor allem der Ahmadiyya-Gemeinde) mit lokalen Sendern. Anders als bei christlichen Gruppen sind es oft Sendungen anlässlich muslimischer Feiertage, an denen lokale Imame Gebete aufzeichnen lassen oder die Bedeutung der jeweiligen Rituale erklären. So kam z.B. am Nachmittag des Maulud-Festivals 2009 der Imam der Zentralmoschee Natitingous ins Studio von Radio Nanto FM, um über das Fest zu sprechen.
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im Lande zunimmt. Neben religiös geprägten Sendungen gibt es einen wach-
senden Markt für religiöse Gospelmusik, christliche Literatur, DVDs, Fern-Bibelkurse sowie eine wachsende Internetpräsenz der Kirchen.
127
GRÖSSERE CHRISTLICHE RADIOSENDER IN BENIN Radio Immaculée Conception (RIC) ist eng mit der Römisch-Katholischen
Kirche in Benin verbunden. Der Sender wurde 1998 von der Bischofskonferenz Benin gegründet und stellt inzwischen eine etablierte christliche Radio-
station dar. Das Sendezentrum befindet sich in Allada, ca. 50km nördlich von
Cotonou. Man begann zunächst den terrestrischen UKW-Sendebetrieb im Umkreis der Sendestation (ca. 100km) zu nutzen, aber seit dem Jahre 2003 kann man die Programme auch in vielen anderen Regionen des Landes empfangen, da man ein Relais-Übertragungssystem nutzt, das von der HAAC genehmigt
wurde. Die Station arbeitet in einem dreigeschossigen Gebäude, in dem sich
Büros, Werkstätten und mehrere gut ausgestattete Studios und ein Aufna-
hemsaal befinden. Das Gebäude wurde auf dem Gelände einer FranziskanerBruderschaft (I Francescani dell' Immacolata) errichtet, die im Andenken von Maximilian Kolbe wirkt. Die Mönche führen die Station mit permanenten sowie vielen befristeten Mitarbeitern, vor allem Novizen des Ordens, insgesamt 20 Personen.
Gemäß den Aussagen der Direktoren rotieren die meisten von ihnen in
einem Wochenrhythmus zwischen verschiedenen Abteilungen der Station, wie der Nachrichtenredaktion, der Studioproduktion, Aufnahmeassistenz und
anderen Aufgaben. Die tatsächliche Planung ihrer Aufgaben hängt zu einem
gewissen Grad aber auch von ihren Vorlieben, besonderen Fähigkeiten und
Talenten ab. Es gibt im Wesentlichen zwei zentrale Akteure, Père Bruno und
127 Christliche Gemeinschaften in Benin geben auch Zeitungen und Zeitschriften heraus. Das älteste Periodikum ist sicherlich die Monatsschrift LA CROIX, die von der Katholischen Kirche seit 1946 herausgegeben wird. Einige Erzbistümer der Katholischen Kirche produzieren regional bedeutende Zeitungen wie TOKO DABAARU (in einheimischen Sprachen), von der Diözese in Parakou herausgegeben; sowie ÉGLISE DE PORTO-NOVO der Diözese in Porto-Novo. Weiterhin finden wir LA DERNIÈRE BARQUE, ein Magazin der Jeunesse Chrétienne Celeste. Neben diesen Periodika gibt es natürlich noch eine Vielzahl weiterer Publikationen wie Bücher, Hefte, Flyer, Poster etc. mit religiösen Botschaften und Unterweisungen.
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Frère Angelus, ein französischer und ein italienischer Mönch, die sich die Ar-
beit als Direktoren teilen, aber auch selbst viele Programme gestalten. Sie verweisen stolz auf einen Umfang von 60 verschiedenen Arten von Programmen,
die zugleich von eminenten Mitgliedern der Kirche gestaltet werden, wie z.B. dem Schriftsteller und Historiker Jean Pliya, der eine wöchentliche Sendung
moderiert. Nahe der Station befindet sich eine große, im Jahre 2007 im zeitgenössischen Stil errichtete Kathedrale der Madonna della Divina Misericordia, die jedes Jahr Ziel einer großen Pilgerfahrt ist.
RIC nutzt große Satellitenanlagen, vor allem zum Empfang der Pro-
gramme von Radio Vatican und anderer christlicher Anbietern sowie der französischen christlichen Nachrichtenagentur TopInfo. Der Radiosender ist für
seine Hörer auch per E-Mail oder Skype fast permanent erreichbar. RIC strahlt vor allem französischsprachige Programme aus, nur wenige Sende-Formate werden in einheimischen Sprachen gestaltet (abgesehen von Gesängen und Gebeten). Das Programm beginnt offiziell um Mitternacht und endet um 22.00
Uhr. Es schließt Bibelkurse sowie religiöse und moralische Unterweisungen
aller Art ein, ebenso wie Ausschnitte aus Messen vornehmlich der großen Kathedralen in Cotonou oder Allada. Man folgt dem religiösen Kalender, d.h.
man präsentiert vor allem morgens die relevanten Gebete und Lehrtexte ent-
sprechend des jeweiligen kirchlichen Kalendertages und den Tagen bestimm-
ter Heiliger. Viele Beiträge kommen von eingeladenen Pfarrern, die Bibellektüre, Gebete und thematische Sendungen moderieren, von denen ein großer Teil zuvor aufgezeichnet wird.
Einer der Eckpunkte des Informationsprogramms ist die Übertragung der
französischsprachigen Nachrichten von Radio Vatican zu verschiedenen Zeitpunkten des Tages. Hinzu kommen selbstproduzierte Nachrichtensendungen
im Fünf-Minuten-Format, die ab 12.00 Uhr stündlich ausgestrahlt werden. Ex-
plizit sind Polit- und Diskussionssendungen offiziell nicht Teil des Sendeschemas, allerdings kann keine scharfe Trennlinie zwischen moralischen Unterweisungen, die viele Sendungen vor allem von Père Bruno prägen, oder Diskussionssendungen mit Studiogästen und immer wieder zu hörenden kriti-
schen Positionen zu politischen Fragen und Problemen wie Korruption, gezogen werden.128
128 Hinzu kommen importierte bibelkundliche Sendungen wie en marche vers le Dimanche (Radio Notre Dame, Paris).
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RIC kann in den großen Städten Benins auf UKW empfangen werden. Die
übergeordnete Leitung des Senders, die Bischofskonferenz Benins, erwarb Lizenzen zur Relais-Ausstrahlung der in Allada produzierten Programme, und nutzt dafür jeweils lokale Sendeeinrichtungen. Dieses System ist teuer und war bis vor kurzen nur RFI und dem staatlichen Sender zugänglich. Offenbar
verfolgt die katholische Kirche, der Hauptgeldgeber der Station, eine Strate-
gie, bei der eine zentrale Sendeproduktion in einem Radiosender im jeweiligen Land erfolgt, die aber dann auch Programmelemente anderer katholischer
Sender weltweit mit einbezieht, um die globale Einheit der Kirche zu dokumentieren. Zusätzlich wird eine Verbreitung des Programms im ganzen Land
über ein Übertragungsnetzwerk angestrebt. Der markante Slogan von RIC ist derzeit СIC -C'est la joie en famille (RIC – das Vergnügen in (einer) der Familie). Charakteristisch für RIC ist die Begrüßung der Hörer durch die Moderatoren
mit einem „Ave Maria“ und die Präferenz christlicher Pop- und klassischer Musik aus Europa.
Jeden Morgen wird ein Rosenkranz-Gebet ausgestrahlt, in verschiedenen
Sprachen Benins im Wechsel, vor allem in Fongbé. RIC sendet auch entwick-
lungspolitische Programme, z.B. zu landwirtschaftlichen Themen. Unter dem
Thema „Espace-temps – actualité de l'église en Afrique et dans le monde entier“ können die Hörer wiederum längere Features zu laufenden Ereignissen der Römisch-Katholischen Kirche verfolgen. Besondere Ereignisse führen aber
auch hier zu Sondersendungen, z.B. anlässlich des Todes und der anschließenden Trauerfeiern für den bedeutenden Beniner Kardinal Bernadin Gantin, der
2008 starb. RIC ist stolz auf seinen mitgliederstarken Hörerclub FARIC (Famille des Auditeurs de Radio Immaculée Conception), der, unter anderem, ein jährliches großes Treffen organisiert, an dem meist rund 200 Teilnehmer zusammenkommen, um zu feiern und mit den Radioproduzenten zu diskutieren, sich über die Programme auszutauschen, zu beten, und Gottesdienste zusammen zu feiern.
In wenigen Fällen arbeiten örtliche Vertreter der katholischen Kirchen mit
lokalen Radiostationen zusammen. Si wird z.B. oft das Studio von Radio Djougou auf Vertragsbasis von einem Priester oder Laienprediger der Kathed-
rale in Djougou genutzt, um Lieder und Gebete aufzunehmen. Diese werden entweder in derselben Station (gegen Bezahlung) ausgestrahlt, oder nach Allada übermittelt, um dort das Programm mit lokalen Sprachen aus dem Nor-
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den des Landes anzureichern. Diese Verträge ermöglichwn es RIC, Sendeelemente dezentral zu produzieren, ohne dass man in Allada nach Moderatoren in Sprachen des Nordens suchen muss.
Der gut etablierte evangelisch-pfingstkirchliche Sender, Radio Maranatha,
wurde eingangs bereits vorgestellt. Neben diesem hat der Sender Radio
Alléluia FM in Porto Novo eine wichtige Position. Er wurde von Mitgliedern der in Benin sehr bedeutenden Kirche Église du Christianisme Céleste gegründet. Die Station wurde von seinem ersten Direktor, Révérend Pasteur Benoit Agboassi, gegründet. Federführend war aber Rev. Marcellin Zannou, ein leiden-
schaftlicher Radiomoderator und im Hauptberuf Zöllner. Die Station befindet
sich in Porto-Novo, in einem der Hauptorte der Kirche, wo der Sender auch den größten Teil seiner Zuhörer erreicht. Es werden vor allem geistliche Programme ausgestrahlt, die die alltäglichen Aktivitäten der Gemeinschaft in
Porto-Novo und Umgebung begleiten. Das Radio ist integraler Bestandteil der
Kirche, und wendet sich erst in zweiter Linie an andere Hörer oder NichtChristen. Die Räume129 des Senders befinden sich in einem zweigeschossigen
Verwaltungsgebäude auf dem Kirchengelände in Porto-Novo gegenüber der großen Kathedrale. Es gibt mehrere kleinere Räume für das Verwaltungsper-
sonal, einen größeren Versammlungs- und Arbeitsraum für alle Journalisten
und Moderatoren, ein gut ausgestattetes und klimatisiertes Hauptsendestudio
mit Senderegie sowie ein kleineres zweites Aufnahmestudio. Den Journalisten stehen Motorräder sowie ein PKW zur Verfügung.
Die Kirche selbst wurde von Samuel Biléou Joseph Oschoffa, geboren
1909 in Porto-Novo gegründet. Im Jahre 1947 hatte Oschoffa eine Erleuchtung und spirituelle Vision während eines dreimonatigen Aufenthaltes in einem Wald und vermittelte seine Erfahrung vielen Personen, die ihn anschlie-
ßend als Propheten Gottes akzeptierten (St-Germain 1996: 1). Später zog er
nach Nigeria, wo seine Kirche mit fünfmal mehr Adepten als in Benin (Mary 2002), einen noch größeren Zulauf bekam. Die Mehrzahl der Mitglieder sind oft Konvertiten anderer Gemeinschaften, die von den Gottesdiensten, Heils-
versprechen, aber auch dem geistlichen Beistand im Alltag ebenso angezogen werden wie von den- im Unterschied zur katholischen Kirche – familienähn-
129 Wie auch in anderen Stationen sind die Sendestudiobereiche der Station der wichtigste Treffpunkt für alle Moderatoren und Techniker, ob sie gerade Dienst haben oder nicht; aber auch für anderes Verwaltungspersonal sowie Freunde und Gäste.
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lichen Charakteristika der Kirche. Diese stellt keine Sekte dar, bietet aber ge-
genseitige Hilfe, Rat und Begleitung durch eine persönliche Mentorenschaft an, bei dem langjährige Mitglieder der Kirche den Neulingen zur Seite stehen.
Heute umfasst die Kirche ungefähr 2000 Kirchengemeinden weltweit und
ist in regional strukturierten Hierarchien organisiert, mit einem (hier im fran-
kophonen Raum) Comité paroissial, einem Comité national und einem obersten Comité supérieur. Die Kirche entwickelte einen millenaristischen Diskurs, ar-
beitet eigene kirchliche Riten und Gottesdienstpraxen sowie einen strikten
Verhaltenskodex aus (Henry 2008). Seine Pastoren praktizieren mitunter
Weissagungen, geistliche Heilungen und Exorzismen, wenden sich aber gegen alle Spielarten lokaler bzw. traditioneller Religionen. Die Kirche wurde in Be-
nin 1954 als Société religieuse d'Union de la Sainte Trinité registriert. In den 1960er Jahren wurde sie zunehmend ein städtisches Phänomen, mit einer stetig wachsenden Zahl von Anhängern. Diese Entwicklung führte in den frühen
1970er Jahren dann zu einer enormen Ausdehnung der Kirche auch in den Nachbarländern Côte d'Ivoire, Ghana, Nigeria, Togo sowie unter afrikanischen
Migranten in den USA. Unter dem marxistisch-leninistischen orientierten Kérékou-Regime hatte die Kirche enorme Probleme und wurde 1981 gezwun-
gen, viele Kirchengebäude und religiöse Stätten zu schließen. Oschoffa starb 1985 und wurde mit einem gigantischen Begräbnis beigesetzt, die Kirche trat
jedoch in eine große Krise vor allem bezüglich der Nachfolge (s. unten), bevor
sie dann in den 1990ern wieder wuchs, auch dank des günstigeren politischen Klimas. Trotz vieler Ähnlichkeiten zu charismatischen Kirchen wird sie von
anderen evangelischen Kirchen mit Zurückhaltung betrachtet und von oft des Synkretismus beschuldigt.
Die Kirche praktiziert eine Erwachsenentaufe aller neuen Adepten, mit
dem Argument, dass in anderen Kirchen die Taufe nicht immer ordnungsge-
mäß verlaufen würde. Die Mitglieder der Kirche sind meist leicht in der Öf-
fentlichkeit zu erkennen, wenn sie ihre charakteristischen weißen Kutten (sou-
tane) tragen und barfuß zum Gottesdienst erscheinen.130 Eines der wichtigsten
130 Aufgrund von Konflikten um die Nachfolge Oschoffas spaltete sich im Jahre 1985 der nigerianische Zweig der Kirche ab. Auch innerhalb der Kirchenzweige gibt es verschiedene Lager (Adogame 1999; Surgy 2001a, 2001b, Ahlonsou 2008 und Henry 2008). Junge Gläubige der Kirche, die im Verein Jeunesse Chrétienne Céleste organisiert sind, gründeten die Zeitschrift LA DERNIÈRE BARQUE.
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Ereignisse im Alltagsleben der Gemeinschaft ist die jährliche Pilgerfahrt zahl-
reicher Anhänger zum Strand von Avrankou nahe der Straße zwischen Coto-
nou und Porto-Novo. Hier findet eine Reihe von Gottesdiensten statt; Taufen, Feiern und das gesamte Ereignis wird live von der Radiostation übertragen.
Im Allgemeinen erfahren die Sendungen von Radio Alléluia eine starke
Prägung durch die Trägerkirche und ihre Führung. Die Hauptnachrichtensendung täglich um 14 Uhr beginnt meist mit einem Bericht über ein aktuelles Kirchenereignis, insbesondere über die Aktivitäten des obersten Predigers,
seine letzten Reisen, Predigten und weitere Veranstaltungen.131 Alle anderen Nachrichten folgen dann erst danach. Allerdings stellt Radio Alléluia nicht nur Moderatoren und Journalisten der Kirche selbst an. Die gegenwärtige Chefredakteurin, Aurore Zaizonou, ist beispielsweise Katholikin. Sie leitet erfolg-
reich eine Gruppe junger, ambitionierter Moderatoren, Journalisten und Techniker (siehe weiter unten).
Auch in dieser Radiostation gehen die meisten Mitarbeiter Nebentätigkei-
ten als Moderatoren, DJs, Mechaniker oder als Mitarbeiter anderer Medien nach, oder sind ehrenamtlich tätig.132 Radio Alléluia, ähnlich wie andere religiöse Radiostationen, erfährt die Unterstützung eines Hörerclubs, in diesem
Falle dem Mouvement d'aide et de soutien à Alléluia FM (MASA). Über den Hö-
rerclub werden gleichzeitig Mittel für den täglichen Betrieb des Senders gesichert, besonders auch für den Neuerwerb von Technik oder Motorrädern so-
wie die Ausgaben für Reportage und Live-Sendungen von entfernten Orten. Gemäß den auf der Mitgliedskarte vermerkten Statuten müssen die Mitglieder
einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von mindestens 500 FCFA zahlen. Im Gegenzug erwerben sie Vorteile, wie z.B. anlässlich bestimmter Veranstaltungen,
die vom Radio organisiert werden, Ehrenplätze als bienfaiteurs d'honneurs zu
bekommen, oder Gebete, Grüße und Bekanntmachungen ohne Bezahlung
131 Die Hauptnachrichtensendung am 7.3.2009 um 14 Uhr begann z.B. mit einem langen Bericht über einen Gottesdienst, den das damalige Kirchenoberhaupt Agboassi am Vorabend in einer kleineren Mitgliedskirche in Avrankou abhielt, mit Hinweisen auf den genauen Ablauf, die Teilnehmer, Details der Gebete und Heilungen sowie der dortigen Gemeindeangelegenheiten; gerahmt von Aufnahmen eines Chores, der dort auftrat. 132 Florent Hounkpaté z.B. arbeitet mit der NRO ASSOCIATION-JESAD AFRIQUE (Jeunesse sans délinquance Afrique), die im Bereich der Reintegration ehemaliger junger Kriminelle arbeitet, aber auch gegen Kinderhandel agiert.
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über den Sender schicken zu können, die sonst eigentlich in Rechnung gestellt werden (2008-March 2009).
Radio Atacora sendet noch nicht, besaß aber bereits eine erste vorläufige
Zulassung seitens der HAAC zu Beginn des Jahres 2008, die dann zunächst
vom Informationsministerium abgewiesen wurde. Die Station wird eine erneute Genehmigung beantragen. In der Zwischenzeit wurde bereits ein Studio
auf dem Gelände des Bistums in Natitingou eingerichtet. Die gesamte Technik und Ausstattung ist installiert und die wichtigsten Mitarbeiter sind bereits rekrutiert worden. Die Gründung der Station geht auf die Initiative von Mgr.
Pascal N’Koué, Bischof in Natitingou, zurück. In einem persönlichen Gespräch bestand er darauf, dass diese Station in erster Linie einem Entwicklungsauf-
trag folgt. Er erklärt mir, dass für eine rein christliche Station in der Region eigentlich kein Bedarf bestünde, vor allem aufgrund der Tatsache, dass die
Programme von RIC auch in Natitingou empfangen werden können. Sieht man
sich den Entwurf des Sendeschemas allerdings genauer an, so fällt der große Anteil christlicher Sendungen auf. Radio Atacora zielt offenbar darauf ab, die
Bedürfnisse und Interessen der Hörer in Natitingou hinsichtlich lokaler Information sowie Unterhaltung mit christlichen Inhalten zu verknüpfen, und hat
dabei sicher gute Chancen, erfolgreich zu wirken, auch aufgrund der immer noch unbefriedigenden technischen Situation des Gemeinderadiosenders Radio Nanto in der Stadt (Natitingou, März 2009, März 2013).
Trans World Radio (TWR) ist ein internationaler christlicher Sender und
Teil einer christlichen Missionsorganisation in den USA, die weltweit tätig ist.
Die Station strahlt religiöse Sendungen auf der Basis von vor-aufgezeichneten Programmen aus, die selbst oder von Partnerorganisationen erstellt werden
Partner von TWR sind zudem viele lokale Radiostationen, vor allem religiöse
Sender, aber auch Gemeinderadiosender, bei denen Sendeplätze gebucht werden. TWR selbst strahlt, vorwiegend auf FM, Programme anderer religiöser
Radiodienste aus und stellt mit seiner technischen Relaisfunktion ein wichtiges Bindeglied in einem globalen christlichen Radionetzwerk dar. Im Unter-
schied zur UEEB (siehe unten), mit der man ebenfalls kooperiert, erstrecken sich die Aktivitäten von TWR quer über den Globus, und die meisten Pro-
gramme sind so konzipiert, dass sie – u.U. mit Übersetzungen – in möglichst vielen Ländern ausgestrahlt werden können.
Im Jahre 2009 nahm TWR, in Afrika an verschiedenen Standorten bereits
seit 33 Jahren präsent, den Sendebetrieb in Sirarou bei Parakou Benin auf.
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Die Lizenzierung erfolgte auf der Basis einer speziellen Genehmigung der Regierung, weil die Station nur auf Mittelwelle sendet. Die Station nutzt eine starke 100,000 Watt Sendeanlage und strahlt Sendungen in 14 Sprachen aus
(Bariba, Dendi, Ditammari, English, Fon, French, Hausa, Ifè, Kauri, Lokpa, Pulaar, Songhay, Twi and Yoruba). Von hier aus werden evangelikale Pro-
gramme und Gemeindeinformationen ausgestrahlt, die von Pastoren, Christlichen Organisationen und Kirchenführer in ganz Westafrika produziert werden, ebenso wie spezielle Programme für Kinder, Illiterate und Hörer mit HIV/AIDS. Muslimische Hörer sind explizit eine besondere Zielgruppe.
TWR sendet auf Mittelwelle in den Morgen- und Abendstunden, weil die
Verantwortlichen der Meinung sind, dass nur zu diesen Zeiten potentielle Hörer im ländlichen Raum, die tagsüber beschäftigt sind, erreicht werden können, und weil nur zu diesen Zeiten die Übertragungsbedingungen optimal sind (Sirarou, März 2009).
Eine andere erprobte Strategie verschiedener religiöser Gruppen wie er-
wähnt ist es, Sendezeiten in lokalen Radiosendern zu werben. In diesen Fällen werden meist selbst-produzierte Programme, entweder in Nutzung der Studioeinrichtungen der gastgebenden Sender oder vorproduzierte Programme aus
eigenen Einrichtungen, eingespeist.133 Dies kann auch in Form von Live-Programmen mit Pastoren als Moderatoren erfolgen. Dieses Handlungsmuster
wird besonders im Falle der UEEB (Union des Églises Évangéliques du Bénin) sichtbar, die von ihrem Hauptsitz (mit Studio)134 in Parakou aus vertraglich Sendeplätze mit einer ganzen Reihe meist kleinerer Gemeindesender in ganz
Benin und benachbarten Ländern sowie den Sendern des ORTB erwirbt. Die UEEB stellt eine Vereinigung mehrerer evangelischer Kirchen dar. Sie wurde
als regionaler Counterpart von der internationalen interkonfessionellen Missionsorganisation Serving in Mission (S.I.M.) gegründet, die im Jahre 1947135 133 So schaltet die Église de Dieu eigene Radioprogramme unter dem Titel le but de l'avénément de Jesus über die Sender CAPP FM und Radio Wêkè, die meist 30 Minuten dauern und einmal im Monat bzw. 14-täglich ausgestrahlt werden (März 2010). 134 Das Aufnahmestudio der UEEB befindet sich im Stadtviertel Guema in Parakou auf dem Gelände der SIM/UEEB, einem großen Anwesen mit Verwaltungsgebäuden und Unterkünften. 135 Die SIM begann ihre Aktivitäten zunächst in Nordbenin, in Kandi (1946) und Nikki (1947) und erweiterte missionarische Aktivitäten dann in den sprach- bzw. ethnischen Räumen der Fon, Yoruba, Yowa, Betammaribe, Mokole, Boko, Lokpa, Fulbe, Sola, Xweda, Dendi und Kotokoli.
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ihre Arbeit aufnahm und ihre Wurzeln in verschiedenen Missionsgesellschaf-
ten in Afrika und anderen Kontinenten hat. Die UEEB wiederum hat zahlrei-
che lokale Zweigniederlassungen quer über das Land verteilt, die 396 Kirchen und 250 Pastoren einschließen, die mit elf verschiedenen Sprachgruppen ar-
beiten. Die UEEB leitet auch ein Krankenhaus in Bèmbèrèkè, fördert ein Bi-
belübersetzungsprogramm und führt christliche Grundschulen sowie zahlreiche Abend-Bibelschulen.
Hinsichtlich der Radioproduktion verfolgt die Kirchenvereinigung eine
Strategie, die sich von den anderen Gruppen etwas unterscheidet. Der Verwal-
tungsrat der Kirche entschied, keine eigene Radiostationen oder Relaisstationen zu gründen, aber dafür Sendezeiten bei vielen lokalen Radiostationen, vor
allem (aber nicht ausschließlich) Gemeinderadiosendern, zu buchen. Derzeit
sind es 19 UKW Stationen, in 14 verschiedenen Sprachen. Um eine gute Qualität der Sendungen zu gewährleisten, baute die UEEB ein gut ausgestattetes
Aufnahmestudio in Parakou, mit drei verschiedenen Abteilungen aus Studio-
räumen und Senderegie, die von jeweils einem technischen Mitarbeiter – zuständig für bestimmte Sprachgruppen – auch parallel zueinander genutzt werden können. Dieses ermöglicht die Produktion einer Vielzahl von Sprachen.
Hier wird auch die Vervielfältigung und der Vertrieb der Programme organi-
siert, die, gemäß entsprechender Verträge der jeweiligen Radiobetreiber mit den Verantwortlichen der UEEB, über CDs erfolgt.136
Im Allgemeinen werden Pastoren aus ganz Benin gewonnen, die in die
Studios nach Parakou kommen, um die einzelnen Programme aufzuzeichnen.
Die Aufnahmen werden dann bearbeitet und in den Studios auf CD gebrannt. Insgesamt werden derzeit 14 Sprachen bedient. Der Inhalt der jeweiligen Sendungen ist jedoch nicht allein die Entscheidung des einzelnen Pfarrers. Jede
Sprachgruppe innerhalb der UEEB verfügt über ein eigenes Komitee, das eine
grobe Liste von Inhalten und Botschaften erstellt. Diese bilden dann die
136 Nicolas Dossoumou, Cheftechniker des Studios, erklärt dieses Vorgehen, Sendungen zu produzieren, aber keinen eigenen Sender zu betreiben, mit der großen Anzahl bereits existierender lokaler Radiostationen: „Die Hörer sind bereits an diese gewöhnt. Sie sollten nicht gezwungen sein, die Frequenz zu wechseln, um eine Sendung der UEEB hören zu können.“ Diese werden inmitten der üblichen Sendefolge der jeweiligen Station in einer der lokalen Sprachen ausgestrahlt (Parakou, November 2009). Die UEEB hat bewusst potentielle Konvertiten im Blick, die nicht unbedingt eine christliche Radiostation einschalten, aber kontinuierlich ihre gewohnte lokale Radiostation als Tagesbegleiter hören.
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Grundlage für Sendemanuskripte, die die ausgewählten Pastoren zusammen
mit den Technikern umsetzen. Es gibt auch ein Gästehaus, das es Pastoren auch weit entfernter Kirchen der UEEB erlaubt, hier tätig zu werden.
Viele Radiosender haben derzeit Verträge mit mehreren christlichen Grup-
pen abgeschlossen. Diese Erweiterung der Radiopräsenz christlicher Gruppen
wird von vielen Beninern, darunter auch Christen, mit einem kritischen Blick betrachtet, vor allem von jenen, die auf die religiöse Pluralität des Landes sowie die laizistische Verfassung des Staates verweisen, die der Staat garan-
tieren muss (Umfragen Cotonou März 2008). Christliche Radioproduzenten wiederum begrüßen diese Entwicklungen als wichtigen Beitrag ihrer Gemein-
schaften zu einer Erweiterung des öffentlichen Raumes, in dem ihre Gemeinschaften, wie andere Akteure der Zivilgesellschaft, einen legitimen und ihrer Bedeutung entsprechenden Anteil gewinnen können.
In kleineren Radiosendern kommt es aber immer wieder zu Diskussionen
über den Umfang religiöser Programme im Programmschema. Die Direktoren von Gemeinderadiosendern befinden sich hier in einer Dilemma-Situation. Sie benötigen diese Verträge, um das Budget des Senders zu erhöhen, 137 müssen aber vor den Aufsichtsräten oder Hörerclubs immer ihre Entscheidungen
rechtfertigen, vor allem, wenn es zu einer gewissen Dominanz einiger religiöser Gruppen (wie vor allem der evangelischen Kirchen) im Sendeprogramm kommt. Diskussionen innerhalb des Verwaltungsrates von nicht-religiösen Stationen, inwiefern ein Gleichgewicht der Repräsentation aller in der jewei-
ligen Region aktiven religiösen Gruppen hergestellt werden kann, sind mir vor
allem aus den Sendern in Tanguiéta, Natitingou und Djougou bekannt, spielen aber auch in den kommerziellen Sendern Radio Tokpa und CAPP FM eine große Rolle.
Oft nimmt man eine Begrenzung der Zahl der religiösen Programme pro
Sendetag vor und versucht, Sendungen verschiedener Religionen ins Pro-
gramm zu nehmen, und dabei offenen Proselytismus zu vermeiden. Auf der anderen Seite bedauern Pastoren in vielen lokalen Niederlassungen der großen Beniner Kirchen wie Assemblée de Dieu oder Christianisme Céleste, dass
diese zwar eigene Sender betreiben (Maranatha und Alléluia), aber oft eine
137 Das Jahresbudget der CRS mittlerer Größe Radio Su Tii Dera in Nikki für 2014 beträgt z.B. 74.547.600 F CFA (113.726 €; Beschluss des CA, Eintrag auf der FacebookSeite des Senders vom 15.2.2014).
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große räumliche Distanz zu diesen besteht, wodurch das lokale Gemeindele-
ben nicht adäquat widergespiegelt wird. Dies stellt wiederum ein Motiv für viele von ihnen dar, ihre Anhänger für Geldsammlungen aufzurufen, um selbst auch Sendezeiten in lokalen Stationen buchen zu können.
Wenn man diese Stationen vergleicht, so fällt zunächst das recht unter-
schiedliche Niveau der technischen Ausstattung auf. RIC, mit seinem hohen
Anteil der Nutzung von IKT sowie seinen guten Studio-Möglichkeiten, stellt hier sicherlich die am besten aufgestellte Station im Vergleich der beiden anderen christlichen Sender dar. Auf der anderen Seite lassen sich recht unter-
schiedliche Produktionsstile sowie Programmstrukturen beobachten. Der An-
teil einheimischer Sprachen ist bei Radio Maranatha und Radio Alléluia größer als bei RIC, ebenso wie die Präsenz einheimischer und afrikanischer
Folklore und Pop-Musik. Über lange Stunden des Tages ähnelt das Programm
von Radio Maranatha (in Parakou wie auch Cotonou) jenem anderer Stationen; beinhaltet Musik, Information, Werbung, und Nachrichten. Manche Mo-
deratoren agieren oft in einer Art DJ-Stil; ein auffälliger Unterschied im Vergleich zu RIC, wo eher ein getragener, förmlicher Stil dominiert.
Eines der wichtigsten Merkmale sowohl von Radio Maranatha und RIC,
im Unterschied zu Radio Alléluia, ist die erwähnte Ausstrahlung von Program-
men internationaler Christlicher Radio-Dienste. Hier dominieren jeweils Pro-
gramme aus Frankreich, den USA, und, im Falle Maranatha, auch aus Südaf-
rika sowie des Anbieters TWR. Zeitweise konnten Radio Maranatha (allerdings
nur das Mutterhaus in Cotonou) ebenso wie RIC – in unterschiedlicher Qualität und Stabilität – weltweit im Internet über ein live-stream-Angebot empfangen werden. Im Allgemeinen versuchen die jeweiligen Sender ein größeres Spektrum an Hörern anzusprechen, und dabei auf linguistische und ethnische Vielfalt zu achten. Aus diesem Grunde werden, vor allem bei Radio Maranatha
und Alléluia immer besondere Sprecher engagiert, die die jeweiligen Sprachen
gut beherrschen. Kennzeichen aller christlicher Stationen ist selbstredend der
große Anteil religiöser Musik, entweder in der Form von Gospel-Pop-Musik mit elektronischen Instrumenten und modernen afrikanischen Musikstilelementen, oder in der Form eher traditioneller Rhythmen.
RIC strahlt dabei einen hohen Anteil europäischer religiöser Musik aus,
entweder französischer religiöser Popmusik oder klassischer Musik mit religi-
ösem Hintergrund. Einige Sender nehmen selbst auch Chöre auf, entweder während der Gottesdienste oder in ihren Studios. Gegenwärtig lässt sich ge-
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nerell eine Welle christlicher Pop oder Gospel- Musikproduktion in Benin beobachten. Diese wird von den Darbietungen neuer religiöser Musiker, die oft aus Kirchenmusikgruppen hervorgehen, geprägt, zudem entstehen auch im-
mer mehr Aufnahmestudios auch außerhalb der größeren Metropolen. Viele Pastoren nutzen diese Studios, um ihre eigenen CDs mit Gebeten, christlichen
Botschaften oder gar eigenen Musikdarbietungen aufzunehmen. Es scheint momentan zum Prestige eines Pfarrers in Benin zu gehören, solche CDs vor-
weisen zu können, um eigenen Botschaften auch jenseits der eigenen Anhä-
nger verkünden zu können. Oft werden diese CDs während der Gottesdienste
verkauft, um die Produktionskosten wieder einzuspielen und Budgets für neue Projekte zu generieren. Die Produktion solcher CDs wird oft von wohlhaben-
den Mitgliedern der gleichen Kirche gesponsert, die dann auf dem CD-Cover erwähnt werden. Christliche Musiker bieten meist ihre Aufnahmen auf CD für freie Nutzung und Bewerbung den Radiosendern an, in der Hoffnung, den
Absatz damit anzukurbeln und ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Einige von ihnen kommen dann zur CD Promotion selbst als Studiogäste zum Sender.
Die mediale Verbreitung von Evangelisierungskampagnen sowie das Ziel,
ein neues Publikum durch die Nutzung privater und öffentlicher Medien zu
gewinnen, sind auch wesentliche Elemente der Aktivitäten der Kirche Mi-
nistère d’Evangélisation et du Perfectionnement des Saints (MEPS), in CotonouAkpakpa, die von Elvis Dagba gegründet wurde. Die Kirche startete als eine der vielen neuen urbanen evangelischen Kirchen, ist aber in jüngster Zeit enorm gewachsen und transnational vernetzt (Noret 2010b: 115pp.). Die Kir-
che führt verschiedene Unter-Komitees wie die Groupes des Femmes, le Groupe des Hommes, le Groupe d’Evangélisation, les 12 Familles d’Israel und hat eine christliche Popmusik- und eine Theatergruppe. Die zentralen Gottesdienste mit viel Gospelmusik finden sonntags vormittags mit einer großen Zahl gut gekleideter Teilnehmer statt und werden parallel mit einer Bibelschule für Kinder (École du Dimanche) verbunden.
Elvis Dagba ist ein junger Pfarrer, der sowohl elegant als auch eloquent
auftritt. Dagba ist auch aufgrund seiner diversifizierten Präsenz in verschiedenen Massenmedien einer der prominentesten evangelischen Pfarrer im Sü-
den Benins. Mehr als andere Prediger stellt er seine Persönlichkeit ins Zentrum der Medienaktivitäten seiner Kirche. Er nutzt regelmäßig Sendezeiten auf
Golfe Télévision sowie Canal 3. Zudem gestaltet er regelmäßig Sendungen in den privaten Radiostationen Tokpa und CAPP FM (siehe weiter unten). Seine starke Medienpräsenz kann zuallererst als Reaktion auf die große Konkurrenz
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unter den vielen neuen charismatischen evangelischen Kirchen um neue An-
hänger gesehen werden; in einem Kontext, vor allem im Raum138 CotonouPorto-Novo, in dem neue evangelische Kirchen im Wettbewerb mit der etablierteren katholischen oder der methodistischen Kirche stehen. Dagba wird in
Stil und Performance seiner TV-Sendungen von ähnlichen, medial vermittelten Auftritten der Medienpastoren im benachbarten Nigeria und Ghana inspiriert.139
Die Radiosendung moi et ma maison mittwochs um 15 Uhr auf CAPP FM
unterscheidet sich jedoch von seinen Kirchenauftritten und Fernsehshows.
Hier tritt er mit einer moderaten, sehr umgangssprachlichen Redeweise auf,
um freundlich mit den Hörern zu diskutieren. Meist ist er in einfachen modi-
schen T-Shirts gekleidet. Er lädt auch Personen anderer christlicher Gemein-
schaften als Diskussionsgäste in seine Sendung ein, die um Familienangelegenheiten, gutes moralischen Verhalten als Ehemann oder Ehefrau usw.
kreist.140 Dagba wird im Studio von einem Musiker aus der Kirchenband be-
gleitet, der auf einem Keyboard die Sendung mit ein paar Klängen unterlegt. Nur punktuell wird auf Bibelstellen verwiesen. Gott und christliche Werte werden erwähnt, aber nicht in der gesamten Sendung. Dagba lädt dann die Hörer zu Kommentaren ein. Nur am Ende der Sendung verweist er auf seine
Kirche und lässt Werbespots mit den Zeiten der Gottesdienste und seinen anderen Medienauftritten ausstrahlen (Cotonou, März 2009).
Die mediale Präsenz religiöser Ideen äußert sich jedoch nicht nur allein durch die Radiosender, sondern durch das Wirken weiterer religiöser Institutionen,
die im Umfeld der Sender zur Verbreitung religiöser Ideen beitragen, und so-
138 Seine Medienpräsenz kann auch als seine Art Investition gesehen werden, da er oft Besucher für private Konsultationen empfängt, die dann meist Gaben an seine Kirche leisten. 139 Die Kirche und seine Medienaktivitäten zeigen, auf einer weitaus bescheideneren Ebene, Ähnlichkeiten zum Beispiel der International Central Gospel Church in Ghana (de Witte 2003, 2005, 2011). 140 In der Sendung am 21. März 2009 war eines der Themen die Frage, in welcher Weise Ehemänner ihren Frauen bei der täglichen Hausarbeit helfen könnten, z.B. auch zu kochen oder sich um die Kinder zu kümmern. Viele Anrufer verwiesen darauf, dass diese Vorschläge des Pastors auf recht konservativ geführte Ehebeziehungen, auch bei jüngeren Paaren, treffen.
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mit die Arbeit der Sender erleichtern. Hierzu zählen neben den religiösen Gemeinden und ihren Pfarrern selbst Institutionen der religiösen Lehre, Unter-
weisung und Publizistik. Eine dieser Institutionen ist seit mehreren Jahren in
Benin unter dem Namen Perspectives Reformées (PR) aktiv. Hierbei handelt es sich um eine Niederlassung einer weltweit agierenden US-amerikanischen
Bibelgesellschaft. Die Organisation hat ihren Hauptsitz in Cotonou und Zweigestellen in anderen Orten. Kern der Aktivitäten von PR ist das Vermitteln
religiöser Ideen und Kenntnisse durch kostenlose Fernkurse. Darüber hinaus
produziert PR Sendungen zur Bibelkunde und religiöse Ratgeber, die dann in christlichen und anderen Partnerstationen ausgestrahlt werden.
Ein sichtbares Element vieler christlicher Radioprogramme in Benin ist die
Dominanz ethischer und moralischer Fragen, vor allem in Bezug auf Familien-
leben, Paarbeziehungen und Sexualität. Programme wie Famille Aujourdhui
(Maranatha Parakou), Clé de joie pour les foyers, la Voix de l’inspiration (Maranatha Parakou), Santé et famille (Radio Alléluia) oder Famille en Mission (RIC) und die bereits erwähnte Sendung moi et ma maison von Elvis Dagba auf Radio
CAPP FM (Cotonou) diskutieren diese Fragen oft sehr ausführlich. Sie sind
natürlich von der christlichen, tendenziell auch konservativen Perspektive der Kirchengemeinschaften geprägt. Einige Beispiele sollen dies illustrieren.
Pastor Sambieni, Pastor der größten pfingstkirchlichen Gemeinschaft in
Benin, Assemblée de Dieu, kommt regelmäßig in die Parakouer Niederlassung
von Radio Maranatha, um ein Programm mit dem Titel la Voix de l’inspiration aufzuzeichnen. Hier spricht er meist über verschiedene soziale und moralische
Fragen, insbesondere über Eheprobleme aus der Sicht seiner Kirche. Er nutzt
in den Sendungen einen kirchlichen Ratgeber zu Partnerschaftsfragen mit dem Titel Les 10 règles d’or (Die zehn goldenen Regeln; Parakou, 2009-2012). Auch Pastor Ehoumi gibt in seinen Sendungen auf dem gleichen Sender Ratschläge hinsichtlich der Harmonie in der Ehe. „Es ist wichtig, gut als Paar miteinander
auszukommen, dann wird auch alles andere gut sein. Ich habe leider zu viele
Leute gesehen, die in ihrer Paarbeziehung nicht glücklich waren.“ (Parakou, Dezember 2008)
Auf RIC widmet sich die Sendung foyer chrétien regelmäßig Fragen der Fami-
lienbeziehungen und Moral. Meist werden diese von einem konservativen Familienbild geprägt, bei dem es darauf ankommt, die Institution der Ehe zu
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schützen und zu stärken. Regelmäßig kritisieren die Moderatoren unverheira-
tete Paare, aber voreheliche Sexualkontakte, Ehebruch und Scheidungen. Diese wären Verstöße gegen ein natürliches Gesetz (März 2009).
In einer Ausgabe der Sendereihe der erwähnten UEEB auf Ditammari ist
die Rede von der Notwendigkeit eines guten Verhältnisses der Ehepartner
(Aufnahme 11.03.09, Radio Parakou 21.45). Die Ehemänner sollten ihre Ehe-
frauen lieben, niemals hassen. Sehr oft werden Bibelzitate in die Sendung eingefügt, die von einer weiblichen Sprecherin präsentiert wird. „In der Bibel
steht, dass der Mann Vorsteher seiner Familie ist. Aber Gott will nicht, dass der Ehemann Gewalt gegenüber seiner Ehefrau ausübt, er sollte sie vielmehr
lieben wie sich selbst. Du solltest Deine Ehefrau nicht schlagen, wenn sie nicht
zu Deiner Zufriedenheit reagiert.“ Nach einer Reihe von allgemeineren moralischen Ratschlägen wird durch eine männliche Stimme ein konkreter Fall vorgestellt, in dem der Ehemann aufhörte, mit seiner Frau zu sprechen. Sie beklagt sich und fragt sich selbst: ‚Wir waren sehr glücklich, aber was ist nun
passiert?‘ Wahrscheinlich muss sie mit ihm reden, sich eventuell entschuldigen, wenn sie irgendetwas falsch gemacht haben sollte.
„Aber,“ so betont dann der Sprecher, „das Wichtigste ist, miteinander zu
reden. Wie die Bibel sagt (Kolosser 3, Vers 13), du sollst jene lieben, die Dich
lieben, und sollst jenen vergeben, die dich beleidigt haben.“ Der Kommentar
fährt fort, dass eine Ehefrau nicht wie ein Hund behandelt werden sollte. Auch
wenn sie einmal die Erwartungen des Ehemanns nicht erfüllt hat, z.B. nicht
perfekt gekocht oder das Essen rechtzeitig zubereitet hat. Dann wird eine weitere Beispielgeschichte vorgestellt. Ein Mann verreist, ohne seine Frau davon
zu informieren, hatte dann aber einen schweren Unfall. Seine Frau, erzürnt, dass sie nicht informiert wurde, und zeitweise nicht wusste, wo sich ihr Mann befand, wollte ihm anfangs gar nicht helfen. Sie musste dazu überredet wer-
den, und eine Aussprache auf die Zeit nach seiner Behandlung verschieben. Aber auch der Ehemann ist aufgerufen, besser mit seiner Frau zu kommunizieren, sie in seine Reisepläne einzubeziehen, so dass sie ihm in solchen Fällen auch helfen kann. Das Beste wäre, vor jeder Reise zusammen zu beten. Der
Sprecher fährt fort, dass ein Dialog zentral im Leben eines Paares sei und die Ehefrau glücklich macht, so dass sie danach gar singen würde, wenn sie ihre
Hausarbeit macht. Am Ende der Sendung wird erwähnt, dass das Programm
vom Pastor der Kirche der UEEB in Gargaba produziert wurde, einem Dorf südlich von Natitingou nahe bei Perma (Übersetzung: Bazile Okacé, Natitingou, 14.3.09).
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Auch in religiösen Sendern wird oft die Form des Hörerbriefs mit anschlie-
ßenden Hörerdiskussionen genutzt. Hier fügen sich die Inhalte christlicher
Radiosendungen in die allgemeine Tendenz der Zunahme von Ratgeber-Sendungen zu Partnerschafts-Problemen (siehe Abschnitt V,2) ein. Man findet auch hier thematische Sendungen, oft mit Studiogästen, die Ratschläge in mo-
ralischen Fragen oder Informationen in Zusammenarbeit mit NRO oder Schullehrern geben.
Hier sind wir Zeuge der Verbreiterung eines diskursiven Feldes zu Moral-
vorstellungen, dem Management von Gefühlen und persönlichem Verhaltens-
weisen, einem diskursiven Feld, das auch gesellschaftliche Debatten vor allem unter der jüngeren Generation über Fragen von Partnerschaft, Intimität und
Sexualität reflektiert.141 Dieses diskursive Feld142 ist nicht durch christliche
Kirchen und ihre Radiogramme allein geprägt (vgl. Abschnitt V,2), die Verantwortlichen der Sender nutzen aber diese Sendeformate, um in diesen Debatten ihre religiös geprägten moralischen Position einzuspeisen. 143 Sie sind Teil des generellen Wettstreits um öffentliche Aufmerksamkeit und diskursive
Autorität mit anderen Radiosendern. Christliche Sender können dadurch spezifische Hörerschichten jüngeren und mittleren Alters ansprechen. Diese Programme sind „essentiell für jene jungen Hörer, die kaum Rat von ihren Verwandten erwarten können“ bemerkte Père Bruno, RIC (Allada, March 2007).
„Unsere Station stellt für viele Hörer zugleich einen spirituellen wie auch
moralischen Führer im Alltag dar“ erklärt auch Louis Togo, Direktor der Station Maranatha in Parakou. „Fragen des Familienlebens, einschließlich der
141 Manche Moderatoren religiöser Radiosender scheuen nicht, auch intime Fragen von Sexualität anzusprechen. Auf RIC moderiert Frère Angelo Bruno eine Sendung, in der er über Fragen der Sexualmoral spricht und Erklärungen und Ratschläge anbietet. Einmal ging es um Masturbation (und Wege, dies zu vermeiden…). In anderen Fällen wurden die Gründe für zerbrochene Paarbeziehungen oder der Umgang mit persönlichen Enttäuschungen und Dilemmata (z.B. der beste Freund interessiert sich für die gleiche Frau) diskutiert. 142 Ein diskursives Feld schließt multiple, oft widerstreitende Typen von Diskursen ein, deren Teilnehmer um Definitionsmacht ringen und zugleich versuchen, das entsprechende Verhalten der Mitglieder der Gesellschaft zu beeinflussen (Foucault 1982). 143 Das Format témoignages (Radio Maranatha Cotonou) fällt ebenfalls in die Kategorie der Sendungen zur moralischen Erneuerung, da hier der Akzent auf persönlichen Berichten von Personen liegt, die über den Weg einer Konversion oder spirituellen Erneuerung ‚gereinigt‘ wurden.
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Beziehungen zwischen Ehemann und Ehefrau, sind extrem wichtig, da ein harmonisches Familienleben von großer Bedeutung für eine gute christliche
Lebensführung im Alltag ist.“ (Parakou, November 2008) Auch in diesem Falle gilt die oben erwähnte Feststellung, dass derartige Programme nur dann wirklich Erfolg haben, wenn sie direkt die Hörer ansprechen.
Le Chrétien et la Prospérité (Christsein und Wohlstand) wird sonntagabends
von Pfarrer Alhassan Yora und dem Sekundarschullehrer Maximilien Yatti moderiert. Hier geht es um Beratung bei der Umsetzung potenziell erfolgreicher Unternehmensgründungen wie Restaurants, Geschäfte und Werkstätten.
Beide Moderatoren erörtern geeignete Wege, diese Projekte in einer christlichen Weise zu organisieren, um moralische Forderungen mit wirtschaftlichem
Erfolg in Einklang zu bringen. Zum Beispiel fokussierte die Sendung vom 12.09.2010 auf Hotels als potenzielle Einnahmequelle in Parakou. Allerdings
sollen die Besitzer alles tun, um Prostitution, Alkoholmissbrauch oder dunkle Geschäfte zu vermeiden. Ein gewisser Ruf als Oase der christlichen Werte könnte aber, so heißt es, im Gegenzug jene Kunden anziehen, die dieselben moralischen Werte teilen (Parakou Februar 2012).
Während eine direkte politische Einflussnahme seitens der Verantwortlichen der jeweiligen Radiosender (offiziell) als unpassend abgelehnt wird, treten ihre Institutionen jedoch in den Kreis derjenigen Akteure in der Gesellschaft
ein, die aktuelle Debatten und Diskurse prägen wollen. Neben den „rein“ religiösen Programmen, die von Kirchen etc. angeboten werden, gibt es aber eine zunehmende Anzahl an Sendungen,144 die sich mit spirituellen Fragen,
moralischen und philosophischen Themen befassen (vgl. Abschnitt III,1; und
Beispiel der Sendungen von Elmancio Godson). Religiöse Radioproduktion aber kann nicht auf institutionelle Medienstrategien religiöser Gemeinschaf-
ten reduziert werden. Sie realisiert sich zugleich über individuelle Aneignungsweisen von Radiotechnik durch christliche Radiomacher, die von ihrer persönlichen Lebenswelt und Motivation beeinflusst sind.
Cyril Adjovi, 30, war lange ein beliebter Radiomoderator des Senders Ra-
dio Maranatha Parakou. Neben seinen Pflichten im Tagesprogramm des Senders, das er mit zwei anderen Moderatoren im Wechsel bestritt, gestaltete er
zwei eigene Radiosendungen pro Woche, die in Parakou sehr beliebt waren.
144 Lange Zeit präsentierte auch der kürzlich verstorbene Prof. Mansilla philosophische Reflexionen im Morgenprogramm caravane du matin von Radio Tokpa FM.
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Es handelte sich um ein Anrufer-Programm mit dem Namen „week-end avec Jésus“ (Samstags 22 Uhr bis Mitternacht; später übernommen von Benoit Noé)
und die Musik-Sendung Jesus power. Cyril sieht sich als jemand, der auserwählt ist, Gottes Wort durch seine oratorischen Fähigkeiten zu verbreiten und
die biblischen Botschaften mit dem Alltagsleben der Hörer zu verbinden. Er ist Mitglied der Kirche Foursquare in Parakou.
Cyril wuchs in Parakou als Sohn eines Armeeoffiziers aus dem Süden Be-
nins auf, absolvierte das Lycée Mathieu Bouaké, ohne aber das Abitur zu be-
stehen. Cyril generiert Einkünfte durch Tätigkeiten als Moderator bei öffentlichen Veranstaltungen, vor allem bei Familienfesten, und leitet Gesangs-,
Tanz- und Theatergruppen.145 Er produziert auch Werbespots, meist zusammen mit seinem Freund, dem Techniker des Senders, Guy Metonou. Dieser verfügt über eigene Aufnahmetechnik, die er zuhause für diese Aufnahmen
nutzt (vgl. Abschnitt III,2). Beide Ebenen, sein aktives religiöses Engagement in seiner Kirchengemeinde und seine Hingabe bei der Präsentation von Ver-
anstaltungen oder Sendungen, ergänzen sich gegenseitig und stärken sein An-
sehen. In dieser Hinsicht kompensiert er eine gewisse Stagnation im Lebens-
lauf hinsichtlich anderer Karriereoptionen, die er aufgrund fehlender
Abschlüsse nicht wahrnehmen konnte. Er berichtete mir, dass er einen gewis-
sen Druck empfindet, sozial gefestigter zu leben, z.B. sich zu verheiraten, um sein öffentliches Ansehen zu festigen (Parakou, November 2008-März 2009).
Auf der individuellen Ebene erzeugt die Moderation religiöser Sendungen,
entweder durch Amateure, professionelle Radiomoderatoren oder bekannte
Medienpastoren, offenbar ein nicht unerhebliches Prestige. Individuelle Ta-
lente können zum Tragen kommen. Manche Moderatoren sehen ihre Arbeit als Erweiterung ihrer Rolle als Laienprediger.
Hierfür kann Moderan Soglohoun stehen. Er arbeitete als Radiomodera-
tor für die Sprache Adja im Sender Radio Maranatha, Parakou. Er war Mitglied der evangelischen Kirche Assemblées de Dieu, in der er auch als Laienprediger
145 Ich begleitete Cyril in Parakou im November 2008, als er eine Gruppe junger Frauen anleitete, die eine Tanzshow für eine Liberation (Feier der Vergabe des Meisterdiploms) einstudierte. Im Februar 2009 arbeitete er mit einer traditionellen Tanzgruppe junger Männer und Frauen, die eingeladen wurde, bei einer Feier zum 8. März im Präsidentenpalast in Cotonou aufzutreten. Schließlich leitet er einen Kirchenchor in seiner Heimat-Kirche Foursquare.
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wirkte. Er absolvierte einen Bibelkurs, den die Deeper Life-Gemeinschaft in Parakou anbot. Moderan hat auch den Bau einer kleinen Kirche im Stadtvier-
tel Okedama, neben seinem eigenen Anwesen, finanziert. Moderan war Kleinunternehmer und besaß eine Metallwerkstatt, und war Repräsentant einer Mobilfunkgesellschaft in Parakou. Er betonte, dass er in der Radiostation da-
her nicht aufgrund einer möglichen Medienkarriere oder für Nebenverdienste arbeitete. Als hauptberuflicher Pastor würde ihm eine besondere Bestimmung
(revelation) fehlen, aber die Arbeit im Radio ermöglichte ihm, sein Ansehen
unter den Mitgliedern seiner Heimatkirche zu erhöhen. Die Moderatorentätig-
keit stellte eine Berufung dar: „Gott verlieh mir Gabe, ein guter Sprecher zu sein.“ Das Radio eröffnete ihm Möglichkeiten, „Zeugnis von meiner christlichen Haltung abzulegen.“ (Parakou, März 2011) Moderan war unter den Hö-
rern von Maranatha gut bekannt, da er auch ein Radioprogramm zu Fragen des Familienlebens, von Intimität, Partnerschaft und Ehe moderierte.
Moderan berichtete mir, dass sich von Zeit zu Zeit auch Hörer außerhalb
seiner Arbeit im Sender mit persönlichen Problemen mit Bitten um Vermittlung an ihn wenden. Moderan erinnert sich dabei auch an einen konkreten
Fall. So stand ein Ehepaar kurz vor der Trennung, die er aber nach einer ganzen Reihe von Versöhnungsgesprächen, die er zusammen mit einem Pastor
seiner Kirche durchführte, abwenden konnte. Als Laienprediger sah er seine Arbeit im Sender als Beitrag zu einer spirituellen Erneuerung der Bewohner Parakous. Moderan verstarb bei einem Autounfall Ende des Jahres 2011.
In ähnlicher Art und Weise betrachtet die Moderatorin in Fongbé, Christine Tonlomè, ihre Arbeit in der gleichen Station als Mittel, ihre sprachlichen Talente zeigen zu können. Christine ist bei Radio Maranatha, Parakou jeden Mittwoch von 10.30 bis 12 Uhr und jeden Samstag von 10.15 bis 11.15 Uhr
auf Sendung. Sie ist Kleinhändlerin und verkauft meist Pausen-Imbiss auf den
Schulhöfen in Parakou. In ihrer Kirche im Stadtviertel Banikanni arbeitet sie im Frauenkomitee mit und ist verantwortlich für Bibelkurse für Frauen. Ihre
Arbeit im Radio, fügt sie hinzu, brachte die männlichen Führer des Kirchenkomitees dazu, sie mehr als zuvor zu akzeptieren. Christine sagt, ihre Fähigkeiten in der Moderation von Radiosendungen wären ein Geschenk (un don).
„Die Leute schätzen mich, vor allem auch jene Sendungen, in denen ich
Probleme diskutiere und Ratschläge gebe. Einige Leute berichteten mir sogar, dass sie Lösungen für ihre Probleme gefunden haben.“ Sie ist Witwe und sorgt für ihre Kinder allein. Man sieht in ihr auch ein Vorbild insofern, als man auch
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unter schwierigen Bedingungen klarkommen kann (Parakou, November 2008März 2010).
Neben den festen Radiomoderatoren gibt es zahlreiche Teilzeit-Mitarbeiter und Freiwillige, vor allem Pastoren aus den jeweiligen Mitgliedskirchen der CEPEB in Parakou, die über ein Redetalent verfügen.
Einer von ihnen ist Frederic Ehoumi, Pastor der lokalen Niederlassung
der Église du Plein Evangile Foursquare. Über Radio Maranatha bietet er Bibelkurse, aber auch Programme für Kinder an. Oft bitten ihn die Moderatoren,
in Radiodiskussionen zu verschiedene Themen als Studiogast mitzuwirken.
„Hier kann ich viel mehr Leute als durch meine Gebete in der Kirche erreichen“ erklärt er, in fast ähnlicher Weise wie Rogatien (s.o.) seine Motive der
Mitarbeit im Radiostudio. Er behauptet gar, dass auch Muslime, ohne dies zuzugeben, seine Programme verfolgen.
Andere Mitarbeiter religiöser Radiostationen sehen ihre Arbeit eher als wichtigen Schritt in ihrer beruflichen Laufbahn, so wie Louis Togo (siehe oben)
und Aurore Zaizonou. Zaizonou arbeitet als Chefredakteurin im Sender Radio Alléluia. Nachdem sie ihr Universitätsstudium beendet hatte und einige Praktika absolvierte, begann sie ihre Radiokarriere zunächst als Sprecherin und
Journalistin bei Radio Adja-Ouère, einer privaten Radiostation nördlich von
Porto-Novo. Vor einigen Jahren weilte sie auch in Deutschland zu einem Praktikum, und schloss 2009 die Medienfachschule ISMA in Cotonou ab. Sie wech-
selte 2006 zu Alléluia, als dieser Sender neue, qualifizierte Mitarbeiter suchte. Für Aurore bedeutet die Arbeit in diesem Sender zweifelsohne einen weiteren
Schritt in ihrer Medien-Karriere. Sie hat hier die Möglichkeit, auf einer verantwortungsvolleren Position als zuvor wertvolle Erfahrungen in journalistischer Arbeit und Sendeproduktion sowie in Management und Personalführung
zu gewinnen. Dies befähigt sie, sich später eventuell auf höhere Positionen in anderen Radiostationen zu bewerben.
Aurore schätzt, dass die Mitarbeiter von Alléluia, einem religiösen Sender
mit besonderen Werten, Sendestilen und -inhalten, ihre Kompetenzen sehr schätzen und ihr die Möglichkeit geben, diese weiter zu entwickeln, während in anderen Sendern vergleichbare Positionen oft eher eine männliche Domäne
sind. Sie wird vom fast 100%igen männlichen Kollegenkreis generell geschätzt, fügt aber hinzu, dass sie jeden Tag aufs Neue ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen muss und sich kaum Fehler leisten kann. Aurore ist katholisch,
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hat aber keine Probleme, sich mit dem Geist des Senders Radio Alléluia zu identifizieren, solange die Stationsdirektoren sie nicht bitten würden, zu konvertieren. (Porto-Novo, März 2010, Oktober 2010)
Bisher habe ich die Ebene der religiösen Radioproduktion vor allem hinsicht-
lich der institutionellen Strukturen und zentrale Akteure in diesem Feld be-
schrieben. Der Erfolg dieser Art von Radioproduktion hängt natürlich aber auch von der Art und Weise ab, wie die jeweiligen Programme von den Hörern
angenommen und bewertet werden. Die Hörerumfragen (vgl. Abschnitt IV,1) verweisen hier auf eine große Vielfalt von Motiven, diese Sender bzw. Sen-
dungen einzuschalten: vom Wunsch nach weitergehender christlichen Bil-
dung, Unterhaltung, moralischem Rat und Führung im Alltag, spirituellem Er-
lebnis sowie die Möglichkeit, die eigene Religion auf verschiedene Arten leben zu können.
Maria M, 45, ist katholisch, alleinerziehend mit einem Kind, und Staats-
angestellte in einer Behörde in Natitingou. Sie bewohnt ein separates Appar-
tement im großen Familienhof in Natitingou-Santa. Maria besitzt ein großes Radiogerät mit einem CD-Spieler, das über dem Fernseher im zentralen Wohn-
zimmer positioniert ist. Sie hört permanent den Sender RIC, den sie am frühen Morgen gleich nach dem Aufstehen einschaltet, bevor sie ihr Frühstück zube-
reitet. Sie lässt das Gerät auch meist in ihrer Abwesenheit eingeschaltet, bis spät in die Nacht. Maris erklärt dieses Verhalten mit ihrer Liebe zu katholi-
schen Radiosendungen, und ihrer speziellen Vorliebe für Chormusik. RIC zu hören, teilt sie weiter mit, „gibt mir das Gefühl, eine gute Christin zu sein,
auch wenn ich es nicht immer schaffe, Gottesdienste zu besuchen.“ Die ganze Zeit den Sender eingeschaltet zu haben, auch wenn sie nicht immer aktiv zuhört, manifestiert zugleich eine Haltung. Durch die Gebete und Gottesdienste,
die das Radio beständig ausstrahlt „ist Gott immer bei mir zuhause.“ (Natitingou, März 2009)
Herman, 35 Jahre alt, hört regelmäßig Radio Maranatha (Cotonou), wie er sagt, „als guter Christ, der sich beim Hören wohlfühlt“. Er ist Besitzer eines beliebten Cafés (pâtisserie) in Gbegamey, Cotonou. Er sieht sich als Teil einer
großen christlichen Hörer-Gemeinschaft. Er gibt an, aus vielen Sendungen der Station wertvolle Ratschläge und vor allem Orientierung für sein Leben zu gewinnen. Diese würden ihm helfen, sich ein Urteil in vielen alltäglichen
Problemlagen zu bilden. Er berichtet zudem von Pastoren, die auf Englisch
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predigen und übersetzt werden, deren Art des Auftretens ihn besonders in den Bann ziehen würde. Leider war er noch nicht selbst in der Station, wünscht
sich aber, dass er dort auch einmal im Studio sprechen kann, denn er ist der
Meinung, dass er von seinem positiven beruflichen Weg berichten kann, den er aufgrund von klaren christlichen Visionen gehen konnte (Cotonou, März 2008).
Andere Hörer nutzen zwar diese Sender auch als übliche Tagesbegleiter, hören
aber manche Sendungen sehr gezielt. Ousman Ibrahim Maman ist als Nachtwächter und Hausmeister im Familiengesundheits-Projekt Projet Intégré de
Santé Familiale (PISAF) in Parakou-Medina tätig. Er ist ausgebildeter Schwei-
ßer, arbeitete aber bis 2004 in einem christlichen Krankenhaus in Bèmbèrèkè, wo er Bibelkurse in seiner Muttersprache besuchte und anschließend selbst einen Bibelkurs für Kinder leitete. Er stammt aus Kika, einem Dorf ca. 20km
von Parakou entfernt, wo seine Familie lebt. Er ist Mitglied der Kirche UEEB und hört regelmäßig, neben anderen Sendern, Radio Maranatha. Dies ermöglicht ihm, in Kontakt mit seinem christlichen Glauben zu bleiben, da er an
Werktagen aufgrund seiner Arbeitszeiten kaum Zeit für den Besuch von Gottesdiensten oder Bibelstunden hat, die seine Kirche anbietet. Er schaltet Ma-
ranatha vor allem für christliche Bildungsprogramme wie à travers la Bible ein. Darüber hinaus möchte er Wissen über praktische Aspekte der christlichen
Religion erwerben, wie sie in den Programmen von Perspectives Reformées präsentiert werden, wo, so betont er, „biblische Dinge in einer Art und Weise
erklärt werden, die alle leicht verstehen können.“ (Parakou, Dezember 2008) Religiöse Radioproduzenten in Benin tragen somit zur Verbreiterung der Me-
dienlandschaft in Benin und darüber hinaus bei. Ihre Arbeit wird vom gegenwärtigen positiven politischen Klima vor allem christlich-evangelische Kirchen begünstigt. Zum einen lassen sich umfangreiche Medienstrategien von religiösen Institutionen wie der katholischen Kirche und den etablierten pro-
testantischen Kirchen146 ausmachen, die ihren traditionell großen Anteil an Anhängern erhalten und ihre öffentliche Anerkennung ausbauen möchten. Sie nutzen Radiostationen zunehmend als Forum der Wissensvermittlung und Produktion religiöser Diskurse.
146 Im Dezember 2013 erhielt auch die Station Hossana, La Voix de l’espérance der methodistischen Kirche Benins in Porto-Novo eine Sendelizenz.
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Sie unterhalten zudem umfangreiche internationale Beziehungen, vor al-
lem des Programmaustausches mit religiösen Produzenten weltweit, vernetzen sich aber auch mit verschiedenen religiösen Institutionen innerhalb Be-
nins. Kooperationen mit Partnerstationen und -organisationen jenseits der
Ländergrenzen können als Aspekte einer medial vermittelten, religiösen trans-
nationalen imaginierten Gemeinschaft (im Sinne von Anderson 2006; vgl. auch van der Veer 1996, Anderson 2000) gelten. Einflüsse (neo-) pentekostalistischer religiöser Ideen aus den Nachbarländern (Corten 2000; Corten und
Marshall-Fratani 2001; Hollenweger 1997a 1997b) sind hier ebenso relevant wie ihre Verbindungen in die USA und Frankreich. Sie nutzen moderne tech-
nische Mittel wie Satelliten und Internet-livestream, und streben meist den Erwerb weiterer Sendefrequenzen und Relais-Stationen an. Ähnlichkeiten im Vergleich der Sender beziehen sich auch auf die Art und Weise, in der die
Animateurs sich ihren Hörern zuwenden, vor allem in interaktiven Sendungen,
live-Übertragungen von lokalen Gemeinden oder anlässlich religiöser Feiertage, aber auch hinsichtlich der Einbeziehung der Hörer über Hörerclubs. Meines Erachtens ist es wichtig, nicht nur die größeren religiösen Medienunternehmungen, sondern auch die kleineren, mitunter aber nicht weniger effektiven Interventionen zu betrachten, d.h. die vielen religiösen Sendungen in lokalen Radiostationen.
Auf der einen Seite kann diese Ausdifferenzierung christlicher Radiopro-
gramme in Benin als Ausdruck einer zunehmenden Wettbewerbssituation zwischen (religiösen) Medienunternehmen gesehen werden, die in der Öffentlich-
keit präsent sein wollen und an den erwähnten gesellschaftlichen Debatten, vor allem um moralische Fragen, teilhaben wollen. Hier sind religiöse Pro-
gramme eine Komponente nur eines größeren diskursiven Feldes, in dem die Kirchen einen aktiven Part zu spielen gedenken.
Auf der anderen Seite ist religiöse Radioproduktion auch immer eine An-
gelegenheit des persönlichen Engagements individueller Akteure, vor allem
die (angestellten oder ehrenamtlichen) Moderatoren, Techniker, oder Pastoren als Freizeitmoderatoren, die diese Programme entwickeln und mit Leben
erfüllen. Bei ihnen sind Motive, Fähigkeiten, Moderationsstile und Beziehungen zu Hörern recht unterschiedlich ausgeprägt. Die meisten von ihnen sind
mit viel Hingabe dabei und möchten sich auf diese Weise verwirklichen. „Gott gab mir diese Fähigkeit, und ich werde gehört.“ (Christine Tonlomè, März 2013) Radiogestalter recht verschiedener Positionen und Alltagsberufe, wie
Pastor Rogatien und Moderator Moderan, möchten oft gerne das einsetzen,
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was Moderan „den Geist der Rede“ nannte, d.h. ihr persönliches Talent, einem
fesselnden, mitunter charismatischen Redestil. Die Akzeptanz bei ihren Hörern hängt aber auch von ihrem Sozialverhalten außerhalb des Senders, auf
das die Hörer achten, wie das Beispiel von Cyril verdeutlicht (Maranatha, Pa-
rakou). Beide Akteursgruppen, religiöse Medienunternehmer ebenso wie religiös aktive Radioliebhaber, kommen also in ihren Bestrebungen zur Erweite-
rung christlicher Radiopräsenz ideal zusammen. Über die sicherlich berechtigte kritische Sicht auf den wachsenden Einfluss religiöser Medien im öffentlichen Bereich hinaus lohnt es sich, den Blick darauf zu werfen, wie religiös geprägte Individuen diese medialen Möglichkeiten auf eigene Weise nutzen und welche Bedeutung sie ihnen im Kontext gesellschaftlichen Wandels zuschreiben.
Standen hier bereits Beispiele für individuelle Motive des Medienengage-
ments im Fokus der Betrachtung, so sollen im Folgenden die Karrierewege und Arbeitsbedingungen von Radiomitarbeitern im radiomedialen Feld Benins insgesamt untersucht und verglichen werden.
4. Generationen und Medienkarrieren von Radioproduzenten in Benin „Junge Frau, 33 Jahre, Kultur-Unternehmerin. Hat in den letzten 5 Jahren den LiteraturWettbewerb Concours Lu pour Vous in Cotonou (Benin) organisiert. Medienfachfrau seit 1997, hat sie für mehrere Radiostationen wie Golf FM, Radio Wêkè und Radio Tokpa gearbeitet und TV-Sendungen im nationalen Fernsehen moderiert. Von 2001 bis 2003 war sie Korrespondentin von AFRICA No. 1 in Cotonou. Ehemalige Direktorin für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe Laha Productions bis Oktober 2008, führt sie nun ihre eigene Firma für Kommunikation, Werbung und Veranstaltungsorganisation (DISCOM). Sie hat auch eine Stimme, die sie für Werbespots, Dokumentarfilme und Filmsynchronisation einsetzt.“ (Djamila Idrissou Souler, Internet-Selbstdarstellung, Souler 2010)
In den bisherigen Abschnitten wurden in der erster Linie institutionelle As-
pekte der Arbeit von Radiosendern in Benin sowie die Produktion von Radio-
sendungen im Alltag analysiert. An verschiedenen Stellen wurde dabei bereits auf die zentralen Akteure hingewiesen, die den Erfolg der Radiosender und
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ihrer Sendungen im Alltag sichern: Radioproduzenten, zu denen in einem weiten Sinne Moderatoren, Techniker, Buchalter, Redakteure und Stationsdirek-
toren gehören. Sie sollen im Folgenden im Zentrum der Betrachtung stehen.
Dabei gehe ich von einem berufsbiographischen Ansatz aus, bei dem nach besonderen Motivationen, aber auch Dispositionen der Beteiligten für eine Arbeit für das Radio einschließlich von Fähigkeiten und kulturellem Kapital auch aus anderen sozialen Feldern gefragt wird.
Die Karrierewege verschiedener Akteure werden dabei zunächst (in Er-
weiterung des Abschnittes I,3) in einen sozialgeschichtlichen Kontext der Medienentwicklung in Benin gestellt, bevor die Bedingungen alltäglicher Medi-
enarbeit erläutert werden. Aus den biographischen Interviews und individuellen Fallstudien sowie in Verbindung mit Veränderungen politischer und medieninstitutioneller Strukturen lassen sich wesentliche Aspekte der
Veränderung des Medienfeldes in Benin in der Zeit nach der Unabhängigkeit
gewinnen. In diesem Kontext können wir vier erfahrungsbestimmte Generati-
onen (Parnes et al. 2008; Mannheim 1928) professioneller Mediengestalter unterscheiden:
1. die Generation der (wenigen) Journalisten und Herausgeber, der späten Kolonial- und frühen Unabhängigkeitszeit,
2. die Generation der staatsangestellten Laufbahnjournalisten, die sich nach der Entfaltung des öffentlichen Pressewesens sowie der Rundfunk- und Fernsehanstalten etablierte,
3. die Generation der ‚neuen‘ Journalisten nach der politischen Wende und der Etablierung eines liberaleren politischen Systems nach 1990, sowie
4. jene neue Generation von Journalisten und Medienproduzenten, die gegenwärtig im Feld medialer Pluralität und Medienkonvergenz agiert.
Die erste Generation147 umfasst jene „Pioniere“ des Medienwesens, die vor allem in der kolonialen Presselandschaft tätig waren, in begrenztem Umfange
147 Diese Generationen werden hier als sich selbst als solche wahrnehmende Erfahrungsgemeinschaften verstanden. Sie stellen natürlich Idealtypen dar, da viele überlappende Merkmale und zudem permanente Wandlungen der individuellen Karrieren zu verzeichnen sind. Sie sollten nicht als klar abgegrenzte Kategorien und chronologisch aufeinanderfolgende Akteursgruppen gesehen werden, da vor allem Vertreter der letztgenannten drei Kategorien z.T. parallel zu einander beruflich aktiv sind. Zudem wechselten auch Karrierejournalisten in den freien Mediensektor, z.B.
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auch im Rundfunkdienst. Diese Mitarbeiter waren, neben französischen An-
gestellten, meist Verwaltungsmitarbeiter, Pfarrer, Übersetzer oder Lehrer, und arbeiten hier im kolonialen Informationsdienst, der sich vor allem an ein expatriate-Publikum richtete, nur zu einem geringen Teil an die afrikanische Be-
völkerung (meist für klar umrissene Entwicklungs- und Bildungszwecke). Hier handelte es sich vor allem um Angestellte offizieller Mitteilungsblätter, den
sich allmählich entwickelnden Verlagshäusern oder später ab 1953 (meist in Teilzeit) als Moderatoren bei Radio Cotonou. Einige der einheimischen Jour-
nalisten wie Louis Hounkarin (1886-1964; Gründer des regionalen Zweiges der Ligue des droits de l'Homme, später ins Exil gezwungen) begannen, im Rah-
men antikolonialer politischer Aktivitäten, auch erste unabhängige Zeitschriften wie MESSAGER DU DAHOMEY zu veröffentlichen.
Auch nach der Unabhängigkeit 1960 war die Medienlandschaft in
Dahomey zunächst nicht sehr diversifiziert. Außer Radio Cotonou gab es im
Wesentlichen nur die katholische Monatsschrift LA CROIX und die regierungs-
amtliche Tageszeitung DAHO-EXPRESS. Einige der früheren Pioniere der Medienlandschaft konnten aber wichtige Verwaltungsposten in den staatlichen
Medien übernehmen, deren Arbeitsstil vor allem von der Idee der Entwicklung
der neuen Staatsnation geprägt war. Zu den Mitarbeitern der staatlichen Medien, die meist nur im Raum Porto-Novo und Cotonou verbreitet waren, zähl-
ten auch in dieser Zeit Personen aus einschlägigen geisteswissenschaftlich-literaten Berufen wie Lehrer, Pastoren, Anwälte und Verwaltungsangestellte. In
den Zeitungen wurden aber damals regelmäßig Gedichte sowie Romane (in Fortsetzungen) abgedruckt (Huannou 1984; Huannou et al. 1980).
Die zweite Generation der Medienproduzenten entfaltete ihre Aktivitä-
ten vor allem im Zusammenhang mit dem Ausbau des staatlichen Mediensystems in Benin in den 1970er Jahren. Primär wuchsen vor allem die Bereiche
Radio und Fernsehen, als größere Fernseh- und Rundfunkanstalten in Cotonou und nach 1983 auch in Parakou (als regionaler Rundfunkdienst) hinzukamen (Saxer et al. 1984). Allmählich wurde ein landesweiter erfolgender Vertrieb
der Regierungspresse etabliert; fast alle Institutionen des Staates waren Pflich-
tabbonenten der Zeitung EHUZU, später LA NATION (die bis heute über einen
Stab festangestellter Mitarbeiter und eine Druckerei verfügt). Dieser Aufschwung des Medienwesens, ganz im Zeichen der Politik des sozialistischen
Maurice Chabi, ehemals Direktor der Staatszeitung LA NATION, der die private Zeitung LES ÉCHOS DU BÉNIN gründete und publizistisch tätig ist (2013).
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Entwicklungs-Regimes, erzeugte einen Mehrbedarf an gut ausgebildeten, spe-
zialisierten Medienproduzenten, die in der Folge jeweils in größerer Zahl, meist nach zentralen Ausschreibungen und Prüfungen, angestellt wurden.
Georges Amlon, 55, ist ein erfahrener Radiojournalist und arbeitet bei
Radio Benin (ORTB). Nach dem Abitur in Parakou studierte er erst Mathema-
tik, interessierte sich aber für Wissenschafts- und Sportsendungen und begann
beim Sender Anfang der 1970er Jahre als Sportreporter. Während eines Besuches in Cotonou wurde ein Techniker des französischen Senders RFI auf ihn
aufmerksam, und verhalf ihm zu einem Weiterbildungsaufenthalt in Frankreich. Dort bekam er eine feste Anstellung, kehrte aber Anfang der 1980er
Jahre aus Heimweh zurück nach Benin und arbeitete dann wieder bei Radio Benin in der Redaktion des journal parlé. Amlon bewahrte sich aber eine gewisse Unabhängigkeit und wurde deshalb lange Zeit nicht befördert. Erst Ende
der 1990er Jahre war er zeitweise Chefredakteur. Amlon ist heute investiga-
tiver Reporter, arbeitet in der Nachrichtenredaktion von Radio Benin und zeitweise auch als Sprecher der Nachrichten. Als ehemaliger aktiver Fußballspieler zeigt er eine große Leidenschaft für den Fußball und ist nicht nur
Sportreporter, sondern auch Präsident des Netzwerkes der Sportjournalisten (Réseau des Journalistes de Sport au Bénin, RJSB).
Nebenbei arbeitet Amlon für die Medienconsulting-Firma AG Partners, die
Auftragsstudien durchführt, aber auch Werbekampagnen konzipiert. Immer
wieder spricht er sich gegen die derzeitige Medien-Politik in Benin aus und
betont, dass die einseitige Berichterstattung für den Präsidenten weniger von diesem selbst, sondern von übereifrigen, in vorauseilendem Gehorsam han-
delnden Direktoren initiiert wird. Trotz dieser Haltung wurde ihm am 30.01.2009 der Orden Ordre National du Mérite verliehen (Cotonou, März 2010; Ologou 2014).
Viele Radiojournalisten dieser Generation, wie z.B. Soulé Issiaka, Ephrem
Quénum, Christophe Pelu Diogo, Rufai Akobi, David Ogouchina, Georges Otchéré oder Georges Amlon, wurden dann in der Folge zu den überregiona-
len journalistischen Ausbildungseinrichtungen im Ausland entsandt, entweder
nach Frankreich (Centre de formation des journalistes, CFJ), oder dem Centre d'Etudes des Sciences et Techniques de Information (CESTI) in Dakar oder dem Centre Interafricain d'Etudes en Radio Rurale de Ouagadougou (CIERRO). Zu dieser Generation gehören vor allem staatsangestellte Journalisten, die nicht nur
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im ORTB tätig waren (bzw. noch sind), sondern auch als Pressesprecher (at-
tachés de presse) in großen Institutionen, v.a. Ministerien agierten und die wichtigsten Aktivitäten und Errungenschaften dieser Einrichtungen kommu-
nizieren sollten. Meistens waren es Voll- und Lebenszeit –Journalisten, oft als Staatsbeamte, die immer in den gleichen Medieninstitutionen verblieben und
dort Karriere machten oder in manchen Fällen später medienpolitische Positionen auf nationaler oder internationaler Ebene besetzten.
Christophe Pelu Diogo ist ein pensionierter, aber nach wie vor sehr ak-
tiver Medienfachmann in Benin. Er begann seine Laufbahn als Journalist bei
Radio Cotonou (heute Radio Bénin), absolvierte später ein Studium am CESTI in Dakar (1979-80) und arbeitete beim gleichen Sender bis zu seiner Pensionierung. Zeitweise war er in den 1980er Jahren Chefredakteur, hatte aber
Konflikte mit dem Informationsministerium und wurde wieder zurückgestuft.
Nach der politischen Wende wurde er von 1996 bis 2002 aber Direktor des Radios. Immer wieder, während seiner Radiolaufbahn und danach, hatte er
auch verschiedene Funktionen in der Staatsverwaltung inne, so war er u.a.
Conseiller des Médias des Präsidenten Kerekou (2010). Er ist zugleich Lehrbe-
auftragter in der Journalistenausbildung in Benin und hat seit 2009 den neuen Journalismus-Studiengang an der Univeristät Abomey-Calavi aufgebaut (Cotonou, März 2011, März 2012).
Die sozialistische Periode zwischen 1972 und 1989 trug dazu bei, den Corpus der Journalisten zu erweitern, in dem die Mediendienste sich auch zuneh-
mend an ein Publikum auf dem Lande richteten und der Radiosektor ausge-
baut wurde. Zugleich waren gute Rahmenbedingungen für qualitativ hochwertigen und unabhängigen Journalismus vor dem damaligen Hintergrund
der staatlichen Propagandapolitik kaum gegeben. Diese Situation trieb etliche kritische Journalisten dann außer Landes, die fortan im Ausland arbeiteten
(v.a. nach Frankreich, Gabun, Côte d’Ivoire, Senegal). Von ihnen kehrten dann
einige wenige wie Jerôme Carlos oder Issiaka Soulé nach 1990 nach Benin zurück. Die dritte Generation umfasst all jene Medienprofessionellen, die
unmittelbar vor und nach der Nationalkonferenz ihre Laufbahn begannen. In dieser Zeit waren es vor allem die vielen neuen Zeitungen, die feste und freie
Mitarbeiter sowie Praktikanten suchten, und Einstiegsmöglichkeiten für Universitäts-Absolventen boten.
Eine typische Karriere ist jene von Edgard Zinsou. Zinsou ist Chefredak-
teur der Tageszeitung NOUVELLE EXPRESSION. Er stammt aus Porto-Novo,
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wo sein Vater Sekundarschullehrer war. Während seiner Zeit an einem Collège
begann er bereits mit ersten journalistischen Arbeiten, u.a. in einer selbst herausgegebenen Schülerzeitung. Sein Vater unterstütze diese Aktivitäten finan-
ziell. Später, als Student der Rechtwissenschaften an der Universität AbomeyCalavi, begann er bei der kleinen christlichen Zeitung LA VOIX DE L'EMMAUS mitzuarbeiten, wo er von 1990 bis 2000 blieb. Parallel schloss er sein Studium ab, das ihn teilweise auch nach Straßburg in Frankreich führte. Danach über-
nahm das Blatt ein neuer Geschäftsführer, der mit anderen Redakteuren und
Pastoren zusammenarbeiten wollte. Ihm wurde erklärt, dass kein Geld mehr für seine Lohnzahlungen vorhanden wäre. Daraufhin suchte Zinsou einen
neuen Arbeitgeber und fing zunächst bei der katholischen Wochenzeitung LE DOMENICAL an. Später wechselte er dann zur Tageszeitung 24HEURES AU
BENIN, anschließend zu TROPICAL und dann zu ADJINAKOU in Porto-Novo
und schließlich zur NOUVELLE EXPRESSION, einer der führenden Tageszeitungen Cotonous. Weiterhin moderiert er eine Fernsehsendung auf Golfe TV. Zinsou ist am liebsten Gerichtsreporter, weil sich hier seine durch das Studium erworbenen juristischen Kompetenzen ideal mit seiner journalistischen Arbeit verbinden lassen (Cotonou, März 2009).
Vor allem jene, die zuvor Erfahrungen in der ersten unabhängigen Studentenzeitung LE HÉRAUT sammeln konnten, waren nachgefragt (Le Héraut 2014;
Faye 2008).148 Andererseits bot die neue Pressefreiheit auch etablierten Journalisten der zweiten Generation Möglichkeiten, eigene Zeitungen oder Radiosender zu gründen (wie z.B. Maurice Chabi, vgl. Fußnote 147).
Von Beginn bis Ende der 1990er Jahre bestimmte eine Aufbruchsstim-
mung den Zeitungssektor (Campbell 1998; Frère 2000). Viele kritische Be-
richte erschienen, Polemik aller Art wurde produziert, auch mit handwerklichen Fehlern, bevor allmählich ein Prozess der teilweisen Vereinnahmung der
Zeitungen durch politische Akteure einsetzte (Frère 2001; Adjovi 2002,
2003b; Adélakoun 2008; Sintondji 2010; Assogba 2011), und der finanzielle
148 Hierzu zählen u.a. Ahmed Akobi (später Politiker), Jérôme Adjakou Badou (später Leiter der Medienagentur SYFIA- Benin, Emmanuel Adjovi (Medienwissenschaftler), Édouard Loko (Gründer der Zeitung LE PROGRÈS und Mitglied der HAAC), Charles Toko (Gründer der Mediengruppe LE MATINAL), Agapit Maforikan (später Chefredakteur von Le MATINAL, Mitglied der HAAC und Medienexperte) oder Laurent Djiguy (Redakteur bei LE MATIN, Gründer von DUNYA-INFO).
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(Agognon und Eyebiyi 2011) und vor allem nach 2006 der staatliche Druck
zunahm. Einige Medienprofessionelle dieser Generation haben inzwischen auch Karriere gemacht, sind Chefredakteure oder gar Herausgeber geworden,
oder gar Eigner von Mediengruppen (wie im Falle von Charles Toko, Groupe de Presse Le Matinal). Andere dieser Generation arbeiten in hohen Positionen in medienbezogenen Nichtregierungsorganisationen oder als Consultants. Einige (wenige) von diesen verließen das Medienfeld für eine politische Karri-
ere, wie z.B. Nassirou Bako-Arifari; ehemals Chefredakteur der Tageszeitung
L’HORIZON, später Forscher und Dozent (Sozialanthropologe) und derzeit Außenminister in der Regierung Yayi.
Edgar Gnacadja ist einer der Radiomoderatoren der neuen Generation,
die Ende der 1990er Jahre in das bis dato fast nur vom staatlichen Sender
dominierte Radiofeld eintraten. Ähnlich wie andere Moderatoren dieser Generation bei Radio Golfe FM oder Radio Planète wurde er bei CAPP FM ein
Aushängeschild. Dort war er offiziell vor allem als Techniker angestellt, über-
nahm dann außer den Morgen- und Zwischenmoderationen aber bald auch Musiksendungen. Er entwickelte schließlich eigene Sendungen und wurde zu einem der beliebtesten Moderatoren im Raum Cotonou. Sein Bekanntheitsgrad nahm ab, als er zu einem längeren Studium nach Kanada ging. Später
zerstritt er sich mit dem Stationschef Jerôme Carlos, und verließ – im gegenseitigen Einvernehmen – den Sender. Heute ist er Chef einer eigenen Produktionsfirma, Freecom Production médiatique, die neben dem Verleih technischer
Einrichtungen und einem Veranstaltungsservice auch Dokumentarfilme produziert. Zugleich stieg er Ende 2013 als Techniker bei Soleil FM ein. Seine Frau Raissa Gbédji ist ebenfalls Radiojournalistin. Sie arbeitete zunächst bei
Golfe FM, war dann bei Radio Océan tätig und ist heute Korrespondentin für RFI in Benin (Cotonou, März 2010).
Die gegenwärtige vierte Generation der Journalisten ist von einem leichteren
Zugang zum Medienfeld, aber einer zunehmende Professionalisierung des Metiers gekennzeichnet. Sie soll im Folgenden etwas näher betrachtet werden. EINE NEUE GENERATION VON MEDIENSCHAFFENDEN: POSITIONEN UND PRAKTIKEN Die vierte Generation der Medienproduzenten profitiert auf der einen Seite von einer Vielzahl neuer Optionen und Institutionen, die im Medienfeld des
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Landes entstehen, einschließlich der wachsenden Bedeutung von audio-visuellen und IKT-Technologien. Sie ist aber auf der anderen Seite auch einer
wachsenden Wettbewerbssituation ausgesetzt, ebenso wie den Vor- und Nachteilen der zunehmenden Kommerzialisierung und möglicher politischer Beein-
flussung der Medienproduktion. Die Angehörigen dieser Generation können zwar zwischen verschiedenen Optionen des Medienengagements wählen, ihre Schwerpunktaktivitätenverändern oder verschiedene Medientätigkeiten kom-
binieren. Sie aber oft auch gezwungen, parallel für verschiedene Medieninstitutionen zu arbeiten und Einkommensquellen zu kombinieren. Einige dieser Newcomer sehensich jedoch auch mit einer prekären Arbeitsmarktsituation
sowie den Zwangslagen einer freischaffender Tätigkeit konfrontiert, wohinge-
gen sich ihnen aber auch immer wieder neue Chancen innerhalb und außerhalb des Medienfeldes öffnen.
„Ich bin Stanislas Hounkanlin, Journalist. Ich war 4 Jahre lang Chefredakteur von Royal FM, einem privatem kommerziellem Radio. Ich bin ebenso Secrétaire de rédaction der englischsprachigen Zeitung THE CONQUEROR, die in Benin erscheint, und Korrespondent der französischen Zeitschrift ALBI MAG. Ich war Directeur de la Rédaction der Nachrichtenagentur SUD PRESSE. Ich bin gegenwärtig der Verantwortliche der Kommunikationsabteilung der ANCB, der Nationalen Vereinigung der Kommunen in Benin (Association Nationale des Communes du Benin). Ich bin bereit, berufliche Beziehungen zu anderen Kollegen überall auf der Welt zu unterhalten. Kontakttelefon [...] Adresse [...] E-Mail [...].“ (Selbstdarstellung, Facebook, 2010)
Diese Generation junger Medienprofessioneller kann von einer größeren Bandbreite institutioneller Zugangswege zum Medienfeld profitieren, einschließlich der jüngst geschaffenen öffentlichen und privaten Medienschulen
sowie der entsprechenden kommunikationswissenschaftlichen Studiengänge
des Landes. Diese Institutionen setzen aber allmählich auch höhere Standards und Anforderungen an individuelle Qualifikationen für jene, die in ihrer Karriere vorankommen möchten.
Ludovic „Loudi“ Ainonkpo begann schon als Schüler, Veranstaltungen
zu präsentieren. Später nahm er ein Marketing-Fachstudium auf und versuchte gleichzeitig, einen Einstieg als Radiomoderator zu finden. Er absol-
vierte Praktika zunächst im Rahmen der Sommer-Talente-Schule von Océan FM, dann bei den Sendern GERDES FM und Ado3S FM. Meist war er für die
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Technik, aber auch für Quizsendungen zuständig. Wann immer es ging, übernahm er aber selbst Moderationen. Parallel dazu arbeitete er, vor allem an
Wochenenden, zusammen mit seinem Onkel als Musikunterhalter bei Festen
aller Art. Heute führt er diese Tätigkeit nebenbei weiter. Er nutzt dafür sein Notebook und ist auch als mobiler DJ oft gefragt. Dann wurde er beim Mu-
siksender STAR FM engagiert, wo er einige Jahre entsprechend des Profils des Senders vor allem für die Zusammenstellung von Musikshows verantwortlich war. Als der Sender aufgrund eines Fehlmanagements geschlossen wurde, be-
kam er 2009 ein Angebot von CAPP FM, da hier ein Techniker gerade den
Sender verlassen hatte. Hier ist er nun neben den Tagesbegleitprogrammen im Schichtdienst für Musikshows am Freitagabend und vor allem Samstag zuständig (März 2010-März 2012).
In vielen Fällen (wenn auch nicht ausschließlich) sind es Neulinge auf dem
Gebiet der Medien, die meist in low profile Institutionen anfangen, aber allmählich Erfahrung, Wissen und Prestige erwerben. Sie arbeiten als Moderato-
ren, Journalisten, Techniker, DJs, Redakteuren oder PR-Verantwortliche für ihren beruflichen Erfolg.
Rachidatou Yessouffou, 30, ist derzeit als Radiomoderatorin und in der
Studioregie bei Radio CAPP FM, Cotonou tätig. Sie beendete ihr Studium der Rechtswissenschaften an der UAC und begann die Arbeit mit CAPP als Prak-
tikant im Jahr 2004. Neben ihrem Schichtdienst als Tagesprogramm- Moderatorin ist sie verantwortlich für die Sendung feminin au pluriel. Sie lädt in der
Regel erfolgreiche Frauen, wie Rechtsanwältinnen, Geschäftsfrauen, die Präsidenten von NROs als Vorbilder ein, um die allgemeinen Bedingungen der Frauenförderung in Benin zu diskutieren. Aufgrund ihres persönlichen Inte-
resses an rechtlichen Fragen ist sie Mitglied eines thematisch orientierten
Journalisten-Netzwerkes. Neben ihrer Arbeit bei CAPP FM moderiert sie auf vertraglicher Basis gelegentlich Fernseh- und Radioprogramme auf dem staat-
lichen Sender. Manchmal wird sie eingeladen, ihre Stimme DokumentarfilmProduktionen zu leihen, oft auf Empfehlung von Kollegen des oben genannten Netzwerkes. Darüber hinaus arbeitet sie auch auf vertraglicher Basis als Pres-
sesprecherin für die NRO ENSAM (Enfants solidaires d‘Afrique et du Monde) in Benin, die die Rechte von Kindern verteidigt. Sie absolvierte ab 2011 eine Weiterbildung in Frankreich (Cotonou, November 2008-März 2011).
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Hadizath Harouna arbeitet als Moderatorin und Journalistin beim Radiosen-
der Arzèkè FM in Parakou. Sie moderiert zudem auch die Sendung Yara, ein wöchentliches Magazin einer Produktionsfirma in Parakou, das Werbeeinspie-
lungen und Berichte im Auftrag von Werbekunden präsentiert. Es wird über
den staatlichen TV-Sender ORTB ausgestrahlt. Die Sendung soll vor allem den Norden Benins ansprechen. Weitere Elemente der Sendungen sind Veranstal-
tungshinweise und kulturelle Themen wie besondere Tänze, Feste oder Künstlerporträts (Parakou, März 2012).
Obwohl sie oft in den Bereich der Medien-Produktion ohne formale Ausbildung einstiegen, absolvierten viele der heutigen Medienprofessionellen dieser
Generation ihren Weg über Praktika und Verträge mit verschiedenen Medien-
einrichtungen. Etliche Mitglieder dieser neuen Kohorte präsentieren z.B. re-
gelmäßig die Nachrichten, politische Debatten und Anrufersendungen. Einige
wie Anselme Kpaténon sind als Moderatoren ziemlich berühmt geworden. Andere stehen einer bestimmten Abteilung in ihrem Radiosender vor:
Thierry Sossou alias Master T. 30, begann mit der Radioarbeit während
seines Studiums der Rechtswissenschaften beim Uni-Sender Radio Univers, wo er von 2001-2003 auch als directeur adjoint fungierte. Nebenbei absolvierte er
Praktika bei Radio Golfe FM und Radio Bénin und profitierte dann 2003, kurz nach Gründung des Senders, von einem Sommer-Workshop für Jugendliche
von Océan FM. Er setzte seine Arbeit als Teilzeit-Moderatorin an dieser Sta-
tion fort und wurde als Radiomoderator für Programme für junge Hörer sowie Nacht-Sendungen wie facile la vie entdeckt. Später spezialisierte er sich auf
Call-In-Shows zu intimen Problemen wie évasion und wurde zu einem der beliebtesten Moderatoren des Senders (vgl. Abschnitt V,2). Im Jahre 2009 wurde
er Programmdirektor und bekam ein eigenes kleines Büro. Darüber hinaus übernimmt er Aufträge als MC und produziert Entwicklungsprogramme für
verschiedene Organisationen im Gesundheits- und Bildungssektor (Cotonou, November 2008-März 2012).
Einige Mitglieder dieser emergenten Generation, vor allem die jüngeren unter
ihnen, entwickeln neuartige Programme. Sie kombinieren oft Fähigkeiten aus
der Theaterarbeit und mit jenen der Radio-oder TV-Produktion, wie die Beispiele der Sendung Bébête Infos von Radio Planète oder der Aktivitäten des Schauspielers und Radiomoderators Robert Fabiyi zeigen (vgl. Abschnitt II,1). Eine Anstellung als Journalist oder Radiomoderator, vor allem in einem der
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staatlich unabhängigen Institutionen, ist in der Regel nicht gut bezahlt. Die
Gehälter sind niedrig (zwischen 50 und 200 Euro)149 und die Arbeitsbedingungen schlecht, vor allem, weil nur wenige Unkosten für Berichterstattung und Reportagen gezahlt werden.
Daher haben viele Mediengestalter Nebenjobs: entweder als MC bei priva-
ten oder öffentlichen Veranstaltungen, in der Werbung, als Schauspieler oder
Pressereferent für kleinere Unternehmen ohne PR-Abteilung. Einige von ihnen organisieren ihre Zeit zwischen zwei Jobs. Zum Beispiel arbeiten einige Jour-
nalisten zugleich als Lehrer und als Radio-Moderatoren (z.B. Lucien Dossou,
CAPP FM), oder sind in kommunalen Büros tätig, wo sie mit der Organisation von Wahlen oder statistischen Projekten beauftragt werden. Neben per diemsZahlungen von einem der zahlreichen Workshops, Seminaren oder Konferen-
zen, zu denen die Medienprofessionellen als „soziale Multiplikatoren“ eingeladen werden, generieren sie meist zusätzliche Einnahmen, durch die üblichen Aufwandsentschädigungen der Auftraggeber für Berichte von Ereignissen, Eröffnungsfeiern oder Seminaren. „Eigentlich muss man nicht nur deshalb von
etwas berichten, nur weil es per diems gab – was aber meist doch geschieht.“
(Fortune Houndefa, Journalist, Radio Tokpa, März 2013) Einige Radiomoderatoren arbeiten zugleich als Musikproduzenten oder Leiter von Theatergrup-
pen (wie z.B. Robert Fabiyi). Techniker führen zugleich Reparatur-Werkstätten, sind IT-Berater oder bieten technische Unterstützung bei privaten Feiern oder öffentlichen Veranstaltungen an.
Diese Praktiken können anspruchsvolle individuelle Zeitpläne erzeugen,
aber so bleiben diese Personen in engem Kontakt mit ihrem potentiellen Pub-
likum. Sie gewinnen Einblicke in den Alltag vieler Hörer, was zwangsläufig
die von ihnen gestalteten Medieninhalte prägt. Die einzelnen Wege des MediaEngagements und die aktuellen Positionen im Bereich der Medien bei den hier zur Rede stehenden Medienprofessionellen sehr unterschiedlich. Sie reichen
von Freiwilligen und Freizeit-MC in der Schule zu erfolgreichen Radio-Mode-
ratoren mit beeindruckenden Karrieren und150 zu Berühmtheiten der PrimeTime-Talkshows im Fernsehen und in Werbekampagnen.
149 Die Vertreter der Arbeitgeber des Medienbereiches hatten sich im Rahmen eines Mantelvertrages über Mindestlöhne für einzelne Statusgruppen verständigt, die aber nicht immer gezahlt werden. 150 Im Zuge der jüngsten Welle der Zulassungen von Radiostationen wurde auch der private Sender Soleil FM lizensiert. Er gehört dem Unternehmer Sebastien Avajon,
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In manchen Fällen gelingt jungen Medienprofesionellen der Weg in staat-
liche Radiostationen des ORTB, wo sie eine größere finanzielle Sicherheit er-
wartet. Zu ihnen gehören z.B. Gilles Dansou, Jean-Paul Ibikounle, Clémentine Lokonon, Hermine Akponna, Hermann („Mano“) Kpokame, Silvère Savi, Angela da Matha oder Expédit Ologoun.
Ologoun begann ebenfalls im collège, bei Veranstaltungen zu moderieren.
Später studierte er Recht in Abomey-Calavi sowie in Lyon. Er begann seine Laufbahn beim ORTB zunächst als Praktikant, später als Journalist der Nachrichtenredaktion, und wurde schließlich Moderator von Diskussionsendun-
gen. Seine kritische, werktägliche Morgensendung bonjour citoyen wurde auf Druck der Regierung aber abgesetzt (Interview Abomey-Calavi, März 2011).
Im Gegensatz zur zweiten Generation der Medienprofessionellen sind diese
Staatsangestellten können sie aber auch außerhalb der Staatsmedien z.B. als Gutachter oder Moderatoren arbeiten. Sie sind einer größeren Konkurrenz durch die Privatsender ausgesetzt, haben aber mitunter die Option, den ORTB
für eine Führungsposition in diesen zu verlassen. Andere Medienmitarbeiter
verbleiben aber als débrouillards (‚die sich durchschlagen‘) quasi im Status des ständigen Praktikanten und versuchen, weiter Erfahrungen zu sammeln, um im Medien-Feld voranzukommen.
Kontrastreiche Beispiele: Stéphanie Montcho, 27, ist Gastgeberin der er-
folgreichen call-in-Show blessure du coeur auf Océan FM. Oft trifft sie Zuhörer
außerhalb der Sendungen, um in privaten Problemen zu vermitteln. Darüber hinaus ist sie Moderatorin für verschiedene Tagesprogramme, präsentiert auf Vertragsbasis als Quiz-Shows für den privaten TV-Sender Canal 3 sowie das Business-Magazin Espace 12h, das im staatlichen Sender ORTB läuft und von der Werbefirma Acajou produziert wird, bei der sie mitarbeitet. Zudem gestaltet sie gelegentlich Werbespots. Stephanie ist unter den jüngeren Zuhörern
im Cotonou-Bereich aufgrund ihres charmanten Stils bekannt und wird oft für private Partys eingeladen (Cotonou, März 2010).
der mit gekühlten Lebensmittelimporten vermögend wurde. Für seinen Sender in Sèmè-Kpodji, an der Grenze zu Nigeria, der auch Teile Cotonous abdeckt, konnte er erfahrene Mitarbeiter anderer Stationen rekrutieren, wie Benjamin Nahum, vormals Golfe FM (Chefredakteur), Donklam Abalo (Direktor) und Georges Syviston (Cheftechniker), beide vormals Radio Tokpa, oder Virgile Ahouansé, zuvor Océan FM (Journalist). Der Sender stellt sich über eine Facebook-Seite dar, die vor allem von politischen Diskussionssendungen berichtet.
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Alassane Marcos alias Prince Cool, 24, ist ein leidenschaftlicher Radiomoderator, der mit Radio Nanto FM während eines Schülerferienprogrames im
Jahre 2003 zu arbeiten begann. Nach dem Schulabschluss arbeitete er noch
intensiver mit, zunächst als ehrenamtlicher Mitarbeiter. Er präsentierte vor
allem Quiz- und Musik-Shows wie Nati Hip-Hop. Alassane war zeitweise mit seiner Situation sehr unzufrieden, aber wurde schließlich im März 2010 offi-
ziell als Sekretär eingestellt, mit einem kleinen Gehalt von etwa 60 Euro, arbeitet jedoch weiter als Radiomoderator (Natitingou, 2008-2013).
Aristide Balaro, 34, beendete das Gymnasium in Dassa und studierte danach Landwirtschaft an der Universität Abomey-Calavi. Danach absolvierte er ein Praktikum beim ORTB und arbeitete dann gleichzeitig im Jugend-Radio Ado
3 S sowie bei der Zeitung LE MATINAL. Er nahm an einer dreimonatigen Fortbildung einer kanadischen Partnerorganisation von Ado 3S teil und speziali-
sierte sich auf Radioproduktion und Dokumentarfilm. Heute arbeitet er gleichzeitig bei Ado 3S, moderiert dort eine Quiz-Show und ein Business-Magazin für junge Unternehmer, und hilft aber auch in der Ausbildung von Praktikan-
ten. Zudem ist er freier Dokumentarfilmer für Entwicklungsorganisationen. So berichtete er z. B. über die Arbeit einer NRO in der Landwirtschaft oder über den Erfolg handwerklicher Ausbildungs-Programme. Dabei arbeitet er eng mit
einem Freund zusammen, der ausgebildeter Kameramann ist. Von Zeit zu Zeit
gestaltet er ein Magazin für das ORTB Fernsehen. Schließlich produziert er auch Flugblätter, z.B. für eine private Business School in Cotonou, bei der er wiederum kostenlos eine Weiterbildung im IT-Bereich genießen kann. Er lebt
in Godomey, einer blühenden Handelsstadt nahe Cotonou, wo er eine Kneipe besitzt, die er auf einem geerbten Grundstück einrichten konnte (Cotonou, 2010-2013).
Neben den Technikern, die meist über eine Berufsausbildung verfügen, haben
viele Radiomitarbeiter Abitur, oder eine Fachschulausbildung oder gar ein
Hochschulstudium absolviert,151 oft aber in anderen Bereichen als dem Jour-
nalismus wie Jura, Geschichte oder Marketing. Erst nach und nach treten Mitarbeiter ins Berufsfeld, die eine formelle journalistische Ausbildung vorweisen
151 Bei Radio Nanto FM (Natitingou) haben 3 Mitarbeiter ein Universitätsstudium absolviert und 14 haben das Abitur (2013).
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können, das es diese in Benin bisher kaum gab, bzw. Absolventen dieser Kurse eher von staatlichen Medien absorbiert wurden.
Lange Zeit gab es in Benin keine wirkliche Ausbildungsstätte für Radio-
journalismus. Viele Radiomitarbeiter wurden deshalb zu Kursen ins Ausland
entsandt, z.B. im Falle des Radios an das von der Union for Radio and Television
Networks for Africa (URTNA) 1978 gegründete CIERRO (Centre Interafricain d'Etudes en Radio Rurale de Ouagadougou) in Burkina Faso. Hier stellt die kürzlich erfolgte Gründung der Radio-Fachschule Radio APM in Porto-Novo einen Fortschritt dar (Marks 2009). Sie wurde mit niederländischer Hilfe (über das Westafrika-Büro der EZ-Sektion von Radio Nederland) sowie in Zusammenar-
beit mit einem Trägerverein (Association pour la Promotion des Médias) gegründet. Mitglieder des Trägervereins sind meist erfahrene Journalisten oder Me-
dienfunktionäre wie Diogo Pelu und Philippe Hado, die oft auch lange im Staatsdienst oder in internationalen Organisationen tätig waren und die jün-
gere Generation fördern wollen. Die Radio École APM ist zugleich als lokaler FM-Sender ausgebaut, und arbeitet z.T. mit der im gleichen Gebäude behei-
mateten Tageszeitung ADJINAKOU zusammen. Dadurch bieten sich hier Möglichkeiten, praktische Kenntnisse zu vertiefen. Die Kursteilnehmer kommen
meist aus dem ganzen Land, oder absolvieren hier praktische Teile des Journalismus-Studienganges der Universität Abomey-Calavi.
Die private, gut ausgestattete Medienfachschule Institut supérieur des
métiers de l'audiovisuel (ISMA) in Cotonou-Fidjrossé offeriert, in Zusammenar-
beit mit Partnern für die praktische Ausbildung und einer Hochschule in Frankreich, seit 2006 einen umfassenden Studienbetrieb mit verschiedenen Spezialisierungen. Seit 2009 bietet auch die Verwaltungswissenschaftliche Fa-
kultät der Universität Abomey-Calavi einen besonderen Studiengang Journa-
lismus an, der vom erfahrenen Journalisten Christophe Diogo Pélu geleitet wird (zeitweise in Savalou angesiedelt). Bewerben können sich bereits aktive
Medienmitarbeiter. Schließlich kommt Ausbildungszentrum des ORTB Centre Africain de Formation Professionnelle en Journalisme hinzu. Das WANAD (in Benin unter dem Namen Centre Ouest-africain des médias et du développement), gegründet als überregionales Ausbildungszentrum in Westafrika, bietet eben-
falls Kurse an, wie auch das Maison des Médias in Zusammenarbeit mit der
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HAAC und internationalen Gebern.152 Eine private Bildungseinrichtung stellt
wiederum die École Supérieure de Formation en Journalisme et en Commu-
nication dar. Hier geht es um alle Medienbereiche und eine Verbindung von
Theorie und Praxis, die zudem zu einem anerkannten Abschluss als Journalist führt. Die Ausbildung ist sehr kostspielig. Ein Blick auf die aktuelle Liste der
gegenwärtig eingeschriebenen Studierenden zeigt, dass viele von ihnen bereits in verschiedenen Medien arbeiten, dabei auch an exponierter Stelle. Ein wichtiger Einstieg für viele heutige Radiomacher waren Förderprogramme,
bei denen Praktika in Medieneinrichtungen durch internationale Geber in Zusammenarbeit mit Sendern oder Zeitungsredaktionen unterstützt wurden.
Schließlich dient auch der inzwischen wieder reaktivierte Campussender
Radio Univers als gute Möglichkeit zur Gewinnung praktischer Erfahrungen.
Die Nachfrage ist groß, Radio Univers schreibt die Praktikums-Stellen aus und veranstaltete Auswahl-Tests. Wichtige Fortbildungseinrichtungen – meist aber
für bereits beruflich schon erfolgreiche Journalisten- stellen auch Spezialkurse
europäischer Medienakademien wie jene der Deutschen Welle, des Internationalen Instituts für Journalistik in Berlin, aber auch des dänischen Medien-
zentrums DANICOM (Danish Development Communication & Media Network) dar. Sie empfangen jeweils Presse- und Rundfunkjournalisten zu praktischen
(Aneignung von ICT-Kenntnissen, Webprogrammierung etc.) und TheorieKursen (z.B. zur Rolle der Medien im Demokratisierungsprozess).
Weiterbildungskurse werden auch vor Ort von Partnern der EZ, oder RFI,
der Deutschen Welle oder der West African Media Foundation organisiert, oft in
Zusammenarbeit mit Journalistenverbänden. In jüngerer Zeit werden in Benin so genannte Ausbildungskurse in situ, meist von der HAAC im Rahmen des fonds de l'état d'aide à la presse finanziert und von pensionierten Journalisten
durchgeführt. Sie erfolgen dezentral, d.h. direkt in der jeweiligen Radiostation. Der Ausbilder kommt zum Sender und leitet die Kursteilnehmer in prak-
tischen Übungen mit jeweils verfügbaren Ressourcen an. Weiterbildung auch
zu spezifischen rechtlichen und politischen Themen ist in allen Fällen ein wichtiges Element der Stärkung der Fähigkeiten von Radiojournalisten, bietet
152 Es werden auch regional Ausbildungsprogramme angeboten. Im November 2011 organisierte z.B. die UPMB ein sechsmonatiges Programm in Parakou. Die Einschreibgebühren waren jedoch hoch: 80.000 FCFA (122 €). Neben einer theoretischen Ausbildung konnte der praktische Teil in einer der Stationen Arzèkè, Maranatha oder Deeman abgeleistet werden.
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aber zudem auch Gelegenheit, in Austausch mit Berufskollegen zu treten, neue Medienformate und Produktionstechniken kennen zu lernen und Anregungen
für eigene Programme zu erhalten. Nicht alle Weiterbildungsseminare erscheinen dem äußeren Betrachter aber vom praktischen Standpunkt her als nüz-
lich. Oft sind es Informationsveranstaltungen im Frontalunterricht, mit vielen Vorträgen recht offiziellen Charakters. Mitunter nimmt der Stationsdirektor
teil, obwohl einer seiner Mitarbeiter als Spezialist für bestimmte Themen eher
gefragt wäre. Die Ausgabe von Tagegeldern (per diems) sorgt mitunter dafür, dass die Teilnahme unter den Mitarbeitern zu Eifersüchteleien führt. Generell
werden hier Radiomacher in allererster Linie als Multiplikatoren eingeladen, in der Hoffnung, dass diese die Ideen des Kurses in irgendeiner Form umsetzen
können. Die besseren dieser Kurse haben einen Werkstatt-Teil, bei dem die Teilnehmer – oft in Arbeitsgruppen – selbst Beiträge erarbeiten müssen.
Nicht immer verbleiben Radioprofessionelle dieser Generation im Medi-
ensektor, sondern arbeiten später für staatliche und nichtstaatliche Organisation, z.B. als Pressesprecher oder in PR- oder Medienagenturen. Einige Radio-
Journalisten gingen auch in die Kultur und Kunstszene (z.B. Francis Zossou, zunächst ORTB, dann Spielfilmregisseur). Andere wechselten vom Radio ins Fernsehen, wie Jasmin Ahossin-Guezo, Co-Moderator der Familien-Fernseh-
sendung weekend matin (Médias Productions/ORTB) und Dichter, der zuvor bei Radio Univers ein beliebter Moderator war.
Die renommiertesten Radiogestalter haben neue Sendeformate entwickelt
und ziehen viele Hörer, unabhängig von sozialer Stellung und Alter, an, wie z.B. Dah Houawé. Vor etwa zehn Jahren zogen viele Radiomoderatoren ihre
Inspiration von berühmten Moderatoren großer internationaler Sender wie
RFI oder Africa No. 1. Heute sind die Idole für die jüngeren Moderatoren hingegen eher nationale Stars wie Dah, Master T., Edwige Klutse, Ludovic Ainonkpo, Onsty Crazy oder Robert Fabiyi. Angehende Radiomoderatoren versu-
chen, ihre eigene Fangemeinde zu schaffen und Anerkennung zu erwerbeng.
Von ihrer neuen Subjektivität als Medien-Stars zeugen auch ihre Künstlernamen (vgl. Tabelle 2).
FÄHIGKEITEN, STRATEGIEN UND INNOVATIONEN IN DER TÄGLICHEN PRODUKTION VON RADIO-PROGRAMMEN
Auf der Grundlage meiner Felddaten können vier Faktoren, von denen der
Erfolg der jungen Radiomoderatoren in Benin abhängt, herausgestellt werden.
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Zuallererst kann die Arbeit in einem förderlichen Umfeld, d.h. in einem erfolgreichen Radiosender mit weniger strukturierten beruflichen Hierarchien,
mit Solidarität unter den Kollegen und einer Offenheit für Neulinge genannt
werden. „Wenn man als Praktikant anfängt, muss man natürlich den Weisungen des Chefredakteurs folgen. Aber wenn man auch Vorschläge machen
kann, interessante Aufgaben erhält, und die Kollegen einem helfen, dann lernt man sehr viel.“ (Ginette Adandé, Radio Océan FM, März 2011)
Zweitens benötigen sie sicherlich eine individuelle Kreativität sowie Fä-
higkeiten in der Entwicklung von erfolgreichen Genres und Stilen der Präsentation sowie der Beherrschung von Medientechnologien. Als dritter Aspekt
zählt eine große Sensibilität für aktuelle Themen, Meinungen und Bedürfnisse
der Zuhörer. Damit verbunden ist schließlich viertens die Pflege enger Beziehungen zu den Hörern und Kollegen auch jenseits des Sendebetriebs. Die wichtigsten Faktoren sind sicherlich ihre professionellen Fähigkeiten. Diese reichen von informellen Strategien der Reportage bis hin zu bestimmten rhe-
torischen Befähigungen. Einige Moderatoren sind z.B. besonders geschickt im Einsatz narrativer Genres wie Sprichwörter oder entwickeln einen persönli-
chen Stil, mit den Hörern zu plaudern. In der Tat bewerten Hörer Moderatoren nach ihren Fähigkeiten, in der richtigen Art zu sprechen, vor allem, wenn es
um einheimische Sprachen geht. Hier sind sie besonders gefordert, wenn es
um Diskussionen über Politik geht und sie dabei oft geeignete Neologismen finden müssen.
Die meisten Radio-Moderatoren pflegen in der Regel ein großes Netzwerk
von Freunden und Bekannten und nutzen diese Verbindungen, um ihre Radiosendungen mit relevanten Informationen, Musik und Gags anzureichern, o-
der wenn es um die Einladung interessanter Studiogäste geht. Der Erfolg von Radiosendungen hängt untrennbar mit dem Erfolg ihrer Gestalter zusammen. Der oben erwähnte Moderator Dah Houawé ist hier ein beredtes Beispiel: Ne-
ben seiner Sendung bei CAPP FM präsentiert er, zusammen mit seinem CoModerator Jo Holono, Sonntagmorgens auch die Sendung Oho auf Canal3, die
sich aktuellen Themen auf Fongbé widmet und oft seine Radio-Presseschau wiederholt. Er wird häufig als Veranstaltungsmoderator engagiert. Dah
Houawé steht zugleich für den Aufstieg von Radiomitarbeitern der neuen Generation nach 1997 in Benin. Dabei führte viele von ihnen die persönliche Leidenschaft für das Radio zum Metier.
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Benoit Noé arbeitet als Radiomoderator beim christlichen Sender Radio
Maranatha Parakou, wo er Anrufer- und Quizsendungen gestaltet. Nach sei-
nem Studium an der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Parakou
arbeitet er als Lehrbeauftragter. Vor allem an den Wochenenden präsentiert er seine Sendungen mit einem lebhaften Moderationsstil. Benoit begann seine
Radiolaufbahn zunächst als Hörer christlicher Radiosendungen. Als Mitglied
einer Pfingstkirche (Assemblée de Dieu) fühlte er sich von den Programmen
sehr angesprochen und hörte vor allem Gospel-Shows, als er sein erstes Ra-
diogerät von seinem Vater geschenkt bekam. Später absolvierte er ein Praktikum bei Maranatha, arbeitete als Gelegenheitsmoderator und übernahm
schließlich 2009 die Samstagabend-Musiksendung week end avec Jesus, als ein Kollege den Sender verließ. Besonders bei jungen christlichen Hörern ist er sehr beliebt (Feldnotizen, Parakou, Oktober 2010, März 2012).
Gerade „Quereinsteiger“ bekommen mitunter neue Berufschancen, wie z.B. der ehemalige Militär Toussaint Djaho, der heute Musikmoderator bei Radio
Tokpa und Slammer (Sergeant Markus) ist. Zentrales Kennzeichen der meisten nichtstaatlichen Radiosender in Benin ist also die Tatsache, dass hier zumeist sehr junge Leute arbeiten, die ursprünglich meist über keine spezifische Medien- bzw. journalistische Ausbildung verfügten. Viele von ihnen kamen über
Praktika in die Sender oder bewarben sich bei Ausschreibungen, wie Gilles Dansou (Radio Bénin):
„Ich habe das Abitur am Lycée Béhanzin in Porto-Novo abgelegt. Schon in der Abschlussklasse entwickelte ich eine Leidenschaft für den Journalismus. Ich folgte Vorbildern von Journalisten aus Fernsehen und Radio. Ich habe auch alle Zeitungen gelesen und als ich das Abitur hatte, wollte ich sofort ein Praktikum und begann hier im nationalen Radio. Das war im Jahr 1995. Mein damaliger Mentor (mon doyen) sagte mir, ‚Journalismus ist ein sehr wertvoller Beruf, da kommt man nicht wie in eine Mühle hinein. Du musst eine Ausbildung machen‘, so habe ich die Aufnahmeprüfung am Zentrum für das Studium der Technischen Wissenschaften und Informationen in Dakar (Senegal) absolviert, und bin angenommen worden. So habe ich dort meine dreijährige Ausbildung absolviert und mich auf Wirtschaftsjournalismus spezialisiert. Als ich damit fertig war, habe ich wiederum ein Praktikum bei einem Radiosender in Porto-Novo, Radio Afrique Espoir, absolviert. Das war im Jahre 2000. Aber die Bedingungen dort gefielen mir nicht, weil man sich nach den Nachrichtensendungen immer rechtfertigen musste, warum man diese oder jene Meldung gebracht hat. Also kündigte ich und ging. Zu dieser Zeit hat der ORTB
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eine Ausschreibung veröffentlicht, an der ich erfolgreich teilnahm. Seit 2001 bin ich hier, ich arbeite an der Gestaltung der Radio-Hauptnachrichten mit, und ab und zu auch im Fernsehen. Im Jahre 2004 wurde ich offiziell anerkannt, das heißt, dass mein Vertrag dann unterzeichnet wurde, wodurch ich als hauptamtlicher Journalist anerkannt wurde. Ich bilde mich in Kursen weiter. Ich bin ein Teil des Netzwerks der westafrikanischen Journalisten, die sich auf Fragen der biologischen Vielfalt (biodiversité) spezialisiert haben. Unser Hauptsitz ist in Bamako, aber haben wir Niederlassungen in Benin, Accra, Niamey und Abidjan. Vor kurzem wurde ich als Leiter der Kommunikationsabteilung eines Ministeriums ernannt, also übe ich beide Funktionen zugleich aus.“ (Gilles Dansou, Cotonou, 5.2.2010)
Manche der heutigen Medienprofessionellen wuchsen allmählich in den Beruf hinein, nachdem sie zunächst als Hilfskraft, Techniker, freier Mitarbeiter etc. tätig waren. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass es staatsunab-
hängige Sender erst seit Ende der neunziger Jahre gibt. Insofern kann man
gerade im Bereich der neuen Radiosender – teilweise in Analogie der schon früher gestarteten freien Presse in Benin – von einer neuen Generation von
Radioproduzenten sprechen. Einige jener, die dieser angehören, haben inzwischen bemerkenswerte Karrieren gemacht.
Der Moderator Stanislas Lanlozè arbeitete seit 2003 bei Radio Fraternité
in Parakou und kam kurz nach der Gründung des Senders zum Team. Bevor
er zu Fraternité kam, war er im Jugendsender Ado 3 S FM tätig. Er studierte anschließend englisch an der Universität Abomey-Calavi, ohne das Studium abzuschließen. Bei Ado FM erhielt er eine dreimonatige Weiterbildung. Dort
war bereits als Schüler vor allem in den Ferien aktiv, und agierte als Nachrichtensprecher. Er fiel dem Stationsdirektor in Parakou vor allem aufgrund
seiner Stimme auf, und so forderte dieser ihn auf, sich anlässlich einer Stel-
lenausschreibung zu bewerben, woraufhin er die Stelle Moderator in Parakou
bekam. Er wurde im Raum Parakou vor allem durch seine Ratgeber-Sendung
instant d’une vie bekannt, die er im Jahre 2004 übernahm (Parakou, März 2009). Im Jahre 2010 wechselte er zum TV-Sender Canal3, Außenstelle Niamey.
Über mehr Vorerfahrungen verfügen manche Stationsdirektoren, wie z.B.
Césaire Agossa, die zuvor in der einen Art und Weise journalistisch – meist im Pressewesen – tätig waren (in diesem Falle u.a. bei der ersten freien Stu-
dentenzeitung LE HÉRAUT, vgl. Fußnote 148). Agossa wurde 1965 geboren.
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Er ist verheiratet und Vater von 5 Kindern. Ursprünglich Jurist absolvierte er später eine medienwissenschaftliche Ausbildung in Montréal, Canada und der
Verwaltungsfachschule École Nationale d’Administration (ENA) in Bénin. Agossa begann – wie andere aus seiner Generation – zunächst in der Studen-
tenzeitung der Universität LE HÉRAUT und im Campus-Sender Radio Univers. Später arbeitete er in der Tageszeitung LE PÉLICAN und wurde dann später
Mitbegründer der Zeitung LA RÉGION. Anschließend bekam er eine Anstellung beim nationalen Radio. Als der Sender Radio Carrefour in Bohicon ge-
gründet wurde, konnte er dort als neuer Programmdirektor einsteigen.
Schließlich gründete Agossa 2003 sein eigenes Radioprojekt Radio Trait
d’Union Gbédokpo, ebenfalls in Bohicon, dem er als Direktor vorsteht. Mitte 2009 wurde er zugleich als Pressesprecher für ein Programm des Umweltministeriums eingestellt (Bohicon, November 2009).
Die meisten Radiomitarbeiter dieser gegenwärtigen Generation sind in tech-
nischer Hinsicht vielseitig einsetzbar. In den meisten Sendern wird, im Gegensatz zu staatlichen Sendern, die mit einer Vielzahl spezialisierter Mitarbeiter
arbeiten, auf eine Polyvalenz der Mitarbeiter geachtet. Diese neue Generation von Medienakteuren schließt jene der angestellten und freischaffenden Jour-
nalisten mit ein. Diese haben zwar nicht immer eine klassische Medienausbildung durchlaufen, entwickeln, aber in kreativer Art und Weise neue Formate,
sind oft in verschiedenen Medien aktiv und unterhalten enge Beziehungen zu Hörern, Zuschauern oder Lesern. Die Mehrzahl der Radiomacher teilte mir mit, dass sie die Tätigkeit vor allem aus Spaß, nicht wegen des Geldes ausü-
ben. Dabei ist ihre öffentliche Anerkennung nicht unwichtig. „Radiosendun-
gen machen Spaß, und es macht mir Spaß, anderen Infos und Freude zu brin-
gen. Die Leute kennen Dich, und schätzen, was du machst.“ (A.Marcos, Natitingou, März 2008)
Allerdings ist die Selbstwahrnehmung abhängig von der Art der Sendun-
gen, die sie gestalten, ihrer Funktion im Sender und ihren Aktivitäten auch außerhalb des Radios. So sehen sich viele Moderatoren, vor allem jene, die
selbst auch in Theatergruppen oder als Musiker tätig waren oder sind, eher als Pop-Künstler im DJ-Stil. Demgegenüber sehen sich jene, die z.B. politische
Sendungen gestalten, vor allem als Journalisten. Die Mitarbeiter-Fluktuation
ist in manchen Sender aber recht hoch, vor allem jenen, die mit vielen gering bezahlten Freiwilligen arbeiten. Aufgrund beruflicher Zwänge verlassen dann
etliche Mitarbeiter den Sender, vor allem dann, wenn sie keinen Status als
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permanente Angestellte mit regelmäßigem Lohn erhalten (vgl. Abschnitt II,2 zu Gemeinde-Radiosendern).
Valentin Kwagou war lange Zeit Chefredakteur des Senders Radio Nanto
FM in Natitingou. Er wurde 1978 geboren, ist in Natitingou aufgewachsen
und hat auch hier das Abitur abgelegt. Nach seinem Studium der Philosophie und Geschichte wurde er in Natitingou als Lehrer für Philosophie am CED I
eingestellt. Im Sender Nanto FM war seit den Anfängen 2003 als Teilzeitmitarbeiter tätig. Er übernahm eine ganze Reihe von Sendungen, u.a. Nachrich-
tenproduktion, politische Diskussionssendungen sowie die Ratgebersendung supplice du coeur. Die Anstellung als Lehrer sicherte ihn einerseits ab, anderer-
seits hatte er auch wenig Interesse, auf eine gering entlohnte, unsichere feste Stelle im Sender zu wechseln. Im Zuge der Verringerung der Mitarbeiterzahl
schied er Mitte 2008 aus dem Sender aus, nachdem auch keine Prämien mehr
gezahlt wurden. Allerdings besteht Hoffnung, dass er beim geplanten Sender Radio Atacora – hier gar als Stationsdirektor – mit mehr Vollmachten und besserer Bezahlung einsteigen könne. Allerdings ist fraglich, ob er dann seinen Posten als Lehrer behalten kann (Natitingou, März 2008).
Norbert Tossou kam als Abiturient 2004 zum Sender Nanto FM, und über-
nahm viele Reportagen, Magazine und Anrufersendungen. Da er aber die Anstellung im Sender nicht als sehr gewinnbringend ansah, nahm er erfolgreich
an einer Ausschreibung für neue Staatsbeamte teil. Er hat seinen Militärdienst ableisten müssen und ist heute als Angestellter im einfachen Verwaltungsdienst in einer regionalen Finanzbehörde tätig (Natitingou, März 2009).
Die Lust am Radiomachen bleibt bestehen, führt dann aber dazu, dass viele
Mitarbeiter dieser Kategorie nur noch eine Sendung betreuen oder nur punktuell mitarbeiten. Viele Radiomitarbeiter kamen zum Beruf über ihre eigene
Leidenschaft für das Medium, starteten also zunächst eine Hörerkarriere, bevor sie allmählich zum Radiomitarbeiter wurden.
Jean Aguégé ist z.B. heute einer der wichtigsten Mitarbeiter des Senders
Maranatha. Er arbeitet hier sowohl als Moderator als auch Journalist und Re-
porter. Er gestaltet Gospel-Shows, Quizshows und ist als wichtigster Reporter
unterwegs, erarbeitet und spricht zumeist die 19 Uhr Nachrichten. Er selbst fing als leidenschaftlicher Hörer christlicher Sendungen an, und gestaltete schon in der Oberschule Quizspiele. Schließlich begann er bei Maranatha als
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Praktikant, übernahm aber alsbald jene Sendungen, die er bis heute moderiert. Er ist zugleich in der Öffentlichkeitsabteilung eines Ministeriums tätig (März 2010, Cotonou).
Generell kommen aber viele der neuen Radiomacher aus den ver-
schiedensten Bereichen und verfolgen oft Karrieren quer über die verschiede-
nen Medien in Benin. Stanislas Hounkanlin war z.B. vier Jahre lang Redac-
teur en chef des Senders Royal FM, einem Privatsender in Abomey. Derzeit ist er Responsable de la Cellule de communication de l'ANCB (Association Nationale
des Communes du Benin). Gleichzeitig arbeitet er als Sécretaire de Rédaction der englischsprachigen Tageszeitung THE CONQUERER und Korrespondent des französischsprachigen Magazins ALBI MAG (Cotonou, Oktober 2010).
Ein Merkmal der meisten Radioakteure ist die große Bedeutung von beruflichen Nebenaktivitäten, sei es, um die Einnahmen etwas aufzubessern, oder zusätzliche Erfahrungen zu gewinnen und berufliche Alternativen zu bewah-
ren. Viele Moderatoren arbeiten beispielsweise als Moderatoren (MC) bei öf-
fentlichen oder privaten Veranstaltungen. Hinzu kommen oft Aktivitäten als Pressesprecher/in oder Verantwortliche/r für Public Relations öffentlicher In-
stitutionen oder NRO. Die meisten Techniker führen eine kleine Werkstatt oder stellen Veranstaltungstechnik bereit. Andere Radiomitarbeiter sind als Journalisten für verschiedene Medien tätig.
Wilfrid Ahouassou ist stellvertretender Chefredakteur bei Radio CAPP
FM. Er zählt inzwischen zu den bekanntesten und anerkanntesten Radiojournalisten in Benin. Er ist vor allem für die Gestaltung der werktäglichen Hauptnachrichten – Sendung einschließlich vieler Beiträge verantwortlich. Darüber
hinaus moderiert er politische Diskussionssendungen. Schließlich produziert
er – wie andere im Sender auch – Werbebeiträge. Im Dezember 2008 wurde
er für eine Sendung im entwicklungspolitischen Bereich (Förderung des An-
baus von Hackfrüchten) ausgezeichnet. Ahouassou begann bei CAPP FM als Praktikant und war u.a. auch im Sender IC tätig. Er ist neben dem Stationsdi-
rektor und den Moderatoren Dah Houawé, Flore, Robert, Lucien, Thomas und Rosymoh sicher einer der Aushängeschilder des Senders. Es bleibt abzuwar-
ten, ob er dem Sender auf lange Sicht treu bleiben wird, vor allem, wenn er nach Abschluss eines berufsbegleitenden Studiums bald über neue Optionen verfügt (Cotonou, November 2008-März 2012).
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Thomas Hemadjé ist zum einen Sprecher der Nachrichtensendungen auf
Gungbé, zum anderen moderiert er die Sentimental-Ratgebersendung in dieser Sprache, die meist dienstags 11.30 läuft. Schließlich ist einer seiner wich-
tigsten Sendungen eine Anrufer-Sendung zu aktuellen Ereignisse in der Stadt,
eine grogne-Sendung auf Gungbé (zum Format der grogne-Sendungen siehe un-
ten). Weiterhin gestaltet er ein themenzentriertes Informations-Magazin (etèhoutou, warum das?), launige Spielshows153 sowie eine Sendung mit unge-
wöhnlichen Meldungen (wassèho,‘kommt und hört, was los ist‘) z.B. über Morde aus Eifersucht etc. jeweils auf Gungbé. Er führt auch selbst Reportagen durch, die dann als Teil der Nachrichten gesendet werden oder in eben dieser Grogne-Sendung eingespielt werden.
Thomas lebte lange Zeit in Frankreich und war dort Angestellter einer
Mairie in einem Ort nördlich von Paris. Nach seiner Rückkehr erwarb er viele Grundstücke und Häuser, die ihm aufgrund der Einnahmen aus Vermietung
und Verpachtung heute ein recht sorgenfreies Leben sichern. Die Arbeit im Radio stellt deshalb keine zentrale Erwerbsquelle, sondern eher eine Leiden-
schaft für ihn dar. Er hat eine treue Hörergemeinde, unter ihnen viele Frauen, wird ständig zu Besuchen und Reportagen eingeladen und über wichtige Ereignisse immer schnell informiert (Cotonou, November 2008-März 2013).
Flore Gnimassou moderiert vornehmlich Sendungen auf Fongbé und ist neben Märchensendungen (vgl. Abschnitt III,1) für frauenpolitischen Themen
zuständig. Sie wohnt im Stadtviertel Zongo, nahe der Hall des Arts. Sie hat zwei Kinder. Ihr Sohn und ihre Tochter besuchen ein collège. Ihr Mann ist Staatsangestellter. Sie war einige Zeit als Fahrerin tätig und erwarb dann ein
Diplome d‘assistante sociale. Sie war einige Zeit als Sozialarbeiterin tätig, aber der Verdienst war einfach zu gering. Sie ist vor allem aufgrund ihrer Offenheit
auch für Probleme der Hörer bekannt (Cotonou, Dezember 2008-März 2011).
153 Ein Auszug aus einer seiner typischen Plauder-Sendungen: Thomas: „Hallo, wer ruft dort an?“ „Madame B.“ „Ah, Madame B., welch schöne Stimme! Geht es Ihnen gut?“ „Hallo? Ja, es geht mir gut. Thomas, du bist nett, ich möchte, dass du mich heiratest!“ Thomas: „Oh! Ich möchte dich auch heiraten! Aber was machen dann alle anderen weiblichen Hörerinnen...?“ (CAPP FM, Sendung 16. 10.2010; 11 Uhr, sinngemässe Übersetzung aus dem Gungbé mit Thomas)
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Inzwischen präsentieren viele der jungen Radiomacher die Nachrichten, organisieren politische Debatten, moderieren Anrufersendungen und produzieren
Reportagen. Einige sind inzwischen ziemlich berühmt, wie Dah Houawé, oder
wurden inzwischen sogar Direktoren lokaler Radiosender, wie Kassim Zato
(Bèmbèrèkè), Aboubakari Gomina (Bassila) oder Hilaire N’Da (Kouandé), oder gründeten eigene kleinere Medienfirmen. Einige von ihnen verbinden in ihrer kreativen Medienproduktion Kenntnisse vom Theater und Drehbuchschreiben mit jenen des Radios oder der Fernsehproduktion.
Robert Fabiyi, 35 (alias Aloba Dur), arbeitet als Techniker und Moderator
bei Radio CAPP FM. Zusätzlich zu seinen täglichen Aufgaben als Radiomode-
rator ist er verantwortlich für die wöchentliche Show stars promo, die junge
Künstler den Hörern präsentiert. Darüber hinaus ist er Schauspieler, vor allem in komischen Rollen, sowie Direktor einer Laientheatergruppe, Les Mousquetaires, für die er auch erfolgreiche DVDs produziert. Er schreibt meist selbst
die Drehbücher, führt Regie, und übernimmt eine der Hauptrollen. Die
Gruppe zeigt meist Comedy-Stücke rund um die Abenteuer von Aloba-Dur,
von Robert selbst gespielt, ein sich schlau wähnender junger Händler, der aber
oft von seinen Aktionen selbst überrollt wird. Im Film „Le Messager“ ging es um die Beerdigung eines Familienmitglieds, die im Heimatdorf stattfinden sollte. Aloba-Dur wurde mit der Organisation der Zeremonien betraut, veruntreute aber die dafür erforderlichen Mittel. Daraufhin zögerte er, die Nach-
richt des Todes überhaupt zu überbringen. Schließlich drohten die beauftragten Helfer, die Zeremonie aufgrund ausbleibender Zahlungen abzubrechen. Sein Rollenname Aloba-Dur ist zugleich sein Spitzname im Sender.
Robert berichtet, dass es nicht immer leicht, eine solche Produktion zu
gestalten. Nur wenn vorherige Umsatzzahlen ausreichend Deckung der Kosten (eine DVD wird für ca. 2.000 FCFA, 3 Euro verkauft) kann ein neues Projekt
gestartet werden. Er kooperiert mit der Produktionsfirma TERRACTICUM, die von einem Freund von ihm gehört. Er arbeitet auch als MC im gesamten süd-
lichen Benin, und wird auch häufig zu Feiern eingeladen, wie z.B. zu einer Hochzeitsfeier mitten in Cotonou am 4.3.2012. Robert spielt auch in verschie-
denen Werbeclips mit, darunter für die Biermarke VAN PUR (Cotonou, November Dezember 2008-März 2012).
Im Radiobereich arbeiten weitaus weniger Frauen als Männer. Radio Tokpa ist hier eine große Ausnahme mit seinen zahlreichen weiblichen Mitarbeiterinnen wie Sèna Léa Glago, Afoussath Yaya, Ganiath Bello in der Redaktion
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und mehreren Frauen als Moderatorinnen und Technikerinnen. Vor allem im Norden Benins sind Mitarbeiterinnen in den Redaktionen rar. Die ehemalige Programmchefin des Senders Nanto FM, Germaine N'Tcha, sowie Aurore Saizonou (Alléluia FM) zählen zu den wenigen Frauen, die in Radiostationen auch Führungspositionen besetzen konnten.
Juliette Dassagaté war seit 2004 animatrice für Waaba im Sender Nanto
FM, nachdem der Lehrer Louis, der zuvor dafür verantwortlich war, versetzt
wurde. Sie wechselte sich mit Gabriel Faradito in der Gestaltung der Abendnachrichten ab, und moderierte zudem auch Diskussionssendungen zu ent-
wicklungspolitischen Themen. Sie arbeitete ohne Bezahlung, nur gegen kleine Aufwandsentschädigungen, war aber hauptamtlich Angestellte in einer Staatsbehörde. Ihr Hauptberuf ließ sich nicht mehr mit der Radioarbeit verbinden,
sodass sie 2009 den Sender verließ. Ihre Stelle nahm als festangestellte Mitarbeiterin später die frischgebackene junge Abiturientin Geneviève Tissièma
ein, die auch Sendungen zu Kinderrechten betreut (Heberer 2014). Sie ist Nateni-Sprecherin, sodass die Meldungen auf Waama hauptsächlich der Redakteur Remy Yokossi übernimmt (März 2013).
Eine Position als Radioproduzent besonders in einer der unabhängigen Ein-
richtungen ist, wie erwähnt, allgemein nicht sehr lukrativ. Die Gehälter sind
niedrig. Die Arbeitsbedingungen, besonders hinsichtlich möglicher Aufwands-
entschädigungen für die Produktion von Reportagen schlecht.154 Folglich haben viele der Techniker oder Journalisten Nebenjobs, entweder als MCs bei
privaten oder öffentlichen Ereignissen, als Schauspieler in der Werbung,
schreiben für Zeitungen oder arbeiten als PR-Berater für kleinere Organisationen ohne eine eigene PR-Abteilung. Einige von ihnen organisieren ihre Zeit
zwischen zwei Jobs, z.B. als Lehrer und Radiomitarbeiter. Nicht wenige Radiomoderatoren wurden inzwischen Musik-Produzenten. Techniker führen häu-
fig auch eine Werkstatt zuhause oder stellen die ton- und lichttechnische Ausstattung für private Feiern oder öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung.
Diese Aktivitäten erzeugen ermüdende Tagesabläufe, halten die Radiomitar-
beiter meist aber in engen Kontakt zu verschiedenen potenziellen Zuhörern, so dass sie ein Gefühl für deren Interessen und Vorlieben gewinnen.
154 Die Verdienste liegen für normale Radiomitarbeiter in Benin z.B. zwischen 70 und 150 Euro im Monat.
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Die individuellen Wege ins mediale Feld verlaufen verschiedenartig. Die-
jenigen aber, die neue Radio-Genres schaffen, die viele Zuhörer unabhängig
von deren sozialer Position und ihrem Alter anziehen, genießen oft ein großes Renommee. Vor ungefähr zehn Jahren orientierten sich viele aufstrebende
Radiomoderatoren noch eher an berühmten Moderatoren internationaler Sen-
der wie RFI oder Africa No 1. Heute sind Radiostars aus Benin wie Anny Sinclair (s. unten) selbst Idole für jüngere Moderatoren des Landes. Die meisten Radiomoderatoren versuchen, sich einen großen eigenen Fankreis zu schaf-
fen, und unterhalten auch deshalb ein großes Netz von Freunden und Bekannten, um ihre Shows durch relevante Informationen oder passende Interviews zu bereichern.
Anselme Kpaténon, „Anny Sinclair“, ist seit 10 Jahren einer der Star-Mo-
deratoren des privaten Senders Radio Planète in Cotonou und Vorbild für viele
jüngere Radio-DJs. In seiner Samstagabendsendung muzic fever bietet er ein breites Musikspektrum an, stellt Neuigkeiten ebenso vor wie ältere Titel im
Salsa- oder Merengue-Stil. Er arbeitet mit zwei Computern. Auf dem einen
stellt er die Playlists zusammen und fährt die Musik über die Sendesoftware ab. Den anderen nutzt er, um Jingles und Werbespots einzuspielen. Anselme
lässt in seine Moderation profunde Kenntnisse der internationalen afrikani-
schen Musikszene einfließen. Anselme informiert sich regelmäßig über Neu-
erscheinungen und Trends, ist aber auch über den Musikerklatsch vor allem aus dem frankophonen Bereich Westafrikas auf dem Laufenden. Dafür konsul-
tiert er regelmäßig Webseiten, vor allem aus der Côte d‘Ivoire und Frankreich,
auch während der Sendung. Zudem nutzt er ein großes Netz an korrespondierenden Bekannten und Freunden, u. a. auch Musiker in Benin und dem Ausland, die ihn mit Informationen versorgen.
Seine zweite große Sendung ist die erfolgreiche morgendliche Informati-
onssendung Planète Emplois mit Arbeitsangeboten aller Art (vgl. Abschnitt IV,4). Schon vor der Sendung trifft er sich mit Kurieren der Arbeitgeber, die
für diese Annoncen wenig zahlen müssen. Aber auch Arbeitssuchende kommen zum Sender, um frühzeitig Telefonnummern potentieller Arbeitgeber zu erfahren. Anselme sieht sich selbst als Mischung aus Musikjournalist und DJ
mit eigenen künstlerischen Ambitionen. Anselme arbeitet neben seiner Tätigkeit als Radiomoderator auch als DJ, Theaterschauspieler, Sänger, viel ge-
buchter Conférencier sowie als Werbeträger. Er nahm mehrere MusikvideoClips auf. Zusammen mit seiner Frau bewirtschaftet er auch ein kleines Res-
taurant im Viertel Gbegamey. Nicht ohne Eitelkeit erzählt er, dass es mitunter
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vorkam, dass weibliche Hörerinnen ihn um ein Rendezvous baten. Er wäre
aber nicht der Typ, dem nachzugehen… Inzwischen verdient er gut und fährt ein Auto (Cotonou, November 2008-März 2014).
Abbildung 3: Werbeflyer der Sendungen von Anselme Kpaténon, Radio Planète (2011)
Moderatoren wie Dah Houawé, Anselme Kpaténon oder Edwige Klutse155 haben (vor allem im Süden Benins) einen Star-Status. Wann auch immer sie an
öffentlichen Orten, auf Konzerten oder in Diskotheken erscheinen, werden sie lautstark begrüßt und zu Speis und Trank eingeladen. Dieser zunehmende Celebrity-Status von Medienproduzenten, der in ähnlicher Weise nur Politikern,
Musikern und Filmstars zugewiesen wurde,156 ist ein charakteristisches Merkmal neuer afrikanischer Medienkulturen seit Ende der 1990er Jahre.
Viele heutige Starmoderatoren begannen ihre Medienkarriere als passio-
nierte Radiohörer, kamen dann allmählich mit dem Bereich der Radioproduktion in Berührung; durch Anrufe, Musikwünsche und Grüße, die Teilnahme
155 Edwige präsentiert mit Julien Akodjénou („le parrain“) als „duco choc“ die SamstagNacht-Show carrefour de la Fiesta auf Radio Tokpa, bei der sie oft mitsingt und Anrufer zum Mitsingen animiert. Sie schwatzt mit den Hörern, die meist Grüße auf Französisch und Fongbé übermitteln. 156 Dies gilt zunehmend auch für Medienpastoren in Benin (vgl. Abschnitt II,3; Grätz 2011b).
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an Quiz-Shows oder speziellen Ferienprogrammen für Schüler und Studenten. Viele von ihnen wurden schon über ein Schul- bzw. Campusradio sowie als Moderatoren von Musikwettbewerben mit dem Arbeitsfeld vertraut. Später stiegen sie über Praktika bei einem Sender ein, um allmählich ihre Fähigkei-
ten zu erweitern und dann in eine dauerhaftere Position in der jeweiligen Station hineinzuwachsen.
In den Interviews stellten fast alle Techniker, Moderatoren oder Redak-
teure ihre Arbeit im Bereich der Medien als eine Art Selbstverwirklichung oder gar Berufung dar, um persönliche Fähigkeiten in idealer Art und Weise
mit interessanten Tätigkeiten zu verbinden. Allerdings streben die meisten
von ihnen aufgrund der angesprochenen Einkommenssituation nicht unbe-
dingt danach, dauerhaft allein als Berufsjournalist oder Techniker zu arbeiten. Viele von ihnen wechseln später tatsächlich in die Staatsverwaltung oder
nehmen lukrativere Stellen als PR-Berater oder hauptamtliche Pressesprecher
an. Die Arbeit in Radiostationen kann für sie aber als ein wichtiges Moment
im Leben gelten, das mit dem Gewinn von Erfahrungen und beruflichen Beziehungen einhergeht. Für manche von ihnen stellt dies eine Erfüllung von Kindheitsträumen dar (vgl. Abschnitt IV,2); für andere aber vor allem einen
Schritt vorwärts in ihrer Karriere, die sie auch in andere Felder wie die Musikoder Videoproduktion oder den kulturellen Austausch führen kann.
Abbildung 4: Moderator Marcos, Nanto FM, Natitingou (Februar 2009)
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TECHNIKER, MODERATOREN UND BUCHHALTER Biffè Ikro Hyacinthe ist Techniker bei Nanto FM in Natitingou. Da die Be-
zahlung ihm nicht ausreicht, arbeitet er – wie sein Kollege Tanko – noch nebenbei in seinem privaten Atelier als Radio- und Fernsehmechaniker. Dieses läuft ganz gut, weil er von seinem Prestige als Radiotechniker, der auch kleine Moderationen übernimmt, profitiert. Biffè hat sich auch auf die Installation von sehr nachgefragten Satellitenanlagen spezialisiert, um seine Einnahmen
zu verbessern. Biffè wechselt sich mit Tanko Kuntori, der vier Tage in der Woche eingesetzt wird, in der Stationsarbeit ab. Diese besteht im Wesentlichen aus dem Hochfahren und Ausschalten des Senders, dem Abspielen vor-
bereiteter Sendungen und Musiklisten, der Studioregie bei Livesendungen so-
wie der Anmoderation bestimmter Aufzeichnungen sowie jener LiveSendungen, bei denen es (noch) keine Erkennungsjingle gibt.
Biffè moderiert selbst auch Gruß-Sendungen und eine Musiksendung, die
Künstler der Region vorstellt (musique et découverte de l’artiste), und tritt auch selbst in einem Musikvideo auf. Hinzu kommen technische Reparaturen und
Wartungen im Sender. Biffè ist stolz, ein Techniker des Senders Nanto FM zu
sein. Sein hohes Ansehen bei den Hörern zeigte sich, als ich mit ihm durch sein Viertel Sotchirantikou lief (März 2009). Wir besuchten mehrere buvettes,
wo er immer freudig begrüßt wurde, und gingen dann zu ihm nach Haus, wo er seine Satelliten-Anlage präsentierte. Er plauderte über Technik, und berichtet von Pannen und ihren Lösungen. Er verweist aber auf die Schattenseiten
der Arbeit, vor allem die geringe Bezahlung. Biffè hat daher große Pläne. Er will seine Werkstatt ausbauen und ein audiovisuelles Produktionsstudio ein-
richten. Dazu hat er einen detaillierten plan d‘affaires entworfen, den er den
entsprechenden Gremien des Kleinkredit-Programmes (programme de microfinance) zur Förderung von Kleinunternehmer vorlegen will, um einen günstigen Kredit zu bekommen (Natitingou, 2008-2013).
Aristide Ossèrmè wiederum erwarb ein Diplôme d'électricien du bâtiment, das er im Centre Don Bosco in Parakou erworben hat. Derzeit betreibt er eine eigene kleine Werkstatt, ist aber vor allem als Tontechniker bei öffentlichen Veranstaltungen im Raum Natitingou aktiv, vor allem für das katholische
Centre St. Paul. Auch bei Pilgerveranstaltungen, mit vielen auswärtigen Teilnehmern, stellt Aristide oft die Tontechnik (sonorisation) sicher. Zudem wird er hier oft für Reparaturen aller Art gerufen. Im Radio Nanto ist er seit einigen
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Jahren als bénévole tätig und übernimmt an manchen Tagen die Sendetechnik. Er hofft, im neuen katholischen Radio Atacora eine feste Stelle als Techniker
erhalten können. Er arbeitet bis dahin aber im Radio Natitingou mit (11.3.2009).
Lafia Abdoumounirou arbeitet als Sekretär in der Marketing und Öffentlichkeits-Abteilung des Senders Radio Suuti Deera in Nikki. Lafia ist behindert,
und bewegt sich mit Krücken, die aber seine Mobilität nur zu einem geringen Teil einschränken. Allerdings hat er sich aus diesem Grund schon früh für eher
handwerklich passende Tätigkeiten interessiert und wurde nach der Grund-
schule diplomierter Schneider. Er hat sich auf broderie spezialisiert, d.h. die Herstellung von Zierkragen und -rändern für Stoffe im einheimischen Kleidungsstil. Die Arbeit machte ihm Spaß, er spürte aber, dass diese ihn nicht
ganz ausfüllte. Im Jahre 1999 nahm er an einer Ausschreibung des Senders
teil, der Mitarbeiter suchte. Seitdem arbeitet er im Sender als Sekretär. Sein Schneider-Atelier führt er seitdem nebenbei weiter, in Momenten geringerem Publikumsverkehr sieht man ihn im Büro mit Näharbeiten befasst.
Lafia nahm an einer Weiterbildung des Peace Corps in Betriebsführung teil,
die ihm in der täglichen Arbeit zugutekommt. Er bearbeitet alle wichtigen Anzeigen, die dann die Moderatoren verlesen und nimmt die entsprechende
Bezahlung entgegen. Von Zeit zu Zeit wird er auch als Sprecher (Baatonum)
eingesetzt, wenn es viele Anzeigen und Werbung gibt, die der nominelle Sprecher nicht allein bewältigen kann. Seine Lieblingssendung ist jene über Geschichte und Kultur des Königreiches von Nikki (Nikki, März 2008).
Auch in Benin nutzen viele Radiomitarbeiter, vor allem die Moderatoren, Künstler bzw. Alias-Namen (Tabelle 2). Mitunter werden diese Namen von Moderatoren nur im Zusammenhang mit bestimmten Sendungen verwendet,
z.B. für die oft lockere Präsentation der Samstagabend-Musikshows, der Tagesbegleitmoderationen oder Comedy-Sendungen. Bei eher redaktionellen bzw. Informationssendungen seriöser Art wird meist der Klarname verwendet.
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Künstlername
Bürgerl. Name
Sender
Position
Onsty Crazy
Leonce Mensah
Fraternité FM
Moderator, Musik
La tigresse des ondes
Rachidatou Yes-
CAPP FM
Tagesbegleitmodera-
soufou L’homme du coeur
Hyacinthe Ikro
tion Nanto FM
Biffè Tonton Ro
Robert Tiando
Techniker, Tagesbegleitmoderation
RRL Tanguiéta
Chefredakteur, Moderator
Le Parrain
Julien Akod-
Radio Hémicycle
Moderator, Techniker
jénou Spice
Raissa Gbédji
RFI
Moderatorin
Chevalier des ondes
Omar Blimpo
RRL Tanguiéta
Moderator
Master T.
Thierry Sossou,
Océan FM
Moderator
Digital Plus
Tanko Kuntori
Nanto FM
Techniker
Le beau gosse
Djibril Yessoufou
RSFM Djougou
Chefredakteur, Moderator
La sagesse
Noureddine
Solidarité FM
Moderator, Quiz
Prince Cool
Sylvain Marcos
Nanto FM
Tagesbegleitmodera-
Djougou
tion, Musik
Tabelle 2: Künstlernamen von Radiomitarbeitern in Benin
Die Nutzung von selbst gewählten Künstlernamen durch Radiomitarbeiter in Benin orientiert sich an französischen und amerikanischen Vorbildern der Radio-Popkultur, verweist aber zugleich auf ihre individuellen Lebensstile. STATIONSGRÜNDER Jerôme Carlos, geboren 1944, ist einer der renommiertesten Journalisten Benins, zugleich Schriftsteller und Moderator. Er begann seine Laufbahn beim
staatlichen Pressedienst, studierte Geschichte und reüssierte zugleich als Poet und Sportler. Später wurde er Directeur des Musées, Bibliothèques et Ar-
chives Nationales. Während der Zeit des sozialistischen Regimes ging er ins
Ausland, arbeitete lange Zeit in diversen Presseorganen zunächst in der Côte
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d‘Ivoire und dann im Senegal, wo auch noch der größte Teil seiner Familie lebt, bevor er 1995 nach Benin zurückkehrte.
Schließlich gründete er hier die Trägerorganisation des Radios, CAPP, zu-
sammen mit Thomas Boya, einem Freund und ehemaligem Botschafter. Beide teilen sich auch die finanziellen Belastungen. Carlos bestimmt zu einem großen Teil die editorische Linie des Radios, und versucht, viele Werbeaufträge
zu akquirieren. Er begründet dies mit dem Wunsch nach finanzieller Unab-
hängigkeit, um das Radio der Einflussnahme politischer Akteure und ihrer Gelder zu entziehen.
Carlos macht – wie viele Moderatoren und Journalisten des Senders –
selbst auch Werbung, so im Jahre 2008 für die Biermarke Tuborg, für die er auf großflächigen Plakaten warb. Ebenso findet man sein Bild in Werbeanzei-
gen für die lokale Designermarke Nokoué, die mit afrikanischen Stilen und Stoffen arbeitet. Carlos ist neben seiner Arbeit für den Verein CAPP und den Sender CAPP FM publizistisch tätig.
Carlos meldet sich regelmäßig mit politischen Essays zu Wort, zuletzt mit
dem Buch Je veux le changement (2006) Zudem ist er als Gutachter u.a für die
Ebert-Stiftung tätig. Schließlich wird er auch oft als Redner bei Seminaren für Journalisten oder als Moderator von Pressekonferenzen und Diskussionsver-
anstaltungen eingeladen; so z.B. am 10.12.2008, als er die Vorstellung des Buches des kritischen Journalisten Willéandre Houngbédji unter dem Titel
Scandales sous Yayi Boni (2008) moderierte. So war er auch einer der Laudatoren bei der Preisverleihung der trophée de l‘excellence du Bénin (ORTB TV, 7.12.08, 20.00). Carlos gibt oft Interviews und spricht auf Fortbildungsveran-
staltungen für Journalisten. Sein werktäglicher, später am Tag wiederholt aus-
gestrahlter Kommentar (chronique) wird zugleich im Internet und später in gedruckter Form veröffentlicht (Cotonou, November 2008-März 2013).
Radio Star wiederum wird von Karl Djimadja geführt. Djimadja ist Eigner
des Musiklabels und -vertriebes Top Show Bizz. Die Firma hat zentrale Ver-
triebsbüros in Cotonou, eines davon im Stadtviertel Cadjéhoun am Boulevard du Canada. Die CDs und DVDs werden sowohl über spezialisiertere Läden als
auch über zahlreiche selbständige (Kleinst-)Händler verkauft. Djimadja ist ein erfahrener Medienproduzent und Musikpromoter. Er arbeitete lange Zeit im öffentlichen Sektor. Nach dem Besuch der Verwaltungsschule ENA, auf der er den Zweig Communication belegte, war er von 1986 bis 1992 als Kulturjour-
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nalist für den ORTB sowie private Zeitungen tätig und organisierte Musikveranstaltungen aller Art. Zeitweise arbeitet er als Korrespondent des internationalen Senders Africa No.1. Im Jahre 1992 gründete er dann Top Show Bizz, das bald zu einem der wichtigsten Label in Westafrika wurde. Die Firma hat
auch kleinere Geschäfte und Vertriebsbüros in anderen Städten. Gegen Pira-
terie versucht er durch niedrige Preise anzugehen (Cotonou, November 2008). Tabelle 3 zeigt Beispiele für neue Unternehmer im Medienbereich und ihre
(teilweisen) politischen Ambitionen im engen Sinne (große Unternehmer wie Sebastian Ajavon beeinflussen auch indirekt die Politik durch Wahlkampfspenden etc.).
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Unternehmer aus dem kommerziellen Bereich Ohne direkte politi-
sche Ambitionen (bisher, Ende 2013)
Soumanou, Ismaël (Groupe de Presse Golfe) Ajavon, Sébastian (Soleil FM) Kouféridji, Ramanou (Groupe Africoncept Broadcast) Djimadja, Karl (Radio Star)
Politische Ambitionen
Fagbohoun, Séfou (Radio Adja-Ouèrré) Yahouédéhou, Janvier (Radio Planète) Dayori, Antoine (Radio Matéri) Agoua, Edmond (Collines FM, Glazoué; Collines-Hebdo) Badarou, Issa (Radio Wêkè) Issa, Salifou (Radio Fraternité, Journal Fraternité, Canal3) Lagnidé, Christian (TV LC2)
aus dem journalistischen Bereich jüngere Generation
Ältere Generation
Ohne direkte politische
Agossa, Césaire (Radio Trait d’Union)
politische Ambitionen
Toko, Charles (Radio Océan)
Ohne politische Ambitio-
Kpakpo, Guy (Radio Tokpa)
Ambitionen
nen
politische Ambitionen
Carlos, Jerôme (CAPP FM) Alidou, Mohamed (Radio Banikoara)
aus dem künstlerischen, religiösen oder wissenschaftlichen Bereich; Zivilgesellschaft jüngere Generation
Ältere Generation
Ohne direkte politische
Togo, Louis (Radio Maranatha)
politische Ambitionen
--
Ohne direkte politische
Okioh, Francois (Radio Iléma)
politische Ambitionen
Tidjani Serpos, Ismaël (Radio Voix de
Ambitionen
Ambitionen
la Lama Allada)
Tabelle 3: Medienunternehmer in Benin (Auswahl, 2013)
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Ramanou Kouféridji ist Gründer sowohl der Radiostation Radio Afrique
Espoir als auch der lokalen Fernsehstation Imanle Africa. Er hat – wie auch Agossa (Biographie weiter oben) oder Yahouédéhou157 – große Ambitionen
im medialen Bereich. Er gehört zu einer Gruppe von Investoren, die neue regionale TV-Sender gründen wollen. Die Studios des 2003 gegründeten Senders
Afrique Espoir ebenso wie die später gegründete TV-Station befinden sich in einem viergeschossigen Gebäude mitten im Stadtzentrum von PortoNovo. Die technische Einrichtung der Studios ist gut, beschränkt sich
allerdings auf das Notwendigste. So war der Sendebetrieb bei meinem Besuch
im März 2009 eingestellt, da kein funktionierender Generator half, eine Stromsperre zu überbrücken. Kouféridji kann man zu jenen technisch-kaufmännischen Medienunternehmern zählen, die Medien vor allem unter Gesichtspunkten der Anlagestrategien und des regionalen Marktes betrachten. Er ist kein Journalist oder im Kulturbereich aktiv, und überlässt die inhaltliche
Gestaltung der Radio- und TV-Sendungen seinen Angestellten. Kouféridji
plant die Ausweitung des TV-Betriebs zu einem überregionalen Sender (PortoNovo, März 2009).
Einige pensionierte Journalisten sowie ehemalige Medienfunktionäre wie Ephrem Quénum, Christoph Pelu Diogo, Jacques da Matha sind vor allem in der journalistischen Ausbildung tätig.
Besondere kreative Fähigkeiten gerade junger Radiomitarbeiter in Benin
wurden hier bereits angesprochen. Sie münden, neben der Gestaltung klassi-
scher Sendeformate, auch in die Schaffung innovativer Radioprogramme mit lokalen Besonderheiten, die im folgenden Kapitel vorgestellt werden.
157 Yahouédéhou, Informatikingenieur, ist Gründer (promoteur) von Radio Planète. Mit Partnern gründete er das Unternehmen Master Soft, das Ende der 1990er mit Erfolg einen Filmverleih sowie viele Kinos betrieb, bevor Video/DVD -Kinos in großem Masse Zuschauer abzogen. Master Soft wiederum gründete Radio Planète 2003, Yahouédéhou wurde Geschäftsführer. Radio Planète galt unter dem Präsidenten Kérekou als Radio der Opposition, vor allem aufgrund der seit 2002 produzieren Politiksatire bébête infos. Yahouédéhou war mehrfach Präsidentschaftskandidat. Er wurde 2007 für die regierungsnahe Partei FCBE Abgeordneter, zerstritt sich aber später mit Yayi.
III Radiosendungen und Aspekte der Mediatisierung öffentlicher Kommunikation
Abbildung 5: Jahreskalender für Dah Houawé
(Eustache Atinkpahoun), Moderator Radio CAPP FM Cotonou, 2008
200 | T ECHNOLOGISCHE D RAMEN
Im folgenden Kapitel gebe ich einen Überblick über die wichtigsten RadioSende-Formate in Benin, die einen längeren Exkurs zu Radiowerbung einschließt. Hier wird vor allem auf die Relevanz der Nachrichtensendungen
und ihre Produktion verwiesen, die mit großer Hingabe erfolgt, aber von vielen Zwängen geprägt ist. Zugleich zeigt sich aber eine große Vielfalt der
Sendeformen und -programme, die regionale kulturelle Besonderheiten wie jene im Zusammenhang zu Todesanzeigen mit einschließt.
1. Dominante Radio-Sendeformate in Benin „Wir gestalten den Sendeplan immer im ganzen Team der Mitarbeiter. Einmal im Jahr unterziehen wir den Plan einer Überprüfung, und sehen, ob wir etwas Neues hinzunehmen, oder etwas Anderes in der Länge kürzen oder weglassen oder auf einen anderen Sendeplatz geben. Einige Sendungen wie Musiksendungen in lokalen Sprachen können wir aber nicht verlegen, sonst würden sich die Hörer beschweren. Bei anderen Sendungen müssen wir Sendeplätze tauschen, wenn unsere Partner diese beanspruchen. Sendungen, für die wir Zeit reserviert hatten, aber die zu oft ausfielen, müssen aber ersetzt werden.“ (Gaston Yamaro, eh. Programmchef, Radio Arzèkè FM, Parakou, März 2011)
NACHRICHTENSENDUNGEN Fast jeder Sender hat wiederkehrende Hauptnachrichtensendungen (journal parlé) auf Französisch, entweder zur Mittags- oder zur Abendzeit, im Pro-
gramm, die in einigen Sendern durch Kurznachrichten (Flash Info) zu weiteren Zeiten (volle Stunden) sowie Wiederholungen ergänzt werden. Bei vielen Sendern folgen direkt im Anschluss dann die Nachrichtenblöcke in regiona-
len Sprachen, mitunter in leicht gekürzter Fassung der französischsprachigen
Version.158 Nur in seltenen Fällen kommen bei Zweit-Ausgaben neue Beiträge
hinzu, wenn es sich um sehr aktuelle Ereignisse handelt, oder der Journalist 158 In manchen Sendern wie CAPP FM werden aufgrund des Personalmangels nur werktäglich Nachrichtensendungen produziert. CAPP FM hat z.B. eine mittägliche Haupt-Nachrichtensendung im Programm, allerdings wird die Abendausgabe live gesendet und meist von einem anderem als dem Sprecher der Mittags- Meldungen verlesen. Hier handelt es sich in den meisten Fällen um 90% der Inhalte der Mittagssendung, sowie um die gleichen eingespielten O-Ton-Sequenzen. Meist werden einige Rubriken wie der ‚Gast der Sendung‘ weggelassen oder gekürzt.
III R ADIOSENDUNGEN | 201
nicht rechtzeitig bis zum Mittag/Abend mit einem Beitrag fertig wurde, z.B. bei Reportagen an weiter entfernten Orten. Oft werden solche Berichte dann aber erst zu den darauffolgenden Hauptnachrichten des nächsten Tages ge-
sendet. Meist sind die Nachrichten in Blöcken oder Rubriken, die jeweils mit
Einspiel-Jingles angekündigt werden, unterteilt, z.B. Nachrichten national (page national), international (page international); Sport, Kultur, besonderer Gast der Sendung (invité du jour), mitunter Gerichtsreportagen, Vermischtes
(faits divers, meist ungewöhnliche Meldungen) sowie thematisch längere Son-
derberichte (reportage; quartiers). Typisch sind auch spontane Straßen-Umfragen (micro trottoir) in verschiedenen Sprachen. In wenigen Fällen nehmen auch andere Journalisten O-Töne in anderen Sprachen als ihrer Arbeitsspra-
che auf, und stellen diese dann dem spezialisierten Nachrichtensprecher der jeweiligen Sprache zur Verfügung. Die einzelnen Elemente der Nachrichten-
sendungen und die dafür vorgesehenen Reporter werden auf den morgendlichen Redaktionskonferenzen festgelegt.
Es gibt nach wie vor Tabu-Themen für Radionachrichten, die daher nur
selten den Rahmen informeller Gespräche, Gerüchte usw. überschreiten. Zu
diesen gehören direkte Vorwürfe an den ehemaligen Präsidenten Kérékou, aber auch Fragen der intimen Beziehungen von wichtigen Personen des öf-
fentlichen Lebens. Eine „Tabloidisierung“ der Politik ist derzeit in Benin all-
gemein noch nicht zu beobachten. In den Sendungen spiegelt sich jedoch eine senderübergreifende, auch aus der älteren Geschichte des staatlichen Radios entstandene Kultur der Berichterstattung hinsichtlich typischer Themen und Gestaltungsformen wider. So wird immer bestimmten Jahrestagen
wie dem Tag der Frau, dem Tag des Kinds, dem Weltaidstag etc. intensiv gedacht, und dies mit Hörerumfragen, verbunden. Sind diese mit offiziellen
Veranstaltungen verbunden, so stehen sie mindestens an zweiter oder dritter Stelle der Prioritäten der Nachrichtenproduktion.
Zentral ist auch die für Westafrika typische Kultur formalisierter Bericht-
erstattung über Veranstaltungen öffentlich-politischen Charakters, wie die
Eröffnung von Seminaren, Sitzungen, Konferenzen; von Bauwerken, Straßen (einschließlich des ersten Spatenstichs etc.), von Auszeichnungsfeiern, aber auch Entwicklungsprojekten durch Amtsinhaber aller Verwaltungsebenen.
Weniger ausführlich als im staatlichen Fernsehen oder Zeitungen, wird doch aber auch im Radioüber immer wiederkehrende politische Rituale berichtet.
Dazu gehören das Überbringen der Neujahrsgrüße (présentation des voeux) durch Politiker oder Organisationen an den Präsidenten am Jahresbeginn
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(Adiyéton 2009: 1), oder jenen zum Nationalfeiertag, ebenso wie der Amtsübergabe (passation des services) an neue Minister oder Direktoren von Staats-
organisationen (die in der laufende Amtszeit des aktuellen Präsidenten recht häufig vorkommen) in immer recht ähnlicher standardisierter Weise berichtet. In jedem Falle gelingt es dadurch den Sendern, immer problemlos ihre
Nachrichtensendungen zu füllen. Hinzu kommt die überausführliche Berichterstattung anlässlich der Besuche ausländischer Politiker oder Entwicklungs-
geber, die vor allem im staatlichen Sender Radio Benin vorherrschen, der zudem auch über unzählige Sitzungen und Seminare staatlicher Einrichtungen berichtet.
In einigen Fällen kommen auch Meldungen über Eröffnungen von kom-
merziellen Einrichtungen wie Restaurants, Reisebüros oder Transportfirmen hinzu, die meist eine versteckte Werbung darstellen oder ein Resultat beson-
derer Pressetermine sind, zu denen Journalisten – nebst großzügiger Bewirtung, Werbegeschenken und mitunter auch der Übergabe von Aufwandsent-
schädigungen oder Tagegeldern (per diems) – eingeladen werden.159 Gerade
dieser materielle Aspekt beeinflusst die alltägliche Nachrichtenproduktion in Benin nicht unerheblich. So zahlen auch staatliche Organisationen, die zur
Berichterstattung über bestimmte Ereignisse einladen, mitunter Handgelder. Diese Praxis ist grundsätzlich berechtigt, da viele Sender nur über wenige
Ressourcen für Treibstoff etc. der Journalisten haben. Sie führt aber dann meist auch zur privilegierten Berichterstattung über diese Ereignisse.
Pressekonferenzen sind auch in Benin das tägliche Geschäft der Journa-
listen. Ihre Beliebtheit ist einerseits begrenzt, da sie meist längere Zeit dauern, ohne dass immer viele Informationen geliefert werden. Andererseits sind sie ein einfaches Mittel, die journalistische Arbeit zu strukturieren und er-
leichtern die Arbeit der Chefredakteure, die zu unwichtigen Konferenzen
auch gern Praktikanten schicken. Angenehm sind auch hier jene Veranstal-
tungen, auf denen auch Verköstigung geboten wird, Broschüren oder Geld als Entschädigung für Anfahrtskosten übergeben werden. Ein weiterer Vor-
teil von Pressekonferenzen ist natürlich auch die Anwesenheit vieler Kollegen, mit denen man wertvolle Informationen austauschen kann.
159 Bei vielen Journalisten sind Pressekonferenzen von Politikern oder Firmen beliebt, weil neben der Verköstigung meist Aufwandsentschädigungen in der Hoffnung auf wohlwollende Berichte gezahlt werden. Bei den Presseterminen des Regierungssprechers werden meist nur Journalisten mit einer Carte de Presse zugelassen.
III R ADIOSENDUNGEN | 203
Viele Pressekonferenzen werden von Journalisten selbst organisiert, so
auch eine Veranstaltung im Maison des Médias in Cotonou am 16.2.2010.
Hier lud das Netzwerk der Journalisten für transparente und freie Wahlen
ein, um die Sicht der Mitglieder auf das Verfahren zur Erstellung des elektronischen Wählerregister LEPI (Liste électorale permanente informatisée) darzulegen. Der typische Ablauf wurde auch hier reproduziert. Zunächst wurden
die Anwesenden begrüßt, die Veranstalter stellten sich kurz vor, dann erfolgten mehrere, meist längere Reden der Einladenden. Anschließend konnten Fragen gestellt oder Meinungen kundgetan werden. Eine Kamera des ORTB
schnitt fast die gesamte Veranstaltung mit. Die Fragesteller wurden zunächst in eine Liste eingetragen, die dann abgearbeitet wurde, bevor eine zweite
Runde gestartet wurde. In manchen Fällen kamen die Fragenden auch nach
vorn, um an einem Rednerpult zur besseren Verständlichkeit das dort installierte Mikrophon zu nutzen. Auch der beliebte Moderator Dah Houawé vom Sender CAPP FM trat auf, er tat leidenschaftlich seine Sorgen ob der schlech-
ten Organisation des LEPI-Verfahrens kund. Anschließend fand ein kurzes Zusammensein mit Softdrinks, Bier und kleinen Snacks statt, bei dem informelle Gespräche geführt und Adressen ausgetauscht wurden. Anfangs hatten
einige der Anwesenden angenommen, dass ich der eingeladene und ange-
kündigte Vertreter der französischen Botschaft wäre, und wurde zentral platziert. Der eigentliche Vertreter, ein junger Mitarbeiter, hatte sich ganz an den Rand gesetzt (Cotonou, Februar 2010).
In den Redaktionsräumen der meisten Sender befindet sich oft eine große
Tafel, als Blackboard oder Whiteboard, auf der die aktuellen Veranstaltungstermine vermerkt sind, über die berichtet werden soll, meist ergänzt durch
die Namen der dafür vorgesehenen Reporter. Sie verweisen zugleich auf die
zentralen Teilelemente der späteren Nachrichtensendungen. Die Einträge auf
der Tafel werden meist für einen Tag, in manchen Fällen auch für eine Woche im Voraus geführt (z.B. die unbedingt einzuhaltenden Termine, für die u.U. ein bezahlter Reportage-Vertrag mit dem Sender vorliegt).
In manchen Fällen, wenn keine direkten Einladungen zu Veranstaltungen
erfolgen, besuchen die Journalisten auch ohne Wissen über konkrete Veran-
staltungstermine bestimmte Einrichtungen. Dies geschieht vor allem in Cotonou, weil dort fast immer Veranstaltungen stattfinden, über die man berichten kann oder in dessen Rahmen man Interviewpartner findet.
204 | T ECHNOLOGISCHE D RAMEN
Davon legt die Tafel im Redaktionsraum des Senders Maranatha Zeugnis
ab. Am Freitag, den 5.3.2010 fand man dort klar die Route des Journalisten
Jean Aguégé: „CODIAM-Chant-D'oiseau-INFOSEC-Palais des Congrès–CCFCNCB". Bei fast allen Einträgen handelt es sich um Tagungsorte, Veranstaltungshäuser oder oft genutzte Veranstaltungsräume für Seminare und Pres-
sekonferenzen in Cotonou. Sie wurden entsprechend einer Route der jeweils nächstgelegenen Einrichtungen aufgeführt, die er systematisch abfährt (Cotonou, März 2010).
Ähnlich verfährt Claude Korblah N’Kumbi vom Radio Arzèkè, wie ein Beispiel vom 21.9.2010 belegt. An diesem Tag begleite ich Claude auf einer Repor-
tagefahrt durch die Stadt Parakou. Zuvor haben wir im Rahmen der üblichen morgendlichen Redaktionssitzung unter Leitung des Chefredakteurs Dona-
tien Djegle die Themen festgelegt und einzelnen Reporter zugeordnet. Claude
besucht zunächst eine Wahrsagerin, die ‚Königin der Kobras‘ (La Reine des Cobras; vgl. Abbildung 6). Sie sagt das Ende der Regenperiode für Ende Oktober voraus. Gleich im Anschluss fahren wir zu einem Mitarbeiter des Wet-
terdienstes am Flughafen, um diese Meinung mit einer wissenschaftlichen zu
ergänzen. „Dies ist sehr wichtig, damit wir nicht einseitig werden“, bemerkt
Claude, „die Hörer sollen dann selbst entscheiden, wem sie mehr Gewicht beimessen.“ Hintergrund ist der in diesem Jahr äußerst intensive Regen, der
ungewöhnlich lange auch auf Parakou und Umgebung niederging und Über-
schwemmungen verursachte. Dann interviewen wir eine Schuldirektorin, da derzeit ein Lehrerfortbildungsseminar veranstaltet wird, und einen Abbé in
der katholischen Mission, der uns zum heutigen Aschermittwoch etwas zu den theologischen Hintergründen dieses Tages erzählt.
Claude ist dann aber bemüht, weitere Informationen über aktuelle Ereig-
nisse und Veranstaltungen in Parakou einzuholen, die ihm nicht im Vorfeld
bekannt waren. Zu diesem Zweck setzt Claude seine Rundfahrt fort: Erst fah-
ren wir zum katholisch geführten Centre Guy Riobé, dann zu zwei Hotels, jeweils Orten, an denen oft Tagungen und Seminare stattfinden; und schließlich einem Treffpunkt einer Vereinigung von Besitzern von Überlandtaxis
und Minibussen. Hier werden oft Konflikte rund um den Überlandtaxi-Bahn-
hof (gare routière) sowie die angrenzenden Märkte geschlichtet. Wenn an diesen Orten gerade nichts Wichtiges passiert, so sorgt doch seine wiederholte
Präsenz dafür, dass er und damit der Sender sichtbar sind und in wichtigen
Fällen auch informiert werden Zeitgleich sind andere Mitarbeiter des Senders
III R ADIOSENDUNGEN | 205
in der Stadt unterwegs, die entsprechend einer eingespielten Arbeitsteilung
der Redaktion arbeiten: Claude berichtet aus dem Schulbereich und von
NRO, Rodrigue Aditi, der Jura studierte, berichtet von Gerichtsverhandlungen, François Beo von Sitzungen des Stadtrats. Schließlich kehrt Claude zurück, um seine Materialien aufzubereiten. Einiges wird sofort verwendet, anderes erst am nächsten Tag (Parakou, Oktober 2010).
Abbildung 6: Claude Korblah, Journalist Radio Arzèkè,
Interview mit der Reine des Cobras, Parakou, Oktober 2010
In den meisten Sendern gibt es eine Redaktionskonferenz, oft zwischen 8 Uhr und 9 Uhr, auf der die Themen für die Nachrichtensendung sowie die Eins-
ätze der Mitarbeiter für Reportagen besprochen werden. Bei auf politische
Sendungen und Tagesaktualität spezialisierten Sendern wie Radio Tokpa werden täglich zwei Sitzungen abgehalten, meist um 9 Uhr und um 14 Uhr.
In der ersten Sitzung wird die mittägliche Hauptnachrichtensendung vor-
bereitet, in der nachmittäglichen Sitzung wird die Sendung dann hinsichtlich
ihres Verlaufs, der Qualität der Teilelemente und der Darbietung ausgewer-
tet und interne Kritik geübt. Nach meinen Recherchen werden von städtischen Hörern die Nachrichtensendungen dieser Stationen in der französi-
schen Sprache bevorzugt, weil sie – auf das regionale öffentliche Leben
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bezogen – meist aktueller, umfassender und z.T. auch stärker mit kontrover-
sen Themen sowie Interviewmitschnitten verbunden sind.160 Bei internationalen Nachrichten wird dann – vor allem von höheren Angestellten, Lehrern etc. – zumeist auf RFI zurückgegriffen. Die lokalen Sender können hinsichtlich nationaler und internationaler Nachrichten nicht immer konkurrieren.
Durch die Tatsache, dass Radio Nanto FM in Natitingou aus logistischen
Gründen (Einstellen des Sendebetriebs um 12 Uhr, die fehlende Verfügbarkeit einiger Nachrichtensprecher am Tage durch ihre Nebenberufe) die
Hauptnachrichtensendung erst am Abend ausstrahlen kann, hinkt man man-
chen nationalen Themen etwas hinterher, zumal man hier auch Medienberichte anderer Anbieter nutzt. Bei lokalen Themen ist eine Ausstrahlung am
selben Abend ausreichend, denn Nanto hat hier einen kleinen Vorsprung ge-
genüber Reportern oder Korrespondenten von Radio Parakou, deren Sendung erst eine Stunde später beginnt.
Bei zeitlich guter Planung können lokale Radiosender vor allem für poli-
tisch weniger informierte Hörer aber eine Mittlerrolle einnehmen, in dem sie
aus der Vielfalt der Nachrichten auch zielgerichtet wichtige Themen filtern, verständlich präsentieren und dann – vor allem in den Ausgaben in einheimischen Sprachen – auch den Hörern mit geringeren Französischkenntnissen nahe bringen. Aber auch die Art der Berichterstattung unmittelbar lokaler
Themen und Ereignisse ist von Bedeutung. Einerseits besteht auch hier kein Monopol, da große Sender ein Netz von Korrespondenten unterhalten, andererseits ist eine zeitnahe Informationsübermittlung ein Vorteil.
160 Die werktägliche Sendung caravane du matin auf Radio Tokpa, Cotonou verbindet politische Kommentare, Diskussionen mit Studiogästen, Musik, Presseschau und Ratgebersendungen zu einem zweistündigen Morgenprogramm, das von 6-bis 8 Uhr ausgestrahlt wird. Es stellt eine Konkurrenz zu anderen Sendern dar, die zu dieser Zeit Nachrichten und grogne-Sendungen anbieten.
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Abbildung 7: Sendeplan von Radio CAPP FM, Cotonou (2009)
Die obenstehende Abbildung zeigt am Beispiel von CAPP FM ein typisches Programmschema, mit meist festen Sendeplätzen und einer Mischung aus
Musik, Nachrichten und themenzentrierten Radiosendungen. Die Programm-
gestaltung der Sender zeigt viele Ähnlichkeiten in der Festlegung bestimmter Programmplätze. So haben fast alle Sender am Samstagabend DJ-moderierte Musikshows unter Titeln wie bal du samedi soir, évasion, ça va chauffer ce soir mit neuester Tanzmusik und oft mit Anrufer-Interventionen für Grüße, Wün-
sche etc. im Programm. Ebenso typisch sind die meist einstündigen Mittags-
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Sendungen nach den Nachrichten und Ankündigungen, mit ruhiger Mu-
sikund geringem Wortanteil (meist zwischen 14 und 15 Uhr), die sich an
ältere Gewohnheiten vor allem von Staatsangestellten orientieren, nach dem Essen eine Siesta durchzuführen. In vielen Sendern ist der Mittwochabend
und Sonntagnachmittag für ausgiebige Sportsendungen, oft Studiodiskussionen zur sportiven Aktualität, reserviert, ebenso wie Diskussionssendungen mit Politikern oder Journalisten am Freitagabend oder Sonntagvormittag.
Einige Stationen arbeiten auch mit Wiederholungen. So sendet Golfe FM eine
Wiederholung der morgendlichen grogne matinal, Radio Fraternité sendet nachmittags eine Wiederholung von Nachrichten und Informationen der Mittagssendung.
Im Sender Radio Océan FM werden die Sendungen noch in einzelne Spar-
ten und Rubriken unterteilt, für die dann jeweils ein Mitarbeiter besonders
verantwortlich ist. Hier gibt es die Rubriken Programmes Emission Rédaction,
die Politik-, Sport- und Anrufersendungen aufführt, die Rubrik Émission artiste, unter der sich vor allem die Musiksendungen – von Afro-Parade über
Couvre-feu bis hin zu Quartier Libre oder der Sendung tempête océanique – sammeln. Für jede der Rubriken gibt es eine eigene Programmliste, jeweils
für das Wochenprogramm von Montag bis Freitag sowie die Wochenendsen-
dungen. Der chargé des programmes ist für den gesamten Sendeplan verant-
wortlich. Die Musiksendungen sind bei Océan FM besonders breit gefächert, sind doch Sendungen für ältere Hörer unter dem Namen nostalgie ebenso zu
finden wie Reggae sun Flash, le tour des cinq continents etc. für die jüngere Generation. Diese Ähnlichkeiten beginnen sich erst allmählich durch zunehmende Konkurrenz um die Hörer zu ändern, wobei diese wohl immer beste-
hen bleiben, weil sich die Hörgewohnheiten auch auf bestimmte Zeit-(Programm)-Strukturen eingerichtet haben (März 2012).
In der alltäglichen Sendegestaltung und Moderation lassen sich ebenfalls Ähnlichkeiten erkennen, wie typische Zeit-Ansagen („il est 15 heures dans tous
nos studios“, es ist 15 Uhr in allen unseren Studios, die vom ORTB übernommen wurden). Oft wird der Sendeschluss mit der Nationalhymne verbunden, der Sendebeginn mit Nennung von Station und Frequenz. Vergleichbar ist
auch die Art des Führens von Gesprächen mit Anrufern. Fast immer werden für neue Sendeblöcke vorproduzierte Vor- und Abspanntitel (génériques) sowie jingles eingesetzt, die – dank der fast durchgängigen Digitalisierung der
III R ADIOSENDUNGEN | 209
meisten Sender – als Computerdatei vorliegen und in die Sendesoftware eingespeist werden. Die inzwischen fast abgeschlossene Umstellung aller Sender auf computergesteuerte Sendeabläufe sowie die Digitalisierung von Pro-
grammelementen führt zur Nutzung ähnlicher Software (ich habe in Benin nur drei Programme im Einsatz gesehen, v.a. BMP Studio, ZaraStudio sowie Audioprogramme wie Wavelab etc.), die meist preiswert erworben, raubkopiert oder gratis heruntergeladen werden.
Auch bei der Gestaltung der Nachrichtensendungen sind Ähnlichkeiten
sichtbar. In den meisten Sendern arbeitet man im täglichen Betrieb mit handschriftlichen Dokumenten, vor allem für Nachrichten und Verlautbarungen.
Meist werden A5-Zettel genutzt, auf denen sauber in Schreibschrift und in ganzen Sätzen Meldungen oder Annoncen verfasst werden. Diese sind fast überall ähnlich gestaltet, haben eine Überschrift und umfassen fünf bis ma-
ximal sechs Zeilen mit zwei bis drei Sätzen, die einer typischen Sequenz des
Vorlesens von einer bis maximal eineinhalb Minuten entsprechen. Diese Praxis ermöglicht auch ein schnelles Umblättern mit vermindertem Rascheln.
Sie entspricht offenbar einer immer wieder an neue Mitarbeiter weitergege-
benen standardisierten Art der Sendeproduktion. In vielen Fällen belässt man es gar bei einem dieser Zettel, wenn es sich um weniger wichtige Meldungen handelt; auch, um die folgenden Ausgaben in anderen Sprachen und die
Übersetzungsarbeit nicht zu erschweren. Nur punktuell kommen getippte
Vorlagen zum Einsatz, die ein Redakteur mit Computerzugang schreibt. In
vielen Sendern gibt es zu den Hauptnachrichten – gemäß einem Vorbild aus vielen großen Radio und TV-Sendern – einen Gast der Sendung, entweder
einen Spezialisten für eine bestimme Frage der Tagesaktualität, einen Politiker oder Künstler, Schriftsteller etc. Dieser wird dann etwas länger befragt.
Oft werden voraufgezeichnete Sendelemente genutzt. Die Nachrichtensen-
dungen von CAPP FM oder Tokpa FM prägen viele O-Ton-Elemente, vor allem Interviews mit Fachleuten, Politikern und Künstlern, aber auch Straßenumfragen (micro-trottoir).
Unterwegs mit Wilfrid Ahouassou, CAPP FM, am 6.3.2009, in Cotonou.
Wir planen Umfragen zum bevorstehenden Internationalen Frauentag. Wir
starten mit seinem kleinen Moped, und müssen nach 100m aber erst mal den Tank wieder etwas auffüllen. Ich übernehme die Kosten für die Tankfüllung
(ca. 2 €). Dann fahren wir direkt ins Stadtviertel Jonké, und begeben uns in
ein kleines Café, das nahe an den Unterkünften von Prostituierten liegt. Wir werden gleich – womöglich als potentielle Kunden – lebhaft begrüßt, machen
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unser Anliegen aber sofort klar. Schließlich finden wir zwei Frauen, beide aus Nigeria, die ernsthafter mit uns reden. Sie kennen den Frauentag, und
wollen an diesem Tag die Kirche besuchen und sich dann ausruhen. Wilfrid hat Probleme mit dem Englischen, nicht in seinen Fragen, aber im Verständnis der Antworten. Ich helfe ihm und übersetze. Auf der Rückfahrt befragen
wir noch einige Schneiderinnen sowie Händlerinnen am Markt Ganhito. Dort spricht er – einmal am Ort – mit Tontechnikverleihern, mit denen er privat
zusammenarbeitet. Später schneiden wir die Aufnahmen im Studio. Wilfrid
hat noch 40 Minuten bis zur Sendung – er überspielt schnell die Aufnahmen,
bearbeitet sie, und bereitet die Anmoderation vor. Dann kommt er noch ein-
mal zu mir. Ich übersetze den O-Ton, er notiert und bittet dann Rachidatou, ins Produktionsstudio zu kommen und die weibliche Übersetzung aufzunehmen (Cotonou, März 2009).
Bei Straßenumfragen zu politischen Themen wie bestimmten Gesetzen, die
das Parlament gerade berät, achtet man im Sender Radio CAPP FM, gemäß
den Anweisungen des Stationsdirektors Jerôme Carlos, des Chefredakteurs
Maurille Carlos und des Chef-Journalisten Wilfrid Ahouassou auf ein gewisses Gleichgewicht der Meinungen, wenn es sich um bestimmte Regierungsentscheidungen, die Haltung zu Politikern oder Ereignissen handelt.
Internationale Nachrichten haben in den meisten nichtstaatlichen Sen-
dern einen recht geringen Anteil. Wilfrid Ahouassou (APP FM) erklärt dazu „Dies sehe ich auch nicht als zentrale Aufgabe meines Senders, denn dieser
soll eher nahe am Alltag der Hörer in den Stadtteilen sein.“ (Cotonou, Oktober 2010) Detalliertere Berichte über das Auslandsgeschehen findet man ausführlicher in den großen Sendern, vor allem Radio Bénin, allein schon durch die bessere Verfügbarkeit von Agenturmeldungen sowie einen großen Stab
von Mitarbeitern einschließlich Auslandskorrespondenten, die die kleineren
Sender nicht haben.161 Mitunter liefern Bekannte im Ausland punktuelle Beiträge. Nur bei wenigen Ereignissen werden Korrespondenten, unterstützt
161 Gerade hinsichtlich der täglichen Nachrichtensendungen kann dem nationalen Rundfunk, der über weit mehr Mitarbeiter als die kleineren Stationen verfügt, eine große Breite und Aktualität zugesprochen werden, die auf der Seite der privaten Anbieter derzeit nur von Golfe FM und Tokpa FM erreicht wird. Die Mittags- und Abendnachrichten von Radio Bénin beinhalten meist handwerklich gut gemachte Berichten (im ersten Teil einer kurzen, im zweiten Teil einer längeren Reportage).
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durch Sponsorengelder oder staatliche Reisefonds, ins Ausland geschickt (wie z.B. zur Fußball-WM, dem Afrika-Cup etc.). In den meisten der kleineren Sender werden für überregionale Nachrichten durch einen Redakteur Internetrecherchen – oft in Cybercafés – durchgeführt. Meist folgt am Ende der
Nachrichten ein kurzer Sportteil, bevor dann, eingerahmt von Vorspannjingles, der Werbe- und Annoncenteil beginn. Bei Radio CAPP FM folgt die Version der Nachrichten auf Fongbé werktäglich dann nach einem kurzen
Werbeblock. Im Weiteren gibt es im Anschluss eine meist kürzere Ausgabe auf Gungbé. In den Nachrichtenversionen auf Fongbé und Gungbé werden ungefähr zu zwei Dritteln die gleichen Themenbeiträge wie in der franzö-
sischsprachigen Version gestaltet, in dem die Zettel mit den Meldungen einfach übersetzt werden.
In manchen Fällen hat der Moderator dazu aber noch Interviewelemente
in der entsprechenden Sprache aufgenommen, die dann eingefügt werden. Meist sind es weit weniger, weil oft nur eine auf diese Sprache spezialisierte
Person diese führen kann. Zudem entfallen die Interviews mit vornehmlich
auf Französisch agierenden Politikern. Ein für CAPP FM wiederum typisches, der Logik der Konzentration auf Lokalpolitik folgendes Element der werktäg-
lichen Nachrichtenproduktion ist die Rubrik Quartier. Dabei besuchen die Journalisten meist zu zweit ein Stadtviertel in Cotonou, befragen die Bewohner zu den dringendsten Problemen, machen meist ein Interview mit dem Kreisamtsleiter (chef d’arrondissement) und besuchen wichtige Einrichtungen des Viertels.
In Gemeinderadiosendern wie Radio Nanto FM in Natitingou bekommen
natürlich die Informationen über kommunale Angelegenheiten einen besonderen Stellenwert. So werden aktuelle Ereignisse in der Gemeinde, aber vor
allem auch die Verwaltungsangelegenheiten, Sitzungen und Entscheidungen
der Gemeinderäte etc. übermittelt.162 Nicht alle dieser Meldungen sind eigen-
Im Gegensatz zum Fernsehen wird nicht immer der Staatschef ins Zentrum gerückt. Allerdings erfolgt auch hier die Berichterstattung sehr protokollarisch. 162 Beispiel aus Natitingou, Journal Parlé, 12.3.09, 19.30 Uhr: „Zweiter Tag der regulären Sitzung des Stadtrates von Natitingou. Mehrere Punkte standen auf der Tagesordnung vom 12. März 2009. Unter anderem ging es um die Genehmigung der Gemeinkosten durch die Finanzabteilung sowie die Festlegung der Verkaufspreise
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recherchiert. Oft erfolgen zunächst Einladungen per SMS, Anruf oder Briefboten an den Sender, am öffentlichen Teil der Sitzungen, Eröffnungen oder Seminare teilzunehmen, zu Presseterminen zu kommen etc. Mitunter besteht
dann das Problem, dass nicht immer ein Journalist Zeit hat oder Kosten für Fahrt etc. entstehen. In etlichen Fällen offerieren die Veranstalter etwas
Geld, was aber – zumindest in kleineren Orten wie Natitingou – seltener der
Fall ist. Senderinterne Diskussionen zum Verhältnis ‚normaler‘ Berichterstattung gegenüber quasi gewünschte Informationen auf der Basis von „Aufwandsentschädigungen“ sind hier oft die Folge.
Der Sender Radio Solidarité FM Djougou hat diese Probleme teilweise
insofern gelöst, indem ein pauschaler Vertrag mit der Stadtgemeindeverwal-
tung (Mairie) unterzeichnet wurde. Die Mairie gesteht hier dem Sender eine
jährliche feste, im Budget der Gemeinde verankerte Summe zu. Der Sender
muss dann entsprechend einer im Vertrag aufgenommenen Liste über bestimmte Ereignisse ohne Zusatzkosten für die Verwaltung informieren. EIN BANKÜBERFALL Um die verschiedenen Reaktionen von Radiosendern und anderen Medien auf aktuelle Ereignisse zu erfassen, wurde Ende November 2008 ein Ereignis
der Tagesaktualität ausgewählt, einen Banküberfall (bracage). Dieses Ereig-
nis habe ich in seiner medialen Präsenz im Sinne der Maxime des follow the plot (Marcus 1995) bzw. einer extended case study (Burawoy 2009), verfolgt. Es war von relativ großer Bedeutung und Diskursivität, zumindest im urba-
nen Raum Cotonou und wies sowohl eine national-politische als auch eine lokale und alltagsbezogene Bedeutung für viele Bewohner der Stadt und damit potentielle Hörer auf.
Freitag 21.11.2008. Ich halte mich abends im Sender CAPP FM auf. Es
wird die Sendung questions actuelles vorbereitet, die Lucien Dossou moderiert. Er hat einen prominenten Studiogast eingeladen, einen Regierungsbe-
rater für ökonomische Fragen, der mit ihm über die möglichen Auswirkungen der aktuellen globalen Finanzkrise auf Benin spricht. Es ist 20 Uhr. Ich
begebe mich auf den Vorhof des Senders, um mit ein paar Besuchern und
für aussortierte Fahrzeuge aus ersten Amtszeit auf der Grundlage des Berichtes des Sekretariats.“ (Radio Nanto, Nachrichtenredaktion, März 2009)
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Moderatoren, die Feierabend haben, zu sprechen. Unter ihnen Wilfrid. Plötzlich hören wir laute Knallgeräusche, offenbar Schüsse. Dann kommen die ersten Anrufe, offenbar gibt es eine große Schießerei im Zentrum Cotonous.
Es heißt, es seien schwerbewaffnete Gangster, die den Markt Dantokpa überfallen haben. Alle telefonieren aufgeregt, während weiter Schüsse zu hören
sind. Dann bricht das Funktelefonnetz zusammen. Wir wissen noch nicht ge-
nau, was los ist. Es heißt, die Gangster halten mit Schüssen die Bevölkerung und Sicherheitskräfte auf Distanz. Wir schalten den Fernseher ein, der Sender Golfe TV berichtet in einer Sondersendung, allerdings weiß man dort auch
nicht viel. Allmählich versammeln sich viele Leute um den Fernseher im Redaktionsraum. Golfe TV hat ein Reporterteam zum Dantokpa geschickt, erste Augenzeugenberichte von den Gangstern treffen ein. Offenbar haben sie zwei
Banken am Markt ausgeraubt. Es ist die Rede von Schusswechseln mit den
offenbar nicht ausreichenden Sicherheitskräften. Das Reporterteam liefert aber nur verwackelte Bilder mit kaum verständlichen Aussagen. Offenbar wird aus einem fahrenden Auto heraus gefilmt, das sich durch den panikge-
prägten Verkehr quält. Ein im Bild eingeblendetes Nachrichtenticker-Laufband verkündet nur, dass es einen Banküberfall gab; Details werden aber kaum bekannt. Es ist lange unklar, ob die Gangster überhaupt noch da sind.
Alle um mich herum sind aufgeregt, versuchen zu telefonieren und zu klären,
ob es ihren Angehörigen gut geht. Immer wieder brechen die Mobilfunknetze zusammen.
Dann führt der Moderator von Golfe TV im Studio ein Interview mit dem
Innenminister. Dieser bestätigt den Überfall, bekräftigt aber, dass die Situa-
tion unter Kontrolle sei. Er ruft die Bevölkerung zur Ruhe auf. Der Reporter vor Ort erwähnt Zeugen, die von Verletzten, auch Toten berichteten. Wilfrid
fährt mit einem Freund mit dem Moped los, er will Zeugen befragen, es sind
noch Schüsse zu hören, bis 22 Uhr. In dieser Zeit läuft die Sendung questions actuelles weiter, die beiden im Studio bekommen aber zunächst kaum etwas
mit. Der Stationsdirektor ist die ganze Zeit da, kommt ab und zu aus seinem Büro, kommt zum TV, telefoniert ebenfalls.
Gegen 23 Uhr kommt Wilfrid zurück. Er erzählt von aufgeregten Leuten,
die ihm entgegenkamen, und sprach dann mit Augenzeugen, die von den
Schusswechseln berichteten, sie erzählen von Verletzten. Einer der Befragten war wohl selbst durch Querschläger leicht verletzt worden. Wilfrid hatte die
Interviews kurzer Hand mit seinem Handy aufgenommen. Spät erst wird klar, dass die Banditen erfolgreich abziehen konnten, offenbar mit großer
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Geldbeute. Jetzt haben Sicherheitsleute die Zufahrtstrassen zum Dantokpa abgeriegelt, man kommt kaum durch.
23.30 Uhr. Allmählich beruhigt sich die Lage, und als es heißt, dass man
über eine der Brücken (ancien pont) sicher auf die andere Stadtseite jenseits
der Lagune gelangen könne, fährt mich ein Freund des Wächters zu meiner Unterkunft im Stadtteil Cadjéhoun. Dort verfolge ich die Berichterstattung noch weiter. Als einziger Sender berichtet zu diesem Zeitpunkt Océan FM.
Hier wird gar eine Live-Sondersendung gefahren, mit mehreren Leuten im Studio, unter anderen die Moderatoren Thierry Sossou sowie der (damalige)
Chefradakteur Hospice Houénou De Dravo, und vielen Anrufern, die ihr Wissen und ihre Erlebnisse schildern. Offenbar herrschte große Verwirrung und
Furcht rund um den Markt Dantokpa. Marktfrauen hatten sich in ihren Bou-
tiquen eingeschlossen, die Eingänge der Banken wurden von den Banditen
offenbar in die Luft gesprengt. Später werden diese Ereignisse in den Kommentaren der Hörer mit einer Kritik an der Sicherheitspolitik in Benin verbunden. Es ist der zweite Banküberfall auf die gleichen Banken in diesem
Jahr. Schon am 1.4.2008 kamen Gangster – man vermutet aus Nigeria – für einen Raubzug, wohl ebenso über die Lagune. Die Militärs haben offenbar nicht schnell genug reagiert, haben eher die Regierungsmitglieder geschützt,
erst später alles abgeriegelt und alle Brücken gesperrt. Auch jugendliche Sicherheitsgruppen sperren alle Wege rund um den Markt. Immer neue Augen-
zeugenberichte werden über Océan FM ausgestrahlt, auch der Direktor des Senders Askanda Bachabi ruft an und teilt sein Wissen mit.
Manche Anrufer sind ziemlich empört. Sie geben den staatlichen Sicher-
heitskräften die Hauptschuld, die entgegen offizieller Bekundungen den Markt offenbar nicht richtig abgesichert hatten. Ein Hörer empört sich über
den Innenminister, der von einer angeblichen Ruhe berichtete, obwohl er
erst später zum Ort des Geschehens fuhr, an dem zu dieser Zeit noch Schüsse
zu hören waren. Dann trifft im Studio der mit den Moderatoren befreundete
directeur de publication der Zeitung LE TÉLÉGRAMME, Etienne Ouèssou ein. Thierry sagte mir dazu später, dass sie sich gut kennen und daher helfen
(cofraternité). Ouèssou war sehr nahe am Geschehen, sah drei Tote und berichtet von großen Zerstörungen. Die Banken wurden nicht nur total geplündert, sondern auch fast zerstört.
Viele Frauen sind nach wie vor geschockt, leider kam es im allgemeinen
Durcheinander auch zu weiteren Diebstählen. Weitere Hörer rufen an, viele ihrer Berichte sind aber unsicher, sodass ein Hörer anmahnt, keine falschen
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Informationen zu geben. Solange nicht klar ist, ob die Banditen wirklich weg sind und sich nicht irgendwo verschanzt haben, kann man keine Entwarnung
geben. Ein anderer Hörer nimmt die Sicherheitskräfte in Schutz, man sollte sie nicht beleidigen, da sie nur ihre Arbeit machen. Dann werden auch Hö-
rerkommentare verlesen, die per SMS eintreffen. Einige Hörer beschuldigen
wieder die Militärs, die nichts getan hätten. Ins Studio kommen jetzt wieder Radiomitarbeiter, die Erlebnisse schildern. Offenbar war inzwischen auch
der Verteidigungsminister vor Ort. Immer wieder loben die Moderatoren den eigenen Sender, sagen stolz, dass hier die Informationen geliefert werden.
Der Sender Océan wird immer mehr zum Treffpunkt zahlreicher Journalisten, die sich informieren wollen, zugleich aber auch als Informationsquelle genutzt werden und ins Studio gebeten werden.
Einer der Mitarbeiter, der Sportreporter Jean Tonoukouin, bringt einen
Verletzten ins Studio, Etienne Nyimadjé. Dieser hatte die Erlebnisse direkt
miterlebt und berichtet darüber im Sender. Ständig hat man aber mit Netz-
problemen zu kämpfen, die Mobilfunknetze aller Betreiber brechen zusammen, da zeitgleich viele Stadtbewohner Informationen zu den Ereignissen
oder zur Situation von Angehörigen oder Freunden nahe am Markt einholen
wollen. Es wird klar, dass es die Diamond Bank und Ecobank am Markt Dantokpa waren, die völlig ausgeplündert wurden. Informanten berichten, dass
einige Tote im Krankenhaus in die Leichenhalle (morgue) des Universitätskrankenhauses Centre National Hospitalier Universitaire eingeliefert wurden. Inzwischen ist Etienne Houéssou wieder unterwegs, und ruft noch einmal an, um weitere Informationen zu geben. Schließlich endet die Sendung um 1.30
Uhr. Alle im Studio sind offenbar noch aufgewühlt, bedanken sich gegensei-
tig für den besonderen Einsatz, und verweisen auf die weiteren Sendungen am folgenden Morgen.
Am nächsten Tag berichteten dann alle Sender ausführlich von den Er-
eignissen, zeigen sich entsetzt und empört. Carlos spricht die Ereignisse in
seiner Chronique am darauffolgenden Montag an. Allerdings nehmen nur we-
nige Sender Sondersendungen ins Programm. Bei Radio CAPP FM werden die normalen Nachrichtensendungen inhaltlich mit diesen Ereignissen ge-
füllt. Insbesondere die vormittäglichen grogne-Sendungen mit Anrufer-Interventionen lassen noch einmal großen Raum für zahlreiche Kommentare und
Erlebnisberichte. In seiner Sendung hat Thomas Hemadjé allerdings noch eine Überraschung für seine Hörer parat: er war selbst ins Geschehen gera-
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ten, versteckte sich unter einem Wagen, als der Schusswechsel ablief. Allerdings schaltete er die Aufnahmefunktion seines Handys an und zeichnete so
die Geschehnisse, wenn auch in schlechter Qualität, auf und bindet die Aufnahmen nun in seine Sendung ein. SENDUNGEN IN WAHLZEITEN Besonders in Wahlzeiten ändert sich der Alltag in den meisten Radiosendern insofern, als eine weitaus größere Anzahl von Reportagen und Studiodiskussionen ausgestrahlt werden. Am Wahltag selbst wird von den Journalisten oft direkt vom Ablauf der Wahlen in unterschiedlichen Stimmbezirken be-
richtet. In den Sendern wird unter den Mitarbeitern in diesen Perioden auch viel intensiver über Politik diskutiert. In vielen Fällen stellt sich allerdings
die Frage, wie man mit einem individuellen Engagement für eine bestimmte
Partei umgeht. Stellen sich Radiomitarbeiter zur Wahl oder sind im Wahlkampf involviert, so sind sie angehalten, für die Zeit des Wahlkampfes ihre
Tätigkeit im Sender zeitweise einzustellen. Sie sind aber aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kontakte für die Mitarbeit in Wahlkampagnen sehr gefragt.
Am 10. März 2011 werden wir vor dem Gebäude des Radiosenders
Arzèkè in Parakou für eine Wahlkampfveranstaltung für den Kandidaten Ab-
doulaye Bio Tchané, kurz ABT genannt, abgeholt. Wir, das sind eingeladene Journalisten und Mitarbeiter von lokalen Radiosendern und Zeitungsredak-
tionen, die über keine eigenen Dienstfahrzeuge verfügen. Unterwegs steigt eine Gruppe von Frauen zu, die während der Veranstaltung singen und tan-
zen sollen. Am Ort der Veranstaltung ist schon ein Walkampfteam präsent,
das die letzten Vorbereitungen trifft. Die Tonanlage wird aufgebaut, Bänke aufgestellt. Anschließend eröffnet Hadizath Harouna, Wahlkampfmitarbeite-
rin und im Hauptberuf Moderatorin beim Sender Radio Arzèkè FM, die Veranstaltung. Sie spricht vor allem über den Einsatz des Kandidaten ABT für
die Landbevölkerung und insbesondere für die Frauen. Die mitgereisten
Journalisten nehmen Ansprachen etlicher Anhänger ABTs auf, fotografieren,
machen Notizen. Schließlich steht ihnen Hadizath für ein Interview zur Verfügung, bevor wir nach ca. zwei Stunden wieder zurück nach Parakou fahren. Der Bericht über die Veranstaltung erfolgt dann bei den meisten Sendern am nächsten Tag in den Mittagsnachrichten (Parakou, März 2011).
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Wahlperioden sind zugleich sensibel, da die meisten Sender sich nur un-
gern den Vorwurf einer Parteinahme einhandeln wollen. Oft werden interaktive Sendungen gar eingestellt, und über Meetings von Parteien nicht be-
richtet. Die HAAC wählt aber meist Radiostationen aus, in denen Kandidaten sich – in klar vorgegebenen Sendezeiten – vorstellen können. KULTUR UND RELIGION Einen eher randständigen Platz in den Sendeplänen der Radiostationen in
Benin haben Sendungen zu allgemeinen kulturellen, literarischen und philo-
sophischen Themen. Sie werden überwiegend von jüngeren, gebildeten
Stadtbewohnern, Studierenden und Angestellten gehört. Wenn sie in einheimischen Sprachen gesendet werden, erfreuen sie sich aber einer größeren
Zuhörerschaft. Die Bandbreite ist hier sehr groß und reicht von Diskussionen
mit Gästen zur Traumdeutung über spirituelle Themen, dem Ifa-Orakel bis hin zu Erörterungen traditioneller Werte im Vodun (z.B. in der Sendung questions actuelles von Lucien Dossou, Radio CAPP FM, zusammen mit Prof. David
Koffi Aza zum Vodun anlässlich des Festes der traditionellen Religionen im Januar 2013).
Einer der prominentesten Moderatoren ist in dieser Hinsicht sicher El-
mancio Godson, mit seinen Programmen au-delà du réel, und les portes de
l’étrange, die er bereits seit einigen Jahren auf Radio Golfe FM gestaltet. Die Sendungen wenden sich allgemeinen spirituellen, philosophischen, religiö-
sen und ethischen Themen zu. Sie werden vor allem von jungen Leuten gern gehört, wie meine Umfragen und Tiefeninterviews im März 2008 in Cotonou
belegen. Godson ist kein Mitglied einer Kirche, aber der Vereinigung Aksha-
ram. Die Gruppe stellt sich als Gemeinschaft ‚erleuchteter‘ und ‚initiierter‘ Personen dar, die Spiritualität und die Diskussion zu Fragen des Lebensstils, Religiosität und Moral fördern möchte. Neben seinen Radioauftritten bei
Golfe FM tritt auch in TV-Sendungen auf, arbeitet als spiritueller Führer in seiner Gemeinschaft und hauptberuflich als Buchhalter in einer Frachtgesell-
schaft. In seinen Programmen spricht er eine ganze Reihe unterschiedlicher
Themen an, von ethischen Fragen im Alltag bis hin zu Kernfragen religiösen Glaubens einschließlich von bestimmten Dogmen, die er kritisch hinterfragt.
Dabei diskutiert er Probleme wie die praktische Bedeutung von Spiritualität oder vergleicht Religionen hinsichtlich ihrer Ursprünge und ihrer Bedeutung
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im Alltag. „Das Fehlen von Spiritualität bei der Jugend ist ein Verbrechen!“ äußerte er mehrfach.
Godson versteht sich als allen Religionen und Denkrichtungen gegenüber
neutral eingestellt, ist aber ein Anhänger der Rosenkreuzer-Bewegung. Die Auswahl der Themen hat mitunter den Widerspruch prominenter Mitglieder protestantischer und katholischer Kirchengemeinschaften auf den Plan gerufen, die sich beim Sender über ihn beklagten, was seiner Beliebtheit aber
nicht schadete. Nach seinen Aussagen geht es ihm jedoch um das allen Religionen gemeinsame Positiv-Spirituelle, das wichtiger als dogmatische oder widersprüchliche Lehren sei. Die Sendung ist nach Bekunden vieler Ge-
sprächspartner deshalb interessant, weil sie zum Nachdenken anregt. Sie wirft Fragen auf, die nirgends sonst diskutiert werden und jenseits elterlicher Vormundschaft Anregungen für junge Leute in Momenten religiöser und allgemeiner Sinnsuche bietet. Oft wird er für Konferenzen und Diskussionsrun-
den eingeladen. Seine Vereinigung bietet zudem spezielle Seminare an (Cotonou, März 2008).
GENRES DER ORALLITERATUR Vor allem in den ländlichen Gemeinderadios findet man einen großen Anteil
an Sendungen, die Genres der oralen Tradition (oder Oralliteratur) wie Märchen, Erzählungen, Rätsel etc. aufnehmen. In diese Kategorie gehören auch Sendungen, die lokale kulturelle Besonderheiten, Traditionen, Religionen, Rituale etc. vorstellen. Schließlich lassen sich hier auch neuartige Verknüpfungen von ritueller Praxis und radiomedialer Aufbereitung finden.
Ein Beispiel für diese Formate sind z.B. Sendungen rund um das Fâ-Ora-
kel (auch Ifá; vgl. Maupoil 1943) und deren Deutung durch die Fâ-Priester (Babaláwo), die seit einiger Zeit einen herausragenden Platz im Sen-
deschema von Radio Ilèma (bei Dassa) einnehmen. Das Orakel ist eine rituelle Weissagung, die im Rahmen einer Konsultation eines Priesters durch einen Kunden erfolgt. Hauptaccessoire des Priesters ist eine Kette mit Muscheln oder Früchten, die unterschiedliche Konstellationen ergibt, die
wiederum mit Parabeln sowie Liedern verbunden sind. Der Priester wird von
einer Gesangs- und Musikgruppe begleitet. Weissagungen und Lieder wurden von der Radiostation aufgenommen und in Kultur-Sendungen ausgestrahlt (Ilèma, März 2010).
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Eines der erfolgreichsten Programme von Radio CAPP FM in Cotonou ist
dem Märchen gewidmet. Diese Sendung unter dem Title Tan Hoho, Ho yoyo gestaltet die Moderatorin Flore jeden Sonntagabend 21-22.30 Uhr zusammen mit den Mitgliedern einer Vereinigung, die die Märchen der Fon pflegen
möchten. Meist kommen Mitglieder recht verschiedener Generationen zum Radio, um dann abwechselnd zusammen mit Flore oder mit einem anderen Partner im Studio Märchen darzubieten. In einem bestimmten Moment der
Sendung werden auch Anrufer angenommen, die Märchen erzählen oder die Darbietungen der Studiogäste bewerten. Gleichzeitig ist der Sonntagabend
ein Treffpunkt für die Vereinigung, denn die anderen Mitglieder, die gerade nicht im Studio sind, verfolgen die Sendung gemeinsam auf dem Hof der Station und diskutieren zugleich laufende Angelegenheiten des Vereins.
Über die Jahre ist der Verein sehr bekannt geworden und hat auch an-
dere Aktivitäten initiert, unter anderen die Organisation von Nuit des Contes sowie Märchen-Festivals. Ich konnte an einem dieser Festivals am 7.12.2008 (Festival International du Conte et de la Parole, FICOP; Organisation CAPP FM mit Christine Adjahi Gnimagnon, Association DO MASSE) teilnehmen,
das auf dem Gelände des Senders und anderen Orten in Cotonou unter großer
Publikumsbeteiligung stattfand und live im Radio übertragen wurde (Coto-
nou, Dezember 2008). Im Dezember 2010 sowie 2012 fanden dann die dritte und vierte Ausgabe des Festivals statt, das auch weitere Städte einbezog. RADIOTHEATER Radiotheater ist eine beliebte, wenn nicht in allen Sendern gleichermaßen umfangreich vertretene Programmform. Hier handelt es sich nicht um das
Format des Hörspiels, sondern um Theaterstücke, die dann in adaptierter
Form für Tonmitschnitte aufgeführt und später ausgestrahlt werden. Radio
Non Sina in Bèmbèrèkè produziert z.B. kleine, 5-10minütige Sketche, die sich typischen Alltagssituationen wie Kontrollen durch Gendarmen oder Diskussionen über Preise auf dem Markt widmen. Die Sketche werden von zwei
Laiendarstellern, einem Händler und einem Motorradmechaniker, zusammen mit dem Programmchef entwickelt und aufgezeichnet. Nach der Sen-
dung können sich die Hörer zu den Themen per Telefon äußern (Februar 2010). Bei Radio Solidarité FM Djougou ist dies schon länger ein integraler
Bestandteil des Programmes. Hier werden die Darbietungen von zwei Theatergruppen verschiedener Stadtteile aufgezeichnet, die ihre Aufführungen
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auf das vornehmlich akustische Hörerlebnis im Radio hin anpassen. In einer
Sendung von Radio Solidarité FM Djougou im Dezember 2008 wurde z.B. eine Aufführung der Gruppe Baban Gida ausgestrahlt. Im Stück geht es um zwei junge Frauen, die von ihren Eltern verheiratet werden sollen. Eine der
Frauen akzeptiert, dass ihr Vater auf eine baldige Heirat drängt, während
ihre Schwester rebelliert. Sie hat einen Freund, möchte aber noch nicht hei-
raten, sondern ihre Ausbildung fortsetzen. Sie wird von ihrer Mutter unter-
stützt und kann am Ende des Stückes, voller Turbulenzen und Komik, den Vater umstimmen (Übersetzung aus dem Dendi: Miftaou Sidikou, Natitingou).
Die Sendungen werben zugleich für die Theatergruppen, die daraufhin oft zu Veranstaltungen eingeladen werden (Djougou, November 2009). GROGNE Unter diesem Stichwort, das so viel wie Zorn äußern, Granteln bedeutet,
wird wie bereits erwähnt, eine Anrufersendung verstanden, bei der sich Hörer frei und direkt zu aktuellen Themen äußern oder Missstände kritisieren
können. Die Meinungsäußerungen betreffen Themen wie schadhafte Straßen, überhebliche Beamte, unvorsichtige LKW-Fahrer, Müllecken auf dem Markt; aber auch Unmut über neue Preissteigerungen wird ausgedrückt. Die Sendung ist ein Spiegelbild des urbanen Alltagslebens und der Probleme der kleinen Leute. Es werden aber auch brisante Themen wie Korruption und
Amtswillkür angesprochen. Die Frage, wie bestimmte Angaben zu verifizieren seien oder wie Gegendarstellungen in diesem Rahmen möglich sind, führte jedoch zu öffentlichen Diskussionen, Beschwerden und Versuche des Verbots durch die HAAC. Nach Hörerprotesten wurden die Sendungen unter Auflagen aber wieder zugelassen (vgl. ausführlicher im Abschnitt V,1).
Im Gegensatz zu Schulz (1999a) zeigen meine Erfahrungen, dass neben
den identitätsstiftenden Aspekten der Sendungen lokaler Radiostationen und
den normativ-moralischen Diskursen, die diese vornehmlich dominieren, auch politische Inhalte, bezogen auf lokale wie nationale Arenen, von Hörern goutiert und diskutiert werden. Das Interesse an politischen Debatten ist bei
verschiedenen Hörergruppen aber unterschiedlich ausgeprägt. Eine Erweiterung des grogne-Formates stellen Sendungen dar, bei denen sich ebenfalls
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Anrufer zu Wort melden können, dies aber rund um ein Thema und in etwas dialogischer Form geschieht.
Eine bekannte Sendung dieser Art ist z.B. Carton Rouge, die Golfe FM
samstags von 7 bis 8 Uhr ausstrahlt. Sie ersetzt die grogne-Sendung an diesem
Tag, fokussiert aber auf Themen wie städtische Baumaßnahmen, oder Fragen des richtigen Verhaltens gegenüber Autoritäten. Die meisten Sender führen
bei diesen Anrufersendungen ein Kurzprotokoll, das die Namen der Anrufer führt. Bei Radio Non Sina in Bèmbèrèkè wird dieses Protokoll allerdings et-
was genauer gestaltet. Dort werden minutiös die Themen und Argumente der Hörer notiert, um später damit entsprechende Autoritäten oder Verantwortliche zu konfrontieren. Handelt es sich um eine schwerwiegendere Kontro-
verse oder einen größeren Konflikt, so wird dies dann oft zum Anlass genom-
men, Reportagen zum Kontext des Falles zu produzieren. So führten beispielsweise Beschwerden der Hörer über Unregelmäßigkeiten der Arbeit von
Veterinären
am
Ort
zu
entsprechenden
(23.02.2010, Bèmbèrèkè, Radio Non Sina, 9.30 Uhr).
kritischen
Berichten
CHRONIQUES Eine besondere Form etwas anspruchsvollerer Radioproduktion sind Leit-
kommentare oder Radiokolumnen (chroniques). Sie stammen ursprünglich
aus dem Pressewesen und sind – nach klassischem Vorbild – als etwas län-
gere individuelle Meinungsäußerung, meist des Chefredakteurs oder des Stationsdirektors, zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen kon-
zipiert. Die Nachrichtensendungen spiegeln zwar ebenfalls die Haltung der
Journalisten und Grundposition der Redaktionen und der Eigner (ligne éditorial) wider, enthalten sich aber leider meist weitergehenden Kommentierun-
gen oder Erläuterungen. Debatten zu aktuellen Fragen sind in der Regel Diskussionssendungen mit Studiogästen oder den Presseclub-Sendungen vorbehalten – oder werden eben in den Leitkommentaren aufgenommen.
Trotzdem gibt es derzeit nur wenige Radiosender, die regelmäßig Leit-
kommentare ausstrahlen. Am bekanntesten sind jene von Radio CAPP FM in Cotonou sowie Radio Arzèkè FM in Parakou. In ersterem Falle werden diese vom Stationsdirektor Jerôme Carlos gestaltet, bei Radio Arzèkè ist dafür der Programmchef Gaston Yamaro zuständig. Die Produktion dieser Leitkommentare weist in beiden Fällen Unterschiede, aber auch viele Gemeinsam-
keiten auf. Bei beiden Sendungen gilt gleichermaßen, dass sie auf der Basis
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pointierter und gut redigierter Manuskripte der Protagonisten gestaltet und von diesen selbst (in der Voraufzeichnung) gesprochen werden.
Beide Kommentarbeiträge werden in der Erstausstrahlung meist in einer
Morgensendung, oft im Anschluss an die Morgennachrichten, gesendet und
später noch einmal wiederholt. In beiden Fällen werden dann die Sendungen noch einmal weiter verwendet. Im Falle von Gaston Yamaro von Radio
Arzèkè in gesammelter Form auf einer CD zum Verkauf angeboten. Jene von Jerôme Carlos erfährt eine vielfältiges mediales Leben: im Radio, im Internet auf seinem Blog, dann in einer nachfolgenden Fernsehaufzeichnung von Canal3 und schließlich in gedruckter Version in einer Buchreihe. Die Singu-
larität der Sendungen bei bestehender Konkurrenz unter den Sendern ist den Radiomitarbeitern bewusst. Bei CAPP FM werden die Leitkommentare als Aushängeschild des Senders betrachtet, und mit Programmhinweisen ange-
kündigt. Auch der Direktor des Senders Radio Arzèkè, Mansourou Traoré, stellt diese Kommentare als Besonderheit in Parakou heraus, vor allem gegenüber den örtlichen Konkurrenten von Radio Fraternité und Urban FM.
Die Inhalte der Kommentare sind allerdings verschieden. Carlos spricht
eine viele größere Bandbreite von Themen an; von Kulturpolitik, panafrika-
nischen Ereignissen, Sport, dem Pressewesen bis hin zur Rolle einzelner po-
litischer Persönlichkeiten. Yamaro ist hingegen eher kommunalpolitisch so-
wie – als Moderator von filmischen Dokumentationen zur Traditionen der Bariba – kulturpolitisch orientiert. Er arbeitet zeitweise für die Stadtverwaltung in Parakou, betont aber: „Ich habe nie meine Feder in den Dienst der
Politik gestellt. Vielleicht ist meine große Freimütigkeit unbequem, aber ich bin überzeugt, dass dies mein Leben verbessert.“ (zitiert in Kwagou und Okpara 2014)163 Beiden Journalisten gelingt es, Themen differenziert und zugleich kritisch anzusprechen, ohne Personen zu diffamieren. Yamaro wurde kürzlich Direktor der CRS Radio Deeman in Parakou (April 2014.)
163 Übersetzung, Original: „Je n’ai jamais mis ma plume au service de la politique. C’est peut-être ma très grande liberté de ton qui dérange, mais je suis convaincu que c’est ce que j’ai de mieux dans ma vie.“
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THEMENBEZOGENE REPORTAGEN UND FEATURES Längere thematische Sendungen mit einem Feature-Charakter werden in den Radiostationen in Benin eher selten produziert. Sie erfordern Mitarbeiter mit entsprechenden Zeitbudgets und Recherchefähigkeiten. Viele Hörer, vor allem Intellektuelle, fragen diese aber nach und goutieren gute entsprechende
Sendungen, vor allem zu Themen wie Korruption und der Arbeit von Behör-
den, aber auch jene zu kulturellen oder geschichtlichen Aspekten des Landes. Hier hat nach wie vor der staatlichen Sender Radio Benin mit Sendungen wie droit de cité zu lokalen Traditionen (Claudine Hodonou) einen Vorteil.
Radio Fraternité sendet von Zeit zu Zeit Features unter dem Titel Grand
Reportage. Es handelt sich um Reportagen mit Interviewsequenzen vor Ort.
Einige davon, wie der Bericht zur Situation der derzeit nicht arbeitenden Eisenbahngesellschaft, gelangen so gut, dass sie mehrfach wiederholt wur-
den. Die sonntägliche Sendung éclairage des staatlichen Senders Radio Benin spricht vorwiegend entwicklungsrelevante Themen an, wie z.B. über Gesund-
heitsprobleme (z.B. am 16.8.09 über Impfprogramme für Kinder in Zusammenarbeit mit UNICEF), aber auch Diskussionen mit Studiogästen zu aktuel-
len politischen Fragen (z.B. am 7.4.2013 präsentiert von Georges Amlon mit den Journalisten Expédit Ologoun, Henri N’Da Sékou, Wilfrid Adoun sowie dem Gewerkschaftsführer Pascal Todjinou zur Bilanz des Präsidenten nach zwei Jahren seiner zweiten Amtszeit).
Kleinere Sender können aufgrund ihrer Möglichkeiten hier nicht immer
mithalten. Aber auch dort findet man mitunter gute investigative Leistungen,
wie z.B. die (von der Association des Journalistes et Communicateurs Scientifiques du Bénin für das Jahr 2010 preisgekrönte) Reportage „L'eau de la Soneb
est-elle toxique à Parakou?“ von Gaston Yamaro, damals Programmchef und Journalist von Radio Arzèkè in Parakou, über die Ursachen der schlechten Trinkwasserqualität im Raum Parakou. PRESSESCHAUEN Ein überaus beliebtes Format sind Presseschauen, vor allem in beninischen
Sprachen. Die erfolgreichste Sendung dieser Art von Dah Houawé wird von CAPP FM ausgestrahlt und wurde eingangs dieses Buches bereits vorgestellt.
Jene ist sicher am beliebtesten, wurde aufgrund des marktschreierischen Stils von der Medienbehörde aber wiederholt kritisiert. Die Leitung des Senders
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beschloss, diese vor Ausstrahlung aufzuzeichnen, um Übertreibungen, auf die sich der Moderator gern einließ, notfalls herausnehmen zu können.
Dah Houawé, der Star der morgendlichen Radiopresseschau in Cotonou,
taucht nach seinen Sendungen im Laufe des Tages in buvettess oder beliebten Imbissläden, auch beim wichtigsten Treffpunkt der Motorradtaxifahrer der
Stadt hinter dem Universitätskrankenhaus auf. An diesem Ort steht auch der größte Zeitungskiosk Cotonous, der die Titelseiten der Tageszeitungen aushängt. Von den Taxifahrern bekommt er unmittelbares Feedback auf seine
Sendungen, die letztere meist leidenschaftlich verfolgen, sowie Einblick in
aktuelle Diskussionen, Gerüchte und Informationen, die er in Gesprächen mit den Pressejournalisten nutzt, mit denen er morgens vor seiner Sendung nach Eintreffen der Zeitungen telefoniert (Cotonou, November 2009).
Presseschauen sind inzwischen ein fester Bestandteil fast aller öffentli-
cher und privater Sender (wie z.B. auch von Golfe FM auf Fongbé in einem
ähnlichen Stil wie jene von Dah Houawé, präsentiert von Martial Dossou). Sie sind beliebt nicht nur bei Leseunkundigen, bieten sie doch eine gute Zu-
sammenschau von politischen Debatten in der Presse, die meist viel prob-
lemorientierter (und auch polemischer) berichten, als z.B. die Fernsehsender. Leider ist in dieser Hinsicht bei vielen Gemeinderadios eine gewisse Zurück-
haltung zu spüren. Dies liegt sicher daran, dass tagesaktuelle Zeitungen in diesen Sendern oft aus finanziellen und logistischen Gründen ebenso wenig zur Verfügung stehen wie Korrespondenten, die dies bewerkstelligen könn-
ten. Zudem ist in vielen dieser Sender eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit den oft polemischen Titeln vieler Zeitungen vor dem Hintergrund eines nur begrenzten Insiderwissens spürbar.
Radio Fraternité in Parakou strahlt vormittags werktäglich Presseschau
im Rahmen der Sendung le grand direct aus, die auf der Auswertung einer großen Bandbreite von Zeitungen beruht, die im Wesentlichen am selben Morgen nur in Cotonou erhältlich sind (und in Parakou u.U. einem halben
Tag Verzögerung eintreffen). Dies ist dank eines Korrespondenten möglich,
der in der Partner-Zeitung Fraternité arbeitet, der diese Presseschau vorbereitet und in der Regel per Telefon zur Station in Parakou übermittelt, wo diese aufgezeichnet wird, und in leicht bearbeiteter Form dann nach den Morgennachrichten ausgestrahlt wird. Auch Radio Arzèkè bot zeitweise einen sol-
chen Service an, als sich ein Mitarbeiter zu einer Weiterbildung in Cotonou aufhielt.
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KINDER- UND JUGENDSENDUNGEN Spezielle Programme für Kinder und Jugendliche sind selten, und finden sich
vor allem in den staatlichen Sendern (tribunes jeunes, Radio Bénin; salut les copins, Radio Parakou) oder werden im Auftrag von NRO wie Amour et Vie
ausgestrahlt. Viele Sender nehmen aber – vor allem in den Ferien – spezielle Sendungen für Kinder und Jugendliche ins Programm, die teilweise auch von
diesen gestaltet werden. So bot Radio Tokpa einmal im Monat an jedem letz-
ten Sonntagmorgen ein Jugend Programm unter dem Titel Nous, mit Musik, Reportagen und Diskussionen an. Die Jugendlichen erhalten dabei Unterstüt-
zung von den Radiomachern, allen voran dem Stationsdirektor, der auch selbst als Diskussionspartner zur Verfügung steht. Die Kinder werden zuvor
sorgfältig ausgewählt, müssen nach dem Abitur aber anderen das Mikrophon überlassen. Plan Benin und UNICEF unterstützen das Projekt mit Hilfen für
Transport, Imbiss und Computertechnik (Bailly 2007). Auch im Sender CAPP FM gab es ein besonderes Programm, zu dem Jugendliche eingeladen wurden, um über ihre Probleme zu sprechen. Dies wurde jeden Samstag um 19 Uhr von Wilgis Agossa moderiert. Später wurde es abgesetzt, da offenbar
immer die Freunde der bisherigen Studiogäste als neue Gesprächspartner auftraten.
SPORTSENDUNGEN Beliebt sind in vielen Sendern auch die Sportsendungen. Sie nehmen oft einen großen Platz in der Programmgestaltung, vor allem nachmittags und
abends, ein. Nach dem Vorbild der staatlichen Radiosender werden dabei oft ausgiebige Diskussionen mit Studiogästen zu aktuellen sportlichen Ereignissen und Ergebnissen produziert, die inzwischen auf mehrere Stunden ausge-
dehnt werden. So wurde die Sendung CAPP Sport vom Mittwoch gar auf den Samstagabend, 19-21 Uhr, verlegt. Fast die gesamten zwei Sendestunden diskutieren die Studiogäste – oft drei bis vier Teilnehmer – die aktuellen Resultate, vor allem aus dem Bereich des Fußballs. Dabei gehen die Moderatoren Wilfrid und Mesmin nicht nur vor, sondern auch während der Sendung ins
Internet, um die aktuellen Resultate der Samstagsspiele aus einigen europä-
ischen Fußballligen zu erkunden und in der Sendung mitzuteilen und zu be-
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sprechen. Zentraler Teil der Diskussionen ist aber immer die eigene Fußball-
nationalmannschaft der Republik Benin, Les Écureuils, deren Leistungen – trotz gewöhnlich nur mittelmäßiger Erfolge – ausgiebig bewertet werden.
Einen ähnlich großen Anteil nehmen Sportsendungen auch bei den Sen-
dern Radio Tokpa (hier innerhalb der Sendung week-end à tous vents mit Guy Kpakpo sowie FSP, bei dem etliche Korrespondenten anrufen, u.a. Wenceslas
Toko aus Marseille) sowie vor allem auch Radio Océan FM ein. Océan bietet dabei am Samstag- und Sonntagnachmittag viele Direktübertragungen, vor
allem von Ereignissen aus den Stadien in Cotonou an. Aber auch hier kommentieren Studiogäste, Sportler, Sportexperten, Vertreter von Sportverbänden, befreundete Sportjournalisten, exponierte Sportfans u.a. das aktuelle
Sportgeschehen. Regelmäßig zeichnen die einzelnen Sportverbände auch die ihrer Meinung nach besten Sportjournalisten aus.164 MUSIKSENDUNGEN Musik ist natürlich ein zentraler Bestandteil des gesamten Tagesprogrammes
in allen Radiosendern Benins. Generell senden die meisten Stationen vor al-
lem afrikanische Popmusik, haben aber immer einen gewissen Anteil ‚traditioneller Musik‘ aus Benin, je nach Senderegion, im Programm. Spezielle Musiksendungen widmen sich entweder bestimmten Genres wie Gospelmusik,
Jazz, Hip-Hop etc., der Vorstellung neuer CDs bzw. Musiker oder der Ankündigung von Konzerten. Typisch sind auch die Samstagabend-Tanzmusiksendungen im DJ-Stil (bal du samedi soir).
Ein Beispiel: „Liebe Hörer, die Sie mit Radio Tanguiéta jeden Tag rund um die Uhr verbunden sind, Hörer in Matéri, Cobly und Mamoussa, hier ist der bal du samedi soir, am Mikrofon ist Tonton Blimpo, der chevalier des ondes. Er hat technische Unterstützung aus der Senderegie von Sandros Tigri. Liebe Stimmungskanonen (ambianceurs), jetzt vibrieren die nationalen und internationalen Rhythmen [...] und wir werden später die Party im APP [eine Diskothek, T.G.] weiterfeiern!“ (Aufnahme RRL Tanguiéta, 20.3.1999, 21 Uhr)
164 Zu den Gewinnern der Benin Football Awards als meilleur journaliste sportif (Radio) gehörten z.B. im Jahre 2007 u.a. Franck Darius Dade von Radio Tokpa, William Bassabi (Radio Bénin) und Albert Ogoudedji (Radio Océan FM).
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Fast alle Sender strahlen auch ‚Nostalgie‘-Programme aus, d.h. jene, die sich
erfolgreichen Titeln der Popmusikgeschichte Afrikas widmen. Ein immer
wiederkehrendes Muster sind Anrufersendungen, bei denen die Hörer zugunsten bestimmter Musiktitel abstimmen können. Am Bekanntesten ist hier-
bei sicher die Sendung BENIN TOP 10, die von Ulysse Elliot Djodji im Sender
Atlantic FM (ORTB) am Jahresende präsentiert wird und zugleich im ORTBFernsehen mit den Videos der Künstler beworben wird. Die besten Pop-
Künstler werden dann auf einem öffentlichen, im ORTB-Fernsehen übertragenen Konzertabend prämiert.
ANKÜNDIGUNGEN, ANNONCEN UND TODESANZEIGEN In allen Sendern sind umfangreiche Ankündigungen, Bekanntmachungen
(avis et communiqués) wie z.B. Veranstaltungshinweise, Arbeitsangebote, Aus-
schreibungen, Suchanzeigen oder Informationen von Behörden sowie Radioanzeigen aller Art ein wichtiger Bestandteil der Sendepläne. Die Mehrzahl
dieser Anzeigen müssen von den Auftraggebern bezahlt werden. Sie werden, oft in Verbindung mit Werbeblöcken meist vor und nach den Hauptnachrich-
ten des Tages ausgestrahlt und erhalten gerade in einem Land mit vergleichs-
weise geringer Schriftverbreitung eine große Bedeutung. Diese InformationsFunktion des Radios in Benin wird vor allem anhand der Todes- bzw. Trauerfeier-Anzeigen (in Benin: annonces nécrologiques) deutlich. Sie nehmen, wie fast überall in Afrika, seit Beginn der Radiosendungen einen großen Platz ein
und sind auch im Fernsehen (meist vor den Hauptnachrichtensendungen)
sehr präsent. Diese Bedeutung ergibt sich – neben der größeren Reichweite
im Gegensatz zu Anzeigen in Zeitungen mit geringer Verbreitung – aus der
großen sozialen und kulturellen Bedeutung der Todesfeiern in Benin, die als sociodrames (Noret 2010a) ein wichtiger Bestandteil öffentlicher Rituale im Land sind.
Am 12.3.08 kommt ein junger Mann ins Büro des Senders Suuti Deera in
Nikki, um eine Todesanzeige in Auftrag zu geben. Es handelt sich um den
Tod des 85-jährigen Herrn Alanissounon aus Gouré im nahen Nigeria, aus der ethnischen Gruppe der Fulbe, der hier annonciert wird. Der Sekretär
Lafia Abdoumounirou erwähnt, dass es in Nigeria erst weit im Inland einen vergleichbaren Sender gibt, wodurch die Annoncen des Radios in Nikki ge-
rade auch in lokalen Sprachen für Bewohner jenseits der Grenzen interessant
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sind. Der Überbringer hat Verwandte in Nikki, die ebenfalls auf dem Schreiben erwähnt sind.
Der Anzeigenpreis richtet sich nicht nach Zeitdauer oder Zeilenanzahl,
sondern wird pro erwähntem Familienverband (collectivité)165 mit 1.500 FCFA (2,30 €) berechnet. In der Nachricht werden sieben (Groß)-Familien erwähnt, also sind es in diesem Falle 3.500 FCFA (5,30 €), die pro Ausstrahlung erhoben worden. Er übergibt ein vorbereitetes Schriftstück und möchte,
dass diese Nachricht zweimal über den Sender geht. Allerdings reicht das Geld (4.000 FCFA, ca. 6 €) nicht, das man ihm mitgegeben hat, und so muss er sich entscheiden, wann und in welcher Sprache es ausgestrahlt werden soll – am Ende nur in Fulfulde, einmal vor den Abendnachrichten.
Manche Todesanzeigen sind lang, schließen den ausführlichen Ablauf der Todesfeiern über mehrere Tage ein und erwähnen eine lange Liste von Trau-
ernden. Gerade diese Anzeigen erhöhen wesentlich die Einnahmen der meisten Radiostationen. Mitunter gibt es das Programm der Trauerfeiern auch in gedruckter Form, was das Verlesen leichter macht.166
Eine der von außen betrachtet sicher ungewöhnlichsten Rubriken inner-
halb der Verlautbarungen und Informations-Dienste ist sicher das Verlesen
von Schuldnern gegenüber staatlichen Kreditprogrammen. Dies erfolgt im Sender Radio Tokpa z.B. immer samstags, meist nach den Mittagsnachrich-
ten. Der Stationsdirektor selbst verliest dabei die vollen Namen und geschul-
deten Summen. Natürlich werden die Beteiligten auch angeschrieben, aber, so die Begründung, geht viel Post verloren und somit erreicht die Nachricht
viel effektiver die Betreffenden. Fragen des Datenschutzes wurden hier als
nicht relevant erachtet, ebenso wenig wie ein möglicher Gesichtsverlust – viele Leute würde irgendwo Schulden haben, das sei nichts Ungewöhnliches,
165 Hier sind patrilineare Deszendenzgruppen unterschiedlicher Größe gemeint. 166 Beim Tod von Kollegen auch anderer Stationen oder von Presseorganen erfolgen umfangreiche Beileids-Bekundungen. Man besucht Trauerfeiern und strahlt Sondersendungen aus. Dies erfolgte z.B. beim Unfall-Tod des ORTB-Fernsehmitarbeiters Jérôme Azagoun (2007); anlässlich des Todes von Clément Houénontin, ehemaliger Direktor des ORTB-Fernsehens, der damals der HAAC angehörte (Februar 2008); beim Tod des Komikers und Moderators Dah Badou (Radio Planète, Oktober 2008) oder von Mathias Ahomagnon (Radio Star & Radio Océan, Januar 2009).
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und von den Betroffenen hätte sich noch niemand beschwert, argumentiert der Stationsdirektor (Cotonou, März 2013). INTERAKTIVE SENDUNGEN -QUIZSHOWS Inzwischen haben fast alle Sender Quizshows im Programm. Hier verbinden sich die Vorteile der Interaktivität von Anrufersendungen mit einer meist lockeren Moderation und einem Höranreiz zu einem beliebten Sendeformat. Quizshows sind für die Sender kostenneutral, da die Preise meist gestiftet
werden. Hier beteiligen sich vorwiegend ortsansässige Gewebetreibende, Händler oder Handwerker, die hierin eine einfache, preiswerte Art der Werbung sehen.
Auch auf Radio Solidarité FM Djougou ist die Quizshow (azimut) eine der
beliebtesten Sendungen. Sie wird sowohl auf Französisch als auch auf Dendi ausgestrahlt. Vor allem die wochentäglichen, vormittäglichen Sendungen auf
Dendi sind sehr erfolgreich, weil fast alle Bewohner des Ortes Dendi verstehen. Der Stamm-Moderator Noureddine gestaltet die Sendung mit viel Witz
und Humor und erreicht am Vormittag viele Bewohner der Stadt, die in Ateliers oder auf dem Markt Solidarité FM als Tagesbegleitprogramm einge-
schaltet haben. In der Sendung vom 14.2.2009 konnte man z.B. ein T-Shirt und ein Moskitonetz gewinnen, die das Schreibwarengeschäft Etablissement
énergie et fils dem Sender für ein Quiz-Programm im Rahmen des Kampfes
gegen die Tuberkulose zur Verfügung gestellt hatte. Es wurden vor allem Fragen zur Tuberkulose gestellt (z.B. wie wird Tuberkulose übertragen etc.).
Der Moderator dankt dem Besitzer des Schreibwarengeschäftes, das Büromaterialien und Schulsachen führt.
Weiterhin wurden Preise wie Schulhefte von, wie es hieß, „unseren übli-
chen Sponsoren“ gestiftet, darunter Friseure, eine Cafetariya, ein Restaurant, ein Cybercafé namens espace haut débit sowie deren jeweilige Geschäftsführer
erwähnt. Auch im Laufe der Sendung und am Ende wurden die Sponsoren genannt. Zudem wurden, wie meist üblich, auch alle Anrufer noch einmal
mit vollständigem Namen und z.T. auch mit ihrem Wohnort in Erinnerung gerufen (Djougou, Februar 2009).
Im Sender Radio Nanto gestaltet Sylvain Marcos, genannt Prince Cool (vgl. Abbildung 4), die Quizshow Jeux Heureka. Sie wird an Nachmittagen meist
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auf Französisch ausgestrahlt. Die Quizfragen beziehen sich auf politische Ereignisse, geschichtliche oder kulturelle Fakten. Wann fand die Konferenz von
Brazzaville statt? Wer war der zweite Präsident Dahomeys? Die Mehrzahl der Hörer sind aufgrund der Sprachwahl und der Quizfragen vor allem Schü-
ler der Sekundarstufe, mitunter auch Angestellte. Die Preise werden auch hier von einigen Gewerbetreibenden des Ortes gestiftet, z.B. Gutscheine für
Essen in Restaurants wie La grignotte, freie Kopien, Minuten im Cybercafé oder ein T-shirt eines Kleiderhändlers (Natitingou, März 2010). POLTISCHE DISKUSSIONSSENDUNGEN Vor allem die mehr Nachrichten- und informationsorientierten großstädtischen Sender wie Tokpa FM, CAPP FM und Golfe FM haben politische Dis-
kussionssendungen im Programm, die eine Mischung aus Interviews, Talkshows und Anrufersendung darstellen. Meist werden ein oder mehrere
Studiogäste eingeladen und zu aktuellen politischen Themen befragt. Später
werden dann die Leitungen für Anrufer zum Mitdiskutieren geöffnet. Die Stu-
diogäste beantworten Fragen im Dialog mit Moderatoren und Zuhörern. Hier war der private Sender Golfe FM Vorreiter, der vor allem am Sonntagvormittag die Sendungen unter Titeln wie Ma part de vérité einführt. Kurz darauf
entwickelte auch Radio Bénin ähnliche Formate, wie éclairage (jeweils derzeitige Namen der Sendungen), und bald darauf auch CAPP FM (une heure
pour convaincre; questions actuelles, siehe oben) und Radio Tokpa (et si on se parlait franchement, 75 mn pour tout dire), später cartes sur tables und radio
actualité (Océan FM), jeunesse actu (Ado3S) und kürzlich Le Grand Rendezvous (Soleil FM).
Cartes sur tables wird derzeit von Virgile Ahouansou gestaltet, einen jun-
gen Journalisten, der sich – wie andere im Metier – leidenschaftlich für Po-
litik interessiert. Es handelt sich auch hier um eine Sendung mit einem Studiogast, in der aktuelle Themen diskutiert werden. Meist findet eine folgende
Verwertung der Sendung in einer Kurzfassung in der Tageszeitung der Mediengruppe MATINAL am darauf folgenden Montag statt, in manchen Fällen werden dort auch längere Interviews abgedruckt. Virgile berichtet, dass er
sich bei den Studiogästen etwas absichert, in dem er den Gästen ca. 30min
vor der Sendung die zentralen Fraugen vorlegt, um ihnen auch Reflexionszeit zu geben. Er merkt an, dass es nicht immer einfach ist, einen Studiogast zu finden, der Interesse bei den Hörern weckt.
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So war es am Sonntag dem 28.2.2010 ihm nicht möglich, einen Politiker
zu bekommen, weil an diesem Tag die Festveranstaltung zum 20. Jahrestag
der Nationalkonferenz Benins stattfand. In diesem Falle hatte er ein anderes Format gewählt. Er lud junge Leute, die vor 20 Jahren geboren waren, in die
Sendung ein, um mit ihnen ihre Haltung zur Demokratie in Benin zu diskutieren. Auch Virgile berichtet, dass manche Personen sich als Gesprächs-
partner geradezu aufdrängen. Er geht auf solche Anliegen aber nur begrenzt ein, weil die entsprechenden Personen oft wenig zu den jeweiligen Themen der Woche sagen könnten.
In Vorbereitung der Sendung verfolgt Virgile immer das aktuelle politi-
sche Geschehen und versucht, die zentralen Themen zu erkunden. Ab Mittwoch oder Donnerstag beginnt dann die Suche nach einem geeigneten Gast; meist gehen mehrere Telefonate der Sendung voraus, in denen man sich über
Themen und Schwerpunkte der Sendung verständigt. Zugleich informiert er sich über die Biographie des Gesprächspartners. Der Bezug zu politischen Themen ist immer brisant und kann zu Konflikten führen. In einem Falle, im
November 2009, gab es einen kleinen Eklat. Der damalige Verantwortliche
für das (aufgrund technischer Mängel umstrittene) nationale WahlregisterProjekt LEPI (Liste électorale permanente informatisée), der Abgeordnete
Ephiphane Quénum, wurde als Studiogast mit kritischen Fragen der Hörer
konfrontiert. Aus Verärgerung über den Verlauf der Debatte verließ Quénum die Sendung aber einfach noch vor ihrem Ende.
Ein Anrufer, ein Parlamentsabgeordneter eines gegnerischen Lagers,
hatte einer Darstellung Quénums widersprochen, der daraufhin zu einer langen Erklärung ausholte. Virgile machte ihn nach fünf Minuten vorsichtig darauf aufmerksam, dass auch andere Hörer noch zu Wort kommen wollen, was Quénum als Beschränkung seiner Meinungsäußerung und Beleidigung
auffasste. Virgile musste sich daraufhin bei den Hörern entschuldigen, allerdings wies er dann die Schuld von sich, denn er hatte das Format der Sen-
dung mit der Öffnung für Anrufer im zweiten Teil der Sendung vorab genau abgesprochen. Später war Quénum beim staatlichen Sender ORTB eingela-
den und beschwerte sich wortreich über die ‚Behandlung‘ bei Océan FM. Er warf dem Sender vor, Geld vom genannten Abgeordneten, der ihn in der
Sendung kritisierte, erhalten zu haben. Daraufhin veröffentlichte der Direktor der Station, Bachabi, eine Gegendarstellung, in der diese Anschuldigungen zurückgewiesen wurden (Februar 2011).
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Mitunter sind auch Experten eingeladen, die über ein Thema gut Bescheid
wissen. So traf ich bei einigen dieser Sendungen auf Enthüllungsreporter, auf
Wissenschaftler, Mitarbeiter spezialisierter NRO etc. (z.B. Mathias Hounkpé, Politologe der UAB, oder Clotaire Olihidé, Spezialist zu Fragen der Wahlor-
ganisation; 2008, 2011). Hinzu kommen weitere Anrufersendungen zu weniger tagespolitischen, spezifischeren Themenreihen wie Frauenförderung, Familien- und Gesundheitsprobleme, die Vorstellung von erfolgreichen Un-
ternehmern, NRO oder Künstler. Diese sind quer über das wöchentliche Programm verteilt, knüpfen an entwicklungspolitische- und Ratgeberformate an und sind ebenfalls oft mit interaktiven Elementen verbunden. GRUSS- UND WUNSCHSENDUNGEN Die vor allem in den Anfangszeiten des unabhängigen Radios dominierende
Gruß- und Wunschsendungen (concerts d’auditeurs) haben gegenüber anderen Formen von Anrufersendungen mittlerweile etwas an Bedeutung abge-
nommen, sind aber in den privaten und Gemeinderadiosendern vor allem in einheimischen Sprachen nach wie vor sehr beliebt. Sie sind vor allem für die
Mitglieder von Sprach- und ethnischen Gemeinschaften von Bedeutung, die
über diesen Weg in besonderer Weise Beziehungen untereinander, in Vermittlung durch den sprachkundigen Moderator, immer wieder neu knüpfen.
In den Gruß- und Wunschsendungen werden schriftlich bestellte und zu-
vor bezahlte Grüße in Verbindung mit Musikwünschen abgearbeitet. Meist können die Hörer mehrere Personen grüßen und haben eine Garantie, dass
ihre Grüße auch gesendet werden. In kleineren Gemeinderadiosendern wie
Radio Rurale Locale Tanguiéta hatten sich nach meinen Erfahrungen zeitweise wahre Grußwettstreits ergeben, da sich gegrüßte Personen oft heraus-
gefordert fühlten, reziprok zurückzugrüßen, was erstere wiederum zu neuen
Grußaufträgen anregte (Beobachtungen 1995/1996 und 2010 in Tanguiéta). Gerade zu Feiertagen stieg die Zahl der Radiogrüße meist enorm an. Hinzu
kommen Danksagungen.167 Gleichzeitig generieren diese Sender Einnahmen,
167 „Danksagung von Herrn Léonard Ofié, Landwirt mit Wohnsitz in Attirikpayé: ‚Ich danke Ihnen sehr für die Sympathie und Zuneigung, die Sie während des Unfalls meines Kindes Segbo Edward gezeigt haben, ich danke meinen Nächsten und allen im Dorf, die ich hiermit grüße, sowie [es folgen 30 Personen-bzw. Familiennamen]
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da die Radio-Grüße mit (für den Auftraggeber minimalen) Kosten verbunden
sind.168 Man kann entweder diese Grüße im Sender selbst, in den PR-Büros, oder über die einzelnen Moderatoren, wenn man diese unterwegs trifft, in
Auftrag geben. Viele der Gemeinderadiosender nutzen für das Sammeln von Grüßen, wie auch von Anzeigen, Systeme von sog. correspondents, die dann einen Anteil – meist 10% – an den Einnahmen erhalten. Einige Sender haben bestimmte Anlaufstellen eingerichtet, an denen man neben Grüßen oft auch kleinere Anzeigen in Auftrag geben kann.
Radio Maranatha, Parakou: Moderan (siehe Abschnitt II,3) stellte seine
Werkstatt auch als Anlaufpunkt für Hörer zur Verfügung, die Grüße abgeben
wollen. Sie war zentral gelegen und gut in der Stadt bekannt. Meist holte dann der Wächter Julien die entsprechenden Notizen und Formulare ab. Für die Gruß- und Wunschsendungen hat man bei Maranatha auch eine Art
Abonnement eingeführt: So kann man pauschal für einen Monat 1.000 FCFA (1,50 €) zahlen, dann wird in jeder Sendung der Auftraggeber und eine Anzahl bevorzugter Namen gegrüßt. Allerdings kann man sich den Musiktitel dann nicht selbst aussuchen. Hat der Monat eine günstige Wochenstruktur,
können so fünf Sendungen betroffen sein, dann lohnt sich so ein Abonnement für die Hörer besonders. Feiertage zählen aber extra (Parakou, März 2009).
Manche Hörer verzichten darauf, selbst einen Musiktitel zu wählen, schrei-
ben auf die Wunschkarte einfach nur, dass die Moderatoren einen geeigneten Titel aussuchen sollten. Inzwischen haben schriftliche Grußaufträge über Ra-
diosender – sicher auch durch die Zunahme der Mobiltelefonnutzung– etwas abgenommen, und werden durch Telefonanrufe oder SMS ersetzt. Radio Nanto hat daher seit 2012 die Grußsendungen sehr stark eingeschränkt. Laut
Aussagen des Buchalters Fandé stagnierten die Einnahmen, und standen in
Missverhältnis zur eingeräumten Sendezeit. Grüße werden nach wie vor angenommen, in der einfachen Form aber vorwiegend als von den Moderatoren verlesene SMS in den Sendungen kurz vor Sendeschluss.
und den Taximotorradfahrer Adrien, Zemidjan Nr. 135.“ (Radio Iléma, Dezember 1998) 168 Im Radio Tanguiéta waren die Moderatoren angehalten, beständig diese Aufträge zu akquirieren. Ihre Ergebnisse werden auf einer großen Tafel sichtbar in der Station angezeigt.
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Ein Beispiel: Douceur du soir169 ist ein sehr erfolgreiches Sendeformat auf
Radio Nanto. Es wird spätabends ausgestrahlt und verbindet sanfte Musik
mit Grüßen an die Hörer. Derzeit wird die Sendung von Marcos präsentiert, der im Gegensatz zur Samstagabend-Show mit tiefer, ruhiger Stimme langsam Musikstücke ankündigt, Inhalte der Titel mitunter bespricht und dann
Grüße ausgibt. Hörer können nicht selbst anrufen, aber ihre Grüße per SMS übermitteln (Natitingou, März 2009- März 2013).
In vielen kleineren Sendern erfolgen vor allem während der interaktiven Samstagabend-Sendungen Grüße vor allem an treue Hörer. Diese werden
auch dann gegrüßt, wenn sie selbst keine Grüße per SMS oder Anruf in Auftrag gegeben haben oder von anderen gegrüßt wurden. Im Radio Nanto gehören dazu z.B. Mathias Vodoungbé oder Brigitte N’Da (vgl. Abschnitt IV,
4). Natürlich können die Moderatoren selbst ihre persönlichen Freunde grü-
ßen. Nicht immer rufen Hörer an, die konkret jemanden grüßen wollen, mitunter wünschen sie nur ein gutes Wochenende etc. Üblich ist, dass diese Hörer auch alle Moderatoren, den Techniker und auch den Stationschef grüßen.
Andere wiederum geben recht persönliche Botschaften kund, Liebesgrüße an eine bestimmte Person, oder bieten Entschuldigungen an.
GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE DER PROGRAMMGESTALTUNG IM VERGLEICH DER SENDER
Die Programmstruktur vieler Sender, ob privat oder kommunal, ähnelt sich
teilweise, da sie meist auf einige Gewohnheiten im Tagesrhythmus der Beniner Rücksicht nehmen. So folgt fast immer auf die Mittagsnachrichten sanfte
Musik, begleitend zur Mittagspause (vor allem der Angestellten), ebenso wie spät abends gegen Mitternacht. Nachrichtensendungen werden meist recht
früh ausgestrahlt, oft um 7 Uhr, kurz, bevor viele Hörer zur Arbeit fahren. In
169 Marcos führt in die Sendung mit folgenden Worten ein: „Die letzte Sendung des Tages, die Sie bei Erholung und Entspannung nach einem langen harten Arbeitstag begleitet. Um die treuen Hörer (fidèles auditeurs), die jederzeit Nanto FM Radio in ihrer Freizeit hören, zu begleiten. Um ihnen zu helfen, besser einzuschlafen, ruhig zu schlafen, oder an das Leben zu denken, an ihre Freundin, ihre Frauen, und sich zu trösten.“ (se consoler) Dann wird R & B-Musik gespielt und Grüße aus SMS der Hörer verlesen. Manche Hörer übermitteln Liebesgedichte (Sendung 26.11.2009).
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der Grundstruktur entsprechen sich, auch wenn die Inhalte voneinander ab-
weichen, die Hauptnachrichtensendungen (journal parlé), Sportsendungen, das Grogne-Format oder Gruß- und Wunschsendungen.
Unterschiede zwischen den Sendern bestehen z.T. in der Vielfalt der an-
gebotenen Sendungen, dem Anteil von redaktionell produzierten Informati-
onssendungen, der Sprachvielfalt; aber auch dem Einsatz von zusätzlichen
Mitteln wie Vorspann-Jingles etc. In vielen Sendern sind zudem auch Querbezüge und Zweitverwertungen der eigenen Sendungen üblich. So wurde in
den Mittagsnachrichten von Golfe FM am 24.11.2008 die Sendung carton rouge vom Morgen (7 Uhr) erwähnt, in dem es um die aktuelle Diskussion
zur möglichen Gründung eines Institut des Femmes ging. Dabei werden der
Tenor der Diskussion zusammengefasst und Ausschnitte aus Hörermeldungen gesendet. In ähnlicher Art und Weise wurden am 5.12. auf dem Sender
Golfe FM in die Abendnachrichten um 19 Uhr ebenso wieder Aufnahmen der
Meinungen der Hörer aus der Sendung carton rouge vom Morgen des gleichen Tages eingebaut, in der es um Probleme des Straßenbaus in Cotonou ging.
Jene Sender, die Teil einer (oft landesweit agierenden) Groupe de presse
sind, profitieren von einem entsprechend großen Netzwerk von Mitarbeitern und einem inhaltlichen Austausch. In manchen Fällen werden regelmäßig
Zeitungsartikel in Radio-Nachrichtensendungen referiert, und stehen in den
werktäglichen Presseschauen natürlich an erster Stelle. Umgekehrt werden die Inhalte wichtiger politischer Sendungen, vor allem, wenn Politiker eingeladen sind, dann in Zeitungsartikeln ausführlich wiedergegeben. Immer
wieder sind es zentrale Themen, Skandale oder politische Konflikte, die quer über alle Medien und so auch in den Radiosendern die Nachrichten und politischen Debatten vereinnahmen (Assogba 2010a).
Im Zeitraum meiner Forschungen waren dies das Verschwinden und das
spätere Auffinden der Leiche des der Opposition nahestehenden kritischen Finanzbeamten Pierre Dagnivo (Ende 2010), die Affäre ICC (Skandal um ein
betrügerisches Pyramidensparsystem, Ende 2010), Probleme mit dem Wäh-
lerregister LEPI (ab Ende 2010), einen angeblichen Staatsstreich sowie Gift-
Mordversuch am Präsidenten (Mitte 2012), der daraufhin seinen Rivalen, den Geschäftsmann Patrice Talon verfolgte, den Prozess gegen Talon (Ende
2013), sowie die Anklage des Ratgebers Lionel Agbo wegen Verleumdung (Ende 2012), den Versuch des Präsidenten, die Verfassung zu seinen Gunsten
zu ändern (ab 2012), den Mordversuch am Antikorruptions-Aktivisten Martin Assogba (Ende 2013), sowie Übergriffe der Polizei auf Demonstranten
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während des Marsches der Gewerkschaften (Ende 2013) und die darauffolgenden Streiks (Anfang 2014). Demgegenüber gibt es aber offensichtliche Tabu-Themen wie das Privatleben der Politiker, Sexualität sowie religiöse Konflikte. Einige Sendeformate wie Radiowerbung weisen durch ihre wachsende Präsenz, Emblematik und Wandlungsfähigkeit eine eigene Dynamik auf und verdienen eine ausführlichere Analyse, die der folgende Abschnitt leisten soll.
2. Radiowerbung und neue Ökonomien der Aufmerksamkeit „PALMIDA ist ein Produkt ‚100% Benin‘! Es kann für viele Dinge verwendet werden: um sich zu waschen, Wäsche zu waschen oder um abzuwaschen. Es ist eine bekannte Seife, sie ergibt sehr viel Schaum, wäscht aber nicht die Farben aus der Kleidung. Sie enthält Karité-Butter und Palmöl und hat einen feinen, natürlichen Geruch. Wenn Sie sich mit PALMIDA waschen, wird Ihre Haut gereinigt und nicht rau bleiben. Man kann der Firma IBCG, der ehemaligen SONICOG, nur gratulieren und danken. Wo immer Sie sind, fragen Sie nach PALMIDA!“ (Radiowerbespot, ausgestrahlt am 22. Februar 2011 auf Fongbé über Radio Tokpa, Übers. aus dem Fongbé ins Französische: Clétus Adohinzin, meine Übers. aus dem Französischen)
Viele Radiosendungen entstehen im Zusammenspiel von Radiogestaltern und -hörern bzw. Auftraggebern. Werbesendungen sind dabei in ganz besonderer Art und Weise von dieser medialen co-production (Oudshoorn und Pinch 2003) geprägt, die im folgenden Kapitel ausführlicher untersucht werden soll. Werbung bietet vielen Radiosendern in Benin wichtige Einnahmequellen. Radiowerbung (hier in einem weiten Sinne als Genre der Aufmerksamkeit) wird dabei für so unterschiedliche Kunden und Produkte wie Diskotheken, Getränke, Seifen, Schulen, Restaurants, neue CDs, Veranstaltungen oder Transportunternehmern ausgestrahlt. Radiostationen in Benin werden z.T. auch als Kommissionäre für Händler aktiv. Dies betrifft den Verkauf von Kleidung und von traditionellen Medikamenten. Dabei wird meist im Auftrag des Händlers ein Werbespot für diese Waren produziert, und darauf hingewiesen, dass man die angepriesenen Produkte auch in der Station erwerben kann. Dies gilt oft auch für Künstler, die
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auf diesem Wege ihre CDs vertreiben. In vielen Fällen sind es reisende Händ-
ler, die besondere Kosmetikprodukte oder Naturheilprodukte anbieten, und
das Radio zugleich als Werbe- sowie Vertriebskanal (dépôt-vente) vor allem auch in Zeiten ihrer Abwesenheit nutzen. Den Verkauf übernimmt dann der
PR-Mitarbeiter bzw. ein Sekretär oder Buchalter. Von Zeit zu Zeit, spätestens
nachdem die Bestände erschöpft sind, wird dann abgerechnet und die Erlöse zwischen Sender und Händler nach vorher vereinbarten Anteilen aufgeteilt.
Oft bekommt der Buchhalter oder andere Stationsmitarbeiter, die diese Geschäfte vermitteln und verhandeln, einen besonderen Anteil.
So hatte Anfang des Jahres 2009 eine Händlerin aus dem Süden Benins
eine Reihe selbst hergestellter kosmetischer Produkte, v.a. Hautcremes auf der Basis von Menthol, im Sender Nanto FM deponiert. Ende März 2009 kam
sie wieder, um den Stand der Dinge zu prüfen, eine Inventur und eine Zwi-
schenabrechnung vorzunehmen. Hier half ihr der Techniker Tanko, mit dem sie zuvor den Kommissionshandel vereinbart hatte (Natitingou, März 2009). Radiowerbung ist auch für jene Kleinunternehmer von Bedeutung, die mit
Dienstleistungen durch das Land ziehen. Als Beispiel für diese können z.B. Medizinunternehmer gelten, die eine Art reisendes Labor betreiben, Anbieter von Kuren sowie Lotterien. Zudem vertreiben viele Sender – im Falle größe-
rer Station wie Radio Tokpa, Radio Planète oder CAPP FM – eigene Produktionen von CDs, Kalendern oder Veröffentlichungen von Mitarbeitern (z.B. den Büchern von Jerôme Carlos im Falle von Radio CAPP FM) in gesonderten Kleingeschäften. Im Folgenden sollen in einer etwas ausführlicheren Analyse
die verschiedenen Typen und Formate, Inhalte und Hauptakteure in der Herstellung von Radiowerbe-Produktionen (im weiten Sinne) sowie deren Rele-
vanz für täglichen Programmangebote und Budgets der jeweiligen Radiostationen untersucht werden. Darüber hinaus möchte ich auf die Formen der
Produktion eingehen. Sie beinhalten eine wachsende Vielfalt von Quellen, Formaten und performativen Stilen (einschließlich oraler Literatur). Schließ-
lich sollen die Konflikte zwischen dem Staat und Werbeauftraggebern, veranschaulicht an einem aktuellen Fall der Werbung für Heiler und ihre angebote, dargestellt werden.
Zunächst ein Beispiel: Parakou, November 2008. Guy Metonou lebt in
einer Drei-Zimmer-Wohnung in Parakou. Er arbeitet seit 2004 als Cheftech-
niker des örtlichen christlichen Senders Radio Maranatha. Zuvor arbeitete er bei Radio Maranatha Cotonou. Er hat eine Ausbildung als Elektriker, und
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absolvierte dann später eine Fachschule (École de la Haute Technologie). Auf dem großen Esstisch in seinem Wohnzimmer hat er ein Mini-Studio montiert,
mit einem Desktop-Computer, einem Mischpult und einem Tisch-Mikrophon. Zusammen mit seinem Freund Cyril Adjovi, einem der Moderatoren des Senders, produziert er heute einen Werbespot. Es handelt sich um eine schrille
Ankündigung für eine Evangelisierungs-Kampagne einer Pfingstkirchengemeinde. Cyril spricht mit lauter Stimme, während Guy mit dem Aufnehmen,
Bearbeiten und Hinzufügen von Gospelmusiktiteln mithilfe einer EditingSoftware beschäftigt ist. Es werden mehrere Aufnahmen gemacht, während
Cyril jedes Mal seine Intonation ändert, um die Ansagen, die er von einem kleinen handgeschriebenen Zettel abliest, ansprechender zu gestalten. Später wird Guy die Audio-Datei in das Programm seines Radiosenders einfügen,
und erhält dafür einen vereinbarten Betrag. Guy und Cyril arbeiten nicht mit
dem Studio-Equipment in der Station selbst, weil dies bedeutet, Miete zu
zahlen oder mit dem Direktor verhandeln zu müssen. Guy stellt Radiowerbespots zuhause auch für andere Auftraggeber her.
Diese Vorgehensweise ist typisch für viele freie Produzenten von Radiowerbung in Benin: sie arbeiten nicht immer in größeren professionellen Studios
(die in der Regel von Musikern gemietet werden), sondern mit einfachen technischen Mitteln, aber individueller Kreativität. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird Werbung entweder als soziale und symbolische Kom-
munikation (Carrier 1990; Leiss et al. 1986; Malefyt und Moeran 2003) analysiert, als Teil der Geschichte öffentlicher und populärer Kulturen
(Röschenthaler 2009) oder in Bezug auf Haltungen und Lebensstile selbstbe-
wusster Verbraucher (z. B. Ewen 2001; Miller und Rose 1997; Williams
1999). Zusätzlich zu diesen Perspektiven sollte meines Erachtens das Augenmerk auch auf der Logik der Produktion von Werbung sowie das Zusammen-
spiel zwischen Auftraggebern von Werbung und Radio-Produzenten liegen. Zugleich muss Werbung, über sozialpsychologische und kommunikations-
wissenschaftliche Ansätze hinaus, auch in Benin im Zusammenhang mit Öko-
nomien der Aufmerksamkeit betrachtet werden (Franck 1998; vgl. auch Thorngate 1990).
In der Afrikaforschung haben Arbeiten zu Werbung vor kurzem zuge-
nommen, vor allem in Bezug auf visuelle Medien wie Plakate oder Schilder
(Wendl 2002; Förster 2008). Werbeproduktionen in Rundfunk und Fernse-
hen bzw. audio-bezogene Werbemedien haben allerdings weniger Beachtung
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gefunden, vor allem im frankophonen Afrika. Eine Ausnahme ist der Beitrag von Mansur Abdulkadir (2000), der Radiowerbung auf Hausa in Nigeria im Hinblick auf den Einsatz von populären Genres der mündlichen Literatur un-
tersuchte. Diese Vakanz ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass es bis zur Periode der Medien-Liberalisierung vor allem in den staatlich domi-
nierten Rundfunkhäusern in Afrika meist diesbezüglich wenig Vielfalt in diesem Bereich gab.
Im Falle des Radios in Benin lassen sich die Konturen einer neuen Arena
erkennen, in der verschiedene Akteure um öffentliche Aufmerksamkeit und Überzeugungskraft konkurrieren. Sie schmieden zugleich aber auch Allian-
zen, wenn es darum geht, ihre unternehmerischen Interessen in kulturelle
Codes übersetzen, die für ein lokales Publikum verständlich werden. Die zunehmende Verbreitung von Radio-Werbung in Benin ist Teil des Prozesses einer beschleunigten Liberalisierung und Privatisierung der meisten Wirt-
schafts- und Dienstleistungssektoren, einschließlich Gesundheit und Bildung, denen sich viele kleinere und größere konkurrierende Unternehmen stellen
müssen. Zudem gibt es eine starke Wechselbeziehung zwischen der zuneh-
menden Rolle der Radio-Werbung und der Einrichtung der neuen kommer-
ziellen Sender wie Golfe FM, Radio CAPP FM oder Radio-Planète (vor allem nach 1997), die ihre Budgets oft zu einem großen Teil auf Einnahmen aus Radiowerbung stützen.
Auch vor 1997 gab es Werbespots im Bereich des Rundfunks, aber ihre
Zahl und Vielfalt, vor allem im Hinblick auf die Förderung von kommerziellen Produkten und Dienstleistungen, war eher gering. Im Prozess der Erwei-
terung der privaten Medien in Benin wurden nun aber viele neue Radio-Genres, vor allem von jüngeren Produzenten eingeführt. Zum Teil folgen sie in
der Gestaltung ihrer Programme einem europäisch-amerikanischen Stil (be-
sonders deutlich im Fall von Stationen wie Golfe FM, eine Art Vorläufer dieser Entwicklung, aber auch Océan FM, Radio Planète oder CAPP FM), die sie
aber auch mit etablierten Formen der Produktion nationaler staatlicher Sender sowie afrikanischer Populärkultur kombinierten.
PRODUZENTEN UND TECHNOLOGIEN, NACHFRAGE UND ANGEBOT Ludovic („Loudi“) Ainonkpo, Studio-Techniker und Moderator bei Radio CAPP FM (Berufsbiographie vgl. Abschnitt II,4), arbeitet auch als DJ und MC. Gelegentlich produziert er Radio-Werbespots für verschiedene Kunden, vor
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allem für Schulen und Geschäfte in Cotonou. Er besitzt nur ein sehr begrenz-
tes technisches Equipment. Daher mietet er oft zusätzliche Studio-Ausrüstung von Freunden, wenn er Aufträge erhält. Er selbst schreibt, nach Rück-
sprache mit dem Kunden, eine Art Skript oder Szenario. Dann bittet er
Freunde, ihre Stimmen für Aufnahmen zur Verfügung zu stellen, meist gegen
eine kleine Vergütung (Zwischen 5.000 und 10.000 CFA, 8 bis 15 Euro). Dies ist vor allem nötig, wenn es um Aufnahmen in Landessprachen oder eine weibliche Stimme geht. Nach Vollendung des Werbespots sucht er dann Ra-
diosender, um diesen zu platzieren. Entweder schlägt er diesen der Werbe-
Abteilung des eigenen Senders vor, oder anderen Radiostationen, bei denen er Freunde hat. Oft organisiert er den gesamten Prozess, von den ersten gro-
ben Ideen bis zur endgültigen Integration einer Werbekampagne in den Pro-
grammplan, in Absprache mit dem jeweiligen Programmchef und Buchhal-
ter. Ludovic träumt davon, eines Tages ein größeres Werbe- und Marketingunternehmen zu gründen, um alle Arten von Anzeigen, Mitteilungen oder PR-Kampagnen gestalten zu können. Ein solches Unternehmen
sollte von seinen Beziehungen in der Medienbranche profitieren. Zusätzliche
Kenntnisse in Marketing möchte er über ein Abendstudium erwerben (Cotonou, März 2010, März 2011).
Abgesehen von der oben genannten Produktion von Radio-Werbespots in
Home-Studios wird der Großteil dieser Botschaften in den Radiostationen
selbst unter Beteiligung von Technikern und Moderatoren produziert. Ent-
sprechend den technischen Möglichkeiten werden meist separate Produktions-Studios, die oft in kleinen Räumen mit nur einem Arbeitsplatz untergebracht sind, genutzt. Nur wenige Radio-Werbespots in Benin bestehen aus
vorproduzierten Audio-Dateien, die Werbe- oder PR-Agenturen im Auftrage ihrer Kunden anbieten, z.B. Werbekampagnen für Mobiltelefonfirmen.
Nach meiner Einschätzung wird in Benin nicht mehr als ein Viertel der
Radiowerbung von Fachleuten außerhalb der Stationen produziert. In vielen
Fällen werden die Anzeigen von der kaufmännischen Abteilung des Radiosenders selbst in Auftrag gegeben, die entweder Verträge mit individuellen
Unternehmern oder Institutionen abschließen. Danach erhalten die Produzenten einen Anteil, während der größte Teil der Einnahmen dem Budget des Senders zugeordnet wird. In anderen Fällen können die Techniker oder
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Moderatoren selbst einen solchen Vertrag abschließen, alles selbst produzieren, und verhandeln anschließend mit dem Buchhalter und anderen Kollegen darüber, nach welchem Modus die Einnahmen geteilt werden.
Über den Schreibtisch der Marketing-Mitarbeiter oder Buchhalter der
einzelnen Radiosender gehen meist nur geringpreisige Aufträge, die die
große Masse von Radio-Spots darstellen. Größere lukrative Aufträge verhandelt demgegenüber meist der Direktor des Senders allein. Der Buchhalter o-
der die Sekretärin für die Öffentlichkeitsarbeit ist demgegenüber aber meist verantwortlich für die Sicherstellung der Produktion und ihrer regelmäßigen Ausstrahlung gemäß den Vereinbarungen. Die Häufigkeit der Wiederholung im Programmschema hängt vom jeweiligen Vertrag ab.
Die Preise für Werbespots variieren zudem je nach der Lage der Station
und ihrer Hörerschaft. Stationen im Süden des Landes, mit einer großen An-
zahl von (potentiellen) Hörern, verlangen natürlich weit höhere Preise als
kleinere Gemeinde-Stationen. In den meisten Fällen können Kunden Rabatte für mehrere Anzeigen aushandeln. Betrachtet man die Preislisten der privaten Sender, so erscheinen die Gebühren für einfache Werbeinformationen
sehr moderat, aber steigen erheblich, wenn es sich um von den Radiomitar-
beitern produzierte Radiospots handelt, wie das folgende Beispiel einer entsprechenden Preisliste aus Parakou zeigt.
Beispiel Radio Arzèkè, Parakou, März 2011: - Einfache Ankündigung pro Ausstrahlung 1000 FCFA (1,20 €) - Gewerbliche Information pro Ausstrahlung 3000 FCFA (5 €)
- Produktion eines kommerziellen Werbespots (ohne Ausstrahlung) 30.000 FCFA / Minute (50 €).170
Alle vorgefertigten Audio-Dateien werden mit Hilfe von Abspiel-Listen in den
Sendeplan eingefügt. Darüber hinaus gibt es Werbeinformationen, die von Sprechern direkt verlesen werden. Die Studiomoderatoren und Techniker vom Dienst sind angehalten, sorgfältig die Liste der geplanten Werbebot-
schaften genau zu beachten – anderseits sind Werbekunden unzufrieden.
Kaufmännische Verantwortliche der Radiosender platzieren oft eine spezielle Liste oder Agenda auf den Mischpulten, um hier Sicherheit zu schaffen.
170 Die Kosten sind bei den meisten Sendern im Norden Benins fast gleich hoch.
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Im Gegensatz zu vielen kommerziellen Radiosendern in Europa und den
USA wird Radio-Werbung in Benin meist in besonderen Zeit-Abschnitten des
Programmplanes ausgestrahlt, oft zusammengefasst in einem Cluster mit anderen Meldungen. Dies erfolgt vorzugsweise vor und nach den Hauptnach-
richten oder erfolgreichen Shows. In einigen Fällen erfolgen zeitgenaue Platzierungen, so wie im März 2010, als Radio Planète eine Werbebotschaft für
die Fluggesellschaft Corsair zu jeder vollen Stunde sendete. Die Zeit der Mittagsnachrichten von Radio Tokpa um 13 Uhr wurde oft mit Bezug auf das
Waschmittel Formil angekündigt (Januar 2014). Radio Tokpa eröffnete auch
viele Musiksendungen mit Erwähnungen von Body Shop-Produkten. Im wei-
ten Sinne stellen natürlich viele Teile ihres Programms ebenfalls Werbung dar, da z.B. Ankündigungen und Informationsprogramme für NROs in ähnlicher Weise erzeugt und bezahlt werden. INHALTE UND STILE Radiowerbung in Benin wird derzeit für eine breite Palette von Waren und Dienstleistungen produziert: von Werbekampagnen für Produkte wie Kosmetika, über Nachrichten im Auftrag von öffentlichen Institutionen, Lotterien bis hin zu Ankündigungen von Veranstaltungen wie Konzerten oder Partys.
Hier ein Beispiel aus Natitingou: Am Donnerstag, 1. März 2012, kündigte
Radio-Nanto eine Record Release Party des örtlichen Kirchenchors in der Kir-
che Église du Christianisme Celeste an. Der entsprechende Ankündigungsspot
wurde zwei Tage zuvor vom Leiter des Chores in Auftrag gegeben. Einer der Chef-Techniker der Station Nanto FM, Ikro Hyacinthe Biffè, wurde beauf-
tragt, diesen zu produzieren und dafür zu sorgen, dass dieser immer vor den Nachrichten ausgestrahlt wird. Biffè schrieb einen Text und nahm alles nach Sendeschluss im Studio von Radio Nanto selbst auf. Am nächsten Tag bear-
beitete Biffè die Audio-Datei dann zuhause weiter, wo er einen Laptop-Computer mit zusätzlicher Editing-Software nutzt, um die Ansage mit Gospelmu-
sik zu unterlegen und den Spot zu bearbeiten. An den folgenden drei Tagen wurde die Ankündigung mindestens dreimal täglich wiederholt. Die Release-
Party selbst wurde sehr gut, auch von Nicht-Kirchenmitglieder, besucht (März 2012).
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Andere Werbespots empfehlen Produkte zum Kauf im Radiosender selbst; oder verweisen auf Veranstaltungen, die von der Station mitorganisiert wer-
den. Die meisten Anzeigen werden von Musik begleitet, wobei alle Arten von elektronischen Sounds, bearbeitet mit Hilfe von spezieller Software oder Syn-
thesizer, eingesetzt werden. Adressen von Geschäften und Telefonnummern kommen für weitere Informationen hinzu. Häufig werden die Informationen in mehreren Sprachen ausgestrahlt, um ein breites Spektrum von Zuhörern
abzudecken. Meist wird Werbung im Radio durch spezielle Ankündigungs-
Jingles eingeführt. Viele dieser Radio-Anzeigen ähneln weitgehend öffentlichen Ankündigungen und sind eher schlicht gestaltet.
Etliche Werbespots hingegen enthalten aber sehr meisterhaft arrangierte
Dialoge, Musik und Soundeffekte. Ach Sprichwörter, Zitate und Anspielungen werden hinzugefügt, wodurch oft hybride, intermediale und intertextu-
elle Genres entstehen. Zahlreiche Werbespots nehmen Bezug auf Erzählun-
gen oder Märchen (vgl. auch Dialog in Fußnote 176), Theater-Protagonisten (Alobadur, siehe unten) oder verweisen auf andere Medien-Formate wie Pressespiegel (Dah Houawé) oder aktuelle Nachrichten. Gerade die Tradition
der immer noch dominierenden Institution des afrikanischen Theaters, mit dem viele der Protagonisten vertraut sind, beeinflusst (wie in benachbarten afrikanischen Ländern) viele Radiodialoge.
Robert Fabiyi ist Radio-Moderator bei Radio CAPP FM. Er absolvierte
eine technische Schule, hatte aber stets ein besonderes Interesse an Theater
und Musik. Während seiner Zeit am Gymnasium war er in einer Theatergruppe und begann selbst Theaterstücke zu schreiben. Heute wird er oft für
Kampagnen sowohl im Hinblick auf TV-Spots und Radio-Werbung gebucht,
und ist in der Lage, mehrere Rollen zu füllen: entweder als Familienvater, als Geschäftsmann, oder, am häufigsten, in seiner Standard-Theaterrolle als Aloba-Dur, einem komischen Charakter, den er innerhalb seiner eigenen Theatergruppe Les Mousquetaires gibt, sowohl auf der Bühne als auch auf DVDs.
In einem aktuellen Radio-Spot tritt er als Alobadur auf, kommuniziert und
scherzt mit seinem Comedy-Partner Dah Sololo, und lobt die Qualitäten eines Energie soft Drinks names „KO Energy" (August 2012).171
171 Der Dialog verlief wie folgt: Dah: „Alobadur!“ Alobadur: „Ja.“ Dah: „Das Getränk KO-ENERGY soll Energie geben. Aber welche Art von Energie- Diesel-Brennstoff oder Strom?“ Alobadur: „Ich werde ein Geheimnis lüften: die erste Quelle dieser Energie ist der Zucker.“ Dah: „Ah, es ist wahr, ich verstehe jetzt: darum nutzen die
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Im täglichen Sendeschema der meisten Radiosender in Benin werden in
den gleichen Zeitblöcken nicht nur reine Werbung, sondern auch öffentliche Mitteilungen (avis et communiqués), Hinweise auf Dienstleistungen und ent-
wicklungsbezogene Ratschläge, oft in mehreren Sprachen, ausgestrahlt. Wer-
bung wird zusammen mit Ankündigungen über Veranstaltungen, Stellenangeboten, und in einigen Radiosendern auch Todesanzeigen ausgestrahlt.
Werbespots für Getränke können mit Nachrichten von NRO und Regierungs-
stellen (z.B. über Bürgerrechte in kommunalen Angelegenheiten), oder z.B. im Hinblick auf Methoden der Empfängnisverhütung) vermischt werden. Diese zeitliche Zusammenführung lässt sich sicher durch die Tatsache erklären, dass all diese Inhalte mit Gebühren verbunden und damit als Einnahmequellen für die Sender gleichermaßen von Bedeutung sind.
Ich würde zudem behaupten, dass eine scharfe Unterscheidung zwischen
diesen Formaten generell schwer aufrecht zu erhalten ist, da sich die
Radiowerbung in Benin erst allmählich aus dem öffentlichen Ankündigungs-
Teil der Sendepläne heraus entwickelt hat. Auch aus diesem Grunde gibt es
große Interferenzen in Stil und Format zwischen Ankündigungen, aufklärungsbezogenen Informationen, Bildungsprogrammen und Werbung. Dies
wird auch am Beispiel für Anzeigen für Kosmetika und Gesundheitsprodukte deutlich.
Muslime den Zucker während des Ramadan.“ Alobadur: „Es ist wahr, wenn sie fasten möchten, können sie KO-ENERGY für die Fastenzeiten nehmen, und sie werden bis zum Abend in Form bleiben! Das Getränk KO-ENERGY enthält Vitamin A, Vitamin E, Vitamin D, B12 [...] All die Vitamine, die gegen die Müdigkeit kämpfen.“ Dah: „Also wird das Getränk in der Apotheke verkauft?“ Alobadur: „Warum glaubst du das?“ Dah: „Weil, nach allem, was du sagst, es offenbar das stärkste aller Medikamente ist.“ Alobadur: „Aber es gibt auch Vitamine in Orangen, nicht wahr?“ Dah: „Ja.“ Alobadur: „Na also, du kaufst ja auch keine Orangen in der Apotheke!“ Dah: „Ok, lass mich in Ruhe, Dein ENERGY-KO ist einfach zu stark!“ (5.8.2012, Radio Tokpa, Cotonou; Übersetzung Clétus Adohinzin)
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BEISPIELE AUS RADIO TOKPA FM, COTONOU (DEZEMBER 2010-MAI 2011): Anzeigen für Produkte von Body Shop oder der Seife Spiruline beginnen
meist mit einer lauten männlichen Stimme, die ein Produkt vorstellt und
seine Qualitäten lobt, bevor dann andere, auch weibliche Stimmen diese Aussagen bekräftigen. Auch bei Ankündigungen von Veranstaltungen und Konzerten tritt oft zunächst eine Art Ausrufer auf den Plan.
Ein anderes Beispiel ist eine Werbekampagne für einen Arzt, Docteur Im-
molen Agbarra (sehr präsent in Werbespots sowohl im Radio und TV), wo in einer solchen Nachricht ein junges Mädchen über ihre gynäkologischen Besuche in seiner privaten Klinik spricht. Der von ihm verwendete Stil findet
in der Regel in Bildungsprogrammen im Jugendbereich wie amour et vie Anwendung, wo persönliche Geschichten und Aussagen dominieren (Sendung Radio Tokpa, 21.2.2011, 14.30 Uhr). Auf den ersten Blick sind diese Werbeproduktionen oft vergleichsweise lang (15 Minuten), werden mit einer Über-
setzung in Fongbe und Yoruba, der Angabe von Telefonnummern und Adressen sowie eigens produzierter Musik im Hintergrund ergänzt.
Werbung erfolgt oft indirekt, z.B. als Bericht oder Reportage verhüllt.
Dies war beispielsweise der Fall bei einer Reihe von Werbespots für das Hotel Lac Ahieme, die von Radio Tokpa im gesamten Dezember 2010 ausgestrahlt wurden, einschließlich Interviews mit dem Personal, dem Geschäftsführer und Kunden. Die Präsentation wurde in die wichtigsten Nachrichtensendun-
gen integriert, und unter der Rubrik Publi-Reportage ausgestrahlt. Als eine der Möglichkeiten, die Station im Gegenzug für diese wertvolle Hilfe beim Mar-
keting zu entschädigen, bot sich das Hotel als Ziel des jährlichen MitarbeiterAusflugs der Station an, wo einige seiner Einrichtungen kostenlos genutzt werden konnten.
In einem weiteren Beispiel wurde indirekt Werbung für die Brauerei
SOBEBRA gesendet. Beauftragte dieser Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit
traten als „spezielle Studiogäste" in den Hauptnachrichten auf (so z.B. am 27.7.2012). Sie luden zu einer Reihe von Veranstaltungen und Festlichkeiten ein, die die Brauerei anlässlich des Nationalfeiertags am 1.August 2012 organisierte (und sponserte). Die Einladung eines besonderen Gastes ist in der
Regel ein spezifisches Mittel, um z. B. die Einführung eines Nachrichtenmagazins an prominenter Stelle zu bewerben, ebenso wie im Kulturteil die Prä-
sentation aktueller CD-und DVD-Veröffentlichungen zu bewerben. Ob die Eingeladenen für eine solche Werbung zahlen müssen oder nicht, hängt von
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ihren persönlichen Beziehungen zu den Mitarbeitern und Direktoren, aber auch von einem eventuell besonderen Interesse der Station ab. AUFTRAGGEBER Meine Analyse von Radio-Spots in einem Zeitraum zwischen November 2010 und April 2011 der Sender Tokpa FM, CAPP FM, Arzèkè FM und Nanto FM
offenbarte vier Arten von gewerblichen Auftraggebern, die dominierten: erstens jene (wenige) der großen Mobilfunk-Unternehmen (allgemeine Anzeigen und Angebote), im weiteren Kunden aus dem Bildungsbereich (Werbung
für private Schulen und Lehrpläne), drittens Hersteller und Händler von Ge-
sundheits- und Hygiene-Produkten („traditionelle“ Medizin, Seifen, Toilettenpapier) und viertens der Kultur- und Musikindustrie (Präsentation von
neuen CD-Veröffentlichungen, Büchern, Filmen). Neben diesen gibt es natürlich viele andere Kunden, die Werbespots in einem geringeren Umfange
schalten. Die zunehmende Diversifizierung der potenziellen Privatkunden und Unternehmen bei der Produktion von Werbespots korreliert mit dem
laufenden Prozess der wirtschaftlichen Liberalisierung und Privatisierung der Wirtschaft des Landes.
WERBUNG FÜR GESUNDHEITS-PRODUKTE Im folgenden Abschnitt werde ich mich auf eine der dominierenden Gruppen
von Auftraggebern der Radio-Werbung in Benin konzentrieren. Hier fokussiere ich auf die vielen Werbespots für traditionelle Heiler (tradipraticiens), Allheilmittel,172 private Kliniken sowie verschiedene Anbieter von Produkten
für Schönheit und Hygiene. Zu den wichtigsten Radio-Werbeauftraggebern in Benin zählen Naturheilkundler und Heiler, die die Wirksamkeit ihrer Produkte entweder persönlich oder mit Schauspielern bezeugen.
172 Ein typischer Werbespot für ein solches Unternehmen lobt die allgemeine Wirksamkeit eines quasi Allheilmittels: „Le Moniteur Tropical kommt zu Ihnen über die Radiowellen, um all diejenigen, die krank sind, zu informieren. Wir bieten Ihnen ein Produkt gegen Diabetes, Verdauungsstörungen, urinale und vaginale Infektionen, Menstruationsschmerzen sowie Leber-Krankheiten. Sie können dieses Produkt in ganz Cotonou kaufen. Eine individuelle Beratung kostet 5.000 FCFA.“ (8,50 €; 23. Dezember 2011, aufgezeichnet im Radio Tokpa)
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Fallstudie: MARSS-TISANE: Marcel Echoffaye ist Botaniker und Heiler.
Er ist Yoruba, wurde im südöstlichen Teil von Benin geboren, und lernte den
Beruf von seinem Vater, der ihn in dieses Reich des Wissens und der Praxis zu Beginn seiner frühen Jugend eingeführt hatte. Heute ist sein Unternehmen
gewachsen und boomt, wie viele dieser Art, und erfreut sich einer stetigen
Nachfrage von Kunden aus verschiedenen Teilen des südlichen Benins. Er hat sein Unternehmen MARSS-TISANE getauft und verfolgt drei zentrale kommerzielle Strategien: die Herstellung besonderer Tinkturen oder Medi-
kamente auf Nachfrage für besondere Zwecke; den Verkauf (entweder direkt in einem Geschäft in seinem Haus oder auf Basis von Kommissionsvereinba-
rungen) von selbst hergestellten medizinischen- und Glücksbringer-Produkten, die als Pharmacopée eingestuft sind, und persönliche Konsultationen. Er
empfängt viele Kunden zu Hause mit der Begründung, dass die Probleme seiner Klienten oft intime und psychologisch komplizierte Komponenten hätten, die besondere Aufmerksamkeit und persönliche Beratung erfordern
Echoffaye nutzt Radio-Werbespots, um seine Fähigkeiten und Angebote
besser bekannt zu machen und um sein Ansehen zu stärken. Um den Verkauf seiner Produkte zu fördern, arbeitet er mit acht Radiostationen im ganzen
südlichen Raum Benins zusammen, vor allem mit Radio-Tokpa, und schließt Verträge über die Ausstrahlung von Werbespots ab. Hier handelt es sich um drei Arten von Werbung: kurze Ansagen, oft nur in einer Sprache; das Auf-
treten als Studiogast, sowie in mehreren Sprachen produzierte Werbespots, die mit Testimonials einhergehen und ganze Programme füllen, in denen er
selbst auftritt, um die Wirksamkeit von bestimmten Produkten und ihre Anwendung zu erklären. Seine Radio-Spots werden vor allem durch Techniker und Moderatoren der Radiosender produziert, die ihn zu Interviews, die später in der Anzeige eingefügt werden, einladen.
Als wir miteinander redeten, erhielt er einen Anruf, offensichtlich von
einem potenziellen Kunden, der einen dieser Werbespots, diesmal von Radio Voix du Mono in Lokossa ausgestrahlt hörte, in dem seine Produkte, seine
Telefonnummer und Website erwähnt wurden. Marcel instruierte den Anrufer, der Produkte in einem Laden in Lokossa kaufte, ihn persönlich aufzusu-
chen und übermittelte ihm seine genaue Adresse. „Anrufe wie diese füllen meine Tage“, sagte er, „aber das ist es, was man machen muss, um den Ver-
kauf dieser Arten von Produkten zu verbessern. Es ist manchmal notwendig, die korrekte Verwendung der Mittel zu erklären, da viele Menschen eine zu
schnelle Abhilfe erhoffen, und diese Produkte nicht lange genug einnehmen,
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damit diese wirksam werden.“ In den Werbespots verweist er auf seine
Kenntnisse aus einer langen Familientradition. Im Gespräch betonte er, dass die traditionelle Medizin eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielt und
am Leben gehalten werden sollte, um den möglichen Verlust von Heilwissen zu vermeiden. Darüber hinaus verwies er auf die Tatsache, dass seine Produkte zertifiziert und durch ministerielle Kommissionen genehmigt wurden.
Echoffaye verwendet somit zwei kombinierte Referenzsysteme – die Wirk-
samkeit von Tradition und die Akzeptanz seiner Arbeit in der heutigen Welt der Naturwissenschaften. Er zeigte mir die Verträge, die er mit verschiede-
nen Radiostationen abschloss, und erwähnt dass er derzeit Werbespots in mehrere Stationen für insgesamt 200.000 CFA (ca. 300 €), in der Regel zehn-
minütige Audio-Nachrichten, platziert. Diese werden zu genauen Zeiten ausgestrahlt, oft kurz vor den Hauptnachrichten um 13.00 Uhr.
„Es ist eine ganze Menge Geld, in der Tat“, gesteht er, „aber für ein Un-
ternehmen wie das meine der einzige Weg, um bekannt zu werden, denn nur wenige Kunden zeigen sich bei mir ohne solche Nachrichten im Radio. Auf
lange Sicht lohnt es sich“, äußert Echoffaye seine Erfahrungen. „Erstens, ei-
nige Leute werden sicherlich neugierig geworden sein zu erfahren, wo diese Produkte erwerbbar sind. Sie werden diese dann ausprobieren, und können wiederum anderen diese weiterempfehlen. Weitere Kunden werden merken,
dass ich ein Spezialist für viele Kuren bin“ erklärt er seine Motive und Strategien. Seine Website marsstisane.org präsentiert alle Produkte und Details seines Unternehmens (Cotonou, März 2012). SANKTIONEN Ende des Jahres 2011 wurde dann aber berichtet, dass viele Mittel von tra-
ditionellen Heilern keine Auswirkungen, oder noch schlimmer – unerwünschte Wirkungen zeigten. Zu einem gewissen Grad wendete sich nun die öffentliche Meinung gegen Heiler. Einige der prominentesten Heiler und selfmade Ärzte wie Immolen Agbarra wurden im Hinblick auf die falschen Versprechungen, die sie gemacht hatten, in Frage gestellt.
Im staatlichen Gesundheitsdienst wurden Stimmen laut, die eine noch
strengere biomedizinisch basierte Zertifizierung dieser Produkte verlangten.
Sie forderten eine minimale Anzahl von Tests bzw. Testpersonen auf Basis
wissenschaftlicher Erhebungen, ähnlich den Tests für normale Medikamente.
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Diese Forderungen stellen im Vergleich mit den üblichen einfachen Prüfun-
gen, auf deren Basis die Ausschüsse bis dahin Zertifikate für Produkte von
Heilern ausgestellt hatten, einen weitaus strikteren Ansatz dar. Basierend auf
diesen Überlegungen erteilte letztlich die HAAC ab dem 5. Januar 2012 ein allgemeines Verbot aller Werbebotschaften in allen Massenmedien für Heiler oder traditionelle Therapeuten (Adanlao 2012). Parallel zu dieser Entschei-
dung forderten die Regierungsbehörden die Vereinigung der Heiler (vgl. auch Klein 2009) auf, rigorosere Verfahren der Lizenzierung zu akzeptieren, bevor eine öffentliche Vermarktung vielleicht wieder erlaubt werden würde.
Die Entscheidung der HAAC wurde in allen Medien veröffentlicht und in
allen Radio-Studios ausgehängt. Für einige Radiosender, wie Radio-Tokpa bedeutete diese Entscheidung aber erhebliche Einnahmeverluste, da diese
Anzeigen 40-50% der Werbung ausmachte. Folglich musste die Station ihren Haushalt kürzen und zeitweise die Zahl der angestellten Mitarbeiter reduzieren. Die meisten Heiler, die bisher die Kanäle der Radiosender für Marketing und Kommunikation nutzten, waren sehr unzufrieden mit dieser Entschei-
dung. Sie kritisierten, dass sie alle nun den Preis für einige wenige ‚schwarze Schafe‘ unter ihnen bezahlen mussten. In eine ähnliche Richtung ging die Kritik vieler Kommentatoren, dass auch hoch angesehene Therapeuten und
Forscher medizinischer Pflanzen von dem Verbot betroffen waren, wie Philibert Dosso-Yovo oder Aziadomé Kogblévi.
Andere Heiler argumentierten, dass sie doch bereits Zertifikate hätten,
offiziell registriert seien, und folglich vom Dekret ausgenommen werden
müssten. Innerhalb der Vereinigung von traditionellen Heilern brachte der
Vorfall alte Debatten unter seinen Mitgliedern um die Frage ihrer generellen Positionierung zu Marketing und dem akzeptablen Grad der Kommerzialisierung des traditionellen Wissens wieder auf. Am Beispiel einiger erfolgreicher,
aber allzu offensiv werbender Akteure der Zunft wie Valentin Agon, API173 Benin, argumentierten einige traditionelle Heiler, dass Werbung vielmehr
durch Mundpropaganda sowie basierend auf den Erfahrungen der Wirkun-
gen bei Kunden erfolgen sollte. Nach einiger Zeit nahmen manche Sender diese Werbeinhalte wieder ins Programm, woraufhin die Gesundheitsministerin bei der HAAC intervenierte (HAAC 2013).
173 Die Firma API-Benin vertreibt pharmazeutische Produkte auf der Basis von Honig und anderen Bienenprodukten. Die Firma schaltet Radio-und Fernsehwerbung und nutzt, neben eigenen Läden, vor allem auch Radiosender als Verkaufsstellen.
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WERBUNG IN DER REZEPTION DER HÖRER Hier habe ich mich in erster Linie den Produzenten von Radiowerbung und
weniger ihrer Wahrnehmung durch Hörer gewidmet. Die unmittelbaren und
mittelbaren Wirkungen von Radio-Werbespots sind aber schwer zu beurteilen, da es keine lokalen Erhebungsdaten zu diesem Bereich gibt. Eine erste
Analyse der Beurteilung von Radiowerbung durch verschiedene Gruppen
von Zuhörern in Natitingou und Cotonou zeigt aber, dass die meisten von
ihnen diesen nicht viel Bedeutung zuschreiben, außer im Fall von Ankündigungen für Arbeitsplätze und Qualifikationen, oder Beerdigungen und Partys. Die meisten der Befragten in der Stadt Natitingou (Nordbenin) erinner-
ten nur Werbespots für Gesundheitsfürsorge und die großen Handy-Firmen, und in geringerem Maße jene für Copy-Shops, Restaurants und andere
Dienstleister. Frauen erinnerten sich meist an Gesundheits-Produkte, während junge Menschen Spots für Bars und Restaurants kannten. Die meisten
Befragten identifizierten die Stimmen der Werbesprecher, wie jene von Biffè
Hyacinthe und Sylvain Marcos, da beide sehr gut von anderen Sendungen her bekannt sind.174
Generell bevorzugen die Hörer in Werbespots lokale vertraute Stimmen
statt unbekannte Schauspieler, auch wenn Werbespots durch transnational
operierende PR-Agenturen z.T. sehr gut produziert werden (z.B. für Handy-
Unternehmen in Westafrika). Dies zeigt, dass lokale Werbeproduzenten einen Vorteil auf diesem Markt zu haben scheinen. Auf die Frage nach der
‚Wirksamkeit‘ dieser Kampagnen im Hinblick auf eine spätere Absicht, die
Produkte zu kaufen, waren es wieder meist die weiblichen Befragten, die den Kauf von Gesundheits- und Schönheitsprodukten erwogen.
Demgegenüber zeigten die meisten Männer entweder eine Art Gleichgül-
tigkeit, oder spielen den Einfluss auf ihre tatsächlichen Konsumgewohnhei-
ten herunter. Die meisten jungen Hörer sagten, dass sie gerne über neue CDVeröffentlichungen informiert werden möchten. Unabhängig vom Alter
drückten alle Befragten den Wunsch aus, nützliche Informationen zu erhalten, zum Beispiel über niedrigere Tarife für Busse oder preiswerte Produkte.
174 Dies stellt einen deutlichen Unterschied zu Cotonou dar, wo – mit Ausnahme von Dah Houawé – aufgrund der großen Vielfalt von Programmen die Hörer Werbesprecher selten erkennen.
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Dies scheint eine allgemeine Tendenz zu bestätigen: die beliebtesten Werbespots beziehen sich auf die Suche nach persönlichem Wohlbefinden, Gesund-
heit und Attraktivität, und werden oft aus ähnlichen Gründen wie die Programme, die Beratung und Information zu diesen Themen beinhalten, von den Hörern geschätzt.
Viele Zuhörer erklärten, dass es nicht viele andere Möglichkeiten gibt,
um mehr über die jüngsten Verbesserungen der traditionellen und modernen Medizin und Kosmetik zu erfahren, da diese weder in den Schulen gelehrt wird noch wirklich durch diejenigen offenbart werden, die professionell da-
mit zu tun haben. Beratung wird in der Regel nur im Rahmen bezahlter Konsultationen vermittelt. „Aber ich möchte wissen, was im Angebot ist, bevor
ich die jeweiligen Geschäfte besuche und bevor ich Geld ausgebe.“ (Anselme, Natitingou, 3.3.2011) Gesundheit und Wohlbefinden sind auch in Benin, wie überall auf der Welt, ein zentrales Anliegen für die meisten Menschen. Die
Tatsache, dass diesbezüglich relativ wenige solcher Informationen in Zeitschriften, Zeitungen oder anderen Publikationen (außer im Internet) erschei-
nen, erklärt zweifellos die Präferenz vieler Hörer für Radio-Sendungen als entsprechendes Medium für die Vermittlung solcher Informationen. WERBUNG, UNTERNEHMERTUM UND ‚ECONOMIES OF ATTENTION‘ Ich habe Radiowerbespots in Benin als konkurrierende Mediengüter in neuen
Öffentlichkeiten beschrieben, die durch expressive Stile geprägt sind und eine wachsende Vielfalt aufweisen. Ich habe versucht zu zeigen, dass sich Radio-Werbung in Benin teilweise auf etablierte Formen der Kommunikation
wie Ankündigungen stützt, aber auch einen offenen Raum der Kreativität
von Medienproduzenten darstellt, der von neuen Medientechnologien beein-
flusst wird. Radio-Werbung in Benin stellt aber mehr als eine Transkription
und Integration global zirkulierender Ideen in lokale Kontexte dar. Sie ist
Teil eines wachsenden Wettbewerbs in der Öffentlichkeit, und mit öffentlichen Aufführungen (Röschenthaler 2009: 149) verbunden. Sie ist sicher Teil einer Popkultur in Afrika und bezieht sich sowohl auf Modi des Konsums der Eliten als auch der ‚normalen‘ Bürger. Radiowerbung in Benin kann zudem als besondere Verbindung von Unternehmertum und Gewohnheiten städti-
scher Verbraucher interpretiert werden. Sie erhält einen wachsenden Stellenwert in einer liberalen Wirtschaftswelt, und sichert Einnahmequellen von
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Radiosendern (Africa Governance Monitoring and Advocacy Project et al. 2013:78) als auch von Medienproduzenten.
In unserem Falle konvergieren die Interessen der Medienprofessionellen
mit denen von Unternehmern aller Art. Radiowerbung in Benin weist expressive Stile auf, die sich in wandelnden ‚Ökonomien der Aufmerksamkeit‘
(Thorngate 1990) behaupten müssen, die von kulturellen Präferenzen (z.B. Tabuthemen) gerahmt werden (vgl. auch Mazzarella 2003 für eine bahnbre-
chende Studie über Indien; Hobart 2001 für Bali). In Benin ist Radiowerbung
mehr als ein Ausdruck einer lokalen Spielart der Moderne, sie zeugt zugleich von sich wandelnden Konsummustern und Lebensstilen, und spiegelt auch die Bedeutung relevanter Diskurse im Lande wider.
Im Beispiel der Debatte um Kampagnen für Heiler und ihre Produkte geht
es einerseits um den proaktiven Umgang mit Unsicherheit über das persön-
liche Wohlbefinden, und andererseits zugleich um die Aushandlung von Nor-
men (vgl. Röschenthaler und Diawara 2013) über Grade der Kommerzialisierung von Wissensgütern. Radiowerbung in Benin ist ein pulsierendes Feld, das hier noch in den Kinderschuhen steckt, allmählich aber schon auf dem Weg zu einem immer professioneller gestalteten Bereich ist, der in Zukunft sicherlich noch an Bedeutung gewinnen wird. SLOGANS, JINGLES UND EIGENWERBUNG Ein Beispiel für die Verbindung symbolischer und institutioneller Aneignung
von Radiosendern sind Slogans. Jede Radiostation hat inzwischen auch Werbesprüche und Markenzeichen, die in Printform auf Logos, Briefköpfen und
anderen Dokumenten des Senders, in Zeitungs- und Internetwerbung, aber
auch als Spruch oder kurzer Werbe- und Ankündigungsspot (jingle) als Einspieler in den Sendungen auftauchen. Diese spiegeln mitunter einfach nur
eine griffige Idee der PR-Abteilung wider; andere sind aber Ausdrücke einer
bestimmten Haltung der Stationsgründer. Radio Golfe FM in Cotonou sendet
beispielsweise in regelmäßigen Abstände Jingles mit dem Slogan „La Meil-
leure Fréquence“, „die beste Frequenz“, vor allem aber immer wieder „La Radio magique, „der magische Radiosender.“ Letzterer Sinnspruch, von den Moderatoren unermüdlich wiederholt, bezieht sich laut Aussagen der Mitarbeiterin Irène-Sonia Megbemado darauf, dass viele Hörer gerade in der Anfangszeit des Senders erstaunt über die damals recht außergewöhnliche
Schnelligkeit der Berichtserstattung waren. „Kaum war etwas passiert, gab
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es kurz darauf schon eine Nachricht auf Golfe FM – das war wie Magie“(Cotonou, März 2006). Radio CAPP FM wiederum wirbt mit dem Spruch „La Radio
du Succès“, „das Radio des Erfolgs“. Dies bedeutet, dass der Stationsgründer Jerôme Carlos Anhänger einer Bewegung ist, die Optimismus als Ausgangs-
punkt aller Handlungen betrachtet. Radio Fraternité, Parakou, beschwört
„die Macht des Radios" (la pouvoir de la radio). Demgegenüber sendet Radio Nanto wiederum vor allem vor und nach den Communiqués ein Jingle, auf
dem der (ehemalige) Stationsdirektor Behanzin mit den Worten „Radio Nanto – toujours la plus proche de chez vous“, „Radio Nanto- immer am nächsten bei
Ihnen“ zu hören ist. Dieses Jingle verweist bewusst auf die örtliche Nähe des Senders, aber auch der Ereignisberichte aus dem unmittelbaren Umfeld der Hörer. Über die Einspieler hinaus findet man Eigenwerbung der Sender, au-
ßer am Radiogebäude, auf Hinweisschildern und in Printdokumenten der je-
weiligen Station selbst, nur in manchen Tageszeitungen (so gesehen für Ra-
dio Immaculée Conception, Radio Trait d‘Union und den ORTB) und in wenigen Fällen auch im Internet. Hier sind Stationen im Verbund von Pressegruppen im Vorteil, bei denen der Hinweis auf das Radio natürlich auch in
den Presseorganen auftaucht, wie z.B. in Le Matinal, wo fast auf jeder Titelseite ein kleine Werbeannonce für Radio Océan zu finden ist.
Auf Webseiten der jeweiligen Pressegruppe sind natürlich auch alle da-
zugehörigen Medieneinrichtungen dargestellt. Auf dem Webportal Acoto-
nou.net werden drei private Sender aufgeführt: Radio Tokpa mit einem Logo,
dazu Radio CAPP FM im Speziellen für die morgendliche Chronique von Jerôme Carlos, sowie Radio Océan für die samstägliche Morgenmusiksen-
dung (9-10 Uhr) von Askanda Bachabi, Кilo Sa). Die TV-Stationen ORTB und Canal 3 sind mit Links zu den Hauptnachrichten vertreten (die nicht alle
funktionieren). Sendepläne werden generell nur teilweise veröffentlicht, denn die Hörer kennen meist die entsprechenden Sendepläne.
Welche Veränderungen öffentlicher Kommunikationsformen erzeugen
nun diese vielfältigen Radioprogramme, vor allem jene, die interaktiv gestal-
tet werden, sowie Sendeformate, die auf gewohnte Stile der Alltagskommu-
nikation aufbauen? Diese Frage kann im Rahmen dieser Studie sicher nur in Ansätzen beantwortet werden, erfordert aber eine theoretische Reflexion, die im folgenden Abschnitt im Zentrum stehen soll.
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3. Neue Kommunikationsstile „Die Bedeutung des Mediums Radio in Afrika besteht in der Verbindung zum Mündlichen und Klanglichen in der Geschichte und den kulturellen Praktiken des Kontinents.“ (Gunner et al. 2011: 1; Übers. d. Autor)
Gemeinsam mit der Gründungswelle neuer Radiosender in Benin wurden also neue Formen von Öffentlichkeit hergestellt, die verschiedene kommunikative Räume auf eine neue Weise verknüpfen. Ich nutze an dieser Stelle
einen weiten und vor allem weniger historisch-normativen Öffentlichkeitsbegriff, im Sinne unumschränkter Kommunikation oder der öffentlichen Meinung, der auf Afrika nur begrenzt Anwedung finden kann (vgl. auch Schulz
1999a), sondern einen eher funktional-systemischen Ansatz. Dieser differenziert Öffentlichkeiten hinsichtlich der jeweils unterschiedlichen Teilnehmerkreise, Reichweiten und Kommunikationsregeln.
Merten (1999: 217p, 235p.) unterscheidet im Anschluss an Goffman
(1977) u.a. zwischen episodischer oder Begegnungsöffentlichkeit, Veranstal-
tungsöffentlichkeit und Publikumsöffentlichkeit, die meist als virtuelle oder massenmediale Öffentlichkeit vorgestellt wird. Zudem können auch generell weitere, quer liegende Teilöffentlichkeiten wie jene einer Kirche, einer nati-
onalen Vereinigung oder Internetforums differenziert werden. Zusätzlich zu
diesen sind in Westafrika jene kommunikativen Ebenen besonders relevant, die zwischen formelleren und privaten Foren liegen, wie das so genannte
radio trottoir (Ellis 1989), informelle Kommunikationsräume oder eine Art „urbane Gerüchteküche“.175
Gegenwärtig kommt es in allen diesen Räumen (im Anschluss an Krotz
2001, 2007) zu einer verstärkten Mediatisierung kommunikativen Handelns. Der öffentliche Raum, der dadurch verändert wird, stellt eine neue Verbin-
dung zwischen verschiedenartigen Foren der Kommunikation dar: zwischen
medialer Öffentlichkeit und Begegnungsöffentlichkeit, d.h. im vorliegenden Falle Anrufer-Sendungen und ihre Diskussion unter Hörern, aber auch zwi-
schen lokalen und nationalen Öffentlichkeiten. Diese wird auch in anderen Arten von Anrufersendungen deutlich, wie den bereits erwähnten Sendungen
unter der Rubrik grogne matinal (s.o.). Auch die Moderatoren selbst stellen
175 Förster 2002 nennt dies diffuse Öffentlichkeit, für Spitulnik fällt dies in den Bereich der small alternative media 2002.
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diese Verknüpfungen vermittelnd her, diskutieren sie doch auch nach den
Sendungen mit den Hörern, beim Gang durchs Viertel, beim Einkauf, in der Buvette oder beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen.
Ich stimme grundsätzlich der These einer besonderen Nähe lokaler Sen-
der und ihrer Protagonisten zu den Hörern zu (Tudesq 2002), sehe aber auch weitere strukturelle Faktoren. Der Erfolg des Radios in Benin lässt sich nicht
allein durch Vielfalt, Offenheit und pragmatischen Nutzen erklären. Das Radio eignet sich mehr noch als andere Medien dazu, verschiedene Formen von Öffentlichkeiten miteinander zu verknüpfen, damit Orte und Personengrup-
pen auf eine neue Weise in Beziehung zu setzen und neue kommunikative Funktionen in einer sich verändernden Gesellschaft zu übernehmen. Die Her-
stellung dieses Raumes ist ein permanenter Prozess, der nicht durch das Vor-
handensein von Medien an sich, sondern durch Mittler erzeugt wird, aktive Hörer als Meinungsführer und eben auch Radiomitarbeiter.
Letzteren gelingt dies nur, wenn sie die Hörer im doppelten Sinne an-
sprechen, in Themensetzung und der Art des Sprechens, in virtuoser Nutzung
technischer Mittel und Informationsquellen. Der Aspekt der Mündlichkeit, des virtuosen Umgangs mit Genres der Oralliteratur durch Moderatoren trägt
dabei ebenfalls zum Erfolg der Radio-Programme bei, die auch Märchensen-
dungen (vgl. das Beispiel der Sendungen von Radio CAPP FM, vorheriger Abschnitt), Radiotheater oder Preislieder im Radio beinhalten. Auch Radio-
werbung spielt mit den Genres der Oralliteratur.176 Das Argument einer Kontinuität traditioneller Mündlichkeit als ideale Basis lokaler Radioproduktion,
176 Anspielungen an Märchen und traditionelle Register der Sprache prägten z.B. einen Radio-Werbespot für die Biermarke VAN PUR, ausgestrahlt am 22. August 2012 von Radio Tokpa. Es wird ein Vergleich der Biere mit der Rangfolge der wilden Tiere vorgenommen. Am Anfang wird die Szene in der Vergangenheit gespielt. Mann: „Ich frage mich: werde ich eines Tages an einem Tisch mit den Älteren ein VAN PUR- Bier trinken?“ Frau: „Ich frage mich: werde ich eines Tages die Mittel haben, um ein VAN PUR Bier zu kaufen?“ Nun in der Gegenwart, sind offenbar Wünsche wahr geworden. Die Frau sagt: „Jetzt habe ich erkannt, dass man Wasser nicht mit dem Ozean vergleichen kann.“ Mann: „Kein Bier ist besser als VAN PUR Bier." Ein traditionelles Lied folgt. Frau: „Man kann nicht Wasser mit dem Ozean vergleichen. Der Hase hat im Busch die Spuren des Elefanten gesehen! Wie war seine Reaktion? Er kniete nieder und sagte: ‚Ja, das sind die Spuren des angesehensten Tieres.‘“ Der Mann fügt hinzu: „Die anderen Biere sollten niederknien im Angesicht des Bieres VAN PUR. VAN PUR ist anders, VAN PUR ist das Beste.“ (Übersetzungen aus dem Fongbé zusammen mit Clétus Adohinzin)
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das zur Erklärung des Erfolgs vor allem der neuen community-Radios in we-
nig schriftgebildeten Milieus (vgl. z.B. Schulz 1999b; Tower 2005) oft genutzt wird, ist aber problematisch. Es geht von einem unterkomplexen Verständnis der inzwischen 50-jährigen Rundfunkgeschichte in Westafrika aus
und vernachlässigt viele Aspekte der medial vermittelten Wechselwirkung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und Literarität. Man muss heute viel-
mehr von einer Modernen Oralität (Schröder und Voell 2002) im Alltag ausgehen, die nicht nur von der parallelen Bedeutung von Schriftkommunika-
tion beeinflusst wird, sondern auch von technischen Kommunikationsformen wie dem Mobiltelefon. Ich bin der Meinung, dass der Erfolg dieser Sender in der hybriden Kombination medialer Formen, nicht in mündlichen Genres al-
lein liegt. Es werden Telefonate, Leserbriefe, Zeitungsmeldungen, SMS virtuos kombiniert. Somit entstehen hybride, intermediale Formen wie Presse-
schauen (die in einheimischen Sprachen in Benin einen besonders großen Hörerzuspruch finden). Formen der Schriftlichkeit vermischen sich mit jenen
der Mündlichkeit, wie im Beispiel von Leserbriefen, von Sendemanuskripten, oder wie erwähnt auch SMS, die in Benin oft den gleichen Abkürzungsstil annehmen wie jene von Jugendlichen in Europa.
Radio in Afrika ist keine Verlängerung traditioneller Mündlichkeit mit
neuen technischen Mitteln, sondern hat auch hier eine Vorgeschichte: Hörerfahrungen internationaler und nationaler Sender fließen in Radioproduktion
und Rezeption ein. Dies gilt im Falle des Radios z.B. für die erwähnten Gruß-
und Wunschsendungen im Radio, ebenso für Ankündigungen von Familienfesten, Beerdigungen, Entlassungsfeiern von Lehrlingen. Zum anderen werden aber auch Nachrichten von Verwandten durchgegeben, die in weit aus-
einander liegenden Dörfern wohnen, damit aber – wie auch über das
Mobiltelefon – kommunikativ neu vernetzt werden. In städtischen Sendern kommen neben Werbung auch Jobangebote und Ankündigungen von Versammlungen etc. hinzu. Hier gehen lokale Formen institutioneller Aneignung des Mediums Radio mit typischen Nutzungspraxen einher.
Diese Formate verbinden besondere Informationsbedürfnisse der Hörer
und Plattformen für Werbung besonderer Dienstleister mit dem Anspruch der
Radiomitarbeiter nach relevanten Programmen in lokalen Sprachen, im
Sinne ihres Credos der Erweckung lokaler Kultur. Es geht also, wie im Zitat eingangs pointiert von Gunner et al. (2011) formuliert wurde, um die Ver-
bindung zwischen dem „oralen“ und dem „auralen“ sowie weiteren typischen kommunikativen Stilen, die heute auch die Radiokulturen in Benin
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prägen. Diese können aber nur im Zusammenhang mit der alltäglichen coproduction von Radiokulturen durch verschiedene Nutzergruppen verstanden werden, die das anschließende Kapitel beleuchten wird.
IV Aneignungen
Abbildung 8: Gado, Schuster und passionierter Radiohörer in Natitingou, März 2012
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1. Radiohören im Alltag „Ich höre fast alle Radiostationen. Mein Zeitplan am Morgen: Wenn ich aufwache, um 5 Uhr morgens, höre ich zuerst RFI. Um 6 Uhr wechsle ich dann auf die Frequenz des nationalen Radios, sehen Sie, und um 6.30 Uhr beginne ich, die Nachrichten im nationalen Radio zu verfolgen. Aber nach 10 Minuten, wenn ich die Nachrichten nicht weiter verfolgen will, wechsle ich wiederum auf den Sender Radio Golfe FM für die Sendung grogne matinale. Um 7 Uhr bin ich auf Océan FM. Sie strahlen ihre Morgennachrichten erst um 7 Uhr aus, aber ihre Nachrichten sind viel kritischer, denn es ist eine Radiostation der Opposition, während Golfe FM derzeit für das Regierungslager ist.“ (Gilles Dansou, Cotonou, 5.2.2010)
Bisher wurde das radiomediale Feld Benins hinsichtlich seiner politischen und institutionellen Rahmenbedingungen sowie im Hinblick auf die Situation und
Arbeitsweisen der Radiostationen, ihrer Mitarbeiter und der im Lande derzeit dominanten Sendeformate analysiert. Im folgenden Kapitel sollen nun vor allem Radiohörer, wie im Beispiel oben ein informationsorientierter
Mitarbeiter von Radio Cotonou, ihr Umgang mit dem Medium, aber auch ihre Beziehungen zu Medienprofesionellen im Fokus der Betrachtung stehen. Es
geht hier um die alltäglichen Dimensionen der Radionutzung, Routinen und Gewohnheiten. Damit verbunden ist die Analyse der individuellen Bedeutung
des Radiohörens, aber auch des Besitzes von Radiogeräten im Lebenslauf
einzelner Hörer, d.h. der Verknüpfung von Individualbiographien mit der
Geschichte des Radios und seiner Technologien in Benin. Das Kapitel schließt eine Diskussion des Aneignungsbegriffes an Beispielen der Radioproduktion
und -rezeption im Alltag ein. Im abschließenden Teil wird noch einmal darauf
hingewiesen, dass Medienbiographien zunehmend von Interaktionen der Hörer mit Radiostationen und ihren Gestaltern – vor allem als Anrufer, Studiogäste oder über ehrenamtliche Tätigkeiten in Trägervereinen oder Fanclubs der Sender – beeinflusst werden.
RADIOGERÄTE UND HÖRGEWOHNHEITEN IM ALLTAG Cotonou. Beim Betreiber des größten Zeitungsstandes in Cotonou, Bonaven-
ture, treffen sich jeden Werktag viele Motorradtaxifahrer. Bonaventure lässt
tagsüber auch sein Radiogerät laufen. Um 10 Uhr vormittags wird dies dann
IV A NEIGNUNGEN | 261
auf volle Lautstärke gedreht, weil zu diesem Zeitpunkt die Zémidjan-Motor-
radtaxifahrer und Kunden des Kiosks gern die bekannte Presseschau Dah Houawés auf dem Sender Radio CAPP FM hören. Anschließend nehmen die
politischen Diskussionen an diesem Treffpunkt noch einmal an Intensität zu (Cotonou, 2008-2013).
Der hier erwähnte Ort ist einer der markantesten Plätze in Benin, an denen
Informationen ausgetauscht werden, z.T. Gerüchte entstehen, aber auch meh-
rere Medien (Zeitungen, Radio) und Öffentlichkeiten (urbane) miteinander in Verbindung stehen. Radiohören ist hier sowohl mit kollektiven Praxen ver-
bunden (gemeinsames Hören einer der beliebtesten Sendungen in Cotonou)
als auch individuell markiert: der Kioskbesitzer Bonaventure nutzt das Gerät, ebenso wie viele andere Dienstleister und Händler, gemäß seinem eigenen Arbeitsrhythmus. In weniger verkaufsintensiven Zeiten laufen im Hintergrund Musiksendungen (14-17 Uhr). Er benötigt das Radio auch gezielt als
Informationsmedium, um seinen Wissensstand in einem informationsaufgeladenen Umfeld zu verbessern, und hört die Nachrichtensendungen um 7 Uhr
und um 13 Uhr. Bonaventure setzt das Gerät aber auch ein, um potentiellen Kunden Anreize zum Besuch des Kiosks zu geben (oben erwähnte Presseschau-Sendung um 10 Uhr).
Radiogeräte sind nach wie vor das dominierende elektronische Massen-
medium an vielen öffentlichen Orten wie Märkten, Busbahnhöfen, aber auch
Werkstätten, Friseurstuben, Läden und zahlreichen staatlichen Verwaltungs-
einrichtungen. Oft in Kombination mit der CD- Abspielfunktion genutzt, fügen Radiogeräte ihre besonderen Töne aus Sprache, Musik, Jingles, etc. in die urbanen Klang-Landschaften vor allem der größeren Städte ein, aus denen sie
nicht wegzudenken sind. Geht man durch enge bewohnte Stadtviertel wie Cotonou-Cadjéjoun, so mischen sich hier meist die typischen Töne des Alltags: jene der Mais-Mühlen mit Motorradhupen, andere aus großen Lautspechern von Musik-CD-Verkäufern, Kinderschreie, Hähne, Werbefahrzeuge und Rufe
von Wasserbeutelverkäufern mit jenen von Handyklingeltönen, Moscheen – und schließlich derRadiosendungen. Ich bin während der Forschungsaufenthalte immer wieder durch verschiedene Stadtviertel in Cotonou, Natitingou
und Parakou gelaufen, um die Präsenz und Nutzung von Radiogeräten zu erkunden und mit den jeweiligen Gerätebesitzern ins Gespräch zu kommen. Dabei habe ich einige, sehr sichtbare Radionutzer immer wieder getroffen.
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Zu diesen gehört Ibrahim oder „IB“, in Natitingou. Er führt einen kleinen
Kaffee-Kiosk, der sich direkt am Überlandtaxibahnhof im Stadtzentrum von Natitingou befindet. IB gehört zu den treuen Hörern des örtlichen Gemeinde-
radiosenders Radio Nanto FM, und lässt als selbständiger Gewerbetreibender
das Radiogerät meist den ganzen Tag über am Arbeitsplatz laufen. Er bedauert, dass die Sendungen von Nanto mittags enden, und schaltet dann meist auf Radio Parakou um (Natitingou, 2008-2010).
Das Radio wird also von vielen Hörern in Benin neben dem gezielten Hören
von beliebten Sendungen auch als Tagesbegleitmedium genutzt. Dies trifft vor allem auf jene Berufsgruppen zu, die sich davon Unterhaltung und einen an-
genehmeren Arbeitstag versprechen, Radiohören aber ohne Probleme mit ih-
rer Tätigkeit z.B. als Händler, Dienstleister, Nachtwächter, im Büro oder der
Werkstatt verbinden können. Auch wenn viele dieser Hörer das Radio als all-
gemeinen Tagesbegleiter einsetzen, ohne immer intensiv jede Sendung zu verfolgen, so schließt dies gezielte Wahlentscheidungen nicht aus.
Eine treue Hörerin des Senders CAPP FM ist z.B. Rosalie. Sie arbeitet als
Lagermeisterin in einem privaten Unternehmen in Cotonou-Akpakpa, das mit Altkleidern handelt. Ich habe sie dort, zusammen mit dem Moderator Thomas, in ihrem Büro besucht und ihre Hörgewohnheiten besprochen. Die
Lagerhalle und ihr kleines Büro befinden sich in der Nähe der Radiostation. Deshalb trifft sie die Radiomitarbeiter auch oft in der Nähe, meist in einer der Garküchen, die die Arbeiter und Angestellten der umliegenden Firmen fre-
quentieren. Sie hört insbesondere auch gern die Sendungen von Rosymoh und Thomas, die sie auch persönlich, wenn auch nur flüchtig, kennt. Gerade die
Anrufersendungen zu privaten Problemen verfolgt Rosalie gern mittels eines
sehr laut aufgedrehten Radioempfängers, der auf ihrem Schreibtisch platziert
ist. Das Gerät läuft während ihrer Anwesenheit in der Firma aber die ganze Zeit, um, wie sie sagt, die oft monotone Arbeit – Annahme von Lieferungen, Registrierung und Kontrolle der Lagerbestände, Ausfertigen von Lieferscheinen etc. – etwas erträglicher zu gestalten (Cotonou, März 2010).
Einige der permanenten und passionierten Radiohörer sind in ihrem Viertel
oder Ort durch ihren Radiokonsum ihren Mitbürgern in besonderer Art und Weise bekannt.
Dies trifft z.B. auf Gado, einem Schuster in Natitingou (Spitzname: „Papa
ou sont-ils“) zu. Sein offener Stand befindet sich im Herzen der Stadt, nahe
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der zentralen Kreuzung gegenüber einer Bank. Auf seinem Tisch hat er ein
großes altes Kassettenradio platziert (vgl. Abbildung 8). Mit diesem verfolgt er nach seinen Aussagen fast alle Sendungen des örtlichen Senders Radio Nanto FM, unabhängig von der jeweiligen Sendesprache, denn er versteht
mehrere lokale Sprachen. Wenn Radio Nanto pausiert, wechselt er zur UKWStation Radio Kara im Nachbarland Togo. Mit Hilfe einer großen, selbstge-
bauten Antenne ist er dazu problemlos in der Lage (Natitingou, März 2010März 2013).
Hörgewohnheiten entfalten sich jedoch auch in besonderer Weise im jeweiligen Wohnumfeld und seinen sozialen und beruflichen Strukturen geprägt ist. ERKUNDUNGEN ZU HÖRERVERHALTEN IM SOZIALEN UND LEBENSWELTLICHEN
KONTEXT. FALLBEISPIELE AUSGEWÄHLTER STADTVIERTEL UND SOZIALER GRUPPEN Das Stadtviertel Santa befindet sich im Zentrum von Natitingou. Es ist eines
der älteren Viertel des Ortes und wird von einer gemischten Bevölkerung hinsichtlich ihrer Berufe und ethnischen Herkunft bewohnt, wenngleich Hand-
werker und Händler dominieren. Wichtiges Merkmal ist die Siedlung von Fa-
milien, die hier schon über mehrere Generationen hinweg leben. Insofern
unterscheidet sich das Viertel auch von neueren Stadtteilen wie Orou-Bouga, in denen meist kürzlich Zugezogene sowohl aus dem Umland als auch aus
dem Süden Benins leben. Etliche der Bewohner in Santa waren unter den ersten Händlern, Handwerkern und Staatsdienern am Ort, die bereits in den
1930er Jahren ihre ersten Anwesen erbauten. Der derzeitige Chef de quartier, der mich anfangs im Viertel begleitete, war lange Sachbearbeiter in der Regionalverwaltung. Unter den Bewohnern sind nicht wenige Muslime, die als
Händler und Handwerker aus anderen Landesteilen nach Natitingou kamen, um den wachsenden Bedarf der neuen, in der Kolonialzeit entstanden Stadt zu sichern.
Im Viertel finden wir einen hohen Anteil an kleinen Handwerksbetrieben
und Dienstleistern, die hier ihre Ateliers, Boutiquen und Werkstätten – in einer Mischsiedlung von Wohnstätten und Gewerbe – führen. Bekannt ist auch die (lange Zeit einzige) Bäckerei der Familie Pedro, unweit der kleinen Mo-
schee. Geht man durch das Viertel, so nimmt man deutlich wahr, dass– neben CD-Playern – auffallend viele Radiogeräte eingeschaltet sind. Hier sind es vor
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allem Handwerker wie Schneider, Fotografen, Uhrmacher, Friseure, Mecha-
niker, aber auch Ladenbesitzer, die fast ununterbrochen Radio hören. „Fast alle Ladenbesitzer oder Handwerker haben hier ein Radio. Es gehört einfach
dazu“ bemerkt der Radiomechaniker Michel, der seine Werkstatt in der Nähe des kleines Marktes Yara betreibt (Natitingou, März 2012). Hinsichtlich des
generellen Hörerverhaltens kann man in diesem Stadtviertel drei (Ideal-)Typen von Hörern unterscheiden: Zum einen finden wir diejenigen, die neben ihrer Arbeit, in Werkstätten oder Boutiquen, Radio als Tagesbegleiter emp-
fangen, bei bestimmten Sendungen zielgerichtet zuhören, ansonsten aber das
Radio permanent über den gesamten Tag hinweg eingeschaltet lassen. Viele
dieser Hörer schalten das Radio zu Beginn der Arbeit, um 7.30-9 Uhr ein, und dieses dann entsprechend um 18.30-20 Uhr wieder aus. Nicht wenige lassen das Gerät an Ort und Stelle und hören zuhause eher selten Radio.
Eine andere Gruppe von Hörern hört Radio zielgerichtet nur für bestimme
Sendungen, die beliebt sind oder von denen sie sich wichtige Informationen
erhoffen. Ansonsten hören sie eher nur Musik, oder sehen Musik-Videos im Fernsehen. Unter ihnen sind viele junge Leute, Schüler oder Lehrlinge, die
Sendungen wie blues du coeur, supplice du coeur; Sportübertragungen oder die Samstagabend- Musikshows mit Hörergrüßen verfolgen.
Eine dritte Gruppe schließlich nutzt das Radio zum Teil gezielt für Infor-
mationen, dies aber sehr regelmäßig entsprechend des Tagesablaufes. Diese
Hörer, unter ihnen viele Angestellte, betreiben die Geräte meist zuhause, und hören vor allem morgens, nach dem Aufstehen, oft mittags, in der Arbeits-
pause und z.T. abends, wobei bei vielen von ihnen hier das Fernsehen in den Abendstunden Vorrang hat. Natürlich überschneiden sich die Kategorien und sind eher als (ideal-)typische Nutzungsformen zu sehen, die sie auch, entspre-
chend des Wochenrhythmus ergänzen. So gibt es Hörer, die werktags kaum Radio hören, dann aber aufgrund größerer Muße an den Wochenenden viel
zielgerichteter Sendungen verfolgen. In anderen Fällen hören viele Bewohner, auch wenn sie selbst kein Radio besitzen oder ihr eigenes Gerät selten für das
Radiohören benutzen, natürlich auch ‚nebenbei‘ Radio, wenn sie Boutiquen,
Werkstätten oder Büros aufsuchen, oder als Lehrlinge und Angestellte die Hörgewohnheiten ihrer Chefs akzeptieren müssen.
Gewisse Unterschiede zeichnen sich im Vergleich der Angehörigen ver-
schiedener Religionen insofern ab, als Muslime, die die frühmorgendliche Gebetszeit um 5.30 Uhr einhalten, oft schon sehr früh einschalten, zeitiger als
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Christen, die erst gegen 6.30-7 Uhr aufstehen. Bei allen Befragten in Natitingou hielt sich die Präferenz für den lokalen Sender Nanto FM und das Radio Parakou in etwa die Waage. Sendungen in einheimischen Sprachen be-
vorzugen vor allem viele Handwerker, Dienstleister und Händler, da ihre
Französischkenntnisse in vielen Fällen limitiert sind. Hingegen hören Angestellte wie Lehrer, Mitarbeiter in NRO oder der Verwaltung zielgerichtet
Nachrichtensendungen. Letztere bevorzugen – oft auch aufgrund jahrelanger Gewohnheit – Radio Parakou sowie RFI. JUGENDLICHE RADIOHÖRER IN NATITINGOU In Natitingou habe ich zudem als spezifische soziale Gruppe junge Hörer in der Altersgruppe 15-30 Jahren ausgewählt, weil diese in besonderer Weise
die Radiosendungen der regionalen Sender verfolgen, damit eine der wichtigsten Hörergruppen auch des Senders Nanto FM darstellen und zudem in besonderer Weise eine kritische Radiokompetenz entwickeln. Zu dieser Hö-
rergruppe zählen vor allem viele Schüler (Mittelschüler, collégiens), Auszubildende und junge Handwerker und Dienstleister, die im urbanen Zentrum der
Stadt wohnen. Viele von ihnen tauschen sich regelmäßig über die Inhalte bestimmter Sendungen aus. Nach meinen Beobachtungen hören viele dieser Ju-
gendlichen Radiosendungen größtenteils zuhause und meist in den Abend-
stunden, wobei das Gerät auch oft Verwandten, Freunden, oder Vermietern gehört.
Viele Jugendliche nutzen die Radiofunktion ihres Handys. Größere Geräte
besitzen – oft junge Handwerker, Barbesitzer oder Dienstleister, die das Radio dann auch eher als Tagesbegleiter nutzen, oder dieses in Ateliers oder bei
Besuchen in Garküchen mit sich führen. Einige Schüler, vor allem jene, die in Theater- oder Freizeitgruppen organisiert sind, melden sich regelmäßig in
Gruß- und Wunschsendungen. Vor allem männliche junge Hörer senden – je nach Budget – Grüße an junge Frauen und ihre Freunde während der sams-
täglichen Sendungen, aber auch junge Frauen verschicken SMS oder rufen an. Die mit Abstand beliebteste Sendung auf Radio Nanto ist in diesem Kreis die freitägliche Sentimental-Sendung supplice du coeur.
Während einer Diskussion mit jugendlichen Hörern im Stadtviertel Sot-
chirantikou (Oktober 2010) teilten mir die jungen Männer mit, dass sie deshalb diese Sendungen gern verfolgen, weil sie zum einen neugierig sind, welche Probleme im Leben oder in Partnerschaften existieren, sie selbst auch
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Antworten auf Fragen dieser Art suchen und außer mit sehr guten Freunden
dafür kaum andere Ansprechpartner finden. Zum anderen sehen sie teilweise
auch ihr eigenes Leben reflektiert, da viele der Sujets auf die Situation der Schüler oder Schülerinnen bezogen sind. Bei jenen Schülern, die (wohlhaben-
dere Eltern sei Dank) über mehr Mittel verfügen, steht der Kauf von Musik-
anlagen eher zum Abspielen von Musik-CDs als zum Radiohören im Zentrum. Hinzu kommen Mobiltelefone, MP3-Player und Spielkonsolen. Bei den meisten der jungen Hörer in Natitingou steht aber nicht der Sender Nanto allein
im Mittelpunkt, sondern bestimmte Radioformate, die sie auch über andere Sender, insbesondere Radio Parakou, verfolgen. FORMEN SYMBOLISCHER NUTZUNG Betrachtet man die heutige Situation der Radionutzung, so ist diese äußerst diversifiziert. Einige Hörer nutzen Geräte vorwiegend auf der Arbeit, andere zuhause. Für viele junge Leute wiederum ist die Nutzung über das Mobiltele-
fon zentral. Manche Geräte werden beiläufig mitgeführt, andere deutlicher – auch, um anderen das Mithören zu ermöglichen – positioniert. Die Präsentation von Geräten ist nicht nur in Privathaushalten oder auf Märkten etc. zu
beobachten, sondern vor allem auf privaten Fotos deutlich, insbesondere je-
ner, die in den Fotostudios aufgenommen werden. Radiogeräte werden wie Fernseher in Privaträumen für alle sichtbar platziert. In manchen Fällen sind
Radiogeräte (und zunehmend Fernseher) – auch jene, die nicht mehr funktionieren – wie auf einem Altar aufgebaut.
Der Katechist und Händler Jena N’Tcha beispielweise hat auf einem klei-
nen Schreibtisch in seinem Haus in Kusigu (südlich von Natitingou) sein Ra-
dio auf einen alten Kassettenrekorder gestellt. Letzterer ist defekt, war aber
ein Erbstück seiner verstorbenen Schwester. Ein Porträt vor ihr, mit diesem Radiogerät, hängt über dem Schreibtisch (November 2009).
Shwaibou, 25 Jahre, ursprünglich aus Kouandé, verkauft Sprit an der Haupt-
straße von Natitingou gegenüber den Foyer Abdoulaye Issa im Viertel Kantaborifa. Er hört den ganzen Tag lang Radio und nutzt es als dauerhaftes Unterhaltungsmittel, um, wie er sagt, seine langen Arbeitstag angenehmer zu gestalten. Shwaibou hört aber bevorzugt Sendungen auf Baatonum, seiner
Muttersprache, und wechselt daher für diese Sendungen oft auf Radio Para-
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kou, hört aber auch gern die Abendshows auf Radio Nanto FM. Seinen allerersten Empfänger hatte er sich vor rund fünf Jahren durch einen Teil seiner Verdienste durch Feldarbeit auf Baumwollfeldern von Bekannten verdient,
und auf dem Markt von Parakou gekauft. Es kostete 4500 FCFA (7 €) und war damit zunächst sehr zufrieden. Shwaibou konnte es überall hin mitnehmen.
Er kaufte dieses Gerät von einem fliegenden Händler aus Niger, es sah gut aus
mit seinem großen Lautsprecher. Schließlich hatte er aber Probleme beim Einstellen, denn der Senderwahl-Drehknopf funktionierte plötzlich nicht.
Nach einer Weile musste er das Gerät zum Mechaniker geben, es war aber bald wieder defekt und musste aufgegeben werden.
Das Radiogerät, das er mir zeigt, ist sein drittes. Beim letzten Besuch hatte
er noch ein anderes Gerät, es war sehr robust, hatte aber einfach zu viele Batterien verbraucht. Er hätte dies zwar beim Kauf gewusst, aber etwas unterschätzt. Shwaibou versuchte dieses Problem eine Zeit lang durch das Zusammenschalten alter, eigentlich schon verbrauchter Taschenlampenbatte-
rien aus eigenem Besitz oder von Freunden zu lösen, erwarb dann aber doch einen neuen Empfänger. Das aktuelle Gerät, auch aus chinesischer Produk-
tion, ist etwas kleiner, potentiell leiser, dafür verbraucht es weniger und hat eine Art Kurbel, die das schnelle Verstellen des Senders ohne Nachteile erlaubt (Natitingou, November 2009).
Diese Befragungen zu individuellen Besitzerkarrieren offenbaren verschie-
dene Aspekte der alltäglichen Umgangsweise mit Radioempfängern. Die Geräte müssen für den Nutzer brauchbare Eigenschaften aufweisen, hier möglichst gute Lautsprecher, damit im Straßenlärm trotz allem noch Musik und
Informationen empfangbar sind. Zum anderen ist die Wahl immer von vor-
hergehenden Erfahrungen aus eigener Nutzung (im Beispiel wurde der Einstellknopf als neuralgischer Punkte der Billiggeräte ausgemacht) oder jener
von Freunden oder Bekannten geprägt, der diese Geräte unabhängig von ih-
rem Preis in Nutzbarkeitskategorien einteilt. Schließlich ist der Stromverbrauch ein Dauerthema. Ein im Verbrauch günstigeres Gerät bietet weniger Lautstärke, was aber an lauten Straßen ein Nachteil ist. Das Stromproblem stellt sich wiederum für viele Nachtwächter weniger: nach meinen Beobach-
tungen nutzen viele von ihnen oft Außenbereichsteckdosen der Liegenschaf-
ten, die sie bewachen, oder laden dort Akkus – natürlich auch von Mobiltelefonen mit Radiofunktion – auf. Nachtwächter erwerben, wenn es sich nicht
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um Geschenke, Recycling Produkte etc. handelt, oft auch viel kleinere Empfänger, denn sie benötigen keine lauten Geräte. UMFRAGEN Meine wiederholten Gänge durch einzelne Stadtviertel von Cotonou und Natitingou zu verschiedenen Tageszeiten haben ein gutes Bild des Radiohörens
vermittelt, dass aber nur ausschnitthaft ist, da hier individuelles Radiohören im privaten Raum nicht adäquat erfasst werden kann. Deshalb habe ich fra-
gebogengestützte Umfragen zu den Gewohnheiten der Radionutzung ausge-
wählter Hörer in Cotonou und Natitingou durchgeführt (insgesamt 200). Die Ergänzung der qualitativen Forschung durch Ergebnisse statisch relevanter
Daten dient nicht nur zur Erweiterung des Methodenspektrums, sondern zur Gewinnung von Aussagen über Hörerverhalten in einem etwas umfangreiche-
ren Maßstab. Sie beziehen sich vor allem auf Präferenzen für Sender, Moderatoren, aber auch alltägliche Hörgewohnheiten.
Die selbst erhobenen Daten habe ich zudem mit jenen offizieller Umfra-
gen (HAAC 2007; Aoubre 2008) und punktuellen Umfragen in jüngeren Er-
hebungen (Dessoh 2011) verglichen. Ich habe zwei Umfragen durchgeführt.
Die erste Erhebung fand im März in Cotonou 2008 statt, eine zweite Befragung 2009 in Natitingou. Dabei wurden jeweils 100 Hörer befragt. Die etwas niedrig erscheinende Zahl begründet sich neben den begrenzten personellen Ressourcen in einem bewusst umfangreicheren Fragenbogen, der die einzel-
nen Interviews zwar länger gestaltete, dafür aber Fragen mit aufnahm, die in anderen, offiziellen Umfragen meist nicht einbezogen wurden. Dieser Frage-
bogen betraf u.a. auch Hörergewohnheiten zu bestimmten Tageszeiten, mög-
liche Interaktionen mit Sendern und zudem auch offene Warum-Fragen zu Präferenzen, die in den genannten Umfragen nicht vorgesehen waren.177
Bei den Umfragen musste man bestimmte Diskursformen sowie Wissens-
formen der Befragten beachten. So erinnern viele Gesprächspartner nicht die
177 Der Fragebogen wurde zusammen mit der lokalen Hilfskraft Marius Totin entwickelt und nach Testinterviews – erst zwei Testinterviews im eigenen Umfeld, Studierende der UAC, dann vier Probeinterviews mit wechselnden Rollen im freien Feld in Cotonou, die zugleich der Interviewer-Schulung dienten – modifiziert. Befragt wurden in beiden Orten Hörer in zwei Stadtteilen. Dabei wurde auf einen Geschlechterproporz ebenso wie einen Proporz der Altersgruppen geachtet. Die Auswertung der Fragebögen erfolgte durch eine weitere Hilfskraft.
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offiziellen Namen bestimmter Sendungen (außer grogne), sondern eher deren Moderatoren, ihren allgemeinen Inhalt sowie die Sendezeiten. Die gilt auch
für Sender: oft kennt man die Moderatoren, diesen kann man aber nicht immer klar dem jeweiligen Sender zuordnen. Zu bestimmten Zeiten sucht man
einfach das Frequenzband ab, bis man den Sender findet. Frequenzen werden
nur dann genannt, wenn diese ein Teil der Sender-Markenzeichen sind, sonst
werden diese über Einschaltroutinen – an gleichen Stellen der Frequenzskala der Empfänger – gefunden. Darüber hinaus musste ich im Gespräch zu be-
stimmen Sende-Formaten lokale Ausdrucksformen wählen, so z.B. für Presse-
schauen (présentation des titres des journaux statt révue de presse). Hingegen gibt es auch feste Ausdrucksformen, die sich eingebürgert haben und auch für
Sendungen verwendet werden, die inhaltlich von diesen (neo-)klassischen Formaten abweichen.
So wird oft der französische Begriff grogne (siehe unten) für allerlei Anru-
fersendungen verwendet, auch wenn es nicht um das in Benin am meisten
verbreitete Format der unkommentierten 90-Sekunden-Meinungsäußerungen
(vgl. Abschnitt V,1) geht. Ebenso wird unterschiedslos von bal berichtet, wenn es um DJ-moderierte Abendmusiksendungen mit populärer Musik geht, unabhängig davon, ob diese mit spezifischen Inhalten oder Musikstilen (reli-
giöser Musik, Nostalgie etc.) verbunden sind. Hier wird mit den Begriffen ‚Zuspruch‘‚ Beliebtheit‘, ‚Akzeptanz‘ operiert. Von Einschaltquoten im klassischen Sinne kann man hier aus methodischen Gründen nicht sprechen, dafür
war die Zahl der Befragten zu gering, die Auswahl- und Bewertungskriterien nicht differenziert genug (z.B. hinsichtlich des zielgerichteten Hörens gegenüber dem „Nebenbei“-Hörens). Zudem sind solche Befragungen auch noch kein Standard in der Medienlandschaft und im öffentlichen Leben, was für das Verhalten der Befragten nicht unwichtig ist.
Als wesentliche Ergebnisse lassen sich erkennen, dass es zwar einige, bei
vielen Hörern beliebte Sender gibt, darüber hinaus aber eher Präferenzen für
bestimmte Sende-Formate (wie grogne, Nachrichten, Presseschauen), einzelne Sendungen (für Cotonou z.B. Presseschau Fongbé, grogne Golfe FM) sowie
Moderatoren178 zu beobachten sind. Diese sind z.T. alters-, geschlechter- und
178 Der inzwischen verstorbene Moderator Mathias Ahomagnon alias Gbo magni Avoko moderierte auf Radio Star in Cotonou Sendungen, bei denen nur Frauen anrufen durften, die aktuelle Themen diskutieren und Grüße abgeben konnten. Die Sendung war vor allem bei Marktfrauen des Marktes Dantokpa sehr beliebt.
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stadtteilübergreifend. Es lassen sich aber hinsichtlich dieser drei Dimensionen auch signifikante Unterschiede erkennen. So ist der Anteil jugendlicher Hörer
der Sendungen zur Spiritualität von Elmancio Godson auf Radio Golfe FM (vgl. III, 2) sehr hoch. Die geographische Nähe zu bestimmten Sendern ist
auch nicht ganz unerheblich. So verzeichnet der Sender Planète FM signifikant höhere Zustimmungswerte bei Bewohnern des Stadtteiles Gbegamey in
Cotonou, in dem der Sender seinen Sitz hat. Etliche Hörer vor allem im Raum Cotonou gaben an, sich vor allem jenen Stationen zuzuwenden, die auch bei
anderen im Freundes- und Verwandtschaftskreis am Beliebtesten wären. Einerseits kann dies als Strategie gesehen werden, über den gleichen Informations- und Unterhaltungsstandard wie die genannten Einflusspersonen zu ver-
fügen. Zum anderen findet hier sicherlich eine Übertragung von Ansehen statt, die z.B. den Hörerkreis beliebter Sender schnell automatisch vergrößert.
Die Ergebnisse der Erhebung bestätigen zu einem gewissen Teil Resultate
der offiziellen Umfragen, so die große Akzeptanz der Sender Golfe FM, Radio
Bénin, CAPP FM sowie Océan FM. Sowohl in den Umfragen von SocioLogi-
ciels (2005, erwähnt in Assogba 2010b: 2), der HAAC (2007) als auch von Desssoh (2011) wird Radio CAPP als die meisthörte Station in Cotonou ange-
geben.179 Dieser Erfolg beruht vor allem auf dem Interesse der Hörer an bestimmten Sendungen sowie Moderatoren. Aber auch Sendungen, die ein Alleinstellungsmerkmal aufweisen, wie die Märchensendung am Sonntagabend, tragen zum Ruf des Senders bei.
Die Ergebnisse der Umfragen decken sich zu einem großen Teil auch mit
Alltagsbeobachtungen. So haben sich Hörgewohnheiten bei vielen Berufstätigen entwickelt, die mir ihren hohen Radiokonsum primär sehr früh morgens,
mittags und spätabends sowie an den Nachmittagen der Wochenenden bestätigen. Hörer schalten morgens in aller Frühe ein, um Sendungen wie grogne matinal und anschließende Nachrichten und Musikprogramme vor Arbeitsbeginn zu verfolgen. Dabei hören sie nicht ununterbrochen zu, da sie natürlich
mit persönlicher Hygiene, Anziehen, familiären Pflichten, dem Frühstücken
und Vorbereitungen zum Verlassen der Wohnstatt beschäftigt sind. Das Hören
179 In der Zusammenschau der verschiedenen Umfragen liegt die Zustimmung für CAPP meist um die 40%, danach folgen Golfe FM und Radio Tokpa mit ca. 30%, gefolgt Radio Bénin und RFI um die 20% der jeweils befragten Hörer, die diese Sender regelmäßig einschalten.
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der 10-Uhr-Presseschau auf Fongbé erfolgt dann meist aber bewusst und un-
unterbrochen. Oft werden laufende Arbeiten unterbrochen oder ein Radio ei-
gens für diese Sendungen eingeschaltet. Mittags dann erfolgt das Hören von Nachrichten und sanfter Musik zur Mittagsruhe, vor allem bei jenen, die die
Mittagspause zuhause genießen. Abends werden meist Musikprogramme ge-
hört, oder gezielt bestimmte Anrufersendungen. Man kann generell feststellen, dass gebildetere Hörer mitunter mehrfach am Tag den Sender wechseln
(vergleiche das Eingangszitat oben). Der Bildungsgrad der Hörer bestimmt auch die Präferenzen für bestimmte Sende-Formate und Sender. Politische
Diskussionssendungen, zumal auch auf Französisch, wie Ma part de vérité,
Golfe FM (derzeit parallel als TV-und Radiosendung ausgestrahlt), questions actuelles oder Focal, Radio CAPP FM etc. finden vor allem eine intellektuelle
Hörerschaft. Radio Bénin wird aber quer über alle Schichten nach wie vor als seriös angesehen. Diese Präferenz, unabhängig vom Propagandacharakter des Staatssenders, lässt sich durch die große Anzahl von Meldungen und die re-
lative Verlässlichkeit der gesendeten Informationen begründen (die durch Einseitigkeit, Inszenierungen und Weglassen von Information aber kontrastiert
wird). Hinzu kommen, wie erwähnt, eine umfangreiche Auslandsberichtserstattung sowie die regelmäßige Berichterstattung zu Ereignissen aus dem öf-
fentlichen Leben, von Behörden, die auch für viele Hörer im Staatsdienst von Bedeutung sind.
Die Nachrichten von Radio Bénin sind zudem auch differenzierter als jene
des Fernsehens. Hier wird auch viel öfter wertvolles Archivmaterial eingesetzt
(Chabi 2005), u.a. für Sendungen zur kultur- (vécu; reminiscence musicale) und politischen Geschichte Benins (un homme, une vie). Zusammenfassend wird deutlich, dass sich die Hörerpräferenzen differenziert haben und neben bestimmten Sendern auch konkrete Moderatoren und Sendungen sowie Tages-
zeiten mit einschließen. Hörer sind sehr kritisch und erwarten reichhaltige und verlässliche Informationen sowie eine gute Qualität der Sendungen (gutes Sprechen, gute Musikauswahl, gute Gesamtgestaltung).
Gemeinsamkeiten im Hörerverhalten bestehen hinsichtlich der zentralen
Zeitfenster der Radionutzung: Vor allem die Morgenstunden in der Woche und am Wochenende sowie die späten Abendstunden sind gleichermaßen die Haupt-Zeiten des Radiohörens, da hier die Konkurrenz zum Fernsehen gerin-
ger ist. Die individuellen Zugänge zur Radiotechnologie können sich demgegenüber jedoch, wie im Folgenden gezeigt werden soll, recht verschieden gestalten.
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2. Hörerkarrieren „Ich bin viele Jahre mit dem Radio eingeschlafen und auch wieder aufgewacht. Ich habe es immer bei mir getragen. Es war sehr wertvoll, ich habe dafür auf den Feldern in Nigeria gearbeitet. Ich habe immer RFI gehört, denn da erfuhr man mehr, als unsere Regierung mitteilte. Später habe ich ein neues gekauft, mit einem Kassettenteil, aber das alte Gerät habe ich immer noch.“ (Georges Kpètènou, 72, Parakou, März 2011)
Dieses Interviewzitat deutet an, wie wichtig im praktischen Sinne für viele Hörer Radiogeräte sind, und wie sehr diese, gerade bei älteren Hörern, in den
Alltag einbezogen werden, und ihr Leben begleiten. Bevor auf den Ansatz der Hörerkarrieren eingegangen wird, sollen hier noch einmal generelle Informationen zur Präsenz von Radiogeräten in Benin gegeben werden.
Wie bereits erwähnt, kamen Rundfunkempfänger Ende der 1940er und
vor allem zu Beginn der 1950er Jahre des 20. Jh. auf zwei Wegen nach Benin
(Dahomey): durch Arbeitsmigranten oder Handelsgesellschaften, die vorwiegend Güter für die neuen Eliten (Staatsangestellte wie Lehrer, Verwaltungs-
mitarbeiter, auch Pfarrer) bereitstellten. Parallel dazu entwickelte sich in den fünfziger Jahren allmählich der Rundfunk in den französischen Kolonien. In
den ehemaligen britischen Kolonien war das Radio schon länger etabliert, sowohl durch die Sendungen von BBC als auch die verschiedenen Empfangs-
systeme, die die Kolonialregierungen installierten. Dies geschah vor allem in den britischen Kolonien zunächst in Form einer drahtgebundenen Übertra-
gung (Larkin 2008) und später von drahtlosen Systemen, bei denen aber – die damals recht großen – Empfänger meist mehreren Hörern dienten. In den fünfziger Jahren kamen dann verstärkt Empfänger für den Hausgebrauch auf,
die sich aber zunächst nur die entstehende, noch kleine Mittelschicht, vor
allem in prosperierenden Regionen wie Nigeria, Sambia oder Ghana, leisten konnte. Es war dann vor allem die Einführung von Transistorradios, die hier
die Möglichkeit zur Produktion kleinerer Geräte ermöglichte, die dann Ende der 1960er Jahre aufkamen.
In Benin waren es lange Zeit Geräte klassischer Marken wie GRAETZ und
NATIONAL, die verbreitet waren. Sie gab es in spezialisierten Geschäften,
waren im Vergleich zu den Nachbarländern aber etwas teurer. Man konnte
über diese Geschäfte auch Geräte per Versandhandel bestellen. „Der Händler hatte einen Katalog einer Versandfirma aus Frankreich, die sich auf Übersee-
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ische Gebiete spezialisiert hatte. Ich habe dort einen guten Empfänger be-
stellt, und konnte diesen sogar in Raten bezahlen“ erinnert sich Christian
Sena, pensionierte Schuldirektor (Natitingou, März 2009). Die tragbaren Empfänger stammten vor allem aus japanischer (SANYO), ostdeutscher (STERN) und russischer Produktion. Die heute etwas klobig wirkenden, aber
preiswerten Geräte der russischen Marke SELGA und SIGNAL waren vor allem
seit den 1970ern sehr gefragt und sie wurden zentral durch den Staat importiert. Sie waren ein typisches Accessoire, vor allem der mittleren Ebene der Verwaltungsfunktionäre, die im sozialistischen System zentralistisch organi-
siert war. Die Besitzer hörten dabei nicht nur im Büro, sondern auch abends zuhause oder bei Spaziergängen durch den Ort. Viele der Funktionäre sind
bis heute ähnlichen Empfängern, die auch Kurzwelle empfangen können, treu
geblieben, wenngleich es nun auch kleinere Geräte sind. Ende der 1970er Jahre wurden dann bei Jugendlichen, die als Migranten aus der Côte d’Ivoire
oder Nigeria zurückkamen, auch Radio-Kassettenabspielgeräte beliebter, die dann in den 1980er und frühen 1990er Jahren dominierten.
Parallel dazu wurden Audiokassetten auf den Märkten verkauft, oft auch
in Form von vor Ort erstellten Raubkopien. Mitunter konnte man entspre-
chendes Bandmaterial erwerben, auf jenes dann exakt die gewünschten Titel in der gewünschten Reihenfolge von den Händlern überspielt wurden (eigene
Beobachtungen 1991-1993). Kassetten waren in der Radioproduktion noch bis ca. dem Jahre 2002 in Gebrauch, bevor dann die massive Digitalisierung
der Studio- und Aufnahmetechnik einsetzte. Dies brachte dann auch in Benin den endgültigen Siegeszug der CD mit sich, der ab 2000 einsetzte. Heute sind auch viele Mini-Empfangsgeräte sowie tragbare Geräte südostasiatischer Billigproduktionen erhältlich.
Man kann die radiotauglichen Empfangsgeräte (keine Anlagen von Emp-
fängerstationen über Satellit oder Antenne), die vor Ort erhältlich sind, in fünf Klassen einteilen: – in Mobiltelefone eingebaute Radioempfangsmöglichkeit (umgerech– –
net ab 5 Euro)
Kleinstempfänger für UKW-Empfang über Kopfhörer, meist ohne Laut-
sprecher (ab 1 Euro)
mobile Mehrwellen-Empfangsgeräte, entweder mit analoger oder di-
gitaler Senderwahl und –speichermöglichkeiten (ab 6 Euro)
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–
– –
in mobile oder stationäre Kompaktanlagen (ab 20 Euro) oder Licht-
quellen (ab 5 Euro) eingebaute Mehrwellenempfangsgeräte, mit oder ohne Direkt-Aufnahmefunktion
spezielle Empfangsgeräte für Satelliten-Radioempfang (ab 100 Euro) Autoradioempfänger (ab 20 Euro)
RADIO IM LEBENSLAUF, HÖRERKARRIEREN Ich habe zwei unterschiedliche Annährungsformen gewählt, die man mit Ra-
dio im Lebenslauf180 und „Оbjektbiographien“ (Postill 2008: 135; vgl. Kopytoff 1996) bezeichnen könnte. Ich möchte die Intentionen dieser vor allem
interviewbasierten Vorgehensweisen in ihrer Relevanz für diese Studie erläu-
tern, bevor ich auf Verknüpfungen dieser drei Annäherungen eingehen werde. In ersteren Falle ging es mir um eine Verbindung individueller Biographien
mit Formen von Medienaneignung; in Bezug auf Hörerrollen und der Kon-
struktion individueller Medienkompetenz. Dabei habe ich jeweils gefragt,
wann das erste Gerät wahrgenommen wurde, zu welchem Zeitpunkt man das erste eigene Gerät bekam oder kaufte, welche Sendungen damals dominierten und welche Hörgewohnheiten man pflegte.
Schließlich wurden dann die Etappen des weiteren Erwerbs von Geräten
verfolgt, die dann in den Kontext der jeweiligen biographischen Situation gestellt wurde. Hier wurde deutlich, dass das Radiohören jeweils auch in besonderer Weise Umbrüche im privaten Leben, aber auch der regionalen und na-
tionalen Politik begleitete, d.h. vor allem mit diversen Ortswechseln, familiären Umbrüchen sowie mit der individuellen beruflichen Karriere ver-
bunden war. Zugleich verwiesen die Aussagen die Einstellung der Interviewpartner zu Medien und zu Technik. Hier soll also auf die Veränderung individuellen Radiohörens im Lebensverlauf eingegangen werden.
180 In diesem Zusammenhang wurde ich von den Arbeiten von Podber (2003, 2007) inspiriert, der mit dem Ansatz der oral history die Ankunft des Radios seit den 1920er Jahren im Appalachengebiet der USA erforschte, ebenso wie von der Studie von Gonser zur Rundfunkbiographien älterer Hörer in Deutschland 2010 sowie von den Arbeiten von Schröder (2007) und Herlyn (2002) aus dem Forschungskolleg Kulturwissenschaftliche Technikforschung der Universität Hamburg sowie der Methode der „radio elicitation“, die Vokes (2007b) als Interviewstrategie vorschlägt.
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Befragt wurden mittels narrativer Interviewverfahren im Zeitraum 2009-
2012 insgesamt 30 Bewohner verschiedener Generationen und Geschlechts-
zugehörigkeit in der Region Natitingou. Sie gaben Auskunft über individuellen Gerätebesitz, ihr Hörerverhalten, aber auch ihre wechselnde Haltung zum
Radiohören, zu bestimmten Sendungen und Sendern im Verlaufe des Lebens. Weiterhin bin ich besonderen Erlebnissen mit Radiogeräten bzw. dem Radiohören sowie allgemeinen Erinnerungen an die Bedeutung von Radiogeräten
im Lebensumfeld nachgegangen. Auf die Frage, wann sie das erste Mal be-
wusst ein Radio wahrgenommen haben, erinnerten sich viele der Befragten an Missionare, die diese Geräte seit den 1940er Jahren nutzten. Oft konnten
Missionare die netzstromabhängigen Geräte auf ihren Anwesen bzw. Missi-
onsstationen nutzen, wenn sie über Stromgeneratoren verfügten, mit denen sie Licht erzeugten und eben auch Radiogeräte und Plattenspieler betrieben.
Einige Befragte erinnerten sich an bestimmte Zeitfenster, in denen der Generator lief, und zu denen dann Erwachsene und Kinder eingeladen wurden, Radio zu hören. Meist waren es Bildungssendungen, aber auch Hörspiele, Märchen etc. Als Kinder konnten viele Gesprächspartner genaue Inhalte der
damaligen Sendungen gar nicht erinnern, aber an Eröffnungsmusiken, Sendersignale, Ansprachen von Politikern etc.
Später, in den 1960er Jahren, waren es neben Kolonial- bzw. Beamten des
neuen Staates Dahomey vor allem auch Lehrer in höherrangigen Positionen
(Schuldirektoren) und Händler, die sich die Geräte leisten konnten. Hier wur-
den Geräte auch über Versandhandelsdienste bestellt, und wie erwähnt Migranten, die aus Ghana und Nigeria zurückkamen. Anfang der 1970er Jahre nahm gerade der Erwerb durch Migranten enorm zu, nachdem immer mehr
Transistorgeräte auf dem Markt verfügbar wurden. Gleichzeitig wuchs das Interesse an Radiosendungen: neben überregionalen Sendern wurden dann
Sendungen in nationalen Sprachen gern gehört, nachdem sich auch der sozi-
alistische Staat verstärkt dem Ausbau des Radiodienstes widmete. Individu-
elle Muster der Technikaneignung und Gewohnheiten des Medienkonsums im Lebensverlauf möchte ich hier vereinfacht als Hörerkarrieren bezeichnen.
Hier konnte ich deutliche Ausprägungen individueller kultureller Präfe-
renzen und Lebensstile durch Techniknutzung erkennen. Der erste Erwerb eines eigenen Radio-Gerätes (ebenfalls eine Standardfrage meiner narrativen
Interviews) hängt oft mit Arbeitstätigkeiten als Saisonarbeiter oder in einigen Fällen auch mit Geschenken (z.T. von Alt-Geräten) zusammen. Als Jugendliche nahmen die Befragten vor allem mobile Geräte mit in Ausbildungsstätten,
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Internaten oder Studentenunterkünften. Sie waren in den 1970er und Anfang
der 1980er Jahre dabei noch in einer Minderzahl, und konnten bei Altersgleichen Prestige durch das Mithören-Lassen, Ausborgen oder die Vermittlung besonderer, durch Radiohören erworbener Kenntnisse gewinnen. Nach der
Ausbildung ließ sich dann vor allem bei Staatsangestellten, aber auch Händlern im Auftrage von Familienunternehmen, deutlich erkennen, dass nicht nur
Geräte die Personen begleiten, sondern oft der Erwerb neuer Geräte mit einer jeweils neuen Phase der beruflichen Positionierung, z.T. auch mit Ortswechseln durch Versetzung etc., zusammenfiel.
Neue berufliche Stellungen ermöglichten Lohnerhöhungen, die zu mehr
Kaufkraft und Konsum führten, bei den Beteiligten aber dann auch Bedürfnisse zu mehr Zugang zu Information und Unterhaltung erzeugten. Staatsan-
gestellten war es vor allem in der sozialistischen Zeit quasi auch geboten, sich durch das Radio über neue politische Direktiven zu informieren. „Immer mittwochs fand die Ministerratssitzung statt, und abends wurden die Beschlüsse,
Verlautbarungen oder Ernennungen nach den Abendnachrichten bekanntge-
geben. Als Staatsbeamter musste ich das alles einfach wissen.“ (ehemaliger
Schuldirektor Christian Sena, Natitingou, März 2009) Darüber hinaus wurden
gezielt Grußsendungen und Musiksendungen der allmählich national bekannt werdenden DJs und Moderatoren wie Issiaka Soulé, André Johnson oder Fernando Zakpota gehört. Aber auch die Musikangebote der internationalen
Sender, vor allem aus Congo, der Côte d‘Ivoire, Kamerun und Nigeria waren von großer Bedeutung, da aus diesen Ländern meist die neuesten Trends afrikanischer Popmusik bestimmt wurden.
„Aus dem Congo kamen zu dieser Zeit die neuesten Titel, Rumba-Tanz-
musik von Franco oder Papa Wendo, das hat uns alle hier inspiriert“ erinnert sich Georges Kpètènou (Parakou, März 2011). Schließlich wurden Geräte im Zuge der Ausstattung der Wohnung, vor allem der repräsentativen Gestaltung des Wohnzimmers, erworben. Hier waren es oft Geräte in Kompaktanlagen,
die seit den 190er Jahren die Wohnzimmer dominierten und eine ähnlich re-
präsentative Rolle wie später die Fernsehgeräte spielten. Am Ende der Berufs-
karriere und im Übergang zur Pensionierung gewann das Radio oft als Zeit-
vertreib an noch größerer Bedeutung. In manchen Fällen wurden Geräte als
Abschiedsgeschenk von Kollegen überreicht. Ältere Empfänger wurden wiederum oft den Kindern oder Enkeln überlassen.
Aus der vergleichenden Betrachtung dieser radiotechnisch geprägten Bi-
ographien lassen sich folgende Erkenntnisse zusammenfassen: Der Erwerb
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von Radiogeräten korrespondiert bei älteren Befragten mit beruflichem bzw. sozialen Aufstieg, bei jüngeren mit Migrationserfahrungen. Fast alle Befragten haben vor allem mobile Radioempfänger nicht einfach so genutzt wie ge-
kauft, sondern angepasst, manipuliert, repariert, oder defekten Geräten ein zweites Leben eingehaucht. In vielen Fällen habe sie diesen, bewusst oder unbewusst, einen besonderen symbolischen Stellenwert im persönlichen Um-
feld zugewiesen. Bei jüngeren Befragten sind es aber nicht mehr Radios allein,
sondern Gesamtensemble von Unterhaltungselektronik, die distinguierenden Charakter haben können. Für viele Radiobesitzer kann gar gesagt werden,
dass sie ihren Geräten besonders verbunden sind, und diese Objekte für sie mehr als nur ein Statusgut sind, gar z.T. eine neue Sozialität mit diesen entstand (Knorr-Cetina 1997).
Es gibt jeweils intensive Phasen des Hörens, z.B. in Zeiten der Abwesen-
heit von der Heimatregion, oder der Verbundenheit mit einer bestimmten
Sendereihe. Bei ausgesprochen passionierten Hörern lassen sich zudem später
oft Übergänge zum späteren eigenen Radioengagement – im professionellen oder ehrenamtlichen Bereich – erkennen. Das individuelle Radiohören diffe-
renziert sich insgesamt seit den 1990er Jahren hinsichtlich Senderpräferenzen und -programmen immer mehr aus, vor allem bei den Jüngeren. Es gibt
noch Situationen des Gemeinschaftshörens, die aber seltener werden. Hier
können die einzelnen Rundfunkbiographien bzw. Hörerkarrieren nicht in allen Details wiedergegeben werden. Ich möchte daher einige von ihnen exemplarisch vorstellen.
Zunächst zu älteren Radiohörern: Viele ältere, pensionierte ehemalige
Staatsangestellte sind passionierte Radiohörer, so wie z.B. Michel Weema,
ein treuer Radiohörer der Station Nanto. Er ist ein ehemaliger Wächter, wohnt auch unweit des Senders, und kennt deshalb die meisten Moderatoren auch vom Sehen. Er hat eine lange Hörerkarriere hinter sich. Sein erstes Radio
kaufte er von seinem Lohn vor 20 Jahren. „Ich habe lange darauf gespart,
aber dann konnte ich ein schönes Gerät bei den syrischen Händlern kaufen.“ Damals hörte er den nationalen Rundfunk aus Cotonou, dann Radio Parakou, später auch Deutsche Welle und RFI. Sein jetziges Gerät war ein Geschenk,
das er 2007 bekommen hat. Er schaltet um 12 Uhr immer von Radio Nanto auf Radio Parakou um (Natitingou, November 2009).
Aber auch Handwerker gehörten zu jenen, die früh Geräte erwarben. Yacoubou, Anfang, 70 ist Friseur und Uhrmacher, er ist Mossi, und gehört einer
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jener Familien an, die als Dienstleister nach 1920 nach Natitingou kamen, um Nischen in nachgefragten Bereichen zu besetzen. Yacoubou lernte in den
1960er Jahren bei seinem Vater, der in seiner Werkstatt ein Radio nutzte, was damals selten war, aber viele Kunden anlockte. Später war es sein Onkel, ein Händler, der ihm sein erstes eigenes Radio schenkte, just zu dem Zeitpunkt,
als er um 1970 seine eigene Werkstatt eröffnete. Zeitweilig ging das Geschäft aber nicht so gut, nachdem ab 1980 eine Wirtschaftskrise einsetzte. Er ging
dann in den Niger, um in Niamey zu arbeiten und seine Einnahmen aufzubessern. Sein Radiogerät nahm er dorthin mit, aber es ging bald entzwei.
Yacoubou erwarb dann ein neues Gerät, das er Ende der 1980er Jahre mit
zurück nach Natitingou brachte. Hier eröffnete er Anfang der 1990er Jahre
eine neue Werkstatt direkt an der Hauptstraße, am Häusereck nahe der Moschee im Viertel Santa. Nun hat er ein neues Radiogerät, das er vor 5 Jahren
kaufte. Damals verzeichnete er plötzlich gute Einnahmen, als sich viele Personen anlässlich eines Festes die Haare schneiden ließen. Meist stellen die
Lehrlinge sein Gerät morgens schon an, bevor er selbst in der Werkstatt ein-
trifft. Er möchte gern wieder einen neuen Empfänger kaufen, aber derzeit stagnieren die Einnahmen (Natitingou, März 2012, März 2013).
Viele ältere Hörer erinnern sich vor allem an Musiksendungen, die ihre Ju-
gend begleiteten, und größere Ereignisse, wie die Revolution 1972 sowie die Nationalkonferenz 1990, die sie über das Radio miterlebten.
Georges Kpérou, 70, stammt aus Kouandé, ca. 30km entfernt von Nati-
tingou. Seine Eltern waren Bauern, ihm gelang es jedoch, das Abitur abzulegen und an der staatlichen Verwaltungsfachschule zu studieren. Nach seinem
Studium hatte er verschiedene Angestelltenpositionen inne, und wurde mehr-
fach versetzt. Zuletzt arbeitete er in der Kulturverwaltung des Départements
Atakora in Natitingou, wo er im Jahre 2005 pensioniert wurde. Als Abiturient (ca. 1965) sah er zum ersten Mal ein Radiogerät bei einem seiner Lehrer,
einem Verwandten, bei dem er wohnte. Zu dieser Zeit war ein solches Gerät etwas Besonderes, „ein Traumobjekt“, wie er rückblickend sagt. Seinen ersten
eigenen Empfänger erwarb er Anfang der der siebziger Jahre, als er im Süden
lebte. „Ich war damals Student, und wohnte in einem Internat, wir hatten dort einen Schlafraum mit 20 Betten. Ich war der einzige mit einem Radio, die andern haben mich beneidet. Ich habe neben dem Studium als Nachhilfe-
lehrer gearbeitet und das Geld zusammengespart, ich war ein großer Fan kon-
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golesischer Musik.“ Er besaß immer einen Wissensvorsprung gegenüber seinen Kommilitonen, denn er hörte auch Sender aus anderen Ländern, die oft
schneller am Puls der damaligen Musik-Moden waren. Kpérou erinnert sich besonders an die Zeit der Revolution: er hörte 1972 die Rede Kérékous zur neuen politischen Orientierung des Landes (discours-programme), und erinnert sich daran bis heute sehr genau. Später, in der ersten Anstellung als Fi-
nanzbeamter, kam er in die Region und nach Natitingou zurück; er war noch unverheiratet. Er wechselte dann zu einem Gerät mit einem Kassettenteil, denn „ich wollte endlich meine Lieblingssongs aufnehmen“.
Zudem wurde er für private Feiern als Musikunterhalter angefragt. „Ich
wäre auch gern DJ geworden, damals, Mitte der 1980er war das aber kaum
eine gute Erwerbsquelle, zumal ich dann nach Malanville versetzt wurde, wo
eine Kultur der Bars und Diskotheken kaum entwickelt war.“ Kpérou erinnert sich auch daran, dass die Nationalkonferenz 1990 live im Radio übertragen wurde: „Wir verfolgten alle gemeinsam in unserem Büro die Diskussion zwi-
schen De Souza, Kérékou, Soglo und Kouandéte. Wir haben gar nicht mehr gearbeitet“. Später wurde das Radio ein wichtiger Begleiter im Alltag, er hörte
vor allem nationale Nachrichten, um auf dem Laufenden zu bleiben, vor allem
auf Reisen. Zeitweise war er im Beirat des Senders in Kouandé in seinem Heimatort, weil er als passionierter Hörer bekannt ist. Sein aktuelles Gerät hat er
als Hobbybastler kürzlich selbst repariert, insbesondere die Antenne verbessert (Natitingou, 26.02.2010).
Bei vielen älteren Hörern stellt das Radio ein Gegenstand der Nostalgie dar, erinnert an die Jugend, als es ein Prestigeobjekt war und vornehmlich über
das Radio, noch nicht über LP oder CD, sie zuerst mit Popmusik vertraut gemacht wurden. Herr Yotto, pensionierter Polizist, ist in Natitingou zuhause.
„Das erste Mal habe ich ein Radio bei einem Missionar gesehen, das war Anfang der 1950er Jahre. Er hatte ein großes Gerät, und konnte dies nur dadurch betreiben, da er jeden Abend für ein bis zwei Stunden mit einem Generator Strom erzeugen konnte. Der Strom diente vor allem für die Beleuchtung in der Kirche, in der Bibel-Kurse durchgeführt wurden und Kinder Hausaufgaben erledigen konnten. In diesem Zeitfenster, meist zwischen 19 und 21 Uhr, hörte der Missionar aber auch Nachrichten und anderes. Ich kann mich an gar keine Details mehr erinnern, aber es gab eine Art Bildungssendung für Kinder, bei denen Märchen vorkamen. Wir verstanden aber nicht alles, da wir noch nicht sehr gut Französisch verstanden.“ (Natitingou, März 2011)
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Yotto absolvierte dann eine Ausbildung in Porto-Novo, im Süden, und wurde
Polizist. Oft versetzt, erwarb er fast bei jeder Versetzung andere Geräte – meist im Gleichzug mit einer besseren Bezahlung. Auf einem Familienfoto
sieht man ihn mit seiner Frau, vor einer HiFi-Anlage, ca. 1978, als er nach Dassa in den Süden Benins versetzt wurde. Man empfing Gäste, wollte dabei auch Unterhaltung bieten, und erwarb eine solche Anlage. Später dann war
es der Fernseher, der im Zentrum des Wohnzimmers platziert wurde. Er kaufte dazu noch ein Videoabspielgerät, später eine Satellitenanlage. Als die
HiFi-Anlage defekt wurde, verschenkte er diese an einen Mechaniker, und erhielt dafür ein kleineres Gerät, das er bis heute nutzt (Interview Natitingou, März 2011).
Jüngere Radiohörer zeigen ein größeres Bewusstsein bei der Auswahl der Geräte. Der Sekundarschüler Christophe Matouama berichtet:
„Mein erstes Radiogerät war ein ANDJIA. Ich habe einige Zeit auf dem Feld eines Verwandten gearbeitet. Nach getaner Arbeit gab er mir Geld, und damit konnte ich mir den Empfänger kaufen. Ich war 12, das war in Kobly, im Jahre 2002. Es hat 3000 FCFA gekostet. Ich habe mir nicht, wie andere, schöne Kleidungsstücke gekauft. Ich wurde langsam älter, verstand Französisch und wusste bereits, was es bedeutet, informiert zu sein, denn damals habe ich die Mittelschule besucht. Ich habe mir also lieber ein Radio gekauft, um informiert zu sein, um mich zu bilden, und nicht ‚in meiner Ecke zu bleiben‘. Ich wollte mittels des Radiogerätes in die ganze Welt entfliehen, und wissen, was überall los ist. Später habe ich ein neues Gerät gekauft. Das lag an den Mechanikern. Es gibt welche, wenn du denen ein Gerät bringt, dann dauert es ewig. Du besucht sie heute, aber sie sagen, man soll morgen wiederkommen, und so weiter. Am Ende sagen sie dir, das das Gerät verloren wurde, oder dass sie etwas gar nicht reparieren können. Deshalb habe ich ein neues Gerät gekauft, anstatt das Alte zu reparieren. Ich frage immer andere Radiobesitzer, welche Empfänger gut funktionieren, bevor ich ein Gerät kaufe. Nun habe ich schon das dritte Radio, das letzte hat mir mein aber Bruder geschenkt.“ (Natitingou, 27.2.2012)
Hier zeigt sich auch die gegenwärtige Tendenz, Geräte schneller als zuvor zu wechseln und neue zu erwerben. Dies lässt sich nicht nur mit fallenden Preisen, sondern auch mit weniger Geduld für Reparaturen erklären, wie im vor-
stehenden Interview deutlich wurde. Unabhängig vom Alter erwarben die Hörer meist neue Geräte auch in neuen Lebensabschnitten.
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BIOGRAPHISCHE VERKNÜPFUNGEN Biographische Verknüpfungen oder Überschneidungen zwischen Radio-Nutzern und Produzenten zeigten sich oft insofern, als es oft enthusiastische Radiohörer waren, die als junge Leute ihre Hörerkarriere begannen, dann aus
Interesse oft in einer Radiostation zu Gast waren, später dort ein Praktikum
absolvierten und heute selbst haupt- oder nebenamtliche Radiomoderatoren
sind. Hier lassen sich verschiedene Wege ausmachen, wie z.B. jene von Musikern wie Sergeant Marcus, die erst als Studiogast eine neue CD vorstellen, Kontakte zu Moderatoren intensivierten und später dann als DJ eine ei-
gene Sendung gestalteten. In ähnlicher Weise kam es oft vor, dass Verwaltungsangestellte oder Lehrer, die als Dauergast in Ratgebersendungen auftauchten, später dann selbst Radio-Sendungen (oft als Freiwillige) gestalten. An einigen Beispielen möchte ich diese biographischen Verknüpfungen zeigen.
So wurde der Lehrer Idrissou Karé (Nanto FM, Natitingou) von einem oft
eingeladenen Studiogast allmählich selbst zum Radiosprecher und dann zum Moderator einer Literatursendung auf Radio Nanto FM, in der er Schüler animiert, Gedichte ans Radio zu schicken. „Ich habe einen kleinen literarischen
Boom an den collèges in Natitingou ausgelöst.“ Er selbst schreibt selbst Poeme,
die ebenfalls in der Sendung verlesen werden – eine idealer Weg für ihn, bekannter zu werden, und seiner Passion einen adäquaten Ausdruck zu verleihen (Natitingou, November 2009).
Ähnliche Beispiele sind indirekte Engagements für einen Sender, hier im Falle
von Nanto FM in Natitingou, z.B. durch den erfahrenen Musiker Edouard Bagri, der junge Künstler produziert und fördern möchte und diesbezüglich
mit dem Radiosender zusammenarbeitet (siehe unten), oder die Händlerin Fatoumata D‘Almeida, deren Hörgewohnheiten bekannt sind und die daraufhin von den Bewohnern der Stadt vorgeschlagen wurde, im Aufsichtsrat eines Radiosenders mitzuwirken.
Edouard Bagri lebt in Natitingou, ist pensionierter Beamter und Musiker.
Er wurde Anfang der 1970er Jahre, in der Zeit der sozialistischen Revolution,
die gerade von Jüngeren in Benin begeistert aufgenommen wurde, landesweit bekannt. Damals hatte er eine kleine Band in Natitingou, und komponierte
einen Revolutions-Popsong. Als einmal Journalisten des staatlichen Radiosenders in Natitingou weilten, haben diese das Lied eher zufällig aufgenommen.
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Es wurde dann anschließend immer häufiger im Radio gesendet und diente als Aufmacher vieler Sendungen. Dadurch wurde Bagri landesweit bekannt
und zu vielen Veranstaltungen eingeladen. „Das Radio machte mich und
meine Band berühmt, bis heute.“ Er erhielt zudem ein (zweites) Radiogerät als Präsent anlässlich eines Kulturfestivals. In den folgenden Jahren absol-
vierte er parallele Karrieren im Staatsdienst und als Musiker, trat oft in Mu-
siksendungen des nationalen Rundfunks (damals La Voix de la Révolution) auf, und übernahm aufgrund seiner guten Kenntnisse der beninischen Musikszene
auch zeitweise als Co-Moderator selbst die Gestaltung von Musikshows. Heute, nach seiner Pensionierung, ist Bagri intensiv in die örtliche Kulturar-
beit in Natitingou einbezogen, fördert junge Musiker und ist gerade dabei, ein
Kulturzentrum zu gründen. Zugleich arbeitet er im Trägerverein der CRS Dinaba in Boukombé. Ein großer Teil seiner Familie stammt aus dieser Region, zu der er eine kulturelle Affinität hat. Aber auch bei Radio Nanto ist er ist mit
vielen Mitarbeitern gut bekannt und wird oft als Studiogast zu Diskussionssendungen eingeladen (Natitingou, November 2009).
In ähnlicher Weise verbindet sich bei Christophe Matouama (Interview
oben) die Leidenschaft als Hörer mit jener eines zukünftigen Moderators. Christophe ist Schüler und wohnt zur Untermiete in Natitingou. Im Radio
verfolgt er vor allem politische Diskussionssendungen, Musikshows und An-
rufersendungen zu Partnerproblemen. Christophe mag gern Anrufer-Sendungen, an denen er aber oft nur passiv teilnimmt, da er wenig Geld für Telefonkosten ausgeben kann. Christophe hat nur ein altes Radio, sieht aber TV bei
Nachbarn und surft im Internet auf Webseiten vieler Zeitungen. Ich hatte ihn
bei einer der Sendungen kennen gelernt, in der er als Studiogast mitwirkte. Er lebte zuvor in Tanguiéta, 50km nördlich von Natitingou, wo er eine Mittelschule (collège) besuchte, aber durch die Abiturprüfungen fiel, die er nun in Natitingou wiederholen möchte. Er träumt davon, später als Journalist zu arbeiten, möchte aber zuvor gern das Abitur erwerben, um mit einer dann
anschließenden Ausbildung seine beruflichen Chancen zu verbessern. Radio ist für ihn alltäglicher Begleiter.
Christophe begann in Tanguiéta selbst als Moderator tätig zu werden. In
seiner Freizeit war er oft als Co-Moderator einiger Live-Sendungen in seiner
Muttersprache Bèbèlibè tätig und half dort dem Hauptmoderator Jerôme Sambieni bei seiner Arbeit. In Natitingou gehört Bèbèlibè nicht zu den Sen-
desprachen, sodass man ihm hier keine Sendungen anbieten konnte. Er ist
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aber oft in der Station, kennt einige Moderatoren sehr gut, und ist ab und zu
als Studiogast eingeladen, vor allem, wenn es um Fragen der Bildung oder Probleme in einem der collèges von Natitingou geht – er ist zugleich Klassen-
sprecher. Schließlich nutzte er 2009 die Möglichkeit, an einem Ferien-Programm des Senders teilzunehmen und konnte mit diesem Praktikum seinen Wünschen zumindest ein Stück näher kommen (Natitingou, Februar 2010).
Gerade jüngere Hörer können eine spätere Tätigkeit im Radio heute durchaus realistisch als Ziel ihrer Berufsperspektive betrachten, auch wenn sich später herausstellt, dass es keine finanziell einträgliche Arbeit ist.
3. Radiotechnologien und Aneignungsprozesse Viele der hier dargestellten medialen Praxen entstehen im Zuge spezifischer Prozesse der Aneignung medialer Technologien durch Radioproduzenten und
-nutzer. Ich beziehe mich hier auf einen Ansatz vor allem in der gegenwärti-
gen deutschsprachigen Ethnologie, der den Begriff der Aneignung (engl. appropriation) in einem handlungstheoretischen Sinne im Zusammenhang mit
kulturell kodierten Formen lokaler Nutzung von global zirkulierenden Gütern diskutiert. Aneignung wird dabei als ein komplexer Prozess der Inkorporation
dieser in den Kontext des jeweiligen aneignenden Milieus verstanden (vgl.
insbesondere Hahn 2004, 2011; auch Beck 2001). Ausgangspunkt ist dabei die Annahme einer Deutungsoffenheit der jeweiligen Güter, die dann einem Prozess der Rekontextualisierung unterliegen, mit lokalen Bedeutungen und Handlungsperspektiven versehen und z.T. auch transformiert werden.
Der Begriff der Aneignung ist mit älteren Ideen des Diffusionismus, vor
allem aber dem in ähnlichen Zusammenhängen verwendeten Begriff der do-
mestication181 verwandt (den ich hier als Teil von appropriation betrachte). Er wurde später zunächst im anglophonen Raum in Verbindung mit Konsum-
Studien auch im Medienbereich (v.a. Silverstone und Hirsch 1992, Howes
1996; Moores 2000; Morley 2002; MacCracken 2005) aufgegriffen. Er hat in jüngerer Zeit vor allem im Hinblick auf die lokale Nutzung globaler materieller Güter (Spittler 2002; Miller 2002, Carrier 2006) eine Konjunktur erfahren.
181 Zur gegenwärtigen medienwissenschaftlichen Verwendung des Begriffs Domestizierung vgl. Hartmann (2008), Berker et al. (2006) sowie Röser (2007).
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Er lässt sich allerdings sowohl auf Artefakte, Technologien als auch auf Ideen
übertragen. Sein Vorteil gegenüber anderen Modellen liegt in der Handlungs-
perspektive, die Positionen, Entscheidungen und Strategien von Akteuren ins Zentrum rückt. In Anlehnung an das domestication-Modell von Silverstone
(Silverstone et al. 1992; Silverstone 2006) entwickelt Hahn (2004: 216ff.) dabei vier Stadien soziokultureller Aneignung: Materielle Aneignung (Er-
werb), Objektivierung (Benennung), Inkorporierung (Einführung in lokale Lebenswelten und Handlungszusammenhänge) und Umwandlung (lokal ange-
passte oder veränderte Nutzungsformen). Dieses Modell müsste man m.E. aber ergänzen, hinsichtlich der politischen Rahmung, einer sozialen Drama-
turgie (siehe weiter unten) und Wechselbeziehungen mit externen Ebenen der Normsetzung und transnationalen Austauschprozessen.
Markus Verne (2007) hat jüngst den Ansatz insofern kritisiert, als er ten-
denziell einen zu starken Gegensatz zwischen einem klar umrissenen Hier/Lokalen und einem Dort/Fremden impliziert, durch die Hintertür quasi kulturessentialistische Perspektiven wieder zulässt. Aneignungen erfolgen sicher
nicht vermittels eines stimmigen kulturellen Rahmens, sondern entlang dyna-
mischer sozialer Prozesse. Wenn man diese Prämisse einbezieht, ist dieser Ansatz aber, gerade auch aufgrund seiner empirischen Tragfähigkeit, überaus gewinnbringend. Im Sinne einer weiten Nutzung des Begriffs wird im hier
diskutierten Fall Radiotechnik, auch im Sinne von altgriechisch technae (Fä-
higkeit, Kunstfertigkeit, Kulturtechnik), meines Erachtens auf den unterschiedlichsten Ebenen angeeignet: im materiell-stofflichen Sinne, aber auch in Verbindung mit den Räumen und Inhalten, die Radioproduktion im Alltag
ausmachen. Eine Dimension betrifft also Radiotechnik als materielles Gut, ihren Erwerb, die Integration und Nutzung im Alltag sowohl in symbolischer
Hinsicht als auch bezüglich praktischer Umformungen, z.B. in Petroleumlampen integrierte Radioempfänger. Hörer können nun preiswerte Geräte kaufen,
oder die Radiofunktion des Mobiltelefons nutzen, dadurch ihre Medienrepertoires und Medientaktiken erweitern.
Formen symbolischer Aneignung des Radios in Benin sind das Umhertra-
gen, Zirkulieren und Zurschaustellen von Geräten (vgl. vorheriger Abschnitt). Radiogeräte werden in Privaträumen für alle sichtbar platziert. Die praktischmaterielle Aneignung schließt auch die Studiotechnik mit ein, sowie die Art
der Nutzung dieser, z.B. für privat produzierte Werbespots. Hier könnte man noch weitere Arten von Aneignungsprozessen differenzieren. So werden Radiostationen als Orte der Medienproduktion, aber auch der Vermittlung und
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Kommerzialisierung gewissermaßen als neue (soziale) Räume durch Hörer und
Radiogestalter182 angeeignet. Vor allem die Foyers, Gast- oder Kontakträume
der Sender sind von Bedeutung, in denen sich auch die Schreibtische der PRMitarbeiter befinden. An diesen Orten treffen Angestellte auf Hörer, die Werbung oder Ankündigungen in Auftrag geben, die dann u.U. in verschiedene
Lokalsprachen übersetzt werden. In manchen Sendern gibt man den Hörern auch Möglichkeiten, Fernsehsendungen zu verfolgen, Arbeitstische zu nutzen, Waren unterzustellen, Aushänge für Ankündigungen oder Werbung zu machen, Zeitungen zu lesen oder ihr Mobiltelefon aufzuladen.
Freunde und Bekannte der Techniker erhalten auch Gratis-Kopien von
Musiktiteln im MP3-Format oder auf CD. Viele Besucher schauen spontan vor-
bei, wollen einfach Radio erleben oder Mitarbeiter treffen. In kleineren Stationen werden Besucher in passenden Momenten in die Studios eingelassen o-
der zu Diskussionssendungen eingeladen. Oft wird bei diesen Gelegenheiten auch Kritik an Programmen oder Moderatoren geäußert. Fällt letzteren auf, dass der Besucher seriös und kommunikativ ist, werden Handynummern aus-
getauscht, um Informationen zu aktuellen Ereignissen zu bekommen, wenn der Radiojournalist nicht selbst am Ort des Geschehens sein kann. Die räum-
liche Präsenz der Sender etabliert neue Treffpunkte, Räume der Interaktion zwischen Medienproduzenten und –konsumenten.
Im Vorraum des Radio Tanguiéta z.B. ist ein langer Tisch aufgestellt. Am
heutigen Markttag sind es besonders viele Besucher, die geraume Zeit warten, bis sie den Moderator sprechen können. Der Moderator für Biali, Gerard, hat
besonders viel zu tun. Momentan nimmt er die Anzeige einer älteren Frau
auf, deren Schwester gestorben ist und somit ihre Beerdigung plant und über
das Radio ankündigen möchte. Später kommen zwei Schüler, um Preise für eine Ratesendung abzuholen, und geben dabei auch einen Musikgruß auf. Ein
Abgesandter des Bürgermeisters bringt eine Botschaft, die verlesen werden soll. Der chef des programmes besteht auf die Bezahlung. Einige Zeit später
kommt ein ambulanter Händler traditioneller Medikamente. Er möchte einen Werbespot in Auftrag geben. Gleichzeitig schließt er einen Kommissionsver-
trag mit dem Sender ab, bei dem man dann seine Produkte auch erwerben
182 Im Radio Alléluia in Porto-Novo dient z.B. die Senderegie als Entspannungsraum, in dem man vor allem in den Mittagsstunden einige Angestellte auf Matten schlafend oder ruhend findet, denn es handelt sich – neben dem Sprecherstudio – um den einzigen Raum im Sender mit einer Klimaanlage (März 2010).
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kann. Schließlich taucht aufgeregt ein junger Mann auf, der von einem Streit zwischen Gendarmen und einen Überlandtaxifahrer berichtet. Letzterer
wurde kurzerhand festgenommen, die Passagiere – unter ihnen der Berichterstatter – hatten die Fahrt aber bezahlt. Ein Radioreporter soll an den Ort
des Geschehens kommen, um davon zu berichten und den Druck auf die Gendarmen zu erhöhen, den Fall gütlich beizulegen (Tanguiéta, März 2007).
Medientechnologien wie jene des Radios sind zugleich mit der Aneignung der sie vermittelnden Institutionen verbunden – Sendern, aber auch Hörerclubs
und Journalistenvereinen. Stationen als Medieninstitutionen werden von kul-
turellen Unternehmern aktiv genutzt, um sich im öffentlichen Raum zu posi-
tionieren. Ein Zeichen dafür sind die bereits erwähnten Leitslogans, mit denen geworben wird, quasi Werbesprüche als ‚Markenzeichen‘. Diese spiegeln mitunter eine griffige Idee der PR-Abteilung wider; andere sind aber Ausdruck
einer bestimmten Haltung der Stationsdirektoren. Radio CAPP FM in Cotonou wirbt mit dem Wahlspruch La radio du succès. Dies verweist darauf, dass der
Stationsgründer, der renommierte Journalist Jérôme Carlos, Anhänger einer Bewegung ist, die Optimismus als Ausgangspunkt aller Handlungen betrach-
tet. In den Slogans fließen pragmatische, ludische und idealistische Aneignungsweisen zusammen.
Idealistische Momente der Aneignung betreffen z.B. jene oft diskursiv auf-
geladenen Aneignungsformen, die eine bewusste Wahl für ein bestimmtes Medium z.B. aufgrund seiner Modernität, darstellen. Hier sind auch jene Berei-
che der Nichtnutzung aufgrund einer Ablehnung bestimmter Medien zu
nennen. Pragmatische Nutzungsformen sollen wiederum jene Ebene beschreiben, das Medium Radio vor allem aufgrund seines besonderen praktischen
Wertes im Vergleich zu anderen Kommunikationsformen bietet, aber auch Nutzungsformen, die mit der Begrenztheit materieller Ressourcen in Verbin-
dung stehen. Unter ludischen Elementen verstehe ich den spielerischen Umgang mit dem Medium wie z.B. das Anrufen bei Radiosendern, einfach um seine eigene Stimme zu hören, Witze zu machen, sich an Ratespielen zu be-
teiligen, aber auch Aktivitäten der Radiomacher wie Spielshows, oder ihre Künstlernamen (vgl. Tabelle 2).
Die Unterscheidung von pragmatischen, ludischen und idealistischen Ele-
menten in medialen Aneignungsprozessen kann als Kritik jener Darstellungen
gelten, die bestimmte Nutzungsformen als kuriose afrikanische Variante lo-
kaler Aneignung darstellen, z.B. ohne deren zunächst kostenbedingte Ursache
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adäquat darzustellen. Dazu ein Beispiel aus einem anderen medialen Bereich:
Viele Besitzer von Mobiltelefonen klingeln ihrer Partner nur kurz an. Sie wol-
len nicht nur um Rückruf bitten, sondern übermitteln – durch Anzahl oder Frequenz – dadurch kleine Botschaften. Dies ist nicht nur eine lokaler Kom-
munikationsstil, sondern für viele Nutzer mit geringem Budget eine Notwen-
digkeit. Natürlich kann daraus dann aber auch ein Spiel entstehen, vor allem beim Telefonflirten.
In einem etwas enger angelegten Ansatz unterscheiden Dick und Wehner
(1999: 9), die sich auf das Autofahren beziehen, drei verschiedene Formen
der Aneignung, die für unseren Zusammenhang erläutert werden sollen. Zu-
nächst lässt sich eine funktionale Aneignung (hier: Radiosendungen als nütz-
liche Reduktion der Komplexität von Informationen, radiomediale Technik
als multifunktionale Übersetzungs-, Archivierungs- und auch Verfremdungsinstanz) erkennen. Im weiteren erfolgt im nächsten Schritt eine nutzungstech-
nische Aneignung (Beherrschen des Einsatzes, Ausschöpfen des Potentials und Bewältigen der technischen Herausforderungen medialer Technik und weiteren Accessoires) bzw. adjustment (Pfaffenberger 1992b: 282).
Der dritte Punkt ist für Dick und Wehner (op.cit.) dann schließlich eine
symbolische Aneignung (individuelle Annahme der Rolle als Journalist, Radioarbeit als Selbstverwirklichung und Selbstrepräsentation, Radio als Ver-
mittlungsinstanz von repräsentativer Öffentlichkeit und individueller Kreati-
vität) erkennen (ausführlicher Abschnitt II,4). Diese vielschichtigen An-
eignungsprozesse von radiomedialen Möglichkeiten können als kulturelle Lokalisierung (Hepp 2006: 248p.) betrachtet werden, verlaufen zugleich aber als Zirkulationsprozesse, vor allem hinsichtlich weltweit ausgetauschter Me-
dienformate, wie besonders im Falle der religiösen Programme deutlich
wurde (vgl. Abschnitt II,3). Sie vollziehen sich teilweise auch als co-production (Oudshoorn und Pinch 2003) von Medientechnologien und Radiokulturen,
deren Grundlage die im nächsten Abschnitt beschriebenen engen Alltagsbeziehungen zwischen Radionutzern und -produzenten allgemein sowie die im anschließenden Kapitel V analysierten Interaktionen im Rahmen interaktiver Sendungen im Besonderen bilden.
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4. Beziehungen von Radiohörern zu Radiosendern und -moderatoren Moderator: „Hallo, ein Hörer ist wieder in der Leitung. Guten Abend.“ Hörer: „Guten Abend, hier spricht Mathias Vodoungbo.“ Moderator: „Ah, Monsieur Vodoungbo, wie geht es Ihnen? Sie haben eine Weile nicht angerufen!“ Hörer: „Ja, ich war verreist, aber nun höre ich wieder Radio.“ Moderator im Studio: „Was meinen sie zum heutigen Diskussionsthema?“ Hörer: „Ja, es ist es gut, wenn man seine Kinder respektiert, man soll sie erziehen, und ihnen mitteilen, wie Kinder entstehen. Das geschieht noch nicht oft! Ich bitte alle Hörer, die Eltern sind, dies zu beachten.“ Moderator: „Danke, Monsieur Vodoungbo, für diese Meinung.“ Hörer: „Ja, und viele Grüße an alle Hörer, den Stationsdirektor, den Techniker und viele Grüße an den Studio-Gast.“ (Diskussionssendung supplice du coeur, November 2011, Radio Nanto FM, Dialog zwischen Moderator Valentin Kwagou und Anrufer Mathias Vodoungbo)
Dieser Dialog ist typisch für Anrufersendungen, bei denen langjährige Mode-
ratoren mit treuen Hörern und agilen Anrufern interagieren. Jene, die oft anrufen, oder den Sender besuchen, sind den Radiomoderatoren meist persön-
lich bekannt. Umgekehrt sind in vielen Fällen auch die Radiomacher, vor
allem die Moderatoren, den Hörern auch aus dem öffentlichen Raum vertraut. Gerade in kleineren Orten bestehen zwischen ihnen enge Kontakte, die – über persönliche Sympathie hinaus – offenbar zum gegenseitigen Vorteil eingegan-
gen und gepflegt werden. Meist sind beide Seiten, wenngleich aus verschie-
denen Gründen, stolz auf diese Bekanntschaften, wie im Falle von Brigitte N’Da in Natitingou.
Brigitte ist Kellnerin in der Kneipe Bo Daarima, alleinerziehend mit einem
Sohn und wohnt im Viertel Ourou-Bouga. Sie ist eine treue Hörerin des Senders Nanto FM und ruft oft bei Diskussions- oder Grußsendungen an. Brigitte hat wiederholt die Radiomitarbeiter eingeladen, machte sie auch mit anderen Hörern bekannt und wird wiederum von den Moderatoren in vielen Sendungen gegrüßt (Natitingou, März 2010; Grätz 2012b).
Regelmäßige Anrufer bei einer ganzen Reihe von Talk-Shows des Senders Nanto FM befinden sich in der Familie von Pierre und Mathias Vodoungbo, in Natitingou-Yokossi. Sowohl der Vater Pierre, Pensionär, als auch sein Sohn, ein Maurer, rufen oft im Sender an, meist unabhängig von den jeweiligen
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Sendungen und seiner Themen. Oft geschieht dies einfach nur, um Radiomitarbeiter oder andere treue Hörer zu grüßen, die sie von anderen Anrufersendungen her kennen. Ihre Gewohnheiten sind damit begründet, dass auf der
einen Seite der Vater immer ein leidenschaftlicher Radiohörer war. Er besitzt
mehrere Radiogeräte, und scheint seine Vorliebe auch an andere Familienangehörige weitergegeben zu haben, die auf dem gleichen Hof wohnen. Auf der
anderen Seite kostet sie das Anrufen über das Festnetz fast nichts. Pierre, ein pensionierter Angestellter der staatlichen Telekom-Firma OPT, verfügt immer noch über einen subventionierten Festnetzanschluss, der Teil seiner Privilegien aus dieser Tätigkeit ist. Er hat ein Parallelgerät in einem Raum auf dem
Hof installiert, mit dem dann sein Sohn Mathias unter Nutzung desselben Anschlusses telefoniert, wann immer es ihm möglich ist. Der gleiche Raum dient
auch als Treffpunkt für Besucher und zum Verkauf von Sodabi-Alkohol, den
die Familie aus dem Süden des Landes, wo sie ursprünglich beheimatet war, bezieht. Oft kommen bei Familie Vodoungbo Radioleute auf ein Glas Sobadi und ein Plauderstündchen vorbei (Februar 2010).
Besuche bei Hörern stellen nicht nur eine Art Belohnung für treues Radiohö-
ren dar, sie erhöhen das Ansehen der Radiomitarbeiter auch an Orten, an denen sie selbst nicht wohnen bzw. die sie in der Regel nicht häufig besuchen. Es geht zudem auch darum, Verbindungen zwischen den Hörern selbst zu
stärken, z.B. durch oftmaliges Anrufen bekannte Hörer mit anderen Hörern
in Kontakt zu bringen. Sichtbares Zeichen für sich dann ergebende (recht lose, aber in den Sendungen zelebrierten) Vernetzungen zwischen den Hörern ist
dann das gegenseitige Grüßen der Hörer über den Äther während der entsprechenden Grußsendungen. Schließlich können wir hier feststellen, dass es
um die gegenseitige Zuweisung von Prestige geht. In manchen Fällen wenden sich Hörer mit der Bitte um Unterstützung in persönlichen Problemlagen an
Radiosender, oder liefern Informationen zu brisanten Angelegenheiten, von denen sie hoffen, dass die Mitarbeiter sie für Recherchen nutzen.
So erhielt der Sender CAPP FM am 24.11.2008 einen an Jérôme Carlos,
Thomas Hémadjé und Dah Houawé adressierten Brief, in dem ein gewisser Henri Kakpo, genannt Django, aus dem Dorf Vakon Gbégodo bei Porto-Novo
um Unterstützung bat. Er stellt sich als Mitarbeiter in der Zollverwaltung vor, und schreibt von Angehörigen, die von Bankräubern im Zuge ihrer Operationen getötet wurden. Anschließend spricht er von hohen Staatsangestellten
und Politikern, die angeblich Komplizen der Bankräuber wären. Es wird eine
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Liste von Namen u.a. Abgeordneten und Polizisten etc. erwähnt, die zu den Unterstützern des Schreibers zählen würden und ein Treffen mit den Leuten
vom Radio wünschen, um mehr Details preiszugeben. Die Radiomacher fuh-
ren später an den Ort des Geschehens; weniger, um einzugreifen oder rechtlich aktiv zu werden, sondern eine betont sachlich gehaltene Reportage zu
produzieren, die offene Anschuldigungen vermied (Cotonou, Dezember 2008).
Für den Erfolg von Radiosendern, gleich welcher rechtlichen Verfasstheit,
sind natürlich auch die praktischen Aspekte von Sendungen wie Ratgeber-, Anzeigen- und Veranstaltungsdienste von Bedeutung.
Anselme Kpaténon (vgl. Abschnitt II,4) moderiert die Sendung Planète
Emplois, eine Jobbörse, jeden Werktag um 10 Uhr auf Radio Planète (vgl. Abbildung 3). Hier werden Angebote verschiedenster Arbeitgeber (Restaurants, Schreibbüros, Läden, Baufirmen, Fahrdienste etc.) vorgestellt. Dies stellt insofern einen bis dahin neuen Service in der Radiolandschaft Benins dar, als
sonst nur (wenige) höherrangige Stellenanzeigen, meist über den staatlichen
Sender Radio Bénin, veröffentlicht wurden. Hier werden nun auch Jobs für
Barkräfte, Verkäufer oder Bauhandwerker vermittelt. Die Sendung stößt, wie
zahlreiche Anrufer belegen, auf großes Interesse bei den Hörern, die entweder per Telefonkontakt oder persönliches Erscheinen beim Sender mit dem Ar-
beitgeber in Verbindung treten. Inzwischen habe sich herumgesprochen, sagt er, dass die Ausgaben für eine solche Anzeige mit einer Summe von meist
nicht mehr als 1500 FCFA recht preisgünstig ausfallen, im Gegensatz zu anderen Sendern und vor allem professionellen Vermittlungsagenturen, von denen etliche auch unseriös agieren.
Zudem ist das Geld gut angelegt, weil man viele Hörer erreicht und damit
möglicherweise sich auch mehrere geeignete Kandidaten melden, aus denen
man auswählen kann. Morgens kommt Anselme schon gegen 8 Uhr zum Sender und empfängt einige Anzeigenkunden. Meist sind dies junge Männer und
Frauen, die dafür vom Arbeitgeber beauftragt wurden. Gleichzeitig tauchen schon morgens erste Interessenten, unter ihnen viele junge Frauen auf, die
die Anzeigen u.U. noch vor ihrer Bekanntmachung über den Äther einsehen wollen, um einen Zeitvorsprung zu gewinnen. Andere hatten eine Information
gehört, aber nicht richtig notiert und wollen noch einmal den Wortlaut des Angebotes und vor allem die Telefonnummer des Anbieters erfahren. Anselme
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gibt ihnen diese Informationen einerseits etwas widerwillig, da dies seine Arbeit beim Aufnehmen der neuen Anzeigen etwas stört und er oft genug darauf hinweisen muss, dass das Angebot für den nachfragenden Interessenten unter Umständen nicht passt. Andererseits sieht er dies als eine Art Service für treue
Hörer an, die sich die Mühe gemacht haben, direkt zum Sender zu kommen.
Gleichzeitig erhöht er damit sein Ansehen bei den Hörern, die ihn auch von
den Samstagabendprogrammen her kennen. In einigen Fällen erhält er von jenen, die erfolgreich einen Job bekamen, im Nachhinein zum Dank auch kleine Geschenke (Cotonou, Oktober 2010, März 2011). HÖRERCLUBS, JAHRESTAGE, FESTE Viele Sender haben Hörerclubs, deren Feedback helfen soll, die Programme
zu verbessern. Andere Sender, wie z.B. Radio Voix de la Lama in Allada arbeiten mit Beauftragten zusammen (meist Besitzer von Geschäften oder Werk-
stätten, Apotheken etc.), bei denen man Vordrucke ausfüllen kann, auf denen Hinweise für das Programm gegeben werden können. Regelmäßig werden diese von den Radiomitarbeitern ausgewertet.
Ein Fanclub hat sich auch um die Sendung Cuba Libre gebildet, die jeden
Samstag vom Moderator Rosymoh im Sender CAPP FM präsentiert wird. Die Hörer mögen afro-kubanische Musik und ihre Präsentation durch Rosymoh.
Die Musikauswahl stammt entweder aus Lateinamerika oder besteht aus Titeln aus Afrika, die von Latino-Rhythmen beeinflusst sind. Der Fanclub orga-
nisiert regelmäßig Tanzabende, natürlich zu Latino-Musik, aber versteht sich auch als Freundeskreis. Die Sendungen sind auch Anrufersendungen, Rosymoh plaudert entspannt und humorvoll mit den Hörern auf Französisch, die
sich am Samstag erholen und mit der Familie das Wochenende genießen. Die
Hörer können auch Grüße loswerden. Ab und an lädt Rosymoh eines der Mitglieder des Fanclubs in die Sendung ein; vorzugsweise Personen, die auch vor
dem Mikrophon keine Scheu zeigen. Leider geriet der Freundeskreis im März 2009 in eine Krise, als es im Nachgang zu einem großen Fest Ende Dezember
2008 zu Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung des Budgets kam. Krisensit-
zungen wurden einberufen, um die Verwendung der Mittel zu klären, bevor
man sich wieder der gemeinsamen Musikleidenschaft widmen konnte (November 2008, März 2009).
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Die meisten Sender nutzen vor allem auch ihre Jahrestage, um die Bindungen
der Hörer an den Sender zu stärken. Der Sender Tokpa in Cotonou bot z.B. anlässlich seines 10. Jahrestages viele Aktivitäten, die von einem Festkomitee
organisiert wurden. So wurden die besten Moderatoren per Votum der Hörer bestimmt, mit einer jeweils über zwei Monate laufenden öffentlichen Abstim-
mung über die besten Sprecher/innen-Stimmen. Die Hörer waren aufgerufen, anzurufen oder per SMS ihre Stimme für einen der Kandidaten abzugeben. In
den Sendungen warben die jeweiligen Sprecher/innen oder Moderator/innen für sich selbst. Zudem wurde eine Tombola organisiert, ein Dokumentarfilm über den Sender produziert und öffentlich aufgeführt und zur Komposition
von Liedern über das Radio aufgerufen, die dann gesendet wurden. Weiterhin wurden Vertreter von Partnermedienanstalten eingeladen, eine Geschenkak-
tion für ärmere Hörer organisiert und schließlich am 31. Juli 2009 ein großes Fest in einem Stadium veranstaltet. In ähnlicher Weise organisierte Radio Maranatha sein Jubiläum, in Verbindung mit einem Tag der offenen Tür im Au-
gust 2009; und der Sender Nanto FM seinen 10. Jahrestag, mit einem großen
Musikfestival im Februar 2014, zudem auch der Musiker Kpoto Kwagou sein Preislied auf Nanto FM anstimmte, das natürlich im Sender oft gespielt wird. Viele Radiomitarbeiter verknüpfen virtuelle Hörerschaften mit ihren ei-
genen sozialen Netzwerken. Enge Beziehungen von Radiomitarbeitern zu ihren Hörern entfalten sich also sowohl im Alltagsumfeld der jeweiligen Station
als auch während der Sendungen, bei denen die im folgenden Kapitel analysierten interaktiven Formate besondere Wirkungen auf die öffentliche Kom-
munikation erzeugen und daher in Benin oft Gegenstand konflikthafter Aushandlungsprozesse darstellen.
V Mediale Interaktionen
Abbildung 9: Mobiltelefone bereit für Anrufe bei
Radiosendern, Paul Dakouda, grogneur, Parakou, März 2011
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Die im vorherigen Kapitel umrissenen medialen Aneignungsprozesse vollzie-
hen sich auch im Bereich des Radios vor dem Hintergrund genereller Debat-
ten und Transformationen technisch geprägter Alltagskulturen. Diese müssen
entlang dynamischer, handlungs- und diskurstheoretisch übergreifender the-
oretischer Modelle diskutiert werden. Hier bietet sich der eingangs einge-
führte Begriff des technologischen Dramas von Pfaffenberger (1992b) an, der sich als Leitbegriff dieser Studie in idealer Weise für Darstellung der Veränderungen von Radiokulturen in Benin eignet.
Als Beispiele für hier relevante (sozio)technologische Dramen sollen im
folgenden Kapitel die Entfaltung von Anrufersendungen, zum einen im grogneFormat, sowie zu Partnerschafts- und intimen Problemen in Benin, analysiert werden. Hier werden zugleich die Verbindungen zwischen nicht-professionellen und professionellen Medien-Akteuren im Radiobereich einerseits sowie
neue Verknüpfungen und Verbreitungswege von Medieninhalten andererseits deutlich. Die beiden Sendeformate werden zunächst detailliert beschrieben,
bevor im abschließenden Kapitel ihre Entwicklung vor dem Hintergrund der theoretischen Perspektive des (sozio)technologischen Dramas analysiert wird.
1. Grogneurs und Grogne-Sendungen „Les auditeurs en ligne – Dies ist das Journal der Zuhörer: Ein Forum, in dem die Zuhörer anrufen, um zu granteln (grogner); um alles, was in ihrem Umfeld nicht funktioniert, zu denunzieren. Dieses interaktive Programm wird von allen sehr gehört, vor allem von Behörden und politischen Verantwortlichen. Sie wird auch in den Landessprachen Bariba, Fon und Dendi gesendet.“ (Programmdarstellung Radio Parakou, November 2010; Les auditeurs en ligne, ortb.info/organe/radio-parakou)
Grogneurs sind leidenschaftliche Anrufer in jenen Radiosendungen, die alltägliche Probleme ansprechen. Sie nehmen eine zentrale Rolle in öffentlichen Kommunikationsprozessen, vor allem im urbanen Raum in Benin, ein. Auf-
grund ihrer oft ausgeprägten Vorliebe für Selbstdarstellungen und einem teilweise vorhandenen Missbrauch der Anrufmöglichkeiten genießen sie aber ei-
nen zwiespältigen Ruf. Zunächst beschreibe ich den Hintergrund und die Entwicklung des grogne-Genres in Benin und gehe auf die wichtigsten Debat-
ten und Konflikte im Zusammenhang mit dem Erfolg dieses Sendeformats im
Lande ein. Der zweite Teil schildert die Biographien individueller grogneurs
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sowie ihre Motive und Strategien, bevor ich die alltäglichen Beziehungen zwischen Radio-Journalisten und grogneurs beleuchte. Der dritte Abschnitt unter-
sucht Networking-Strategien der grogneurs und diskutiert Erklärungen für den
Erfolg dieses Genres. Im abschließenden Teil werde ich das Beispiel mit sich
ändernden Kommunikationsflüssen mit ihren besonderen Konflikten in Benin in Bezug setzen.
Ich fokussiere vor allem auf die persönlichen Motive und Strategien der
grogneurs in Bezug auf Informationsbeschaffung, Vernetzung und juristische
Absicherung. Meine Analyse befasst sich zudem mit oft ambivalenten Beziehungen der grogneurs zu Journalisten, Politikern, Motorrad-Taxifahrern und der breiteren Radiohörerschaft. Ich möchte zudem verdeutlichen, dass trotz
der verschwimmenden Rollen von Journalisten und grogneurs all diese Ak-
teure bestrebt sind, letztendlich die Grenzen ihrer jeweiligen Positionen zu halten. Auch aus analytischer Sicht gibt es viele Unterschiede in Bezug auf
die verschiedenen Dispositionen der beiden Akteursgruppen. Ich gehe zunächst von der inzwischen allgemein akzeptierten Annahme einer proaktiven Rolle der Medien-Nutzer (im weiten Sinne, einschließlich Hörer, Leser, Zu-
schauer, etc.) bei der Gestaltung der Medien-Produktion (vgl. Barber 1997; Moores 2000) aus. Diese Rolle manifestiert sich in verschiedenen Dimensio-
nen: von der Idee potenzieller Zielgruppen, die die Medien-Strategien beein-
flussen, um TV-Quoten zu erhöhen, über öffentliche Talkshows bis hin zu ‚Big Brother‘-Programmen, von Tele-Voting über Reality-TV bis hin zu sozialen Netzwerken. Neben der Analyse von Medieninhalten und ihrer Aneignung hat
daher die Forschung zu den Wechselwirkungen zwischen Medien und Verbrauchern zugenommen.
Darauf aufbauend wird von vielen Autoren darüber hinaus aber eine zu-
nehmende Überschneidung der Rollen von Medienproduzenten und Medien-
nutzer konstatiert, die durch neue Medientechnologien, Social Media und den Prozess der Medienkonvergenz gefördert werden würde. Von SmartphoneFotos oder YouTube-Berichterstattungen über Internet-Blogging bis hin zu
Spiel-Programmierclubs (game modding), so das Argument, könnte man nicht nur eine zunehmende Vielfalt von Medienakteuren und Mediengattungen er-
kennen, sondern auch eine direkte Mitgestaltung von Medien-Inhalten durch
nicht-professionelle Akteure feststellen. Schlagwörter hierfür sind z.B. ‚Bürger‘- ‚Guerilla‘- oder ‚Straßen‘ Journalismus; ‚kollektive‘ oder ‚partizipative‘ Medien (vgl. auch Carpentier et al. 2013). In diesem Zusammenhang hat Axel
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Bruns (2007; 2008) den Begriff produsage geprägt. Dieser geht von einer nahezu vollständigen Ununterscheidbarkeit von Produzenten und Anwen-
dern,183 z. B. bei Internet-Bloggern, aus. Bruns nennt vier zentrale Merkmale von produsage: Offene Beteiligung und gemeinsame Evaluierung 2) Flüssige
Heterarchie, die auf Verdiensten beruht 3) nie vollendete Artefakte, die in
einem kontinuierlichen Prozess geschaffen werden und 4) gemeinsames Eigentum sowie individuelle Belohnungen.
Alle vier Elemente sind sicherlich in Erscheinungen wie ccMixter, Wikipe-
dia, Open Software-Bewegungen, Game-Modding und internetbasierten politischen Bewegungen wie Anonymous, Indymedia oder zu einem gewissen Grad der Netzaktivitäten der Piratenpartei zu finden. Die Medienanthropolo-
gin Elisabeth Bird (2011) ist in Bezug auf die Nutzbarkeit dieses Begriffes
vorsichtiger; mit dem Argument, dass in den meisten Fällen diese neuen Me-
dienproduzenten leidenschaftliche Medienaktivisten sind, während eine
große Mehrheit der Menschen, durch Wahl, aber auch Mangel an Zeit, Wissen oder Ressourcen eher passive Medienkonsumenten bleiben. Darüber hinaus wäre die Macht der dominanten Medienbranche nicht zu vernachlässigen.
Erin Meyers hingegen argumentiert am Beispiel von Prominenten Klatsch-
Bloggern, dass bisher etablierte professionelle Hierarchien nun von vielen
Menschen, auch nicht-professionellen Mediennutzern, infrage gestellt werden
können (2012), während andere Formen der Beteiligung z.B. in Bezug auf TVShows (Big Brother) eine deutlichere Unterscheidung der Rollen fortführen
würden. Entsprechend der genannten Kriterien können viele relevante Aspekte im Kontext der zeitgenössischen Radioproduktion in Afrika südlich der
Sahara beobachtet werden z. B. in Bezug auf Hörer als Co-Gastgeber von Sen-
dungen, der Kommunikation von Radiosendern über Mobiltelefone und Social Media, die zudem eine ständige Verbindung zwischen allen beteiligten Akt-
euren ermöglichen. Grogne-Shows erfüllen nur zwei der Kriterien von produsage: offene Beteiligung und gemeinsame Bewertung (Bruns 2008). Sie stellen aber einen engen Handlungszusammenhang zwischen professionellen und
183 Eine ähnliche Debatte entstand auch in Konsum-Studien, hier rund um den Begriff der prosumption (Ritzer und Jurgenson 2010; Ritzer et al.2012). Ritzer et al. konzipieren prosumption weniger in Bezug auf Teilnahme, Dezentralität und den Verlust von hierarchischen Beziehungen zwischen den kapitalistischen Produzenten und Konsumenten, sondern vor allem im Hinblick auf ihre Kehrseiten, wie z.B. die Integration von persönlichen Daten in Marketing-Strategien, oder das Abschöpfen unbezahlter Kreativität durch kapitalistische Unternehmen.
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nichtprofessionellen Medienakteuren her. Hier soll die besondere Position der
grogneurs, ihre Strategien und die Beziehungen zu Journalisten und der breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden, sowohl „auf der Bühne“ als auch „hin-
ter der Bühne“ (Goffman und Weber-Schäfer 1973). Zudem sollen die Besonderheiten dieses Phänomens in Zusammenhang mit veränderten Medien in Benin allgemein erkundet werden.
Grogne bedeutet so viel wie „zorniges Grummeln“, „Nörgeln“ oder „Gran-
teln“. Unter dieser Rubrik kennen fast alle Radiohörer in Benin einen Typ
einer Anrufersendung, in der Zuhörer frei und direkt fast jede Frage des aktuellen Lebens ansprechen können. Es gibt auch andere Programme, bei de-
nen Zuhörer anrufen können, wie z.B. Ratgeber- und politische Diskussionssendungen, aber das grogne-Sendeformat ist dabei sicherlich das Auffälligste. Folglich werden regelmäßige Anrufer in diesen Sendungen grogneurs genannt,
oder – vor allem von Journalisten und Politikern – faiseurs d‘opinion. In Bezug
auf den erwähnten Begriff der produsage würden viele von ihnen nicht wollen, als ‚Bürger-Journalisten‘ bezeichnet werden.
Trotz der starken Verbindungen zwischen Journalisten, aktiven Radionut-
zern und anderen Akteuren (wie Politiker) in diesem Bereich sind alle Betei-
ligten generell bestrebt, ihre besonderen Positionen und die Grenzen ihrer Rollen strategisch zu erhalten. Sie tun dies aufgrund des notwendigen Erhalts
spezifischer Handlungsspielraume im öffentlichen und privaten Raum. Ich plädiere zudem für eine Untersuchung der generellen Voraussetzungen dieser
Sendeformate (einschließlich kultureller Kontexte sowie der historischen Entfaltung der Medienproduktion und Öffentlichkeiten in Westafrika) eine weit-
reichende Analyse ihrer Aktivitäten vorgeschlagen, die über eine rein begriffliche Diskussion, ob wir es mit Aspekten von produsage zu tun haben oder nicht, hinausgeht.
In einem größeren Zusammenhang soll die Analyse dieses Falles als ein
erster Schritt verstanden werden, Einblicke in wechselnde Formen der Verbreitung von Informationen über verschiedene Netzwerke von Akteuren und neuartige kommunikative Räume in Benin zu erhalten.
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HINTERGRÜNDE Anrufer: „Bonjour, Monsieur Mamadou Boukari.“184 Journalist: „Bonjour, darf Ich fragen,
wer anruft?“ Anrufer: „Clement Assoclé.“ Journalist: „Wir freuen uns, Ihnen zuzuhören.“ Anrufer: „Die SONACOP!185 Wieder die SONACOP, und immer ist es die SONACOP! Monsieur le Journaliste, seit fast vier Monaten haben die Spediteure (transporteurs) dieser Gesellschaft ihre Vergütung nicht ausbezahlt bekommen. Letzte Woche, am Dienstag, wollten sie den Leiter der Finanzabteilung der SONACOP treffen, aber dieser bat sie, doch am Freitag wieder zu kommen. Folglich kamen sie am Freitag wieder, aber nichts wurde gezahlt. Ich frage den Generaldirektor der SONACOP: was ist dort eigentlich los? Die Spediteure haben ihr Geld seit 4 Monaten nicht erhalten! Dies bedeutet, dass auch ihre Fahrer der Titan-186Lkws arbeitslos sind, und deren Familien ebenso leiden. Heute Morgen bitten wir sie also, etwas zu tun, damit die Spediteure ihre Kosten erstattet bekommen“ (Grogne matinal, Golfe FM, 12.3.2012, Cotonou, 6.30 Uhr).
Dies ist ein Auszug aus einem Telefonat eines Hörers187 mit dem Radiosender Golfe FM in Cotonou. Solche Interventionen sind das zentrale Element eines sehr erfolgreichen Programms, das meist morgens von verschiedenen Radio-
stationen im Land ausgestrahlt wird. Es erhielt seinen Namen von der ersten
dieser Sendungen, die zuerst von Radio Golfe FM unter dem Titel grogne matinal („morgendlicher Zorn“) an Wochentagen gesendet wurde. Anrufer können sich über aktuelle Probleme im öffentlichen und politischen Leben äußern, oder sich aufgrund schlechter Erfahrungen mit Institutionen und Behörden beschweren.
184 Moderator bei Radio Golfe FM, Cotonou. 185 Société Nationale de Commercialisation des Produits Pétroliers (Ölverarbeitungs- und Tankstellenfirma). 186 Deutsche Schwerlast-Lkw-Marke. 187 Assoclé ist leidenschaftlicher grogneur und Mitglied des Fanclubs Association des Fidèles Amis et Sympathisants du Groupe de Presse la Gazette du Golfe (Les 4 vérités 2013). In diesem Falle war ein Verwandter Assoclés betroffen, der als Spediteur vergeblich auf Zahlungen wartete und ihn darüber informierte. Wenig später gabe es eine Einigung mit der SONACOP, die das Begleichen des größten Teils der Außenstände der Spediteure einschloss (Interview Cotonou, März 2014).
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Das Sendeformat wird inzwischen auch von mehreren Radiostationen in
Cotonou (Océan FM, Radio Planète) und im ganzen Land ausgestrahlt.188 Überwiegend zwischen 6.00 und 6.30 Uhr oder 6.30 und 7.00 Uhr, manchmal
auch am Nachmittag, können Anrufer, die durchkommen, nicht nur die unterschiedlichsten Themen behandeln oder kritische Aussagen zu alltäglichen
Problemen äußern, sondern auch gesellschaftliche Skandale ansprechen. Je-
der Anrufer ist verpflichtet, seinen/ihren vollständigen Namen zu nennen. Man verfügt über eine begrenzte Zeit (normalerweise nur 90 Sekunden),
wenngleich einige Anrufer diese nutzen, um sogar mehrere Probleme anzu-
sprechen. Beim Sender Golfe FM intervenieren die Moderatoren nicht, weisen aber auf die Notwendigkeit hin, keine Namen zu nennen und jede Art von
Verleumdung oder falsche Anschuldigungen zu vermeiden. Einige grogne-Sendungen sind interaktiver, wie jene von Radio Fraternité in Parakou (le grand direct de l‘info, derzeit moderiert von Franck Ahonou und Rodrigue Azinno-
ngbé) oder von Radio Planète (opinons, Urbain Akakpo) in Cotonou, sodass eine Debatte zumindest zwischen den Journalisten und den Anrufern erfolgt
und Journalisten unmittelbarer auch unsachlichen Aussagen entgegen treten können. Mehrere Radiosender in Cotonou eröffnen den Zuhörern die Teilnahme auch per SMS oder über Facebook.
Diese erfolgreichen Programme basieren in erster Linie auf den Interessen
der Produzenten und aktiven Radiohörer und zeugen von sich wandelnden Öffentlichkeiten in Benin. Der Erfolg solcher call-in-shows beruht nicht nur auf der Zirkulation von Medieninhalten, sondern auch auf nun verfügbaren
Medientechnologien, die Prozesse der Mediatisierung und gesellschaftlicher
Diskurse gleichermaßen beeinflussen. Diese Radio-Formate sind attraktiv, nicht nur, weil sie neu sind, sondern weil sie zwischen kommunikativen Stilen
verschiedener Akteure sowie kommunikativer Räumen vermitteln, und Hörer sowie Radioproduzenten in einer neuen Weise miteinander in Beziehung set-
zen. Was ist der Hintergrund der grogne-Shows? Wer sind die jeweiligen zentralen Akteure, die grogneurs, was sind ihre Motive?
Der Prozess der Gründung privater Radiosender nach 1998 in Benin be-
günstigte auch die Einführung neuer Genres vor allem durch jüngere Produ-
zenten, die sich in der Gestaltung ihrer Programme zum Teil an europäischamerikanischen Stilen orientierten. Dies ist besonders deutlich im Fall von
Stationen wie Golfe FM, dem Vorläufer dieser Entwicklung, aber auch Radio 188 Auch appel aux auditeurs oder libre antenne genannt
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Planète, Océan FM oder CAPP FM. Neue Sendeformate wurden mit bereits etablierten Formen der Produktion nationaler staatlicher Sender und afrika-
nischer Stationen wie Africa No.1 kombiniert. Wie schon erwähnt war es der
private Radiosender Golfe FM, der im Jahr 1999 die ersten regelmäßigen grogne-Sendungen, durch Werbung und Ankündigungen gerahmt, ins Programm nahm. Die Radiomoderatoren rund um Franck Alain Dotou, Fréjus
Quénum und Raissa Gbédji entwickelten die Sendung grogne matinal, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer kurz vor den Morgennachrichten des Senders
um 7 Uhr zu erhöhen. Inspiriert wurden die Programme von Radioshows aus
Frankreich und den USA (Levin 1987), aber auch von dem Sendeformat l’appel sur actualité, das RFI in der Mitte der neunziger Jahre einführte. Später folgten andere Sender, wie Radio Planète oder CAPP FM.
Von Anfang an wurden diese Programme zu einem Spiegel der urbanen
Lebenssituation vieler Menschen und ihrer Probleme, darunter aber auch ein Forum, um heikle Themen wie Korruption und schlechte Regierungsfüh-
rung189 sowie alle Arten von Machtmissbrauch anzusprechen. Man findet Aussagen von Anrufern zu so unterschiedlichen Themen wie mangelhafte Stra-
ßen, arrogante öffentliche Bedienstete, Stromsperren, ausbleibende Löhne,
brutale Lastwagenfahrer, Müllecken auf dem Markt oder steigende Preise für Waren des täglichen Bedarfs.
Der Wettbewerb zwischen den UKW-Sendern im Großraum Cotonou ver-
anlasste inzwischen manche Stationen, entweder noch früher mit solchen
Sendungen zu beginnen oder auf weniger geschäftige Zeiten des Tages zu verlegen (am frühen Nachmittag, Radio CAPP FM). Golfe FM wiederholt oft die
entsprechende Morgensendung um Mitternacht. Ein zentrales Anliegen vieler Hörer, vor allem aber den Mitarbeitern der Medien-Behörde HAAC, ist die Frage der Wahrhaftigkeit der Aussagen der grogneurs. Hieraus entwickelten
sich Debatten über die Modalitäten, einen möglichen Missbrauch dieser Möglichkeiten zu vermeiden, Verleumdungen zu ahnden und das Recht auf Ge-
gendarstellung zu gewährleisten, bei gleichzeitiger Wahrung des Rechts auf
189 Zu Beginn des Jahres 2012 gab es z.B. ein Problem in der Stadtverwaltung Parakous (Nordbenin), die Immobilien ohne ausreichende Konsultation des Gemeinderates zu verkaufen begann. Dies wurde durch grogneurs, die ihre Meinung über das Problem öffentlich machten, aufgedeckt.
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freie Meinungsäußerung durch die Anrufer. Nach einigen Fällen diffamieren-
der Aussagen durch grogneurs wurden diese Sendungen oft von der HAAC suspendiert, und die Sender zur Entschuldigungen aufgefordert.
Später mussten die Sendungen aber wegen der Proteste von Zuhörern und
Medienprofessionellen wieder aufgenommen. Interventionen der HAAC gab
es immer wieder. Im Dezember 2005 wurde z.B. das Programm grogne matinal des Senders Golfe FM seitens der HAAC kritisiert, weil viele Anrufer regionalistische und verleumderische Aussagen tätigten. Folglich wurde das Pro-
gramm vorübergehend (für drei Wochen) suspendiert. Am 2.12.05 organisierte der Präsident der HAAC eine Anhörung mit dem Direktor der Station. Letztere erhielt den Auftrag, alles zu tun, um Anrufer mit ähnlichen Aussagen
(Adoun und Awoudo 2007: 47) auszuschließen. Im November 2008 sprach die HAAC dem Sender Arzèkè FM in Parakou gegenüber eine Rüge aus, da
ein Zuhörer eine beleidigende Aussage eines Anrufers während einer grogneshow monierte. Der Direktor der Station und der Moderator der Sendung versprachen daraufhin, wenn nötig, solche Anrufer sofort zu unterbrechen.
Nach Diskussionen der HAAC mit den Journalistenverbänden wurden
Kompromisse gefunden. Um zu starke Manipulationen z.B. auch von Politi-
kern zu vermeiden wurde im Jahre 2005 beschlossen,190 solche Programme in Zeiten von Wahlkämpfen (beginnend mit den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2006) zu unterbrechen. In normalen Zeiten sollten Moderatoren dieser Sendeformate die Anrufer auffordern, Verleumdungen zu vermeiden. Dar-
über hinaus sollten Anrufer ihre Namen sowie bei ihren Beschwerden genaue Angaben machen. Die Stationen sollte auch ein Filterverfahren schaffen, bei
dem eine andere Person (z.B. ein Studiotechniker) zunächst mit dem Anrufer off air über den Inhalt und die Art der Aussage spricht, und um den Anrufer
zu erinnern, die Regeln zu beachten. Derzeit beginnen die meisten Moderatoren solcher Programme jede Sendung mit einer Erläuterung des Charakters und der grundlegenden Spielregeln der Sendung (begrenzte Zeit, Namensan-
gabe) und bitten die Anrufer, keine persönlichen Schuldzuweisungen vorzu-
190 Décision no. 05-156/HAAC du 20 octobre 2005 portant réglementation des activités des médias de service public et du secteur privé, dans la période du 1er novembre 2005 à la veille de l'Ouverture de la campagne officielle; gefolgt von: Décision no 06-002/HAAC du 31 janvier 2006 portant réglementation de la campagne Mediatique pour l'élection présidentielle de mars 2006).
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nehmen (pas d'attaques personnelles). Derzeit (2014) beginnt Golfe FM die Sen-
dung grogne matinal immer mit dem Titel des bekannten Musikers Stan Tohon „saisis ta chance“, der zur aktiven Teilnahme an der Sendung bei gleichzeitiger
Vermeidung von Hass und Diffamation aufruft. Radio Arzèkè nutzt im Eingangsjingle zur werktäglichen grogne-Sendung osons le dire einen Auschnitt
aus einer Rede des Präsidenten von 2012, in der dieser äußerte: „il faut dénoncer!“ (man muss kritisieren)
Die meisten Stationen führen ein Protokoll der Sendung und notieren alle
Anrufer in einer Liste. Mitarbeiter im Gemeinde-Sender Radio Non Sina in Bèmbèrèkè z.B. nehmen diese Protokolle überaus ernst und notieren die Themen im Detail, um später möglicherweise Kommunalvertreter damit zu kon-
frontieren. Im Falle von möglichen Konflikten oder sogar Skandalen können diese der Ausgangspunkt der Berichterstattung werden, um den Kontext der Fälle, wie zum Beispiel im Hinblick auf die Arbeit der Tierärzte aufzuklären (23.02.2010, Bèmbèrèkè, Radio Non Sina, 9.30-10 Uhr).
Bis heute dauern Debatten über den möglichen Missbrauch solcher Sendun-
gen aber an. Der Sender Golfe FM in Cotonou nutzt manchmal Voraufzeichnungen, um problematische Aussagen filtern zu können; eine Praxis, die von
vielen grogneurs kritisiert wird. Mittlerweile werden ähnliche Anrufer-Programme aber landesweit und in vielen verschiedenen Sprachen angeboten.
Der Gemeinde-Radiosender Radio Nanto FM in Natitingou bietet z.B. solche Programme in Französisch und in der jeweiligen Landessprache an; z.B. auch auf Dendi.
Ein Beispiel: Dienstag, 28.2.1012, 11.00 Uhr. Georges Tessingou präsen-
tiert heute die Sendung appel aux auditeurs in Französisch. Heute rufen nur
zwei Leute an. Eine Anruferin nimmt auf den aktuellen Lehrer-Streik Bezug.
Sie ist dagegen, da sie um die Bildung der Kinder fürchtet. Ein Anrufer kritisiert die in einigen Bereichen der Stadt noch vorherrschenden schlechten Stra-
ßenverhältnisse und meint, dass hier trotz der kürzlichen Ausbesserungsar-
beiten rund um die öffentlichen Feiern zum Nationalfeiertag im August des letzten Jahres noch nicht genug getan wurde. Georges erwähnt:
„Viele Menschen sind immer noch ein wenig zögerlich, um die Station anzurufen, weil man sie gut hier in der Stadt kennt. Dies bedeutet nicht, dass sie sich keine Sorgen machen, nein, im Gegenteil! Wenn ich durch die Straßen gehe, halten mich viele Leute an, um ihre Probleme zu schildern, aber wollen nicht genannt werden. Die Anrufer sind
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oft die Gleichen. Anrufersendungen sind an sich tagsüber gut im Programm platziert, da viele potenzielle Anrufer dann in Läden, Werkstätten und Büros arbeiten und Radio hören. Natürlich, für die Bauern und mobilen Händler ist es besser am Abend, aber deshalb setzen wir manche Programme auch auf das Wochenende.“ (Georges Touré Tessingou; Natitingou, Februar 2012)
WIEDERKEHRENDE THEMEN IN GROGNE-SENDUNGEN Viele Meinungsäußerungen der grogneurs beziehen sich auf lokale Themen,
vor allem Probleme der Infrastrukturen in ihrer Nachbarschaft. Oft fordern sie die örtlichen Behörden auf, diese besser zu warten oder Ausbesserungsarbeiten zu kontrollieren, wie das folgende Beispiel veranschaulichen kann;
Anruferin: „Bonjour, mein Name ist Solange Kouvi. Ich rufe Sie von Akpakpa aus an.“ Journalist: „Sie sind live auf Sendung, Madame.“ Anruferin: „Ich habe nur eine Sorge. Der Bürgermeister von Cotonou hatte eine Reihe von Bauvorhaben in Akpakpa initiiert. Im zweiten Arrondissement, nach Fertigstellung und dem Weggang der Firmen; sollte dann begonnen werden, die Straßen wieder aufzufüllen und wiederherzustellen. Wo ich wohne, betrifft dies den Weg von Minando nach Africando und den Weg von Africando nach Interalia. Der Chef des Stadtviertels bat nun um weitere Unterstützung durch den stellvertretenden Bürgermeister, und sofort hat dieser auf die Anrufe reagiert. Heute ist die Straße im Bau, und so bitten wir sie, den Auftragnehmer gut zu überwachen, und dafür zu sorgen, dass alles bis zum Ende fertig gestellt wird! Wir danken dem Bürgermeister, auch im Namen des Chefs des Stadtviertels und des Chefs des zweiten Arrondissements. Noch einen schönen Tag, Monsieur Mamadou Boukari!“ Journalist: „Danke, Madame!“ (Transkription einer Audiodatei, grogne Matinal, Golfe FM, 2013.08.03, 6.17; Rechtschreibfehler von Eigennamen möglich)
Andere Themen betreffen aber auch Korruption bei öffentlicher Auftrags-
vergabe oder ausbleibende Lohnzahlungen. Hier eine zufällige Liste der von grogneurs angesprochenen Themen, die ich im März 2013 (Cotonou, Radio Golfe FM und Radio Tokpa) – notierte:
– Stromsperren führen dazu, dass die Straßen in Calavi zu dunkel sind – Defekte Straßen, z.B. zu einem Friedhof in Porto-Novo;
– Schlechte sanitäre Situation im Stadtviertel Cotonou-Maro Militaire
– Die Eisenbahner streiken, ihr Gehalt wurde 6 Monate nicht gezahlt
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– Schlechte Arbeitsbedingungen der Hafenarbeiter
– Eine Person wurde ermordet – der Wunsch der Familie nach einer entsprechenden Bestattung soll endlich respektiert werden
– Die Anti-Korruptions-Behörde arbeitet nicht, es zeigt sich an der opaken Wettbewerbs-Ausschreibung öffentlicher Aufträge
– Das Auto des Zentralgefängnisses ist nicht in Ordnung
– Zweifel an der Hygiene des in Beuteln verkauften Trinkwassers „pure water“ – Unvollendete öffentliche Baumaßnahmen auf einem Markt in Cotonou. GROGNEURS: KARRIEREN UND ZWÄNGE Betrachten wir nun die – neben den Moderatoren – zentralen Akteure in die-
sen Radioprogrammen: aktive Zuhörer und Vieltelefonierer, die grogneurs. Zunächst soll einer von ihnen, Paul Dakouda, genauer vorgestellt werden.
Paul Dakouda wohnt in Parakou, der größten Stadt im Norden Benins,
und ist ein leidenschaftlicher Radiohörer. Er verfolgt den ganzen Tag über Programme fast aller lokaler UKW-Sender, auch bei der Arbeit. Zurzeit ist er
in einer Apotheke angestellt und studiert parallel dazu Jura an der Universität Parakou. Paul ruft an Arbeitstagen fast jeden Morgen mindestens eine der UKW-Stationen in Parakou, wenn nicht mehrere an, um seine Botschaften zu übermitteln. Jeden Morgen steht er früh auf, bereitet mehrere Handys vor, und nutzt sie parallel, um durchzukommen (vgl. Abbildung 9).
Seine Frau ist nicht immer sehr glücklich über sein Hobby, wie er ein-
räumt, weil dies zu viel seiner Aufmerksamkeit absorbieren würde. „Meine Frau geht dann meist mit den Kindern aus dem Zimmer, weil es ihr zuviel wird“
bemerkt er lachend. Um seine Zeit on air jeweils maximal zu nutzen, liest er in der Regel seine Aussagen aus einem Heft ab. In diesem bereitet er die meisten
seiner Interventionen im Voraus akribisch vor. Paul erwähnt, dass dieses Heft zugleich eine Art Tagebuch ist, in dem er viele Probleme und Ereignisse in seiner Nachbarschaft notiert, auch wenn er nicht in der Lage ist, alle Infor-
mationen per Anruf zu übermitteln. Paul ist den Journalisten der meisten Ra-
diostationen in Parakou sehr gut bekannt. Sein Hauptanliegen ist die Entwicklung seines Stadtviertels, vor allem der Infrastrukturen. Darüber hinaus
kritisiert er oft die Stadtverwaltung oder Behörden, wenn diese zu wenig für
die Änderung der Lebensbedingungen der meisten Menschen in der Stadt unternehmen (Parakou, März 2011).
V MEDIALE I NTERAKTIONEN | 305
Hier sollen Beispiele für seine Meinungsäußerungen erwähnt werden, die
ich in der Lage war, mit ihm zusammen auf der Grundlage seines Tagebuches
zu rekonstruieren. Im Juni 2010 versuchte Paul z.B. die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die schlechte Situation des Allgemeinen Krankenhauses in Para-
kou (Centre Hospitalier Universitaire Départemental de Parakou, CHD) zu lenken, das in einem schlechten Zustand ist und Hilfe von der Regierung braucht.
Im August 2010 wiederum richtete er einen Wunsch an die HAAC, die beschlossen hatte, die grogne in der Zeit vor den Wahlen zu verbieten. Er bat die HAAC, die grogneurs auch weiterhin in diesem Zeitraum sprechen zu lassen.
Im August 2011 beschwerte sich Paul über den schlechten Kunden-Dienst
der Stromgesellschaft SBEE. Rechnungen zu bezahlen wurde für viele Kunden durch die Tatsache erschwert, dass die Öffnungszeiten der Kassen zu kurz
waren, und so sollte ein Wochenend-Service für diejenigen eingerichtet wer-
den, die den ganzen Tag lang arbeiten müssen. Am 22.06.2010 hatte er bereits auf den dadurch bedingt schleppenden Verkauf von aufladbaren Kun-
denkarten der die SBEE verwiesen. Anfang 2012 schließlich kritisierte Paul
die Tatsache, dass die Stadtverwaltung (Mairie) Verträge mit lokalen Radio-
sendern unterzeichnet hatte, um Informationen zu übermitteln, dann aber die eingeräumten (un bezahlten) Sendezeiten nicht mehr nutzte. Anfangs wurden
noch längere Sendungen unter Titeln wie Heure de la Mairie ausgestrahlt. Daraus wurden im Jahre 2011 nur fünfminütige-Sendungen und im Jahr 2012 dieser Dienst ganz eingestellt (Feb 2012).
Paul berichtete, dass er manchmal von Mitarbeitern der Stadtverwaltung
bedroht wurde. Im Februar 2014 wurde er – zusammen mit Boni Gouda sowie Radiomitarbeitern von Arzèkè und Fraternité – gar der Diffamation bezichtigt, aber freigesprochen. Es ging um den Zusammensturz eines Hotels, deren
schlechte Bauausführung er und andere grogneurs, zu Recht, kritisiert hatten. Die Klage wurde abgewiesen, da diese Tatsache auch Behördenvertreter bestätigten. Paul hat keine Angst, weil sein Onkel als Staatsanwalt am örtlichen
Gericht in Parakou arbeitet, eine Tatsache, die vielen bekannt sei. Er ist Mit-
glied der Vereinigung der grogneurs in Parakou (amicale des faiseurs d‘opinion, siehe unten) und aktives Mitglied eines Vereins, der Radiosendungen rund um Fragen der Partnerschaft und Sexualität begleitet. Paul interveniert aber
nicht nur in Bezug auf lokale Probleme. Er erinnert oft an die Notwendigkeit
guter Regierungsführung durch den Bürgermeister der Stadt Parakou und die
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aktuelle Regierung Yayi. Manchmal wird er auch als Studiogast zu Program-
men von Radio Arzèkè FM eingeladen, um die Position der grogneurs darzustellen (März 2013).
HANDLUNGSMOTIVE DER GROGNEURS Nach meinen Untersuchungen teilen die meisten grogneurs eine Haltung der
Aufklärung und öffentlichen Meinungsbildung, kombiniert mit einem ‚starken ego‘ und dem Wunsch nach Anerkennung. Sie unterscheiden sich jedoch in Bezug auf die Themen, die sie bevorzugen, sowie ihre Gewohnheiten, mit
bestimmten Radiosendern zu interagieren. Zwar haben viele grogneurs Präferenzen für bestimmte Sender entwickelt, nutzen aber selten nur eine Sendung
für ihre Anrufe, sondern verschiedene Angebote, oft in unterschiedlichen Zeitfenstern, um sich über verschiedene Wege zu äußern. Einige von ihnen rufen auch bei anderen interaktiven Radiosendungen, z.B. solche, die um Fragen
der Partnerschaft kreisen (z.B. Dakouda, Koumagnon, siehe unten). In ande-
ren Fällen wenden sich Einzelpersonen an grogneurs, die zuvor schon vergeblich Sachverhalte bei Behörden vorgebracht haben. Viele grogneurs sind in erster Linie an der Übermittlung relevanter Informationen interessiert, wofür sie sich aufgrund ihrer beruflichen Stellung befähigt sehen.
Espérance Victoire Mahoussi lebt in Abomey Calavi und ist eine gut
ausgebildete Frau in den 1930ern Sie beendete ein Jurastudium und arbeitet derzeit als Honorarkraft für Kanzleien. Ihr Interesse gilt gesetzlich relevanten Angelegenheiten, wie die noch ungenügende Anwendung von Gesetzen zur Gleichstellung der Geschlechter oder im Bereich der Bildung. Darüber hinaus
ist sie an der Aufklärung von Problemfeldern interessiert. Vor kurzem erhielt
sie Informationen zu einem Wettbewerb um Stipendien, bei dem aber Kinder
von hochrangigen Beamten begünstigt wurden, und verurteilte diesen Sachverhalt im Namen einer Gruppe besorgter Eltern der Schüler in Abomey. Bei
allen ihren Interventionen prüft sie bewusst die rechtliche Dimension ihrer
Aussagen und versucht, eine direkte Nennung von Personen oder falschen Anschuldigungen zu vermeiden (Cotonou, März 2013)
Einige Grogneurs sind anderen Zuhörern auch aufgrund ihres Engagements in öffentlichen Angelegenheiten bekannt.
Georgette Akuesson ist Präsidentin des Vereins „Leben und Entwick-
lung“; eine Dame in ihren 50ern, und Mitarbeiterin der Gemeindeverwaltung.
V MEDIALE I NTERAKTIONEN | 307
Sie war immer sehr aktiv in öffentlichen Gremien, Nachbarschafts- und Frau-
enverbänden. Von ihrem Haus in Godomey, am Stadtrand von Cotonou, tele-
foniert sie regelmäßig mit verschiedenen Radiostationen, vor allem, wenn es um Probleme der Infrastruktur, den Markt oder professionelle Bedingungen von Frauen geht. Einmal fand bei ihr eine ungerechtfertigte Hausdurchsu-
chung mit unverhältnismäßigen Mitteln statt. Seitdem denunziert sie ähnliche Fälle von Machtmissbrauch durch Autoritäten. Ihr Haus ist ein Treffpunkt, wo regelmäßig Besucher, vor allem Frauen, vorbeischauen und sie
bitten, in grogne-Sendungen zu intervenieren, um die entsprechenden Anlie-
gen zu unterstützen. Georgette Akuesson nutzt einen Festnetzanschluss. Ein sehr langes Telefonkabel ermöglicht es ihr aber, sich in ihrer Wohnung ähnlich wie mit einem Mobiltelefon zu bewegen (Godomey, März 2013).
Vincent Fandji ist ein bekannter grogneur in Parakou. Er ist Maler, Kalligraph
und Händler für Ersatzteile, und betreibt sein Geschäft Arts Rodéo auf einer Hauptstraße in der Innenstadt von Parakou, gegenüber dem Gelände der katholischen Mission. Im Jahr 1974 kam die Familie von Vincent aus Ouidah
im südlichen Benin nach Parakou, denn zu dieser Zeit waren Handwerker in
der wachsenden Stadt Parakou gefragt. Er ruft insgesamt vier Radiostationen regelmäßig an, vorzugsweise aber Radio Arzèkè und Radio Fraternité in Pa-
rakou, denn diese sind, so argumentiert er, am zugänglichsten. Vincent hat zwei Handys, er nutzt immer beide bei der Einwahl mit der gleichen Nummer,
um wenigstens mit einem Gerät die Verbindung zum Radiosender zu erhalten. Er ist auch im Besitz eines Festnetzanschluss, da dieser in manchen Fällen
preiswertere Anrufe ermöglicht. Fandji ist mit anderen grogneurs in Parakou
wie z.B. dem Schildermaler André Tobossi (Arts Polydes) gut vernetzt, mit denen er sich oft abstimmt, um gemeinsam Probleme anzusprechen. Viele
Informationen erhält er von Motorradtaxifahrern, da er für sie die Beschriftung der amtlich vorgeschriebenen gelb-grünen Hemden übernimmt (Parakou, März 2013).
Wie oben erwähnt sind diese Sende-Formate und die grogneurs permanent Gegenstand lebendiger Debatten und Interventionen durch Medien-Behörden. Oft wird den Grogneurs, vor allem jenen im Raum Cotonou, vorgeworfen, korrupt zu sein und offen für Manipulation. Es liegt eine gewisse Wahrheit in diesem Ruf. Einige grogneurs nutzen in der Tat ihre Fähigkeiten und Positio-
nen, um Personen, darunter Politiker, auch im Auftrage anderer, unter Druck
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zu setzen, oder Informationen gegen finanzielle Vorteile öffentlich machen.
Viele grogneurs sehen diese Problematik auch selbst in kritischer Weise. Herman Meton z.B. räumt ein, dass er manchmal Spenden akzeptiert, argumen-
tiert aber, dass diese Vergütungen seine Kosten etwas ausgleichen würden, vor allem für Telefonate und Kraftstoff. Diejenigen grogneurs, die größere
Summen nehmen und einfach nur denunzieren, wären aber in der Minderheit (Cotonou, 10.03.2013).
In dieser Hinsicht ist der Händler Idrissou Liamidi Koumagnon in Coto-
nou, sicherlich ein extremer Fall. Er wird oft als negatives Beispiel einer miss-
bräuchlichen Nutzung dieser grogne-Sendungen genannt und für eine Art pro-
fessionelle Haltung gegenüber dieser Tätigkeit kritisiert. Er selbst vergleicht seine Tätigkeit mit der eines Rechtsanwalts, und teilweise eines Privatdetektivs. Es wird oft von Personen aufgesucht, die sich von anderen juristischen
oder außerjuristischen Wegen keine Hilfe versprechen. Oft sind es zivilrecht-
liche Auseinandersetzungen über Immobilien oder unbezahlte Rechnungen,
die nicht beigelegt werden konnten. In seinem Büro im Viertel Akpakpa, das
zugleich der Sitz seiner NRO REGLO+VIE ist, legt er Akten für die Untersu-
chung der Probleme seiner Kunden wie an. Dabei verwendet er das grogne Format mitunter als Druck-Mittel. Wenn eine Lösung, wie z.B. eine Kompen-
sationszahlung von der anderen Seite nicht akzeptiert wird, droht er damit, die entsprechenden Informationen in grogne-Sendungen offen anzusprechen. Koumagnon erhebt eine Art Vergütung im Falle des Erfolgs, ähnlich wie bei
einem Makler. Doch ist er auch bestrebt, seine grogneurs-Strategien zu perfektionieren und zudem die Kommunikationsflüsse in Cotonou auf seine Weise
abzuschöpfen. Am Ende des Jahres 2012 wurde Koumagnon aufgrund von Betrugsvorwürfen inhaftiert. Später berichtete er über die Umstände seiner Haft während einer Live-Diskussion von Radio FM Océan in Cotonou
(26.8.2012, Cartes Sur Table Sur Océan FM), und erklärte, dass die Anschuldigungen ungerechtfertigt waren und dazu dienen sollten, ihn einzuschüchtern (Cotonou, März 2013).
Adrien Ahodi, 70, ist sicherlich einer der prominentesten grogneurs im gesamten südlichen Benin, da er in der Regel mehrere Radiosender, selbst in
Parakou, die außerhalb seines Empfangsraumes liegen, anruft. Er ist gemein-
hin als Jules Agbodjeman bekannt, ein Pseudonym, das er wählte, um sich zu schützen. Er entwickelte seine Anruferleidenschaft 1992 mit Telefonaten mit
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Radio Bénin, zu einer Zeit, als derart kritische Interventionen – vor dem Me-
diengesetz von 1997 – weniger üblich waren. Seit der immer größeren Verbreitung dieser Sendeformate ab 1998 kann er sich einer besonders beeindruckenden Anzahl von Anruf-Interventionen auf Französisch sowie Fongbe rühmen. Ahodi war Staatsbeamter und hat in der sozialistischen Periode lange Zeit im Geheimdienst, im Ministerium des Innern gearbeitet, wo er für
die Aufrechterhaltung der Links zu INTERPOL und die Verwaltung von Fällen
der internationalen Zusammenarbeit verantwortlich war. Seine besondere Vorliebe für ‚Investigationen‘ über illegale sowie inoffizielle Angelegenheiten erklärt sein anhaltendes Interesse, Informationen zu sammeln und unbe-
kannte Fakten aufzudecken. Ahodi lebt 25km außerhalb von Cotonou in
Akassato, eine Tatsache, die ihn nicht hindert, eine Vielzahl von Informationen sowohl per Telefon als auch persönlich weiterzugeben (Cotonou, März 2013).
Andere grogneurs treten dagegen weit weniger in Erscheinung im Hinblick auf
Auseinandersetzungen mit Journalisten oder Behörden, wenngleich sie zumindest in ihrer Gemeinde bekannt sind.
Ein sehr aktiver grogneur und Anrufer mehrerer interaktiver Radio-Shows
im Allgemeinen ist Lasisi Dhyne, aka One-Two, eine junger Rollstuhlfahrer
in Natitingou. Er ist öffentlich sehr gut bekannt, auch aufgrund der Tatsache, dass er als Reifenvulkanisierer in einer Werkstatt mitten in der Stadt neben
der Hauptstraße arbeitet. Viele Stadtbewohner schätzen ihn als eine sanfte, aufgeschlossene Person, die seine Meinung in einer durchdachten Weise äußert. Er nutzt am häufigsten Dendi und Yoruba (seine Muttersprache), aber auch Französisch. Sein Ruf brachte ihm im März 2013 eine Einladung zu einem Bürgerrechts-Seminar in Cotonou ein. Lasisi ist eine der zentralen Perso-
nen eines kleinen Kreises von Handwerkern im Stadtkern von Natitingou, die diese besondere Vorliebe für Anrufe in Radiostationen teilen, ihre Meinungen austauschen und gegenseitig ihre Anrufe kommentieren.
Unter ihnen ist auch Soulemane, ein Schweißer und häufiger Anrufer bei
Radio Nanto. Er beteiligt sich fast jeden Tag an grogne-Sendungen in Dendi und in Französisch. Am Anfang, vor einigen Jahren, war er ein bisschen ängst-
lich, räumt er ein, und nicht sicher bezüglich der möglichen Reaktionen von
Behörden auf kritische Interventionen. Inzwischen hat er keine Probleme mehr, seine Anliegen zu äußern (jeweils März 2013).
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Die grogneurs in Natitingou weisen nicht den gleichen Organisatiosngrad wie
jene z.B. in Parakou auf, viele von ihnen sind aber gesellschaftlich aktiv, z.B. der Fotograf und leidenschaftliche Anrufer René Leha, der Vorsitzender des
Vereins der Fotografen in der Stadt ist, oder der Schneider Ibrahim Ouorou, derzeit Chef des Stadtviertels Santa (jeweils Natitingou, März 2014).
Christine Obligada ruft gern in grogne-Shows in Ditammari, ihrer Mut-
tersprache an, die Nanto FM anbietet. Sie ist in erster Linie an Problemen der
Region um Perma, wo die meisten ihrer Verwandten leben, interessiert (Natitingou, März 2013).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die engagierten grogneurs eine Reihe von Merkmalen teilen. Dazu gehören ein starkes Interesse an gesellschaftli-
chen Angelegenheiten, eine bestimmte Vorliebe für öffentliche Interventio-
nen und der Wunsch nach Anerkennung. Auch die Leidenschaft, als Vieltele-
fonierer Radiostationen anzurufen (und zu hören) teilen die meisten von ihnen; ebenso wie die Fähigkeit, ein Netzwerk von Informanten, Freunden
und Verwandten zu nutzen. Grogneurs können jedoch nicht einer einzigen Kategorie zugeordnet werden. Einige von ihnen nutzen bewusst ihre Fähigkeiten
aus, um – aus wie auch immer gelagerten Motiven – Behörden oder Individuen unter Druck zu setzen. „Es gibt grogneurs, die Geld nehmen, um den Ruf
Anderer zu schädigen. Ein grogneur darf Geschenke erhalten, um seine Aus-
gaben für das Telefonieren zu begleichen, sich aber nicht benutzen lassen“ (Hermann Meton, Cotonou, März 2013).
Einige grogneurs können im Hinblick auf die Weiterentwicklung ihrer Stra-
tegien (die im gewissem Umfang auch einkommensrelevant werden), in der
Tat als „Profis" (Otchoun 2005) bezeichnet werden, andere eher als Künstler
oder (Kurz-) Geschichtenerzähler. Die meisten grogneurs fühlen sich einfach nur herausgefordert, Informationen aus dem Feld ihrer persönlichen Kompe-
tenz oder Erfahrung allgemein zugänglich zu machen. Viele sehen sich als Helfer von Journalisten, andere als Mittler im Auftrage jener, die ihren Namen nicht nennen können. Im Allgemeinen agieren sie auf der Basis einer
ambivalenten Position zwischen öffentlicher Anerkennung und kritischem Argwohn, zwischen Aufklärung und Missbrauch. Ihre Aktivitäten sollten aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden, um eine zu vereinfachende normative Bewertung zu vermeiden.
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STRATEGISCHE BÜNDE Die meisten grogneurs, die in der gleichen Region aktiv sind, kennen einander, zumindest virtuell, aber oft auch persönlich und treffen einander von Zeit zu Zeit. Sie tauschen Informationen, insbesondere zu Fragen des Selbstschutzes
gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen aus. Zudem bewerten sie die Äußerungen anderer grogneurs.
Sowohl in Parakou und Cotonou sind engagierte grogneurs in Vereinigun-
gen organisiert. Hier geht es in erster Linie darum, den gegenseitigen Aus-
tausch und den Zusammenhalt der grogneurs zu fördern. Der Verein amicale
des faiseurs d'opinion (AFOP) wurde z.B. im Jahre 2011 in Parakou gegründet und hat derzeit 23 Mitglieder. Präsident ist derzeit Boni Gouda, in seinem Hauptberuf Techniker bei der öffentlichen Wasserbehörde Service hydrauli-
que. Paul Dakouda ist der Sekretär des Vereins. Mit ihrer wachsenden Bedeutung wurde der Verein eine Institution der Selbstverteidigung der grogneurs.
Er soll den Mitgliedern und anderen grogneurs (Gouda schätzt ihre Zahl in Parakou auf 100) helfen, mehr über die rechtlichen Aspekte ihres Handelns zu erfahren, vor allem im Hinblick auf die Möglichkeiten und Grenzen ihrer
Meinungsäußerungen. So können sie sich wappnen und darüber verständigen, was Behörden ihnen eigentlich rechtlich gesehen vorwerfen könnten und
was nicht.191 Darüber hinaus können sie auch gemeinsam handeln, wenn es um kritische Fragen in der Gesellschaft geht. In August 2013 prangerten Mitglieder der Amicale den Stopp der geplanten städtischen Baumaßnahmen so-
wie das Verschwenden öffentlicher Gelder für nie fertiggestellte Bau-Projekte
(éléphants blancs) in Parakou an. Paul agierte als Sprecher und leitete eine Presseerklärung weiter, die von vielen Medien, darunter Zeitungen (Ayédèguè 2013) veröffentlicht wurde.
In Cotonou bestand zetiweise (2010-2011) einmal ein collectif des faiseurs d'opinion. Verschiedene grogneurs beschlossen dann aber, eine andere Strategie zu verfolgen. Die Aufrechterhaltung ihrer informellen Verbindun-
gen und Netzwerke – einige von ihnen treffen sich regelmäßig, entweder beim
191 Der Verein hat noch kein ständiges Büro, aber hofft auf Unterstützung durch die Zivilgesellschaft in Benin. Die Mitglieder des Vereins unterstreichen die Tatsache, dass sie Notebooks sowie den Zugang zum Internet benötigen, um Mitteilungen zu veröffentlichen und besser recherchieren zu können (Parakou, März 2013).
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überaus aktiven grogneur Herman Meton, einem Händler, oder an halböffent-
lichen Orten wie dem Seminarzentrum CODIAM – wollten sie bewahren und nicht gesondert formalisieren. So schlossen sie sich einem bestehenden Ver-
braucherschutzverein an (Association pour la Défense des consommateurs,
ADECO). Hier nimmt Ahodi die Rolle eines secrétaire ein. Der Vorteil der Mitarbeit in dieser Vereinigung besteht in der Tatsache, dass diese bereits be-
kannt, etabliert und bei den meisten Behörden akzeptiert wird, sowie Kon-
takte zu anderen NRO unterhält. Sie wird von ihr nahestehenden Anwälten beraten. Der erfahrene grogneur El-Hadj Ramanou Gbadamassi, Händler aus Calavi, ist wiederum Vorsitzer der Association des Fidèles Amis et Sympathi-
sants du Groupe de Presse la Gazette du Golfe, ebenfalls, um die Rechte der grogneurs gegenüber den Medienbehörden zu stärken (Cotonou, März 2014). AUFRUFERPRAXEN ZWISCHEN BÜRGERJOURNALISMUS UND SELBSTTECHNIKEN Heute stellen Call-In-Shows dieser Art einen Teil des Programmangebots von
fast allen Radiostationen in Benin dar. Sie werden durch den Boom der Mobiltelefone gefördert. Es handelt sich generell um ein erfolgreiches Genre in
Afrika, wie Berichte aus Ghana – wo anscheinend diese Shows zuerst entwi-
ckelt wurden (Shipley 2009; Tettey 2011) – sowie aus Kenia (Ogola 2010; Odhiambo 2011), Mali (Schulz 1999b), Südafrika (Hungbo 2008, 2011; Bosch
2010), Uganda (Brisset 2009, 2011; Vokes 2007a, 2007b) und anderen Län-
dern zeigen.192 Grogneurs nutzen kreative Medientaktiken (Certeau 2007;
Hörning 2001; Joas 2002) in der Aneignung von Medientechnologien, um in öffentlichen Räumen zu agieren.
Vergleicht man die verschiedenen Einstellungen und Karrieren der inter-
viewten grogneurs, werden sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede deut-
lich. Einige grogneurs wie Paul Dakouda sehen sich selbst als Mittler, und wollen diffuse, zerstreute Informationen einem großen Auditorium zur
Verfügung stellen. Viele Vieltelefonierer empfinden eine besondere Befriedigung, von anderen gehört zu werden, Aufmerksamkeit zu erlangen und sich
mittels einer Art Selbst-Technik (Michaud 2000) auszudrücken. Andere grogneurs scheinen schließlich eine Art Berufung zur Erleuchtung anderer zu ent-
192 Es bestehen jedoch regionale Besonderheiten; z.B. sind in der DR Kongo Anrufersendungen Teil der TV-Programme urbaner Sender (Pype 2011).
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wickeln, die manchmal sogar in eine Manie umschlägt. Die individuelle In-
tensität der Teilnahme an solchen Call-In-Shows hängt auch von den persönlichen Voraussetzungen und Verpflichtungen ab, die sich natürlich im Lebensverlauf ändern kann.
Christophe Gomez ist in Natitingou, gemeinhin als „Papa Serviette“ be-
kannt. Er erhielt seinen Spitznamen aufgrund seiner Gewohnheit, permanent ein Handtuch um den Hals zu tragen. Besonders in den ersten Jahren nach
der Pensionierung war er ein sehr aktiver Grogneur. Radiohören wurde zu seinem Hobby. Er rief oft bei Radio Parakou an, um über die aktuellen Probleme in seiner Stadt zu berichten, „denn sonst würden sie denken, dass es
keine Probleme gibt, denn niemand berichtet ihnen darüber“. Die Frequenz seiner Anrufe ist inzwischen aber sehr zurückgegangen. Grund dafür ist die Installation einer Dieselmotor-Mühle auf seinem Gelände, mit deren Einnah-
men er seine magere Rente ergänzt. Der Betrieb und die Reparatur der Mühle sowie das Empfangen von Kunden nimmt viel Zeit in Anspruch, sodass er nur
gelegentlich in den späten Abend-Sendungen anruft. Er erklärte diese lang-
same Veränderung mit der Tatsache, dass er zuvor immer preiswert vom Festnetztelefon aus seinem Wohnzimmer anrief, aber nun oft draußen bei der Mühle sein muss, die obendrein viel Lärm erzeugt (Natitingou, Februar2011, März 2013).
Grogneurs nutzen diverse Strategien, um mit ihren Anrufen bei den Sendern
durchzukommen. Die meisten von ihnen machen von mehreren Mobiltelefo-
nen gleichzeitig Gebrauch, oder sind geschickt in der Nutzung von FestnetzVerbindungen mit schnellen re-dial-Systemen. Festnetz-Verbindungen spielen eine wichtige Rolle für diejenigen, die sie z.B. von einem Büro aus nutzen können, oder bereits über einen solchen Festnetzanschluss aus einer Zeit vor
dem Handy-Boom verfügen. Hier verfügen jene Hörer, die aufgrund ihres Berufes oder eines speziellen Privilegs z. B. bei der Arbeit oder in den Ruhestand
von Benin Télécom über große Vorteile. Letztere können von kostenlosen An-
rufen oder Ermäßigungen profitieren. Die meisten anderen Anrufer nutzen Prepaid Handys oder das Zékédé-System (Prepaid-Handy in der Form eines Standard-Telefon-Sets).
Viele grogneurs nutzen schriftliche Aufzeichnungen, um ihre Anrufe effek-
tiver zu gestalten. Dies ist z.B. die Gewohnheit von Paul Dakouda, der ein sehr detailliertes Tagebuch all seiner Interventionen führt. Der große Vorteil
für ihn, erklärt er, ist in erster Linie Zeit-Management: eine optimale Nutzung
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seiner kurzen Zeit auf dem Sender, um ein oder zwei Themen anzusprechen. Ein wichtiger Nebeneffekt ist auch eine Dokumentation der tatsächlichen In-
halte der Anrufe, wenn ungerechtfertigte Anschuldigungen von den Behörden vorgebracht werden. Auch der grogneur Herman Meton hat seit acht Jahren
alle Äußerungen genau notiert und in seinem Büro archiviert (Cotonou, März 2013).
RISIKEN UND GEFAHREN Grogneurs werden von vielen Hörern wertgeschätzt, aber von anderen kritisiert, weil einige (wenige) von ihnen mitunter falsche Informationen geben,
u.U. Meinungen manipulieren oder gar ihren öffentlichen Einfluss missbrauchen. Die Regierung nimmt jedoch oft die wenigen problematischen Fälle
zum Anlass, dieses Sendeformat zu kritisieren oder seine Abschaffung zu fordern. Im Verhältnis zur Regierung erwähnten die meisten grogneurs, dass im
Zeitraum zwischen 1998 und 2006, also noch während der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Mathieu Kérékous, grogneurs selten das Ziel von Unter-
suchungen wurden und Journalisten offener gegenüber grogneurs-Anrufen
waren. Es war vor allem die HAAC, die aktiv mutmaßlichen Fällen von Betrug nachging. Seit 2007 übt die Regierung Boni aber mehr Druck auf die Medien
im Allgemeinen aus und verfolgt aktiv angebliche Verleumdungen. Die meis-
ten Radiostationen unterzeichneten, wie im Abschnitt I,3 erwähnt wurde, ein Abkommen mit der Regierung, das kritische Äußerungen (gegen eine nachhaltige finanzielle Unterstützung) ausschloss. Journalisten fürchten den Aus-
schluss von lukrativen Verträgen, und versuchen, Kritik an der Regierung auch durch grogneurs zu vermeiden. Daher sind manche Anrufe bei Golfe und Radio Bénin voraufgezeichnet und werden erst am nächsten Tag ausgestrahlt.
In einigen Fällen waren grogneurs Gegenstand von Anklagen und sogar
Gerichtsverfahren. Ahodi z.B. war in mehrere Gerichtsverfahren involviert,
bei denen ihm Fehlinformation oder Verleumdung aufgrund bestimmter An-
rufe vorgeworfen wurde (z.B. im Oktober 2010; vgl. Bidossessi 2010). Seinen Angaben zufolge hat er alle Verfahren gewonnen. Ihm wurde zudem, auf der
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Grundlage des Hausrechts, das Anrufen bei Golfe FM verboten, da er die Jour-
nalisten des Senders der Manipulation bezichtigt hatte. Umgekehrt war er selbst einmal Kläger. 193
Um ungerechtfertigte Anschuldigungen zu vermeiden, versuchen viele
grogneurs, nicht nur ihre konkreten Äußerungen schriftlich festzuhalten, son-
dern auch mit Dokumenten, die sie von Freunden oder Informanten bekommen, zu belegen.
Paul Dakouda wurde im März 2011 einmal als Studiogast in die Sendung
diagnostique von Radio Arzèkè eingeladen, um aktuelle kommunale Angele-
genheiten zusammen mit Gemeinderäten zu diskutieren (22.9.2010). Hier bestand er auf die Tatsache, dass einige Infrastrukturen in Parakou geplant und
bereits finanziert, aber nicht oder noch nicht vollständig vollendet wurden, wie die Elektrifizierung der Straßen in neuen Vierteln der Stadt wie Bani-
kanni. Die von Donatien Djegle moderierte Diskussion verlief kontrovers, aber
Paul erwähnte, dass er Dokumente besitzt, die die Berichte stützen würden. Später erklärte er, dass sein Onkel als Staatsanwalt bei Gericht in Parakou
arbeitet, wo er oft Zugang zu solchen Dokumenten hat. In der Debatte beklagte er sich nicht nur über lange Abwesenheiten (der Geschäftsführer der
Mairie war ohne Vertretung drei Jahre lange zur Fortbildung), sondern auch über das unzureichende Bildungsniveau einiger städtischer Angestellter, die somit bei Aufgaben der infrastrukturellen Entwicklung überfordert wären.
In Benin genießen grogneurs also einen zwiespältigen Ruf. Auf der einen Seite loben sowohl Zuhörer und Behörden ihren Beitrag für die wachsende Offen-
heit der Medien und die Artikulation gesellschaftlicher Probleme in der Öffentlichkeit, „die für den Fortschritt der Gesellschaft bedeutend sind" (Abge-
ordneter und ehemaliger Minister Lazare Sehouéto; erwähnt in Otchoun 2005). Doch auf der anderen Seite werden sie auch für das Zirkulieren falscher oder unrichtiger Angaben beschuldigt und dafür kritisiert, dass sie
manchmal von verschiedenen Leuten auch in rein privaten Konflikten benutzt werden und finanzielle Vorteile annehmen.
Diese öffentliche Wahrnehmung spiegelt tatsächliche Widersprüche der
Aktivitäten einiger grogneurs wider. Sie wird den meisten der grogneurs sicher
193 Ahodi klagte vor dem Verfassungsgericht gegen die Nominierung einer Person der Wahlkommission im Jahre 2011 aufgrund „falscher Diplôme“ (eine Klage, die aus formalen Gründen abgelehnt wurde).
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aber nicht gerecht. Grogneurs können deshalb nicht einfach unter normativ verzerrten Schlagwörtern wie „demokratische Partizipation“ versus „Missbrauch öffentlicher Medien“ subsumiert werden. All diese Aspekte sind potentielle Bestandteile ihrer Praktiken, die jedoch von Person zu Person sowie
regional sehr variieren. Jenseits einer solchen Bewertung „positiver“ versus „negativer“ Aspekte ihrer Aktivitäten194 sollten jedoch die Auswirkungen des
grogne-Formats auf gegenwärtige Formen der Informationsverbreitung und sich verändernde kommunikative Praktiken insbesondere in städtischen Gebieten in Benin ins Blickfeld rücken.
GROGNEURS UND KOMMUNIKATIONSFLÜSSE IN STÄDTISCHEN KONTEXTEN Woher gewinnen grogneurs ihre Informationen? Zunächst einmal ist anzumer-
ken, dass die meisten grogneurs besonders aufgeschlossene Menschen sind, die kritisch das öffentliche Leben begleiten. Die meisten von ihnen können zudem
auf besondere Kenntnisse entweder durch ihre Ausbildung (z.B. Studium der
Rechtswissenschaften), ihren beruflichen Hintergrund (z.B. Geheimdienst) oder Position in einer bestimmten NRO, Verein oder Behörde zurückgreifen,
oder persönliche Beziehungen zu Menschen mit solchen Positionen nutzen. Ich habe bereits das Beispiel von Paul Dakouda erwähnt, der von seinem Onkel, dem Staatsanwalt unterstützt wird, um die Bedeutung von relevanten und verlässlichen Quellen für viele grogneurs zu unterstreichen.
Beziehungen zu einer Vielzahl von potentiellen Informanten (oft kennt-
nisreiche Mitarbeiter in Verwaltungseinrichtungen oder Firmen, die mit Ent-
scheidungen der Leitung nicht einverstanden sind, aber sich nicht selbst ex-
ponieren wollen), whistleblowers bzw. (zu schützenden) Quellen sind für grogneurs eine Notwendigkeit. Die meisten Kenntnisse der grogneurs über sensible Fakten stammen eben nicht von offiziellen Medien, sondern aus münd-
lichen Quellen. Grogneurs erhalten zudem Informationen entweder per Tele-
fon, da ihre Telefonnummern oft weitergereicht werden, per SMS, per Brief, über Mittler, oder sie werden einfach zuhause oder an ihrem Arbeitsplatz
kontaktiert. Manche Informationen basieren zunächst auf Gerüchten, die im halböffentlichen Raum kursieren, und müssen verifiziert werden.
194 Der ultimative Wahrheitsgehalt der Informationen einzelner grogneurs ist, wenn keine anderen Quellen verfügbar sind, für Außenstehende aber schwer zu evaluieren.
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Adam Bachirou, 35, ist ein bekannter grogneur in Parakou. Er stammt
ursprünglich aus Savè, lebt aber seit 20 Jahren in Parakou und arbeitet als Motorrad-Mechaniker. Er ist verheiratet und hat 5 Kinder. Er ruft meist bei
Radio Arzèkè Parakou an, weil sie „nahe bei den Zuhörern sind". Die meisten der Themen, die er während seiner Interventionen anspricht, betreffen Probleme der kommunalen Infrastrukturen oder Immobilienfragen. Er ist vielen
Zuhörer auch als Person aufgrund seiner Sichtbarkeit in einer Open-Air-Werkstatt im Zentrum Parakous bekannt. Er betont, dass er immer versucht, alle Informationen genau zu überprüfen. Außerdem liebt er es, in der Stadt her-
umzufahren, vor allem an Sonntagen, um Neuigkeiten zu erfahren. Als der
Präsident Benins einmal in Parakou weilte, wurde er eingeladen, diesen zu besuchen. Zuerst hatte er Angst vor juristischen Konsequenzen, aber in die-
sem Fall begrüßte der Präsident (der seine Meinung allerdings ändern kann...) seine Handlungen und ermutigte ihn, damit fortzufahren.“ (Parakou, März 2013)
Der letztgenannte Aspekt, diese direkten informellen Kontakte zu Mitbürger im öffentlichen Raum, sind sicher die wichtigsten Informationsquellen der grogneurs. Gerade ihre Relevanz ist aber innerhalb des empirischen Rahmens dieser Studie nur schwer zu beurteilen, da hier Vertrauen, Anonymität und
versteckte Interaktionen den Zugang erschweren. Viele grogneurs bevorzugen, ihre Schlüssel-Informanten nicht in der Öffentlichkeit zu nennen; auch, um
letztere zu schützen und den privaten Rahmen dieser Kontakte zu bewahren. Andere hingegen nutzen mehr oder weniger öffentliche Plätze der Begegnung,
wie ihren Arbeitsplatz (z.B. Adam Bachirou),195 wenn sie nicht von anderen Informationsquellen profitieren können.
Einige grogneurs besuchen gern die Treffpunkte der Motor-Taxifahrer, wo
jede Art von Informationen, einschließlich von Gerüchten, ausgetauscht wer-
den. Motor-Taxi-Fahrer kontaktieren aber auch selbst oft grogneurs. Es gibt
jedoch viele weitere Möglichkeiten der Zirkulation, bei denen Informationen
195 Viele grogneurs nutzen Informationen von Personen mit besonderen Positionen in urbanen Informationsflüssen. Einer von ihnen ist der bereits erwähnte Schuster Gado, aka „Papa ou sont-ils“ mit seinem Stand am zentralen Kreisverkehr im Herzen von Natitingou. Viele Menschen in Natitingou kennen ihn, schauen vorbei, plaudern mit ihm, um Informationen und Klatsch aus der Stadt zu erfahren, aber auch, um Neuigkeiten weiterzugeben.
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in städtischen Kontexten ausgetauscht werden. Ein grogneur kann Informationen von jemandem, der wiederum von jemand anderem kontaktiert wurde,
erhalten, die diese Informationen z.B. per SMS eines Freundes bekam. Oder ein grogneur erhält z.B. einen Hinweis beim Tanken in seiner Nachbarschaft,
beim Gottesdienst oder während einer Beerdigung eines Verwandten, der gerade an einer Sitzung einer lokalen Vereinigung oder einem Gottesdienst am Tag zuvor teilnahm. Die meisten grogneurs, sowohl die ‚ernsten‘ und mehr ‚skandalisierenden‘ Typen, versuchen, in der einen oder der anderen Art und Weise die gegebenen Informationen zu überprüfen, indem sie andere befragen, telefonieren oder relevante Dokumente erbitten.
Diese Haltung erinnert generell an eine, die normalerweise von Journa-
listen erwartet wird. Auch typische Redewendungen bei ihren Meldungen wie
„ich rufe gerade vom Sitz dieser Behörde an“ oder „entsprechend meinen Nachforschungen (investigations)“ erinnern, wie Assogba bemerkt, an journalistische Rhetoriken (2012: 98). Andere imitieren Redestile von Politikern wie
Yayi oder Kérékou (z.B. Nestor Awonomadégbé, Cotonou; Maurice Kegnidé,
Parakou). Generell spielen grogneurs aber gern mit ihren Identitäten und stel-
len sich mal als Sprecher des Volkes, mal als aufgeklärte Bürger, mal als eine Art Pressesprecher vor (op.cit: 100).
Viele grongneurs äußerten, dass sie sich vorweigend auf ihren eigenen Ein-
druck verlassen. „Ich spreche ja von etwas, was ich auch selbst bemerkt habe“
betont René Leha, grogneur in Natiitingou (März 2013). Nicht wenige grogneurs können aus Zeitmangel im Alltag aber nicht jeden Inhalt ihrer Wortmel-
dungen exakt überprüfen. Sie wissen aber meist, welchen Informanten sie vertrauen können. Diejenigen grogneurs, die ihr Interesse in erster Linie auf
den Druck gegenüber Einzelpersonen richten oder manipulierbar sind, sindam Wahrheitsgehalt der gehandelten Informationen jedoch oft weniger
interessiert. Diese extremen Fälle beschädigen sicherlich das öffentliche Bild der grogneurs und führen dazu, dass einige Behörden, die möglicherweise berechtigt in der Kritik stehen oder den Zugang zu offiziellen Quellen von In-
formationen gezielt blockieren, sie gern verunglimpfen. Einige Politiker ver-
suchen gar, proaktiv Strategien zu entwickeln, indem sie anderen grogneurs
Gegeninformationen übermitteln, oder kritische grogneurs direkt besuchen oder anrufen, um Druck zu erzeugen (berichtet von H. Meton, März 2013, der
u.a. von Lehady Soglo, erster Stellvertreter des Bürgermeisters von Cotonou und hochrangiger Politiker, angerufen wurde), oder Rechtsmittel einsetzen.
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Boni Gouda ist einer der prominentesten grogneurs in Parakou und Präsident
des Vereins der grogneurs in Parakou (siehe unten). Er ist Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Neben Angelegenheiten in Parakou und Umgebung be-
wegen ihn Fragen der Entwicklung seines Heimatortes Kalalé. Gouda nutzt ein Netzwerk von Freunden und Verwandten, um wichtige Informationen zu erhalten. Er unterhält starke Verbindungen in seine Heimatregion rund um
Kalalé (im Nordosten von Parakou). Fast jeden Tag erhält er Anrufe von Freunden und Verwandten aus dieser Region. Jedes zweite Wochenende fährt er nach Kalalé. Informationen über wichtige Ereignisse oder Probleme in oder
um dieses Dorf herum finden rasch ihren Weg zu Boni Gouda, der damit einen Vorteil gegenüber den meisten Journalisten besitzt, die nicht von solchen Ver-
bindungen profitieren und in der Regel nicht viel reisen können, und daher
relevante Informationen erst lange nach ihm erhalten. Ein Beispiel: Im Februar 2013 verließ ein aufgeschreckter Elefant eine geschützte Zone und drang
in Dörfer in der Region um Kalalé ein. Das Tier verursachte den Tod von drei Personen. Ein Verwandter aus Kalalé rief Gouda an und bat ihn, eine Warnung an diejenigen zu geben, die nicht mit diesen Tatsachen vertraut waren.
Anschließend wandte sich Gouda an den Kreisverantwortlichen (chef d‘ar-
rondissement, CA) von Kalalé, um mehr Details zu erhalten und bat ihn, den
Fall aufzuklären. Am nächsten Morgen, am 5. Februar 2013, rief Gouda während grogne-Sendungen über Radio Arzèkè sowie Radio Fraternité FM an und
erzählte von den Ereignissen. Er übermittelte dabei auch seine eigene und die Telefonnummer des CA. In den folgenden Tagen erhielt er weitere Informationen und konnte die Waldschutzbrigade mobilisieren, die entschied, das in-
zwischen stark verletzte Tier zu töten. Eine Woche später, am 17. Februar 2013, berichtete Gouda bei einem seiner üblichen Anrufe bei Radio Arzèkè
über den Abschluss des Falles, nachdem er von Bekannten vor Ort ein Foto vom Tierkadaver auf seinem Handy empfangen hatte.
Ein weiteres Ereignis war die jüngste Entdeckung von Halbedelsteinen in
der Nähe Kalalé, und die Tatsache, dass Migranten aus Burkina und Niger die Lagerstätten ohne Zustimmung der Bergbau-Behörden in Benin auszubeuten
begannen. Einige Leute aus dieser Region, die für einen Markt-Besuch nach Parakou fuhren, übermittelten ihm mündlich viele Details und übergaben ihm
einige der Steine, so dass der Bergbau-Dienst den Wahrheitsgehalt dieses Be-
richts überprüfen konnte. Bei einer anderen Gelegenheit half Gouda, ein verlorenes Kind durch die Verbreitung der Nachricht in einer Anrufersendung zu finden (Parakou, März 2013).
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JOURNALISTEN, POLITIKER UND GROGNEURS Grogneurs sind somit oft kommunikative Intermediäre. Generell sind sie oft
enger mit lokalen Ereignissen und Themen vertraut als Journalisten; in erster
Linie aufgrund der Tatsache, dass letztere in die Büro- bzw. Stationsarbeit involviert sind und nur über begrenzte Zeit und materielle Ressourcen verfü-
gen, um zu recherchieren. Sie profitieren natürlich ebenfalls von ihrem jeweiligen Netzwerk, von Informanten, Freunden und anderen Journalisten, sind
aber immer begierig, Neuigkeiten zu erfahren, bevor grogneurs diese öffentlich machen, um diese dann selbst nutzen zu können. Gerade für diese Vorabinformationen müssen sie natürlich auch entsprechend einer minimalen Reziprozität auf die grogneurs zugehen, und ihrerseits Wissen preisgeben.
Zu diesem Zweck unterhält der Journalist und Chefredakteur von Radio
Arzèkè, Donatien Djegle, enge Kontakte zu Paul Dakouda. Donatien besucht Paul, wenn möglich, an seinem Arbeitsplatz oder lädt Paul zu Besuchen in der Radiostation ein. Sehr oft sah ich beide Personen am späten Abend oder
in der Nacht, meist vor der Radiostation auf ihren Motorrädern oder in einer buvette und sich austauschend. Donatien fragt oft Paul, was er von bestimmten
Gerüchten hält. In manchen Fällen informiert Paul wiederum Donatien vorab von seinen für den nächsten Morgen geplanten Meinungsäußerungen, sodass dieser vorbereit ist (Parakou, Februar 2012, März 2013).
Mitunter wünschen grogneurs explizit, dass Radiomitarbeiter zu den von ihnen
aufgeworfenen Themen und Problemen weiter recherchieren. Dies geschieht im Falle des Radios Arzèkè in Parakou fast täglich. Nach der werktäglichen
grogne-Sendung (hier: osons le dire, derzeit moderiert von Toni Aubin) und den Nachrichten folgt zunächst eine Kommentarrunde der Journalisten (le débat), und später eine Redaktionssitzung, auf der beraten wird, ob es sich lohnt, einem Thema sofort nachzugehen und dieses dann für eine der nachfolgenden Sendungen nutzbar zu machen. „Wir müssen nur darauf achten, Fakten von Meinungen zu trennen.“ (Donatien, März 2013)
Oft werden aber schon in den Mittagsnachrichten um 13 Uhr kritische
Aussagen von grogneurs vom Morgen jenen von Verantwortlichen z.B. der Stadtverwaltung gegenübergestellt, die bestimmte Probleme zumindest in ih-
ren Ursachen erklären. In einigen Fällen waren es von grogneurs aufgeworfene Themen, die auch Grundlage für politische Diskussionssendungen (diagnostique) der Radiostation Arzèkè wurden.
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In manchen Fällen erzeugen Anrufe der grogneurs Anlässe für Zeitungsbe-
richte, vor allem im Raum Cotonou. Im Januar 2010 veröffentlichte die Zeit-
schrift LA PRESSE DU JOUR beispielsweise einige kritische Äußerungen (un-
benannter) grogneurs einer morgendlichen grogne Sendung. Es handelt sich um zwei von der Regierung ins Leben gerufene, aber unvollendete Projekte,
eines im Straßenbau und ein anderes im Küstenschutz (Anonrin 2010). Der Journalist Affissou Anonrin fügte ergänzende Informationen zu den Kosten
und Schwierigkeiten des Projekts hinzu. Basierend auf inoffiziellen Quellen („des sources proches du pouvoir“; de facto ein Informant in einem Ministerium)
erwähnt der Autor des Artikels, dass einer der Gründe für die Nicht-Förderung
der Sicherungseinrichtungen durch die Tatsache bedingt wäre, dass der BauFonds OPEP nicht ausreichte. Ursache hierfür wären ausgereichte, aber nicht zurückgezahlte Darlehen sowie Unterschlagungen durch den Subunterneh-
mer Groupe Bethsalel Building. Anonrin stützte sich für seinen Artikel zunächst auf Informationen der grogneurs, die er aber dann mit weiteren Untersuchungen ergänzte (Cotonou, Oktober 2010, März 2013).
In einigen Fällen nutzten Radiomitarbeiter solche Informationen kumulativ,
um größere Reportagesendungen zu gestalten, in der Informationen der grogneurs mit eigenen Recherchen und Daten verknüpft wurden.196 In anderen Fällen versuchen die Journalisten, diese Informationen zunächst zurückzuhalten, um diese zu einem geeigneteren Zeitpunkt zu veröffentlichen.
Thomas Hemadjé ist einer der beliebtesten Moderatoren und Journalis-
ten des privaten Senders Radio CAPP FM in Cotonou (Biographie vgl. Abschnitt II,4). Hier präsentiert er vor allem die Nachrichten und Unterhaltungs-
shows in Gungbé, einer Sprache, die in den östlichen Vierteln von Cotonou
und der Region östlich von Cotonou bis Porto-Novo weit verbreitet ist. Thomas berichtet, dass er ein informelles Netzwerk von Informanten unter-
hält, zu denen viele grogneurs gehören, aber auch Händler, Ladenbesitzer,
Markt-Frauen und Mitarbeiter von Krankenhäusern und Schulen. Diese Men-
schen würden ihm wiederum den Zugang zu inoffiziellen Informationen ermöglichen, die oft nicht oder unvollständig den Journalisten bekannt sind. In
vielen seiner Nachrichten-Sektionen sowie in Gesprächen mit Anrufern in
196 So produzierte Gaston Yamaro von Radio Arzèkè in Parakou nach Hinweisen von grogneurs seine oben erwähnte preisgekrönte Reportage über die Verschmutzung des Trinkwassers in Parakou.
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Gungbé kann er somit mehr Informationen als üblich geben. Als Beispiel nannte er einen aktuellen Fall von Banditen, die später von der Polizei ver-
haftet wurden.197 Er besaß viele Informationen über die Umstände ihrer Verbrechen, die Art und Weise, in der diese ihr geraubtes Geld offenbar schon
bald ausgegeben hatten sowie Informationen über diejenigen, die ihnen geholfen hatten. Thomas fügt hinzu, dass Polizisten ihn immer gern befragen würden, um auf diese Informationen zugreifen zu können.
Er zieht es aber vor, diesen nur einige Hinweise zu geben, um sein Netz-
werk zu schützen und dann selbst größere, sozusagen exklusive Berichte in
seinem – daher auch vielgehörten – Programm geben zu können. Viele seiner Informanten sind grogneurs, mit denen er aber oft vereinbart, nicht all ihr Wissen in Anrufen direkt on air zu offenbaren, sondern nur persönlich an ihn
zu übermitteln, um selbst dieses Wissen nutzen zu können. Im Gegenzug hilft er oft diesen grogneurs, übermittelt ihnen Informationen, die er selbst nicht in
Sendungen verarbeiten möchte, die grogneurs aber, angereichert mit eigenen Informationen, in Anrufen nutzen können (Cotonou, März 2013).
Mitunter wird aber auf Journalisten von Behörden Druck ausgeübt, um so
eine zu große Beteiligung von Anrufern bei heiklen und kontroversen Themen oder bei der Einladung von illustren Studiogästen zu vermeiden.
Berepa Tchinouka ist Grundschullehrer und unterrichtet Sport. Er ist Teil-
zeitmitarbeiter des Community Radios Nanto FM, u.a. für die Präsentation der Nachrichten auf Französisch sowie die Moderation politischer Diskussi-
onssendungen. Einmal kam Berepa in Schwierigkeiten, nachdem er sowohl
einen Vertreter des Staates und einen der Opposition zu einer Studio-Diskussion im Rahmen der Sendereihe invités de la sémaine rund um das Thema der 2011 in Natitingou geplanten Feiern zum Nationalfeiertag einlud.
Etliche Anrufer äußerten Kritik im Hinblick auf verschiedene unvollen-
dete, aber im Rahmen der Vorbereitungen auf die Feiern versprochene städtische Infrastrukturen, und stellten Fragen zum Gesamtbudget für die Veranstaltung, das ihrer Meinung nach nicht transparent dargestellt wurde. Die
schlechte kommunale Regierungsführung wurde vor allem durch den Studiogast Kassa Mampo infrage gestellt, Präsident des Comité de Développement de
Natitingou, einem ehemaligen Mitglied der Kommunistischen Partei und seit 197 Es handelte sich um einen Überfall am 25.2.2013 auf libanesische Geschäftsleute.
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langem in Opposition zum politischen Regime des Landes. Die Debatte wurde durch laufende Diskussionen und Gerüchte in der Stadt angeheizt. An einem
der folgenden Tage fand eine Kundgebung statt, auf der die Teilnehmer mehr
Informationen zu diesen Themen forderten. Die Demonstration im Mai 2011 wurde zunächst verboten, anschließend von der Polizei aufgelöst, was zu Aus-
einandersetzungen zwischen Polizei und Bürgern führte, in deren Folge Fawaz, ein junger Motorradtaxifahrer starb. Im Zuge der Ermittlungen zu die-
sem Vorfall wurden Berepa und der damalige Stations-Direktor von der Poli-
zei befragt. Sie wurden gewarnt, oppositionellen Positionen eine Stimme zu geben. Parallel zu diesen Untersuchungen wurde Kassa Mampo verhaftet und
beschuldigt, der Auftraggeber und Anstifter des Aufruhrs zu sein, und ist bis heute noch immer im Gefängnis (Natitingou, März 2013).
Viele Journalisten sind daher vorsichtig, und vermeiden mitunter, Anrufern zu viel Gewicht zu verleihen.
INFORMATIONSFLÜSSE UND ÖFFENTLICHKEITEN Was zeigt uns dieses Beispiel hinsichtlich der Veränderungen von Kommuni-
kationsräumen in städtischen Gebieten Benins? Zunächst einmal ist es schwie-
rig, Veränderungen im Hinblick auf ein „Vorher“ und ein „Nachher“ zu analysieren, da die Einführung der neuen Medientechnologien, ICT, zunehmende
Freiheiten der Meinungsäußerung und öffentlichen Diskussion ein laufender Prozess ist. Sicherlich war die Etablierung der ersten grogne-Sendungen ein wichtiger Impuls. Diese begannen aber wirklich erst zu boomen, als nach
2000 auch in Benin Mobiltelefone massiv genutzt wurden. Grogne Sendungen
allein erzeugen keine neuen Kommunikationskreisläufe. Sie entfalten sich in Verbindung mit einer Pluralisierung und Diversifizierung der medial relevanten Akteure sowie der unter ihnen entstehenden Netzwerke, zwischen denen Informationen schneller zirkulieren.
Sie stehen zudem im Kontext einer allgemein zunehmenden Verbreitung
der institutionalisierten Medien, von privaten Radios, TV, Zeitungen und Zeit-
schriften, PR-Agenturen, aber auch Blogs, Mailinglisten und Facebook-Gruppen, die sich mit neuen Akteuren und bereits bestehenden Kommunikations-
wegen in halböffentlichen Räumen verbinden. Zu letzten gehört der Bereich des bereits erwähnte radio trottoir (Ellis op.cit.), d.h. informelle urbane Öf-
fentlichkeiten, Gerüchte-Küchen, die sich in Benin an typischen Orten wie
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buvettes, Snack-Shops, Busbahnhöfen, Märkten und vor allem den Treffpunkten der Zémidjan-Motorrad-Taxifahrer entfalten. Aus diesen kommunikativen
Räumen beziehen wiederum Journalisten als auch grogneurs ihre Themen, die sie dann wieder in offizielle und nichtoffizielle Informationskanäle einfließen
lassen. Dadurch entsteht ein noch chnellerer, intensiverer und zugleich verschlungener Prozess der Zirkulation und Verstärkung der Informationsgüter.
Ein Beispiel: Im Jahr 2009 kamen Gerüchte auf, dass das Spar-System der
Organisation ICC Services, das zunächst sehr erfolgreich war, nicht mehr in
der Lage war, die Kunden auszuzahlen. Das Sparsystem war in der Tat als illegales, pyramidales Schneeball-Sparsystem organisiert, aber lockte zahlreiche Beniner Bürger an, in große Fonds einzuzahlen. Es musste letztlich zu-
sammenbrechen. Zunächst waren Journalisten aber bezüglich der Relevanz des Problems nicht sicher, aber einige von ihnen begannen, dies zu untersu-
chen, ohne bereits etwas darüber zu veröffentlichen. Parallel dazu sprachen
Zémidjan-Motorrad-Taxifahrer intensiv über dieses Problem, da viele ihrer
Kunden von Problemen mit ICC berichteten und andere Kollegen selbst be-
troffen waren. Im Frühjahr 2010 war dann ein grogneur der erste, der das Problem während einer call-in-Show von Radio Océan FM in Cotonou öffentlich machte, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Bald darauf wurden
erste Zeitungsartikel über diese Affäre von den Tageszeitungen LE TELEGRAMME und LE MATINAL veröffentlicht.
Weitere Debatten wurden infolge vager Berichte in Zeitungen und in Ra-
diosendungen als auch durch weitere Gerüchte angeheizt. Anschließend rich-
teten oppositionelle Abgeordnete eine Anfrage an die Regierung, um die An-
gelegenheit aufzuklären. Zwischenzeitlich riefen mehr grogneurs, allen voran Herman Meton, Radiosender an und drängten die Regierung, zu intervenie-
ren. Dieses Thema zirkulierte ständig zwischen allen Akteuren, Medien und Kommunikations-Räumen, und wurde zu einem wichtigen Gegenstand des Präsidentschaftswahlkampfes im Jahre 2011. Der Präsident198 versprach, zu-
mindest die Einlagen der Opfer zu erstatten. Grogneurs bzw. faiseurs d‘opinion erinnern bis heute aber noch oft die Regierung, diesen Verpflichtungen nachzukommen, da offenbar noch nicht alle Opfer entschädigt werden konnten.
198 Viele Menschen sahen seine Rolle in dieser Angelegenheit sehr kritisch, weil er die ICC-Gruppe zunächst aufgrund ihres sozialen Engagements, das als Fassade diente, unterstützte.
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Letztlich erleben wir eine zunehmende Geschwindigkeit der Informati-
onsflüsse, beschleunigt auch hier durch die zunehmende Nutzung von Han-
dys, sowie mobile Akteure in städtischen Gebieten (Hinnou 2012), eine Tatsache, die Politiker und Medien-Produzenten gleichermaßen herausfordert. Darüber hinaus wächst die erwähnte Multiplikation und Vernetzung von Standorten, Quellen und Kreisen von Informationen. Sie wird durch transna-
tionale Medieneinflüsse erweitert und entfaltet sich heute Hand in Hand mit einer wachsenden Komplexität der öffentlichen Räume einerseits und der diskursiven Felder in Benin anderseits. Diese wird sicher von zentralen Themen dominiert, die aber durch noch vielfältigere Diskurse als je zuvor erweitert
werden. Sie folgt einer sich wandelnden Gesellschaft, die durch zunehmende Verstädterung, Bevölkerungswachstum und Mediatisierung geprägt wird.
Schließlich hat die wachsende Zahl von politischen NROs, die sich als
Vermittler zwischen den verschiedenen Teilen der Bevölkerung, der Regierung und internationalen Organisationen positionieren, trotz staatlicher Zensur zu einem wachsenden Bewusstsein für die Bedeutung kritischer Informa-
tionen beigetragen. Davon profitieren auch die grogneurs, wenn sie in der Öffentlichkeit intervenieren. ZUSAMMENFASSUNG Ich habe versucht, über eine zu enge normative Bewertung der Aktivitäten
der grogneurs, im Sinne eines demokratischen ‚Bürger-Journalismus‘ hinaus
eine erweiterte Analyse vorzunehmen. Sie sollte nicht nur auf die Ambivalenzen in ihren Tätigkeiten hinweisen, sondern eine breitere Perspektive auf die Veränderungen der Modi und Praktiken der öffentlichen Kommunikation in
Benin einnehmen. Grogne-Sendungen und ihre Protagonisten, grogneurs sowie Journalisten, tragen zur Schaffung von neuen kommunikativen Räumen in Benin bei. Diese sind geprägt von einer wachsenden Artikulation der verschie-
denen Arten von Öffentlichkeiten, sowohl im Hinblick auf die verschiedenen Ebenen lokal, national, global, als auch in Bezug auf die jeweiligen kommu-
nikativen Arten, die jeden einzelnen Bereich der öffentlichen Kommunikation dominieren, d.h. dies erzeugt eine tiefere Durchdringung von Ebenen der Mündlichkeit, Schriftlichkeit und den Scripts technischer Geräte.
Umgekehrt werden immer neue Medien-Fertigkeiten notwendig, sowohl
auf der Seite der Produzenten als auch der Konsumenten. Journalisten sind
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gezwungen, eine Vielzahl von Arten sowie Quellen von Informationen zu nutzen, einschließlich semi-offizieller Quellen, um innovativ und kreativ sein zu können, und ihren Erfolg nachhaltig zu machen. Auf der anderen Seite sind Zuhörer gezwungen, neue Kompetenzen zu entwickeln, um Botschaften zu
entschlüsseln, sowohl im Hinblick auf Unterhaltung und Information. Dar-
über hinaus erhöhen die interaktiven Medien die Hybridität der Elemente und
Akteure der Radio-Produktion. Grogne Sendungen in der Republik Benin zeugen von der Tatsache, dass auf der ganzen Welt die Produktion und Verbrei-
tung von Informationen sich mehr als je zuvor als de-zentrierter Prozess voll-
zieht, bei dem eine wachsende Vielzahl von Akteuren, professioneller und nicht-professioneller Art, beteiligt ist. Unsere Fallstudie belegt eine wach-
sende Co-Produktion von Medieninhalten, an denen Journalisten, MedienNutzer, Politiker, Techniker und aktive Anrufer, sowie Technologien, Infrastrukturen und Institutionen beteiligt sind.
Neben einer methodischen Fokussierung auf die Analyse von Medien als
Assemblage (vgl. II,1), wo alle diese Akteure in Prozesse der Übersetzung und
der gegenseitigen Einschreibung beteiligt sind, müssen wir aber die SelbstDefinition der wichtigsten (humanen) Akteure berücksichtigen. Einige grogneurs mögen sich sicher gern als Journalist sehen. In den meisten Fällen sind
sie aber bestrebt, enge Grenzen zu ziehen, um ihre Rollen nicht wirklich aufzulösen: fast keiner der grogneurs bezeichnet sich selbst als „Journalist“ und kein Journalist würde grogneurs als wirklich gleichberechtigte Partner oder
Kollegen betrachten. Journalisten möchten sich zumeist nicht im gleichen Sinne wie grogneurs exponieren – sie möchten als sachlich und neutral gelten, haben sie doch u.U. mehr zu velieren als jene.
Journalisten und grogneurs sowie Politiker und Informanten zielen auf die
Erhaltung der mit strategischen Vorteilen verbundenen Positionen. Grogneurs
können z.B. nicht immer medienrechtlich für brisante Informationen verant-
wortlich gemacht werden, und ziehen sich in diesen Fällen gern auf ihre Rolle als „Bürger“, „Nicht-Journalisten“, zurück. Zudem bekümmert sie eine Unvollständigkeit ihrer Informationen wenig, während Journalisten gerne eine
professionellere Haltung und corporate identity bewahren und Machtpositio-
nen nicht aufgeben wollen, z.B. grogneurs im Zweifelsfalle von der Leitung zu nehmen. „Wenn ich merke, dass jemand einfach nur auf reine Polemik eingestellt ist, gebe ich dem Techniker ein Zeichen. Dann wird derjenige aus der
Leitung genommen, aber ich sage dann ‚Oh, da gibt es wohl Probleme mit
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dem Netz‘- und nehme den nächsten Hörer an“ beschreibt Rosymoh, Moderator einer grogne-Sendung auf Französisch bei CAPP FM (Cotonou) eine typische Strategie (März 2014).
Das grogne-Format ist nicht nur Zeichen einer wachsenden Meinungsfrei-
heit. Seine Relevanz liegt, so meine These, insbesondere im engen Zusam-
menspiel formeller und informeller Kreisläufe der Kommunikation, sowie Netzwerken, die Themen und Informationen generieren, die in den sich wan-
delnden Ökonomien der Aufmerksamkeit (Thorngate 1990) wahrgenommen werden. Ohne die Rolle der grogneurs, die in den vergangenen 10 Jahren auch
viel an Erfahrung gewonnen haben, würde dennoch ein wichtiges Element in
diesen Netzen fehlen. In der Vergangenheit hat das erwähnte radio trottoir (Ellis op.cit) viel zur Verbreitung informeller Informationen im städtischen Kontext beigetragen. Heute können solche Informationen viel schneller und
in noch mehr Räumen und Medien, einschließlich der Massenmedien, zirku-
lieren. Radio-Formate wie grogne-Sendungen fügen hier weitere Dimensionen hinzu, kann sich aber nur im Kontext vielfältiger Verknüpfungen verschie-
denster Orte und Quellen von Informationen, die durch neue Medien-Technologien beeinflusst sind, entfalten.
2. Erfolgsgeschichten: Ratgeber-Sendungen zu intimen Problemen In den vergangenen Jahren haben in Benin Sendungen zu persönlichen und intimen Problemen einen großen Boom erfahren. Es handelt sich um spät-
abendliche Anrufer-Radiosendungen zu Themen von Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Familie. Sie werden unter Namen wie carrefour des sentiments (Radio Parakou), sans détour (Radio Tokpa, Cotonou), autant en emporte le vent
(Radio Univers, Abomey-Calavi), cas pratique (CAPP FM, Cotonou), supplice
du coeur (Radio Nanto FM, Natitingou) oder coeurs en détresse (Golfe FM, Cotonou) z.T. auch in beninischen Sprachen ausgestrahlt.
Ein Beispiel: Auf Radio Fraternité in Parakou, in Nordbenin heißt die ent-
sprechende Sendung instant d‘une vie und läuft sonntags um 22 Uhr auf Fran-
zösisch. In der Sendung vom 4.02.2007, die von einer weiblichen (Marie-Annick) und einem männlichen Moderator (Stanislas, alias Stan Le Doux) präsentiert wird, geht es um das Problem einer Briefschreiberin, deren Ehe-
mann offenbar steril ist, dies aber nicht recht wahrnimmt. Der gemeinsame
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Kinderwunsch ist stark, ebenso wie das Gerede in der Umgebung des Paares.
Sie hat nun heimlich eine Affäre mit einem Arbeitskollegen des Mannes und
wird schwanger. Der Ehemann glaubt nun erfreut, seine Fruchtbarkeit wieder gewonnen zu haben. Die Frau bedauert ihr Verhalten, zumal der Ehemann jetzt gern ein zweites Kind haben möchte.
Nun ergibt sich die Frage, ob sie sich ihrem Mann erklären oder gar wie-
der ein außereheliches Kind zeugen sollte, was sie ablehnt… und bittet die Hörer um Rat. Schließlich rufen vor allem Männer an, die mehrheitlich der
Meinung sind, dass sie dem Ehemann die Wahrheit sagen sollte. Einige äu-
ßern, dass sie zur Not die Trennung akzeptieren müsse, aber dann mit reinem Gewissen leben kann, allerdings dann den biologischen Kindesvater benennen
sollte. Wenige Hörer sprechen sich für die Wahrung des Geheimnisses aus,
setzen dabei allerdings kaum auf das Verständnis ihres Mannes. Viele sehen die Ehe als gefährdet an.199 Die Moderatoren diskutieren mit den Anrufern, halten den Argumenten die jeweils problematische Seite entgegen. In den Ge-
sprächen fallen Worte wie Wahrheit, Gewissen, Liebe und Ehre. Auch Mei-
nungsäußerungen, die per SMS eintreffen, werden verlesen. Eine Mobilfunk-
firma hat die entsprechende Technik samt Bildschirm und Leitung zur Verfügung gestellt und teilt sich mit dem Sender die Erlöse.
Hier kann nicht auf alle Details dieses Falles eingegangen werden, festzuhal-
ten ist aber, dass Kinder außerehelicher Beziehungen nichts Ungewöhnliches in Benin sind, darüber aber eher im privaten Rahmen berichtet wird. Es han-
delt es sich also um ein delikates Thema, das nun zum Gegenstand spätabendlicher Radiodiskussionen wird. Derartige Sendungen zu Partnerschaftsproble-
men, die auch Beziehungen zwischen Eltern und Kindern oder zwischen
Freunden thematisieren können, erleben in Benin derzeit einen Boom. Fast jeder Radiosender, vor allem in den Städten, strahlt solche Sendeformate, auch in beninischen Sprachen (wie z.B. auch von Nan Adoukonoun, Radio
Tokpa, Fongbé), aus. Die Form der Sendungen kann dabei variieren. Neben dem Standardformat der Wiedergabe von Hörerpost (die mitunter auch von
199 In der Sendung carrefour des Sentiments vom 9.3.2009 (Radio Parakou) wird von einem Ehepaar berichtet, bei dem sich nach Jahren durch einen Zufall herausstellt, dass das Kind nicht vom Ehemann stammt. Der biologische Vater ist jedoch schon seit langem tot. Das Kind, inzwischen 13 Jahre, wurde vom Ehemann quasi angenommen – soll sich hieran etwas ändern? Stellt dieser Sachverhalt die Ehe infrage?
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den Moderatoren aufgrund mündlicher Informationen geschrieben wird) mit anschließender Diskussion über Anruferbeteiligung gibt es Nachtprogramme,
die von einem Moderator allein bestritten werden (wie z.B. évasion von Master T. auf Océan, der diese auf Facebook mit L'amour sera encore notre leitmotif!
ankündigt). Die Anrufer können hier auch persönliche Sorgen direkt mitteilen, gar Entschuldigungen und Danksagungen übermitteln.
Besondere Elemente sind auch Gedichte, die der Moderator vorträgt (Au-
tant nous emporte le vent, Radio Univers), das Verlesen trauriger Liebesge-
schichten (Bakassiné, Sendung auf Dendi, Radio Nanto FM) oder Sketche mit typischen Partnerschaftszenen (Radio Trait d‘Union, Bohicon). Auf Radio Golfe FM in Cotonou lief einmal eine Art wöchentliche Fortsetzungsge-
schichte, ausgelöst von einer jungen Frau, die sich über die ablehnende Hal-
tung von Ehemann und Schwiegerfamilie nach der Geburt eines Kindes beschwerte. Schließlich meldeten sich Ehemann, Schwiegermutter und Freunde an den nachfolgenden Sendungen zu Wort, wodurch der Fall vielen Hörern aus unterschiedlichem Blickwinkel bekannt wurde (Parakou, Februar 2007).
Was zeigen diese Art Ratgebersendungen zu intimen Problemen an, wie kann man ihren Erfolg erklären? Anrufersendungen dieser Art gibt es in Benin seit
Ende der 1990er Jahre, als verstärkt neue Sender wie Golfe FM in Cotonou, nach frischen Sendeformaten suchten. Die Verfügbarkeit von Mobiltelefonen fördert interaktive Formate. Die genannten Anrufersendungen sind auch
beliebt, weil sie mit sanfter Musik verbunden sind; zudem meist spät nachts
ausgestrahlt werden, wenn viele Hörer zuhause und oft schon zu Bett sind, und dann gezielter zuhören und anrufen als bei Tagesbegleitprogrammen. In-
teraktive Radioformate wurden bereits in den 1950er Jahren populär, zunächst in den USA und vor allem in Europa in den frühen 1990er Jahren
vermehrt eingeführt. Inzwischen sind sie weltweit Bestandteil von Radioprogrammen (Conseil supérieur de l’audioviduel 2012: 18; Bessire und Fisher
2012). Einerseits handelt es sich hier also um ein globales Radioformat, das den Erfolg des Mediums, beginnend mit den Radio Days in den USA der 1930er Jahre bis zum Boom der Privat- und Jugendsender seit den 1980er in
Europa verstärkt und darüber hinaus auf einer regionalen Bühne reproduziert. Zum anderen ist aber relevant, wie und von wem diese Sendungen in
Benin gestaltet werden, welche Diskussionen sie auslösen und in welchem
sozialen Kontext sie im Land stehen. Die Themen der erwähnten Anrufersen-
dungen beziehen sich auf einen generellen Trend in Benin, denn man findet
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z.B. auch in anderen Medien wie dem TV, in Zeitungen und öffentlichen De-
batten einen moralisierenden Diskurs, der meist allgemein um den angeblichen Verfall von sozialen Regeln und im Besonderen Liebe, Ehe und Elternschaft kreist.
Dieser Diskurs begleitet meines Erachtens den signifikanten sozialen Wan-
del, vor allem in urbanen Räumen mit hoher sozialer Fluktuation, die auch
eine Infragestellung bisheriger familiärer und gender-Beziehungen erzeugt. Es ist ein Diskurs der Mahnung und Beratung, der auch von Kirchen und NRO geführt wird. Radiomoderatoren nehmen hier eine indirekte Mittlerrolle zwi-
schen den Hörern, zwischen Geschlechtern und Generationen ein, und the-
matisieren Divergenzen zwischen Normen und sozialer Praxis. Schließlich verweisen diese Sendungen auf die kommunikativen Möglichkeiten von Radiotechnik, dessen virtuose und spielerische Aneignung durch die meist jungen Radiomacher und Hörer deutlich wird.
Auch hier wirkt die zunehmende Konkurrenz der Sender gerade im städti-
schen Umfeld, die Hörer für sich gewinnen und ein vielfältiges Programm
bieten müssen, dabei Moderatoren fördern, die einen hohen Wiedererken-
nungs- und Identifikationsgrad besitzen. Dies stellt den Kontext, aber keine hinreichende Erklärung der Dominanz dieser Radiosendungen dar. Dieser be-
ruht meines Erachtens auf weiteren Faktoren: ihrem innovativen Potential
als, um mit Pfaffenberger (1992b: 304) zu sprechen countersignifications; ihrer hohen Interaktivität, sowie der Tatsache, dass hier Themen verhandelt wer-
den, die im Gegensatz zu Inhalten früherer staatlicher Propaganda- und Bildungssendungen die Hörer direkt auf sich oder Freunde und Verwandte beziehen können und sich dadurch angesprochen fühlen.
Durch neue Kommunikationsformen wie dem Mobiltelefon oder SMS (Dji-
wan 2007) erhalten sie auch eine persönliche Komponente.200 Natürlich be-
200 Ein anderes Beispiel einer Radiostation in Nikki: „Die Sendung carrefour des sentiments ist ein interaktives Programm mit Gästen und wird von den Hörern sehr angenommen. Die erste Phase der Sendung widmet sich der Präsentation einer ‚Geschichte des Herzens‘ durch den Gastgeber der Sendung, zu der sich zwei oder drei Gäste, darunter unbedingt eine Frau, äußern. In der zweiten Phase können Hörer anrufen, um ihren Standpunkt mitzuteilen, der von den Gästen diskutiert wird. Die Sendung dauert eine Stunde und verzeichnet mitunter fünfzig Anrufer. Ziel ist es, Ratschläge für Situationen des Lebens als Paar zu geben, das immer schwieriger
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dienen diese Sendereihen auch Neugier und Sensationslust, wenden sich jedoch an neue Hörergemeinschaften vor allem jüngerer Personen in urbanen
Räumen, bei denen ethnische Grenzen weniger bedeutsam als Offenheit, Urteilsvermögen und der Wunsch, sich über moralische Fragen auszutauschen.
Es rufen auch zahlreiche Frauen an; manche Sender wie Radio Fraternité FM
(Parakou) räumen ihnen eine gesonderte Telefonnummer ein. Schließlich handelt es sich um eine besondere Form medialer Aneignung, die einen Raum der Aushandlung von Normen erlaubt. Entstehung und Rezeption von Sendungen wie dieser sind emblematisch für aktuelle Veränderungen der Radiolandschaften in Westafrika. Diese sind als soziales Feld von neuen und alten
Medienakteuren besetzt, die Spielregen darüber aushandeln, wer Positionen in den medialen Arenen einnehmen und Diskurse bestimmen kann.
Die Hörergemeinschaften dieser gefühlbezogenen Ratgebersendungen
stellen weder festumrissene Gruppen noch unbestimmbare Massen dar. Meinen Recherchen zufolge lassen sich viele von ihnen jedoch einer bestimmten
Altersgruppe (der 16- bis 50-Jährigen) zurechnen, die eine ähnliche soziale Situation teilen. Es sind Schüler, Studenten, Angestellte, junge Handelstreibende oder Handwerker, die meist über eine gute Ausbildung verfügen und
beruflich sehr engagiert sind, dabei aber nicht immer in gut gesicherten Positionen arbeiten. Sie leben von ihren Herkunftsfamilien getrennt, aber meist
mit dem Wunsch, sich zugleich individuell zu verwirklichen und sozial – als Partner oder Familienvater – respektiert zu werden. Sie entwickeln ein besonderes Interesse an diesen Sendungen, die sie bewusst einschalten und zugleich
kritisch begleiten. Zu einigen dieser Ratgeber-Sendungen haben sich spezielle Hörerclubs gebildet, wie im Falle der Sendung lumières nocturnes (Radio Tokpa), aber auch carrefour des sentiments (Radio Parakou), wo meist junge Hörer Vereine gründeten, und somit den Sender unterstützen.
Radio Tokpa strahlte im Zeitraum 2007-2011 jeden Donnerstag, Freitag
sowie Sonntagabend die Sendung lumières nocturnes aus. Laut Angaben des
wird. Mit der Modernisierung der afrikanischen Gesellschaft sind die Familienstrukturen verschwunden, die es erlauben, entsprechende Probleme im erweiterten Familienkreis zu regeln. Dies ist ein Diskussionsrahmen der Beschäftigung mit den sozialen Problemen Erwachsener, den wir geschaffen haben, weil die hier diskutierten Themen uns von den Radiohörer übermittelt wurden.“ (Moussa Madougou, Direktor Radio Nikki, Email an den Autor, 13.9.2007)
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damaligen Programmdirektors der Station Donklam Abalo wurde die Sen-
dung ins Programm genommen, weil „ich das Gefühl hatte, dass diese irgend-
wie im Programm noch fehlte, und auf Interesse der Hörer stoßen würde.“ (5.12.2008) Vorbildsendungen anderer Stationen wären durchaus bei dieser Entscheidung von Bedeutung gewesen. Anfangs gestaltete er selbst die Sendung zusammen mit einem Co-Moderator. Diese Moderationsform, bei der
auch ein recht launischer Stil vorherrscht, war mit seinem Amt aber nicht mehr zu verbinden, dass eher ein seriöses Image erforderte.
Die Sendung lumière nocturnes, wurde lange Zeit von Stephanie Montcho
moderiert (heute im Sender Océan FM beschäftigt), und hatte, wie erwähnt,
einen gut organisierten Fanclub. Von Zeit zu Zeit traf man sich, organisierte Ausflüge. In jeder Sendung riefen mindestens drei bis vier seiner Mitglieder
an, grüßten sich gegenseitig, tauschten auch private Neuigkeiten unabhängig
vom Thema der jeweiligen Sendung aus. Auch private Sorgen wurden gemeinsam bewältigt. So starb die Mutter einer treuen Hörerin, und viele Mitglieder des Fanclubs fuhren zur Beerdigung nach Pobè. Sie riefen von dort
direkt in der Sendung an. Mitglieder des Fanclubs kamen oft als Gäste ins
Studio. Der Fanclub hatte auch einen Schlüsselanhänger mit dem Logo des Clubs herstellen lassen. Gildas, ein junger Lehrer, war der Präsident des Fan-
clubs. Er war von der Sendung sehr begeistert, denn „ich fand dort Antworten auf Fragen, die sonst nirgends diskutiert werden.“ Er erwähnte, dass sogar
einmal seine eigene Freundin an den Sender schrieb und Rat in einem Beziehungsproblem erbat, das auch ihn betraf. Sie hatte es ihm erst während der
Sendung erzählt; erst war er irritiert, fand dies dann aber in Ordnung, wenngleich er über das Sujet nur ungern sprach (Cotonou, März 2009).
Später löste sich der Fanclub teilweise auf, als die Moderation erst von I. Li-
gan und dann später von A. Picardi und Dossi HDK übernommen wurde.201
Die Mitglieder vermissten ihre gewohnten Themen, die zuvor eher um Be-
ziehungsanbahnung, Beziehungspflege und Eifersucht etc. kreisten. Die Beziehungen der Moderatoren zu den Anrufern wurden etwas förmlicher. Einige
201 Picardi fokussiert, um sich von anderen Sendern innovativ zu unterscheiden, die Sendung sans détour sonntagnachts seit Ende 2011 vor allem auf Fragen der Sexualität und spricht dabei auch Themen wie Praktiken des Geschlechtsverkehrs, Libido, Gliedschwäche, aber auch Polygamie und das Levirat an. Auch hier hat sich eine Gruppe treuer Anrufer gebildet, die diese Fragen lebhaft diskutiert und auch bereit ist, eigene Erfahrungen einzubringen (Grätz 2014; Graf 2013).
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Mitglieder sind als Hörer entsprechender Sendungen zum Sender Océan FM
gewechselt (Gruppendiskussion, Cotonou, Oktober 2010); aber neue, im Schnitt nun etwas ältere treue Anrufer (wie die Herren Allognon, Holonou oder Damen Zoumahoun, Scholastique) kamen hinzu.
Eine schon seit 2001 ausgestrahlte Sendung dieser Art ist Carrefour des
Sentiments, die sonntags spät abends auf Radio Parakou läuft und im Norden Benins sehr beliebt ist. Sie wurde lange Zeit von Lucien Sotondji und anschlie-
ßend von Sylvère Savi moderiert. In ähnlicher Weise wie im Falle von lumieres nocturnes in Cotonou hat sich auch rund um diese Sendung ein Fanclub, hier
mit dem Namen Cercle de refléxion et d’action pour une vie de couple harmonieuse (CERAVICOH) etabliert. Er existiert seit 2003 und wurde vom Verwal-
tungsangestellten Marcel Dekoto in Parakou gegründet. Die Mitglieder des Clubs (unter ihnen auch Paul Dakouda, grogneur, vgl. V,1), die im Gegensatz zum genannten Fanclub in Cotonou verschiedenen Altersgruppen angehören,
kannten sich indirekt bereits zuvor, da viele von ihnen immer wieder in den Sendungen anriefen. Unter ihnen sind Lehrer, Mitarbeiter von NRO, Studie-
rende und Händler. Sie möchten die Sendungen begleiten, Themen vorschlagen und Beratung anbieten.
Anlässlich eines Treffens des Fanclubs am 21.2. 2010 in Parakou werden
zunächst Probleme besprochen, die für das Partnerschaftsleben relevant sind und in verschiedenen Sendungen angesprochen worden waren. Madame Belco, eine pensionierte Lehrerin, spricht als Problem an, dass Kinder ab einem gewissen Alter nicht mit den Eltern zusammen im gleichen Schlafzimmer
übernachten sollten. Bis zum Alter von 4 Jahren mag dies noch nötig sein, um notfalls den Kleinen helfen zu können, aber dann wäre es nicht mehr angebracht. Ab diesem Alter würden die Kinder auch möglicherweise zu viel
aus dem Intimleben der Eltern mitbekommen. Marcel berichtet von einem Besuch bei Arzèkè FM, wo es darum ging, ob man nicht auch mit diesem
Sender ähnlich wie mit Radio Parakou zusammenarbeiten könne. Schließlich spricht er das zentrale das Thema der Sitzung an: die Handhabung von SMS
im Eheleben. Die Anwesenden diskutieren ausführlich, ob es z.T. angemessen
ist, überhaupt das Mobiltelefon des Partners nutzen zu können, z.B. bei Anrufen stellvertretend den Ruf anzunehmen. Einige Beteiligte sind der Mei-
nung, dass im Gegensatz dazu SMS aber immer etwas Persönliches sind und
auch den Partner nichts angehen. Dieser sollte diese SMS nicht lesen, um nicht etwas zu finden, was ihn/sie nichts angeht.
334 | T ECHNOLOGISCHE D RAMEN
Paul ist der Meinung, dass man aber selbst solche Botschaften immer lö-
schen solle, um Probleme zu vermeiden. Andere sind der Ansicht, dass grund-
sätzlich ein Vertrauensverhältnis vorliegen sollte, dann kann das Lesen dieser Nachrichten auch kein Problem darstellen. Anschließend diskutiert die Runde
weitere Fälle, z.B. jener eines Paares, bei dem die junge Ehefrau eine SMS auf dem Handy des Mannes las, bei der jemand ihm vorschlug „Liebe zu machen."
Sie erzürnte dies sehr, erzählte es ihren Eltern, die daraufhin dann den Schwiegersohn zur Rede stellten. Er stritt dies ab, musste aber die Nachrich-
tenschreiberin vorstellen, die zugab, dass sie die SMS schrieb, aber keine Affäre mit ihm unterhielt. Ein anderes Thema der Sitzung sind verfrühte Ehen. Oft würden sich junge Paare nicht richtig kennen, bevor sie heiraten. Daher
würde sie sich auch gegenseitig zu wenig kennen und vertrauen (Parakou, Februar 2010).
Die oben angesprochenen Fragen der Mobiltelefonnutzung beeinflussen of-
fenbar Paarbeziehungen auch in Benin mehr und mehr. In der Sendung Carrefour des Sentiments vom 9.03.2009 von Radio Parakou ging es um Eifersucht.
Ein Mann, der zufällig das Handy seiner Frau sieht, bemerkt, dass sie mit einem anderen Mann kommuniziert. Seine Frau arbeitet in einer Buvette,
wodurch sie oft von fremden Männern angesprochen wird – aber wie weit gehen diese Kontakte? Er ruft die entsprechende Nummer mit verstellter
Stimme an, um zu erfahren, wer sich hinter dieser Nummer verbirgt, kann aber nicht klären, ob seine Frau ihn tatsächlich betrügt. Diese Handlung stellt aber ebenso einen Vertrauensbruch dar.
Nach meinen Recherchen werden Themen dieser Sendung – meist Partnerschafts- oder Familienprobleme – nicht nur im Fanclub, sondern auch allge-
mein unter den Hörern, im Freundes- oder Kollegenkreis, in Schulen oder Bars
besonders am Tag nach der Sendung intensiv diskutiert. Dabei geht es oft auch um die Themenauswahl selbst, die Angemessenheit ihrer Präsentation,
die viele Hörer ebenso veranlasst, an die Redaktion zu schreiben. Diese Reak-
tionen stimulieren die Moderatoren, die Sendereihe fortzusetzen; zugleich aber auch Umsicht bei der passenden Art der Darstellung z.B. der Leserbriefe walten zu lassen. Zugleich bemühen sie sich, extreme Hörermeldungen unter
Umständen abzubrechen (Interviews L.Sotondji, S.Savi, Radio Parakou 20072011). Bestimmte Themen tauchen in den verschiedenen Sendern in Benin immer wieder auf. Dazu gehören Untreue, Eifersucht (Darf die Ehefrau mit
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ihrem Chef allein auf eine Dienstreise gehen?), Missgunst und Druck der Eltern oder Schwiegereltern, aber auch der Umgang mit materiellen Sorgen in
der Partnerschaft. Immer wieder taucht auch das Sujet des Sugar-Daddy auf, d.h. ein Verhältnis eines (meist verheirateten) älteren, wohlhabenden Männern mit einer jungen Frau, die diese Beziehung aus materiellem Interesse eingeht. Dies wird im folgenden Beispiel einer Sendung deutlich:
Sendung cas pratique, am 20.03.2009, Radio CAPP FM in Cotonou. Hier
ging es um den Fall einer jungen Frau, 28 Jahre alt, die eine Liaison mit einem
einflussreichen älteren, verheirateten Politiker eingeht. Dieser zeigte sich ge-
nerös, hielt sie aus, fand für sie einen guten Job und half gar ihrer Familie. Allerdings zwang er sie zweimal zu einer Abtreibung. Inzwischen verlangte
er gar, dass sie sich sterilisieren lassen soll. Die Ärzte warnten sie aber, da diese Operation nicht ohne Risiko sei. Nun denkt sie darüber nach, den Liebhaber und Gönner zu verlassen, fürchtet jedoch seinen Zorn, da er sehr ein-
flussreich ist und der Regierung nahe steht. Die Mehrzahl der anrufenden Hö-
rer ist aber der Meinung, dass sie den Bruch wagen solle, auch auf die Gefahr
des Verlustes hinsichtlich ihrer ökonomischen Situation. Sie riskiere einiges, hat aber einen Job und sollte sich im Leben auf eigene Weise bewähren (se battre dans la vie). Sie wird sicher auch einen anderen Partner finden. Andere
sind der Meinung, dass der entscheidende Punkt die Ablehnung des Kinderwunsches durch den älteren Liebhaber ist, was sie mehr als das Ausgehaltensein herabwürdigen würde.
Typisch sind auch Diskussionen, die Liebes-Beziehungen zwischen Lehrern
und Schülerinnen thematisieren. Radio Nanto, 7.03.08, Sendung supplice du
coeur. Das Thema heute: Die Briefschreiberin Hélene, eine junge Schülerin an einem der örtlichen collèges, ist verliebt in einen ihrer Lehrer. Dieser hat jedoch bereits eine Verlobte. Allerdings reagiert er auf die Annäherungen der
Schülerin nicht abgeneigt, trifft sich ab und zu mit ihr und schreibt ihr Briefe. Wie soll sie nun weiter handeln? Hat ihre Beziehung eine Chance? Die meisten Hörer sind der Meinung, dass der Lehrer nur mit ihr spielt, es nicht ernst
meint, auf jeden Fall gern mit zwei Frauen engeren Kontakt hat. Wenige Anrufer äußern nur, dass sie ihr Glück versuchen und den Lehrer für sich gewinnen mögen. Ist es wirkliche Liebe, dann wird er sich ihr zuwenden.
Hier wird ein wiederkehrendes Themenfeld angesprochen, das mitunter auch
zu recht ernsthaften Problemen führt. Oft missbrauchen Lehrer trotz strikter
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Verbote ihre Autorität, belästigen Schülerinnen sexuell, oder provozieren gar Schwangerschaften – ebenso ein Thema in vielen dieser Sendungen.
Vor allem auch unerfüllte Kinderwünsche sind ein häufiges Thema: Sen-
dung Radio Parakou. Carrefour des sentiments, 15.03.2009. Es wird der Hörerbrief von Janine, verheiratet mit Jacob, verlesen. Das Paar hat drei Kinder. Sie ist Hausfrau, und wurde vor fünf Jahren sehr krank. Sie stellt dies als envoutement (bösen Zauber) dar. Heilversuche waren vergeblich, und sie wurde mehr und mehr depressiv, auch die Verwandten lehnten sie ab. Ihr
Mann entfernte sich langsam, ging auf Distanz, bis er sie schließlich aus dem
Haus verwies, nachdem er sich mit seiner Familie beraten hatte. Die Briefschreiberin äußert verzweifelt, dass sie ihren Mann aber liebt und ihn wieder
haben möchte, vor allem auch ihre Kinder. Offenbar ist ihr diese Krankheit aber peinlich, so dass sie im Detail nicht darüber sprechen will. Die Meinun-
gen der Hörer gehen diesmal sehr auseinander. Viele Anrufer äußern sich negativ über die Schwiegerfamilie. Es sind aber auch Stimmen zu hören, die
sie selbst verantwortlich machen und ihr anraten, offener mit der Krankheit umzugehen und aktiv eine Heilung zu suchen.
MODERATOREN UND HÖRER VON INTIMEN RATGEBERSENDUNGEN Es sind vor allem die Moderatoren und Moderatorinnen, die den Erfolg dieser Sendungen sichern, indem sie relevante Themen aufwerfen und Hörer in ihren Sorgen ernst nehmen.
Stanislas Lanlozé (Stan le Doux, Biographie vgl. Abschnitt II,4) ist hier
ein gutes Beispiel. Er hat die Sendung instant d‘une vie im Sender Fraternité FM Parakou im Jahre 2004 übernommen. Die sonntägliche Sendung gestal-
tete er zunächst zusammen mit einer Frau, inzwischen aber allein. Er erklärt,
dass seine Mitstreiterin inzwischen geheiratet und dann den Sender verlassen
hat. Er fügte hinzu, dass dies bei Sprecherinnen sehr oft geschieht, bei denen dann der Ehemann darauf drängt, die Tätigkeit aufzugeben, und dabei vor
allem Gründe wie Eifersucht (generell ein Problem für weibliche Moderatorinnen in Benin), aber auch Konkurrenzdenken ausschlaggebend sind.
Die recht intimen Themen, der notwendigerweise freundliche, mitunter
flirtende Umgang mit den Hörern, der für diese Sendungen typisch ist, erzeuge oft Gefühle der Eifersucht bei den Partnern. So berichtet Stanislas, dass
seine Ehefrau ebenfalls ihm vorschlug, die Sendung aufzugeben, weil sie ei-
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fersüchtig war, und von anderer Seite gar hörte, dass ihr Mann angeblich au-
ßereheliche Kontakte mit Hörerinnen pflegte. Es gelang ihm, ihre Befürchtungen zu entkräften, aber er schlug ihr vor, diese Sendungen besser nicht zu hören. Neben der Sendung am Sonntag gestaltet Stanislas auch eine ähnliche
Anrufersendung, die immer mittwochs um 22.30 Uhr ausgestrahlt wird und dem Titel „et si c'était vous“ (wenn Sie an dieser Stelle wären) trägt. Dabei wird ebenfalls ein persönliches Problem geschildert und die Anrufer aufge-
fordert, ihre Meinung zu äußern, aber dabei versuchen sollen, sich in die Lage der Protagonisten zu versetzen. Hier geht es ebenfalls um delikate Probleme, wie z.B. einen Ehemann der entdeckt, dass seine Frau ihn betrügt, aber dann erfährt, dass die Frau einen Unfall hat und nun entscheiden muss, ob er ihr trotz allem bei der Genesung als eigentlicher Partner helfen soll.
Stanislas erklärt den Erfolg dieser Formate damit, dass es zur Veränderung
von Familienbeziehungen gerade in schnell wachsenden Städten mit hohem
Zuzug, wie in Parakou, kommt. Dazu gehören auch viele allein lebende
Frauen. Dieses Faktum ist in ländlichen Regionen eher selten, gewinnt in
Städten aufgrund der wirtschaftlichen Autonomie vieler Frauen z.B. als Händlerinnen oder Angestellte an Bedeutung. Man beobachtet aber auch das Verhalten von Männern, die ihre Frauen, oft gar mit Kindern, einfach verlassen. Gerade letztgenannte Fälle hätten in den vergangenen Jahren erheblich zu-
genommen, was viele Briefe von Frauen widerspiegeln. Gesetzliche Versorgungsansprüche der Frauen werden in der Regel auch nicht durchgesetzt oder
geltend gemacht. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele Paare nicht amtlich heiraten und damit der Familienstand nicht der sozialen Situation entspricht.
Der Erfolg dieser Formate ist im Wesentlichen also auf die radiotechni-
schen Fähigkeiten der Moderatoren wie A.Picardi, S.Savi, Rosymoh oder Master T. zurückzuführen. Ihnen gelingt es offenbar, die Hörer anzusprechen,
Sendungen mit oft konträren Hörermeinungen trotz allem ausgewogen zu gestalten, Themen zu diskutieren, die von großem Interesse sind, und in ge-
schickter Art und Weise Musik, 202 narrative Techniken und Redestile in der
202 Die Musikgestaltung dieser Sendungen ist bei den einzelnen Stationen recht ähnlich. Meist werden als Hintergrundmusik langsame Titel gewählt. In vielen Fällen sind dies französische Titel, wie jene von Francis Cabrel oder einheimischer Interpreten wie Pierre Dassabouté, dessen Titel ideal zu diesen Sendungen passen, da sie oft einen moralischen Appell beinhalten. Stephanie Montcho startet manche Sendungen mit englischsprachigen Titeln und erläutert deren Inhalte. In anderen Sta-
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Radioproduktion zu verbinden. Ihr Erfolg beruht auf ihrem öffentlichen An-
sehen auch außerhalb dieser Sendungen. Hierzu gehören z.B. auch informelle Beratung und Mittlerdienste in Partnerschaftskonflikten (regelmäßig durchgeführt z.B. von Elronic, vormaliger Gastgeber der Sendung „fréquences roses“,
Radio Arzèkè in Parakou,203 oder Rosymoh, „cas pratique“ CAPP FM, Cotonou). Dabei sind manche inhaltlichen Aspekte nicht einfach zu bewältigen: „Das Fazit (conclusion) ist immer der schwierigste Teil, denn irgendwie muss sich hier der Hörer wieder finden, der die unterschiedlichen Meinungen wäh-
rend der Sendung verfolgt hat, aber ich muss unter Umständen auch ein mo-
derates Ende finden, wenn die Diskussion stark kontrovers verlief.“ (Lucien Sotondji, Radio Parakou, November 2008)
VERTRAUEN, KOMMUNIKATION UND NORMATIVE DISKURSE IN RATGEBERSENDUNGEN ZU PARTNERSCHAFTSFRAGEN
Die Anrufer diskutieren inzwischen offen Probleme wie Ehebruch, Vertrauen,
aber auch Ehre und Stolz. Es geht oft um fehlendes Vertrauen und mangelnde Kommunikation unter den Partnern, aber auch um den Umgang mit sozialer
Elternschaft. Der Moderatoren sind meist bemüht, drastische Reaktionen vor allem der männlichen Anrufer (bei Ehebruch heißt es oft il faut renvoyer la
femme, man sollte die Frau einfach wegschicken) zu mäßigen. Nicht nur dieserart Probleme werden diskutiert, sondern auch Briefe von Hörern, die verzweifelt sind.
22.03.2009. Tatiana Ahanda präsentiert die Sendung coeurs en détresse derzeit auf Golfe FM gemeinsam mit Valentin. Heute geht es eher um Mathieu,
tionen wie Nanto FM werden in diesen Sendungen („supplice du cœur“, meist präsentiert von Bienvenu Fandé) oft sentimentale Lieder gespielt, so z.B. über untreue Mädchen, die in Westafrika im frankophonen Bereich beliebt sind (z.B. Solo Dja Kabako, Burkina Faso). 203 Elronic (inzwischen Mitarbeiter von Golfe TV Parakou) traf den Briefeschreiber Ismael z.B. mehrfach persönlich, denn dieser war sehr verzweifelt. Ismael schloß seinen vom Moderator Elronic verlesenen Brief vom 24.11.2009, in dem es um seine Eheprobleme ging, an den Sender Arzèkè FM wie folgt: „Ich möchte, das Ihr meine Schritte leitet und dass ich weiß, was zu tun ist, denn ich bin vollkommen unsicher. Ich erwarte Eure Ratschläge sehr.“ (Parakou, Mitschnitt; meine Übers. a. d. Französischen)
V MEDIALE I NTERAKTIONEN | 339
35, der Ratschläge erbetet, seine allgemeine Situation zu verbessern. Mathieu, verheiratet, Vaters eines dreijährigen Sohnes, berichtet von einer problema-
tischen Kindheit. Sein Onkel war ihm ein Vater, nachdem sein leiblicher Vater
die Familie früh verließ. Letzterer verstarb früh, scheint aber die Familie ‚verwunschen‘ zu haben. Dies manifestiert sich – 15 Jahre später – darin, dass er sowohl beruflich als auch privat keinen Erfolg hat. Er legte das Abitur und
dann 2006 die maîtrise in Jura ab, hatte aber nur befristete Arbeitsverträge, verdient extrem wenig, hat keine Partnerin und keine eigene Wohnung. Er
träumt von Geld, spielt oft Lotto, aber ohne Erfolg. Ist das der Fluch des leiblichen Vaters? Auch seine Schwestern sind nicht sonderlich erfolgreich, haben die Schule früh verlassen, sind verheiratet, aber nur eine von ihnen hat eine
stabile Anstellung. Nur der Onkel hat viel Geld, spendet davon das meiste aber einer Kirche und für Pilgerfahrten. Die Familie ist katholisch, hat (bis-
her) selbst keine Magie praktiziert – wäre dies aber die Lösung? Was sollte er tun, damit der Erfolg kommt?
Betrachtet man die Rezeption von Ratgebersendungen zu intimen Problemen durch die Hörer, so werden in Auswertung der Interviews als Motive für das Hörern die Akzeptanz bestimmter Moderatoren sowie das „Interesse an The-
men des Lebens" genannt, von denen man sich selbst auch eine Art moralische
(Weiter-)Bildung erhofft. Eine große Zahl der befragten jungen Frauen wie Männer schalten gern diese Sendungen ein, weil sie die Moderatoren mögen. Im Verlaufe eines Interviews in Natitingou sagte ein Hörer über Lucien
Sotondji (Radio Parakou): „Er ist nicht der allerbeste der Moderatoren von Radio Parakou, aber ich höre gern seine Sendungen. Er spricht gut, erklärt die Dinge. Ich mag seine Art, sich den Anrufern zuzuwenden, das verzaubert mich.“ (cela m'enchante; S.L. Schweißer, März 2009).
Ein junger Schneider im Viertel Santa in Natitingou hört gern die Sendung
Blues du coeur „...weil es eine Sendung ist, die einen bildet (l'émission cultive l'homme). Ich bin froh, wenn ich die Sendung höre, denn die Botschaften stel-
len schließlich gute Ratschläge für das Leben dar.“ (conseils de la vie; M.G., April 2009) Ebenso äußerte sich Antoine, Barbesitzer und ein treuer Hörer
der Sendung carrefour des sentiments auf Radio Parakou: „Ich möchte aus den Erfahrungen anderer lernen, und auf alle Probleme des Lebens vorbereitet
sein.“ (Natitingou, März 2008) Die Lesarten oder Arten des Decoding dieser
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Sendungen, um mit Stuart Hall 1980 zu sprechen, sind vielfältig, erfolgen zugleich individuell und im öffentlichen Raum.
Desiré Dah Allognon ist typisches Beispiel für einen oftmaligen Anrufer
der Ratgeber-Programme, hier von Radio CAPP FM und Radio Tokpa in Cotonou. Er begründet seine leidenschaftliche Beteiligung durch seine Neugier,
sein Wunsch, wichtige Debatten über gutes Verhalten und die moralische Ver-
besserung des Lebens seiner Mitbürger mitzugestalten. Er arbeitet als Verkäu-
fer in einem christlichen Laden und strebt danach, seine berufliche und familiäre Situation zu verbessern. Tief betroffen vom frühen Tod seiner
ehemaligen Freundin suchte Dah weiterhin einen idealen Partner, was sein
Interesse an solchen Sendungen weckte. Er gibt viel Geld für diese Anrufe aus. Dahs Stimme wird von den meisten Moderatoren sofort erkannt, und er ist auch bekannt unter den Zuhörern in Cotonou, die entweder seine Kraft und
Engagement loben oder seine meist konservativen Aussagen missbilligen. In-
zwischen ist er glücklich verheiratet und hat dies per Anruf in der Sendung
sans détour von Radio Tokpa Ende 2013 kundgetan (Cotonou, Februar 2012). Der Erfolg dieser Sendeformate beruht also meines Erachtens neben der Fokussierung auf vormalige Tabuthemen auf einer besonderen Fähigkeit der
Moderatoren, eine ‚technogene Nähe‘ (Beck 2000) zu den Hörern herzustellen, Diskussionen aufzunehmen und die technischen Möglichkeiten sowohl
des Radios als des Mobiltelefons ideal zu nutzen.204 Die thematische Bandbreite der Sendungen ist groß. Allerdings kann man davon ausgehen, dass es sich um zuvor kaum medial debattierte Aspekte partnerschaftlichen Lebens,
und zu einem Teil auch Tabuthemen handelt, die nun aber angesprochen werden. Sie sind wiederum Teil eines diskursiven Feldes, das Moral ins Zentrum
stellt. Es ist sowohl von externen („westlichen“), vor allem auch über Medien
vermittelte Referenzen und Bildern als auch Bezügen auf afrikanische Tradi-
tion und Bewahrung bestimmt. Die Ratgebersendungen finden vor allem durch eine aktive Beteiligung der Hörer, als Briefschreiber, Anrufer oder in
204 Andere Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von Para-Sozialität, z.B. Horton und Wohl (2001) oder Hartmann (2010b).
V MEDIALE I NTERAKTIONEN | 341
Fanclubs, eine besondere Prägung und erzeugen vor allem in urbanen Räu-
men neue Hörergemeinschaften, die intime Probleme, aber auch alltagsmoralische Fragen in einer sich wandelnden Umwelt verhandeln.205
Diese Anrufersendungen werden wie erwähnt meist im Freundeskreis, in
Schulen oder in Alltagsgesprächen intensiv diskutiert. Dabei geht es z.B. um die Angemessenheit der Präsentation, die viele Hörer veranlasst, an die Redaktion zu schreiben, oder, wenn der Sender nahe ist, dies direkt den Mode-
ratoren mitzuteilen. Diese Reaktionen stimulieren wiederum die Radiomitarbeiter, bestimmte Themen weiterzuverfolgen; in anderen Fällen aber auch, Umsicht bei der Präsentation von Leserbriefen walten zu lassen und Extreme unter Umständen zu vermeiden.
Gerade in Bezug auf diese Erfolgs-Sendungen offenbart sich die Einfluss-
nahme der Hörer, die auch zur jeweiligen Sendekultur beiträgt. Es gibt z.B. Debatten, ob man im Radio in Ratgebersendungen zu intimen- und Partnerschaftsproblemen über Themen wie Ehebruch oder sexuelle Probleme offen
sprechen darf, da jüngere Leute eventuell falsche Ideen entwickeln (Hörerdis-
kussionen Cotonou, März 2008, Natitingou, März 2009). Einige Gesprächs-
partner lehnten diese Sendungen rundherum als unseriös ab. Sie würden, wie viele vor allem ältere Hörer befürchteten, “Jugendliche verwirren“, oder „un-
sere traditionellen Werte infrage stellen.“ Die Mehrzahl der befragten jungen Frauen wie Männer schalten aber gern ein.
Diese Debatten deuten die Brisanz gerade innovativer Sendeformate in
Benin ein. Sie stehen im Zentrum öffentlicher Debatten um die Veränderun-
gen von Radiokulturen unter dem Einfluss neuer technischer Möglichkeiten technologischer Dramen im Pfaffenbergerschen Sinne (op.cit), deren Verlauf
und Besonderheiten in Benin ja die zentrale Fragestellung der Studie darstellen und im abschließenden Kapitel daher zusammenfassend diskutiert werden sollen.
205 Moderator: „Monsieur?“ Anrufer: „Marc Naouati!“ Moderator: „Woher rufen Sie heute Morgen an? Hallo [...] von wo aus rufen Sie an diesem Morgen an?“ Anrufer: „Akpakpa.“ Moderator: „Wir hören ihnen zu.“ „Hallo Rosymoh. Hallo Florimond.“ „Hallo Monsieur?“ „Was ich sagen möchte: das ist der schlechte Umgang, der die Frauen zu diesem Verhalten führt [...] Die Probleme des Haushaltes sollten auch zu Hause gelöst werden. Was ich meinem Freund sagen möchte [...]: Man sollte das Problem des Hauses nicht woanders diskutieren.“ Moderator: „Vielen Dank, Herr Naouati. Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende.“ (Aufnahme: Radio CAPP FM, Cotonou, 21.11. 2008; 11.30, Ratgebersendung cas pratique)
VI Zusammenfassung und Ausblick
Abbildung 10: Benoit Noé, Teilzeitmoderator während der Sendung „Weekend avec Jesus“ Radio Maranatha, Parakou, Oktober 2010
344 | TECHNOLOGISCHE DRAMEN
1. Medienwandel, Radio und Öffentlichkeiten Seit der Medienliberalisierung in den 1990er Jahren haben sich in Benin viele neue private oder gemeinnützige Radiosender etabliert, die von kleinen Gemeinderadios über Sendestationen religiöser Gemeinschaften bis hin zu gro-
ßen Unterhaltungs- und Informationssendern überregionaler Bedeutung reichen. Die Gründung staatsferner Stationen, aber auch die Verbesserung des
technischen Standards und nicht zuletzt die sehr stark wachsende Verfügbar-
keit von Empfängern im Alltag206 haben dadurch dem Feld des Radios (Bourdieu et al. 1985) auch im vergangenen Jahrzehnt neue Impulse verliehen.
Gerade kleinere UKW-Stationen sind noch wenig strukturierte Institutionen, aber offen für neue Sendeformate und alltägliche Interaktionen mit Hörern. Ihre Betreiber experimentieren mit Programmen und Sprachen, reagieren aber auch auf lokale Nachfragemuster. Ihr kultureller und politischer Deu-
tungsanspruch lässt die Sender potentiell aber auch zu Einflussfaktoren in lokalen und nationalen Arenen werden. Zugleich suchen sie gerade in den urbanen Zentren mit vielen neuen Sendern ihren Platz, ihr Ansehen und
Unverwechselbarkeit in der medialen Öffentlichkeit, konkurrieren hier zunehmend um Hörer und tragen zur Diversifikation von Radiokulturen bei.
Radiosendungen im Allgemeinen sind in Benin durch eine neue Vielfalt,
den Anschluss an globale Informationsflüsse und erweiterte Partizipationsmöglichkeiten der Hörer gekennzeichnet. Hier sind in allererster Linie der
große Erfolg von Gruß- und Wunschsendungen (concerts d'auditeurs), aber auch die direkte Mitarbeit bei Produktionen, Diskussionen in (Ratgebersendungen zu intimen Problemen) und außerhalb der Studios (Märchensendungen, Gesang, Theater) zu nennen.
Die Beispiele dieser erfolgreichen Radio-Formate des Landes machen
deutlich, dass es sich in Benin um lokale Wirkungsformen des Radios handelt,
die in der gesellschaftlichen Relevanz brisanter Inhalte und der Entstehung neuer Hörergemeinschaften liegen. Ich stimme Schulz (1999b) und Shipley
(2009) zu, dass die Programme der meisten UKW-Sender, vor allem in den lokalen Sprachen, normative und moralische Diskurse beeinflussen. Ich bin
206 Bezogen auf die Angebotsvielfalt, fallende Preise für Radioempfänger durch Nachahmerprodukte (UKW-Radios schon ab 1 €) aus Nigeria oder Südostasien, die Radiofunktion in Mobiltelefonen sowie die Mitnutzung im Haushalt, Freundeskreis und in öffentlichen Räumen.
VI Z USAMMENFASSUNG
UND
A USBLICK | 345
aber zudem der Meinung, dass darüber hinaus auch aktuelle politische Inhalte, in Bezug auf lokale sowie nationale Arenen, von vielen Hörern gleich-
ermaßen eingefordert werden. Ausgangspunkt meiner Studie war die Frage, in welcher Art und Weise sich Radiokulturen in Benin infolge dieser Diversi-
tät, der Zunahme medientechnischer Möglichkeiten sowie der größeren politischen Öffnung verändern, welche Akteure, aber auch welche Konflikte diese
Veränderungen prägen. Der Wandel der Radiokulturen in Benin kann als Gestaltungs- und Aushandlungsprozess zwischen von Produzenten, Hörern und technischen Möglichkeiten unter dem Einfluss politischer Institutionen be-
schrieben werden. Dabei sind neue öffentliche Räume und Kommunikationspraxen entstanden.
In Benin ist das Radio sowohl bei privaten als auch vereinsgeführten Sen-
dern von engen Wechselbeziehungen zwischen Hörern und Radiogestaltern geprägt, die auch zur jeweiligen Sendekultur beitragen, vor allem durch die
vielen Alltagskontakte zwischen beiden Gruppen sowie den interaktiven Sendungen.. Auf der einen Seite finden wir in Westafrika viele kulturhistorische
Parallelen zur Radiogeschichte z.B. in den 1930er bis 1950er Jahren in den
USA, mit dem Erfolg des Talk-Radios (Schulz 1997), das auch später in Europa seinen Siegeszug antrat und mittlerweile global verbreitet ist (Schulz 1999b). Die Bedeutung von Radioempfängern als Statusgut für Mittelschichten (Podber 2007), und später – vor allem nach Einführung von Transistorra-
dios – auch für die Freizeitgestaltung von Jugendlichen, die mit neuen Musikstilen und Moden verbunden war, finden sich auch in Benin wieder. Auch in Afrika sind inzwischen sowohl üppig ausgestatte Radioanlagen in Privathaushalten als auch miniaturisierte Geräte, integriert in Mobiltelefone oder
mp3-Player, Objekte symbolischen Konsums und zugleich wichtige Begleiter im Alltag. Anderseits lassen sich, aufgrund finanzieller und materieller Zwänge, auch Umformungen beobachten.207
Die praktisch-materielle Aneignung schließt auch die Aufnahme-, Repor-
tage- und Studiotechnik mit ein (vgl. Abschnitt II,1). Radiomacher in Benin kämpfen dabei permanent mit technischen Unzulänglichkeiten, oftmaligen
Stromausfällen, dem Fehlen von Ersatzteilen, dem Ausfall von Telefonnetzen
sowie ihrer eingeschränkten räumlichen Mobilität. Ad-hoc-Improvisationen
207 Z.B. in Petroleumlampen integrierte Radioempfänger, das Zusammenschalten vieler (schwacher) Batterien, selbstgebaute Antennen etc.
346 | TECHNOLOGISCHE DRAMEN
werden zur alltäglichen Routine. Entsprechende Beeinträchtigungen der Programmqualität werden von den Hörern aber weniger beanstandet als man-
gelnde Programmvielfalt und Kreativität der Gestalter. Anerkannte Radiojournalisten können aber eine Mittlerrolle zwischen Hörern und öffentlichen Informationsangeboten einnehmen, wenn es ihnen gelingt, viele Hörer per-
sönlich anzusprechen, relevante Themen zu finden und diese in virtuoser Nut-
zung von technischen Mitteln und Informationsquellen in ihren Sendungen umzusetzen. Viele von ihnen sind inzwischen zu beliebten Persönlichkeiten
regionaler Radiokulturen geworden (vgl. Abschnitt II,4). Hier wirkt auch die zunehmende Konkurrenz der Sender, die Hörer für sich gewinnen und ein vielfältiges Programm bieten müssen, und zudem Moderatoren fördern, die einen hohen Wiedererkennungs- und Identifikationsgrad besitzen.
Ein Merkmal der hier vor allem vorgestellten nichtstaatlichen Sender ist
die Mitarbeit zumeist sehr junger Radioproduzenten, die ursprünglich oft über keine spezifische Medien- bzw. journalistische Ausbildung verfügten. Diese Techniker, Moderatoren und Journalisten sind aber über Praktika und Vertragsmitarbeit in die Radioarbeit hineingewachsen. Dies ist vor allem der
Tatsache geschuldet, dass es staatsunabhängige Sender seit dem Ende der 1990er Jahre gibt, formelle journalistische Ausbildungswege im Land aber erst vor kurzem eingerichtet wurden. Manche Radiomacher wuchsen somit allmählich in die entsprechenden Funktionen hinein, nachdem sie zunächst als Hilfskraft, Techniker, freier Mitarbeiter etc. tätig waren.
Einige dieser jungen Journalisten und Moderatoren haben inzwischen
aber Karriere gemacht, sind zu Werbestars oder Redaktionsleitern aufgestie-
gen. Dabei entwickeln sie ihre eigene, pragmatische Professionalität und Kreativität im Umgang mit den z.T. problematischen Produktionsbedingungen
und den Erwartungen der Radiohörer. Zur Einkommenssicherung kombinie-
ren sie meist vielfältige Aktivitäten im Bereich der Medien und außerhalb (als Pressesprecher, Regisseur, Lehrer, Impresario) und bilden sich permanent
fort. Sie entwickeln ihre eigene, pragmatische Professionalität im Umgang mit den Produktionsbedingungen und Erwartungen der Hörer. Wie eingangs am Beispiel der Presseschau von Dah Houawé erläutert wurde, gestalten junge
Radioproduzenten in kreativer Art und Weise auch neue Sende-Formate. Zu diesen gehören immer mehr hybride Genres, bei denen sich Formen der
Schriftlichkeit mit jenen der Mündlichkeit mischen, wie im Beispiel von Theaterdarbietungen im Radio oder auch SMS, die oft den gleichen Abkürzungsstil annehmen wie jene von Jugendlichen hierzulande.
VI Z USAMMENFASSUNG
UND
A USBLICK | 347
Zu den erfolgreichsten Programmen zählen interaktive Formate, Sendun-
gen mit Meinungsäußerungen der Hörer zur politischen Aktualität, aber auch Sendungen zu religiösen Fragen sowie zu persönlichen, intimen Problemen in
Familie bzw. Partnerschaft. Das letztgenannte Sendeformat ist in vielen Ra-
dio-Sendern Benins sehr präsent. Dadurch ist ein neues Forum entstanden, in
dem Liebe, Eifersucht, aber auch Sexualität thematisiert werden. Eine dieser Sendungen habe ich selbst als Co-Moderator im Sender Radio Nanto FM in
Natitingou begleitet. Gerade in Bezug auf Programme zu intimen und alltags-
moralischen Fragen (vgl. Abschnitt V,2; Grätz 2009) offenbart sich nicht nur
eine Einflussnahme der Hörer, sondern entstehen auch enge Wechselwirkun-
gen zwischen Hörern und Radiogestaltern auch außerhalb der Sendungen, die zur jeweiligen Sendekultur beiträgt. Die hohe Interaktivität kann dabei zudem eine besondere (radiomedial produzierte) Nähe erzeugen (vgl. Beck 2000; Grätz 2012b). Diese Beziehungen sind jedoch, wie gerade die Debatten
um diese intimen Sendungen zeigen, in Benin von Prozessen einer diskursiven
Aushandlung medialer Kultur geprägt. Sie sind Teil des medialen Wandels, der als (sozio-)technologisches Drama verläuft.
2. Radioentwicklungen in Benin als Technologische Dramen Im abschließenden Teil möchte ich in Analyse der im vorigen Abschnitt un-
tersuchten Anrufersendungen den dieser Studie zugrundeliegenden Leit-Begriff wieder aufgreifen: Die Entfaltung dieser Anrufer-Sende-Formate als Teil der sich insbesondere seit 1997 wandelnden Radiokulturen in Benin kann im Anschluss an Bryan Pfaffenberger (1992b) als (sozio)technologisches Drama
beschrieben werden. Pfaffenberger geht in seinem Ansatz dabei von soziotechnischen Systemen aus, die Technologien, Infrastrukturen, soziale Bezie-
hungen und politische Prozesse miteinander verkoppeln. Dabei sind vor allem Momente der Implementierung, aber auch Öffnung, Infragestellung und Wandlung dieser Systeme von Interesse:
„The people ... affected by regularization engage in myth-, context-, or artifact-altering strategies that represent an accommodation to the system (technological adjustment) or a conscious attempt to change it (technological reconstitution). A technological drama, in short, is a specifically technological form of political discourse. A key point is that
348 | TECHNOLOGISCHE DRAMEN
throughout all three processes, political ‘intentions,’ no less than the facticity and hardness of the technology's ‘impact,’ are themselves constituted and constructed in reciprocal and discursive interaction with technological activities. Technology is not politics pursued by other means; it is politics constructed by technological means.” (op.cit.: 282)
Ein technologisches Drama bezieht sich also nicht allein auf die Aspekte der konkreten Nutzung und Anpassung von Radiotechnik, sondern auf die grund-
legenden Kämpfe um Bedeutungen dieser, d.h. der Nutzbarkeit dieser in kulturellen und politischen Kontexten und in öffentlichen Räumen.
Es sind gesellschaftliche und politische Aushandlungs- und Gestaltungs-
prozesse angesprochen, die – entsprechend des oben erwähnten Zitats – nicht
nur Technologien und ihre Erzeugnisse beeinflussen, sondern, im umgekehrten Sinne, auch zugleich reziprok von der Entwicklung und Wirkung der
Technologien im Alltag geprägt werden. In unserem Falle betrifft dies allgemein die Auseinandersetzungen um die Möglichkeiten und Grenzen unabhän-
giger Radiosender in Benin, im Besonderen aber vor allem interaktive Sendungen, die durch Radio- und Mobilfunktechnologien ermöglicht werden. Ihre Rolle wird zwischen Radio-Produzenten, verschiedenen Hörergruppen,
Medienbehörden und Politikern ausgehandelt. Zurück zur theoretischen Ver-
ortung dieses Ansatzes. Der Begriff des technological drama (op.cit) bietet eine Ergänzung des weiter oben diskutierten Medien-Aneignungs-Begriffes hinsichtlich einer notwendigen soziopolitischen Rahmung und zugleich dynamischen Modellierung, die helfen kann, verkürzte modernisierungstheoretische Sichtweisen auf medialen Wandel in Afrika zu relativieren.
Ein technologisches Drama ist in allererster Linie, wie auch im Zitat deut-
lich wird, mit einem jeweils vielschichtigen gesellschaftlichen Diskurs über
Nutzungsweisen und Wirkungen von Technologien verbunden. Diese entfal-
ten sich daher nirgends in der gleichen Art und Weise, allerdings kann ein technologisches Drama entlang bestimmter Pfade oder Teil-Prozesse differenziert werden: Technological regularization, technological adjustment und technological reconstitution. Auf die Radioentwicklung in Benin bezogen bezeichnet
Technological regularization, wie bereits erläutert, allgemein die formelle Einführung der Möglichkeit, Radiosender zu gründen und die entsprechende
Technologie einzuführen, sowie den Stationsmitarbeitern und Nutzern offiziell auferlegte gesetzliche Rahmenbedingungen. Die technische Umsetzung
zeigt dann, im Wechselspiel mit tatsächlichen Praxen der Radioproduktion und -rezeption, unter Einfluss öffentlicher Diskurse und vor allem politischer
VI Z USAMMENFASSUNG
UND
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Interventionen, verschiedene Verlaufsformen, einschließlich kritischer Wen-
depunkte, die dann zwei mögliche Folgen zeitigten: Aspekte eines Technological adjustment beziehen sich auf den dann erfolgenden alltäglichen Umgang mit der Radiotechnik und ihre Potentiale in der Gestaltung der Radioprogramme und des Hörerverhaltens, sowie die Anpassung an den Gesetzesrah-
men. Die Ebene der technological reconstitution verweist demgegenüber auf
Umdeutungen, Infragestellungen gewohnter Radioprogramme sowie der Ra-
diotechnik, Modifikationen des Systems, z.B. auch innovative und inversive
Aneignungsstrategien (countersignifications; Pfaffenberger 1992b:304; vgl. Abschnitt IV,3) seitens der Medienproduzenten und -nutzer. Letzteres betrifft eben z.B. auch Einführung des grogne-Formates oder der Presseschauen auf Fongbé.
Der Gesamtverlauf des technologischen Dramas des radiomedialen Wan-
dels in Benin lässt sich am Beispiel des generellen Erfolges offener Sendefor-
mate wie den Anrufer-Ratgebersendungen darstellen. Zunächst war die Entfaltung der Medien in Benin politisch und ökonomisch begrenzt. Nach der politischen Wende 1990 wurden 1997 neue Mediengesetze eingeführt (tech-
nological regularization); es erfolgte eine staatlich gestaltete Öffnung. Neue Radiotechnik wurde in kurzer Zeit angeeignet, in dem es unter dem Einfluss
politischer Entscheidungen zu einer Welle der Neugründungen von Stationen
(technological adjustment) und ihrer vielfältigen Rezeption kam. In der Folge führte eine zunehmende Konkurrenz der Sender aber zur Zuspitzung auf in-
novative, erfolgreiche Formate wie besondere call-in-Sendungen (technological
reconstitution). Diese fanden seit 2002 durch das Mobiltelefon enormen Zuspruch. Parallel dazu entwickelten sich neue Hörergemeinschaften.
Es erfolgten dann aber Gegenreaktionen einflussreicher konservativ-kriti-
scher Hörer und Staatsbehörden (technological regularization) bezüglich brisanter Sendeinhalte, vor allem bei grogne-Sendungen, aber auch in Reaktion
auf Sendungen zu intimen Problemen sowie auch religiöse Themen (Fâ-Orakel, Vodun). Daraufhin wurden manche Sender vorsichtig; in anderen erfolgte
gerade aber aufgrund dessen eine verstärkte Zuwendung zu interaktiven Formaten, die aber noch professioneller (Vorauswahl der Hörer) oder effektiver
z.B. durch den Einsatz von SMS gestaltet wurden. Allgemein besteht die momentane Schließung (technological adjustment) dieser Aushandlungen und Bedeutungskämpfe in der festen Etablierung interaktiver, offener Formate, bei denen aber zugleich Grenzen, z.B. hinsichtlich der Möglichkeiten zu offener
350 | TECHNOLOGISCHE DRAMEN
Kritik an ehemaligen und aktuellen Präsidenten bestehen. Durch neue tech-
nische Angebote wie das Internet, die Einbindung von Facebook, Twitter etc., könnten diese Konstellationen sich aber zukünftig verändern, z.B. durch die Differenzierung der „normalen“ von eher internetaffinen Radionutzern dieser Sendungen.
Der Titel des vorliegenden Buches nutzt bewusst den Pfaffenbergerschen
Begriff im Plural. Die generellen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse
rund um interaktive Radioformate seit Mitte der 1990er Jahre, in Verbindung mit der rapiden Ausbreitung von Radiotechnik, vor allem nach Gründung
neuer Stationen und der Zunahme der Verbreitung von Radioempfängern,
sind natürlich das hier relevante übergreifende technologische Drama. Es sind
zugleich auch viele kleinere Dramen, die hier auszumachen sind und die TeilAspekte dieses Prozesses sind. Dazu zählen Auseinandersetzungen um be-
stimmte technische Aspekte wie Reichweiten, aber auch um Zensur durch Zulassungen und Verbote von Sendern (wie jene von Radio Star 2003 und 2008, CAPP FM 2009, Radio Rurale Tanguiéta 2009, oder Radio Tonignon 2011) oder einzelnen Sendungen.
Die Anordnung eines zeitweisen Sendeverbotes für CAPP FM im Novem-
ber 2009 war beispielsweise eines dieser recht aufschlussreichen Dramen (vgl. I,4), da hier nicht nur der Sender sowie die HAAC involviert waren,
sondern viele mediale Akteure pro oder contra Partei ergriffen. Es wurde eine neue Phase der technological regularization von der HAAC ausgelöst, die den Druck auf kritische Sender, die nicht Verträge mit der Regierung unterzeich-
net hatten erhöhen und die Pressefreiheit modifizieren wollte. Auch die Pres-
seschauen standen dabei zur Disposition. In der Folge wurden generelle Dis-
kussionen um Möglichkeiten von Meinungsfreiheit versus Verantwortung der Radiosender geführt. Zugleich stand die prononciert libertäre Position des Senders selbst auf dem Spiel. Gegenstrategien des Senders und seiner Anhä-
nger bestanden vor allem in der Öffentlichmachung der Intervention. Sicher
ging am Ende dieses Dramas der Sender gestärkt aus diesem Verfahren hervor, allerdings markierte zugleich auch der Staat seine Handlungsmacht – als Zeichen auch für andere Sender.
Eine ebenso aufschlussreiche Dramatik nahmen Debatten um bestimmte
Sendeinhalte, z.B. in der Folge des (zeitweisen) Verbotes der Werbung für
traditionelle Heiler durch die HAAC (Abschnitt III,2), aber vor allem auch
rund um Sendeformate wie die Presseschau von Dah Houawé, Sendungen im
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UND
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Formate der grogne matinal sowie jene über intime Probleme ein, die im vor-
herigen Kapitel thematisiert wurden. Immer wieder ging es hier nicht nur darum, was im Radio in welcher Art gesendet werden darf, ob in technisch-
rechtlicher Hinsicht die direkte, crossmediale Übertragung von Presseninhal-
ten anderer Autoren ins Radio auf diese Weise statthaft sein (countersignification; Pfaffenberger 1992b: 304), sondern welche Rolle Radioendungen gene-
rell in Benin in ihrem Einfluss auf Öffentlichkeiten und Wissensproduktion haben sollten. Diese Dramaturgie können jeweils im Wechselspiel öffentlicher Diskurse, technischer Möglichkeiten, den Interventionen der Medienbehörden wie der HAAC, Hörerreaktionen und der Handlungsmacht von Radioredaktionen rekonstruiert werden.
All diese Dramen sind aber zugleich untrennbar mit der Technik selbst
verbunden: sie ergeben sich erst aus der regional situierte Realisierung der Möglichkeiten dieser. Radiokulturen in Benin, wie in anderen Ländern in Westafrika, haben erst durch die Zulassung der vielen neuen Sender sowohl kommerzieller als auch assoziativer Form seit Ende der 1990er Jahre eine
völlig neue Dimensionen erfahren. Sendungen werden nun in einheimischen Sprachen in einer großen Vielzahl von Formaten, von Information bis Unter-
haltung, produziert und haben mitunter eine große Reichweite (heute auch
durch Internet-Livestream). Radiokulturen in Benin sind zugleich aber auch
durch eine verstärkte Rezeption transnationaler Informationsflüsse, eine zunehmende Professionalisierung und Ökonomisierung des Medienfeldes (ein-
schließlich der Bildung größerer Medienhäuser) sowie vielfältige überregionale Vernetzungen zu Sendern und Medienproduzenten geprägt.
Der Austausch zwischen Radioproduzenten in Afrika, Europa und Nord-
amerika als auch innerhalb Afrikas wird immer intensiver, wie nicht nur der transnationale Programmaustausch zwischen religiösen Radiosendern (vgl.
Abschnitt II,3) belegt. Religiöse Medienakteure in Benin entwickeln recht verschiedene Strategien, um in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Sie führen ent-
weder eigene Sender oder erwerben Sendezeit in anderen Stationen. Sie be-
einflussen die Entwicklung diskursiver Felder und profitieren von einem gegenwärtig günstigen politischen Klima für christliche Gemeinschaften.
In Radiosendungen lässt sich generell eine offenere Behandlung vieler so-
zialer Themenbereiche wie Sexualität und Familienprobleme feststellenbeobachten: es gibt wie gesehen Anrufersendungen, die zu Foren direkter Kritik werden können (grogne matinal, Radio Golfe FM, Océan FM; contact, Radio
352 | TECHNOLOGISCHE DRAMEN
Tokpa u.a., s.u.), aber auch satirisches Radio-Theater (Bébête Infos, Radio Planète, Cotonou), um nur zwei Erfolgsformate zu nennen.
Radiohörer in Benin, wie generell in Westafrika, gehören verschiedenen
sozialen Gruppen von Zuhörern an. Sie haben inzwischen deutliche Präferenzen und individuelle Hörgewohnheiten sowie vielfältige Formen aktiver Einflussnahme auf Radiosendungen entwickelt. Für viele Hörer ist das Radio
zentraler Begleiter im Alltag, das Radiohören Erlebnis und Quelle wesentlicher Informationen und persönlicher Inspiration. Zudem lässt sich festhalten,
dass entgrenzte, über ethnische und linguistische Affinitäten hinausgehende Hörergemeinschaften sicherlich an Bedeutung zunehmen. Dies ließ sich so-
wohl anhand der Hörerumfragen (vgl. Abschnitt IV, 1) feststellen als auch an
der fallbezogenen Analyse erfolgreicher Sende-Formate wie den interaktiven
Sendungen. Dies bezieht sich nicht nur auf Sendungen in französischer Spra-
che (die von vielen Hörern in urbanen Räumen z.B. zumindest passiv beherrscht wird), sondern gilt auch für größere afrikanische Verkehrssprachen.
Diese Entgrenzung ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Aufgehen in gesamtkollektiven Hörergemeinschaften, die eher selten entstehen, z.B. bei großen nationalen Ereignissen, die zeitgleich über mehrere Medien repräsentiert werden, und nationale Dimensionen annimmt (Beispiel: Direktübertragungen
beim Tod von Kardinal Gantin; Nationalfeiertag, Sportereignisse). Entgrenzung bedeutet hier, dass die Wahl einer bevorzugten Sendung nicht allein an der Sprachkompetenz festzumachen ist.
Wir finden deutliche Differenzierungen von Hörergruppen entlang inhalt-
licher Präferenzen sowie Identifizierungen mit Sendern und individuellen Radiomitarbeitern, die z.T. auch erst durch die sprachlichen Entgrenzungen
möglich werden, und sich eher soziokulturell (hinsichtlich bestimmter Milieus, Lebensstile, Altersgruppen, verschiedener urbaner Hörergruppen) mani-
festieren. Umgekehrt haben viele Sender teilweise auch Hörer verloren, wenn sie – nach ersten Erfolgen – den Erwartungen und Präferenzen der Hörer nicht (mehr) entsprachen (z.B. Radio Golfe FM). Hier manifestiert sich eine zunehmende Konkurrenzsituation von Radiosendern um Hörerschaften und Deutungshoheiten; vor allem in urbanen Räumen und unter Einschluss der überaus aktiven neuen christlichen Stationen (vgl. Abschnitt II,2).
Hinsichtlich der Veränderung von medialen Diskursen und Praxen durch
das Radiohören kommt es auch in Benin (im Anschluss an Krotz 2001 und Hartmann 2010a) z.T. zu einer verstärkten Mediatisierung kommunikativen Handelns. Dieser Prozess erfolgt nicht in allen sozialen Bereichen und noch
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nicht in allen hauptstadtfernen, ruralen Regionen in gleicher Weise. Mediatisierungsprozesse vollziehen sich in Benin in äußerst fragmentierter, d.h. re-
gional und themenbezogen (z.B. öffentliche Sicherheit, Wahlkampf) unter-
schiedlich ausgebildeten Art und Weise. Es entwickeln sich aber vor allem in
Anrufersendungen neuartige kommunikative Räume. Sie stellen neue Verbindungen zwischen verschiedenen Foren der Kommunikation dar: zwischen me-
dialer Öffentlichkeit und Begegnungsöffentlichkeit (d.h. dem radio trottoir und dem radio de proximité), aber auch zwischen lokalen und nationalen Öf-
fentlichkeiten. Schließlich verweisen vor allem die interaktiven Sendungen
auf besondere kommunikative Möglichkeiten von Radiotechnik, dessen virtuose und auch spielerische Aneignung durch Radiomitarbeiter und Hörer entscheidenden Anteil an diesen Entwicklungen hat.
Auch in diesen Prozessen nehmen vor allem Radiomoderatoren als zent-
rale Akteure und Cultural Broker eine vermittelnde Position ein. Radiomode-
ratoren sind Teil einer sich gegenwärtig in Benin entfaltenden neuen Generation von Medienakteuren. Diese umfasst vor allem Journalisten, die neue
Formate entwickeln und vielfältige Aktivitäten in verschiedenen Medien und darüber hinaus kombinieren. Hier kann man mit Peterson argumentieren (2003: 162), dass Medienproduzenten nicht nur kulturelle Güter erzeugen,
sondern auch zur Produktion ihres eigenen Selbst, ihrer Identität(en) und so-
zialen Beziehungen auch jenseits des eigenen Berufsfeldes beitragen. Eine besondere Mittler-Funktion in medialen Öffentlichkeiten nehmen in Benin aber auch passionierte Anrufer der grogne-Sendungen ein. Zu den neuen instituti-
onellen Akteuren gehören zudem religiöse Medienproduzenten (vgl. Abschnitt II, 3) sowie unabhängige Medienproduktionsfirmen.
Radio nimmt überall auf der Welt eine zentrale Rolle im Alltag ein; ist
Tagesbegleiter, Informations- und Unterhaltungsquelle, bietet Orientierung und Gesprächsanlässe. Es handelt sich hier aber um mehr als nur eine nach-
holende Entwicklung. An den Beispielen besonderer Sende-Formate wurde
deutlich, dass es sich zugleich um spezifische lokale Wirkungsformen des Radios handelt, die in der gesellschaftlichen Relevanz brisanter Inhalte und der
Entstehung besonderer Hörergemeinschaften liegen. In Benin entwickeln sich aber daher zugleich lokale Radio-Kulturen, die sich in relevanten Themen, landestypischen Sende-Formaten, und vor allem spezifischen Nutzungspraxen
des Radios im Alltag (wie im Falle von Kindersuchdiensten und Todesfeiern) entfalten. Diese Entwicklungen können als ein sich wechselseitig verstärken-
der Prozess technologischer Aneignung, den ich hier in einem weiten Sinne
354 | TECHNOLOGISCHE DRAMEN
verstehe, durch Radiomacher und Hörer verstanden werden. Es erfolgt zudem eine Neukonstitution von Öffentlichkeiten als ein Prozess, der von gesamtge-
sellschaftliche Wandel und medien-politischer Interventionen in Benin gerahmt wird.
Medienkulturen in Benin, wie generell in Westafrika, sind nicht durch
starre kulturelle Systeme geprägt, die durch Neuerungen ersetzt werden. Sie
werden durch einen permanenten Aneignungs- und Aushandlungsprozess herausgefordert, adaptiert und re-konstituiert, im Wechselspiel technischer
Neuordnungen und ihrer Gestaltung durch Akteure und Institutionen. Medienaneignung hier verläuft selten geplant, sondern als technological drama(s)
entlang eigenen Dynamiken, wie sie in dieser Studie aus einer ethnologischen Sicht beschrieben wurden. Mediale Wandlungsprozesse entstehen auch hier
im Zusammenwirken globaler medialer Güter, wie dem Radio, und ihrer lokalen Aneignung, die wechselseitig konstitutiv sind (Ang 1996).208
208 „What needs to be addressed, then, is the complicated relationship between global media and local meanings, their intricate interconnections as well as disjunctions.“ (Ang 1996: 152)
Anhang
Abbildungsverzeichnis Titelseite: Radiomoderator Miftaou Sidikou während einer Anrufersendung, Radio Nanto FM, Natitingou, März 2012
Abbildung 1: Live-Bericht per Mobiltelefon, Remy Yokossi, Journalist Radio Nanto, FM, November 2009 | 9
Abbildung 2: Bei einer Straßen-Umfrage, Stéphane Tankwouano, Journalist, Radio Rurale Locale Tanguiéta, März 2010 | 65
Abbildung 3: Werbeflyer der Sendungen von Anselme Kpaténon, Planète (2011) | 190
Radio
Abbildung 4: Moderator Marcos, Nanto FM, Natitingou (Februar 2009) | 191 Abbildung 5: Jahreskalender für Dah Houawé Moderator Radio CAPP FM | 199
(Eustache Atinkpahoun),
Abbildung 6: Claude Korblah, Journalist Radio Arzèkè, Interview mit der Reine des Cobras, Parakou, Oktober 2010 | 205
Abbildung 7: Sendeplan von Radio CAPP FM, Cotonou (2009) | 207
Abbildung 8: Gado, Schuster und passionierter Radiohörer in Natitingou, März 2012 | 259
Abbildung 9: Mobiltelefone bereit für Anrufe bei Dakouda, grogneur, Parakou, März 2011 | 293
Radiosendern, Paul
Abbildung 10: Benoit Noé, Teilzeitmoderator während der Sendung „Weekend avec Jesus“ Radio Maranatha, Parakou, Oktober 2010 | 343 Alle Abbildungen: Autor
356 | TECHNOLOGISCHE DRAMEN
Akronyme Abkür-
Langfassung
Erläuterung
BUBEDRA
Bureau Béninois du Droit
Musikrechte-Verwertungsge-
d'Auteur et des Droits Voisin
sellschaft der Künstler Benins
CRS
community radio stations
Gemeinde- bzw. vereinsge-
DANIDA
Danish International Develop-
Staatliche Dänische Entwick-
DW- (Ra-
Deutsche Welle
Staatlicher Deutscher Aus-
PNUD
Programme des Nations Unis
Entwicklungsprogramm der
RFI
Radio France International
Staatlicher Französischer Aus-
RIC
Radio Immaculée Conception
Katholischer Radiosender, Al-
UEEB
Union des Eglises Evangéliques
Vereinigung protestantischer
URCAB
Union des radios Communau-
Vereinigung der Gemeinde-
URTNA
Union for Radio and Television
AMARC
Association Mondiale des Radio-
Weltbund der Gemeinde- bzw.
CEPEB
Conseil des Églises Protestantes
Rat der protestantischen und
zung
dio)
ment Agency
pour le Développement
du Bénin
taires et Associatives du Bénin
Networks for Africa
diffuseurs Communautaires et Évangéliques du Bénin
führte Radiosender lungskooperation
landsrundfunk, Bonn UNO (engl. UNDP)
landsrundfunk, Paris lada
Missionskirchen
bzw. vereinsgeführten Radiosender in Benin
Panafrikanische Me-
dienbehörde, überwacht Frequenzen
vereinsgeführten Radiosender
evangelischen Kirchen Benins,
Trägervereinigung für christli-
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